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DAS WEIB
IN DER
NATtJß- UND VÖLKERKUNDE.
ANTHROPOLOGISCHE STUDIEN
VON
m H. PLOSS.
Sechste umgearbeitete und stark vermehrte Auflage.
Nach dem Tode des Verfassers bearbeitet und heraosgegebeu
von
Dr. Max Bartels.
Mit 11 lithographisohen Tafeln tmd 630 Abbildungen im Text.
Erster Band. / -"*" ^ ■'
» 4» •
Leipzig.
Th. Grieben's Verlag (L Fernau).
1899.
•• "•• • •
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Das Recht der Uebersetzung wird vorbehalten!
Vorrede des Verfassers
zur ersten Auflage.
Wenn ich die Früchte meiner vieljährigen Studien über die ^Naturgeschichte des
Weibes vorzugsweise vom völkerkundlichen Standpunkte aus*^ der Oeffentlichkeit
übergebe . so darf ich wohl bekennen, dass ich mir bei der Bearbeitung dieses ebenso schönen
und anziehenden, als auch viel umfassenden Stoftes der grossen Schwierigkeit voll bewusst
war, die ein solches Unternehmen dem gewissenhaften Autor darbietet. So ergiebig der
Gegenstand auf der einen Seite für eine allseitige und eingehende Betrachtung ist, so hatte
ich doch eine bestimmte Umrahmung im Auge zu behalten, auf die ich mich selbst und
meinen I^j^erkreis beschränke. Ich hatte die der Natur- und Culturgeschichto entnommenen
Thatsachen, die für das Leben und Wesen des Weibes charakteristisch sind, in ähnlicher
Weise zu verwerthon, wie ich über das Kind und seine Behandlung in meinem früher er-
schienenen Buche («Das Kind in Brauch und Sitte der Völker") zahlreiche Erscheinungen aus
allen Zeiten und Landen dargelegt und geschildert habe.
Dadurch, da^s ich diese Arbeit als „anthropologische Studien' bezeichne, glaube
ich hinreichend angt^deutet zu haben, da.ss ich mir keineswegs die — von einem Einzelnen
kaum jemals ausführbare — Aufgabe stellte, ein vollständiges Bild vom realen Leben des
Weibes und von seiner idealen Stellung im Reiche der Natur zu entwerfen. Vielmehr ging
meine Absicht überhaupt nur dahin, das mir zu Gebote stehende, in ziemlicher Reichhaltige
keit zugeflossene Material lediglich im Lichte der modernen Anthropologie und Ethnologie,
also vom rein naturwissenschaftlichen Standpunkte aus, zu sichten und dem Verständnisse
eines Leserkreises zugänglich zu machen, dessen Sinn und Bildung für dergleichen Studien
empfänglich und vorbereitet sind.
Denn ich betrachte das Weib in seinem geistigen und kör])erlichen Wesen mit dem
Auge des Anthropologen und Arztes. Demgemäss musste ich mich einostheils mit den psycho-
logischen, ethischen und ästhetischen Zügen des „schönen* Gee^chlechts, insbesondere auch
mit der Art und Weise beschäftigen, in der diese Züge von anderen Forschern neuerlich auf-
gefasst wurden. Andemtheils untersuchte ich die physiologischen Functionen des Weibes in
so weit, alt mir durch die Völkerkunde mannigfache Thatsachen bekannt waren, welche auf
dem Wege eingehender Vergleichung der bei den verschiedenen Völkerschaften zu Tage
tretenden Zustände über die verschiedene Organisation und Thätigkeit eines weiblichen
Körpers werthvolle Aufschlüsse gewährten. Dabei wurde von mir nicht unbeachtet gelassen,
welche Behandlungswei^e des Weibes unter den Völkern sich namentlich in sexueller Binsicht
durch Sitte und Brauch heimisch gemacht hat, und wie man wohl die Entstehung solcher
Sitten zu erklären im Stande ist.
So darf ich wohl sagen, dass ich die Lebensverhältnisse des Weibes zu einem grossen
Theile nach den Anforderungen und Ergebnissen der Ethnologie geschildert habe. Nach der
einen Richtung hin musste ich — immer die Einflüsse der Oulturbedingungen im Auge be-
haltend — das geistige Vermögen des Weibes, sein Denken und Empflnden als einen Theil
der Geisteswissenschaft in den Bereich meiner Betrachtung ziehen. Nach anderer Richtung
hin eröffnete ich Einblicke in die unter dem Einflüsse von Klima, Lebensweise u. s. w.
stehenden sexuellen Beziehungen des weiblichen Geschlechts von der Reife und EmpfUngniss
an bis zur Erzeugung und ersten Pflege des Kindes, ein wichtiges Kapitel der Biologie und
Entwickelongsgeschichte des Weibes bis zur Mutterschaft. Und schliesslich gelange ich zur
Schilderung der socialen Lage, in welcher wir das Weib bei der culturellen Entwickelung des
IV Vorrede des Verfassen zur ersten Auflage.
Menschengeschlechts zu allen Zeiten und bei allen Rassen finden — hier lieferten mir die
jüngsten Untersuchungen der Sociologen werthvolle Anhaltspunkte zur Besprechung der
culturellen Einwirkungen, durch welche von den Urzuständen des Menschengeschlechts an
bei den allmählichen Fortschritten in Sitte, Recht und Religion die Stellung des Weibes die
jetzige Höhe bei civilisirten Völkern erreichte.
Indem ich nun, wie ich ausdrücklich und wiederholt betone, nur Dasjenige klarstellen
will, was ich durch meine Studien auf dem Gebiete der Natiu:- und Völkerkunde gewann,
habe ich es mit recht positiven Verhältnissen und fast nur mit ezacten Forschungen zu thun,
für die ich mir den Stoff meist aus weit zerstreuten Quellen, vielfältig auch durch directe
Nachfrage bei Reisenden und Männern von Fach aus allen Theilen der Erde herbeischaffen
musste.*) — Allein ich hatte bei meiner Darstellung auch nicht wenige wissenschaftliche
Probleme zu berühren. In der Anthropologie stossen wir ja überall auf Probleme der ge-
schichtlichen Entwickelung der Menschheit, fQr welche es an historischen Documenten fehlt.
Man sucht sie, so gut man kann, durch eine Forschungsmethode zu lösen, die in vielen
Zweigen der Naturwissenschaft, z. B. der Geologie., treffliche Erfolge aufzuweisen hat. Es
ist dies das Verfahren, die üeberreste aus früheren Zuständen, sowie die Anfänge historischer
Ueberlieferung zur Erklärung jetzt bestehender und gefundener Erscheinungen zu benutzen.
So viel ich konnte, habe ich auch nicht ermangelt, diesen Gang der Untersuchung zu betreten.
Bei solcher Deutung räthselhafter Erscheinungen im Völkerleben ist freilich stets die
grösste Vorsicht geboten; die schnell bereite Phantasie darf hier nie allzu eifrig an*s Werk
gehen. Daher trat ich an die Beurtheilung einzelner, selbst von hervorragenden Forschem
geistvoll ausgesprochener Ansichten über manche noch nicht voll erklärbare, im Cultur- und
Völkerleben auftretende Thatsachen mit einer gewissen Zurückhaltung, die mich veranlasste,
gegenüber den Anschauungen und ihrer Motivirung einfach meine Bedenken zu äussern, an-
statt mit der vollen Kraft der Ueberzeugung einer Hypothese Raum zu geben, die, schwach
gestützt, oft allzubald hinfällig wird.
Vielleicht könnte mein Buch bei solchen Lesern nicht die volle Befriedigung erwecken,
welche mit ungerechtfertigten Elrwartungen an die Leetüre desselben herantreten, insbesondere
dann, wenn sie Aufgabe und Tendenz desselben verkennen. Es wäre beispielsweise falsch,
wollte man von einer solchen Arbeit etwa den Versuch einer „Lösung* der «Frauenfrage*
verlangen, die ich am Schlüsse nur deshalb berühre, weil sich die Anthropologie auch mit
gewissen historischen Momenten derselben zu beschäftigen hat. — Viele Zustände des weib-
lichen Geschlechts bei modernen Culturvölkem können in der Anthropologie freilich nur in-
soweit Berücksichtigung finden, als sich neben der Civilisation überall im Volke Sitten und
Bräuche erhalten haben, die als charakteristische Ueberlieferungen und Reste aus frühesten
Zeiten stammen.
Ein vorurtheilsloser Kritiker wird mir jedoch im Hinblick auf die oben angedeuteten
Tendenzen zugestehen, dass ich mich als Anthropolog und Arzt in den meinen Studien ge-
zogenen strengen Grenzen gehalten habe, dass ich mich aber innerhalb derselben unter der
Führung wissenschaftlichen Ernstes sowohl bei der Wahl, als auch bei der Betrachtungsweise
des Stoffes vollkommen frei bewegte. Die günstige Aufnahme, welche beim wissenschaft-
lichen und nichtwissenschaftlichen Publikum mein Werk allseitig während seines seitherigeü
lieferungsweisen Erscheinens erfuhr, giebt mir die befriedigende Gewähr und Hoflbung, dass
es nun, nachdem es vollständig vorliegt, weiterhin solche Leser finden wird, welche das
rechte Verständniss , doch auch den ernsten Sinn für die Sache mitbringen! Und der Kreis
dieser Leser besteht nicht bloss aus Anthropologen und Aerzten, vielmehr wird in meinem
Buche gewiss auch jeder mit höherer Bildung ausgerüstete Mann so manches Belehrende
finden, das seinen Gesichtskreis bezüglich der Kenntnisse auf dem Gebiete der Physiologie
und Psychologie des weiblichen Geschlechts, der Ethnographie und Culturgeschichto erweitert.
Leipzig, Mitte October 1884.
Dr. Heinrich Ploss.
*) Zahlreiches Material habe ich durch Beantwortung von Fragebogen erhalten, welche
ich theils nach vielen Ländern an dort ansässige Aerzte und Privatleute versandte, theils
Reisenden und Missionaren mitgab.
Verzeichniss
der Ton Dr. U. Ploss im Druck erschienenen Werke und grosseren
Zeitschriften-Abhandlungen.
1. De genesi psychosium in puerperio. Inaugural-Dissertation. Leipzig 1846.
2. Ueber die das Geschlechtsverhältniss der Kinder bedingenden Ursachen. Berlin
(Hirwihwald) 1859. (40 S. 80.)
8. Ein Blick auf die neuesten Beiträge zur Frage über das Sexnalverhältniss der Nea-
geborenen. Monatsschr. f. Geburtsk. 18. "S. 237. 1861.
4. üeber Anwendung des Druckes und äer Vis a tergo in der operativen Geburtsbülfe.
Zeitschr. f. Medicin, Chirurgie und Geburtsbülfe von Dr. H. Ploss. Leipzig 1867. S. 156.
5. Die Art der Abnabelung bei verschiedenen Völkern (Abreissen, Abbeissen, Ab-
schneiden u. 8. w.). Deutsche Klinik. Berlin 1870. No. 48.
6. Die operative Behandlung der weiblichen Geschlechtstheile bei verschiedenen Völkern:
a. Beschneidung der Mädchen, b. Vernähung (Infibulation), Zeitschr. f. Ethnologie. Bd. III.
Berlin 1871. S. 381.
7. Ueber künstlich hervorgebrachte Deformitäten an den weiblichen Geschlechts-
theilen und über Behandlung der Schamhaare bei Frauen. Deutsche Klinik. Berlin 1871.
No. 27. S. 242.
8. Das Verfahren verschiedener Völker bei Ausstossung und Entfernung der Nach-
gebüTtstheile. Deutsche Klinik. Berlin 1871. No. 28.
9. Das Männerkindbett (Couvade), seine geographische Verbreitung und ethnographische
Bedeutung. Jahrb. d. Geographischen Gesellschaft in Leipzig 1871. (16 S.)
10. Ueber die Lage und Stellung der Frau während der Geburt bei verschiedenen
Völkern. Leipzig (Veit & Co.) 1872. (57 S. 8« m. V.)
11. Das Heirathsalter. Jahresbericht des Leipziger Vereins für Erdkunde vom
Jahre 1872.
12. Die ethnographischen Merkmale der Frauenbrust (nebst einem Anhang: Das
SAng^ von jungen Thieren an der Frauenbrust). Archiv für Anthropol. Bd. V. Braun-
schweig 1872. S. 215.
18. Das Kind in Brauch und Sitte der Völker. Anthropologische Studien. 2 Bände.
Stattgart (Auerbach) 1876. (619 S. 8^.)
14. Dr. Struve's künstliche Mineralwässer auf der I. balneologischen Ausstellung zu
Frankfurt a,'M. Leipzig (F. C. W. Vogel) 1881. (34 S. 8«.)
15. Historisch-anthropologische Notizen zur Behandlung der Nachgoburtsperiode. In
der Festschrift «Beiträge zur Gebmrtshülfe, Gynäkologie und Pädiatrik'. Leipzig (Engel-
mann) 1881.
16. Das kleine Kind vom Tragbett bis zum ersten Schritt. Berlin 1881.
17. Ueber das G^esundheitswesen und seine Regelung im Deutschen Reich. Leipiig
(Grftbner) 1882. (91 S. 8».)
18. Zur Geschichte, Verbreitung nnd Methode der Fmchtabtreibiiiig. Cnltiizgeteliidit-
Uch-medicinitche Skizze. Leipzig (Veit & Co.) 1888. (47 S. d9.)
TT TegimdoBm der vob F%om eatüdeBemm Wecke cte.
l^. Zar TentaiMHyg ftber cia gwnrnwMnee TecfiüireiL der Rmteiimwiii^-. ArchiT
fir Aadtf9fol4gie. Bd. XY. Iddi.
20, Dm Kiwi » firaaek nd Sitte der Tdlkcr. A^hropologBdie Sdidkn. 2. Auflage.
5. Xm(, 2 Bd«. Leirn? (TL Grietni T%^ L. Fe««) I»§4. (872 S. 8*).)
21, Dw kietae Kxad to« TragiMtfc bie mm eeita Sckzitt. Uebcr das Leg«, Tragen
«ad W»eg«B, CMea. dtekot md Süka der Uenan Ciader hm dea TwaekiedeoeB Völkern
div Erd«, 3L Aaig, Uipaig (Th. GrielMvs Tlg^ L. Fcraaii) 1884. (liO S. 8«.) Mit Abb.
22, Dae Weib m der Natnr- oad TöIkerkiDida. Aatkrapolog. Stndsea. 2 Bde. Leipzig
rrk Griebea'f TIg:, L. Feraaa) 1885. (1078 S. 8*.)
2$, Ciaackfglitiigkei oad Ftthiiolngiichgi über FwebeabenbaeiMiiiig. Leipaig (Hirsckfeld)
24. Aaewmmmg tot Pflege nad Wartnag der Ciader in dem ersten Lebensjabren.
Leip«^ CBartkj 18»L (45 S. 8<>.)
25. Hjgiea, Die Caaat, ein bohes oad frohes Alter za enreidken. Ein Boch für
JftdemaaaT iai^Msoadere eiae Ttterfacbe Tiebeigabe für dem in die Welt tretenden Jüngling.
LeiipXHsr 1^1-
2I(. üeber die das Gescklechtsrerblltiiiai des Kindes bedingenden Ursachen. Mon. f.
Geh, X1L5.% 1858.
27. üeber den Einfloas der Jahresxeit anf die H&ofi^eit der Geborten and auf das
Ges^leehtsTerh<aitfi des neageborenea Kindes. Monatssdir. für Gebnrtsk. XIT. S. 454.
28, Zar Zwilliagastatijtik. Referat in der Dentschoi Klinik. 1861.
2), üeber die Operationafreqnenz in gebnrtshülflichen Klinikoi und Polikliniken.
ArefaiT fnr Gjn&kologie. Tl.
if), üeber die Operationsfreqaenz in gebnrtshülflichen Klimkoii and Polikliniken.
M^aatiNKbrifi fltr GeburtAkande ond Fraoenkrankheiten. 1869.
ZI. Stadien aber Kindersterblichkeit. Joomal für Kinderheilkonde. 1874. Bd. VII.
Z2. üeber die Freriaeoz der gebartshülflichen Operationen. Monatsschrift für (^ebarts-
hülfe ond Fraoenkrankheiten. Bd. XXm. 1884.
ZZ, Frosch ond Plots. Medidnisch-chirorgische Encyclop&die für praktische Aerste,
10 Verbiodoag mit mehreren Aerzten herausgegeben. 4 Bde. 1854 — 1863.
34. H. Plots and F. Küchenmeister. Zeitschrift für Medicin, Chirorgie und Ge-
bortsbfilfe, begründet von A. W. Varges. Neue Folge Band 1—4 (Band 16—19). Leipzig
1?;«5— 1865,
Zh. Plos». Vorwort za Theodor Waitz: Die Indianer Nordamerikas. Leipzig 1865.
Zff, Kindersterblichkeit in Beziehong zur Eleration des Bodens, sowie zur Frucht-
l/arkeit and BeschäftiguDgs weise der BeTÜlkerung. Archiv für wissenschaftliche Heilkunde.
Bd. VI. 1%6I.
Ploss verfasste ausserdem zahlreiche Artikel
im Hächsiflchen Correspondenzblatt,
im Aerztlichen Wochenblatt,
im Archiv für Gynäkologie,
in der Monatsschrift für Geburtskunde,
in Mejer'« (>*onverhations-Lexicon,
in der Leipziger Illostrirten Zeitung.
Vorrede des Herausgebers
zur zweiten Auflage.
Am 18. December 1885 ist Heinrich Flosa gestorben. Unermüdlicli th&tig, fast bis zu
Minem letzten Athemzuge, hat er mit staunenswerthem Fleisse an der Zusammenbringong
wissenschaftlichen Materials gearbeitet. Eine sehr grosse Zahl ethnographischer und anthro-
pologischer Aufzeichnungen hat sich in seinem Nachlasse gefunden, welche ein beredtes
Zeugniss davon ablegen, wie er unablässig darauf bedacht gewesen ist, seine allbekannten
Werke weiter auszubauen und für neue interessante Arbeiten den Stoff zusammenzubringen.
Alle diese Hoffnungen hat der unerwartet und plötzlich eingetretene Tod vereitelt.
Von dem weiten Interesse, das er fQr seine Schriften zu erwecken verstanden hat,
liefert namentlich „Das Weib* einen recht schlagenden Beweis, dessen erste, 1500 Exemplare
starke Auflage in wenig mehr als Jahresfrist vergriffen war. Ploss bat nicht mehr die Oe-
nugthuung gehabt, diesen erfreulichen und für ihn so ehrenvollen Erfolg zu erleben.
Der Wunsch der Hinterbliebenen und der Verlagsbuchhandlung, dieses Werk von
Neuem aufgelegt zu sehen, veranlasste den Herrn Verleger, auf den Vorschlag des Vorsitzenden
der deutschen anthropologischen Gesellschaft, Herrn Geheimrath Virchotc, den Unterzeichneten
zu einer Neubearbeitung der zweiten Auflage aufzufordern. Sehr gerne habe ich mich dieser
mühevollen Arbeit unterzogen, und ich bin stets beHtrebt gewesen, die Physiognomie des
PJoM'schen Werkes, soweit es irgend sich mit dem Interesse des Ganzen vereinbaren Hess,
zu erhalten. Es waren jedoch einige eingreifende Veränderungen nicht zu umgehen. Die
Kapitel der ersten Auflage waren nicht selten in der Form einzelner, in sich abgeschlossener
Efisays neben einander gestellt, und da kam es dann nicht selten vor, dass sie Dinge ent-
hielten, welche besser in einem anderen Kapitel ihre Stelle gefunden hätten, oder dass sich
die gleichen Angaben in mehreren Kapiteln, bisweilen mit denselben Worten, wiederfanden.
Hier musste mancherlei geordnet, umgestellt und gestrichen werden, und gleichzeitig glaube
ich, durch die Eintheilung des Ganzen in eine grosse Anzahl mit besonderer Ueberschrift
versehener kürzerer Abschnitte die bequeme Lesbarkeit des Buches nicht unwesentlich erhöht
zu haben. Gleichzeitig sind viele medicinische und anthropologische Begriffe, welche Phss
als bekannt vorausgesetzt hat, die dem Nichtmediciner jedoch unmöglich geläufig sein konnten,
in kurzen, aber hoffentlich leicht verständlichen Worten erläutert worden.
Ein besonderes Gewicht wurde darauf gelegt, die anatomischen Unterschiede zwischen
dem männlichen und dem weiblichen Geschlechte, wie sie die heutige Specialforschung fest-
gestellt, aber in einer grossen Reihe schwer zugänglicher Einzelpublikationen niedergelegt
hat, in bequem übersichtlicher Weise zusammenzustellen, wodurch, wie ich hoffe, auch den
anthropologischen Fachgenossen ein kleiner Dienst geleistet wurde.
Von den oben erwähnten Notizen, welche sich in dem Phss'schen Nachlasse gefunden
haben, wurde selbstverständlich möglichst viel der neuen Auflage einverleibt; doch ist auch
sehr vieles zugegeben, was Ploss nicht zugänglich gewesen war. Aus den Ploss'schen Auf-
zeichnungen geht hervor, dass der Verfasser eine Ausdehnung seines Werkes über den ur-
sprünglich von ihm gesteckten Rahmen hinaus nicht beabsichtigt hat; er war nur bestrebt
gewesen, die früheren Kapitel weiter auszubauen. Hier habe ich es für noth wendig gehalten,
eine eingreifende Aenderung vorzunehmen: Das P/o55*sche ,Weib* war eigentlich ein Torso;
wir lernen et kennen bei dem Eintritt der Pubertät und verlassen es nach dem Abschluss
des Woeheabettes. Alle die vielen Beziehungen des Weibes, welche sich ausserhalb der Ge-
*!• im engeren Sinne befinden, waren unberücksichtigt geblieben. Es ist daher
Vin Vorrede des Herausgeben zur zweiten Auflage.
mein Bestreben gewesen, das Bild entsprechend zu y er vollständigen, was einen nicht geringen
Aufwand von Mfihe und Arbeit verursacht hat, da es auf diesem Gebiete vielfach an ent-
sprechenden Vorarbeiten fehlte. So hat nun auch das geschlechtsreife Weib im Zustande der
Ehelosigkeit, das Weib als Wittwe, das Weib in seinem Verhältnisse zu den nachfolgenden
Generationen als Mutter, Stieftnutter, Grossmutter und Schwiegermutter, das Weib in den
Jahren des Verblfihens und das alternde Weib seine volle Berücksichtigung gefunden, und
wir begleiten nun das Weib vom Mutterleibe an durch alle seine Lebensphasen bis in die
Jahre des Greisenalters und selbst Qber den Tod hinaus. So glaube ich, in der vorliegenden
Auflage dem Leser ein in sich zusammenhängendes und annähernd abgeschlossenes Bild von
dem Weibe in anthropologischer Beziehung vorzufahren.
Dass hier, wo es sich um anthropologische Untersuchungen und Erörterungen handelte,
das Weib nicht immer in keuscher Verhüllung aufzutreten vermochte, das bedarf wohl
eigentlich keiner besonderen Erwähnung. Durch die Ueberschriften sind die betreffenden
Abschnitte ja bereits hinreichend gekennzeichnet, und wer die nackte Natur nicht glaubt
ertragen zu können, der ist ja nicht gezwungen, diese Kapitel zu lesen; dem Arzte und
dem Anthropologen werden sie aber, wie ich mit Zuversicht annehme, eine nicht unerwünschte
Gabe sein.
Noch ein paar Worte möchte ich hinzufügen über die äussere Erscheinung dieser
zweiten Auflage. Die Wahl von zweierlei Typen, wobei die Specialangaben kleiner gedruckt
worden sind, wird unzweifelhaft zur bequemeren üebersichtlichkeit des Buches beitragen.
Aus dem gleichen Grunde sind alle Eigennamen cursio, alle geographischen und ethno-
graphischen Namen gesperrt gedruckt worden. Die Literaturangaben sind, um unendliche
Wiederholungen zu vermeiden, nicht mehr unter den Text gesetzt, sondern in alphabetischer
Anordnung zusammengestellt worden. Die kleine Zahl neben den Autornamen giebt an,
welche seiner Veröffentlichungen gerade citirt worden ist. Die Citate aus fremden Sprachen
sind zur grösseren Bequemlichkeit des Lesers fast sämmtlich in deutscher Uebersetzung
gegeben worden.
Den Vorschlag des Herrn Verlegers, der neuen Auflage Abbildungen beizufügen, habe
ich natürlicher Weise mit lebhafter Freude begrüsst, und ich bin bemüht gewesen, möglichst
Vielseitiges in dieser Beziehung darzubieten. Soweit es sich durchführen Hess, sind den Ab-
bildungen Photographien zu Grunde gelegt, von denen ich einzelne eigens für diesen Zweck
aufgenommen habe.*) Die im Texte nur kurz angedeutete Herkunft der Figuren ist in der
Erklärung der Abbildungen mit grösster Ausführlichkeit angegeben worden.
So möge auch die neue Auflage hinausziehen in die Welt, ein ehrendes Denkmal des
rastlosen Fleisses des für die Wissenschaft leider zu früh verstorbenen Verfassers.
Ehre seinem Andenken!
Berlin, Mitte October 1887.
Dr. Max Bartels,
praktischer Arzt.
*) Zum Theil mit gütiger Erlaubniss des Herrn Geheimrath Bastian im hiesigen könig-
lichen Museum für Völkerkunde.
Vorrede des Herausgebers
zur dritten Auflage.
In der Vorrede zu meiner ersten Ausgabe des Ploss'achen Werkes: »Das Weib in
der Natur- nnd Volkerkunde* habe ich bereits die Grundsätze dargelegt, welche für
mich bei der Bearbeitung desselben die leitenden gewesen sind. Es ist nun wieder nach
wenigen Jahren eine neue Auflage nothwendig geworden, welche bei dem für unser Thema
Bcbnell anwachsenden Materiale natarlicherweise nicht ein einfacher Abdruck der vorigen
Auflage werden konnte. Der neue Stoff musste mit verarbeitet werden, und mit ihm boten
sich im Vergleiche mit dem schon verhandenen auch mancherlei neue Gesichtspunkte dar,
welche ebenfalls ihre Berücksichtigung und Durcharbeitung finden mussten. So ist z. B.
namentlich zur Abrundung des ganzen Bildes von dem Leben des Weibes die Kindheit des
Weibes und seine Entwickelung aus dem Kinde zur Jungfrau in anthropologischer und ethno-
graphischer Beziehung in eingehender Weise behandelt worden.
Die Zerlegung grösserer und durch ihre Länge ermüdender Kapitel in eine Anzahl
kleinerer Abschnitte wurde noch weiter durchgeführt, wodurch ich dem Leser die Ueber-
sicht über das ausserordentlich vielseitige Material, wie ich hoffe, nicht unwesentlich erleichtert
haben werde.
Ueber die äussere Erscheinung der neuen Auflage mag noch bemerkt werden, dass es
durch die Wahl eines grösseren Formates ermöglicht wurde, ihr den ungefUhren Umfang der
vorigen Auflage zu erhalten, obgleich der Text sich mindestens um den vierton Theil ver-
grötsert hat.
In bereitwilligster Weise ist der Herr Verleger meinen Wünschen in Bezug auf eine
Vermehrung der Abbildungen entgegengekommen, so dass jetzt dem Leser auf 10 Tafeln 90
nach guten photographischen Aufnahmen auf das Sorgfältigste hergestellte Bildnisse aus allen
Rassen unseres Erdballs und ausserdem 203 Illustrationen im Text geboten werden. Das Zu-
sammenbringen dieser grossen Zahl von Abbildungen ist mit nicht geringen Mühen und
Schwierigkeiten verbunden gewesen, und es würde überhaupt unmöglich gewesen sein, wenn
mir nicht die Vorstände und Beamten verschiedener Museen und eine Anzahl von Reisenden
und Sammlern bei meinen Bestrebungen in freundlichster Weise entgegengekommen wären.
So ist es mir gestattet gewesen, aus den Schätzen des königlichen Museums für
Völkerkunde in Berlin, des königlichen Kunstgewerbe-Museums in Berlin, des
königl. Ethnographischen Museums in München und des Museums für deutsche
Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes in Berlin geeignete Stücke
photographisch aufzunehmen, wofür ich den Herren Adolf Bastiayi, Julius Lessing , Max
Büchner, AHtert Grünwedel, Grube, von Falke, sowie dem Comite des letztgenannten Museums
zn grossem Danke verpflichtet bin. Aus ihrem reichen Besitze von tbeils selbst aufgenommenen,
theils gesammelten Photographien haben die Herren Sanitätsrath Dr. AscJwff) Dr. A. Baessler,
Missionar Beste, Dr. Paul Ehrenreich, Professor Dr. Wilhelm Joest, Dr. FreiJierr von Oppen-
heim, Premierlieutenant Max Quedenfeldt, Fritz Schaenker, Sanitätsrath Dr. Fritz Werner
geeignete Blätter freundlichst zur Verfügung gestellt, wofür ich auch ihnen meinen besten
Dank ausspreche.
Möge auch diese neue Bearbeitung eine freundliche Aufnahme finden und möge sie
namentlich die Anregung geben zu fernerer Untersuchung und Aufklärung der vielen Fragen
aoi unserem weiten Gebiete, deren Beantwortung auch dieses Mal leider noch offen gelassen
werden musste. Möge sie zeigen, dass nicht nur bei fremden Völkern und in fernen Welt-
theilen die Hebel der Forschung eingesetzt werden müssen, sondern dass auch in Europa und
selbst bei unseren eigenen Stammesgenossen eine grosse Reihe der scheinbar alltäglichsten
Dinge noch immer der genauen Beobachtung und der wissenschaftlichen Bearbeitung harrt.
Nor eine grosse Zahl von Mitarbeitern vermag hier zu helfen! Möge sie recht bald der
Anthropologrie erstehen, und möge es namentlich den praktischen Aerzten recht zu dem Be-
wnflttsein kommen, dass sie alle die berufenen Vertreter anthropologischer Forschung sind.
Berlin, im Juli 1891.
Dr. Max Bartels.
Vorrede des Herausgebers
zmr rieritm A^ffaige.
ZtuD driU«a ICaI« fibargebe idi eüie Bearbeitoag dei Placf'adieB Weckas dm Oeffant-
licbkeit. Dm Umt tij^lieb ADwadiMDde M aUml bmi e§ mit nch gebndit da« diaae neoe
Auflage glaiebzaiiig ein« grflndlicbe Umarbeitiiiig wurde, nnd wer Toa den LeMJtii das Original-
werk hiermit vergleicht, der wird bisweilen nor mit Sdiwierigkeit die nrqiröBgKcJie Anlage
herauiferkennen.
Schon bei der ersten von mir besorgten Ausgabe hielt ich es f&r unbedingt noIhweBdig,
eine ganze Reihe von Kapiteln nea hinzozoftlgen, anf deren Anfnahme Ploss veniditet hatte.
Bellte das Boch aber ein vollständiges Bild von dem Weibe geben, so erschienen diese ZoriUse
unerlässlich.
Das soll keine Herabsetzung der P2oM*schen Leistungen sein; denn ihm gebührt unbe-
stritten das Verdienst, zum ersten Male diese neuen Bahnen anthropologisch-ethnologischer
Forschung betreten zu haben, wie sie uns in seinen Werken vorliegen. Er hat diese Strasse
neu geschaffen, und seine Forschungen bilden auch in dieser vierten Auflage immer noch das
wesentliche 8tQtzgerttst, um welches das neue Material sich angerankt hat Seinen Be-
strebungen ist OS zum Theil auch zu danken, dass immer mehr und mehr Forscher und Reisende
ihr Auge für die uns intorossirenden Zustände sch&rfen. und so ist es wiederum ihm zu danken,
dass da« Material sich so stetig im Wachsen befindet.
Je reicher nun aber das Material sich gestaltet, desto verschiedenartigere Gesichts-
))unkto der Bearbeitung hind ihm zu entnehmen, und so ist es leicht zu begreifen, warum
gegenüber den 240 AbMchnitten mctiner ersten Bearbeitung die vorliegende deren 462 enth<.
Hin grosses (Gewicht int wiederum auf die Vermehrung der erläuternden Abbildungen
gelegt. Kino Tafel mit nnium Portraitköpfen und Textfiguren ist von neuem hinzugekommen.
Hier nind mir wieder mehrere Freunde in dankenswerthestor Weise bohülflich gewesen. Frau
(Hto NeuhauM», Herr < Job. Heginrungsrutb Professor //ermann Weiss und Herr Dr. PauJ J^ren-
r0ich haben mir die Srhtity.o ihrer Bibliotheken zugänglich gemacht; Herr Director Dr. Mcuc
huchner (München), Herrn (Jeh. Medicinalrath Professor Dr. Gustav Fritsch, Herr Franz
f^orrAf, Herr Profonimr l)r. (intrff Schireinfurtht Herr k. und k. CustoB Josef Szombathy (Wien),
Herr UegierungM HaumeiHter WtiMiitnn, Herr stud. Johannes Werner haben mir pbotographische
und andere Aut'nahnien überlasHon. Ich danke ihnen nochmals bestens hierfür.
Aber ungeatditet duH Netten, das ich zu bieten vermochte, fehlt doch noch sehr Vieles
an der VcdUtändtgkett, wie sie itieinen Wünsohen entsprechen würde. Möge die neue Auf-
lage die Anregung geben, dieser VolUUtndigkeit wieder etwas näher zu kommen, und
luüge sie den in ihr vertretenen Stttdien eine neue Sohatir von Freunden und Mitarbeitern
erwerben.
Berlin, im Ooioher IHUiV
Dr. Max Bartels.
Vorrede des Herausgebers
zur fOnften Auflage.
Zam vierten Male in zehn Jahren bietet sich mir die Gelegenheit, eine Bearbeitung
des im Jahre 1885 pablicirten Werkes von Heinrich Ploss der Oeffentlichkeit zu übergeben.
In jeder dieser Bearbeitungen bin ich bemüht gewesen, das wissenschaftliche Material nicht
nor zu sichten, sondern auch zu vermehren. Auch die vorliegende Auflage bietet mancherlei
YarTollständigungen auf allen den vier grossen Gebieten, welche in dem Werke zu Worte
kommen, dem anthropologischen, dem ethnologischen, dem volkskundlichen im engeren Sinne
und dem culturgeschichtlichen. Durch die Eintheilung des umfangreichen Stoffes in 76 Kapitel
und 488 einzelne Abschnitte unter besonderer Ueberschrift hoffe ich die Uebersichtlichkeit
nicht unerheblich gefördert zu haben.
Das von Flosa ursprünglich Gebotene ist nach Möglichkeit, wenn auch oft in anderer
Anordnung, als Grundstock der Arbeit erhalten geblieben, und aus diesem Grunde habe ich
auch dem Werke seinen alten Namen belassen, obgleich der Text gegen die erste Ausgabe
ungefähr den doppelten Umfang erreicht hat und eine Anzahl von Gebieten von Plo88 gar
nicht berührt worden sind.
Ein besonderes Augenmerk war wiederum auf die Vermehrung der Abbildungen ge-
richtet, deren Beschaffung bedeutend grössere Schwierigkeiten bereitet, als es der Leser
ahnen möchte. Dem Herrn Verleger möchte ich für das bereitwillige Eingehen auf meine
Wünsche hier meine dankende Anerkennung aussprechen. Die Tafeln I bis VI und VIII bis
XI sind ebenfalls neu hergestellt, und bei dieser Gelegenheit konnten einige der früheren
Typen-Köpfe gegen bessere ausgetauscht werden. Die Zahl der Abbildungen im Texte ist
aaf 420 gestiegen.
Möge auch diese neue Auflage sich einen neuen Freundeskreis und dem Herausgeber
neue Mitarbeiter auf diesem schwierigen Gebiete erwerben.
Berlin, 13. Juli 1897.
Dr. Max Bartels.
Vorrede des Herausgebers
znr sechsten Auflage.
Die neue Auflage, welche ich der Oeifentlichkeit übergebe, hat ihrer Vor-
gängerin nach einem nur kurzen Zwischenräume folgen müssen. Sie ist trotzdem
aber nicht etwa nur ein Wiederabdruck der letzteren, sondern ich bin eifrig be-
müht gewesen, das Werk nach den Terschiedensten Seiten hin zu ergänzen,^ zu
vervollkommnen und auszugestalten. Das Buch, wie es jetzt vorliegt, unter-
scheidet sich ganz wesentlich von dem ursprünglichen Werke von Ploss. Trotz-
dem aber habe ich es t^r gerecht gehalten, obgleich es durch meine Umarbeitung
und Vervollständigung mehr als das Doppelte an Umfang gewonnen hat, dasselbe
dennoch auch fernerhin unter Ploss' Namen gehen zu lassen. Denn er ist es ja
doch gewesen, der den ersten Gedanken zu einem derartigen Werke fasste, und
seine Arbeit habe ich auch, soweit es irgend angängig war, gleichsam als Skelett
der meinigen eingefügt. Die Verantwortung über das im Texte Gesagte habe
ich aber zu übernehmen, und wo sich das „ich" im Texte findet, da bezieht sich
dasselbe auf den Herausgeber und nicht auf den einstmaligen Verfasser.
Auch für diese neue Auflage habe ich von befreundeter Seite manchen be-
merkenswerthen Hinweis und Beistand erhalten, so für die Abbildungen durch
Herrn Custos Franzi Heger in Wien, so für die alt-israelitische Literatur durch
Herrn Syndicus Dr. Georg Minden und Herrn Dr. Neumann ^ für manches
Chinesische durch Herrn Professor Dr. W. Grube, für manches Japanische
durch Herrn Dr. F. TT. K, Müller und für einiges Alt-Peruanische durch
Herrn Dr. Arthur Bässler.
Ein ganz besonderes Gewicht habe ich auf die Vermehrung der Abbildungen
gelegt, welche in den meisten Fällen seltene und schwer zu beschaffende Originale
wiedergeben. Ich bin dem Herrn Verleger zu grossem Danke verpflichtet, dass
er hier meinen weitgehenden Wünschen geduldig Rechnung getragen hat. Die
Herstellung dieser Abbildungen ist von mir auf das Sorgföltigste überwacht
worden. Ihre Zahl ist wieder um 119 Stücke vermehrt.
Möge es auch dieser neuen Auflage beschieden sein, sich einen weiten
Freundeskreis zu erwerben.
Berlin, 25. Juli 1899.
Dr. Max Bartels.
Inhalt des ersten Bandes.
Seite
Vorrede de» Dr. Ploss zur ersten Auflage III
Yeneichniss der von Dr. H. Ploss im Druck erschienenen Werke und grösseren Zeit-
schriften-Abhandlungen V
Vorrede des Herausgebers zur zweiten Auflage VII
Vorrede des Herausgebers zur dritten Auflage IX
Vorrede des Herausgebers zur vierten Auflage X
Vorrede des Herausgebers zur fQnften Auflage XI
Vorrede des Herausgebers zur sechsten Auflage XII
Erste Abtheilung.
Der Organismus des Weibes.
I. Die anthropologiBohe AufDEissling des Weibes 8
1. Die Entstehung des Geschlechts 3. — 2. Gestalt und Körperbau des Weibes 7. —
3. Die secund&ren Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern 9. — 4. Die
secund&ren Geschlechtscharaktere am Gehirn der europäischen Weiber 27. — 5. Die
secundären Geschlechtscharaktere bei den aussereuropäischen Weibern 31. — 6. Die
Sterblichkeit des weiblichen Geschlechts und der Weiberüberschuss 34.
XL Die psychologische Auffassung des Weibes 40
7. Die psychologischen Aufgaben des Weibes 40. — 8. Die moderne Psychologie
in ihrer Auffassung des weiblichen Charakters 47. — 9. Die abnormen Ehen und der
Selbstmord 55. — 10. Die Betheilignng des weiblichen Geschlechts am Verbrechen 56.
— 11. Die Verbrecherin in anthropologischer Beziehung 60.
m. Die ästhetische Auffassung des Weibes 63
12. Die weibliche Schönheit 63. — 13. Fördernde und hemmende Bedingungen für
die weibliche Schönheit 64. — 14. Der Darwinismus über die Entwickelung weib-
licher Schönheit 69. — 15. Die Mischung der Rassen steigert meist die Entwickelung
weiblicher Schönheit 71. — 16. Die Verkümmerung des weiblichen Geschlechts 74. —
17. Die Vertheilung der weiblichen Schönheit unter den Völkern 76. — 18. Die
Schönheit der Europäerinnen 78. — 19. Die Schönheit der Asiatinnen 83. — 20. Die
Schönheit der Oceanierinnen 89. — 21. Die Schönheit der Amerikanerinnen 92. —
22. Die Schönheit der Afrikanerinnen 94. — 23. Das Schönheitsideal bei verschiedenen
Völkern 99. — 24. Der Geschmack und seine Auffassung der weiblichen Schön-
heit 114. — 25. Das Bemalen 116. — 26. Das Tättowiren 118. — 27. Die Erzeugung
von Schmucknarben 128. — 28. Die Eopfplastik 131. — 29. Die Eörperplastik am
Rumpfe und an den oberen Extremitäten 137. — 30. Die Körperplastik an den
unteren Extremitäten 141.
IV. Die AufDassung des Weibes im Volks- und religiösen Glauben. . . 151
31. Der Aberglaube in der Behandlung des Weibes 151. — 32. Die religiösen
Satzungen in Bezug auf das Geschlechtsleben der Frau 152. — 33. Die Frauen-
sprache 154.
V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsieht 157
34. Die äusseren Sexualorgane des Weibes im Allgemeinen 157. — 35. Das weibliche
Becken in anthropologischer Beziehung 160. — 36. Die Gesässgegend des Weibes in
anthropologischer Beziehung und der Wuchs 172. — 37. Die Steatopygie oder der
FettsteiBS 178. — 38. Die äusseren weiblichen Sexualorgane und ihre anthropolo-
gischen Merkmale 183. — 39. Die Hotten tottenschOrze 189. — 40. Die angeborene
Vergröttenrng der Cliioris 195. — 41. Die künstliche Vergröeserung der Scham-
XIV Inhalt des ersten Bandes.
Seite
lippen und der Clitoris 196. — 42. Die absichtliche Zerstörung des Jungfern-
häutchens 197. — 43. Die Beschneidung der M&dchen 199. — 44. Das Lebensalter
und die Ausführung der Mftdchenbeschneidung 201. — 45. Die Infibulation oder die
Vemähung der M&dchen 205. — 46. Das Wiederanfschneiden der infibulirten Weiber
208. — 47. DerMons Veneris in anthropologischer Beziehung 212. — 48. Die Eörper-
behaarung 214. — 49. Das Schamhaar im Volksglauben 223. — 50. Der Mons
Veneris in ethnographischer Beziehung 224.
VI. Die inneren Seznalorgane des Weibes in ethnographischer Beziehung 228
51 Die Erkenntniss des anatomischen Baues der inneren weiblichen Geschlechtsorgane
bei den alten Griechen, Römern und Aegyptem 228. — 52. Die Erkenntniss des
anatomischen Baues der inneren weiblichen Geschlechtsorgane bei den alten Indem,
den Japanern und Chinesen 232. — 53. Die Geb&rmutter in anthropologischer Be-
ziehung 238. — 54. Die Geb&rmutter im Volksglauben 235. — 55. Die Eierstöcke
und die Castration der Weiber 239.
Vn. Die Weiberbrust 241
56. Die Weiberbrust in ihrer Rassengestaltung 241. — 57. Die Brüste der Euro-
päerinnen 253. — 58. Die Brüste der Amerikanerinnen 254. — 59. Die Brüste der
A&ikanerinnen 255. — 60. Die Brüste der Asiatinnen 263. — 61. Die Brüste der
Oceanierinnen 266. — 62. Die Pflege, die Behandlung und die Ausschmückung der
weiblichen Brust 267. — 63. Die Verstümmelungen der weiblichen Brust 274. —
64. Die Weiberbrust im Volksglauben 278.
Zweite Abtheilnng.
Das Leben des Weibes.
65. Die Hauptabschnitte in dem Leben des Weibes 285
Vm. Das Weib im Mutterleibe 287
66. Die Erkenntniss des Geschlechts der Kinder im Mutterleibe 287. — 67. Der Ver-
lauf der Mädchengeburten und der Knabengeburten 292.
IX. Das Weib während der Zeit der gesohleohtliohen Unreife oder die
Kindheit des Weibes 295
68. Die Aufnahme des Mädchens nach der Geburt 295. — 69. Die Mädchen tödtung
299. — 70. Das Leben des weiblichen Kindes 300. — 71. Das kleine Mädchen in an-
thropologischer Beziehung 305. — 72. Statistisches über das Wachsthum der Kinder
307. — 73. Der Backfisch in anthropologischer Beziehung 309.
X. Die Beife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Beziehung 316
74. Das erste Auftreten der Menstruation 316. — 75. Der Einfluss des Klimas auf
das erste Eintreten der Menstruation 317. — 76. Der Einfluss der Rasse auf das
erste Eintreten der Menstruation 320. — 77. Der Einfluss des Standes und der
Lebensweise auf das erste Eintreten der Menstruation 321. — 78. Der Einfluss des
vorzeitigen Geschlechtsgenusses auf das erste Eintreten der Menstruation 323. —
79. Anderweitige Einflüsse auf das erste Eintreten der Menstruation 324. — 80. Das
Lebensalter für den Menstruations-Eintritt bei den Europäerinnen 325. — 81. Das
Lebensalter für den Menstruations - Eintritt bei den Asiatinnen 328. — 82. Das
Lebensalter für den Menstruations -Eintritt bei den Afrikanorinnen, den Oceanie-
rinnen und den Amerikanerinnen 329. — 83. Die Frühreife 331.
XI. Die monatliche Beinigung 338
84. Die Menstruation im Volksmunde 338. — 85. Die Quantität des Menstruations-
blutes 339. — 86. Beeinträchtigungen der Menstruation 340. — 87. Die normale
Menstruation 342. — 88. Die Störungen der Menstruation und die Volksmedicin 343.
XII. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung 347
89. Gebräuche bei dem Eintritt der Menstruation 347. — 90. Die Keifeprüfung und
das Reifezeichen 348. — 91. Das Einsperren der zum ersten Male Menstruirenden 355.
— 92. Das Reifefest 859.
XTTT. Die Menstruation im Volksglauben 366
93. Abergläubische Verhaltungsmaassregeln bei der ersten Menstruation 366. —
94. Die Menstrairende gilt für unrein 367. — 95. Die Unreinheit der Menstruirenden
Inhalt des ersten Bandes. XV
Seite
bei den alten Caltnrvölkern und ihren Nachfolgern 368. — 96. Die Unreinheit der
Menstmirenden bei den Naturvölkern 378. — 97. Das Unheil, welches die Men-
stmirende anrichtet 880. — 98. Das Menstnialblut als Arzneimittel 888. — 99. Das
Menstnialblat als Zaubermittel 384. — 100. Der Glaube von dem Ursprung der
Menstruation 886. — 101. Anderweitiger Menstruations- Aberglaube 890.
XIV. Der Eintritt des Weibes in das Gesohleohtsleben 392
102. Die Beziehungen des Weibes zum männlichen Geschlecht 892. — 103. Die
Schamhaftigkeit des Weibes 898. — 104. Das weibliche SchamgefQhl bei den Natura
Völkern 895. — 105. Die weibliche Schamhaftigkeit bei den höher cultivirten Volks-
sUUnmen 400. — 106. lÄe Keuschheit des Weibes 405. — 107. Europäische Weiber-
kenschheit 412.
XV. Die Jnngfirausohaft 420
108. Jungfrauenzauber und Jungfrauschafbsorakel 420. — 109. Die Missachtung der
Jungfrauschaft 421. ~ 110. Die Werthschätzung der Jungfrauschaft 425. — 111. Die
verlorene Jnngfrauschaft 427. — 112. Di^ künstliche Jungfrauschafb 428.
XVL Das Weib im Gesohlechtsverkehr 481
118. Der Beischlaf 431. — 114. Abstinenz-Vorschriften 436. — 115. Die Stellung bei
dem Coitus 438. — 116. Der rituelle Beischlaf 446. — 117. Masturbation und Tri-
badie und die Unzucht mit Thieren 451. — 118. Geschlechtlicher Verkehr mit
Göttern, Geistern, Teufeln und Dämonen 454.
XV 11. Die Prostitution 462
119. Die Preisgebung der Weiber 462. — 120. Die gastliche Prostitution 464. —
121. Die heilige Prostitution 466. — 122. Die gewerbsmässige Prostitution in ihrer
ethnographischen Ausbreitung 468. — 123. Die temporäre, gewerbsmässige Prosti-
tution 475. — 124. Zur Geschichte der gewerbsmässigen Prostitution in Europa 478.
— 125. Die Verhütung der Prostitution 484. — 126. Die Anthropologie der Prosti-
tuirten 488. — 127. Heilige Orgien und erotische Feste 492.
XVm. Liebe und Liebeswerben 496
128. Die Liebe 496. — 129. Der Liebeszauber 499. — 130. Die Liebes-Helfer 511. —
131. Liebes-Abwehr 518. — 132. Heirathsorakel und Ehestandsprognose 514. —
188. Die Brautwerbung und der Brautstand 517.
Die Ehe 528
134. Die Entwickeiung der Ehe 523. — 135. Die Probe-Ehe 580. — 186. Hinderungs-
gründe der Ehe 531. — 137. Die Ehe zwischen Blutsverwandten 588. — 138. Das
Heirathsalter und die Erstgeburt bei den Culturvölkem 536. — 189. Das Heiraths-
alter und die Erstgeburt bei den Naturvölkern 540. — 140. Die Kinder-Ehe und ihre
physiologische Bedeutung 545. — 141. Der Kampf gegen die Kinder- Ehe in Indien
549. — 142. Das Jus primae noctis 551. — 148. Der Ehebruch 555. — 144. Die
Ehescheidung 560.
Das Weib im Zustande der Befeuchtung 564
145. Die Zeugung 564. — 146. Die Empföngniss 567. — 147. Der Einfluss der Jahres-
zeiten und der socialen Zustände auf die Empfängniss 568.
XXI. Die Unf^ohtbarkeit des Weibes 578
148. Warum sind Frauen unfruchtbar? 573. — 149. Physische Ursachen für die Un-
fruchtbarkeit 574. — 150. Das Ansehen, in welchem die Unfruchtbarkeit steht 577.
— 151. Die Verhütung der Befruchtung 581.
XXII, Die Therapie der tJnAruohtbarkeit 585
152i Die Verhütung der Unfruchtbarkeit 585. — 158. Die Vorhersage der Unfrucht-
barkeit 586. — 154. Arzneiliche und mechanische Mittel gegen die Unfruchtbarkeit
588. — 155. Badekuren gegen die Unfruchtbarkeit 591. — 156. Göttliche Hülfe gegen
die Unfruchtbarkeit 598. — 157. Uebematürliche menschliche Hülfe zur Bekämpfung
der Unfruchtbarkeit 598. — 158. Die Hülfe der Todten gegen die Unfruchtbarkeit
601. — 159. Die Baumseele, der Feuerfunken und andere sympathetische Hülfsmittel
gegen die Unfruchtbarkeit 608.
XXm. Die Fruchtbarkeit des Weibes 607
160. Die Rassenunterschiede in der Fruchtbarkeit 607. — 161. Die Fruchtbarkeit der
atiatiflchen Volker 611. — 162. Die Fruchtbarkeit der amerikanischen Volker 613. —
XVI Inhalt des ersten Bandes.
Seite
163. Die Fruchtbarkeit der afrikanischen Völker 614. — 164. Die Fruchtbarkeit der
Australier und Oceanier 615.
XXIV. Des Kindes Geschleoht 617
165. Mädchen- und Knaben-Erzeugung 617. — 166. Die willkürliche Vorherbestimmung
des Geschlechts im Volksglauben 621.
XXV. Mehrflaohe Sohwangersohaft 624
167. Die Ueberfruchtung 624. — 168. Paarlinge 626. — 169. Zwillinge 628. — 170.
Drillinge, Vierlinge, Fanflinge u. s. w. 630. — 171. Das Schändende und Gefähr-
liche der Zwillingsgeburten 634. — 172. Die Werthschätzung der Zwillingsgeburten 636.
XXVI. Das physische Verhalten während der Sohwangersohaft 640
173. Die Erkenntniss der Schwangerschaft 640. — 174. üebemat£Lrliche Schwanger-
schafbszeichen und der Sprachgebrauch 643. — 175. Die Schwangere in der bilden-
den Kunst 645. — 176. Aeltere Anschauungen über die Entwickelung der Frucht
654. — 177. Die Schwangerschaftsdauer 658. — 178. Ungebührlich lange Dauer der
Schwangerschaft 659.
XXVn. Normale und abnorme Sohwangersohaft 663
179. Die Lage und das Stürzen des Kindes im Mutterleibe 663. — 180. Die An-
sichten der aussereuropäischen Völker über die Lage des Embryo im Mutterleibe
668. — 181. Der Christus-Embryo in der bildenden Kunst 672. — 182. Die Schwanger-
schaft ausserhalb der Gebärmutter 678. — 183. Falsche Schwangerschaften 679.
XXVm. Das sooiale Verhalten während der Sohwangersohaft 682
184. Ceremonien und religiöse Gebräuche bei dem Eintreten der Schwangerschaft
682. — 185. Die Abwehr böser Geister und Dämonen während der Schwangerschaft
685. — 186. Schwangerschafts -Dämonen in Europa und der Schutz vor denselben
688. — 187. Die Bedeutung des Gürtels in der Schwangerschaft 690. — 188. Die recht-
liche Stellung der Schwangeren 695. — 189. Die Femhaltung der Schwangeren 697.
XTTTX Die Gesundheitspflege der Sohwangersohaft 700
190. Aerztliche Vorschriften während der Schwangerschaft 700. — 191. Die Ernährung
der Schwangeren und die Speiseverbote 702. — 192. Die Tracht der Schwangeren
706. — 193. Die Gelüste der Schwangeren 708. — 194. Die Sorge für die psychische
Stimmung der Schwangeren 710.
XXX. Die Gefahren und der Sohutz der Sohwangeren 712
195. Das Versehen der Schwangeren 712. — 196. Abergläubische Verhaltungsregeln
während der Schwangerschaft 714. — 197. Die Pflichten des Ehemannes während
der Schwangerschaft 716.
XXXI. Die Therapie und die Prognose der Sohwangersohaft 719
198. Mechanische Vorkehrungen während der Schwangerschaft 719. — 199. Das
Baden und Einsalben während der Schwangerschaft 721. — 200. Die Blutentziehungen
während der Schwangerschaft 722. — 201. Die medicamentOse Behandlung der
Schwangeren 723. — 202. Die abergläubische Prognose der Schwangerschaft 725.
XXXn. Unzeitige Geburten und Fehlgeburten 727
203. Die Arten der unzeitigen Geburten 727. — 204. Wann ist die Frucht lebens-
fähig? 727. - 205. Die künstliche Frühgeburt 730. — 206. Die Todtgeburten 730.
XXXm. Die zufällige Fehlgeburt oder der natürliche Abortus 734
207. Der natürliche Abortus in seinen Ursachen und seiner Verbreitung 734. —
208. Die MaassregeUi zur Verhütung von Fehlgeburten 737. — 209. Das Schicksal
des Abortus 739. — 210. Die Anzeichen des beginnenden Abortus 741.
XXXIV. Die absiohtliohe Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfrucht 743
211. Die Bedeutung der Fruchtabtreibung 748. — 212. Die Verbreitung der Frucht-
abtreibung unter den jetzigen Völkern 743. — 213. Die Fruchtabtreibung unter den
Völkern weisser Rasse 749. — 213. Die Beweggründe für die Abtreibung der Leibes-
frucht 751. — 215. Die Abortivmittel im Alterthum und Mittelalter 752. — 216. Die
Abortiymittel der heutigen aussereuropäischen Völker 754. — 217. Die in Europa
gebräuchlichen Abortivmittel 760. — 218. Die Methoden der Fruchtabtreibung 762. —
219. Versuche zur Beschränkung der Fruchtabtreibnng 763.
Erste Abtheilung.
Der Organismus des Weibes.
Plost-Bartels, Das Weib. 6. Aufl. I.
I. Die anthropologische Auffassung des Weibes.
1. Die Entstehung des Geschlechts.
Das Weib unterscheidet sich von dem Manne in anatomischer, in körper-
licher Beziehung keineswegs einzig und allein durch die Verschiedenheiten in dem
Bau der Fortpflanzungsorgane. Allerdings geben die Differenzen dieser fUr die
Erhaltung der Art bestimmten Gebilde die allerwesentlichsten Unterschiede zwischen
den beiden Geschlechtem ab und sie werden dieser Eigenthümlichkeit wegen ja
auch mit dem Namen Geschlechtsorgane bezeichnet. Es soll aber auf eine
ausf&hrliche Schilderung derselben an dieser Stelle aus leicht ersichtlichen
GrQnden Terzichtet werden. Wer von den Lesern sich eingehender über diesen
Gegenstand zu unterrichten den Wunsch hat, den müssen wir auf das Studium
anatomischer und gynäkologischer Handbücher verweisen, unter denen wir die
Werke von Robert Hartmann^^ Herde und den Atlas der Geburtskunde von
Kiwisch V. Rotterau als für diesen Zweck besonders geeignet in Vorschlag bringen.
Dass der Unterschied in dem Geschlechte dem Menschen bereits angeboren ist,
bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung. Weniger allgemein bekannt dürfte
68 aber sein, dass diese geschlechtlichen Unterscheidungsmerkmale sich während
der Entwickelung im Mutterleibe erst allmählich herausbilden, sich differenziren,
wie der fachmännische Ausdruck lautet. Es ist also keineswegs der eine Keim
sogleich nach erfolgter Befruchtung als entschieden weiblich, ein anderer als ent-
schieden männlich zu erkennen, sondern es existirt eine verhältnissmässig lange
Periode in dem Leben, das wir unter dem Herzen der Mutter führen, in welcher
eine Unterscheidung in männlich und weiblich noch eine absolute Unmöglichkeit
ist, selbst noch in einer Zeit, wo die Entwickelung der späteren Geschlechtsorgane
bereits ziemlich weite Fortschritte gemacht hat.
Allerdings hat kürzlich Nagel festgestellt, dass die mikroskopische Betrachtung
der embryonalen Keimdrüsen schon in sehr früher Zeit ganz deutliche Unterschiede
zwischen den beiden Geschlechtem erkennen lässt. Mit dem blossen Auge ist aber
hiervon nichts zu sehen.
Werfen wir einen Blick auf das untere Körperende eines menschlichen Em-
bryo in der sechsten Woche seiner Entwickelung, wie es Luschka^ abbildet (Fig. 1),
80 bemerken wir dort eine kleine, längsgestellte Spalte, welche seitlich von je einer
Haatfidte, der Genitalfalte oder Geschlechtsfalte, begrenzt wird, während an ihrem
vordersten Ende ein kleines Höckerchen, der Geschlechtshöcker oder Genitalhöcker,
henrorsprosst Wir möchten bei dem Anblick dieser Abbildung glauben, dass
wir unbestreitbar weibliche Verhältnisse vor uns hätten; und doch ist hier eine
Enteeheidong über das zukünftige Geschlecht noch vollständig unmöglich; noch
hüte diese Fracht sich ebenso gut zu einem Mädchen wie zu einem Knaben aus-
biUeo kSoiMn. Ans dm beiden Geschlechtsfalten entwickeln sich vom Ende des
*B 1 *T die grossen Schamlippen oder, indem sie in der
1*
4 L Die anthropologische Auffassung des Weibes.
Medianlinie mit einander verwachsen, die beiden Hälften des Hodensacks. Der
Geschlechtshöcker bleibt entweder klein und bildet den Kitzler, oder er vergrössert
sich rasch und wächst zum Penis aus. Es kommt
also, wie wir sehen, bei dem Knaben eine Längs-
spalte am untersten Ende in der Medianlinie zu toU-
ständigem Verschluss, welche bei dem weiblichen Ge-
schlechte fiir die ganze Lebenszeit erhalten bleibt
Bei dem ersten Anblick hat es daher einen gewissen
Schein von Berechtigung, wenn man das Weib ak
ein in der Entwickelung zurückgebliebenes, ein im
Vergleich zum Manne körperlich tiefer stehendes
Wesen betrachtet hat.
Es bedarf aber heute wohl kaum erst der be-
sonderen Erwähnung, dass das Weib seiner Natur
nach ebenso vollkommen ist, als der Mann nach der
^^^' ^' t^iL^T^XLty ^'''^" seinigen. Aber erst die moderne Anthropologie hak
durch volle Anerkennung dieses Satzes dem Weibe in
allen seinen körperlichen und geistigen Beziehungen Gerechtigkeit widerfahren lassen.
Die altgriechischen Naturforscher und Aerzte freilich, wie Hippokrates
und Aristoteles^ hielten und erklärten das Weib für ein unvollkommenes Wesen,
für einen Halbmenschen. Das Weib, so meint Hippokrates^ sei niemals im
Stande, beide Hände mit gleicher Geschicklichkeit zu gebrauchen (rechts und links
zugleich, ambidextra); nach seiner Ansicht wären dessen innere Geschlechtstheile
das nämliche, was diejenigen des Mannes äusserlich sind, und während sie beim
männlichen Geschlechte die Wärme heraustreibe, würden sie bei dem weiblichen Ge-
schlechte von der Kälte im Inneren zurückgehalten. Dies sind Anschauungen, welche
natürlich in keiner Weise den wirklichen physiologischen Verhältnissen entsprechen.
Das Weib trägt ebenso gut, wie der Mann, gegenüber dem Thiere alle Vor-
züge der menschlichen Gattung an sich, auch hinsichtlich der specifisch weiblichen
Eigenschaften. Man hat, um nur Einiges anzuführen, schon öfter auf die Ge-
staltung der Brüste, auf die Eigenthümlichkeiten der Menstruation, auf das Vor-
handensein eines Jungfernhäutchens als charakteristische Unterscheidungsmerkmale
des Menschen vom Thiere hingewiesen. Doch beruht das Wesentliche nicht in
solchen Einzelheiten, die man früher hervorhob. Die Zweibrüstigkeit ist nicht
das ausschliessliche Eigenthum des Weibes, denn ganz abgesehen von den A£Fen
und den meisten Halbaffen tragen auch die Mehrzahl der Fledermäuse zwei Zitzen
an der Brust und zwar genau an derselben Stelle, wie das menschliche Weib.
In BetreflF des Jungfernhäutchens hat schon Blumenhach den von Albrecht v, Hailer
angenommenen moralischen Zweck desselben zurückgewiesen, während Cuvier und
andere auch bei Säugethieren eine Art von Jungfernhäutchen fanden, und wenn
Plhiius das Weib ein „menstruirendes Thier" nennt (animal menstruale), so ist
der Unterschied zwischen Menstruation und Brunst kaum von so wesentlicher
Bedeutung, um hierdurch die höhere Natur des Menschen zu begründen. Auch
ist, wie Robert Hartmann^ sagt, eine Menstruation, und zwar eine regelmässig
stattfindende, durch die Beobachtungen von Bolau^ Ehlers und Hermes wenigstens
für den Chimpanse durchaus festgestellt worden. Es findet hierbei eine Schwellung
und Röthung der äusseren Theile statt. Alsdann treten die im nicht menstruirten
Zustande nur wenig deutlichen grossen Schamlippen stark hervor. Die kleinen
Schamlippen und der Kitzler sind von vorherrschender Grösse und Bedeutung.
Eine beim Chimpanse constatirte, oftmals excessive Schwellung und Röthung dieser
Theile sowie auch der Gesässschwielen lässt sich übrigens ausserdem noch an
Pavianen und Macacos in deren Brunstperioden leicht wahrnehmen.
Von den vielen weiteren Versuchen, das Weib in seiner naturhistorischen
Stellung zu erniedrigen, sprechen wir nicht; es kamen auf diesem Gebiete im Ver-
1. Die Entstehung des Geschleclits. 5
laufe der Zeiten die ärgsten Ausschreitungen vor, entsprechend den herrschenden
Graden der Cultur. So wird uns auch verständlich, dass die Orientalen unter
dem Einflüsse ihres Bildungsgrades das Weib gering schätzen, da sogar der Koran
das Weib f&r ein unvollkommenes Geschöpf erklärt und dasselbe selbst von dem
Paradiese ausschliesst. Hingegen kann es nur als Äusfluss einer im Zeitbewusst-
sein wurzelnden Neigung zu Absonderlichkeiten aufgefasst werden, dass einst eine
anonyme (von Acidalius verfasste) Abhandlung darüber erschien : „dass die Weiber
überhaupt keine Menschen wären" (mulieres homines non esse), — eine Schrift,
welche zu Verhandlungen auf dem Concilium zu Macon Veranlassung gab.
Es ist ein Glück, dass die Zeit dieser Con-
cile vorüber ist, sonst würde auch wohl Paul AI-
brecht sich auf einem solchen zu verantworten haben,
der auf dem deutschen Anthropologencongress in
Breslau im Jahre 1884 einen Vortrag hielt über
die grossere Bestialität des weiblichen Menschen in
anatomischer Hinsicht. Es heisst darin:
.Aas vielen Thatsachen lässt sich beweisen, dass
das weibliche Menschengeschlecht überhaupt das beharr-
lichere, d. h. das unseren wilden Vorfahren n&her stehende
Geschlecht ist. Solche Beweise sind:
1. die geringere Körperhöhe des weiblichen Geschlechts;
2. die beim weiblichen Geschlechte häufiger vorkommen-
den höheren Grade von Dolichocephalie;
3. die häufigere und stärkere Prognathie;
4. die gewaltigere Ausbildung der inneren Schneidezähne ;
5. der dem weiblichen Geschlechte vorwiegend zukom-
mende Trochanter tertius;
6. die beim weiblichen Geschlechte weniger häufig auf-
tretende Synostose des ersten Coccygeal-(Steis8bein)-
wirbels mit dem ersten Kreuzbeinwirbel;
7. die beim weiblichen Geschlechte häufiger vorkommende
Anzahl von fünf Coccygeal wirbeln;
8. die beim weiblichen Geschlechte häufiger auftretende
Hypertrichosis (übermässige Behaarung);
9. die bei demselben seltenere Glatze.
Was den Trochanter tertius anbetrifft, so ist dies
besonders auffallend, denn während derselbe bei dem
menschlichen Weibe vorkommt, ist er seltener beim Manne
und noch seltener bei den Affen. Es ist dies besonders
interessant, da auf diese Weise sich das menschliche weib-
liche Geschlecht als noch beharrlicher als die grösste An-
zahl der Affisn hinstellt und auf ein Geschlecht zurück-
greift, da» jedenfalls wilder war, als die heutige Atfen-
welt. — Dass das weibliche Menschengeschlecht
flbrigent nicht nur anatomisch, sondern auch physiologisch
da« wildere Geschlecht ist, dQrfte schon daraus hervor-
gehen, dass Männer wohl nur verhältnissmässig selten ihre
Gegner beissen oder kratzen, während doch Nägel und
Zähne noch immer za den von dem weiblichen Geschlechte
bevorzugten Waffengattungen gehören.''
Erwähnt mag noch werden, dass nach Ddannay^ das Weib mehr einen
Plattfoss besitzt, wie er niederen Rassen zukommt. Er meint, dass die hohen
Absätze diesem Mangel abhelfen sollen. Nach Ranke^ scheinen Missbildungen
beim weiblichen Geschlechte häufiger aufzutreten, als beim männlichen; nur in
einzelnen besonderen Arten überwiegt das letztere. In Fig. 2 wird eine Darstellung
des deutschen Weibes nach einer Zeichnung von ÄlbreclU Dürer
Fig. 2. Deutsches Weib.
(Nach Albrecht Dürer.)
O L Die udurapoIosiKiie AofEunm^ im Wöbfli.
Am Weib« kaon man bald mehr <iaa Cmiacige;. bald mehr das Labliche be-
tnichci»n. Dahis giebc es eine ideale nnd eme reale Xu&asaug des Weibes, nnd
anter den Phüoeophen kommen beide Ao&d&ongen zur *3eltimg: Ffir den Natnr-
foncher ab Anthropologen and Edmocrraphen handeln es sick ledigüch am die
reale fracheinnng der Fran nnd am ihre Stelinng gesoiabar dem mannlichen
6e$)chlechte. sowie am ihre apediischen. je nach RiMwe. Volk and KEma
frechadndim körperlichen Merkmale
and Fanctionen. Hier steht das so-
mäciäche Lebei imVordergninde der
Betrachtons. wahrend die Anthropo-
logie im weiteren Sinne alLerdingi
aock das Psychische im Wabe zom
Gegenstande der Forachong madt
DasB aach die korperlicfae Erachei-
aang des Weibes ästhetische nnd
idedie öesiohcspankte bietet^ braocben
wir nkht erst za erwähnen: and riel
Lst aber die weibliche Schonhöt ge»
«chrieboi.
Die menschliche Schönheit im All-
gemeinen sackt Jityrecm in der toU-
<tän<ügea Vereinigang der aoaseren
Merkznale des Menschen im Gegensatz
zam Thiere: and so erscheine der
Mensch am so schöner, je mdir er
geeignet und geschickt ist, die grossen
Bestimmangen seines Geschlechts xa
erfüllen. E^bei nähert sich das Weib
mehr derjenigen Schönheit, wie sie
B»frk^ betrachtet, um sie Tom Er-
habenen zu unterscheiden. Alle Züge,
Merkmale uad Eigenschaften dessel-
ben sind liebenswürdig: sie flössen
weder Furcht noch Fäirfarcht ein:
sie schmeicheln gleich angenehm dem
Auge, wie dem Geiste: sie bestechen
das Herz und erzeugen Liebe nnd
Verlangen. Ein ernstes Ansehen,
irgend ein rauher Zug. selbst der
Charakter der Majestät würde dem
Effecte der Schönheit schaden, wie
wir sie Tom Weibe verlangen : und
Lucian stellt mit Recht den Liebes-
gott erschrocken über das männliche
Aussehen der Minerva dar.
Ueber die männliche und weibliche Form bemerkt Wilhelm r. Humboldt:
^lier eigentliche Geschlechtsausdruck ist in der männlichen Gestalt weniger henror-
Htechend, und kaum dürfte es möglich sein, das Ideal reiner Männlichkeit ebenso
wie in der Venus das Ideal remer Weiblichkeit darzustellen.
Viele von jenen Zügen, durch welche sich das Weib vom Manne körperlich
untefHcheidet« Hind es gerade, durch deren ganz besondere, .echt weibliche* Aus-
bildung uns das Weib als besonders schön und begehrenswerth erscheint Damm
mQssen wir zunächst uns über das Typische und Charakteristische am Fibii<
körper verständigen; sein Bau wird dann weiter in ethnographischer Hu
unserer Betrachtung zu unterziehen sein.
f']^.&l-Fi|fiir fÄnf.-\ Mftnn^ (nwch Tixiano l'e:e:it-
Ge)?itÄlt und K5r[ierbau des Weibet.
Ue^talt und Körperbau des Weibes
Wenn auch die vorliegende Abhandlung nicht ein Lehrbuch der Anntoinie
XU werd^ beabsichtigt, so erseheint es mir doch unumgänglich noth wendig, den
Lesern in hinreichend genauer und eingehender Weise einen Ueberblick zu
Terscbaffen über die anatomischen Unterschiede, welche, abgesehen von den
Geschlechtsorganen, das Weib Ton
dem Manne darbietet, lii anthropologischen
Studien, welche das Weib zu ihrem Gegen-
tte&de habea^ dürfen diese Angaben nicht
fpVilpn^ um bei der ausserordentlichen Mannig-
rkeit der in Frage kommenden Differenzen
i eine bequem Übersichtliche Zusammen-
Jijg dem Leser die MOhe des Äufsuehens
tu weit verstreuten OrigiDalaufsätzen ver-
ten Angaben zu erleichtern. Ganz neuer»
hat Havelock EUi$ ein besonderes
ff f:f k hierüber herausgegeben.
Es wurde bereits im Anfange dieser
Arbeit gesagt, dass es durchaus nicht einzig
und aUeiu die Genitalien sind, durch welche
sich die Frau von dem Manne unterscheidet
Es finden sich auch abgesehen von diesen
eine grosse Menge von Abweichungen in dem
ii ' ' Bau der beiden Geschlechter,
nach dem Vorgange von Charles
rm als Hecundiire Geschlechtscha-
, „^lete zu bezeichnen pflegt Figur 3 und
4 (Uhren uns die Idealfiguren eines Weibes und
eines Mannes vor, welche Tisiano VeceUi für
dm thm befreundeten Anatomen Andreas
Vraalius gezeichnet hat» Letzterer hat sie, in
Holz geschnitten, seinem Werke einverleibt,
um den Unterschied in dem Bau des mann--
liehen und desi weii>Iichen Korjjers vor Augen
m fuhren. Zu diesen gncundären Geschlecht^-
ebankteren geliören bei dem Weibe in aller-
eriler Linie die Eniwickelung der Brüste,
RKt welch»' wir in einem späteren Kapitel
aiisRifarlich zu handeln haben werden. Ich
lEmno sie daher an dieser Stelle mit Still-
schweigen Hl Ausserdem kommen
aber noch vj . re LTnterschiede in Be-
tracht, welche im Wesentlichen sich auf die
jp^""- Aes Fettjtolsters, des sogenannten
Lfewebes, femer der Muskeln und der inneren Organe und endlich
M im Bau des Knochengerüstes beziehen. Die hieraus für die
irig der beiden Geschlechter in die Augen fallenden Unterschiede
Berliner Frauenarzt Wilhelm Heinrich Bmch mit folgenden
isirt:
'>«t«!t de« Weihefl stimmt mehr al« die de« Mannes mit den GesetEmi dei
er dem Auge ^mitOrlich des Mannes) angenehmer und gefUlUger.
und gerundeter, die des Mannes eckig und abstoa&end (nur nicht
Der Kopf det Weihes iat nmder, zeigt weniger Banporragangoa
-nlri- m
8
I. Die anthropologische Auffassung des Weibes.
and ist mit starkem Haarwuchs, der dem Weibe zu vorzüglicher Schönheit wird, versehsn.
Auch das Gesicht ist kürzer und die einzelnen Theile gehen leicht in einander Über, so dasi
sie in sich weniger gesondert erscheinen; daher ist auch der Ausdruck des Gesichts beim
Weibe weniger bestimmt und drückt selten besonderen Charakter aus. Die Stime ist nicht
so hoch, als die des Mannes, die Nase kleiner, sowie auch der Mund; das Kinn ist weniger
spitz und nicht mit Haaren bedeckt, so dass auch das Gesicht rundere und kleinere Form
annimmt. . . . Der Hals ist beim Weibe länger, als beim Manne, und weniger in seinen üeber-
gängen zum Kopfe und zum Rumpfe abgeschnitten ; der Kehlkopf steht weniger herror. ....
Schon äusserlich nimmt man in den Längenverhältnissen des Rumpfes ein Üeberwiegen dei
Unterleibes vor der Brust wahr. Diese ist schmaler und enger, die Lendenwirbel sind hoher,
als beim Manne; der Wuchs wird dadurch schlanker; der Umkreis des Brustkastens liegt in
einer Ebene senkrecht über dem Becken, beim Manne ragt er über dieses hervor. Die Becken-
gegend zeichnet sich durch ihre Breite aus. Die Muskeln sind am Rumpfe ebenfialls weniger
sichtbar, da sie mit einer grossen Menge Zellgowebe umgeben sind, welches alle Zwischen-
räume ausfallt und alle Theile durch sanfte üebergänge vereinigt. Auch die Rippen und
Hüftknochen stehen weniger hervor. Der weibliche Busen, welcher durch die stärker ent-
wickelten Brustdrüsen und das umgebende (Fett enthaltende) Zellgewebe gebildet wird, stellt
das Miss verbal tniss zwischen der Brust und dem Bauche wieder her und wirkt bei schOner,
regelmässiger Form gleich angenehm auf das Auge und auf das Gefühl/
Die Besonderheiten des übrigen Körpers schildert Busth
weiterhin: „Der Unterleib ist runder und tritt bei dem
Weibe stärker hervor; der Nabel ist etwas mehr vertieft
und weiter von der Schamgegend entfernt, als beim Manne.
Indem die Brust von den Schultern und dem Busen nach
unten zu allmählich enger wird, geht der Unterleib wiederum
in die breitere Hüftgegend über, so dass kein einförmiges
Uebergeben dos oben breiten Rumpfes in die schmaleren
unteren Extremitäten stattGndet. In der Mitte ist der Rompf,
und zwar in der Gegend des Kückens und der Lenden, am
engsten und am schlankesten. Das Schlüsselbein ist kürzer
und mehr an dem Rumpfe anliegend, die Arme kürzer,
runder, fetter, die Finger sind feiner und spitzer. Eine ge-
wisse Fülle und Rundung bezeichnet beim Weibe die Schön-
heit der Arme. An den unteren Extremitäten ist der Ober-
schenkel sowie die Beckengegend stärker, indem hier die
Muskelmasse mehr entwickelt ist ; die grossen Trochanteren
stehen weit von einander ab, die Schenkel steigen schräg
von innen herab, so dass die Kniee enger beisammen stehen
und die inneren Gelenkköpfe mehr nach innen hervorragen.
Da» Knie ist rund und nur schwach angedeutet, die Wade
zierlicher und nach unten schmäler; die Knöchel treten
weniger hervor sowie auch die Schienbeinröhre, Theile, die
mehr unter der Haut sich verbergen. Der Fuss ist kleiner
und schmäler, so dass also die den Körper stützende Fläche
geringer ist, als beim Manne. Im Verhältniss zum Stamme
sind die unteren Extremitäten beim Weibe kleiner, so dass
die Schamgegend nicht wie beim Manne den Körper in
zwei gleiche Hälften theilt, vielmehr die Halbirungslinie
über dem Schambein zu liegen kommt. Die Schritte des
Weibes sind daher kleiner und der Gang ist wegen der
Stellung der Pfannen mehr schwankend, aber durch die Leichtigkeit anmuthiger ; nur zum
Laufen ist das Weib nicht geeignet.*
Die Figuren 5—7 führen einige Weiber aus anderen Welttheilen vor. Fig. 5 zeigt
die Körperformen einer Süd-Afrikanerin, Fig. 6 diejenigen einer jungen Ja van in und
Fig. 7 einer ungefUhr 25jährigen Melanesierin von der Anachoreten-Insel Wasan.
Es mag noch darauf hingewiesen werden, dass die Physiologie vor allem in
zweifacher Hinsicht das organische Leben der Frau verschieden Ton demjenigen
des Mannes findet: Die Frau hat wesentlich mehr mit den Function« dar Fort-
pflanzung za thun; sie wird mit ihren Kräften durch das Se*
FiK- ^- Kiirperforin einer Znlu
Frau (Mulattin 0 mit hänf^enden
Brüsten. (Nach PhotOfpiiiiliie.)
Die aecundären GesehlechtficKarakiere bei den europäiscben Weibern.
MeoMiitmtion, durch die Schwangerschaft, dm Wochenbett., das Säugen und die
Pflege de« Kindes in Anspruch genommen. Ferner aber zeigt ihr Nervensystem
9pecififich andere Thätigkeit, als das de» Mannes : die Frau arbeitet mehr mit
9
r^
Vig. 7, KÖrperform einer Anachoieten-
iQsuUnerfii. (25 Jahre.) (Kaeti Photographie. )
ia Gefllhient der Mann vorzugsweise mit den Gedanken. In allen Bewegungen
nd Geberden spricht »ich deutlich dieses Verhältniss aus; auch pflegt diejenige
io welcher das Geftlhlsleben am reinsten und feinsten zu Tage tritt, den
Eichstm Zauber in ästhetischer Hinsicht auf das männliche Geschlecht aua/uQben.
i. Die seeandäreti Geschlechtseharuktero bei den ©nropäisrlien Weibern.
Gehen wir nun genauer auf die aeciindären Geschlecht^charaktere ein, so
fiUlt in ervter Linie der Unterschied in der Körpergrösse zwischen den
beUen Geschlechtern in die Augen. Johannes Ranke^ sagt:
,I>eat1icli ausge^procbeno Unterscliiede in den LlingenfiFoportionen des Körpers zeigen
4i0 li«fdifll Gevcblechter. imitierhin üind die Unterschiede, procentiRcb auf gleiche Körper-
KtOm« bervehnei, kJein imd halten sich in den Grenzen weniger IVoconte oder erreichen über*
iMajit d^t) Werth von 1 Prucent der Körpergrdsse nicht. Da es hier nicht auf exacte Zahlen-
wflrtli« ankomtnen kann, bo KegnOgen wir uns mit der Angaljo der Hauptresultate unserer
V»|fT^' * '^ - ""' -hon dem schönen und dem starken Geschlechto, Der Mann unterscheidet
•ick irch einen im Verhriltniss zur Körpergr5ti«e etwas kürzeren Kampf und im
Yarbäiiru-i^^ /ir Körpergrösse und Rumpf! änge etwas lUngere Arme und Beine, längere H&nde
«ad FlUii«: im Verhältniiia zur ganzen oberen F^xtremitüt sind seine , freien Beine* etwas langer,
lum Oberarme respective Oberschenkel besitzt er etwas längere ünter-
iHnkeK sein horizontaler KopFutiifang ist im VerhlLltniBs zur EörpergrOno
i^kn^ei. Mit einem Worte, die mannh'chen Körperproportionen nähern sieb im AU-
10 I. Die anthropologische Aaffassung dee Weibes.
gemeinen der vollen typisch-menschlichen Eörperentwickelung mehr als die weiblichen Pro-
portionen; das Weib steht dagegen im Allgemeinen der kindlichen EOrpergliederong nfther,
es steht in dieser Beziehung auf einem individuell weniger entvrickelten, in entwickelongi-
geschichtlichem Sinne niedrigeren Entwickelungsstandpunkte als der Mann. Wir verkennen
dabei nicht, dass sich das Weib körperlich auch noch nach anderen Richtungen alt nach der
der ewigen Jugend von dem Manne unterscheidet; immerhin aber lehren unsere ErgebniMe,
dass der im Allgemeinen mechanisch weitaus th&tigere Mann der weissen Cultnrrasae, seiner
gesteigerten mechanischen Leistung entsprechend, auch einen mechanisch mehr dnrchgenrbei-
teten, mechanisch vollendeteren Körper besitzt als das Weib. Dass das auch für Mann und
Weib der mit Landwirthschaft beschäftigten Landbevölkerung der weissen Rasse G^ltong be-
sitzt, lehren die Untersuchungsreihen, welche von zwei Schülern Stieda's an lettischen nnd
litthauischen M&nnern und Weibern angestellt wurden. Immerhin erscheinen hier aber,
wie wir erwarten konnten, die Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtem etwas geringer.
Zweifellos kann sich auch bei dem Weibe durch eine in Folge dauernder Lebensgewohnheiten
gesteigerte mechanische Arbeitsleistung der Glieder ein mehr männlicher Habitus dee Glieder-
baues ausbilden. Der Körper des Weibes steht bei allen Nationen der Welt, auch bei den
am wenigsten cultivirten, in einem ähnlichen Yerhältniss zu dem männlichen, wie bei der
weissen Culturrasse, er steht überall in seinen Proportionen dem Kindesalter nfther als der
Körper des Mannes.*
Als Geschlechtsunterschiede in der Länge der Gliedmaassen bezeichnet Weis^Hu^^ bei
den Deutschen die folgenden: ,Dcr ganze Arm der Weiber ist, sovrie auch in den einseinen
Abschnitten, kürzer, nur die Hand und deren Unterabtheilungen, der Handrücken und Mittel-
£nger, im Vergleiche zu den nächst vorhergehenden Theilen länger, sonst kürzer und schmäler;
die unteren Gliedmaasse, sowie der Unterschenkel und Fuss allein, gleichfalls kürzer, der Ober-
schenkel aber länger, der Fuss am Rist schwächer, vorne aber breiter.' Die geringere Grösse
des weiblichen Fusses vermochte Goenner bereits bei neugeborenen Kindern nachzuweisen.
Nach Sappey ist bei der Frau der Rumpf fast ebenso lang als die Unterextremit&ten,
während letztere bei Männern im Mittel um 2,5 cm die Rumpflänge übertreffen. Der Mann
erreicht das Maximum seiner Grösse mit 30 Jahren, seines Gewichtes mit 40 Jahren, das
Weib letzteres erst mit 50 Jahren.
I Minimlun | Hazimiim I Mittel
Gewicht des Mannes | 51,458 kilo | 83,246 | 62,049
Gewicht des Weibes | 36,777 i 73,983 | 54,877
Auch in dem Bau des Brustkastens (Thorax) zeigt sich eine Verschiedenheit des
Geschlechts. Die geringere Geräumigkeit und andere Verhältnisse bewirken, dass die Aus-
und Einathmung beim Weibe minder ergiebig ist. Schon vor fast hundert Jahren hat
Ackermann die Eigenthümlichkeit des weiblichen Thorax in wesentlichen Zügen beschrieben.
Beim Weibe fand er unter anderem den knorpligen Theil der unteren Rippen grösser als
beim Manne; bei jenem steht das untere Ende des Brustbeins mit dem knöchernen Theile
der vierten Rippe entweder ganz in horizontaler Linie, oder es geht noch etwas tiefer her-
unter; das Brustbein des Weibes ist im Ganzen kleiner, als das männliche. Vor allem aber
hat das berühmte Schriftchen Sömmering's^, welcher dem unverbesserlichen weiblichen Ge-
schlechte die üble Wirkung der Schnürbrust vor Augen fährte, den besonderen Bau des Thorax
gekennzeichnet. Er gab das Bild einer mediceischen Venus und zeichnete auf dasselbe eine
Schnürbrust, um recht augenfällig zu beweisen, wie schädlich ein solcher Modeartikel ist
Weiter ergab sich aus den zahlreichen Messungen von Liharczik, dass der weibliche
Körper sich von dem männlichen hauptsächlich dadurch unterscheide, dass ihm eine Rippen-
breite (st 1 cm) in der Brustlänge fehlt, wonach sich dann alle anderen Proportionsunter-
schiede durch Berechnung ermitteln. (Daher die kürzere Luftröhre und höhere Stimme des
Weibes, das breitere Becken u. s. w.) — Wie der biblische Schöpfungsbericht entstand, dass
das Weib aus einer Rippe des Mannes geschaffen wurde, lässt sich hiermit nicht erklären.
Vergleichende Messungen, die auf den oberen, mittleren und unteren Brustumfang
sich bezogen, stellte bei beiden Geschlechtem und in verschiedenen Lebensaltern Wintridi
an. Er fand je nach Alter und Geschlecht folgende Abweichungen: Bis in das höhere Mannes-
und Frauenalter ist der obere Brustumfang grösser, als der untere; in den sechzig^ Jahren
des Lebens aber kehrt dieses Verhältniss sich um. Bei Frauen wird der untere Brostmnfiuig
von dem oberen nicht in dem Maasse übertroffen, wie bei Männern. Um das vienehnte 1
jähr wird der Brustkorb des Mannes beträchtlich umfangreicher als der des Weibes.
8. Die secund&ren Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern.
11
Nach Lenhosstk iat das weibliche Schlüsselbein weniger gekrümmt, als das männ-
liche, üeber das Verhalten des Brustbeins hat Stratich genauere Untersnchnngen angestellt.
Er fand bei Weibern verhältnissmässig das sogenannte Manabrinm, d. h. den oberen Theil des
Bmstbeins, grosser, den eigentlichen Körper des Knochens kleiner als bei Männern. Wie sehr
diese Verschiedenheit theils auf die Lage der inneren Brustorgane (Langen und Herz), theils
auf die Function derselben einen Einfluss ausübt, besprach ferner Henke, welcher sagt: dass
flieh die Eigenthümlichkeit des weiblichen Thorax in der Gegend des unteren Endes vom
Brofltbeine, wie sie vermuthlich durch den Einfluss der Kleidung entsteht, auf
eine blosse Verschiebung der Grenzen vom Knochen des Brustbeins und den Knorpeln der
Rippen innerhalb der Thorazwand beschränkt, während die Proportionen des Raumes hinter
derselben und ihre Erfüllung durch die inneren Organe sich ziemlich gleich bleiben.
Gehen wir nun weiter auf die wichtigsten Skeletttheile ein, so wollen wir mit der Be-
trachtung des Schädels beginnen.
Die Anthropologie legt ein besonderes Gewicht auf die Form und die Grösse des
Schädels; deshalb sei erwähnt, dass gerade in dieser Beziehung beachtenswerthe Unter-
schiede zwischen dem männlichen und weiblichen Schädel bestehen. Den Horizontalumfang
des Mannesschädels fand Welcher im Mittel 521 mm gross; er verhält sich zum weiblichen
wie 100 : 97. Der Schädelinnenraum des männlichen Schädels, 1450 ccm, verhält sich zum
weiblichen wie 100 : 90. Da nun die niederen Rassen (Neger, Malayen, Amerikaner)
im Horizontalumfang mit den kleinsten weiblichen deutschen Schädeln, die Mongolen
mit den kleinsten und mittelgrossen übereinstimmen, so könnte man vielleicht meinen, dass
das Weib demgemäss den Uebergang zu niedrigeren Menschenrassen bilde.
Allein su solcher Herabwürdigung des schönen Geschlechts dürfte wohl kaum die Anthro-
pologie sich herbeilassen.
Fig. 8. Die Oeschlechtsant erschiede am Schädel (nach Ecker).
Mann aus einem fr&nkischen Grabe. Frau aus einem fränkischen Grabe.
Nach Angaben von Delaunay, welche er wohl P. Broca entlehnt bat, und nach der
Untersuchung von Wekker bleibt die Schade Icapaci tat des Weibes hinter derjenigen des
Mannes zurück bei
Australiern
Chinesen
Negern (Dahomey)
Negern
Sokotranern
Hindu von Bellari
um 37 ccm Eskimo um 149 ccm
, 59 „ Deutsche (Gegend
„ 73 , von Halle) , 160 ,
, 99 , Javanen , 164 ,
, 114 ,. Siamesen , 193 ,
, 122 , Engländern , 204 „
Ein weiterer Unterschied gegenüber der physischen Erscheinung des Mannes besteht
daijn, dass die Form des weiblichen Kopfes weicher, gerundeter, der Gesichtstheil des Schädels,
namenUich der Kiefer und die Schädelbasis, kleiner und letztere in ihrem hinteren Abschnitte
stark yerschmllert ist. Dabei ist die Basis gestreckter, der Sattelwirbel grösser und eine
«nf&Uende Neigung rar Schie&ähnigkeit sowie rar Langköpfigkeit beim Weibe entwickelt.
Dedialb haben mehrere Anthropologen den Sats aasgesprochen, dass im Allgemeinen der Typus
4m weibHdMB fidildeli iiflli in Tieler ^^'tFiithTnig dengenigen dse Ktudanehidels nähere. Dem-
12
L Die anthropologische AaCfassnng des Weibes.
gemäss würde man vielleicht den Schloss ziehen können, das Weib sei — wenigsteiiB in seiner
Schädelbildnng — auf einer früheren Entwickelnngsstufe stehen geblieben. Doch
auch dieser Befand giebt uns nicht das Recht, zu sagen, dass das Weib gem&ss seiner Kopf-
form im geistigen Wesen dem Kinde nahe steht.
Johannes Banke^ fand, dass bei den Schädeln der weiblichen altbayerischen Land-
bevölkerung eine Neigung zu kleineren — physiologisch-mikrocephalen, bei den männlichen
Schädeln dagegen eine Neigung zu grösseren — phjsiologisch-makrocephalen, Werthen üb
die Schädelcapacität vorherrscht. £r giebt über letztere folgende Tabelle:
Schädelinhalt in Kubikcentimetern.
(WekkerJ Mittel. Minimum. Maximum.
30 mänol. Schädel .sächsischen" Stammes 1448 1220 1790
30 weibl. , , , 1330 1090 1550
(BankeJ
100 männl. „ d. altbayerisch. Landbevölk. 1503 1260 1780
100 weibl. , . « , 1385 1100 1682
fWeissbach)
50 männl. Schädel meist Österreich. Stammes 1521,6
23 weibl. . , . , 1336,6
Alexander Eckert stellt folgende charakteristische Eigenthümlichkeiten des weiblichen
Schädels auf, die er durch die in Fig. 8 und 9 und Fig. 26 wiedergegebenen Abbildungen
erläutert.
«Die Unterschiede des weiblichen vom männlichen Schädel sind begründet theils in der
verschiedenen Beschaffenheit der Knochenoberfläche, theils in der Verschiedenheit der absoluten
Fig. 9. Die Geschlecktsunterschiede am Schädel (nach £ckfri).
Schwarzwälder. Schwarzwälderin.
und namentlich der relativen Grösse des Schädels und seiner einzelnen Theile. Geringere Aus-
bildung der Muskel ausätze, besonders Warzenfortsätze, Schläfen- und Nackenlinie, Leisten am
Unterkiefer, Arcus superciliares (letzteres als Ausdruck des schwächer entwickelten Athem-
apparats). Endlich zeigen sich, entsprechend der grösseren Hinneigung des weiblichen Schädels
zum kindlichen, die Verknöchorungspunkte, die Tubera frontalia und parietalia, in der Regel
beim erwachsenen Weibe viel deutlicher als beim Manne entwickelt.*
.Die charakteristische Physiognomie des weiblichen Schädels liegt ausser in den oben
erwähnten Eigenthümlichkeiten der Oberfläche und der geringeren Grösse namentlich in
folgenden Merkmalen:
1. in der Kleinheit des Gesichtstheiles im Verhältniss zum Himschädel. Der weibliche
Charakter ist in dieser wie in mehreren anderen Beziehungen zugleich der mehr kindliche,
das Weib steht zwischen Mann und Kind;
2. im Ueberwiegen der Schädeldecke über die Schädelbasis;
3. in geringerer Höhe des Hirnschädels;
4. in einer grösseren Flachheit des Schädeldaches, insbesondere der Scheitelgegiad*
)ie secundären Geschlecbtscbaraktere bei den europäiBchen Weibem.
13
h, AxiA dem Ueberwiegen der Scbädeldecke Aber die Bcbädelbosis resuUirt unter anderem
iii« Bildimg der Stirn, die man in gleicher und noch stärker aasgeprägter Wei«e auch beim
findet, nämlich eine senkrechte »Stellung derselben, die bei diesem selbst, über die
echte Linie hinausgehend ^ oben stärker hervorragt als unten. Dieses gerade 8timprofil
itht dem weiblichen Kopf etwas entschieden Edles.
6, Der flache Schädel pfiegt ziemlich plötzlich in die senkrechte Stimlinie überzugehent
duts drr üe bergan g von Stirn in Scheitel nicht in einer Wölbung, sondern in einem leichten
rinkel stattfindet. In übnücher Woise, wenn auch minder ausges^procben, geht in einer Art
rinkliger Biegung der flache Scheitel in das Hinterhaupt über (deutlicher bei brachyceijhaieD
aU bei dolichücepbalen Schädeln).* Der weibliche Typus entsteht dadurch, daas der kindliche
über die Grenzen der Kindheit hinaus per«iatirU
FOr den deutschon Weiberschädel macht Weisshach^ folgende Angaben:
«Aus diesen zahlreichen Untersuchungen ergeben sich schlieislich folgende Geflchleobta-
lifljnlichkeiten des deutschen Weibersch&dels:
1. Der ganio Schildel ist absolut kleiner und leichter, mehr in die Breite, aber weniger
üe U5he entwickelt, bat eine relativ schmälere Basis, in der sagittalen Richtung im
lanzen eine tlachere, dagegen in der queren eine stärkere Wölbung als der Mitnnorschädel.
kJItdM weibliche OcscbI«!clit cLoxakterlsttfchcn groMen medlaaen 8clitieidasähii« dss
b«l einer Jungen Ü est erreiche rin. (Nftcli Pbotograpble.)
SL 8«iii Vorderbaüpt ist kleiner, wohl ebenso lang wie beim Manne« dafär aber
•duttiJerv in sagittaler Richtung viel stärker, in qaerer oder horizontaler aber
gokrümmt : seine StimhOcker liegen rQcksichtUch der Länge des Schädels
vlwai weiter ans einander, hinsichtlich seiner grösseren Breite aber näher beisammen, im
iTerhiltiiij« tu welcher äl)erhaupt alle Breitenmaasse des Vorderhauptes viel kleiner alt beim
na vind.
8. Dm durch seine überwiegende Breitonentwickelung die gr(5ssere Breite des ganzen
iels h^MÜmmande Mittelhaupt dürfte eben deshalb, trotzdem es kürzer und niedriger als
iche ist, dieses an Grösse übertreffen; ausserdem hat es eine flivchere SagittalwOlbung,
ttnd in ijueror Richtung stärker gewölbt© Scheitelbeine, deren Tubera weiter aus
abor tiefer unten liegen und einen Scheitel (den Raum «wischen Stirn und Scheitel-
bdclwr), welcher kdrzer und breiter, nach vom hin mehr verschmälert und in jeder Hichtung
»ur t^-- i"n Scheitelhöckem etwas stärker gewölbt ist. Die Kcilschlafen fläche
J4mer •; o^, nur ist »ie an der Schläfenschuppe niedriger, die seitliche Wand
ab«f b1 Ungiir und lu horixontaler Richtung stärker gewcVlbtv
'itf li
i^HHib
bmM
14
I. Die anthropologische Aaftassiuig des Weibei.
4. Das Hinterhaupt des weiblichen Sch&dels steht ganz im Gegensatie zum Vorder- und
Mittelhaopte, indem es sich durch grossere Höhen- und L&ngenentwickelung bei gleicher Breite
von dem männlichen unterscheidet, dieses aber an relativer Grösse fibertrifft; nur relativ zur
Sch&delbreite ist es ähnlich dem Vorderhaupte schmäler. Sein Zwiachenscheiteltheil (Recepta-
culam) ist viel länger als beim Manne. Seine Wölbungen, welche sich in ihrem Verhalten
mehr dem Mittel- als Vorderhaupte anschliessend differiren von jenen des Mannes dadurch, dass
die aagittale flacher, die schräge und quere aber stärker sind.
5. Die Schädelbasis des Weibes ist schmäler und kQrser, hat ein längeres Grundstock
^pars basilaris), ein kleineres, etwas schmäleres Hinterhauptsloch, näher an einander gerückte
Tor. fltylomastoidea, aber weiter von einander entfernte For. ovalia.
6. Das weibliche Gesiebt ist im Verhältniss zum Gehimschädel in allen Dimensionen
kl'^iner als das männliche, mehr ortbognath, niedriger und, entgegen dem breiteren Gehim-
achädel, schmäler, nur oben breiter, unten aber enger, hat eine breitere Nasenwurzel, weit
aufl einander liegende Augen und grossere höhere Orbitae: breitere Oberkiefer mit kleineren,
niedrigeren Choanen und kürzerem, aber breiterem Gaumen; sein Unterkiefer ist ebenfalls
kleiner, flachor gekrfimmt, hat ein breiteres Kinn und kleine, niedrigere und schmälere Aeste,
welche aber untor einem grösseren Winkel am Körper eingepflanzt sind.
Fit;. 11- I'iA fiM' 'la-« wt-il;li<hc (reHClilerlit charakturistischeii grossen medianen Schneidezähne des
ninirkU-t-T-i ii«-.! 'iinnr .iunf^frn Maurin aus Algier. (Nach Photographie.)
Nor:)] int /.u bomorki^n , dasH die einz.cincn Maasse des Weiberschädeis meistens viel
wpnifffr indivirJij«;Ilon V«'r}indurun((cn uIh heim Manno unterliegen/
Kiri Hfihr wichti^PH rntorHchniduiigHmerkmal zwischen dem männlichen und dem weib-
lichen Hcliildol hat iioiiordingK Thietn angegeben. Der Kaum unterhalb des knöchernen
ijehr^r^angi'H, din Komku tyinpanico-Ht.vlo-niastoidca, ist beim Weibe erheblich geräumiger als
beim Manrin. Dan hat. Hoinnn (jrund darin, dass das Os tympanicum, welches den knöchernen
<ifthöri;(ing nach vorn und unten iiliNchliosst, beim Manne tiefer herabsteigt, als beim Weibe.
\U^\ dem LntzifTcn Hchlilgt oh Hieb Hchon auf halber Ilöho des Zitzen fortsatzes nach hinten um.
MorMfitli konnte) in Hoziig auf das ^iewicht dcH Schädels constatiren, dass der
männliche SrhUilnl nwhr ü.\h der weibliche wiegt. Der männliche Unterkiefer übertrifft in
noch hnhcrorii Gnidn iiN der Schädol den weiblichen an Gewicht. Dasselbe findet bei den
iiiithroponiorphen Atfen statt. Auch die individuollen Verschiedenheiten im Schädelgewicht
und in noch höherem (trade im Gewichte dos Unterkiefers sind beim Weibe grösser als beim
.Manne. Von allen craniometrischen («oscblcchtscharakteren hält MoraeUi dai Gewiohi du
Unterkiefers für den wichtigsten.
3> Di0 secuodAroi GeschlechUchArakiere bei den europäischen Weibern. X5
I^ Unterkiefer wiegt im Hitiel:
bei Weibern . . 63 gr
, M&nnern . @0 ^
DifTecen« 17 ,
\^ in Buna bat nacbgewieaeUf dass die oberen medianen Schneide s&bne
iMi IfMeben und Frauen nicht nur relaiiT, sondern absolut breiter siod^ als diejenigen von
Knabeä und MUnnem in denselben Lebensaltern, ßei bQ Mädchen und 50 Knaben im Alter
ron 12 bif 15 Jahren war ilie mittlere Breite der genannten Zähne wie 1,33 (Mädchen) zu
1 ^Knaben) Bei 12 Männern aua Zandvoort in Holland fand er eine Breite ron 83 im
Mittel» waiirend 12 Frauen 8,8 hatten.
Die*e«i Verhalten ist gut zu sehen bei der in FJg. ^0 abgebildeten Oesterreicherin,
QQd bei dem Mjgchling von einem Europäer und einer Maurin aus Marocco auf
Taf Vm Fig 7.
<
^
rif. IL IM« mr ..rUtiÄCheij
Obeilitefeii bei jungen Ab>'SbiaieriaQi}n ftu llassaua.
; Na eil r iiü 1 0 (H^apliieO
j)lM ei hier aber nicht der EinfluM des weiuen Blutes ist, welcher die grossen Zähne
fen hat^ sondern dass eich dieselben auch bei Weibern anderer R^me finden, das
könnctt wir an den Fig, 11 and 12 ersehen, welche un» eine junge Maurin aus Algier
imd ein Paar MMebeu aus Massaua in Abyasinien vorführen. Auch eine jugendliche
P^noii am der Sahara und swar aus Biskra (Fig, 13) lä^st die gleiche Eigenthümliobkeit
er^MiBflsi. Ebenso findet sie sich auch bei einer jungen Samoanerin, deren Photographie
l>r« Hmmdif aufgenommen hat. In Fig. 14 gebe ich das Portrait einer jungen JaTanin.
an wdcbar Axts gleiche Verhalten zu sehen iat. Es scheint daher in Wirklichkeit über den
gmftt€ii EnUcreiM verbreitet %\i eein.
Pdul hdridi bat sich der Mübe unterzogen, sämmtlicbe anatomischen Eigenth&mlich-
k«tMi d«i äehädfll», welche bei dem weiblichen Geschlecht t^ich andere Terhalten sollen als
Iwi djun ^' lier genauen Nachprüfung an G85 Mlumerschädeln und 405 Weiber-
Ja r. . Kr hat f.n diesen Untersuchungen ansBchlieslich nur solche Schädel
et» aber dtifidii UeMchlecht kein Zweifel bestand. Dabei kommt er eu dem Ergebnis!,
h ->ii -rri-Mn m
ilBto
L Die anthropologische Atiffas&u&g dm Weihes.
da^s alle etwa anzuerkennenden Unterschiede nicht aosnahmglos bei allen Sch&deln Daohg
wiesen werden können^ sondern da$$ dieselben nnr an der Mehrzahl derselben su heobaohl
sind, Da nun aber von diesen aufgestellten Normen sich bald geringere, bald gHSaser» A^
nahmen erweisen, so muss eine sichere Diagnose irgend Miies Schädels in Besag auf*
Geschlecht zur Zeit für unmöglich erklärt werden. Dabei leugnet er aber nichi» diwa '
fahren« Untersuoher höchst wahxBcheinlicb in der Mehrzahl der Fälle eine licbtige Diftgaa
stellen werden.
18
I. Die anthropologische AnfTaasung des Weibes.
schlecht bedingt. Die Weiber haben ausserdem ein absolut und relativ kleineres Geeicht und
einen geringeren Durchmesser des Schädels; die Indices des letzteren scheinen sich dagegen
bei beiden Geschlechtern wechselnd zu verhalten. Alle diese Differenzen beruhen auf der
geringeren Grösse des Weibes; jedoch findet die geringere Mächtigkeit des Gebisses, der mehr
zugespitzte Zahnbogen, die geringere Ausbildung der Glabella und der Augenbrauenbögen
und das Ueberwiegen des Sagittaltheiles des Schädels Aber die Basis beim Weibe durch diesen
Umstand keine Erklärung.
Eine Reihe von anderen Merkmalen, aus denen verschiedene Autoren den männlichen
oder weiblichen Schädel diagnosticiren wollten, hat Paul Bartels als nicht hinreichend sicher
erfunden. Ich kann dieselben hier übergehen. Auch glaubt er, dass ein zu geringes ße-
obachtungsmaterial leicht Unterschiede vortäuschen könne, die bei einem reicheren Zuflieasen
desselben sich als nicht stichhaltig erweisen würden. Darum kann man eine Eigenschaft als
einen Geschlechtscharakter nur dann anerkennen, wenn eine Täuschung durch das Material
und die Zahlen ausgeschlossen ist und wenn sie sich in übereinstimmender Weise bei allen
untersuchten Völkern durchgehends findet.
Nach Batike ist das weibliche Ohr feiner modellirt und es zeigt weniger Abweichungen
vom allgemeinen Formentypus als das männliche.
Einen ganz besonders augenfälligen Unterschied zwischen dem männlichen und dem weib*
liehen Geschlechte finden wir an dem knöchernen Becken. Das kni^'sheme Becken desselben
ist nicht allein breiter als das des Mannes, man vergleiche Fig. 15 und 16, sondern es stehen
auch in Folge dieser grösseren Breite die Gelenkpfannen weiter aus einander. Hiermit ist
femer eine grössere Convergenz der Oberschenkelknochen gegen das Knie hin verbunden; eine
entsprechende Divergenz der Unterschenkel gegen die Füsse hin compensirt wiederum diese
Stellung und Richtung der Oberschenkelknochen und verleiht dem Körper die erforderliche
Stetigkeit. Der ganze Bau des Beckens macht das Weib zum Gebären geeignet.
Fig. 15. Die Oesclilechtsanterschiede am knöchernen Becken (nach Hoffmann),
Weiblich. Männlich.
Luschka sagt: «Die Beckenregion bietet, auch wenn wir von den an ihre Aussenseiten
geknüpften Sexualorganen vorerst absehen , nicht geringe , ihren Gesammthabiius betreffende
Geschlechtsunterschiede dar, welche innig mit der Art der Antbeilnahme am Gattungs-
loben zusammenhängen. Beim Manne wird der Raum des Beckens nur in höchst beschränktem
Maasse durch das Volumen und die Thätigkeit der Geschlechtswerkzeuge in Anspruch ge-
nommen, indem sie grösstentheils nach aussen von ihm verlegt und nur ganz vorübergehend
beim Geschäfte der Fortpflanzung interessirt sind. Damit steht es im Einklänge, dass sein
Gebiet auch äusserlich einen beschränkteren Umfang besitzt, der sich zunächst in einer ge-
ringeren Hüftenbreite und in einer nach allen Seiten hin viel schwächeren Wölbung und
Abrundung bemerklich macht. Dieses Verhältniss kommt um so stärker zur Ausprägung, als
beim kräftig entwickelten männlichen Typus eine bedeutende, auf einen gössen Brustumfang
hinweisende Schulterbreite damit concurrirt, wodurch gleichsam das Ueberwiegen des indivi-
duellen über das Gattungsleben ausgedrückt wird.*
,Nach einem wesentlich anderen Maassstabe ist beim Weibe das Becken aufgebaut,
indem dieses nicht allein zahlreichere und theilweise einer beträchtlichen Vergrösserung unter-
3. Die secnndären GeschlechUcharaktere bei den europäischen Weibern.
19
liegende Eingeweide zu beherbergen hat, sondern auch darauf angelegt sein mnss, der volu-
minösen reifen Leibesfrucht den Durchgang durch seine Höhle zu gestatten. Das ihm ent-
sprechende Gebiet ist demgem&ss durch einen viel grösseren Umfang charakterisirt, welcher
namentlich in der Quere, aber auch in der Richtung von vorn nach hinten sehr vorwiegt,
dagegen in den Höhendimensionen im Vergleiche zum männlichen Becken nicht wenig zu-
rflckiteht. Die gegen die Protuberantiae trochantericae in viel höherem Grade zunehmende
Hüftenbreite verjüngt sich am schön gebauten Frauenkörper nach oben fast plötzlich in eine
schlanke Taille, während sie am seitlichen Umfang nach abwärts unmerklich in die ausser-
ordentlich dicken, abgerundeten und stark convergirenden Oberschenkel übergeht. Die weib-
liche Beckenregion ist nach allen Seiten hin auffallend stark gewölbt, was nicht allein in
gewissen Skelettverhältnissen, sondern auch darin begründet ist, dass die Muskulatur auf einen
verhältnissmässig kürzeren Raum zusammengedrängt und von einem überall mächtigeren Fett-
polster umgeben wird."
Fig. 16. Die Oeschlechtsanterschiede am knöchernen Becken (nach Koffmann).
Weiblich (von oben gesehen). Männlich (von oben gesehen).
Hennig^ äussert sich über das kindliche Becken folgendermaasson :
«Die Darmbeinschaufeln, deren Wölbung später das Charakteristische des Frauenbeckens
ausmachen hilft, sind bei neugeborenen Mädchen noch knabenartig steil. Das Geräumigere
des weiblichen kleinen Beckens ist zunächst in der Vorderwand angelegt (breitere Schooss-
fnge, mehr abgerundetes, ausgeschweiftes Sitzbein); die Hinterwand ist zunächst beim Knaben
breiter wegen der von vom herein kräftiger angelegten Wirbelsäule. Im siobonten Lebens-
jahre erst verbreitert sich das weibliche Kreuzbein und ist der Hauptträger der wichtigen,
die Europäerin so vortheilhaft auszeichnenden Querspannung des Beckengürtels.'
Die Geschlechtsdilferenz am knöchernen Becken schildert Hartmann^ mit folgenden
Worten:
«Die Geschlechtsverschiedenheiten des Beckens bilden sich erst mit der Pubertätsent-
wickelung aus. Manchmal verzögert sich die Ausbildung der typischen Charaktere des weib-
lichen Beckens bis zur ersten Schwangerschaft. Letzteres Becken ist nun niedriger und weiter
als das männliche. Seine Darmbeinschaufeln sind flacher, weniger tief ausgehöhlt, wogegen
diejenigen des Mannes steiler sind, oben und innen mehr wie ausgegraben ei-scheinen. Der
weibliche Beckeneingang ist grösser, der gerade Durchmesser desselben ist länger. Diese
Oeffhnng ist beim Weibe quer-elliptisch, beim Manne dagegen kartenherzförmig. Das weib-
liche Kreuzbein ist breiter, vom weniger concav. Das Promontorium springt weniger stark
vor, die Spitse des Sacrum springt mehr zurück. Das Steissbein des Weibes ist beweglicher
all das männliche. Am weiblichen Becken weichen die absteigenden Sitzbeinäste mehr nach
aoseen, wogegen dieselben beim Manne steiler niederwärts ziehen. Die weibliche Beckenhöhle
ist weiter. Die Tubera ischii des Weibes stehen dann auch weiter von einander entfemt.
Sitzbeine und Schambeine bilden am weiblichen Becken stumpfere, am männlichen dagegen
spitzere Winkel, so dass der Schambogen am ersteren sich erweitert. Der Fugenknorpel (Sym-
physe) an den weiblichen Schambeinen ist niedriger und dicker, an den männlichen höher
nnd dünner. Der weibliche Beckenausgang ist grösser als der männliche. Die Abstände der
Pfannen des weiteren weiblichen Beckens sind grösser als an dem engeren männlichen gleich-
artigen Knochengebilde. Das weibliche Foramen obturatorium ist breiter und elliptisch, das
20
L Die anthropologische Auffassung des Weibes.
männliche aber ist enger und dreieckig. Alle Knorpel und Bänder des Weiberbeckene and
dehnbarer als die des männlichen.*
Besonders genaue Angaben über diesen Gegenstand verdanken wir dem französischen
Anatomen Sappey; sie mOgen ausführlich hier ihre Stelle finden.
,Du bassin comparö dans les deux sezes.
a. Diff^rencefi relatives äTöpaisseur des parois, auz bords et anx saillies
de la cavit^ pelvienne. Sous ce triple point de vue le bassin de Thomme Temperte sur
celui de la femme. L'observation noos
montre que chez lui la charpente osseose
est plus fortement constitu^. Le sacnun
et les 08 de la hauche n*^happent pas k
la loi g^nörale: lour partie centrale, lenis
bords, leurs angles, toutes les apophjtes
qui les surmontent, diffi^nt tr^-sensible-
ment dans les deux sexes. A leur centre,
les fosses iliaques deviennent si minoes
dans le seze feminin, qu*elles sont trans-
parentes, döpressibles, et parfois perfo-
r^es: le corps des pubis, les branches
ischio-pubiennes, sont aussi beaucoup plus
aplatis; la circonförence supMeure et la
circonf^rence införieure du bassin sont
plus minces, les saillies osseuses sont plus
petites. Dans le seze masculin les os qui
forment cette cavit^, les os iliaques surtout,
sont plus volumineuz, plus solides et plus
lourds. Vojez chez lui Töpaisseur des
erstes iliaques; comparez chez Tun et
Tautre les ^pines de ce nom, les tubäro-
Sites iliaques, les tubörosit^s de rischion,
le bord interne des branches ischio-pubi-
ennes, les angles des pubis et leur brauche
horizontale: d'un cöt^ se pr^ntent des
bords et des saillies qui dönotent un Sys-
teme musculaire faible; de Tautre, des
bords epais et des saillies volumineuses
qui annoncent des musdes plus puisaants.
Le bassin, se trouvant en rapport dans
chacun d*euz avec les mßmes muscles, et
donnantattache auz mSmes tendons, devait
präsenter, et pr^nte en effet toutes les
diff^rences qui d^coulent de Tinög^ d^e-
loppement de Tappareil locomoteur dans
les deax sezes. **
,b. Difförences relatives ^Tin-
clinaison du bassin. Nous avonsvu:
10 qne cette inclinaison est mesur^ par
Tangle que forme le plan de chaque d4-
troit avec un plan horizontal prolong^ de
la partie inf^rieure de ceuz-ci vers le sac-
rum; 2^ que cet angle chez la femme est
de 10 ä 11 degres pour le dötroit inf6-
rieur, et de 60 pour le d^troit supörieur.
Naegele, auquel la science est redevable
de ces deuz evaluations fond^es sur des
donnees precises et tr^-nombreuses, n'a pas ^tendu ses recherches au seze masculin.*
,Les fr^res Weber considärent Finclinaison du d^troit sup^rieur comme k peu pr^ ^gale
dans les deuz sezes. L*observation me semble au contraire etablir qu*elle est un peu moindre
chez rhomme. Pour obtenir des r^ltats comparatifs, j'ai suspendu contre un mur vertic«!
des troncs appartenants k Tun et k Tantre seze; puis abaissant jusqn^au mar une ligne hon-
Fig. 17. Skelett eines Mannes. (Nach 7- Cioquet.)
Die seoundlLreii Gflscblechtscharaktere bei den europ&iBcben Weibern.
sootal« qui rmmdl la sympbyse de« pubb et qai iraTerBoii le sacruin, j*ai mesure Tangle qne
forauui ceito tige nvec le diamf^ire flocro-pubien: il a rtme^ pour hi femme, de 54 A 6^ degres;
•i ponr llunttnie^ de 49 ii 60. II serait done, en moyenne, de 58 degres poor l*une, et de 54
povr rantro. Mes recbercbes, it est vrai, n'ont porte que mir six hommes et autant de femmes.
ün ]>ttM gnuid nombre d'observationa serait peiit>^ire ndoeuaire pour r^soudre cette qnesiion
iTuam mani^re ngoureuse et deünitive.*
yC* Differences relatives aux dimenaions du bassin. Cbe% la femme, le diar
tiMrtro ^ienda de l'une h
Taxitf« ctM« iilaque eet plo«
long qu« ebaz [liomme;
mm» oeJiii qni se port« de
la eröte iliaqne » la tubero-
cii^ de riiühion eai plan
cotirt, Le<idimeiiftioii«tranB-
rfirtaie» comparees dans let»
deox msm ditTerent en
moji»fii>i! de 5 inillimiNtres
•etilea}«iit , et Icss Terttailea
fU 10 a 15. C« qae le sßjte
niai^ttlta pord du c6te de
la larg«tuv il le retrouve
HC, et ao delä^ du edt^
\m bttütiiur.*
•QnaT^* t"- ■< "lension»
aUro - f . eile«
DOlaila«! un{>ri] |Ptu»Coniri-
difitmblai obos la femme, ii
Tun edndd^re sealement
reica^alioo pfllvtenne ; niaiii
iiaiin oi&ent
rdantleaexe
iBMCiiiiA ', «i c>ette diJf^renoe
d*iyai«Nnir compenee la
dcffifimca dm eapacit^/
«De Im pr^d&minance
n^Rjiioti^ Uaiuvonuile«
i feniine di^coute tonte
de dißerencee le-
I. Le detroit tiip6-
«'&Uoogeant duus le
I Miu« band ^ pri^ndre
^allii uni; tigure ellip-
La bramche bori^^OD*
ite dei pttbiti t^lafit plili
lüSgU», h» CÄV lot-
dm »ont plui ^ les
iltva fömoraJei pluä tloig-
mim^ Im girnndi trocbaniers
|diu eaiJlanitf, \m f^murs
plaa oblique« f le« genonx
ploi mpprocb^a. De r<^oar-
teoMctt d«t grand« troeban-
itn rteilte. ponr ce äeze,
OB nado de d^ambulation pariicuH^re dont quelques anteurs oni donne ane idee vmie, maii
«iag«r^, en le comparanl a celui des palmip^dee.*
»d. Difff^rences rolatives k la conftgaration. Pannt cea difiP^rence«, les unes
«e ralLacbent au grand ba«ssin, les autres au petit basstxu*
«Le grand baantü est trea^^vaa^ dans le s«ze feminin; lei foaies iliaques sont 6i
«rftee lUaiqQeii dtget^^en en debors et peu «inuease«. iMn« le «exe mavculiii. loi toi
momi plo« eoüCATee; lee crOtes de ce nom ploa contoom^ et ploi reler6eM/
Fig, l^, Skelett eint» Weibos.
3. Die second&ren Geschlechtscharaktere bei den europäischen Weibern.
23
,La coiase est plus longne chez Thomme que chez la femme de trois centimetres. Cette
diffi§rence est doe en partie k la direction du pli de Tatne qui est rectiligne et afacendant
•chei Ton, curviligne et non-ascendant chez Tautre dans la moiti^ interne de son trajet, d'oü
11 suit que dans le sexe masculin le milieu du pli est presque toujours plus ^lev^ que la
Symphyse pubienne, tandis que dans le sexe feminin ce milieu et la Symphyse sont situ^s
8ur le mßme plan.*
Waldeyer^ sagt in seiner soeben erschienenen Monographie: «Das Becken des Weibes
ist niedriger und geräumiger, seine Darmbeinschaufeln liegen flacher, der Schambeinwinkel
ist erheblich grösser, mehr einem Bogen als einem Winkel gleich. '^ Die Geschlechtsunterschiede
am Becken stellt er in folgender Tabelle zusammen:
Beckentheil
Mann
Weib
Kreuzbein
relativ schmäler;
relativ breiter.
Kreuzbein-
Krümmung
im ganzen stärker;
im ganzen geringer, im oberen Ab-
schnitte jedoch etwas stärker.
Promontorium
stärker vorspringend;
weniger vorspringend.
Steisibein
häufiger 5Wirbel ; dieVerknöcherung
der Synchondrosen tritt früher ein ;
häufiger 4 Wirbel; die Synchondrosen
bleiben länger erhalten.
Symphyse
höher; bei Neugeborenen schmäler
als hoch oder gleich;
niedriger; bei Neugeborenen breiter
als hoch.
Gelenkspalt
seltener;
häufiger.
Angulus pubis
steiler (70— 70,95 <^) , mehr einem
Winkel gleich, Angulus pubis;
weniger steil (90— 100 <^), mehr einem
Bogen gleich, Arcus pubis.
Tubercnla pubica
näher beisammen;
weiter abstehend.
Ansätze der Mus-
culi graciles
näher beisammen;
weiter von einander abstehend.
Rami inferiores
oasis pubis
mehr gerade laufend;
nach aussen (vom) umgeleg^.
Foramen obtu-
ratorium
höher, mehr eiförmig, Canalis obtu-
ratorius enger;
niedriger, fast dreieckig, Canalis
obturatorius weiter.
Ol ilium
steiler gestellt, höher, schmäler;
Neigung der vorderen Ränder bei-
der Ossa ilium gegen einander
— 530-
weniger steil gestellt, niedriger,
breiter; Neigung gegen einander
= 500.
Cristae iliacae
dicker, rauher;
schmäler, weniger rauh.
Acetabula
näher beisammen, weniger nach
vom schauend;
weiter aus einander stehend, mehr
nach vom schauend.
Eingang zum
kleinen Becken
mehr dolichopelisch , Querdurch-
messer geringer (geringere Quer-
spannung) ;
mehr platypelisch, Querdurchmesser
grösser (grössere Querspannung).
Beckenausgang
schmäler, Kreuzbein und Steissbein
mehr vortretend, Tubera ischi-
adica einander näher stehend;
breiter, Kreuzbein und Steissbein
mehr zurücktretend, Tubera ischi-
adica weiter von einander ab-
stehend.
Beckenhöhle
im ganzen enger und höher, nach
unten mehr trichterförmig ge-
staltet;
im ganzen weiter und niedriger,
nicht merkbar trichterförmig.
Indsura ischiadica
major
niedriger, mehr oval geformt;
höher, mehr rundlich geformt.
Das Femur, der Oberschenkelknochen berührt mit dem obersten Ende seines
Sdufcftet nicht unmittelbar die Beckenknochen; aus der medialen Seitenfläche dieses obersten
24
I. Die aotbropola^pftche Atifftiastitig des Weibes.
Endes entwickelt «ich vietmelir ein aeitb'cher^ starker Knochenfort«&tz, der sogouBBle
Scbenkelbalfl, welcher in den kugeligen Schenkelkopf ausläuft. Dieser Letztere ist ei. der dw
Verbindung des Schenkels mit dem Becken horatellt. Er wird durch bestimmte Finder-
Apparate in der Gelenkpfanne des ßeckeos festgehalten und vermittelt die Bewegungen,
welche wir mit unseren Beinen gegen den Rumpf hin auszuführen vermögen. An dc^m
8eUenkelhaläe sind wir im Stande^ einen h5chBt belaogreichen secundtlren Ciescblecbt^charukter
festzustellen. Die Längsachse des Schenkelhalses bildet nämlich mit derjenigen des Ohti'
Bcbenkelschaftes bei dem weiblichen Geschlechte beinahe einen rechten Winkel^ w&brend an
dem männlichen Femur dieser Winkel ein stumpfer ist. Bei den Milnnem i^t daher der
Schenkelhals bedeutend scbriiger nach oben gerichtet als bei den Weibern. Dieter n^ctindär«
Geschlechtscbarakter hat vielfach bei archuolog'ischen Forschungen seine i - ' '^ Bedeutung
gefunden. Denn bei der Aufdeckung von vorgeschichtlichen oder frühg tien Skelett-
gräbem ist es wiederholentlich mOgUch gewesen, auf dieaes anatomische MtnKmai gostAtxt ein«
sichere Entscheidung zu treffen, ob die hier Bestatteten Männer oder Weiber goweeea sind.
Um diese Verb^ütniase «ur Anschauung tu bringen^ führe ich in Fig. 17 das Hkelett
eines krUO-igen aSjährigen Mannes und in Fig. 18 darjenige dner gut entwickelten Frau im
Flg. 20. KUgend« Europäerin. rN»ch Photographie^
Alier von 22 Jahren vor. Beides sind h5cbst wahrscheinlich Franzosen, Die AbbiUiungen
sind dem grossen anatomischen Werke van Julfji ('loquet entnommen.
Diese anatomische Eigenthümlichkeit, dasa der Schenkelhals beim Weihe dem Ober^
schenke Iknochen fast rechtwinklig angefügt ist^ wilhrend er beim Manne, wie genagt, rlnen
stumpfen Winkel bildet^ bedingt es nun auch wiederum, dass die seitlichste Partie von der
obersten Abtheilung des Obenchenkek beim Weibe weiter nach aussen von der Mitt^Tlinii»
des Körpers liogt^ als beim Manne, und hierin habon wir eine fernere Ursache ? <n,
warum die MJlnner von dem weiblichen Geschlecht in der Hf^ftbreite übertrotfen wf i ch
alle diese vom Becken sowohl, als auch am Obertchenkol rten Eigenthi; 'i^a
erkllirt es sich nun aber auch, das« bei den normal ontv. i Weibern der • h*
iueM6r ihrer [lüften dt^njentgen ilirer Schultern zu ilbertreüen pSegt, wZLhrend bei dßn
Mdooern gerade umgekehrt, die SchuUerbreite beträchtlicher als die Breite der llüflon ist.
Wir sehen dieses gut an dem jungen norddeutschen Mädchen, das in Fig. 19 vorgeführt {
wiVrl Auch die junge Europfierin in Fig. 20 l2l»t die«e VerhilUui»se deutlich erkennen.
vVeun ein Weib die Beine so an einander stellt, dass das Knie und der Uackeii dar
ftin»'n Seite die entspr^ ^ ^^ ^ n Partien der anderen Seite ^^ ' . />i * rr^l-
jKhall eine schrägen^ annehmen als bei einem Mi< iL
Daraus resultirt für aiu Wnb ein geringer Grad von ph)>iiJiogi!?cijHr A-tiemii^k^
3. Die secund&nn CrMcblecbtecbaraktero bei den earop&tscben Weibern.
25
ileli BOdb •t«ig«rt, wenn dae Knie in leichter Beugung vorwilrts geschoben wird, wie wir das
1%. 21 neben können. x\ueli wenn man radelnde Damen von Torn betrachtet, lä^ftt sich
mw Verholten dentlich erkermen.
Nsich Fchlinff boU die Weiblichkeit am Becken sich bereits in sehr früher Zeit im
i^enrleibe untiingen geltend zu machen, nämlich schon in derjenigen Entwickelungsperiode.
ekexi zu verkn5chem he-
Die Haut dee Weibes iit in
meuten FlUlen xarter tmd feiner
fvad g«wrjbnlieh auch am einen Far-
die iJumn^irinTieu-
IH« JtfJLnner der Tächnkt-
•efafo biiben« wie r. Nordenskjtyid
ikii^ «ine braune Haut, wUhrend
lat htti den jungen Tschnkt-
kn . Woibem nahezu ebenso weiss
rifitli, wie bei den Kuropöern
Ihirch ilh'5P ^.'*.s^erti Feinheit
tliö vosi-
^ eben Ge-
eetilecliU}« wnkhe iladurcb hervorge-
^rnt'ier^ *Ä»*r1,n .fn-i| cJa9 Blut lU dem
der Haut durch
.... u;iiitdecken der Kran
lundurchwshimmern kann,
dem Manne. Boi «lein
► «iiiü bekenn tJ ich viele Stell hti
I ' vr Hä»e mehr
vanig^r uirt, wahrend
Ideioon« Jcüiüu VVollharchen
pint ntilrrj^ennlneie Holle Kpie-
"kehrt i»^t das l>««i
^ schlecht, wo nicht
Woii bäreben namentlich
aten KOrpervtellent wie an
Fiiiigtm)^ dem Hacken, den Vor-
und den Unterechenkeln
didbten Flaum bilden und
r Ahn! ich in Btärkerer Aus-
m Blondinen al« bei Brü-
%r
n.
OetcbleebtaTerschiedenheiten in
Amt Babaarung treten nach Wal-
imftr , bereit« im Kindesalter ituF;
imiier erreicbt hier in iK
wAcu da* Kopfhaar der
eiaa grOwore Länge als dtü« Jor
KnabeB« auch wenn das üoar der
lertsierea nn len bliebe.
Viy&im Uaienci bt das ganze
htAtmtk hindurch bestehen. Die durch-
fcliBiiiHcbe tjpincbe Länge dos
Frauenko[»niaare« bolliuft BJch auf 58
■ b^ '- " ^ '*"" 'IHncttJfJ, Meinen Meteungen
rid auch die einxelneu Haupthaare der Frauen durcbicbniitlich etwaa dicker als die
"il^.r ,tiiuin*4>r, wenigtteuji in Deutschland, Die Behaarung dei weiblichen Körpers ist nie
•o am£atigr«icb ali die des männlichen. Das F r auenacha mbaor bleibt immer kärger« ttebt
dkhief, und, wie meine Mewungen ergeben haben, emtcbea die «inselnen Haare dttrcb-
Fig, 21, Die X-Beinslellm»^ iUui Weibes Jmi titiK :
(waJinMjJieinlicb Wienerin), {ü%ch Pbou^üi
'jell!«
26
L Die anthropologische AuffasHung des We
ichaitilich eine grössere Dicke, Hier stehe ich in UehereinsiitnmQitg luii Pfüff, ilocb llii4o
ich den durchschnittlichen unterschied nicht so hoträchtlich wie Ff äff* der das MSlnnencliAiti-
hoar z\x 0,11 mm, das Weiberschanihaar zu 0,15 mm angiebt.* Äla eine Stelle, welche beiiii
Manne bisweilen, beim Weibe niemals Behaarung trügt, muss die noch zur Schnltergogmid
gehörige oberste, seitliche Abtheilung der Oberarme bezeichnet werden.
Eine ganz bedeutende Rolle in dem ErnäbrungÄprocess des Körpers spielt die Fett-
hildung. Wöhrend nun da« männliche Geschlecht binyichtlich der Ernährung mehr ?n einw
kraftigen Entwickelung des Knochen- und Muskels} stema neigt zeigt das weiblicli 4it
häufiger eine reichliche Anlagerung von Fett, dessen Yertheilung am Körper die w^fo
Formen giebt. Diese Rundung trägt ohne Zweifel dann, wenn sie in den normalen Grenzen
sich zeigt, stets dazu hei, dass uns die Formen der weiblichen Gestalt als schön, d. h. dem
Ideale weiblicher Schönheit möglichst entsprechend, erscheinen. Dagegen haben filr uns alle
jene weiblichen Figuren etwas besonders Abstossendes, welche durch aUzugro&^o Magerkeit
die Rundung der Formen vermissen lassen; dies kommt besonders bei den Weibern ver-
schiedener Völker schon in einem Alter vor^ wo bei uns das Weib im Allgemeinen noch
einer gewissen Blüthe sich erfrent Hierhergehören zumal die Hottentottinnen, auch dia
Australierinnen und andere* Dagegen giebt es Völker, bei welchen eine übermHuig« Er-
sceugung von Fett am gesammteu weiblichen Kllrper
etwas ganz Gewöhnliches ist, und die auch dieso
Üeberproduction zu fordern suchen (Neger nnd
einige orientalische Völker), und bei noch an-
deren Nationen (namentlich in Afrika) icetcbnet «ich
der weibliche Körper durch AnsammJnng von F<^t*
massen an gewissen Theilen aus.
In der normalen Entwickelung des ünterlmQi>
fettes haben wir einen wichtigen secnndämn G#*
äcblechtscharakter bei dem weiblichen Oeschl^chto
7,ü erkennen. Die Fülle des Nackens, der Schultern
und des Busens, die Hügel der Brüste, die Hundtuig
der Hinterbacken und der KxtremitAten verdanken
wesentlich ihm die Entstehung. (Man sehe Fig. 20.)
Im Verlaufe dieser Arbeit werde ich noch mandiM
Beispiel bierfür anzogeben haben; und von den
Bi-üaten und der Becken region wird noch ausfflKr»
lieh gehandelt werden. Es ist aber auch wesentlich
das Unterbau tfett, welches die Form der Knioo bei
den Mädchen und Frauen so ganz anders erschoinen
lässt, als bei den Männern, wie dies da« ICafftr^
mitdchen in Figur 22 erkennen IS??;!. Aber atioli
die massige Rundung und : 'loatale
Dicke des weiblichen Obi r ceirea
dos Knie hin bötrJichtlich verjüngt, ver m
Unterhttutfelt ihre Entstehung. Fig. 2;^. ._tar
ein Beispiel an. Es ist ein Maler mod eil, das wahr*
scheinlich aus Wien stammt. Gerade in i*^^ ' m^-^.
ruog in der Hilngemattc kommt diese oi-
^* • • — • K.-j lichkeit des weiblichen OberschankeU so ivtui ucat-
Üoh zur Anschauung.
Es kann wohl femer als bekannt voii i werden, dass di6 gtsammte Mu9C\j*
Imtur dt*8 Weiboa eine minder krftftige Eni ^ zeigt, als dies heim Manne der Fall
ist; das hat tur Folge, das» die Bewegungen uuki:Llt ' ^
lieber und feiner, her üant^' *\^n W^'ibey ist mehr ^m
^«, 22. 1>W T
aod Knk
Laufi^ehritt ist das Weib
nische Kfnrj^'btnnjr dei
«chwinti
auch <4i
nichts :
tatur d'
wAhiand lie bei dem erwachsenen, InUftig-on
ndt ai» der Mann, und
i» dem w.
^ \Veil>e>'
ey€r}j W&gi
on Wwbes noc
V.
Die seoundiLreG GeschlechUcbaraktare am Gehirs der enropSiaclien Weiber.
27
GtiiAiamtiiiuacitlatur; beim Manne aber überwiegt procentisch die Mnsculatur der Arme, beim
Weibe diejenige dor Zunge. fWahietjer.^)
Aij» dienern VerhÄlten der Mueculatur reaultiren aber «ehr merlüicbe Unterecbiede an
deo !" heil en. ßekannterma&ssen bemerken wir an den Knocben absonderliche knotige
Veril Fortaatie, Leisten und Yorsprünge. Diese sind es, die die Anfügung der Muskeln
nad ibrer hehnen an die Knochen vermitteln, und aie sind um so beträchtlicher und um so
Ifer» je stärker entwickelt die Musculatur ist Das ist der Ürund, warum sie bei dein
irtibUcben Geechlechte erheblich kleiner und unbedeutender Find, als bei dem männlichen,
Aocb in den Functionen der inneren Organe walten groase Differensen. Was die
T'trdaiiiing betrifft, so hat die Fran geringere Neigung, Nahrung aufzunehmen; eie kann Hunger
nd Dwnt leichter ortragen. Das Her» und die Blutgeföase eind im männlichen Körper gröager,
reit^r nnd dickwandiger als im weiblichen. ,In runden Ziffern ausgedrückt, hat der Mann
Itiietn Cubikmillimeter Blut 5000000 rothe Blutkörperchen» das Weib nur 4500000. Das
Itcbe Gewicht des weiblichen Blutes ist geringer; die relative Blotmenge bei beiden Oe-
■ ich, doch müssen hier noch weitere Untersuchungen angestellt werden.
£ft *r i nrchen den Körpergeweben den zum Leben noth wendigen Sauerstoff
i&u, *o UucLut die Wichtigkeit dioees Geachlecbtsunterscb jedes ohne Weiteres ein.'
%V Die Blutbtldung scheint im Weibe rascher stattzufinden; daher erträgt es groase
Hvtvvrlotta lieii^ri aJs der Mann, und ersetzt auch das verlorene Blut raecher.
» 9L Die Remlunf dt^r wf^MilicIien (iliedmaa&seu >j«I «Itier BoropieTin.
üiwch Photogtmphie.)
WmMhaeh^ ermittelte die Häufigkeit dee Pulses bei einer grösseren Zahl von Völkern
nd« dasi die PulÄfrequen» beim Banne bin »u 8i» beim Weibe bis la 94 Schlägen in
lin iti« betragen kann.
0«r scbnelicnre Puls bei dem Weibe enlq>richt seiner reizbareren Natur, der Pulsuntor-
beM4rt 10 bi« H Schläge in der >1inutc. Bei gleicher Körpergrösi^e hat die weibliche
tmigtt \i L}t«r weniger Capacität als die männliche. Nach Scharling verbraucht ein Mädchen
10 Jahren in 24 »Stunden per kg 0.22 gr, ein Ojäbriger Knabe 0,25 gr Kohlenstoff.
O^wiuo Differenzen in Gewicht und Grösse einzelner Organe bei beiden Ge-
hlechiem fand B^neckt: Bei Männern übertrifft da^ Volumen der Longen jenes der Leber; bei
iiMB «ber iit das Umgekehrte der Fall; femer seigte sich bei Männern das Volumen beider
liereB k'*^ ^ ^ ^ des Herzens, Frauen aber erwiesen das Gö^eatheil.
Dir irn blase ist breiter aU diejenige der Männer, namentlich in ihrem
oberen Thniie; 4;iiin i^^t sie aber von vom nach hinten mehr verengt. Ihre Capacität ist
ftlüoliit geringer, a^ die der männlichen. Ji\ JJoffmann fand dieselbe im Mittel bei 52 lebenden
Wfibem «a ^50 ccm, bei 74 lebenden Männern tu 710 ccm; bei 86 weiblichen Leichen be-
tni|f »M* ^<*<> **em und bei lOö männlichen Leichen 735 ccm,
4, Dil- Mruudaren Gesiclilechtecharafctere am Gehirn der europäischen Wei^r
Unter ikllun inneren Organen nimmt das Gehirn die hervorragendste Stelle ein
wmieiiÜicber Bedeutung »eheinen mir dskher die Befunde über Zu* und Abnahme rjr
28
I. Die anthropologische Auffassung des Weibes.
gewichte in verschiedenen Altersperioden zu sein. Schon im Jahre 1861 hatte Soyd das
Gewicht von 2000 Gehirnen im Hospital von St. Marylebone je nach dem Geechlechte
verglichen, wobei er fand, dass durchschnittlich das Gehirn im Alter von 7 — 14 Jahren bei
Knaben 1622, bei Mädchen 1478 ge wog; allein von da an erreichte das weibliche Oehim
schon im 20. — 80. Jahre sein Maximalgewicht (1565 gr), das m&nnliche erst im 30.— 40. Jahre
(1721 gr). Bei beiden Geschlechtem nimmt nun von diesem Maximum an das (}ehim-Gewicht
mit jedem Jahrzehnt bis zum 60. Jahre ab, und zeigt nur im Alter von 60 — 70 Jahren ein
zweites Ansteigen, und zwar bei Frauen in stärkerem Maasse als bei Männern. Eine Hypo-
these über den Grund und die Folgen dieser Differenzen aufzustellen, scheint mir nicht an
der Zeit zu sein.
Topinard sagt: ,Ici, chez la femme, il est confirm^ par les chiffires de Broca et Bitehoff
r^unis, que la femme souffre plus que Thomme d'un accroissement excessif et rapide du cerveaa
avant vingt ans. Ce maximum precoce est mSme si 61ev^ dans la courbe g^n^rale, qn*on n*en
retrouve pas de second k lui opposer plus tard. Doit-on en tirer cette consdquence que le
cerveau feminin doit §tre trait^ avec des pröcautions toutes particuli^res et qu'il ne r^sisterait
pas par cons^uent ä une ^ducation d^passant ses forces c^r^brales?*
Er steUt dann folgende interessante Tabelle zusammen, ans welcher der Unterschied
zwischen den männlichen und weiblichen Gehirnen ersichtlich wird:
Autor
es «
NO
I I
Autor
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^
31
i|
1
|£|
1
1
1
82
1203
374
1176
1 99
1175
422
1178
• 50
1157
' 85
1111
i
a ä
e ? 8
5 *
Gehirngewicht von '
20—60 Jahren. '
■I
Broca (durchgesehene
Liste Wagners) , 77
Boyd (Engländer) i 870
Thumam (Verschiedene)! 536
Bischoff 272
Peacock (Schotten) n 89
Welckei' ;258
Broca-Bischoff-Boyd ,698
1244
1221
1233
1227
1275
1247
1211
1195
Von 60—90 Jahren.
Broca (durchgesehene
Liste Wagners)
Boyd (Engländer)
Wekker
Thumam (Verschiedene)
Bischoff
Broca (Register) . . .
-126gr
— 133 ,
-138 .
-141 .
— 142 ,
-143 ,
— 150 ,
— 164 ,
20—60 Jahren hat
— 123gr
— 124 .
— 125 ,
— 131 ,
— 150 ,
— 158 .
also 126—164 gr, im Alter von
Broca (Register) j 51
Das Weib im Alter von
60—90 Jahren 123 — 158 gr weniger als der Mann.
Browne hat 945 Männer und 655 Weiber auf ihr Gehimge wicht untersucht Die
Männer hatten im Mittel eine Körpergrösse von 1,7 Meter und die Weiber von 1,5 Meter.
Das Gehirn der Männer wog im Durchschnitt 1350 Gramm, hingegen dasjenige der Weiber
nur 1222 Gramm. Auch wenn man die Unterschiede in der KörpergrOsse mit in Berechnung
zog, so war das männliche Gehirn noch immer 29,71 Gramm schwerer als das weibliche.
Ueber die ausserordentlich wichtigen Unterschiede, welche sich schon während des
embryonalen Lebens an den Gehirnen der beiden Geschlechter erkennen und nachweisen lassen,
hat uns Rüdinger'^ aufgeklärt. Er sagt:
,Kann man glauben, dass die tiefgreifenden Geschlechtsunterschiede, welche sich an
vielen EGrpertheilen in so auffallender Weise geltend machen, an dem Org^ des Denkens,
dem wichtigsten des KGrpers, gar nicht, oder nur in so feinen Nuancen auftreten, dass sie
sich der Beobachtung entziehen? Ist es denkbar, dass die Parallele, welche zwischen dem
Gehirn und der Geistesthätigkeit in den verschiedenen Altersperioden, also von der frühesten
Jugend bis in das höchste Alter, in so ausgepräg^r Art vorhanden ist, nicht auch ftlr die
beiden Geschlechter, deren verschiedene Stellung bei unseren civilisirten Völkern gewiss nicht
das Resultat zufälliger Factoren, sondern nur das bestimmter org^anischer Einrichtungen sein
kann, Geltung haben soll?"
Rüdinger kommt durch seine Untersuchungen zu folgenden Ergebnissen (vgl. Fig. 24):
,In Bezug auf das absolute Gewicht des Gehirns bestätigten sich die Angaben von
Robert Boyd, der bei todtgeborenen Kindern im Mittel eine Differenz von 46 gr minus für
das weibliche Geschlecht gefunden hat Alle drei Hauptdurchmesser des CFehims sind bei
neugeborenen Knaben gprösser als bei Mädchen und zwar im Mittel der sagittale um 0,9 cm,
der senkrechte und der quere um 0,5 cul In der Mehnahl der männlichen Foetnsgehine
erscheinen die Stimlappen etwas maasiger, breiter und hoher, als die weiblichen. Hu9ekk$
4. Die »econdA^ren GeschlecbUcharaktorfi am Gehirn di^r earopäiBehen Weiber.
29
ftU« tchon den Bali; aufgeatelU, dajs beim Manne toebr Gehirn vor der Central furche, beiui
iTttbe mehr hinter derselben liege.*
^W&hrend des siebenten und achten Monate bleiben am weiblichen Gehirn alte Win-
limgen bedentimd einfacher als beim milnnlichenf so dase der ganze Stiralappen beim Madchen
Men Eindmck der Glätte oder Nacktheit macht. Alle seoundären Transver&alfurchen gind am
liehen Uim »chon angelegt, während dieselben am weiblichen Hirn noch einfach er-
[I6n und ein langsamerem Wachstbum zeigen. Der männliche Scheitellappen ist ganz be-
charukteristiach verschieden von dem weiblichen, denn wahrend der Stirn- und der
ioplftlapptm noch verhaltnissmässig glatt fiind^ erscheint er bald so stark gefurcht, dafls
uch von tieiner Umgrbung sehr auffallend unterscheidet. Mit Hecht hat daher Huschke
ScheitoUttppen beim Manne für eine bevorzugte Hirnpartie erklärt.*
«Die Central furche verläuft bei dem männlichen Foetu« öfters schief^ jedoch i^t dieser
unterschied vom weiblichen Geschlecht kein constanter und idt vielleicht weniger durch das
rOes<!htecht, als rielmehr durch die Verschiedenheit der Form des Kopfes hervorgerufen.*
«Am Gehirn der neugeborenen Mädchen ist die Insel in grösserer Ausdehnung sichtbar
Uichtar sugftngUch, als beim Knaben ^ die Fosaa Sylvii wird daher am weiblichen Gehirn
SR
Die r)S0elil«ebtsi{nt4tT«clikde nn dem Gsbimen »eiigetvorener Kiader (uach HüJimgtr^),
Oben d«r SUmtlieU, ant«n der Hin terb&u{»ut hell,
Knabe. Hädoheu.
dareh dia umgebenden Windungen geschlofisen, als am oiännlichen. Im siebenten und
llonat iit die perpendtkulllre Spalte an der Innenfläche der Hemispb&re beim Mädchen
««nig^r tief eingesenkt, die }hitchoff*nc\w Bogenwindung oben um dieselbe glatter nnd ein-
facher, und der Hinterhauptaluppen erscheint weniger vom Scheitellappen abgesetzt, aU beim
Kjiab4!n. Auch sind alle Windungen an der Innenfläche der HemisphlLre glatter und einfacher^
währtnd beim Knaben die Furchen tiefer und die Windungen geechlängelter verlaufen.*^
Trotz vieler individueller Ausnahmen, welchen man sorgDllttge Berücksichtigung zu
rheil werden lasaen muss, kann man die Thatäache, dass ganz verschiedene typische
iildungsge setze fdr die Grosahirn Windungen der beiden Geschlechter bestehen
tnd schon im foetalen Leben sich geltend machen« nicht bestreiten.'*
Neuerdings hat \Vaidei/(i^ diese Uutersuchungen Ln neue, wichtige Bahnen geleitet. Er
hat ttimge embryonale Gehirne von solchen Zwillingen untersucht, welche von verschiedenem
BttMhleohte waren. Bei xwei Zwillingspaaren ftind er die Hirnwindungen gleich^ aber die
IttabO^img der Furchen war eine bessere bei dem Knaben als bei dem Mädchen. Es tanden
[ich folgende VeThältnisae:
l
Kürperiänge
Kürpergewicht
Gebirngewicht
Koab«
264 mm
962 gr
82 gr
EMidfrh'^n
256 mm
3ä0 gr
30 gr
B8l*^
B
400 mm
1185 gr
175 gr
s?
liidd»eo
1 400 mm
U88 gr
165 gr
In beiden F&lien erwies sich also das Gehirn des weiblichen Embryo von geringerem
Gpwt^hii?^ als dasjenige des männlichen. Bei dem tweiten Pärchen ist das um m aufTallenderr
30
I. Die anthropologische Auffassong des Weibes.
Fig. 25. Die Geschlechtsunterschiede im
horizontalen Gehimumfang (nach finssef).
Mann. Weib.
als beide Geschwister von gleicher Grösse und das Mädchen überdies noch schwerer als der
Knabe war.
Josef Mies fand bei 148 neugeborenen Kindern
(79 Knaben und 69 M&dchen) das mittlere abeolute
Gehimgewicht der Knaben um 2,78% schwerer als
daqenige der M&dchen. Letztere hatt^i ein mittleres
Himgewicht von 329,99 gr, die Knaben dagegen Ton
889,25 gr.
Derselbe Forscher hat auf dem Anthropologen-
Congress in Innsbruck über 2000 Fälle berichtet,
dass das mittlere, absolute Gewicht des Gehirns in
den (von ihm untersuchten) beiden ersten Jahnehnten
stets kleiner beim weiblichen Geschlechte, als beim
männlichen war. Vergleiche mit der KOrpergrGsse
zeigten, dass auf 1 gr Gehirn beim weiblichen Ge-
schlechte mehr KGrpergrOsse kommt, als beim männ-
lichen Geschlechte, was auf eine günstigere Stellung
der Knaben hinweist.
Passet konnte durch seine unter JRüdinger's
Leitung auf der Münchener Anatomie gemachten
Untersuchungen nachweisen, dass das Gehirn der
Männer daRJenige der Weiber «ziemlich bedeutend*
an Länge, Breite und Höhe übertrifft (Fig. 25). ,Die Messung der Gehimperipherie in der
Medianebene ergiebt, dass das männliche Gehirn in angegebener Ebene einen durchschnitt-
lich um 2 cm grösseren Umfang hat als das weibliche.' Die Gentralf nrche des Mannes ist
durchschnittlich länger und stärker gekrümmt als die des Weibes, und es liegt beim Manne
mehr Gehimmasse vor der Centralfurche als beim Weibe, besonders nach der Medianebene
zu. Hingegen kann Passet die Angabe, dass nun beim Weibe mehr Gehimmasse hinter der
Centralfurche liege als beim Manne, nach seinen Messungen nicht bestätigen.
Browne kam zu etwas anderen Resultaten. £r fand die Stirnlappen bei männlichen
und bei weiblichen Gehirnen gleich; der Hinterhauptslappen ist aber bei den Weibern, der
Schläfenlappen bei den Männern grösser. Die rechte Hemisphäre war bei beiden Geschlechtem
schwerer als die linke, und zwar bei den Weibern um 2,1 Gramm, bei den Männern aber
um 3,7 Gramm.
Endlich wollen wir noch Johannes Banke^ hören: «Unter den allgemeinen Resultaten,
welche wir gewonnen haben, steht an Wichtigkeit voran die Erkenntniss einer entgegen-
gesetzten biologischen Gesetzmässigkeit der Entwickelung des Gehimvolums bei dem männ-
lichen und weiblichen Geschlechto. Während wir bei den Männerschädeln im Allgemeinen
in hohem Maasse die Neigung vorwalten sehen, ein physiolog^sch-makrocephales Himvolnm
zu erreichen, überwiegt im Gegensatz dazu bei den Fraucnschädeln eine Neigung zu physio-
logischer Mikrocephalie. Wir werden nicht fehlgehen, wenn wir für diese Gesetzmässigkeit,
welche wir freilich zunächst nur für das altbayorische Landvolk beweisen können, eine
allgemeine Gültigkeit bei allen Cultunassen in Anspruch nehmen. Nehmen wir, wie es,
wenn wir nur die Schädel innerhalb desselben Geschlechts vergleichen, physiologisch gestattet
erscheint, die normale allgemeine Massenentwickelung des Gehirns als ein unge^res Maass
der intellectuollen Leistungsfähigkeit des Gehirns an, so scheint uns die hier erkannte bio-
logische Gesetzmässigkeit der Entwickelung des Gehirnvolums bei Männern und Frauen einen
Einblick in das Verhältniss der verschiedenen intellectuellen Begabung der beiden Geschlechter
zu gestatten. Bei den Frauen überwiegt die Zahl derjenigen, deren psychisches Instrument
eine spärliche Entwickelung zeigt, immerhin überragt aber eine nicht unbeträchtliche Zahl
den bei Frauen häufigsten Werth des Gehirn volums und es finden sich einzelne Werthe für
diese Grösse, welche dem Maximum für Männergehimvolum nahe stehen. Das letztere ist um
so auffallender, da die Massenentwickelung des Gehirns auch eine Function der Gesammt-
körperent Wickelung ist, in welcher der altbayerische Mann das Weib im Allgemeinen in
ziemlich hohem Maasse überragt. ¥j& stimmt das mit der bekannten Bemerkung zusammen,
dass das Gehiravolum der Frauen in Beziehung auf die sonstige Gesammtkörperentwickelung
relativ etwas grösser erscheint als das der Männer. Bei den Männern ist die Zahl der
Schädel, welche das häufigste männliche Himvolnm übersteigen, grösser als die Zahl jener,
welche unter diesem Normalwerthe bleiben; das psychische Organ der Männer seigt alto yor-
wiegend eine das Mittelmaass übersteigende Entwickelung, und die Zahl besonden miehliy
entwickelter Gehirne ist relativ viel grösser als bei den Frauen.'
5. Die secundären Gleschlechtscharaktere bei den aussereuropäischen Weibern. 31
, Wenn wir nan im Allgemeinen von der Ausbildung des Instrumentes auf seine Leistungs-
fiUiigkeit zurQckschliessen dürfen, so würden wir also in Uebereinstimmung mit älteren Be-
obachtungen innerhalb der Sphäre seiner originellen Begabung die Leistungsfähigkeit des
weiblichen Gehirns für das Durchschnitts- Weib etwas höher ansetzen müssen, als die Leistungs-
fähigkeit des männlichen Gehirns für den Durchschnitts-Mann. Dagegen bemerken wir, dass
bei den Männern die Zahl derjenigen Individuen, welche eine über das Normalmaass hoher
gesteigerte Gehimentwickelung und damit also wohl eine gesteigerte cerebrale Leistungs-
fähigkeit besitzen, weit grosser ist, als bei den Frauen, und dass im Gegensatz dazu unter
den Frauen sehr viel zahlreicher als bei den Männern solche vorkommen, welche in Beziehung
auf die Entwickelung des psychischen Organs unter der bei ihnen normalmässigen Grösse
zurückbleiben, ßs stimmen diese Beobachtungen, wie mir scheint, überein mit den allgemein
gültigen Erfahrungen über die Unterschiede des psychischen Leistungsvermögens der beiden
Geschlechter.'
Trotz aller dieser handgreiflichen Unterschiede hat der Wiener Anatom Brühl ver-
fucht, eine principielle Ungleichheit in dem Bau des Gehirns der beiden Geschlechter abzu-
leugnen, weil unsere Kenntniss der feineren Anatomie bis jetzt noch nicht ausreiche, an der
Art und Zahl der Furchen und Windungen des Grosshirns sofort ein weibliches Gehirn von
einem männlichen zu unterscheiden. Nach den vorher gemachten Angaben bedarf es keines
weiteren Eingehens auf diesen Einwurf. Denn der Umstand, dass man einen solchen Unterschied
an einem so fein gebauten Organe, wie das Gehirn es ist, mit blossem Auge nicht wahrnehmen
kann, beweist natürlicher Weise durchaus nicht, dass solche Unterschiede nicht beständen.
Browne hat übrigens auch hier einige Geschlechtsunterschiede von Bedeutung gefunden.
Während das specifische Gewicht der Marksubstanz des Gehirns an allen Stellen und bei beiden
Geschlechtern das gleiche war, nämlich 1044, so schwankte das specifische Gewicht der grauen
oder Rindensubstanz, in welcher man den Sitz des Bewusstsoins zu suchen hat, bei Männern
zwischen 1036 und 1037 (letzteres an den Stimwindungen), während dasselbe beim weiblichen
Geschlecht überall nur 1034 betrug.
Jedenfalls scheinen mir die bisher aufgefundenen Differenzen wichtig und charakte-
ristisch genug, um auch den eifrigsten Verfechter der Frauenemancipation aus dem Felde
schlagen zu können, besonders da, wie Rädinger gezeigt hat, diese Unterschiede angeborene
und nicht erst im späteren Leben erworbene sind.
5. Die secundären Geschleehtscharaktere bei deu aussereuropäisclieu
Weiberu.
Alle die in dem vorigen Abschnitt aufgeführten secundären Geschlechts-
charaktere des Weibes sind an Vertretern der europäischen Volksstämme fest-
gestellt worden und haben deshalb naturgemäss in erster Linie auch nur für diese
ihre beweiskräftige Gültigkeit. Man hat immer nur stillschweigend angenommen,
dass sie auch fttr die fremden Rassen in gleicher Weise zutreflFend wären. Das
ist nun allerdings sehr wohl möglich und sogar in gewissem Grade wahrscheinlich;
bewiesen ist es aber bisher noch nicht, was hier besonders betont werden muss.
Alles, was wir in dieser Beziehung von fremden Völkern wissen, d. h. was durch
wirkliche Untersuchungen festgestellt worden ist, das ist leider bis jetzt noch
nicht sehr viel und bedarf noch nach allen Richtungen hin der Vervollständigung.
Es wird jedoch gewiss dem Leser nicht unerwünscht sein, wenn hier wenigstens
dieses geringe Material in übersichtlicher Weise zusammengestellt wird.
Bei diesen Erörterungen soll von den Unterschieden in der Form des Beckens
und den grossen Verschiedenheiten in dem Bau der Brüste Abstand genommen
werden, weil diesen Eigenthümlichkeiten später besondere Abschnitte gewidmet
werden sollen. Ein Ausspruch von Hennig^ möge aber hier seine Stelle finden.
Derselbe sagt:
„Je roher ein Volk, um so verwischter stellen sich die geschlechtlichen
Unterschiede am knöchernen (weiblichen) Becken dar; die Darmbeinschaufeln
rücken thierähnlich mehr noch hinten oben: dies ist bedingt durch die den
Frauen und Mädchen aufgebürdete schwere Männerarbeit, wodurch das Becken
mgleich eckiger, den Muskel-Ursprüngen und Ansätzen entgegenkommender wird.'^
32
I. Die anthropologische Auffassung des Weibes.
Als durchgehend gültig f&r alle bisher bekannt gewordenen Volkastämme
des gesammten Erdkreises mit kaum einer Ausnahme können wir zweierlei Dinge
feststellen: Erstens sind die Vertreter des weiblichen Oeschlechis durchschnittlich
von geringerer Grösse als ihre männlichen Stammesgenossen, und zweitens ist die
Hautfarbe, sie mag noch so intensiv und dunkel pigmentirt sein, doch immer
heller, als die Haut bei den Männern des gleichen Stammes. Für gewöhnlich sind
diese Unterschiede in der Färbung allerdings nur ziemlich geringe, bisweilen aber
findet man sie auch recht reichlich ausgebildet.
Eine genauere Prüfung der uns interessirenden VerhältniBse hat namentlich
an den Schädeln stattgefunden.
Wir verdanken in dieser Beziehung Kopemicki in seinen Untersachangen über den
Zigeunerschädel die folgende Zusammenstellung.
,Es ergiebt sich aus den von Davis aufgestellten Messungen, dass unter den euro-
päischen weiblichen Rassenschädeln nur die Isländerinnen es sind, bei welchen der
HGhenindex (0,73) des Schädels den männlichen (0,71) um 0,02 übertrifft. In Asien findet
man dieses Uebergewicht an den Weiberschädeln von Hindus, Muielmftnnern (O.Ol),
Khas (0,08) und Chinesen (-f 0,04). Dasselbe findet noch statt an den Javaneien-
(+ 0,01), Dayak- (-f 0,04) und Tasmanier- (+ 0,08) Weiberschädehi. Zigeuner
(m. — 0,75) (w. — 0,77) = (0,02).*
„Wir sehen also, dass es nur wenige Rassen giebt, wo der HOhenindez der Weiber-
schädel jenen der männlichen übertrifft. Wenn wir dabei noch diesen Umstand in Betracht
ziehen, dass sogar die in beiden Geschlechtem gleichen oder bei Männerschftdeln nur um
0,01 überwiegenden Höhenindices (die £ngländerinnenschädel ausgenommen) nur in den
niedrigsten Rassen vorkommen (m = w): Bados, Thais- (Guanchen) Neger, Daho-
manen, Australier, Marquesaner, Kanakas und: m => w -f* 0,1: Lepchas, Aequa-
torialneger, Eskimos von Grönland und Bisayaner, so werden wir uns fttr berech-
tigt halten, zu schliessen, dass der über-
wiegende HGhenindex der Zigeune-
rinnen Schädel eines Ton den ihnen eigen«
thümlichen Rassenzeichen bildet etc.*
Auch Eeker^ hat in seiner oben
angeführten Arbeit über die Geechlechtt-
unterschiede am menschlichen Schädel
seine Angaben auf die ausser euro-
päischen Völker mit ausgedehnt und
er hat dabei die Abbildungen Ton dem
Schädel eines Australiers und einer
Australierin gegeben, welche die
Fig. 26 vorfahrt.
Paul Bartels vermochte bei seinen
Untersuchungen Verschiedenheiten der
Geschlechtsunterschiede nach Rassen
nicht nachzuweisen, und besonders konnte
er den mehrfach aufgestellten Satz nicht
bestätigt finden, dass bei den sogenannten „wilden Völkern* die Differenzen zwischen beiden
Geschlechtem geringer ausgeprägt sind, als bei den Culturvölkem.
Die in Bezug auf die wissenschaftlicbe Ausbeute so reiche Expedition der
österreichischen Fregatte Xovara hat auch für unseren Gegenstand einige
wichtige, durch Weisshack festgestellte Ergebnisse geliefert.
.Nach diesen Untersuchungen lassen sich bei den Chinesen folgende Unterschiede
zwischen den beiden Geschlechtern aufstellen: Das Weib ist bedeutend kleiner und schwächer,
es äussert nur sehr wenig mehr als die halbe Druckkraft der Männer; sein Puls ist mehr be-
schleunigt. Der Kopf ist ( verbal tnissmässig) grösser, höher und breiter, das Gesicht weniger
prognath, im oberen Theile sammt der Stirn höher, zwischen den Jochbeinen schmäler, ober-
halb derselben weniger, unterhalb mehr verschmälert; die Nase höher und schmäler und der
Mund kleiner. Der Hals ist dünner und kürzer, am Rumpfe sind die den Brustkasten be-
treffenden Maasse kleiner, jene des Beckens grösser; der Brustkasten ist in allen Biohtiing«n
kleiner, die TaiUe dicker, der Nabel höher oberhalb der Symphyse; die gaaiie BnmpfiniiMl-
Fig. 26. Die Oeschlechtsunterschiede am Schädel (nach £ckfr^).
Aastralier. Australierin.
jy. Die 8eeiiiicl3j'0n Geachlechtachiuraktore bei den ausBereuropäischea Weibern.
33
ttale liLoger Bio obere Gliedmiuifläe ist kürrer und ddnner, der Vorderarm weniger kegel*
fOrmig, der Mittelfinger länger, die ganze Hcind länger und scbmILler. Die untere Glledmaasse
i«i llAger, Oberscbcnkel und Knie sind dicker, der Unterschenkel hi nur oberhalb der EnOcbel
dteltcr und weniger kegelförmig; der Fuai« kürzer und acbmiUer.*
«Die javanischen Weiber haben (gegen die Männer) etwas lichteres (dunkelbraune«)
HaAT« etn^^n beschleunigteren Puls und vermcVgen nur etwa die Hälfte der Druckkraft der
MAsoer lu äussern; sie sind auffnllend kleiner, haben einon relativ grosseren, höheren, aber
ebeoto briebyeephalen Kopf wie die Männer; ein im Allgemeinen breiteres, bezOglich seiner
¥\ft* *£I. Junge Armenierin an» dem Aohalfriakiscben Düitrfki, (NimUl Pbotoer»plkie.j
|ÜOhe aber schmal lere-?, vor den Jochbeinen nach aufwärt« breitereH^ an d^n Unter-
fin aber relativ schmäleres, dabei wahrHcbeinlicb mehr prognuibeft (le^icbt mit
Rti»f«r Na«tf und grösserem Munde; ihr Kopf ruht auf einem längeren und zugleich dickeren
Ti,» i'.^n.tir »^f.^r, i^t kQrzer, echmäJer» jedoch weiter, der Rumpf uro die Taille dicker,
r und der Nabel höher eingepftauÄt, Die obere UUedmaagae iflt im
■■"n länger» der Vorderiirm künter, beide zugleich dicker und letiterer
Lälert; die Hand btnger nnd schmäler, üire untere (tliedmaasie
ib~T7~ iiii UauKen länger, am Oberschenkel, Knie und an der Wade dicker,
r .c«ii». ß Ann. 1. 8
34 ^' ^^0 anthropologische Auffassung des Weibes.
der erstere ebenso lang wie bei den Männern, der Unterschenkel aber länger and wenig ▼«!>
schmächtigt, der Fus8 länger, breiter und am Rist dicker."
„Bei den Sudanesen unterscheidet sich das Weib vom Manne durch folgende Summa
körperlicher KigenthQmlichkeiton. Es ist kleiner und schwächer, sein Puls beichlennigteri
sein Kopf (relativ) grösser, breiter, brachjcephal, das Gesicht höher, nach auf- and abwftrti
von den Jochbeinen breiter und weniger prognath, die Stime hoher, die Nase niedriger imd
breiter, der. Mund grösser; der Hals ist länger und dünner, der Brustkasten eoger, swiiehen
den Schultern schmäler, der Halsnabelabstand geringer ; die KumpfwirbeUäule länger, die TaiUe
dicker und der Nabel mehr gegen die Schamfuge herabgedräckt. Seine obere GliedmaMM
ist kürzer und dicker, der Oberarm länger, der Vorderarm kürzer, mehr gleichmftasig dick, die
Hand kürzer und schmäler, obgleich ihr Mittelfinger länger; die untere Gliedmaasse dagegen
länger und dicker, der Oberschenkel kürzer, der weniger kegelförmig verschm&chüg^ nnd mit
einer dünneren Wade ausgestattete Unterschenkel länger, der Fass kürzer, dicker und schmftler.*
„Die Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern können wir bei den Australiern
bezüglich des Kopfes die bedeutendere Grösse, Höhe und Breite, also geringere Doliohocephalie»
die geringere Hübe und Breite des mehr prognathen Gesichtes zwischen den Wangenbeinen,
welches aber nach auf- und abwärts von denselben weniger als bei dem Manne TerBchrnftlert
ist, -r- dessen niedrigere Stime, schmälere und höhere Nase und grösseren Mund bei den
Weibern aufstellen. Dem Manne gegenüber hat das (australische) Weib eine längere
Kumpfwirbelsäule mit längerem Nacken, einen längeren, schmäleren, weniger umfangreicileB
und an der Vorderseite flacheren Brustkasten, eine dickere Taille, den Rumpf nach nnteof
weniger verschmäl ei*t, einen höher stehenden Nabel, weiter auseinanderliegende Darmbeia*
Stachel und eine grössere Hüft breite. Die meisten dieser Gcschlechtsnnterschiede sind die-
selben, welche auch für die Chinesen und Malayen gelton, nur der Nacken, der Hale-
nabelabstand (die angenommene Länge des Brustkastens), der Brustumfang und der Stand dee
Nabels halten sich nicht an die bei diesen gefundenen Gesetze; am meisten stimmen tie mü
den Chinesen überein. Als Geschlechtsunterschied zwischen den zwei Individuen beMiohneA
wir die folgenden: Der Arm des Weibes ist im Ganzen (sowie Oberarm, Handrücken und
Mittelfinger für sich allein) länger, der Oberarm dicker, der Vorderarm viel kürzer und gleiidi-
mässiger dick, die Hand länger und schmäler. Dieselben sind im vollkommenen Einklänge mÜ
den bei den Javanon beobachteten, stimmen aber, besonders in der Länge des ganaoa
Gliedes und des Oberarms, weder mit den bei den Chinesen, noch jenen beiden Sudaneiem
gefundenen überein, bei welch' letzteren auch noch die Hand ein anderes Verhalten uigt«"
Auch die Behaarung des Kopfes scheint über die ganze Erde hin bei den Weiben
reichlicher und länger zu sein als bei den Männern. Auf den japanischen Bildern nnd
die Damen, falls sie oHcne Haare haben, stets mit ausserordentlich langen, bis zur Erde
reichenden und noch nachschleppenden Haaren dargestellt.
Eine besondere Eigen thümlichkeit der Toda-Frauon in Indien erw&hnt Marahäll; er
führt an, dass sie zuweilen feine Haare zwischen den Schulterblättern aufzuweisen hätten.
Ktirl nm thn Steinen fand bei den Indi an er -Stämmen Brasiliens im Qnellgebiet
doiy Xingu, bei den Trumai.den Anetö,den Küsten aü, den Bakairi, denNahuqn^
den Mehinakn, den Kamayura und den Waura, die Männer im Mittel 162,6 cm, die
Weiber nur 15'2,l cm hoch. Bei allen Nahuqua-Frauen waren die Zehen auffallend knn,
hingegen die Arme sehr lang und nicht nur länger als die der Männer ihres Stammes, sondern
sogar länger als diejenigen aller der übrigen genannten Stämme. Die Frauen hatten wenig
breite Hütten und die \Vad«<n waren schwach entwickelt.
6. Die Sterblichkeit des weiblielien Geschlechts und der Weiberfibersehius.
Auch die Gcburts- und Sterblichkeitszit'fern weisen bemerkenswerthe
Unterschiede bei den beiden Geschlechtern auf (Wappäus), In der frahesten
Lebensperiode zeigt das weibliche Individuum eine auffallend geringere MortalitEt^
als da.s männliche. Es muss eine Ursache bestehen, welche die Kinder mSnn-
lichen Geschlechts vor und bald nach der Geburt energischer hinwegraffk , ak die
Mädchen. Die grössere Sterblichkeit der männlichen Kinder reicht noch weit
über das Säugliugsalter hinaus. In den höheren Lebensjahren gestaltet sich dann
allerdings die Mortalität etwa.s anders. So hat Engel in Preuasen ermittetti
dass die Sterblichkeit der Weiber nur in dem 10. bis 14., dann in dem 25. 1
40. und endlich nach dem 60. Jahre die grössere ist; in allen anderen Jal
36 I* ^16 anthropologische Anffassong des Weibes.
ist sie geringer. Man hat über die Ursachen dieser Differenzen numnigfache
Vermuthungen aufgestellt, doch sind alle Erklärungen unzureichend. Eine eigen-
thümliche, gewiss allzu teleologische Ansicht über die grössere Sterblichkeit
männlicher Kinder sprach Haushof er aus, indem er sagt: ^Es mag wohl die Natur,
in der Absicht, aus dem Manne ein vollkommeneres Geschöpf zu bilden, als aus
dem Weibe, dabei auch mehr Hindemisse finden. Ein feinerer Organismus ist
allen schädlichen Einflüssen zugänglicher.'' Es ist wunderlich, wenn man den
weiblichen Organismus, weil er im jugendlichen Alter grössere Resistenz zeigt,
als einen unvollkommener veranlagten auffassen will. In späteren Lebensjahren
tragen zu der grosseren Männersterblichkeit umstände bei, die in der Beschäf-
tigung und Lebensweise liegen und welche durch die Gefahren des Wochenbetts
für die Frauen nur wenig ausgeglichen werden. Die höheren Altersklassen sind
in mehreren Ländern bei den Weibern relativ stärker besetzt, ab bei den Männern.
Der von der Direzione Generale Statistica des italienischen Ministe-
riums für Landwirthschaft, Industrie und Handel 1884 veröffentlichte Bericht:
Popolazione, Movimento dello Stato civile, giebt eine XTebersicht über die
Jahre 1865 bis 1883, aus welcher das Verhältniss der Mädchengeburten zu den
Knabengeburten^in fast allen Culturstaaten ersichtlich ist.
In diesenT Zeiträume wurden im Mittel jährlich auf 100 Mädchen lebend
geboren in:
Russisch Polen 101 Knaben Schweden 105 Knaben
England und Irland 104 „ Dänemark 105
Frankreich 105 ^ Europäisches Rnssland . .105
Schottland 105 , Vermont 105
Preussen 105 ^ Rhode Island 105
Bayern 105 , Italien 106
Sachsen 105 „ Irland 106
Thüringen 105 ^ Oesterreich (Cisleithanien) . .106
Württemberg 105 , Kroatien und Slawonien . 106
Baden 105 „ Norwegen 106
Deutsches Reich 105 „ Serbien 106
Elsass-Lothringen 105 „ Massachusetts 106
Ungarn 105 , Spanien 107
Schweiz 105 , Connecticut 110
Belgien 105 „ Rumänien 111
Holland 105 „ Griechenland 112
Wir sehen hier, wie durchgehends die Zahl der Knaben diejenige der Mädchen
übertrifl't und wie unter 32 Ländern, welche berücksichtigt wurden, in den be-
rechneten 19 Jahren in nicht weniger als 19 Ländern das Verhältniss der Knaben-
geburten zu den Mädchengeburten ein constantes war, nämlich wie 105 zu 100.
Auch in Japan werden nach Rathgen mehr Knaben als Mädchen geboren,
und zwar in dem Verhältniss von 104,75 zu 100, also fast genau ebenso, wie in
den erwähnten 19 Ländern.
Aufiallend imgleich stellt sich bei den centralaustralischen Schwarzen
am Finke-Creek nach Angabe des Missionar irew*|)C die Zahl der Knaben- und
Mädchengeburten: in den Jahren 1879 — 1882 kamen etwa 4 Mädchen auf je
einen Knaben.
Wenn nun das ursprüngliche numerische Uebergewicht des männlichen Ge-
schlechts durch eine erhöhte Sterblichkeit ausgeglichen, oder sogar vernichtet
wird, so muss die Statistik einen Ueberschuss an Weibern nachweisen können.
Das ist nun bei der Oesammtbevölkerung Europas in der That der Fall. Es
stellt sich das Verhältniss so, dass 102,1 Weiber auf 100 Männer kommen, ob-
gleich, wie gesagt, unter den Neugeborenen ein Oeschlechtsverhältniss von 105
Knaben auf 100 Mädchen besteht. Das gilt aber nicht ft&r alle Lander der Erde,
denn in einigen findet sich gerade das Gegentheil.
Di« Sterblichkeit da« weiblichen Geachtechi« and der Weiberttbenchasi.
37
N
•
Linder mit andauernd starker Auswanderung, wie Grossbritannien und
tfchland, haben ganz natürlich Männermangel, da vorzugsweise Männer
die fremden Länder begeben ; deragemäss entsteht in Ländern mit stHrker
,g dagegen Franenmangel. Diese Thatsache ist freilich nicht allein
A zur Erklärong des Weiberüberschusses. Zunächst sind in den frühesten
A i^sen hinsichtlich der Sterblichkeit die Knaben weit mehr gefährdet, als
die Jliuichen. Dann aber begleitet die grössere Lebensbedrohung, welche die Natur
dem Knaben als böses Geschenk in die Wiege legt^ diesen fast durch sein ganzes
Leb«». Mat/r sagt hierüber:
AL.r^ift>ieii von der in ihrer tödtlichen Wirkung vielfach tlbertchatzten Gefahri welche
K .: dem Weib© bereitet, erscheint der Mann nach der ganzen Entwickehmg seines
h^tiP "v .1 M.t^r all» da« Weib, Er neigt in jeder Beziehung zu intensiverem Verbrauche
der L«b#ni»kTaft. Die harte Arbeit des Friedens wie de» Krieges bringt ihm weit grössere
*lrcngting«n nnd GefabreD, wie dem Weibe, Der grösseren Summe physischer Kraft, welche
bevitxt, •lebt keine^wega eine entsprechende grössere Widerstandskraft gegen die mannig-
tigea LMi^nibedrohungeo zur Seite, welche ihn umgeben. Dabei darf man nicht etwa bloss
aa dia «inadoen rasch töcltßuden Vorgänge, wie s. B* die Verungliickungen im Gewerbebetriebe,
ilmkcii, denen der Msnn weit mehr ausgesetzt ist, als das Weib, sondern auch an den lang-
4U»eii Vemehr der Lebenskraft im Sturm und Drang des Lebens, Bech^ belehrend ist in
diastfr Hlniitcht die Criminal-S tatig tik Niemand wird bezweifeln, dass der Weg des Ver-
bc^tbent auch dem leibUchen Wohle nachtheüig ist, und wollte er dies, so w£lre er durch
dan «ialkch^m Hinweis auf die Sterblichkeitäziffer der Galeere und des Zuchthauses belehrt.
#Bii min aber von Tag zu Tag das männliche Geschlecht einen etwa fünffach grösseren
lUmg tMi den Verbrechern stellt als das weibliche, und wenn wir auch danu nur einen,
fnf ^\iAf «tjitUtJN^b i/ut erfassbaren Ausdruck des vielfachen Anlasses zu rascherem Verbrauch
ivraft erblicken, eo werden wir uns nicht wundern dürfen, wenn uns
uiir r-v^4«p;jB wt.Ui ieijit, dass wir uns nicht irren, wenn wir in den Strassen unserer Städte
nalir alte Weiber aU alte liHnner zu sehen glauben,"
Denelb« Autor sagt: «Wegen der sUlrkeren Besetzung der höheren Altersklassen bei
dta Weibern findet n>an ein namhaftes Uebergewicht durchlebter weiblicher Lebenszeit im
bOlicfini Alter. Für Bayern ergab sich beispielsweise aus der Erhebung von 1875, dass die
bl — S^ftluigen Weiber mehr als 7 Milliooen durchlebter Jahre aufzuweisen hatten, während die
MiniifT glaicho^ nr ein Gesammtleben von nicht einmal 6i;2 Millionen Jahren darstellen, *
Oain? \>^ Unterschiede giebt es zwischen den Nationen Europas; den höchsten
F^O'j^ /.eigen Grossbritannien und Schweden {106 weibliche auf 100 männ-
Uebe ^ w**Dn man 1881 in England (ohne Schottland und Irland) U 947726
> weibliche Personen zablU\ so gab es daselbst ein Plus von 712939
-cblochts. Da muss man doch noch fragen, ob dieses Plus nicht vor*
lUgtti 1 Weiber repriUentirt wird, die in höheren Altersklassen stehen. Ein {Lhniichcs
Verliai.... ' ..;.>Jet stob auch in einzelnen deutschen Ländern, namentlich in der Provinsi
OilprtQtaen und im Königreich Warttemberg, während Oldenburg und die Provinz
|i .^r eine f^Lii gleiche Zahl von Männern und Frauen besitzen. Dagegen haben die
ten Staaten von Nordamerika einen Üeberschuss der männlichen Bevölkerung:
t irbe gegenüber meint der französische Statistiker Block, dass vielleicht der
] [ ; K. rühmten nord amerikanischen Frauenverehrung ursprünglich in diesem der
'tii^etj Vkilirtltnisse der Nachfrage und des Angebotes zu suchen sei.
liii. }|j„e, ob in der That, wie behauptet worden, in England 2 Millionen
u Geschlechti mehr als männlichen Geschlechts ezistiren, wird durch fol-
Uni»Ae beleuchtet. Grossbri tannien zählte 1851: 13369442 männliche
- Einwohner, ein Verhältnis, welches durch den indischen und den
ich herbeigeführt war. Im Jahre 1861 zählte man: 14097 208 m&nn-
^ Einwohner; da^ Plus der weiblichen Personen betrug also noch
^947 männliche (incl. Soldaten), 17992615 weiblichei Plus 738668.
nglnod chottland und Irland) bestand im Jahre 1875 (bei 22712266
toka«m) il- _ ,. , von 96,13 männlichen auf 100 weibliche Personen. Im Jahre 1H81
illi Vorh&tiniAit U 947726 männliche und 12 660665 weibliche, also 712939 plus weibliche.
In ganz Europa ist dus Geschlechtsverhältniss der Gesammt-Bevdlkerung « 100
102,1 frauen, dagegen in Grossbritannien 100:106.2; es tiberwiegt demnach
Wmberl'öbfrBchufis ganz bedeutend, und zwar in ziemlich gleicher Höhe, wie in
daa» doeh iit immerhin die Annahme von 2 Millionen viel zu hoch
Ptnono ri
■ÜMtfi
38 I- IHe anthropologische Auffassung des Weibes.
In dem gleichen Zeiträume (1865—1883) starben jährlich im Mittel auf je 100 weib-
liche Individuen in:
Rhode Island 97 männl. England und Wales 107 männl.
Vermont 98 , Kroatien und Slawonien . . 107
Massachusetts 99 „ Spanien 107
Schottland 100 , Bayern 108
Irland 100 , Oesterreich (Cisleithanien) . . 108
Elsass-Lothringen 102 „ Ungarn 108
Connecticut 102 , Schweiz 108
Norwegen 103 , Belgien 108
Dänemark 103 ^ Deutsches Reich 109
Finnland 103 « Preussen 109
Schweden 104 , Sachsen 109
Holland 105 , Thüringen 109
Europäisches Russland . . . 105 ^ Griechenland 111
Italien 106 , Serbien 112
Württemberg 106 „ Rumänien 116
Frankreich 107 ,
Wenn wir diese Sterbelisten um Rath fragen, so sehen wir also, dass wir
nur drei Länder antreffen (Rhode Island, Vermont, Massachusetts), wo die
Zahl der weiblichen Todten grösser ist als die der männlichen, und zwei Länder
(Schottland und Irland), wo die Zahlen der beiden Geschlechter gleich sind,
während in allen anderen Ländern die Zahl der männlichen Todten diejenige der
weiblichen übertrifiPt und zwar nicht selten ganz bedeutend. Dass also in den
Culturstaaten ein Ueberschuss an Weibern in Wirklichkeit existirt, das muss als
eine bewiesene Thatsache betrachtet werden.
Für die ganz alten Leute in Griechenland fand Bernhard Omstein^ ein
bemerkenswerthes Verhältniss, aus dem sich auch ein nicht unbeträchtlicher Ueber-
schuss der Weiber ergab, der vom 85. Jahre aufwärts in allen funi^ährigen Pe-
rioden nachgewiesen werden konnte. Es wird dadurch ein beredtes Zeugniss für
die Langlebigkeit der Griechen im Allgemeinen abgegeben.
Die officiellen Sterblichkeitslisten der 13 Kreise des Königreichs für die Jahre 1878
bis 1883 ergaben, dass unter einer Bevölkerung von 1653767 Köpfen nicht weniger als 5297
ein Alter Über 85 Jahre erreichten und zwar
85—90 Jahre 1296 Manner, 1347 Frauen,
90— 95 ,
700
820
95-100 ,
305
370
100-105 ,
116
168
105—110 ,
52
69
110 u. darüber
20
34
Alho fanden sich über hundertjährige Griechen 188 Männer und 271 Franen.
Hitchcock veröffentlicht eine Statistik von John Batchelor über die AinoB auf Tezo,
Dort gab es 1882: Männer 8546, Weiber 8652
1883: , 8554 , 8596
1884: , 9051 , 8776
1885: , 7900 . 8063
Somit zeigt sich auch hier ein Weiberüberschuss mit Ausnahme des Jahres 1884. Jedoch
liegt hier nach Hitdicock ein Fohler vor. Er berechnet nach officiellen Listen der einzelnen
Ortschaften 4811 Männer auf 4959 Weiber.
Ein erheblicher Ueberschuss an Weibern findet sich auch auf der Insel
Saleijer im malayischen Archipel südlich von Celebes, wie wir durch Engd"
hard erfahren. Die fünf Regentschaften der Insel besitzen in ihren 17 Ortschaften
eine Bevölkerung von 2035 Männern und nicht weniger als 3337 Weibern.
Hingegen ist auf den zu der Gruppe der Salomons-Inseln gehörigen
Inseln Ugi und San Christo bal die Zahl der Männer grOaser ala dugenige der
Weiber (EUon), und in Japan wurden im Jahre 1885 mir 18711 llft W«
auf 19157977 Männer gezählt (Rathgen).
Blsd«-Frftii ftiu BoTDbay, mit eiiieiii knopff^rmlgen Scbmuok in dem linken NisenflUg«!.
(Nich Pkotographle,)
IL Die psychologische Anffassimg des Weibes.
7. Die psychologischen Aufgaben des Weibes.
üeber das Verhaltniss des Weibes zum Manne in Bezug auf ihre gegen-
seitigen geistigen Fähigkeiten legte sich der Engländer Aüan die Frage vor:
,l8t das Weib in intellectaeller Beziehung dem Manne gleich? Beetehen keine natür-
lichen, geistigen Verschiedenheiten zwischen den beiden Oeschlechtem? Sind die deutlichen
Unterschiede im Denken und Handeln, die man zwischen Weibern und Männern bemerkt,
allein durch die Erziehung bedingt, oder in der Natur begründet? Ist das Weib einer
gleichen geistigen Erziehung föhig, wie der Mann, und kann gleichm&ssiger Unterricht alle
geistigen Verschiedenheiten zwischen den Geschlechtem aufheben und das Weib xu einem
erfolgreichen Wettstreit mit dem Manne in aller Art geistiger Arbeit befähigen?*
Wir berühren hiermit die „Frauenfrage", welche freilich vom anthro-
pologischen Gesichtspunkte aus in einer den Frauenrechtlem nicht ganz wünschens-
werthen Weise beantwortet werden muss. Denn ich stelle mich voUständig auf
die Seite von Allan^ welcher die folgende Antwort giebt:
«Mein Standpunkt ist, dass durchgreifende, natürliche und dauernde Unterschiede in
der geistigen und moralischen Bildung beider Geschlechter bestehen, Hand in Hand gehend
mit der physischen Organisation. Man vergleiche das männliche und weibliche Skelett, man
studire Mann und Weib im physiologischen und im pathologischen Zustande, in der Gesund-
heit und Krankheit; man beobachte philosophisch ihre respectiven Bestrebungen, Beschäf-
tigungen, Vergnügungen, ihre Neigungen, ihr Verlangen; man vergegenwärtige sich, welche
Rolle jedes Geschlecht in der Geschichte gespielt hat, — und man wird schwerlich der para-
doxen Behauptung beizutreten vermögen, dass es keinen Geschlechts unterschied des
Geistes giebt und dass die geistige Verschiedenheit der Geschlechter allein eine Folge der
Erziehung sein soll. Ein Weib mit männlichem Sinn ist ein ebenso anomales Geschöpf als
eine Frau mit männlicher Brust, mit männlichem Becken, mit männlicher Musculatur oder
mit einem Barte.*
Wohl muss jedem unbefangenen Beobachter die Thatsache auffallen , dass
überall schon von frühester Jugend an die Neigungen, der Geschmack und das
Vergnügen bei beiden Geschlechtern höchst diSerent sind. Bei allen Yölkem
(siehe Ploss'^^) zeigt sich schon unter den Kindern in den Spieläusserungen der
geistige Unterschied beider Geschlechter: die Knaben sind activer, lieben kri^e-
rische Spiele, spielen Räuber, Soldaten u. s. w. ; der als Mädchen verkleidete
Achilles griff zum Schwert. Puppen, Spiegel, Putz und Tänze sind die Spiele
der Mädchen.
Die Vertreter der „Frauen rechte*' behaupten die Gleichheit zwischen Mann
und Weib: wenigstens stehen, wie sie sagen, in intellectueller Hinsicht die beiden
Geschlechter mindestens auf gleicher Stufe , ja man sehe sogar , dass in geistiger
Beziehung die Mädchen viel schneller zur Reife gelangen als die Knaoen, und
dass zum Beispiel Mädchen von 16 Jahren in Bezug auf ihre geistige Bat*
Wickelung die gleichaltrigen Knaben bei weitem übertreffen. Man klM«it^ mf^
hieraus zum mindesten nicht einen Rückschluss auf eine geistige "*
dem weiblichen Geschlechte gestatten.
42 II- I^ie psjchologbclie Auffassung des Weibes.
Aber diesem Einwurf setzt Aüan mit YoUem Rechte einen anderen entgegen.
Er macht nämlich darauf aufmerksam, dass ein Thier oder eine Pflanze, je höher
sie auf der natürlichen Rangstufe stehen, um so langsamer ihre höchste Ent-
wickelung erlangen; so sei es auch mit den Knaben , die später reifen, als die
Mädchen, sowohl in leiblicher als in geistiger Hinsicht.
Sehr schon bespricht an der. Hand der Geschichte Lorenz von Stein die
, Frauenfrage* :
«Es ist noch keine hundert Jahre her in einer Weltgeschichte von so vielen tausend
Jahren, dass man überhaupt begonnen hat, über die tiefere Natur, das Wesen und die Mission
der Frau in der menschlichen Gemeinschaft nachzudenken. Bei allem fast unendlichen Reich-
thum der alten Welt in allen Gebieten dos geistigen Lebens ist hier ein Gebiet, zu welchem
ihr arbeitender Gedanke niemals hingereicht hat. Selbst an den grOssten weiblichen Gestalten
der alten Welt gehen nicht bloss Philosophie und Geschichte, sondern selbst die geistreiche
Beobachtungsgabe der Pariser unter den Griechen, der Athenienser, schweigend Torüber,
und weder das schöne Bild der Penelope, noch die glänzende Erscheinung einer JjaiSj noch
die machtvolle einer KUopatra oder die schmachbedeckte einer MessaJine haben zum Nach-
denken auch die rastlos Denkenden unter den Alten angespornt. Aristoteles weiss in seiner
Politik von hundert Gründen, aus denen Männer stark und Staaten gpross werden und ver-
gehen, aber von einem der gewaltigsten Factoren des Lebens und seiner Bewegung, von dem
Weibe, weiss er nichts. Plato kennt alle Ideale, die des Menschen, der Weisheit, des Staates,
der Unsterblichkeit — das Ideal des Weibes kennt er nicht Die Lyriker besingen alles bis
zu den olympischen Spielen und Siegern, aber die, denen sich zuletzt auch diese Sieger gerne
beugten, die Frauen, kennen sie nicht. Unter den grossen und kleinen Theaterdichtem der
alten Welt hat nur Sophokles eine Antigone; sie wissen alle das Weib nicht als ,Motiv' zu
verstehen und zu benutzen, und darum sind uns ihre sonst so grossen Dramen Früchte ohne
Blüthen, kalt und klar, hart und historisch. Allerdings beginnt mit der germanischen
Welt eine andere Zeit. Das Weib tritt in die Geschichte und ihre Poesie hinein; an der
Schwelle derselben stehen Kriemhild und Brunhild, zwei Gestalten, wie sie die alte Welt
nicht kennt, eine Gudrun wird der Inhalt eines zweiten nicht minder grossen Epos. Dann
kommen die Troubadours und ihr Reflex bei den Deutschen, die Minnesänger; das Herz
der gormanischen Völker hat gefunden, was der Verstand der alten nicht gesehen hat, die
Liebe als jenen mächtigen Factor, der die eine Hälfte des männlichen Lebens unbedingt
beherrscht, um die andere glücklich oder unglücklich zu machen; und von da an wird die
Ehe der Inhalt aller Kämpfe, in denen das Individuum mit den individuellen, ja mit den
gesellschaftlichen Verhältnissen ringt. Schon ist das Pathos aus dem rein männlichen ein
halb weibliches geworden; der Mann, der früher sein Leben und seine hüchste Kraft nur dem
Staate geweiht, lernt für die Frau nicht bloss fühlen und leben, sondern auch sterben, und
die Poesie des achtzehnten Jahrhunderts bedeckt das Grab aller Werihers mit den herrlichsten
Blumen des Liedes und des Trauerspieles. Die Frau ist da: sie ist eine Gewalt; sie ist zur
Hälfte des Lebens geworden; aber sie ist doch nur ein Eigenthum der Dichtkunst. Kaum
dass die trockene Satire Geliert's und liabener^s hier und da einen komischen Zug in die
glänzenden Bilder hineinzeichnet, die in den Gretchens und Klärchens, in den verschiedenen
Luisenhaftigkeiten und Amaranthen ihre tiefen, schönen Augen auf uns richten und uns
fesseln; die schönen Gestalten bleiben, und selbst die Sapphos, die uns so oft begeistern,
sind unser und treten mit ebenso viel Eleganz als Erfolg in das sprudelnde Leben unserer
Künstlerwelt hinein. Es ist kein Zweifel, wir sind um eine halbe Welt reicher geworden,
aber bis jetzt nur für die Dichtkunst. Das wirkliche Leben hat noch immer die Frau
nur als Thatsache, nicht als die grosse anerkannte Kraft aufgenommen, die in ihr lebt, und
selbst Bahac^s ,Femmes incomprises* haben es nicht vermocht, jenes Interesse an den weib-
lichen Gestaltungen der Dichtkunst über ihr dreissigstes Lebensjahr hinaus festzuhalten. Da
kommt nun unsere nüchterne Zeit: ihr Charakter ist der Maassstab, den sie in tausend
Formen in ihrer Hand führt, und in tausend Formen messend doch immer dasselbe misst.
Das aber, was sie misst, ist der Werth, und zwar mit kühler Härte und vollem Bewnsstsein
der wirth schaftliche Werth aller Dinge. Für sie ist auch die Sonne nichts als Licht und
Wärme, die Kraft ist Production, der Hain der Sänger mit süssduftender Frühlingsluft ist ein
landwirthschaftlicher Factor für die Feuchtigkeit, und die Blüthe aller Dinge hat nor als
Mutter der werthvollen Erde ihre nationalökonomische Berechtigung. Es ist sehr tnrarig, so
sehr natürlich zu sein; aber es ist so. Wer will es wagen, sich dem zu entsiehen? üad wtav
jetzt jede Form des Bewusstseins von den nationalökonomischen Messungen (
7. Die psychologischen Aufgaben des Weibes. 43
kann es fehlen, dass wir auch das, worin der Frühling des Lebens zur dauernden Gestalt
wird, mit diesem Maasse messen?'
Aach Lorenz von Stein gelangt zu einer Ablehnung der Emancipation der
Frau, indem er am Schlüsse seiner weiteren Betrachtungen sagt: „So werde ich
nicht mit den Physiologen über das Gramniengewicht des Hirns discutiren; ich
werde vielmehr einfach die unzweifelhafte Thatsache feststellen, dass alle Berufe
•der Frau zugänglich sind und sein sollen mit Ausnahme derer, bei denen durch
die strenge Erfüllung des Berufs selbst der wahre Beruf der Frau, die Ehe, un-
möglich wird. Nun glaube ich, diese Grenze ist in den Berufsarten der Frau
bereits erreicht; die Frau, die den ganzen Tag hindurch beim Pulte, am Richter-
tisch, auf der Tribüne stehen soll, kann sehr ehrenwerth und sehr nützlich sein,
aber sie ist eben keine Frau mehr; sie kann nicht Weib, sie kann nicht Mutter
sein.* Wir stimmen mit v. Stein völlig in dem Satze überein: „In dem Zustande
imserer Gesellschaft ist die Emancipation ihrem wahren Wesen nach die Negation
<[er Ehe/ Und an einer anderen Stelle sagt derselbe Autor : „Es ist kein Zweifel,
<[er Träger des socialen Gedankens ist der Mann, die Trägerin des socialen Ge-
fühles aber ist die Frau.*' Die Natur hat beide Geschlechter für ihre Leistungen
auf eine Arbeitstheilung hingewiesen.
Der Gynäkologe Runge schreibt; „Die Emancipation (des Weibes) fordert
Oleichberechtigung der beiden Geschlechter und praktische Bethätigung der Gleich-
berechtigung und fusst auf dem Satz: Die Frau ist gleich werthig, also gleich-
berechtigt. Das ist eben der grosse Irrthum, der auf einer völligen Unkenntniss
<[er physiologischen Unterschiede, welche die Natur unabänderlich zwischen den
Geschlechtern geschaffen hat, beruht. Das Weib ist keineswegs gleichwerthig mit
<[em Manne, sondern vollkommen anders werthig. Es bedarf keiner weiteren Aus-
einandersetzung, dass die Folge der Emancipation nicht allein die Aufhebung der
Ehe, sondern dass das Endresultat ein erbitterter Concurrenzkampf zwischen Mann
und Weib unter Aufhebung des zum Schutz des Weibes geschaffenen Sexualcodex
sein würde. Und es kann gar keinem Zweifel unterliegen, dass dieser Kampf mit
"der Niederlage des für den Kampf mit der Aussenwelt schlechter ausgerüsteten
Weibes enden wird. Im Interesse des Weibes müssen wir Männer daher die
Emancipation energisch bekämpfen/^
Waldeyer^ lässt, auf die anatomischen Thatsachen gestützt, den Waruungs-
ruf erschallen: „dass bei allen auf eine Abänderung in der Erziehung der Frau
zielenden Einrichtungen sorgfältig die körperlichen und seelischen Unterschiede
vom Manne in Erwägung gezogen werden mögen, was von den Emancipations-
Vorkämpfem nicht immer geschieht, und dass wir diese Unterschiede noch viel
eingehender studiren, als es bisher der Fall war. Die Natur hat sie sicherlich
nicht bloss gegeben, damit das Weib dem Manne, der Mann dem Weibe gefalle;
sie wollte damit mehr, sie wollte auch ein Stück Arbeitstheilung. Ver-
wischen wir dies nicht allzusehr ! Suchen wir bei aller Sorge für das Wohl des
Weibes, im Interesse der Erhaltung des Staates und des allgemeinen Volkswohles,
auch dessen Eigenart zu schützen und zu erhalten.*^
Die Fehler, welche in der modernen Erziehung des Weibes begangen werden,
bedrohen nicht bloss dessen körperliches und moralisches Gedeihen, sondern sie
sind auch mit schwerwiegenden Nachtheilen für das Wohl der Familie und damit
für das der Gesellschaft verbunden.
„Der Beruf des Weibes, so sagt sehr richtig r. Krafft-Ebing, ist die Ehe und in dieser
ist sie bemfen als Matter, als Hausfrau, als Gefährtin des Mannes und als Erzieherin ihrer
Kinder ihre Stelle auszufQllen. Diesen Berufspflichten trägt die moderne Erziehung des
Mftdchena keineswegs volle Rechnung. Sie schädigt die künftige Leistung als Mutter, indem
•ie durch sn vieles Stabensitzen und Lernenlassen den Leib verkümmern lässt, die Ent-
widktliiBgtpsriode treibhausartig verfrüht und über dem Drang, den Geist zu entwickeln, nicht
den. ICBrper in seiner wichtigsten Entwickelungsphase schont. Damit wird der heut-
«1. u«9|| Bleichsucht, der Eingangspforte so vieler Uebel, wie z. B. der Lungen-
*^nb geleistet.*
44 II* ^'^^ psychologische Auffassung des Weibes.
«Der ethische und häusliche Werth des Weibes als künftiger Haus&au und GefUirtin
des Mannes auf seinem oft aufreibenden, mühseligen Lebensweg leidet unter einer Erziehung,
die nur bestrebt ist, das Mädchen heutzutage so viel als möglich durch äusseren und inneren
Aufputz zu einer begehrenswerthen Partie fOr den Mann zu machen und so des Mädchens
Zukunft — Frau zu werden — thunlichst zu sichern. Diese Erziehungsweise TemachläMigt
die Gemüths- und Herzensbildung, den Sinn für Häuslichkeit, Einfachheit, Genügsamkeit, für
Hohes und Edles. Sie dient nur hohlem Scheine, legt Werth auf encyklopädisches Winen
und auf Fähigkeiten, die die junge Dame in der Gesellschaft beliebt machen, mit Yerkümmern-
lassen der echt weiblichen Tugenden.*
«Statistiker versichern in allem Ernste, dass etwa 75 Procent der Ehen heutzutage
unglücklich ausfallen. Mag auch diese Ziffer etwas zu hoch gegriffen sein, so kann es keinem
Zweifel unterliegen, dass die an Gemüth- und Herzensbildung so häufig verkümmerte, la
Genus3 und Luxus erzogene, über ihre sociale Sphäre hinaus gestellte, körperlich schwäch-
liche und nach den ersten Wochenbetten bereits kränkelnde, dahinwelkende Frau keine
Lebensgefährtin, wie sie sein sollte, für den Mann abgeben kann. Enttäuschungen auf beiden
Seiton können nicht ausbleiben. Die Frau fühlt sich in ihrer Lebensstellung nicht befriedigt
Körperlich leidend und nervös ist sie unfähig, ihren mütterlichen und Muslichen Pflichten in
vollem Umfange nachzukommen.*
Was für schwere Schädigungen für das allgemeine Wohl der civilisirten
Nationen durch die immer mehr und mehr sich steigernden Ansprüche an die
Schulbildung der jungen Mädchen erwachsen, das hat man kürzlich in Schweden
gesehen.
, Untersuchungen an 8000 Schulmädchen der höheren Stände in Schweden führten,
wie Axel Key berichtet, zu dem folgenden Resultate: «Die Kränklichkeit unter den Schul -
mädchen, den künftigen Müttern kommender Generationen, hat sich als eine ganz erschreckende
herausgestellt. Im Ganzen sind nicht weniger als 61 pCt. von ihnen, welche alle den wohl-
habenden Klassen angehören, krank oder mit ernsteren chronischen Leiden behaftet. 86 pCt.
leiden an Bleichsucht, ebenso viele an habituellem Kopfweh. Bei mindestens 10 pCt. finden
sich Rückgpratsverkrümmungen u. s. w.*
Auch v. Krajft-Ehing äussert sich über die grossen Gefahren, welche selbst
durch die geringen Grade der Frauenemancipation dem weiblichen Nervensysteme
gebracht werden:
,ln der Frauenemancipation im edleren Sinne des Wortes, die nur zu sehr ihre Be-
rechtigung im modernen Culturleben hat, liegt eine nicht zu unterschätzende Quelle fär das
Entstehen der Nervosität. Mag auch das Weib virtuell beföhigt sein, auf vielen Arbeits-
gebieten mit dem Manne in Concurrenz zu treten, so war doch seine Bestimmung bisher
durch Jahrtausende eine ganz andere. Die zur Vertretung eines sonst dem Manne allein zu-
kommenden wissenschaftlichen oder artistischen Berufs nöthigo actuelle Leistungsfähigkeit
des Gehirns kann vom Weibe erst im Lauf von Generationen erworben werden. Nur ganz
vereinzelte, ungewöhnlich stark und günstig veranlagte weibliche Individuen bestehen schon
heutzutage erfolgreich die ihnen durch moderne sociale Verhältnisse aufgezwungene Coneurrens
mit dem Manne auf geistigen Arbeitsgebieten.*
,Die grosse Mehrzahl der diesen Kampf aufnehmenden Weiber läuft Gefahr, dabei in
unterliegen. Die Zahl der Besiegten und Todten ist ganz enorm. Ueberaus häufig leiden
weibliche Beamten, speciell Buchhalter, Comptoiristen, Telegraphisten, Postbedienstete an
recht schweren Formen von Nervenkrankheit und Nervenschwäche. Ganz besonders gilt dies
für Candidatinnen des Lehrfachs. Die Anforderungen an die moderne Lehrerin sind in unseren
geschraubten Culturverhältnissen ungewöhnlich hohe. Kaum den Kinderschuhen entwachsen,
mitten in der körperlichen Entwickelungsperiode, müssen derartige arme Geschöpfe ihren
Geist anstrengen und in unverhältnissmässig kurzer Zeit nahezu ebenso viel Lernstoff bewäl-
tigen, als ein dem Gelehrtenstand sich widmender Junger Mann, der doch kaum vor dem
18. Jahre einem Berufsstudium sich zuwendet. Zu der geistigen Ueberanstrengung, die selbst
nächtliches Studium verlangt, gesellen sich die schädlichen Wirkungen auf den zarten, kaum
entwickelten Körper in Gestalt von Bleichsucht und Nervenschwäche. Nicht selten geschieht
es, dass solche junge Lehrerinnen sofort nach abgelegter Befähigungsprüfung erschöpft ro-
sammenbrechen und schweren Nervenleiden anheimfallen."
Nach einer Notiz der Vossisdien Zeitung (31./3. 1894) hat Jemand in Pazii nntanrochti
wieweit die Frauen die Gabe der Erfindung besitzen. Das französische Patentamt gilbt
im Durchschnitt alle Jahre 125 000 Erfindungspatente aus. Ungefähr nur 100
46 II- ^^^ psychologische Auffassung des Weihes.
fallen auf das weihliche Geschlecht. Unter diesen weihlichen Patenten sind einige allgemeiner
Art. So z. B. eine Ahstimmungsmaschine, ein SicherheitszQgel zum augenhlicklichen Pariren
der Pferde, ein Thermo- Syphon, ein hydraulischer Apparat zum Wasserhehen, ein Mikrometer
für Thermo-, Baro- und Hygrometer, eine Ankündigungsmethode durch Spiegelhilder, eine
Lampe zur Vernichtung der Rehlaus, der Raupen und anderer Eerhthiere, eine Reihe von
Systemen und Mitteln zur Verhinderung von Eisenhahnunffillen und zur Erleichterung des
Bahnbetriehes, Verbesserung der nächtlichen Heersignale mittelst FeuerwerkskOrpem u. 8. w.
Die grösste Zahl von diesen Patenten bleibt aber der weiblichen Sphäre treu. Genannt werden
als Beispiele : Apparat zum Fleischsalzen, Orangenzer Schneider, selbstthätige Saugflasche, Ver-
fahren zur Reinigung alter Wandtapeten, Guttaperchamatrazen, hölzernes Unterbett, Mieder-
gürtel, Kleiderraffer, „hygienische* Toumüre aus luftgefülltem Kautschuk, System -Ton Trag-
bändem zum Kindertragen für arbeitende Frauen, welche die Hände frei haben müssen u. s. w.
Ob diese Patente sich in der Praxis bewährt haben, lässt sich hieraus natürlicherweise nicht
ersehen.
Der so häufig aufgestellten Behauptung, dass es sich nicht um angeborene
Verschiedenheiten in dem geistigen Vermögen des männlichen und weiblichen
Geschlechts handele, sondern dass die in die Augen fallenden Unterschiede einzig
und allein als eine Folge der verschiedenartigen Erziehung und der verschieden-
artigen Methoden des Unterrichts bei den beiden Geschlechtern angesehen werden
müssten, tritt mit klarem und überzeugendem Beweise Delaunay entgegen:
,0n pourrait croire que Tinstruction donnee egalement aux individus de Tun et de
Tautre sexe a pour effet de retablir T^galite entre eux. II n'en est rien. Au contraire, le
fonctionnement du cervoau accroit la pre^minence de Thomme sur la femme. Dans les ^coles
mixtes, oü les deux sexes revoivent la mOme öducation jusqu*ä quinze ans, les instituteurs
observent, qu'ä partir de douzo ans les filles no peuvent plus suivre les gar9on8. Cette Ob-
servation demontre que Tegalite des deux sexes r^v^e par certains philosophes n*est pas prks
de s*accomplir. Au contraire, cette t^galit^, qui existait chez les races primitives, tend ä dls-
parat tre avec le progriis de la civilisation.*
Ein hartes, aber aus solcher Feder wohl nicht zu unterschätzendes Urtheil
fallt der bekannte Anthropologe Carl Vogt^ über die Fähigkeiten der in der
Schweiz bekanntermaassen besonders zahlreichen weiblichen Studirenden:
,Aux cours, les etudiantes sont dos modales d'attention et d*application, peut-Stre m§me
s'appliquent-elles trop a porter ä la maison, noir sur blanc, ce qu'elles ont entendu. EUes
occupent g^n<^ralement les premiers bancs, parcequ'elles se fönt inscrire tr^-töt, et ensnite
parcequ'elles arrivent de tres-bonne heure, bien avant le commencement des cours. Senlement
on pout remarquer ce fait, c'est que souvent elles ne jottent qu'un coup d*oeil soperficiel tur
les prOparations que le professeur fait circuler; quolquefois möme elles les passent au voinn
Sans m§me les regarder; un exanien plus prolonge les empecherait de prendre des notes.*
,Lors des examens, la conduite des etudiantes est la memo que pendant les conrs. Elles
savent mieux que los jeunes gens : pour me servir d*uno cxpression de classe, elles sont önorme-
ment büchees: leur memoire est bonne, de sorte qu'elles savent parfaitement reciter la r^ponse
ä la question qui Icur est poseo. Mais gen^ralement elles en restent lä. üne question in-
directe leur fait perdro le fil. D^s que Texaminateur fait appel au raisonnement individuel,
Texamen est fini: on ne lui repond plus. L'examinateur cherche ä rendre plus clair le sens
de sa question, il lache un mot se rapportant peut-^tre a une partie du manuscrit de Tötn-
diante: crac, i;z. marche comme si on avait presse le bouton d'un telephone. Si les examens
consiataient uniquement en r^ponses ecrites ou verbales snr des sujets, qui ont öt^ iraitös
dans les cours ou qu'on pcut lire dans les manuels, les dames obtiendraient toujonrs de bril-
lants resultats. Mais, helas! il y a encore des epreuves pratiques, dans lesquelles le candidat
se trouve face a face avec la realite, et qu*il ne pourra subir avec succ^s, que s*il a fait des
travaux pratiques dans les laboratoires, — et c'est ici que le bilt les blosse.^
ffLe fait pour lequel les travaux de laboratoire sont particuli^rement difficiles anx
dames — on aura peine a le croire — c'est qu*elles sont souvent maladroites, inhabiles de
leurs mains. Les assistants des laboratoires sont unanimes dans leurs plaintes; on les pour-
suit de questions sur les plus petites choses, et une dame seule leur donne plni de imvail
que trois etudiants. On pourrait croire que les doigts si fins de ces jeoneo femmes se prtient
plus spöcialement aux travaux microscopiques, au maniement des minces lamellfli da vaB% ik
la section des fines coupes, a la confection de petites gracieoses pr^panttions; e*ait
8. Die moderne Psychologie in ihrer Auffassung des weiblichen Charakters. 47
contraire qui est la v^rit^. On reconnaft la place d'une ^tudiante a premiere vue: auz d^bris
de verre, aoz instrumenta bris^, aux couteauz ebr^ches, aux taches provenant de reactifs ou
de maii^res tinctoriales r^pandues, aux preparations abimees. II y a sans deute des ezceptions :
mais ce tont des exceptions.*
Der weibliche Student ist nach Vogt superieure pour „remmagasinement
des choses apprises", et inferieure, au contraire, „en tout ce qui concerne Tactivite
pratique et le raisonnement indiyidueP^
Wir lassen nun auch einer Dame das Wort: Ida Klug äusserte bei der
Frauenfeier zu Heinrich Pestalozzi' s hundertstem Geburtstage Folgendes:
«Man hat behauptet, die Frauen seien im Allgemeinen für die Ausbildung derjenigen
Beschäftigungen, die eigentlich dem Manne zukommen, ebenso geeignet wie dieser, wenn sie
nur auf dieselbe Weise dafür ausgebildet würden. Sie könnten z. B. auf den Gipfel der Kunst
gelangen; sie könnten in den Wissenschaften die Töchter lehren, vollkommen so gut wie der
Mann, oder noch besser u. dergl. m. Dem ist jedoch, nach meinem Dafürhalten, zu wider-
sprechen. So wenig der Mann den Grad aufopfernder, sich selbst verläugnender Liebe zu
erreichen im Stande ist, wie das Weib, ebensowenig ist das Weib, wenn wir nicht die Aus-
nahme von Einer unter Tausenden als Regel wollten gelten lassen, einer so hohen Ausbildung
der Verstandeskräfte fähig, wie der männliche Geist. In dem Weibe herrscht das Seelenleben,
die Kraft der Liebe vor, und durch diese ein feineres Gefühl für das Schöne, Wahre und
Gute; in dem männlichen Geiste dagegen die Macht des Verstandes, mit dem er alles erfasst
and besiegt. Darum kann aber auch das Weib nicht mit der Schärfe und Sicherheit des
männlichen Geistes in die Gebiete der Kunst und Wissenschaft eindringen. Es erlangt darin
nar eine gewisse Höhe, wo die unüberschreitbare Scbneelinie für es beginnt, während der
Mann die riesigen Gipfel kalter, starrer Forschung zu erklimmen im Stande ist. — Wenn wir
daher eine tiefere, allseitigere intellectuello Bildung von den Frauen fordern, so soll dies nur
g^eschehen in Bezug auf ihren eigentlichen Beruf, und hier kann ihnen dann auch wohl mit-
zureden erlaubt sein/
Für die Naturvölker macht Richard Andree^ auf ein merkwürdiges Ver-
halten aufmerksam, welches, wenn auch nicht für alle Stämme zutreffend, doch
ftür die Mehrzahl zweifellos richtig zu sein scheint. Er sagt:
«Fast überall sind es die Männer, welche sich mit der Herstellung von derartigen Ab-
bildungen befassen; das weibliche Geschlecht tritt dabei in den Hintergrund. Sollte das
nicht einem allgemeinen psychischen Gesetze entspringen, das für die verschiedensten Rassen
das nämhche ist? Ein sichtbarer Grund liegt nicht vor, dass die Weiber nicht ebenso gut
wie die Männer sich mit Zeichnungen befassen sollten. Dieses führt unter Umständen zu
eigenthfimlichen Erscheinungen. Der Sinn der Papuas inNeu-Guinea für sehr abwechselnde
«chOne Omamentation ist bekannt, alle Gpräthe und Waffen aus Holz sind mit den ver-
schiedensten Decorationen in Schnitzwerk versehen, aber bei den Töpferwaaren (in Kaiser
Wilhelms- Land), die doch sonst zur Ornamentirung geradezu verlocken und auch solche in
den ältesten prähistorischen Vorkommnissen Europas zeigen, fehlt jede Verzierung, und zwar
deshalb, weil dort die Töpferei est exclusivement confieo aux soins des femmes, dont la nature
est g^neralement peu artistique.*
Eine Gleichstellung der beiden Geschlechter darf daher, wie mit vollem
Rechte Virchow^ sagt, aus intellectuellen und aus physischen Gründen nicht an-
gestrebt werden, denn alle Unterschiede müssen bleiben, die in der physischen
Beeiimmung beider Geschlechter gegeben sind. Eine volle Emancipation würde
zar Auflösung der Familie und zur öffentlichen Erziehung der Kinder führen,
einem Zustande, wie er nur auf den niedrigsten Stufen menschlicher Cultur ge-
funden werden kann.
8. Die moderne Psychologie in ihrer Auffassung des weibliehen
Charakters.
Verbietet sich schon durch die specifischen physiologischen Functionen, welche
das weibliche Geschlecht insbesondere bezüglich seiner sexuellen Aufgaben der
Empfimgnki^ der Schwangerschaft, der Geburt, des Wochenbettes, des Säugens
vaü der KJndiwrtBega, tou der Natur übernommen hat, eine Gleichstellung
48 U. Die psychologische Auffassung des Weiber
beider Qeschlecbter, so tritt der Unterschied zwischen Mann und Weib auch in
psychologischer Hinsicht recht deutlich hervor. Denn das gesammte geiatige
Leben des Weibes erhält specifische Bildangsbahnen, und wenn nan allerdingB
auch dem Weibe keineswegs irgend eine geistige Fähigkeit YoUstSndig fehlte
welche der Mann besitzt, so sieht man doch theils durch die ursprüngliche Anlage
und theils durch den physiologischen Lebensgang gewisse flhi^eiten mehr,
andere^ weniger beim Weibe zur Entwickelung gelangen. In anthropologiBcher
Beziehung bemerkt hierüber Lotze^ sehr treflfend Folgendes:
«Vergleicht man die Divergenz in der Richtung der geistigen Bildung, die in Cultor-
völkem männliches und weibliches Geschlecht scheidet, mit dem, was sich bei den wilden
Stämmen findet, so ist zu befürchten, doss ein grosser Thoil der Zartheit, der Weichheit und
des GefQhlsreichthums, den man so gern von der feineren und geschmeidigeren Textur des
weiblichen Körpers abhängig macht, ebenso wenig in diesem Grade eine directe Naturanlage
ist, als jene leiblichen Eigenschaften selbst. Mag immerhin auch bei wilden Völkern die
Muskolfaser des Mannes straffer, seine Respiration energischer, sein Blut reicher an feiten
Bestandtheilen, seine Nerven weniger reizbar sein, so sind doch alle diese Unterschiede ohne
Zweifel selbst erst durch die Lebensweise der Civilisation vergrOssert, die vielleicht alle
körperliche Kraft etwas herabsetzt, aber unverhültnissmässig mehr die des weiblichen Ge-
schlechts, während sie zugleich, wie die Zähmung der Thiere, Schönheit und Feinheit der
Gestalt steigert. Gewiss halten wir nicht allen psychischen Unterschied der Geschlechter für
unerzogen; ihre verschiedene Bestimmung mag allerdings auf die Richtung und Bildung
grossen natürlichen Einfluss ausüben ; dagegen sind wir überzeugt, dass die meisten detaillirtea
Beschreibungen hierüber nicht Schildeningen eines natürlichen, sondern eines künstlichen und
zwar bald eines depravirten, bald ciues durch Cultur höher entwickelten Zustandes sind.
Gewiss gehört zu den Symptomen einer vorkehrten Bildung und selbst einer depravirten An-
sicht über die natürlichen Verhältnisse die ungemeine Wichtigkeit, welche man in dem weib-
lichen Seelenleben nicht sowohl den Goschlechtsfunctionen, als vielmehr der Reflexion üb«
sie und der beständigen Erinnerung an sexuelles Leben beimisst, während man dem m&nn-
lichen Geiste von Anfang an eine objoctivere Richtung auf zusammenfassende Weltanschannng
zuschreibt. Man begeht denselben Fehler, den man so häufig bei der Betrachtung der Instinete
begangen sieht: man vergisst, dass neben den einzelnen durch Naturanlage bestimmten Trieben
noch ein bewegliches unabhängiges Geistesleben steht, und dass der Kreis der Interessen nicht
mit diesem einen Instincte abgeschlossen ist."
Dass die periodisch wiederkehrenden Einflüsse, welche durch die vielgestaltige
Reihe der Fortpflanzuiigsfunctionen das Weib in Anspruch nehmen, auch auf das
Seelenleben desselben während der Ausübung dieser Functionen einwirken , ist
selbstverstUndlicli. Allein Lot;:e macht mit Recht darauf aufmerksam, dass wir
noch wenig aus j)hvsiolojrischen Motiven das permanente Gepräge zu erklaren
vermögen, welches während der Zeiten des Aussetzens jener Geschlechtsfunctionen
die Gesammtentwickelung dos Geistes festhält. Er sagt: Die Dimensionen der
Körpertheile, dos Kopfes, dor Brust, des Unterleibes und die damit verbundenen
Entwickelungsverschiodenheiten der inneren Organe mögen allerdings durch die
abweichende Raschheit, Kraft und Reizbarkeit der Functionen charakteristische
Mischungen des Gemeingelühls bedingen, aus denen nicht nur Bevorzugung
einzelner Gedankenkreise, sondern auch eine Disposition zu gewissen formalen
Eigentliümlichkeiten des Vorstellungsverlaufs und der Phantasie folgen könnten.
Am nächsten würde es uns liegen, die Verschiedenheiten der Entwickelung von
der Natur dos Nervensystems und seiner Erregungen abzuleiten. Bestimmte
rnterschiede in der Structur der Centralorgane, die wir zu deuten wQssten, sind
bisher nicht aufgefunden worden.
Diese Aussprüche Lofze's gelten noch heute, obgleich seitdem mehr als vier
Jahrzehnte verflossen sind, welche in der Nervenphysiologie vieles Neue zu Tage
brachten. Noch immer wissen wir nur, dass das weibliche Geschlecht einer grossen
Reihe von Nervenkrankheiten weit zugänglicher ist, als das männliche,
also das Nervensystem des Weibes ohne Zweifel eine specifische Thatigkeit Sa
Die „Nervosität^', diese in unserer Zeit und bei unserer Cultar sehr
50 II* ^^0 psychologische Auffassung des Weibes.
Anomalie, ist allerdings wohl auf beide Oeschlechter in gleicher Zahl yertheilt;
und es ist gewiss falsch, wenn man behauptet, dass das Weib mehr als der Mann
zur Nervosität neigt (MSbius), Vielmehr ist es Thatsache, dass das Weib Yor-
zugsweise der Hyperästhesie und den mit ihr verbundenen Erankheitflformen aus-
gesetzt ist, und dass namentlich die sogenannten hysterischen Zustande fiist nur
bei Weibern vorkommen, während sich die Hypochondrie als Männerkrankheit
darstellt; die eigenthümlichen Schwäche- und Erschöpfungszustände, die man als
„Neurasthenie'^ bezeichnet, sind viel häufiger bei Männern als bei Weibern be-
obachtet worden.
„Das Weib,'' sagt Möbius^ „verhält sich im Allgemeinen passiv. Es herrscht
in ihm das Gefühlsleben vor; die Intelligenz ist, wenn vielleicht auch von vorn-
herein der männlichen ebenbürtig, wenig entwickelt, insbesondere tritt das Ver-
mögen der Begriflfe, die Vernunft, zurück. Insofern kann man in der weiblichen
Natur eine Disposition zu den Nervenleiden finden, für welche Willensschwäche
charakteristisch ist/'
Alle jene Perioden, welche als Entwickelungsphasen des weiblichen Geschlechts
auftreten, geben mehr oder weniger Anlass zu nervöser Erkrankung; der Eintritt
der Menstruation, die Schwangerschaft, das Wochenbett, die Wechseljahre oder
das Klimakterium haben namentlich bei unseren cultivirten Lebensverhältnissen die
verschiedensten Störungen im Bereiche des Nervensystems im Gefolge, währ«id
die Frauen der wilden Völker, wie es den Anschein hat, viel weniger solchen
nervösen Leiden, sowie auch den mannigfachen Erkrankungen der Geschlechts-
organe ausgesetzt sind.
Die geringere Grosse der Kraft, welche das weibliche Geschlecht im Gegen-
satz zum männlichen zeigt, wird, wie Lotze^ sagt, durch ein höheres Maass der
Anbequemun^fahigkeit an die verschiedensten Umstände ausgeglichen. Die leib-
lichen Bedürfnisse der Frauen sind weit geringer, als die der Männer; sie essen
und trinken weniger; sie athmen weniger und widerstehen der Erstickung, wie
man behauptet, besser. Alle Mühseligkeiten, wenigstens die, welche allmählich
anwachsen und fortdauern, alle Entbehrungen ertragen sie theils leichter, als die
Männer, theils wenigstens weit glücklicher, als im Verhältniss zu ihrer körper-
lichen Kraft erwartet würde. Sie überstehen Blutverluste und dauernde Schmerzen
besser ; selbst die grössere Reizbarkeit ihres Nervensystems, um deren willen viele
unbedeutende Störungen ausgedehnte Nachwirkungen erwecken, scheint ebenso
sehr die schnelle und gefahrlose Zerstörung der erfahrenen Erschütterungen zu
begünstigen. So erreichen sie selbst unter ungünstigen Umständen häufig ein
hohes Alter, obgleich die Beispiele höchster, bis in das zweite Jahrhundert
reichender Lebensdauer auf Männer zu treffen scheinen. Allen sehr heftigen
Sinnesreizen von Natur abgeneigt, haben sie doch gegen unangenehme Eindrücke
weit mehr nur ästhetischen Widerwillen, wo der Mann seinen physischen Ekel
mühsam bezwingt. Dieselbe Anbequemungsfahigkeit zeigt sich in den ver-
schiedenen Lagen des Lebens. Lotee führt dafür die alte richtige Bemerkung an,
dass Frauen sich weit leichter in neue Lebenszustände , ungewohnten Rang und
veränderte Glücksgüter schicken, während der Mann die Spuren seiner Jugend-
erziehung kaum verwischen kann. Auch weist er auf das Gemisch sanguinischer
Lebhaftigkeit und sentimenaler Warmherzigkeit hin, das wir an Frauen ent-
weder finden, oder dessen Mangel wir als eine Unvollkommenheit der Einzelnen
beklagen.
«Es dürfte kaum etwas geben, was ein weiblicher Verstand nicht einsehen kOnnte,
aber sehr vieles, wofür die Frauen sich nie interessiren lernen. Sagt man nun h&afig, das»
des Mannes Krkcnntniss das Allgemeine, die des Weibes das Einzelne suche, so wird man in
zahlreichen Fällen gerade die Individualisirungskraft der Frauen geringer finden; ohnehin
würde jene Vertheilung des Erkenntnissgesch&ftes nicht zu den egoistischen Bestrebiuig«,
die man dem m&nnlichen Willen, und zu der Unterordnung unter das AlIgomeiBa ■fimwiiB
die man der yeib^phep ScJ]^8tt)pschr(nknng ^zc^wejst. ^an würde vielleicht xichtigtr Wß
8. Did modern« Pijcfaologie in ibr^r Aa^aettiiig des weibllcbeii Charakter».
51
Krkcitotiius und Wille de^ Mannes auf AU gemeines, die des Weibes auf Ganseü
ferichyrt *iod,* Dietien SaU führt dann Latze weiter aus, wobei er unter anderem äussert:
,& iit weihticbe Art, die Analyse su hassen und das entstandene Ganze, so wie es abge-
«clÜQtBMi 4j|»ieht, in adinem anmittelbaren Werthe und seiner Schönheit zu geniessen und
tu bewundeni.*
Dann fUhrt er in seiner CharakteriBirung fort: «Alle männlichen Bestrebungen beruhen
■af der liefern V^^rr^hnmg des Allgemeinen; sei bat Stob ond Ehrfurcht des Mannes ist nicht
'4e Gewährung, aondem sein Anspruch beruht auf dem Betrage aU-
VortQge, die er in sich zu vereinigen glaubt: er füWt aich durchweg
uUches Beispiel des Allgemeinen, und verlangt, mit Anderen nach
>4se gemessen zu werden. Die Neigung des weiblichen Gemüths ist
u-ui Ganzen gewidmet; so wenig die Schönheit einer Blume nach gemein-
' mit der einer andern zu vergleichen ist, so wenig wünscht das Weib
u anderen zu gelten; und wo der Mann gern im Dienste des Allgemeinen
:,lige«innter eintritt und in ihr untergeht, will das Weib als schönes, ge*
- Ganzes, nur aus sich selbst ver^tfindlich^ nur um der unvergleichlichen Eigentbüm-
^^ individuellen Wesens willen gesucht und geliebt sein." In %'ielen, aus dem
;i?n Zügen findet LoUc Belege dieser allgemeinen Verschiedenheit: Die geichtlft-
iungen der MS^nner sind kurz, die der Frauen wortreich und selten ohne viel-
»lung ; sie haben wenig Zutrauen zu der Festigkeit eines gegebenen Wortes,
A ifA^ Eigenthum hält der Mann am häuÜgsten fär das, was es wirklich ist, für eine
n verwendbarer und tbeilbarer Mittel, und seine Freigebigkeit achtet kein angebliches
^;ehören dorstdben-. die Verschwendung der Frauen besteht meistens in Anschaffungen,
• nie die Aufgaben der Entgeltmittel nicht selbst übernehmen. Das einmal er-
in ihren Händen beündliche Eigenthum erscheint ihnen dagegen leicht als
n?T Bestand^ dessen Theile, weil sie ein Ganzes bilden, von einander zu reissen
^isse seiner Darstellung sogt LoUc: ^Ich möchte endlich die Behauptung wagen,
oihlicbe Gemüth die Wahrheit Oberhaupt einen anderen Sinn hat, als fttr den
lit. i^en Frauen ist alles das wahr, was durch die vernünftige Bedeutung ge-
■*' wird, mit der es sich in daä Gan%e der übrigen Welt und ihrer Verhältnisse ein-
'f<'ni wpniger darauf an, ob es zugleich reell ist. Sie neigen deshalb zwar nicht
/.um Schein» und es liegt ihnen nicht daran, ob irgend etwas, was in einer
aon werth gewordenen Beziehung il&n verlangten Dienst des Scheines thut ^,
i Beziehung verfolgt, sich als ein solches abweisen würde, dem mit Recht so
•nni^n gebührt. Selbst etwas scheinen zu wollen, ohne es zu sein, ist allerdings ein
n4itoiiM menschliches Gebrechen; aber von dem wenigstens, was er besitzt, pflegt der
HauD S<]tidität und Echtheit zu verlangen; Frauen dagegen haben eine sehr ausgedehnte
Vyrli0l?r für Surrogate. Mit diesen Neigungen stüd sie wissenschaftlichen Bestrebungen nicht
laitän^Iicbt und ihre Gedanken haben einen könstlerischen, anschauenden Gang« So wie der
Pirhti»r mVht durch Analjse und Berechnung Charaktere schafft, sondern deren Wahrheit
' ij^s er selbst ohne das Gefühl küuBtlichor Selbst Verdrehung ihre ganze Weise
;^*nen Gemüth nachzuleben vermag, so liebt die weibliche Phantasie sich un-
•tlfttibar i« Dinge hinein zu versetzent und sobald sie eine Vorstellung davon erreicht, wie
[Irin. WA« kIa. iiit, sich bewegt und entwickelt, in seinem Sinn, seiner Bewegung und Ent-
I zu Muthe sein möge, glaubt sie ein volles Verständniss zu besitzen« Dass
^'i'Ht, wie dies alles so sein und geschehen könne, selbst noch ein wissen-
einschließt, ist den Frauen schwer begreiflich zu machen. Man bemerkt
ater des Lebens, wie die Sicherheit des religiösen Glaubens und der Friede
1 1^ hiermit zusammenhängen; aber auch in kleinen, unscheinbaren Zügen
fmari cnAn uii'^«*i uebergewicht des lebendigen Taktes über die wissenschaftliche Zergliederung.
Taoimilo von zi«nrÜchon technischen Handgriffen wenden die Frauen bei ihren täglichen
Arbeiicn aa; aber was sie geschickt ausführen , wissen sie kaum zu beschreiben, sie können
m KOT ««gm* Dio aoaljrsirende Reflexion auf ihre Bewegungen liegt ihnen so wenig nahe,
d«M man ohn« Gt&br gioasen Irrthumes behaupten kann, Worte wie recht«, links« quer,
JllKrwiifidlich* b«d«nt«]i ia dar Sprache der Frauen gar keine mathematischen Relationen,
«mideni gevitt«« i^igenthümlicha Gefühle, dio man hat, wenn man im Arbeiten diesen Be*
oph«^o, iiameatlich Schopenhauer, weisen dem weiblichen
' " ' ' --t-i i'- 'geradezu als eine untergeordnete bezeichnet
•cbaRlieJt
ÜlkiÜlk
52 II- I^io p8}xholog^sche Auffassung des Weibes.
werden miiss. Wir können solche Urtheile nicht verschweigen, denn sie rQhren
von unzweifelhaft geistvollen Männern her, und sind wiederum ein Beweis dafür,
dass es nur auf den Gesichtspunkt ankommt, von dem aus das Weib betrachtet
und aufgefasst wird. Schopenhau4^r sagt:
r Schon der Anblick der weiblichen Gestalt lehrt, dass das Weib weder za groeieii,
geistigen, noch körperlichen Arbeiten bestimmt ist. Ks trägt die Schuld dee Lebens nicht
durch Thun, sondern durch Leiden ab, durch die Wehen der Geburt, die Sorgfiüt filr du
Kind, die Unterwürfigkeit unter den Mann, dem es eine geduldige und aufheiternde GefUirtin
sein soll. Die heftigsten Leiden, Freuden und Eraftäusserungen sind ihm nicht betcfaieden;
sondern sein Leben soll stiller, unbedeutsamer und gelinder dahinfliessen, als das des Manne«.
ohne wesentlich glücklicher oder unglücklicher zu sein. Zu Pflegerinnen and firsieherinnan
unserer ersten Kindheit eignen die Weiber sich gerade dadurch, dass sie selbst kindisch,
läppisch und kurzsichtig, mit einem Worte zeitlebens grosse Kinder sind: eine Art Mittelstofie
zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist. Man betrachte
nur ein Mädchen, wie sie Tage lang mit einem Kinde tändelt, herumtanzt und singi;, nnd
denke sich, was ein Mann, beim besten Willen, an ihrer Stelle leisten kOnnte.*
,iMit den Mädchen hat es die Natur auf das, was man, im dramaturgischen Sinne, einen
Knallettekt nennt, abgesehen, indem sie dieselben auf wenige Jahre mit Überreichlicher Schön-
heit, Reiz und Fülle ausstattete, auf Kosten ihrer ganzen übrigen Lebenszeit, damit sie näm-
lich, während jener Jahre, der Phantasie eines Mannes sich in dem Maasse bemächtigen
könnton, dass er hingerissen wird, die Sorge für sie auf zeitlebens, in irgend einer Form,
ehrlich zu übernehmen, zu welchem Schritte ihn zu vermögen die blosse vemfinftige Ueber-
legung keine hinlänglich sichere Bürgschaft zu geben schien. Sonach hat die Natur das
Weib, ebenso wie jedes andere ihrer Geschöpfe, mit den Waffen und Werkzeugen ausgerflftet,
derer es zur Sicherung seines Daseins bedarf, und auf die Zeit, da es ihrer bedarf, wobei sie
denn," so setzt Schopenhauer wenig höflich hinzu, „auch mit ihrer gewöhnlichen Sparsamkeit
verfahren ist. Wie nämlich die weibliche Ameise nach der Begattung die fortan fiberflflnigen,
ja für das Brutverhältniss gefährlichen Flügel verliert, so meistens nach einem oder zwei
Kindbetten das Weib seine Schönheit, wahrscheinlich aus demselben Grunde.* Hierin macht
Schopenhauer den Versuch, die Schönheit vom teleologischen Standpunkte aus aufzufassen.
Auch in der zeitigeren Reife des Weibes findet Scfiopenhauer ein Zeichen f&r die
Inferiorität, indem er ausführt: , Je edler und vollkommener eine Sache ist, desto später und
langsamer gelangt sie zur Keife. Der Mann erlangt die Reife seiner Vernunft und Geistes-
kräfte kaum vor dem achtundzwanzigsten Jahre, das Weib mit dem achtzehnten. Aber es
ist auch eine Vernunft danach: eine gar knapp gemessene. Daher bleiben die Weiber ihr
Leben lang Kinder, sehen immer nur das nächste, kleben an der Gegenwart, nehmen den
Schein der Dinge für die Sache und ziehen Kleinigkeiten den wichtigsten Angelegenheiten
vor u. K. w."
Dagpgen gesteht Schojyenhaurr zu: ,In schwierigen Angelegenheiten nach Weise der
alten Germanen auch die Weiber zu Rathe zu ziehen, ist keineswegs verwerflich: denn ihre
Auffassungsweise der Dinge ist von der unsrigen ganz verschieden und zwar besonders da-
durch, dass sie gern den kürzesten Weg zum Ziele und überhaupt das zunächst Liegende ins
Auge fassen, über welches wir, eben weil es vor unserer Nase liegt, meistens weit hinweg-
Kchen; wo es uns dann Noth thut, darauf zurückgeführt zu werden, um die nahe und ein-
fache Ansicht wieder zu gewinnen. Hierzu kommt, dass die Weiber entschieden nüchterner
sind, als wir, wodurch sie in den Dingen nicht mehr sehen, als wirklich da ist; während wir,
wenn unsere Leidenschaften erregt sind, leicht das Vorhandene vergrössem. oder Imaginäres
hinzu! (igen. Aus derselben Quelle ist es abzuleiten, dass die Weiber mehr Mitleid und daher
mehr Menschenliebe und Theilnahme an rnglücklichen zeigen, als die Männer, hingegen im
Tunkte der Gerechtigkeit, Redlichkeit und Gewissenhaftigkeit diesen nachstehen.*
..Weil im Grunde die WeiVier ganz allein zur Propagation des Geschlechts da sind und
ihre Boätimmung darin aufgeht, so leben sie durchweg mehr in der Gattung, als in den Indi-
viduen, nehmen es in ihrem Herzen ernstlicher mit den Angelegenheiten der Gattung, als mit
den individuellen. Die^^ giebt ihrem ganzen Wesen und Treiben einen gewissen Leichtsinn
und überhaupt eine von der des Mannes von Grund aus verschiedene Richtung, aus welcher
die HO häufig und fa^t normale Uneinigkeit in der Ehe erwächst.*
Wie hart und ungerecht der bekannte Philosoph Eduard v. Hartmaum^
über die Frauen urtheiit, können wir auch nicht unbeachtet lassen. Wenn einig«
54 II- ^^0 psychologische AufPassmig des Weibes.
Züge in dem von ihm entworfenen Gemälde des weiblichen Charakters treffen,
so ist dasselbe doch viel zu dunkel gehalten:
,Die weibliche Sittlichkeit, namentlich die der weiblichsten Weiber, ist sehr oft von
dieser Art, und dies ist der Hauptgrund, warum das weibliche Geschlecht im Granzen so sehr
viel schwerer als das männliche zu jener sittlichen Reife des Charakters gelangt, wo die
Autonomie erst in ihr volles Recht tritt. Die Mehrzahl der Weiber bleibt ihr Leben lang in
sittlicher Hinsicht im Stande der Unmündigkeit und bedarf deshalb bis an ihr EZnde einer
Bevormundung durch heteronome Autoritäten; sie selbst haben meistens das richtig^ GefQhl
dieser Bedürftigkeit, und je unfähiger sie sind, dem blossen Abstractum des modernen Staate«
eine Autorität einzuräumen, je mehr sich ihr Stolz dagegen auflehnt, im Gatten oder dem
natürlichen Beschützer die leitende Autorität für ihre Handlungen anzuerkennen, desto ängst-
licher klammern sie sich an die heteronomen Autoritäten der Religion und der Sitte, desto
haltloser steuern sie als steuerloses Wrack auf dem Ocean des Lebens umher, wenn auch
diese beiden Anker ihnen zerrissen sind. Man mag diese Thatsache im Sinne der autonomen
Moral sehr betrübend finden, aber man muss sie im Interesse der Wahrheit und des prak-
tischen Lebens als Thatsache anerkennen, nach ihr seine Vorkehrungen treffen und sich
hüten, ihre Bedeutung in einem falsch verstandenen Interesse für das weibliche Geschlecht
abschwächen zu wollen. Wenn Wahrhaftigkeit und Ordnungssinn Charaktereigenschaften dar-
stellen, bei denen die Erziehung verhältnissmässig mehr, als bei anderen, zu thun Termag,
wenn namentlich der Ordnungssinn durch ästhetischen Sinn für Harmonie zum Theil ersetzt
werden kann: so sind Rechtlichkeit und Gerechtigkeit diejenigen beiden Charaktereigen-
schaften, welche von allen bisher betrachteten moralischen Triebfedern beim weiblichen €re-
schlecht im Durchschnitt am schwächsten vertreten sind. Das weibliche Geschlecht ist das
unrechtliche und ungerechte Geschlecht, und nur derjenige kann sich über diese Thatsache,
welche natürlich sehr erhebliche Ausnahmen zulässt, täuschen, der die äussere Legalität und
die Wahrung der schicklichen Form mit dem Vorhandensein der entsprechenden Gesinnung
verwechselt.*
So wirft V. Hartmann^ den Frauen vor, dass sie sich mit Vorliebe im
Fahrwasser rechtsfeindlicher Neigungen bewegten, alle geborene Defraudantinnen
aus Passion seien, zur Fälschung eine intensive Neigung hätten (ein Viertel der
Dienstbücher weiblicher Dienstboten in Berlin enthielt plumpe Fälschungen),
dass sie beim Spiel mogelten und dies den Reiz des Spiels ftir sie ausmache, dass
sie nie ohne Ansehen der Person urtheilten, die Mutter stets Lieblingskinder und
Aschenbrödel hätten — kurz v. Hartmann weiss den Frauen so viel Uebles
nachzureden, dass wir glauben müssen, er habe mit denselben recht schlimme
Erfahrungen zu machen Gelegenheit gehabt. Wir überlassen sein Urtheil der
Kritik des Lesers.
Noch schlechter kommen die Frauen nach Hering in dem der speciellen
japanischen Damenliteratur angehörigen Werke Onna Daigaku fort. Es sind
nach Angabe dieses Lehrbuches fünf Untugenden den Frauen besonders eigen,
wegen derer sie tiefer unter dem Manne ständen. Von je 10 Frauen seien sicher
mindestens 7 bis 8 mit diesen fünf ^Krankheiten^' behaftet. Diese sind Ungehor-
sam, heimtückische Bosheit, Schmähsucht, Eifersucht und Albernheit oder Un-
verstand. Geschmeichelt werden sich die Japanerinnen durch dieses Urtheil
wohl nicht gerade fühlen.
Auch die Sprüche der alten Inder wissen vielerlei Schlechtes von den
Frauen zu melden (BöhÜingTc),
^Wie die Flüsse, so streben die Woiber, selbst die von vornehmer Herkunft, ihrer Natnr
gemäss, o Schande, zum Niedrigen hin!*
,Dor Unehre Ursache ist das Weib, der Feindschaft Ursache ist das Weib, des welt-
lichen Daseins Ursache ist das Weib; darum soll man das Weib meiden.*
,Wer hat diesen Strudel von Zweifeln geschaffen? Wer dieses Haus voller UngMOgen-
heiten, diese Stadt voller Uebereilungen, dieses Lagerhaus voller Fehler, dieeet mit hnndartvlii
Betrug besäete Feld von Unzuverlässigkoit, dieses Hindemiss an der Himmelipforta, diem
Eingang zur HGllenstadt, diesen Korb mit allen möglichen ZauberkQniten, ich meiiM dii V
puppe Weib, dieses wie Nektar erscheinende Gift, diese Schlinge f&r die MentohliiikY*
9. IHe abnormen Ehdii and der Seibatmord.
u
9. Die abnornieti Ehen und der Selbstmord.
l>i<i Siatisstik der Bevölkeruugsbewegang zeigt, dass im Gebiete des deut-
le 1^ 60—65 Ehen auf 10000 jährlich geschlossen werden, bei denen
^' e Theil das 40- und 45. Jahr bereits Überschritten hat. Bei einer
Liomlil dieser Ehen ist der männliche Theil jünger, als der weibliche. Sogar noch
"böfarren Älter registriren wir Fälle, in denen das Weib das eheliche Band dem
cnen Leben vorzieht. Die Bevölkerungsstatistik nennt solche Ehen vom
icdpankt? der Volksvermehrung aus betrachtet abnorme Ehen.
In Berlin befanden sich im Jahre 1887, also nach Einfllhrung der Civilehe,
imti?r 14 451 den Bund der Ehe schliessenden Vertreterinnen des weiblichen Ge-
ftcUethtü 3S37 zwischen dem 35. und 5U., 119 zwischen dem 50. und 65. und 5
«ogmr «wischen dem 6.^. und 70. Jahre.
hl «Idn J; '1 —1893 batt43n unter 51 f303 Frauen, welche sich verehelichten, 4^4 das
D. Iftb^liQabr Ltten; 2f> standen Kwischen dem 60. und 65. Lebensjahre, and 5 Frauen
9D lOgar noch, welche 3,ltcr als 65 Jahre waren- Münner zwischen 25 und 45 Jahren
50 Mal Frauen, welche zwischen 50 und 65 Jahren standen. 5 MSlnner swischen
210 und 35 heiratbdlea Frauen zwischen 55 und 60, und ein Mann im Alter von 25 bis 80
Jftiirtii wagte sich sagar an eine zwischen dem 60. und 65. Jahre gtehondo Frau heran.
«ElQ «ehr verbreitetem Vorurtheü, sagt LudtcKj Fuhl, führt dieee Ehen steta auf die
> SpeculatioiUMUcbt zurdck, weil man es für unmöglich hält, dasg ein Weib in dieaem
ftxich von Liebe orfaast werden könne. Allein aus der psychologischen Betrachtung
' CrifDinalfÜUer welche typischen Werth besitzen, erglebt sich, daas diese paychologische
Injnltglicbkeit dori^haut» nicht vorhanden ist. Sogar in Ländern, in welchen die Frauen viel
'tftidMr v«rblahon, all bi^i uns, finden sich ausweiBlich der Statistik Früle von EheBchlioääungen
kn TOffOfHelctein Alter in keineswegs verschwindender Zahl. Es ist dies doppelt merkwürdig^
weO diö Italienerin nehr früh häuslich wird; während die deutliche Frau der hdheron
KlftMCl» mit vieriig Jahren in Tcahlreichen Fallen noch eine Erscheinung bietet, welche das
lor» befriedigt, ist die Italienerin in diesen Jahren schon un*
♦tefdhl scheint bei der Tochter der heissen Zone aicht mit dem
11 Die leidenschilt tlicho Natur, die Fähigkeit, mit der Gluth
iit in der zweiten Hulfte des Lebens noch in derselben Stärke
wie in der ersten. Tnd die^ wird auch in Italien durch CriminalHLlie
WtUUigt, in welchen Frauen in vorgeschrittenem Aller aus plötzlich entfesselter Leidenschaft
4it tch werkten Verbrochen begingen, welche dem Criniinalisten bekannt aind. Die Annalen
italienischen FürKtengeschlechter. insbesondere die der Mediceer, bieten hierfür Beispiele. *
.Ein« weitere i^tUtze giebt die Selbstmordstatistik ab. Zwar ist kein Theil derselben
b«ititiinit und so wenig fundirt, wie das Kapitel, welches sich mit den Motiven be*
igtr Allein gleichwohl darf mit ziemlicher Sicherheit behauptet w erden , dass das Motiv
sbo nur zweimal verb&ngnissvoll und zahlreiche Opfer fordernd in das weibliche Leben
«Bfrall, taenii in dem Alter^ welches, von diesem Gesichttipunkte ans betrachtet, das klassbche
fMttSBt werden darf« in den Jahren 18 bis 22, sodann in der Zeit vom Beginne des vierten
DM«Bkni«imt bi» über die Hälfte, ja bis gegen das Ende desselben.*
Obgleich ich in einem späteren Abschnitt über den natürlichen Tod des
reib«i noch eingehender zu sprechen haben werde, so ist es gewiss nicht ohne
Blereuie, «nch hier «chon an der Hand der Statistik die Frage zn prüfen, wie
die Neipnng, i^eineni Leben ein Ende zu machen, bei den verschiedenen Ge*
cbiern ▼erhalt, nnd weiterhin zu untersuchen, ob sich für den Seibatmord
~tiji« besondere '^ ntsursache in der Ehe oder in der Ehelosigkeit nach-
ritseD loisit JV' imtte in Frankreich gefunden, dass sich Wittwen viel
ah rerbeirathete Frauen den Tod gaben, und dass die Familie , in welcher
Torlianden sind^ viel weniger leicht den Gedanken an Selbstmord auf-
960 Itot, aln die kinderlose Familie. J. Batillon jun. nahm die Angelegen-
di« »ein V 'r auf. Im Alter von 25 Lebens-
fand VT I : den Unrereheliehten (VVittwern
|t 80 grosK iila bei den Verehelichten von
i,r^..t* ,.ot.^., .;.* ..Ki'.. -it'rt-] ^-'')»er. Die
SdiOAMUfcfQbl «}
gioicfai gültig A
Körper gleich f^
der LeadüMChii
«451 U|
56
IL Die psychologische Auffassung des Weibes.
Forschungen wurden vor allem an der Bevölkerung von Schweden vorgenommen.
Die folgende Tabelle giebt eine üebersicht über die Fälle von Selbstmord, welche
in ungefähr den gleichen Zeiträumen in den verschiedenen Ländern Europas
vorgekommen sind.
(Selbstsnorde) Land
Zeitraum
1867-83
1865—83
1865-88
1865-82
1876-83
1876^82
1878-83
l!!^"o Verehelichte
17591
16814
4631
6775
5223
930
426
2009
3854
Ledige
j Ver- SuiiKjLQ dtr
ijwittwete , Ehelo^en
Slme.
5762) 632 6394 !631 7 1193
6822
1825
2728
1931
368
202
1355 18257: B983
276l2lUljil793
604
276
94
25
189
33S2fl959
22071639
4621 211
2271
1742'
108
401
1523
1220,1653
469
620
esi
146
37
250
9
298'
579
297
54)
31j
145!
^ I
9663
7636
2701
S443
2761
930
199
935
1873
Italien
BftcliBQti . , ,
Baden . .,
Schweden ,
Schweiz .,.,,. .
Norwegen ......,....,,
Finnland .,.,
Dtneinark, , .....' 1880-83
Württemberg . i 1870—81
Aus obiger Tabelle ergiebt sich Folgendes:
Von 54 599 Selbstmördern waren :
mannlich 32295
weiblich 9213
verehelicht 24702
ehelos 30141
verehelichte Männer 20505
Weiber 3451
ehelose Männer 21790
, , Weiber 5722
Es haben sich also in der gleichen Periode über dreimal soviel Männer das
Leben genommen als Frauen. Die grösseren Anforderungen und Aufregungen,
welche der Kampf um das Dasein an das männliche Geschlecht in b^eutend
höherem Maasse stellt, als an das weibliche, geben hierfär eine hinreichende Er-
klärung. Femer sehen wir, dass die Zahl der nicht in der Ehe lebenden f&r
die Selbstmörder ein höheres Contingent geliefert hat, als die Verehelichten, und
zwar die Männer sowohl als auch die Weiber. Wir müssen daher wohl die Be-
rechtigung des Satzes anerkennen, dass in der Ehelosigkeit in gewissem Sinne
eines der prädisponirenden Momente für den Selbstmord gesucht werden muss.
10. Die Betheiligang des weiblichen Geschlechts am Yerbrechen.
Der Physiologe Rudolphi sagt: „Das Weib ist im Vergleich zum Manne
zarter, weicher, kleiner, beweglicher, veränderlicher, reizbarer, eitler, demüthiger,
geduldiger, frommer. Schlecht erzogen wird es zur Furie und übertrifft den Mann
in allen Lastern.''
Mit dem Einflüsse des Geschlechts auf den Hang zum Verbrechen hat uns
zuerst Quetelet^ bekannt gemacht. An der Hand der Statistik gelangt er zu fol-
genden Schlüssen:
«Versuchen wir die Thatsachen zu analysiren, so scheint es mir, dass die Moralit&t des
Mannes und des Weibes (abgesehen von der Schamhaftigkeit) weniger verschieden ist, als
man im Allgemeinen annimmt. Was den £influss der Lebensweise selbst anbetrifft, so glaube
ich, dass derselbe sich recht wohl ermessen lässt aus den Verhältnissen, welche beide Ge-
schlechter in Betreff verschiedener Arten von Verbrechen , bei denen weder die St&rke noch
die Schamhaftigkeit in Betracht kommt, z. B. bei Diebstählen, bei falschem ZeogniM, bei
betragerischem Falliment u. s. w. darbieten ; jene Verhältnisse betragen etwa 100 sa 21 od«r
zu 17, d. h. 5 oder 6 zu 1. Bei den anderen Fälschungen ist aus angeiührtai Gfflndn dM
Verhältniss etwas stärker. Wollte man die Intensität der Ursachen, wdoh« auf ^
einwirken, numerisch ausdrücken, so kOnnte man sie schätien, indem nv
hältniss zur Stärke selbst stehend, oder ungefähr wie 1 su 2 aanehniii*
58 II- I^io psychologische Auffassung des Weibes.
Verhältniss beim Vatermord. Bei den Verbrechen, wo die Schwäche und das zurfickgecogene
Leben der Frauen zugleich in Betracht kommt, wie beim Todtschlag oder beim Sirassenraub,
müsste man, bei Befolgung des gleichen Weges bei der Berechnung, das Verh<niss der
Stärke 1/2 mit dem der Abhängigkeit ^5 multipliciren, dies giebt Vio» eu^ Verh<niss, das
wirklich mit den Ergebnissen der Statistik ziemlich abereinstimmt.*
Nach der Statistik der Aufgreifungen im Seine-De partement (1855 — 1864)
hätte das Weib im Grossen und Ganzen nur etwa den fünften Theil der Wahr-
scheinlichkeit des Mannes, der StraQustiz zu verfallen.
Zu ganz ähnlichen Schlüssen gelangte auch der Statistiker Georg Mayr,
welcher QueteleVs Angaben mit der Verbrecherstatistik von den Schwurgerichten
Bayerns (1840 — 1866) verglich; es ergab sich trotz einiger Fluctuationen eine
ziemliche Regelmässigkeit der Weiberbetheiligung. Doch setzt Mayr hinzu:
«Allerdings liegt die Sache bei tieferem Eingehen, namentlich in geographischer Be-
ziehung, nicht so ganz gleichartig. Man beobachtet dann beispielsweise, dass die Weiber-
betheiliguDg an Verbrechen in grossen Städten regelmässig viel grOsser ist, als bei vor-
wiegend ländlicher Bevölkerung. So trafen auf 100 abgeurtheilte Individuen solche weiblichen
Geschlechts während der Jahre 1862/63 bis 1865/66 bei dem ausschliesslich städtischen
Gericht München: 81, 28, 30, 26, dagegen beim ländlichen Gericht Freising 10, 9, 9, 10.
Aber gleichwohl sind auch hier, wie man sieht, im Einzelnen die Ergebnisse bewunderungs-
würdig constant. Dasselbe gilt von der Weiberbetheiligung in solchen Ländern, in welchen,
wie in England, überhaupt der gesammte criminelle Hang der weiblichen Bevölkerung
einen grossstädtischen Charakter zu tragen scheint. In England und Wales trafen beiden
vor das Schwurgericht gehörigen Keaten in den Jahren 1858 bis 1864 auf 100 Männer 85,
36, 88, 33, 81, 82, 32 Weiber. In London steigert sich diese criminelle Weiberbetheiligung.
Es trafen nämlich bei den Aufgreifungen der Polizei 1854 bis 1862 auf 100 Männer 57 Weiber.
Liverpool und Dublin stehen mit 69 bezw. 84 Weibern auf 100 Männer noch höher oder
— richtiger gesagt — tiefer.'
Im Allgemeinen darf man wohl annehmen, dass mit der Zunahme der Be-
theiligung des Weibes am Kampfe um das Leben auch die Zahl der Frauen unter
den Verbrechern wächst. Hierfür scheint die Tabelle zu sprechen, welche v, Oettingen
zusammenstellte. Von je 100 Verbrechern waren:
Proportion :
PioportioB :
in England
75 M.
25 Fr.
3 :1
In Baden
84 M.
16 Fr.
6,3:1
, Bayern
75 ,
25 .
3 :1
« Preussen
85 .
15 .
5,7:1
, Hannover
77 ,
23 ,
3,3:1
, Sachsen
85 .
15 .
5,7:1
^ Dänemark
78 .
22 ,
3,5:1
, Liv-, Ehst-
„ Holland
82 ,
17 .
4,5 : 1
u. Kurland
86 .
14 ,
6,1:1
, Belgien
82 ,
18 .
4,5 : 1
p Spanien
88 ,
12 ,
7,3:1
, Frankreich
82 ,
18 ,
4,5:1
„ Kussland
90 .
10 ,
9 :1
, Oesterreich
83 ,
18 .
4,9:1
Die Zahl der wegen Trunkenheit durch die Polizei aufgegriffenen Weiber
stieg in grösseren Städten Englands in überraschender Weise. Nach jBaer wurden
in Manchester aufgegriffen im trunkenen Zustande: 1847 — 1851: 935 Männer
und 207 Weiber, 1852—1856: 651 Männer und 84 Weiber; dagegen 1867—1871:
7903 Männer und 2001 Weiber, 1872—1876: 7020 Männer und 2801 Weiber.
In Liverpool stieg die Zahl der der Polizei in die Hände gefallenen trunkenen
Frauen von 4349 im J. 1858 auf 5676 im J. 1864. In Glasgow sind während
der Jahre 1850 — 1860 sogar mehr trunkene Frauen als trunkene Männer in
Polizeigewahrsam gebracht worden. Es sind allerdings hier fast nur die unteren
Klassen der Gesellschaft vertreten, doch zeigt sich an dem Verhältniss ganz deut-
lich die Wirkung von Elend und Entartung dieser Klassen, die in der sittlichen
Verkommenheit des Weibes sich recht deutlich ausspricht.
Das ganze Gebiet des deutschen Reichs umfasst eine officielle Criminal-
Statistik über das Jahr 1882, aus der hervorgeht, dass die deutsche FniMiiT
in den Annalen der Strafrechtspflese nur in der Stärke von eiiMm '^
sog. starke Geschlecht aber in der Hohe von drei Viertel einfp'
10. Die Betheiligung des weiblichen Geschlechts am Verbrechen. 59
«tehen 100 männlichen Verurtheilten nur 23,4 weibliche gegenüber. Allerdings
ist dieses nicht ungünstige Verhältniss nicht in allen Theilen des Reiches das
gleiche. Im Herzogthum Anhalt, in Dresden, in Leipzig, den Fürstenthümem
Reuss und Schwarzburg, im Herzogthum Altenburg und im Reg.-Bez. Brom-
berg fiel das Weib am häufigsten dem Verbrechen anheim, im Elsass, im Kreise
Offenbarg, den Reg.-Bez. Osnabrück und Münster, Minden und im Kreise
Waldeshut am seltensten. Die meisten Verurtheilungen ergehen auch bei der
Aburtheilung eines weiblichen Verbrechers wegen Diebstahls , sodann folgen in
uer C-M weiblicher Schuld und Sünde Beleidigungen, Mord und Meineid. Die
hohe Stelle, \.c'..!ie dabei der Mord einnimmt, ist besonders durch die zahlreichen
Strafhandlungen gegen das Leben des eigenen neugeborenen Kindes bedingt.
Ueberblicken wir die vorstehenden Ergebnisse der Moral-Statistik, so er-
halten wir den Eindruck, dass das Weib je nach seiner Lebenslage sich kaum
eines grosseren, doch auch keines geringeren Grades von Moralität rühmen oder
zeihen lassen darf, als dem Manne nachzusagen ist.
Hausner hat eine vergleichende Criminal-Statistik in Bezug auf die beiden
Oeschlechter aus zahlreichen Ländern tabellarisch zusammengestellt; auf Grund
derselben sagt er: In ganz Europa bilden die durch Frauen begangenen Ver-
brechen I6^/o aller Verbrechen, und unter den Angeklagten kommt eine Frau
auf 5,25 Männer. Auch schliesst derselbe Autor aus den sehr umfassenden Zahlen:
dass in den civilisirten Ländern die Frauen eine verhältnissmässig grössere Be-
theiligimg an den Verbrechen zeigen, als in den primitiven, auch dass im Norden,
wo den Frauen meist mehr Freiheit des Handelns gelassen wird, das Contingent,
welches diese zu dem Verbrechen stellen, grösser ist als im Süden.
«Dass das männliche Geschlecht im höheren Grade als das weibliche bei
dem Verbrechen betheiligt ist, sagt Starke^, wird theilweise durch das Geschlecht
selbst bedingt und liegt in zahlreichen Momenten der Lebensstellung. Aber nicht
überall ist die Lebensstellung des Weibes dieselbe. Je roher ein Cultur-
zustand ist, desto ausgedehnter ist die Betheiligung des Weibes an
Arbeiten und Thätigkeiten, welche der Natur des Geschlechts weniger
entsprechen. Unter solchen Umständen wird auch das Weib in höherem Um-
fange am Verbrechen theilnebmen. Um eine Bestätigung dieses Satzes zu erhalten,
braucht man nicht über die Grenzen des Vaterlandes hinauszugehen." Starke hat
das procentuale Verhältniss der männlichen zu den weiblichen Angeklagten im
Königreich Preussen für die Zeit von 1854 — 1878 zusammengestellt. Hier
ist erkennbar, dass der auf die weiblichen Angeklagten entfallende Procentsatz
(1854:23; 1855 und 1856 sogar 25 Proc.) allmählich abgenommen hat, von
1873—1878 bleibt derselbe auf 17 Proc. stehen.
Auf Grund dieser preussischen Statistik stellt Starke die Frage: Sollte
sich hierin wirklich eine im Laufe der 25 Jahre eingetretene höhere Gulturent-
wickelung der Personen weiblichen Geschlechts vom Osten bis zum Westen und
in Folge dessen eine geringere Betheiligung desselben bei Verbrechen und Ver-
gehen zu erkennen geben? Oder sollte die Depravation der Männer allein in so
hohem Qrade zugenommen haben, dass in Folge dieses Umstandes das procentuale
Verhältniss in der Betheiligung, der Geschlechter nur verschoben worden ist?
Starke möchte sich weder für diese noch für jene Alternative aussprechen, weil
ihm ein anderer Erklärungsgrund näher zu liegen scheint. Es sind nämlich ge-
wisse Delictsgruppen in jener Periode ganz besonders im Zunehmen begriffen ge-
wesen, welche auf die Entwicklung des öffentlichen Lebens und durch deren
Einwirkimg auf alle Volksschichten zurückzuführen sind (Beleidigung, Körper-
Tedetrang, Verbrechen und Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, Widerstand
g^gen die Btwitvewftlt, Sachbeschädi^^g). Alle diese Delicte gehören zu den-
' ^Afiogsweise von Personen männlichen Geschlechts be-
^ 1 ipj ^ ^^f Streitigkeiten in Wirths-
f'/> n. Die {wjchologüehe AnfTaainng dm WcOml
häuMrrn und aaf die Erregang durch Branntwein, niclit sdten auch auf die Wir-
kung von Agitationen zurOckzoführen«
IL Die Yerbreeherin in anthropologiseker BexfekmBff.
iiekanntlich haben in neuerer Zeit wissenschaftliche Bestrebiuigen Tiei Ton
Dich reden genjacht, welche man unter dem gemeinsamen Namen Verbrecher-
A nthropologie zuMammengefasst hat. Namentlich ist es der Italiener Lom-
hroHo, welcher den Satz zu vertheidigen sucht, dass wir in dm Verbrechern Bei-
H|>iele von sogenanntem Atavismus, von Ruckschlag zu unseren wildm und auf
nie^lerHt^;r Culturstufe stehenden Vorfahren zu erblicken hatten, und dass man
dementsprechend auch am Bau, namentlich ihres Schädels, eine mehr oder weni^r
groHHc Zahl von Degenerationszeicben zu erkennen vermöchte! Lombroso und seine
Hchnler gehen sogar so weit, dass sie ffir bestimmte Verbrechen eine bestimmte
^Kombination von Degenerationszeichen als typisch hinstellen, und dass sie somit
zu der Aufstellung bestimmter anthropologisch gekennzeichneter Verbrechertypen
gekommen sind.
In seinem neuesten, in Gemeinschaft mit Ferrero herausgegebenen Werke:
„Diis Weib als Verbrecherin und Prostituirte" äussert er sich folgendermaassen :
,,Loidor orgiobi diese ganze Anhäafung von Messnngsergebnissen nur recht wenig, und
(liiH ihI natürlich, wenn man berücksichtigt, dass schon zwischen Verbrechern und nonnaleii
Individuon mtlnnlichen Geschlechts nur geringe anthropometrische unterschiede bestehen; bei
der viel grl^Moren Stabilität und geringeren Differenzirung des Weibes in anthropologischer Be-
ziehung müssen Unterschiede noch weniger hervortreten. Folgendes sind die wichtigsten Er-
gebnJKHo: Körperhöhe, Klaftorwoite und Länge der Extremitäten ist bei Verbrecherinnen kleiner;
<laN (Gewicht int mit Rücksicht auf die Kr)rperhöhe bestimmt bei Mörderinnen relativ grösser,
niobinnon bleiben nach Inhalt und Umfang des Schädels unter der Norm; die Sch&deldorch-
niOHHor Hind kleiner, die GosichtH-, besonders die Untorkieferdurchmesser grösser als in der
Norm. Haupthaar und Iris sind bei Verbrocherinnen dunkler; Grauhaarigkeit ist fast doppelt
NO häulig uIh in der Norm, dagegen sind jugendliche Kahlköpfe bei Verbrecherinnen seltener
und ttbonuo frühzeitige Kunzein, jedoch sind alte Verbrecherinnen runzliger als alte Frauen
dor gewöhnlichen Hovölkorung.*
In einer l^ibclle stellt or die „Degenerationszeichen^^ am Schädel zosanmien
und hiMHorkt du/u:
,VVto Nohr Hiüh die Kindenmörderinnen, deren Delict im geringsten Maasse den
Charakter dor Abnormität hat, von den anderen Verbrecherinnen unterscheiden, zeigt die
Tiibello. Wonigor häutig Hind bei ihnen: Asymmetrien, Strabismus, männliche Physiognomie,
Anomalion dor /ähno uml tler .loohboine; dagogen sind Ohr?arietäten und Hydrocephalie sehr
hUulig. l)io Diobinnon. dio (iiftmiKchorinnen und die Mörderinnen haben das Maxi-
mum dor SohädohiHymuiotrion und «Ioh StrabiHmus; die Mörderinnen haben am häufigsten
männlioho uutl mongoloitio IMiyHiognomion. Wogen T od tschlags und Giftmords verurtheilte
Krauon gabon <lio grÖMtton '/ahlon für Srhädoldeprossionen, Zahndiastema, und neben den
MrandM tiftorinnon für oingodrüokto und doformo Nasen. Mörderinnen, Giftmische-
rin non und Hrandntiftor innen giU)on dio grössten Zahlen für vorspringende Jochbeine,
muNMigo Kiofor und <toiiiohtiiiu>ymmotrio. Donnot^h nind boi den übrigen Verbrecherinnen,
Rumnl boi Mördorin non und (Sif tnuNchori nnon, die degeneratiTen Merkmale zahlreicher
all boi K indonmördorinnon.*
IHoNo iinthronologisohon Anschauungen von Lomhroso und seinen Anhängern
sind niimonilich hoi don doutschon und frunxöaischen Gelehrten auf einen sehr
orhohliohon Widoi'stand gostosson, und luvondor« hat in jüngster Zeit jBoer, der
liinKJührigo Arxt an dorn Strafgoningniss IMiUzonsoo bei Berlin, in einer sehr
ausnihrHohiMi Monographie dii'soH Tlionia oingohond behandelt. Er kommt dabei
XU folgt'ndon\ S^hhiwio:
.Violfach \*i hior an fi'üU^rtin StoUou «li« Wa^r« borfthri« ob das YerimoliiB als «aa
Folg« dor individuollon OrganiMition annuM^hitn \n\, AUo nior|)ho1ogitQl
wir bei d«n V#rbr<»ch<Mni anUiikrt\»n, roiohMt niohl au«, um dietea Zwa
11. Die Verbrecherin in anthropologischer Beziehung. Ql
spedfisch thats&chlichen anzuerkennen. Es giebt keine charakteristische Eigen thümlichkeit in
der Gesammtbildung des Menschen, aus deren Vorhandensein wir mit einiger Bestimmtheit
auch nur behaupten können, dass der Träger dieser individuellen Deformität ein Verbrecher
sein mfitse. Viele Verbrecher, haben wir wiederholt hervorgehoben, und sogar viele schwere,
▼ielfach rückfällige, Ton Jugend auf gewesene Verbrecher zeigen gar keine Anomalie in ihrer
körperlichen und geistigen Crestaltung, und andererseits haben viele Menschen mit ausgoprügten
Zeichen morphologischer Abnormitäten niemals eine Neigung zum verbrecherischen Leben ge-
zeigt. Wir sind der Ueberzeugung geworden, dass dort, wo die Organisation als Ursache zum
Verbrechen angenommen werden muss, eine pathologische Erscheinung vorliegt, dass wir es
dort nicht mit einem Verbrecher, sondern mit einem Geisteskranken zu thun haben."
An einer späteren Stelle heisst es dann:
.Wenn es unter den Verbrechern viele giebt, welche schwere Missbildungen, mehrfache
Erscheinungen und Zeichen anomaler Formation am Schädel und am Gesicht zur Schau tragen,
fo liegt der Grund nicht am wenigsten darin, dass die Verbrecher zum allergrössten Theil
am den ärmsten und niedrigsten BevOlkerungsklassen entstammen, aus Klassen, in denen der
kindliche Organismus gerade im frühesten Alter am schlechtesten und ungenügendsten ernährt
wird. Kann unter diesen Umständen von einer gesetzmässigen Coincidenz, von einem zwingen-
den Causalnexus zwischen Schädelformation und Moral ität, zwischen Scbädeldeformität und
Verbrechen ernstlich die Rede sein? Wir müssen diesen Zusammenhang auf das Entschiedenste
xorückweisen, ebenso wie jede Abhängigkeit zwischen Schädelbeschaffenheit und Criminalität.
Durch die Organisation seines Schädels wird der Mensch nicht zum Verbrecher. Wo dieses
Caosalitätsverhältniss erwiesen ist, ist die Organisation keine physiologische, sondern eine
effectiv pathologische, und der Träger derselben kein Geistesgesunder, ganz so, wie die von
ihm ausgeübte Handlung die eines Geisteskranken ist.*"
«Das Verbrechen ist nicht die Folge einer besonderen Organisation des Verbrechers,
einer Organisation, welche nur dem Verbrecher eigenthümlich ist, und welche ihn zum Be-
gehen der verbrecherischen Handlungen zwingt. Der Verbrecher, der gewohnheitsmässige und
der scheinbar als solcher geborene, trägt viele Zeichen einer körperlichen und geistigen Miss-
gestaltung an sich; diese haben jedoch weder in ihrer Gesammtheit noch einzeln ein so be-
stimmtes und eigenartiges Gepräge, dass sie den Verbrecher als etwas Typisches von seinen
Zeit- und Stammesgenossen unterscheiden und kennzeichnen. Der Vorbreebor trägt die Spuren
der Entartung an sich, welche in den niederen Volksklassen, denen er meist entstammt, häufig
vorkommen, welche, durch die socialen Lebensbedingungen erworben und vererbt, bei ihm
bisweilen in potenzirter Gestalt auftreten.*^
Nach diesen Auseinandersetzungen, welche auf genauen Untersuchungen und
Messungen und auf jahrelangen Beobachtungen beruhen, werden wir also den
„Verbrechertypus" sowohl, als auch den „geborenen Verbrecher" definitiv zu Grabe
tragen mQssen. Von recht erheblicher Tragweite aber ist Baer's Bemerkung, dass
da, wo die körperlichen Zeichen der Degeneration als die Ursache des Verbrechens
anerkannt werden müssen, es sich nicht um einen verbrecherischen Gesunden, son-
dern nm einen Geisteskranken handelt.
Was für ein grosses Contingent zu dem Verbrecherthum die Geisteskranken
aber liefern, das geht recht überraschend aus einer Abhandlung über „Verbrechen
und Wahnsinn beim Weibe" hervor, welche der Arzt an der Irrenanstalt Huber-
tusburg, Dr. Näcke^ veröffentlicht hat. „Unter 53 direct aus der Unter-
suchungshaft (2), aus dem Correctionshause (7), aus dem Gefangnisse (7) und aus
dem Zuchthause (37) der Irrenanstalt zugeftihrten weiblichen Personen waren zur
Zeit der letzten That sicher geisteskrank (und traten trotzdem ihre Strafe an)
8 Weiber; höchst wahrscheinlich geisteskrank, oder wenigstens nicht mehr ganz
intakt waren 14 Weiber. Man wird daher, wie Näcke meint, schwerlich fehlgreifen,
wenn man annimmt, „dass unter den 53 Inhaftirten wenigstens 20 bis 25 pCt.,
also */5 bis V4 unschuldig verurtheilt wurden und ihre Strafe antraten, eine
gewiss coiossale Ziffer, die aber mit anderen Beobachtungen in Einklang steht.*'
IHe Verbrechen, um welche es sich bei der letzten Bestrafung handelte, waren:
Diebstahl 27 Falle, 51 Proeent
Brandstiftung 9 „ 17
62 1^> ^G psychologische Auffassung des Weibe«.
Vagabundiren und Betteln ... 5 Fälle, 9,4 Procent
Todtschlag oder Versuch dazu . 4 , 7,5 ,
Darüber weiter 4 Mal reiner Betrug, je 2 Mal Meineid und gewerbsmässige Unzucht
Nie vorbestraft waren 4, selten 11, häufig 12 und sehr häufig 25. Die Gewohnheits-
verbrecherinnen sind in der stattlichen Zahl von 37, gleich 71,1 pGt., yertreten. Es waren
fast nur Diebinnen, doch begingen sie nebenbei noch andere Delicto. Eigentliche Leiden-
schaftsverbrecherinnen fehlen gänslich.
Es ist gewiss nicht ohne Interesse, nun auch von Näcke zu erfahren, welche
Formen der Geistesstörung unter seinen irren Verbrecherinnen yertreten waren.
Es zeigten sich bei der Aufnahme in die Anstalt 15 yerschiedene Formen yon Manie,
18 solche der Paranoia, 2 Paralyse, 5 Epilepsie mit und ohne Psychose, 4 hysteri-
sches Irresein und 3 Idiotismus. «Paranoiker, Epileptische und Idioten figuriren
speciell bei Todtschlag, Epileptische und Imbecille bei Vagabundenthum, das sehr ge-
wöhnlich mit Diebstahl und Hurerei vergesellschaftet ist. Von den 16 Vagabundinnen waren
nicht weniger als 8 mehr weniger imbecill und idiotisch. Züge der primären oder secon-
dären Moral Insanity zeigen deutlich 8 Personen.
Ebenso wie Baer tritt auch Näcke gegen die Existenz eines Verbrecher-
typus im Sinne Lombroso's auf. Er sagt:
„Selbst bei genauestem Zusehen haben wir mit Anderen im Aussehen und
im Charakter unserer Gewohnheitsyerbrecherinnen nichts besonderes f&r die ein-
zelnen Arten der Hauptdelicte finden können, ebensowenig wie in der Handschrift,
die sich yon dem Verhalten bei gewöhnlichen Geisteskranken mit derselben Psychose
nicht unterschied, so dass diese nicht einmal für das Verbrecherthum im Allge-
meinen charakteristisch war. Auch die berühmte fVerbrecher-PhysiognomieS ins-
besondere die Art des Blickes, fehlte fast überall; häufiger dagegen fand sich
blasse Hautfarbe, durch schlechte Ernährung draussen oder durch lange Haft
erzeugt."
UI. Die ästhetische Auffassung des Weibes.
12. Die weibliche Schönheit.
In einer Hinsicht ist nun aber allerdings das Weib dem Manne überlegen,
nämlich in der Schönheit der äusseren Korperform. Nur wenige giebt es,
die dies bestreiten. Unter diesen Letzteren ist in erster Linie wieder Schopenhauer
zu nennen. Er macht über die weibliche Schönheit folgende wenig schmeichel-
hafte Bemerkung:
,Dm niedrig gewachsene, schmalscbultrige, broithüftige und kurzbeinige Geschlecht
das ichOne nennen, konnte nur der vom Geschlechtstriob umnebelte männliche Intellect:
in diesem Triebe nämlich steckt seine ganze Schönheit. Mit mehr Fug, als das schöne,
konnte man das weibliche Geschlecht das unästhetische nennen. Weder für Musik noch
Poesie, noch bildende Künste haben sie wirklich und wahrhaftig Sinn und Empfänglichkeit,
sondern bloss Aefferei zum Behuf ihrer Gefallsucht ist es, wenn sie solche affectiren und vor-
geben. Das macht, sie sind keines rein objectiven Antheils an irgend etwas föhig, und
der Grand ist, denke ich, folgender: Der Mann strebt in allem eine directe Herrschaft über
die Dinge an, entweder durch Verstehen oder durch Bezwingen derselben. Aber das Weib
ist immer und überall auf eine bloss in directe Herrschaft verwiesen, nämlich mittelst des
Mannes, als welchen allein es direct zu beherrschen hat. Darum liegt es in der Weiber
Natur, alles nnr als Mittel, den Mann zu gewinnen, anzusehen, und ihr Antheil an irgend
etwas anderem ist immer nur ein simulirter, ein blosser Umweg, d. h. läuft auf Koketterie und
Aefferei hinaus.*
Das Zugestandniss, welches weiter oben dem weiblichen Geschecht bezüg-
lich der Schönheit während des jugendlichen Alters von Schopenhauer gemacht
worden war, nimmt dieser Autor hier also wieder zurück; ihm gilt diese „Schön-
heit^^ für nichts als eine Selbsttäuschung des männlichen Geschlechts!
Aach V. Larisch glaubt, dass das weibliche Geschlecht in Bezug auf die
Schönheit der Erscheinung von den Männern übertroffen werde, und er sucht
den Grund hierfür in folgender anatomischen Eigenthümlichkeit. Eine Ebene,
welche man sich durch das Perinaeum, den Damm oder das Mitteläeisch gelegt
denkt, die sogenannte Körpermitten-Ebene, trifft bei dem männlichen Geschlechte
ungefiLhr mit der Mitte der Längsaxe des Körpers zusammen , während bei den
Weibern der obere Abschnitt den unteren um ein mehr oder weniger bedeutendes
Stück überragt. Diesen Schönheitsfehler haben, wie r. Larisch als gewiss an-
nimmt^ die Weiber aller Zeiten instinctiv empfunden, und sämmtliche Variationen,
welche die weibliche Tracht im Laufe der Jahrhunderte durchgemacht hat, laufen
sammtlich nur auf den Versuch hinaus, diesen Schönheitsfehler zu verbergen.
Die Mehrzahl der Männer wird jedoch dem weiblichen Geschlechte wohl den
Preis der Schönheit zuerkennen.
Allein auch dieser Vorzug des Geschlechts ist ungleich auf die Weiber ver-
theflt Eine AnnSherong an das Ideal weiblicher Schönheit, das wir uns unter
doB Knflnase einer geliaterten Aesthetik gebildet haben, ist nur unter höchst
mBi^ieh.
Q4 ni. Die ästhetische Auffassung des Weibes.
Auch die Änthropologeu haben sich mit der Frage beschäftigt: „Was ist die
Schönheit des Menschen?'' Schon im Jahre 1860 Qbergab Cordier der anthro-
pologischen Gesellschaft zu Paris eine Arbeit über diese Frage, in der er sagte:
„Die Schönheit ist nicht etwa Eigenthum der einen oder der anderen Rasse. Jede
Rasse diflferirt hinsichtlich der ihr eigenen Schönheit von den anderen Rassen.
So sind denn die Schönheitsregeln keine allgemeinen, sie müssen f&r jede einzelne
Rasse besonders studirt werden.'' Diesen Sätzen widerspricht Ddaunay\ indem er
behauptet, dass es allerdings allgemeine Schönheitsregeln giebt, sowohl für die
Menschen, wie für die Thiere; sie begründen sich durch die von Claude Bemard
aufgestellten sogenannten organothropischen Gesetze, die in der Entwickelung der
Form eines jeden Organs gefunden werden; es giebt für jedes Organ ein Maximum
der Entwickelung, welches die ihm eigene Schönheit darstellt; und in BetreflF der
Schönheit des ganzen Individuums müssen die verschiedenen Organe in einer be-
stimmten Beziehung und in einem gewissen V^rhältniss zu einander stehen.
Für jede Rasse ein typisches Schönheitsmodell aufzustellen , wird uns aber
wohl kaum gelingen, und dass es « ewige Schönheitsgesetze'' von allgemeiner
Gültigkeit nicht giebt, das wird wohl Jedermann zugeben, der weiss, dass der
Neger seine Negerin, der Kalmücke seine Kalmückin ebenso sehr und mit
demselben Rechte schön findet, wie der Weisse etwa die Frauenbilder RafatTs.
Eine Grundbedingung für die Schönheit des Weibes wird es aber immer bleiben,
dass der Körper das Gesunde und Normale zum Ausdruck bringen muss. Der
Körper muss so beschaffen sein in allen seinen Theilen, dass er sämmtlichen
Functionen seines Geschlechts gerecht zu werden im Stande ist.
Von ähnlichen Betrachtungen geleitet, sagte Eckstein: «Das ,SchOnfinden' ist lediglich
ein anderer Ausdruck für das Obwalten des Sexualtriebes, der sie zunächst in die Form der
Bewunderung kleidet und sich diejenigen Individuen ausliest, welche den Typus der Gattung
am reinsten und vollendetsten repr&sentiren. Die Schönheit fällt hier durchaus mit der
Zweckmiissigkeit zusammen; sie ist eigentlich identisch mit der Gesundheit im prägnanten
Sinn des Wortes, insofern nämlich jede störende Abweichung von der typischen Norm aal
einer Hemmung, d. h. auf einer Krankheit beruht. Gesunde Zähne sind schön, weil sie zweck-
mässig sind; denn sie gewährleisten durch eine vollständige Zerkleinerung der Speisen eine
zweckmässige Ernährung. Eine hohe, ebenmässige Stirn ist schön, weil sie zweckmässig ist,
denn sie verbürgt eine Reihe psychischer Eigenschaften, die im Kampf ums Dasein günstig
und fördernd sind. Umgekehrt berühren uns nicht nur die sogenannten Gebrechen, sondern
alle irgend auffällig hervortretenden Abweichungen vom Zweckmässigkeits-Typus unsympathisch.
Eine s chmalhüftige Frauengestalt ist hässlich, weil die dürftige Entwickelung
des Beckens das Schicksal der künftigen G eneration compromittirt. Ein im
Punkte der Plastik stiefmütterlich behandelter Busen ist hässlich, weil er
dem neugeborenen Kinde keine zweckentsprechende Nahrung gewährleistet.
Wo sich dagegen keinerlei Hemmung vorfindet, wo alle diejenigen Eigenschatlen, die sich im
Laufe der Jahrhunderte als zweckmässig für den Kampf ums Dasein bewährt haben, in mög-
lichster Vollkommenheit ausgeprägt sind, da sprechen wir von vollendeter Schönheit,
und je mehr sich ein Individuum diesem Typus nähert, um so entschiedener
wird es von dem anderen Geschlechte begehrt.**
Jedenfalls werden wir anerkennen müssen, dass die Qabe weiblicher Schönheit
nach unserem europäischen Geschmacke auf Rassen und Völker nicht nur un-
gleich vertheilt ist, sondern dass der höhere oder geringere Grad von Schönheit
durch verschiedene physische und culturelle Verhältnisse bedingt wird, von denen
wir sogleich sprechen werden.
13. Fördernde and hemmende Bedingungen für die weibliche Schönheit.
Alle äusseren Einwirkungen, welche die Menschen treffen, die Lebensweise
und die Lebensumstände, der Grund und Boden, auf welchem sie ihr Dasein fristen,
sowie das Klima, dem sie unterworfen sind, bleiben sicherlich nicht ohne Sinfliiai
auf die Entwickelung der schönen Formen oder der hässlichen Oestalti welche
13. FOrdumde and hemmende
tQr die weibliche Schönheit.
65
an den Weibern der Terschiedenen Volker wahrDehmen. Man hat gesagt, dasa
TOÜei ' ' " ' "itheit ntir in gemässigten Klimaten anzutreffen sei. und Ton
em Ga^L lies Europäers aus hat man darin auch gewiss nicht Un-
recht Man möge aber nicht vergessen^ dass hier ein anderer höchst gemcbtiger
Factor noch mitspielt, der vielleicht von doch noch grösserem Einfluss ist, als
Lofl and Sonne, Kälte und Wärme; das ist die Stellung, welche dem Weibe
IQ der betreffenden Bevölkerung angewiesen ist. Von dieser ist es abhängig, ob
I» ihr möglich wird, ihre Gesammtorganisation in vollkouiraener Weise zur Eot-
wickelttng zu bringen. Es ist dann einestheils die Zuchtwahl, welche zur Fort-
Itill^ die schönsten Individuen anssurlit. juiderentheila die Erziehung, welche
ns*^.
V^ a D II I u ttos
dem -S|« rt?o Vr a I >i e mu nmunni nyiu
(Siw?b PbotogT%i»hl<v.)
' iiuiLuitdruck.
Aasbildung des einzelnen Individuums Gelegenheit giebt, maassgebend
reichen Besitz eines Volkes an Weibern , deren Erscheinung sich dem
b5iiliett«- Ideale nähert. Dagegen gedeiht die weibliche Schönheit nicht bei
Volke, dessen Frauen sich von Jugend auf in dem herabgewürdigten Zü-
nde ton Hftusthieren befinden und bei dem der Preis eines Eheweibes sich nach
Arbeitskraft richtet,
»Bai dr I chen,' sagt JftWi?, , desgleichen bei verkflmmerten» in ihrer
GMtiimg vark ijppen seigt sich der Gegensatz von Mann und Weib noch
vidfiie]! »ftrwiwcbt und verdunkelt. Er verdeutlicht und erweitert sich im gleichen Schritt
_«urh^HnilMti Ctiltur. Bei einer sehr abgeschlossen lebenden LandbeTÖlkemng, wie bei
n«« W«0>. a A^ l b
rWrmr
i^
ie E«üietif4slie Aaffawjing de«
diiii IQ h&rt«r körperlicbor Arbeit enbkrrt&u Froletiiriera, bat der mlßnlieb« a&d wtil
Kopf füJit di« gleiche Pbytiiognomie. Ein in MäiiDertracb' 7 ^-^^'9« Ftmumgtiielit *a«
V^olkuchkhion wird lich kaum von dem Manneskopf uu ^a liii>n NftatalUdi alti
Weiber und alte Männer gl ei eben eich hier wie ein Ki limn dmittym*^
Um <li*-!*e Gleicbtüäaaigkeit des G^ichU zwischen MSnocni Hßd Weibcro
ztir Eniwickiiliing in hrlugtn, ist in vielen Fällen schon ein Oberwiegendeir Aof-
4sütlitiit in freier Luft hinreichend, wie er bei unserer Landbef&lkeniiig slfitikai
Da» zeigt un« auch die Wand in in Fig. 35, Aach bei den ChipiTOS-InduuieriimeD^
IS« Fördernde und hemmende Bediogusgen für die weibliche Schönheit.
67
Ton Watts »ehr eingehend untersucht. Allein er betont doch auch, das«
xaklmcbe Folgen der verschiedenen Cult Urzustände, die der Mensch durch-
\T%uÜ tili» gewissermaassen vor einer Ueberschiitzung der klimatischen und geo-
1 Verhältnisse wahren ; denn wenn der Mensch eine höhere Bildungsstufe
rjit, 80 hört er schon damit auf, genau dem Boden und den Naturver-
-. n zu entsprechen, denen er angehört
also nicht geleugnet werden, dass klimatische und verschiedene äussere
[ tnisse von entschiedenem, bald torderlichem, bald hemmendem Ein-
auf die körperliche und geistige Entwickeluug der Menschennatur sind.
Auc*m die Aufgabe der Gesittung und namentlich der Erziehung ist es, der-
ii\
W\^ 87. Ottlutiieii-Fräu aqs Tanesleit mit miLuutlcheia Oetfidttnauadniek.
Ilen Einflüiae asu beherrschen, de entweder, so weit sie günstig sind, zu
ateen , oder sie , soweit sie ungünstg, zu paraljsiren durch vorsichtiges Ver-
UirvL. Denn der ilensch goU und wird mehr and mehr zum Siege über die
QtaierieQe Katur gelangen. So liegt es denn auch in der Hand der Nationen,
ibeoai] sehr der physischen wie der moralischen Ent Wickelung nachzustreben; wir
fiodeo Aach in der That, dass es eine Erziehung giebt, welche solche Aufgaben
verf' i ' ist sie leider noch nicht zum Gemeingut geworden. In den ^besse-
, unter den gut siUiirten Klassen der Bevölkerung, erblicken wir fast
schönere, edlere Gestaltung, nicht bloss bei Männern^ sondern nament-
?rau^* Der Typus der Schönheit kann sich unter so gut beeinflussten
ir -h- -Mi
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14. Der Darwinismus über die Entwickelang weiblicher Schönheit. gg
Es ist also die Stellung des Weibes im socialen Leben und die Arbeits-
thatigkeit, die ihr bei jeder Nation conyentionell zugewiesen wird, von besonderer
Bedeutung fttr die mehr oder weniger schöne Entwickelung der weiblichen Formen
bei den Völkern.
Die Frauen der am Ostcap Neu-Seelands wohnenden Eingeborenen, welche
in elender Lage sind und yon ihren Männern äusserst hart und karg gehalten
werden f haben meist dunklere Hautfarbe, als diese; sie sind auch durchgehends
kleiner und hässlicher, als die Männer (Forster j Dieffenbach^) ; so zeigen sie in
dem tiefer stehenden Menschenschlag die ihn tiefer stellenden Merkmale in besonders
hohem Grade (PolacJc),
Von den See-Lappen, die ihre Wohnsitze längs der wilden Küste von
Nordland und Finnmarken hßben, sagt Du Chaillu:
«Auch die Frauen sind treffliche Seefahrer, und die lappischen Bootseigenthümer
lassen die Bedienung der Fahrzeuge und Netze oftmals ausschliesslich von ihren Frauen,
TOchtem, Schweetem oder auch wohl von den eigens zu diesem Zwecke gedungenen Weibern
besorgen. . . . Die Züge der Frauen werden, eine natürliche Folge ihres beständigen Ver-
weilens im Freien und ihrer harten Lebensweise, mit den Jahren sehr grob und man kann
sie oft ebensowenig von den Männern unterscheiden , wie man bei Kindern Mädchen von
Knaben zu erkennen vermag.'
Auch aus anderen Welttheilen bin ich im Staude, Beispiele dafür herbei-
zubringen, dass angestrengte körperliche Arbeit bei dem Weibe einen männlichen
Typus entstehen lässt, und ich führe einen solchen Beleg in Fig. 37 vor. Hier
ist eine Beduinen-Frau aus Tunesien dargestellt, welche sicherlich sehr leicht
mit einem Manne verwechselt werden könnte.
Auch von den Indianern Amerikas wurde berichtet, dass Männer und
Weiber desselben Stammes häufig eine sehr gleichartige und in vielen Fällen
schwer unterscheidbare Gesichtsbildung besitzen, ein Umstand, der sehr dazu bei-
trigt, den Hindruck, den diese Individuen hervorbringen, zu einem äusserst gleich-
massigen zu machen. Die Indianerweiber müssen in der That aber auch alle
Arbeit verrichten und sind nach KoMs Angaben sehr muskelstark. Sind hiermit
nun auch in erster Linie die Indianerinnen Nord-Amerikas gemeint, so zeigt
doch die Cunivos-Indianerin in Fig. 38, dass auch in Peru ganz ähnliche
Verhältnisse nachweisbar sind. Das Gleiche vermochten wir auch an den
Chipivos-Weibem in Fig. 36 zu sehen.
14. Der Darwinismiis Aber die Entwiekelnng weiblicher Schönheit.
Was nun die Zuchtwahl und ihre Beziehung zur Schönheit des weiblichen
Geschlechts betrifft, so können wir über diesen Punkt wohl keinen Besseren hören,
als Charles Darwin selber, welcher Folgendes äussert:
, Da die Frauen seit langer Zeit ihrer Schönheit wegen gewählt worden sind, so ist es
nicht überraschend, dass einige der nach einander auftretenden Abänderungen in einer be-
schränkten Arl und Weise überliefert worden sind, dass folglich auch die Frauen ihre Schön-
heit in einem etwas höheren Grade ihren weiblichen als ihren männlichen Nachkommen über-
liefert haben. Es sind daher die Frauen, wie die meisten Personen zugeben werden, schöner
geworden als die Männer. Die Frauen überliefern indess sicher die meisten ihrer Charaktere,
mit AoMchlass der Schönheit, ihren Nachkommen beiderlei Geschlechts, so dass das beständige
Voniehen der anxiehenderen Frauen durch die Männer einer jeden Rasse je nach ihrem Maass-
itabe TOn Geschmack dahin führen wird, alle Individuen beider Geschlechter, die zu der Rasse
gdiüren, in einer und derselben Weise zu modificiren.*
Man darf freilich den Einfluss der Zuchtwahl in seinem hypothetischen Um-
fiuige nicht allzuweit ausdehnen, wie es Alfred Kirchhoff in einem Falle versucht.
Er meint, dass die Austrainegerinnen gar häufig furchtbare Knüttelschläge
ngaü den Kopf bekommen, und dass diejenigen Frauen, welche dergleichen Miss-
SamHongen erleben, sich durch erstaunliche Dicke der Schädelknochen aus-
/^..'v-..-.>r. rr. ..«*^r.- >o 'i«a g^Triaar rrr nai'w»»n dnrcc. VererfaTiag von den Ueberlebenden
*,' '..^ ',^iUr-\rfi!r.(ifi: Lnr.iCP: d^, 2tin:'ri.:iia am AaäCralaeger eneogt worden sei;
/f///'/»//' rr.r/if.v 'i'^iJVi KA*»>n-Ei2*c:ii:ii::lit:Lkeit »ienmacli der Zochtwadil zuschreiben.
>-.:. ir.r'i zv^^r Infi AU^r^iLeinen behanpc^. daas bei den niedrig stehenden
ffA^AT. </>!r W^r.r» (\a Eke^&ttln zumeist nicht Eiach einer bestimmten Zuneigung
inif..*. wÄjUf.f: 'ir^roh 'lift Är.A»eren Reize drs Weibes bedingt imrde: allein es
jr ^',*. ^.'-/,ir. ari^K B^i.^pi^I/i mar-cherlei - in welchen bei barbarischen Stammen die
-',.'. Ißortrtn r/^|>r^//:her.e Zuchtwahl vorkommt. In einem gewissen Grade ist das
'//<-,% Tkifu hiffT f\f.r ari-twähl^^nde TheiL indem es fast überall demjenigen Manne
/ . ''i.^'j*^}it^i bricht., welcher ihm zu gefallen nicht im Stande ist. Wenn bei den
A u.yf»u*:Tx,. einem In'l i an er stamme in Sud- Amerika, der Mann sich ein Weib
w.trjt. »o handelt, er mir. den Eltern um den Preis: allein es kommt nach r. Ajsara
h .'h hä'ifi(( 7or. daft^f da^ Mädchen durch alles das, was zwischen den Eltern und
*U'U\ l»r;fiiti(^arri abgemacht ist, einen Strich zieht und hartnäckig auch nur die
VsTrrii\^iiihu*/ tit-.r lleirath verweigert: sie läuft nicht selten davon und verspottet
i\tu lfr;iijti^ar/i; ftie be<tt^'ht demnach doch auf dem Rechte der Zustimmung. Unter
tU-ti i ' o w a ri i: h <■ n , i tu Norden Mexikos, mu.ss der junge Mann seine Auserwählte
von den^ri KIferri t-rVhuU-ri^ allein die Einwilligung des Madchens zur Ehe gilt fQr
unt'r\'ii^^.\ir,h[ fiihrt -^i« dan i'ferd ihres Bewerbers in den Stall, das dieser an der
M^iMiT art((ebiirid<:n hat, so gi^bt sie ihm damit ihr Jawort (Gregg), Bei den
luilrnürken und «rhenno bei den Stämmen des malayischen Archipels findet
/wiMrlifn ({raiit. und liräiiii^ani, nachdem die Eltern der ersteren ihre Zustimmung
yiti^t'.\tt'u hab^'H, eine Art. von Wettlauf statt, und Ciarice sowie Bourien erhielten die
VcrMirlii'iiin^, duHH kein Fall vorkommt, wo ein Mädchen gefangen wQrde, wenn
MM« nirlit. Iljr di-n Verfolger eiwa-s eingenommen wäre.
Dif iMlidchrn der bi.s vor Kurzem noch der Anthropophagie ergebenen
llattahfr im Inneren von Sumatra lassen sich oft durch alle Gewalt vom Vater
nidif 7.11 einer ilinm unwillkommenen Ehe zwingen. Der Missionar Stmoneit
ImtmIiI,!*!. diiriilMT:
,Ut fiiii Mtlilrlinn vrrlolH, und will nicht die Frau ihres Bräutigams werden, so sind
iliM KU IM II vMr|)lli('lil(«t, HJM /ii Kwintifnn. Der erste Grad des Zwanges wird dadurch ausgeübt,
i|ii«i>i (liti Vittnr Mi'iiin Tficlit-nr in don Block legt. Weigert sie sich aber trotzdem, so wird ein
AiiifMi:i«iiiH>i|. ülinr mIh IL liHgn klopft, diDiiii sio sich entKchlicsse, ihren Bräutigam zu heirathen.
Wiilni itiiOil nin ili«iiiiurh. ho wf^rdon ihr die Ilaarc abgeschnitten. Hat ihr Vater alles dieses
rMiiliiiii Ulli! HiMiii« Torlitor woipM't Hirh dennoch, so kann er nicht mehr strafßlllig sein:
woi^fit IM Mirli II I irr, iÜpho 'rmdir im Hoinor Tochter zu vollziehen, so muss er das £m-
)i|itii|MMii< (lii|>)M>Ii /iiiiirliiMsiiiiti'ii. Soltrn über wordon die letzten Folterungen angewandt,
iliMiii iiiii'hdiMii Hill im Klnck ),n>\voson ist und sirb donnoch weigert, wird sie meist an ihre
Khiifii miili-UKH): 1*1 1011. Ks giobi ubiM' auob Kiille, wo der Bräutigam sagt: ,£& ist mir eine
Srbiitidit. Nil* .Miitli'k/iigrbiMi. Ibro Htiiiro werde ich mir zur Kopn>inde machen und ihre
KiiniiiiMi rinn Möi .<<i i1(*n Siri : irb gobo nie nicht zurück, beinithe aber eine andere.* Dies
\o\r\o Mittol liilli um mtMstoii. donn wenn dtM* Mann sein AVort hält, so darf das M&dchen
lidiiMi .biii^ iiitOit biMrnthiMi."
MiM d«*n Kufrorn, ilio ihrr Knuion oluMitalls kaufen, sprechen die Mädchen
ilno /usiinnnun^ v\s\ Atwux aus, wenn sirh dor Mann ihnen präsentirt und seine
.(«iin^iiii' ^tdiiHi^ pv.iM^t \\i\\. Auch hv\ don \osa-Kaffern kommt es bisweilen
\iM, ditss tlio Torblor diMi ihr \o\\\ VatiM' aus^osui'hton Hniutigam ausschlagt, und
au d«Mu 'Vt\i\\\ \so dio .Vb^osandtou dos Mriiuti^anis sie nach dessen Kraal abholen
widlou, iiUNtuM sh'b foNthob mit OiktM* /u srinuürkon. sich mit Menschenkoth
brsidiMUiMt Ibnni i^tll dor IltMvathsi'outraot als aut'i^ohobon {Kropf). Bei den
Hu srbniainuM-u vi»n S»tl Ahik» uniss naob IhothtU Jor liebhaber, wenn das
\o\\ \\\\\\ M\iMM-\\:ihlto Miidibon txw Maunbarkoit honm^owaohsen ist. sowohl ihre
/ustiununui; als auob dio dov KItorii ovlaui;:«Mi. Nach ir/iitrcHHi Itcade haben die
Nokiovniiidohou untor don ntfolhifotitoron hoidnis\*hou StSminen keine Schwierig-
koiton, diojonii^Mi Mannor ;u U'kouimon. «\oKbo sio wAntchHlS nsuid ToUatindig
15. Die Mischung der Rassen steigert meist die Entwickelung weiblicher Schönheit. 71
fähig, sich zu yerlieben und zarte, leidenschaflliehe und treue Auhänglichkeit zu
äussern. Demnach befinden sich bei vielen Wilden die Frauen in keinem so völlig
unterwürfigen Zustande in Bezug auf das Heirathen, als häufig vermuthet wird.
So schliesst denn Darwin: »Eine Vorliebe seitens der Frauen, welche in
irgend einer Richtung stetig wirkt, wird schliesslich den Charakter des Mannes
afficiren, denn die Weiber werden allgemein nicht bloss die hübscheren Männer
je nach ihrem Maassstabe von Oeschmack, sondern diejenigen wählen, welche zu
einer und derselben Zeit am besten im Stande sind, sie zu vertheidigen und zu
unterhalten.* Umgekehrt werden aber auch die kraftvolleren Männer natürlicher
Weise den anziehenderen Weibern den Vorzug geben.
15. Die Mischang der Bässen steigert meist die Entwicicelung
weiblicher Schönheit.
Die Leibesgestalt der Nachkommen wird um so weniger modificirt und es
kommen die Merkmale von Rasse und Kaste um so deutlicher und schärfer zur
Erscheinung, je reiner sich die Zeugenden nur innerhalb ihrer Rasse und Kaste
Termischen. Dies tritt vorzugsweise dort zu Tage, wo Jahrhunderte lang, wie
beispielsweise bei den Hindus, nach dem Gesetze Manu's Verehelichungen nur
innerhalb der Kaste erfolgen. Die Brahmanen, die bevorzugte Kaste, werden
von de Gobineau als vorzüglich schön von Gestalt gerühmt; und Meiners sagt:
«Aeltere und neuere Reisende bewunderten die ausserordentliche Schönheit der
Inder und Indierinnen der höheren Kasten so sehr, dass sie dieselben für die
schönsten Menschen auf der ganzen Erde erklärten.'* Die geringeren Hindus
hingegen besitzen ein minder vollkommenes Ebenmaass der Glieder.
Bei der Vermischung verschiedener Rassen aber kommen, wie man dieses
wohl erwarten konnte, an den Kindern bald die Eigenthümlichkeiten des Vaters,
bald die der Mutter durch Vererbung zur Erscheinung. Der Leser findet auf
Tafel VIII eine kleine Auswahl von Repräsentantinnen menschlicher Rassen-
kreuzung, sämmtlich nach photographischer Aufnahme dargestellt. Nach Briiner
gerathen bei Vermischung eines Arabers mit einer Negerin die Kinder mehr
nach der Mutter; vermischt sich aber ein Neger mit einer Aegypterin, so be-
sitzen die Kinder noch das Haar der Neger-Rasse, während die Enkel schon
schlichtes Haar besitzen und in wohl allen Stücken mit den Aegyptern über-
einkommen; Europäer und Türken zeugen mit abyssinischen Frauen Kinder,
welche in ihren Körperformen den Bewohnern der iberischen Halbinsel nahe
stehen, jedoch einen Mangel an Gesichtsausdruck bekunden.
, Van der Burg behauptet, die Erfahrung bei Mischehen zwischen Chinesen
und javanischen Frauen gemacht zu haben, dass gerade die Kinder, welche
denselben entsprossen waren, mehr den mongolischen Typus zeigten und auch
in Sitten, Gebräuchen, Manieren und Denken, namentlich auch in den kaufmän-.
nischen Eigenschaften dem Vater glichen. Ich kann, schreibt Beyfuss^ dieser Be-
obachtung in allen Stücken beipflichten.*^
Die Mischlinge von Javaninnen und Europäern sind fast durchweg auf-
fallend hübsch; sie haben nicht, wie die Mal ay innen gewöhnlich, die allzu keck
aufgestülpte Nase, die allzugrosse Breite des lächelnden Mundes und das Heraus-
fordernde der zu schmal geschlitzten Augen. Auch Schmarda hebt bei den Misch-
lingen der Malayen und Europäer besonders die Schönheit des weiblichen Ge-
scUecbts hervor. Der Körperbau der Mulattinnen ist nach Berghaus zierlich;
etwas kürzere Arme, ganz allerliebste Hände, eine ausnehmend schöne gewölbte
Brost, die schönste Taille und unbeschreiblich kleine, gefallige Füsse machen die
game Persönlichkeit zu einem höchst angenehmen reizenden Wesen; „es ist gar kein
Vergleich zwischen einer weissen, indolenten, gleichgültigen Brasilianerin und
m ausgelassenen, munteren, oft tollen und dabei hübschen Mulattinnen möglich.*
72 m* ^i® ästhetische Auffassmig des Wdbes.
Bei Eanaken-Frauen auf Hawaii (Sandwich-Inseln), die mit Männern
von verschiedener Rasse Kinder erzeugt hatten, konnte Bichard Neuhauss consta-
tiren, dass die Eine derselben ein Kind von einem Vollblut- Kanaken, eins
von einem Chinesen und eins von einem Melanesier hatte, von denen Alle on-
verkennbare Spuren des Vaters trugen; bei dem Halb-Ghinesen geschlitzte
Augen und vorspringende Backenknochen, beim Halb -Melanesier spiialig ge-
kräuseltes Haar und das auffallend grosse Weisse im Auge. In Honolala sah
Neuhauss zwei Halb-Europäer (der Vater ein Deutscher), bei denen nur
wenig noch an die K an aka- Abkunft erinnerte. So glichen also die mionlichen
Abkömmlinge mehr dem Vater. Ganz anders waren die Erscheinongen bei Halb-
blut-Mädchen, deren Vater ein Norweger mit blauen Augen und blondem Haar,
die Mutter ein Kanaka-Weib war. Die beiden dieser Ehe entstammenden
Töchter hatten die dunkle Hautfarbe und die Züge, auch die grosse Körperf&lle,
die massive Nase, die dunkelbraunen Augen und Haare der Eingeborenen. Nach
Riedel^ sind die Kinder von Chinesen, welche diese mit Weibern der Aaru-
Ins ulaner gezeugt haben, je nach dem Geschlecht verschieden von Farbe, die
Mädchen heller, die Knaben dunkler.
Finsch fand unter den Mischlingen der Maori- Frauen Neu-Seelands mit
Europäern wirkliche Schönheiten, die er unter den Eingeborenen niemals be-
obachtete.
Mischlinge von Gilbert-Insulanerinnen (Mikronesien) mit Weissen unter-
scheiden sich leicht durch die hellere Hautfärbung, die sanft gerStheten Lippen
und den europäischen Gesichtsausdruck. Mischlinge von einem weissen Vater
und einer Ponapesin (Carolinen-Inseln) zeichneten sich vor Europäerinnen
nur durch einen dunkleren Teint aus. Zweimal mit Weissen gemischtes Blut,
also Dreiviertel Weiss, ist von Weissen gar nicht mehr zu unterscheiden und
ebenso hell als letztere. Von Halbblut-Sa moanerinnen gilt das Gleiche. Die
zweijährige Tochter eines Weissen und einer Frau aus Neu-Üuinea erschien wie
ein dunkel sonnenverbranntes Europäerkind mit lockigem, blondem Haar, tief-
dunklen Augen und rothen Lippen (Finsch'*),
Auch V. NordcnskjöUP bestätigt die grössere Schönheit der MischUnge bei
der weiblichen Bevölkerung Grönlands:
„Die Frauen waren sorgfältig gekleidet, und etliche Halbblut-Mädchen mit
ihren braimen Augen und gesunden, vollen, beinahe europäischen Zügen waren
ziemlich hübsch/
Im nordwestlichen Amerika giebt es eine Mischrasse oder HalbblQtige,
die Bois-lirules, welche von den eingewanderten Franzosen und den In-
dianern (Sioux u. 8. w.) abstammen. Die Frauen dieser franco-canadischen
Mestizenrasse sind im Allgemeinen weisser als die Männer und selbst noch etwas
blasser und farbloser; viele Mestizinnen können an Weisse und Feinheit der Haut
es mit den zartesten europäischen Damen aufnehmen; ihre Züge sind regel-
mässig und graziös, und man findet unter ihnen oft Mädchen von wahrhaft klas-
sisclier Schönheit. (Ilarard.)
Auch in Chile leben viele Mischlinge aus indianischem und weissem
Blute (Araucaner und Spanier). Die Frauen und Mädchen haben, wie Treiäler
beschreibt, gewöhnlich einen schönen weissen Teint, schönes, schwarzes, etwas
starkes Haar, sehr feurige, ausdrucksvolle Augen, etwas gebogene Nase, feine,
aber starke, markirte schwarze Augenbrauen, welclie einen Halbkreis bilden, sehr
lange, seidenartige Augenwimpern, herrliche Zähne, schöne Büste, sehr kleine
Ohren, Hände und Fiisse und graziöse Bewegungen. Es giebt unter ihnen auch
viele, welche blondes Haar und blaue Augen haben.
Die Cholos, d. h. die Mischlinge von Weissen mit den Indianerinnen
von Peru, zeichnen sich vor den Eingeborenen ebenfalls vortfirilhaft durch ihre
Erscheinang aus. Man vergleiche hierzu Fig. 30 mit der Ii irin in Fig. Sä
.*> r .•'.> -.;.rr>:7>.r^:': -^-.r. =.>/=.•: r*rjij-*ni ar'r^:g<L3gs5ciig: Interesse sein,
'. ■ ..-? '^•.v..'.i;* ^rr^.:,,^,^.^: Sa*»frC z^c*.^ n iz.s»rFXMi. Ifes::: wenn auch.
*• .^ r • *fA:-/^, y^-wtr.^. r.Ar,*r.- :'*..• i"*-r!iz.-ii'.L iimc R&äEt^urvczang die Schon-
.'.. - '/-^i-ßr-ji^r. ■»».•':. '.% r.-.ir-: i.rr».** c.*:c. z1\£j: izisjK- scasi. Unter welchen
'. *"..i v.^p-- if4-.;. .r.Ar. ':-..".r. C.r Kz^^jt^z^ c-t: i»E. Xa^nkommen eine Ver-
»^-y,*'.* .;.y ^-rwir^r. ' .-.vr- »«rlrr.rri: L'dä^iÄnd-a IwrwiiSg«: bei den Prodacten
'.^' >.?•>•■,/..•,/ ':,^ K.;f*T.>/.:.Aft^. d*ft Va:r?« ^r.i unter welchen die der Mutter?
7i. • i»'.":>r. t,.p:T^s\r.i. *!r.^. r.*-".-«: E:~r/I:ck erLilten. wa« wir als stärkere und
V.x:.>;'f.r rr. .**^r. wir «r-. r/rrreit^ slI-; rin-e An der dcrch die Rassenkreuzung
o*^/;.:./*^?.'. '#>f5c*fr.rft«:r ,r.^ f/^ra/ht^fc. wa-i Sddiephoke über die Cumberland-
f, ./..';,'/ ic f/^ri^i.r^.: .UVirarj^ die klfriLsten Individuen« welche ich zu Gesicht
-ri-.ifiirt,, yrn.Tt-.u J:r/ri^«rr.* Miv:hjiri5{e. Er waren Bruder und Schwester, dem Con-
' ,r/,/.;i* *\utr>. 'it,T <-t.7i'a zwaL/it^ Jahren im Cumberlandsunde anwesend ge-
yf''^"f»t'r, \S'\t9iU',r*tU''i':nuiitiL«rz portugiesischer Abkunft und eines Eskimo*
.toA't'\i iift., wi<f wir •üh'rn. fflr die Annahme, dass eine Bassenkreuzung
ytt'u\[f;A\*-u< b';i 'lern weiblichen Oenchlechte die Schönheit steigert, ein schon nicht
tu*'.\it unbefrä'bMi'JKrrt M^iterial vorhanden. Man konnte Tielleicht den Einwurf
rii{i«li"ri. tUv< 'lie^^e Vernchönerung keine absolute sei, sondern dass sie nur den
Aiit/«'fi i\*'i\ KurojfiierH mIh eine solche erschiene, weil der Mischling dem euro*
\tii\At\ii'.u TyptiH ri;itiirlirher Weise ähnlicher sein müsse, als die Weiber von
tt'xuf.t Mw^Mi:. \h'm vermögen wir aber nun schon zwei Thatsachen entgegenzu-
h\v\\n\ \yn\u V. Sortli'HHlijhld behauptet, dass jetzt auch schon die Eskimos Ton
«h'.r prMiMniTfn lliUHlirhkf'ii ihnrH eigenen Typus durchdrungen wären; und auch
Isrnpl bf'richiel. von Jen Xohu- Kaffern, dass sie die hellere Farbe der Misch-
liiigi* H'ir die whVnuwt*. lialtfMi und dass die Töchter eines weissen Vaters und einer
hirbi^iMi Miil.li-r iiIh Kniiifn uiiHscrordentlich begehrt werden.
/wi'iffilfm bfHil/f. (lii* Krage nuch den Körperformen der Mischlinge eine hohe
iiiilhnipoldgiMchi* Hf^hMiliing, und jede auch noch so kleine Angabe über diesen
(in^i'iiMhiiid, wiMiii nii; nur hinn'ir.hend genau beobachtet wurde, muss unsere vollste
hpiiilitiMig verdienen. Üei der Srjiwierigkeit des Gegenstandes muss man auch für
diiri KlrihHln (hinkliiir Ni*in.
hl. IMo VrrkHmnMTung dos weiblichen Geschlechts.
\Vrnn v\\\ Volk, (ins rillst einer liohen Ouliur sich erfreute, in einen niederen
llilditn^'Knid /in hi k\rr.sinkt, so iüssi sicli diese allgemeine Verkümmerung auch
im dei lliillnii^, dem iteneltnien und der üussoren Erscheinung des weiblichen
UeNrIilerltlN deiilhrli ei kennen. Die (iesehielite weist genügende Beispiele auf,
\\elrhe dieniM nelnuiptuhg /.in liestätigung dienen: ich greife nur eines aus der
lieilie deiNelbeii heiniis. Die Insel rypiMii hiit im Altert hum eine hohe culturelle
MedeiHung bi>Hessen. Auf ihr blüht on die Heiligt hümer der Aphroiiitc^ zu denen
«li«* Ti allen in in tili eil liüntlern \Millfahrteten, um der hochgeprieseuen Gottheit
\ViMlu(eselieiike diu /ubiingen : dort fand man auch, wie die neuesten Ausgrabungen
leinen, einen uieht ^elin^ell Wohlstand und eine tur jene Zeit hochentwickelte
Stute dei rultin. an der anrh sicherlich das einheimische weibliche Geschlecht
seineu leiclu'u Autheil ^enonnuen hat. Allein nunmehr ist ein grosser Theil der
einst ti licht haieu lustl \en>det. \ind die Bevölkerung meist anu und ungebildet.
\ eher die Indoleii. dci rnuien aus dem heutigen i\\ pern iinssert sich Samuel
Whtti luiKrt toli^endciiuaasscn
.K^ \Mn HU) -1 IVbiuiU und die Temperatur des Morgens und Abends zn
kalt \&' kW um 9u hi^ouakiven. liot; des kalten Wind«» umgab ttne grosse
Anrahl Weiber und Kmdev unseiv >\ ;ig«nK sie t'W'^hnteu timilMlIipg ihmr Kwigier
16. Die Verkflmmerung des weiblichen Geschlechts. 75
und froren in ihren leichten, selbstgefertigten baumwollenen Kleidern. Die Kinder
waren meist hübsch und viele* der jüngeren Weiber von gutem Aussehen; es war
aber im Allgemeinen eine vollständige Vernachlässigung des Aeusseren bemerkbar,
welche in hervorragender Weise allen Frauen in Cypern eigen ist. In den
meisten Landern, in wilden wie in civilisirten , folgen die Weiber einem natür-
lichen Zuge und schmücken ihre Personen in einem gewissen Grade, um sich
anziehend zu machen; aber in Cypern fehlt die nöthige Eitelkeit gänzlich, die
man auf Reinlichkeit und Kleidung verwenden sollte. Der saloppe Anzug giebt
ihren Gestalten ein unangenehmes Aeusseres, alle Mädchen und Frauen sehen aus,
als ob sie bald Mutter werden würden. '^
Baker beschreibt das Aeussere näher, und wir bekommen den Eindruck, dass
ihm hier die Repräsentantinnen eines verkommenen Geschlechts entgegentraten. Ganz
richtig sind dabei die Bemerkungen, dass das Merkmal zurückgegangener Cultur
der Mangel der natürlichen Vorliebe des Weibes ist, sich im Aeusseren möglichst
schön darzustellen durch Schmuck, anständige Bekleidung u. s. w. Die Sitten-
zustande eines verwilderten Volkes sprechen sich namentlich auch darin aus, dass
beim weiblichen Geschlecht der angeborene Sinn für das Anmuthige der eigenen
Erscheinung verloren gegangen ist und einer auffallenden äusseren Vernach-
lässigung Platz gemacht hat, welche auch auf eine Verringerung des inneren
Werthea hindeutet.
Neben der geistigen Verkümmerung wird auch gar bald ein Zurückgehen
derjenigen Verhältnisse am Körper des weiblichen Geschlechts auftreten , welche
ganz allgemein als die charakteristischen Merkmale und Vorzüge vor dem männ-
lichen Geschlecht bezeichnet werden. Das Weib beginnt durch die körperliche
Vernachlässigung männliche Züge, Form und Bewegungen zu bekommen; dabei
erscheint es schnell abgelebt und altert ausserordentlich früh.
Sehr auffallende Beispiele für diese Thatsache finden wir selbst in manchen
Theilen Deutschlands: In der Oberpfalz ist das weibliche Geschlecht fast
durchaus von gleicher Grösse mit der männlichen, Bevölkerung, und es bestätigt
sich hier die Erfahrung, die bei allen minder gebildeten Volksstänmien sich wieder-
holt, dass, wo das Weib in allen Beschäftigungen die Gehülfin des Mannes ist,
wo stellvertretend das Weib des Mannes, so auch der Mann des Weibes Arbeit
verrichtet, auch in der äusseren Erscheinung das Weib die harten Züge des Mannes
annimmt, und ebenso oft Männer gefunden werden mit hellen weibischen Stimmen,
als Weiber mit tiefem, rauhem Organe, eine Wahrnehmung, die mit seltener
Meisterschaft auch in Rieht' s Naturgeschichte des Volkes so treffend als
ausführlich geschildert ist. Trotzdem finden sich auf dem Lande, wie Brenner-
Schäffer in der Oberpfalz wahrnahm, die schönsten Kinderköpfe mit ausdrucks-
vollen Augen und hübschen Zügen bei der Landbevölkerung. ,Das ist noch un-
verarbeiteter Rohstoff. Leider, dass die Verarbeitung so mangelhaft ist. Das auf-
blühende Mädchen ist in der ersten Jugend hübsch, dann treten die Formen
grober und massenhafter hervor, und nach wenig Wochenbetten hat das kurz zu-
vor noch blühende Weib das Aussehen einer Matrone."
Und Gleiches fand im Norden Deutschlands Goldschmidt: „Die Schönheit
and Jagendfrische der ärmeren jungen Leute im nordwestlichen Deutschland ist
leider meist eine kurze; sie überdauert die Kinderjahre nicht sehr lange Zeit.
Die schwere Arbeit bei nicht voll entwickeltem Körper nimmt zu leicht die
F&lle, die zur Schönheit nöthig ist, sie schafft frühzeitig Falten des Gesichts
and Steifheit und eckige Formen des Körpers. Oft habe ich schon eine Mutter,
die mir ein Kind zeigte, für die Grossmutter desselben gehalten. In jüngeren
Jahren sind die Kinder der kleineren Leute in allen Bewegungen freier und leichter.
Früh aber verliert sich die Gewandtheit und Beweglichkeit; .die Steifheit eines
verfirfihten Alters vertritt beim Beginn des Mannesalters ihre Stelle. An einem
lodten, leichten Ghmge, an feinen, nicht eckigen Bewegungen erkennt das ge-
76 III- I^ie ästhetische Auffassung des Weibes.
übte Auge bald, dass ein Mann oder eine Fran yom Lande zu den wohlhabenden
Leuten gehört, deren firühe Jugend frei war von zd schwerer Arbeif
Nicht allein im äusseren Aussehen , sondern auch in der Gestaltung der
Skeletttheile wird das Weib unter gewissen Lebensverhältnissen dem männUchen
Geschlecht so ähnlich, dass sich der sexuelle unterschied &st ganz verwischt.
G, Fritsch glaubt, dass bei den uncivilisirten Menschen Schulter- und Becken*
gürtel nicht ihre typische Entwickelung erlangen, z. B. bei den Kaffern sei das
Becken weder recht männlich noch recht weiblich, sondern ein Gtemisch, welche»
jedoch dem männlichen Typus näher liegt. Aehnliches scheint f&r die Australier
zu gelten, wo nach Müllers^ Angaben das Weib ungemein früh altert. Von
dem schnellen Verfall der Weiber der Wanjamuesi in Gentral-Afrika macht
üeichardt folgende Schilderung:
,Da8 verheirathete Weib ist in Folge der grossen Arbeitslast mit dem xwansigsten bis
fünfandzwanzigsten Jahre alt und sehr verändert. Die Brüste hängen schlaff und glatt wie
Taschen auf den Leib, oft bis zum Gürtel herab, die Zage sind hässlich, Falten kommen zum
Vorschein, der Unterleib ist stark, ein Ansatz von Fett ist ebenso oft vorhanden, wie ab-
schreckende Magerkeit, das Gesäss sehr ausgeladen. Die Arme sind dann besonders stark und
muskulös geworden von dem fortwährenden Mehlstampfen und Reiben.*
17. Die Yertheilung der weiblichen Schönheit unter den Tolkern.
Wenn nun auch, wie wir gern anerkannt haben, ein allgemein gültiges
ürtheil über die Schönheit nicht abgegeben werden kann, so w£rd man es dem
Europäer doch nicht versagen dürfen, dass er sich darüber entscheide, ob sich
die Weiber einer bestimmten Rasse mehr oder weniger seinem Schönheitsideale,
welches er sich im Gefolge einer geläuterten Aesthetik gebildet hat, nähern, oder
ob sie sich von demselben entfernen.
Wer von uns könnte den Typus der mongolischen Rasse für schön er-
klären, jene Männer und Frauen mit ihren flachen, runden, nach oben zu starker
entwickelten Gesichtern, ihren kleinen, gegen die Nase zu schief gestellten Augen,
ihren schmalen, wenig gebogenen Brauen, ihren hohen, vorstehenden Backen-
knochen, ihrer an der Stirn breit aufsitzenden, an der Wurzel flach liegenden,
am Ende platt und breit gebildeten Nase, ihrem kurzen Kinn, ihren grossen, ab-
stehenden Ohren und ihrer gelblichen Gesichtsfarbe? Und doch giebt es auch
dort unter den Weibern, namentlich in Japan, Individuen, die, wenngleich nicht
schön, doch immerhin hübsch genannt zu werden verdienen. Die Weiber der
Mongolen bekommen, wenn sie sich selten der freien Luft aussetzen, eine krank-
haft weisse Hautfarbe. Vor allem ist aber bei dieser Rasse — namentlich durch
den mangelnden oder schwachen Bartwuchs der Männer — eine gewisse Aehnlich-
keit zwischen den beiden Geschlechtern zu bemerken, so dass es dort, wo eine
weite Kleidung getragen wird, oft schwer ist, Männer- und Weibergesichter all-
sogleich zu unterscheiden.
Welcher Europäer könnte jemals am Neger-Typus etwas Schönes finden,
an jenen schwarz- oder wenigstens dunkelhäutigen, starkknochigen Figuren mit
ihren langen, schmalen, im Unterkiefertheil vorstehenden Gesichtern, ihren wulstigen,
aufgeworfenen Lippen, ihren breiten, dicken Nasen, grossen, weiten Nasenlöchern,
krausen Haaren, ihren stierähnlichen Nacken, ihren schwachen Waden und grossen,
platten Füssen? Allein man würde sehr irren, wenn man den hier kurz ange-
deuteten hässlichen Typus für den in den eigentlichen Neger -liindem allgemein
herrschenden halten wollte. Missionar KoeUe^ ein guter Kenner der Neger-
Völker, sagt: „Was in Büchern häufig als Grundtypus der Neger- Physiognomie
dargestellt wird, würde von den Negern als eine Garricatur oder im besten Falle
als eine Stammesähnlichkeit angesehen werden, die aber in Bezug auf Schönheit
hinter der Masse der Neger stamme zurückbliebe.* Namentlich werden gar oft
17. Die Yertheilong der weiblichen Schönheit unier den Vdikern.
77
'too dtuceloen Beobschtem die schlanken Körper der Negerraädchen in ihrer
BlOtijexeit als reizende ErBcheinungen geschildert. Und selbst den im Alter ur-
h&SEi^rtcken Hottentotten weibem erkennt man in ihrer Jugend einen leichten
[tiiid »Äften Körperbau, sowie Kleinheit und Zartheit der Extremitäten, der Hände
und dor Füsse zu. (Barnyw.)
Wo ist das Vaterland der echten und reinen weiblichen Schönheit, die
kmner künstlichen Nachhnlfe bedarf? Giebt es einen Punkt auf der Erde, welchem
in dieser Hinsicht die Palme gebührt? Man hat gesagt, dass ein Erdstrich die
besondecre Auszeichnung habe, vorzüglich schone Frauen zu erzeugen, und dass
€0 sich nur darum handle, welches dieser Zone angehörende Land in der Con-
€UTfmt% Sieger bleibe. Zu diesem Erdstriche werden Persien, die benachbarten
Gecendeti des Kaukasus, insbesondere Circassien und Georgien, die euro-
plisebe Türkei, Italien, das nördliche Spanien, Prankreich, England,
Deutschland, Polen, Dänemark, Schweden und ein Theil Norwegens und
Fiusslauds gerechnet. Allein Jedermann weiss, dass in sehr vielen der hier ge-
nanntem Länder die weibliche Schönheit inn Allgemeinen doch nur innerhalb der
Uttt' ' Grenzen ein bescheidenes Maass hält, und dass überall der Grad der
V(M 4 und der Annäherung an das Ideal auf einer recht bescheidenen Höhe
I «tehen bleibt, wenn man genöthigt ist, erst eine Auslese im Volke zu veranstalten
und dann zu berechnen, wie viel oder wie wenig Procsnt^Theile den nicht allzu
tiMrharfen Geschmacks- Ansprüchen genügen.
Wir kennen in dieser Hinsicht sehr verschiedene ürtheile» welche melir oder
weiliger individuell geflirbtsind; uns scheinen nur solche von anerkannten Aesthe-
Ukem beachtenswerth. In Rom und im römischen Gebiete, im Allgemeinen in
Gegenden, welche Winehelmann die schönen Provin/,en Italiens nennt, ist
wifi er sagt, die hohe vollendete Schönheit gewissermaasson heimisch und ein
des sanften Himmels. Es finden sich in diesen Ländern, wie Wiiirkd-
ufhebt, wenig halb entworfene, unbestimmte und unbedeutende Züge
le» tii^^ichls, wie häutig jenseits der Alpen, sondern sie sind tlieils erhaben, theils
geistreich, und die Form des Gesichts ist meist gross und voll, die Theile des-
[«elbeo in grösster TJebereinstimmimg unter einander. Diese vorzügliche Hildung
irt nach ihm so augenscheinlich, dass der Kopf des geringsten Mannes unter dem
Pdliel in dem erhabensten historischen Gemälde angebracht werden konnte, und
unter den Weibern dieses Standes würde es nicht schwer sein, auch an den ge-
ringfiten Orten ein Bild zu einer Juno zu finden. Wir werden aber sehen, dass
jtüelit alle Beobachter mit Winckelmann der gleichen Ansicht sind.
Eine im Jahre 1888 in Spaa veranstaltete Schönheits-Coneurrenz , welche
[lieh eines sehr lebhaften Zuspruchs von Frauen und Mädchen erfreut haben soll,
ergmb ll> Siegerinnen, welche sich auf 8 Länder vertheilten, nämlich auf Amerika (1),
Belgien (3), Frankreich (»3), Italien (1 1, Oesterreich (Wien) (3), Preussen
(Berlin 2, Posen 1), Schweden (1) und Ungarn (1). Die drei ersten Preise
1 rrhielien die Amerikanerin, eine Belgierin und eine Wienerin.
Man kann in Sachen des Geschmacks bei Beurtheilung der Frauenschunheit
' eincÄ Volkes oder Volksstammes nicht vorsichtig genug sein* Eine wohlthuende
ZurOrkhaltung in dieser Hinsicht findet sich beispielsweise in einer alten lieise-
beeelireibung, deren Autor Baader von unseren Landsmänninnen in Schwaben
schreibt: ,Die Ulmer Frauenzimmer werden von vielen Kennern dieses Ge-
schlechts — worunter ich mich von Amtswegen nicht zählen darf — ttlr die
8cli5iiflteD in Schwaben gehalten.' Wir selbst möchten ims auch nicht ^von
AmlBwegen '^ zu den Kennern rechnen; namentlich würden wir leicht Gefahr laufen,
die dentächen Frauen als beste Repräsentantinnen unseres Schönheits-Ideals auf-
iumIAUu. Deshalb geben wir in der folgenden Zusammenstellung ethnologischer
Abiu^hatzung der Frauenschönheit eine Reihe von Aussprüchen, die von fein ab-
wigirodeu Beobachtern herrühren.
78 in. Die ästhetische Aaf Fassung des Weibes.
18. Die Schönheit der Europäerinnen.
Von fast allen, welche Italien bereisten, werden die körperlichen Vorzüge der
Italienerinnen gerühmt, namentlich ihre dunklen Augen, und die plastischen Formen der
Römerin. Freilich hat eine kühlere Betrachtung stets den Enthusiasmus auf ein geringeres
Maass zurückgeführt. ,Der Zauber, welcher jede neue Erscheinung und Situation begleitet,
ist der Grund air der Illusionen, welche durch Reise-Phantasien und Bilder über italienische
Frauen verbreitet werden, über welche aber Jeder, der längere Zeit in Italien lebte, die
Achseln zuckt, wenn er sich auch selten aufgelegt fühlt, solchen Illusionen entgegenzutreten,
die mit jedem neuen Maler, Dichter und ästhetischen Stilisten von Neuem erzeugt werden,
und sich ebenso wenig zerstören lassen, wie Fata morgana in der Wüste oder Nebel und
Dunst auf der Haidc.** Diese Meinungsäusserung von Bogumil Goltz bezieht sich allerdings
vorzugsweise auf das geistige Leben der italienischen Frauen, doch trifft zum Theil sein
Wort auch den Ruhm der körperlichen Schönheit; und die zahlreichen Maler und Bildhauer,
welche nach Italien, als höchster Kunststätte, wallfahrteten, fanden dort für ihre Stadien
weibliche Modelle, deren vielfach wiederholte Darstellung nicht wenig beitrug, dass sich die
günstigste Meinung über die Reize der italienischen Frauenwelt überallhin verbreitete.
Allein auch in diesem Lande sind manche Gegenden fruchtbarer an weiblicher Schönheit, als
andere. Schon vor mehr als hundert Jahren äusserte in dieser Beziehung VoUanann: ,Es
giebt wenig schöne Frauenzimmer in Rom, zumal unter Vornehmen; in Venedig und
Neapel sind sie häufiger. Die Italiener sagen es selbst im Sprichwort, dass die Röme-
rinnen nicht schön sind.*
Auf Sicil ien fand PIoss autt'allend wenig hübsche Gesichter und Gestalten bei Weibern,
während viele Männer ein schöneres Aeusseres zeigten. Bba Wort Hehn's : , Hier krOmmt sich
der Mensch nicht unter der Peitsche der Noth, die im nordischen Winter einen Theil der
Bevölkerung hässlich und blöde macht, ** kann sich in Süd-Italien nur auf den m&nnlicfaen
Theil der Bevölkerung bezichen, denn diesem fehlt nicht nur die Belastung mit Fabrikarbeit
und er theilt seine Zeit ein in ein wenig Arbeit (noch dazu in freier Luft) und in Faullenien,
sondern er bürdet die Lasten in erstaunlicher Weise theils dem Rücken des Esels, Iheils dem
Kopfe des Weibes auf. Diese letzteren haben vielleicht auch in der Schönheit der Formen
durch zweierlei Umstände gelitten, indem bei der gewaltigen Mischung der Rassen auf
Sicilion (Sikuler, Griechen, Römer, Germanen, Saracenen, Normannen u. s. w.)
die einzelnen dieser Rassen nicht eben ihre besseren Eigenschaften auf die Generation über-
trugen, und indem zweitens dem weiblichen Geschlecht eine Stellung zugewiesen wurde,
welche vielmehr eine Verkümmerung als eine Veredelung und Entwickelung der weiblichen
Schönheit förderte. Eine Italienerin zeigt Tafel II, Fig. 2.
Die Spanierinnen gemessen einen nicht geringen Ruf bezüglich ihrer äusseren Er-
scheinung. „Das Aeussere einer .Spanierin,** sagt Bogumil Goltz, «ist der Ausdruck ihres
Charakters. Ihr schöner Wuchs, ihr majestätischer Gang, ihre sonore Stimme, ihr schwarzes,
feuriges Auge, die Heftigkeit ihrer Gestikulationen, kurz der Ausdruck ihrer ganzen Persön-
lichkeit kündigt den Charakter an. Ihre Reize entwickeln sich früh, um zeitig zu verwelken,
wozu das Klima, die hitzigen Nahrungsmittel und der sinnliche Genuss beitragen. Eine
Spanierin von vierzig Jahren scheint noch einmal so alt, und ihre ganze Figur zengt von
L'ebersättigung und beschleunigtem Alter.* Man vergleiche Tafel II, Fig. 3.
Der Italiener de Amicis sagt: ,lch glaube, in keinem Lande giebt es eine Frau,
welche passender als die Andalusierin erscheint, um die Männer auf den Gedanken einer
Entführung zu bringen. Und dies nicht allein, weil sie die Leidenschaft, den ürsprong aller
Tborheiten. erweckt, sondern auch, weil sie aussieht, als sei sie zum Fangen und Verstecken
gemacht; sie ist so klein, leicht, rundlich, elastisch, biegsam. Ihre beiden Füsschen könnte
Jeder in die Tasche seines Ueberrockes stecken und sie selbst, mit einer Hand um die Taille
gefasst, wie eine Puppe aufheben. Es würde genügen, den Finger auf ihren Kopf zu drücken,
um sie wie ein Rohr zu knicken. Mit ihrer natürlichen Schönheit verbindet sie die Kunst zu
gehen und Blicke zu werfen, die einen unschuldigen Beobachter verrückt machen könnten.*
Die Portugiesin unterscheidet sich wesentlich von der Spanierin. Sie ist weniger
mobil und lebensfreudig, weniger aufgeweckt und von Lust beseelt, ganz und gar im öffent-
lichen Leben aufzugehen. Sie ist weniger sinnlich, als die Spanierin; sie verbleibt gern im
Hause und schaut gelangweilt ans den Fenstern auf die Strasse hinab. Einen Gegensatz zu
diesem Frauenleben selbst in den grössten Provinzialstädten Lusitaniens bildet die Er-
scheinung der Residenzbewohnerin, die stolze Schöne des stolzen Lissabon. .Jedenfalls sind
die Frauen Lissabons die schönsten des Landes zwischen Minho und Algarve. Der
gO III. Dio ästhetische Auffassung des Weibes.
Griechenlands etwas so ausserordentlich Seltenes, dass er jedesmal überraschend wirkt. Die
Frau wird aber früh reif und ist oft mit dreizehn bis vierzehn Jahren bereits Mutter. Sie nährt
ihr Kind bis in das fünfte und sechste Jahr; daher oft mehrere gleichzeitig. Aber die Frau altert
dabei schnell; und die harte Arbeit auf dem Felde und am Webstuhle giebt ihren Zügen
etwas Herbes, ihre Formen werden grob und eckig, der Gang schleppend, was gegen die
elastische, königliche Haltung der Männer auch der niedrigsten Klasse auffallend absticht.
Wer die Frauen Griechenlands nur nach dem Aufenthalte in Athen beurtheilen wollte,
würde sehr fehl gehen. Dort freilich, am Strande des Phal er on, lustwandelt um die kühlere
Abendzeit nach dem erfrischenden Wellenbad eine reiche Schaar schöner Frauengestalten.
Hört man hier die Namen Penelojye, He/etm, Äspasia rufen, so wird man nicht enttäuscht,
wenn man nach dem Antlitz der Trägerinnen solcher Namen forscht. Gleichen sie mit dem
dunkel umrahmten, feinen Oval des Gesichts, der leicht gebogenen Nase, den vollen Lippen
und grossen, glänzenden Augen auch nicht dem attischen Bildhauerideale der klassischen
Zeit, so dürften sie sich doch italienischen Schönheiten getrost an die Seite stellen und
haben vor diesen den Vorzug der Haltung und die Wohlgeformtheit des Fusses voraus, eines
Fusses, den — ich weiss keine Uebersetzung — die Franzosen un pied bien cambr^ nennen.
Aber diese Damen gehören der einem behaglichen Nichtsthun lebenden Geld- und Geburts-
aristokratie an, oder der hier nur spärlich vertretenen Klasse der Lilien auf dem Felde, die
nicht säen, noch ernten, und die der Vater im Himmel doch kleidet und nährt, meist von
den Inseln oder aus K 1 ei nasien eingewanderte Schönheiten, die in der Hauptstadt ihr Glück
zu machen gedachten und ein klägliches Ende in den Matrosenkneipen am Peiraiens nehmen,
auf denen weithin in sichtbaren Lettern die Inschrift jSi/naika AphrodiUs* prangt.*
Von den Frauen der Griechen sagt gehon Bartholdy: „Sie haben gewöhnlich schöne,
aber früh welkende Busen und werden früh beleibt; nationale Reize bietet die Graue und
edle Bewegung des Halses nebst der Kopfhaltung. Die Frauen in Athen stehen seit alier
Zeit hinter allen anderen an Schönheit, selbst hinter den dortigen AI baneserinnen zurück,*
obgleich dieselben seiton über äussere Vorzüge verfügen. In den Gebirgsdistrikten sind sie
grobknochig gebaut, und die Gesichter weisen harte, männliche Züge auf. In Süd-Albanien
gelangt der griechische Typus hin und wieder zum Durchbruch, doch sind auch hier die
Frauen fast durchweg unschön. (Sctnceiger-Lerdi^nfeld.)
Die Malteserinnen sind keine Italienerinnen und erinnern auch nicht sehr stark
an die Griechinnen; sie haben etwas edel arabisches mit ihren ovalen Gesichtern, der
nach unten zu herabgebogenen, scharfgeschnittenen Nase und ihren gluthvoUen, aber ver-
schleierten Augen. Von Gestalt sind sie gross und schlank, ihre Gesichtsfarbe ist dunkel.
Die Kumäninncn aller stände findet Frames hübsch, von üppig stolzem, doch
schlankem und sclimiegbarem Wüchse; von brauner Farbe mit schwarzem Haar und schwarzen
Augen. Nach Kanitz haben die Rumäninnen in Serbien weichere und rundere Formen,
als die Serbinnen, einen «schlanken, elastischen Bau, schöne anmnthige Gestalt and Be-
wegung; feurige, meist dunkle Augen, lange Wimpern, dichte Brauen, kleine, schmale Füsse
und runde Beine; Kopf, (lesicht, Nase, Mund mahnen an antike Statuen.
Die Bulgarinnen sind nach Kanitz nicht sollen schön, sie haben eine tiefe Farbe und
ein fri^^ches Aussehen, doch welken sie früh. Eine junge Bulgarin sehen wir in Fig. 40.
Eine recht günstige Meinung erhalten wir von den Serbinnen durch die Mittheilung
Franz Scherer's, welcher schreibt: ,Das8 in Serbien, einem von Natur so sehr boTorzugten
Lande, auch schöne Frauen zu gedeihen vermögen, wird wohl kaum Jemand bezweifeln.
Besonders in den hftädten Serbiens begegnet man oft sehr edlen Franengestalten; man
sieht darunter Gesichtor vom feinsten Schnitt und oft wahrhaft Überraschender Schönheit.
Ein lebhaftes dunkles Auge und ein eben solches Haar, ein auifallend blasser und dabei doch
etwas südlich schimmernder Teint, sanft angehaucht von dem anmuthigen Roth der Wangen,
geben solch einem Gesichte etwas ungemein Vornehmes; denkt man sich dazu noch dio tadel-
lose Gestalt solch einer Schönheit ringsumflossen von dem sich an die edlen Eormen des
Kr»rpers in geschmeidigen Linien höchst vortheilhaft anschliessenden Nationalkostüms, und
man hat ein i»rächtigea Bild.*
Denjenigen Serbinnen, welche an der oberen Militärgrenze wohnen, und welche
von don in Syrmion, in der Bacska und dem Banate wohnenden Serbinnen sehr
vorHchieden sind, widmete der Baron liajacsich eine eingehende Betrachtung. Sie haben
einen stärkeren Kör|)erbau, volleren Busen, starke Hintorbacken und Waden, eine entwickeltere
Muskulatur; sie sind auch etwas breitschultriger, mit Ausnahme einiger Gegenden der Bacska
und des Kikindaer Districts. Ferner haben sie einen stärkeren Haarwuchs, viel stärkere
und dichtere Augenbrauen als die Bevölkerung dieser unabsehbaren Ebenen. Im Allgen
g2 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes.
niak innen, von denen wir eine auf Tafel II, Fig. 5 kennen lernen. Fig. 4 derselben Tafel
führt uns eine Wal achin vor.
Die Weiber in Montenegro, obwohl in der ersten Jugendblathe recht anmathig, er-
scheinen doch, wie Bernhard Schwäre versichert, sehr bald schon verfallen, hartknochig, eckig
und runzelig, sind auch im Allgemeinen von viel kleinerer Figur, als die M&nner. Es hängt
dies, wie Schwarz sagt, zum nicht geringen Theile mit dem ihnen beschiedenen Leben zo-
sammen. Die Frau vertritt hier das Lastthier, man sieht sie oft tief gebückt mit Lasten von
einem Zentner und mehr einherwandeln, und während der Rücken so belastet ist, handhaben
die schwieligen Hände auch noch den Strickstrumpf.
Von den Türkinneu, insbesondere den Frauen der Osmanen, welche weniger als
die in Konstantinopel meist eingeführten Frauen durch Mischung entartet sind nnd auf
dem Lande in der europäischen und vorderasiatischen Türkei wohnen, heisst es, dass
sie im Allgemeinen unschön sind mit Ausnahme des Haares und der gewöhnlich dunklen,
selten blauen Augen ; sie haben eine gerade, ziemlich grosse Nase und einen übergroasen Mund
(Bidaskalia 1877;. Nach anderer Angabe sind sie nie schön, vielmehr die Züge anregelmässig;
der Kopf nicht edel- oval; gewöhnlich die Augensterne gross und dunkel mit bläulich weisser
Umrandung, die Lider schwer, die Brauen und Wimpern voll und dicht; das Haar schwarz
oder braun, selten üppig, Nase und Mund meist gross, die Füsse selten schön; dagegen di»
Kinnpartie lieblich, die Stirn manchmal von freiem Umriss. De Amicis schildert die Tür-
kinnen in Konstantinopel, abgesehen von den bedeutenden Abweichungen durch Blut-
mischung, durchschnittlich meist fett, viele unter Mittelgrösse, sehr weiss, aber gewöhnlich
geschminkt; die Augen sind schwarz, der Mund roth und sanft, die Oesichtsform oval mit
kleiner Nase, rundem Kinn und ein wenig starken Lippen; der schöne Hals ist lang und he-
weglich; die Füsse sind klein.
Die magyarischen Mädchen und Frauen sind nach einem Autor , Erscheinungen von
pikantem Reize, Musterbilder von körperlicher und seelischer Gesundheit/
Die Polin zählt man gewöhnlich unter die europäischen Schönheits-Ideale. Schweiger-
Lerchen feld sagt von ihnen: „Ihre Erscheinung besitzt in der That etwas Blendendes, nament-
lich durch den ruhigen, fast klassischen Schnitt der Gesichtszüge. Sie ist viel graziöser als die
Russin, und ihre Eleganz verräth jedenfalls mehr Geschmack, als wir bei dieser wahrzu-
nehmen in der Lage sind. Dabei ist sie durchschnittlich viel zarter gebaut, der Teint ist
durchsichtiger und feiner, das dunkle Auge verräth grosse Lebhaftigkeit, ohne jenen sinnlichen
Schmelz zu besitzen, der beispielsweise an den blauen Augensternen der Nord-Russin haftet
Alles in Allem präsentirt sich die polnische Dame als ein Bild von hervorragender Rassen-
schönheit, zu der sich eine natürliche Anmuth gesellt, die man sonst nur bei romanischen
Frauen anzutreffen pflegt.* Ein galizisches junges Mädchen zeigt uns Tafel If, Fig. 6.
„In Sachen russischer Frauenschönheit, so herichtei Schweigcr-Lerdienfeld, gehen die
Ansichten erheblich aus einander. Es kommt viel darauf an, ob man dieselben an dem Typus
einer Gross-Russin oder an dem einer Klein-Russin, oder vollends an dem einer in das
Raffinement der Toilette und Selbstvorsehönerung eingeweihten Dame der vornehmen Gesell-
Hchafb festhält. Die Kloin-Russin, dem Temperament nach viel lebhafter und feuriger ab
ihre nördliche Schwester, trügt auch äusserlich die Merkmale einer mehr südlichen Rasse.
Sie ist gross, schlank, hat dunkle, ausdrucksvolle Augen und schwarze Haare, welche kokett
durch ein fingerbreites Band emporgehalten werden. Die Formen des Körpers sind von so
aristokratischer Feinheit und Zierlichkeit, dass man unwillkürlich an das polnische Blut
erinnert wird. — Die Gross-Russin ist, obwohl kleiner von Gestalt, viel derbknochiger, als
ihre südliche Stammverwandte, und ihre Körperformen besitzen die ausgesprochene Neigung
zu übermässiger Abrundung. Das Auge ist hell und besitzt einen freundlichen Ausdruck ; eine
sorglose Munterkeit ohne Schwärmerei spricht aus ihm, aber man vermisst auch die warme
Empfindung und vollends die schwüle Leidenschaft, die mitunter die Seele der Süd- Russin
durchwühlt. Neben den blauen Augen gemahnt auch noch das lichte, meist aschblonde Haar
an die nördlichen Heimsitze, denen die Gross-Russin angehört. Im Grossen nnd Ganzen,
so schliesst Schweiger-Lerchenfeld, „macht auch sie keinen unvortheilhaften Eindruck, will
man von dem etwas breitknochigen, nicht sehr fein modellirten Gesichte absehen.*
„Was die Frauen anbelangt, so begegnet man namentlich in den zwei FracUonen der
Krim-Tataren (Gebirgs-Tataren und littorale Tataren) nicht selten vollkommenen
Idealen der Frauenschönheit, wie dies auch in der europäischen Türkei der Fall iat, nur
dass sie hier so, wie dort in Folge des frühen Heirathens und wegen der aDiirengenden
Arbeit, der sie unterworfen sind, recht früh altem und verwelkten Matronen iluilidi
sehen.* (Vamhery.)
19. Die Schdnheit der ABiatinnen,
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Dli Ls|i}>#n-Fr»ueii natintd Oiaus Magnus bf'ibsch. ihre Gesichtsfarbe atii Weiss und
^t Fig, Ö auf Tafel 11 zeigt eine solche.
Bt d^n Sc^w*?diiinen »cbeiuen die Dalekar Her innen den Preis der Schönheit
•8 OMilteii / len. (Fig. 4L) Du (JhaWn sagt von ihnen: ^Äacb unter den Frauen
trim mas 2Hi -tattliche Erscheinungen, und viele der jungen Mädchen besitzen jene
iigcnrnriig schöne HchwediBche Gesichtsfarbe, welche an Frische, Reinheit und Durchsichtig-
Ml in k^iTuirs alliieren Lande ihresgleichen findet, in allerhöchster Vollkommenheit. Eine in
MOdi scIj i> Apfelbläthe — dies ist der einzige Veo-gleich» den ich für die zarte Kosen-
thrv: ^.11 tu geben vermag. Die Schwedinnen allein dürfen sich rühmen, jenen
»rbiiren Ro^enHchtnitner zn besitzen, der wie ein matter Anhauch leise und allmählich
entzückende Weias der Haut übergeht und ihnen einen so eigenartig wirkenden Reist
ffleihL Vereinigen sich nun — wie bei den Mädchen von Orsa« einer Pfarrei in Düle-
karliea — mit m tadellosem Teint tiefblaue Augen, kirschrothe Lippen, schöne« durch daä
de« Kldü (Fichtenharz) blendend wei^s erhaltene Z&hne und blondes, seidenweiches
^"Hiar, m ni/iUi nich unt» ein Bild weiblicher Schönheit dar^ wie man es in solcher Vollendung
inilttr k^iuain wnderen Himmelsstriche antrii)\.*
Aber nicht Übetall in Schweden findet man so vorzügliche weibliche Reize. Derselbe
BiiMBid« traf in detrt r2--15 Meilen entfernt von Orsa liegenden Elfdal keine einzige hübsche
Frmtt; dj# vi*r > Backenknochen, wie die platte aufgestülpte Na»e lassen hier die
balblappis« 1 rumung erkennen, wie denn auch hier die meisten Frauen einen kurzen
gtdniiigwi^o Körperbau zeigen. Eine Finnin und eine Ehstin zeigen die Figg. 7 und 8 auf
Tafol n.
DngegAU Unmüert der gleiche Autor über die Mädchen und Weiber der Provinz Blokinge:
der Huf von der Schönheit der Frauen sagt« fand ich im vollsten Maasse beätätigt;
Ankunft erfolgte zur Zett der Heuernte, und in emeiger GeschÜftigkeit sah ich die
bcn Geitalten sich auf den Wiesen umhorbewegen, das Wetter war warm, und so trugen
lim ausser dem Hemde, welches eine Schürze um die Taille festhielt, keine weitere
den Kopf hatten sie mnlerisch mit einem rothen Tuche umwunden« und obgleich
vollkommen unbetichützt den glühenden Sonnenstrahlen ausgesetzt war, so zeigten
ton Frauen und Mädchen jene blendende Weisse und Zartheit der Gesichtsfarbe,
nr schwedisthen Schönen eigen jsu sein pÜogt."
Di« t>iiiiicho Frauonücbön» ist nach Ranke^ in Oberbayern leicht gebrannt mit
_ittnkl«oi> miuiehmal schwarzem Haar, und das bimone Auge leuchtet von Lebenskraft und
ib«jwmiih, welchit sich eheuäo in jeder Bewegung das schlanken, aber munkelkräftigen
iri anisprechen. Auch lichte blaue Augen kennen hier einen mädchenhaft schmachtenden
Bjdrook nicht.
ID. Die Schönheit der Asiatiiiiiüii.
Di<* Ottjnkun, Samojeden, Korjüken und Kamtschadalen gehiSren zu einer^ nach
t(4>i;rillcn höchst un«chrmcn Völkergruppe, und insbesondere gelten bei den meisten
^^ n thr<^ WeibflT fa«t durchgängig für häuslich. Man schrieb von diesen Frauen: ,f Aller
> Antnuth beraubt, unterscheiden nie sich von den Mlinuern bloss durch die Ver*
it d<>r Üeschlechtatheile; sie sind denselben bo sehr ähnlich, da»» man beide Ge-
tiuf den erfiten Blick nicht leicht unterscheiden bann. Ihre Haut hat gemeiniglich
^>t»; 810 sind von Statur zumeist klein.* Und doch durfte miiii eine junge Sa*
che sich im Jahre 18B2 in Leipzig und anderen Stildtcn dem Publikum zeigte,
ftiki ol**fu j^k «hässlich'*, wenn auch nicht als schdn bezeichnen.
TH«» jüngeren Weiber der Tachukt sehen machen^ wie van Nardenskjöld berichtet, oft
lindruek dt*» Anmuthigen^ vorausgesetzt, da«s man es vermag, sich des widerlichen Ein*
SU «erwehren, den der Schmutz und der Thrangestaok hervorrufen.
l>i€ Weiber der VVotjäken fanden Gmelin and PaUas klein, nicht hübsch; auch die
dTiir.on K.ilit'n nurh PailoM nuT seltcu schöuc Frauon. Das Gesicht der Kalmückinnen
aus. Dass es auch unter ihnen sogar Schunbeiten in ihrer Ai-t giebt,
-M. .,. .vlier unter einer in Basel vorgezeigten Kalmücken-Horde die Frau
von drei Kindern, als solche bezeichnet Er sagt von ihr: ^ Höher gewachsen
'' ' i doch kräftig. Hände klein, feine Knochen; die Nase ist fein^
1 beschreibt eine schön geschwungene Linie, schon dadurch ver-
feme platte Oede; Augenspalte weit offen, die PLica marginalis sehr
rilÜUifa
'mamk
^t) IIL Die &sthetiBche Aufrasraog des Weibei.
inien : ihre FötHe ttiud klein nnd wohlirestaltet. Weniger schGn scbeiDen liiiigqgeu die W«iber
in der Mandschurei zn sein, von denen ans Fig. 7 in Tafel V ein Beiipiel Torftkrt.
Die persische Frao, sagt Polak, ist von mittlerer Statur, weder mager noch fett, .*^ie
hat groHiie, offene, mandelförmig geschlitzte, von Wollust trunkene Augen und feingew^Ibte,
über der Nase zusanjmengewachsene Brauen; ein rundes Gencht wird hochgepriecen nnd v<>n
den Dichtem als Mondgericht besungen. Ihre ExtremiUten sind besonders schön geformt:
Brust und Hüften sind breit, die Hautfarbe etwas brflnett; die Haare rind dunkelkastiknien-
braun, der Haarl>oden sehr Üppig. Man trachtet allerdings, durch kfinstliche Mittel Schminken.
Seh würzen der Brauen u. s. w.) die Körperschönheit zu erhöhen. In Haltung und Bewegung
i»>t die Perserin graziös, ihr Gang ist leicht, frei und flflchtig. Tafel VI zeigt uns einige
zum Stamme der Perser gehörige Weiber; eine Parsi-Frau in Fig. 7 nnd eine Sartin in Fig. 9.
Den armenischen Frauen schreibt Crousse zu: ,iUne beaat^ puissante, rpanouie.
vigourease, comme celle des races fortes.* Ein Beispiel sehen wir in Fig. 27. Es ist zweifellos
noch eine sehr junge Person. iJe Amicin sagt von ihnen: Schönheit und Beichthum der Formen,
Beleibtlieit, weisse Farbe, , orientalisches* Ädlerprofil, grosse Augen mit langen Wimpern, lia.«
GeHicht ohne den geistigen Schimmer des grichischen Frauengesichts. Schindler sagt: Die
Frauen der wohlhabenden, unterrichteten und kriegsmuthigen Armenier in Feridan haben
Hehr roihe Gesichter. Karsten fand bei ihnen häufig schOne Gestalten und regelmässig ovale
Gesichter, schwarze blitzende Augen, reiches schwarzes Haar. Ein anderer * Autor giebt
ihnen Schönheit, edle Zflge, schlanken Wuchs, ebenmftsrige Glieder, zarten Teint, reiches
Haar. Ein syrisches Mädchen aus Bethlehem findet rieh auf Tafel VI, Fig. 8 darge^ellt.
Man hat bekanntlich gewisse Gegenden des Kaukasus, insbesondere Circassien,
Georgien und Mingrclien als das Eldonulo der weiblichen SchOnhrit gepriesen, namentlich
in frQborer Zeit; sie lieferten die trefflichste Harems-Waare nach Konstantinopel. Man
sagte, daMS diene Weiber mit (b;n regelmässigsten ZfSgen und dem reinsten Blute die aus-
gebildetsten Formen verbinden. Nach Ausspruch des französischen Reisenden Chardin, der
im vorigen Jahrhundort jene Länder besuchte, sind die Georgierinnen gross, wohlgebaut
und ihr Wuchs ist ungemein frei und leicht. Die Circassierinnen sollen nach ihm ebenso
sfhön Kein; ihre Stirnc hoch; ein Fallen von der feinsten Schw&rze zeichnet anmuthig ihre
Augenbrauen; die Augen sind gross, liebreizend, voller Feuer; die Nase schOn geformt; der
Mund lachend und rein; die Lippen rosenroth und das Kinn so, wie es sein muss, um tla:;
Kinind des vollkommensten Gesichts zu begrenzen. Dazu kommt die schOnste, frischeste
Haut, welche die Sclavenhändler zu Kaffa ungescheut Proben bestehen liessen, um zu zeigen,
dasH der Käufer nicht etwa durch aufgelegtes Colorit getauscht werde. Auch sagt Chardin:
„FiH giebt inMingrelien wunderschöne Weiber, von majestätischem Ansehen und herrlichem
Antlitz und Wuchs. Dabei haben Hie einen Blick, der alle, die sie sehen, umstrickt.'
Nach Pallas u. A. rind auch die Frauen der Tscherkessen schOn, doch unter ihrem
liuf'e, wenn auch meist gut gebildet, weiss von Haut, mit regelmässigen Zügen, kurzen
Sclionkoln. Manche TncherkosRinnen haben eine aufgestfllpte Nase und rothe Haare,
auch nicht immer so rngelmäsrige Züge, wie die Mingrolierinnen. Um eine schlanke
Tiiille liervurzubringon und zu erhalten und das Wohl beleibt werden, das doch sonst im Orient
vielfach alH iSchünheit gilt, zu verhindern, beköstigen die tscherkessischen Mfitter die
Mädchen fast nur mit Milch, und sie legen ihnen im fünften oder sechsten Jahre eine starke
Schnürbrnnt an.
IhflftMtalt sagt von den Tscherkessinnen: «Unter den erwachsenen Mädchen fand
ich nur vier, die wirkliche Schönheiten in unserem Sinne dos Wortes waren. Die übrigen
zeichneten hieb mehr durch Hchlanken Wuchs und durch die Kleinheit ihrer Ohren, Hände
und FüHSO aus. Schwarzes Haar und dunkle Augen kommen bei ihnen nicht häufiger vor als
bei iinH, von den Anwo>ondon hatten die meisten blondes oder helles Haar und blaue oder
hellbraune Augen.**
Die Hindu -Krau (man vergleiche Fig. 29) ist nach Mantegazea^ schön und hat
(Mno zärtliche, loidenHchaftliche Natur. Sie hat fant immer einige Schönheiten, nachtschwarze
Augon, glühend wie die tropinche Zone, gross, von langen Wimpern umschlossen und von
dichten Augenbrauen überschattet; Schultern, Arme und Busen sind einer griechischen
Statue würdig, kleine Füsse, die vom Druck tyrannischer Schuhe nicht entstellt, sondern durch
Ringe und langen Kühen verschönert sind. Hässlich dagegen wird sie durch ihre Hautfarbe,
die zu Hchmächtigen (iliedmaassen und die durch den täglichen Gebrauch von pan-Supari
geschwärzten Zähne.
Die freie Vorgattung, wie sie namentlich in Indien unter dem Nayer*8tMnnie
herrscht, Hchoint nach den Erfolgen der seit Jahrhunderten wirkenden ZnchtwaU Mif die I
nicht ungünstig zu wirken. Die Fmuon werden von Jagor^ als ungemein narik **iBl'
1^« Di« ScbÖnbeit der Asiatinnen.
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MuxiQtbtff und verfahrerisch geachiMert und «ollen trotz des heissen Klimas von auf-
petaier Hauifarbo äein. Jaffor weist dabei darauf hin, dass auch in Sparta die
d^irt (»Mt^h^nil« Zuc)iiw(%ht. welche die »cbönsten Paare zusammenfübrte, einen Men «eben schlaft
«nkit^. «iör an m Kruft und Tapferkeit wie an weiblicher Schönheit alle anderen
Gritc1i9ti0t&tum^ Hier möge auf das in Tafel VI dargestellte Tamil-Mädchen,
\ di*» Frau au« bpiti. Fig. 4 und die Lepscba-Frau Fig. 6 hingewieaen werden.
JJjtj^ign Weibern der Igor roten auf den Philippinen giebt es, wie Han» Meyer
|io feinen GesicbtaÄÜgen und so weiwer Haut, dasi sie mit jeder hübschen
curriren rerm5gen.
ST
, 41b infiff« Ctilite^j I
Eoesibchea Aqaarelt)
Üttior den Malaiinnen fand Finneh hübsch gebaute Gestalten mit gut geformter ßdate.
Di« reinen Mal a>Mnnen auf Java sind nicht selten vod tadellosem Wüchse, und wenn
f^frlinr auch nicht gerade schön zu nennen sind, so haben nie doch etwa« ÄJimuthiges
kil ! In ihrer Erechöinung. Die Gruppe junger Javaninnen in Fig, 32 wird diese«
■4iL,>,T^., t«ich TafölVl, Fig, 1 führt uns eine Javanin vor. Unter den Dujakinnen
Borneo, die mir durch photographische Aufnahmen bekannt geworden lind, finden sich
ilbige 0 estalten mit wob Ige formten Gewichtem.
BialayiRchen Frauen auf der Halbinsel Malacca und einem Tbeile von Sumatra
litrbf aU Jiierlich gi^baut; ihre als olivenfarbig, oder auch als kupferbr&anlicb be*
20. Die Schönheit der Oceanierinnen. gQ
meiit eine sierliche Taille, lebhafte dunkle Augen, einen reichen Haarschmuck und eine
lichtere Hautfarbe als die M&nner, viele können auf Schönheit Anspruch machen.
Die tibetanischen Frauen, man vergleiche Tafel VI, Fig. 2, sind klein, schmutzig
und gewöhnlich unschön, zuweilen begegnet man jedoch auch erträglichen Gesichtern; die
Hautfarbe ist heller als bei den Männern, und die Zähne stehen regelmässiger. (Przewalski.)
Die Japanerin macht in ihrer äusseren Erscheinung entschieden einen günstigeren
Eindmck, als die stammverwandte Chinesin. Namentlich ist die Japanerin der besseren
Stände sehr ansprechend; die Anmuth scheint ihr angeboren zu sein; ihr offenes kindliches
Gesicht ist ein Spiegel ihres ganzen Wesens; die etwas schief stehenden Augen sind glänzend
•chwan und besitzen einen ungemein schelmischen Ausdruck. Die Zähne sind tadellos weiss,
durch Zwischenräume getrennt und ein wenig vorstehend; das Haar ist zumeist reich. Diesee
Alles bezieht sich insbesondere auf das Mädchen (Fig. 42); die Frau färbt sich nach landes-
üblicher Art die Zähne schwarz und reisst sich die Augenbrauen aus, um sie dann durch
Farbe zu ersetzen ; allein auch an den Frauen wird vor allem ihr ausserordentlich freundliches
und seelenvolles Auge gerühmt; ihre Schönheit aber wird durch diese Färbungen ganz er-
heblich beeinträchtigt (Fig. 43). Auch Sdenka schreibt: ,Das Schönheitsideal, welches der
Japaner fär das weibliche Geschlecht aufstellt, entspricht bei weitem nicht unseren abend-
ländischen Anschauungen, aber dennoch sind die Töchter des Landes der aufgehenden Sonne
auch für den europäischen Geschmack reizvoll und verführerisch genug.*'
Die Frauen der Chinesen sind klein und zierlich; so bezeichnen sie die Anthropologen
der «A^onira' -Reise. Doch sagen andere Berichterstatter: ihr Wuchs ist von mittlerer Grösse
ond fein, ihre Nase ist kurz, ihre Augen schwarz und feurig, ihr Mund klein, ihre Lippen
glänzend roth, ihre Biust stark, ihre Hautfarbe weiss. Wieder andere urtheilon: „Die Chine-
sinnen föUen keineswegs das Schönheitsalbum der Erde. Sie sind klein und unansehnlich
von Gestalt; das Gesicht, bei strenger Clausur meist mit einer krankhaften Blässe bedeckt,
bat gewöhnlich einen Stich ins Gelbe und ist in seiner Begrenzung nahezu kreisrund; das
charakteristische Merkmal der mongolischen Rasse, die schiefgeschlitzten Augen, sollen
swar manchem Gesicht einen -pikanten Anstrich verleihen, doch wird man gut thun, anzu-
nehmen, dass gerade die Schlitzäugigkeit den Gesichtsausdruck erheblich entstellt. Dabei
kommen noch die vorstehenden Backenknochen, die kurze, platte Nase, die fleischigen Lippen
und das schlichte, grobe Haar in Betracht.'* Eine junge Chinesin aus Shanghai, nach
photographischer Aufnahme, sehen wir in Fig. 45, während Fig. 44 zwar ebenfall» eine
Chinesin, aber nach einem chinesischen Aquarell darstellt.
20. Die Schönheit der Oceanierinnen.
Von den Polynesierinnen, deren Männer nicht selten stattliche Gestalten von klas-
sischer Schönheit zeigen, sagt Finsch: «Die Frauen sind im Ganzen kleiner, aber in der Jugend
ebenfalls sehr hübsche Erscheinungen, mit wohlgeformtor Büste, die leicht zur Fülle hinneigt.
Alte Weiber sind hässlich, bis abschreckend hüsslich.
Während manche Beobachter den Typus der Kanakinnon auf Hawaii als hübsch
bezeichnen und die Formen im jugendlichen Alter bis zum 30. Jahre wohlgestaltet finden,
stimmen alle Berichterstatter darin überein, dass sie schnell altem. Die Häuptlingsfrauen
zeichnen sich, wie ihre Männer, durch athletischen Bau sowie durch Fettleibigkeit aus, was
indess nach den landläufigen Begriffen von Schönheit den physischen Reiz nur erhöht.
^Bechtinger.J Eine Kanakin zeigt Tafel lY, Fig. 8.
Auf Tahiti g^ebt es einen Adel, dessen Männer meist an 6 Fuss und darüber gross,
und die Weiber nicht viel kleiner sind. Auch bemerkt man bei den Weibern Neigung zur
Körperfülle, doch fand man hier nicht die ungeheuren Flcischmassen wie auf Hawaii. Da
die Tahitie rinnen reichliche Kleider tragen, auch viel im Schatten leben, so sind sie oft
von so heller Farbe, dass sie rothe Backen haben und ein Erröthen sichtbar wird. Forster
ist entzückt von ihren grossen heiteren Strahlenaugen und ihrem unbeschreiblich holden
Lächeln; allein er selbst sagt, dass die Weiber keine regelmässigen Schönheiten wären, dass
ihr Haaptreiz vielmehr in ihrer Freundlichkeit bestehe.
Die Weiber der Marques as-Inseln sind nach Porter weniger schön als die Männer;
bei sonst schönen Gliedern haben sie hässlichc Füsse und einen hässlichen schwankenden Gang;
nach KrusensUrn ist ihr Wuchs klein , ihr Unterleib dick, allein das Gesicht schön, rundlich,
mit grossen funkelnden Augen, schönen Zähnen und blühender Farbe. Daher hält es Gerland
ftr eine übertriebene, oder nur für. einzelne Bezirke gültige Behauptung, wenn «/acguinof die
Marqnesanerinnen für hässl icher als alle übrigen Polynesierinnen erklärt. Schon dem
90
IIL Die ästhetische AnffassuDg des Weibes.
Mendana fiel ihre Schönheit auf; er rühmt ihre Arme und Hände und ihren Wuchs und sagt,
sie seien schöner, als die schönsten Weiber in Lima.
Eine Tonga -Insulanerin zeigt Tafel IV, Fig. 9.
Bei den Samoanern sind die Frauen weniger schön, als die Männer, welche im Allge-
meinen, wie fast alle Polynesier, als schöne Rasse gelten ; die Figur der Samoanerinnen
ist zu sehr untersetzt; angenehm aber berührt ein Ausdruck von Schamhaftigkeit, der auf
anderen Inseln so viel seltener zu finden ist. (Jung.) Von diesen Samoaner-Frauen sagt
Zöller: „Die schönste Samoanerin würde doch immer nur mit einem deutschen Bauer-
mädchen verglichen werden können. Um feinere Züge darzustellen, dazu sind die Nasen zu
breit, stehen die Backenknochen zu sehr hervor. Schöne Frauen würde man nur schwer,
hübsche sehr leicht herausfinden können, so lange sie noch jung sind.* Eine junge Samoanerin
ist auf Tafel XI, Fig. 5 wiedergegeben.
Den Weibern der Maori auf Neu-Seeland, man ver-
gleiche Tafel IV, Fig. 7, fehlt die weibliche Grazie, sie haben
in allen ihren Bewegungen etwas Urwüchsiges, doch auch
etwas Eckiges. Man sieht unter ihnen, wie Buchner schreibt,
zuweilen schöne wohlgebildete Gestalten, aber naturgemäss
giebt sich bei diesen die Verkommenheit noch viel deutlicher
kund, als bei den Männern. Nach Zoller besitzen die Frauen
weit grössere Füsse als ihre Männer, und geradezu fürchter-
liche Extremitäten. Nach Finsch sind sie kleiner und im
Ganzen weniger schön, als die Männer; wirkliche Schönheiten
in unserem Sinne fand er nicht unter ihnen.
Von den Melanesiern auf der Insel Tanna (Neu-
Hebriden) hoisst es, dass ihre Weiber klein und später meist
hässlich sind (Forster), Auf V a t e , einer anderen neu-hebri-
dischen Insel, sind die Weiber schlank und zierlich fErskineJ;
auf Mallikollo sind sie dagegen hässlich und schlecht ge-
wachsen, was bei der massenhaften Arbeit, welche auf ihnen
liegt, nicht verwundem kann; sie werden durch ihre sehr langen,
schlauchartigen Brüste sehr entstellt. Auch auf Aoba waren
die Weiber hässlich; auf Vanikoro aber ganz besonder«
hässlich, sobald sie der ersten .Tugend, in der sie bisweilen
hübsch sind, entwachsen sind. Die Weiber auf Tombar a sind
minder hübsch, als die Männer (Hunter); auch auf Neu-
Guinea sind die Weiber wegen der auf ihnen lastenden Arbeit
meist hässlich. Eine Frau von den Nen-Hebriden ist auf
Tafel IV, Fig. 2 dargestellt.
Von den Papuas, die uns im Allgemeinen als wenig
anziehende Erscheinungen geschildert werden, heisst es, dass
es unter ihnen doch auch sehr hübsche Gesichter, besonders
bei den jungen Männern und Knaben, manchmal auch bei
jüngeren Frauen gicbt, doch sind sehr hässliche Gesichter an der
Tagesordnung. Die Weiber der Südwestküste der Insel Doreh
sind nach r. Jlosenberg kleiner als die Männer, welche im All-
gemeinen eine mittlere Statur haben. Unverhältnisimässig
dünne, magere Beine bei sonst wohlproportionirtem Körper sind
beim Papua nichts seltene!^, zumal bei Frauen. Ein Papuamädchen von 15—16 Jahren,
welches von van Hasseli der Berliner anthropologischen Gesellschaft vorgestellt wurde, besats
eine ebenso zierliche Hand, wie einen zierlichen Fuss.
Den Papuas Neu-Guineas ähnlich sind die Melanesier des Admiralitäts-
Archipels; die Männer sind hier wohlgewachsen und kräftig, die Frauen aber stehen, wie
die Gelehrten des Challenger fanden, weit hinter ihnen zurück; sie sehen wahrhaft abttossend
aus, insbesondere durch den steten Gebrauch der Betelnuss; die alten Weiber sind nach von
MikluchO'Maclay meist sehr mager und gleichen mit ihrem rasirten Kopfe, dessen stark aus-
geprägten Hautfalten, ihrem zusammengeschrumpften Busen und hageren Beinen fast gaai
alten Männern. Von Melanesierinnen zeigt Tafel XI in Fig. 6 ein Mädchen ans Neu-
Britannien, in Fig. 4 eine Admiralitäts- Insulanerin, und auf Tafel IV, Fig. 8 iit eine
Viti- oder Fidschi- Insulanerin dargestellt.
Die Frauen der Gilbert- Insulaner (Mikronesier), man vergleiche Taüd lY, ISg. ii
Fig. 46. Junge Australieriu
aas Nord-l^ueensland mit
Scbmucknarben auf der Brust.
(Nach Photographie.)
92 lU. Die ästhetische Auffassung des Weibes.
Die Weiber der australischen Eingeborenen sind meist in der Mittelgrösse, selten
sehr gross, in welchem Falle sie für ausgezeichnet schön gehalten werden. In der früheren
Jugend sind sie nicht unlieblich; ihre BlAthezeit föllt in die Periode von 10 — 14 Jahren.
Mücke, der sich lange in Süd-Australien aufhielt, rühmt von einem im 15. Jahre stehen-
den Mädchen die prächtige Rundung der im «edelsten Ebenmaass* gehaltenen Körperformen.
Ihre Haut glänzte sammetweich, und die rothen, etwas vollen Lippen lieesen .eine Perlenreih»
der Wohlgeformtesten, elfenbeinweissen Zähne' sichtbar werden.
Dagegen sind nach KÖlüer die Weiber in der Umgegend von Adelaide mager, mit
hängenden Brüsten; und während die Männer gewisse Anmuth und Sicherheit haben, fehlt
diese den Weibern, deren Arme und Beine von g^anz besonderer Dürre sind (WiOhelmi).
Auch sind in der grossen australischen Bucht die Weiber klein, mager und verkommen
(Broxcne).
Als im Jahre 1884 in Berlin eine Gruppe australischer Eingeborener gezeigt wurde,
hatte Virchow Gelegenheit hervorzuheben, wie sehr er überrascht worden sei durch die un-
gezwungene, natürliche und häufig geradezu schöne Form, in welcher von diesen Natur-
menschen die Körperbewegungen ausgeführt werden; er sagt: «Die Frauen haben eine so
graziöse Art, den Kopf zu tragen, Rumpf und Glieder zu stellen und zu bewegen, als ob sie
durch die Schule der besten europäischen Gesellschaft gegangen wären.* Fig. 46 führt
eine junge Australierin aus Nord-Queensland vor. Eine Nord-Queensland-Austra-
lierin sehen wir auch in Fig. 47 und auf Tafel IV, Fig. 1; beide haben ausgezeichnete
Schmucknarben, die für eine grosse Schönheit gelten. Es wird später noch davon die Rede sein.
21. Die Schönheit der Amerikanerinnen.
Die Yankees haben sich im Verlaufe der Zeit zu einer specifischen Rasse heraus-
gebildet: das lassen auch die Frauen in ihrem Aeusseren erkennen. Ein ungalanter Ameri-
kaner sagte einmal über seine Landsmänninnen: ,Sie haben keine Knochen, keine Muskeln,
keinen Saft — sie haben nur Nerven. Und wie sollte man es anders erwarten? Statt des
Brodes essen sie Kreide, statt des Weines trinken sie Eiswasser; sie tragen eng^ Corsets und
dünne Schuhe." v. Schtctiger-Lerchenfeld citirt das Urtheil europäischer Beobachter, dass
die Mädchen in den Vereinigten Staaten (und zwar die der nördlichen und östlichen)
bei air ihren körperlichen Vorzügen, ihrer interessanten Blässe, ihrer gewinnenden Schönheit
und bestrickenden Anmuth, gleichwohl einen entschiedenen Mangel an Lebenskraft bekunden.
Auch macht er auf die Unterschiede aufmerksam, welche die Frauen je nach ihrer ursprüng-
lichen europäischen Abstammung zeigen. In den nördlichen Gebieten, wo sich das vlä-
miscbe Blut geltend macht, ist die leibliche Schönheit der Frau ganz anderer Art; die
Haut ist zarter, das Auge blauer und feuriger, als beim englischen Typus; die New-
Yorker Schöne hat mehr Farbe, die Bostoner Schöne mehr Feuer und Zartheit. Nur
unter den höheren Ständen Amerikas hat sich das ursprüngliche englische Schönheits-
ideal ungeschmälert erhalten.
Ueber die Schönheit der mexikanischen Frauen sind die Urtheile verschieden, doch
wird allgemein zugestanden, dass die Städterinnen, namentlich die von rein spanischer
Abkunft, immerhin zu den würdigen Repräsentanten weiblicher Schönheit zu zählen sind.
Ihre Augen sind gross und schwarz, ihr Haar üppig und glänzend, die Zähne blendend weiss.
Klein von Gestalt, bietet die Städterin durch eine gewisse angeborene Anmuth, die dem süd-
lichen Blute eigen ist, einen vortheilhaften Eindruck. Dagegen besitzen die mexikanischen ,
Landfrauen entschieden weniger physische Vorzüge als die Städterinnen rein spanischen
Blutes. Zwar sind auch hier glänzende, feurige Augen, blendende Zähne, reichliches Haar
und dergleichen nicht selten, dafür aber sind andere Gesichtstheile nichts weniger als schön,
die Nase ist hässlich geformt, der Mund gross, die Backenknochen vorstehend.
Ein um so weniger anziehendes Aeussere besitzen für den geläuterten Geschmack des
Europäers die Frauen des arktischen Amerika. Allein es giebt doch recht auffallende
Unterschiede, namentlich zwischen den östlichen und westlichen Bewohnern Grönlands. Die
Vollblutweiber von der Westküste sind meist ziemlich hässlich, haben vorstehende Bäuche,
watschelnden Gang und sind in der Regel klein von Gestalt. Die Frauen der Ostküste hin-
gegen sind zumeist gross und schlank und weit schöner als ihre Landsmänninnen im Westen.
CFinnJ Charakteristisch für alle sind die kleinen Hände und Füsse.
,Eine festlich gekleidete grönländische Schöne, mit ihrer braunen, gmanuUm i
sichtsfarbe und ihren glatten vollen Wangen, sieht in dem aus ausgew&hlteii
21. Die Schönheit der Amerikanerinnen.
93
'i\
igten, dicht anAiixenden Anztige und den kleinen, eleganien^ mit hohen Stulpen ver-
Süf^feln und den buoten Perlenbändern um Hals und Haar nicht Übel ilub. Hir
I gewinnt n«>ch durch eine stetige Heiterkeit und ein Benehmen^ in dem aich eine
Portion Koketterie geltend macht, als man bei einer Schönheit der mit Unrecht ver-
Kskimo-Rasse erwarten möchte. Ein entechloeaener BeehundjAger führt da»
liflhaebe lUkdchen mit milder Gewalt nach seinem Zelte. Mit Gewalt wollen de genommen
«•in und dedbalb werden sie auch mit Gewalt genommen. Sie wird seine Fmn, bringt Kinder
Wirlt nnd vemacbläs«igt ihr Aeusseree. Die vorher »o gerade Haltung des Körpers wird
, in Folge der Gewohnheit, ein Kind auf dem Rücken %\x tragen, die Rundung des
vtnchwindett derselbe wird welk und der Gang wackelig, da« Hiiar ftlllt an den
ant, die Zähne werden durch das Kanen der H&ute beim Gerben hU auf die Wurzel
ut«5 und die Sanberhaltung und Wartung dea Körpers und der Kleider versilumt. Die
ihr^ Jugend recht behaglichen Eskimo-MSdchen werden daher nach ihrer Verheiratbang
ab«eiMiu)icb hlUfllich und ficbmutzig.*
y<ird€m$k}öhL) Ein e E g k i m o - Frau aus
trador leigt Tafol Hl, Fig. 2. In
l Qjtd Fig. 3 denelben Tafel sind
ander« Repräsentantinnen der nord-
»«•rikaDitchen Indianer, nämlich
rai# C^manche-Frau und eine Sionx-
¥mn daryeitellt
Di« Weiber der Kolja sehen an
dm Koniw^ftkttate ron Amerika zeigen
•UMdi krammen, wackelnden Gang, wäh*
r«id die M&nner «toh einberichreiten;
M babei» ^^Ixiri«* Hunde und mei.^t kleine
FOaaa,
jM'Mon Indianerdtämmen
örd*A merikan sind die Frauen auf*
l^nd klein (selten über 5 Fuse, nach
ftram bei den Creeka n. a. w,); «ie
sich ort durch xierlicbe kleine
und FtiiKO aui; \nn den mensten
Slimnün ijt ihr Wuchs untnmetr.t, nnd aie
IuiImk dicktf, mndtj K^pfo mit breiten,
flAcbeii, runden Ge«ichtern, Kino Indi-
• nerkii aas Aristo na lernen wir in Fig.
48 lunii«ii. CPrinz r. Wied^j
Aneh ?on den Lenguas in Süd-
AiBi«rik« rahmt man die kleinen Fasse
imd il&nds dvr Frauen.
Die Weiber des untergegangenen
'jm der Chibcha waren nach (hnedo
Vttglaicli mit anderen Indianerinnen
Wli.
Bei den Coniboa amYnrna (Süd-Amerika) sind die Frauen klein« aber sie haben
ttSdii die mag«n»n Beine und dicken Rauche der meiaten übrigen alidlichen Stämme, fr, IhU-
wmM^ Ikoon nahestehend sind die Mayonische-lndianer in Peru (Tafel HI, Fig. 4), und die
^ doa-Indianer in Brngilien (Tafel IH, Fig. 5). Die Weiber der Araucanier (Tafel
^> haben dieselben Zöge wie die M^nner^ ihr Wucha ist klein, der Oberleib sehr lang,
sehr kurx*
gen Mädchen der Arawaken (Caraiben) in Guyana werden des herrlichen
ihrer Formen, der kräftigen Fölle ihrer Glieder, der interessanten antiken Ge-
iidtUbtlduD^ w '^'f?n nr.iiiihmt; sie besitzen grosse schwarte Äugen, Nach Appfm's Veraichernng
wUei K>n edie, äusaerat anmuthige, oft wahrhaft vollendet« weibliche Formen
.. ^; ricchischem Profil. Die Äreku na- Mädchen Reichnon aich körper-
:en Indianerinnen aua. Appun bewundert an ihnen die Naee von edlem
t, und ihr kleiner Mund prangt mit den feinsten» nur ein klein wenig ge-
die feurigen schwarzen Augen und die raben ach warben Haare vollendtm
r MUdchen, die Qberdiea gleich allen Indianern mit aebr kleinen H&ndun
iki
Figt 48. Indianerin ans Arizona mft lienLalt^m
Gesiebt. (K»cb Photograplili» )
94 ^11* ^^^ ästhetische Auffassung des Weibes.
und Füssen ausgestattet sind. Dagegen excelliren die Weiber der Taruma durch ihre Hftss-
lichkeit. Während ^j3^un von der Schönheit der Indianerinnen Sad-Amerikas unter den
Tropen mit solcher üeberschwänglichkeit berichtet, kann freilich Sachs deren Reise keines-
wegs rühmen. So different ist eben der Geschmack! Eine Guyana-Indianerin zeigt Tafel
III, Fig. 6.
Ein schöner, kräftiger Menschenschlag sind die Patagonier, die sich selbst Tehuel-
chen nennen und zwischen den chilenischen Anden und der atlantischen KQste nm-
herziehen; ihre Weiber sind durchschnittlich kleiner und mit minder üppigem Haarwuchs
bedacht, gleichwohl aber von auffallender Wohlgestalt und Muskelstärke.
Die Weiber der Pescheräs in Feuerland sind kleiner, als ihre Männer. Das Gesicht
bei ihnen wird so geschildert, als hätte man den Kopf zwischen zwei Bretter gelegt und zu-
sammengequetscht ; die Nase ist so niedergedrückt, die Backenknochen treten so weit heraus,
dass der Eindruck der Breite und Niedrigkeit auffallend dominirt. Boehr und Essendörfer
schildern die Weiber als fett. Auf Tafel III sehen wir in Fig. 9 eine Patagonierin und in
Fig. 7 eine Feuerländerin.
Als Uebergang zu den afrikanischen Rassen mögen die Buschnegerinnen von
Surinam ihre Erwähnung finden. Prinz Roland Bonaparte sagt von ihnen:
,Les femmes ont pendant leur jeunesse des formes irreprochables, et la douceur de lenr
peau, malgre sa couleur, ferait envie en plus d'une Europ^enne. Mais cette beaut^ passa-
gere ne dure que tres-peu de temps.**
22. Die Schönheit der Afrikanerinnen.
Die Aegypterinnen haben fast alle nach v, Schweiger-Lerchenfeld feingeformte, zier-
liche Hände und Füsse; ihr Gang verräth angeborene Grazie, wenn auch vielleicht jene eigen-
thümliche Schwingung der Hüften, welche die Araber «Ghung* nennen, nicht allen Weibern
wohl ansteht. Bezaubernd ist das tiefe, dunkle, zuweilen mystisch brennende, dann wieder
mild anziehende Auge, dem häufig ein feuchtes Lustre eigenthümlich ist. Dies Auge kann
eben so fieberisch glühen, als umschleiert schmachten, wenn die Verschleierung eine voll-
kommene, das heisst: der Yaschmack nicht so dünn ist, dass man durch dessen zartes Gewebe
jeden Gesichtszug deutlich erkennt. Ein Paar junge Aegypterinnen niederen Standes sehen
wir in Fig. 31 auf ihrem Esel reiten. Hier kann man die Hände und Füsse gut betrachten.
Auch Tafel I, Fig. 9 führt uns eine Aegypterin vor, deren Profil in auffälliger Weise an die
alten Skulpturen erinnert.
Auch nach R. Hartmann zeigen die heutigen ägyptischen Frauen die typischen Eigen-
thümlichkeiten der Retu, der Alt-Aegypter, wie sie uns auf den bildlichen Darstellungen
entgegentreten. Die jungen Mädchen sind ungemein gracil. Eine hübsche Darstellung nackter
junger Aegypterinnen bieten die mit ihrem königlichen Vater ein dem Schach ähnliches
Spiel treibenden Töchter Ramsen* 111. zu Theben. Aber der Reisende hat auch jetzt noch
Gelegenheit, Studien über den Körperbau solcher Wesen zu machen, nicht nur bei Beobach-
tung der häufigen Badescenen, sondern auch beim Passiren seichter Nil arme durch Markt-
leute, wobei stets ein grösserer Teil des Körpers entblösst wird. Sehr schön sind bei diesen
Personen, wie Hartmann bezeugt, die Schultern und zuweilen die Oberarme geformt. Der
Oberschenkel, der Unterarm und Unterschenkel sind öfters zu mager, obwohl es in dieser Be-
ziehung auch nicht an rühmlichen Ausnahmen fehlt.
Ein Araber-Mädchen ist, wie v, Maltzahn von denjenigen der Nomaden Tripoli-
taniens bemerkt, nur kurze Zeit schön, aber in dieser Zeit ist sie wtlrdig, eine Braut f^
Göttersöhne zu sein; sie ist ein Stück Wüstenpoesie. Der Goldton des weiblichen Incamats,
die phosphorescirende schwarze Haarfluth mit dem schönen Stich ins schillernde Blanschwarz,
der tiefdunklc, sehnsuchtsumhauchte Blick mit der sammtenen Wimper-Gardine, auch nicht
zuletzt die geschmeidig-edle, wohlgerundete Gestalt: das alles sind Reize, wozu es nicht des
Culturmenschen bedarf, um einen würdigen Kenner aufzutreiben. Kein Wunder, dass ein so
leicht erregbares, sich dem Eindrucke der Aussenwelt willig hingebendes Volk, wie der
arabische Nomade, die Schönheit seiner Erwählten mit Worten besingt, welche sich der
glänzendsten Farbe, der eigenthümlichsten Vergleiche bedienen.
Die Zeit der Blüthe des arabischen Weibes bei den Wüstennomaden Afrikas ist
aber eine äusserst kurze; nur in der zartesten Jugend, etwa bis zum 16. Jahre, bleibt ihnen
die Frische erhalten, welche Frauen des Nordens noch im Spätfrühlinge ihree Lebois leigen.
Es ist ein unendlich vergänglicher Frauentypus, der in den beiden extremen Polen, Hitie der
22. Die Schönheit der AfrikaDerinnen.
96
and SSartheit der Formen, seinen Ausdruck findet. Mit dem tiefbrünetten Teint
t) vollen und dabei doch nicht zu starken Formenrundung, mit deu wie von
thi^Bi rO'* hauch durchscbimiuerten braunen Wangen^ mit dem last allsu lebhaften
^! ^probenden schwarzen Augen und dem tiefen Dunkel ihres rabenschwanen
^' len. wie Chavanne berichtet, die jungen Mädchen der luftigen Zelte die
'^ I r,i ir ni^' «mL*Js unt*ndHcb reizenden Tjpus, Ein solches Weib, ein solches Gebilde aus
i »^iMT titnl Dunkel kann, Aas fühlt man instinctmässig-, nur wenige Wochen schön bleiben.
obwohl noch jung, Araber-Mädchen bereite verrunzelt, verwelkt und abgemagert;
!• ftra bische VVü uheit wird je älter, je hagerer und mit drei^sig Jahren geradezu
A^brtdcftod hSsslieh« mit Aaanalune einiger Gegenden, wie To&t, wo die Frauen ähnlich wie
\
Vit* m,
lfortt-f^r»a %na den otieren Nll-Lindorn mit äcliinaokii»rben nuf der ätiru,
doto BauoIi ttnd dem 4rme, (Nach Pkotographie.)
rberfi der KüütenjtUdte in vorrückenden Jahren sich oft Üppiger Körperfülle erfreuen.
linen-Frau aus Tunis xeigt T^fel l^ Fig. 7. Auch an das Mädchen auMiJi»kra,
l^^mig hier erinnert werden,
Eti den Frauen der Berabra Kubiens sind die Gliedmaassen schlank und mager;
djA liftddb«n entwickeln sich später« als die ägyptischen; bereit« vierzehnjährige sind nicht
«•ItMl Qoefa botenlos. Sie verwelken wie die Südtllnderinnen schon frühseiiig« Alte na bische
Ftko9u simi besonders hässUch. ( HartmLiun^.) Den Berabra nahe vorwikiidt sind die
jbiirI.>K »00 denen Fig. 28 ein Weib vorführt
aen der SornJUi« sagt PaulU^scf^ke^ besitzen mitunter nicht unangenehme Züge«
i'Udte tuid volle Brust. Stumpfnasen, stiirk hervortretende Stirn und feine, sier*
96 III. Die ästhetische Auffassang des Weihes.
liehe Ohren sind mir an ihnen aufgefallen. Aoch der Hals ist sch9n geformt, die Haften
schmal, das Becken breit, das Ges&ss stark, ihre Bewegungen leicht und rierlich. Um die
Mitte der zwanziger Jahre altem die Frauen, das Gesiebt beginnt Falten anzunehmen, die
Brüste werden welk und lang, und in den vierziger Jahren bereits bieten die Frauen das Bild
abschreckender Hässlicbkeit. '
Eine Schilderung der Ga IIa- Weiber in Ost- Afrika verdanken wir Juan Maria Sdiurer,
welcher sagt: ,Die Frauen aller Klassen, mit Ausnahme der allerärmsten, bieten einen so Ton
den hageren, meist finster dareinschauenden Männern verschiedenen Anblick, daas ich mich
immer von neuem darüber wundem musste. Die jungen sind von einer Lebhaftigkeit, die
alle Augenblicke zum Durchbrach zu kommen bereit ist, auch büssen sie nicht so frühzeitig
ihre Reize ein, wie die Negerinnen, vielleicht, weil sie den Vortheil geniessen, bei den
schweren Arbeiten von den Sclaven unterstützt zu werden. Ihre Gestalt ist weit kleiner, als
die der Männer, obwohl es an grossen Frauen nicht ganz fehlt. Fast immer sind sie 10—15 cm
kleiner als die Männer, und für diese möchte das Maass von 1,60—1,75 m als Durchschnitt
anzunehmen sein. Ihre physische Natur ist derartig von dem starken Geschlecht verschieden,
dass es schwer fällt, eine Erklärang dafür zu geben. Bei den Weibem sehen wir nur ver-
bal tnissmässig grössere Köpfe, obwohl noch immer der Kategorie von Mikrocephalen zuzu-
rechnen, rande Schädel, viereckige Gesichter, aber ausserordentlich abgerundete Züge, weit
geöffnete dunkelbraune Augen, Nasen mit leichter Tendenz zum Rümp&äschen und an der
Wurzel eingedrückt, dichte Augenbrauen, kleine fleischige Backen, Kindermündchen mit
Perlenzähnen und aufgeworfenen Lippen und ein kleines Kinn. Der Nacken ist hübsch rund
und durchaus nicht kranichartig, wie bei den Männern, Füsse und Hände sind so klein, daits
man über die Behauptung Jiyron^a lachen könnte, der hierin das einzige wahre Zeichen der
Aristokratie erkennt. Die Formen sind mnd und compact, die Gliedmaassen kurz, aber die
Formenfülle der jungen Negerinnen findet sich hier nur selten. Sie sind hübsch, aber nicht
schön.** Nach Paulitschke haben die Galla- Frauen volle, breite Schultern und schöne, volle
Arme. Aus diesem Hevölkerungskreise führt Tafel XI, Fig. 7 ein Mädchen aus Harrar und
Tafel I, Fig. 8 ein Tigre -Mädchen aus der Colonia Eritrea vor.
Bei den jungen Mädchen der Berta im oberen Nilgebiet fand Schuver die vollendeten
Formen klassischer Statuen.
Die Hab ab -Frauen sind nach r. Müller in der Jugend schön, doch altem sie in der
Folge rasch.
In Abuscher, zu Wadai, sind nach Matteucci's und MassarTs Yersicherang Männer
wie Weiber schön und von hoher Gestalt
Unter den Negern des Sudan g^lt nach Gerhard BoMfa eine Frau mit sogenannten
kaukasischen Gesichtszügen als eine Schönheit.
Die Frauen der Bedscba sind in der Jugend nicht unschön; ihr zierlicher Körper mit
sehr feBten, gut entwickelten Brüsten altert aber früh, da sie sich durchschnittlich im 12. bis
IT). Jahre verheirathen.
Die Weiber der Danäkil und Sa ho sind von edlem Wüchse und schönen Formen, doch
auch schnell verwelkend und alternd.
Die Abyssinierinnen haben nach der Beschreibung Steinerne eine mittelgrosse Figur
und besitzen öfters ein stark entwickeltes Fettpolster; junge Mädchen sind reizend und sehr
sympathisch: sie haben ein rundliches Gesicht, eine nicht hohe, gewölbte Stirn, einen ziemlich
grossen Mund, ein rundes Kinn, nicht selten ein Doppelkinn: ein angenehmes Benehmen und
nicht geringer Fleiss machen sie zu sehr gesuchten Artikeln für den Harem der Araber.
Das weibliche Geschlecht der Saurta und Terroa, zweier Stämme, die auf den Ab-
hängen des Gedem-Bergs in Ost-Afrika zwischen Mass au a und Abyssinien wohnen, ist
bedeutend kleiner, als das männliche. Die jungen Mädchen haben angenehme Züge, aber die
im Allgemeinen grosse Magerkeit thut der Schönheit ihres Kör])era Abbrach. Ihre Hände,
aber auch die der Männer, sind ausnehmend klein. Bohlfs fügt hinzu: «Dies ist eine Kigen-
thümlichkeit nicht bloss der Küstenbewohner, sondern auch aller Abyssinier, deren Hände
überhaupt zu klein sind, als dass sie könnten schön genannt werden." Der Grund der Klein-
heit, der Verkümmerung liegt im Nichtgebrauch, in der Arbeitslosigkeit.
Selbst bei den Neger- Völkern, welche so häufig als ein Paradigma der Hänlichkeit
hingestellt werden, fehlt es unter den jungen weiblichen Personen nicht an solchen, welche
eine anziehende Erscheinung darbieten. Allerdings ist dieser Schmelz der Jugend tchn«!! \
und die Matronen sind fast durchgehends als hässlich zu bezeichnen.
Die Frauen am Gabun im äquatorialen Afrika sind fast hübioli n <— ■»■
ihren wohlgeformten Extremitäten, den ausdracks vollen Augen und dtr
22. Die Schönheit der Afiikanerinnen.
97
und ifit kerBeswege weit, wobl aber die Unterlippe etwas aufgedunsen,
Udelloder Scbönheit.
Man kOiUlte die Frauen der Wo J offen »cbön nennen, wenn nicht die Wade, wie bei
muimma K«ger*V5lkemj unentwickelt wäre. Entetellend wirken auch die platten ftlsm
Mvi« die last «porenartige Verlängerung der Fersen. Von den N eg er - Völkern sind auf den
tStlm nahrero Ri»priUeut4inteD wiedergegeben worden, «o auf Tafel l in Fig, 4 eine Ga-
l«gi«rin Ton der üoldküstOf iii Fig. 5 ©in Dahome-Weib und in Fig, 6 ein Wangoro-
Ttib. Tafel XI xeigt in Fig, 1 eine Frao aus Fernando Po, in Fig, 2 eine solche aus
taoitruB. in Fig, *S eine Fante-Frau von der GoldkQste und in Fig. 8 eine Eonde-Frau
imsk ileutaobdn O^t-Afrika.
Flff. ftO. UolK^«?^tiiihEte FruUfm-Figtir von ikr LoADgo-KüstB, Afrika.
rMu^uiii fUr Volkerkutide in Borlin.i tNsich Photographie.)
Xhn Fmuon-Tjrpufi aui dem Loango- Gebiete, wie die Eingeborenen selber ihn darstelleUf
1UU daji hoUgrschnitÄte FigÜrchen in Fig. 50 vor, während Fig. 51 eine holigeächnityte
oililieli« Fi^r ins Kiobo im Co ngo- Gebiete jeeigi. An der Letzteren erkennt man Schmuck«
Aariwm a ^^rbaucbe. Man kann die Frau nicht ala häaslich bezeichnen. Beide Figuren
IpiliAc«! 1 MufM*uai für Völkerkunde in Berlin.
Dm mi£iftt«n \V» Boilakertra, eines Volksstammee im Inneren ¥on Mada-
H:»r. Jihbi'fi rtin.i tr' Hg; einige f^rfjpVt^n iloM l.(*'\^' »rw-a« stark ?ör, alle haben abflr
98
TII. "0te äsifeetlscbe Aoffaeauug Sm Weit^et,
schlanke, obwolil kräftige und wohlproportlonirte Taillen^ trntxdetxi SchntlrTeiber Aoti DsW
kannt sind» (ÄitdeberLJ
^Einzetne Baaatho in Transvaal, Frauen tind Milnnetf UaLfin wirklidi nobOiiia
Körperbau, namentUcb I^filnner und Jünglinge; nnt'er den Frauen und MMchcn hind dm doitli
nur sebr vereinzelte Ausnabmen^ Namentlich machen die zumeist tabakAbent^lartig b«vmb-
b&ngenden Brüste einen degoutanten Anblick, obscbon bei einzelnen jüngeren «qcIi bior
achörie K^rperformen vorkomsioxi.* (Wafitjenutnn,)
I li
Fi«. 61. Ilolj^^csebultxtii Fruion Flffur iiu Rlobo im ConsogflbUie« Aftikn« mit HchmurkvMtKB
»ttf ^^m OborbADch« (KttMitm fUr Td1kerknti4< In BurlinO <^t.h Pbolo^rkiikl«.)
Ünt^r den Frauen der Zulu- Raffern giebt ©a tadellose Fnrninn mit ini/iHi^itnt««
rMJBfpUti und Phy»iognomion. Auch von diesen eödafrikanisich^^n af
^Iftfel l und Xr dargo»>telli. TafoU, Fig, l bringt eine Buichraam «
der Xo#a Kaifern, Fig. 3 eine Biisutbo-Frau aui Sttd^Tranivaal u^nd lafei
ein Weib 6pi Rptl» T>skTTniru im k- (i »l weit 1 loh OQ Af»"'^-'?*
28. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern. QQ
2S. Das Schönheitsideal bei yerschiedenen Yolkern.
Wenn wir eine Umschau halten unter den Völkern des Erdballs und sehen,
wie Qberall die Mädchen von den Jünglingen begehrt werden, auch bei solchen
Rassen, deren Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts selbst in den Jahren ihrer
böcbsten Blfithe uns in Bezug auf ihre äusseren Formen doch nur mit Abscheu
oder Widerwillen zu erf&llen im Stande sind, so müssen wir wohl zugestehen,
dass das Ideal der Schönheit, wie es im Oeiste der verschiedenen Völker
lebendig ist, doch sehr verschiedener und mannigfacher Art sein muss. Von
einem gewiss nicht untergeordneten ethnologischen und wohl auch von anthro-
pologischem Interesse würde es sein, wenn es uns gelingen würde, dieses Schön-
heitsideal bei den verschiedenen Völkern aufzuspüren und uns zu vergegenwärtigen.
Auf den ersten Anblick möchte man dieses für nicht gar so schwierig halten, da
es nur wenige Volksstamme giebt, welche nicht eine gewisse Freude an der bil-
denden Kunst hätten und nicht auch bis zu der (meist plastischen) Darstellung
der menschlichen Gestalt vorgedrungen wären. Wir würden aber gewiss einem
ausserordentlich grossen Irrthum unterliegen, wenn wir in diesen geschnitzten oder
auch gemalten weiblichen Figuren immer das Schönheitsideal des Künstlers erblicken
wollten. Er hat gewiss in bei weitem der Mehrzahl der Fälle nichts Weiteres zu
bilden beabsichtigt, als ein weibliches menschliches Wesen überhaupt, dessen Formen
er natürlich seinen Stammesgenossinnen ähnlich zu gestalten suchte, da er Weiber
anderer Körperformen nicht kannte, und ganz ähnlich wie die Kinder civilisirter
Rassen war er wahrscheinlich hoch erfreut, wenn ihm diese Absicht annähernd
gelungen ist, ohne dass er im Uebrigen beanspruchte, dass sein Kunstwerk nun auch
den Inbq^ff der nationalen weiblichen Schönheit zur Darstellung bringen sollte.
Es giebt aber noch einen anderen Weg, um uns dem gewünschten Ziele
zu nähern, nur schade, dass er bisher noch so wenig geebnet ist. Das sind die
Lieder der liebegirrenden Jünglinge, oder schwärmerischen Dichter, welche ge-
wöhnlich dasjenige zum klaren Ausdrucke bringen, was ihnen das umschwärmte
Liebchen als besonders schön und als besonders begehrenswerth erscheinen lässt.
Von dem Schwanenhals, dem Busen wie Schnee, den Wangen wie Milch und
Blut, den Perlenzähnen und dem Rosenmund, den Augen, leuchtend so hell wie
die Sterne, wie sie die Liebeslieder der europäischen Völker durchziehen,
braucht der Herausgeber den Lesern wohl nicht zu erzählen. Vielleicht enthalten
die verborgenen Blätter ihrer Notizbücher selbst noch dergleichen ausgeseufzte
Hyperbeln. Hier möge nur in Kürze über das Schönheitsideal des Europäers
angeführt werden, was Martin Schurig^ mit den Worten des Conrad Tiherius
Bango darüber sagt: «Als eine vollkommen schöne Frau muss bezeichnet werden,
quae habeat dao dura, ubera et Dates: duo moUia, manus et ventrem: duo brevia,
naram et pedes: duo long^, digitos et latera: duo nigra, oculos et concham: duo rubra, genas
et oa: duo alba, cmra et cervicem.'
Das Schönheitsideal der Minnesänger hat Scherr^ nach deren Liedern fol-
gendermaassen entworfen:
«Eine Frau, die damals ftLr schön gelten wollte, musste von massiger Grösse, von
ichlaDkem und geschmeidigem Wachse sein« fibenmaass und Rundung der Formen wurde
•trenge gefordert und im Einzelnen zarte Fülle der Hüften, Geradheit der Beine, Kleinheit
und Wölbung der Füsse, Weisse und festes Fleisch der Arme und Hände, Länge und Glätte
der Finger, Schlankheit des Halses, plastische Festigkeit und Gewölbtheit des Busens, der
nicht IQ fUlereich sein durfte. Aus dem röthlich weissen Antlitz sollten die Wangen hervor-
blühen, roth, wie bethaate Rosen. Klein, festgeschlossen, süss athmend sollte der Mund sein
und MM schwellenden roihen Lippen die Weisse der Zähne hervorleuchten, wie , Hermelin
au Schariach*. Ein rundes Kinn mit schlehenblüthenweissem Grübchen musste die Reize des
Mand« eriiSlieik Ans dem breiten Zwischenräume zwischen den Augen sollte sich die gerade
M laaiif, noch zu spitz, noch zu stumpf herabsenken. Schmale, lange, wenig
I J «, deren Farbe etwas von der des Haares abstach, waren beliebt. Das
7*
100 III- I>ie ästhetische Auffassong des Weihes.
Auge selbst musste klar, lauter, herzdurchsonnend sein. Seine hevonnigte Farhe war die
blaue, allein noch höher stand jene unbestimmte, wechselnde, wie die Augen einiger Vögel-
arten sie bemerken lassen. Endlich waren blonde Haare, von goldenem Schmelz, um schnee-
weisse, feingeaderte Schläfen sich ringelnd, eine von höfischen Kennern weiblicher Schönheit
sehr betonte Forderung.*
In einem Werke*), welches Feter Sckoeffer in Mainz im Jahre 1492 gedruckt
hat {Botho, Ghronike der Sassen), stehen am Schiasse wahrscheinlich von
seiner eigenen Hand einige handschriftliche Bemerkungen. Eine derselben lautet
in der Uebertragung in das Hochdeutsche:
Zwei Utrecht sehe Beine schön und licht (weiss),
Dazu ein liebliches Angesicht
Und ein niederländisch Leib
Machen zusammen ein allerliebst Weib.
Herr Ernst Loether in Poessneck in Thüringen ist so freundlich, mir
aus dem «wohlgefUllten Schatzkästlein deutschen Scherzes und Humors'
die folgende Stelle zu übersenden:
Eine schöne Jungfrau, davon ich sag'.
Die soll haben ein Haupt von Prag,
Zwei Aeuglein klar aus Frankreich,
Ein Mündlein roth aus Oesterreich,
Von Eoeln zwei schneenweisse Händen,
Von Brabant swei schmale Lenden,
Zwei Brüstlein rund aus Niederland,
Zwei Füsslein schmal aus Engelland,
Aus Hispanien ein schön weiss Bäuchelein,
Aus Flandern zwei dralle Aermelein,
Ein rundes Aerschelein aus Schwaben:
Welche Jungfrau dies hat, ist werth aller Gaben.
Erwähnung möge auch noch eine Redensart der Spanier finden, welche, um
die Schönheit eines hohen Fusssohlengewölbes zu bezeichnen, aussagt: dass unter dem
Fusse eines schönen Mädchens ein Bächlein hindurch fliessen könne (Schaaff hausen).
Für uns würde es aber gerade ein bei weitem grösseres Interesse dar-
bieten, wenn wir uns die entsprechenden Herzensergüsse weniger civilisirter
Völker zu verschaffen vermöchten. Zu meinem grossen Bedauern ist aber das
Wenige, was ich in dieser Beziehung zu bieten im Stande bin, nur ganz spärlich
und lückenhaft ; denn in den vielen Anthologien, welche existiren, sie mögen noch
so dickleibig und vielbändig sein, ist gerade dieses Gebiet vollständig vernach-
lässigt. Aber auch das Wenige, was mir zugänglich geworden ist, wird dem
Leser schon einen Begriff geben, einerseits wie ganz absonderlich und unserem
Oeschmacke und Empfinden fremd die die weiblichen Schönheiten verrherrlichenden
Vergleichsbilder gewählt werden, andererseits aber auch, wie doch fftr gewisse
Vorzüge des weiblichen Körpers die Geschmacksrichtung der Männer als eine ganz
unbestreitbar internationale bezeichnet zu werden verdient.
Was- mir auf diesem Gebiete zur Verfügung steht, stammt fast alles aus
Asien, und zwar kann uns das Altindische aus dem Epos Nal und Dama-
janti die erste Probe liefern, die ich Friedrich RücJcert's TJebersetzung entnehme:
Da sah er, vom Mägdetrosse
Umgeben, die Witarba-Maid,
Glänzend, als wie ein Göttergeschmeid,
Das vom Himmel gefallen,
Erleuchtend irdische Hallen.
*} Das Werk befand sich in der Bibliothek des inzwischen verstorbenen Geheimen Re-
gierungsrath, Professor Hermann Weiss in Berlin, der mich freundlichst auf diesen Yen
aufmerksam machte.
28. D«8 Schönheitsideal bei Yenchiedenen Völkern. 101
Die Glieder getaucht in Liebesreiz
Erweckten der Blicke Liebesgeiz,
Doch Yor dem klaren Angesicht
Schämte sich Sonn- und Mondenlicht.
Die Liebe des Liebeskranken wuchs,
Wie er sah ihren schlanken Wachs.
Sie nun sehend in halber Hülle,
Mit der Brüst* und der Haften Falle,
Die gliederzart wuchsrichtige,
Vollm ondangesichtige .
GewOlbaugenbrauenbogige,
Sanftlächelredewogige :
Fiel er, der Waidmann, durch so viel Zierde
In die Schlingen der Begierde.
Ein paar weitere Stellen aus dem Sanskrit verdanken wir der üeber-
setzung BöhÜingVs. In der einen heisst es von der Geliebten, sie habe Lenden,
wie Elephantenrüssel. Eine andere lautet:
,0b der Bürde der Schenkel und der Brüste schreitet sie ganz langsam einher und
bestrebt sich, eine Fertigkeit zu erlangen im Rauben des Herzens der Jünglinge."
Oder:
Die hier mit den beweglichen, langgestreckten Augen, mit dem starken, gewölbten,
festen Busen, die unter der Last der mächtigen Hüften langsam Einherschreitende ist meine
liebste, die mir das Leben raubt.
Noch ausführlichere Schilderungen der weiblichen Schönheit geben die
folgenden Verse:
Ein Gesicht, das des Mondes spottet, Augen, die Wasserrosen lächerlich zu machen
geeignet sind, eine Farbe der Haut, die die des Goldes übertrifft, starkes Haar, das mit
einem Bienenschwarm sich messen kann, Brüste, die dem Elephanten die Pracht seiner Stirn-
beulen entziehen, schwere Hüften und der Rede glänzende Zartheit sind der Jungfrauen
natürlicher Schmuck.
Das Geeicht ist langftugig und strahlend wie der Mond im Herbste, die Arme sind an
den Schultern abschüssig, der Brustkasten ist schmal und zeigt dicht zusammenstossende hohe
Brüste, die Seiten sind wie geglättet, die Taille ist mit den Händen zu umspannen, die Lenden
haben starke Backen, die Füsse gebogene Zehen: gerade so, wie eines Tanzlehrers Sinn es
sich nur wünschen könnte, ist ihr Leib zusammengefQgt.
Solch ein indisches Schönheitsideal zeigt eine alte Steinsculptur des
Museums für Völkerkunde in Berlin, SUä, das Weib des Rämatschandra dar-
stellend. Sie wurde in dem Dorfe Dschihdschi in der Präsidentschaft Madras
ausgegraben. Fig. 52 zeigt die Figur von vorn und Fig. 53 ihre in flachem
Relief gearbeitete Hinteransicht.
Von der uns an dieser Stelle interessirenden Poesie der alten Hebräer
finden sich entsprechende Beispiele in dem alten Testamente und zwar in dem
hoben Liede ScUamonis. Es möge mir gestattet sein, hier die betreffenden Verse
wiederzugeben:
Ich gleiche dich, meine Freandin, meinem reisigen 2^uge an dem Wagen Pharao.
Deine Backen stehen lieblich in den Spangen und dein Hals in den Ketten.
Wer ist die, die heraufgehet aus der Wüste, wie ein gerader Rauch, wie ein Geräuch
Ton Myrrhen, Weihranch und allerlei Pulver eines Apothekers?
Siehe, meine Freundin, Du bist schön, siehe, schön bist Du. Deine Augen sind wie
Tanbenangen zwischen Deinen Zöpfen. Dein Haar ist wie die Ziegenboorde, die bescheren
sind auf dem Berge Gilead. Deine Zähne sind wie die Heerde mit beschnittener Wolle,
die ans der Schwemme kommen, die allzumal Zwillinge tragen, und ist keine unter ihnen
nnfrochtbar.
Deine Lippen sind wie eine rosinfarbene Schnur, und Deine Rede lieblich.
Deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel zwischen Deinen Zöpfen.
Dein Hals ist wie der Thurm Davids mit Brustwehr gebauet, daran tausend Schilde
nnd allerlei Waffen der Starken.
Flf. Uv l&dlache Sicinflgur, dio 1
(Moseiiin für Vülk^rK
Eine arabische Quelle aus alter Zeit erschliesst sich uns in den GedicfateD
ti«ti) de« fiarin aus Baara, welcher am Ende des 11. Jahrhunderts unserer
bnaDg gelebt hat. Wir verdanken die Uebersetzung dieser poetischen
bekanntlich ebenfalls Friedrich RiicJccrf'^,
Jfkd an aamutlugen ßildorn — no]U \hv mir schildern ^ die 0 < >'be^ die ich
SU uinoTt die meiuc Lust und meine Tlage, — dunkelroth > — hart wie
|}ppe« -- g<9rade wie ein ßoh, — (Iberfichwon glich ü.n ^to]/,
X04 II L I)ie ästhetische Auffassong des Weibes.
Das Haar um ihre Schläfe nahm den Schlaf von meinen Angen;
Ich schmachte, weil sie mich verliess, in dem Yerliess des Leides.
Aus ihrem Wuchs erwächst mein Tod, mein Blut fliesst am die Blütlie
Der Wang\ ihr Auge weidet sich am Brand des Eingeweidee.
Mein Loos ist hoffnungslos, bis mich die Mängellose löset;
Doch ist mein hoffnungsloser Stand ein Gegenstand des Neides.
Dom Gleichgewicht der Glieder war mein Auge gleich gewogen.
Doch eben maass das Ebenmaass des Leibs mein Hers voll Leides.
Eine andere Stelle bei Hariri lautet {Hartmann^)i
Ihre schönen Zähne glänzten wie Perlen. Hageln, oder ein Tropfen kostbaren Weins,
weiss schimmernd, wie Chamillen- oder Palmenblöthe.
Ein anderer alter arabischer Dichter Namens Ämralkeis sagt {Hartmann^):
Das lange Haar, das ihren Röcken ziert, ist wie eine Kohle schwarz, dicht, and wie
Palmranken durch und durch verschlungen.
Ich fasste sie bei ihres Hauptes Haar — sie bog sich sanft zu mir herüber; dQnn war
ihr Leib, dick und stark die Hüfte.
Ihr Bein glich einer Palmröhre von Wasser getränkt.
Hartmann} citirt dann femer den Motannahi:
Sie blickt mich an mit den Augen einer Gazelle in einer weinerlichen Stellang, and
wischte das Regengesprühe über eine Rose von Anam.
Ihr Haar ist wie ein Rabe schwarz, buschig, nachtschwarz, dicht, von Natur, nicht darch
Kunst gekräuselt.
Ihre Lippen duftender, als Sommeriüftchen, und lieblicher, denn scythi scher Maakns
ihr Hyacinthenhaar.
Sie schiessen mit Pfeilen, deren Gefieder die Augenwimpern sind, und spalten die Herzen,
ohne zu ritzen die Haut.
Und selbst den Koran können wir hier anschliessen (Sure 56, Vers 24):
Und es werden bei ihnen sein schwarzaugigte, grossaugigte Mädchen, wie Perlen in der
Muschel verborgen.
Der Dichter Amru, ebenfalls ein alter berühmter Araber, singt:
Zart von Wuchs enthüllte sie ihren schlanken, schön proportionirten Körper.
Und ihre Seiten, die im Gefolge ihrer Reize prächtig sich ausdehnten.
Und ibro Lenden, bo lieblich strotzend, dass des Gezeltes Thür sie zu fassen kaum vermag.
Und ihre HQften — deren schöne Wölbung mir den Gebrauch meiner Sinne vor Ent-
zücken raubt.
Und er vorgleicht die Beine der Geliebten «mit zwei reizenden Säolen von Jaspis oder
ghittom Marmor, an welchem Ringe und Spielereien hangen, die ein geräuschvolles Getöse
inachon.** {llartmann^.)
Etwas reichlicheres Material liefern uns aus einer um einige Jahrhunderte
späteren Zeit die Hesar Afsan oder , tausend Märchen", bei uns bekannt unter
dem Namen „Tausend und eine Nacht**. Wenn auch dieses Werk ursprünglich
persisch ist und zwar aus dem 10. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, so sind
doch die auf uns gekommenen Handschriften in arabischer Sprache verfasst, und
sie sind durchaus nicht wörtliche Uebersetzungen der Originale, sondern freie Be-
arbeitungen und Vervollständigungen und zwar wahrscheinlich von einem Äegypter
aus dem 15. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammen also jedenfalls auch die vielen
poetischen Stellen, welche in die Märchen eingeflochten sind und, obgleich in
Aeg ypten verfasst, müssen sie doch wohl als ein Ausdruck arabischen Denkens
und Fttlilens aufgefasst werden. Ich gebe einzelne Proben von ihnen nach der
Uebersot/ung von Gustav Weil:
Sie ist HchmiogHiim, wie die Zweige des Ban (ein Baam), den der Zephyr bewegt; wie
roizond und anziehend idt nie, wenn sie geht ! Bei ihrem Lächeln glänzen ihre Zähne, so dass
wir nie für einen Blitzstrahl halten können, der neben Sternen leuchtet. Von ihren kohlen-
schwarzen Haaren hilngon Locken herunter, die den hellen Mittag in die Wolken dar Nacht
hüllen: zeigt sie aber ihr Angesicht in der Finstemiss, so beleuchtet ib allai TOn OMien bis
Westen. Aus Irrthum vergleicht man ihren Wuchs mit dem iobSnitia Xwmg md aü Un-
recht ihre Reise mit denen einer Gaselle. Wo sollte eine Gaadl*
hernehmen?
28. Dm Schönheitsideal bei Yerschiedenen Völkern. 105
Ich erblicke an ihrem Bngeo zwei festgeschlossene Knospen, die der Liebende nicht
Tunfusen darf; sie bewacht sie mit den Pfeilen ihrer Blicke, die sie dem entgegenschleadert,
deor Gewalt braucht.
Sie erscheint wie der Vollmond in einer freundlichen Nacht, mit zarten HQften und
schlaakem Wachse, ihr Auge fesselt die Menschen durch ihre Schönheit; die Rötbe ihrer
Waogen gleicht dem Rubin; schwarze Haare hängen ihr bis zu den Füssen herunter; hüte
dich wohl vor diesem dichten Haare ! Schmiegsam sind ihre Seiten, doch ihr Herz ist härter
als Felsen. Ans ihren Augenbrauen schleudert sie Pfeile, die immer richtig treffen und nie
fehlen, so fem sie auch sein mögen.
Ihre Angen sind schwarz, wohlduftend ihr Mund; ihre Aepfelwangen sind wie Anemonen.
Wenn das Licht der Sonne und das Leuchten des Mondes sich begegnen, wird das Firmament
Terdonkelt; wenn ihre strahlenden Wangen sich zeigen, wird die Morgenröthe aus Scham
hlaas; and wenn bei ihrem L&cheln ein Blitz aus ihren Zäbnen leuchtet, so wird die dunkle
Abendd&mmemng heller Morgen. Ihr Wuchs ist so ebenmässig, dass, wenn sie erscheint, die
Zweige des Ban eifersüchtig über sie werden. Der Mond besitzt nur einen Theil ihrer Reize;
die Sonne wollte sie anfechten, konnte aber nicht. Wo hat die Sonne Hüften, wie sie die
Königin meines Herzens hat?
Ein schönes M&dchen! Ihr Speichel ist wie Honig, ihr Auge ist schärfer als ein
indisches Schwert; ihre Bewegungen beschämen die Zweige des Ban, und wenn sie lächelt,
10 gleicht sie der Athemis. Du sagst, ihre Wangen seien wie Doppelrosen, doch sie empört
nch darüber und spricht: Wer wagt es, mich mit einer Rose zu vergleichen? wer schämt
sieh nicht zu behaupten, mein Busen sei so reizend wie die Frucht eines Granatapfelbaumes?
Bei meiner Schönheit und Anmuth ! bei meinen Augen und schwarzen Haaren ! Wer wieder
solche Vergleiche macht, den verbanne ich aus meiner Nähe und tödte ihn durch die Tren-
nung; denn, findet er in den Zweigen des Ban meinen Wuchs, und in den Rosen meine
Wangen, was hat er bei mir zu suchen?
Von Proben persischer Poesie gebe ich eine Stelle aus den Liedern des
Ferdoesi^ welcher ungefähr ein Jahrhundert vor dem ersten Kreuzzuge dichtete
(Bartmann^):
Ehen und weiss hob sich in reizender Wölbung ihre ovale Brust, die keine Phantasie
je malen kann.
Ihr schamhaftes Auge,
Ihre wie Elfenbein blendende Gestalt
Machen des Liebhabers Seu&er los,
Rund sind ihre Augenlider, und ihre schnoeweissen Zähne
Glänzen, von der Hand der Natur schön geformt.
Ihre gerade Nase liegt in schönem Ebenmaasse ausgestreckt;
Ihr schlummernd Auge wird sanft gefächelt durch des Geliebten holden Blick.
Das Moschushaar in wallenden Ringeln gekräuselt
Spielet in der Luft und scherzet, wenn es losgebunden flattert.
Eine liebliche Röthe schimmert auf ihrem rosenfarbenen Gesicht
Und erhöhet unwiderstehlich ihrer Schönheit Reiz.
So liebenswürdig sind ihre Lippen, dass selbst das Lüftchen
Sich nicht zu nähern wagt, sondern nur von ferne wünscht.
Von einem älteren Türken, dem Ibrahim Bassa^ stammt der Ausspruch,
der sich auf eine von ihm geliebte Prinzessin bezieht:
Noch erst strahlt unter der Morgenröthe der Stirn das grosse schwarze Auge mit allen
tsinen bezaubernden Reizen — aber allmählich erhebt sich die spitze kleine Nase wie aus
dem Nebel hervor.
Aus moderner Zeit finden wir in dem Werke von Vamhery über das
Tfirkenvolk einige Beispiele poetischer Ergüsse:
Eine Mutter aus dem Volke der mittelasiatischen nomadisiren-
den Türken besingt ihre verstorbene Tochter :
Mein Liebchen, ich will sie loben, wie schön war sie,
Wie in Butter gebacken es Brod war sie u. s. w.
Von den West-Türken stammen folgende Verse:
0 holde Jungfer, bogengleich sind deine Brauen,
Leben und Welt bist du. Ach! Ach!
So tanze doch, du mein Rosenzweig!
106 I^I- ^® ästhetische Auffassung des Weibes.
Auch ein LiebesUed eines iranischen Türken steht uns zur Yerfägang,
das ich im ganzen Wortlaut wiedergebe:
1. Der Mond bewegt im Kreise sich, um unterzugehen,
Ich bin schläfrig und möchte gern schlafen gehen.
Meine Hände, die haben es erlernt.
Deine Brüste tanzen zu lassen.
2. Ich bin kein Mond, ich bin kein Stern,
Ich bin keine Braut, bin eine Jungfer nur;
0 Jüngling, der du am Thore stehst.
Komm herein, ich bin allein!
3. Das Käppchen hat sie seitwärts aufgesetzt
Und legt es schelmisch bald auf die andere Seite hin;
Ach, ob eines einzelnen Kusses
Hat sie das Herz in Blut mir gebadet.
4. Das Muttermal auf deinem Gesicht
Gleicht der auf der Steppe weidenden Gazelle,
Ja ich kenne meine Holde genau.
Denn ein Doppelmal hat sie im Gesicht.
Einige Lieder der Albanesen finden sich in dem Werke von v. Hahn^,
Ich gebe von denselben nur solche Stellen wieder, welche fQr unser gegenwärtiges
Thema von Bedeutung sind:
Deine Brauen Yemichten mich,
Wenn du dich abwendest und von der Seite blickst.
Aus deinem Munde, o Liebling (?),
Quillt Honig und Zucker.
Deine Perlenzähne
Sind Gift für meine Wunde u. s. w.
Dieses Lied stammt aus P rem et an der Vojussa. In anderen Liedern heisst es:
Liebchen, schlank wie ein Spross
Und weiss wie Bernstein,
Deine Haare (sind) wie Zithersaiten,
Dein Duft Bergmelissen,
Dein Mund Gewürznelke des Kramladens.
Gnade kleine Freundin,
Pomeranze, Orange.
Liebe Dukatenstirne,
Liebe Orangenstime.
Kleine rothe Beere an dem Abhang.
Wie ist es mit mir so, o Freund,
Dass ich das rothe Haar nicht liebe?
Das Haar gelb wie ein Venetianer (Dukaten).
£s geht vorüber der Silberhals.
Um mich zu beklagen, den Aermsten,
Wegen eines Liebchens mit dem Schachtel munde.
Du Kleine, die Dich Dein Mann nicht will.
Steige ein Bischen auf die Mauer.
Entweder Du, Kleine, oder Deine Schwägerin,
Damit ich die Augen und Brauen sehe.
Warum sind Deine Brauen (so) tchwan?
Hast Du etwa Galläpfel aufwiegt?
Sie: Nein, nein, bei Gott!
Denn ich habe Mlb«t die ScMal
28. Das Schönheitsideal bei verschiedenen Völkern. 107
In Scutari in Nord-Albanien singen, nach einem Berichte von
Gopcevic, wenn am Hochzeitstage die Braut entschleiert wird, die Festtheilnehmer
den folgenden Oesang:
Wie schon sie ist, die Gattin, Gott schütze sie!
Ihre Stirn ist breit und erhaben! Gott schütze sie!
Ihre Augenbrauen gleichen dem Regenbogen! Gott schütze sie!
Ihre Augen sind weit, wie die Eaffeeschalen ! Gott schütze sie!
Ihre Wangen sind roth wie Karmin! Gott schütze sie!
Ihr Mund gleicht einer kleinen vergoldeton Büchse! Gott schütze sie!
Ihre Lippen gleichen den Kirschen! Gott schütze sie!
Ihre Z&hne gleichen den Perlen! Gott schütze sie!
Ihr Teint ist weiss wie Milch! Gott schütze sie!
Ihre Taille ist schlank wie eine Cjpresse! Gott schütze sie!
Auch der Zigeuner bedient sich poetischer Bilder, wie wir durch Heinrich
van Wlislocki^ erfahren:
«Blumengleich nennt er ihre Füsse, Weizenbrod ihre Schultern, zwei Traubenkörner
ihre Augen, Blumen ihre Lippen.*
Dem Werke von Vambery entnehme ich auch die Herzensergüsse eines
liebeglühenden Baschkiren:
0 Liebchen mein, Deine Augenbrauen
Gleichen dem noch dünnen Neumonde!
0 Liebchen mein, Deine Brüste
Gleichen den noch warmen Butterknollen.
Auf hohen Bergen hab' ich Feuor angezündet,
Und es brannte die Flamme den Berg entlang;
Auf Deine rechte Wange hab' einen Kuss ich gedrückt,
Und die linke Wange erbebte davon.
Auf hoher Berge Gipfel
Auf Steinen umherzusteigen ist schwer!
0 Holde! ohne Euren Anblick
Drei Stunden auszuhalten ist wohl schwer!
Gäbe es Apfelbäume,
So würde ans Gesträuch ich mich nicht anlehnen,
Wäre meine Geliebte bei mir,
So würde an Fremde ich mich nicht wenden.
Ist hier die Fülle der poetischen Gedanken schon keine sehr hochgradige,
80 sinkt sie auf eine noch viel niedrigere Stufe bei den Mordwinen herab, von
deren Liedern Ahlqtäst folgende Probe giebt:
Vortrefflich ist das Dorf Slavkina.
Wer ist am reichsten in Slavkina?
. Der alte Schansja ist sehr reich,
Der alte Schansja ist sehr stolz.
Er ist nicht reich an Getreide,
Er ist nicht stolz auf seinen Salzvorrath;
Er ist reich an Töchtern,
Er ist stolz auf seine Töchter.
Sieben Töchter hat er;
Wer ist die schönste von den sieben?
Jungfer Nata ist sehr schön,
Jnngfer Nata ist sehr hübsch.
Nata ist mit Lederschuhen bekleidet,
Naia ist in feine Linnen gekleidet,
Aus bestem rothem Baumwollenzeug sind ihre Aermel;
Ein Morgenroth ist ihr gekämmtes Haar.
Eine nogaische Peitsche ist ihr Zopf,
Gleich dem Morgenstern sind ihre Quasten,
Gleich dem Abendroth ist ihr Shawl;
108
in. Die ästhetische Auffassong des Weibes.
Der aufgehenden Sonne gleich ist ihre Haarbinde,
Eine schwarze Wolke ist ihr Kaftan.
Gleich Bachweizenstroh ist ihr Gürtel.
Ich füge noch das Schönheitsideal an, wie es
sich nach Cdquhoun der
Chinese gebildet hat
Er verlangt von einem
schönenWeibe, dass sie Wangen
habe wielCandelblüthe, Lippen
wie Pfirsichblüthe, eine Taille
wie ein Weidenblatt und eine
Bewegung wie eine Lotns-
blame.
6rrte$e&ac& übersetzt aus
einer chinesischen Er-
zählung, welche «Das Ju-
welenli^stchen* betitelt ist:
,Uire Grestalt war fein vom
Kopf bis zu den Zehen, ihr
Wesen and Benehmen liebens-
würdig und süssdaftend; ihre
beiden geschwungenen Augen-
brauen glichen den Linien der
fernen Grebirge, ein Paar Augen
überwölbend, den feinsten
Auszug der herbstlichen Meeres-
wellen; ihre Taille war einem
Lilienstengel vergleichbar, ihre
Lippen den Pfirsichen, welche
die Reinheit eines hochgele-
genen weissen Hauses um-
schirmen.'
Eine chinesische
Schönheit, ¥rie die Japaner
sie sich vorgestellt haben,
ist in Fig. 54 vor^fOhrt
üeberdiejapanischen
Schönheitsbegri£Pe iassert
sich Sdenka folgender-
maassen:
«Der Japaner verlangt
von einer schOnen Frau fol-
gende EOrpareigenschafien: Ge-
stalt und Gesicht schmal und
lang, Augen lang, Nase schmal
und lang. Arme dünn, Hftade
schmal und lang, Hüften
schmal, Beine dünn. Eine
schlechte Brust wird veniehen,
breite Hüften nie! Die Ja-
panerinnen winden daher
ein breites, dickes Tuch, den
Obi, um die Taille, damit der
Voraprung der Hüflon ausgogUchon wortle. Yerst&ndniss für die natürliche, schOne KOrperform
des Menschen bat der Japaner nach unteren Begriffen nicht: nur das Gesicht and die Körper-
haltung kommt in Betracht Der Nacken der Japanerinnen ist dorcfagdiends so aoner-
ordentlich reitend geformt, dam dom verwohnten Kingebomen die Sohiftms Muri» duMS KÜtaper-
theils abgeht. Sonderbar ist die Vorschrill, dass das weibliche Qm «^hMvitlr
tu richten hat; die Stellung der Füsse nach auswärts gilt bei dv
Pill. 54. .Tang« (Ml in «8 in. (Nach vinem Japanischen Holsschnitte.)
110 III. Die ästhetische Auffassung des Weibes.
Ein japanisches Schonheits-Ideal wird uns in einer von Mitford übersetzten
Geschichte geschildert:
^Die Andere (war) ein ganz unvergleichlich schönes M&dchen von sechzehn (Jahren).
Sie war weder zu corpulent noch zu dünn, weder zu lang noch zu klein. Ihr Gesicht war
oval wie ein Melonenkem und ihr Teint hell und weiss. Ihre Augen waren eng und funkelnd«
ihre Zähne klein und einer wie der andere. Ihre Nase war gebogen und ihr Mund äusserst
zierlich geformt, mit lieblichen rothen Lippen. Ihre Augenbrauen waren lang und dünn aus-
gezogen. Sie hatte eine Fülle von langem, schwarzem Haar. Sie sprach bescheiden mit einer
sanften, süssen Stimme, und wenn sie lächelte, so erschienen zwei niedliche Grübchen in
ihren Wangen."
Dass aber auch der Geschmack der Japaner im Laufe der Jahrhunderte
sich geändert hat, das vermögen wir aus ihren eigenen Kunstwerken zu ersehen.
Ich fiihre dem Leser drei Proben aus japanischen Veröffentlichungen vor:
Fig. 38 zeigt uns Kaoyo-Gozen, die Gemahlin eines Samurai, eine hochberübmte Schön-
heit, die vor ungefähr 500 Jahren lebte. Sie hat nach einem erfrischenden Bade soeben ihre
Toilette vollendet und, den damals herrschenden Schönheitsbegriffen gemäss, anstatt der aus-
gerissenen Augenbrauen künstliche hoch oben auf die Stirn gemalt. Das Gemälde ist von
dem japanischen Maler Taiso Yoshitoshi gefertigt worden. Um ungefähr 250 Jahre jünger
ist die schöne Japanerin, welche Fig. 56 nach dem Bilde des seiner Zeit sehr gefeierten
Malers Tosa no Mitsunori wiedergiebt. Fig. 57 endlich ist ebenfalls eine junge japanische
^Schönheit". Als solche bezeichnet sie die in diesem Jahre erschienene Zeitschrift des
japanischen Literatur- und Kunst-Club. Das Bild ist eine nach der Lebenden her-
gestellte Autotypie; wir haben hier somit ein allermodemstes, thatsächliches Beispiel fOr die
heutige japanische Geschmacksrichtung vor uns.
In einem Liede in Nord-Celebes heisst es nach BiedeP:
Die Zähne der Geliebten sind prächtig gefleckt.
Das Schönheitsideal der Singhalesen führt uns Oberländer^ vor:
„Keine Frau wörde fflr eine vollkommene Schöne gelten, wenn sie nicht folgende
Eigenschaften hätte: ihr Haar muss reichlich sein, wie der Schwanz eines Pfaues, lang, bis
zu den Knieen reichen und in zierlichen Locken enden. Ihre Augenbrauen müssen dem
Hegenbogen gleichen, ihre Augen dem blauen Saphir und den Blumenblättern der blauen
Manillablume. Ihre Nase muss wie der Schnabel des Habichts sein; ihre Lippen glänzend
und roth, wie Korallen oder die jungen Blätter des Eisenbaums. Ihre Zähne klein, regel-
mässig, dicht an einander stehend, wie Jasminperlen: ihr HaLs gross und rund; ihr Thorax
geräumig; ihre Brüste fest und konisch, wie die Cocosnuss, und ihre Taille klein, last klein
genug, um mit der Hand umfasst zu wenlen; ihre Hüften weit; ihre Glieder spindelförmig
zulaufend, die Sohle ihrer Füsse ohne Höhle und die Oberfläche ihres Körpers im Allgemeinen
weich, zart, sanft und abgerundet, ohne Rauhigkeit vorstehender Knochen und Sehnen."
In Fig. 55 wird das Brustbild einer jungen Singhalesin gegeben.
Von den Einwohnern des südlichen Arabiens bringt uns v. MaUzan
folgendes Lied:
.Nimm vor den Locken Dich in Acht ! Auch vor dem Halse sieh Dich vor!
Den Sinn umstricket ihre Pracht. Der schlank und biegsam wie ein Rohr,
Wie eine hundertfache Kette, Gleich einem Glase licht und rein.
Entfesselt auf dem Ruhebette. Kunstvoll gewunden, zart und fein.
Und bleibe auch der Stirne ferne! Nimm auch in Acht Dich vor der Ernst!
Sie ist von dem Geschlecht der Sterne. Sie ist ein Garten voller Lust,
Und vor den Brauen hüte Dich! Der Blüth* und Knospen treu bewahrt,
Sie wülben um zwei Sonnen sich. Und Früchte trägt von jeder Art.
Nimm vor den Augen Dich in Achtl Die Taille auch, denn sie vor aUen
Sie sind zwar dunkel, wie die Nachi, Erregt des Schauers Wohlgefallen,
Und dennoch hell wie Tageslicht, Sie ist so schlank, so lart, so fein.
Wenn sie der Narr erblickt zur Stund' Sie scheint fast kürporloe ro
Wird sein Verstand aufs Neu gesund. Und vor dem Leibe nek Dich tot!
Und komm tu nah der Nase nicht ! Ein Schleier vom dtm fwMlM Flor,
Als Held beherrscht sie das Gesicht. Der
Und bleibe fern dem kleinen Mund! So
Der wie ein Fingerring so rund. Die Sblir
28. Das ScbOnheitsideal bei verscbiedenen Völkern. 113
Auch über die Harari im nordostlichen Central-Afrika vermag ich
noch Anskanft zu geben. In ihren Liebesliedern, von denen uns Paiditschke einige
Proben bringt, kommen die folgenden Stellen vor:
leb sage Dir nur dies: Dein Gesiebt ist wie Seide, . . .
Da bist scblank wie ein Lanzenscbaft,
Deine Gestalt ist wie eine brennende Lampe.
Der Honig ist bereits ansgeboben und icb komme damit.
Die Milch, sie ist bereits gemolken, und icb bringe sie Dir.
Und jetst bist Do der reine Honig und jetzt bist Du die gemolkene Milch . . .
Deine Augen sind scbwars geilSaht mit Kabul . . .
Icb babe ein AnUits geseben friscb von Farbe!
Icb sah ein weisses Antlitz und darin waren Punkte an Farbe wie die Schwärze . . .
Deine Augen sind wie der Vollmond und Dein Körper ist duftend wie der Geruch des
Roeenwassers . . .
Und Da bist wie der Garten eines Königs, in welchem alle Wohlgerücho vereint sind.
Und bist Da wie die Fracht des Gartens eines fleissigen Anbauers, wie könntest Du verdorren?
Von der Poesie südamerikanischer Indianer geben v. Spix und v. Martins
eine Probe. Sie fahren ans einem Gesänge der Maiihe-Indianer folgende Verse an:
leb mag nicht Weib Ich mag nicht Weib
Mit gar za schlanken Beinen, Mit gar zu langem Haar,
Sonst würde icb umwickelt, Sonst möchte es mich schneiden
Wie von einer dünnen Schlange. Wie ein Gehäg von Geisseigras.
Den Abschluss dieser poetischen Proben möge eine Ode des alten Anakreon
bilden {Uartmann^)i
Wohlan! male. Du unter den Malern der erste,
Meister in der Rhodischen Kunst,
Male meine abwesende Geliebte
Genau, wie ich Dir es sage.
Male mir zuerst weiche und schwarze Haare.
Und wenn's das Wachs erlaubt, lass sie auch von Salbe triefen.
Unter den dunklen Haaren
Aus der ganzen Wange heraus
Wölbe sich eine glatte Stirn,
Glänzend weiss wie Elfenbein.
Die Haare zwischen den Augenbrauen
Trenne nicht zu merklich, noch lasse sie in einander fliessen.
Die gekrümmten Augenbrauen,
Der Augenlider schwarzer Rand,
Müssen sich bei dieser, wie bei jener
Sanft in einem Punkt verlaufen.
Das Auge mache genau aus Feuer,
Zugleich blau wie Minervens,
Schmachtend zugleich, wie Cytherens Auge.
Male Nas' und Wangen
Rosenroth mit Milch vermischt;
Die Lippe sei wie die der Ptjtho
Zum Kuss einladend.
An dem Rand des weichen Kinns
Um den marmorweichen Hals
Müssen alle Grazien sich lagern,
Uebrigens umflattere sie
Ein purpurfarbenes Gewand.
Nur ein wenig Fleisch spiele sanft hindurch
Und mache nach den verborgenen Reizen lüstern.
Doch halt ein! ich seh* sie schon,
Bald wirst Du, o Wachs, selbst reden.
Ploss-BarUls, Dss Weib. 6. Aofl. I. 8
114
UL Die äjttthetiBcbe Aufll^ssuog de» Weib
24. Der Geschniaek and sein« Aaf&tödutig der wetliUeheu SehanheiM
Alles daajeatge, was die einzelnen Völker vermöge ihrer specÜMchen titf
achmacksrichtung für Schönheit halten, glauben sie durch Kunsthülfe iiw rifcht
Licht stellen, oder auch noch übertreiben zu müssen. Namentlich »orgm di
Frauen dafür, der Natur in dieser Beziehung zu Bülfe xu kommen und uti «ic
selbst sowie an ihren Kindern möglichst geföJlige Formen zu schaffen. Wenn «
Thatsache ist, das«, wie von Weissbach bei der Novara -Reise gefunden wurde,
die Chinesen wie fast alle mongolischen Völker von Natur kleine FHa^e
haben, so wird es wohl erklärlich, dass bei ihnen die Frauen höherer Klaafl€ti die
Füsse ihrer jungen Töchter möglichst verkleinern; wenn die T a h i t i - InsoUner,
die Hottentotten, viele Negervölker u. s. w. die ihnen eigenthlimliche
der flachen Nase für besonders schön halten, so darf man sich nicht
wundern, dass sie Najse und Stirn ihrer Kinder durch Zusanuuendmcken nutn
mehr abflachen; wenn llambokU angiebt, dass die amerikanischen Indiane
ihre Haut nur deshalb mit rother Farbe bemalen, weil sie das natürliche Rothgelb
ihrer Haut für hübsch halten, so darf man ihm wohl Glauben schenken,
So sind die künstlich hergestellten Haartrachten so vieler af ri kan i«c h e
A'ölker bei deren Weibern ebenfalb nur die Erzeugnisse einer con^
öej^chmacksrichtung; und die Holzpflöcke, welche die Botokuden in >
tragen, sollen doch nur dazu dienen, den schon an sich hervorstehenden Uippen
die weite Ausdehnung zu verschaffen, welche von Natur noch nicht in gehörigem
Qrade vorhanden war. Auch ist die Com
pression des Schädels, die so zj'
an ihren Kindern üben, wohl \u
der Absicht verbunden, letzteren den Vorzug
einer edleren, sonst nur bei Vornehmen waJir
zunehmenden Kopfhildung zu gewähren. Elir
geiz und Eitelkeit sind e« also, - ' '
Körper Qualen erdulden lassen, um
kürhche Veränderung der angeborenen Form
ihn derjenigen Bildung ähnlich zu machen,
welche bei dem betreffenden Volksstamui als
Ideal der Schönheit angesehen wird.
Man würde aber ganz erheblich irren* weao
man glauben wollte, dass diese Dinge nur fUr
die wilden oder halhcivilisirten Völker ihre GttU
tigkeit besässen. Denn wenn unsere earopii«^
sehen Damen ihre Taillen möglichst zu.^tainmen-
schnüren, sowie ihr Gesicht roth und vtmm
m. P»i>tti* aT Insel Ma- schminken, SO tindeu wir hierin schliejwlicb doch
pi (T«eu-Bi'tt M ,i*;ii zwanziger auch nur das Bestreben, durch Kunst »ich itm-
{*?T* ';!' ,:?*^1**"'^"«" T'^nf*/^ ^Tf*^ jenige zu erwerben oder zu verstärken, wn* bei
ihnen als besonderer noiz des schönen Uissclilechta
gilt und einem wirklich schönen Individuum schon von der Natur verliehen wurde.
Es ist nur zwischen den uncivilisirten Weihern und den Dam-
hochstehenden Kiissen folgender wichtiger Unterschied zu con
bei den ersteren die Entstelhmgen ihrer Körper, welche ihrer
Verschönerungen desselben sind, meist eine gewisse, durch Jah;
Gewohnheit geheiligte Constanz und Gesetzmässigkeit besitzen, unt.
unseren Damen einem steten, den sinnlosen Launen der M
was von dem Standpunkte der Logik doch jedenfalls zu Gi
Frauen spricht, Sie haben sich ein Schönheitsideal -
irnm*^r in wfrt^nt/ vorgeschriebener Wj-l«~i^ >ii irTi.i/)i**n i
I
116
tu. Die &0thettBcbe AuffaBffung^ des Weibee.
Danien nach konser Zeit dasjenige al^ hässlich und entstelierid prornnireo«
ihnen soeben noch als das Ideal der SehoDbeit gegolten hat.
Um Beispiele hierfür braucht man nicht gerade r erlegen zu seiii. BaJii
sollen die Füsse lang und unnatürlich scbmal, bald wieder feist und abnorm ktUTJ
erscheinen — beides, wie sich dem Arzte nicht selten za sehen die Gelegenheit]
bietet, zvi grosser Qnal und oft nicht wieder reparirbaretn Schaden der Besttxerin« |
Bald giebt man den durchbohrten Ohrläppchen einen knupfartigeD Sckmack,
unter welchem sie scheinbar Terschmnden, bald wieder werden wahre Lasten in|
die Obren gehängt, deren Gewicht die Ohrläppchen zu langen ovalen Lappen ans*
dehnt. Bald wird der Brustkorb umschlossen, als wenn die Natur deji Üamifn
die Brüste versagt hätte, bald wieder werden die letzteren durch ]mti£rnirtige 1
Vorrichtungen gewaltsam in die Höhe gequetscht, so daas sie, anstatt an der nor-
malen Stelle, in der Unterschlüsselbeingrabe ihren Sitz zu haben «cheinen, wob«i
selbst oft bei der Bauchhaut eine Anleihe gemacht werden raus«, * Fülle
zu heucheln, die die missgünstige Natur versagt hat, Vou den \ ii» bald
fadendürr, bald wieder tonnenartig dick zu erscheinen, will ich schweigen.
Aber aus allem diesen geht hervor, dass die Damen gänzlich vergessen, daas dem
Auge des Mannes nichts widerwärtiger und beleidigender ist, als die Unnatur«
Doch kehren wir wieder zu den -tiefer stehenden*^ Rassen zurück.
25* Das Bemalen,
Die Proceduren. welche die niederen Hassen mit ihr^n Kör u vor-'
zunehmen gewohnt sind, sind sehr inannigiiictier Natur, und es j- s nicht
ohne Interesse, dieselben hier in grossen Zügen durch-
zugehen. Ich mache den Anfang mit den Beraalungen.
Dieselben erstrecken sich bisweilen über den ganzen
Körper, wie bei manchen In dianer- Horden; vorwiegend
sind sie aber auf das Ge-
sicht beschränkt. Hier
sind sie nicht in allen
Fällen Mittel der Ver-
schönerung, sondern sie
haben manohmal «i^^radA
dieent
deutujj„.
z« B. bei gewissen I n -
d i a D e r stammen die
Weiber das Gesicht
schwarz färben, wenn für
den männlichen Haus-
vurstand die Leichenfeier
abgehalten wird. Von
den Lei anf Hainan
berichtet Scott, dass an
dem Hochzeitstage der
Gatte der Neuvermählten
das Muster seiner Vor-
fuhren auf das Gesicht
malt, damit sie nach dem
Todr von den Seinigen
anerkannt werde. Bei
den Hindu ist es ge- ns. m "*^ •- » -rat»
vi^ m, iiuoopu.weiu ron dta brauchUch, das«« tätlich *!•«> *»^
25. Das Bemalen,
117
riebm axi%4*mHlt wird. Die Figuren 30 und 61 führen hierfür Beispiele vor. la
BT Mi?hrzahl der Fälle allerdings gilt die Bemalung ab ein Verschönerungs-
' B, bei den Mincopies auf den An dam a neu ^ wo die Weiber häufig
ht, aber auch bisweDen die Arme und Beine und den Rumpf mit breiten
reiÄävu Streifen sehmttcken. Solch ein bemaltes Mincopie-Weib ist in Fig. 59
to, 2 und in Fig. 00 dargestellt Bei den Japanern ist, wie wir sehen (Fig,
fSÜ und 43), das Aufmalen kunstlieber Augenbrauen Sitte, wenn sie in den Stand
Pff Ehe getreten sind.
Si> jttnd auch die Färbungen der Augenbrauen bekannt, welche bei den orien-
ben Frauen im Gebrauche sind,
fWnä d\e BoDfttigen Toilettenduchen (bei den Kr im -Tataren) anbelangt, sagt Vam*
m» spielt da« Henna lljawtonia inermia) hier eine wichtigere Rolle als in der Türkei,
ai. .>... rni]i»iiei-lii, r(»ru. mit iH^timti^m Ueaicbt, N&s«i]ritig tiad Lippenpftook.
wio in Per>4iett und im Kuukasufl, mit cüeeem. das f^uropäische
!Tp:^Ti*?<>n Paihfetofl" nicht nur Augenbrauen, N&gel« Hand nnd Hals, sondern
inkelmle Uaür rolh anstreichen^ eine Sitte, die von lUteni her im
var und schon von Ihfödot bei den Scythen erwähnt wird, deren
Weilier a **m* und Weihraachhok »ich eine Schminke zubereiteten/
^ ^.»....... .. ..cht hierzu auch die oben citirte Stelle aus dem hohen
lomonts in Beziehung: ,,Daö Haar auf deinem Haupt ist wie der Purpur
\a Falten gebunden-*
Eingeborenen auf Java und auf anderen Inaelu des malayiachen
rebipcbi herrscht die Sitte, sieh die Zahne dunkel zu farbeu, und sie blicken
l\Q ni. Die ästhetische AuffaBsung des Weibes.
mit unverhohleDer Verachtung auf die weissen Zähne der Europäerinnen,
^welche denen der Hunde gleichen*'. Auch die Zähne der anamitischen
Weiber in Cochinchina sind nach Mondiere keineswegs nur schwarz vom
Betheikauen, sondern sie förben sich dieselben mit bestimmten Droguen:
^autrefois senlement ä. T^poque de sa premi^re menstraation; aajourd*hai eile est en
progres et ce noircit les dents lors de son premier cott, c*est-ä-dire pres trois ans plat6t
qu'autrefois.*
Ein charakteristisches Beispiel von Bemalung des Gesichts bietet unsere
Fig. 62. Dieselbe stellt eine Cashivos-Indianerin aus Nay Pablo vor, welche
als Kind von den Cunivos-Indianern am Rio Pachitea in Peru geraubt und
in deren Sitten erzogen worden war. Auch die Cunivos-Indianerin Fig. 38
zeigt eine Bemalung des Gesichts.
Es bedarf wohl keiner Erwähnung, dass man die Bemalung nicht als eine
ausschliessliche Gewohnheit des weiblichen Geschlechts betrachten darf. Im Gegen-
theil, bei sehr vielen Völkern pflegen sich auch die Männer zu bemalen und zwar
in bei weitem ausgiebigerer Weise, als die Weiber dies zu thun gewohnt sind.
Die Absicht und die Bedeutung dieser Sitte ist aber wohl nur in den seltensten
Fällen die, ihre Schönheit zu steigern. Nicht schöner, sondern hässlicher, ab-
schreckender und förchterlicher wollen diese Männer erscheinen, um schon durch
ihren blossen Anblick ihren Gegnern, oder wenn es Zauberer sind, ihren Gläubigen
Angst und Entsetzen einzuflössen. Daher findet die Bemalung auch gewöhnlich
nur zu solchen Zeiten statt, wo sie in vollem Kriegsschmucke zu erscheinen, oder
wo sie mit den Göttern und Gespenstern zu verkehren wünschen.
26. Das TSttowiren.
Eine weitere Fortbildung der Bemalungen haben wir in dem Tättowiren
zu erkennen, durch welches die zur Bemalung bestimmten Figuren un verlöschbar
der Haut eingeprägt werden. Das Tättowiren ist dort, wo es überhaupt sich
noch im Gebrauch gehalten hat, gewöhnlich eine beiden Geschlechtem gemeinsame
Sitte; jedoch pflegt fast ganz allgemein die Tätto wirung der Frauen von der-
Fig. 63. Tättowiruug der ünterextremitäten einer Ponapesin (naeh Fimtek^,
jenigen der Männer ganz erhebliche Unterschiede darzubieten, uns interessirt hier
naturgemäss ausschliesslich die erstere. Wir würden wohl sicherlich fehlgreifen,
wenn wir in ihr unter allen Umständen ein Mittel zur Verschönerung erblicken
wollten. Diese ist in einer Reihe von Fällen zweifellos gar nicht beabsichtigt
worden. Die Ursachen aber, warum diese weiblichen Wesen sich tättowiren lassen,
sind nun sehr verschiedenartige. Bei einem Theile der Tätto wirungen haben vrir,
wie wohl deutlich ersichtlich ist, nichts Anderes zu erkennen, als das erwachende
26. Dti8 Tättowiren.
119
als d«n Ausdruck des biblischen Spruches: Und sie wurden gewahr,
eod waren, Sie wollten ihre Nacktheit verhallen und verstecken,
tmd Hilf diese Weise erklärt es sich, wenn die Weiber auf den Viti-Inselu^ wie
jAibhoci^ erzählt, auch unter dem Liku (dem Schamgurt) tättowirt waren. Denn
jedflofmilf war doch wohl diese Tüttowirung viel früher gebräuchlich, als der
Schmnigart, und wahrscheinlich auch frühen als die Tättowirung der übrigen
KörperHellen. Aach die Wilden von Tahiti tättowiren sich nach Berc/ions An-
gabe an der Vulva; ebenso nach Finsch die Damen von Ponape in der Ca-
rülioen-Gruppe, und einige andere Beispiele werden wir später kennen lernen.
Lhuuit hängt es dann unzweifelhaft auch wohl /Aisammen, dass die Tättowirung
b€i fielen Völkern gerade jtur Zeit der beginnenden Geschlechtsreife ausgeführt
wird. Jaesi^ bat in seinem schönen Werke hierför eine Reihe von Beispielen
2iiiAtfini<mgestelIt.
lern kommen wohl die Brüste heran, und dann erst der Bauch, die
tn . 1. u. 8. w. Man vergleiche die Ponapesin in Fig. 63. Doch finden
b auch manche Ausnahmen von dieser Reihenfolge.
Das« übrigens die Tättowirung auch für die scharfen Augen des Europäers
den Eindruck der Nacktheit erheblich mildert, oder gänzlich vei^chwinden lässt,
^ wird in ganz Übereinstimmender Weise von allen Reisenden bestätigt; auch
mit« man sich hiervon kfirzlich bei der in Berlin und anderen Städten aus-
gefteUten Amerikanerin, der schönen Irefie, überzeugen.
Bisweilen wissen die Wilden selber nicht, was
si» flieh bei dem Tättowiren denken. Das erhellt ganz
♦1 " iiia folgender Geschichte, welche Tylor erzählt;
A Viti- Inseln tüttowiren sich nur die Weiber,
wiihrend nich auf den ihnen benachbarten Tonga -Inseln
r die Mäntier tättowiren. Ein Tonga ner war nach
II Yiti* Inseln geschickt worden, um zu erfahren, wie
würde. Während der Rückreise sagte er sich
Tor; »Man muss die Frauen tättowiren und
oichf die Männer.* Er stolperte aber über ein Uinder-
njsa, fiel hin und vergass seinen Satz, so dass er bei
adoar Ankunft den Seinen sagte: ^Man muss die
Mlnner tättowiren und nicht die Weiber,* und seitdem
wurde es auch so ausgeführt Pol ynesi scher Logik
g<eB(lgt diese Erklärung, denn die Samoaner haben
«*iiie ganz ähnliche Legende.
Auf der zu den Liu-kiu-Inseln gehörigen Insel
mi Oshima ist das Tättowiren allein bei den
1-n Sitte. Sie lassen sich regelmässig tättowiren
* :ir nur den Röcken der beiden Hände (Fig. 64).
i .Anzeichen sind stets die gleichen; man weiss je- ^.^^ ^ Tättowirt« Kmd
d<Kh keine Bedeutung anzugeben und erklärt ausdrück- einer aihimftiieriii (liq kiq-
firh. dji*% dieselbe von Okinawa aus erst eingeführt in«»*!«) «•t*'h tkr too «m«im TÄtto.
worden. Meist im 13. Jahre Hessen sich die Mädchen '^^^'*(K»ch Ar!fw"fW.T^ °**"*
es Zeichen einatzen von besonderen Leuten, die
se Kunst verstanden. Mit drei zusammengebundenen Nadeln wurden Reihen
Toü Einsiichen gemacht und darauf die gewöhnliche Tusche eingerieben, die sonst
zum Schreiben benutzt wird. Die Farbe wird indigoblau. Seit vier Jahren bat die
japanische Regierung das Tättowiren auch hier verboten, wie schon seit viel
iifigr " ' in Japan/ (Doederleht,)
giebt in Uebereinstimmung mit Kuharff seine Meinung dahin ab,
itm bd den Ponapesen die Tättowirung jetzt lediglich Ver»chönerung8zwecken
iU.tA nttfl Kf'A^r mit Räug, Stand und Religion irgend etwas zu thun hat.
xxx„%
rA
120 lU- ^® ästhetische Auffassung des Weibes.
Während die Sitte des Tättowirens auf den Gilbert- nnd Marsh all -Inseln immer
mehr abkommt, ist sie auf Ponape noch in voller Blüthe und von grosser Voll-
kommenheit der Zeichnung und Ausführung.
Die Expedition der Novara hat uns in den Besitz eines neuseeländischen
Liedes gebracht, welches Müller wiedergiebt. Aus demselben geht mit klaren
Worten hervor, dass hier die Leute mit dem Tättowiren den Begriff der Verschö-
nerung verbinden. MüUer sagt:
„Bei den Frauen werden nur die Lippen und der von den Mundwinkeln
gegen das Kinn gezogene Halbbogen tättowirt (Fig. 59, No. 4, Tafel IV, Fig. 7 und
Tafel IV, Fig. 9), manchmal auch Arme und Brust, letztere jedoch nicht mit der-
selben Regelmässigkeit. Beim Tättowiren eines Mädchens pflegen die anwesenden
Gespielinnen folgendes Lied zu singen:
Leg' Dich hin, meine Tochter, zu zeichnen Dich,
Zu tättowiren Dein Kinn!
Dass nicht, wenn Du kommst in ein fremdes Haus,
Sie da sagen: „Woher dieses h&ssliche Weib 7*^
Leg' Dich hin, meine Tochter, zu zeichnen Dich,
Zu t&ttowiren Dein Kinn,
Dass Du fein anständig werdest,
Damit nicht, wenn Du kommst zum Feste,
Sie da sagen: „Woher dies rothlippige Weib?*
Auf dass wir Dich reizend machen,
Komm' und lass Dich tättowiren,
Damit nicht, wenn Du kommst, wo die Sclaven sitzen,
Sie da sagen: .Woher das Weib mit dem rothen Kinn?*
Wir zieren Dich, wir tättowiren Dich,
Bei dem Geiste des Hine-te-iwa^wa;
Wir tättowiren Dich, dass der Strandgeist
Möge gesendet werden von Itangi
Zu den Tiefen der See,
Zu der schäumenden Welle!
Deine Schönheit ist gepaart mit Liebreiz!
Deine Schönheit ist wie der Himmel,
Wie die Sterne Pahatiti, Btiatapu, Rongonui und Kahukura,
Du bist schöner
Als Uetonga und Tamerereti
Oder der heilige Schatten Beretoro'a!
Der Strandgeist wird gesendet werden von Rangiy
Zu den Tiefen der See,
Zu der schäumenden Welle.
Lass' die Schmeichler und die Kinder,
Lass' Dein Lebewohl bei ihnen,
Geh' hin wie die scheidende Wolke
lieber den Raukawa-Bergen,
Und lass' sie weinen in Kummer!
Jedoch ich —
Ich bin Rangi und Papa —
Mein Werk ist vollendet!*
Auf verschiedenen Inseln der Südsee haben die Tättowir-Instrumente die
Form kleiner zierlicher Hacken, deren aus Knochen oder Muschel gearbeitete
Klingen mit feinen Zähnelungen an der Schneide versehen sind. Diese gezahnte
Schneide wird der Haut aufgesetzt, und durch einen leichten Schlag mit einem
hölzernen Hammer werden die mit Farbstoff bestrichenen Zähne in die Haut
hineingetrieben. Fig. 65 zeigt solche hackenähnlichen Instrumente zum TSitowiren
aus Neu-Seeland in ungeföhr 2/3 <^6r natürlichen Grösse.
In Japan, Birma a.s. w. benutzt man zum Tättowiren nadelartige Insfara«»
26. Das Tättowiren.
121
mente, die bisweilen (Japan) aus mehreren in einer Reihe dicht neben einander
liegenden Nadehi bestehen.
Wie wir die Bemalung des Gesichts der jungen Lei-Gattin als ein Er-
keDnongszeichen antrafen, so existirt nach Montana in Bezug auf die Tätto-
wirang etwas Aehnliches bei den Eingeborenen von West-Mindanao in den
Philippinen.
.Le tatonage est snrtout r^pandu parmi Ids tribus qui entourent le golfe de Davao;
ü est pratiqaö sur las enfants de 5 ä 6 ans par la mere, en vue de leur imposer une marque
ind^l^bile et de poavoir les reconnaitre quand ils sont enleves par rase on par violence, cas
excesiiTement frequents/
Von den Karaya-Indianern sagt Ehrenreich^ dass sie bei dem Eintritt
der Pabertät unter bestimmten Ceremonien tättowirt würden: „Die Tätto wirung
beschrankt sich auf das Stammesabzeichen, welches beide Geschlechter auf
Fig. ft5. Tättowir-Iustrumeut von Neu- Seeland (nach /r. Jorst*).
den Wangen tragen: ein blauer Ring von 10—15 mm Durchmesser dicht unter
dem unteren Orbitalrand. Man markirt mittelst eines Stempels aus einem Cuyen-
Stück auf beiden Wangen den Umkreis des Kreises. Die Stelle wird dann mit
einem scharfen Steinchen ausgeschnitten und Baumwollencharpie in die Wunde
gelegt. Nach Stillung der Blutung bewirkt eingeriebener Genipaposaft die Blau-
färbung der Narbe.*
In ahnlicher Weise finden wir bei den Weibern der Haida-Indianer auf
den Queen -Charlotte-Islands Tättowirungen mitten auf der Brust, auf den
Oberarmen, auf den Aussenflächen der Vorderarme und der Hände und auf der
Vorderfläche der Unterschenkel, dicht unterhalb der Kniee. Die eingestochenen
Figuren stellen die Totemzeichen der Familie dar, welcher die Tättowirte ange-
hört. Swan macht darauf aufmerksam, dass bei ihren Festlichkeiten die Haida-
Männer völlig nackt, die Weiber nur mit einem kurzen, vom Gürtel bis zu den
Knieen reichenden Röckchen erscheinen; man könne daher die Tättowirungen
122
III. Die ästhetische Aufüissung dos Weibes.
deutlich zeigen und Jedermann vermöge ohne Weiteres den Rang und die Familie
der Tättowirten aus den Zeichen zu erkennen. Nicht selten vergehen mehrere
Jahre, bis die Tättowirungen vollendet sind. Die von
Sivan abgebildete Haida-Frau (Fig. 66) trägt auf der
Brust den Kopf und die VorderfQsse des Bibers, an
jedem Oberarm den Kopf des Adlers oder Donnervogels;
die Heilbutte ziert jeden Vorderarm mit der Hand,
während auf dem rechten Beine der Sculpin und auf
dem linken der Frosch eintättowirt ist. Das ist ihr
ganzer Familienstammbaum.
Der Begriff der Verschönerung verbindet sich mit
dem Abzeichen in denjenigen Fällen, wo, wie z. B. bei
manchen Südsee- Insulanern, das Tättowiren das Vor-
recht der Freien und Vornehmen ist, durch das sie sich
von den Sclavinnen, denen Tättowiren nicht gestattet
ist, unterscheiden. Sehr lehrreich ist hierfQr eine An-
gabe, welche wir Charles Darwin^ verdanken. Sie zeigt
uns zugleich, dass der Tättowirung unter Umständen
auch die mystische Anschauung zu Grunde liegt, dass
sie ein Unheil abwenden könne.
Darwin erzählt in seiner Reise eines NaturfoTschers
um die Welt, dass die Frauen der Missionare auf Neu-See-
land die bei ihnen dienenden und natürlich bereits bekehrten
jungen Frauenzimmer zu überreden suchten, sich nicht tätto-
wiren zu lassen. ^Als aber ein berühmter Operateur aus dem
Süden angekommen war, sagten sie: «Wir müssen wirklich,
wenn auch nur einige wenige Linien auf unseren Lippen haben,
sonst werden, wenn wir alt werden, unsere Lippen zaeammen-
schrumpfen und dann würden wir sehr hässlich aussehen." Es
wird auch jetzt (1831) nicht nahezu so viel tättowirt, wie früher.
Da aber ein Unterscheidungszeichen zwischen dem Häuptling
Fig. 66. Haida-Indianerinmit ""<! de™ Sclaven darin liegt, wird es wahrscheinlich noch
tättowirtem Tot em-Zei eben. lange ausgeübt werden. Jeder beliebige Ideenzug wird in einer
(Nach SrvaH.) kurzen Zeit schon so gewohnheitsgemäss, dass mir die Missionare
sagten, selbst in ihren Augen sehe ein glattes, nicht tätto-
wirtes Gesicht niedrig und nicht wie das eines neuseeländer Gentleman aus.* (Vergl. Fig. 58
No. 4, Taf. IV Fig. 7 und Taf. VII Fig. 9.)
Die Tättowirung schützt also hier vor dem Altwerden. Vielleicht wird
dieser Schutz aufgefasst nach Art einer homöopathischen Wirkung: die Mädchen
lassen sich Furchen in das Gesicht schneiden, um sich vor dem Auftreten von
Runzeln zu schützen. Vielleicht hat auch die Sitte der Ainos auf Yesso eine
ähnliche Bedeutung:
Die Weiber sind nach t\ Brand um den Mund
in Form eines aufgedrehten Schnurrbarts blau tSttowirt^
was sie sehr hässlich macht. Die erste Tättowirung
findet gewöhnlich im siebenten Jahre statt und wird
dann allmählich vergrössert. (Vergl. Fig. 59 No. 5.)
Als eine besondere Auszeichnung treffen wir die
Tättowirung auf den Pelau -Inseln. Nach Kubary^
lassen sich die Mädchen dort schon als Kinder von
ihren Gespielen allerlei Muster auf die Beine tätto-
wiren. Diese sind aber bedeutungslos und werden
s])äter durch andere Muster überdeckt, welche die Seiten
fätt^rterupperu\Yw«S ""^ ""'^ i?*"^® ^'°^^^ ^'^"^^^ ^^^ ^""^ einnehmen,
als Zeichen der Verheirathung. von den Knöcheln aufwärts bis zur Gesäss-Schenkel-Falte.
(Kach Photographie.) Die Vorderfläche der Beine und das Gesfiss bleiben
26. Das Tüttowiren,
123
ftii* Nacli Eintritt der Geschlechtsreife kommt die Tättowirung der Scham gegend
J' n in einem späteren Abschnitte die Rede sein wird. ,Die Frauen
f\ sind aber mit dem vorriickeuden Alter ihrer Stellung schuldig, die
compiete 1' ran en tättowirung zu erwerben, welcher volle Schmuck jedoch im Prin-
cip*^ roD der Erfüllung verschiedener socialer Pflichten abhängt. Hat auf Ver-
anUssuag der Frau eine Festlichkeit stattgefunden, so hat sie das Recht, die Tätto-
wirung von dem telengekel (der Schumtättowirung) an in einem schmalen
Strafen auf die beide« Seiten der Schara bis in die Gegend des Afters auszu-
dehnen. Hat aber ihr Ehegemahl ihretwegen einen h o n g e t oder raur tnrukel
ifHj^eben, dann erhält sie die keltek et -Tättowirung. Bei dieser werden die noch
ItsLuig freien Stellen der Beine mit dem gewöhnlichen Muster zugedeckt, ao dass
-iir-rnH-n wie mit schwarzen Tricots
.VÜUr
kl'nirl aussehen.*
Bei manchen Völkern ist die
Itto wirung auch das Zeichen be-
.mmter, glücklich erreichter Lebens -
itte^ 2. B,, wie wir bereits ge-
haben, der glücklich erlangten
'blech tjätreife, der ersten Men.strua-
OD u, ;♦, w., sowie auch, um einen
odernen Pol izeiauad ruck zu ge*
uchea, ihres Familienstandes, ob
^ l^ig oder verheirathet sind. So
f Tahiti und Toba, so
Weibern der Guarani in
fftgilirn und bei den Kahylen.
ttch B^rihtraml tragen die letzteren
f der Stirn zwischen den Augen-
atif einem Nasenflügel oder
eioer Wange ein kleines blaues
X, das durch Schiesspulver oder
ütiiQonoxyd hervorgerufen ist. Wenn
das junge Mädchen hetrathen will,
tiit9i der Taleb dieses Zeichen
rch Application von djer (un^^e-
t<!m Kalk) oder sabounakhal
wiirx4?r Seife) verschwinden. Ein
on den Achseln bis zur Brustmitto
hrndcr tattowirter Streifen
iipitzwinkliger Gestalt gilt bei
Motu in Port Moresby auf
Itti^Gtiinea als Zeichen der Verheirathuug, er wird aber bereits dem verlobten
eintättowirt, (Finsf^Ji^.)
Tättowiren bei eingetretener Pubertät hat bei einigen Stämmen den
Charakter einer Art von Examen: es soll, wie es scheint, eine Prüfung sein in
^io6en K * 't körperlicher Schmerzen. Darum wird hier die
ung in . j/^nder Weise ausgeführt. Haben wir hierin viel-
die Absicht zu erkennen, das soeben mannbar gewordene Mädchen auf die
j>aterhin bevorstehenden üeburtsschmerzen vorzubereiten und sie gegen die-
Ibeii abzuhärten, oder sollte es nur lernen, die Peinigungen ihres künftigen Elie-
y.ii V' ' einen Ton der Klage hören zu lassen?
S' 0 Tättowiren, wie es auf den Viti*lnseln gebräuchlich
- r r i, i , rrhüblu-iie Schmerzen. ,Doch halten sie die Erduldung derselben
seiiir rtligiuse Pflicht, ib^vit V^-rnai lillUnigung sicherlich nach dem Tode be*
•ir»R wiri* (lAihhackl
. a t b o 1 U c b e B b a Q e r o m ti il f li e n aiiM der
(iivgtu'i vr»ii Zenica. Bo8iii«n, mit TÜttowiruiig von
Bmtti und Händen. (Nach C/ä*-*.)
124 ni. Die ästhetische Auffassung des Weibes.
Auch die Frauen der Eskimo sind, wie v. Nordenskjold^ berichtet:
, überall, wo sie nicht mit den Europäern in dauernder Berflhrung gestanden, tätto-
wirt, nach Mustern, wie sie bei den Tschuktschen üblich. Man legte früher auch in GrOn«
land grosses Gewicht auf die Tättowirung und glaubte oder richtiger redete den jungen
Mädchen, welche sich gegen diese schmerzhafte Operation sträubten, ein, dass der Kopf der
Frau, die sich nicht auf diese Weise schmücken lasse, in der anderen Welt in ein Thrangef&ss
verwandelt werde, das man unter die Lampe stellt, um aufzusammeln, was aus derselbeu ver-
schüttet wird. Das Tättowireu geschieht in der Weise, dass man mit Hülfe einer Nadel einen
in Lampenruss und Thran getauchten Faden unter die Haut zieht, und zwar nach einem vor-
her auf dieselbe gezeichneten Muster, wobei man mit dem Finger auf die durchnähte Stelle
drückt, um die Schwärze zurückzuhalten. Das Tättowireu geschieht auch durch Punktirung,
d. h. dadurch, dass man die Schwärze in Löcher reibt, die man mit einer Nadel in die Haut
gestochen hat. Auch der Graphit wird als Tättowirungsschwärze angewendet, weshalb auch
dieses Mineral ein Handelsartikel der Eskimos isf
Auch bei den Eingeborenen von Formosa ist die Tättowirung bei den
Frauen das Abzeichen des geschlossenen Ehebundes. Die Madchen sind nicht
tättowirt; die verheiratheten Frauen aber lassen sich von der Mitte der Oberlippe
bis zu dem Ohre jederseits einen dreieckigen Streifen quer über die Wange tätto-
wiren. Fig. 67 zeigt ein solches verheirathetes Weib von Formosa. Diejenigen
Fig. 69. Kaffermäachen aus Natal mit Schmucknarben. (Nach Photographie.)
Forniosanerinnen, welche bereits die chinesische Gultur angenommen haben
und als Pep oho ans bezeichnet werden, führen diese Tättowirung nicht mehr aus.
Das Tättowireu ist, wie wohl allgemein bekannt sein dürfte, auch in Europa
noch nicht gänzlich abgekommen. Namentlich unter den Matrosen und Soldaten,
aber auch unter den Sträflingen ist es eine weit verbreitete Spielerei, welcher
aber besonders bei der letztgenannten Kategorie die Polizei ihre besondere Auf-
merksamkeit widmet. Unter der weiblichen Bevölkerung Europas sind es fast
nur noch die Prostituirten, welche sich durch Tättowirung verschönem, oder
besser gesagt, Erinnerungszeichen einstechen lassen. Es ist eigentlich eine Art
von Stammbuch, zu welchem sie ihren Körper benutzen. Aber auch hier finden
wir in Bezug auf die Häufigkeit sehr erhebliche nationale Unterschiede. Auf
Veranlassung von Baer hat Menger die polizeilich eingeschriebenen Prostituirten
in Berlin auf diesen Gesichtspunkt hin untersucht. Er fand unter 2448 Personen
nicht mehr als 5 Tättowirte, während sich nach Lombroso in Turin, Mailand
und Genua unter 2161 von ihm, de Amicis und Serge Untersuchten 36 fest-
stellen Hessen. Auch in Paris ist das Tättowireu bei dieser Klasse der Bevölke-
rung Sitte. Baer sagt: «Nach Parent-Duchaielet sind es die verworfensten unter
den Prostituirten, welche an den Armen, Schultern, Achselhöhlen, den Oeschlechta-
26, Da» Tfittowiren,
127
ewohnüeh werden die Tättowiruugen an Sonn- und Feiertagen ausgeführt und
rw immer in directem Anschluss an den feierlichen Gottesdienst.
Das Alles bringt iHück auf die Vermuthung, da das Tättowiren alt-
^lavisebe Sitte nicht ist, dass es einstmals durch die katholischen Priester ein-
bft wurde, um den einmal zum KathoUcismus Bekehrten den Uebertritt zu
aer anderen Religion^ namentlich aber das Renegatenthum unmöglich zu machen.
,A1ä Tätto wirer fungireu meistens ältere Frauen. Häufig leisten sich aber
ich Miidchen gegenseitig diesen Liebesdienst^ welcher den Zuschauern viel Spass
if rettet, namentlich wenn ein webleidiges Mädchen, das die verschiedensten Ge-
pr schneidet und auf jeden Stich durch einen Schrei reagirt, tättowirt- wird,
entzündet einen Kieuspuhti und !i»ammelt in einem „findzan" (einer kleinen
iftjwse) das abrraufelnde Harz^ in welches man den gleichfalls während der
krennung des Kienspjihns auf einer Blechplatte gesammelten Russ mischt.
Kese schwarze Pasta wird nun nach
riger Spannung der zu tatto-
iden Hautötelle mit einem zuge-
sehen auf die Haut
jjt ten Zeichnung auf-
_en and dann mit einer bis
an die Spitze mit einem Faden
^wickelten Nadel bis zur Blutung
»i<t*ichen. Die Einstiche werden
Irliih dicht neben einander ge-
bachi. Die tattowirte Stelle winl
ifttuf verbunden und nach drei Tagen
bgewaschen, * Ueber den gleichen
ttd hat knrzlich Trfihdkn
ilhistrirto Arbeit verölTent-
rht. Er war im Stande, ausser den
tr«u:x«Q auch uocb andere Ormi-
\enie naelizu weisen, die als Sonne,
lonii, Stern und Morgenstern, Fichte,
Lehre, Krd», Haus und Hof be-
att werden. Hieraus und aus
Umstände, das*s der fast immer
für dii»Ti*tto wirung ausgewählte Feier-
bg der Tag des heiligen Joseph
IM Mär«) ist., d. h* der Vorabend
trFrtlhjahrssonnenwende, lasst
rmhrfha annehmen, dass es süich imi
1 el uralter bosnischer Sitte handelt. Er bestätigt aber, dass jetzt
*i..^o, li^.tiäslich Römisch- Katholiken diese Tätto wirungen tragen, auch solche
in Albanien. Als das normale Alter hierfi5r fand er bei den Jdädchen die Zeit
'fU 16 Jahren^ also die Jahre der beginnenden Pubertät. In Jaice in
. konnte ich im Jahre 1895 viele derartig Tattowirte sehen. Es war in
der Kirchr kurz vor einem Gottesdienste. Da die Weiber, auf Gebetteppichen
aiet^nd, nach Art der Mohammedaner ihre Hände im Gebet flach ausgestreckt in
H5he hielten, so wurden ihre Tat to wirungen deutlich sichtbar.
Idi Termag^ wie aus den vorhergehenden Erörterungen erhellt, nicht mit
übereinzustimmen ( der die Tättowirung lediglich durch den dem Menschen
allen Breitengraden imiewohnenden Verschonerungstrieb hervorgerufen wissen
Wir werden uns der Thatsache nicht verschliessen können, dass sehr ver-
nedeoaiiige Gründe und Anschauungen ihr zum Dasein verhelfen haben.
Fig, 72. Eticlien Ausloht einer DAUamif -Ktuu mtt
fNnch PhutDgrt'iiplili^)
128
III. Die äathetisch« Auffassung dej) Woibe0>
27. I>ie Ersetigutig van SciimuckiiArbeu.
Müssen wir in der Tätto wirung, gegenüber dem Körperbemalen, in Besag]
auf die Beständigkeit und Deutlichkeit der Zeichnung schon einen recht erheblichen
Fortschritt anerkennen, so gilt das doch noch in viel höherem Maasse von der Er»
Zeugung der sogenannten Schmuck narben. Häufig nämlich haben die besonder.H
schmerzhaften Proceduren bei der Tätto wirung keinen anderen Zweck, ab den» die
frische Wunde in einen Zustand der Irritation zu versetzen, um eine recht stark
prominirende Narbe, eine Art von Keloid zu erzeugen. Aus diesem Gründe raib^n ^4
sich die Einwohneriimen von Kordofan und Darfur Sala; in die fri«chen Tätto* H
wirungeschnitte, da die hierdurch ent8t»?henden Protuberaozen grosse perBÖnliche '
dem Bftacbf.. (Kfccli Photogra^^Uie.)
Reize verleihen. (Darwin,) Solche Ziemarben sah FinseM bei Frauen in Neu^l
Britannien am Oberschenkel und am Gesäss. Die dieselben verur n Kiö-
schnitte sind sehr schmerzhaft und bedUrfen mehrerer Monate zu « -.-
Auf den Gilbert-Inseln bringen sich die iMädchen nicht »elten Br
deren ^ tiVr eine Schönheit gelten, nur um ihren Muth zu bewöis^a- (Iftn^cJ^^j
' Nttgt :
»Bei den Fmuim am Murray (Auntralion) iat die pinzigo wicLtiÄ<» 11; ih
130
IlL Die ästhetiftcbe Auffassung de« Weibea
mm*
dar
m
ihr
Auadruck würde meiner Meinang nach «Einkerben" sein. Diese Procedur findet ttatt
ein Mtidcben erwachsen ist, und muss äusserst scbmershafi seio. Das juuge F
kniet nieder und legt ihren Kopf zwischen die Rniee einer alten starken l
Operateur — es ist immer ein Mann — macht mit einem Muschel- oder Fe
reihenweise von der rechten zur linken Seite quer über den Röcken bis dicht ai.
lange, tiefe Einschnitte in da& Fletsch. Der Anblick ist äusserst empörend. Da» Hlut rinnt
Strömen heriib und tränkt «üo Erde, während die Seh mer«ensau8b röche dea armen Opfert
Job KU einem lauten Angstgeschrei steigern. Und doch unterziehen sich die Mädchen bereit^
Jlig dieser QuiiU denn ein gut gekerbter Rücken wird sehr bewundert/* Einen sol
gut gekerbten Röcken können wir bei der Nord-ljueensland Australierin in Fig. '
sehen. Ihre junge LandßmUnnin in Fig, 70 zeigt schön«? Schmncknarben am Oberarm.
Ttouiey hurte von einer Frau d
Mitgandja in Afrika, deren Korpcl
in Folge frischer Einschnitte in di«
alten Tüttowirungsnarben (um nie pro-
njinirend zu machen) von Blut triirftc
dass sie nach Vernarbung der Wun-j
den die grosste Schönheit im Lande
sein wUrde. Uebrigens werden hier di<
Narben besonders benanut, je nacli
den Körper theilen^ auf flf*^»^'
Sitz haben.
Die in Fig. t>9 •:
düng eines jungen Ku
aus Natal laset dermtige
warben auf ihrem Uüikr-n
lieh erkennen.
In der Kreuzbeiug« i^.
sich iSchmucknarben bei Weihi*rn aui
West -Afrika, welche a! ' me-
Amazonen Europa i ^<^l
Fi^ur 72 führt eine solche vor. BeiH
sj>iele von Schraucknarben im ßecdcbl
bieten die Magandja-Frau, Fi^ur TlJ
1 und 5, die Loo bah- Frau, F
3, aus Central-Afrika ni
MorU'Frau aus den oberen Kii-Lan»
dem» Figur 49, Letztere h ' • " b am
Arme und am Bauche 8ch b€0.
Bei dem Niam-Nian "
78, befinden sich gr«
narhen auf der Brust und sehr
lii'he am Bauche.
Von den Buschaegeftnnon
Surinam berichtet r ':
i.Queiquo» fetiittif: uir \uVi\
ro?nce autour de I'om^
de tatouage se prati«|üe t:: ...... ... ^, .
inciHioDs mr la penu. La cioatricc n'etant pas aHsez saütaote apres une pretni^ op«
Pät obbgi^ de rofftire quatre ou cing foi* des inciAions sur les cicatricas.*'
Im nordöstlichen Süd -Amerika traf Crevaux^ Iudianer*Fmu4)ti« Wi
ucknarben auf dem Schenkel hatten. Mit dens<«^lben hatte es aber »oloe ei
Bewandtnis«. Crrvaux^ erxählt:
^.Combien avox-voui isu d'enf»nts? dtmandai-je ^ TaDd d'elle«. EHo nifi r^^sd e
montrant trois raio« rooget sur le haut de la cuisi«. Cot barres paral]^l«i» qoi
Fig. 75l Hol£ge«<!biilt.£ie FmuenH^r (S t fi bl) der Bai ii b u
(Lvalaba, ACriktl mU tkltmuclinartcn »m Büiich.
«Mudenm fiir Völkerkunde in Berlin.) (X&cliFhota(<tft|»bie.)
28. Die Kopf-Plaatik.
131
HS qoe portent nos rioux 8oldutä pur marquer lear tenips de service^ sarveni u
Ti» nombro dokiri (enfiinta mille*) quo ce$ malbeureuees ont en^endrt'S,'*
l)tt3 Schtuucknarben spielen bei vielen afrikanischen Völkern eine so
Rolle, daöä öie gewöhnlich auch an ihren holzgeschnitzteD Figuren an-
al werden. Das haben wir in Fig. 51 schon gesehen und Fig. 75 bietet
tjüs ein Beispiel hierfür. Die letztere Figur stellt einen Stuhl dar, dessen
niz ►r nackten Baluba-Frau gehalten wird. Der Leib derselben ist
assr-; M b reich mit Sebniucknarben verziert. Die Bai üb a sind in dem Gebiete
der Lualub^i an^iu'^äig. Das interesffante 8tück gehört dem kgL Mttaeum (^r
Xr^V^trUnuiU' In Berlin.
,<^
'^
28. Die Ko|>f-Pla8tik.
Wenn wir in den Bemulungen und in fast allen Tättowirungen noch das
mn decorative Mument vor uns hatten, so führte uns ein kleiner Theil der
letzteren« welche die ausgesprochene Absicht erkennen lassen, dicke wulstartige
knopfformige Narben zu erzeugen, bereits hinüber in das Gebiet der Körper-
"k, d. h. zu denjenigen Mitteln sogenannter Verschönerung, welche als Ver-
Mmiatflungen oder Verdrückungen, als Form Veränderungen einzelner Körper-
r^pooen bezeichnet zu werden verdienen.
Hier stehen obenan die künstlichen Formgebungen der Schädelkapsel, wie
M durch zusamraen pressende Kopflager oder durch entsprechend angelegte Druck-
Ylfb&ode bereits bei Kindern in dem zartesten Lebens-
alter herbeigeführt werden. Sehr bekannte Beispiele
hi^rfttr liefern die Köpfe der alten Ce ntral- Ameri-
kaner, bei denen die Stirn in eine rückwärts
'»^ V^nde Ijige gepresst wurde. Bei den Flathead-
lüern herrscht heute noch diese barbarische
' . und schon dem Säuglinge in der Wiege wird
I ii ein fest der Stirn aufgelegtes Brett diese
■ijllUigetliicht und der Scheitel dadurch in künstlicher
W Weiae erhobt. Der bekannte Maler George Catlin,
I der lange Zeit unter den I n d i a n e rn lebte , hat \
^Byicli von diesen Flachkopf- Indianern Skizzen
H^tf«rti[^t, deren eine ich in Fig. 76 wiedergebe. ^*
I Die küDstliche Höher]>ressung des Kopfes wird ,..i^^
saeh im Kaukasus bei gewissen Stämmen immer ^
ooeh geübt; und endlich sei noch an die künstliche Fig. 76. FUthfl»ri-jiMiitn»erinmit
%T _i- jti*Ai_ 1 * 1 IL einem Kincla in der Atü Kopf fl&cti'
yeriin^WungderHinterhauptsreginnermnert, welche ariiekemiöü wiegr «Nmch «nir M«id-
in bcelttnmten Theilen von Frankreich noch mimer «üichtjutig von G^^^f^ c^/t^.)
nicht hat ausgerottet werden können.
Ich kann dieses hier nur kurz andeuten, da fast überall, wo dieser Gebrauch
bümdiend war oder noch im Schwange ist, er bei beiden Geschlechtern in gleich-
floiasiL ** ' : ibung gelangt Man vergleiche hierüber die von Ploss^^
b«»fj: a Operationen am Kindeskörper. Für uns von Wichtig-
kerit i>i iibr*.r eine Angabe de Crespigntf's über die Malanaus im nördlichen
Bi^rneo, weil bei diesen allein die Köpfe der Mädchen der Deformirung unter-
zogen werden. Der dazu benutzte Lagerungsapparat führt nach Roth den Namen
Tadal; seine Anwendung beginnt am 15. Tage nach der Geburt und sie wird
bis zum 3. oder 4. Monat fortgesetzt Im Anfang ist der ausgeübte Druck ein
nur geringer; er wird aber allmählich immer mehr und mehr gesteigert. Nach
df Crespigntf wird der hierzu benutzte Apparat Jah genannt. Ein Kissen oder
Pobter ans den frischen Blättern einer Art Wasserlilie wird zwischen den
rieredogea Theü des Jah und den Kinderkopf gelegt Diese Blatter sind weich,
9-
132
lU. Die ästhetische Auffassung des Weibes.
dick und fleischig. Man wechselt sie täglich. Roth sagt dagegen, dass das Kissen
auf die Stirn des Kindes gelegt und mit Bändern in seiner Lage erhalten wird,
die um den Hinterkopf gelegt sind und an dem Apparate in Ordnung gehalten
werden können, ohne das Kind aus seiner Rückenlage zu nehmen. Crodcer, der
auch von diesen Geräthen spricht, hat oft die zarte Sorgfalt der Mütter bewundert,
welche bisweilen zwanzig Mal in einer Stunde den Apparat lüfteten und von
Neuem anlegten, wenn die Kinder Zeichen von Unbequemlichkeit erkennen Hessen.
Wenn ein zu starker Druck ausgeübt wird, so nähern sich das Stirnbein und
das Hinterhauptsbein derartig, wie Roth berichtet, dass die Seitenwandbeine an
ihrer Vereinigung behindert und die grosse Fontanelle des Schädels auch bei
Erwachsenen erhalten bleibt. Wenn nicht sorgfaltig nach dem Kinde gesehen
wird, so wird bisweilen die Nase verletzt, und manchmal, aber nicht häufig, tritt
in Folge der Anwendung des T ad als sogar der
Tod ein. Aber eine abgeflachte Stirn wird von
den Malanaus als eine grosse Schönheit an-
gesehen.
Von den zum Bereiche des Gesichts ge-
hörenden Gebilden haben unzweifelhaft die weiteste
Verbreitung die absichtlichen Beschädigungen
der Ohrmuscheln. Wir brauchen uns hier
nicht erst in der Ferne nach Beispielen um-
zusehen. Finden doch die Durchbohrungen der
Ohrläppchen behufs Unterbringung von Schmuck-
sachen auch bei uns noch in sehr vielen Fällen
statt. Und in manchen Gegenden, wenigstens
der Mark Brandenburg, wird diese Procedur
für durchaus nothwendig gehalten, nicht, wie der
Volksmund scherzweise sagt, um ein untrüg-
liches Mittel zu besitzen, die Knaben von den
Mädchen unterscheiden zu können, sondern weil
man glaubt, dass auf diese Weise ungesunde
Säfte von den Augen abgezogen, die Augen
somit vor Erkrankungen geschützt und bereits
chronisch erkrankte zur Heilung gebracht wer-
den können. Das Tragen eines Ohrringes im
linken Ohre wird in dieser Beziehung für noch
Fig. 77. Junge Ruk-insuianeiin (Caro- wirksamer gehalten als ein rechtsseitiger Ohrring.
linen) mit durchbohrten und stark ausge- Tk* O'Z. j /m. i- i_ Ji.isi_
dehnten Ohrläppchen, die mit vielen Ringen . Die bitte, das ührlappcnen ZU durchiOchem,
geschmückt sind. iNach Photographie.) ist, wie bereits gesagt, eine Weitverbreitete. Aber
manche Völkerschaften begnügen sich nicht da-
mit, ein einfaches Loch durch dasselbe zu bohren, sondern sie pflegen dieses auch
noch allmählich durch das Einlegen kleiner Holzpflöckchen von immer wachsendem
Kaliber und endlich von immer grösser gewählten Bambusrollen zu wahrhaft
enormer Grösse auszudehnen. Zuletzt werden dann als Schmuck Holzknöpfe
(Madagascar, Central -Afrika), Palmenblattspiralen (Naya-Kurumbas im
Nilgiri-Gebirge [Jagor^]) oder Blumen (Neu-Seeland) in den enorm erweiterten
Ohrlöchern getragen.
Bei den Mädchen der Battas wird nach Hagen das Ohrloch durch Bambus-
pflöcke oder Wolltuchknüuel etwa daumengross erweitert, um einen silbernen Reif
als Schmuck einzuhängen, der das Läppchen bedeutend verlängert. Ausserdem
durchlöchert man den oberen Theil der Ohrmuschel, in welchem dann zierlich
gearbeitete Ohrringe getragen werden.
Bei den Basuthos in Transvaal war es Sitte und ist es stellenweise auch
wohl heute noch, nicht die Durchbohrung in dem Ohrläppchen selbet, sondern
Die Eopf-Plastik.
133
%et
mx dttrjenigan Stelle anzubringen, wo die ausserste Windung der Ohrmuschel, der
Hrlix^ m das Ohrläppchen übergeht
Jotsi berichtet, dass die Mädchen der Makua auf Mozambique es lieben,
«fih» ftbgeaehea von 10 — 15 Löchern in dem Ohrrande, das Ohrläppchen so zu
itern, dass sie Holzpflöcke von dem Durchmesser eines Fünfinarksttlckes hinein-
i ^en können.
Auch in bestimmten Theilen Ostindiens (vergL Fig. 59 No. 1) und nament-
bei den Mitta in Afrika (vergL Fig. 59 No. 3) wird die Ohrmuschel mit
gafi:zen Reihe von Durchbohrungen versehen. Das Gleiche zeigt auch das
indu* V ' ' , in Fig. 30, sowie die Loobah-Frau Fig 74, 3.
Bt ; .^^n Völkern werden die Ohrläppchen zu ganz erstaunlicher Länge
luiig^dehnt, uud ihre Durchbohrung zeigt ebenfalls sehr erhebliche Dimensionen.
Gewöhnlich wird dann dtts Ohrläppchen mit
mner ganzen Reihe von Ringen geschmückt,
flehe au Fingerringe erinnern. Ein Bei-
_ [>iel biertür liefert die Anachoreten-ln-
«ulanerin (Fig. 59 No. 7), sowie die junge
XÄTolinen- Insulanerin von der Insel Ruk,
f. 77. Die Papua- Frau von der lns*;l
kilpi im Bismarck- Archipel, Fig. 58^
it 2 war die starke Ausdehnung des Ohr-
thenü, aber dasselbe ist sunst ohne Zier
Die Oruon-Cole-Frau aus Ben-
galrn, Fig. 59, 1 triigt einen dicken Knopf
im Ohrläppchen, und der Meeree-Fnm aus
Astftin. Fig. 79, ist in die weit ausgedehnte
cV ' sr des Ohrläppchens ein grosser
gepasst worden.
Bisweilen werden auch die enorm er-
citerien Ohrläppchen an einer Stelle nahe
ff Basij» dnrchücbnitten oder durchgerissen,
3ti hängt das Ohrläppchen als langer,
iler läppen bis auf die Schulter herab,
da*« die Mnbiak* Insulanerin in Fig. 78
igt* Sie \Mi inn Mädchen von 20 Jahren,
Tüll ymscfi photographirt worden ist,
»p junge Perjton desselben Stammes,
I* di*^ cripiche Frocedur durchgemacht
!iai« tri herabhängenden Lappen
d^e Ohr» ^ , ^ (Fig. 81) mit einer ganzen Anzahl von Ringen bedeckt
In dem durchbohrten Nasenflügel pflegen die Damen der Hindu einen
lopfiurtigen Schmuck (Fig. 29) oder einen Ring iFig. 3(J), die Makua -Weiber
Mozambiqoe eine eingeschraubte Perle zu tragen. Es wird zu diesem
über immer nur ein Nasenflügel benutzt, und zwar scheint entschieden
' bevorzugt zu werden, der bei einigen Stämmen durch die Schwere des
iMfhr grossen Ringes ganz beträchtlich herabgezogen wird. Das steigt uns
B, die Limb 00 -Frau (Fig. 59 No. 8),
Wimn bei den Kaders in den Anamally- Bergen (Indien) die Kinder zu
^•n, so werden ihnen die Nase und die Ohren durchbohrt; Knaben wie
^en Ohr- und Nasenringe; ältere Leute pflegen diesen Schmuck ab-
lulegen iJagor).
Die Boogofrauen in Central-Afrika tragen in den Nasenflügeln und
in dw Lippe autreehtetehende Hairastücke (Schwein/ urth^J, (Vergl. Fig. 74
io. 4 uod 6.)
Torre8-atrB«tte« mU/i»«>»t UiMjHtHclj vBrgrfta««-
Uii nsd dann uafgi Ohfl&ppcheiu
134
III. Die ästhetische Auffassung des Weibes.
Die Nasenscheidewand zu durchbohren und zwar dicht vor dem Ansätze
der Oberlippe, war früher viel verbreiteter als heute. Jetzt aber finden wir diese
Art der Verschönerung noch bei den Australiern in Queensland, wo sie bei
beiden Geschlechtern herrscht. In der Oefihung wird ein Knochen oder auch ein
verziertes Stück Holz getragen (vergl. Fig. 59 No. 6). Auch die Weiber der
Dschur im östlichen Sudan haben häufig einen eisernen Ring durch das Septum
narium oder durch die Mitte des Nasenrückens gezogen (v. HeUwald). Die
Gashivos-Indianerin Fig. 62 trägt ebenfalls einen Schmuck in der durchbohrten
Nasenscheidewand.
Bei den Verschönerungen des Mundes kommen in erster Linie, abgesehen
von den bereits erwähnten Tättowirungen der Lippen, die Färbungen und die
Verunstaltungen der Zähne in Betracht. Sie werden ganz oder theil weise aus-
gebrochen, treppenartig abgemeisselt, spitzig zugefeilt (vergl. Fig. 74 No. 5) und
mit dreieckigen Löchern versehen. Allerdings ist dies alles in viel höherem Grade
tbei den Männern als bei den Weibern der Fall,
jedoch haben letztere bisweilen ihre besonderen
Gebräuche.
Die Schneidezäh4e der Weiber auf M ada-
gas car sind nach Joest haifischzahnartig zuge-
spitzt.
Von den Batta in Sumatra sagt Hagen:
'^ " ,Bei den Weibern der Batta werden die oberen
Schneidezähne gleich den unteren völlig bis auf das
Zahnfleisch abgemeisselt. Dieser Gebrauch ist constant:
man wird kaum eine Frau finden, die ihre Zähne anders
trüge. Haben die Zähne endlich ihre definitive Form
erhalten, wenn auch erst nach Jahren, so werden sie bei
beiden Geschlechtem schwarz gefärbt, und zwar sämmt-
liche Zähne ausnahmslos. Zu diesem Zwecke verkohlt
man ein Stück Limonenholz auf einer Messer- oder Parang-
klingre. Das herausträufelnde Harz des brennenden Holzes
vermischt man innig mit der Kohle und bestreicht mit
Fig. 79. Meeree-Fraa aas Assam ^^^ ^0 erhaltenen Fimiss die Zähne zwei- bis dreimal;
mit durchbohrtem and stark erweitertem dieselben werden dadurch dauernd und intensiv schwarz
Ohrläppchen, in dessen Loch ein Ring ein- geftrbt, während der zähe Fimiss zugleich eine etwa
gepasst ist. (Nach Photographie.) ^^^^^^^ Zahnhöhle verstopft.«
Auf den kleineren Inseln der alfurischen See zwischen Neu -Guinea und
den Sunda- Inseln herrscht fast durchgängig die Sitte, den Mädchen zum Zeichen
der erreichten Mannbarkeit die Zähne abzufeilen.
Auch die Lippen entgehen dem Schicksale nicht, aus Gründen sogenannter
Verschönerung entstellt und verstümmelt zu werden. Die Frauen der afrika-
nischen Bongo z. B. zwängen die Oberlippe jederseits nahe an den Mund-
winkeln in Metallklammern, und ausserdem tragen sie in einem Loche mitten in
der Oberlippe einen Halm oder einen Kupfernagel und in der Unterlippe einen
Holzpflock {Schwein furih^, vergl. Fig. 74 No. 4 und 6).
Bei einer Truppe von Indianern aus Guyana, angeblich Bouquouyennes
und Arrawaken, welche vor einigen Jahren Europa durchzog, hatten die
grösseren Mädchen und die Frauen ebenfalls eine Durchbohrung der Unterlippe.
Dieselbe sass genau in der Mittellinie und hatte ihre innere Oeffnung an der
Uebergangsstelle des Lippenroths in die Schleimhaut der Unterlippe, während die
äussere Oefi*nung hart an der Grenze zwischen dem Lippenroth und der äusseren
Haut gelegen war. Wenn sie nichts in dieser Durchbohrung trugen, dann war
dieselbe gar nicht zu bemerken. Als die erste Errungenschaft ihrer Weltreise
benutzten sie gewöhnliche Stecknadeln als Lippenschmuck, und es war höchst
interessant zu beobachten, mit welcher fabelhaften Geschwindigkeit sie die Steck-
136
111. Die ästhetische Auffassung des Weibes.
Fig. öl. Papua-Frau von
der Insel Mabiak (Jewis Is-
land, Torres-Strasse) mit ur-
sprünglich durchbohrtem und
stark erweitertem , später
durchgerissenemOhrläppchen .
dessen laug herunterhängen-
der Rest mit Ringen ge-
schmückt ist, und mit stark
einschnürendem Oberarm-
nadel durch die Durchbohrung der Lippe prakticirten. Es bot sich mir die günstige
Gelegenheit, Dank der freundlichen Vermittelung des bekannten Reisenden, Herrn
Capitän Adrian Jacobsen, diese Leute zu photographiren, und ich gebe in Fig. 80
das Bildniss eines 19jährigen Mädchens, einer rundlichen
Person mit prachtvollem, schwarzem Haar, aber leider mit
einem blinden Auge.
Von den Weibern der Magandja sagt Livingstone:
„Ihr absonderlichster Schmuck ist das Pelele, der Ober-
lippenring. Die Oberlippe der Mädchen wird an der Uebergangs-
stelle zur Nasenscheidewand durchbohrt und durch einen eingelegten
Stift das Verheilen gehindert. Es werden dann allmählich dickere
Stifte eingelegt, bis nach Monaten und Jahren das Loch so gross
ist, dass ein Ring von zwei Zoll Durchmesser hineingelegt werden
kann. (Fig. 74 No. 1.) Dies bewirkt es, dass in einem Falle die
Lippe zwei Zoll über die Nasenspitze vorragte, und als die Dame
lächelte, hob die Contraction der Muskeln die Lippe bis über die
Augenbrauen, während gleichzeitig die Nasenspitze durch das Loch
heraussah und die spitz abgefeilten Z&hne einen Erokodilsrachen
vortäuschten." (Fig. 74 No. 5.)
„Warum tragen die Frauen diese Dinge?'' wurde der ehrbare
Häuptling Chinsurdi gefragt. Offenbar erstaunt über eine so
dumme Frage erwiderte er: „Der Schönheit wegen! £s sind dies
die einzigen schönen Dinge, welche die Frauen haben, Männer
haben Bilrte, Frauen haben keine. Was fQr eine Art von Person
würde eine Frau sein ohne das Pelele? Sie würde wie ein Mann
mit einem Munde ohne Bart, aber gar keine Frau sein."
Anstatt dieses Ringes tragen die Weiber der Mit tu nach
Schweinfurth^ einen Knopf aus Elfenbein, aus Hörn oder auch
Hinge. (Nach Photographie ) ^us Quarz (Fig. 59 No. 3) in der Lippe. Von den demselben
Stamme angehörenden Loobah- Weibern wird gleichzeitig
auch noch ein polirter Quarzkegel von über 6 cm Länge in der Unterlippe getragen.
(Fig. 74 No. 3.) Die Weiber von Latuka tragen einen Krystall in der Unter-
lippe, und die Frau des Häuptlings äusserte sich gegen Baker^ dass seine Frau
sich sehr verschönem würde, wenn sie ihre Vorderzahne
aus der unteren Kinnlade herausziehen und den langen, zu-
gespitzten, polirten Krystall in ihrer Unterlippe tragen wollte.
Dass bei den Botokuden in Süd-Amerika grosse
hölzerne Knöpfe in der Unterlippe getragen werden, dürfte
dem Leser wohl bekannt sein. Ihr Name stammt von dieser
Sitte her. Dieselbe herrscht aber bei den Männern ganz
in demselben Maasse, als bei dem weiblichen Geschlecht.
Auch die Cashivos- Indianerin Fig. 62 trägt in der
Unterlippe einen Pflock.
Im Norden Amerikas herrschen ähnliche Gebrauche;
das ersehen wir aus einem Berichte, den wir dem Capitän
Jacobsen verdanken:
,1n den Eskimo -Dörfern im hohen Nordwesten Amerikas
an der Mündung der Euskoquim weiss sich der weibliche Theil
mit Perlen sehr zu schmücken; diese werden überall, auch in den
Haaren, angebracht. Die Unterlippe der jungen Mädchen wird an
drei Stellen durchbohrt; in den 8eitenl0chem steckt als Lippen-
pflock je ein kleiner krummer Knochen, dessen knopfförmiges
stärkeres Ende sich im Inneren des Mundes befindet und das Heraus-
fallen des Knochens verhindert ; das äussere Ende des Knochens ist mit
Perlen geschmückt Auch das Mittelloch der unteren Lippe trägt als Lippenpflock einen ganz
kleinen Knochen mit Perlen. Die Nasenscheidewand der jungen Mädchen ist gleichfallt durch-
bohrt und trägt eine hinauf den Mund herabhängende Perlenschnur. Dieser Nasenperlentchmack
Fig. 82. Frau von Neu-
<Tuiuea mit tief einschnei-
dendem Junge am Oberarme.
(Nach Photographie.)
39» Die K^ryei^lustik um Eampfe and an den obareti Extremitäten.
137
I aich i&nch bei den jungen Eskimo-Schönen am unterem Thakon, towie weiter nord-
bei Jen Mallemnton. Alle dieBe Eakiraos tüttowiren auch d&6 Kinn.* (Fig. 74 No. 2.)
Bei den nordlieben Nachbarn der Babine» in Britisch Columbien
herr»chi die Sitte, der ganzen Länge des Mundes nach in die Oberlippe Glas-
' inzusetzen, die Hllmählich von der Haut überwachsen werden, so dass nur
tel der Perlen über die Lippen hervorsteht. Sie sehen dann aus^ als
iiUtffi me ihre Zähne ausserhalb des Mundes (v. Hesse- Wartegg),
Von den Verunstaltungen am Kopfe habe ich noch kurz das Ausreissen
Augenbrauen tu nennen, wie es bei den Japanerinnen und nach Sc/am«-
rth bei den Bon go- Frauen in Ost- Afrika Sitte ist. Auch bei den See-
tsjruken im nördlichen Borneo ist es» wie Roth berichtet, gebräuchlich, sich
Itleinen Pinzetten die Augenbrauen und die Augenwimpern auszureissen, Aller-
ist diese Sitte aber nicht auf das weibliche Geschlecht beschränki (Man
ergleiche auf Fig, o9 die Andamanesin No. 2 and die Anachoreten-
iinerin No» 7.) Es würde mich zu weit führen, sämmtliche in dieser Beziehong
chenden Gebräuche berichten zu wollen, welche besonders in Afrika ihre
Imnath haben, und so möge es mit dem Erzählten genügend sein.
29. Die Körper|»lA8tik am Rumpfe utid an deu oberen Extremititteii.
Auch an dem Rumpfe und an den Extremitäten TermÖgen wir Beispiele
I' lastik nachzuweisen. Am Uumpfe sind wir bereits den durch die
-■n herrorgerufenen Verunstaltungen begegnet. Von den sonst hier
[ich vorgenommenen Proceduren sind die bei weitem wichtigsten die Behandlung
Brüste und der Geschlechtstheile. Da ich jedoch später diesen Organen be-
pudere Kapitel zu widmen habe, so mag
uch die Besprechung ihrer Verunstaltungen
dahin verschoben werden.
An den oberen Extremitäten musa ich
^'* «ih^onderliche Unsitte erwähnen, die Finger-
1 bis zu unglaublicher Länge wachsen zu /^ X { \/ \
Vnnamiten), um dadurch den Beweis
1, dass die Besitzerin ihre Hände nicht ^"^Biä^^^^^*^ I
rar Arbeit zu profaniren nöthig hat. Das Ab-
schneiden einzelner Fingerglieder, wie es uns
m Afrika (Buschmänner), im südlichen
Indien und bei Indianern begegnet, hat
oicht die Bedeutung einer Verschönerung, son-
ders ee ist entweder ein Zeichen der Tratjer,
ein Opfer zur Abwendung von Gefabren,
ee' hat die hierher gebarigen Thatsachen
tn^ngesteilt, und auch wir werden später
ein interessantes Beispiel kennen lehnen.
m^iBs ich auch der absonderlichen
nken, deu Oberarm mit einem Ringe
eclimücken, der nicht wieder ent lernt wird,
einer Zeit, wo das Wachstbum noch nicht
lUendet ist. Später schneidet dann dieser Fig. S3,
tief in die Weicbtheile des Armes ein,
im Über die Ränder des Ringes hervor-
elleu. Die Papua* Frauen von Mabiak in der Torres-Strasse, Fig. 81, und
tt Neu-Ouinea. Fig. 82, führen uns Beispiele hierfür vor.
Den Verstümmelungen und Entstellungen zum Zwecke sogenannter Ver-
i^neruog habe ich noch die artiäciellen Fettbildungen anzuscbliessen. Eine
<ß&!^
FettloibJKo lune«iiche Jddlll
In tl«r SübbathjikkldaDg.
138 ^^^' ^^^ ästhetische Auffassung des Weibes.
besondere GeschmacksrichtuDg für Frauenschonheit ist nämlich im Orient heimisch;
dort halten viele Völker nur solche Weiber für schön, deren Körper eine mehr
als normale Fülle durch reichliche Fettabiagerung zeigt. Ein feiner Glieder-
bau gilt dort nichts, und die Fettbildung wird durch eine formliche Mästung des
jungen Mädchens im Harem gefordert.
Die klassische Gegend Ar diese Wohlbeleibtheit ist Afrika. Im Königreich
Karagwah gilt ebenso wie in Unyoro und anderen afrikanischen Staaten
bei allen Frauen, besonders aber bei denen des Königs, die Fettleibigkeit als zum
Begriff der Schönheit gehörig. Schon von früher Jugend an werden die betreffen-
den Mädchen einer richtigen Mästung mit Mehlbrei oder geronnener Milch unter-
worfen. Diese Vorliebe für die übermässig vollen weiblichen Formen findet sich
allgemein bei den Arabern und wohin diese ihre Herrschaft und ihren. Einfluss
verbreitet haben. Zwar war das ältere arabische Schönheitsideal durchaus
nicht auf die Ueberschätzung der Fleischmasse basirt, und noch jetzt zeigen z. B.
die Frauen der Himyaren nie fette Gestalten. Aber bereits die Zeit Mohammed' s
bietet uns in seiner dicken Lieblingsgattin Ä'ischa ein Beispiel ausserordentlicher
Beleibtheit.
Das im Ganzen doch faule Wohlleben im Harem der vornehmen Aegypter
macht deren Weiber zur Corpulenz, und sogar zu einer oft gewaltigen Fettab-
lagerung geneigt. Solche Corpulenz giebt aber die Einleitung zu vielen leiblichen
Beschwerden. Einen widerlichen Eindruck macht der plumpe, watschelige Gang
einer feisten Sitte (Dame), woran zum Theil freilich die unpraktische Fussbe-
kleidung Schuld hat. Eine Frau niederen Standes dagegen, welcher keine zahl-
reichen Dienerinnen zu Gebote stehen, muss fieissig arbeiten und wird daher nicht
leicht fett. Sie bleibt durchschnittlich schlanker, graziöser, als die Frau aus
höherer Lebenssphäre (Hartmann^).
Die Frauen in Aegypten suchten seit langer Zeit die Fettbildung theils
durch den Gebrauch warmer Bäder, theils durch ganz besondere diätetische Mittel
zu befördern ; dies bezeugt Alpinus, welcher auch speciell die eigenthümliche, zu
diesem Zwecke benutzte Methode beschreibt.
y Unter den Jüdinnen in Tunesien finden sich auch
I recht wohlbeleibte Damen. Ihre erhebliche Körperfülle wird
Y durch ihr absonderliches Kostüm noch ganz besonders augen-
\M fällig. In Fig. 83 ist eine solche tunesische Jüdin in ihrer
y Sabbathskleidung zur Anschauung gebracht.
]^ Die Trarsa in der Sahara zwischen Talifet und
Timbuk tu verlegen sich ganz besonders auf die Erzeugung
von Fettleibigkeit bei den Frauen; die Mädchen müssen frei-
willig oder gezwungen unerhörte Massen von Milch und Butter
zu sich nehmen, so dass sie zuletzt eine Feistigkeit erzielen,
die bei der Magerkeit der Männer doppelt aufKllt (Chavanne),
Auch unter den südnubischen Völkern herrscht der
barbarische Brauch, die jungen Mädchen vor ihrer Verheira-
Entzünd^te^BaUen ^'^"^g künstlich ZU mästeu! denn Fettleibigkeit und Körper-
(nach EncJurn). füUc gchörcu hicr ZU den ersten Schönheitsbedingungen des
Weibes.
, Vierzig Tage vor der Hochzeit wird das Mädchen zu folgendem Regime g^wnngen:
früh Morgens mit Tagesanbruch salbt man ihr den Körper über und über mit Fett ein, dann
muss sie einen Brei aus circa 1 Kilogramm Durra -Mehl mit Wasser, ohne Salz und Würze
gekocht, zu sich nehmen, sie muss, denn neben ihr steht die hierin unerbittliche Mutter
oder sonstige Verwandte, der das Heirathsprojekt am Herzen liegt, mit dem Stocke oder Kur-
batsch aus Hippopotamushaut, und wehe ihr, wenn sie die Schflssel nicht bis auf den Grand
leert. Selbst wenn sie die Uebermasse der faden widrigen Nahrung erbricht, wird sie nicht
dispensirt, es wird von neuem gebracht und muts hinuntergeschluckt werden. Nachmittags
bekommt sie ebenfalls Durra -Brei (Lugma) mit etwas gekochtem Fleisoh, dessen Brfilie dis
Die K5rperplii£tik am Htimpfe und an den oberen Extretnitäieo
Ssaet hü6^i Ahenda dieselbe Quantität Brei wie am Morgen, und endHch in der Nacht noch
0mB grottM» Kdrbisacbalt^ fetter Ziegetimilcb. Dabei unablässig Sluseerlicbe Fetteinreibnngen.
Bii iimmt Behandlung gewinnt der K«:^rper dos Mädchens fast sichtbar an Rundung, und wenn
dia vieirig Tage verfloesea sind» gleicht er beinahe, um einen sudanefiischen Vergleich zu
g#bimtichen, an Mnaae dem Nilpferde; doch entzückt das ihren Zukünftigen und erweckt den
Neid ibrer mageren Mit-
»ebwatteni. Die Fettlei-
bigkeit i«i eben Mode,
Eid «ra« thnt und leidet
> Evastochter nicht altes
d«r Mode willen?*'
Den gleichen Ge-
ck verräth, was
rMe über die
li sagt:
«Dur jQngtinghui-
leiner Geliebtem
Liedor. Kr ruft ihr
)u bi»t schön, Deine
ieder lind üppig: trUn«
>u Kam eel milch. Da
noch schönen*
Auch auf Ha-
waii nehmen die Fett-
nnusfm der Frauen oft
gmnz bedeutende Di*
nmsioneo an; dies ^ilt
ab die grosste SehÖn-
H'it Ittr das weiUiche
}e»chlecht ; und an f
u i i findet sieb
be«. Ebenso ist
Indern Cor*
in Erfordcr-
ntfls fQr die Schi^nbeit
fitaer rornehmeo Frau ;
bereits das Gesetzbuch
im Mamt schreibt vor,
beider Wahl de.^ Ehe-
darauf zu acb-
dn&j« der Gang
nr?>« wie der eine«
Eleplianten sei,
in einem t?iins-
kritTeme heilst e^:
»Der Zweifel ob,
o G«U«bte, «wischen Dei-
aeo P* ^' "**• ind twihchen
Mn 1 ein Zwi-
•chtnrnuru «.fi oder nicht,
bltibi aiKb heute bei mir
_ Jh\^ey vi
oerli tiUt.
len Kou
ichU&i tVeiHiw^*:
Beror ich rur
B^prechoD g der K or-
perplastikandon Un-
terextreiuitäten ftber-
gehe, IIIUS8 ich mit
wenigen Worten noch
auf VerunsUltuugen
des Rumpfes zu
sprechen kommet],
welche bei den civi-
lisirten Nntiumm von
den Vertreterinnen
des weiblichen Ge-
schlechts ausgeführt
werden. Ich meine
die Umformungen,
wie sie durch die in
der Mehrxahl der
Fälle zu engen Cot-
se\s an dem weih-
llcbenTorsoxu Stunde
koTunien* Es i?*t hr-
reits IIU Jahre her,
der berühmte
Anatom S, Th. S^nn-
m*rmg sein© Zeitge-
MOvsinn^'n i'jl'»*r die
ni>l*'llitrigt-'n nnd
Schädigungen
klären euchtü» vv. i. ,*..
durch die engen
.Srhnnrl^HiKt*^'' «m
Kürpt^r bcrtorgc-
rufen werden. In
einer zweiten Schrift
gab er die Abbil-
ijuiiiit'ü der Körper-
uiaribsic mit ringe-
xeichnetem Skelett
Ton der iniivrirrir.
i$€hcn Vmw
seit V ' r
sei 11'--
um 'i--'i- - :it'
durch die unsinnige Mode bediaglen ungeheuerlicbeii Verbildungen recht deutltcli
ad ocuhis zu denionstriren. Eine gute VViedergabe dit'ser Abhilr! -^ ■ - -■ ^ • ^\x
bei Johannes Hanke- Viftl»* Aer/te babini si<li m^iUleni die e
genmi'li e
doch» S' ^ rtl
permanenter, nmuchnebener Druck das Wachsthum der bveogteo Ü^rpenttelte be«
in^ itttrcb oin im engot
uch» nuH Builiijicit
dO. Die KQrperplaatik an den unteren EztremitHten,
141
ittträclitigen mosSf und allmähltch muss es an der gedrückten Partie selbst zu
wem Schwunde der Korpergewebe kommen. Darum vermag man einem nackten
[örptr. sjelbst schon in der photographischen Nachbildung, sofort ansehen, ob er
30 einem beengenden Corset belästigt wnrde^ oder nicht. Man betrachte das in
Tig, 85 dargej^tellte Madchen, ein Modell wahrscheinlich aus Budapest. Um die
Xörpermitte zieht sich eine deutliche Bingfurche hin, und in den meisten Fällen
bI dieser Ring um den Mittelkörpcr auch durch eine dnnklere Pigmentirung, als
ie die benaehbarten Hautflächen besitzen, ausgezeichnet. War nun aber das Corset
besonders eng und fest angelegt^ namentlich schon, als die Trägerin sich noch in
ßn Wftchsthumsjahren befand, so sind die Schädigungen noch beträchtlicher.
Jeher diese letzteren ist ganz neuerdings Strat£^ bemüht gewesen, die Damenwelt
ifzuklären. Der untere Theil des Brustkorbes wird zusamraengepresst und in
jlge deassen tritt der Bauch immer stärker hervor. In Folge der geringeren
^dlbung des Brustkastens sinken die Brüste immer mehr und mehr herunter Das
zeigt das junge Modell in Fig, 86. lieber die schwere Schädigung der
ae des Unterleibes, welche hierdurch hervorgerufen wird, soll hier nicht weiter
adelt werden.
30, nie Korperplastik an den unteren Extrem iläteiL
Wönu wrhon von einem grossen Thoile der in den vorhergehenden Abschnitten
beschriebenen sogenannten Verschönerungen
. nrden muss, dass sie der Geschmacks»
r der civili>iirteu Nationen geradezu
widernprechen, so gilt dieses doch in ganz
anderem Maasse von einer Umformung,
einer Kör|)erplastik, um mit Joftannes
/u redi*n , weit he einen Theil des
u Köqiers im wahren Sinnedes Wortes
ir Verkrtippehing bringt» dessen normaler
iu und gute, harmonische Entwickelung bei
icm Vfdkern europäischer (■nltur sich
* ndeu Anerkennung erfreut;
: uss und den Unterschenkel,
ßnas aber beider auch unsere Damen nicht
solut von dem Vorwurf freigesprochen
werden können, dass sie an diesen Theilen
ktlu^tUche Mittel wirken lassen, um dem Ideale
iUred eigenen missverstandenen Schonheit^be-
gliffe» möglichst nahe zu kommen, das wurde
Wreibi weiter oben angedeutet, und die Fig.
lg eine Vorstellung von einer der aller-
^ ''rhsten Verbilduugen, dem söge-
.Ballen*, geben, welche die FQsse
\i Akt spitzes Schuhwerk erdulden und
* *\ wie man nach den hier dargestellten
ingen an dem Grosszehengelenke
' .11 >- il begreifen wird, eine dauernde Quelle
canz erheblicher Unbequemhcnkeiten und
.erxen fi\r die unglückliche Besitzerin ab-
Das spitze Schuhwerk der jetzigen
üode It^istet dieser Verbildung einen wesent-
rhen V«— 1-^
Sei UagtS/mf^^inseinerBespre- ^^^ ^^ iiin4ü.Fr..ii a.r sndra-K.st«
. L -1 1 M I' I r^^ "i*^ Bingen »iif den Zeben«
der ^cUüuheit des weibLicben Ivorpers: oa^th photocrnpbi«.)
•£
düü.
iii^ÜII
142
III, Die ästhetische! AufTiisgung dm Weibe
^Zahllofi sind die Schwestern ^oii ÄßchefthTikifl^ denen kein Opfer eq groM 1»%^ um
grosseren FUeise in kleinere iSchnhe zu sewüngen. Die^e Uneitte würde nur d&nn naOiC
wenn man wieder anfinge, auf btoasen Fiiäseu oder attt' Sanda1<?n zu geben. Dum ^ee abarl
nicht geschieht, dafür sorgen die ziihlreichen Vertreterinnen den schönen Getto hlecht«! die ihral
Füsse nicht mehr zeigen kennen, Den Muth, den tu kleinen Schuh aufzugeben, utu einenj
schönen Fum zu besitzen, werden Wenige haben/
Fast alle übrige» Völker haben den Fuss als dasjeaige anerkannt und ge-
achtet^ was er in Wirklichkeit ist, als das hochwichtige und uueutbehrliehe Loco-
luotious- uad StUtzorgan des gesammteD Körpers; demgemäss erfreut er sich auclil
allgeuiein einer ganz besonderen Schonung und Pflege und ist von den sogenannteaj
'üi
''>Ä
iv.
Fig. ^r Fimtt von OftUuu (Afrik») luli Deltirltii^eti, wekJie <Ue [Jiit^raüWnk«) %i}Uiitiludi|p li«dMk*ft.
Verschunerungen^ von gewaltsamen Uniformungeij verschont geblieben. H(
werde« die Zehen mit Ringen geschmückt, wie bei der Hindu* Frau der Sud
Kaste in Fig. 87, Häufiger ist es aber noch, dass die Weiber «ieh Ringt; mu die
Ftissgelenke legen. In vorgeschichtlichen 'Zeiten ist diese« letsterc^ übrigt^ns «ucIim
in Europa Sitte gewesen. H
Diese Schniuckringe der Beine schliesi^en bei manchen arrikantscbeu Volks-
stämmen den ganzen Unterschenkel der Weiber vom Fuassgelenke bis fast sum
Knie so vollständig ein, das!< von den Weich theilen nichts mehr zu sebeti ist, so
z.B. bei den Frauen am Gabun (Fig. 88), und Tar ' ' ' '
daas den Weibern auf dem Fussblatt durch die Scli
gedrückt worden waren.
An^ J^imI- V niHrilfU lu^rj^hfet RrhtMulutt nl • .^flinfi «Tu* ^V*m]ii*m- rlnr T
I.
r "
30. Die KOrperplastik an den cmtcii'eii Ex tremi täten
»wie dfc einiger anderer Stänmie Guyanas, besitzen eine förmliche Manie, eiue
kOn.'cUiehü Vergrosserung ihrer Waden herv^orzurufen, zu welchem Zwecke sie auch
Jen juügen Mädchen fest anschliessende Bänder unter dem Knie anlegen; — die
Mnionkongs hatten aber nicht allein solche Bänder um die Beine, sondern auch
um den oberen Theil ihrer Arme.
_ Bei den weiter oben bereite
ä h n ie n G u y a n a - 1 n d i a n e r u ,
*?lche vor einigen Jahren von Herrn
i^mianff in Berlin ausgeskeltt
Hieiu konnte ich mich von dieser
butjtaclie überzeugen. Die Mäd-
Lind Fruuen» von einer Zw51f-
nu aufwärts» trugen an beiden
l t^nkeln dicht oberhalb der
1 eine aus starken Fäden
u * mehr als handhohe Man-
ich«>Ue. Dieselbe wird nicht erst
fertiggestellt und dann angezogen,
soodem sie wird gleich am Beine
gestrickt und bleibt nun an dem-
selben sitzen. Bei der weiteren
K ' der Körperfonnen
>^ I <-h diese enganschlies-
M^nde Manschette der unterste Theil
de« Unterschenkels in seinem
Dickenwachsthum gehindert und er
bleibt daher fein und zierlich,
während die Wade sieli voll ent-
wickeln kann und (iber den oberen
Rand der Manschette? hervorquillt.
Dicht unterhalb des Knies ist
Wad<* aber noch ein
uindartiger Streifen von
ingciahr Daumenbreite gelegt,
unter dem der obere Theil der
Wilö sieh ebenfalls kräftiger her-
auf ^snlbt. Ich buhe diese Verhält-
;ii->o i^iotographisch aulgenommen
iLii i^f'lie die Abbildungen in den
' L rr-n 89 und 90. Fig, 89 sind
Unne des in Fig. 80 abgebil-
n-vrn 19 jährigen Mädchens. Die
Widm auf Fig. 90 gehören einer
Fraa in den Zwanzigern an.
Aach bei manchen anderen
Stimmen worden dicht oberhalb
4«r Fnaakndcbel Bein ringe so fest
um den Unterschenkel gelegt, dass
iieftUm&hlich tief einschneiden. Das
teilet auch die Pirus-Indianerin
Fig, 91. Eine V^ergrösserung der Waden wird hierdurch aber wahrscheinlich
ht bexwecktv
Durch diese absonderliche Umgestaltung wird aber wenigstens die Function
d die Gebrauchsföbigkeit der Beine nicht beeinträchtigt. Ein einziges Volk
Fig. 8t*, ^Wadenjjlft'tik", VergTusserung iler
Witten bei einer MjAhngen UiiyAna-lndianeriD.
(Kach Pbotognphie.)
144
III. Die ftsihetiicbe AuffAAstsng d<ti Wetbei.
nur ist es, welches eine Vorkrüppelung der Bebe uDd Fliese absichtlich herbei-]
fuhrt; das sind die Chinesen, Allerdings gab es rielleicht s< i ' '^?inst inj
Asien ein Volk^ das den Brauch hatte, die Füsse der Frau zu \« [i. Bei)
Pliniiis heisst est ^Eudoxus in meridianis Indiae virie plantas esse cubitalesJ
feininis adeo parva», ut Struthopedes appellentur/ Aber von den lebenden
Völkern stehen die Chinesen mit ihrer Unsitte der Fusä Verstümmelung einzig da.]
Diese kQnstliche Verbildung de
Chinesen-Fusses ist ein weibliche»^
Verschöneningsmittel im allerstreng»ten
Sinne des Wortes, Denn niemals und
unter keinen umstanden wird diese j
Procedur an den Füssen der Knaben]
vorgenommen. Zum Ruhme des weih-,
liehen Geschlechts in China sei esj
aber gesagt, das», so verbreitet auch]
diese entstellende und für jedes andere]
Volk ausser dem chinesischen ab-
scheuliehe Unsitte in dem himmlischen
Reiche ist, dennoch mehrere Districte ,
sich von der Entstellung freigehalten |
haben, wie auch die jetzt herr«»chende|
Kaiserfamilie dieselbe verachtet und,j
wenn man dem Volksraunde glaubenj
darf, eine an den Füssen VerkrüppolteJ
die den kaiserlichen Palast betreten'
sollte, mit dem Tode bestrafen würde
(Bastiane Die in den Sunda- In-
seln lebenden Chinesinnen verkrüp-l
peln ihre FCisse auch nicht. E^
aber nach Kfifner in gewissen (*
von China (Sin gang- fu und Lan-i
tschou-fu) auch die Unterschenkel
bis zum Knie gewaltsam mit Binden I
eint <, um sie zu recht starker
Abi /^ zu bringen. ^Der HDect
wird noch erhöht, wenn in der Waden-
mitte ein zollbreiter Streifen frei bleibt]
und das Bein wie ein altes Strumpf-]
band henorblickt/
Morache, ein Arzt der fr »nitftii-^
sehen Gesandtschaft in Pelc
an, dasa es für h"chst s< ;
trachtet werde, w^enn jemand emer
chinesischen Dame nach den kleineiij
Füssen sieht, und dass die Chine«
binnen ein' ^^susflsen,]
nelbst dem - ire t^nV
iXV^u^:^z:,i:^i^''^^;:'^l^:X., ^in^^teu Fö««« z.. ze.ge„ Wir werden!
uns dieser 8chamlo8igke]t iichuidigj
machen und wir betrachten in erster Linie die beschuh ton kl**inen FQts« Hufl
Figur 92.
Durch diese herrschende Anstandsregel erklart es sich wohl, dass wir
seit der Mitte dieses Jahrhunderts Genaueres über den Chinesinnen- Fni^* erfal
hsib*'" litt«! /Wrir «liirrli -li«« Aorvfj-k / o^^/ A*i i-l* \\r\A ^f,.»-,iriiM-^ nn.l /Irtrrlti 77i*i.TXifl
so. Die K&rperplortik an den unteren ExtremitUten.
145
fj>
tarÜn^ nnd Andere In neuerer Zeit haben Welcher in Halle, und dann auch
T^ü'iinger'^ in München wieder die Aufmerksamkeit auf diese willktlrliche Verun-
:»taltang gelenkt.
Die künstliche Verkleinerung und Missgestaltung der Fösse ist in den sÜd-
Gelitn Provinzen Chinas allgemein bei den wolilhabenden Klassen zu finden;
weit weniger im Norden, und insbesondere nicht in Peking, wo die Tataren
Torhern&chen» bei denen diese Sitte nicht in Aufnahme kam. Ferner hat fast jede
chinesische Provinz ihre eigene Abweichung der Deformation. So begegnet man
xpeciell iü Kuang-si und Kuang-ton den schönsten und ausgesuchtesten
^ nplaren. Unter den reichen und
hmen chinesischen Familien
feutift man sie nach einigen Angaben
jedoch im ganzen chinesischen Reich,
da dieser «Luxus* ihren Töchtern die
besten Partien sichert. Die barmher*
siiffiD Schwestern in Peking haben bei
- wrn in ihrer Kninkenpflege den
n Fuäs in einigen Wochen */u seiner
irühere» Form zurrickgehen sehen; frei-
lich v**rd*unnien sie durch diese Experi-
mimte die Machen zu dauernder Ehe-
denn noch hat der fremde
nicht vermocht, die Macht
ieser verderblichen Mode zu brechen.
Man befolgt in den verschiedenen
Provinzen beim Binden des Fusses ver-
Vertahrungsweisen; man hat
h zwei Grade der V'^erkrüppe-
fc^ntweder werden nämlich bloss
., Zehen verkrüppelt, oder es wird
ttttch der hintere Theil des Fersenbeines
t nach unten gestellt Die
[V :j des Bindens wird bei den
niederen Klassen von der Mutter, bei
beaseren Standen von eigens dazu
Familie unterhaltenen Frauen
ihrt.
In der ersten Kindheit bleiben Au
frei» man lä^st die Mädchen ganz
wie die Knaben in grossen Pan-
In umhergehen. Dann werden bei
»lufjjj Familien die kleinen Mädchen vor
dem vierten, bei anderen Familien im
•der siebenten Ijebensjabre den
Jen Manipulationen unterzogen.
Zunächst wird, wie Morache angiebt, der Fuss gekuetet, dann werden die
vier kleinen Zehen mit Gewalt gebeugt und durch eine Binde von 5 cm Breite
mitieLit fester ümwickeluog in dieser Lage erhalten. Täglich wird die Binde
erneuert.
,A chaque »ouvoUe appHcatioDi qm se renouvelle au tnoins tout lea jouri, OQ laiite
qQ«l<|Qat iiüttADU le pie^l Ji na, on 1e lave et od le frietion&e avec Talcohnl de sorgho. L*oubU
Äi cetie pr^'cauUoTi co&tribae trvs-putssammAnt a faire nattre \m nlceration-«/
Ich komme auf die letzteren noch zurück. Das Kind trägt einen ziemlich
t'^clir ' ' * Hrstiefel, der sich nach vom zuspitzt und eine platte Sohle
r .«ib. G, Aun, 1. 10
Fig. flt Piras-IndiÄiieriii, Peru, mit ein
sobntirendvii BeioringeD. (Naeb PbotogTftplue
146
IIL EU« tlatheti«cb6 Auffaairong de« Weibea.
ohne Absatz hat. Dies Verfahren giebt nur den in den Nordprovinzen China^
üblichen gewöhnlichen Fus». Zur Hersitolinng der zweiten, eleganteren Fortn Icjb
man, wenn die bleibende Beugung der Zehen erreicht ij^t, unit-r (Umi Fi ihm ei
4i
j
k.
A
Fii;. d2« VornPhrne OhineaitiiKsti mit kUu^UiCb verkl«iii«rteti FUiseti, (Ka«li PhöU>|rTftp1iltt.|
'lialben Cylinder von MetaU und fBhrt nun die Binden am den Fusa, anch wol
nra den Unterschenkel, in der Absicht» dessen Muskeln an einer der beabsÄichtigtejg
Gestaltung feindlichen Wirkung zu hindern. Bei der Anlegung der Hlnd«*4i pn-j<H^
die Mutter aus allen Kräften das Fersenbein und die Zehen über d*«m Hülb
cylinder zusammen und führt auf diese Weise ein^
Lageyerändernng des sogenannten Kabnbein» her
bei. Der so misshandelte Fuss wird «pritf»r \t
einen Stiefel mit starker convexer Sohle u
Man kann sich vorstellen, welche p* ij
, ^ Schmerzen dem armen Kinde die festen ÜmschnQH
i \ Hingen verursachen. Die Binden bleiben Tag uni
I / 1 Nacht liegen, selbst wenn die Füsschen heisä und
I -^^^ y entzündet und die Kinder unrubig werden, h
i ^^m^^^ ^*^*^^ ^^^ Schönheit de^ Körpers höher amf^u^
schlagen, als das Wohlbehnden der lieben Kinder^
MoraeJie hatte in seiner EigenHchatl ab
ArH vielfuch Gelegenheit, solche Füssc xu nnUst
suchen. Er sagt:
,Le« (tariies mollei «ont (virophi^en mir Tafunt^f
et, nu contraire« ont en partio combli^ •
Toütö exager^e d«i la face pUnUito. La ^<
couTi«^ mt f>QUvet}t rouge, plun ou moint '
pAfi obaerTo cm uIa'*ratiariB \ ' Bttppuraiio
f/<Hiif, que Ton a lu^nftl^ct^ pj., , ,.
E« kommt aber auch, wie I*arker encilil^
höiiutjn.. ri» AU*, ^'".»hru rMswpilen vor, dass beide FOsae bis m d«
c
30. Die Eörperplastik an den unteren Extremitäten.
147
Knöcheln brandig werden. Haben nun aber die jungen Mädchen die Misshand-
lang überstanden, so gehen sie fortan nicht mehr wie andere Menschen einher,
sondern sie wackeln wie auf Stelzen, indem sie das ganze Gewicht des Körpers
lediglich auf der kleinen Fläche der Fersenspitze und dem Ballen der grossen
Zehe balanciren. Um nicht zu fallen, bedienen sich die Damen als Stützen der
Fig. 94. Normaler Menschenfuss
tnach lyie/cker). Zum Vergleich mit Fig. 95.
Fig. 95. Fuss einer vomehmeu
Chinesin (nach HWcker).
Spazierstöcke, oder sie lehnen sich auf begleitende Dienerinnen. Dieser eigen-
thümliche Gang wird von Morache folgendermaassen geschildert:
,,Le mode de deambulation est essentiellement modifi^; les mouvements de Tarticu-
laÜon tibiotarsienne devenant a peu präs nuls, les muscles ilechisseurs et extenseurs du pied
ont du 8*atrophier; c'est, en effet, ce qui se produit: la jambe prend la forme d'un tronc de
cdne. D'un autre cAt^, les mouvements de Tarticulation du gonou sont, pendant la marcbe,
Fig. 96. Linker Pubs einer Chinesin (nach Junker). Die Haut ist entfernt, um dieMoskeln freizulegen.
intimement lies ä ceux da pied; ceuz-ci ne se faisant plus, certains muscles de la cuisse ont
du diminuer d'autant. Le mouvement de progression se produit essentiellement par Tarticu-
lation coxofömorale, et Ton ne saurait mieux comparer ce pb^nomene qu a ce que Ton observe
chez un ampat^ des deux cuisses; cbes lui, comme cbez la femme cbinoise, la moitie du
membre infi§riear est transform^ en une masse rigide; du pilon classique de Tampute ä la
jambe cbinoise il n*y a que la diffi^rence d'une articulation, absente cbez Ipi, presque inutile
4 Tautre, pour la marche tout aa moins.*
10*
148
111. Die ästhetische Auffassung des Weibes.
Doch sind trotz aller Mühsal die Chinesinnen stolz auf ihre Fuss-Stümpfe.
In der poetischen Landessprache heisst das yerstümmelte Glied Kin-lien, d. h.
die „goldene Wasserlilie*.
Mit frischen Farben beschreibt Capitän JBinghatn die von ihm vorgenommene
Besichtigung des Fusses einer Chinesin:
«Im Hause eines Landmannes wünschten wir den ,pied mignon' einer Frau zu sehen;
ein hübsches junges Mädchen von 16 Jahren wurde auf einen Stuhl gesetzt, um unsere Neu-
gierde zu befriedigen. Anfangs war sie sehr schämig; allein der Glanz eines neuen Kopftuches
überwand bald ihre Zurückhaltung; sie begann die oberen Bandagen, welche um den Fuss
und über einen schmalen, von der Ferse hinaufgehenden Streifen gebunden waren, aufzuwickeln.
Der Schuh wurde dann abgezogen und die zweite Bandage abgenommen, welche den Dienst
eines Strumpfes versieht. Die Binden um die Zehen und Knöchel waren sehr fest und hielten
alles an seinem Platz. Als sie endlich den kleinen Fuss zeigte, war er zart, weiss und rein:
das Bein war vom Knie abwärts sehr ge-
schwunden, der Fuss schien an der Hacke
wie gebrochen, während die 'vier kleinen
Zehen unter den Fuss hinabgezogen waren,
so dass nur die grosse Zehe ihre natürliche
Lage behalten hatte. Durch das Brechen
(oder Biegen) der Hacke wird ein hoher
Bogen zwischen der Ferse und den Zehen
gebildet, während bei den Damen von
Canton und Macao die Hacke ganz
unangetastet bleibt, dagegen ein sehr
hoher Absatz angebracht wird, wodurch
die Spitze der grossen Zehe auf den Boden
kommt. Die unter den Fuss eingeschlage-
nen Zehen Hessen sich nur mit der Hand
insoweit vorbeugen, dass man sah, sie
seien nicht wirklich in den Fuss hinein-
gewachsen.'
Es giebt GypsabgQsse solcher
Füsse in ethnographischen Samm-
lungen; ihre I^nge misst 4 bis 5
Zoll, doch die elegantere Form hat
nur gegen 3 Zoll Länge.
,Die Betrachtung unseres Modells,
sagt Welcher^, sowie alles da^enige, was
wir über den Modus der chinesischen
Fusstoilette wissen, lehrt, dass es sich
um eine äusserste „Streckung**, anato-
misch gesprochen: um eine Plantarfiexion
des Fusses, zugleich aber — und dieses ist
offenbar das tiefgreifendste Moment der
gesammten Verunstaltung — um eine Ein-
k n i c k u n g des Fusses handelt, bei welcher
das Hinterende des Fersenbeines
nach abwärts geknickt und dem Mittelfuss entgegen gebogen wird. [Es bedarf
kaum der Erinnerung, dass nicht eine rasche Knickung, wobei ein Theil zerbrochen oder auch
nur unmittelbar verbogen würde, gemeint ist. Es handelt sich um die Erzielung des Wachsens
der Theile in gebogener Richtung.] Fussrücken und Schienbein befinden sich in einer und
derselben Flucht, so dass die grosse Zehe nahezu senkrecht nach abwärts ragt, während die
vier kleineren Zehen vom Aussenrande des Fusses her unter die Sohle geschlagen sind.
Der Theil des Fusses aber, welcher dessen Hinterrand bilden sollte, die Ferse, ist nach
unten zu liegen gekommen.^'
„Immer kam das Hinterende des Fersenbeines genau so unter den übrigen Fass zu
liegen, wie bei einem normalen Fusse der Hacken eines Hackenschuhes unterhalb der Fene
liegt Die Chinesin geht also bei nahezu senkrecht gerichteten MittelfnstknodieB aaf den
verkümmerten und grossentheils verbogenen Fusszehen; das Hinterend« des Fliisee ruht aaf
Fig. 97. Rechter, künstlich verkleinerter Fuss einer
Chinesin. (Nach Photographie.)
so. Die Ki^cperpliMtik an den tmtaren Extremitäten,
149
Ipinem dof^p^Iien Ab^t&e — einmn] aaf dem tmtergebogenen Fereenhöcker und dieser auf dem
JAliwit«© dm Schuhe».'* In den Fig. 93 bia 98 httbe ich eine Anzahl von Abbildungen von
[ChineKinneD'FÜÄsen gegeben, von denen Fig. 97 und 98 nach Photographien gefertigt
rarden. Sie werden die hier aufgeführten Schilderungen verständUcher machen.
Mürtitr^ sagt: ^^^endant le travail deformateur, il y a un certain nombre de victime«
|qni 116 prmvent rcdtiter et qui meurenL Celles qni le flnpportent souffrent plus ou moina
' ttiivEnt l«ur dogre de vigueur et les conditions de leur alimentation. La femme chinoiEe
m&rebri lanif tl^hir le« genoux» laissant ä pea pres inactifs les muscles de la jambe et jettant
mn avant l*^ deux mombres, dont les mouvement« Bont alors et enti^rement subordonn«!'« k
Tactton dm mu^cles du baasin. Ceux-ci B^atTOphient moins que leg premierBt ^t comparative-
tDfUit iouiblent exagt^r^s comme Volume^ ila donnent alors aux: partiea moUes du baaain un
Mpect qui peut fiiire croire ä une amplitude laquelle, en r^alite, n'existe pas/*
y.'- 1 man sich in China nach ürspnmg, Sinn und Zweck dieses eigen-
[ibCttiiliri rtmchs, so bekommt man sehr widersprechende Ansichten zu hören.
Wi^mi man von den Sagen absieht, welche den Ursprung der Sitte in die Zeit
1100 V, Chr. aurückverlegen , so va-
iren die historischen Angaben zwischen
fn des Kaisers Yang-li, 976 n. Chr.,
Kaisers Li-Yttk, 6H1 bis 695 n, Chr.
bestand die Sitte noch nicht zur
de« Confntse; und Marco Polo, der be-
[rClhmie K<?i*ende, der sich im 13. Jahrhun-
iert mm glänzenden Ilof des Kaisers auf-
erwfthjit sie auch nicht. Nach Scher str
anderen soll die Sache ihren Grund in
Eifersucht der Männer haben, welche^
ie «T meint, z\x glauben scheinen, dass eine
cndiwerte !• 'i hkeit der Frauen auch
IUI» gT&wer» ui für deren Treue bietet.
Allein die« war nicht die ursprüngliche Ab-
b<ji Einllihning der Sitte, auch denkt
in China, wenn man die Ftisse des
'prunz jungen Mädchens einzuwickeln beginnt,
Doch nicht an eine später erfolgende Treu-
igkeit desselben gegen den Ehemann*
befriedigende Erklärung für die Ent-
tahiiog dieser Unsitte hat man bisher noch
lit beizubringen vermocht
JUarache ist der Meinung» dass der
Fraueafuas erotische Gefühle in den
ie«©n bervorruft:
yPour qui connait le degrä de lubricitt* den
)blBf>ig, il eit «Evident quUU atttichent utie idee
d« tmUm oatnre h. la petiteaae du pied/
Die zum Christen thum Bekehrten beichten es auch unter ihren Silndeo, dass
sm nach den kleinen Füssen der Damen geschielt hätten.
^Kitfin on m'assure, f&hrt Moracfte fort, que la vue et le toucher de BouHers petit« et
CQ^oeta est Tune dee jouissancae de ceux auxqueld la nature affaiblie refuie d^autres
pUsin, cft Ü8 iont nombreux, car repuitemont arrive vite, gräce ^ Topium. Tous ces fait«
d'autres encore me d^montrent que la cau«e de ce deteatable usage reside dans une
1^ dd lobricit^f y attachi^e par lee Ohinoi«/*
Das Anlegen der Fussbinde zeigt uns eine chinesische Abbildung (Fig. 99),
welche ganz den Eindruck macht, als wenn auch sie auf die erotischen Em-
il^ Chinesen zu wirken bestimmt gewesen sei. Sie ist uns von
M «:!ilt worden.
,VVir wundern uns,* sagt Wekker, ȟber den Gebrauch einer so geschmack-
Sicher
rXeit
Ibielt,
[und
ler
.»icbi
Fig. 'M^ R«Gliter, ktLnsUich verkleinerter ruwt
einer C h i n e « i n. ^Nfteh FhotöffrmptiJ«.)
1P -lig -#
MTh'
rir ■■ irir ■if^ftiii
IfL Die &Bfchetbche Auffaesiuig de« Weibe«.
losen und mit so vielen Unbequemlichkeiten verbundenen Verstümmelung, dock
wir vergessen, das« es weit edlere Organe sind, welche durch die bei uns ge-
bräuchliche Art des Schnürens verküniniert werden. Allein e8 giebt Dinge, Über
die das Publikum Belehrung gar nicht will Vergeblich hat Sommering gegen ^
das Schnüren geschrieben, TergebUch hat Hogarth in den ümriss der V^funs eine
IV. Die Auffassnng des Weibes im Volks- und
religiösen Glauben,
31. Der Aberglaube in der tiehaiiinun^ den Wetiies,
Wenn wir uns unker den Naturvölkern umblicken^ so finden wir, dass alle
EreigntSHe de» Lebens mit höheren Gewalten, guten oder büsen, in Verbindung
gebracht werden. Da ist es nun w^obl nicht zu verwundem, daes in noch viel
litärkerem Grade alle die geheimnissvoUen Vorgänge der Fortpflanzung und der
Zeugung, der Schw^angerscbaft und Geburt und der räthselhaften Entwickelung
vom Kinde zum gei*chlechtsreifen Individuum als unter der Einwirkung der Götter
und Dümonen stellend aufgefasst werden. Es ist dann nur ein weiterer Schritt
m dem gleichen Gedankengange, wenn die auf unentwickelter Culturstufe Stehen-
den nun durch Opfer und allerlei absonderliche und abergläubische Handlungen
d^n iCgcuK reichen Beistand der gut«n Geister sich gewinnen und die feindlichen
Irohenden Eingrifte der bÖ^en Geister von sich und den Ihrigen abzuwenden
fjt sind. In hohem Grade erfinderisch hat sich in »olchen Vornahmen der
menschliche Geist erwiesen, und es ist, wie wir sehen werden, kein Volk so tief-
stehend, aber auch keines so hochcivilisirt, dass wir nicht derartige Proceduren
hei ihm nachzuweisen im Stande wären. Fast immer aber fllhlen sich die
ben zu schwach, ihre Angst und Sorge uro sich und die Ihrigen allein zu
und auf sich zu nehmen, und mit den Gottheiten in directe Verbindung
XU treten. Sie bedürfen dazu der Hülfe und Unterstützung klügerer, muthigerer
titid bevorzugterer Naturen, welche mit ihnen und för sie die nothwendigen
Ceremonten vornehmen. So sind es die klugen Frauen, die Priester und Priester-
tnnen* die Zanbc^rer, Teufelsbeschworer, Medicinmänner und Schamanen^ welche
wir diese Ilülfelei^tung gewähren neben,
Ba ist eine interessante culturgeschichtliche Erscheinung, dass meistentheils
in solchem Suchen nach kräftiger Hülfe die ersten Anfänge der sich entwickelnden
Heilkunde verborgen liegen. Selir richtig schrieb einst Heusitufer: ,Die Anlange
^r " * in bei wilden Völkern zeigen uns allgemein eine Verbindung supra-
|i eher, mystischer Heilungsmittel mit physischen Heilungsmitteln, und
diei«i*)bcn Personen verrichten die Incantation und wenden Wurzelkräuter u. s. w.
»n. B<n fortschreitender Cultur trennen sich beide, es giebt Incantatoren und
Wttfx^tlsucher, die zu Aerzten werden; dass sie einige Zeit so neben einander be*
lehrt uns selbst die griechische Medicin, wo bis ins 4. Jahrh. n. Christo
/cpios- Tempel neben den Aerzten fortbestehen, und gerade in der letzten
Seit recht vorzugsweise nur als hyperphysische Heilungsorte. Allein gewöhnlich
L wird die mystische Medicin entweder bald ganz abgeworfen, oder sie geht ganz
auf di« eigentlichen Priester über.'
152 1^- ^^0 Auffassung des Weibes im Volks- und religiösen Glauben.
Dos gilt nun durchaus nicht für Griechenland allein. Es ist nur ein
wohlbeglaubigtes Beispiel für die Entwickelung wissenschaftlicher Heilkunst aus
den Anfangen der mystischen Medicin.
Den gleichen Weg ist die Heilkunst fast aller Völker gegangen, aber trotz
der grossen Anzahl der Vertreter einer wissenschaftlichen Heilkunde, der Aerzte,
der Geburtshelfer und der Hebammen, über welche sie verftigen können, ist bisher
die Schaar der* „Medicin-Männer und -Frauen*, der Beschwörer, Streicher, Glieder-
setzer u. s. w. doch noch nicht in den definitiven Ruhestand getreten. Jeder
Bericht über die Volksmedicin des einen oder anderen Volkes in Europa liefert
hierfür die vollgültigsten Beweise. Wir können diesen Gegenstand hier nicht
weiter verfolgen. Wer sich von den Lesern dafür interessirt, den verweise ich
auf mein kürzlich erschienenes Werk: Die Medicin der Naturvölker; ethno-
logische Beiträge zur Urgeschichte der Medicin.
Wenn man sieht, vne uralte Gebräuche und Anschauungen viele Jahrhunderte
hindurch mit unbesiegbarer Zähigkeit in den Gemüthem der Menschen haften
bleiben, so kann es uns nicht Wunder nehmen, dass wir auch bei der Schwanger-
schait, der Geburt, dem Wochenbette u. s. w. solch Festhalten an dem alten
Aberglauben nachweisen können. Denn alle Sitten und Gewohnheiten, welche
sich an die Geschlechtsverrichtungen knüpfen, vermischen sich um so leichter und
um so inniger mit abergläubischen Handlungen, je mystischer an sich die Er-
scheinungen des hier einschlagenden Naturvorganges sind und — je ausschliess-
licher sich bloss Weiber der Beobachtung dieser Erscheinungen unterziehen.
Interessant ist es, wie man an verschiedenen Orten der Erde analoge Ver-
suche veranstaltet hat, um die Gemüther aufzuklären. In Saida in Palästina
sammelte man die abergläubischen Gebräuche der dortigen syrischen Bevölkerung.
Die Muselmänner daselbst nennen sie «Um errukke*, d. i. die Spinnrocken-
Wissenschaft. Ganz ähnlich suchte im Jahre 1718 Praetorius dem Aberglauben
der Deutschen entgegenzutreten, indem er die abergläubischen Gebräuche in
einem dicken Buche sammelte und abkanzelte, welches den Titel führte: «Die
gestriegelte Kockenphilosophie, oder aufrichtige Untersuchung derer von vielen
superkhigen Weibern hochgehaltenen Aberglauben **.
Vergeblich aber sind aufgeklärte Geister bei den verschiedenen Nationen
bemüht gewesen, solchem Aberglauben energisch entgegenzuarbeiten, und ob er
jemals auszurotten sein wird, das will mir doch sehr fraglich erscheinen. Solch
Aberglauben ist viel zu tief und fest in der menschlichen Psyche begründet.
32. Die religiösen Satzangen In Bezug auf das Geschlechtsleben der Frau.
Es ist eine interessante Erscheinung, dass die rituellen Satzungen fast aller
Völker sich mit den Mysterien des Geschlechtslebens beschäftigen. Schon mit
dem Eintritt der Pubertät werden fast überall bestimmt vorgeschriebene Cere-
monien vorgenommen, welche bei höher civilisirten Nationen durch religiöse
Feierlichkeiten ersetzt werden.
Solche heilige Gebräuche müssen dann auch in der Schwangerschaft, bei der
Entbindung und im Wochenbette, ja häufig auch bei den ehelichen Verrichtungen
mit grösster Strenge ausgeführt werden. Und da bei allen diesen Dingen Ab-
sonderung, Reinigungen und diätetische Anordnungen eine ganz bevorzugte Rolle
spielen, so müssen wir in diesen religiösen Riten die Anfange einer Hygiene
erkennen.
Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dass bei allen derartigen Vorschriften
den Begründern dieser Religionen die Erhaltung des Menschengeschlechts, das
„seid firuchtbar und mehret euch* als Endzweck vorgeschwebt habe. Aus einigen
Confessionen haben wir hierf&r die unumstösslichsten Beweise.
$2, l>h rüigiiimn SaUungen in Besag auf das Geschlechtsleben der Frau 153
So heisst es z» B. im Talmud: «Wer das Heirathen voräätzlieh uateriassl,
iBamlich keine L- m zu erzeugen, der ist moralisch einem Mörder gleich*
Blleu*; denn die i er glaubten, dass ein Un?erehelichter ebenso wie ein
U5rder sich eine Verminderung der Bevölkerung zu Schulden kommen lässt
'Tractal Jebamoth 63, b). Ferner steht im Talmud; ,Wer auch nur zur Er-
haltung eines einzigen Menschen beiträgt, ist gleich, ab ob er das Weltall erbielt-e,*
In solchem Geiste, d. h, mit der Absicht auf Erzeugung und Erhaltung der
Hen!*rhen, waren denn auch eine Anzahl von religiösen Handlungen in Bezug
luf das Geschlechtsleben bei den Juden eingesetzt worden. 3Ioses sagt aus-
Irücklich: ^Beobachtet meine Gesetze und meine Rechte, durch deren Ausübung
1er Mensch leben 8011"* (z. B. Moses 18, 5). So verstehen wir denn, in welcher
picht er die Reinigungsgesetze für die Menstruirenden, die Wöchnerinnen u. s. w,
und warum er diese Vorschriften und ihre genaue Befolgung durch Ein-
ptxung der Brand* und Suhuopfer am Schiasse des Wochenbetts unmerklich
mtcr die Con trolle der Priester stellte.
So nehmen auch manche andere Culie Lehren über die Lebensweise in Bezug
auf das Fortpfianzungs- und Geschlechtsleben auf ,Ich nenne," sagt Zuroanter
im Öc«etzbuche, ,den Verheiratheten vor dem Unverheiratheten, den, welcher
Mco Hausstand hat, vor dem, welcher keinen hat, den Familienvater vor dem
Linderlosen. den Reichen vor dem Armen* u. s, w. Bei den alten Persern und
ledern endhch galt das Zendavesta als heiliges Buch, und wir wissen, eine
ie grosse Rolle die Heilkunde durch die Schätzung und Erhaltung des Lebens
demselben spielte, obgleich uns von ihm nur das zwanzigste Buch, der
*«iididad, erhalten ist. Ueberall, wohin Zoroaster's Lehren drangen, spielten
Ifich als Priester die Magier eine grosse Rolle; sie prakticirten als Aerzte und
T^ufekbanner hei Krankheit, Geburt und Wochenbett, Und wie noch heute bei
ien Färsen, die nach Zoroastcrs Lehre leben, die Ehelosigkeit bestraft wird^
muHste auch bei den alten Indern nach dem Gesetzbuche Planus Jedermann
M, ^weil das Geschlecht erhalten werden muss**. Das Gesetz MaHu*s giebt
!; ithschläge in Bezug auf die Wahl des Mädchens, auch finden sich Rein-
beits- und Speisevorschriften darin. Die Religionswächter der Inder, die Priester-
lud Med iciner- Kaste, die Brahmanen, beaufsichtigen auch die Geburt und das
Wochenbett
Die Buddhisten sind durch die Macht ihrer Kirche äusserlieh nicht ge-
zwungen, sich bei irgend welchen Familienangelegenheiten unter die Vonimnd-
»eliaft der Priester zu steUen; allein sie wenden sich doch bei FamUienereignisseo
an deren geistlichen Beistand; ja die Lamaisten nehmen den Segen der Priedter
bei solchen Gelegenheiten noch häutiger in Anspruch, als die Katholiken. Der
" ibige Buddhist tindet im Priester seinen geistliehen Vater, und dieser fungirt
bei der Geburt und bei der Namengebung der Kinder. Ausserdem treiben die
eistlichen Sohne des Buddha überall die Heilkunde; sie bniuchen ihren Einfluss
|n den Familien also nicht wie in christlichen Landen mit dem Hausarzte zu
liailen; in Tibet, in China, in der Mongolei, im ganzen Norden Asiens sind
zugleich Wahrsager, Astrologen, Geisterbeschwörer und Zauberer; als solche
Itringen nie ihre Künste auch bei der Niederkunft in Anwendung, (KoeppenJ
Wi«5 alle die grossen Abschnitte in der Entwickelung und in dem Leben
|e« einzelnen Individuums, die Gebort, die Verschönerungsproceduren am mensch-
leben Körper (Ohr- und Lippendurchbohrung, Tat to wirung, Zahn Verstümmelung
s. w.), die Beschneidung, die Menstruation, die Schw^angerschaft und der Tod
fOD religiösen Ceremonien begleitet und mit abergläubischen Vorschriften um-
geben sind, das sehen wir auch in dem Umstände, dass in den genannten Lebens-
perioden die BetreÖ'enden nicht selten abgesondert von der Gemeinde gehalten
werden, dass der Verkehr mit ihnen und das von ihnen Ausgehende die sie Be*
endeii ?erunreinigt und auf eine gewisse Zeit hin ebenfalls zu dem Ausschluss
154 rV. Die Anffassimg des Weibes im Volks- und religiOflen Glauben.
aus der Gemeinde zwingt, dass ihnen bestimmte Geschäfte vorzonehmen auf das
Strengste untersagt bleibt, dass ihnen bestinmite Dinge zu essen verordnet und
andere wieder als Nahrongsmittel zn verwenden verboten sind. Wir erkennen
auch hierin wieder den untrennbaren üebergang von den religiösen zu den
hygienischen Vorschriften.
SS. Die Fnaensprache.
Eine sehr merkwürdige und absonderliche Erscheinung in dem Leben einiger
Volker kann ich hier nicht mit Stillschweigen fibergehen. Sie besteht darin,
dass sich bei ihnen die Frauen einet eigenen, von den Männern niemals benutzten
und bisweilen auch nicht einmal verstandenen Sprache bedienen. Jedoch ver-
mögen wir in dieser Beziehung verschiedene Abstufungen ganz deutlich zu er-
kennen. Als den höchsten Grad dieser «Frauensprache* mfissen wir es be-
zeichnen, wenn, wie uns Uerodot dieses in zwei Fällen berichtet, die Männer und
die Weiber überhaupt verschiedenen Sprachstämmen angehören. So sagt er von
den Sauromaten, welche sich mit den zu ihnen verschlagenen Amazonen ehe-
lich verbanden: ,Die Sprache der Weiber vermochten zwar die Männer nicht zu
erlernen, aber die Weiber verstanden die der Männer.*
Ebenso ging es den Joniern, welche die Frauen der Karier erbeutet
und zur Ehe genommen hatten, nachdem deren Männer von ihnen erschlagen
worden waren.
Rochefort und t\ Martins haben eine ähnliche Erscheinung bei gewissen
südamerikanischen Völkern in gleicher Weise durch erfolgten Frauenraub aus
fremdem Sprachstamme erklären wollen, r. Martins fand eine au£fallende Sprach-
verschiedenheit zwischen den beiden Geschlechtem bei den Guyacurus und
mehreren anderen Stämmen in Brasilien; Rochefort beobachtete sie bei carai-
bischen Stämmen, insbesondere bei denjenigen, welche die kleinen Antillen
bewohnen. Er sprach die Vermuthung aus, dass einstmals die Caraiben nach
den kleinen Antillen eingewandert wären und dass sie dort alle Männer ge-
tödtet, die Weiber aber f&r sich behalten hätten; die letzteren seien dann ihrer
angestammten Sprache treu geblieben. Allein dass in diesem Falle die gegebene
Erklärung nicht zutreffend ist, hat StoU nachgewiesen, denn die caraibische
Frauensprache besitzt nur ein einziges Wort, welches dem Arawakischen gleicht.
Viel wahrscheinlicher ist es, dass auch hier die Ursache in der socialen Stellung
der Frau zu suchen ist. Das Weib ist mit dem männlichen Geschlechte nicht
einmal in Bezug auf die Benutzung der Worte gleichberechtigt. Andererseits kann
aber auch eine viel schärfere Differenzirung in den Beziehungen fbr gewisse
Dinge, namentlich fiir die Verwandtschaftsgrade, wie sie unserer Sprache und un-
serem Empfinden vollkommen fremd sind, mit zur Erklärung dieser Erscheinung
beitragen helfen.
Gerade das letztere sahen wir auch nach StoU in der Sprache der Cakchi-
queles in Guatemala.
Dort nennt der Mann den Schwiegersohn hi, die Schwiegertochter ali, den Schwieger-
vater hi-nam, die Schwiegermatter bi-te, während die Frau f&r dieselben Verwandten die
Worte ali, ali, ali-nam und ali-te gebraucht.
Auch sonst findet es sich bisweilen, dass die Weiber für eine ganze Reihe
von Gegenständen und Begriffen ihre besonderen Ausdrücke und Bezeichnungen
gebrauchen, welche die Männer niemals in den Mund nehmen und f&r welche die
Letzteren ihre eigenen Worte besitzen.
Von den Caraya- Indianern am Rio Araguya in Brasilien berichtet
Paul Ehrenreich: «Ihre bemerkenswertheste EigenthOmlichkeit ist das Bestehen
einer besonderen Männer- und Weibersprache, wie sich dies in ähnlicher Weise
bei Guaicurus und Chiquitanos findet. Indessen sind nur wenige Wörter
33. Die Frauensprache. 155
gänzlich verschieden, bei den meisten ist die Form nur unwesentlich modificirt.
Wo z. B. im Männerdialect zwei Vokale auf einander folgen, steht zwischen beiden
im Weiberdialect ein k. So heisst Neger bei Männern „biü**, bei Weibern
ybikü"; Mais bei Männern ^mahi*, bei Weibern „maki". Bisweilen hat das
weibliche Wort nur eine Endsilbe mehr u. s. w. Wahrscheinlich haben die Weiber
nur eine alterthümliche Form der Sprache beibehalten."
In einer ganz neuen Veröffentlichung desselben Verfassers (Ehrenreich^)
heisst es dann:
.Die merkwürdigste Erscheinung im Caraya ist das Bestehen eines besondem Dialects
ftr die Weiber, eine Tbatsache, die von allen bisherigen Berichterstattern übersehen, von mir
leider sn spät constatirt wurde, als da«s Probon in ausreichender Menge gesammelt werden
konnten. Nur wenige Worte scheinen in beiden Dialecten gänzlich verschieden zu sein, z. B.
Topf bei Männern: wa-tihui, bei Weibern: be -O-ä
Häuptling „ „ isandenodo, „ ,, hauato
Cocosnuss ,. „ uö, „ , heeru
Nase „ , wa-dearo, „ ,. wa-däan-O-a
Jagen „ „ iramäänrakre, „ „ ditiüänanderi.
Doch ist hier natürlich die Möglichkeit vorhanden, dass diese Worte verschiedene Dinge
bezeichnen. «Für gewöhnlich sind die Unterschiede rein lautlich." Die Sprache der Weiber
scheint ältere, volltönendere Formen bewahrt zu haben. So redet der Mann seine Tochter an
mit dee, das Weib dieselbe mit deö. Am gewöhnlichsten ist die Eliminirung des in der
Weiber«prache häufigen k-Lautes im Männer-Dialect. Wo bei dem Weib ein k im Inlaut
swischen zwei Vocalen steht, wird es im Männer-Dialect ausgestossen, wobei beide Vocale
oft verschmelzen (z. B. Mädchen bei Weibern: yadokoma, bei Männern yaod 6 ma u. s. w.);
k im Anlaut kann ebenfalls abgestossen werden. Das Präfix bei Männern ari erscheint im
Weiber-Di alect als kari (weiblich: kari-rokusikre, ich will essen, männlich: ari-rosikre).
Hierauf beruht auch wohl der Wechsel der Formen in der zweiten Person der Possessiv-Präfixe.
Eis folgt dann ein 14 Seiten langes Vocabulariuni, in welchem die Aus-
drQcke, wie die Männer sie brauchen, und diejenigen der Weiber neben einander
gestellt worden sind. Ich greife aus demselben noch ein Paar uns interessirende
Worte heraus:
Zunge im Männer-Dialect: wa-darotö, im Weiber-Dialoct: toroto
Kopfhaar „ „ „ wa-radä, „ ^ • iradä
Rücken „ , ,. wa-brä, „ , „ i-brä
Weibliche Brust „ „ „ ihukä, „ „ „ wa-hukan kä
Bauch„ „ „ wa-huä, „ . „ i-huit
Schamgegend „ » ^ wa-tera, , ,1 „ i-tera
Vulva ,. „ , i-tü „ „ n wa-atü.
Diese Beispiele mögen genügen. Es erscheint dabei eigen thümlich, wie die
Vorsilbe wa oder i bei einem Körpertheile von den Männern, bei einem anderen
▼on den Weibern gebraucht wird.
Etwas Hierhergehöriges berichtet auch Prinz Heiland Bonaparte von den
eingeborenen Indianern aus Surinam:
,L€8 femmes ont beaucoup de mots qui leurs sont propres, et que les hommes n'om-
ploient jamais, ce qui ne veut point dire, comme on Ta affirme, que les hommes et les
femmee parlent deux langues diiferentes: — »Qui** se dit chez les hommes: „Kh^' ou ,Tasi* :
et chez les femmes: „Tare*. De mßme les hommes disent: „Bahassida* pour „Je crois"; et
lei femmes: «Bahara*/
Bei einzelnen Völkerschaften sind wir im Stande, dem Wesen und dem Ur-
sprünge der Frauensprache in Wirklichkeit auf den Grund zu kommen. Sie hat
sich ausgebildet durch eine höchst eigenthümliche Sitte des Familien- und öffent-
lichen Ceremoniells. Es ist nämlich den Weibern streng verboten, die Namen
von bestimmten ihrer Anverwandten, sowie diejenigen des Häuptlings oder des
Königs in den Mund zu nehmen. Sie sind gezwungen, an deren Stelle ein anderes
Wort zu gebrauchen. Das erzählt z. B. Kram von den Zulus, wo, abgesehen
Ton dem Königsnamen, auch der des Schwiegervaters und seiner Brüder dem
'«V>ir>^ ^r^^anä^fTif^MA isntsi^ T«rfaocaL äs. Bnangiign «kwiiauig' wird ias in der
x.^l;:r.>xi>»L Famil^i^. Hi^r Tiifranii d^e Fcmbol doL X^aw äzai frwahK sowie
t^f^m.^^c teiotf» VaSi^rs. Kiaa GrrjoBTasen ud alkr «mr Bi ildi i Tamwiden.
/^^ :Ar^x, imm^sr z.rsr Worte -snA SSd^sl tsl eclizuie& md ^ nack ÜMUTiiilen xa
T>rir>ii!ra. W'Lrfk shUo der 3iai&e €xzl Z iiiriiilriii. j» wvsdfr da» W»Ber. ge-
-mr^^nVa*:: ;k7.az.x:. ams^sforBt in &oi&Bd&bi ■. deE|eL ■tfan Die|esige Frma,
v>-*^>^ 'Cii't^tr äiue zawider haoAtbi soQse. wftrde dorck cnen Prii^ter der
H^^*i zTjq^hici tKod aät d« Tode bea&nft wexdesL* E» wird losarlicher
W>iM; "iac-s. iMHkr ienwieri^ die Spfadie der Weiber xa iriUfhfii, denn es eni-
4C^»i:r» d^kd.reii ecce gioxüeii Teracderte Spndie. für wekke dse Znla selber die
I>!ze->r,T.r.r:g Ukoteta kwaba^pxi besicun. das beisk in der Cebctaeizmig
frAOi^a spräche,
Wii^ QX» du aoeh noch wiederholentlich in andocB BenAmigen begegnen
-mlfL ^ß kennen wir aceh hier eine gaua ihnliAe Sitte bei einem imomlich weit
f'/tk ifüti Zalni entfernten and mit ihnen aneh in kdneriei Verwnndtscfanft oder
irgend weleber Beziehang stehenden Volke conatatiren. kh meine die Kirgisen.
Von dMMti beriefatet Vawiihiry. dass die Fran den Xmmcn der minnliehen Mit-
glieder des HaoMtandes niemnb ansprechen dürfe, weil das vn^diicklich ist, nnd
man erzahlt tieh folgende anf diese Sitte bezngiiehe An^dote:
«Kia K irgrite batte einst fönf S^hne. die iidi K9I (See^ EaaiMch ^Bohr). Kaikir ('WolO.
fC^j ^.Sdbaf , oad Pit«efaak Ofeuer/ naiiBteB. Seine Sdiwiigti toditer ging eine* Taget nun
WM»er. oad alt fie aun See im Bohre einen Wolf erblidte, da- ein S^af Tenchite, kam tie
«<:breu»d zorliek: Dort neben dem Glänzenden im Sckankelndea friwt ein Raabtkier
da« Blökende« — da lie die aof dieie BegzüTe besöglicfaea Woxta, aogleidi die Namen der
miaalidMn Mitglieder der Familie, nieht aoMpredien dorfte.^
Etwan. was man in das Gebiet der Franeo spräche rechnen konnte, lisst
nit^h «ogar aach bei ons Dachwetseo. Es brincfat nur daimnf hingewiesen zu
werden, daas aoch ansere Damen fQr alles die Sphäre des Geschlechtsiebens Be-
rOhnmde ihre eigene Ansdrucksweise besitzen, welche ron deijenigen der Manner
ganz bedeutend Terscfaieden ist nnd gar nicht selten Ton den letxteren nicht einmal
Tenrtanden werden kann. Hier war es zweifellos das Schamgef&hl, welches die
^>e»^>nderen Aosdracke Torgeschrieben nnd erfanden hat. Aber anch das Verbot,
die Namen der mannlichen Verwandten aosznsprechen, werden wir wohl anf Rech-
nung des ScbamgefQhls zu setzen haben, jedoch hat dasselbe eine Höhe der Aus-
bildung erreicht, welche unserem Fühlen und Empfinden, sowie unseren B^riffen
Ton Schicklichkeit Tollkommen fremd und unbegreiflich ist.
V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethno-
graphischer Hinsicht.
34. Die Süsseren Sexualorgane des Weibes im Allgemeinen.
Die anatomischen Verhältnisse der Geschlechtsorgane und die physiologischen
Sexoal- Functionen sind die wesentlichsten Characteristica des weiblichen Orga-
nismns. Sie haben fßr die ethnographische Forschung insofern eine nicht geringe
Bedeutung, ab sie bei den verschiedenen Völkern thatsächliche Unterschiede er-
kennen lassen.
Wir müssen, um diese Unterschiede kennen zu lernen, zunächst die weib-
lichen Oeschlechtstheile fremder Stämme in ihren äusseren Formen betrachten.
Dann soll das Wenige zusammengestellt werden, was wir über die inneren Geni-
talien aus anderen Erdtheilen wissen. Eine besondere Beachtung verdient ferner
des Becken als derjenige Theil des knöchernen Skeletts, welcher bei den Geburts-
▼orgfinffen eine hervorragende Rolle spielt, und endlich würden wir das Verhalten
der Behaarung an dem Körper und die Form und den Bau der weiblichen Brüste
unseren Betrachtungen zu unterziehen haben.
Diesen anatomischen Erörterungen haben dann die physiologischen zu fol-
gen, d. h. die Besprechung der geschlechtlichen Functionen, der Menstruation, der
Schwangerschaft, der Entbindung, des Wochenbettes und des Säugegeschäftes.
Auch hier werden wir so manches als typisch antreffen für die verschiedenen
Volksstämme und Rassen.
Wir dürfen auch manche Gebräuche, die sich auf das
Geschlechtsleben und auf die Behandlung der Geschlechtsorgane \ I / \ I /
beziehen, nicht unbeachtet lassen, obgleich sie nicht unmittel- \/ N/
bar während der Schwangerschaft, der Geburt oder des Wochen- pig. loo. Rohe Figur
bettes vorgenommen werden. Denn manche dieser hier anzu- «ler Vulva, als schnt«-
führenden Volkssitten sind nicht ganz ohne Einfluss auf die Bäume. ^Vmbon*^- und
Schwangerschaft und Niederkunft, sei es f()rdemd, sei es hin- uuase- Inseln.)
demd. In dieser Beziehung scheint insbesondere die Excision ^^*^^ Rtedcn.)
der Clitoris, die künstliche Verlängerung derselben und diejenige
der Nymphen, sowie die Vemähung der Vulva und die Pflege und Behandlung
der Brüste bei manchen Völkern von nicht geringer Bedeutung zu sein.
Fast überall auf der ganzen Erde ist mit den Genitalien der Begriff des
Beschämenden, des Pudendum, verbunden, und das Aussprechen ihres Namens
wird als etwas Unanständiges, als etwas Beleidigendes augesehen. Auch bei uns
im niederen Volke wird bekanntlich ihr Name als ein Schimpfwort verwendet,
und auf mehreren der Inseln des alfuri sehen Meeres gilt der Zuruf: „Geschlechts-
theil Deiner Mutter* als eine der schwersten Beleidigungen.
Riedel\ der dieses erzählt, berichtet auch, dass in Ambon und den Uliase-
Inseln die Eingeborenen in ihre Kaiapa- und anderen Fruchtbäume rohe Figuren
der weiblichen Scham einschneiden, Fig. 100. Das geschieht theils, um diese Bäume
IS» VW
bi^Kr tngn tn MtarJwti, tkdk aoeb, um üaberafine
2tt bcfMb«; d»i £w Zciehn ■tcBeo die 6f»eUecbii&äle ikr
iit walindttsiifidi die Jodm« diarhliiMiKli^MeeriilliiU |siiwiiijt>
«tUe der i^ptiiclie Kiioif^ SkmtinM nfrldlle, od dmaf ^e
ngcliiiie laidbfift (aeta Haiiia, Mina Berkonft aad
Tollw)« mrnim die SdttngUeder eiott WefliesL Wo er oltaa %mmft ^ kidl dk
Stfdie eiaiialiin. bei diesen Keee er «war auf £e Bialea dieselbe laaAfift aitieB.
wii^ bei de» , «eieke tapfer gewesen waren, m.fa fligte er nock die Stkam-
gUeder eine» vV ^^lu^ binn, i&dem er damit inmd Ibao woDle. dafls sie fe^ ge-
wesen wiren.*
PkÜipp Jaioi ßatim etxibli t oo einer Mime, wekke die Umgin Mmyarähi
▼cm Oa&emark teUagen lieaii «podendom mnEeliie eoEaeta tefergnlem % zum Buhne
flir Ain KonigiD tod Norwegen imd Scbwedea, wekbe »e besiegt hatte Im
tt - /^- fien Mftnwmbiaei von Berlin kl diese MOnie, wie nur Herr Dr. Jtfemidier
\\' bei mHUieilie, weder Tariiaiiden Boeb bekannt Jedocb enililb*
Ftg. toi. St«iii-R«tt«f von iler i>«ter-tii«el; Do^i^i-Iiiii^iciüifciic 4c» üott«* a«k6*amkc,
«Ist tthrliclte aehnrt b«sekbiieDd rnftcb GH^^i^r)^
dim« angeblich etue äbiiliche Darstelluag auf einer MQnze vlj<$riMl dm Siark
orlmnclen i»t, welche auf Wunsch der Gräün / reo äenitalien tamteUenl
>llk-. Die»e letzter** Legende hat ihren positiv _ _'.rrgrund in einer orale
WMppfüiuairahmuDg. Uerm geheimen Kegierangsraih Friedenshmf verdanke tc
die folgende Zoiichrift:
,Die Geäcliicbt« von der Kouigin Mar^arethe fon Dane mark mit
OarsteUnng eines weiblichen Gliedes ist eine Fabel Die MOnxe, die n, a.
JoachitHS (troi9chencabinet abgebildet ist, zeigt ein stylistrte^
m
xaweilen d«*r Zirkt^lpankt (der Mittelpunkt d«^ kri^iAfiSrmig^n Münrfeldes) siehihar
ist, als »]' " Or^^bro. nders int e^ mil|~
dem 4»og* iie IJinrftlinjt]^ ^ . «S^appens in Vi^r-j
bindung mit d«?ni Zirkelpunkt dns bin de>«(U) liehe Bild der Scham, übtmso au
Mtlnxen Kartn XL mit dcsMini doppi'lten KiimL*n»btichßtabcn ^'<, Die Fa^ ' - n
dtitn weibliche« Gliede ij<t offenbar nach der lland erfunden^ aber weit Tt
'■ • '1. Ktihilimann: Nummi sin^ulares I7ii4. S. 117.)*
di. Die ftuflseren Sexuiilorgane des Weibea im AUgemeitien,
159
Aber auch eine ehrenvolle Bedeutung kann die Darstellung der weiblichen
athetle haben. So findet sich dieselbe vielfach auf den Sculpturen und
üieln^ welche von der Besatzung des deutschen Schiffes Uyäne auf der
^sterineel entdeckt worden sind (Geiseler). Da sie sich immer zusammen mit
ier ' ' II Darstellung des Gottes Make -Make finden, des Gottes der Eier,
der itiliche und das Weibliche reprasentirt und der in dieser Doppel-
duraixUmig die Geburt eines Menschen bezeichnen soll, so sollen die danebeii-
gvstellien weiblicheu Genitalien anzeigen, dass diese Geburt einer ehelichen Ent-
bindung enl«prossen war, (Fig. 101.)
Die Oster- Insulaner haben auch jetzt noch in alten Hauptlingstamilien
die absonderliche Sitte bewahrt, dass bei der Eingehung einer ehelichen Verbindung
sich der Ehemann die Vulva der Frau in ähnlicher Zeichnung etwa zwei Zoll gross
Tom auf die Brast unmittelbar unter dem Kehlkopfe eintäitowirt, um Jedem den
Beweis zu liefern, dass er verheirathet ist (Fig. 102.)
Kig \m. Tttt<»wirt«irUftapiHiis derOfter-lniulftner. (HvAh yhw^t)
Die Darstellung der weiblichen Geschlechtstheile erfreut sich in vielen Ge*
PO Indiens auch heute noch göttlicher Verehrung. Schon Dulaure sagte:
,J«e« lndi«3ii8 ont CTU donner pltis d'expreaüion üu de vertu u Tembleme de la fecontlit**,
ta r0i3nitf«at]t Im pariie» generatives des dem sexes. Celle nmnioo, cjue quelques« ecrivulua
Qdeat avec lo Lingam. est nommee Pullei ar. (Hier liegt eine Verwecb.^elung mit
Qien einer niederen Kaste vor.) C'est »ant doute nn extrait de la etatue rooitie mAIo,
fttiuelle» que Bartlimne arait autrefaiH rue daaia riude. „Ce symbole, ausei naif
|Q6. et<t, dit Sonncrtiif la forme la plus sacree soua laquelle on adore Chiven: il eet
dan» le t^anctuaire de ses templee/* Les sectateurB de ce dteu ont une grande de-
C»n aa Pulleiar: ila Teuiploient comme une amalette ou un prdi»erTatlf; ila le porteat
du a lear cou; et le« moiiiet, appel^i Pandarons, ne marchent jamaü sana cette reU*
di'coration.*'
Einen derartigen Lingum fuhrt Fig, lUS dem Leser von Er stammt aus
Ivogaleo und betindet sich im Besitze des königL Museums fQr Völkerkunde
Berlin. Der in der Mitte aufrechtstehende Zapfen ist das Symbol des Mahadcta
' '*, Er ist aus Bergkrystall gefertigt und ragt ungefähr 3 — 4 cm aus
crsatze aus graugrünem, mannorartigem Gesteine hervor. Dieser Unter-
ist das Symbol der Bhavätü^ der Gemahlin Mahddevus^ und er repräsentirt
reibhche Princip. Auch in China gewinnt die Darstell img der weiblichen
leehtstheile unter Umständen eine wichtige Bedeutung, Kafscher berichtet
Aber Folgendes:
m ff— fir-
mammumM
160
V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
„Ein anderes häufig angewendetes Mittel zur Abwendung von Ungemach
ist das Ankleben von Darstellungen des männlichen und des weiblichen Princips —
Jan und Jin — über den Hausthoren. Diese abergläubischen Vorsichten werden
namentlich dann angewendet, wenn ein Hausbesitzer die Furcht hegt, dass ein
dem seinigen gegenüberliegendes Haus nicht in Oemässheit der Vorschriften der
Erd wahrsagerei gebaut ist. Gray hat zahlreiche einschlägige Beispiele erlebt;
eines sei hier erwähnt. Eng^ der Eigenthümer und Insasse eines stattlichen Hauses
in Canton, schrieb die vielen Krankheitsfalle, die sich in seiner Familie ereigneten,
dem Umstände zu, dass beim Bau eines vis-a-vis befindlichen Pfandleihhauses die
Grundsätze der Geomantie ausser Acht gelassen worden waren. Er wollte das
verhasste Gebäude ankaufen, um es nieder-
reissen zu lassen ; die Besitzer des Leihamtes
weigerten sich jedoch, es zu verkaufen, und
Efig wusste sich nicht anders zu helfen, als
über den Thüren seines Hauses Darstellungen
des Jin und des Jan anzubringen.*
Die Anthropologen haben sich mit
grossem Eifer mit den craniologischen und den
M^^^S^SS^3^^Bt^^ phjsiognomischen Eigenthümlichkeiten der
B^yV^^yjSP^^^^^^p ^ Menschenrassen beschäftigt. Allein der Kopf
^^ ^Ni^g^l^^^^^^ ^jjj jj^ Gesicht bieten vielleicht nicht be-
deutendere ethnographische Vergleichungs-
punkte dair, als wir sie bei den weiblichen
Geschlechtstheilen mit allem was dazu gehört
zu finden vermögen. Man hat über die Be-
sonderheiten im Bau der äusseren Sexualorgane nur bei einzelnen Volkerschaften
genauere K ach forsch ungen angestellt; denn es ist eben schwer, eine genügende
Zahl von Objecten zu bekommen und einer Betrachtung, oder gar einer genauen
Messung zu unterwerfen. Die anthropologische Bedeutung der Sache verdient es
aber, dass ich das Material, soweit es schon vorhanden ist, an dieser Stelle zu-
sammenbringe.
Fig. 103. Lingam aus Bengalen.
(Museum für Vülkerkunde in Berlin.)
(Nach Photographie.)
35. Das weibliche Becken in anthropologischer Beziehung.
Unter allen Theilen des gesammten Knochensystems hat nächst dem Schädel
ftlr die Anthropologie des Weibes der Bau, die Grösse und die Gestaltung des
Beckens die allerwichtigste Bedeutung. Dieser aus mehreren Knochen zusammen-
gesetzte Theil des knöchernen Gerüstes hat einerseits die Aufgabe, die über und
in seiner Höhle liegenden Unterleibsorgane zu stützen und zu tragen, andererseits
aber, und das ist hier von besonderer Wichtigkeit, sind es auch die weiblichen
Geschlechtsorgane, welche von ihm umschlossen werden und zu ihm in engster
Beziehung stehen. Diese enge Beziehung des Beckens zu den Genitalien tritt
besonders dann recht deutlich in den Vordergrund, wenn sich das Weib in dem
Zustande der Befruchtung befindet und wenn es gilt, dem neuen Organismus das
Leben zu geben. Aus diesem Grunde sind daher auch am weiblichen Becken
zahlreiche Besonderheiten wahrzunehmen, welche es von dem männlichen in hohem
Grade unterscheiden und es ge wisser maassen erst für den Mechanismus des Geburts-
vorganges geeignet machen. Es wurde dieses alles bereits bei der Zusammen-
stellung der anatomischen Unterschiede in dem männlichen und weiblichen Körper-
bau einer ausführlichen Besprechung unterzogen. In der Würdigung dieser
Thatsachen haben sich Anthropologen und Gynäkologen vielfach dem Studium
dieser Knochengruppe gewidmet. Man hat das menschliche Becken in seiner
Entwickelung von der ersten Bildung im Fötus an wissenschaftlich verfolgt; man
hat gefunden, wie seine Form durch alle das Wachsthum beeinflussenden Momente
liblicbe Becken in antbropologiäcber Beziehung.
161
^vrird, welche Wirkung dabei die Rumpf last, der Druck und Gegendruck
^ rscbenkelansatz, der Miiskelzug o. a. w, aiisilben; man hat es mit dem
der menschenähnlichen Aflen und mit anderen Thierbecken verglichen,
jnd schhessHch wurden auch die Unterschiede aufgesucht, welche sich bei den
rerschiedeuen Menschenrassen am Becken zeigen. Vorzugsweise fanden die Gynäko-
og^n und Geburtshelfer Gelegenheit, am Frauenbecken Studien zu machen, denn
ae waren genoihigt, nach verschiedenen Richtungen hin Maasse zu nehmen, und
iSrgebnisse dit^-ser Messungen konnten sie dünn unter einander vergleiclien. Auf
^Methode der Beckenmessung, namentlich wie sie am lebenden Korper vor-
lunen wird» kann ich hier nicht näher eingehen. Es mag aber daran
innert werden» dass für dieselbe zwei Grübehen von Wichtigkeit sind, welche
%ick oberhalb der Uinterbacken etwas seitlich Tom Kreuzbein finden. Dieselben
r\
>v.
K\ k
(Naoli Fhotographie.)
ia jbfiiUolb Uej Q«
rkiren sieh deutlich bei dem rückwärts gekehrt sitzenden Z u 1 u - Mädchen, da«
104 dargestellt ist» und auch bei dem von Koch und Rifdh veröffentlichten
Fig. 105 lassen sich dieselben gut erkennen.
l>en Alten waren diese Grübchen wohlbekannt, wie man aus ihren Kunst-
rerkrn ersieht; aber auch bei den Schriftstellern kommen sie vor, und hier
r erden sie nach Analogie der Grübchen im Gesicht Gelasinoi, d, h. Lach-
rrübcb annt.
J erzählt von einem Wettstreit der ThryoUis mit der schönen
Ifffrkme:
^Thnfdlli« liets daa Gewand ftülen^ ondf die Hüfte leicbt erhebend, flprach sie, anf die
iiaterbäcken weiBend; Sieh die F&rhe der Oautf o Myrthintj wie rein, wie bell, sieh den
pomtn Scbimmer an der Seite der Hüften, die sich in sanfter Linie, nicht sa fleischig und
PNii.Bmrt«1a. Dm Wetb. 6. Aufl. I, 11
Der G^TtSlkoIoge '
Strais^, dem ich dleae
''](:ite tjnt-
JiLU vi.»r Kur-
fi lifunf hinge-]
vvi*^^eu, da^ die
Grübchen di« seit^
Erkrn einer
bilden, deren obere
Spit/euuf dem Kreujt* [
hem, deren unUri*
Sjif/e am obftren
Ant Mjfre der die b«i*
den Hinterbacken
trennenden Furche
liejüft Diefte muten-
fi>rmi|t(e Figur wird
nach einem runderen
FrauenarzU» dii* jl/f-|
rAfif7/\'< l»t^ f?iinh* it.*.
nannt
Sintis- «i^fi däir*
uiier:
üK^u *'iii\i\^m\en Kflek«fi
einer n(h^*u gobnuttn I
FrAu, "W oma
im Kl 1 wtttdig'
fortldcnitcliii mit ilnulUdi nmrklrtitu QrUliclien oberb«>fb de»
Cl<9fli.na«i, (Nach AW>t und fiifi\.)
d«iii6ii uttiftrar Wink«! in deo Verbind angpunkt Jer boideti HuitiirbMken fUlH
otioa Ij^greuzt wird durch diu (irdbcbon uiit4)rbalb ddi laUlifi LmdettwirbtflfortAfttaeA.^
dS. Das weibliche Becken in ftntbropülogi scher Beziehung«
Waide^er'^ giebt für die Raute die folgende aoatomi&che Erklärung:
103
stumpfe Winkel der Kreuz raute wird oft durch ein Grübchen markirt,
' unterhalb de» Proceffsua ttpitiosu^ des fünften Lendenwirbels zeigt. Oberhalb
nor superior bleibt ein kleines orales Knochenfeld frei von Muskelflei&ck
lit jederaeit« ein Grübchen» welches die beiden Seitenwinkel der Kreux*
I iinil mäbesondere bei Frauen deutlich ist. Sonach niarkirt »ich die Kreuzraute
4ö Knochenpunkte: oben durch den Processus spinoaus de» fünften Lendenwirbels»
^untern durch den Zusaninien^tosä der Hinterbacken dem Ende des Kreuzbeins enü^prechend,
linkt« und rechts durch je ein Grübchen, welches mit der Spina iliaca posterior superior
eofretpondirt/
Unsere Fig, 106 lässt bei einem Künstlerraodell aus Budapest diese Raute
Ideutlich erkennen. Nach Strats muss sie als ein charakteristisches Merkmal de«
* ben Geschlechts auge^^ehen werden, und er bekämpft die Anschauung
Sy der sie auch den Männern zuspricht. Bei Brücke heisst es:
.Wenn man den Rücken einer aufrechtstehenden Ferdon oder einer Statue betrachtet, so
man die iwi^cbon den Schultern herabsteigende Hückgratalinie leicht nach abwärts ver-
/
Pftf. 100. Die Raute der KreuEb^ins^geml ^*v\ einf^r EnropileriB. (Nacb PbotographJO
i^lgCOf b» sie in der Kreosbeingegend angelangt undeutlich wird. Hier findet man an
1>cidfjn beiden Ton d«rialben in einiger Entfernung Gruben, welche in senkrechter Richtung
{^toi! gröftiere Ausdohnong haben, als in horizontjiler; sie sind mehr oder weniger länglich von
:jl>«'n Lach unten ersUeckt. Die Hervorwblbungen, welche «wischen ihnen und der Rückgrat*-
^^ hegen» rühren ?on der untersten Partie der liOckenmuskeln her. welche sich an da«
■zb«in befestigt, orentuell auob von aufgelagertem Fett, Von diesen (trüben verläuft
nach unt^m und innen joderseits eine Linie gegen den Spalt si wischen den beiden
trhau>ken, wo beide am Beginn derselben einander treffen. Diese Linien Bind entweder
er ganzen Au»dehnnng erkennbar» oder sie sind doch soweit angedeutet, daös man «ie
■icbl ergingen kann. Wa» nach oben und innen von ihnen liegt, gehört den RUckenmuskeln
ii]]4 den mit demselben verbundenen Sehnen und deren AnsHtzen» was nach abwUrta und
eil aiüf«! von ihnen liegt, den (f eeJlssmuakeln. Durch diese Linien wird ein Dreieck gebildet,
da« mch oben gegen d^n KQcken durch veränderte Neigung mehr oder weniger deutlich ab-
ipmmitt Ut, und das Kreur.beindreieck, 8acraUlreieck, genannt wird. Dainselbe kann
T«T»elu*tleii geitttltet sein, je nach der Reckenneigung, je nach der Form de« Kreujcbein« und
der »««toai^mden Darmbeine und je nach der Fettablagerung. Ee kann eine conrese Fl&che
danrt/all^p, <ai kann tluch sein, es kann selbst noch wieder eine mittlere oder Kwci «eitlicbe
Dtfproanoiieii «eigen, aber immer mu&i es erkenntlich und vom Künstler in eeinen Einitetheiten
mit V«fsttiidnta8 durchgeführt ^ein, wenn m sich um die Rückeuansicht eines jugendlichen
wohlcrhaltftnen Kr*riJpiy hivndelt. tplt^ichviel. ob <>s ein männlicher oder ein weiblicher i«t **
11*
V. Die äusseren Sezualorgane des Weibes in ethnogpraphischer Hinsicht.
und in beiden Fällen resultirt hieraus ein gesundes, normales und geräumiges
^^^^^?^en. Ausnahmsweise findet sich aber die Baute auch einmal bei einem Manne.
^^^~^ ^3li ändert dieses an der Thatsache nichts, dass wir die Baute als ein Charak-
•^^ ^«t>icum des weiblichen Geschlechts ansprechen müssen, ebensowenig wie die
^®^^*1 ^0 aufhören ein weibliches Merkmal zu sein, obgleich hin und wieder auch
B^ yxiünnliches Wesen deutlich gerundete Brüste besitzen kann.
«i^^^ Auch schon ohne den genaueren Vergleich durch Bandmaass und Zirkel.
^^xi »Hein durch das Augenmaass war man im Stande, grosse Unterschiede zwischen
ö^*^ . ]:«Vauenbecken verschiedener Bässen wahrzunehmen; und einer der Ersten,
d^^*^ jjer auf solche Diiferenzen aufmerksam machte und Messungen vornahm, war
^^" T^ egt _ ,
^^'^ noch allzu geringen Materials machte dann M. J, Weber in Bonn den
^ff T^^^^v-m//. Eine bahnbrechende Arbeit verdanken wir Vrolik^ welcher die Becken
>^^ ;P^egern, Javanesen, vom Buschmann u. s. w. verlieh. Auf Grund
^^^^ öuch, die Beckenformen schon mit Bücksicht auf die Basse zu gruppiren; sie
^^T-^^jj^ wie er meinte, den Schadelformen entsprechen, so dass die ovale Form
*^ .-^eiitli^^^ den liaukasiern. die vierseitige den Mongolen, die runde den
^**'' orikanern, die keilförmige den Negern zukäme. Seit jener Zeit ist auf
\^^ ^,jj Gebiete zwar viel, doch keineswegs, wie Ploss^^ an anderer Stelle dar-
***^l ^,1 hat, Hinreichendes gearbeitet worden, so dass wir schon im Stande wären,
^X - da** Bassenbecken eine systematische Eintheilung aufstellen zu können. Dort
* jg j^ezeigt, dass für die Messungen des Beckens ein einheitliches und gemein-
^^^' .j^ Verfahren fehlt. Dies ist eine Behauptung, welche gleichzeitig Balandin
^^^^^^t, [Petersburg aussprach, ohne auch nur auf die Frage über das Bassen-
V^ »ken einzugehen, indem er lediglich die bisherigen Messungen des Europäer-
\t ckens (juantitativ und qualitativ für ungenügend erklärte, um aus ihnen die
Kifensoliaften des normalen Beckens festzustellen. Insbesondere scheint es auch
»\ir fraglich, ob man berechtigt ist, die Maassverhältnisse der Beckenhöhle,
^* iiiontlich des Beckeneinganges i^d. h. der Querdurchmesser in seiner Proportion
!* dem auf 100 berechneten geniden Durchmesser als ^Index" bezeichnet), als
Trundlage einer systematischen Eintheilung aufzufassen. Schon Zaaijer stellte
demueniiiss die „runde" und die , länglichovale Form* des Eingangs als typisch
uf und r. Martin gruppirte: 1. Becken mit rundem Eingange, bei denen die
roni"Uttt»i (der Abstand der Schambeinsymphyse von dem Promontorium des
Kreuzbeines) fast ebenso gross ist, als der Querdurchmesser, und höchstens
im *' kleiner als dieser ist (Ureinwohner Amerikas, Australiens und der
Inseln^des indischen und grossen Oceans); 2. Becken mit querovalem Ein-
gänge, bei welchen die Tonjugata mehr als ^m ihrer lünge kleiner ist als der
uuere' Durchmesser (Bewohnerinnen Afrikas und Europas). In diesen Propor-
tionen dies wird allgemein anerkannt, liegen aber nicht allein die besonderen
Merkn'iale des Kassen-Typus. Es sind vielmehr gewiss auch die einzelnen Theile
des Beckens als Bassen-Merkmale charakteristisch, unter anderen die Darmbein-
schaufeln, deren Breite, Stellung und Dicke bei gewissen Bässen mehr oder
weniger an das Thierbecken erinnert, z. B. das keilförmig verlängerte Becken des
Negers, wie VroUh, Primcr, Carl Vogt u. A. hervorgehoben haben. Andere,
wie r/r Quatrcfayes, finden in solchen Bildungen nur ein Stehenbleiben auf frühen
Altersstuten. ,, ,j4ij.jj..
Wie hier die Breite des grossen Beckens (d. h. der Abstand der äusseren
Ränder der Darmbeinschaufeln von einander), so wird von Anderen die Configura-
tion des Kreuz])eines (Os sacruni) als charakteristisch geschildert: ^hch Bacarisse
erreicht die Breite an der Basis des Kreuzbeins ihr Maximum bei der weissen
Rasse besonders bei den Europäern, dann folgen die gelben Bässen und endlich
die schwarzen. Hinsichtlich der Höhe des Kreuzbeins besteht grosse Mannigfaltig-
keit: die afrikanischen Neger erreichen die grösste Höhe unter den Kreuz-
beinen mit 6 Wirbeln, die Europäer unter solchen mit 5 Wirbehi. Die Krüm-
35. Das weibliche Becken in aDtbropologiecber Beziehung.
1G7
BUDg des Kreuzbeins ist hei den weissen Rassen am stärksten, besonders be
^uropHern, dann folgen die gelben Rassen, und die flachsten Kreuzbeine haben
lie schwarzen.
Besondere Unterschiede zeigen sich unter den Rassen ganz zweifellos auch
der Neigung des Beckens, d* h. in der üaltung und Stellung desselben zur
lumpfaxe. Schon JSroca machte darauf aufmerksam und gab ein besonderes
Jnt^rsucbungsinstrument für diese Verhältnisse an. Auch Hennig ging den
en - Differenzen nach dieser Richtung hin nach. Jedoch Prochoumik, der
Ifalls einen Messapparat angab, kam nach seinen Erörterungen zu dem Schluss,
man sich ror lautig wegen der grossen individuellen Schwankungen von der
Bestimmung der Beckenneigung nicht viel für die Unterscheidung der Rassentypen
"jrersprecben darf.
Allein ich breche hiermit die Besprechung des Kassenbeckens ab, indem
ich lediglich auf die austtihrlichen Arbeiten von Vrolik^ Zaaijer^ Fruner-Bey,
.^S^
^fejtSg^N
^-
(Ifiiwam fUr Völle er kuud^ in Berlin.)
Flg. llo AU-PerOftniecUe V&ie
tlluseuiD fUr Völkerkunde In BerUti,)
Weisbach^ Carl 3Iartin, 0, i\ Franque^ Vtrneau^ Wernich^ IL Fritsch, (r.
flsch^ Ä. FUatoff, A, V. Schrenck, Hnmig u. A. verweise. Denn die Frage
daa Rassenbecken im Allgemeinen geht beide Geschlechter an; unsere Auf-
ist es vielmehr, dieselbe nur insoweit ins Auge zu fassen, als sie insbesondere
reib liehe Geschlecht betrifft.
Erwähnen will ich aber noch, daas die deutsche anthropologische Gesell*
ft, im Wesentlichen durch eine Abhandlung von Ploss^'^ angeregt, im Jahre 1884
se besondere Commission erwählt hat, welche die zweck massigste und frucht-
adjite Art, das Rassenbeeken zu siudiren^ berathen und ausarbeiten soll.
Arbeiten harren nach ihrer Vollendung.
Aach bei Völkern» die auf gleichem H*»den wohnen» zeigen die Becken er-
labltche Differenzen, So fand Schröter^ dass das Hecken der Ehstin und der
deutschen ein stärker entwickeltes ist, als das der Polin und der Jüdin, und
das Becken der letzteren überhaupt das in allen Rassen kleinste ist* Unter den
168 ^' ^^^ fi^u^eren Seicualorgane des Weibes in etbnographi scher Hinsicht«
von Schröter unterauehten Becken fand sich die stlirkste Neigung bei den
Deutschen, eine geringere bei den polnischen Frauen, eine noch geringere
bei den Jüdinnen, und die allergeringste bei den Ehstinnen. Uebrigens ist
die Beckenneignng bei ein und demselben Individuum keine constante Grösse,
denn die Haltung und Stellung desselben ruft wesentüche Veränderungen in dem
Verhältnisse des Winkels hervor, welchen die Beckenaxe und die sogenannte Ebene
des Beckens zur K<>ri)enixe bildet Bis jetzt ist aber der Nachweis noch nicht
geliefert worden, dass die verschiedenen Arten der Kikperstellung wahrend des
Gebäractes, welche bei den verscliiedenen Völkern gebräuchlich sind, ihre Er-
klärung durch die der betreffenden Hasse eigenthilmliche Beckenneigung finden.
Nach Mondiire scheiden sich die Wei her C o e h i n c h i n a s in A n n a nü t i n n e n ,
Cambodjianerinnen, Cbinesinnen und Minh-huong, d. h, Mi.schlinge von
Chinesen und Annami ten. Von diesen hat die Chinesin das grosste Becken
in allen Dimensionen: „du reste, chez eile, tout se qui
se rapporte aus organes de la generation serable avoir
pris des proportions exagereea**. Die Cambodjianerin
hat das längste und schmälste Becken.
Ohne allen Zweifel haben die Lebensweise, sowie
die Sitten und Gebräuche eines Volkes einen gewissen
Einfluss auf die herrschende Beckenform. Vor allem ist
die Ernährung des Skeletts überhaupt und namentlich die
Zufabr von knochenbildendem Material sehr wichtig. In
dieser Hinsicht erinnere ich daran, dasa G. Fritsch bei
Hottentotten und Buschmannsfrauen die Becken
sowie den ganzen Körper verkümmert fand. Die Becken
der Stidafrikaner zeigten weder recht die typischen
männlichen, noch die weiblichen Formen, sondern es war
ein Gemisch der verschiedenen Charaktere vorhanden,
welches durchschnittlich dem männlichen Typus näher liegt.
Diese Thatsache verdankt ihre Entstehung zum Theil den
I
ungünstigen Lebensbedingungen, unter welchen das Skelett ■
nicht den Grad der Vollkommenheit erreicht, als unter
Fig. Itl. Jjipam^riii, eiu
Kiiiil auf flem Riicken irageuii].
dem Einflüsse der Civilisation, Ausserdem will man ge-
funden haben, da^ss die Beckenmaasse von Negerinnen,
die in Amerika geboren waren, durchschnittlich sich dem
europäischen Becken mehr nähern; neben den Ver*
besserungen der allgemeinen Verhältnisse war auch eine
Verbesserung des Knochenger[istes einhergegangen.
Auch eine bestimmte langandaueriide Körperhaltung und eine besonders
grosse oder besonders geringe Arbeitsleistung wird auf die Gestaltung des Beckens
sicherlich nicht ohne Einfluss sein. So sucht Berlheraml, welcher die Becken der
Araberinnen in Algerien sehr weit geöffnet fand, die Ursache in drei Be-
dingungen: erstens im Tragen der Kinder auf dem ßticken während der ganzen
Säugungsperiode, zweitens im Reiten zu Pferd schon in früher Jugend, und
drittens im Sitzen mit untergeschlagenen Beinen nach Art der Schneider in unseren
Landen,
Epp hat bei den Chinesinnen öfters hohe und schmale Becken gefunden
und er glaubt, dass sie dieses mit Wahrscheinlichkeit nur der sitzenden Lebens-
weise zu verdanken haben. Er befindet sich hierin im VViderspnich mit Monditre^
wie wir soeben gesehen haben. Das Alles müsste freilich noch näher untersucht
werden, wie auch die etwaige Wirkung der Art, wie bei manchen Völkern das
kleine Kind eingeschnürt und getragen wird, wie es kriecht, bevor es auf diel
Beine kommt u. 9. w. Gegen die Ansicht, dass der Rassen tjpus der Becken-
gestalt durch die Rumpflast, durch den Muskelzug und durch den seitlichen]
35* Dai woiblicb© Becken in anthropologischer Beziehang,
169
idruck der Femora modificirfc werde, irat unter Anderen Schli^phuke aui'; er
meint« dass die Form des sfmteren Beckens im Ganzen schon in der Uraultige
'^"--'Iben gegeben sei und dass durch die Runipflast u. 8, w. nur noch einxelne
rmungen geringeren Grades hervorgerufen werden könnten.
Bei vielen Volks^sütämmeu Afrikas pflegen die Weiber die kleinen Kinder
ttlings auf den Hinterbacken zu tragen, wie wir dieses bei dein Dahome-Weibe
Fig. 107 eeheiL Begreiti icherweise wird hierbei das Gesiiss weiter nach hinten
braasgeatreckt Hieraus resultirt eine bemerkbare Einbiegung des Lendentheilee
Wirbelsäule, eine sogenannte* Lordose, und das Becken wird in höherem Grade
X
r.
n.
n-
lum Anui^ tr«g«nd. (ÜAch Photot^ruphle.)
kin KiSfl aiu
gewöhnlich geneigt. Es ist aber der gesamnite Lendentheil des Rückgrates,
?oQ dieser Verbiegung betrolTen wird, und nicht nur eine Verschiebung in
dem Lenden- Kreuzbeini^elenke, wie Letztere von Henniff, Lnmbl \u A. an der so-
genannten Hotteütotten-VVnus von Paris gefunden wurde. Daher hi auch
B^^iget' Fvraud im Irrthum, wenn er das Vorspringen der Hinterbacken bei den
rn Senegiimbiens von der schiefen Anschlies^ung des Beckens an die letzten
i^irbel herleitet Allerdings ist nun die gesammte Beschaffenheit des ganzen
5^ tU in der Beckengegend durch diese Gewohnheit, das Kind zu tragen,
pni erst erworben und dann mit der Zeit nach und nach habituell geworden.
170
V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass dieses Tragen der Kinder auf dem
Rücken nicht eine ausschliesslich afrikanische Sitte ist. Wir finden diese
Gewohnheit auch bei manchen anderen Völkern, ohne dass wir bei denselben von
einer Einbiegung der Wirbelsäule etwas hören. Die Figuren 109 und 110 zeigen
zwei alte peruanische Vasen des Museums für Völkerkunde in Berlin, in
deren Bemalung wir dieses Reiten der Kinder auf dem Qesäss der Mutter sehr
deutlich zu erkennen vermögen. Fig. 111 führt uns die gleiche Sitte bei den
Japanerinnen vor. Eine weitere Frage ist aber, ob diese Einbiegung der
Lendenwirbel irgendwie den Geburtsverlauf beeinträchtigt. Allerdings sollen viele
Negerinnen bei der Niederkunft eine Stellung einnehmen, in welcher die Lenden-
krümmung über dem Promontorium sich wesentlich ausgleicht, so dass die Kindes-
theile bei der veränderten Beckenneigung leicht nach aussen gleiten und kein
Hinderniss finden.
Bei vielen Neger- Völkern kommt aber auch noch eins in Betracht, was sehr
wohl noch neben der Art und Weise, die Kinder zu tragen, auf die Einbiegung
des Kreuzes und die Herausbiegung des Gesässes einen ursächlichen Einfluss haben
muss; das ist der bei ihnen herrschende Gebrauch, dass die Weiber im Knieen
das Getreide auf steinernen HandmQhlen
zerreiben. Fig. 112 zeigt das bei einem
Weibe aus der Colonia Eritrea. Der
Körper wird durch die Kniee gestützt,
die ganze Kraft wird in die vorge-
streckten Hände verlegt, und nun muss
durch die Reibebewegung das Gesäss
bald mehr bald weniger in die Höhe
gerichtet werden. Das ist natürlich nur
auszufuhren, wenn das Kreuz gewaltsam
eingebogen wird. Diese Einwirkung
muss eine um so intensivere sein, wenn
die Frauen bei dieser Arbeit auch noch
ihr Kind auf dem Rücken haben, wie
die Kaffer-Frau in Fig. 113.
Der oft ausgesprochenen Behauptung
gegenüber, dass die Geburten bei einem
Volke oder bei einer Rasse wegen des
specifischen Beckenbaues vorzugs-
weise leicht oder schwer vor sich gehen, müssen wir eine gewisse Zurück-
haltung bewahren; wir glauben im Gegentheil, dass solche Hypothesen vorläufig
unerwiesen sind, so lange es Aerzten und Geburtshelfern nicht möglich gewesen
sein wird, eine weit grössere Anzahl von Geburtsfallen bei den verschiedensten
Rassen und Volksstämmen zu beobachten und deren Becken ganz genau in recht
zahlreichen Exemplaren mit einander zu vergleichen. Es soll an einer anderen
Stelle, wo von der gesundheitsgemässen Geburt und ihren Bedingungen zu sprechen
ist, auf diesen Gegenstand ausfuhrlicher eingegangen werden.
Ohne Zweifel sind nicht nur sämmtliche Verhältnisse des Beckenbauee,
sondern auch mannigfache Eigen thümlichkeiten des gesammten weiblichen Orga-
nismus, und nicht minder die Grössen Verhältnisse von dem Kopfe und der Schulter-
breite des ausgetragenen Kindes maassgebend für den mehr oder weniger günstigen
Verlauf der Geburt bei den verschiedenen Völkerschaften, und bei dem ver-
gleichenden Studium der Maasse des weiblichen Beckens bei den verschiedenen Rassen
wird man, wenn man wirklich ein Bild von den realen Verhältnissen gewinnen
will, niemals versäumen dürfen, das Maass der Schulterbreite und dasjenige der
gesammten Körpergrösse mit in Vergleich zu stellen.
Von den Form Verhältnissen des knöchernen Beckens wird natürlicher Weise
Fig. 113.
Ama-Xosa-Kafferfraa bei der Arbeit.
(Nach Fritsch. Aus Ploss^^.)
95. Da« weiblichd Becken in antbTDpolojfiscber Besiehiing.
171
mm nicht geriDgen Tbeüe die Configuration von dem unteren Körperende der
Trau, tiatiientltch diejenige der Gesässpartie und der Schenkel, sich in Abhängig-
leit hefindeu. Das ist ja auch der Grund, dass Messungen am Lebenden an
liesen Theilen einen RiickscUuss auf die geringere oder beträchtlichere Grösse des
Knöchernen Beckens ermöglichen — ein Unistand, welchen die moderne Geburt»-
aülfe schon seit langer Zeit tür ihre Zwecke auszunutzen gelernt bat* So kann
kommen, das» bei bestimmter Stellung der Darmbeine von Natur breite Becken
iennoch für das Auge einen schmalen Eindruck machen, weil die Darmbeinkämme
licht in gewohnter Weise lateralwärts ausladen, sondern sich relativ genähert
fftind durch ein gesteigertes Steilstehen der Darmbeine. Ein Beispiel hierfür liefern
|die \V't*iber der Loango-Küste^ von denen Falkenstem^ sagt:
«.AutTallenii ist im Allgemeinen die geringe Beokenbreite der Frauen, so dass man beide
Güelilechter von hinten kaum unterscheiden würde; doch kommen auch AuBuahmen yor>*
Paulitschhe erklärt ein ^sehiefstehendes*' Becken als typisch bei den Somali-
ond Galla- Frauen. Aehnlich äussert sich auch Wolff^ über die Negerinnen
im Co ugo 'Gebiete:
„Die breiten Reckenknochen stehen, wie bekannt, bei allen Negern steiler, als bei una,
dm« giuise Becken Ut um »eine horisontale Axe gedreht, ao dasa dus untere Ende mehr nach
Dien it«ht als bei una, es treten daher die tilutilen, die die Hinterbacken bilden, sehr stark
ror, wiüirend die Haften auch bei d«ii \Vt*i]>orti nchmal eind.*'
Fig. lU. Japän*::rinneu in d^n Ilet.srtlileiii &rbeitMi«l. iNi^ch Pbulognit>lilü'>
Von den Wol offen- Frauen sagt de liochehntne:
«ToQt6 Itt region du bawin est m^diocrement developp^e; Vabdomen gt*n<:nüi:)ment
a premi^re moitiii^ «op^rieure tombe preeque en ligne droite inferieureinent, et
la courbe K'gerement onduleuse de VEuropeenne*
Daaa auch bei ganz nahe zusammen wohnenden Volkerschaften auffallende
Joterschiede in der Beckenbreite bei den Weibern statthaben können, das beweisen
inigi* Angaben von Itiedd^, Nach ihm ist bei den Babar-Insulanerinnen
im Becken breit, während die Weiber der Seranglao- und Gorong-lnseln
nur ehw geringe Beckenbreite besitzen.
Andererseits kann bei Frauen, welche im Ganzen einen grazilen und
^^KrnHi Irrigen Eindruck machen, doch das Hintertheil relativ grosse Dimensionen
I : So hatte Wemich^ welcher längere Zeit eine gynäkologische Abtheilung
leado leitete, gefunden, dass das Becken der Japanerinnen breit und sehr
110 V. Dio äii-sereii Sexualorpano ^
Wir dürfen aber iiic}i
Kiickon nicht eine ausMchl
Gewoliiilieit auch bei manc
einer Kinbiogiin<r der Wir)
5^wei alt«^ ]) er na ni sc he
deren Keniahni<r wir die^
deutlich zu erkennen ve'
'Japanerinnen vor. ]
Lendenwirbel irgendwi.
^'egerinnen bei der
krüiuniung über dem
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Hinderniss linden.
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wohl noch neben r"
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Fif?. 11.1
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172 ^- ^^6 äusseren Sexaalorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
geräumig sei, und dass die Schambeine in der Symphyse in einem sehr grossen^
stumpfen Winkel zusammentreten. Man sieht diese Breite der Hüftpartie sehr
gut auf ^iner Photographie, welche Japanerinnen bei der Arbeit in den Reis-
feldern darstellt (Fig. 114). Allerdings erscheint hier die Beckengegend auch
noch dadurch etwas breiter, dass sich die Frauen in gebückter Stellung befinden.
Denn in dieser Körperhaltung verbreitert sich die Gesässgegend wirklich und sieht
daher bei allen Frauen breiter aus, als wenn sich ihr Korper in der aufrechten
Stellung befindet. Aber nach Baeh gilt bei den Japanerinnen ein breites
Gesäss für sehr hässlich; je kleiner dieser Körpertheil bei einer Frau ist, für desto
schöner wird das gehalten.
Bei den Khniers in Cambodja {s^ni Maurel: „Les fesses tres developpees,
pubis peu saillant."
Nach de Lanessan haben bei den Agni oder Pai-Pi-Bri in Dahome:
„Les femmes les fesses saillantes et meme douees d'une certaine steatopygie qui
n'est pas sans ajouter une grace ä leur tournure.^*
36. Die Gesässgegend des Weibes in anthropologischer Beziehung
und der Wuchs.
Aber auch noch ein anderer Factor ist fiir die Form der weiblichen Hüften
von ganz besonders maassgebender Bedeutung; das ist die grössere oder geringere
Fülle des Unterbautfettgewebes an diesen Theilen. In Bezug auf die Menge
dieses Fettpolsters bestehen, wenigstens bei den Weibern unseres Stammes, sehr
erhebliche individuelle Verschiedenheiten. Aber noch grösser erscheinen diese
Differenzen , wenn man die photographischen Aufnahmen fremder Völker mit
einander vergleicht. Und zieht man dabei in Betracht, was die Reisenden über
andere Rassen berichten, so kann kaum noch ein Zweifel bestehen, dass in der
angegebenen Beziehung wirkliche Rassen unterschiede existiren.
Verhältnisse jedoch, wie wir sie bei den Europäerinnen als die gewöhn-
lichsten finden, scheinen überhaupt als die am weitesten verbreiteten auf der Erde
betrachtet werden zu müssen. Sie bilden das' Mittel zwischen den beiden Extremen,
welche durch einen überraschenden Mangel an Unterhautfett einerseits und durch
ungeheueren Ueberfluss desselben andererseits gebildet werden. Für Beides werde
ich Beispiele anflihren.
Sehr wesentlich wird durch dieses Fettpolster der Gesässgegend auch das-
jenige beeinflusst, was man gewöhnlich mit einem Worte als den Wuchs des
Weibes zu bezeichnen pflegt. Allerdings kommen für die Art des Wuchses auch
noch ein paar andere Dinge in Betracht. Da ist vor Allem die Körperhöhe, die
Breite oder die Schmalheit der Schultergegend, die grössere oder geringere Rundung
der Arme, der Schenkel und der Waden zu nennen, welche alle mit einander die
allgemeine äussere Erscheinung des Weibes bedingen, die man als ihren Wuchs
zu bezeichnen pflegt.
Wir sprechen vielfach von dem Wüchse unserer Damen, die wir doch nur
in Kleidern sehen. Bietet sich ab und zu die Gelegenheit, diese Verhüllungeu
sinken zu lassen, so muss der Arzt nicht selten erkennen, wie unrichtig das Bild
gewesen ist, welches er sich von den betreffenden Körperformen gebildet hatte.
Um so auffallender kann eine solche Missdeutung sein, wenn man die betreffende
Person bisher nur sitzend hatte sehen können. Hier kommt es gar nicht selten
vor, dass man eine kleine Statur vermuthet hat, wo der kurze Oberkörper zu
der grossen Länge der Beine in einem auffallenden Missverhältniss steht. Das
zeigt uns die Gruppe der Moru-Weiber aus den oberen Nil-Landern, welche
in Fig. 108 dargestellt wurde. Man beachte namentlich bei der ganz im Profile
sitzenden Frau das ungeheuere Missverhältniss zwischen dem kurzen Oberkörper
174 ^' ^^6 äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
und den ausserordentlich langen Beinen. In anderen Fällen tauscht wieder ein
grosser Kopf und ein breiter hoher Rumpf eine stattliche Körpergrösse vor,
während in Folge der Kürze der Beine kaum eine Mittelgrösse erreicht wird.
Das soeben Gesagte ist eine Thatsache, die wohl Jedermann bereits mehr-
fach beobachtet hat. Es lässt sich ein wichtiger Schlass daraus ziehen: Die
Längenmaasse des Rumpfes und der Beine stehen nicht in einem bestimmten
Abhängigkeitsverhältniss unter einander, das ftir alle Weiber unserer Rasse typisch
wäre. Wahrscheinlich spielt hierbei die Vererbung individueller Eigenschaften
der Vorfahren eine nicht ganz unbedeutende Rolle.
Aber noch mehr fällt diese scheinbare Regellosigkeit in die Augen, wenn
wir auch die anderen Factoren mustern, welche den Wuchs des Weibes bedingen.
Die Bezeichnungen, welche im Allgemeinen für die Unterschiede des Wuchses
gebräuchlich sind, können nicht gerade als sehr erschöpfend gelten. Man spricht
von einem grossen oder hohen, einem mittleren und kleinen, von einem üppigen,
plumpen, feinen und grazilen, von einem schlanken und einem untersetzten Wüchse,
und eine Entscheidung, ob die betrefifende Person in Bezug auf ihren Wuchs der
einen oder der anderen Kategorie hinzuzuzählen sei, trifiFt man gemeinhin schnell
nach der allgemeinen Erscheinung, wie das Weib in den Kleidern sie darbietet.
Die Bekleidung liefert jedoch, wie gesagt, nur ein höchst trügerisches Bild, abge-
sehen auch von beabsichtigten Künsten der Körpermodellirung. Nur der Körper
ohne Verhüllung kann eine sichere Entscheidung gestatten. Gar nicht selten wird
ein massig entwickelter oder graziler Oberkörper von üppigen Hüften und von
starken, voll entwickelten Beinen getragen ; in anderen Fällen wieder sind die Beine
und Hüften grazil, aber ein voller, breiter Brustkorb schliesst sich diesen Theilen
an. Mancher hohe und plumpe Wuchs verbindet sich mit einem schmalen Gesäss,
und manche zierliche, schlanke Dame ladet im Mittelkörper erheblich aus.
Das macht Alles nun den Eindruck einer völligen Regellosigkeit; aber
Nichts giebt es in der Natur, was als regellos bezeichnet werden dürfte. Er-
scheint es uns als regellos, so liegt hierin nur das Eingeständniss, dass wir aus
Mangel an geeigneten Beobachtungen die Regel nur noch nicht zu ergründen
vermochten. Und das sollte daher gerade zu erneuten Forschungen die Veran-
lassung geben.
In den Figuren 115, 110 und 119 habe ich nach photographischen Aufnahmen
eine Reihe von Vertreterinnen verschiedener Völker in der Weise zusanmiengestellt,
dass man die Einzelheiten ihres Wuchses in möglichster Vollständigkeit zu über-
sehen vermag. Es ist darauf Rücksicht genommen, dass nicht nur die Betrach-
tung von vorn, sondern auch von der Seite und von hinten, wenn auch nicht bei
den gleichen Individuen, möglich ist. Ein Fehler aber haftet diesen Bildern an;
die Weiber erscheinen alle in gleicher Grösse, was sicherlich dem wahren Ver-
halten nicht entspricht. Da den Originalaufnahmen ein Maassstab aber nicht
beigefügt war, so liess es sich natürlicher Weise nicht ermöglichen, die Grössen-
verhältnisse entsprechend dem wirklichen Verhalten zur Darstellung zu bringen.
Die in ihren Körperproportionen unseren Geschmack am meisten befriedigen-
den Gestalten sind naturgemäss die Europäerinnen (Fig.115 No.5.8. Fig. 116 No.2.8.
Fig. 119 No. 5). Ihnen schliessen sich die Javaninnen (Fig. 116 No. 3. Fig. 119 No. 2. 3)
und die Dayakin aus Borneo an (Fig.115 No.3), sowie die Mikronesierin von
der Carolinen-Insel Ponape (Fig. 116 No. 1). Die Samoanerin (Fig. 115 No. 7)
und die Buschmanns-Frau (Fig. 119 No.7), das Zulu- Weib (Fig. 119 No.6) und
die Melanesierin von der Wasan-Insel aus der Anachoreten-Gruppe
(Fig. 119No. 1) erscheinen uns auch noch proportionirt gebaut, doch neigen sie
schon etwas zu überreichlicher Fülle hin. Noch mehr fallt das in die Augen bei
der Hottentotten-Frau (Fig. 116 No. 9); allerdings scheint sich dieselbe in ge-
segneten Umständen zu befinden. Auffallend ist hier auch das starke Gesass, von
dem ich im nächsten Abschnitt noch einmal sprechen werde.
176
V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
Das Mädchen von der Gazellen-Halbinsel in Neu-Britannien
(Fig. 119 No.8) zeigt einen gut gebauten Oberkörper, aber die Beine erscheinen flir
unser Empfinden übermässig lang und ziemlich mager. Aehnlich ist es mit den
beiden Abyssinierinnen aus der Colonia Eritrea (Fig.116 No.4. 5). Eine för
unser Auge fast verletzende Magerkeit findet sich bei der Australierin aus
Nord -Queensland (Fig. 115 No. 2), sowie bei verschiedenen afrikanischen
Stämmen. Man sehe die spärlichen, dünnen Glieder des Makraka- Mädchens
(Fig.115 No.l) und des Madi-Weibes (Fig. 115 No.4), des Bari-Mädchens
(Fig.116 No.7) und der Konde- Frauen (Fig.116 No.6. Fig. 119 No.4). Die eine
der Letzteren (Fig. 116 No.6) aber zeigt trotz der grossen Magerkeit der Beine
dennoch ein wohlgerundetes Gesäss ; sie schliesst sich also in dieser Beziehung an
die südafrikanischen Volker an, bei welchen die Gesässpartie erhebliche
Entwickelung zu erlangen pflegt. Die magere und dürftige Ausbildung der Beine
sehen wir auch bei dem Mondu-Weibe (Fig.115 No.6), bei welchem die beträcht-
liche Schulterbreite im Vergleich zu dem viel geringeren Querdurchmesser der
Hüften einen fast männlichen Habitus entstehen lässt.
Fig. 117. Ausgewachsene Europäerin
(Oesterreicherin'O. (Nach Photographie.)
Fig. 118. lej&hriges Asohaiiti-
Mädchen. (Nach Photographie.)
Bei den Papuas fand Müller auf der ^^ot;ara-Reise die Hintertheile der
Weiber stark entwickelt. Aehnlich es berichtet Riedel^ von den Weibern der
Insel Buru. Als Entstehungsursache für deren grosse und stark entwickelte
Hinterbacken mochte er das anstrengende Bergsteigen dieser Weiber verantwortlich
machen. Bei den Itälmenen in Kamtschatka haben die «Frauenzimmer, nach
Steiler^ ein rundes, kleines, fleischigtes Oesäss**.
Eine für ihr jugendliches Alter sehr kräftige Entwickelung der Hinterbacken
und der Korperformen im Allgemeinen bot auch ein 16 Jahre altes Aschanti-
Mädchen dar, welches mit mehreren ihrer Landsleute vor einigen Jahren in Berlin
gezeigt wurde (Fig. 1 18). Dieses ist besonders in die Augen springend, wenn man
damit die Formen einer jungen, immerhin nicht gerade mageren Europäerin
178
V. Die &u88eren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
vergleicht (Fig 117), welche bereits YoUkommen ausgewachsen und körperlich gut
ausgebildet ist.
De Rochebrune hat von Woloffen-Weibern 150 Individuen gemessen, und
er fand den Umfang der Hinterbacken, wenn auch nicht so bedeutend wie beim
Buschmann -Weib, so doch grösser als bei den Europäerinnen. Er hat
folgende Zahlen bei der Messung von einem Trochanter zum anderen über den
höchsten Punkt der Hinterbacken hinweg gefunden:
bei der Buschmann-Frau: 0,791 m,
bei der Woloff-Frau: 0,678 m,
bei den Europäerinnen: 0,644 m.
Gustav Nachtigal fand bei den Tibbu- Frauen gefallige Gestalten und ein
wohlgeformtes Becken. Von den Bornu -Weibern aber sagt er, dass durch eine
starke Beckenneigung im Verein mit einer reichlichen Fettablagerung bei ihnen
ein widerlich vorspringendes Gesäss entsteht.
37. Die Steatopygie oder der Fettsteiss.
Ein Uebermaass in der Entwickelung des Fettpolsters an den Hinterbacken
hat man mit dem Namen des Fettsteisses oder der Steatopygie belegt. Diese
Besonderheit ist ausschliesslich als eine EigenthQmlichkeit gewisser Volksstamme
in Afrika beobachtet worden, und die so-
eben erwähnten Weiber aus Bornu, die
Wol offen -Frauen und das Konde-Weib
(Fig. 116 No. 6) bilden schon hierzu den Ueber-
gang. Namentlich hat man die Steatopygie
bei den Buschmann-, den Koranna-
und Hottentotten -Frauen gesehen; sie
tritt angeblich bereits in der allerersten
Jugendzeit auf. Elanchard berichtet nach
Le Vaillanty „que l'hypertrophie fessiere
apparaissait des la premiere enfance, ac-
centuant ainsi la difif^rence entre la fille et
le gar^on."
Auch von anderer Seite wird dieses
behauptet. Jedoch zeigten bei den kürz-
lich in Berlin ausgestellten sogenannten
i^arrnfschen Erdmenschen, d. h. Busch-
männern aus der Kalahari-Wüste, auch
die Männer eine ungewöhnliche Fülle der
Hinterbacken. Allerdings stand das sie
begleitende ungefähr 8 Jahre alte Mädchen
in dieser Beziehung den Männern kaum
nach (Fig. 120]^ In diesem Alter mindestens
sind die Anfange der Steatopygie schon mit
grosser Deutlichkeit ausgeprägt. Angeblich
soll bei Mischlingen die Steatopygie nicht
zur Ausbildung gelangen.
«Cette protub^rance , sagt Louis Vincent,
qui existe au niveau de la rögion fessiere, a et^
regard^ par certains autours comme de natura
muflculeuse: il n*en est rien; c^est ane masse d*ane
consiBtance ölaatique et tremblante, enti^ement
ibrmee de graisse et traveriee en tous sena par de gros faisceauz de fibre« lamineoses, tr^-
irr^guli^rement entre-croiBÖes."
Fig. 120. Beginnende Steatopygie bei einem nnge
fähr 8 jährigen Busch mann -Mädchen.
(Nach Photographie.)
37. Die Steatopjgie oder der Feit»teiEs, ^^^^T 179
Die von Cuvier beschriebene sogenannte Hottentotten- Venus besasa
liefen Fetthöcker in hohem Grade: die Höhe der Hinterbacken betrug ll3,2 cra.
Die von Flower und Murie untersuchte etwa 21 Jahre alt in England ver-
torbene Buschmännin hatte zwar keinen eigentlichen Fetthöcker, doch war
bei ihr die Fettschicht der Hinterbacken 1^4 Zoll dick, und die Haut darüber
aatte ein loses, gefaltetes Aussehen, als wenn sie früher viel bedeut-ender aus-
Igedehnt gewesen wäre. Bei der von Litschkn und Görts untersuchten Leiche der
is •Buschweib'* bezeichneten Afandy betrug die Dicke des Fettpolsters, nach-
lern es ein Jahr lang in Weingeist gelegen« in seiner grössten Mächtigkeit 4 — 4,5 cm
l^t«#li. 121. lloebirtAdige Stcfttopygi« bei «inem KörABU^-Weibe (SÜd-AMlt4).
iH^eh Pbotographi«,)
rar hier nicht nur daj angehäufte Fett bedeutender, sondern auch die Ver*
!ting des letzteren eine andere^ als bei Europäerinnen; am stärksten war ea
|n der Gegend der Dannbein kämme und über den Muse, glutaei max*, und während
Europäerinnen die Stärke der Wölbung vom Darmbein nach unten ku
lieh zunimmt, verflacht sich bei der Hottentottin die Partie immer mehr
hinteren Oberschenkelfläche hin. Die genaue anatomische Beschroibong
Lutoren schliesst völlig die Ansicht aus, dass die auffallende Erscheinung
liwa von einer besonderen Neigung des Beckens herrühren könnte, und dass daa
'Kniosbein in beträchtlichem Maaase nach hinten zu gestreckt sei.
12*
180
y. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
Der Anblick, welchen eine hochgradig ausgebildete Steatopjgie darbietet,
ist ein im höchsten Maasse überraschender und ft&r unsere ästhetischen Begriffe
widerwärtiger. Man betrachte das Koranna -Weib in Fig. 121, und man wird
sich diesem Urtheile gewiss vollständig anschliessen.
Topinard^ macht von der Erscheinung einer mit der Steatopygie behafteten
Frau die folgende Beschreibung:
,La steatopygie se pr^ente comme une exag^ration monstmeuse des fesses qui, d*une
part, sont plus larges, et qui, de Tautre, semblent se redresser et pointer en haut: en realit^,
elles offrent ä leur partie sop^rieure, allant de la concavite des lombes au point culminant
des fesses, un plan presque horizontal. En bas, la fesse tantöt se termine par sa courbure
ferme et son pli horizontal nonnal, tantöt se continue insensiblement par an plan oblique
avec Ics cuisses. Sur les cötes, eile est circonscrite par une d^pression ou gouttiere oblique
d'avant en arri^re et de haut en bas, dont le centre est au grand trochanter.'
Auf diesem Fettpolster des Hintertheiles, Aredi ge-
nannt, lässt die Hottentottin ihr Kind ruhen; dasselbe
gilt unter dem Hottentottenvolke als eine Schönheit,
wie denn überhaupt runde, fette und fleischige Formen
bei ihnen den Maassstab f&r diese Eigenschaft abgeben.
Auch Theophil Hahnr tritt der Meinung entgegen, dass
das Kreuzbein bei den Hottentotten abnorm hervor-
rage, denn nicht bloss das weibliche, sondern auch das
männliche Geschlecht zeigt bei diesem Volke die Eigen-
thümlichkeit, und er selbst hatte an seinen Spielkameraden,
jungen Hottentotten, oft Gelegenheit zu beobachten,
wie in der guten Jahreszeit^ wo es viel Milch und Wild-
pret gab, ihre Gesässtheile fÖr unsere europäischen Vor-
stellungen nachgerade fabelhafte Dimensionen annahmen,
während bei geringerer Nahrung diese Fettmasse sich
wieder verlor.
Bei einer Hottentotten-Frau, welche vor längerer
Zeit sich in Berlin sehen liess, kann man in der Profil-
Ansicht (Fig. 116 No. 9) dieses starke Vorspringen des Ge-
sässes mit grosser Deutlichkeit bemerken. In der Hinter-
ansicht (Fig. 122) sieht man noch eine besondere Eigen-
Ihümlichkeit, welche Topinard^ bei Busch mann -Frauen
ebenfalls beobachtet und mit den folgenden Worten ge-
schildert hat:
,En outre de la stäatopyg^e, les femmes boshimane.s
presentent un caractero peu remarquö jusque dans ces demiers
teiiips, et qui se rattache au prec^dent. En avant, en dehors
et un peu au-doHsus du trochanter se voit une saillie arrondie.
KO continuant insensiblement avec les parties environnantes, qui
accroit la largeur des hanches.**
Auf diese Weise ist die grösste Breite des Mittel-
körpers vollständig nach unten verschoben worden und
liegt noch ein klein Wenig unterhalb der Gesäss-Schenkel-
Furche. Weiter nach abwärts nehmen dann aber die
7nl7Äm:"n)"^:nr Beine ganz gewöhnliche Dimensionen an, so dass die
(Nach Photognraphiej starke Fettauflageruug an den Oberschenkeln nur dem
allerobersten Dritttheile angehört.
Für gewöhnlich haben wir die breiteste Stelle des Mittelkörpers bei den
Frauen in der Höhe der Steissbeinspitze zu suchen, was ungeföhr der Körper-
gegend etwas oberhalb der Trochanteren entspricht. Aber auch bei manchen
europäischen Weibern finden wir wie hier die breiteste Stelle etwas unter-
halb der Trochanteren, ebenfalls in der Höhe der Gesäss-Schenkelfalte. Das tritt
Fig. 122. Hottentotten
Frau, *i2 Jahre alt, mitSteato
182
V. Die äusseren Sexualoigane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
den Abantus gehören die Nigritier des Nils und die Bongo ns.ch Harttnann
hierher. Von einem in dieser Beziehung von der Natur besonders reichlich aus-
gestatteten Bongo -Weibe hat Schweinfurth eine freilich nicht sehr schöne Ab-
bildung geliefert, welche in Fig. 125 wiedergegeben ist.
Fig. 124. Mädchen von der Zwergrasse der Ewe (Afrika) mit Steatopygie.
(Nach Photographie.)
Nach i?/i;of7 kommt die Steatopygie auch bei den Somali und den Berbern
vor, und Stuhlmann sagt von dem Pygmäen -Volke, den Ewe, welche er im
Gebiete des Ituri entdeckte, dass die Frauen «manchmal etwas lor Stemtopjgie
neigen*. Er hat bekanntlich zwei junge Mädchen dieses Stammai mit um
S8. Die äusseren weiblichen Sezualorgane und ihre anthropologischen Merkmale. 183
Earopa gebracht. Bei der einen derselben, der Äsmini, ist das Gesass voll und
rund; die andere dagegen, Shikanayo^ besitzt schon eine echte Steatopygie
(P* 124).
Livingstone will die Steatopygie sogar auch bei einigen Frauen der Boers
bemerkt haben, welche doch der weissen Rasse angehören. Thdie hält diese
Angabe ftir sehr wenig glaubwürdig. Er meint, man könne hier höchstens an-
nehmen, dass die betrefiPenden
Frauen nicht ganz reinen Blutes,
sondern mit Hottentotten- oder
Buschmann -Blut gemischt ge-
wesen wären, wenn nicht die Be-
hauptung von Knox und anderen
auf Wahrheit beruhen sollte, dass
der Fettreichthum der Hinter-
backen durch die Vermischung
der Buschmänner mit Kaff er n
oder mit Europäern bei deren
Nachkommen verschwinde.
In den Pyramidengräbern
von Saqära in Aegypten fand
sich auf einem Steine das von
Dümichen wiedergegebene Bild-
niss einer arabischen Fürstin, " ' '
welche in dem 17. Jahrhundert ^''ttMopuSTa^e'r?!.""
vor unserer Zeitrechnung regierte ans den Pyramidengräbem von
(Fig. 126). Sie fällt durch die ^'^^'^ ^°*^** Dü^icArn).
starken Körperformen und nament-
lich durch die erhebliche Dicke des beträchtlich vorspringenden Hintertheiles auf,
wodurch sie sich ganz wesentlich von den äusserst schmalhüftigen ägyptischen
Frauenbildem unterscheidet. Wie die Ausgrabungen von Dieidafoy in Susa be-
wiesen haben, waren die damaligen Bewohner dieses Theiles von Asien Aethio-
pier. Und diesem Volksstamme gehört ohne Zweifel auch unsere arabische
Fürstin an.
Fig. 125. Steatopygie und
Fettleibigkeit bei einer
Bongo-Fran (Central-
Afrika)
(Nach Sckw€i^furth.'i
S8. Die äusseren weiblichen Sexualorgane und ihre anthro-
pologischen Mericmale.
Es kann leider nicht abgeleugnet werden, dass selbst solche Regionen des
menschlichen Körpers, die der Untersuchung durch Aerzte vielfach unterliegen,
sogar bei den europäischen Völkern in anthropologischer Beziehung noch lange
nicht hinreichend erörtert worden sind. Hierzu gehören auch die weiblichen
Sexualorgane. Allerdings behauptet Columhat de Vlsire, dass in südlichen Gegenden
die Genitalien der Frauen gewöhnlich höher und mehr nach vom gelegen sind,
als in kalten und feuchten Ländern; es sollen die Schottinnen, die Eng-
länderinnen und Holländerinnen fast immer die Vulva weniger vom und
den Uterus weiter unten, als die Französinnen des Südens, die Spanierinnen
und Italienerinnen haben. Genaueres steht hierüber jedoch noch gar nicht fest.
In sehr vieler Hinsicht unterscheiden sich die äusseren weiblichen Geschlechts-
theile des Menschen von denjenigen des Affen. Hierüber sowie über die Rassen-
Differenzen beim Menschen hat vor Allem v. Bischofp vergleichende anatomische
Untenochungen angestellt:
.Die Weiber aller MeDscbenrassen besitzen, soweit sie bis jetzt bekannt sind, grosse
Sdiamlipptn md eiaai Sehamberg and auf beiden einen stärkeren Haarwuchs. Bei einigen
Im» aiUAi^ischen Rasse, vorzQglich bei Bnschmänninnen und Hotten-
184 V. Die äuBseren Sezualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
tottinnen, scheint allerdings eine geringere Entwickelnng des Schamberges, der grossen
Schamlippen und des Haarwuchses auf denselben Torzukommen, ganz fehlen sie jedoch
niemals. Dagegen besitzen weder die Weibchen der Anthropoiden noch der Übrigen Affen
einen Schamberg, deutliche grosse Schamlippen und st&rkeren Haarwuchs an den äusseren
G eschlechtstheilen . •
Nur allein der Orang-Utang hat vielleicht eine schwache Andeutung grosser
Schamlippen. Jedoch treten dieselben auch bei den übrigen Anthropoiden nach
Hartmann während der Menstruation deutlich herror. Diese besitzen daher kleine
äussere und grosse innere Schamlippen. Umgekehrt ist eine massige Entwickelung
der kleinen Schamlippen oder Nymphen und des Praeputium und des Frenolum
Clitoridis die Regel bei dem menschlichen Weibe.
Die Schamtheile der Australierinnen stehen nach Köler^ etwas mehr
zurück, daher die Männer, „was übrigens bei den meisten Australiern Sitte ist*,
die Begattung von hinten vollziehen sollen. Jedoch stimmt das Letztere nicht
mit den Angaben von MUducho-Maday überein.
Ueber die Einwohnerinnen des alfurischen Archipels besitzen wir Nach-
richten von Riedel^, Er erklärt bei den Weibern der Seranglao- und Gorong-
Inseln den Vaginaleingang für eng und die Labia minora für rudimentär. Bei
den Weibern der Babar-Inseln ist die sichtbare Spalte der Vulva kurz und
nicht so lang, als bei den meisten Ambonesinnen. Die Inseln Leti, Moa und
Lakor besitzen eine schmalköpfige und eine breitköpfige Bevölkerung. Die
Frauen der ersteren haben eine länglichrunde Spalte der Pudenda. Die breit-
köpfigen Frauen besitzen nur rudimentäre Nymphen. Die Weiber von Buru
haben eine enge Schamspalte und rudimentäre Nymphen.
Die Vaginen der Aaru- Insulanerinnen bezeichnet Riedel^ als klein, jedoch
soll hierzu der Penis der Männer, welcher ebenfalls nur eine geringe Grössen-
entwickelung aufweist, im Verhältniss stehen.
Die Kanakinnen von Neu-Caledonien haben meistens die Vagina mehr
von vorn nach hinten verlaufend, als dies bei den Europäerinnen der Fall ist.
Wenn das Hymen noch existirt, so pflegt es ringfSrmig zu sein. (Army surgeon.)
Die Vahine, d. h. das Weib von Tahiti, hat eine gut entwickelte Clitoris
von 1,6 bis 2 englische Zoll Länge. Ein Hymen pflegt man nur bei Kindern
anzutreffen. Die Scheide erscheint weniger nach hinten gerichtet, als bei den
Negerinnen, den Kanakinnen von Neu-Caledonien und bei den Weibern
von den Neu-Hebriden, und sie nimmt mehr die Richtung wie bei den euro-
päischen Weibern ein. (Army surgeon.)
Von den grossen und breiten Schamlippen der Guarani-Weiber in Süd-
Amerika sprechen v. Azara und Retigger.
Verhältnissmässig zahlreiche Angaben stehen uns über die Bewohnerinnen
des Feuerlandes zur Verfügung. Zwei Feuerländerinnen, die mit ihren
Männern vor einigen Jahren Europa durchzogen, sind gestorben und konnten
einer genauen Untersuchung unterzogen werden. Ueber 15 fernere weibliche
Personen verschiedenen Alters berichten Hyades und Deniker^ von der wissen-
schaftlichen Expedition nach dem Cap Hörn, welche die Minist^res de la
Marine et de l'Instruction publique von Frankreich gemeinschaftlich aus-
gesendet hatten.
Bei der Section der an Pneumonie und Pleuritis verstorbenen Feuer -
1 an der in Lose fand v. Bischoff Folgendes:
,An den äusseren Genitalien derselben zeigte sich eben so wenig wie am After irgend
eine bedeutende Spur von Haarwuchs; nur auf der oberen Partie der grossen Schamlippen
finden sich einzelne Härchen (etwa 1 cm lang). Es zeigte sich auch keine Spar einer Rasor
oder Ausreissen der Haare. Die grossen Schamlippen sind massig stark entwickelt und
lassen zwischen sich eine gegen 6,5 cm lange ziemlich geschlossene Sohamspalta. Oben an
dem Schamberge gehen sie mit einer etwas vertieften Commissiir in einandar ftlür; iMMsh \
und hinten bilden sie eine hintere Commissnr mit einem schwidi i
38. Die äusseren weiblichen Sezualorgane und ihre anthropologischen Merkmale. 185
dahinter gelegener Fossa navicularis. Die rechte grosse Schamlippe ist etwas stärker ent-
wickelt als die linke. Eigenthümlich ist es, dass um den weit offen stehenden und von
einigen Hämorrhoidalknoten umgebenen After herum die Epidermis fehlt und dieser Mangel
sich auch bis hinauf zu dem unteren Ende der linken grossen Schamlippe fortsetzt. Diese
Arrosion mussto von einem entweder aus dem After oder aus der Vulva herrührenden scharfen
Ausflüsse veranlasst sein. Die kleinen Schamlippen ragen nicht vor der Schamspalte vor,
und ist die rechte ansehnlich grösser als die linke. Nach unten verlieren sich beide in den
Scheidenvorhof; nach oben theilt sich die rechte in zwei Fortsätze^ deren äusserer, sich an
die innere Fläche der grossen Schamlippen anlehnend, bis an die obere Commissur der letzteren
sich hinzieht, die innere aber sich, wie das obere Ende der linken kleinen Schamlippe, aber-
mals in zwei kleinere Falten spaltet, deren äussere das Praeputium Clitoridis, die innere das
Frenulnm Clitoridis in gewöhnlicher Weise bildet. Die Clitoris ist von normaler Grösse,
und auch die Glans derselben tritt nicht mehr wie gewöhnlich hervor; 2 cm hinter und unter
der Clitoris befindet sich an der oberen Wand des Scheidenvorhofs die Harnröhrenöffnung,
welche nur die Eigen thümlichkeit zeigt, dass von den sie umgebenden Schleimhauifalten eine
auf jeder Seite sich im Bogen nach oben an der inneren Seite dos Scheidenvorhofs hinzieht
und so auf beiden Seiten eine kleine Tasche bildet. Am Scheideneingang finden sich mehrere
ziemlich stark hervortretende Carunculae myrtiformes. Die Scheide ist 11 bis 12 cm
lang, und plattgelegt 3,5 cm breit. Es finden sich an ihrer vorderen und hinteren Wand
Columnae rugarum, welche besonders an der vorderen Wand ziemlich stark entwickelt sind
und in einem gegen die Harnröhrenöffnung sich hinziehenden Wulst vorspringen.**
Schon früher war die ältere Feuerländerin Catharina^ die Mutter des
Mädchens von 4 Jahren, gestorben, v, Meyer berichtet aus dem Gedächtniss, dass
bei ihr das Fettpolster der Labia majora nur gering entwickelt war. Die beiden
genannten Labien umgaben eine klaffende Schamspalte, so dass die Labia minora
und die Clitoris sichtbar waren.
Hyades und Deniker'^ stellen drei Beschreibungen voran, welche Mondilre'^
nach Gypsabgüssen gefertigt hat.
1. Feuerländerin von 15 Jahren: ,Vulve assoz profond^ment enfoncee; les grandes
lävres sont presque plates. La reunion superieure des petites levres est longue de 13 mm.
Hauteur totale de Ja fente vulvaire 61 mm. Les petites levres descondent Jusqu'au tiers
infärieur oü elles fönt une saillie de 12 mm. II semble, qu'il n'y ait pos de clitoris.**
2. Feuerländerin von 18 Jahren: »Les grandes levres sont effacöes comme chez la
pr^c^dente, mais ici la vulve est presque sur le memo plan ; sa hauteur est de 74 mm. Memo
disposition des petites Jfevres. Pas de trace de clitori.s. Cette femme a eu des rapports
sexuelles, mais sans enfants.*
3. Feuerländerin von 25 Jahren, Mehrgobilrende : „Grandes levres aplatios en haut,
mais comme infiltrees en bas oü elles simulent un scrotum. Hauteur de la vulve 90 mm.
Enfoncement profond de Tintersection superieure des petites levres qui forment, ^ partir de
iä, comme deux cornets volumineux ayant ä leur base 14 mm de diametre. Le perinee long
de 21 mm est tout ride. Le clitoris semble un peu dessin^.'
Dann lassen Hyades und Detiil'er'-^ die Notizen über 12 genauer untersuchte
folgen, und sie kommen danach zu dem Resultate:
,11 r^ulte, den os observations sur le vivant, que la membrane hymen est generalement
perforee ä son centre, quelqacfois h sa partie superieure, exceptionnellomont en bas. Le
clitoris est toujours tr^s rudimentaire. Les petites Idvres ont la forme triangulaire ou
conique et pendent des deux cötes du vestibule sans constituer une fosso naviculaire. Cette
disposition rappelle celle que Tun de nous a constat^e chez le gorille.''
Nach Virey besitzen die Kamtschadalinnen mit grosser Wahrscheinlich-
keit eine weite Mutterscheide, da sie gewohnt sind, in ihrer Vagina eine Art
Mutterkränzchen aus Birkenrinde zu tragen. Ob sie dieses aber immer thun,
oder ähnlich wie manche Insulanerinnen des malayischen Archipels nur in der
Zeit der Menstruation, das ist aus dieser Notiz nicht zu ersehen. Auch Steuer
sagt von ihnen:
,Die Scham ist sehr weit und gross, daher sie auch nach den Kosaken und Aus-
ländem allezeit begieriger sind, und ihre eigene Nation verachten.*
Mit den Ostjakinnen muss es sich nach einem Berichte von Pallas ähnlich
«■iialten« Er sagt:
186 ^* ^^^ äusseren Sezualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
,Die 0 8 tjaken -Weiber tragen in der Scham beständig eine zusammengedrehte Wicke
von geschabtem weichem Seidenbast, welche sie, so tief sie können, hineinstecken, wenn sie
harnen wollen, herausnehmen und auch der Reinlichkeit wegen oft abwechseln. Weil aber
diese AusfilUung bei einer jeden Bewegung aus ihrer Lage kommen und auf die Erde fallen
würde, wenn sie durch nichts an der rechten Stelle erhalten würde, so haben die ostjakischen
Weiber einen Gürtel ausgesonnen, der fast wie die von der Eifersucht südlicher Europäer
erfundenen Keuschheitsgürtel gestaltet ist: von demselben nämlich geht eine Binde zwischen
den Beinen durch, die vermöge einer besonders gestalteten Platte von Birkenrinde, welche
daran festgenäht ist, die heimlichen Theile bedeckt. Diese Erfindung kommt ihnen sonder-
lich zur Zeit der monatlichen Unpässlichkeit wohl zu statten, weil sie zu solcher Zeit in Er-
mangelung der Beinkleider, die sie nicht tragen, alles besudeln würden."
Nach Baeh sind die äusseren Genitalien der Japanerinnen hässlich,
namentlich bei dem feinen Typus; sie zeigen eine unschöne Pigmentirung und
hässliche, lappige Labia minora. Wernich fand Folgendes in seiner gynäkologischen
Abtheilung zu Yeddo:
,Die grossen Schamlippen sind fettarm und, auch bei jungen Personen, sehr schlaff.
Der Hamröhrenwulst springt sehr erheblich hervor, was vielleicht auf das in den niederen
Ständen ganz gebräuchliche Uriniren in aufrechter Stellung zurückzuführen ist. Die Scheide
ist kurz, nie fand Wernich eine über 7 cm lang. Ein Hymen ist ihm niemals zu Gesicht
gekommen. Der Damm erschien im Allgemeinen nicht von besonderer Breite. Congestionirung
und Consistenzzunahme (Erection) der Portio vaginalis kam bei den Untersuchungen viel
häufiger vor, als bei den europäischen Frauen."
Die Japanerinnen haben, wie es heisst, so enge Genitalien, dass Aerzte
angestellt sind, welche aus den Puellis publicis diejenigen aussuchen müssen, deren
Genitalien ohne beiderseidige Inconvenienz den Coitus mit dem kräftigen Gliede
eines Europäers gestatten. Ob diese Ploss zugegangene Mittheilung auf That-
sachen beruht, muss noch weiter erörtert werden. Doenüe^ welcher Jahre lang
als Angestellter der japanischen Regierung gelebt hat und in Tokio eine
sittenpolizeiliche Controle der Prostituirten einführte, erklärte mir diese Angabe
als unzutreffend. Die Vaginen waren für die auch bei uns gebräuchliche Durch-
schnittsnummer der Mutterspiegel bequem passirbar. Auch pflegen die dort
lebenden Europäer sich selbst ihre Concubinen zu wählen und sie nicht aus den
Händen der Polizei zu empfangen. Bei der Japanerin soll die Schleimhaut der
Vulva und der Vagina heller als bei der Chinesin und bei der Annamitin
sein, und zwar wird ihre Farbe als gelbroth wie bei der Spanierin bezeichnet.
(Army surgeon.)
In einer Sammlung japanischer Aquarelle des kgl. Museums fttr Völker-
kunde in Berlin, welche unter dem Namen „physiognomische Studien" von
Maruyama Okio, dem bedeutendsten japanischen Maler des vorigen Jahrhunderts,
gefertigt worden sind, befindet sich auch die Darstellung eines nackten, auf der
Erde kauernden Weibes mit der Bezeichnung: eine Frau, die in Wollust gesündigt
hat.*) Ihre lange Schamspalte ist weit klaffend gezeichnet; die Clitoris sowohl,
als auch die kleinen Schamlippen ragen beträchtlich aus ihr hervor, die grossen
Schamlippen aber erscheinen schmal und wenig fettreich. Wir werden dieses Bild
später kennen lernen.
Bei den Chinesinnen bezeichnet Morache die grossen Schamlippen als
„plus developpees*". Die Farbe der Scheidenschleimhaut bei den Chinesinnen
in C an ton wird als glänzend carmin mit einem Stich ins Ockerfarbene ange-
geben. (Army surgeon.)
Die Vulva und Vagina der Moy-Frau in Cochinchina ist mehr aus-
gebildet, als die betreffenden Theile der Annamiten-Frau. Die Haut der Genital-
orgaue erscheint bei der ersteren dunkler als bei der letzteren, und das Gleiche
ist bei der Schleimhaut der grossen Schamlippen und der Mutterscheide der Fall,
deren Farbe sich bei der Moy-Frau mehr dem Schwarzroth nähert. (Army
surgeon.) Die Annamitinnen haben als Kinder die Vulva höher sitzen, als das
*) Nach ftreundlicher Uebersetzung des Herrn Prof. Dr. Orube,
88. Die äusseren weiblichen Sexualorgane und ihre anthropologischen Merkmale. 187
bei franzosischen kleinen Mädchen der Fall ist, jedoch bei den Erwachsenen
ist kein grosser Unterschied der äusseren Erscheinung dieser Theile von denen
der Französinnen, aber bei der Annamitin ist die Vulva und die Vagina
kleiner und weniger tief. Die Nymphen sind klein und werden von den grossen
Schamlippen bedeckt; die Clitoris ist nur wenig entwickelt. Nach dem 10. Lebens-
jahre war ein Hymen nicht mehr aufzufinden. (Army surgeon.)
Nach Mondiere ist die Annamiten-Frau in Gochinchina in ihren Ge-
schlechtsorganen anders gebaut als die Europäerin. Sie besitzt nicht die grosse
Erweiterung und die grosse Krl^mmung, welche bei unseren Frauen durch die
Verlängerung des Perinaeum gegeben ist; alle zwischen Os pubis, Os ischii und
Ob coccygis liegenden Theile haben die Form eines Trapezoids. Weder das Peri-
naeum noch auch die äusseren Theile wölben sich; es ist eine Abfiacbung der
grossen und kleinen Schamlippen vorhanden, und die Mutterscheide scheint sehr
kurz zu sein, so dass das Orificium uteri dem Scheideueingang sehr nahe liegt.
Die Genitalien der Weiber bei den Khmers in Cambodja beschreibt
Maurel folgendermaassen :
«Grandes levres sont minces ou mojennes, et ne portent qua tres-peu de poils.
Petites levres sont longues ou moyennes, et portent une couche de pigment sinon uniforme,
an moins par place. Clitoris est mojen, le vagin rose, et ses colonnes marquäes. La
difltance de Tanus k la fourchette est de 3 centimdtres ä 2 centimätres et demi; colle de la
yolve du col de 2 cm et demi ä 5 cm; celle de Torifice vaginal au cul-de-sac antörieur de
4 & 6 cm et au cul-de-sac posterieur de 6 ä 8 cm.*
Die Vagina der Tatarin soll selbst noch nach der Niederkunft eine grosse
Enge besitzen.
Bei den Bafiote-Negern an der Loango-Küste in West-Afrika wird
das ihnen wohlbekannte Hymen nkumbi oder tschikumbi genannt; mit den-
selben Worten bezeichnet man auch daselbst ein junges Mädchen vom Zeitpunkte
des Menstruationseintritts an bis zur Hingabe an einen Mann (Pechuel-Loesche).
Wir verdanken de Rochehrune genaue Untersuchungen über die Genitalien
der Woloffen -Frauen.
Er bezeichnet diese Genitalien als ,mediocrement developp^s*^ Eine nur einige Milli-
meter hoho Falte stellt die grossen Schamlippen dar, die Nymphen sind nur rudimentär und
messen in der Breite 0,004 m, in der Länge 0.021 m; so charakterisirt sich die Vulva als
eine Abplattung, deren Oberfläche äusserlich begrenzt ist von zwei ellipsoiden Falten, die sich
von dem unteren Theil und der Mitte des Schamberges bis auf die vordere Gegend des
Perinaeum verbreiten; die inneren Ränder dieser Falten schliessen sich an einander und
zeichnen sich nur wie eine leichte, wellige Linie, selbst bei den Frauen von gewissem Alter,
ab. Die Färbung diosor Theile unterscheidet sich von derjenigen der ganzen Haut durch
blasseres Aussehen , die Nymphen sind bei Erwachsenen schieferblau , bei jungen Mädchen
dunkelroth. Die Clitoris ragt stets hervor; die freie Partie maass 0,018 m im Mittel.
Diese Gestaltung differirt wesentlich von der der Europäerinnen. Die habituelle
Verlängerung der Nymphen, welche andere Beobachter als eine Specialität der Negerinnen
beschrieben, ist bei den Woloffen nicht zu finden; vielmehr zeigen dieselben hier eine Art
von Atrophie; man könnte, wie de Jiochebrune meint, von einem wahren Zurückbleiben in
der Entwickelung reden, denn abgesehen von dem Vorspringen der Clitoris und von der
weiteren Ausdehnung der Oberfläche der Vulva kann man die anderen Theile nicht besser
vergleichen, als mit denjenigen eines europäischen Mädchens von 8 bis 10 Jahren. Sehr
bemerkenswerth ist auch die Länge des Perinaeum, die bei der Europäerin im Mittel
0,012 m beträgt, während sie bei der Wol off- Frau 0,025 m misst; aus diesem Unterschied
von 0,013 m erbellt, dass die Vulva um so viel zurückliegt.
Conradt untersuchte einige Adeli-Weiber aus dem Hinterlande von Togo
und bezeichnet bei zwei 14jährigen und einer 25 jährigen die Genitalien als klein.
Das Gleiche sagt er von einer 18— 20 jährigen Akapäme-Frau, ebenfalls aus dem
Hinterlande von Togo, während er von einer 20 — 23jährigen Frau aus dem
gleichen Stamme sagt, dass ihre Genitalien ,, regelmässig' wären, ein leider wenig
bezeichnender Ausdruck.
Igg y. Die äusseren Sexaalorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
V, Bischoff in München fand an den Genitalien einer angeblich aus dem
Sudan (Ost-Afrika) stammenden, in München verstorbenen Negerin gut ent-
wickelte grosse Schamlippen. Aber obwohl die Person noch Jungfrau war, d. h.
ein noch deutlich ausgesprochenes Hymen besass, kla£Pte dennoch die Schamspalte
in der Art, dass die beiden ansehnlich grossen Schamlippen mit schwarzem Pigment
versehen waren, während sie an ihrer inneren Flache, soweit diese den Scheiden-
vorhof begrenzte, von einer rothlichen Schleimhaut überzogen waren, v. Bischoff
setzt hinzu :
„Mit diesen geringen Modificationen , die übrigens auch bei Europäerinnen in
ähnlicher Weise vorkommen, stimmen diese Genitalien ganz mit denen von Weibern euro-
päischer Völkerscbaften überein, namentlich war auch hier die Clitoris keineswegs
stärker entwickelt.**
Von den äusseren Genitalien der eingeborenen Frauen Algeriens berichtet
Bertherand Folgendes:
„Par suite de la pr^cocite — dans la puberte hät^e, par une vie södentaire et le
climate — dans la döpravation des moeurs favoris^e par la polygamie et les unions con-
jugales prömaturees, les organes genitaux acqui^rent un d^veloppement tr^s-prononc^. Chez
les femmes surtout, rexub^rance des grandes l^vres explique parfaitement la n^essite de
leur excision dans les r^gions pl us rapprochees des tropiques. Le clitoris est volumineux
et tr^s-proöminent, le vagin tr^s-ample/'
Bevor ich zu der Besprechung einer eigenthümlichen Ausbildung der kleinen
Schamlippen übergehe, wie sie sich besonders bei südafrikanischen Stämmen
findet, mag noch hervorgehoben werden, dass wir über die etwaigen Unterschiede
der Secrete der Scheide bei den verschiedenen Völkerschaften uns noch in voll-
ständiger Unklarheit befinden. Selbst die Vertreterinnen der europäischen
Rassen bieten in dieser Beziehung bekanntermaassen mancherlei Differenzen dar,
je nachdem sie sich in absoluter Gesundheit oder in dem Zustande chronischer
Erkrankung, je nachdem sie sich in physischer Ruhe oder in den verschiedenen
Stadien geschlechtlicher Erregung, je nachdem sie sich kurz vor oder kurz nach der
Menstruation oder in der intermenstrualen Pause, und endlich je nachdem sie sich
in unbefruchtetem oder in befruchtetem Zustande befinden. Was die ausländischen
Volker anbetrifft, so finde ich nur eine Angabe aus neuerer Zeit von Moficelon
über die Weiber auf Neu-Caledonien:
„Las parties sexuelles, pendaot les ardeurs du coYt, donnent chez la femme jenne et
passionnee une odeur des plus d^sagr^ables, et qui reiste ä des ablutions r^Mr^ea.'^
In der alten indischen Literatur existiren hierüber absonderliche Angaben,
welche ich dem in der Tamil-Sprache geschriebenen Kokkögam entnehme.
Ich verdanke die Verdeutschung der Freundlichkeit des Herrn Professor Dr.
A, Grünwedel,
Die Weiber worden in den indischen Schriften in vier besonders benannte Klassen
getheilt, in die Lotosduftigen, die Padmini, die Bunten, die Cittini (sanskrit ^UttrinS),
die Schneckigen, Cankinni (sanskrit (y^ankhin!), und die Elefantigen, die Attini
(sanskrit Hastrini). Von diesen Weibern heisst es nun im Kokkögam: Die Lotosduftige:
ihre zwei Brüste gleichen der Bilvafrucht (Aegle marmelos), ihre Eigenthümlichkeit besteht
darin, dass das suradanir, das Liebesexeret (die bei der Cobabitation aasfliessende Flüssigkeit),
ohne Unterlass fliesst und sich mit dem Geruch der tämarei vergleichen l&sst, welche schöne
Blüthonblätter hat. Ihr Geschlechtstheil gleicht den Blüthenblättem der rothen Wasserrose
und ist gleich einem heiligen Geheimniss.
Die Bunte: ihre auf knospenden Brüste werden dick, ihre Schenkel haben Goldfarbe;
ihr Liebesexeret gleicht dem Geruch des tön (Honig, Palmensaft); ihr Geschlechtstheil ist schön,
weil er eine sehr reichliche Behaarung besitzt, wie wenn man eine Gemüseart (Hirsehalme?)
in Reihe und Glied auf eine goldene SchQssel legt. Ihr Liebesezcret ist milde und reichlich
ausströmend, da der Geschlechtstheil scheibenförmig aus einander gezogen ist.
Die Schneckige ist sehr mager und ohne Fülle ... an dem Getchlechtstheile hat sie
schwarze Haare und dieser Theil ist zusammengedrückt anzusehen und das hervorströmende
Liebesexeret riecht salzig.
39. Die Hottentottenschürze. 189
Die Elefant ige: ihr Körper ist gross and reich an Haaren und der Theil ihrer Vulva
geht in die Breite, weil darin ein hervorragendes trockenes Mani (Mittelperle des Rosen-
kransei, Clitoris) steht, und ihr Liebesexeret hat den durchdringenden Geruch, wie die Flüssig-
keit, welche aus dem Ohre des brünstigen Elefanten fliesst. Die Ränder des Geschlechts-
theiles sind aus einander gezerrt, breit und mit vielen Haaren bewachsen.
Ein Anthropologe, welcher diese scheinbar etwas verworrenen Dinge mit
Aufmerksamkeit liest, wird wohl sofort erkennen, dass hier ein gutes Stück that-
sachlicher Beobachtung zu Grunde liegt. Wir haben ja auch bei unserer Rasse
die Gelegenheit, zu sehen, dass die weiblichen Genitalien gewisse Formverschieden-
lieiten darzubieten vermögen, sowohl was ihre Behaarung anbetrifft, als auch in
Bezug auf ihre allgemeine Gonfiguration, und wir können sehr wohl verstehen,
was unsere indischen Vorfahren sich unter den beschriebenen Formen gedacht
haben. Wir werden in der ersten Form wohl die Vulva mit derben, fettreichen
grossen Labien und festgeschlossener Rima pudendi zu erkennen haben, während
in der zweiten Form die wenig prominenten grossen Labien wohl nur wenig die
leicht klaffende Schamspalte überragen. In der dritten Form finden wir wohl
auch ziemlich fettarme, aber stark hervorstehende, eng auf einander liegende
grosse Schamlippen. Die Vulva der Elefantigen endlich würde jene Form
reprasentiren, bei welcher die medianen Ränder der grossen Schamlippen sich nicht
gegenseitig erreichen, so dass die stark entwickelte Clitoris von Haut überdeckt
(daher die Erwähnung des trockenen Mani) zwischen ihnen frei zu Tage liegt.
Wir können hier wieder mit rechter* Deutlichkeit ersehen, wie auch die
scheinbar verworrensten Angaben und Erzählungen fremder Völker nicht selten
einen guten Kern wahrer Naturbeobachtung besitzen. Man muss sie nur von
der richtigen Seite betrachten und man soll sich niemals von vornherein durch
das scheinbar abgeschmackte der Berichte davon abschrecken lassen, nach einer
befriedigenden Erklärung der ihnen zu Grunde liegenden Thatsachen und Ver-
hältnisse zu forschen.
39. Die HottentottenschHrze.
Ueber die durch ihre starke Verlängerung auffallenden kleinen Schamlippen
der Hottentotten- und Buschmanns-Frauen ist bis in die neueste Zeit hinein
ausserordentlich viel verhandelt worden. Man nennt bekanntlich diese eigen thüm-
liche Bildung die Hottentotten schürze, oder mit französischem Namen le
tablier. Fig. 127. Schon aus älterer Zeit besitzen wir Mittheilungen über diesen
interessanten und auffallenden Gegenstand; so berichtet schon Ten Hhyne: „Feminae
Hottentotticae hoc sibi a ceteris gentibus peculiare habent, quod pleraeque
earum dactyliformes, semper geminas e pudendis propendentes, productas scilicet
nymphas gestent.** Zwar erklärte der alte lilnmcnhach diese Angaben für eine
Erdichtung; doch gar bald wurden sie von Anderen
(Tackardt^ Sparmann, liancks, Pvron, Lcsueur) bestätigt.
So schien denn festzustehen, dass diese „Schürze"
in einer übermässigen, aber für diese Volksstämme typi-
schen Entwickelung der kleinen Schamlippen bestehe, die
mitunter einer Ausdehnung von 14 bis 18 cm erreichen ^,. , „ „ ,, . ,. .;.
i_- A 1. j ri L' r«i-i. -j- 111 j- ti^'.VJi. Hottentottenschürze.
können. Auch das rraeputium Chtondis sollte an dieser (\ach Photographie.)
Verlängerung betheiligt sein.
Da trat Le Vaiüant mit der Behauptung auf, dass hier nicht von einer
natürlichen, sondern nur von einer künstlichen Deformität die Rede sein
könne. Ich komme darauf später noch zurück.
Mit den betrefiPenden Verhältnissen der Hottentotten -Venus hat uns
Cuvier bekannt gemacht. Es war das eigentlich eine sogenannte Buschmännin,
welche ein Holländer nach Paris gebracht hatte und die dort im Jahre 1816
starb. Auch Johannes Midier hat sie beschrieben.
190 V- ^ie äusseren Sexaalorgane des Weibes in eÜhnographischer Hinsicht.
Nach Cuvier's Untersuchung bestanden die fleischigen Lappen, welche den
Sinus pudendus constituiren, in der Mitte aus dem Praeputium Clitoridis und dem
obersten Theile der Nymphen, alles Uebrige aber aus der Entwickelung der unteren
Partie der letzteren.
Virey berichtet über die Untersuchung der Qeschlechtstheile an der Leiche
dieser Person, dass die angebliche „Schürze* der Hottentottinneu „nichts weiter
sei, als die beiden Nymphen, welche sehr verlängert auf beiden Seiten aus den
fast unmerklich vorhandenen, sehr verkleinerten grossen Schamlippen herabhängen.
Diese von aussen braunen und von innen betrachtet dunkelrothen Nymphen sind
ungefähr zwei Zoll lang und bedecken den Eingang der Scheide und Harnröhre.
Man kann dieselben, da sie abwärts und zunächst dem Mittelfleisch nicht anhängeUf
ungefähr wie zwei Ohren über der Scham in die Höhe heben/
Nach ihrem Modell im Pariser Museum giebt de Quatrefages die folgen-
den Maasse:
Die rechte kleine Scbamlippe hat 55 mm, die linke 61 mm Länge, die rechte 34 mm,
die linke 32 mm Breite, die Dicke des Organs bleibt sich überall gleich und erreicht 15 mm.
Wilhelm Heinrich Busch bildet die Hottentotten -Schürze als natürliche
Missbildung der Nymphen ab.
Den naturphilosophischen Speculationen jener Zeit entspricht ein Ausspruch,
den Renard gethan hat:
,Man kann die sonderbare Verlängerung der äusseren Zeugungstheile der Afrikane-
rinnen mit der gewisser Blumen des nämlichen Himmelsstrichs vergleichen, z. B. mit den
Geranien (Pelargonium), deren obere Blumenblätter länger als die unteren sind, vielleicht
um die Geschlecbtstheile zu bedecken und gegen die allzu brennende Sonne von Afrika
zu schützen. Linne vergleicht die Blumenblätter (Petala) mit den Nymphen, und die Ursache
der Verlängerung der einen wie der anderen kann in der Hitze des Klimas liegen.* Wir
brauchen uns hier nicht aufzuhalten.
Aehnliche Befunde, wie Cuvier sie uns gab, sind auch von Reisenden be-
schrieben worden, so von Barrow^ Damherger u. s. w.
Damberger sagt:
„Die Schamlefzen waren etwa 3—4 Zoll lang und formirten über der Scham, wo sie
über einander geschlungen waren, gleichsam ein Schloss, welches, wenn es gereizt wird, sich
von selbst öffnet, da sich dann die Schamlefzen ausstrecken. Herr VatUant macht davon eine
übertriebene Beschreibung, sagt sogar, dass diejenigen, welche ihre Schamtheile so haben
wollen, Steine oder sonst etwas Schweres in ihre Lefzen hingen, wodurch sie in die Länge
gezogen würden; das Unstatthafte dieser Behauptung wird Jeder leicht einsehen.*'
Etwas genauer beschrieb Barrotv die Schamtheile der Weiber der Busch-
männer:
„Die bekannte Geschichte, dass die hottentot tischen Frauenzimmer ein ungewöhn-
liches Anhängsel an den Tbeilen haben, die das Auge selten zu sehen bekommt, ist in Ansehung
der Buschmänner völlig wahr. Die Horde, die wir antrafen, war damit versehen. Bei der
Untersuchung fanden wir, dass es in einer Verlängerung der inneren Schamlippen bestand,
die mehr oder weniger gross waren, je nachdem die Person alt oder sonst beschaffen war."
Mit den Jahren sollen nämlich die Nymphen an Länge zunehmen. Die Länge der grOssten,
welche Barrow maass, betrug 5 Zoll. Die Farbe der so verlängerten Nymphen soll schmutzig
blau, in das Röthliche sich verlierend sein und am meisten mit der des Auswuchses am
Schnabel eines Truthahns Aehnlichkeit haben. Während aber bei Europäerinnen die
kleinen Schamlefzen sich runzeln, werden sie bei den Hottentottinnen völlig glatt
Der Zoologe Lichtenstein zu Berlin hielt die Hottentottenschürze f&r
kein Kunstproduct; sie ist nach seiner Angabe in der Jugend vor der Pubertäts-
entwickelung und bis zum 20. Jahre im Ganzen wenig ausgebildet und ninunt im
Älter an Ausdehnung zu.
Mehrere Jahre lang hatte sich das Buschweib Afandy in Deutschland
sehen lassen, und als sie in ihrem 30. Lebensjahre zu Ulm gestorben war, lieferte
Luschka über ihre Qeschlechtstheile eine genaue anatomische Beschreibung mit
Abbildungen. Während die grossen Schamlippen ganz ähnlich wie in Cuvier^s
S9. Die UottoiitotienechOrze.
191
und Jaha$mes Miiller^ü Fällen schwach ausgebildet waren, so dass sie die Nymphen
fast in ihrer ganzen Länge blossliegen Hessen, wnrde die Schauispalte fast an^
ichliessUch durch die kleinen Labien gebildet. Letztere hangen als zwei weiche,
lechmutzigrothe, von beiden Seiten abgeplattete Lappen schlaff herunter und be-
rühren sich mit ihren zugekehrten Flächen so, da^s nur im Bereiche der unteren
ptilnder einiger Abstand existirt Die Lange der Nymphen, von ihrer Basis bis
Bu der von derselben am weitesten entfernten Stelle gemessen^ belief sich auf
}^/j cm, so das» sie also das Maass der von CHvier und MnUer beschriebenen Fülle
licht erreichten, dagegen die gewohnliche im Maximum nur 7 mm betragende
'T " ler Nymphen weit übertrafen f^ror/^-^). Flower und Marie obducirten ein
iuann -Mädchen, welches im wahrscheinlichen Alter von 21 Jahren im
(Jahre 1864 in London an Tuberculose gestorben war. Auch bei diesem Madchen
^varcu die Labia majora nur klein, und nur deshalb lag die ebenfalls massig ent-
rickelte Clitoris weit mehr zu Tage, als beim europäischen Weibe; doch war
Bibe mit einem wohl ent^nckelten Praeputium versehen, dessen Seiten sich
rarts in die Nymphen fortsetzten* Letztere stellen sich als grosse, 1 ,2 Zoll lange,
lehr ausdehnbare Lappen von dunkelrother, fast schwärzlicher Farbe dar. Ferner
Ihren Flower und Murie nach Mittheilungen eines ara Cap wohnenden Beobiichters
über die äusseren Genitalien zweier anderer
lottentottinnen, Mutter und Tochter,
folgendes an: Bei der 12 jährigen Tochter
'~ en di<^ Glutaei schon mit dem bekannten
l>kuge!igen Fettkissen bedeckt, die Nym-
t>hen hingen in aufrechter Stellung des
Ichens als zwei S^/j Zoll lange Lappen
|lb, das Hymen war nicht intact. Die
nahm ihre ungemein verlängerten
ftuf, legte den rechten um die rechte
5m te Qber das Gesäss, den linken ebonsOi
ind die Enden beider berührten sich hinten
d<?r Mittellinie. Es wird bei dieser Angabe ein gelinder Zweifel wohl kaum
interdrUckt werden künnen.
Diese abssonderliche Bildung der Geschlechtatheile bei den Busch weibern,
»Ig. 128, bietet fUr Blanchard die Veranlassung, um den Letzteren die niederste
Stufe auf der Scala der menschlichen Entwickelung in anatomischer Beziehung
inzuweisen. Er sieht in ihrer Genitalbildung eine erhebliche Thierähnlichkeit, und
Rwar im Speciellen pithecoide, affenartige Zustände. Er citirt Ciwier^ welcher
lieh Qhor die Steatopygie der Buschweiber folgen dermaassen äussert;
«Ellea oßretii une resseEnblaQce fiuppante avec Celles qui survientieDt aux fentetlev den
rill«^ des papions. etc., et qui preaneiit, a certaiae« ^poques de lotir vie, tin uccroiit»»-
ment Traime^t moDatrueux/ «Eappelons tont d'abonli fährt Blanchard fort, que lo tüblier
■t constitut^ par üne hjpertropbie consid^able des petitoi l^vres et du prepuce du cHtoriii.
Ell mdme tetapH que les uyniphea «e d(!?eloppeiit de la t^rte, la t&iUe du cliloritf augmenie
llJi-ID^me dan« da notabb^s proportion«, maiB le^ grandes l^rres et le mont de V^nus subia^iont
f^rettioa v^ritable et sont loin de presenter an dereloppemont comparable 4 celui qn^il»
ntat cbex le« teLamee d'autres race?. 11 en resalte que le» njmpbes debordeat de beau-
le« graade^ It^vres et que la rima pudendi, c'o^t-ä-dlre la ligne »uiiraDt laqoelle s^affroa-
[C^ derniero«, ti'exiite plan; oa plut6t, eile se traave auonxialetneat coadtitu^e par les
l^re«. On ne saurait m^connaitre Tanalogie remarquable qui existe oatre cette dls*
de la raWe cbex le chimpanze femelle et la confortnation de ees m^mes parties che»
DOie boBchimaae.*
In der Berliner anthropologischen Gesellsehait besprach Walde^er das
*riparat Ton den Geschlechtstheilen eines Koron na* Weibes. Die im südöstlichen
Lfrika wohnenden Koronna sind Betschuanen (Hottentotten), welche nach
friUch mit sehr viel Buschmanns -Blut gemischt sein sollen.
Flg. l'i^. Uotieatoiteiucliarfe tuaeli BinnckarH),
C-.-.-?: L-^^r--^. . *»::=.
^^.-«L-. i^-JZ.
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J '...*/*■'. /.', .-.M. ':.«: M/S/:'/..;, .'.'j l fhs'ru r.i'Kr *:*T«'Ä — Irj-: : ..-ei lirrlir.n^r-
';;i'- 4. 'f. .; /«-.'f.;!. .-.y»<-f. Z'/;.*-r. 'J''r;(l«:*' r.«:?.- \'hTUA'\'*:.'^^.:. T/.rkonünr!:. wie £r:; »
v«'r»:iM,^r», K;iM«. fl#-r *.«• .r. I r ;i r. k r<:ir h /ji'.ht f^-it^n •rlr.-.'-itig vorfand. Er meint.
t\'A« t\ii< h;i»ifi;/«: \' *tf\^*iU\u»t:u \iu Ori^jfit dort die Verania.<:8untr gegeben habe, eine
\\tU'A\fut,\f tU'.r Nyrfip)jf-ri f'ir riOth«'«fridig X'j halt^rn und hiermit die CimuncinoB
«•iri/ijfrjJir«-ri
S9, Die Hotietitotten£chiirse.
193
Nsißh SffJler^s Angaben sollet! auch die KatotscbadaUnnen lange und
ien fle Nvmphen besitzen, ganz ähnlich, wie wir sie bei den Hotten*
totti Jvonnen gelernt haben. Er sagt von ihnen:
«Auftser diesen haben einige und zwar die mebreien sehr grosse Nymphen« welche
aaserhalb der Scham auf einen Zoü hervorragen und wie Marteogla£ oder Pergament durüh-
rhiig sind. Die Itälmenon nennen diese ausserordenUichen Nymphen «^yraetan und lachen
L selbst einander damit aus/*
Ich habe diese Angelegenheit sehr ausfiübrlicb besprochen, weil es von
rosser Tragweite ist, eine Lösung der Frage zu erzielen, ob hier eine ethno-
^gische Eigenthümlichkeit oder eine ,, Körperplastik* vor uns liegt. Ihitfunfttn
chreibt in dieser Beziehung:
»Die Hottentettenschflr^e braucht man nicht bloss
Sad «Afrika tu suchen^ man findet sie durch den ganzen
' , sogar ia Europa noch häu6g genug! Jeder
nolog würde erstaunen, wenn ich ihm ein Gliu
L»geuannter Hotte ntottenschOrzen, aus dem Prä-
le der Haupt- und WolUtadt Berlin stammend, fein
berlich in Alkohol aufbewahrt, vorweisen würde* Facta
utar! Nach unserer eigenen geburUhülf liehen Be-
lung können wir allerdings bestätigen» dass ähnliche
Dgen bei unseren deutschen Frauen nicht so selten
wie man wohl froher meinte. Allein für die Etbno*
^e handelt es »ich doch nur darum ^ festKOstelten, erstens,
irelche durchschnittlichen Gr&ssenTerh&Unisse die bo-
effenden Theile hier wie dort zeigen; zweitens, welche Mi*
itma und Maxima hier wie dort vorkommen. Für jeUt
Hangelt e« noch an genügendem Material/^
Waldfitjct wirft die Krage auf, ob wir in der
ktentuttenschnrze ein Rassenmerkmal oder
ituell eine Theromorphie, eine thierische Bildung
erkennen haben. Und er citirt mehrere Autoren,
zufolge die Hypertrophie der Nymphen in ihren
Igen beim neugeborenen Kinde bereites deutlich
scbeidbar sein »oll. y'rolik z. B. schreibt an
etnmin :
,Ki oe (|tie parait plus curieux encore, dans Penfaut
M »e trouve dejii la premiere dbouche de ce pro«
comme predisposilion inn^e/
iöe sehr bedenkliche Erschütterung erhält diese
Ansicht von der ethnographischen Bedeutung der
Hottentotten schürze durch eine Erklärung des rifp, im uoizgeschnitxt« Fittur 4h
liasions- Superintendenten Mercmkff, welcher viele Knupueosen (Sud-Afnji*).
lahre anter den Süd-Afrikanern gelebt und ge*
' \t hat Er äusserte sich in der Berliner anthro*
{ischen GeselUrhaft folgen d emiaasaen :
t,Wiis die H ottentotti^nscbtlrze angeht, so geht meine Meinung dahin, da«9 sie
itchl natürlii*h tsi, sondern, wo sie vorhanden war« künstlich erzeugt wurde« Ich
tu dieser Ansicht durch die ßeobachtung gefAhrt, dass die Baautho und viele andere
^frikaniiche StSlmme eine künstliche Verlängerung der Labia minora zu bewirken wiesen.
I^i« dazu nothwcndii^e Manipulation wird von den älteren Mädchen an den kleineren fast
der Geburt an g«-'Übt, sobald üie mit diesen allein sind, wozu gemeinsames Sammeln von
lotz oder gern ein i!amof< Öucht«n von FeldfrÜehten fast t&glieh Anlass giebt. Die Theile werden
tpater r>rui]ich auf Hölzchen gewickelt.'*
In der Debatte zu dem ir^Wf-^rr' sehen Vortrage erinnerte ich an den
^tiiten Ausspruch JUcrcnsiys und hob hervor, dass hierdurch auch die
fir beschriebene Form der Hottentottenschürze ihre Erklärung
Harte lt. Da« Wdb. «, Aafl. 1. 18
UifitePinMicht, die Uottentoiton-
4m W9tbM ta
iet aherm HktSi im kloDoi SAmaSipf^ im loäitat ▼«rnünerl
m jß geswie. iet htk Aan MiBMiihlinnfn wm Woifcegtec
jdMit md dalMT sodi snt mgiifcgjili ii griduit zq werde»
Ai^BlkW ünaittcii iiiid mir kttnfich «nch toq d« BttT^enda ans dtm
Tra&aTaal luliligt worden. JL
\^m Mmcnra de» Berltoer lÜeetooeiimiaes beeäii esne m Hob gearbeitete ^|
▼an ojibelauititer Beetimmoofr« weiebe die Kaopfieosen im o5rd- ^
'raosTaal gefertigt babes. Hier and die T9gr6sBertefi toaereii Bcbam-
fippea m iBTeifcenJibarer Wdae zur Etestdhuig gelmiclii worden (Fig 129). Dieee
iTM dem V (II Mis I tnr U'^? rächte Figur war
ikm Ihr en t A^r Ii i gehalt^ luf seine Angaben
halte ich sie früher aucli .^ci bezeichnet. Nacli neuen Nachrichten, die idt
M*t
_^«l,f
Kurd*Tran»Taal eingezogen habe, ist sie aber ron den untemii
Baraenda lebenden Knopueusen gefertigt Auch bei* der \
Senegal erreichen '
Ul das eine Ri<<**> ^*!
fragt der anof ( Armtj sn^gtonj, JedenlatU taut dieser
40. Die angeborene Yergröseerang der Glitona»!
19S
Das8 auch bei den Sddsee- Insulanerinnen ähnliche Verhältnisse vor-
fcoramen mnssen, clas können wir ans holzgeschnitzten Figuren schliesaen, wie
bie die Neu- Hritaunier verfertigen* Fig. 130 zeigt, eine solche Figur, welche
loh in dem Museum fiVr Völkerkunde in Berlin befindet. Die Vulva ist weit-
klaffend dargestellt und aus derselben ragen die stark vergröaserten Nymphen
heraus ; die letzteren erscheinen mit ihren freien Itändern fest an einander gelegt,
wodurch das absonderliche Ansehen bedingt ist, welches dieser Theil der Fi_' r
jdarbietet Die gany.e Ausführung ist, wie man sieht, eine ganz ausser ordentlih
ohe^ aber in Bezug auf die Körpertheile, welche ftlr die Frau charakteristisch
eine sehr naturalistische. Die Figur ist mit einer kreideartigen Masse von
bis unten weiss übertüncht.
Üebrigens muss ich mich hier voUstandig dem Ausspruche Ilartmamis an-
cbliessen, dass die Hottentottenschlirze auch bei uns in Deutschland gar
(licht so übermässig selten von den Aerzten angetroffen wird. Aber ich kann es
icht verschweigen, dass diejenigen Fälle, welche ich selber zu sehen Gelegen-
heit hatte, ausschliesslich bei solchen Damen vorgekommen sind^ wo der aller-
^ründetste Verdacht vorlag, dass sie masturba torische Reizungen auf diese T heile
hatten einwirken lassen. Ich äusserte mich in diesem Sinne auch gegen den
Berliner Gynäkologen Karl Schröder, der mir erwiderte, dass er die Sache genau
ßbeuso auffasse, und dass ihm in einer grossen Reihe von Fällen, wo die vor*
egenden Krankheits- Verhältnisse ein Inquisitorium in dieser Richtung erforderten,
imer und übereinstimmend die frühere Masturbation zugestanden worden sei.
11 einem solchen Falle, den ich sah, war bei einer Dame in den dreissiger Jahren
Jie linkp Nymphe stark verlängert und aus der Rima pudendi hervorhängend,
rührend die rechte Nymphe last noch normale Verhältnisse erkennen liess. Nach
Ikngeffihr Jahresfrist Hess sich auch bereits an der rechten kleinen Schamlippe
"ae erhebliche Vergrösserung, annähernd um das Dreifache ihrer trüberen Ans-
iehnung, erkennen. Dass es sich hier nicht um angeborene Zustände oder gar
Rasseneigenthümlichkeiten gehandelt hat, das wird wohl Niemand bestreiten
rollen.
40. Die angeborene VergrSssening der Clltoris.
Eb wurde von einigen Anatomen die Behauptung aufgestellt, dass die Clitoris
den südlichen Ländern grosser sei, als in der gemässigten Zone, und dass
aentljeh im kalten Norden die Weiber eine nur kleine Clitoris beeäseen. Vid
lenaoes über diesen Gegenstand kann man leider noch nicht angeben; aber waa
etspielsweise Ihjades und Deniher von den Feuerländerinnen berichteten,
Dheint für diese Behauptung zu sprechen. Denn sie fanden bei ihren 15 Weibern
ie Clitoris »toujours tres-rudiraentaire**. AndererseiLs fand Mungo Park bei den
landingos und bei den Ibbos in Nord-Afrika stets eine Verlängerung der
litorij«, und nach Jacobs ist diese Eigenthilmlichkeit auch bei den Weibern auf
lali sehr häufig.
An einer im Breslau er Krankenhause verstorbenen und von Morgenstern
bducirten Negerin beschreibt Otto folgende eigenthümliche Bildung:
K« hüogt vor der Scbaniepalte eio Fleischlappen wie eine Klappe herab; die grouten
chÄmlippen Iteten nicbU Besonderes in ihrer Erscheinung, nur du» sie in ihrem oberen
etwaa weit aus einuDder sleheu ; die Nymphen sind vielfach eingekerbt und «trecken
hich dem After eo. Der Fleiechhippen besasa eine Lfljige von 4 Zoll, wnr Vj^ Zoll
ii and hing an einem V2 Zoll langen Stiele.
Jakannes Müller hatte wohl sicher Becht, dass er dieses Gebilde für f itie
pertrophirte Clitoris erklärte.
Bruce rofi Kinnaird berichtet von den Genitalien der Äbyssiniermut^u .
«»Dorjenig« Thdil, den die Nator wegen seiner aua^eiordentlichen Empfindlichkeit voU-
^iiii]»0ii bedockt hat (e« itt hiermit nutQrlicher Weise die Clitoris gemeint)« »teht in diesem
13*
-•j% kliWHT^n. t»txi
W*f:,
*^:« -i -SIS»;!
ix*:, "si fci-i^-r 7- ••«jx*tIisix*:SE- Tff'uvTtWT «:s»2aaL sack A«- Zvcck.
-r'.Ti Ü* Ebt •^iu^Kizs TirisE- rzzi Tb=£ Twr^Hiärs wirf."
k--f *:::* Erkläjnng de» zrndr bei dir^s^ Vclkam keimi&chen
G*<>r«:x:h* c^r blatigen Bes-scdon Mer Exd^oc der Clitoris
i'iLT^x:^ lyjch f^n (>>rr djg«^-=ci ac dadi» die Beschneidang
d^ M^cL«: ir. Kamtschatka, v:* di? kleinen S^umlqipeQ
;* a-icL TcrzrOssiert «ind. s->«ie in S*d-Afrik». wo iis Gleiche
<^xz Lat. Licht grbri-;chiicr: ist. Er vä-wechseli hier oSenbftr
d:*r EicLsio:: d^r Cütori? mit drr Beschneii'iirg der XTinplien,
zwei Op^ration<cn. die von eiracder gecrw.r.t werden mäsKn.
Die Cütoris der JTmges: Wol-i-ffis soll «ehr stark eotwickdt
veiz; TiLd i^ch Erreichxmg de« mAzmb«ren Alters noch erheblich
ar: Gr<y=öe ZTHLehmen fAj^my .?»#/77-fvH /.
D&ffs dec Afrika Lere selbst diese iiire kC^rp^ichen Eigen-
thüznlicLkeirec sehr w:hl r:im Bewnstsein gekomm«! sind, das
vermöge:: wir aas gew-issen Producten ihrer KTisscfertigkeit.
wie z. B. Fig. 12C-» zeigt, zu ersehem So bildet auch Sdirtreifi-
T'0rth' eine aTi* Holz geschnitzte weibliche Figur der Bongo
ao Fig. 181 . welche zur Erinnenmg an eine verstorbene Frau
gefertigt wrirde. Man erkennt an ihr mit groaser Deutlich-
keit die vergrö-i^erte Clitoris.
Wir dürfen hierbei aber nicht ausser Acht lassen, das» die
Clitori-Jj wenigsten^ in Europa auch bei den Weibern desselben
Volke;? r.icht immer di^ gleiche Grosse hat. Es finden sich
Tinter einer trrösierec Anzahl weiblicher Wesen immer rer-
einzelte. die sich durch eine besonders grosse Clitoris aus-
zei.-fanen. Wo solche Individuen mit anderen weiblichen Per-
sonen in engerem Zusammensein leben, kommt es dann bis-
weilen zu geschlechtlichen Verirrungen, auf die ich aber jetzt
reicht näher eingehen will. Pamit - Dnchatdet hat, wie
LomhroHO l>erichtet. unter 30«X» Prostituirten nur 3 mal eine
Gbenna><)ige Entwickelung der Clitoris gesehen : er selber konnte ö Fälle beobachten,
während iücrardi in 6.6",, seiner Untersuchten und Gurrieri sogar in 13* o ^i^
f'UUjna hypertrophisch fand.
tV.U '.'.t'-* 'tf./u rtk -, .
41. Ilie kQnstliche V^-rgrossemng der Sehamlippen und der Clitoris.
In den vorhergehenden Abschnitten ist in ausführlicher Weise von den Ver-
growierungen der kleinen Schamlippen und der Clitoris die Rede gewesen und es
wurde dajteibst bereit •• angedeutet, dass die VergrOsserungen der Ersteren nicht
naturgeniähMr. zufallig auftretende, sondern mindestens in einer Reihe von Fallen
ab^iichtliche, durch besondere Manipulationen hervorgerufene sind. Die Beweg-
gründe für diese ab^tonderliclien Vornahmen mögen nun aber nicht allemal die
gleichen .sein. In den benprr>chenen Fällen handelt es sich zugestandenermaassen
uni die onanistiHche Befriedigung des Geschlechtstriebes, und ob wir bei den
Ilantirung^n der grö<)Heren Ba?(utho- Mädchen den kleinen gegenüber nur eine
uni^:huldige Spielerei erkennen sollen, das erscheint doch als in hohem Maasse
fraglich. Wahrscheinlich int auch hier eine Veriming des Geschlechtstriebes die
Ursache, welche in der Onanisirung einer anderen seine Befriedigung erstrebt.
Allerdings lässt es sich nicht leugnen, dass in anderen Fällen vielleicht nur eine
Verschönerung in dieser absrmderlichen Weise erzeugt werden sollte. Und gans
gewiss werden manche dieser Dinge vorgenommen, um eine Steigerung der
schlechtlichen Befriedigung bei dem Coitus hervorzurufen.
42. Die absichtliche ■ Zerstörung des Jungfernhäutchens. 197
Schon Lc Vaülant hatte behauptet, dass die Hottentottinnen und die
Namaqua-Frauen (nicht alle, sondern nur einzelne) aus Eitelkeit die grossen
Schamlippen verlängern, indem sie zuerst durch Zerren und Reiben diese Theile
ausdehnen, dann aber auch durch Anhängen von Gewichten die Länge derselben
mehr und mehr steigern.
Auch in Dahome (Adams) und in Uganda treffen wir auf den Gebrauch,
die Schamlippen künstlich zu verlängern. Die Weiber in Wahia am Nyassa-
See sollen es verstehen, den Kitzler bis auf die Länge eines Fingers auszudehnen.
Diese Unsitten sind nicht auf Afrika beschränkt. Es wird auch von den
Mandan-Indianerinnen in Nord-Amerika berichtet, dass sie ihre Geschlechts-
theile deformiren, und unter den Menitarie- und Krähen-Indianerinnen ist
die künstliche Verlängerung der grossen und der kleinen Schamlippen ebenfalls
gebräuchlich (t\ Wied).
Von Ponape, einer Insel der östlichen Carolinen, berichtet Finsch die
folgende Thatsache:
„Als besonderer Reiz eines Mädchens oder einer Frau gelten besonders verlängerte,
herabhängende Labia interna. Zu diesem Behufe werden impotente Greise angestellt, welche
darch Ziehen und Zupfen bei Mädchen, noch wenn dieselben kleine Kinder sind, diesen
Schmuck künstlich hervorzubringen bemüht sind, und damit zu gewissen Zeiten bis zur heran-
nahenden Pubertät fortfahren. Zu gleicher Zeit ist es ebenso die Aufgabe dieser Impotenten,
der Clitoris eine mehr als natürliche Entwickelung zu verleihen, weshalb dieser Theil nicht
allein anhaltend gerieben, sowie mit der Zunge beleckt, sondern auch durch den Stich einer
grossen Ameise gereizt wird, der einen kurzen,' prickelnden Reiz verursacht. Im Einklänge
hiermit stehen die Extravaganzen im Genuss des Geschlechtstriebes. Die Männer bedienen
sich zur grösseren Aufreizung der Frauen nicht allein der Zunge, sondern auch der Zähne,
mit welchen sie die verlängerten Schamlippen fassen, um sie länger zu zerren.*'
Auf der Insel Sonsol im Carolinen -Archipel bestätigt Kuhary die
gleiche Gewohnheit. Er fand die kleinen Schamlippen bei älteren Frauen „lang
ausgezogen, die Sitte des künstlichen Verlängerns durch Saugen andeutend, eine
Sitte, die, so viel mir bekannt, auf den sämmtlichen bis heut von mir besuchten
Inseln der Südsee existirt."
42. Die absichtliehe Zerstörung des Jungfernhäutchens.
Sind schon die im vorigen Abschnitt besprochenen Vornahmen für unsere
BegrifiFe recht absonderliche und unappetitliche, so begegnen wir doch auch noch
einer anderen Art der Deformirung an den Geschlechtstheilen, welche fiir unser
ethisches Empfinden erst recht unbegreiflich erscheint; das ist die absichtliche
Zerstörung des Jungfernhäutchens. Wir treffen diese bei verschiedenen Völkern,
und zwar auch bei solchen mit einer relativ hohen Cultur. Während sonst bei
den meisten Nationen und zwar ganz besonders bei den orientalischen dem Hymen,
als dem äusseren Zeichen der Jungfräulichkeit, ein ganz besonders hoher Werth
beigelegt wird, pflegt es vielfach in Indien und durchgehends in China schon
in frühester Jugend bei den kleinen Mädchen vollständig vernichtet zu werden.
So kommt es, dass die Chinesen und selbst die Aerzte unter ihnen
gar nichts von der Existenz des Hymen wissen. Die Kinderwärterinnen der
Chinesen betreiben nämlich, vfie Hureau de Villeneuve erz^akAi, beiden täglichen
Waschmigen der kleinen Kinder die Reinigung der Geschlechtstheile derselben
und die Beseitigung des sich in den Genitalien bei dem heissen Klima stark
ansammelnden Schleimes so scrupulös, dass sie stets den reinigenden Finger in
die Scheide des kleinen Mädchens einführen. Hierbei erleidet das Häutchen, das
Tor dem SeheideneiDgaDg ausgespannt ist, eine wiederholte Ausdehnung nach
ümen und yenchwindet lom grSssten TheiL
^Vd «bwm in China gäoreoen halberwachsenen Mädchen europäischer
198 ^* 1^10 ftoBseren Sexoalorgane des Weibes in ethnograpluaclier Hinsicht.
Abkunft konnte ich bei einer zufälligen Untersuchung ebenfalls keine Spur des
Jungfernhäutchens entdecken.
Derselbe Gebrauch herrscht auch in Indien, selbst unter den dort wohnen-
den Engländern und Holländern, welche einheimische Ammen annehmen.
IJeberhaupt wird dort die Reinigung der Sexualtheile sehr energisch durchgef&hri
Epp sagt: ,£ine löbliche Eigenschaft des weiblichen Geschlechts ist die Reinlichkeit
der Genitalien, und es hat in dieser Beziehung einen grossen Vorzog Yor dem in Earopa,
bei welchem Sorglosigkeit oder flbergrosse Schamhafbigkeit die Geschlechtstheile zn einer
mephitischen Cloake machen. Hier folgt nach jeder natfirlichen Befriedigung Abwaachong
mit Wasser.*
Nach unseren hausbackenen Begriffen sind hier aber die hygienischen Maass-
regeln doch ein wenig zu weit getrieben.
Aehnliches findet sich im alfurischen Archipel auf der Insel A'mbon und
auf den Uliase-Inseln. Sehr wahrscheinlich ist auch hier der Reinlichkeitssinn
der bestimmende Factor.
Auch bei den Machacuras-Indianern in Brasilien soll es Jungfrauen
in unserem Sinne nicht geben; denn auch hier zerstört die Mutter schon den
kleinen Kindern das Jungfernhäutchen. Es heisst hierüber in v. Fddner's Bericht:
«Nnlla inter illas invenitor virgo, qnia mater inde a tenera aetate filiae maxima com
cnra omnem iraginae constrictionem ingredimentnmque amovere stndet, hoc qoidem modo:
manni dextrae impooltar folium arboris in infdndibnli formam redactum, et dam index, in
partes genitales immissus huc et illud movetnr, per infundibnlnm aqua tepida immittitor.*
Wahrscheinlich sollen diese Manipulationen weniger den Zwecken der
Reinigung dienen, als vielmehr das junge Wesen für die späteren Geschlechts-
funktionen vorbereiten.
Ein absonderlicher Brauch herrscht in Paraguay: Wenn die Hebamme ein
Kind männlichen Geschlechts empfangt, so zieht sie mit ihren Händen sehr stark
den Penis lang; bei den dortigen Einwohnern soll überhaupt das männliche
Glied sehr lang sein; wenn das Kind jedoch weiblichen Geschlechts ist, so bohrt
sie mit ihrem Finger in die Vagina, indem sie sagt: «Dies ist eine Frau.* So giebt
es in Paraguay keine Jungfrau, da das Hymen meist zerstört ist. (Mantegcusaa^s
schriftliche Mittheilung.)
Durch eine auf mehreren Inseln des alfurischen Archipels herrschende
Unsitte, welche Riedel^ berichtet, wird selbstverständlich ebenfalls das Jungfern-
häutchen vernichtet. Dieselbe besteht darin, dass man den Mädchen während der
Menstruation Tampons von weichgeklopftem Baumbast in die Scheide hineinsteckt,
damit diese das Menstrualsecret aufsaugen sollen.
Wenn man dieses noch als eine halb unbewusste Zerstörung des Jungfern-
häutchens auffassen könnte, so begegnen wir der absichtlichen Zerstörung desselben
ebenfalls im malayischen Archipel auf den Sawu-Inseln. Hier steckt man
dem jungen Mädchen bei der ersten Menstruation ein zusammengerolltes Koli-Blatt
in die Scheide, das in dem Bestreben, sich wieder zu entrollen, wie ein Dilatator
auf die Vaginalwand einwirkt. (Riedel^.) Wie schon gesagt, bezweckt wahr-
scheinlich die Machacuras-Indianerin etwas Aehnliches.
Von den Itälmenen in Kamtschatka giebt ähnlich wie Virey auch
Steiler an, dass sie gewohnt sind, zur Zeit der Menstruation sich einen Tampon
von einer Grasart in die Vagina zu stecken. Derselbe wird mit Hülfe einer be-
sonderen Bandage festgemacht. Aber nicht hierdurch geht ihr Jungfernhäutchen
verloren, sondern sie haben es schon lange vorher eingebüsst. Denn da es bei
ihnen als Schande und als ein Zeichen schlechter Erziehung gilt, wenn sie als
reine Jungfer in die Ehe treten, so erweitem die Mütter, „damit sie dieser SchmadbL
vorbeugen möchten, in der zarten Jugend die Scham mit den Fingern, «eiP*
die Obstacula und die Jungfemschaft und lernten ihnen das Hand«
Jugend auf.**
48. Die Beschneid ung der Mildcbeu*
199
43. Die Beschueiilnti^ der Mädefaen.
Bei eioer Anzahl von Völkerschaften besteht der absonderliche Gebrauch,
lUüh hei den Mädchen an den Geschlechtstheilen eine Art von Bescbneidung
^Torztinehmen. Man hielt dies ursprönglieh für eine speciell afrikanische Sitte,
da iin Anfange nur aus Afrika Nachrichten über diesen Gegenstand zu nns
irangen. Inzwischen haben wir aber erfahren, dass auch in Asien, und zwar in
Indonesien, etwas Derartiges üblich ist. Eine Uebertragung des Gebrauches von
Vineni Volke zu dein anderen ist hier bei ihrer Rassenverschiedenheit und bei der
reiten Entfernung ihrer Wohnsitze als vollkommen ausgeschlossen zu betrachten.
7ir können vielmehr wieder einmal sehen, dass die gleichen absonderlichen Ge-
" engänge in den Gehirnen weit getrennter und ganz verschiedener Menschen-
zur Entwickeinng zu kommen vermögen.
Die Beschneidung der Mädchen wird gewöhnlich mit dem Namen der
Sxcision bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine blutige Abtragung der
^leinttn Schamlippen sowie der Clitoris mit ihrer Vorhaut. Die Völker aber,
Irelche diese Unsitte Üben, führen die Operation nicht alle in ganz gleicher Weise
Bei einzelnen Stammen werden alle diese genannten Theile fortgeschnitten,
äderen aber wiederum wird nur das Eine oder das Andere entfernt Man
hi den Gebrauch der Madchenbeschneidung in Aegypten, in Nubien (Kor-
lofan). in Abyssinieu^ im Sennaar und den umliegenden
adem, in Belad-Sudan, bei den Gallas, Agows, Gaffats
yd Gongas, sow^ie bei manchen anderen V'ölkem Ost-Afrikas,
iiith in der kleinen Oase der Libyschen Wüste soll sie
ibraufhiich sein, und l»ei den Arabern gilt der Zuruf: ^0 Sohn
^«tn beschnittenen Fniul* als ein Ausdruck ganz besonderer Ver- fi^^yjfg. Ein« ver*
ung. (Wilkan) Eine Abbildung solcher V^erschnittenen aus ftchnitwne
lubien bat Fanvtrf geliefert, Dieselbe ist in Fig. 132 wieder- fjjb/wi/i.
cebeo«
Aber nicht nur bei den mohammedanischen Volkerschaften in Afrika, sondern
lach im Westen dieses Erdt heiles bei den eigentlichen N eger- Völkern wird diese
le«chneidung angetroffen, so bei den Susus, in liambuc, bei den Mandingos,
der Gegend von Sierra- Leone, in Benin, in Congo und in Acra an der
hildköste, bei den Peuhls, bei den Negern in Old-Calabar und in Luanda;
m Südoi<ten bei den Massai- und Wakuasi -Stämmen; im Süden bei einigen
J*^tiichuana- Völkern, Dieselbe Sitte ist auch unter den Malayen des ost-
lndischen Archipels gefunden. Auch von den Kamtscbadalen wurde sie be-
icbteif und merkwürdiger Weise hat man sie schliesslich auch unter den In*
lianern in Peru (den Chunchos oder Campas und den Tuncas), sowie bei
len Fan OS und bei allen Indianern am Ucay al e-Fluss entdeckt.
Es wurde oben schon erwähnt, dass wir nicht einem bestimmten Volke die
amprüngliche Erlindung dieses Gebrauches zuschreiben dürfen. Man hat das mit
Arabern versucht und mohammedanisch-rituelle Absichten darin erkennen
rollen« Aber schon Straho spricht von der Beschneidung der Mädchen in
rabien, und liacho/en flihrt einen Papyrus au, der diese Sitte auch beiden
A e g y p t e r n bestätigt. Im fünfzehnten der britischen Papyri beiast es
lieh nach ßernardtrut Vnjron:
^Armai, em in der Clausar de« inemphi tisc ben Serapeum lobender Aegypter,
,1,.™ ^* — *-c:!»ii i>*onyinorf folgende Klii|r^»chnft ©in: Tntemi, die Tochter der Nefori von
iit ihm im iSerupeum, ujjd habe durch ihre Collecten und die freiwillig^ü
rmU vtm VeruiOgcn, betragend ein T&leot und 390 DraehmeD, geiamtneU^
im aur Aufb^wühning anvertraut habe. Darauf eei er von der Mutter
'011 worden: sie habe ihm vorgegeben, die Tochter eteho in
jviitiac her Sitte beschnitten worden mÜMe intgttiftvia^aiji
bgv iXu > ^»folgen, damit Me bei der Vornahme jener feierlichen
200 ^- 1^0 äoBseren Sexaalorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
Handlung die Tochter einkleiden und angemessen dotiren könne. Sollte sie nicht dazu kommen,
das Vorhaben zu erfüllen und die Tochter Tatemi im Monat Mechir des Jahres XVni zu be-
schneiden, so werde sie ihm die Summe von 2400 Drachmen zurückerstatten. Auf diesen
Vorschlag sei er eingegangen und habe der Nefori das Talent und die 390 Drachmen einge-
händigt. Aber die Mutter habe von Allem Nichts gehalten, und als nun die Tochter ihm
Vorwürfe gemacht und ihr Geld zurückverlangt, sei es ihm durch wichtige Geschäfte unmüg-
lieh geworden, sich selbst nach Memphis zu begeben und dort seine Angelegenheit zu be-
sorgen. Darum gehe seine Bitte dahin, Nefori möge vor Gericht geladen und die Sache zum
Gegenstand richterlicher Beurtheilung gemacht werden.*
Diese Stelle beweist, dass die Aegypter, welche die Beschneidang der
Knaben nur bei der Priester- und Krieger-Kaste übten, das weibliche Geschlecht
allgemein der Beschneidung unterwarfen, wobei die Tochter ihre Dotation erhielt,
so dass sie gewissermaassen in den Besitz ihres Heirathsgntes gelangte. Denn da
inAegypten, wie Herodot bezeugt, kein Weib irgend ein Priesterthum versah,
so konnte auch die Beschneidung der Mädchen nicht als priesterlicher Vorzug wie
bei dem männlichen Geschlechte gelten; entweder war es also vielleicht ein Vor-
recht der im Serapeum erzogenen Mädchen, im Pubertätsalter beschnitten zu
werden, oder man beschnitt überhaupt alle Jungfrauen.
XJebrigens sprechen auch römische Autoren von dieser Sitte der Aegy pt er,
denn Paulus von Aegina^ welcher im 7. Jahrhundert n. Chr. lebte, sagt:
sQuapropter Aegyptiis visum est, ut antequam ezuberet, amputetur, tunc praecipue,
quum nubiles virgines sunt elocandae.^
lieber den Zweck dieser Operationen liegen verschiedene Meinungen vor.
So äusserte Brehm gegen Ploss die Ansicht, dass die Beschneidung vorgenommen
werde, um den ausserordentlich lebhaften Geschlechtstrieb der Frauen bei den
afrikanischen Volksstämmen einzuschränken. Andere aber hatten die Ansicht,
dass die bedeutende Vergrösserung, welche in jenen Ländern die Clitoris und die
kleinen Schamlippen erreichen, wie ich weiter oben auseinandergesetzt habe, als
ein grosser Schönheitsfehler angesehen würde und dass aus diesem Grunde zu
der Abtragung dieser Theile geschritten wird.
Es wurde schon in einem früheren Abschnitt die Angabe von Bruce von
Kinnaird über die abnorme Grösse der Clitoris bei den Abyssinierinnen
wiedergegeben, welche ein Hinderniss für den Zeugungsact abgeben sollte.
,Weil man nun in den Ländern, wo diese Ausdehnung und Grösse sehr gemein war,
die Volksmenge von jeher als ein Hauptaugenmerk aller Staaten angesehen hat, so ist man
bemüht gewesen, diesem Uebel abzuhelfen und etwas von den über die gewöhnlichen Grenzen
hervorragenden Theilen wegzuschneiden. Daher nehmen alle Aegypter, Araber und die
Nationen in den südlichen Gegenden von Afrika, als die Abjssinier, Gallas, Agows,
Gafats und Gongas diese Operation mit ihren Kindern vor: es ist keine gewisse Zeit dazu
bestimmt, doch geschiebt es allezeit ehe sie heyrathbar werden.*
Bruce erzählt dann weiter, dass die Missionare bei den Nenbekehrten die
Beschneidung untersagten, weil sie die Operation fQr eine jüdische Geremonie
erklärten :
,Als die Mädchen aber heranwuchsen und mannbar wurden, war dieser Theil so gross
und hervorragend, dass es beleidigend für das Auge und die Berührung war. Die Männer
wurden abgeschreckt, und die Volksmenge kam in Abnahme. Die Folge davon war, dass die
Männer, wenn sie sich unter den katholischen Cophten eine Frau wählten, sich einer Ge-
wohnheit unterwerfen mussten, wofür sie einen unüberwindlichen Abscheu hatten: sie hejra*
theten daher lieber eine Ketzerin, welche die Excision erlitten hatte und von jener Unannehm-
lichkeit befreit war, und daraus entstand die Folge, dass sie wieder in ihre ehemalig«!
ketzerischen Irrthümer zurückfielen.' Auf Vorstellung der Missionare wurden von dem Gollfr»
gium der Cardinäle de Propaganda fide in Rom , geschickte Wundärzte abgesendet^ um
einen aufrichtigen Bericht von der Beschaffenheit der Sache abzustatten. Diese erkUhrten Imv
ihrer Zurückkunfb, dass entweder die Hitze, das Klima oder eine andere nat&riielM ^^
eine solche Veränderung in der Bildung dieser Theile hervorbrächte, daai die dottlg«
von denen in anderen Ländern gar sehr verschieden wären, data dieea TendkMdii
44. Das Lebensalter und die Ausführung der Madchenbeschneidung. 201
Abscheu yeranlasse und folglich dem Zwecke der Khe hinderlich wäre." Jetzt gab die Geist-
lichkeit nach, jedoch mussten die Mütter erkUlren, dass die Operation ^keineswegs aus jüdischen
Absichten geschehe' und es wurde bestimmt, dass das Hinderniss für die Ehe ,,auf alle Wege
aus dem Wege zu räumen sey**. Seit der Zeit wird die Kxcision sowohl mit den Katholiken
als mit den Cophten in Aegypten vorgenommen. Es geschieht vermittelst eines Messers
oder Kasirmessers durch Weiber, gemeiniglich wenn das Mädchen 8 Jahre alt ist.
Auch die Mandingo-Neger betrachten nach Mungo Park die Operation
nicht als eine religiöse Ceremonie, sondern als etwas „Nützliches", durch das die
Ehen fruchtbar würden. liussegger^ welcher die Sitte im südlichen N u b i e n
fand, sagt darüber:
.Diese uralte Gewohnheit ist meiner Ansicht nach rein eine Erfindung südlicher Eifer-
sucht, und ihr praktischer Nutzen liisst sich um so woniger einsehen, da dor Kei/ des Beischlafs
weiblicher Seit<^ durch diese Operation nothwendig vermindert und dadurch der Zunahme der
I^vOlkerung entgegengewirkt wird. Auch die scheinbar nnthgedrungene Enthalt^^amkeit im
Umgänge mit dem anderen (jeschlechto vor der EIk; wird dadurch keineswegs allgemein er-
reicht, da mir mehrere Fälle bekannt sind, wo Mädchen, auf diese Art prä])arirt, die Auf-
schneidung an sich vornehmen Hessen, später aber dem Acte der Aufschneidung, nur mit
weniger Umständen verbunden, neuerdings sich unterwarfen, eine neue Vernarbung herbei-
führten, und ohne Anstand als jungfräuliche Phönixe ein eheliches liUndniss eingingen/*
Hier wird die Beschneidung der Mädchen mit der Verniihung zusammen-
geworfen. Mit Letzterer beschäftigen wir uns später noch; sie ist allerdings eine
Erfindung der Eifersucht, was man von der Beschneidung an sich aber nicht sagen
kann. Und nicht überall, wo die Excision geübt wird, nimmt man auch die Ver-
nähung vor; diese ist viel weniger verbreitet als jene. Aber die Volksstämme,
welche sie ausfiihren, scheinen heute selber nicht mehr zu wissen, warum sie
dieses eigentlich thun.
44. Das Lebensalter und die Aiisfiilining der Mädehenbeselineidung.
Die Beschneidung der Mädchen ist bei den meisten Völkern mit eigenthüm-
lichen Cerenionien und Festen verbunden. Das Lebensalter, in welchem sie statt-
findet, ist meist ein sehr jugendliches. In Arabien wird ihr das Mädclien schon
wenige Wochen nach der Geburt unterworfen (Xirhuhr): bei den S<>mrili mit
3 — 4 Jahren (Pmiiitschke); im südlichen Aegypten wird sie vor der Pubertät
im 9. oder 10. Jahre vorgenommen {]\'rnir), in Nubien im zarten Kindesalter
(Rnsscgger); bei den Mandingo- Negern zur Zeit der Mannbarktnt i Mungo l'aric);
in Ahyssinien, bei den ü alias, Agows u. s. w. gewöhnlich wenn das Mädchen
8 Jahre alt ist {lirucc). Nach Angabe von Stcrhrr fuhren jetzt die Abyssinier
die Beschneidung der Mädchen bereits am achtzigsten Tage nach der (.i«»l)urt aus.
In Dongola (Kordofan) erfolgt sie um das 8. .Fahr {liüpprU); bei den Mat-
kisses, einem Betschuanen- Volke in Süd-Afrika, zur Pul)ertätszeit (Ürlc-
gorgue); ebenso in Old-Calabar [Hnvan)\ bei den Malayen des ostindischen
Archipels, in Java u. s. w. zur Zeit des zweiten Zahnens iEpp}\ bei den Indianern
in Peru, den Ohunchos oder Camj)as, an Mädchen von \i) .\i\\iven iUrnndidirr).
Bei den im südöstlichen Afrika lebenden Massai- und Wakuasi-Stäninien,
welche die Söhne im 3. Jahre beschneiden, werden die Töchter erst kurz nach
ihrer Verheirathung beschnitten; bei den Negern zu Loanda 8 Tage vor der
Hochzeit {DouviUe). Die Peuhls im Westen Afrikas beschneiden die Mädchen
bald nach der Geburt. In Persien soll bei einigen Nomadenstämmen nach
Chardin die Beschneidung der Mädchen zur Zeit der Mannbarkeit üblich sein:
doch konnte Folak trotz aller Nachfragen Nichts hierQber constatiren.
Eine Beschreibung der Operation, wie sie in Aegypten ansgef&hrt wird,
lieferte Duhousset:
.La Cireoneiiioa ^^»^ ^"'^ Amm renUrement du clitorii, et se pratique do
1a Bumi^ raivaiita lor ^ ^ am. L*op6nteiir, qni est le plus Boavent
202 V. Die ftusseren Sexoalorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
un barbier, se sert de ses doigts tremp^s dans la cendre pour saisir le clitoris, qu*il ^tire ä
plusieurs reprises d*arri^re en avant, afin de trancher d'on seul coup de rasoir, lorsqu^il prä-
sente un simple filet de pean. La plaie est recouverte de cendre pour arrSter le sang, et se
cicatrise apr^s nn repos complet de quelques jours. J*ai vu plus tard, de Taveu m§me des
Operateurs, le peu de soin qu'on apportait ä circoncire les filles dans les limites r^lig^euses
de Top^ration, qu'on pratique plus largement en saisissant les njmphes & la hauteur du clitoiis,
et les coupant presque ä leur naissance, & la face interne des grandes levres, dont les replis
muqueux, qui nous occupent, sont pour ainsi dire la doublure, cachante les organes repro-
ducteurs; ce qui reste des petites levres forme, par la cicatrisation des parois lisses, s^indurant
et se retrecissant, nne vulve braute, d'un aspect singulier chez les Fellas circondses.**
Ecker^ erhielt das Präparat der betreflfenden Theile von einer Fellachen-
Frau von Bülharz zum Geschenk. An diesem Präparat ist von der Olans clitoridis,
dem Praeputium und den Labia minora nichts zu sehen; alle diese Theile sind
vollständig entfernt. Ecker injicirte die Corpora cavernosa von ihrer Wurzel aus ;
hierbei zeigte sich, dass sie bis zu ihrer Vereinigung wegsam waren; von da an
drang die Masse nicht mehr weiter vor und die Körper verloren sich in einem
narbigen Gewebe. Eine Injection der bekanntlich insbesondere mit dem Gefass-
System der Glans clitoridis zusammenhängenden Bulbi vestibuli gelang nicht. ISa
ist also, wie Ecker sagt, wohl anzunehmen, dass bei dieser Operation die Glans
clitoridis mit ihrem Praeputium gefasst, hervorgezogen und ziemlich tief abge-
schnitten wird.
In Aegypten und Abyssinien wird nach Ilartmann^ das Praeputium
clitoridis, seltener die Clitoris selbst oder ein an der vorderen Commissur der Labia
majora hervorwachsender „Klunker" abgetragen.
Am oberen Niger, bei den Malinke und Bambara, herrscht nach GaUietii
ebenfalls der Brauch der Mädchenbeschneidung. Er sagt darüber:
^Chez les Malink^s et les Bambarres, les jeunes filles sont generalement ägees de
douze ä quinze ans au moment de Top^ration, qui a lieu apres Thivernage, alors qne les in-
digänes poss^dent encore Tabondant provision de mil, n^cessaire pour les repas plantureuz
prepar^s a cette occasion. L*operation est faite par les forgerons pour les gar9ons, par les
femmes des forgerons pour les filles. L'instrument emploje est un simple couteau en fer gros-
sierement aiguisä. Les patientes ne doivent donner aucun signe de faiblesse au moment de
Texcision. Comme nous nous etonnions souvent de voir pratiquer la circoncision vis-ä-vis
des jeunes filles, on nous röpondait, que celles-ci restaient ainsi plus fideles k leurs maris;
cependant, les femmes indig^nes ne so piquent guäre de chastete.**
„Les familles, dont les enfants viennent de subir Toperation de la circoncision, cel^brent
cette fete par des danses et des cbants, accompagnes de repas plus copieux que d'habitude.
Les riches tuent des cbevrop, des poulets, quelques fois meme un boeuf ; les pauvres ramassent
deuz ou trois chiens dans le village et les unisent avec le riz ou le couscous : partout on con-
fectionne du dolo et on se livre ä d'abondantes libations.*'
, Apres Topüration, les circoncis vetus de longues robes munies de capuchons qui leur
recouvrent lu tote, ne repuraissent dans leurs famillcs que lorsqu^ils sont enti^rement gu^ris.
Les gar^ons sont scpar^s des filles. . . . Les filles portent de petites calebasses remplies de
menues cailloux, semblables a nos jouets d^enfant. Au matin, de bonne heure, tous retoornent
sous leur arbre. Les cicatrices sont longues a se gu^rir, car ces indig^nes ne possedent rien
pour retenir les peaux apres Texcision; il faut bien compter 40 ä oO jours pour la gu^rison.
Le retour dans les familles donne lieu a des longues fötes. Les jeunes gar9ons ont d^rmaiB
le droit de porter des armes et de donner leur avis dans los conseils; les jeunes filles
peuvent se marier. •*
Bei den Woloffen ist die Beschneidung der Mädchen ein grosses Fest für das
ganze Dorf, und alles begiebt sich auf das Zeichen der Trommel in den betten
Kleidern auf den öffentlichen Platz. Unter den Klängen einer schrecklichen Musik
werden die für die Beschneidung bestimmten jungen Mädchen, welche ganz besonders
festlich gekleidet und mit dem gesammten Familienschmuck behängt sind^ feierlich
durch das ganze Dorf und zurück zum öffentlichen Platze geführt. Nun beginnt
ein allgemeiner Tanz, welcher viele Stunden andauert. Von alten Frauen wer
die Mädchen in die Hütte des Schmiedes geführt, dessen Frau mit dem Moj
44* Dum Lebenflftlter und die Ausfübrang der Mädchenbeschneidung.
203
grauen die Beschneid ung ausfuhren muss. Das junge Mädchen setzt sieh auf
ftnent wi<:ht weit von der Wand abstehenden Klotz, spreizt die Beine und lehnt
»ich hinten liber, so dass die Wand ihren Körper stützt. Die Operateurin fasst
die kleinen Schamlippen mit der linken Hand und schneidet sie mit kräftigem
Zugte mit einem alten Messer ab, das mehr an eine Säge erinnert Ein auf-
gelegte Pflaster stillt die Blutung. Eine Woche bleiben die Operirten zu Haus;
dann sieht man sie noch 3 bis 4 Wochen hindurch täglich mit Stocken in der
Band 2uni Flusse gehen und dort ihre vorgeschriebenen Waschungen machen.
Zuletzt wird der Verband abgenommen. Eine eigentlich religiöse Bedeutung
acbeint die Beschneidung nicht zu haben. {Ärnnj surgefm,)
Weiter oben hatten wir schon gesagt, dass auch in Indonesien diese
Sitte herrscht.
Nach den Berichten von RirdeP wird auf fast allen Inseln des alfurischen
Archipels, namentlich durchgehends von der mohammedanischen Bevölkerung, die
B<*»chneidung der Mädchen ausgefährt. Es handelt sich meistens um eine partielle
Kej*ection der Clitoris. Von den Einwohnern der Insel Buru erzählt er:
.Vor Eintritt der ersten Menstruation (bei Knaben vor der Pubertät) werden die ZUhne
bis dicht zum Zahnfleisch ran de abgefeilt und die Boschneidung vorgenomtnen. Die Mfulchea
w«rd<in gtibadet, auf einen Stein gesetzt, und von eioer alten Frau wird ihnen ein Stück von
dfT Ctlanji clitoridis abgeBchnitteo, angebHcbf Uta den Geschlechtstrieb vor der Verhoiriithung
m nnt^rdrUcki^n. Auf die Wunde werden ab blutstillendi; .\Jittel gebrannte und pulverisirte
^ÄgfobUttrippen (okbaa) aufgelegt. Dann trägt eine Frau das Mädchen in die Hütte, wo e»
^^■Ui^J' bfisonderen Diüt unterzogen wird und bi$ zur Heilung das Haus nicht verlassen darf.
^'Bi« Sittö ist mohammedanischen Ursprungs,*
I Bei den Seranglao- und Gorong-Inseln giebt Riedel^ an, dass die Clitorid*
I ekiotnte vom 7. bis zum 10, Jahre stattfindet und zwar mit einem grossen Fest
I Nicht selten tritt nach der Operation der Tod an Verblutung ein; jedoch werden
die Kinder dann gliicklich gepriesen, da sie dann in Mokamtncirts 7. Uimmel kommen.
Die (>|ieration wird bei Mädchen durch die Frau des Geistlichen ausgeführt und
du» Kind wird hinterher gebadet.
Auf Celebes werden in den Latidsehaften Holontala, Bone, Boalerao,
Kattinggola die jungen Mädchen in ihrem 9., 12. und 15. Jahre beschnitten;
diese Handlung heisst ^mopolihoe olimoe", d. h, »mit dem Citrus histrix gebadet
werden*. Auch hierbei finden, wie bei der Knaben* Beschneidung, grosse Feierlich-
keiten statt, doch verursachen die Mahlzeiten weniger Unkosten. Die Operation
verrichten weibliche Personen. [RfefId'K)
Wilkfu sagt: ,tra Allgemeinen werden die Mltdchen in jugendlichereui Alter be-
•clmiiien, alt djo Knaben. Daa bezeugt Herr van HiUaeli unter Anderem von den Menangka-
bawichen Mulaven. Auch bei den Javanen i^t das der Fall; die Madchen werden gegen
da* 6* bit 7. Jahr dem EingriÜ' unterworfen. Bei den Makaesaren und den Boegi neuen
f ' ' ' Oporation im Alter von H bis 7 Jahren statt, bei den Gorontalesen viel spater»
i immer noch früher, als bei den Knaben, nrimlich mit 9, 12 oder 15 Jahren. Die
i>'. wird im Cnneren des Hauses aufigelUhrt. und »war stets von Frauen, während
p' ^ I den ßoegine&en und Makaisaren berichtet wird, den MUnnern, mit Auj*-
r-ijitiiii 1 .iir- VI n<»icht, verboten iat, dabei %\i sein. ÜobrigofiB werden hRtiÜg dal>oi
! ' ' ' '■r\ . ,K ' 1, fi dicÄC, wenigst pfis h**i den GorontaloBen, nicht den Umfang und
der Knabonl ng. Nur bei den Makasearen und Boft|?i-
lung gnnz in ! ohne Feierlichkeiten statt. Worin der EingrifF
ittihu un^i wie er aufgeführt wird, diiä wird un» nur von den Javanesen, den Makati-
c i[TjJ flpii Ho rtM fi ^> - on b^richt^t. Bei ilfn Grattronnunten wird ein Stück von d«r
i>i cHtoridi«, daa Abgu!*cimittene mit einotn
M
kleine«
204 V. Die ftoBseren Sexaalorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
Operation auch mit kattang oder katta bezeichnet, d. h. Abschaben. Die Sache geschieht
durch zwei Frauen, von denen die eine hinter dem Mädchen Platz nimmt, soviel als möglich
die i^chamtheile aus einander zerrt und dadurch den Kitzler hervortreten lässt. (Die Angabe
von Kpitj dass die kleinen Schamlippen beschnitten würden, scheint auf einem Irrthum zu
beruhen.) Ebenso wie die Beschneidung der fi[nahen bei den Mohammedanern in dem Archipel
hat die der Mädchen mehr oder weniger den Charakter einer Aufnahmeceremonie in den
Glauben.''
Ganz ähnlich ist es nach RiedeV^ bei den Sulanesen. Er schreibt:
«Die Beschnei düng der Mädchen, wobei kein Mann gegenwärtig sein darf, ist nur bei
den Mohammedanern im Gebrauch und wird durch alte Frauen, auch wohl dukuku bewerk-
stelligt, indem sie mit einem scharfen Messer ein kleines Stfick der pokooti oder Glans
clitoridis abschneiden. Das Kind sitzt auf dem Schoosse einer Frau mit weit aus einander
gespreizten Beinen, die durch zwei andere Frauen festgehalten werden. Die Wunde wird mit
dem Safte von Curcuma longa bestrichen, und nach der Heilung wird das Kind durch die-
Helben Frauen gebadet. So lange die Wunde nicht geheilt ist, dflrfen die Kinder keine er-
hitzenden Speisen essen.''
Diese Operation wird im Alter von 9 — 10 Jahren ausgeführt. XJnbeschnittenen
Mädchen ist es auf das Strengste verboten, in geschlechtlichen Verkehr zu treten,
oder eine Ehe einzugehen.
Von der Beschneidung der Itälmenen in Kamtschatka erzahlt Steiler
bei der Besprechung ihrer vergrösserten Nymphen:
,Es werden dieselben nunmehr für eine grosse Schande gehalten und ihnen in der
Jugend, wie den Hunden die Ohren, abgeschnitten.'*
Besonders bemerkenswerth ist schliesslich, dass die Mädchen-Beschneidung
auch in Amerika als Volkssitte vorkommt. An eine Einführung dieser Sitte
von anderen Continenten her kann hier wohl kaum gedacht werden. In Ecuador,
in der Landschaft Maynes leben die Panos- Indianer, welche im vorigen
Jahrhundert der Missionar Franz Kavier Veigl besuchte; er erfuhr, dass sie
früher die Mädchen der Beschneidung unterworfen hatten; als er nach der Ur-
sache dieses Gebrauches sich erkundigte, sagte man ihm, man habe beschnittene
Weiber für fähiger und geschickter erachtet, ihren natürlichen Obliegenheiten
nachzukommen.
Die Indianer in Peru am Flusse XJcayale, welche man mit dem Namen
Chunchos bezeichnet (auch Campas), üben bei den Mädchen von 10 Jahren
ebenfalls die Excision aus. Bei dieser Gelegenheit kommen die Nachbarn mit
vollem Schmucke angethan zusammen und bereiten sich 7 Tage lang durch feier-
liche Gesänge und Tänze zu dem Feste vor, wobei sie in reichlicher Menge die
berauschende Chicha, aus Manioc bereitet, geniessen. Am achten Tage wird das
Mädchen durch eine starke Gabe des gegohrenen Manioc berauscht und unempfind-
lich gemacht; in diesem Zustande vollführt eine alte Frau an ihr die Operation.
Durch einfache Uebergiessungen stillt man die Blutung. Alsbald beginnen wieder
die Gesänge und Tänze ; dann legt man das Opfer in eine Hängematte und tragt
es von Haus zu Haus. Durch die Circumcision ist das junge Mädchen unter die
Frauen aufgenommen (Grandidier),
Ich kann dieses Thema nicht verlassen, ohne einer Form der Beschneidung
der Weiber zu gedenken, welche leider auch in Europa noch vorkommt und
namentlich in Kussland und in Rumänien ihre wesentlichste Verbreitung besitzt.
Sie wird ausgeführt zur höheren Ehre Gottes von der sonderbaren Secte der
Selbstverstümmler oder Skopzen, Ober welche wir r. Pelikan ausführliche Unter-
suchungen, durch zahlreiche Abbildungen erläutert, verdanken. Bekanntlich stützen
sich die Skopzen bei ihren absonderlichen Vornahmen auf einen Ausspruch des
Evünf^cWsten Matthäus (19, 12): „Denn es sind etliche verschnitten, die sind ans
Mutterleibe also geboren; und sind etliche verschnitten, die von Menschen Ter-
schnitten sind; und sind etliche verschnitten, die sich selbst verschnitten haben
um des Himmelreichs willen/ Die vorgenommenen Verstümmelungen befarellen
45. Die Infibulatiou oder die Vernähung dor Madchen. 205
bei den Weibern entweder die Brüste oder die Genitalien oder beides zugleich.
Wir betrachten hier fürs erste nur die Verletzungen an den Geschlechtstheilen.
Dieselben bestehen in dem Ausschneiden der Nymphen allein oder mit der Clitoris
zugleich, oder in dem Ausschneiden des oberen Theils der grossen Schamlippen sammt den
Nymphen und der Clitoris, so dass durcli die darauf folgende unregolmässige Vernarbung
dieser Theile die Schamspalto bedeutend verengt wird.
Drei Abbildungen der Genitalien von Skopizcn oder Skoptschichen (weiblichen Skopzen)
erläutern die vorgenommenen Operationen. Alle drei betreffen jungfräuliche Individuen mit
intakt erhaltenem Hymen und unverletztem Frnnuluiu der grossen Schaniliiipen. Moi der einen
finden wir die asymmetrische Excision dor kleinen Labien. Hie linke Nymphe zeigt ungefUhr
in der Mitte ihres freien Randes einen dreieckigen Ausschnitt. Der dreieckige Defect hat nach
unten einen horizontalen Rand von 0,7 cm, nach oben einen schrrigen Rund unter 4o Grad
nach lateral wärts abgehend, während die I.ück(> im äusseren Kande der Nymphen 1 cm beträgt.
Die Ränder des Ausschnittes erscheinen abgerundet und verdickt. Die rechte Nyrajihe ist in
ihrem unteren Dritttheil scheinbar ganz von ihrer Rasis herausgeschnitten, und nur an ihrer
unteren Grenze ist ein kleines Zipfelchen stehen geblieben, das zu einem hanfkorngrossen
Knötchen angeschwollen ist.
Auf einer anderen Tafel erkennen wir die symmetrische Ans-
sohneidung der kleinen Schamlippen. Im oberen Dritttlieile der Nymphe
hat ein «chräger, von oben kommender Schnitt .jederseits einen unge-
fähr 0,25 cm breiten zungenförmigen Lai>i)en aus den kleinen Schani-
lippen bis zu deren Basis hin herausgeschnitten. Kine zweite Excision
hat die Mitte der kleinen Labien getrotl'en und aus jeder ein dreiecki^e>
Stück herausgetrennt von ungefähr derselben Form und <* rosse wie der
Ausschnitt ander linken Nymphe der verlier be>cliriobenen Person. Oi»»
Schnittränder sind mit rumllicher Verdickung vernarbt. Auf «liese
"Weise ist zwischen den Ausschnitten der kleineu Schanilii»ppn von di««.-en
jederseits ein ungefähr 0,ii mi breiter Lappen stehen geblieben. I)ci>elbe ..j.^ j ..^ v.isrlinitieiu*
bietet aber keinen freien Rand dar, son<lern ist mit diesem mit der Tof^iihiijj.' .iiniVfruu aus
^Schleimhaut der benachbarten grossen Schamlijjpen narbig verw-.irhsen, Ifus^land, lior skop-
woraus geschlossen werden njus.>, dass l»ei <b'r Operation au«-u iliese /-' »-•'l<t'' aiijr^hnrenil
wund gemacht worden ist, und dass an den La]»pen auch von ihrem
freien Rande ein feiner Sauin abgetrennt wurde. Denn )»eide Theile
mussten angefrischt, wie der Ciiirurg sagt, d. li. wund gemacht sein, wenn sie mit einander
ven*'achson sollten.
Die dritte Tafel, ebenso wie die vorigen in Le)>ensgrös>e an^gefüiirt, giebt uns das
Bild einer Excidirten (Fig. l:5o). Eine ?Schaiiispiilte im eigentlichen Sinne existirt nicht, sondern
wir sehen statt derselben ein längsovales Lf.(.li von .'J zu *2 cm Durehmesser, das trichterfiirmig
nach abwärts (bei Rückenlage der Patientin) zu führen scheint. An der Ilinterwand dieses
Loche» markirt Mch in der Mitte die /.ienilich gros.«.e Ilarnröhrenölfnung und etwas seitwärts
von dieser jederseits eine kleine Scbleimhautcarunkel, welche wohl als einziger Teberresit der
excidirten Nymphen betrachtet werden muss. Auf dem grau behaarten Scliamberge ist eine
breite, unregelmässige, annähernd dreiseitige Narbe sichtbar, im grös.-ten Querdurchniesser
3 cm breit. Die Spitze dieses narl»igen Dn^iecks ist nach unten gekehrt, und v(m ihr läuft
ein leicht gezackter Narbenstreifen in der Medianlinie abwärts bis zu der Harnröhrenötfnung
hin. Von einer Clitoris existirt keine Spur, statt der kh'inen Schamlippen -ind nur die beiden
vnrhererwähnten Carunkeln erhalten. Grosse Schamlippen im gewöhnlichen Sinne des ^Vorte^
sind auch nicht vorhanden, .ledenfalls wurde ihre gesammte obere Alttheilung uiit fort-
gejichnitten und bei dem Verschluss der Wunden, «ler, wie gewis>e regelmä^-ig angeordnete
Pigmentflecke lehren. <lurch die blutige Naht stattgofun<len hat, musste «lie Haut von dem
stehengebliebenen Reste der grossen Schamlip))en mit beträchtlicher (iewalt nach oben und
zur Mitte zu herangezogen werden. Hierdurch erscheinen die Labia majora nieht mehr als
.Lippen'*, sondern als nur minimal das Niveau der Umgebung überragende llautflächen, die
sich kaum noch durch die fast gänzlich verstrichene Labial-Schenkelfurche gegen die Nachbar-
schaft hin abgrenzen.
45. Die Inflbiilation oder die TernihiiiiK der Midehen.
In engstem Zusammenhange mit der MSdeb^^ "^e andere
Operation an den weiblichen GtechlechtaUieilK n der
206 ^* ^^^ ftoBseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
Infibulation oder der Vernähung bezeichnet hat Wir werden jedoch sogleich
erfahren, dass hier durchaus nicht immer von der Anlegung wirklicher chirurgischer
Nähte die Rede ist. In der Infibulation haben wir nun in Wirklichkeit, wie man
es früher von der Mädchenbeschneidung überhaupt angenommen hatte, eine specifisch
afrikanische Sitte vor uns; wir kennen bis jetzt kein einziges Land der Erde,
mit Ausnahme des nordöstlichen und des centralen Afrika, wo diese für unsere
Empfindungen so höchst widerwärtige Sitte Eingang gefunden hätte. Allerdings
berichtet Lindschotten, dass er die Infibulation in Pegu in Indien Torgefunden
habe, aber seine Angabe ist yon anderen Reisenden nicht bestätigt worden, so
dass ihm vielleicht ein kleiner Oedächtnissfehler mit untergeschlüpft ist. Der In*
fibulation muss unter allen Umständen eine Beschneidung des Mädchens vorher-
gehen, und zwar wird diese noch dazu in sehr ausgiebiger Weise ausgeführt, um
hinlänglich weite Wundflächen zu schaffen, damit durch deren Vereinigung eine
feste Narbe zur Ausbildung kommt. Entweder durch wirkliche Applikation von
chirurgischen Nähten, oder, was das Häufigere zu sein scheint, durch entsprechende
Lagerung und Bandagirung der Kranken werden die frisch angelegten Wund-
flächen in innige Berührung mit einander gebracht und auf diese Weise wird eine
narbige Vereinigung derselben hervorgerufen. Es wird dafür Sorge getragen, dass
durch diese Vernarbung die ganze Schamspalte verschlossen wird bis auf eine ganz
kleine Oeffnung, „ dadurch sie ihr jungfrawlich Wasser abschlagen mögen'', wie es
bei Lindschotten heisst.
Schon im Mittelalter wurde von Magriei berichtet, dass man bei den Beja
(Bedscha) den Mädchen die Schamlippen beschneide und die Rima pudendi zu-
nähe, und auch heute findet sich noch diese Sitte ziemlich allgemein bei den
südlich von den Nilkatarakten wohnenden Völkern, bei den Oalla, den Somali^
den Harari und den Einwohnern von Massaua u. s. w. Unter den Beduinen
der westlichen Bejuda-Steppe, im Norden von Chartum, werden die Mädchen
zwischen dem 5. und dem S.Jahre der Infibulation unterworfen. Auch in Kor-
dofan ist das 8. Jahr dasjenige der Beschneidung und Vernähung. Die Mädchen
der Harari werden mit 7 Jahren, diejenigen der Somali mit 8 bis 10 Jahren,
oder, wie Paulitschke berichtet, schon im Alter von 3—4 Jahren vernäht. Lanßi
giebt für die Infibulation bei den Danakil das 3. Lebensjahr an.
Ueber die Ausführung der Operation liegen uns eine Reihe von Berichten
vor, welche die bereits angeführte Thatsache bestätigen, dass der modus procedendi
nicht immer der nämliche ist ; allerdings ist das schliesslich erzielte Resultat, wie
es den Anschein hat, in allen Fällen das gleiche. Bei den Somali und Harari
besteht die der Infibulation vorhergehende Beschneidung in einer operativen Ver-
kürzung der Clitoris und einer Wundmachung, einer Anfrischung, wie der Chirurg
sagen würde, der „äusseren vulvae', also der grossen Schamlippen. Wahrscheinlich
werden bei dieser Gelegenheit gleichzeitig aber auch die kleinen Schamlippen
abgetragen. Die Operation wird durch erfahrene Frauen ausgeführt, welche der-
selben umgehend eine echte Vernähung folgen lassen, die nach Paulitschke mit
Pferdehaaren, mit BaumwoUzwim oder mit Bast gemacht wird. Nur ein kleiner
Rest der Schamspalte bleibt unvemäht. Eine mehrtägige Ruhe, während welcher
dem Mädchen die Füsse zusammengebunden werden, bringt die Wundflächen zur
narbigen Vereinigung.
Von einer echten Vemähung spricht auch Burckhardt bei den mit dem
Namen Mukhaeyt, d. h. consutae, bezeichneten Operirten:
,Mihi contigit nigram qnandam puellam, qaae hanc Operationen! suhierat, inspicere.
Lahia pudendomm acu et filo consuta mihi plane detecta fuere, foramine angusto in meatnm
urinae relicto. Apud Esne, Sioat et Cairo tonsores sont, qui obstnictionem novacnla
amovent, sed volnus hant raro letale evenit'
Bedeutend häufiger scheint es vorzukommen, dass, anstatt die frischen Wand-
flächen durch Nähte mit einander zu vereinigen, sie nur genau auf einander ge»
45. Die InfibulAiion oder die Vemäbung der Mildchen.
207
is^t werden. Die Operirte wird dann durch eotsprechende Bandagirung an
bglicher Bewegung gehindert und darf bis zur gUkklich erfolgten Heilung ihr
ftger nicht verlassen. Hierüber stehen uns mehrfache ausfiihrlicbe Berichte zur
reriTjgung. Derjenige des Dr. Peney^ Chefarzt der Armee im Sudan, mag den
LD&ng machen:
«C'e^t vers l*äge de eept ou huit ans, qne la jeune fille est livr^e k la mairona cbargee
Toperer- Quelques joura avaot r^poqu© fix^e pour cet objet, la mere de famille invite
par^nU ot cortnaiiisanceg do aexe feminin ä se reuiiir chez eile, et c'ewt par des ietes qu*on
l«rludo u U cerbmoßie sanglante, Le maiuent arrive, la victime, enTiroDiiee de toutes les
ue» pre^eDtes, est couchee sur un lit oü eile est maintenue par les assistantes, tandis que
rooe, armee d'un raaoir et agenouillee entre les cuiBses de la patieote, procede a Tope-
Celle-ci comuieace par Vablalion d'une partie du clitoris et de« nymphos; de la le
»oir, d<?öcendant sur le rebord des grandes levres, enl^ve eur leur bord interne et en con-
E>urnant la vulve une languette do chair» large de dear centim^tres environ. Cette Operation
dure quatre ou cinq tninutes; et x^our empdcher les criR de la patiente de «e faire entendre,
les aitJisUnte« ont soin de pousser dea clameur» »ur le diapason le plus aigu, tout que durent
le« manoeune« operateires. L'abJation de« partie» ache^ee et le saog ^tanche, la jeuo© fillo
e»! coueh^e sar le dos, les jatnbes etendues et liees fortement Tune h Tautre, de favon a leur
tutcrdire tout mouTetnent, Cette prt^caution est n«^ce8saire pour menager la fonnation de la
Avant d'abandonner VopiTÖe aux eoin« de la nature, la matrono introduit dans la
tie inferieure du vagin, entre lea IfeTres saignantes de la plaie, un petit cylindre de boia,
»eur d'une plume d'oie. LVifficc de ce cylindre, qui doit re»ter en place jusqu'au
le travail do la cicatrlEation sera achev^^, est de menager uno ie^ue aux urinea
fliwi Card aux tnenstmes. C'est tout ce qui reste de permeable dans le vagin.*
Neuerdings berichtet auch Vita Hassan über die Sudanesinnen:
• Die weibliche Beschneid uug« wie sie bei allen Mohammedanern auegeführt wird,
llt in der Entfernung eines Theils der Clitoris. Im Sudan wird statt dessen von den
mei«ten arabischen StLlmmen eine geradezu schreckliche YerätUmmelung ausgeübt. Diese
barl>ari«cbe Operation ßndet, wenn das Mädchen ein Alter von secht; Jahren erreicht bat, mit
4«iui9lben Feierlichkeiten wie bei der Hochzeit statt. On conpe avec le rasoir le clitoris, le»
»ode« l^vret et ane partte de la plus proeminente dos petites Ifcvrea en laissant la place
^ de ei tans un reüef On röanit en»uiie les deux bords par des sutures en ayant »ein de
mettre ua petit tnbe en roseau trt?s-inince, pour maintenir une petite ouverture pour Tecoule-
ment de Turine. Au bout de quelques joars les bord« se soudent, la place se forme, et on
peut alors dotacher les fils de la suture ainai que ia canule de ruseau. La femme est devenne
an monstre, et Top^ration sacree, ou sacr<^e Operation est achevee."
Bei den Danakil hat nach Lanii das infibulirte Mädchen mit zusammen*
ebundeaen Beinen fest auf dem Lager auszudauern; bis dahin pflegt die voU-
^indige Vernarbung der an gefrischten Theik« eingetreten zu sein.
Heber den Sennaar giebt CaUtiatul Folgendes an:
«Api^e avoir elague ces deux membranes, lee plaies de Tune et de Tautre sont nippro«
et la pattente est tenue danis an »tat d'immobilit^ presque enti^re jusqu'ti ce qtt'eUes
•• toieot röunies ensemble par agglutination: au moyen d*une canule tres-mince, on menage
one Ouvertüre ik peine süffisante pour le« ecoulementt naturels.*
Die Art und Weise, wie die Operation bei den Nubiern ausgeführt wird,
beschrieb Tanner in der Ueburtshülf liehen Gesellschaft zu London:
.Puella, adhuc tenera, humi supina prosternitur, cruribus surBum trusis, genubue flexis
Ot in diversum extenBis, Sic jacenti, verondnrum labia acuta novacula utrinque per totum
pa«ii^ 08 scalpuntur, relicta ad extremum deorsos hiatum in longitudinem quarta unciae parte.
in quam calamus pennam anserinam circuio aequiparans intro immittitur. Hoc facto labiorum
margines, oanguine adhuc stillantes in unum coguntur, eo consilio ut resanescentes conjun*
ganiur, et nihil aUud apertnm relinquatur, quam exiguum illud foramen, quod per oalamum
insertum re^ervatur.*
,Quae ut tiat conjunctio ot superBciea labiorum scalpro nuper inciaa quam optime coeat»
sUae crura itenabus et talis inter ae nexis colligantur. FUnc fit, ut nuUa membroruin
»v^: ' ' *.i jamjam concrescentia posftint separari. Post paucoa dies firmiter
ce v, quam natura dederat, nulla apparet Ita laevis est pars aa,
«Iva« moota qui y ctietia vuc;4>tur proxime aubjacet, ut speciem nudae feminae quem admodam
208 ^' ^^^ äusseren Sezualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
ficulptores statuam ex ea parte laevigant, omnino repraesentet. Calamo subdacto perexigoa
quae relinquitur apertura officio urethrae fung^tur.*
Pawcer? hatte inAegypten Gelegenheit, eine ungefähr 20 jährige Sadanesin
zu untersuchen, welche früher die Excision durchgemacht hatte. Er sagt von ihr:
„Man sah an Stelle der Schamspalte eine lineare Narbe, unter welcher der untersuchende
Finger die Clitoris an ihrem Platze, aber völlig beweglich und unter dem genannten Narben-
gewebe versteckt nachweisen konnte. Nur wenn man die Schenkel aus einander spreizte, sah
man bei dem Perinaeum die Scheidenöffnung in Form eines Spaltes, dessen Ränder durch
den Kamm der kleinen Labien gebildet wurden, die gewissermaassen mit den grossen ver-
schmolzen waren. Die obere Commissur, die Clitoris, die Harnröhrenmündung und die vordere
Hälfte der kleinen Schamlippen waren verborgen, weil die grossen Schamlippen mit einander
verschmolzen waren." (Fig. 134.)
Zum Schluss möge noch die Schilderung von Werne kommen, welche sich
auch auf die südlich vom ersten Nilkatarakte wohnenden Völker bezieht:
„Alte Weiber legen ein solches, dem Volksglauben unterworfenes
Opfer auf einen Anqareb und scarificiren mit einem scharfen Meeeer
die beiden Wände der grossen Schamlefzen bis auf einen kleinen Raum
nach dem After hin. Darauf nehmen sie eine Ferda (jenes lange Stück
Baumwollenzeug mit verzierten Enden, so Männer und Weiber um ihren
Körper gürten) und umwickeln damit dem Mädchen die Kniee fest, wo-
durch jene scarificirten Theile an einander geschlossen, auf die Dauer
Fig. 134. Eine vernähte verwachsen, bis auf den nicht wund gemachten Theil; in die kleine
Na hier in Oeffnung wird wegen des möglichen Zusammen Wachsens ein Federkiel
(nach Panceri). ^^^^ gjjj dünncs Rohr gesteckt, um den Bedürfnissen der Natur den
Weg offen zu halten. Vierzig lange Tage muss das Mädchen in dieser
Lage auf dem Anqareb mit gebundenen Knieen aushalten, ausgenommen, wo ein Bedür&ias
eintritt; und es scheint dieser Zeitraum, der Erfahrung über wirklich erfolgte Zusammen-
wachsung der Schamlippen entsprechend, gleichsam gesetzlich zu sein."
Wenn wir uns die Frage vorlegen, was für eine Absicht der Infibulation
zu Grunde liegt, so kann darüber wohl kaum ein Zweifel herrschen. Natürlicher
Weise war der Zweck der Operation kein anderer, als der, die Mädchen zu ab-
soluter Enthaltsamkeit in Bezug auf die geschlechtliche Vereinigung zu zwingen.
Und Wenie hat nicht Unrecht, wenn er sagt, es ist eine sicherere Vorkehrung,
als alle die mit künstlichen Schlössern und Federn, mit welchen rohe Ritter ihre
Frauen umschlossen, wenn sie Kreuz- und andere Züge machten. So entschuldigt
sich, wie er weiter angiebt. nicht selten ein Mädchen, „wenn man liebkosend sich
ihr nähert, mit einem: el bab makfül, das Thor ist verschlossen.** Auch Tanner
äussert sich in ähnlicher Weise:
„Hoc artifico tutis licet puellis cum pueris libere consociari, dum dies nuptialis advenerit,
quo tempore sponsa sine controversia virgo est.*
Von Sclavenhändlern wird die Vernähung oder die Infibulation bisweilen
an ihren frisch erbeuteten Sclavinnen vorgenommen, damit sie ihrer Keuschheit
sicher wären. Aber es wird behauptet, daes doch bisweilen von ihnen unliebsame
Erfahrungen gemacht worden wären.
Eine besondere Form der Vernäh ung werden wir später noch kennen lernen.
Sie wird behufs Erzeugung einer künstlichen Jungfernschaft ausgeführt. Ich
muss es mir jedoch versagen, an dieser Stelle näher darauf einzugehen.
46. Das Wiederaufschneiden der inflbulirten Weiber.
Wir haben uns in dem vorigen Abschnitte überzeugt, dass durch die In-
fibulation im Allgemeinen ein fast vollständiger Verschluss der Schamspalte her-
vorgerufen wird, wobei nur eine ganz minimale Oeffnung zum Abfluss des Urins
übrig gelassen ist. Es bedarf nun keiner besonderen Auseinandersetzung, dass
derartig zugerichtete Genitalien zur ehelichen Function vollständig unbrauchbar
sind und dass, wenn wirklich ausnahmsweise einmal eine Schwängerung stattfinden
46. Das Wiederaafschneiden der infibnlirten Weiber. 209
sollte, fbr welche ja bekanntlich nicht immer eine wahre Immissio penis durchaus
noibwendig ist, an eine regelmässige Entbindung nicht gedacht werden kann.
Diesen üebelständen beugen nun die Völker vor, bei denen wir die Infibulation
der Madchen herrschend finden, indem sie die vemarbte Stelle im geeigneten
Zeitpunkte von Neuem auftrennen.
Von den Weibern im Sennaar sagt CaiUiaud:
.Qaelqne temps avant le mariage, il faut d^truire par indsion cette adh^rence con-
tndre k la natare. S'il surrient quelqne Symptome f^heax, le fer rouge et le rasoir sont lä.
On dirait qoe la sensibilitä emoossäe chez ces peaples les emp^che d^appr^cier les soaffrances
inoniet et les accidents graves et inevitables de ces pratiques inhnmaines, invent^ par le
despotisme da seze le plus fort, pour s^assurer la jouissance premi^re de cette fleor virg^ale
81 fngiiive dans tous les autres pays. Quoi qo^il en soit, il en coüte assez eher pour faire
remettre une jeune fille en ätat de remplir des devoirs coigugaux. S'il en est quelqu^une qui,
ä d^faat de moyens p^cuniaires, se marie sans avoir subi cette präparation essentielle, c^est
& ]*6poux prendre ä cet 6gard le parti qui lui convient ; mais lorsqu'il räussit, chose difficile,
& la rendre föconde, eile a le droit d'exiger qu'une des matrones, qui ezercent ce cruel mutier,
fiyue disparattre gratis des obstacles, qui contrarient le travail de Tenfantement. La jeune
Yenve, qui conserre Tespoir de se remarier, n^häsite point ä se soumettre une seconde fois auz
tortures de cette double laceration; mais le cas est rare.'
Ganz ähnlich lautet es, was Vita Hassan von den unglücklichen Weibern
im Sudan erzählt:
.Andere Qualen erwarten die Unglückliche später bei der Hochzeit. Diese Procedur
wird bei allen Mohammedanern des Sudan von Berber bis Sennaar ausgeübt, einbegriflfen
Chartam , Metamme, Schendi, Massalamije, Walad Madani, Refäa, Haräs,
Senn aar sammt ihren Dependenzen. Man sagt, dass diese Operation nicht bloss durch den
religiösen Ritus erfordert werde, sondern noch den Zweck habe, eine gewisse Krankheit zu ver-
hindern, welche, wie man behauptet, diejenigen Frauenzimmer befällt, welche diese Ver-
stümmelung nicht durchgemacht haben.*
«Wenn die Frau ihrer Niederkunft entgegensieht, wartet ihrer noch eine furchtbare Ver-
stümmelung. Le nouveau n^ ne doit pas passer par la route fray^e et connue, on coupe les
moscles de la femme au pli de sa jambe depuis la joincture jusqu'aux reins d*un seul cotä
pour sortir Tenfant. Nach der Geburt näht man diese Oeffiiung in gleicher Weise wie die
oben bei der Hochzeit erwähnte wieder zu, und damit ist die Frau in den gleichen Zustand
wie vor der Hochzeit versetzt. Erst lange Zeit nach ihrer Niederkunft macht eine neue
Ssehäma die Frau für ihre ehelichen Pflichten wieder fUhig.''
Peney spricht in seinem weiter oben erwähnten Berichte über den Sudan
ebenÜEdls über die Wiederauftrennung der Mädchen:
.Quand la jeune Nubienne prond un epoux, c^est encore ä la matrone qu'elle s^adresse
pour que celle-ci rendre aux parties sexuelles les dimensions näcessaires ä Taccomplissement
do mariage. Car Touverture existante est trop streite et trop peu dilatable (a cause de la
cicatrice dont eile est entouree) pour quo le mari le plus rigoureux puisse compter sur ses
seuls efforts pour p^n^trer dans la place. La matrone intervient alors, et, par une incision
longitudinale, eile produit une plaie par laquolle s^accomplira la copulation. Mais comme
cette plaie nouvellc tendrait üi se refermer, si les parties saignantes restaient en contact, la
matrone introduit entre les l^vres de la plaie, et ä deux ou trois pouces de profondeur dans
le vagin, un nouveau cylindre veg^tal, beaucoup plus volumineux que le premier: car ce
demier doit figurer les dimensions du p^nis du mari. Ce deuxi^me cylindre reste en place une
quarantaine de jours, 4poque oü la cicatrisation est compläte et oü sa presence devient inutile.*
«Mais tout n'est pas dit pour la malheureuse qui s*est une premiero et une deuxi^me
fois soumise k Topäration. Si eile conyoit, ce qui arrive ordinairement, eile ne pourra pas
accoucher sans soubir encore les ^preuves de Tinstrument tranchant; car la mSme bride
r^sistanie, qui entoure la vulve et qui s'opposait ä la copulation, s^opposait encore k la
dilatation de cette partie par oü doit passer Tenfant. II faudra donc encore debrider, au
moyen de larges et profondes incisions, les parties qui refusent de se dilater. Souvent au
moment oü Tenfant, en sortant du bassin, vient s*appuyer sur la cloison interne des parties
g^tales, souvent, dis-je, il arrive alors que la matrone, qui doit saisir cet instant pour inciser
profond^ment les grandes l^vres, blesse gri^vement le produit qui cherche k s*6chapper
au dehors. J*ai vu moi-m§me, dans des cas semblables, des coups de rasoir, portes mal habile-
Ploss-Bartels, Das Weib. 6. Aufl. I. 14
210 ^* I^io äusseren Sexaalorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
ment, produire chez Tenfant des blessures mortelles. Et cependant, malgr^ les doulenrs qoi
accompagnent toujoors cette horrible pratique de Tinfibulation, maigr^ les dangers qu*elle fait
conrir ä la femme et ä Tenfant qui va naltre, malgr4 toutes les tentives essais par les agents
du gouvemement 6gyptien poor bannir cette afi&euse coutume, les Sondaniennes n'en
persistent pas moins dans lears id^es ä cet ^gard; qnand anx jeunes fiUes, elles y semblent
encore plus attachees que les hommes, car elles pr§tendent que sans Tinfibulation elles ne
trouveraient aucun mari.'
In dem Berichte von Tanner heisst es:
«Festum, quod in honorem nuptiarum celebratur, ritu, qui finem castitati alhuc coactae
imponat, concluditur. Sponsa a quibusdam ex amicis suis, officio pronobarum fangentibos,
tanquam jure occupatur. Mulier, rei agendae perita, ferramentum acutum, curvatnm, in falsi
urethrae canalem inserit, quod eum admodum curvatum est, ut, quum cuspis cara adhibita,
sursum propellitur, cutis, ubi opus est, perforatur. Uno ictu tegumentum dissuitur, et rimae
loDgitudo eadem prope, quae prius fuerat, restituitur. Ex illo tempore sponsa summa vigilantia
a pronubis observatur, a quibus ad mariti tugurium deducitur. Ibi ante fores in yigilia
manent pronubae, et signum, quod ex usu convenit, auscultantes exspectant: quo intus edito,
Chorus omnis feminarum clara voce, arguta simul et injucunda, more suo exultantes ulntant.. . .
Antequam mulier puerum eniti possit, opus est, vaginam secundo dilatare, quae post partum
arudine introducta ad priorem mensuram iterum contrahitur.*
Von Burckhardt stammt die folgende Angabe:
.Cicatrix post excisionem clitoridis parietes ipsos vaginae, foramine parvo relicto inter
se glutinat. Cum tempus nuptiarum adveniat membranam, a qua vagina clauditnr, coram
pluribus inciditur, sponso ipso adjuvante. Interdum evenit, ut operationem efficere nequeat
sine ope mulieris alicujus expertae, quae scalpello partes vaginae profundius rescindit. Maritus
crastiua die cum uxore plerumque habiat; unde illa Arabum sententia: Post diem aperturae
dies coitus. Ex hac consuetudine fit, ut spousus numquam decipiatur, et ex hoc fit, ut in
A egy pto Superiori innuptae repulsare lascivias hominum student, discentes: Tabousny wala*
takghergang. Sed quantum eis sit invita haec continentia post matrimonium demonstrant,
libidini quam maxime indulgentes.'
Werne sagt von den Stämmen, welche südlich vom ersten Nilkatarakte
wohnen :
«Ist nun eine auf solch' scandalöso Art erhaltene Jungfrau — früher oder später Braut
geworden, so werden die obscönen Handlungen fortgesetzt. Eine von den Weibern, welche
jene Operation ausführen, kommt unmittelbar vor der Hochzeit zum Bräutigam, um dessen
männliche Vorzüge zu messen; sie verfertigt darauf eine Art Phallus von Thon oder Hols
und verrichtet nach dem Maasse desselben eine theilweise Aufschneidung; der mit einem
Fettlappen umwundene Zapfen bleibt stecken, um ein neues Zusammenwachsen zu verhüten,
unter den gebräuchlichen lärmenden Hochzeitsfeierlichkeiten führt alsdann der Mann sein
mit verbissenem Schmerze einherschreitendes Weib nach Hause auf das Gerüst hinter einen
grobwollenen Vorhang — und schon nach 4 oder 5 Tagen, ohne die Wunden heilen oder
vernarben zu lassen, fällt der Thier mensch über sein Opfer her. Vor dem Gebären wird das
Muliebre zwar durch totale Lösung in integrum restituirt, allein nach der Geburt, je nach
Belieben des Mannes, bis auf die mittlere oder die kleinste Oeffnung wieder g^chlossen,
und so fort.*
Ganz ähnlich äussert sich auch Brehm:
„Vor der Hochzeit nun sendet der Ehespons den Angehörigen des Mädchens ein aus
Holz geschnittenes Abbild seines Penis, nach dessen Maass die Oeffnung in den Schamtheilen
des Mädchens gemacht werden soll. Ist die Frau geschwängert, so wird vor der Niederkunft
die Oeffnung erweitert. Das geschieht durch einen Schnitt von hinten nach vorn gegen den
Schamberg hin.*
Auch bei den Danakil wird nach der Angabe von Lanzi durch einen
kleinen Schnitt, welcher von unten nach oben geführt wird, so viel von der Scham-
spalte geöffnet, dass der Ehegatte nach glücklich erfolgter Verheilung dieser kleinen
Wunde in Function zu treten vermag. Erst kurz vor der Entbindung trennt das
alte Weib die Verwachsung vollständig.
.Dieser barbarische Gebrauch ist ihnen aber derartig in Fleisch nnd Blnt übergf^gMMH
dass es Frauen giebt, welche nach der Entbindung sich aus eigenem Antriebe vernihen Iwi
nederaufflchneiden der infibulirten Weiber.
211
i--.^,. ..,.,., i.iU,
Uarinmnn konnte eine ungefähr 30 Jahre alte Sudanesin aus Alt^Don-
jola, welche vernäht gewesen und wieder aufgetrennt war, nach der Natar
siehnen und hat mir freundlichst diese Zeichnung zur Veröffent*
lichung überlassen. Man erkennt die nari>igen Reste der kleinen
Schamlippen [ind den Stumpf der abgeschnittenen Clitoris, unter
dem «ich die Harn röhr enöfiimng präsentirt (Fig. 135).
Dass diese Narbenbildung an den Geschlechtstheilen einen
ntigönstigen Eindruek auf den Geburt«act ausüben kann, wird mau
wohl von vornherein annehmen dürfen. Der Reisende v» Beurmann
hat auch Phss die Mittheilung gemacht, dass bei denjenigen
Völkerschaften, welche die Vemähung der Geschlechtstheile aus-
üben, die Frauen häutig sehr schwer gebaren : auch sollen dort, wie
er sagte, oft ^ Missgeburten" vorkommen. Dieses Letztere aller-
pngs kann man nicht auf Rechnung der Vernähung schieben. Von nÄhf gew^mene
afrikanischen Frauen, an welchen die Operation nicht vor- (>:^"^***'**xaiiir
genommen wird, sagte t\ Beurmann^ dass sie meistens sehr leicht V von
mederkommen. ^ "*"•'
Aber auch noch andere Nachtheile bringt das Vernähen mit sich; narnent-
ch kann man in den Spitälern Aegyptena vielfach vernähte Weiber sehen^ die
lii Syphilis inficirt, in Folge ihrer Operation sehr ausgedehnte geschwiirige Pro-
zu überstehen haben. ÜJth sah dort mehrere Neger -Sc lavinnen mit fürch-
rlichen Zerstörungen. Man hatte sie aus dem Inneren Afrikas auf langem Zuge
arch die Wüste geschleppt. Ein syphilitischer Transporteur hatte sie mitten aus
i ^ tte herausgenommen, sie aufgeschnitten und gemissbraucht Ihre
i'ien verwandelten sich schnell in ausgedehnte syphilitische Geschwüre,
mit ^k:nm\ sie ohne Reinigung bei furchtbarer Hitze wochenlang weitermarschiren
mussten, bis sie endlich im Hospitale Unterkunft fanden,
Nicht selten werden nach erfolgter Entbindung die unglücklichen Weiber
Neuem der Infibulation unterworfen, wie wir durch Hartman»^ Vita Hassan^
rrhm und Werne erfahren. Hartmami sagt:
»Aach Sclavinnen worden eolchergeatalt infittulirt. Vs giebt grausame Herron («elbbt
iropüer!)» welche an Sclavimien, ihren «eitwoiaen Miiitresien, jene Operation zwei- bii
dimül haben vollziehen lassctn uad die Armen dann schliesslich doch noch verkanft haben/*
W^rtw lernte in der Berber ei eine junge Wittwe keanen, deren Mann sie
knr/cr Zeit sieben Mal diesen Operationen unterworfen hatte. Ekelerregende
rbi*n waren davon zurückgeblieben»
Bei Lindschoitün heisst es:
«Wenn sie dann erwachsen und verheyrat werden, bo nsag sie der Braatigam wiedernmb
lisehneiden, so gross und so klein, als er venneint, dass iie ihm eben recht sei/*
In Kordofan muss nach Igna^ Vallme bei den meisten Stammen die Braut
|Tor der Hochzeit sich der ^zweiten Besclineidung* unterwerfen; er meint
damit die Aufschneidung; Ilüppdl sagt;
«(Die Anfschneidung der ßraut, d, h. die erüffuende Operation an den GeachlecblAtheilen,
nicht eher stutt, nU bis der ganze bedungene Uochzeitepreis entrichtet i«t. Die bei der
ufechnt^idung gemachte Oeffnung ist nach IBedÜrfnif^ de» Ehemannn gröflser oder kleiner.
?'enn nach erfolgter Schwangorachaft die Zeit der Entbindung aich nähert, so wird die
Oeffnuni^ nötbigenfall» durch abermaligoä Schneiden vergröiiert, und nach erfolgter Geburt
^ ' Oetfnung durch Auffrischen der Wundrflnder wieder Ktiin Verwachsen geeignet,
^' '»chnerin gleichäaui in einen jungfräulichen Zustand zurücktritt. 8io bleiV>t in
tolciitiui &' 1.^ sie düa Kind stillt; dann schreitet man abormala zur Wiederaufschnei-
duag. T>i' T*->Ti wird wiederholt, bis nach dem dritten und vicrtf^n Wnf^benbett, wenn
€• d<*r t; öfter*, unterbleibt sie aber schon aa ' — Ich habe
^W^ib^ Afanner kurz nach einem der enteo Wf^ i r (Gattin ge-
rWti waren; und da zur Zeit des Todeffalla die Wunde der ij-i»wachteo
•0 befajtilifti die Fr.uipu •'Ich in eiiipm ferini?t>rli.ir»3in TivA-Amh ^ m\ Awuni^en
212
V. Die äUBfieren Seiualorgane dea Weibes in ethnographischer Hinsiebt,
sie, in dem txaurigen Status zu bleiben; denn durch die Aufschneidung würden sie freiwillig
in die Klasse der Freuden in ädchen sich versetzt haben/*
Bei den Somali lösen nach Pmdifsckke vor der Ehe die bezeichneten Chinr-
inen oder die Mädchen selber die vernähte Stelle, welche indessen meist erst
rvor der Niederknnfl vollständig aufgetrennt mrd.
43. Der Mons Veneria in aEthropologischer Beziehung.
Die Physiognomie des Mons Veneris, des Scharaberges, wird im
Weaentlichen durch drei Factoren hervorgerufen, durch die Formverhältnisse des
knöchernen Beckens (besonders durch die Vergrösserung oder die Verringenmg
des Winkels, welchen die beiden horizontalen Schambeinäste mit einander bildeo^
durch die stärkere oder geringere Ablagerung von Unterhautfettgewebe, und endlicb
durch die Art, die Farbe nud die Anordnung der Sehambehaaning. Da nun diese
drei Dinge bei den Völkern der Brde iu sehr verschiedenartiger Weise zur Ent-
Wickelung gekommen sind, so versteht es sich wohl ganz von selber, dass aocb
an dem Schaniberg Rassenunterschiede bemerkbar sein müssen. Aber wir sind
noch erheblich weit davon entfernt, hier fertige Lehrsätze formuliren zu können.
Denn leider ist das zu Gebote stehende Beobachtungsmaterial noch ein in aller-
höchstem Maaase kümmerliches und spärliches. Ja selbst über die entsprechendeai
Verhältnisse bei dem weihlichen Geschlecht der civilisirten europäischen Nationen
sind wir noch fast vollständig im Unklaren. Denn obgleich über ganz Europa
eine enorme Menge von Kliniken und Krankenhäusern zerstreut ist, in welchen
täglich zu Beobachtende aus- und eingehen, so hat es doch leider immer noch
an Beobachtern gefehlt, welche das sich ihnen überreich darbietende Material in
verwerthen und für eine genauere Verarbeitung zusammenzubringen sich bereit
erklärt hätten. An anderer Stelle habe ich bereits meine Klage darüber laut
werden lassen (Bartels)^ und ganz ohne Wiederhall ist sie nicht verklungen.
Wenigstens hat in dem Schema, welches die von der deutschen anthropologischen
Gesellschaft im Jahre 1884 gewählte Commission für das Studiuoi der menschhcheü
Behaarung ausgearbeitet hat, auch das Körperhaar seine Berücksichtigtmg ge-
funden, allerdings ohne bisher zu thatsächUchen Ergebnissen getlührt zu haben.
Ueber den Schamberg äusserte sich Johannes Palft/n im Anfange des vorigeu
Jahrhunderts folgendermaassen :
^On enteud par l& penil 1a partie eup^rieure de la partie honteuBep situ^a en k psrtie
ant^rieure des m pubis; et la Motte est cette partie, qui parait elev^e comuie une petita
coUine au-dessua des grandes LävreH, qui pour cela est apellee le Munt de Vinus, parce qtie
tous ceux c|ui s'enrollent soub Tetaudart de cette Dresse, doivent necessairemeiit Tescalader.
La Bubstance e^iterzte de la Motte est faite seulement de la peaut mais il n*6D va ainsi de is
partie interne, puiequ'elle est presque tonte de graisse: ce qui est fait expr^s pour la rendfc
^paiflse, molle ei fort eminente, priucipalement dang lea jeuues üllea; ou cette subatanoe dooca
et d^licate est trfes- propre pour .servir d'Oreiller ä Vinif^^ de peur que Foh pubia des demi
Sexes se froissant enseuible, s'opposait au plaiair, qu'ou doit trouver dans le congr^s.* (5rAjiri^*.j
Der Schamberg geht in seinen unteren Partien in die grossen Schamlippen
über und nimmt noch deren obere CommisBur in seinen unteren Rand mit auf.
Nach den Seiten reicht er bis an die Leistenfurchen, und nach oben wird er von
der unteren der beiden Bogenlinien begrenzt, welche mit dem Nabel zugekehrter
Concavität die Unterbauchgegend durchziehen. Eine reichliche Ablagerung von
Unterhautfett lässt ihn bei den deutschen Damen als flachrundlichen Hügel über
das Niveau der Umgebung hervortreten. Auch zeigt er in der Mehrzahl der
Fälle von den Pubertätsjahren an gewöhnlich in seiner ganzen Ausdehnung einen
mehr oder weniger dichten Haarwuchs, welcher aber mancherlei Variationen unter-
liegt, die, wie bereits gesagt, noch nicht einmal in Deutachland binreiGfa^n^
studirt worden sind.
47. Der Mona Yeneris in anthropologischer Beziehung. 213
Für das etwas stärkere oder geringere Hervortreten des Schamberges wird
aach die grössere oder geringere Neigung des gesammten Beckens, wenigstens in
einer Reihe Ton Fällen, yerantwortlich gemacht werden müssen.
Auch in Bezug auf die Färbung der Haut sollen an diesen Stellen mancherlei
VeFBchiedenheiten sich nachweisen lassen. In vielen Fallen scheint sich hier eine
intensive Ansanmilung des Hautfarbstoffes vorzufinden. Genaueres über diesen
Punkt vermag ich aber nicht beizubringen.
Die Angaben der Reisenden über die Eigenthümlichkeiten des Schamberges
fremder Volker sind ganz ausserordentlich spärlich. Theils haben sie dieser
Korperr^on wohl keine besondere Bedeutung für unser anthropologisches Wissen
beigelegt; zum grosseren Theile mögen sie aber diese Partien gar nicht zu Qe-
flicht bekommen haben. Anthropologische Untersuchungen an diesen Körperstellen
können ja natürlicher Weise ausserordentlich leicht missdeutet werden.
Einzelne photographische Aufnahmen entkleideter Vertreterinnen fremder
Völker können uns in etwas unterstützen; allerdings ist ihre Zahl bisher erst
noch eine sehr kleine.
Mehrere Negerinnen der Loango-Küste sind in für unsere Zwecke
brauchbarer Weise von Falkenstein photographisch aufgenommen worden. Der
Mona Veneris erscheint bei fast allen nur wenig hervortretend und arm an Unter-
hautfettgewebe. Ungefähr das gleiche Urtheil muss ich über einige Abyssi-
nierinnen der Colonia eritrea aus der Gegend von Massaua fallen, deren
Photographien wir Georg Schtceinfurth verdanken.
Von Javaninnen besitzt die Berliner anthropologische Gesellschaft durch
die Freundlichkeit des Herrn Kuypers einige Photographien. Hier ist bei allen
dargestellten Mädchen der Mons Veneris gut und rundlich entwickelt, mit Aus-
nahme einer sehr jungen Person, wo ein eigentlicher Schamberg nicht zur Aus-
bildung gekommen ist, obgleich an der Stelle, wo er sitzen sollte, doch auch das
Unterhautfett etwas stärker angehäuft erscheint, als in der Nachbarschaft.
Gut entwickelt finden wir den Schamberg bei Samoanerinnen und bei
einer Emgeborenen der Carolinen, welche in dem Godeffroy - k\h\xm veröffent-
licht wurden.
Von den Inseln Lakor, Moa und Leti hebt Riedel^ ganz besonders hervor,
dass die breitköpfigen Einwohnerinnen ein gut ausgebildetes Fettpolster an ihrem
Mons Veneris aufzuweisen hätten. Sie scheinen sich demnach hierin sowohl von
der schmalköpfigen Bevölkerung derselben Eilande, als auch von den Weibern der
übrigen Inseln des alfurischen Archipels zu unterscheiden.
Die Vahine, d. h. die Weiber von Tahiti sollen einen gut entwickelten
Mons Veneris besitzen, der bei einigen sogar very highly developed erscheint.
(Army surgeon.)
Bei den Feuerländerinnen haben Hyades und Deniker den Schamberg
.peu developpe* gefunden.
Eine sehr eigenthümliche Form des Schamberges wird von Lockhart und von
Morckche bei den Chinesinnen beschrieben, und mit der oben ausführlich ge-
schilderten Verstümmelung der FQsse in einen ursächlichen Zusammenhang gebracht.
Morache sagt darüber:
«Plnsienrs persoDiies m'ont affirme que chez laChinoise toute la partie antärieure du
bassin, le mont de V^nas formaient une masse consid^rable, separee par un pli marque de
Tabdomen; qne les grandes levres ^taient egalement plus d^veloppäes: les Chinois trouvent
natarel qne, par une loi d'öquilibre, un developpement anormal compense une atropbie deter-
min^e voltutairement.*
Sdigmann hat über diesen Gegenstand nähere Erkundigungen eingezogen,
aber er erhielt keine Bestätigung für diese Angaben.
Das kgL Museum für Völkerkunde in Berlin besitzt eine Anzahl von höchst
kunstvoll ausgeführten chinesischen Reliefs in farbigem Speckstein, welche den
214
y. Die äosseren Sexualorgane des Weibes in etlincigraplii»ohor Hinsicht.
Kamen tÄch'üntsch'eh d. h. Frühlingstäfelcheu oder pi-hi d, h. geheim«
Spiele führen* Sie enthalten erotische Scenen, auf welche ich an anderer Stelle
noch zurückkommen werde. Hier zeigen die zur Darätellong gebrachten weib-
lichen Individuen, welche sammtlich die Verstümmelung der Füsse aufweisen, aller- j
'ags eine sehr kräftige Eütwickelung des Schamberges, und auch die grossem
y^
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• tklddute Cb iß CS in. CtiiuosiäLLoä Kulief von «jiDcm FriüiUögii-TaXclcJicü^
(Kgl. Mneteut» mr VölkerkuDde in ßorlin.)
Schamlippen Bind von beträchtlicher Ausdehuung und scheinen eine rojchliche
Menge von Unterhautfettgewebe zu besitzen. Mau vergleiche hierzu Fig. 13(>* Esi
werden demnach die Angaben von MoracJte's Gewährsmännern doch wohl den
thataächlichen Verhältnissen entsprechen, und wir lernen somit hierin eine höchst]
absonderliche Form der Körperplastik kennen.
48« Die Korperbehaarung.
Um ein abgeeehlossenes Bild des Mons Yeneris in anthropologischer BttA
Ziehung z\x geben, muss auch noch von seiner Behaarung gesprochen werden,!
welche bekanntennaasüen bei beiden Geschlechter« in den Jahren der Pnbftrtitl
ÄUr Ent Wickelung kommt. An anderer Stelle habe ich bereits n;
{Barieh^U dass in Bezug auf die Ausbreitung dieser Behaarung z\\l den]
Männern und den Weibern wohlcharakteriairte Unterschiede bestehen* Dort gabl
•'V folgende Beschreibung:
,,Aaf dem Ußt^rbaocbe markireo eich in der Haut »^el bogaii förmige, ««ichie Furdum
üUtT Fultoii, dercu Convedtfit nach abwärU gericht*»t i»t Dor
beginnt etwits oberhalb der Spina anterior »u^ierior oshih ilei un i
riigof&br an der Grenze zwuicheu ihrem iiDt«ren und mittleren DriiiÜi«iL I>i?r unUüf
48. Die KÖTperbebaarung.
215
bi si&rker gekrümmt; er beginnt etwas unterhalb des oberen, vorderen Hüftbeinstach^h and
terUluft iiimahrend in der Ricbtung der Ligamenta Pouparti. sich etwa« über dem oberen
llAnde der Scbaujbeiusympb^'se mit dem entsprechenden Bogenachenkei der anderen Seite ver-
bin igen d. Die mittlere Partie dieaes (unteren) Bogen» giebt die obere Greose der normalen
»ebaarnng der weiblichen Scbamtheile ab/*
,^Der untere Bogen selbst ist nämlich weiter nicht», ah die äussere Marke für die untere
(•grenz ung der Bauch wand» för die Stelle, wo die Bauchrausculatur sich theils an die Pou-
^artiathen Bänder^ theils an die Symphyse der Schambeine ansetzt. Alle Haut oberbUb
liese« Bog«?n9 ist daher als eigentliche 13aQchhaut in betrachten, wUhrend die abwärts von
phm gelegene Haut schon der äusseren Bedeckung des BeckengÜrteli angehört und mit ihrer
üittleren Abtheilung die Hautbekleidung des Schamberge« bildet*'
„Bei Männern, wo die Mittehibtbeilung von Brust und Bauch eine Ilaarbekleidung trügt,
|eht die Behaarung des Bauches bis zu diesem unteren Bogen herab und TerschmilKt hier
II it der Becken beb aarung, mit den Schamhaaren. Bei dem weiblichen Geschlechte aber, wo
Jrust und Bauch von Behaarung frei int, und nur die vordere, mediane Partie des Becken-
ürtelü, der eigentliche Mona Veneria, mit einem Haarwuchs ausgestattet ist, muss der ge-
iert© untere Bogen die obere Grenze der LetEteren bilden, weil, wie gesagt, die oberhalb
Bogens gelegene Haut bereits dem Bauche angehört.**
In Ausnahmefällen wird bei Weibern diese obere Grenze Ton dem Haar-
H'trchse doch übersch ritten, so dass sich in der Medianlinie des Bauches, bisweilen
[idbst bis zum Nabel hin eine Behaarung auffinden lässt. Das ist dann eine so*
(f. * Ileterogenie^ d. h, das Auftreten anatomischer Zustände bei einem Ge-
♦% welche bei diesem anomal, bei dem anderen Geschlechte aber typisch sind.
lanx ähnlich müssen wir es bei Männern als eine Heterogenie bezeichnen, wenn
lie an der Brust und am Bauche keine Spur von Behaarung besitzen, während
Are Scham behaaruug die beim weiblichen Geschlechte typischen Grenzen mnehält.
Lateral wärts dehnt sich die Behaarung normaler Weiber nur bis zu der
eiöteni'urche ans und geht nicht auf die ijinere Fläche des Oberschenkels über
Lusnahaiswtnse kommt auch dieses vor; das ist dann aber ebenfalls eine Form
ler Heierogenie. Auch nach unten und hinten zu kann die Schambehaarung eine
Heterogene werden, wenn sie über die hintere Commissur der grossen Schamlippen
reiter achreitet und sich über das Mittelfleisch hin, oder selbst bis zu dem After
erstreckt. Ein Haarkranz um diese letztere Korperoffnung ist als eine besonders
charakteristische secundare Geschlechtseigenschaft der Männer angesehen worden*
\ber in allerdings nur seltenen Fallen findet sich bei Vertreterinnen des weiblichen
Geschlechts auch diese Art der Heterogenie.
Also nach oben, nach den Seiten und nach unten und hinten (nach allen
liesen drei Richtungen gleichzeitig, oder nach der einen oder der anderen allein)
knnnen die weiblichen Pubes sich über das für die Weiber typische Gebiet io
heterogener Weise ausdehnen. Aber dieses typische Gebiet wird bei einer grossen
Eahl Ton Frauen und erwachsanen Mädchen durchaus nicht vollständig von dem
Bchamhaare bedeckt; im Gegentheile, bei sehr vielen Weibeni ist nur ein relativ
kleiner Theil dieser Region mit Ilaaren bewachsen. Hierin müssen wir eine Art
ron Uemmungsbildung, ein Stehenbleiben auf halb kindlichen Zuständen erblicken,
ron denen später noch die Rede sein soll.
Unsere speculativen Vorfahren haben auch darüber nachgedacht, was tiir
^nen praktischen oder ästhetischen Zweck die Schambefaaarung eigentlich zu er-
len hätte. Der alte Galenus hat dieselbe als eine besondere Zierde betrachtet:
,,Pili circa pudend« aperinientum et orn amen tum ejus loci partibas praebent, non
dittTt quam nai^s quidem ano, praeputium aatem pudendo.*
Burhird EhU: dagegen sagt:
^Die Schamhaare ncheinen mir in dieser Beziehung bloM dasKti beyzntrag^n, die Scham-
ftU«« welche wnhl nicht zu den schön geformten gehören, dem Blicke gehörig %n entziehen/'
Aehnltch ist wohl auch die Auffassung des alten dänischen Anatomen
war Bartholinus, Es heisst bei ihm:
^Ptli pabi« in matoris erümpimt ad labia, nt melius claadatur rima.^'
216 ^' ^^^ äoasereD Sexualorgane des Weibes in etimdgraphiBcher Hinsicht.
Eine eigenthümliche Reflexion über die Behaanmg der Genitalien finden
wir bei Gerdy:
„Nach unten zeigt das Becken nnr eine schmale Forche, an welcher man jedoch nach
vom die geschlechtlichen Charaktere, hierauf den Damm (perinaenm) nnd endlich nach hinten
die Afberöffinong unterscheiden kann. Alle diese Theile sind durch Haare verdeckt, Yomehmlich
aber die Zeugungsorg^e. Es wird dadurch gleichsam ein Schleier gebildet, unter welchem
sich diese schon durch ihre Lage yersteckten Organe dem Auge entliehen, und wunderbarer
Weise gerade dann, wenn die Geschlechtstheile aus ihrer ursprOnglichen Keuschheit heraus-
treten, wenn ich mich so ausdrücken darf, wenn die Geschlechtedifferens schon die Leiden-
schaft der Liebe aufzuregen vermag, — gerade dann bedeckt sie die Natur mit einem Schleier,
welcher die Einbildungskraft nur um so mehr aufregt und die mächtigste Leidenschaft nur
um so stärker entflammt."
Blancard nahm an, dass die inneren Theile durch die Schamhaare Yor Kalte
und Ungemach bewahrt werden sollten, während Fdbricius ab Aquapendente sie
theils den Schweiss aufsaugen und ableiten und theüs bei dem eheUchen Verkehre
den gegenseitigen Druck nach Art eines Polsters yermindem lasst
Der schon erwähnte Eble kommt nach längeren Betrachtungen endlich noch
zu folgendem Schluss:
„Es ist mir demnach wahrscheinlich, dass der Zweck dieser Haare zusammengesetzt
sey, und zwar 1. in Absonderung einer eigenthümlichen Flüssigkeit unter der Form der un-
merklichen Ausdünstung, 2. in Ableitung des vom Bauche herabfliessenden Schweiasee und
anderer Körper, 3. in YerhinderuDg einer zu starken Reibung der beyderseitigen Schamtheile
bejm Beyschlafe, 4. in Bezeichnung der Geschlechtsreife, und endlich 5. in einem eigenthüm-
lichen, bisher noch zu wenig gewürdigten Einflnss auf den beym Beyschlaf wirkenden, elek-
trischen Process zwischen den beyden sich polarisch entgegenstehenden Individuen bestehe.
Sollten die so stark angehäuften Schamhaare nicht besonders dazu dieneo, das elektrische
Fluidum zurückzuhalten, oder vielleicht durch gegenseitige Reibung höher zu poteudren und
von dem vorwaltenden Pol bey fortgesetztem Conflict auf den passiven überzuleiten? Wenigstens
spricht für den angegebenen Einfluss der Schamhaare auf das Greschäfl der Zeugung die That-
sache, dass beym Menschen die Dichtigkeit und Krause der Schamhaare meist in geradem
Yerbältniss zur Stärke der Zeugungskraft stehe, und dass die geilsten Personen meistentheils
auch in dieser Gegend sehr behaart sind. Interessant wäre es nun, zu erfahren, ob bey übrigens
gleichen Verhältnissen die stärker behaarten Weiber auch fruchtbarer als die andern sind.
Wenn es endlich wahr ist, was auch Jahn bezeugt, dass keine Frau, welche haarlos an der
Scham ist, schwanger werde, so könnte man wenigstens den genauen Zusammenhang zwischen
dem Erscheinen dieser Haare und den Geschlechtsfunctionen nicht mehr leugnen.*
Kehren wir nach diesem Excurse auf das Gebiet der Thatsachen zurück!
Ich habe oben schon mit Bedauern erwähnt, dass diese letzteren uns bisher nur
ziemlich spärlich zu Gebote stehen.
Der erste, der Tabellen darüber anlegte, war der yerstorbene Gynäkologe
Eggel in Berlin, welcher mir dieselben seinerzeit zur Bearbeitung überlassen
hatte (Bartels^). Es ging aus der Analyse dieser Tabellen hervor, dass die Be-
haarung des Mons Veneris in Bezug auf ihre Farbe in einem ungefähren, aber
nicht ganz absoluten AbhängigkeitsTerhältnisse zu der Farbe der Kopfhaare sich
befindet, während die Färbung der Augen einen Rückschluss auf die Farbe der
Pubes nur mit grosser Reserve gestattet.
Unter 1000 untersuchten weiblichen Erwachsenen waren:
dunkeläugig 239
dunkelhaarig (Kopfhaar) 338
. (Schamhaar) 329
helläugig 761
hellhaarig (Kopfhaar) 667
, (Schamhaar) 671
Es waren daher auch bei einer Anzahl von dunkeläugigen Weibern helle
Schamhaare vorhanden, und die letzteren fanden sich in einigen Fallen selbst bei
solchen weiblichen Individuen, welche sich im Besitze eines dunklen Kopfhaares
218 ^^ ^^^ äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
als Heterogenie der Behaarung bezeichnet. Für diese scheinen ganz besonders
unsere Blondinen prädisponirt zu sein.
In jQngster Zeit hat sich Rothe auf meine Veranlassung Yon Neuem mit
diesem wichtigen Thema beschäftigt und seine wiederum an 1000 Frauen in
Berlin gemachten Erfahrungen in einer fleissigen Arbeit niedergelegt. Er fami
die Schamhaare der untersuchten norddeutschen Frauen «überwiegend blond
und zwar besonders dunkelblond. Bei rothhaarigen Frauen sind die Schamhaare
in allen Fällen roth oder hell. Bei den Schwarzhaarigen sind sie nur in '/s der
Fälle schwarz, in fast ^/g sind sie braun, in zwei Fällen sogar dunkelblond. Die
Jüdinnen zeigen überwiegend braune Schamhaare. Bei 52 von 977 nord-
deutschen Frauen waren die Schamhaare an den grossen Schamlippen heller
gefärbt, als am Schamhügel.''
Ueber die Anordnung der Schambehaarung äussert sich Rothe folgender-
maassen :
^Hat man nun Gelegenheit, bei einer grossen Anzahl Frauen die Behaarung der Scham-
theile zu untersuchen, so ist man erstaunt über die grosse Mannigfaltigkeit, welche dieselbe
nach Anordnung, Menge, Ausdehnung bietet ; fast scheint es, als ob die Fälle der Erscheinungen
keine Regel zulässt. Bald ist es ein kurzer, krauser Rasen, der den Schamhügel und die
Schamlippen deckt, bald ein üppiger Busch, der über den Theilen wuchert und sie den
Blicken entzieht; dann wieder sind sie spärlich und dünn ges&t; hier unregelm&ssig durch
einander gelagert; dort ist nur ein schmaler Streif von langen Haaren, der in der Mitte Yom
Yenushügel herabzieht. Die einen schneiden scharf nach den Seiten, nach oben und hinten
ab, andere überschreiton die gewöhnlichen Grenzen; fast in jedem Falle finden sich mehr oder
minder ausgeprägte Besonderheiten, die ihn von andern unterscheiden. Dennoch Hessen sich
bei einiger Liberalität in der Zusammenfassung zwei grosse, durch Zwischenformen mit einander
verbundene Hauptformen unterscheiden.*
Rothe sagt dann an späterer Stelle:
.Die Schambehaarung von 490 untersuchten Frauen, 477 Norddeutschen, 11 Jüdinnen,
2 Polinnen, konnte nach ihrer Anordnung in zwei Hauptgruppen unterschieden werden:
in dem einen Falle waren die Schamhaare ausschliesslich oder vornehmlich in der Mittellinie
des Schamhügels gewachsen und zogen in der Mittellinie über die grossen Schamlippen hin,
oder sie waren an allen Theilen des Schamhügels und der Schamlippen auf gleicher Raum-
einheit in gleicher Menge gewachsen. Jede dieser beiden Hauptgruppen umfasst etwa die
Hälfte der Fälle. Bei beiden Hauptgruppen lassen sich einige Unterabtheilung^n unter-
scheiden.*
Von diesen Unterabtheilungen giebt Rothe eine genaue Schilderung, die ich
jedoch an dieser Stelle übergehen kann. Interessant sind aber noch seine An-
gaben, dass bei 420 norddeutschen Frauen die Pubes am häufigsten gelockt,
etwas weniger häufig kraus oder weniger gelockt und viel seltener schlicht waren.
Ueberwiegend hatten die Haare eine „mittlere Länge, seltener waren sie kurz und
noch seltener lang*. Was ihre Dichtigkeit anbetrifft, so waren sie bei 465 Frauen
„am häufigsten in massiger Menge, seltener in reichlicher, viel seltener in geringer
Menge zu finden*.
Vollständigen Mangel an Schamhaaren hat Rothe nur in einem Falle, und
zwar bei einer Blondine gesehen. Heterogenie der Schambehaarung fand er unter
den 1000 Frauen mehrfach. 42 Mal war die obere Grenze, 146 die seitliche
und hintere Grenze von dem Haarwuchs überschritten. Darunter befanden sich
im ersteren Falle eine, im letzteren Falle drei Jüdinnen. Auch Rothe kam zu
dem Resultat, dass hellhaarige Weiber eher zur Heterogenie geneigt sind, als
dunkelhaarige.
Nach diesen Erörterungen möge folgen, was über die Schambehaarung
fremder Völker berichtet worden ist. Es war oben schon von den Darstellungen
entblösster Weiber auf den chinesischen Frühlingstäfelchen die Bede. Die
Schamhaare sind hier in schwarzer Färbung angegeben. Sie erscheinen kurz und
schlicht und dabei wenig dicht stehend, auch decken sie bei weitem nicht den
4B. Die Körperbehaarang,
219
m Mona Venerls^ sondern sie bilden auf ihm eine zienilicli schmale dreieckige
Sgur, an ein lateinisches V mit nach oben gerichteter Spitze erinnernd.
^Der Haarwuchs am Mona Veneris der Japanerinnen, sagt Wernich, ist
egenüher der Stärke des Haupthaares und der Dicke des einzelnen Haarschaftes
Irflig; ausserordentlich selten bildet er ein Dreieck, die ovale, die Vulva ober*
Ib imitirende Cuntour herrscht vor,** Auch JBaf/^ sagt von den Japanerinnen,
ihr Mons Veneris wenig ausgebildet und die Behaarung de^sselbeii spärlich
borstig ist. Doemt£ fand in ausserordentlicher Häufigkeit vollständigen
langel der SchambehaaruDg» Duss dieser Zustand aber von den Japanern
icht als eine Schönheit betrachtet wird, geht aus einem schwerbeleidigeuden
chimpfwortc hervor, das kawarage heisst, zu deutsch Ziegelsteinhaar, Das be-
deutet, die Geschimpfte habe an ihrer Vulva so viel Haare, als sie ein Ziegelstein
it, also gar keine.
Es wurde weiter oben schon das Bild von der japanischen Frau erwähnt,
ie in Wollust gesündigt hat. Ich gebe dasselbe in Fig, 137 wieder. Hier hat
BT bertihmte Martttjama Ohio die Schamtlieile mit sehr starker, schwarzer Be-
laarung dargestellt Die Haare stehen dicht und sind von beträchtlicher Länge,
inch scheinen sie ziemlich dick zu sein> Sie sind ungekräiiselt, schlicht uud weit
Vom Kr>rper abstehend. Nicht nur der ganze Monit Veneris ist dicht bestanden,
andern die Behaarung bekleidet auch die äusseren Flächen der grossen Scham-
Pppen fast bis zu deren hinterer Commissur herab. Auch aus den AchselhJihlen
irrt ein reichlicher Haarwuchs hervor.
Bei den Moy* Weibern in Cochinchina ist der Schamberg mit einer guten
ihl krauser Haare von tiefschwarzer Farbe bedeckt, (Army snrgeon,)
Die Annamitinnen besitzen nur wenige Schamhaare am Mons Veneris,
fArmy mrgpoiu)
Der Schamberg der Weiber in Cambodja ist epärlich behaart; die Haare
smd von dunkelnussbrauner Farbe und zeigen eine leichte Kräuselung. (Arm}f
Im vorigen Jahrhundert behauptete der Reisende Tavermet\ »dass in Lahor
jind dem Ktinigreiche Kascbemir alle Weiber von Natur keine Haare auf einem
"' igen Tbeil des Leibes haben*. (Eile.)
An Photographien von Javanincen ist Folgendem zu sehen:
Fs hündoU sich um 8 junge Penonen, von denea die eine ao voiläUlodijcr kahl erscheint,
I \ iiUen Zweifel abaichtlicbe Enthaarung vorliegen mtiifi. Die sieben anderen aind
tv rk beliaiirt. Der gut entwickelto Mona Veneria ist mit ziemlich langen, krausen
llaaraa bewachsen, welche dicht bei einander stebeti^ Bei einigen sind die lateralsten Partien
^m SehamhiirgQfl von der Behaarung frei geblieben. Der Haarwach» steigt ein erbebliebe»
^Ittck an der Hosaeren Seite der groaaen Schamlippen herab, «o daai er die Eima padendi dem
Mick entiüebt.
_ Bei den See-Dayakinnen von Borneo sind, wie Roth berichtet, die
Sdiaaihaare oft recht erheblich entwickelt.
Von den Weibern der Itälmenen auf Kamtschatka berichtet Steuer:
^Ueber der Scham haben sie ailaine ein SchÖpttein Bchwarrer» dünner Haare, wie ein
ochdl auf dem Kopf, du« Uebrige iat alle« kahl*
Bei den Cumberland-Eskimos ist rxB^ch SchUephake die Korperbehaarung
nor schwach entwickelt.
Auch bei der älteren Feuerländerin fand v. Meiner daa Fettpolster auf
^em Mons Veneris sehr gering entwickelt, so das» die vordere Fläche der Scham-
eine als eine scharf begrenzte viereckige Erhöhung hervorragte. Die Behaarung
f Mona pubiB bestand nur aus einem zarten Flaum von \ 3 cm langen feinen
&n. Ebenso hatte die jüngere Feuerlanderin nach v, Bischoff nur einen
stark entwickelten Schamberg,
idiäi
ÜfiL.
SBl
220 ^' ^^^ äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht
Hyades und Deniker sagen von ihren Feaerländerinnen:
,Sur 15 femmes examin^es, 2 seulement avaient des poils rares au pubis, les treise
autres avaient les pubis glabre.*
Wenn man aber die einzelnen Falle durchgeht, so gestaltet sich die Sache
doch etwas anders.
Allerdings heisst es: pubis absolument glabre bei einer ISj&hrigen, pabis glabre bei
einer 18 jährigen; aber eine 30 jährige hatte schon: pubis glabre, sauf quelques poils extreme-
ment rares et courts sur le mont de Venus, und bei einer 17jährigen war le pubis ^pile,
aber six mois apres, les poils de cette r^gion ^taient extr^mement courts et rares; ee waren
also doch auch Haare da. Eine 20jährige hatte poils tr^-rares et courts au pubis, eine 40-
jährige poils extr§mement rares et courts au pubis. Endlich heisst es Ton einer 17jährigen:
sur les pubis, poils assez longs, fins, rares, und eine 30jährige hatte sogar: poils du pubis asses
abondants, ce qui est une exception tr^s-rare chez les Fu^giennes.
Immerbin Hessen doch unter diesen 12 Personen genau die Hälfte die
Schamhaare nicht vollständig vermissen.
Der stark entwickelte Schamberg der Negerinnen in Französisch
Guyana ist mit einigen starren und harten Haaren besetzt. (Army surgeon.)
V. Bischoff konnte eine Sudan -Negerin obduciren, welche einen gut aus-
gebildeten, mit krausen schwarzen Haaren reichlich bedeckten Yenusberg besass,
und Waldeyer sagt von seinem Koronna-Weibe:
„Der Mons Yeneris ist stark eutwickelt mit einem 2 bis 2,5 cm dicken Fettpolster.
Derselbe ist mit schwarzen, krausen, jedoch kurzen Haaren dicht besetzt; diese stehen nicht
in Gruppen, bilden aber hier und da kleine Spirallöckchen. Die Behaarung setzt sich auf
die beiden grossen Schamlippen fort, wird aber gegen das untere Drittel der letzteren be-
deutend schwächer; zu beiden Seiten des Dammes finden sich nur noch vereinzelte stärkere
Haare.*
Bei der Pariser Yenus Hottentotte (bekanntlich keine Hottentottin,
sondern ein Buschweib) fanden sich nur einige sehr kurze Flocken von Wolle,
gleich der des Kopfes, und auch bei dem von Luschka und Görte untersuchten
Busch weibe Afandi zeigten sich nur wenige kurze Härchen.
Eine mir vorliegende Photographie eines jungen Mädchens aus Britisch-
Kafferland zeigt den Mons Yeneris, wie auch die Aussenflächen der stark ent-
wickelten grossen Schamlippen mit kurzen, dichtstehenden Büscheln wollig-krauser
Haare besetzt.
Conradt verdanken wir Berichte über 9 Adeli-Negerinnen aus dem
Hinterlande von Togo. Bei einer 26jährigen Yerheiratheten, bei einer 22 jahrigen
und bei einem 11 — 12jährigen Mädchen werden Schamhaare nicht erwähnt; bei
zwei 14jährigen Mädchen waren dieselben „in Spuren* oder „schwach* vorhanden,
eine 16jährige hatte sie „massig", eine 25jährige „ziemlich reichHch* und eine
20jährige ^ recht kräftig*. Bei einer Frau von 25 Jahren werden sie als schwarz
bezeichnet, ohne dass über die Fülle der Schamhaare etwas Genaueres angesagt
wird. Yon zwei Atakpäme-Weibem von 18 bis 22 Jahren, ebenfalls aus dem
Hinterlande von Togo, hatte die Aeltere mittelstarke, schwarze Pubes, während
die Jüngere am Schamberge stark behaart war.
Bei Neu-Britannierinnen sah Finsch^ wenn sie keine Aetzmittel zur Ent-
fernung der Pubes angewendet hatten, nicht selten blondes Schamhaar, obwohl
schwarzes die Regel bildet.
Auch Bässler erwähnt in einem kürzlich vor der Berliner anthropolo-
gischen Gesellschaft gehaltenen Yortrage, dass die Weiber im Bismarck-
Archipel eine reichliche Schambehaarung besitzen. Dieselbe fallt um so mehr
in die Auger, als sie für gewöhnlich gleich den Kopfhaaren roth gefärbt wird.
Die Frauen pflegen sie nach Art eines ELandtuches zu benutzen, um sich die be-
schmutzten Hände daran abzuwischen.
Der Schamberg der Yahine, d. h. der Weiber von Tahiti, zeigt eine reich-
liche dichte Behaarung. (Artny surgeon.)
48. Die K5rperbebaarung.
221
Bei den Kanaka-Weibern auf Nea-Caledooien ist der Schamberg mit
"eioer dichten Behaanmg überkleidct. (Anny surgeon,)
Nach Riedel^ ist auf den Äaru- und den Luang- und Sermata -Inseln
ier weibliche Schamberg nur wenig behaart. Auf Tanembar und Timoriao
laben die Weiber auch nur einen spärlichen Haarwuchs auf dem Mons Veneris;
aber die Haare werden als lang bezeichnet.
Auf dem Seranglao- und Gorong- Archipel gilt der Zuruf: Deine Mutter
hat viel Haare an den Genitalien, für eine schwere Beleidigimg. (RiedeP,)
Lassen unsere Kenntnisse über die Schambehaarung nun schon recht viel zu
ifünschen übrig, so sind dieselben über das Übrige Körperhaar noch ganz er-
heblich küramerlicher. unter dem Körperhaar nimmt nächst den Pubes das
Ihaar die hervorragendste Stelle ein. Bekanntlich pflegt ea gleich dem
LiÄF erst zu der Zeit der Mannbarkeit hervorzusprossen. Ueber die Art,
^ie dieses geschieht, werde ich an späterer Stelle sprechen. Bei Ebk findet sich
;)lgende Bemerkung :
^üeber die Beatimctiung der Äcbselbaare weis« ich wenig Erbeblichea %u soifoii. Ge-
iilich wild sie so angegeben, dass die Haare die Reibung der Haut mindern und die
ElcHtigung des hier in Menge enUtehenden ^chweistes beacbleunigen sollten. FabricitiB
'^AquapetitirtUe sagt, das« sie den Scbweia« aufsaugen, damit er die Haut nicht verderbe.
Püi Wahre an der Sache ist, dass wir den eigentHchen Zweck dieser Uaare ebensowenig. aU
hier sowohl durch seioe Menge, als seinen Hpecitiuchen Gerach ausgezeichneten Schweie»efi
kiinreichend keimen, üebrigen« darf bey geoauer Würdigung dieser Haare nicht vergessen
werden, daiw ihre Kniwickelung ebenfalls njit der Pubertät» und zwar in bejden Geschlecbtem
^in geoaueiu Zusummenhang stehe."
Reihe hat in seinen Untersuchungen auch auf das Verhalten der Achsei-
re geachtet. Er konnte über die Farbe derselben folgende Zahlen Verhältnisse
Jlen:
Farbe
der
Achselhaare bei 1000 ErwachBenen
weiblichen Geschlechts.
Farbe.
Norddeutsche. Jüdinnen. 1 N>
linnen.
HoUlinderinnen.
Schwan ....
.-1: 7 1
—
— -^
Braan
151
12
1
—
Punketblond
. • *
393
2
—
1
Bellblond
383
3
4
—
NGranblond . . • . .
14
—
—
■tefoth......
1
—
—
—
Mmrt»th
a
—
iBIondroth . .
...1^ 3
—
-
—
Fehlend
17
—
—
—
»Nach dieser Tabelle war bei den Achselhaaren der norddeutschen Frauen
starkes Hervortreten der Gelbblonden zu finden. Die Dunkelblonden sind nur
renig häufiger ab die Gelb blonden. Viel seltener finden sich braune Achselhaare,
n folgen der Zahl nach in grossem Abstände die graublonden, danach die
ifotben, und in nur sieben Fällen waren die Achselhaare schwarz. Bei 17 Frauen
IfehUen die AchBelhaare. Bei den Jüdinnen waren die Achselhaare überwiegend
Ibraun (12), bei 5 Frauen waren sie blond, schwarz in keinem Fall, Die Polinnen
Ihatien vier Mal gelbblonde und ein Mal branne Achselhaare. Die Holländerin
ibAtie dunkelblonde Achselhaare. Die Achselhaare sind allgemein häufiger als
lAageubrauen und Schamhaare, heller als die Kopt haare, und seltener als die
I Augenbrauen und die Schamhaare gleich und dunkler als die Kopfhaare/
Han? besonders interessant ist es auch noch, dass Mothe bei 15 nord-
^smM
222
V. Die SLueseren Sexnalorgane des Weibes in dthnograpbisclidr Hmsicht
deutscten Frauen und einer Polin eine verschiedene Färbung der HAare der]
rechten und der Haare der linken Achselhuhle beobachtete.
Unter den 9 Ton Conrailt untersuchten Adeli- Weibern erwähnt er nur
einmal das Vorkommen von Achselhaaren, und zwar bei einem 16 jährigen MSdchen;
die Behaarung war aber sehr schwach. Die 18 — 20jährige Atakpanie-Fmu
hatte aber unter den Armen eine ziemlich starke Behaarung.
Auf den Babar-IuReln ißt nach Ekdel^ bei vielen Frauen die AehselhS
vollständig kahl^ und auch auf den Luang- und S er m ata* Inseln und auf
Aaru- Inseln ist die Behaarung der Achselhöhle bei dem weiblichen Geschlechte'
gering» Auf den Tanembar- und Timoriao- Inseln haben die Weiber auch
nur spärliche« aber lange Haare unter der Achsel
Fif. 138, Jnngo Jap^n^rlnneii, Toilette m^cbend. (Nfteh einer Zeidhnun^ von ffyJht*Ml^
Bei den Javaninnen scheint^ wenigstens nach den mehrfach schon ci^
wähnten Photographien der Berliner anthropologischen Gesellschaft, die BehiuiniQg |
der Achselhöhle eine nur geringe Entwickehmg xu besitzen. Allerdings handelt '
es sich hier, wie es den Anschein hat, noch um ziemlich junge Personen*
Dass das Achselhaar auch bei den Japanerinnen eine sehr betrfichUicbe |
Entwickelung erreichen kann, das hat uns schon die in Fig. 137 darge^teUtej
Person gelehrt. Fig, 138 führt uns nun noch, nach einer Zeichnung von nohtmi.,
eine Gruppe junger Japanerinnen vor, welche ihre Toilette machen. Auch hier]
können wir »eben» dass der Haarwuchs in den Achselhohlen als ein starker be-|
{^lehnet werden muss,
Von den FeuerlSude rinnen heisst es bei Hyades «nd Deniktr:
»Atix ai89Ql]€ii ÜB n conaltitt* des poiU, ae«<Me rarM, an« foU tor huit efaM \m f%mmmi
CVl*'/. 1»^s r»>t»itnP^, li<h fii.tl« i^nllit les lliaX*!^''* ^nnt
l..n.r. J.V *¥l
49. Das Schamhaar im Volksglauben. 223
Was die Körperbehaarung anbetriflfk, so haben wir bisher nur Nachricht
von den mehrfach erwähnten Weibern aus dem Hinterlande von Togo, die
Conradl untersuchte. Dieselbe wird in 2 Fällen nicht erwähnt, bei einer 25jährigen
Adeli-Frau als fehlend, bei den übrigen aber als schwach und fein, bei einer
Atakpäme-Frau als ganz schwach und fein bezeichnet. Als Sitz dieser Be-
haarungen, wird 5 Mal der Körper genannt, 3 Mal sass sie an den Armen und
Beinen, 2 Mal an den Beinen allein.
Mehr Thatsachen vermag ich zur Zeit nicht beizubringen.
49. Das Schamhaar im Yolksglanben.
Von der Aesthetik des Schamhaares und von dem Zweck und Nutzen, welchen
man ihm früher zuschrieb, ist weiter oben schon gesprochen worden. Wir haben
auch gesehen, dass man die Ueppigkeit der Pubes als ein Zeichen gesteigerten
Geschlechtstriebes ansah, und dass man Weiber ohne Schamhaare für unfähig
hielt, eine Nachkommenschaft zu erzeugen. Wenn dieses auch einst die An-
schauungen von Gelehrten waren, so spiegeln sie uns doch den Volksglauben
wider; denn in der damaligen Zeit stand die naturwissenschaftliche Beobachtung
doch nicht selten noch auf recht schwachen Füssen.
In dieser Beziehung habe ich auch folgende, ebenfalls von Burkard Eble
stammende Notiz zu erwähnen:
.Frauenhaare sind meist schlicht, und diese Eigenschaft ist so auffallend, dass selbst
ihre Schamhaare im reifen Alter wieder schlicht werden, da sie hingegen in dorn Mittelalter
der Frau, d. i. vom 30. bis 40. Lebensjahre, viel krauser sind, als selbst bey Jungfrauen."
Es mögen hier aber noch einige andere Anschauungen ihre Stelle finden,
welche der Volksglauben mit dem Haarkleide des Mons Veneris verbindet.
Bei den Tungusen wird nach Georgias Mittheilungen ein starker Haar-
wuchs an den Geschlechtstheilen für einen ^ Miss wachs* angesehen, der nur durch
die Einwirkung der bösen Geister entstanden sein könne. Aus diesem Grunde
bat der Ehegatte auch das Recht, sich ohne Weiteres von einer derartig behaarten
Frau scheiden zu lassen.
Dass die Schamhaare einstmals in Europa eine medicinische Bedeutung
besassen, das erfahren wir aus dem llenricius ab Heer. Sie wurden von den Feld-
scheerem benutzt, um Blutungen zu stillen. Zu diesem Zwecke mussten sie mit
gewissen anderen Stoffen vermischt werden und darauf wurden sie den Kranken
unter die Nase gehalten. Sie konnten Männern aber nur Hülfe bringen, wenn
sie von Weibern stammten, und umgekehrt.
Sympathetische Wirkungen anderer Art sehen wir die Schamhaare auf einigen
Inseln des alfurischen Archipels ausüben. Auf Serang, Eetar und den
Ewabu -Inseln geben nach Riedel^ die Mädchen dem Auserwählten ihres Herzens
als Liebespfand einige ihrer Kopf- und Schamhaare. Das soll ein sicheres Mittel
sein, um ihn treu und beständig zu erhalten. Es kann uns nicht verwundem,
dass man die Kraft, die Liebe zu erhalten, gerade einem Theile von jenen Organen
zutraut, wo schliesslich die Liebe perfect wird. Uebrigens findet sich bei dem
Liebeszauber europäischer Volksstämme auch bisweilen das Schamhaar verwendet.
Verwunderlicher ist es, dass die Schamhaare auch den Einfluss böser Geister
abzuwehren vermögen. Dieses berichtet Ribbe von den Arn -Inseln:
,üm den Hals werden von Männern, Weibern und Kindern Amulette getragen, die
gegen böfte Geister, gegen Krankheiten schützen sollen ; sie bestehen aus kleinen, an Schnüren
befestigten S&ckchen, in welchen sich irgend ein als Pomali (identisch mit tabu) betrachteter
Gegenstand befindet, z. B. merkwQrdig geformte Steine, Perlen, Magensteine von Thieren,
Schamhaare von Frauen u. s. w.*
224 ^* ^io äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
Hierbei müssen wir uns erinnern, dass das Entblossen der OescUecIitsÜieile
bei vielen Völkern als ein unfehlbares Mittel angesehen wird, um die Dämonen
zu verscheuchen, wie ja ganz ähnlich sogar noch Martin Luther sich des ihn in
der Nacht belästigenden Teufels nicht anders zu erwehren vermochte, als dass er
ihm das entblösste Hintertheil zu dem Bett herausstreckte. Auch der aus China
berichtete Gebrauch, das Symbol der Geschlechtstheile an dem Hause anzubringen,
um die bösen Einflüsse der Dämonen unschädlich zu machen, möge hier noch
einmal angeführt werden. Und dass nun in dem uns vorliegenden Falle dem ein-
zelnen Theile die gleiche Wirkung zukommt, wie dem Ganzen, das entspricht so
recht den Anschauungen, wie wir sie bei Naturvölkern nicht allein, sondern auch
noch bei niederen und manchmal sogar bei den höchsten Schichten unseres
eigenen Yolksstammes finden. Es ist einer der unendlich vielen Beweise, wie
vielfache Berührungspunkte in dem menschlichen Denken der Völker auf den
verschiedensten Entwickelungsstufen man bei einiger Aufmerksamkeit nachzu-
weisen vermag.
50. Der Mons Veneris in ethnographischer Beziehung.
Nachdem wir uns mit den anthropologischen Verhältnissen des Mons Veneris
und der Schambehaarung beschäftigt haben, müssen wir diese Theile auch noch
in ethnographischer Beziehung ins Auge fassen. Wir begegnen nämlich bei ver-
schiedenen Völkern der Sitte, auch diese discreten Körperregionen besonderen
Maassnahmen und Behandlungsweisen zu unterziehen, und von diesen soll jetzt
die Bede sein. Einen Theil solcher Vornahmen haben wir schon kennen gelernt,
als wir oben von der Excision der Mädchen sprachen. Die Leser werden sich
erinnern, dass nach der Aussage einiger Autoren bei dieser abscheulichen Operation
auch ein Stück des Mons Veneris ausgeschnitten wird.
Am bekanntesten und wohl auch am weitesten verbreitet von Allem, was
man dem Schamberge zufügt, ist aber wohl die Epilation. Man versteht
darunter die künstliche Entfernung des natürlichen Haarwuchses. Bei den moham-
medanischen Völkern ist dieses eine durch den Ritus vorgeschriebene Handlung,
aber wir treffen sie ausserdem noch weit über die Erde ven)reitet an, in 'Afrika,
Asien und Amerika.
Das türkische Enthaarungsmittel, welches man meist hierbei benutzt, be-
steht bekanntlich aus Auripigment (Arsenicum sulphuratum flavum) und gebranntem
Kalk, welche Stoffe zu gleichen Theilen mit Rosenwasser zu einer Paste angerührt
werden ; nachdem diese Paste einige Minuten auf der betreffenden Stelle aufgelegen
und dann sorgfaltig abgewischt worden, sind die Haare beseitigt. Das Mittel ist
im Orient ganz allgemein im Gebrauch und es heisst in der Türkei Rusma, in
Persien nach Polak Nur eh. Denn auch in Persien muss sich die mohanune-
danische Frau die Haare sowohl an den Geschlechtstheilen wie auch unter den
Armen im warmen Bade regelmässig wegätzen. Das mohammedanische Mädchen
und die christlichen Armenierinnen in Persien thun dieses aber nicht, wie
Hänizsche mittheilt. Polak sagt: ,,Die Schamhaare werden dem Ritualgesetz ge-
mäss durch ein Präparat von Auripigment (zemich) und Kalk entfernt; man nennt
dies hadschebi keschidew, d. i. dem Gesetzlichen sich unterziehen ; elegante Frauen
aber rupfen sich die Haare aus, bis endlich der Haarwuchs von selbst aufhört"
Petrus BeUonius erzählte, dass der Auripigmentverbrauch im Morgenlande
in Folge dieser Sitte der Epilation ein so ungeheurer war, dass der Pächter der
Metallzöile dem türkischen Sultan einen Tribut von jährlich achzehntausend
Ducaten zu entrichten hatte.
Auch an der Guinea-Küste entfernen die jungen und unverheiratheten
Negerinnen utich Monrad die Haare in der Gegend der Geschlechtstheile; wenn
sie aber in den Stand der Ehe treten, so lassen sie die ELaare naturgemäss wachsen.
50. Dör Mond Venöria in ethnographischer Bexiebiing.
225
den
Fig. 131). Indlscbe Xf^au
EpiUtioti t>«ilut3St. (Nu<
Die Wolo ff innen eutfernen sich ihre Scbamhaare mit Hülfe eines abge-
»rochenen Flaschenhalses. (Army surgeom)
In Niederländisch Indien pflegen die Weiber malayischer Rasse, wie
S/3J3 versichert, sich die Schamhaare ausjtureis&en, so dass bei ihnen der Mons
Veneria ganz kahl eracheint. Da« be-
ätigte auch die eine der oben erwähnten
gruphien der Berliner anthropo-
^ ichen üesellschaft. Die anderen aber
lieferten den Beweis, dass diese Enthaa-
nng nicht als allgemeine Sitte angesehen
erden kann, wie auch die daselbst leben-
Chinesinnen sich diesen Gebrauch
nicht angeeignet haben. Aber bei den
atta auf Sumatra werden nach Hagen
u dem weihlichen Geschlechte die Schanthaare ausgerissen und abrasirt, sobald
ie sich zeigen.
Auch die See-Dayakinnen von Bnrneo haben nach ^oth die Gewohnheit^
Scham ba^re mit besonderen kleinen Pinzetten auszureissen,
,,^t von den Weibern der K hm ers in Cambodja, dass ihr Scham-
iient rasfi* sei; aber ,les femmes reeherchant les Europeens fönt
ement labandon de cet nsage^.
Die Annamit innen entfernen ihre Schamhaare sorgfältig. Das Gleiche
un auch die Weiber in Cambodja, und auch im südlichen China ist das ge-
iniuchlich, aber hier nur bei den Prostituirten. (Ärmtj mirgeon,)
Auch in verschiedenen Ländern des eigentlichen
ndien ist die absichtliche Entfernung der Scham-
aare bei den Frauen ganz allgemeine Sitte. Sie be-
ienen «ich dazu, wie mir Jugor mittheilte, ganz
derer Ringe, von denen das kgL Museum für
;erknnde in Berlin durch den genannten Reisen-
einige Exemphire erhalten hat. (Fig. 139.) Sie
en ausschliesslich zu dem angegebenen Zwecke
enutzt und, wenn sie in Function treten sollen,
nf dem Daumen getragen. Man kann sie in ihrem
uaseben am ersten mit einem sehr grossen Siegei-
nge vergleichen, da sie oben mit einer grossen,
latten Scheibe versehen sind. Dieselbe trägt, von
nem zierlich durchbrochenen Rande umgeben, einen
leinen Spiegel» welcher bei den Manipulationen einer-
s^it« wirklich zum Bespiegeln der Schamtheile, anderer-
aeits zum Reflectiren des Lichtes auf diese etwas
versteckten Regionen benutzt wird. Mit dem ziemlich
harfen Rande des Ringes sollen dann die Scham-
direct entfernt werden. Der indische Name
Epilationsringe ist arsl.
Der bekannte Nestor der deutschen Gelehrten
Süd-Amerika, lludolpii A Vhilippi in Santiago,
»Hc die grosse Freundlichkeit, über diesen Punkt in Bezug auf die Chileninnen
ir mich Erkundigungen einzuziehen. Dieselben haben ergeben, dass die Epilation
©übt wird, aber keineswegs als durchgehende Sitte, sondern, wie es den Anschein
t, nur in gewis,seu, nicht sehr gebildeten Schichten der Bevölkerung.
Karl von den Steinen fand in B r a s 1 1 i en hei den Indianer- We i b e r n am
lellengebiet des Scbingu, bei den Truiiiai u. s. w. ganz allgemein die Sitte,
Haare vom Schamberge säuberlich zu entfernen*
Moti*B»rltlt« I>«i Wftib I», Aufl. L Ih
)
Fig. 14n. Settain-TikUowJrQitg
Maas
g^
226
V. Die äusseren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Hinsicht.
Hyades und Deniker sprechen auch von einer Feuerländerin, wie wir
oben gesehen haben, welche sich der Epilation unterzogen hatte.
Im Orient ist die Enthaarung keine Erfindung der Mohammedaner; schon
deren Voreltern übten sie, und von Asien ging dieser Volksbrauch in alter Zeit
schon nach Aegypten und von dort nach Griechenland und Italien über.
In Griechenland waren es nach Äristophanes^ vorzüglich die Hetären und die
Lustdimen, welche sich die Schamhaare entfernten; aber es hat doch den An-
schein, dass auch die ehrsamen griechischen Frauen diese Sitte adoptirt haben
{Aristophanes^). Von den Römerinnen erzählt Marttal, dass, wenn sie alter
wurden, sie die Entfernung der Haare an den Genitalien als ein Mittel gebraachten,
um ihr Alter zu verbergen. Mehrere Autoren bezeugen, dass die Sitte sich in
Italien bis auf die neueren Zeiten erhalten hat; sie scheint daselbst noch der
Reinlichkeit wegen, sowie zum Schutz gegen Ungeziefer vorgenommen zu werden.
(Rosenbaum),
Im Grossen und Allgemeinen macht es den Eindruck, als ob die Epilation
mit Vorliebe von solchen Völkern ausgeübt wird, welche von Natur eine nur
geringe und dürftige Behaarung der Schamtheile besitzen,
ganz ähnlich wie sich meist solche Völker rasiren, welche
kümmerliche Barte haben. Die scheinbaren Ausnahmen hier-
von sind wohl dadurch bedingt, dass die absichtliche Enthaa-
rung, einmal zur rituellen Operation erhoben, nun auch von
allen bekehrten Nationen angenommen werden musste.
Eine besondere Art der Ausschmückung des Scham-
haares haben wir oben schon kennen gelernt. Es waren die
Weiber des Bismarck- Archipels in Neu-Pommern (Neu-
Britannien), welche, wie Bässler berichtet, sich ihre Pubes,
ebenso wie ihre Kopfhaare roth färben.
Wir haben noch einen anderen kosmetischen Gebrauch
unseren Betrachtungen zu unterziehen, welcher ebenfalls an
den Mons Veneris bei einzelnen Volksstämmen zur Ausübung
kommt; das ist die Tättowirung dieser Körpergegend. Sio
weit unsere jetzige Kenntniss reicht, findet dieselbe nur auf
gewissen Inselgruppen der Südsee statt. Wir besitzen darüber
von den beiden bekannten Südsee- Reisenden Ftfisch und
Kuhary eingehende Berichte.
^Wie es scheint, sagt Finsch*, hängt in dem kleinen Gebiete
von Ho od- Bai auf Neu -Guinea die Tättowirung der Schamtheile
mit vollendeter Keife zusammen, aber ich habe mir in diesem heiklen
Scham-Tätto- Kapitel nicht aus eigener Anschauung Gewissheit verschaffen kOnnen.*
Die Tättowirung der Mädchen auf Ponap^ (Caro-
linen) ist von Finsch und von Kubary beschrieben. Dem
ersteren entlehne ich Fig. 140. Nach Kubary^ ist diese
Tättowirung eine sehr ausgedehnte. Sie wird im 7. — 8. Jahre angefangen.
Gegen das 12. Jahr wird der Unterleib und die Hüften in AngriflF genommen.
«Die Bedeckung der Schamtheile wird so sorgfaltig ausgeführt, dass die Zeich-
nung sich auf die Labia majora wie auch auf den Meatus vaginae erstreckt."
Von den Pelau- Inseln berichtet Kubary^:
^Sobald ein M&dchen Umgang mit Männern pflegt, trachtet sie die unentbehrliche
telengekel-Tättowirung zu erwerben (Fig. 141), weil ohne diese kein Mann sie ansehen würde.
Dieselbe besteht aus einem den Mons Veneris ausfüllenden Dreiecke, dessen äusserer Umriss
aus der einfachen greel-Linie (gerade Linie) besteht. Der innere Raum wird dann ogüttam,
gleichmässig schwarz ausgefüllt, und die nach oben gerichtete Basis des Dreiecks erh< eine
bläsak-Umsäumung (Zickzacklinie).*
Auch der Eleisende N. von MUducho-Maday"^ spricht von der Tättowirung
der Pelau-Insulanerinnen. Er sagt, dass der Mons Veneris von einer fast an-
Fig. 141
wirnng einer Pelau-
luBulanerin.
(Nach K'uöury^.)
50. Der Mons Veneris in ethnograpliischer Beziehung. 227
onterbrochenen Tättowirung bedeckt wird, d. h. ,,es finden sich keine besonderen
Figuren, Arabesken u. s. w. dargestellt. Der Mons Veneris wird erst nach dem
Auftreten der Menstruation vorgenommen; auch die vorderen, äusseren Theile
der grossen Schamlippen erscheinen tättowirt. Das Tättowiren dieser Theile ist
auch der Grund, weshalb die Haare an den Genitalien bei Frauen ausgerupft
werden. Die Tättowirung des Mons Veneris, obgleich sehr schmerzhaft, wird,
wie man mir sagte, an einem Nachmittage vollendet.^ v. MiMucho-Maday'^
giebt eine Abbildung, zu der er sagt:
»Der untere Theil der Tättowirung ist dunkler als der obere. Der Kariut
(Rock aas Pandanusblattfasern) wird gewöhnlich von den Pelau -Weibern so ge-
tragen, dass er seitlich auf den Spinae anteriores superiores ossium ilei liegend,
Tome so weit nach unten kommt, dass die Reihe der Sterne
der Tättowirung zum Theil zu sehen ist.*"
Die Tättowirung der Frauen auf den Nukuoro-
Inseln beschränkt sich nach Kuhary^ nur auf den Scham- A ^
hügd imd besteht aus einem einfachen unausgefÜUten Drei- Fig. 142. scham-Tätto-
ecke, dessen zwei Seiten schraffirt sind und über dessen nach '^'''"j'ifsuUne^Hn"''''''"
oben gerichteter Basis sich eine einfache, an beiden Enden (Nach Kuhary^'.)
mit Widerhaken versehene Linie befindet.
.Trotz der Beschränktheit der nukuorschen Tättowirung ist ihre Bedeutung bei
den Frauen eine hervorragende, wie man schon aus dem Umstände, dass alle von nicht
t&ttowirten Frauen geborenen Kinder getüdtet werden, schliessen darf. Sie bildet das Ab-
zeichen der Reife und des Eintretens in die Gemeinschaft der übrigen Frauen und wird
auch deshalb in Gesellschaft ausgeführt, einen hervorragenden Theil der Festlichkeiten der
takotona-Zeit bildend.*^ (Fig. 142.)
Es kann für mich keinem Zweifel unterliegen, dass der ursprüngliche Sinn
dieser Tättowirungen darin gesucht werden muss, dass man bestrebt war, die
Nacktheit zu verdecken. Das spricht sich auch in den zuletzt erwähnten An-
schauungen noch ganz deutlich aus. Denn nur bei den erwachsenen Menschen
kann nach den Äuschauungen dieser Naturvölker von Nacktheit geredet werden.
Die Nacktheit der Kinder ist etwas Selbstverständliches. Das Weib also, das
sich der hergebrachten Sitte der Schamverhüllung durch die Tättowirung nicht
fügt, erscheint ihnen noch als Kind; dasselbe gilt daher nicht als ein reifes Weib
und ihr Kind als etwas Unnatürliches, und aus diesem Grunde darf dasselbe nicht
am Leben bleiben, weil alles Unnatürliche dem Stamme Schaden bringt.
Auch hierfür ist wieder eine Bemerkung von r. Miklucho-Maclay'^ sehr
interessant. Er schreibt:
.Als ich, um die Tattuirung zu sehen, mehrere Mädchen zu gleicher Zeit ihre Kariut
abnehmen Hess, erinnerte ich mich, was Sie (der Brief ist an liudolf Virchow gerichtet) über
den nackten tättowirten Körper des Sulioten Costanti sagen: , das Schamgefühl wird durch
den Anblick in keiner Weise erregt.* Es schien mir beim ersten Anblick, das» die Mädchen
an dem Mons Veneris ein dreieckiges Stück von blauem Zeug trügen. *"
Es ist das also ein erneuter Beweis, dass hier die Tättowirung die Be-
kleidung ersetzt.
15«
VI. Die inneren Sexualorgane des Weibes in ethno-
graphischer Beziehung.
51. Die Erkenntniss des anatomischen Baues der inneren weiblichen
Geschlechtsorgane bei den alten Griechen, Römern und Aegyptern.
Bei allen Völkerschaften, welche sich noch auf einer relativ niedrigen Stufe
der Culturentwickelung befinden, werden wir selbstverständlich nur höchat geringe
oder gar keine Kenntnisse von dem anatomischen Bau der inneren Organe voraus-
zusetzen vermögen. Wenn sich aber überhaupt etwas derartiges bei ihnen vor-
findet, so können sie ihr Wissen nur durch gelegentliche Erfahrungen an Thieren
erworben haben, wie sie beim Zerlegen des Schlacht- und Opferviehes oder beim
Zerstückeln der Jagdbeute gemacht werden, und man wird dann nicht selten so-
fort in ihren Anschauungen erkennen, dass ihnen die analogen Erscheinungen und
Formverhältnisse des thierischen Körpers vor Augen schweben. So sehen wir
auch bei den alten Griechen und Römern die anatomi-
schen Kenntnisse der weiblichen ünterleibsorgane sehr im
Argen liegen. Das kann uns auch gar nicht verwundem,
denn es war bei ihnen bekanntermaassen nicht Gebrauch,
an menschlichen Leichen Untersuchungen anzustellen. Das
geht auch aus den Beschreibungen hervor, welche Hippo-
Irates von den weiblichen Sexualorganen giebt. Es ist
danach gänzlich unmöglich, dass er dieselben jemals in
Wirklichkeit gesehen habe. Auch er überträgt, wie man
sofort erkennen kann, die Form und den Bau der betreffen-
den thierischen Organe ohne Weiteres auf den Menschen.
Bei den Säugethieren nämlich findet sich im Allgemeinen
die Gebärmutter, der sogenannte Fruchthalter, je nach der
Thierspecies mehr oder weniger gespalten, oder, wie es
mit dem fachmännischen Ausdrucke heisst, zweigetheUt, während die Gebärmutter
des Menschen ein ungetheiltes Gebilde ist. Solchen thierischen Uterus bipartitus
muss nun Hippohrates^ im Sinne gehabt haben, wenn er nicht von einer Ge-
bärmutter, sondern nur von den Hörnern und Höhlen des Uterus redet. Die
Eierstöcke sind ihm überhaupt vollständig unbekannt geblieben. Man hat aller-
dings den Versuch gemacht, nach einer in seinen Werken befindlichen Stelle, wo
es heisst (in lateinischer Uebersetzung) vasa ad uterum plicantur, ihm die
Kenntnisse der Eierstöcke und der sich zu dem Uterus schlängelnden Eileiter zu
vindiciren; jedoch ist das wohl bei seiner höchst unzulänglichen Schilderung der
anatomischen Verhältnisse mit Unrecht geschehen. In gleicher Weise berichtet
auch Aristoteles^ nur nach den bei den Thieren gemachten Befunden.
Fig. 143. Die inneren weib-
lichen Genitalien.
O^Witi Magnus Hundt. 1501.)
51. Die Erkenntniss des anatomischen Baues der inneren weiblichen Geschlechtsorgane. 229
Bufus von Ephesus, welcher sich besonders die Thieruntersuchungen des
Herophilus zu Nutze machte, spricht gleichfalls immer nur von den Hörnern der
Gebärmutter. Er unterscheidet aber an diesem Organe bereits den Fundus, das
untere Ende, und den Cervix und das Collum; auch hat er schon Kenntniss von
der Existenz der Eileiter, deren eigentlicher Entdecker aber, wie Galemis berichtet,
der zu Aristoteles Zeiten lebende Phäotimos gewesen war. Sie geriethen übrigens
wieder in Vergessenheit und sind dann erst im Jahre 1550 von dem italieni-
schen Anatomen Fallopia von Neuem ebtdeckt und genauer beschrieben worden,
und seinen Namen tragen sie noch heute.
Ein Volk, dem man etwas genauere Kenntnisse der inneren Organe des
menschlichen Körpers zutrauen kann, waren die alten Aegypter, deren Einbalsa-
miren wohl manche günstige Gelegenheit zu anatomischen Beobachtungen geboten
haben muss. In wie weit hiervon aber auch die ägyptischen Aerzte profitirt
haben mögen, das entzieht sich wohl fast vollständig unserer
Beurtheilung. Von dem Aegyptologen Georg Ebers erfuhr
Uennig^ über die anatomischen Kenntnisse der alten Aegypter
auf dem uns hier interessirenden Gebiete Folgendes, das sich
in dem nach ihm benannten Papyrus findet.
Im Aegyptischen bedeutet das Wort matti, männlich
gebraucht (koptisch oti), die Gebärmutter (uterus), dagegen
weiblich gebraucht (auch oti) die Mutterscheide (vulva). Ausser-
dem giebt es in jenem Papyrus auch eine Bezeichnung für die
Gebärmutter: „mut*, worin Ilennig^ die Analogie unserer
•Mutter*, juy^vrjQf mater finden will. Die Eierstöcke heissen im
Aegyptischen benti und werden durch die Dualform dieses
Wortes, wie auch durch die ovalen über einander geschriebenen
Ringel S deutlich bezeichnet, so kommen z. B. ^Recepte vom
Nichtfallenlassen der Eierstöcke^ vor.
üeber das anatomische Wissen der Juden finden wir in
dem Talmud Aufschluss. Nach der Behauptung von Israels
soUen die talmudischen Aerzte viele Obductionen vorgenommen
haben.
Kazenelson schreibt:
.Alle Theile des weiblichen Genitalapparates, die dorn adspiciren-
den Auge oder dem untersuchenden Finger zugänglich sind, waren den
Talmudisten und ebenso den Autoren des alten Testaments bekannt, die
über eine reiche Nomonclatur mit zahlreichen Synonymen für diese Or-
gane yerfQgten. Folgende Termini werden in der talmudischen Literatur wefche mehrmab ge-
fÜr die Geschlechtstheile angegeben: Mons Veneris, kaph tappüach; boren hat.
Vulva, ervah; Rima pudendum, beth hasaethurim; Vestibulum va- (Nach ^Wrrax K/xa/iW.)
gioae, beth chison (wörtlich: der äussere Raum); Oriliciura urethrae,
lul (wörtlich: die Treppe, der Durchgang); Hymen, bethulim; und Ostium vaginae, beth
schinnajim, d.h. gezähnte OefFnung, wohl eine Anspielung auf die Carunculae myrtiformes,
titale basar, der Multiparon. Maimonides deutet diese Benennung als Orificium uteri, in-
dem er vom Standpunkte Galen^s ausgeht, nach welchem der Canalis cervicis uteri immer
während des Coitus geöffnet ist. Diese irrige Ansicht wurde aber niemals von den Talmu-
disten getheilt. Femer werden genannt : Vagina, beth toreph, bethha-rechem; zuweilen
wird auch die Vagina sammt dem Vestibulum perozdor, d. h. Vorhof der Gebärmutter ge-
nannt; Septum vesico vaginale, gagh perozdor, wörtlich: Dach des Vorhofs; Septum vesico-
rectale, karka perozdor, wörtlich: Diele des Vorhofs. Ausserdem sind folgende »Synonyma
als biblische Bezeichnungen des Uterus bekannt: 'em, Mutter; tarpachath, Krug und
ftchalpuchith, Blase. Die beiden letzten Bezeichnungen können sich nicht auf den
zweihömigen Uterus beziehen. Im Talmud findet sich keine Andeutung darüber, dass
der Uterus ein doppeltes Organ sei. Am Uterus werden endlich unterschieden: der Canalis
cervicis uteri, makor, d. h. Quelle, Ursprung, und das Cavum uteri, cheder, beth,
herajon.*
Fig. 144. Die inneren
Genitalien einer Frau,
230
VI. Die inneren Sexualorgane des Weibes in ethnograpliischer Beziehung.
Kazenelson erwähnt noch eine Stelle der Mischna: «Das Weib hat in ihrem Inneren
eine Kammer, einen Yorhof und einen Aufgang.* Hierzu bemerkt er: «Der Sinn dieses Frag-
ments ist auch verständlich. Unter Kammer verstanden sie das Cavum uteri, Yorhof
nannten sie die Vagina und das Vestibulum yaginae, und mit Aufgang bezeichneten sie die
Harnblase, wobei das zu untersuchende Individuum in Rückenlage gedacht werden mnss.
Ueber die Tubae Fallopiae und die Ovarien sind in diesem Fragment gar keine Andeutungen
gemacht. Maimonides aber, der einen Gommentar zu diesem
Fragment und zu den sich auf dasselbe beziehenden Debatten
der Talmudisten im Sinne der nach ihm unfehlbaren Galen-
sehen Anatomie geliefert hat, will in diesem Bruchstück
sowohl Erwähnung der Ovarien, wie die der Tubae Fallopiae
und sogar auch der doppelten Gebärmutter gefunden haben.
Die Talmudisten haben aber möglicher Weise von den Tuben
nichts gewusst, wenigstens berichten sie nichts über die-
selben; dass sie aber an den falschen Anschauungen Galen^s
und dessen Schüler keinen Theil haben, ist gewiss."*)
Zuerst war es Soranus, welcher genau die Ge-
bärmutter von der Scheide trennt; dabei beruft er
sich auf die von ihm selbst vorgenommenen Sectionen
von Leichen. Nach ihm hat die Gebärmutter des
Weibes die Form eines Schröpfkopfes und keines-
wegs die Gestalt wie bei den Thieren; er unter-
scheidet an ihr einen Hals, einen Nacken, einen
Stiel, die Flügel, die Seiten und' den Grund. Den
Muttermund beschreibt er genau und sagt, dass der
Uterus aus zwei Membranen besteht. Die Yasa sper-
matica — so versteht Hennig die betr. Stelle —
entsenden je eine Arterie imd eine Vene nach den
Eierstöcken, und neben ihnen hebt sich jederseits
vom Uterus ein dünner Gang heraus, der als Eileiter
anzusprechen ist. Der Lateiner Muscio, genannt
Moschion*"^), der später, vielleicht erst im 6. Jahrhundert, in Rom lebte und ein
compilatorisches Hebammenbuch verfasste, schliesst sich dem Soranns fast toU-
ständig an; auch er unterscheidet den Uterus von der Vagina. In diesem Lehr-
*) Da noch wiederholentlich von dem Talmud und seinen Gelehrten die Rede sein
muss, so ist es manchem der Leser vielleicht nicht unerwünscht, wenn über die Geschichte
und die Anordnung des Talmud Folgendes hier mitgetheilt wird. Unter den veränderten
Lebensverhältnissen hatte sich allmählich das Bedürfniss herausgestellt, die zu dem Wortlaute
des rituellen Gesetzes für einzelne besondere Fälle gemachten Zusätze, Abänderungen und
Auslegungen zu einem Ganzen zu sammeln. Das geschah schon durch die Hill el' sehe Schule
vor Christi Geburt, aber erst im dritten Jahrhundert unserer Zeitrechnung erhielt diese Samm-
lung ihre jetzige Gestalt unter dem Namen der Mischna, d. h. Auslegung. Später wurden
durch die Pricsterschulen von Jerusalem und Babylon Gerichtsentscheidungen, Aussprüche
der Weisen und Verhandlungen der Lehrer über den Sinn des Ueberlieferten gesammelt and
als sogenannte Gemara den Sätzen der Mischna angefügt. Beides zusammen bildet den
Talmud. Daher giebt es einen jerusalemitischen Talmud, der um 300—400 nach Chrigto
entstanden und nur fragmentarisch auf uns gekommen ist, und einen vollständigeren baby-
lonischen Talmud, der dem 6. Jahrhundert nach Christo entstammt. (Vergl. Israels, Wunder-
bar, Truse», Berger, Kotelmann.) Zur Beurtheilung der anatomischen und medicinischen
Kenntnisse der Talmudisten muss nun aber noch darauf hingewiesen werden, dass der Talmud
ja kein medicinisches Lehrbuch ist, sondern dass er Medicinisches nur insoweit berührt, als
es für die besonderen rituellen Zwecke erforderlich ist. Deshalb ist die Annahme berechtigt,
dass den Talmudisten auch noch etwas mehr bekannt war, als sie im Talmud zur Sprache
bringen. (^ Kazenelson. J
**) Valentin Böse wies in seiner Ausgabe des Soranus (Leipzig 1882) nach, dass 3fo-
schion (eigentlich Muscio) dem Soranus und anderen Schriftstellern nur nachgeschrieben hat;
das lat. Original des 3fo^ton wurde im 15. Jahrh. in das Griechische übersetzt, und hier
Fig. 145. Die inneren Genitalien
des Weibes. (1547.)
(Nach y. Dryander.)
hl. Die ErkenjitnisB dm anatomischen Bauea der inneren weiblichen Gefichlecht^urgane. 231
bach ist Yom Bau der Sexualorgane alles dasjenige gelehrt, was die daziialigeu
^A0^^te bei ihren anatomischen Kenntnissen wussten. Dann geht Galcutis wieder
auf die den Thieren ähnliche doppelhomige Gebärmutter zurück, und bei Ori-
basius finden wir dieselbe Ansicht, eben80 wie bei dem im Jahre 980 in Peraien
eborenen arabischen Ärzte Avicenna,
Aber auch noch viel länger blieb hm den gelehrten Aerzten Europas diese
fassung die herrschende. So schrieb im Beginne des 14* Jahrhunderte der
"imte Chirurg Philipps efes" Schönen von Frankreich, Meister Heinrich von
limdevilh (nach Nicais*/s Ueljersetzung):
^Lft matrice (matrix) est un membre officia! compos^, Bpermatique» nerveux» froid et
rappareil de la genui-ation chez lea fommea, semhlable ä TappareÜ de la g<JnÄmtioö
homme«, eatif qu'il e«t renverse.
col de la raatnce repreaente la verge chez
J'botnQie, ta tnatrice le scrotum, et eUe le
fcotnporte par rapport i\ la verge, de la mßme
aanit»re que celle-ci par rapport au canal de
l^urine* La mairice ©st forraee de deux tu*
biqiie«, compOB^es cotnroe cetles d<^ regiomac^
pour len luetne« raiaona, I.a mairice est placke
le rectam» en bas, entre ce dornior, la
lPi3fl»io et le^ aot^e« intestins. La raison de
eiÜon an milieQ de «es organes estf que
l^et prot^ent Tombryon oontre les dorn*
ext^rieurs. La matrice n*a, chez las
les, qne deux cavitea ou eellule«; les
animanx ont aotant de cellules, qu'ils
^oai dt boutB de mamelle«/
Eine höchst absonderliche Abbil-
dong ist der von Nicaise veranstalteten
AttBgabe beigegeben. Sie ist dem Werke
Ton Magnus Hundt entnommen, das im
Jabre 1501 erschien, und illustrirt m
TortrelTlicher Weise den niederen Stand
df*r anatomischen Kenntnisse in der da*
nialigen Zeit. Fig. 143 giebt eine Copie
derselben.
Hennig ^ sagt: «Einen grossen
iKwiBchenraum überschreiteDd, treffen wir
&rst wieder bei Ve^ial eine auf den So-
ranuS'Mosriiion sehen Stand aufgebaute
jTerbesÄerte und vermehrte Auflage der
I Abbildung von den inneren Zeugungs-
Itheilen.* Hier aber liegt ein Irrthum
For; denn die in den 3/oscAiow- Ausgaben
Ihefindlichen Bilder sind bedeutend spä-
rterea Datums und rlihren nicht etwa
, von Mosch ton selber her. Auch lasst
[eint? Darstellung der inneren Genitalien
lus dem Jabre 1547 (Fig. 145), welche Joamies Dryander in seinem Artzenei*
Spiegel giebt, bereits einen Fortschritt zum Besseren erkennen. Allerdings tritt
"^ Andreas Vescdius die Darstellung der inneren Genitalien in eine
auch die Abbildungen der inneren woibL OeschlechUtheile hinzugefügt, die
|iich dann m der von Dcxvfi bo«urgten Aufgabe der Schrift Moschioffi wiederfinden. Die«©
üild^n- utimmen in der Hauptsache mit denjenigen überein, welche wir beiapielsweifle bei
\Iiu^ (Kin «chöG lastig TrOHtbüchlo etc» 1554) 6nd«*n» welche abo dem damaligen Standpunkte
\ i\nr MnntAr,oichen Kenntni»*e <*ni«pr«»chen.
1^1'
Fig. 146, Di« L'DterleibBorfPune «iner Frau in QiTfr
DfttÜrlicben Lage. <N»Ph An^irrm yetmlimf.)
mm
232 V* I^e inneren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Beziehong.
günstigere Phase ein. Eins seiner Bilder (Fig. 144) ist freilich doch noch
ziemlich mangelhaft. Hingegen giebt die Frau mit geöffnetem Leibe (Fig. 146),
welche die inneren Genitalien überblicken lässt, schon eine recht gute Yorstellang
von dem wirklichen Verhalten dieser Organe. Eine grosse Entdeckung des Ita-
lieners Fallopia hat auch wesentlich zur Aufklärung beigetragen, denn von ihm
wurden die Eileiter entdeckt, die seitdem die Tubae Fallopii hiessen. Viel-
leicht ist übrigens auch schon die oben erwähnte Abbildung bei Dryander durch
anatomische Tafeln von Vesalius beeinflusst worden, deren erste Ausgabe in das
Jahr 1538 fäUt.
Es ist hier natürlicher Weise nicht der Ort, eine Geschichte der anatomischen
Erkenntnisse auf diesem Gebiete bis in die Neuzeit hinein zu entwickeln.
Den Letten ist, wie wir durch Älksnis erfahren, die Existenz der Gebär-
mutter wohlbekannt. Sie nennen sie mähte (Mutter) oder dsemde und dsemdes
mähte (Gebärmutter). Aber auch Blüthenmutter wird sie genannt oder, wenn
sie Schmerzen bereitet, heisst sie Mutter des Zornes, Mutter der Schrecken
oder Mutter der Qualen. In den an ihre Adresse gerichteten Beschwörungs-
formeln wird sie auch als goldenes Mütterchen, als Mutter, Mutter, alte
Frau, als liebe Mahrina oder als Mahrina^ heilige Frau angeredet. Auch
Mutter der Früchte, Mutter der Kinder, Mutter des Lebens wird sie
titulirt und einmal sogar höchst respectwidrig, schwarzes Schwein in jugend-
lichen Tagen. Sie sitzt in einer «Höhle der linken Seite unter dem Nabel*.
Hier hat sie ihre Behausung, ihre Schwelle, ihr Zimmer, hier ist ihr «Mutterbett''
und ihr , Mutterstuhl ", ihr , goldenes Bett", oder ihre »Blüthen wiege* mit dem
„Daunenkissen*, wo sie zusammengerollt wie ein Knäuel oder zusanmoiengeringelt
wie ein Kätzchen liegen und sich wärmen und zahm sein soll und schlafen, weich,
wie eine Wollflocke, wie eine Linde oder wie ein Bovist. Oder sie soll dort
sitzen auf dem goldenen Stuhl mit der silbernen Rücklehne. Sie ist süss, wie
Honig, »weiss* und »rundlich* und „in ihr ist Blut*. Wir werden später noch
mehr von ihr hören.
52. Die Erkenntniss des anatomischen Baues der inneren weiblichen Ge-
schlechtsorgane bei den alten Indern, den Japanern und Chinesen.
Aus Susrutas Ayurveda erfahren wir sehr wenig darüber, wie sich die
indischen Aerzte die weiblichen Genitalien zusammengesetzt dachten. In
Hessler's lateinischer Ausgabe dieses Buches ist Nichts enthalten, was über die
Anatomie und Physiologie der Schwangerschaft Aufschluss geben könnte. Zu der
Stelle, wo die Gebärrautterkrankheiten besprochen werden, bemerkt Uessler:
«Vocabulum yoni non secus uterum, acvulvam significat; designat igitur omnet
partes genitales muliebres, quae ad coitum, conceptionem, graviditatem et partum pertinent.*
In dem oben bereits citirten Tamil- Buche Kokkögam werden gewisse
Unterschiede in der Tiefe der Geschlechtstheile der Weiber constatirt und diese
letzteren hiernach in drei Gruppen eingetheilt. Von diesem Gesichtspunkte aus
giebt es drei Arten von Weibern, nämlich die Gazellenweibchen, deren Ge-
schlechtstheil eine Tiefe von 6 Daumenbreiten besitzt, femer die Stuten mit 9
Daumenbreiten Tiefe, und endlich die Elefantenweibchen mit 12 Daumenbreiten
Tiefe. Ihnen entsprechen übrigens drei Arten der Männer, die Hasen, die Stiere
und die Hengste, deren Penis ebenfalls 6 oder 9 oder 12 Daumenbreiten misst.
Die japanischen Geburtshelfer, insbesondere ihr Lehrmeister Kangawa,
der in den Jahren 1750 — 1760 sein berühmtes Werk schrieb, hatten, bevor sie
von europäischen Aerzten genauere Kenntniss über den Bau des Körpers er-
hielten, noch ein sehr unvollkommenes Wissen von den anatomischen Theilen, welche
für die Geburtshülfe wichtig sind. Eine eingehende Bekanntschaft mit den Ver-
hältnissen der Gebärmutter verräth dieses San-ron betitelte Werk allerdings nicht
53. Die Gebärmutter in anthropologischer Beziehung. 233
Als die hierher gehörenden Theile bezeichnen sie folgende:
1. Das Hüftbein (ganzes Becken); den Theil desselben, welcher quer läuft und unter
dem Nabel steht, nennt man Querbein (offenbar kein bestimmter anatomischer Begriff). Der
indere Theil des Hüftbeins geht nach unten und vereinigt sich von beiden Seiten mitten
swischen beiden Schenkeln. Dieser Theil heisst das vereinigende Bein (hiermit ist offen-
bar die Symphysis gemeint).
2. An dieser Stelle giebt es einen Zwischenraum, E-in*) (d.i. das Perinaeum); derselbe
ist beim Manne 3 Bu (0,024 englische Fuss)**) breit, bei der Frau 5 Bu (0,040 engl. Fuss),
BO lange sie nicht geboren hat, nach der ersten Geburt wird er über 1 Sun (0,08 englische
Fuss) breit
3. Vor dem vereinigenden Bein liegt die Scham, dahinter der Anus; dringt man 4 Sun
(0,32 engl. Fuss) in die Scham, so findet man oberhalb des Anus die Gebärmutter; ihre Länge
ist 8 Sun (0,64 engl. Fuss) ; ihr Mund ist nach hinten gerichtet und liegt gerade in der Höhe
des unteren Randes des Querbeins.
Die zweite Hälfte unseres Jahrhunderts hat in dem medicinischen Wissen
der Japaner sehr beträchtliche Umwälzungen hervorgerufen. Immer emsiger
sind sie bestrebt, mit unermüdlicher Energie und Ausdauer europäische Wissen-
schaft zu erlernen, und schon liegen eine ganze Zahl von Veröffentlichungen aus
japanischer Feder vor, welche sich in würdigster Weise den wissenschaftlichen
Arbeits der internationalen Civilisation einfügen.
Was die Kenntniss betrifft, welche die Chinesen von den weiblichen Geni-
talien haben, so steht dieselbe auf einer sehr niederen Stufe. Vom Becken und
seiner Anatomie scheinen sie wenig oder nichts zu wissen; obgleich doch die
Gestalt desselben so wichtig für den Geburtsmechanismus ist, denn in den mit
anatomischen Bildern reich verzierten medicinischen Werken der Chinesen hat
man die Abbildung eines Beckens noch nicht finden können. Dahingegen enthalten
einzelne chinesische Abhandlungen über Geburtshülfe Beschreibungen der inneren
Geschlechtsth eile, wobei man leicht die Scheide und die Gebärmutter unterscheiden
kann: ,. ähnlich (wie die Beschreibung lautet) einer Nenuphar-Blüthe, die auf
ihrem Stengel sitzt**. Allein man kann in der Beschreibung weder die Eileiter
noch die Eierstöcke wiedererkennen, auch erfährt man nicht, ob der Verfasser
von ihrer Bedeutung überhaupt eine klare Vorstellung hat.
53. Die Gebärmutter in anthropologischer Beziehung.
Unsere Kenntnisse von dem Bau der inneren weiblichen Geschlechtsorgane
bei den verschiedenen Völkern der Erde sind bis heute leider noch so gering,
dass es sich nicht entscheiden lässt, ob es an diesen Theilen wahre Rassenunter-
schiede giebt. Sollten dieselben sich nachweisen lassen, so sind sie gewiss nicht
sehr erheblicher Natur, wie wir nach den gleichartigen Functionen, die sie bei
allen Rassen haben, wohl von vornherein voraussetzen dürfen. Mögen die wenigen
Thatsachen, welche ich zu bringen vermag, hier ihre Stelle finden :
Bei den Negerinnen fand Fruner-Bcy den Hals des Uterus dick und ver-
längert. Der Mutterhals der Woloffen-Frau ist nach de lioclichrunr birnen-
förmig, eng wie ein Schleienmaul und besonders charakterisirt durch die Stellung
des Orificium externum nach vorn und durch seine Länge; man würde solche Ver-
•) In = beschatteter Theil; E heisst der Punkt, an welchem sich die Miyaku's ver-
einigen; die drei Miyaku's sind drei grosse Adern, von denen die eine auf der Vorderseite,
die zweite auf der Rückseite die Mitte des Körpers hinabläuft, die dritte quer über den Damm
in beide Beine läuft. Sie sind, wie alle dergleichen Bestimmungen, Resultat der Speculation
and entsprechen keinem anatomischen Begritfe.
**) Das gewöhnlich gebräuchliche Längenmaass ist Shiakn, der in 10 Sun und 100 Bu
getheilt ist. Der im gewöhnlichen Handwerkergebrauche benutzte ist so ziemlich dem eng-
lischen Fuss gleich. Der in der Geburtshülfe gebräuchliche Shiaku ist dagegen nur 0,8 engl.
Fass lang, also der Sun 0,08, der Bu 0,008 engl. Fuss.
234 ^^^' ^^6 inneren Sexaalorgane des Weibes in ethnographischer Beziehiuig.
hältnisse bei der Europäerin nach de Bochebrunes Ansicht bereits als einen
beginnenden Prolapsus diagnosticiren. De Rochebrune weist nun aber die An-
schauung zurück, dass diese Gestaltung ein ethnographisches Merkmal seL Viel-
mehr ist diese Form bei der Woloffin die Folge ihrer Lebensweise. Neben den
Einwirkungen des Klimas, der Ernährung und der Menstruation ist hier besonders
das anstrengende Tanzen zu beschuldigen.
Die Durchschnittsverhältnisse des Mutterhalses sind nach ihm folgende:
bei der Europäerin 0,017 m Länge, 0,031 m Durchmesser,
, , Woloffin 0,044 , , 0,019 , ,
Unter ähnlichen Lebensverhältnissen soll bei Creolinnen, Hulies u. s. w.
eine gleiche BeschaflFenheit des Uterus vorkommen, und St. Vel berichtet, dass
eine einfache hypertrophische Verlängerung des Mutterhalses auch auf den An-
tillen unter älteren Weibern beobachtet wird, welche den verschiedensten Klassen
der Bevölkerung angehören, aber nach mehreren Geburten durch schwere Arbeit
überlastet wurden.
Ebenso fraglich ist, ob der Bau des Uterus, welchen Görtj^ bei dem Busch-
weibe Äfandi vorfand, ein Merkmal der Rasse oder eine zufällige Besonderheit
des Individuums ist. Diese Frau, die etwa 38 Jahre alt verstorben war. und 3
Kinder geboren haben soll, zeigte bei der Section einen Uterus von plumpem
Bau; der Fundus war convex, die Fläche des Körpers stark gewölbt, die Vaginal-
portion kurz, cylindrisch, der äussere Muttermund liess bequem einen Gänsefeder-
kiel hindurchtreten, die Lippen waren dick, aber weder gekerbt, noch narbig ein-
gezogen, die Maasse übertrafen nicht diejenigen einer Gebärmutter bei einer jugend-
lichen Europäerin.
Die französische Expedition nach dem Cap Hörn hat auch auf dem
hier vorliegenden Gebiete unsere Kenntnisse etwas erweitert. Hyades und Beniker
beschreiben den Mutterhals bei einer Feuerländerin von 13 Jahren:
,col dur, sito^ en bas et en avant; bei einer 16 jährigen: col nt^rin normal; bei einer
18jährigen: col en bas, un peu en avant, arrondi; bei einer 20 jährigen : col abaiss^, an peu
döviö k droite, contenant un tampon de paille qui Tobstrue enti^rement. Diese Fran war
ungefähr im 3. Monate schwanger. Eine 30jährige, Mutter zweier Kinder, hatte: col large,
k Ouvertüre transversale un peu oblique de dedans en dehors et de haut en bas; brin de
paille sur le col utärin. Bei einer anderen 30jährigen war: Col ut^rin situä en bas, et an
peu en avant, dur au toucher, 4 ouverture tiunsversale oblique de dehors en dedans et de
haut en bas, presentant de legeres tracos d'incisures sur chaque exträmit^. Es bestand dabei
ein kleiner Scheidenvorfall. Eine 40 jährige endlich hatte: col en bas et un pea en avant.
assez dur, arrondi. Diese Frau hatte drei Kinder geboren.*
Wir besitzen aber auch einen Obductionsbefund, welcher sich ebenfalls auf
eine Feuerländerin bezieht und zwar auf diejenige, welche auf ihrer Reise
durch Europa einer Lungen- und Brustfellentzündung erlegen war. v, Bischoff
fand an ihr Folgendes:
Die inneren Genitalien der jüngeren Feuerländerin boten folgende
Eigenthümlichkeiten :
Die Portio vaginalis uteri tritt an dem ScheidengewOlbe nur mit der hinteren Mntter-
mundslippe hervor, die vordere ist ganz verstrichen. Der Muttermund bildet eine etwa 12 mm
lange quere Spalte, steht zwar ziemlich weit auf, hat aber keine Einrisse oder Narben, so
dass diese Person wohl gewiss keine reife Frucht geboren hat. Der Uterus hat einen
Längendurchmesser von 8 cm, einen Querdurchmesser von 5,5 cm, einen Dickendarchmesser
von 3 cm, ist im Allgemeinen etwas platt und ein wenig schief gestaltet. An den Eier-
stöcken fanden sich alte membranöse Exsudationen und Verwachsungen. Diese Theile and
die Eierstöcke zeigten die gewöhnliche Beschaffenheit. Der Constrictor cunni ist nur
schwach, der Baibus vestibuli in gewöhnlichem Grade entwickelt.
Hiermit ist das Material zu Ende, was uns in dieser Beziehung zu Gebote
steht. Leider ist es viel zu gering, um zu sicheren Schlüssen zu f&hren. Es
54. Die Gebärmutter im Volksglauben. 235
mnfls daher die Entscheidung der Frage, ob es Rassenunterschiede an den inneren
Genitalien giebt, einer späteren Zeit überlassen werden. Was ich bisher zu-
sammenbringen konnte, macht dieses aber sehr wenig wahrscheinlich.
54. Die Oebärmatter im Yolksglanben.
Die Kenntniss der antiken und der uncivilisirten Völker von der Bedeutung
der Gebärmutter ist eine nur geringe gewesen und manche absonderliche Vor-
stellung wird mit derselben in Verbindung gebracht. Den alten Indern war sie
eins der drei Asaya oder Receptacula, um welche der weibliche Korper reicher
ist, als der männliche (die beiden andern sind die Brüste). (Wise,) Die Is-
raeliten sagten von einer Frau, welche keine Kinder gebar, dass sie „ver-
schlossenen Leibes* sei. Aehnlich glauben auch die Araber in Algerien, wie
Bertherand berichtet, von einer Frau, welche nicht concipirt oder welcher die
Menses fehlen, dass sie die Gebärmutter verschlossen habe.
Höchst merkwürdig ist die Thatsache, dass man von Alters her die Gebär-
mutter fttr ein lebendes Thier im Menschen angesehen hat. Das war eine An-
schauung, welche selbst die gebildeten Kreise beherrschte. Auch der griechische
Philosoph Plato hat sich hiervon nicht losmachen können (Kleinwächter). Er
hielt den Uterus für ein Thier, das nach der Befruchtung begehrlich ist. Wird
diese seine Begierde nicht befriedigt, so zeigt es sich ungehalten und beginnt im
Körper herumzuwandern. Hierdurch verlegt es dann die Wege der Lebensgeister
und behindert die Respiration, und die Folgen davon sind schweres Angstgefühl
und zahlreiche Krankheiten.
Das erinnert an einen Ausspruch des weisen Salomo (Sprüche 30, 15. 16):
„Drei Dinge sind nicht zu sättigen, und das vierte Kpricht nicht: es ist genug. Die
Hölle, der Frauen verschlossene Mutter, die Erde wird nicht Wasser satt, und das Feuer
spricht nicht, es ist genug.*
Gleiche Ansichten herrschten zu Aristoteles' und Actuarius Zeit, sowie
lange später noch. Aretäus sagt:
,ln der Mitte zwischen beiden Flanken liegt beim Weibe der Uterus, ein weibliches
Eingeweide, welches vollständig einem Thicre gleicht, denn es bewegt sich in den Flanken
hin und her. Die Gebärmutter ergötzt sich an angenehmen Gerüchen und nähert sich den-
selben, während sie vor üblen zurückweicht. Sic gleicht daher einem Thiere und ist auch
ein solches.*
Dieser Auffassung zufolge bestand die Behandlung der Hysterie namentlich
darin, die Gebärmutter durch angenehm riechende Mittel heranzulocken oder durch
üble Gerüche zu verscheuchen. Auch Hippokrates spricht von Wanderungen,
von Ab- und Aufsteigen der Gebärmutter, und seine Heilmethode gegen die da-
mit verknüpften Leiden besteht namentlich in Käucherungen, aromatischen In-
jectionen u. s. w.
Erst Galenus verwirft die Annahme einer Wanderung der Gebärmutter, be-
folgt jedoch die Therapie des Hip2)okrates, während Soranus ernstlich bemüht
war, dem Glauben von der thierischen Natur der Gebärmutter entgegenzutreten.
In Deutschland und in den österreichischen Alpen hat sich von
Alters her der Volksglaube viel mit den Verhältnissen des weiblichen Unterleibes
beschäftigt, und namentlich werden die mannigfachen Erscheinungen der Hysterie
der „Mutter** in die Schuhe geschoben. Führte dieselbe doch lange Zeit geradezu
den Namen Mutt^rsucht, und in Steyermark wird nach Fossel der sogenannte
Globus hystericus noch heutigen Tages als die Hebmutter bezeichnet. In Tolz
sagt man nach Hoefler: „Die Bärmutter ist ihr steigend worden.* Aber auch
hier begegnen wir wiederum ganz allgemein der Anschauung, dass die Gebär-
mutter ein im Körper des Weibes lebendes Thier sei, welches schlagen, beissen
und hin und her zu kriechen vermag. Ihr Name ist die Mutter (Muata) oder
236 ^^- ^0 inneren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Beziehung.
die Bärmutter (Bermutter). Die Bewohner des Ennsthales in der G^end von
Admont sagen: ,Wann d*Muata ausn Häusl is, hilft nix besser als d'Muata
fuatern/
Dieses Futtern der Gebärmutter geschieht nach Fossd in folgender Weise:
Man nimmt Rossmünze (Mentha siWestris), Hirschhomgeist, Honig, Muscatnuss
und Katzenschmalz, vermengt es und thut alles in eine Nussschale, formt darauf
aus einem dünnen Wachskerzchen ein Kränzchen, klebt auf demselben drei Wachs-
kerzen aufrechtstehend an und zündet, indem man die Nussschale inmitten des
Kränzchens auf den Nabel der Kranken legt, die drei Kerzen an. Während dieser
Procedur kehrt die Muata in ihr Häusl zurück und die Kranke ist genesen.
Im Äufkirchner Mirakel heisst es: «Die
N. N. hat die Bermutter geschlagen." und nach
dem Fürstenfelder Mirakel hat ^Hansens Bi-
hergers Tochter die Bärmutter den ganzen Tag ohne
Aufhören gebissen, bis sie sich mit einer wächsenen
Bärmutter allhier verlobt.* Solche wächsernen
Muttern haben die Gestalt einer Kröte mit kurzen
gespreizten Beinen. An ihrem Hintertheile ist, wie
an manchen Urnen, ein kleiner, runder, fussartiger
Ansatz, damit sie aufrecht hingestellt werden können;
ausserdem aber tragen sie eine schmale seidene
Schnur um den Hals, xnn. das Aufhängen vor dem
Gnadenbilde zu ermöglichen.
Im Sommer 1890 habe ich bei eine^i Wachs-
zieher in Salzburg solch eine Votivkröte erwerben
können, die in dem Kapitel über die Unfixichtbar-
keit abgebildet ist. Derartige Wachskröten sollen
Fig. 147. Eiaernea votivbiid in Kröten- übrigens in ganz Ob erbayem uud Tyrol ZU haben
^^^^'^^''iM^L^r^^^r^l^lJ^r^^^^^''^' sein, und in der Kirche in Kufstein fand ich
(Museum zu Wiesoaden.) .' „, ii»i rw n
(Nach Handelmann.) cmc uutcr anderen wächsernen menscnlicnen wlied-
maassen an einem Altarbilde aufgehängt. Auch
eiserne Votivkröten kommen bisweilen vor. Eine solche eiserne Krötenfigur be-
findet sich im Wiesbadener Museum (Fig. 147), sie ist von durchschnittlich
1 cm dickem Eisen, nicht gegossen, sondern geschmiedet und die Verzierungen sind
eingepunzt. In dem bayerischen National - Museum in München finden sich
auch ein Paar solche Exemplare.
Nach dem Volksglauben kriecht die „ Bermutter '^ als Kröte aus dem Munde
heraus, um sich zu baden, und kehrt zurück, während die Kranke schläft; dann
folgt Genesung (Handelmann). Hat aber die Frau indessen den Mund geschlossen,
so kann sie, wie wir später sehen werden, nicht wieder zurück, und in diesem
Falle wird die Frau unfruchtbar.
Warum es nun gerade die Kröte ist, mit welcher der Volksglaube die Ge-
bärmutter identificirt hat, das ist nicht so ohne Weiteres zu verstehen. Dass
eine oberflächliche Aehnlichkeit des platten, dicken Uterus mit dem genannten
Thiere hierzu die Veranlassung gegeben haben sollte, das ist doch in hohem
Grade unwahrscheinlich, da man nicht recht einzusehen vermag, wo denn dem
Volke sich die Gelegenheit geboten haben sollte, eine menschliche Gebärmutter
in natura zu sehen. Auch Tamer's Erklärung will uns nicht erheblich fördern;
er ist der Meinung, dass die Krankheit, d. h. die Hysterie, wie das Hin- und
Herkriechen einer Kröte empfunden würde. Es bleibt uns für das Erste nichts
Anderes übrig, als die Thatsache hinzunehmen uud eine befriedigende Erklärung
der Zukunft zu überlassen.
Auf den Serang- oder Nusaina-Inseln im malayischen Archipel wird
nach Riedel^ der Uterus als ein lebendes, mit der Frau nicht zusammenhängendM
54. Die Gebärmutter im Volksglauben. 237
Wesen betrachtet, das, wenn die Frau nicht krank werden und ihr Korper sich
ordentlich entwickehi soll, fortdauernd mit Sperma genitale gef&ttert werden muss.
Auch bei den Sachsen in Siebenbürgen begegnen wir einem ähnlichen
Okuben, wie aus ihren Beschwörungsformeln hervorgeht. So heisst z. B. solch
eine Formel aus Kronstadt:
, Wehmutter, Beermutter,
Du willst Blut lecken,
Das Herz abstossen.
Die Glieder recken,
Die Haut strecken!
Darfst es nicht thun.
Du musst ruhn,
Im Namen Gottes.'* r*'. Wlislocki^.J
Ganz ähnlich heisst es in Plimb allen bei Kraupischken in der Provinz
Preussen nach Frischhier:
, Wehremutter, Beremutter,
Du willst Blut lecken.
Das Herz abstossen.
Nein, das sollst Du nicht thun!
Du bist von Gott gesandt.
Du sollst gehen in Deinen Ruhestand!*
Als vollständig ausserhalb des weiblichen Körpers stehend erscheint die Ge-
barmutter in einer Beschwörung, welche aus der siebenbürgischen Ortschaft
Ur wegen stammt; sie soll gegen Gebärmutterblutungen helfen:
Beermutter sass auf marmcindem Stein,
Kam ein alter Mann zu ihr herein,
„Beermutter, wohin willst Du gehn?"
„Ich will zur N, N. gehn,
Ich will ihr Blut sehn,
Ich will ihr Herz verzehren.
Ich will ihr Leben nehmen."
„Beermutter, das sollst Du nicht thun.
Du sollst im marmelnden Stein ruhn,
Die Waldfrau soll Dich fressen,
Als wärst Du nie gewesen!
Im Namen Gottes, des Sohnes und des heiligen Geistes.'*
(v- Wlislocki*j
Die Letten glauben ebenfalls, dass die Gebärmutter ihre normale Stelle
verlassen und in die Höhe steigen könne. Alksnis führt eine ganze Eleihe in-
teressanter Beschwörungsformeln an, welche sich auf diesen Zustand beziehen.
Wir haben die Wohnung, welche die Letten der Gebärmutter anweisen, mit dem
goldenen Bettchen, oder dem goldenen Stuhle schon kennen gelernt. In den Be-
schwörungsformeln der Letten wird sie aufgefordert, zu bleiben, sich nicht zu
rühren, nicht zu sitzen, nicht aufzustehen, sich nicht emporzurichten, nicht hoch
und nicht tief zu steigen, nicht herumzustreifen, sich nicht herumzutreiben, nicht
zu springen, nicht hohe Berge zu ersteigen, nicht zu Gaste zu gehen. Auch soll
sie nicht kratzend gehen, nicht schlagen und nicht grunzen. Man fordert sie
dann auf, nach Hause zu gehen und sich wieder hinabzuwälzen.
Es mögen ein Paar Proben der Beschwörungen hier angeführt werden :
aMutter, Mutter, was Du zu Sinne hast, das thue nicht ! Du hast im Sinne, hohe Berge
zu ersteigen, — das thue Du nicht! Du hast im Sinne, weit zu Gaste zu gehen, — das thue
Du nicht! Komm, komm nach Hause, setze Dich auf einen goldenen Stuhl, schlafe im
goldenen Bett, wo Dich Gott seihst hingestellt hat Im Namen u. s. w."
Eine andere Formel lautet:
.Liebstes Mütterchen, steige nicht hoch, steige nicht tief, dehne Dich nicht aus in die
238
VI. Die inneren SexaaJorgane des Weibes in ethnographiscber Beziehung.
Breite, recke Dich nicht in die L&nge ! Sitze auf Deinem Stuhl, schlafe in Deinem Bett, wo
Dich Gott eingezeichnet hat*
In einer Beschwörung ist sogar von den kleinen Kindlein die Rede, welche
die Gebärmutter besitzt; sie wird eben wirklich mit einer Mutter identificirt.
Auch hat sie nach dem Wortlaute der Zauberformel nicht nur ihren Platz im
Leibe verlassen, sondern sie ist wirklich aus dem Körper ausgewandert:
,, Meine Mutter ist aufs Feld gegangen: Komm zurück nach Hause — Deine kleinen
Kindlein weinen und schreien nach Dir! Setze Dich auf Deinen Stuhl; schlafe in Deinem
Bett, wo Dich Jesus Mutter, die heilige Maria hingestellt, hingesetzt hat!"
Auch die alten Aegypter glaubten daran, dass die Gebärmutter ihre
normale Stelle verlassen könne. Das ersehen wir aus dem Papyrus Ebers, in
welchem von Arzneien die Rede ist, „um die Mutter der Menschen einer Frau an
ihre Stelle zurückzubringen."
In des getreuen Eckarth's unvorsichtiger Heb-Amme, welche im
Anfange des vorigen Jahrhunderts verfasst worden ist, lässt sich die Wehe-
Mutter folgen dermaassen aus:
,, Allerdings wird es mit Recht die Bärmutter geheissen, denn sie ist gleich einem
Bare, der, wann er wüthend wird, alles zerreisset und beisset, welches ebener massen auch
die Muttor thut, und verrichtet, denn was haben die armen Weiber nicht für Plage, wann
die Mutter aufsteiget, und gleichsam im Leibe herum wüthet und beisset."
Votivgaben, und zwar solche, welche figürlich die
erkrankten Theile des Körpers darstellten, wurden schon
bei den Griechen (vergl. Palma di CesnoWs Ausgra-
bungen auf Cypern) und Römern in den Tempeln der
Götter dargebracht, welchen man einen Einfluss auf die
Heilung zuschrieb. So haben erst ganz neuerdings die
in Rom im Tiber 1890 vorgenommenen Baggerarbeiten
die hinabgestürzte Cella des sdten J.e5cu!ap • Tempels ge-
troffen und mehrfach menschliche Körpertheile in ge-
branntem Thon zu Tage gefördert. Es ist von nicht ge-
ringem Interesse, aus diesen Funden zu ersehen, dass die
Frauen auch schon in damaliger Zeit Nachbildungen ihrer
Genitalien der Gottheit weihten, um Heilung zu erflehen.
So hält Neugebauer eine Terracotta des Nationalmuseams
in Neapel, die sich in Pompeji fand, f&r die Dar-
stellung einer vorgefallenen und mit der gefalteten und
umgestülpten Scheidenschleimhaut überkleideten Gebär-
mutter.
Auch das Museo archeologico in Florenz besitzt
branntem Thon"*^(Tm'"Mu8eo derartige Votivstücke in blassröthlichem gebranntem Thon,
archeologico in Florenz), die unter denen besonders eins von ungefähr 2 Fuss Höhe
^Lr^sk^VaM^HeJ^^^ g*^nz deutlich die Vulva, den Nabel und dazwischen in
einer ovalen, flachen Vertiefung den quergerunzelten
Uterus mit der Scheidenportion und dem Muttermunde erkennen lässt. Dieses
Votivstück ist in Fig. 148 dargestellt.
Ein Verständniss für das Wesen der Gebärmutter finden wir bei solchen
Völkern, welche durch äussere Manipulationen auf die Lage des Kindes im Mutter-
leibe einzuwirken suchen, oder welche es verstehen, absichtliche Lageverandemngen
des Uterus zu erzeugen, um die betreffende Person vor einer Befruchtung zn be-
wahren. Ganz besonders aber gehören solche Volksstämme hierher, welche sich
sogar an den Kaiserschnitt wagen. Ich kann dieses Thema hier nicht weiter
verfolgen, da wir in einigen späteren Abschnitten noch einmal hierauf zurfick-
konmien müssen.
Fig. 148. Votivtigur ans ge-
55. Die Eierstöcke und die Castration der Weiber. 239
55. Die Eierstocke und die Castration der Weiber.
Die BedeutuDg der Eierstocke, der Ovarien, als derjenigen Organe, in welchen
ursprünglich der erste Keim für eine Nachkommenschaft zur Entwickelang gelangt,
ist schon frühzeitig zum Bewusstsein gekommen. So hat man aus Angaben des
Siraho und auch des Alexander ab Alexandra darauf geschlossen, dass sowohl die
alten Lyder, als auch die Aegypter es verstanden hätten, durch operative Ent-
fernung der Eierstöcke weibliche Wesen zu Eunuchen zu machen. Allerdings
könnte man auf die Yermuthung kommen, dass es sich hier nicht um eine wirk-
liche Ovariotomie, sondern nur um eine Excision der Clitoris gehandelt haben
konnte ; aber wir dürfen nicht vergessen, dass die gleiche Operation an Schweinen
seit alter Zeit im Volke ausgeübt worden ist, und dass sich auf diese Weise sehr
wohl eine chirurgische Gewandtheit entwickeln konnte.
Hyrtl erzählt einen Fall von Wierus:
„Ein Schweineschneider, welcher Ursache hatte, die Keuschheit seiner Tochter in Ver-
dacht zu ziehen, ezstirpirte ihr beide Ovarien, und ein zweiter desselben Metiers beredete
seine Frau, sich derselben Operation zu unterziehen, da sie ihn bereits mit so vielen Kindern
erfreute, dass er nur mit • Besorgniss den annoch zu erwartenden Folgen ihrer Fruchtbarkeit
entgegensah."
Auch in Indien muss eine derartige Kenntniss unter den Eingeborenen
bestehen. Wenigstens giebt Boherts an, dass er auf einer Reise von Delhi nach
Bombay weibliche Eunuchen angetroffen habe. Die von ihm untersuchten Per-
sonen waren ungefähr 25 Jahre alt. Auf welche Weise die Operation ausgeführt
wurde, vermochte er leider nicht zu ermitteln. Diese Weiber hatten keinen Busen
und angeblich auch keine Warze. Mit dieser letzteren Bemerkung ist jedoch
wohl nur gemeint, dass ihre Brustwarzen nicht prominirend waren. Auch die
Schamhaare fehlten ihnen. Ob sie überhaupt nicht enwickelt, oder der Landes-
sitte gemäss künstlich entfernt worden waren, geht aus dem Berichte nicht hervor.
Der Scheideneingang war vollkommen verschlossen und der Schambogen so enge,
dass sich nicht nur die absteigenden Schambeinäste, sondern auch die aufsteigenden
Sitzbeinäste beider Seiten beinahe berührten. Die ganze Gegend der Schamtheile
zeigte keine Fettablagerung, ebenso wie die Hinterbacken nicht mehr, als bei
Männern, während der übrige Körper hinreichend damit versehen war. Es war
keine Spur einer Menstrualblutung oder eines deren Stelle vertretenden Blutflusses
vorhanden, ebenso fehlte der Geschlechtstrieb. Mit Recht wird darauf hingewiesen,
dass diese Unglücklichen abermals den Beweis liefern, wie der ganze weibliche
Habitus von den Eierstöcken abhängig ist.
Es giebt aber auch noch ein anderes Land, wo man derartige Verstümme-
lungen vornimmt, r. MikluchO'Maclatß hat darüber berichtet und es kann uns
nur Wunder nehmen, dass es eins der allerrohesten und fast am tiefsten in der
culturellen Entwickelung stehenden Völker ist, welches diese Operationen aus-
geklügelt hat. Es sind die Australneger, welche die operative Entfernung der
Eierstöcke üben, um den jungen Leuten eine besondere Art von Hetären zu
schaffen, welche nie Mütter werden können. Diese Operation wird in einzelnen
Gegenden Australiens von Zeit zu Zeit an jungen Mädchen vorgenommen:
am Parapitschuri-See fand ein Berichterstatter ein solches zwitterhaftes Mäd-
chen mit knabenartigem Aussehen und mit länglichen Narben in der Leistengegend.
Ein andermal sah der Naturforscher Mac Gillivray am Cap York ein einge-
borenes Weib, dem man, wie die Narben zeigten, die Ovarien ausgeschnitten hatte;
man hatte dies gethan, weil sie stumm geboren war und weil man nun verhüten
wollte, dass sie ebenfalls stumme Kinder zur Welt brächte.
Vor einiger Zeit erhielt die Berliner anthropologische Gesellschaft einen
erneuten Bericht über diesen Gegenstand durch Purceü, Derselbe schreibt:
^EurilthaSf dieses ist die an den Weibern vorgenommene Operation, welche
man für die Castration (spaying) gehalten hat. Diese letztere Operation setzt
240 ^I* ^i® inneren Sexualorgane des Weibes in ethnographischer Beziehung.
voraus, dass die Ovarien entfernt werden; aber die weiblichen Wesen,* welche ich
untersucht habe, zeigten keine Operationsspuren an den Seiten. Sie unterli^en
einer viel schrecklicheren Verstümmelung; es sind aber nur wenige Stamme in
Central-Australien, welche sie ausüben.*^
Die Operation selber wird von PurceU folgendermaassen beschrieben:
„Ein junges Mädchen von 10 bis 12 Jahren wird ausgewählt; die alten Männer fertigen
eine lange Rolle von Emu- Federn, um deren eines Ende eine Haarschnur gebunden wird,
deren freies Ende zu dem Ende der Rolle gefQhrt wird. Die Schnur wird dann in den Hals
der Gebärmutter geschoben; hier wird sie einige Tage gelassen, und dann zerren die alten
Männer einen Theil der Gebärmutter, welche sie eröffnet haben, heraus. Nach drei Wochen
fahren sie ein kleines Steinmesser ein und incidiren den Mutterhals horizontal und vertical*
Daunen von der Ente oder vom Adler werden hineingebracht, um die Gebärmutter offen zu
halten. Dann sehen alte Weiber nach dem Mädchen und legen heisse Fettklumpen auf, um
die Wunde einzuschmieren und rein zu halten. Wenn sie geheilt ist, so schneiden sie die
Vagina gegen den After hin ein. Das geschieht, um die „Micka'' (den aufgeschlitzten Penis
der Männer) zuzulassen. Wenn die Frau dieser Operation unterworfen ist, so wird sie
Eurilthas genannt. Wenn nur die Vagina halb eingeschnitten ist, ohne andere Verst&mme-
lungen, so heisst die Frau Woridoh Windees.'*
Als den Zweck für diese Operation bezeichnet PurceU:
n vorzubeugen, dass die Frau fremden Stämmen Kinder gebäre und durch
das Tragen von Kindern behindert werde, das trockene und wenig Nahrung
bietende Land zu durchziehen.*
Eine ganz besondere Methode, die Eierstocke functionsunflhig zu machen,
versuchte man in der kleinen religiösen Secte, welche am Anfang des vorigen
Jahrhunderts unter der Leitung der Eva v, BtUtler in der Grafschaft Sayn-
Wittgenstein (Sassmannshausen) ihr Wesen trieb. Da jede gottesdienstUche
Handlung mit fleischlicher Vermischung der Gemeindeglieder endete, so wurde
der Versuch gemacht, Mädchen und Frauen bei ihrer Aufnahme , durch eine
schmerzhafte und lebensgefährliche Operation der Zusammendrückung der Eier-
stöcke" für die Conception unfähig zu machen, was aber nicht in allen Fallen
mit dem gewünschten Erfolge gekrönt gewesen ist (Christiany).
VII. Die Weiberbrust.
56. Die Weiberbrnst In ihrer Bassengestaltung.
Die weiblichen Brüste in ihrer Jugendfrische sind bekanntermaassen ein
Gegenstand, welcher die Dichter aller Zeiten und Länder zu heller Begeisterung
beseeligt hat. in der That nehmen sie unter den secundären Geschlechtscharak-
teren wohl die allervomehniste Stelle ein, und wir vermögen aus den Gesangen
zu ermessen, welche Anforderungen der ästhetische Geschmack bei den verschiedenen
Völkern an das Formideal dieses Körpertheiles stellte. Dieses aber ist es nicht,
was uns hier beschäftigen soll. Mir liegt nur daran, vom naturhistorischen Stand-
punkte aus festzustellen, wie sich thatsächlich bei den verschiedenen Menschen-
rassen und Volksstämmen die Form der weiblichen Brust verhält.
Ploss^^ hat schon im Jahre 1872 die Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand
gerichtet. Auch die französischen Anthropologen haben in ihren ,.Instruc-
tions* den Versuch gemacht, die typischen Gestaltungen der Weiberbrust durch
einen bestimmten Ausdruck zu bezeichnen, welcher sogleich ohne eine bildliche
Darstellung im Stande sein sollte, eine klare und deutliche Vorstellung von der
betreffenden Brustform zu geben. Es heisst dort von den Brüsten :
„Ellas sont tantot hemisph^riques, tantöt plus ou moinn pendantes, tantöt piri-
formes, c'est-ä-dire en forme de poire.*'
Allein man wird es nicht leugnen können, dass diese Bezeichnungen doch
durchaus nicht hinreichend genau und erschöpfend sind, um ohne eine ganz ein-
gehende Beschreibung oder eine bildliche Darstellung verständlich zu sein. Auch
geben sie meiner Meinung nach noch keineswegs alle Hauptformen der Brüste
wieder.
Die letzten Jahrzehnte haben wiederholentlich Vertreterinnen anderer Rassen
nach Europa geführt; auch steigert sich von Jahr zu Jahr die schon recht er-
hebliche Anzahl von photographischen Aufnahmen fremder Völker. Durch diese
beiden Umstände sind wir in die Lage gesetzt, die Brüste vieler Individuen in
ihrer Gestaltung vergleichen zu können. Trotz der ausserordentlichen Mannig-
faltigkeit in der Form finden wir doch in vollem Umfange die schon früher aus-
gesprochene Annahme bestätigt, dass es wirkliche Kassenunterschiede in der Form
der weiblichen Brüste giebt.
Hyrtl sagte schon:
„Nur die BrQste der weissen und gelben Rassen sind im jungfräulichen compacten
Zustande halbkugelig; jene der Negerinnen dagegen unter gleichen Verhältnissen des Alters
und der Körperbeschafifenheit mehr in die Länge gezogen, zugespitzt, nach aussen und unten
gerichtet, kurz, mehr eutorähnlich."
Diese Angabe hat aber nur für gewisse Stämme ihre Berechtigung : in dieser
Verallgemeinerung lässt sie sich nicht aufrecht erhalten.
PlosB-Bartels, Das Weib. G. Aufl. I. 16
244
VII. Die Weiberbrust.
Das reicht aber, wie ich wohl nicht erst weiter zu betonen brauche,
natürlicher Weise nicht aus, um alle die vielfachen Abstufungen in der Form, der
Grösse, der Consistenz oder Festigkeit u. s. w. anschaulich zu machen, welche die
Weiberbrust bei den verschiedenen Völkern und Individuen darzubieten vermag.
Allerdings darf man nicht vergessen, dass jegliche Frauenbrust eine Reihe
von Phasen in ihrer Entwickelung durchzumachen hat, je nach dem Lebensalter
der Trägerin, welche durch ganz verschiedenartige Formgestaltung gekennzeichnet
sind. Wenn man von allen diesen Entwickelungsphasen der Brust desselben In-
dividuums getreue Darstellungen mit einander vergleichen würde, so könnte man
bisweilen in die Versuchung kommen, zu glauben, dass man die Brüste ganz
verschiedener Individuen vor sich habe. Man muss daher bei dem Urtheil, das
man über die Form der Brüste fremder Nationen abgiebt, recht sorgföltig be-
rücksichtigen, in welchem Lebensabschnitte
sich die Besitzerinnen der betreffenden Brüste
befinden.
Die auffallendsten Unterschiede be-
stehen innerhalb derselben Rasse in der Form
der Brüste, je nachdem die letzteren bereits
ihrer physiologischen Bestimmung genügt
haben oder nicht. Die jungfräuliche Brust
hat fast bei allen Völkern eine ganz. andere
Form, als die Brüste von Frauen, welche
bereits geboren haben, ganz besonders, wenn
sie schon längere Zeit ein oder gar mehrere
Kinder gesäugt haben. Durch das Säuge-
geschäft werden die Brüste gewöhnlich mehr
oder weniger stark herabhängend, welk, faltig
und runzelig und zeigen nicht selten sehr
wenig mit den Gesetzen der Schönheit in
Einklang stehende Knotenbildungen. Darauf
treten die Veränderungen des Alters hinzu,
welche bisweilen die Brüste in platte, weit
herabhängende Lappen umformen oder sie
auch wohl gänzlich verschwinden lassen, so
dass nur noch eine unförmige Warze die
Stelle bezeichnet, wo sie einstmals den Brust-
korb verschönten. Von allem diesem habe
ich später noch zu sprechen. Es ist eine
der vielen noch ungelösten Aufgaben der
Anthropologie, das Lebensalter festzustellen, in welchem bei den verschiedenen Rassen
und Völkern die soeben geschilderten Veränderungen einzutreten pflegen, sowie auch
den Grad der Ausbildung zu bestimmen, welchen sie fiir gewöhnlich erreichen.
Schon wenn bei dem heranwachsenden Mädchen die Brust aus dem neutralen
oder puerilen Zustande sich in den weiblichen Typus umzubilden beginnt, sind,
wie es scheint, wie es aber noch viel genauer studirt und erforscht werden muss,
nicht unwesentliche Formenunterschiede zu beobachten. Ich komme auf dieselben
in einem späteren Abschnitte noch eingehender zurück.
Natürlicher Weise nmss man auch, wenn man ein Urtheil über die Form der
Brüste einer Person abgeben will, dieselben vollständig unverhüllt gesehen haben.
Denn die Frauen verstehen es bekanntlich sehr wohl, durch entsprechend fest
angelegte Kleidung die bereits schlaff herabhängenden Brüste voll und üppig er-
scheinen zu lassen. Dieses zeigen dem Leser klar und deutlich die Figuren 5
und 151, welche dieselbe Person, angeblich eine Z u 1 u - Prinzessin (wahrscheinlich
aber eine Mulattin), vorfuhren.
Fip. 151. Zulu- Frau (Mulattin 0. im Anzug
mit lio«.'hKesch()beneii Brüsten.
(Nach rhoto|^rai»bie.)
5$. Die Weiberbrust in ihrer Rass^agestaltimg.
245
Wenn mau nun von der Rassengestaltung der weiblichen Brust spricht, so
pgt man ge wohnlich nicht an die durch Wochenbetten und SHugungsperioden
Biuflüs»ten, auch nicht an die vom Alter veränderten Brüste zu denken, sondern
an die jugendlichen und jimgfräulichen Brüste der jungen Mädchen in dem kräf-
tigsten geschlechtsreifen Alter. Hier sind bei den verschiedenen Rassen nicht
unerhebliche Form Verschiedenheiten zu beobachten. Bald ist die Warze klein
und thich wie ein Knöpfchen, bald etwas massiger und konisch geformt, mit breiter
Basis und abgerundeter Spitze, bald gross und cylindrisch, fast wie ein Finger-
glied. Wie die Warzen, so zeigen auch die Warzenhöfe nicht unerhebliche Unter-
schiede. Bald sind sie blass, bald dunkelrosa, bald braim und selbst fast schwarz
pigmentirt; bald bilden sie kleine, bald grössere oder selbst ungeheuer grosse
Scherben» bald treten sie leicht, bald stark halbkugelig gewölbt Liber den Hügel
der Brust hervor, und bisweilen sind sie durch eine deutlieh ausgesprochene ein-
schnürende Ringfurche von dem letzteren abgesetzt Bei den Hügeln der Brüste
hat man darauf zu achten, ob sie mehr oder weniger unvermittelt aus der Fläche
des Brustkorbes herausquellen, oder ob die letztere schon von den Schlüsselbeinen
I an, nach abwärts albnählich an Ünterhautfett zunehmend, unmerklich in die Brüste
übergeht. Miui hat die Art ihres Sitzes zu berücksichtigen, nb sie hoher oder
tiefer am Thorax, ob sie näher der Medianlinie
oder mehr zur Achselhöhle hin ihren Ursprung
nehmen. Von ganz besonderer Wichtigkeit ist
aber die Berücksichtigung ihrer Grösse, ihrer
Festigkeit und ihrer Form und Gestaltung.
Die Unzulänglichkeit der französischen
Bezeichnungen in dieser Beziehung, wie sie die
Insirficiions anthropologiques f^merales vor-
schlagen, wurde oben bereits betont. Auch die
Elimenls iViinlhropologie gmrrale von Topinard
bringen hierfür keine neuen Vorschläge. Die
Formen , welche meiner Meinung nach unter-
; schieden werden müssen , kann man bezeichnen :
A* nach der Grösse: als
1. stark oder üppig,
2. voll,
3. massig,
4. schwach, klein oder spärlich.
B. nach der Festigkeit, beziehungsweise
dem grösseren oder geringeren Grade der Straff-
heit: als
K stehend,
2, sich senkend,
3. hängend.
Hier darf man jedoch nicht Übersehen, dass
' u Brüsten das Hängen durch die ur-
Form bedingt ist und sehr wohl neben
[«trau er Consistenz bestehen kann,
na^i» <1^> Form der Brüste kann man vier Hauptgruppen unterscheiden^
Fig. KVi. KArrerlTiidcben &ua NaiaI
mit hocbirr-^^lff ^e^i !^ " ■ ■- 1 voniprlTig^u-
den Waxz^iüiof' KrÜstpn.
1. sc jtnien förmige Brüste^
(Ich hatte sie ^üher als scheibenförmig bezeichnet, aber ich glaabe, dasa
fdas Bild einer umgestülpten Schale deutlicher ihre Form wiedergiebt}
2. halbkugelige Brüste,
3. konische Brüste,
4. ziegeneuterähnliche Brüste,
H
CS
of5*
?: C
s
I
0
3
Cu
o
s
CK
pr
V^
248
Vn. Die Weibcrbniflt,
•;.i*
Die schalenförmigen Brüste wiederholen ungefähr die Forra (aber nteht
immer die Grösse) einer halben Mandarine; der Durchmesser ihrer Gj * '" ho
libertrift't bei weitem ihre Höhe, Die halbkugelige« kann man je a ar
Grösse mit einem halben (oder Dreiviertel) Apfel, mit einer halben Aptebinc,
oder mit einer halben Cocosnuss u. s, w, vergleichen; immer ist ihre Höhe dem
Durchmesser ihrer Grundfläche ungefähr gleich. Die konischen BrtUrte «ind
pyriforui (birnformig) oder besser gesagt, citronenförmig zugespitzt Bei ihnen
ist ötets die Hohe, d, h. die Eutfernung ihrer Warze von dem Mittelpunkte ihrer
Grundfläche erheblich grösser als der
Durchmesser der letzteren. Diese« letz-
tere trifit auch bei der vierten Form
zu, bei den ziegen euterähnlichen
Brüsten; wie aber schon ihr Name an-
deutet, erscheinen sie lau kt und
mei&t sind sie mit ihrer ^[ ;:rh ab-
wärts gerichtet
Kommt es nun also darauf an, die
Schilderung der Brüste eines bestimmten
Weibes zu geben, 80 wird man sich zu
überlegen haben, in welche Kategorie
dieser vier Formen man ihre Brü»te
einreihen soll Aber das wird noch nicht
genügen, um Jemandem, der die Person
nicht sieht, eine annähernde V " ng
zn erwecken. Immer wird es ; h-
wendig sein, auch Über die Grösse und
Festigkeit noch entsprechende Mittbei-
lung zu machen. So würde man bei-
spielsweise bei unserer Algerierin in
Fig. 1 55 die Brüste als schaleniormig, voll
und sich senkend, bei dem Asch an ii«
Mädchen in Fig. 163 als konisch, stark
oder üppig und hängend bezeichnen.
Die Figuren auf den beifolgen-
den Tafeln haben den Zweck, die drei
Haupt grupf>en A, B und C in übersicht-
licher Weise zu illustriren. In den Fi-
guren der Europäerinnen sind junge
Malermodells aus Budapest und Wien
dargestellt, während zum VeTglmche
Weiber von aussereuropäi- ' ^'-"d-
kern daneben gestellt sind, l' ^-^n
149. 150. 153. 154 zeigen jede je ©me Per-
son mit üppigen, mit vollen, mit massigen
und mit spärlichen Brüsten, die Figurea
157. 158 führen jede je eine Person mit- '
stehenden, mit sich senkenden und mit hängenden Brüsten vor, während die Figuren
160. 161 jede je eine Person mit schalen förmigen ♦ mit halb' u und mü-
konischen Brüsten bieten. In Fig, 165 sind drei Inrllvidiieu i St^immes
mit ziegeneuterähnlichen Brüsten wiedergegeben.
Solche Ziegeneuter - Form pflegt bei Sängen«ifu ^tü uutu ^u m
das in Fig» 172 bei einer jungen Frau aus Tunis ganz besonders scht'm zu mL \
7 ■ ■ ^' f^n nicht
famnit n über j: «le I
Mig, 155, Tttn£«rtTi rhs Atj^erjen mit g«wÖlbl don
RrHiten ' n WArseiibAffiii«
56. Die Weiberbrust in ihrer Rassengestaltung. 249
EinzelindividaeD, reichliche photographische Darstellungen und ganz besonders Oyps-
abgQsse wären im Stande, unsere anthropologischen Kenntnisse auf diesem Gebiete
in recht erheblicher Weise zu fordern. In der Regel nimmt man an, dass dort, wo
die geschlechtliche Entwickelung frQh eintritt, z. B. in den südlichen Klimaten,
das Hervorsprossen, aber auch die Rückbildung der Brüste am frühesten beginnt.
Nicht unwesentliche Verschiedenheiten vermag man auch an den Brust-
warzen und an ihren Warzenhof en zu beobachten. Jedoch scheinen hier
individuelle Unterschiede eine nicht unerhebliche Rolle mitzuspielen. Trotzdem
darf man sich nicht verleiten lassen, hierüber die Rassenunterschiede zu über-
sehen. Diese bestehen auch hier ganz unzweifelhaft. Bei einigen Personen ist
der Durchmesser der Warzenhöfe ausserordentlich gross, während derselbe bei
anderen von nur geringer Ausdehnung ist. Als Beispiel solcher enormen Warzen-
höfe wird ein Kanaken-Weib von Hawaii in Fig. 170 und ein Hindu-
Mädchen in Fig. 168 vorgeiiihrt. Auch in Bezug auf ihre Pigmentirung zeigen
eich mancherlei Variationen, die aber natürlicher Weise nicht unwesentlich von
der Rassenfärbung der Besitzerin beeinflusst wird. Selbst unsere Holzschnitte
in schwarzem Druck lassen hierfür schon manche Beispiele erkennen. Dem
Hügel der Mamma sitzt der Warzenhof sehr häufig flach scheibenförmig
auf; oft aber auch ist er derartig gewölbt, dass er sich ganz gleichmässig in
die allgemeine Wölbung der Mamma einfügt und diese seiner Ausdehnung ent-
sprechend vervollständigt. Bei manchen Stämmen, namentlich in Afrika und in
der Südsee, bilden die Warzenhöfe auch besondere kleine halbkugelige Hügel,
welche sich aus dem Hügel der Mamma mit einer scharf markirten Grenze heraus-
heben. Hierfür sehen wir ein klassisches Beispiel in dem jungen Kaffer-Mädchen
aus Natal, welche in Fig. 152 dargestellt ist. In geringerem Grade zeigt es die
Indianerin aus Arizona, welche uns Fig. 159 vorführt, und die in Fig. 155
dargestellte Algerierin. Die soeben geschilderte scharfe Abgrenzung zwischen
dem convexen Warzenhofe und der Mamma kann einen solchen Grad erreichen,
dass dieselbe wie scharf eingeschnitten erscheint. Das sehen wir bei der Bari-
Frau aus Central-Afrika, welche in Fig. 156 dargestellt ist.
Wenn ich ein Schema aufstellen soll, nach welchem die Brustwarzenhöfe
in anthropologischer Beziehung geschildert werden könnten, so müssten drei
Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die Grosse, die Form und die Pigmen-
tirung. Der Grösse nach kann man unterscheiden:
1. kleine \
2. massige [ ,
3. grosse Brustwarzenhofe.
4. riesige )
Für die Form lassen sich folgende Gruppen aufstellen:
1. scheibenförmige \
2. flachschalenförmige I t^ , , ..«
Q k«iui,,w«ii':A«,„^^^ / Brustwarzenhüte,
o. naibKugeliormige i
4. fast kugelförmige J
Hierbei ist aber femer auch noch zu beachten, ob der Warzenhof gleich-
massig und unvermittelt in die Haut des Mammahügels übergeht, oder ob er
durch eine deutliche, wallartige Erhebung kleinster knotiger Erhöhungen, welche
Talgdrüsen entsprechen, gegen dieselbe abgegrenzt ist, oder endlich, ob ihn eine
kreisförmige Einfurchung von der Mamma abschnürt.
Bei der Färbung muss man darauf sehen, ob sie der umgebenden Haut
gleich oder etwas, oder bedeutend dunkler ist. Bei der weissen Rasse kann die
Färbung fleischfarben, hellrosa, dunkelrosa, bräunlich, dunkelbraun und selbst
schwarz erscheinen.
Die Brustwarze selbst kann nun ganz verstrichen in der Mitte des
Warzenhofes liegen, wie bei der Gashivos-Indianerin in Fig. 62, oder mehr
250
VII. Die Weiberbrust.
9 *^
Brustwarzen.
oder weniger knöpf formig aus ihm hervorragen, wie bei der jungen Singha-
lesin Fig. 55 und der Indianerin von Arizona Fig. 159. Bisweilen sitzt sie
dem gewölbten Warzenhofe noch wiederum halbkugelig auf; das zeigt die
Guyuna-Indianerin in Fig. 80; auch kann sie schmal und verlängert eine
Zapfen form darbieten oder selbst an ein Fingerglied erinnern, wie bei der
Loango-Negerin in Fig. 167. Auch hier lässt sich natürlicher Weise ein
Schema für die Untersuchung aufstellen, in welchem wiederum die Form und
die Grösse die beiden maassgebenden Factoren sind. Der Grösse nach mQssen
wir unterscheiden:
1. fehlende^
2. kleine ( ^ .
3"_ / brustwarzeu.
. massige [ *^*"^*'" «*''^"-
4. grosse J
Für die Form lässt sich folgende Tabelle geben:
1. ganz verstrichene
2. knopfförmige
3. niedrig cylinderförmige
4. halbkugelige
5. zapfenförmige
6. fingergliedförmige
Es ist in hohem Grade zu bedauern, dass über den
Bau und die Form der Brüste genaue statistische Angaben
oder gar subtile Messungen überhaupt noch nicht vorliegen.
Man hat sich bisher im Allgemeinen auf die einfache An-
gabe von Durchschnitts-Beobachtungen beschränkt, d. b. auf
die Wiedergabe des Eindrucks, welchen die Mehrzahl der
Weiber einer bestimmten Bevölkerung in Bezug auf die
Form ihrer Brüste auf den berichtenden Reisenden hervor-
gerufen hatte. Es kam dann allenfalls wohl noch die
Schilderung besonders auffallender und von dem bei uns Ge-
wöhnlichen abweichender Bildungen hinzu. Aber damit war
dann auch das Ende erreicht. Der Zukunft muss es daher
vorbehalten bleiben, uns mit genauen anatomischen Unter-
suchungen zu versehen. Es müssten dazu genaue Maass-
bestimnmngen vorgenommen werden hinsichtlich des Sitzes
und des Umfanges, sowie der Form und der Grösse der
Brust, auch müssten die gleichen Untersuchungen sich auch
auf die Warze und den Warzenhof erstrecken.
Wem sich die Gelegenheit bietet, eine grössere An-
zahl von weiblichen Wesen von unserer Rasse in Bezug
auf ihre Körpergestaltung beobachten zu können, der wird
sicherlich überrascht sein von der grossen Mannigfaltigkeit
der Formen, welche die Brüste darbieten können, und
vielleicht mag es ihm so scheinen, als sei es ziemlich
bedeutungslos, ob die Brüste so oder so geformt sind,
ob sie eine beträchtliche oder nur massige Fülle zeigen, und ob sie lange
Zeit ihre Festigkeit bewahrten, oder ob sie frühzeitig zum Herabsinken neigen.
Man kann sich aber wohl überzeugen, dass alle diese vielfachen Formen sich in
die ol)en aufgestellten Gruppen unterbringen lassen. Dass allerlei Uebergange
sich finden, das ist dabei wohl eigentlich selbstverständlich. Für bedeutungslos
möchte ich aber diese Formenunterschiede durchaus nicht halten. Denn ich stehe
auf dem Standpunkte, dass nichts in der Natur bedeutungslos ist. Alle Er-
scheinungen in der Natur, und so auch die Formen der Körpertheile haben ihre
ganz bestimmten Ursachen und folgen ganz bestimmten Gesetzen. Und w«m
Fig. l.V>. Hall -Weil» mit
halbkUKeligt^n , stark abge-
schnürten Warzenhüfen.
(Nach Photograiibie )
57. Die Braste der Europäerinnen. 253
uns etwas bedeutungslos scheint, dann gestehen wir damit einfach nur zu, dass
wir noch nicht im Stande waren, diese Gesetze zu erkennen.
Die Bevölkerung des gesammten Europa hat bekanntermaassen im Laufe
der Jahrtausende vielfache Verschiebungen und Mischungen erfahren, so dass wohl
heute keine einzige Nation mit Recht von sich behaupten kann, dass sie eine
unvermischte Kasse bilde. Die verschiedenartigen Componenten dieser Völker-
mischungen zu isoliren, hat sich die Geschichtswissenschaft vergeblich bemüht.
Das ist natürlich, aber auch verzeihlich, denn jedenfalls begannen diese Durch-
kreuzungen viele Jahrhunderte vor jeder geschriebenen Geschichte. Es ist die
Aufgabe der Anthropologen, hier den Historikern beizuspringen, und die mühe-
vollen Untersuchungen über die Schädelformen und über die Farbe der Haut, der
Haare und der Augen, wie sie bereits in einem Theile der civilisirten Länder
ausgeführt wurden, haben unsere Kenntnisse schon etwas gefordert. Aber dieses
sind natürlicher Weise nicht die einzigen anthropologischen Merkmale, welche zur
Lösung dieser schwierigen Fragen herangezogen werden müssen. Es ist die Sache
der Anthropologen, immer wieder neue Gesichtspunkte zur Erörterung zu stellen.
Körpergrösse und „ Habitus'', d. h. Schlankheit oder Untersetztheit u. s. w. des
Körperbaues müssen ihre Berücksichtigung finden. Aber auch die Formen der
weiblichen Brust sind nach meiner Ueberzeugung wohl berufen, hier noch erneute
Aufklärung zu schaffen. Sicherlich ist ihre Bedeutung, die sie in dieser Beziehung
besitzen, immer noch erheblich unterschätzt. Dass es noch an genauen Messungen
fehlt, das wurde oben schon angeführt; ja selbst eine oberflächliche Statistik der
Formen hat man noch nirgends aufgestellt. Wirklich brauchbare Resultate können
aber nur grosse Beobachtungsreihen bringen. Wie solche Messungen auszuführen
sind, kann hier nicht eingehend erörtert werden.
So viel vermögen wir aber doch bereits aus dem Material, welches uns bis
heute vorliegt, zu ersehen, dass wir wirklich bei der Frauenbrust von wahren
Rassenunterschieden reden könhen. Allerdings kommen die meisten Formen der
Mammae, welche als charakteristisch bei fremden Völkern beobachtet wurden,
auch bei uns ab und zu in besonderen Fällen als vereinzelte Exemplare vor, so
wie auch die Brustformen unserer Weiber sich auch bei den fremden Rassen
finden können. Allein gerade darin, dass diese letzteren nur vereinzelt sind
und dieselben nur als grosse Ausnahme erscheinen, und gewöhnlich auch jener,
bei einem besonderen Volke fast durchgängig vorgefundenen ausgeprägten
Form ermangeln, liegt eben die Bedeutung der ethnographischen Merkmale
an der Frauenbrust.
57. Die Brüste der Europäerinnen.
Wenn ich nun leider auch nicht im Stande bin, in anthropologischer Be-
ziehung befriedigende Angaben über die Formen der Brüste dem Leser vorzuführen,
so ist es doch vielleicht nicht ohne Interesse, zu sehen, was Reisende und andere
Beobachter über diesen Gegenstand geäussert haben. Wir wollen zuerst die Frauen
in Europa betrachten.
Es ist wahrscheinlich genügend bekannt, dass auch hier die Brüste sich bei
den verschiedeneu Volksstämmen, selbst innerhalb Deutschlands nicht gleich
verhalten. Ihre Form und ihre Grösse zeigen deutliche Stammesverschiedenheiten,
auch ohne dass etwa künstliche Mittel die Entwickelung des Busens beein-
trächtigt hätten.
In Schlesien pflegt die Ausbildung der Brüste, wie es den Anschein hat,
eine bescheidene, ja fast kümmerliche zu sein, während in Mecklenburg, in der
Würzburger Gegend und in Wien selbst noch sehr junge Mädchen einen be-
reits üppig und voll entwickelten Busen zu besitzen pflegen. Wir haben oben
schon das Liedchen kennen gelernt, nach dem die Oesterreicherinnen sich
254 VII. Die Weiberbrust
eines besonders guten Rufes erfreut haben müssen; denn der Sänger verlangt für
eine schöne Frau:
,Die Brüst' aus Oesterreich im Schrein.*
Man hat behauptet, dass bei der Slavin die Brüste sich früher ausbilden,
als bei den deutschen Mädchen. Ob dieses richtig ist, harrt noch der Ent-
scheidung. Die Brüste der Mädchen in Groatien sollen sich durch gute Formen
und durch eine grosse Härte auszeichnen. Weicher und nur von massiger Grösse
ist der Busen der Serbinnen im Banat, in der Bacska und in Sirmien.
Von Letzteren sagt dagegen v, Rajacsich^ dass sie vollbusig sind und stark ent-
wickelte Waden und Hinterbacken besitzen. Die schöne Form der Brüste wird
auch gerühmt bei der starken Dalmatinerin oder Liccanerin, bei der
Buujevka, oder hauptsächlich bei der Grenzerin indem Brooder Bregimente.
Hy7'tl hat die Meinung ausgesprochen, dass in trockenen Gebirgsländern die
Brüste keine so erhebliche Grösse erreichen, wie in feuchten oder sumpfigen
Gegenden. Vielleicht haben die vollen üppigen Formen, wie sie Rubens bei
seinen Niederländerinnen zur Darstellung brachte, zu diesem Ausspruch die
Veranlassung gegeben. Aber man würde erheblich irren, wenn man glauben wollte,
dass die Originale dieser üppig gebauten Weiber nun immer auch Nieder-
länderinnen gewesen seien. Die kunstgeschichtlich-archivalische Forschung hat
mit Sicherheit die Modelle für bestimmte Persönlichkeiten auf den Gemälden von
Rubens feststellen können. Man kennt ihren Namen und ihre Nationalität; es
waren junge Damen aus Paris. Sie zeigen dieselbe Formenfülle, wie sie die
Weiber von Rubens' Bildern immer bieten. Wir werden darin also wohl mehr
eine Geschmacksrichtung der damaligen Zeit, als die bewusste oder unabsichtliche
Darstellung körperlicher Stammeseigentbümlichkeiten zu suchen haben.
Bei den Süd-Europäerinnen hat man eine frühere Entwickelung und
eine üppigere Ausbildung der Brüste vorausgesetzt. Dem widerspricht aber eine
Angabe von Abilgaard^ nach der unter allen Weibern Europas die Castilia-
ne rinnen die kleinsten Brüste haben sollen. Derselbe Gewährsmann schreibt den
Portugiesinnen die allergrössten Brüste zu.
Eine besonders geringe Entwickelung der Brüste findet man auch bei den
Yankee -Frauen in Nord-Amerika, und namentlich wird den Damen der höheren
Stände in England eine sehr spärliche Ausbildung der Brüste zugeschrieben. In
einigen mir bekannt gewordenen Fällen habe ich diese Angabe bestätigt gefunden.
58. Die Brüste der Amerikanerinnen.
Wir haben die Yankee- Frauen soeben schon besprochen, da sie doch
naturgemäss den Weibern Europas anzuschliessen sind. Bei den übrigen Völkern
Amerikas will ich mit der Südspitze des Continents den Anfang machen.
Von den Fescheres, den Bewohnern des Feuerlandes an der Magelhaensstrasse,
hat Essendörfer berichtet, dass die Frauen eine bedeutende Fettentwickelung und insbesondere
sehr üppige Brüste zeigen, während die Männer auffallend mager sind. Dies bestätigte sich
an den P e seh er ä -Weibern, die nach Berlin gebracht worden waren; Virchotc^ fand die
Brüste sehr yoll, stark und kräftig, ohne dabei doch häHslich zu sein; sie hängen nur wenig,
jedoch so, dass die grossen und wohlgebildeten Mammillen mehr nach unten stehen.
Ilyades und Benilcer sagen von den Feuerländerinnen:
,Les seins sont disposes assez haut chez les femmes. Chez les jeunes filles, ils sont
arrondis et legeroment coniques et redresses. Chez les femmes dans un certain äge, surtout
apres les couches, ils deviennent pendants, mais toujours un peu coniques et point piriformes.
£n g(^neral, par leur forme et par leur disposition, les seins de femmes yahgan rappellent
ceux des Araucaniennes et diffi^rent beaucoup de ceux des femmes mongoles.'*
Ueber die südamerikanischen Indianerinnen und zwar von den Weibern der
Kayapo in der Provinz Matte Grosso (Brasilien) sagt Kupfer: „Die jüngeren Fraaen
Sd. Die Brüste der Afrikansrinnon.
355
iSM
ti
bi%b4»o (mt%, kl«iiie^ etwas ^pitt zur Papilla sulaufende Brüste, die reiferen eine volle, nicht
ais«ch(Vnf» Brufit." Allein im All^'omelnen stehen die 1 ndianerinöen Süd-Amerika» in
der allmÄhlichen Verlängerung iler Brüate hinter anderen nicht zurück.
So berichtet auch van deti Steineti ttber die Bororö im Iimereu Bratäiliens:
„Brögte der Frauen, die geboren haben, hängend, mit grostem Warzenhof/*
^d auch in Chile, wie in Californien sind uach dem Ausspruch RoWns, dea
Wundarztes auf der Expedition von La Prrou>it\ die Brllate der Weiber nach dem
Woclieübett ebenso schlaff und herabhängend,
wie hei GuropueriDnen unter den gleichen
Yerhältniü^sen. Ebenso giebt Schomburffk an,
ilfiAü die Brüste der W a r r a u - I n d i a n e -
rinnen in Britisch Guyana, nachdem
sto geboren haben, schwammig herabhängen.
Unter den Indianern aus Guyana,
welche ich selber^ wie schon froher be-
richtet, photographisch aufnehmen konnte^
zeigte eine Mutter in den zwanziger Jahren
grosse, schlaue, stark Im :ende Brü^t»> .
bei einem 13jährigen M i wulbte j^itii
thm erst die Brustdrüse halbkugelig hervor;
ein lÖ jähriges Mädcherj aber hatte volle,
konische Br liste, auf welchen der ^Vurzen-
hot iJh eine besondere Halbkugel aufsass ;
aus seiner Kuppe trat dann, ebeufallts halb
kugelfiirmig, die eigentliche Brustwarze her-
--" Fig. 80.
Auch von den Quarani- Weibern
Uebt Hnigget als hesiondere EigenthUmlich-
keit hervor, dan« die Partie d«*8 Wurzen-
hofe» erhaben dem Hügel der Mamma auf-
i^itze. Aehn liehen, wenn auch nicht in
die»er starken Ausbildung, sieht man an
Photographien von Indianerinnen aus
Ari/.una. Fig. 159 zeigt solch eine Indianerin aus Arizona, deren Warzenhöfe
den Brüsten gewölbt aufsitzen.
SariorUiH fand die BrUi^te dei Xahuatt, der Azteken* Weiber , konisch
gefonnt. Die Eykimo-Frauen sollen nach Smi'/A ungewöhnlich *tark entwickelt«
Brüste besitzen«
J
Hg, \t&, rndUnerin «tu ArUou» mit g«-
vülVi iXtM BrtivUu anfBitiüiiilfti W^rsenliOf^n.
CNtcb l'boiogrttphie.)
59. Die Britt^ie der Afrikaneriiiuen.
Wenden wir uns in Afrika zuerst den Volkern der Nil -Länder zu, so
habe ich über die Aegypterinnen eine Angabe von Bartmann^ anzuführen.
Er l.ejteichnot di« Brüste derielhen aU oval und prall in dfr Jugend, doch wnriion di©-
-rlbrii mit siuncihniendor Körperentwickelung und nach wiederholten Geburten wpilk and
hilngcnd. Di« BrüMe der FeUah- M&dchon »chwöllon ollt schon mit dem IL hin 1-i Jahre;
«dJein hm diin Fmuon von 2o bis 80 Jahren werden sie fchon tiüilaff.
Die Weiber in OberA' m standen im Alterthum in dem Hufe, nebr
starke Brüste zu haben, wie -t nden Versen des Juvcnalis hervurgeht :
Wer *taunt kropfigton HaU in den Alpen an? Wer in dem Eiland
u — ■ !;'riS«»ere Brünt' aU die fetten Süaglinge solber?
59. Die Brüste der Afrikanerlnnen.
259
i
braitar, hoher, t oller, manchmal übervoller Bösen. Aber auch der welkt früh dahin, und
rhalten sich an «eioer Statt nur breitere, ebenfalls flache^ leeren Tabaksbeuteln gleichende
e«te • Auch fand HarUnann, das« bei den oingoborenen Weibern Nord- Afrikas tehr
jlfef^llifife Torsobildungen nicht selten sind. Die Bröijte janger Mädchen imtwickeln sich nach
«einen Wahmehmungen hier selten vor dem 15. bis 16. Jahre; dieselben sind öfters prall,
oben etwas abgedacht und vom wie unten schön gewölbt, was einen nehr angenehmen Ge*
«aniuit^indruck hervorruft. Die berüchtigte^ von den Arabern so hliutig gepriesene Ziegen*
brüst beleidigt nur dann unseren ft«thetischen iSinn^ wenn sie zu voll und gar %\i hängend
i«l hl gonnldertem Grade, klein und Eierlicb, passt nie ganz gut zu den häufig ungemein
gracilen Formen der dortigen Mädchen {Hartmann^^ Mehrere Abbildungen der Büsten
nord afrikanisch er Mädchen giebt Harimann'^ in sieinem grösseren Werke.
Im Sudan sah i^arfmann nirgends jene schlaffen,
hl au Chart igen, verlängerten Brüste, wie sie bei vielen
kfrikanerinnen vorkommen, doch zeigt der Busen
dner Fungi- oder Dinka-Frau keinesweg« die meist
klassische Formouachönheit junger, noch jungfräulicher
Tochter ihres Landete
Bei den Nobah^ einem Bergvolke in Kordofan,
eigen die Brüste nur in grosser Jugend gefällige For-
Ben; sie erhalten, wie ebenfalls Hartmann bencbtet,
früh eine schlauchförmige Gestalt mit tiefrunxeligen
Warrenhöfen und sehr langen, spitzen, hornigen Warsen.
B^i den Frauen der Fudji-Berün im Sennaar sah
Ihirtmann im jugendlichen Alter einen schönen Torso
und pralle, ein Kugelsegment darstellende Brüste mit
)*ehr erectilen, aber weichen Warxen, Auch die Brüste
der Menta-Frauen in Ost- Afrika, welche sich schon
im Alter von 10 bis 12 Jahren zu entwickeln beginnen,
wölken nacl» Brekm rasch dahin, üud im 3U, Jahre hat
ihr Busen mit dem dcj* litjubrigea Mätlchens keine Aohn-
lichkeit mehr. Bei den Galla fand Juiin Maria Schuver
besonders die Färbung der Brustwarzen eigonthUmlich;
dieselben haben eine bläuliche Farbe und werden mit
vorriJcktjndem Alter hell indigofarbig. Pauiitschkc führt
•chöne Büßten und starke Biüstt' als typisch für die
Galla-Frauen an.
Die Brüste der Tibbu- Weiber im östlichen Li-
byen worden nach NaehUtfal schnell welk und ein
I Mangel an Fettbildung läast nur zn früh den kurze Zeit
hindurch htibi^ch geformten Busen als eine leere Haut-
ilte erscheinen, die glücklicher Weise, da jene nie vo-
luminös war, nicht tief herabhängt.
Die Ent Wickelung der Brüste bei den Frauen der
Egba in Voruba unweit dea Golfft von Benin am
Hger iBt nach Hurton ungewöhnlich stark; nach de»'
en Geburt «chon welken sie aber, und im Alter
forden sie zu blossen Hautbeuteln. Auch sind V
forbanden. wo nach Art der Amazonen die eine Li
hre f oUe Kntwickolung erhalten hat, während die andere
iigeii Nichtgebrauchs kaum sichtbar gehoben scheint.
Wie früh die Brüste bei die^n Stummen auch ohne vorhergegangenes
■Wocfaenbett hängend werden können, das zeigt uns das in Fig. 163 abgebildete
jung« Asichanti -Madeben, welche» erst 16 Jahre alt ist. Wir haben dasselbe
schon in Fig. 118 kennen gelernt.
Von einem den Aschanti benachbarten Stumme, den Pai-Pi-nrl iH!*»r
Agnif berichtet de Lanessan:
^hm «eins nont habituellement pirtformcä dans la jeunes^e; plu^ lard, un iiMvieiir»f«ut
tf^ ftanqaea, altong^^i« et pendanta. Let» aeins bemiapheriques ^ont rnre.^ et i:on»idct».vw Lommo
im figne de beaut^/
17
It, mU bei
Iti Jfcliit?
rüsten.
260
VIL Dio Weibeibruflt.
.Da die Loango-Negerin/ «chreibt Pechuel-Loesch^, .Oberhaupt xiicbt »ur Ueppigkoit
neigt und uiischöne F<?tibildnng gar nicht vorkommt, so sind utich die Rrü«te derselben tninii
proportionirt und ©radieiöGn bei ju gen d kr Ü fügen Individuen eehr hart und derb, gewiaaer«
maaBsen auch strotscpnd Dieselben nähern sich weniger der halbkugeligen, aU der koniidicn
Gestalt, haben oft eine zu klein«? und ä« wenig vermittelte Basis und präüentiren sich im sehr
seltenen Ejttrem fa^fc zitzenähnlicb und ungleich entwickelt, Brüste von Bolcher Form folgen
natürlich um bu leichter dem (ie«5etz der Schwere, und werden bald zu den herubhUngendeo
Beuteln, welche vorzugsweise an Afrikaner innen getadelt werden, obgleich m auch b«i
anderen Kasten vorkommen und bei Cultur -Nationen ebenfalla nicht unbekannt dnd. XHe
bessere Form mit breiter Basis i»t naturgemlUs die dauerhaftere und in manchen Fällen auch
noch eine Zierde de« reiferen Weibes: in der Jugend örscbeint sie hHutig von vollendeter schööer
Bildung, bia auf die selten genügend echarf und klein abgesetzte Warsse," Falkttn^iein- lagt
von den Loango-Negerinnen: , Die weibliche Brust ist nur in de« seltenen Fallen wirklich
Fig. 1dl 2wet boauga-Kegerlniteii
-icU Pholügr*plji
»ohön gebildet, da sich schon beim Eintritt der Rf^if^ die Neigung ^nm Hinuntiiniinkitn ?et^
rÄlh. Die halbkugelige Fonu ist s^-i scheint da« V. u in di# LUng^
zu Überwiegen, so dass mehr eine 1, f?nrch welche kntifr bf^ifUnMigl
wird. Die Brust^^iirze, sowie dt5r umgebende Hut iwt c" '< stark entwir ! ^ OmIi
unseren Hogriffen vorhandene SchÖnljeit schwindet ült .d schnell, in ^• .^abifn
ist die ©lasiiich© SlraUheit der Jugend der verwelktwi 8chinff hcit des varteitigen li^nitMiM
gewichen/
Unter den vou diesem ßeiseiiden aufgenomjoenen Phoiograpliiea
sich dio zweier Ltian^o-Negeriniien (Fig. 164;, bei wdchen die boidr- ^'
eine ^mn, deutliche Verschiedenb^Mt in der Grösse aufwpiHeTi. Wfmn
gan?. klein Wenig davon auf i ^^ der schiefen '
kann man doch nicht in Abreu lu diu«» hier wiri
Brüste besteht. Wie wir gesehen haben, wurde solche Asymmetrie der T
von Burton im Yoruba» Gebiete beobachtet, und auch die beiden Veitern Sa$*
262
VII. Die Weiberbrust.
berichteten solchen Fall von den Weddah in Ceylon. Hier handelt es sich
zweifellos um eine auf natürlichem Wege entstandene Asymmetrie. Brehm sah
aber im Sudan, dass die eine Brust dadurch länger wurde als die der anderen
Seite, weil die auf der Hüfte der Mutter reitenden Kinder sich an ihr festzu«
halten pflegten.
Ueber die Frauenbrust bei den Wol off- Negern berichtet de Rochebrune:
«L'aspect piriforme des seins s'observe surtout chez les jennes filles, bien que chez
la femme ayant eu des enfants ces caracteres se maintiennent, car les seins prodigieusement
pendants, que certains observateurs donnent & la
n^gresse en g^n^ral, ne peuvent s'appliquer
ä la Ouolove.* Auch bemerkte Birenger-
Feraud: «Les seins prennent chez lesOuoloves
un grand d^veloppement qnand eil es ont eu
des enfants, et soit, qu^elles allaitent, soit qu'elles
aient sevr^ leur nourrisson, ils n^ont bientöt plus
rien de gracieux, d'agr^able k la vue.*
Von den Wanjamuesi sagt Paul
Reichard :
,Die Brüste der jungen Mädchen sind
höchstens bis zum dreizehnten Jahre strotzend
und beginnt die Entwickelung derselben schon
mit dem siebenten Jahre. Die Basis der Brust
ist kleiner wie die unserer Frauen, und oft
bildet sich die Brustwarze mit dem Warzenhof
zu einem Ansatz auf der Brust aus, so dass
diese wie eine zweite Brust auf der ersten sitzen. •
Man hat die Brüste der Busch -
weiber und der Hottentotten als ganz
besonders stark herabhängend geschildert.
Schon Lichtenstein schrieb:
^Die schlaff herabhängenden Brüste und
die übermässig dicken, weit unter dem hohlen
Kücken vorstehenden Hintertheile, in welchen
sich gerade wie bei afrikanischen Schafen
alles Fett des Körpen gesammelt zu haben
scheint, machen nebst der übrigen Hässlichkeit
der ganzen Gestalt und der Gesichtsbildung
diese Frauen in den Augen des Europäers zu
wahren Scheusalen.**
Genauer beschreibt Fritsch^ die Ge-
stalt der Hottentotten-Brust:
«Die Entwickelung des Busens steht etwa derjenigen bei europäischen Frauen näher,
als derjenigen der A-bantu. Ich habe bei den Koi-koin das massige, euterartige Ansehen
der Brüste nicht beobachtet, welches bei den anderen Kegel ist; der Busen ist vielmehr ver-
hältnissmässig klein, zugespitzt, mit vortretender Brustwarze, der Warzenhof überragt die
Oberfläche nur wenig, wenn nicht wiederholtes Säugen darin eine Abänderung herbeiführt.
Natürlich bleibt wegen der grossen Hinneigung aller Hautpartien zur Faltenbildung auch die
Formation der Brüste in späteren Jahren nicht so, wie sie oben beschrieben wurde, doch ist
es gerade aus diesem Grunde bemerkenswerth, dass man häufig Personen im Alter von
dreissig Jahren sieht, welche dieselben noch ziemlich unverändert zeigen. Je nach höherem
Alter hört dieser Körpertheil allerdings auf, zu den Reizen des schönen Geschlechts zu
gehören.*
Barroiv schreibt den Hottentottinnen Brüste mit grosser Warze und
hervorragendem Warzenhofe zu.
Von dem 38jährigen Buschweibe Afandi^ das in Tübingen starb, be-
richtet Görte:
Fig. 166. Kaffer-Frau ausNatal mit grossen
stark hängenden Brüsten.
(Nach Photographie.)
m.
der Ägiatinnen.
,Die Brüste waren nicht blLng^etid. In der Formation der
Areolft stimmt unser Busch weih mit der Paris erVenaH Hotten-
totte fVuviera)^ die einen vier Zoll messenden, mit strahlen-
förmigen Eunxetn ver^^benen fiof zeigte, gar nicht, dagegen wohl
tnit der Karopäerin tlberein; der Hof hat oinen Dorchme^ser 70n
4^1| ZoU nnd ist un regelmässig, eher concentriaeb als radiär ge*
runzelt. Die Fapüle i«t wenig vorstehend* doch wohl sichtbar und
nicht Terstnchen, vom Hof durch eine sie ganz umfassende Rinne
nbgeeetzt.*
Dass auch die Kaffer- Frauen sehr stark entwickelte
Brüste haben können, ersehen wir aus Fig. 166, welche
uns eine Kaffer- Frau aus Natal vorführt. Eine sehr
tippige Entwickelung der Brüste lässt sich auch auf
sehen photographischen Abbildungen von K affern -
ichen con^tatiren.
unter ileni eehr uncultivirten Volk&fitmnm der Boilakertra
im Inneren von Madugascur fand Audcbert bei den jungen Mild-
chen die Brüst«3 rund, fest und wohIgpstiiUet: die Brustwun^e ist Fig. je?. Loango-Negfrlü
etwas stark entwickelt und ton schwarzer Farbe Daa V^erkommen
und HerabbUngen der Brust bei älteren Fruuen entsteht dadurch,
daits ^ie ihre Kinder Jahre lang liilugen, und zwar neben den Neuge-
borenen oft zugleich solche, wolcbe 60 grod.s sind, dass sie die Brüste der steheuden Mutter
nneichen können»
lolt ängergUtfduhDUcher
Bmüt warne.
(Nach PJiotogrftpliie.)
00. Die Brüste der Asiatiiiiien.
Fa*t hat es den Anschein, ab ob im hohen Norden Asiens die Brüste sich
langer jugendlich erhalten, al« in den anderen Ländern dieses Erdtheils. Wenigstens
SttUrr von den Frauen der Itälraenen in Kamtschatka:
. Die WeibsperHOnen habon kloine, runde Brüate, die bcy vienci gj übrigen Frauen «inimern
[noch HO siemlicb hart sind, und nicht bald hangend werden/'
In Persien entwickeln sich, wie Polak berichtet, die Brüste frühzeitig,
gedeihen »her nur zu mittlerer Grösse und bleiben selbst unter dieser zurück.
Eine Ausnahme machen aber die Weiber vom armenischen Stamme, deren Brüste
weit kräftiger ausgebildet sind,
TroUdem geben di« Brüste der Ferserinnen Miicb, wie die Scbweizerkühe von guter
SP, ^-tp j;\ flbcrhaupt von der OrAtiNe der Mamma durcbau"* kein Itückschiusa auf eine gute
I Füll t der Brustdrüse gemacht werden kann. Im Gogentheil sind sogar sehr
star> ilan SHugegeschilft viel weniger zu gebrauchen, alw die iiiittelgro»sen, wenigstens
bot uns in Norddeutschland. Die Peraerin trugt ihre Brüste im .Suspeuiorium (Polakj^
I die wohlhabende Frau legt bisweilen gestrickte Etui» um dieselben (UäntiBche). Da die ürtJst«
^ in Tursien sonst aber frei und ohne beengendes Schnörleib getragen und nur mit Flor be-
kt werden^ mo sind sie nicht empfindlich gegen Erkill tnng»
Die Brüste ebes Singhalesen-Müdchcns aus Ceylon sehen wir in Fig* 55 ;
Isejenigen einer Hin du- Frau mit grossen Warzenhöfen in Fig, 168.
Von den Weddah auf Ceylon berichten die beiden Vettern Sarasin:
«Ueber die Brüste des weiblichen GcschlecbtM ist zu bemc>rken, dass sie bei jungen
M&dchen leicht kegelförmig sind, mit atarker cylindriscber Warxe und grossem WarEenhofe.
I Zuweilen schnürt sich — wir haben zwei Fülle gesehen — der War^enhof ab und bildet
jmoen der übrigen Brust aufgesetzten Kegcb Nach den ersten Geburten werden die Brüste
Ixu starken Beuteln; mit /.unebmendem Alter beginnen sie wieder einzugehen und verschwinden
[mari ' ' ' ' h. Charukteris tisch für alle Stadien ist die grosse cylindriscbe Warre«
I In . bteten wir ungleiche Entwickelung der beiden Brüste; beide Male war
e* die lUlk^^ die iii der Ausbildung r.urückblieb. In einem Fall© war sie gar nicht, im anderen
[viel weniger abt die rechte xur Entwickelang gekommen.'
Von dieser letzteren Beobachtung wurde weiter oben schon gesprochen*
Jacitltfi lipfprl rine genaue Besthrrtbim^y vnn den Brüsten der Weiber
iof Biil
264
VIL Die Weibwrbnirt,
«Die MaiDma (tmd dos gilt von mehr als der H&lfte der Bali Beben Frauen) von
^WlkmDiÜlii nb bis ungefahv einen Finger breit hiüter der Areola bildet eine beaündoro Her-
ronragnng. Bei einer saugenden Frau kommt diese Besonderheit noch istClrker heraus. Ob
dieöe absonderliche flervorwölbung eine Folge der stüjrkeren Erweiterung der Sinus lactd bei
dieser Rasse ist, oder ob eine stärkere Fettablagerung dieae Form bervonuftt kann ich nicht
enUcheiden. Der Umstand, dass me namentlich bei Bangenden , selbst mageren Frauen vor-
kommt, spricht für die erste Ansicht, doch spricht dagegen einigermaassen das Yurkomnien
bei noch jugendlichen MUdchen, bei welchen die ßrüste noch ,in Werdnng begriffen* Rind.*
Flg. 108. Hlndn-Weih mit sehr ^roBen Warxeaboreo. C^aoli FtiotogTAplucO
Bei den malajiichen Frauen sind die Brüirte nach MüUrr^ klein, spiU und kngelig«
der Busen wenig entwickelt und oft gau» platt- Dagegen sagt Fim**h*t ,Die BrfiÄt-^i der
Mala,vlnnon variiren ebenso sehr, wir» ftli^mM nach Alter und Individuahtat; fuwnilen Ut
die Warze nuch ganst versteckt, ja» hderduv vor, d«
Ausdehnung und Färbung vor hell- ^\U alle >>n «eis
Montana sagt von den Matajen oder Moros von SuIn
,Les mamolles ne sout pas coniqueji« et fVi i'.'s Indit*nnt*^, m» lu-^ . i iliö^i"
Chez les SouloaxneH jeune^ elles noni plut' üU^a wo ndent pr^i ittr. riü^jii
H devienneul tout ä, fait pendantea chtt le» aujut^ u^;«-'«/
60. Die Brüste der Asiatinnen. 265
Von den Bewohnerinnen der Insel Nias berichtet Modigliani:
.Die Weiber zeigen, so lange sie jung sind, arglos ihre unverhüUte Brust, welche wohl-
gebaut ist, mit stehend-pyriformen Brüsten, deren Warze klein und schwärzlich ist. Diese
natürliche Schönheit schwindet aber rasch, und nach dem ersten Wochenbett geht durch das
lange Zeit hindurch fortgesetzte Säugen und die ununterbrochenen häuslichen Anstrengungen
jegliche Frische verloren. Die Brüste sinken schlaff zum Bauche herab, ihre Vorderseite be-
deckt sich mit Runzeln, und von der schönen Jungfrau bleibt nach nur zwei Jahren nichts
übrig, als die Erinnerung.'*
Von der Chinesinnen-Brust sagt Mondiere:
„Le sein est admirablement conform^, h^mispherique , mais il a une grande tendance,
vers Tage de vingt-cinq ä vingt-huit ans, ä se charger de graisse et ä devenir beaucoup trop
volumineux.*
Die Frauen der Eingeborenen auf Formosa im Süden dieser Insel, der Sabari,
Whang-tschut, Tuasok etc. sind ebenso wenig schön, wie ihre hässlichen Männer, eben-
falls klein und schwach gebaut, wie diese ; ihre Büste ist schlecht entwickelt, die Brüste klein
und konisch zulaufend; nur bei den Whang-tschut und Bakurut sah IbiSf der dies be-
richtet, einige bessere weibliche Figuren.
Den Busen der Annamitin charakterisirt Mondiere in folgender Weise:
,Le sein est habituellement h^misph^rique et regulier chez la femme annamite; les
seins piriformes sont rares, et, chose assez remarquable, c*est le plus souvent chez les femmes
qui ont la peau la plus blanche qu*on les rencontre. L'^cartement des mamelons, chez la
jeune femme qui n'a pas eu d*enfant, est de 19 centimätres. Assez petits jusque vers diz-
sept ans, ils prennent un volume consid^rable pendant la grossesse et deviennent tr^-d^clives
dans les demiers temps de celle-ci. L'ar^ole varie beaucoup, mais eile est d*autant plus
grande et color^e que la femme est plus blanche, et son diam^tre, dans ces circonstancee,
peut, comme jo Tai constate plusieurs fois, avoir de 7 ä 9 centimetres. Le mamelon reste
court jusqu*^ Taccouchement, mais les premi^res succions de Tenfant le d^veloppent rapide-
ment. Apr^ un premier allaitement, il reste proeminent et colore, ce qui tient ä la longue
dur^e de Tallaitement. 11 est rare qu*apres le sein reprenne sa forme normale, comme nous
le voyons chez beaucoup de nos femmes, mais il diminue de volume, saffaise sans devenir
toutefois tout ä fait disgracieux.'*
Die Brust einer Minh-huong, d. h. einer Mestize, nähert sich in ihrer Gestalt der-
jenigen ihrer annamitischen Mutter, wie Mondiere fand; jedoch waren bei ihr die Warzen
mehr hervorragend.
Maiirel schreibt von den Weibern der Khmers in Cambodja:
,La poitrine, developpee, porte des seins fermes, g^n^ralement piriformes et tr^ r^-
sistants; le mamelon est rarement bien long.* Nur bei zwei Cambodja -Weibern, die noch
keine Kinder hatten, sah Mondiere die Brust unbedeckt: dieselbe war «l^gärement piriforme*;
er setzt hinzu: ,iMalgre cette forme, les mamelons pointent directement en avant et sont moins
^cart^s Tun de Tautre de 16 a 20 millimötres que chez les autres femmes.*
Schnelles Verwelken der Brüste in Folge des S&ugens kommt bei sehr zahlreichen
Völkern vor , dagegen giebt es Andere , deren Weiber sich die Fülle der Brust besser be-
wahren; im Nordosten von Französisch-Cochinchina, auf der Grenze von Annam,
Cambodja und Cochinchina, wohnen beispielsweise die Mois, von welchen Ämedee GatUier
sagt: »Ihre Frauen sind gewöhnlich hässlich, aber gut gebaut, mit vollen Brüsten, die selbst
nach dem ersten Kinde keine Falten zeigen.*
Neis berichtet von den Einwohnerinnen von Laos:
,Les femmes, dont les seins n*ont jamais un d^veloppement exag^re, acqui^rent le plus
souvent avec Tage un certain degr^ d*embonpoint, mais sans obesite.*
Von den Negritas der Philippinen macht Montano die folgende Be-
schreibung:
,La forme des mamelles chez les jeunes filles tient le milieu entre les varietes h^mi-
spherique et piriforme; d^s la premi^re grossesse, elles deviennent volumineuses et pendantes.*
üeber die Bewohnerinnen der Inseln des alfarischen Archipels verdanken
wir Riedel^ mehrere Angaben :
Auf Bnru haben die Mädchen mittelmässig grosse Brüste, die von oben platt und von
nnten gewölbt sind. Nach der Niederkunft werden sie hängend mit abscheulichen Falten.
266
VII. Die Weiberbrust.
Auf der Insel Ambon und den Uliase-Inseln sind die Brüste wegen der Verstümmelang in
der Jugend schlecht entwickelt; die Warzenhöfe sind klein. Auf Serang oder Nasaina be-
sitzen Frauen, die nicht geboren haben, nur sehr kleine Brüste. Auch die Brüste der Frauen
auf den Seranglao- und Gorong- Inseln sind klein und dabei puriform; ebenso auf
den Wat üb ela- Inseln. Dagegen haben auf den Keei- oder £ w ab u- Inseln junge Frauen
grosse und Yolle Brüste mit birnenförmig hervortretender Brustwarze. Auf den Tanembar-
und Timorlao-Inseln haben die jungen Weiber kleine birnenförmige, aber volle Brüste.
Auch auf Leti, Moa und Lakor sind die Brüste bimförmig, ebenso auf Eeisar oder Ma-
kisar, dabei aber klein und mit schwarzen Warzenhöfen. Auf der Sawu oder Hawu- Gruppe
(BiedeVj finden wir die Brüste der Mädchen wieder klein und pyriform.
61. Die Brfiste der Oeeanierinnen.
Die zuletzt genannten Inselvolker haben uns schon nach Oceanien hinüber-
geleitet. Bei den Bewohnerinnen Oceaniens scheint besonders häufig an den
Brüsten die halbkugelige Form des Warzenhofes vorzukommen, dessen Basis durch
eine circuläre Einschnürung von dem Hügel
der eigentlichen Mamma abgegrenzt ist. Man
vergleiche Fig. 169.
Kübary fand bei den Frauen der Carolinen-
Insel Yap meist kräftig entwickelte, etwas spitze
Brüste. Hiermit stimmt dasjenige überein, was
auch f. Miklucho-Maclay auf anderen Inseln des
Stillen Oceans wahrnahm. Er sagt: .Bei Mäd-
chen von circa 15 bis 12 Jahren, die noch keine
Kinder geboren hatten, fand ich die sonderbare
Form der Brüste, die ich sehen an einem anderen
Orte erwähnt habe. Der obere Theil war von der
ziemlich straffen (jugendlichen) Mamma durch Ein-
schnürung geschieden. Die beigegebene Skizze
stellt diese Eigenthümlichkeit, welche ich bei
Papua-Mädchen von Neu-Guinea, sowie bei
jungen Polynesierinnen (Samoa) ebenfalls ge-
sehen habe, dar. Die asymmetrische Entwickelung
der Brüste, welche überhaupt nicht selten ist, scheint
in diesem Falle fast die Regel zu sein : ich habe immer
die Einschnürung an der einen Mamma tiefer ge-
troffen als an der anderen. Im abgeschnürten
Theile Hess sich die Brustdrüse leicht durchfQhlen.
Dieses Verhalten ist nicht bei allen Mädchen zu
beobachten, aber findet sich, mehr oder weniger
ausgesprochen, nicht selten ; es schien mir auch mit
den Perioden des geschlechtlichen Lebens (Menstrua-
tion und Schwangerschaft) nicht in directem Zu-
sammenhange zu stehen, jedoch denke ich, dass nach wiederholter Lactation die Einschnürung
verschwindet, da bei älteren Weibern ich nie diese Form der Brüste gesehen habe."
Bei den Insulanerinnen von Ponap6 (östl Carolinen) haben nach Finsch^ die
Mädchen meist tadellos entwickelte Brüste, die sanft gewölbt, halbkugelförmig, fest sind,
selten zur üeberfüUe hinneigen und nur bei Frauen, welche Kinder säugten, die bekannte
hängende Form annehmen. Die Entwickelung der Brustwarze ist sehr verschieden, bald tritt
der dunkler gefUrbto Hof besonders hervorragend bimfOrmig vor, bald thut dieses nur die
Warze allein; letztere fand sich bei jungen, eben aufblühenden Mädchen zuweilen noch ganz
versteckt, oder nur an der einen Mamma stärker entwickelt. Bei starkbrüstigen Mädchen,
wo der Hof der Brustwarze, an der Basis sanft eingeschnürt, besonders hervortrat, war die
Warze trotzdem noch ganz versteckt.
Die Frauen der Gilbert- Inseln sind in der Jugend sehr hübsche Erscheinungen mit
wohlgeformter Büste, die leicht zur Fülle hinneigt. Schon bei Mädchen mit noch ganz ver-
steckter Brustwarze bemerkt man zuweilen einen dunklen Hof um die letztere, dessen Aut-
Fig. 169. Junge Australi erin (Queens-
land) mit eingeschnüiiem, der Brust halbkugelig
aufsitzendem Warzenhofe.
(Nach Photographie.)
62. Die Pfleg«, die Behandlung und di^i AaascbmQckaiig der weiblichen Bmst. 267
Idebntmg and FUrbung übrigens i&dividueU atiflserordeniUcb variirt. Sehr häufig tritt bei
piisgen MJkdchen nur der dunklere Warzenhof halbkugelig exbaben vor. (Finsch^.)
Auf Mttiana (Hall- Intel), einer pnlynesiechen Insel, fand lumch bei straffen
[jungen Mlldcb^n die Brüste klein und fest, den etwas dunkleren Hof um die wenig bervor-
tragende W/irze wenig ausgedehnt: bei einer älteren Frau hingen die stark entwickelten Brüste
ch ihre Schwere weit herab ; die wenig entwickelte Warie war sehr dunkel geßlrbt, ebenso
der merkbar erhabene Hef.
Di© Brüste «fer M el an esie rinnen sind
' in der Jugend gni geformt und entwickelt,
neigtm meist etwas zur Ftillö und werden nach dem
^<irtt«n Kindbett gewöhnlich hängend. {Finsck'^,)
Die Brdste eine« 13— H Jahre alten Motu-
ichens fand Finsch nur klein und dunkel*
^V>t, und aus ihnen erhob sich eine kleine,
pllöre Wanse Kine 1^ jahrige hatte eine
auch noch kleine Brust; jedoch wiir
ifiSSSe schon etwas voller, schön balbkngelijr j*'
Utaltet; die Wante war klein und ragte weiH^^
herror; nie war von einem engbegrenxton dunklen
Hofe umgi^ben.
Die Brüste der V iti- Insulanerinnen ,
namentlich wenn uw eben erst ihre Keife «erlangt
I haben, i^eichnen nich nach Biichnt.r*s Angabe
I durch eine Hervorragung des War^entheiles aus,
I dar leicht abgeschnürt erscheint und ao dem ganzen
[Organ etwaa birnförmige» verleiht.
Ktnen besonders grossen Warxenhof ^ehen
[wir bei einer Frau ans Hawaii (Fig. 170), welche
Eidinni Nruhau^s photographirt hat.
0io Brüste der Mädchen auf Samoa sind, wie Graeffe sagt
etwiui ii>itz''.
Die Brüste der ÄUAtralierinn eh« welche im Jahre 1HB4 nach Berlin kamen und in
CtüUin*!! runoptikuai sich doiu Publikuiu zeigten, wurden nach den photographiwchen Auf-
nahmen von y^irchow'^ in folgender W*)ifi0 charakterisirt; Die Büste von Taipirah (violleicbt
16—18 Jahre alt) ist von grosser Schönheit, ihre Brüste sind von streng jungfrö-uUchor Be-
«cha^enbeit; die vollen Brüwte halbkugelig, oben etwas flacher, unten sillrker gewölbt, ein
gropum-, im Ganzen etwas vortretender War^enhof mit flacher rundlicher VVurxe, Bei yembcn
(viellmcht in den zwansiger Jahren) sind die Brüste gross, aber scblaflft hängend, mit weil
berau^gexogener Wante, die bedeckende Haut faiji runzelig.
Flg. 17a.
\
Fr AU von dr'^n 11h w»i i * liiKeln mit
>ieUr ^<isj^«n Wftrr.itnhüfifii
(Kaoli Pitotoirtmphie.)
«ttark entwickelt und
62. Die Pflege, tlie BeliniHlliiii^c um\ die Aiis8cliiiiuekunjcr der
weihlteheu Urtivit.
Bei vielen V51kerBcharten begegtien wir der Sitte, die weiblichen Brüste
einer eigenthümlicben Behandlungsweise lu unterwerfen, welche wahrscheinlich
nicht immer achuldloa an gewissen Formverändomngen dieser Organe ist. Schon
die Aerzie der Talmudisten wallten einen Einfluse beobachtet haben, welchen
mmt g^*wohnheitsgemässe Pflege auf die Entwickelung der Brust bei den jungen
^ irben ausübe. Sie behaupteten, dass bei den Toeht^m der bemittelten Stande
rieh in der Regel die rechte Brust früher wölbe, als die linke, weil sie da« Um-
Ächlagetuch gewöhnlich auf der rechten Seite trügen. Denn da die recht« Hälfte
de» Thorax hierdurch wärmer gehalten würde, so sprosse auf dieser Seite der
MammahUgel schneller hervor. Bei den Mädchen der ärmeren Klassen entwickele
sich aber die linke Brust früher, weil sie mit der linken Hand Wasser schöpfen
und auf ihrem linken Arme ihre kleineren Geschwister tragen.
Von dem Kampf de.s Anatomen Sümmering und der Tausende von euro-
p^itsthen Aentten gegen die schädlichen Umformungen der Weiberbrugt, welche
durch die SehnOrleiber hervorgerufen werden, ist bereits die Rede gewesen. Dass
268
VII. Die Weiberbrust
Fig. 171. Loango- Negerin,
mit der Brustschnur.
(Nach Photographie.)
er vergeblich war, weiss Jedermann. Aber nicht nur bei den civilisirten Nationen,
sondern auch bei recht rohen Völkerschaften treffen wir einen behindernden Druck,
der absichtlich oder unabsichtlich auf die in der Entwickelnng begriffenen Brfiste
ausgeübt wird. Andere Stamme befleissigen sich
dagegen einer sorgfältigen Behandlung und Pflege
dieser dem Säugungsgeschäfte gewidmeten Organe.
Wem fielen hierbei nicht die^ Amazonen ein,
denen angeblich die eine Brust verstümmelt wurde.
Ich spreche später noch ausfuhrlich von ihnen.
Vielleicht liegt hier die Beobachtung zu Grunde,
dass bei einem Volke kriegerischer Frauen durch
eine Eigenthümlichkeit beengender Tracht die Brust
der einen Seite in der Entwickelnng zurQckblieb.
Eine ungleichmässige Ausbildung der beiden Brüste
haben wir ja oben schon in einigen Beispielen kennen
gelernt.
Bei den Kaffern ist die weibliche Brust schon
frühzeitig ein Gegenstand eifriger Pflege. Bereits
im 7. oder 8. Jahre b^nnt die Mutter bei den
Töchtern die Brüste mit einer Salbe zu bestreichen,
die aus einem Fett, mit gepulverten Wurzeln ge-
mischt, bereitet ist. Mit den Fingerspitzen umfasst
sie die Weichtheile, welche die Brustwarze umgeben,
und reibt sie und zieht daran, als ob sie die Brust-
drüse herausziehen wollte; später wird die Warze
hervorgezogen und alle Tage mit Bast umschnürt.
Holländer berichtet von den Basutho, dass sie den Weibern die Brüste
schon lange vor der Niederkunft fortwährend in die Länge ziehen, damit sie sie
später ihren auf dem RQcken reitenden Kindern durch ihren Arm hindurch in,
den Mund reichen können. Diese Angabe bedarf der Bestätigung.
Eine grosse Zahl afrikanischer Völker pflegt die Brust in besonderer
Weise zu umschnüren. Es wird eine Schnur oberhalb der Brüste fest um den
Thorax gelegt, und hierdurch werden die Mammae niedergehalten. Das kann
auf die Ausbildung derselben natürlicher Weise auch nicht ohne Einfluss sein.
Fritsch bestätigt diesen Brauch von Süd- Afrika, wo bei den Ban tu- Völkern
das Herunterbinden der Brüste ein Abzeichen der verheiratheten Frau sei, welches
ihr Würde und Ansehen verleihe; ein Jäeruntersinken der Brüste werde dadurch
bedingt, ohne dass jedoch damit nothwendiger Weise auch ein Welken dieser
Organe verknüpft sein müsse.
Boivditch sagte von den A schau ti:
,Die Basen dor dreizehn- und vierzehnjährigen M&dchen sind wahre Modelle; aber die
jungen Weiber zerstören absichtlich die^e Schönheit, um ihnen eine Form zu geben, die sie
für schöner halten, indem sie ein breites Band fest über die Brüste binden, bis diese endlich
die runde Gestalt verlieren und kegelförmig werden/
Falkenstein fand, dass an der Loango-Küste die Weiber eine Schnur (Fig. 171), oder
biäweilen auch ein zur Bekleidung dienendes langes Tuch mit seinen Zipfeln fest über der
Brust knoten. £r glaubt aber nicht, dass hierdurch das frühe Herabsinken und Welken der
Brüste erklärt werden könne, da aus anatomischen Gründen die Ernährung der Brüste durch
diese Sclmur nicht beeinträchtigt werden könne. Letzteres beabsichtigen seiner Meinung nach
die Weiber auch gar nicht, sondern sie setzen nur eine alte Sitte gewohnheitsgemäss fort,
deren Ursprung sie nicht kennen, vielleicht habe man sie früher zu Heilzwecken geübt.
«Wenn man,* sagt Pechuel-Loesche, «aus dieser Thatsache, dass die Negerinnen ver-
schiedener Volksstämme eine Schnur über die Brüste befestigen, auf eine der unseren ent-
gegengesetzte Bethätigung des Schönheitssinnes oder auf eine aus anderen Gründen erstrebte
Entstellung geschlossen hat, so mag dies bezüglich jener zutreffend lein, besüglich der
Bafiote-Neger an der Loango-Küste wäre es eine Unrichtigkeit Nicht niederbinden
i. Die Pflege, die Beh&tidluAg imd die AusscbmOckimg der weiblicbeu BruBt, 269
[wolJen dieee die BriUie, sondern die erachlafflen ond dem GeseUe der Schwere folgenden
hochzieben. Die 8ehnnr wird Über den oberen Rand gelegt» um durch Spnnnung, durch
Verkäriung der Haut die Fülle der locker gewordenen Hügel auf ihrer natürlichen und
Httnwhenjäwerthen Stelle /m erhalten. * ,
Auch am Congo herrscht diese Sitte, und Poggc traf sie in Angola, sowie
bei allen Stämmen West- Afrikas, welche er besnchte. Hier wird schon den
kleinen Mädchen eine Schnur rings um die Brust gelegt, damit, wie Pogge meint^
sie sich von Jugend auf daran gewöhnen; denn später seien die Frauen gezwungen,
sich auf diese Weise ihre hängenden Brüste niederzuhalten, damit sie ihnen bei
der Arbeit nicht hinderlich werden.
In der Südsee findet sich eine äbu-
liehe Sitte bei den Einwohnerinnen von
der zu der Loyality-Gruppe gehörenden
Insel Uvea. Eine von Bernard abgebildete
Frau bat sich ein schmales Tuch an der
oberen Grenze der Brtlate so fest rings um
den Thorax geschlungen, dass es tief ein-
schneidet.
Schon vor längerer Zeit hat Tlüle
berichtet, dass e» auch bei den Neger-
sclavinneu in Surinam Sitte ist, um den
Oberkörper ein dreieckig zusammengefal-
tetes Tuch über die Brüste zu schlagen,
dessen Enden auf dem Kücken straff zo-
KAramengebunden werden ; hierdurch wird
die Brust nach unten ge/wängt
Wir werden hier an gewisse Maass-
nahmen erinnert^ welche in Stld -Amerika
beobachtet worden sind.
Von den Payuguas, die um Paragntty-
Strom wohnen, berichtet v, Asnra^ deu» ihre
Wfiiber den Busen der jungen Mädchen, goba^ld
domwlbe ninigewiichfjen ist und «eine natürliche
Gr5»e erreicht hat, entweder mit den 5länteln
oder »uch mit einem ledernen Kiemen stnüftmmen-
pressen, um ihn hinterwilrts gegen den Gürtel
asti xiehen, no daa« er, ehe sie noch 24 Jahre alt
worden, wie ein Hout«l an ihnen herabh≯ auch
Eengger fand, das» die Pay agn a- Weiber mittelat
eine« GürteU die Brüste verlUngoru. Er ist der
iMeinung, data «ie von Nutur nicht mehr ala die
Briiate der Enroptterinnen zur Verlängerung
neigen, aondem dass sie lediglich durch da*
«wn künstlich verlllngert werden.
Die Frauen der Annamiten in Co-
chinchina sind, nach Amand, bemüht,
mittelst einer dreieckigen Brust binde,
welche durch ein doppeltes, um Hals und
Rücken gewundenes Rand sehr zusammengeschnürt wird, Ihre Brüste nieder-
zudrücken. Eine Umschnarung des Thorax dicht oberhalb der Brüste, welche
ganz der afrikanischen Sitte entspricht, finde ich auf der photographischen
Darstellung eines jungen Weibes von der Pageh- Insel (Fig. 172), welche zu
[der westlich von Sumatra gelegenen Mentavei-Gruppe gehört. Die Üm-
Hcbllngung scheint hier durch Pflanzenfaserstreifen, vielleicht von Rottaug bewirkt
zu mm, und es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Brüste durch diese
MaaMnahnie etwas gehoben werden. Allgemeiner Gebrauch seheint aber daa Um-
liniUtrh I Dil in tu, mit i!nr BruiitumMbiianing.
Nach Phoiojcraphle.)
270 V^I- ^^® Weiberbrust.
schnüren nicht zu sein, denn einige andere Weiber desselben Dorfes lassen die
Iküste unbehindert.
Von Riedel^ erfahren wir, dass im östlichen malayischen Archipel auf
den Inseln der Luang- und Sermata-Gruppe die Weiber sich einer Art Leib-
chen bedienen. Dieses Kleidungsstück, welches Kutan^ genannt wird, drückt die
Brüste nieder und verursacht, dass sie mehr oder weniger missgestaltet sind.
Auch die Üindu-Frauen tragen ein eng anschliessendes, kurzes Leibchen,
aber an demselben sind für die Brüste taschenartige Ausbuchtungen angebracht.
Das können wir an der Frau aus Bombay in Fig. 29 erkennen.
Kehren wir nach Europa zurück, so finden wir im 16. und 17. Jahrhundert
in Spanien eine Unsitte, von der ich allerdings nicht anzugeben yermag, ob sie
bereits vollständig ausgerottet ist, oder ob sie noch in abgelegeneu Districten ihr
Dasein fristet. Es wurde nämlich die natürliche Entwicklung der Brüste mit
aller Gewalt hintertrieben und verhindert. Zu diesem Zweck wurden die sich
wölbenden Brüste der zu Jungfrauen heranwachsenden Mädchen mit besonderen
Tafeln von Blei bedeckt und durch die letzteren ein derartiger Druck ausgeübt,
dass bei vielen spanischen Damen anstatt der Busenhügel Vertiefungen und
Höhlungen entstanden waren. Uebertriebene Magerkeit war eben damals die Mode,
und die Spanierinnen sorgten nach d'Auinay geflissentlich dafür, dass diese
Reize, nämlich eine hagere, knochige Brust und ein ebensolcher Rücken bis weit
hinab dem Anblick dargeboten wurden. Ganz entgegengesetzte Begriffe von
Schönheit hatten in der Zeit, in welcher Montague seine Reise unternahm,
die Damen in Italien. Für sie war eine übermässige BusenfuUe das erstrebens-
werthe Schönheitsideal, und sie glaubten dieselbe möglichst sichtbar machen
zu müssen.
Es ist ja hinreichend bekannt, dass in der zweiten Hälfte des vorigen Jahr-
hunderts die Mode auch in Deutschland von den Damen eine recht erhebliche
Entblössung des Busens forderte. Da war es ja freilich nicht gar selten noth-
wendig, durch besondere Stütz Vorrichtungen den bereits erschlafften Brüsten ein
scheinbar jugendliches Strotzen wiederzugeben. Die Formveränderungen, welche
auf diese Weise den Brüsten angekünstelt werden können, sind recht erheblicher
Art, wovon sich zu überzeugen den Aerzten häufige Gelegenheit geboten ist. Auch
die Figuren 5 und 151 lassen derartige Verhältnisse erkennen.
Gegen das für unsere heutigen Begriffe schamlose Präsentiren der Brüste,
wie es im vorigen Jahrhundert allgemein üblich war, hat namentlich der alte
Reinhard weidlich geeifert. Es heisst bei ihm :
,Freylich entblössen die Frauenspersonen ihren Busen nicht vor die Lange Weile, hey-
lieh eröffnen sie ihre Fleischbank nicht umsonst, und freylich legen sie ihre Waaren nicht
ohne Ursache aus, ebenso wie der Vogelsteller seine Lockspeise niemals ohne Grund annasetzen
gewohnt ist, sondern allemal die Absicht hat, die Vögel damit zu betrügen und in das Garn
zu locken. Die Schönen haben den Fleischhauern die Kunst recht meisterlich abgelemet:
denn diese, wenn sie einen Nierenbraten ansehnlich machen und zu ihrem Nutzen theuer ver-
kaufen wollen, so unterstopfen sie die magern Nieren mit dem Netze: und das Frauenvolk,
wenn es die Brüste scheinbarer machen will, so unterleget es die welken Brüste beynahe mit
dem ganzen Wächsgeräthe, welches es besitzt, damit die lieben Ihrigen desto besser in die
Höhe treten, aufschwöllen und ansehnlicher werden möchten, da es denn natürlich so aus-
siebet, als wenn die Brüste vor Geilheit aus dem Busen laufen wollten. Man mass also solche
gcbrdstete Schönheiten immer erinnern, gute Achtsamkeit zu haben, damit sie ihre Habselig-
keiten nicht gar einbüssen möchten. Doch bey diesen Füllen würde dem Schoosshflndchen
auch einmal ein guter Bissen von dem Glücke zu Theil werden. Ich bin nun schon einmal
vor allemal in der Einbildung: dass sich die Schönheiten unsers Zeitpunkts aus keiner andern
Absicht entblössen, ihre Brüste aufputzen und zur Schau tragen, als bloss ihre ausgelegten
Waaren glücklich an den Mann bringen zu mögen. Ohnerachtet ihnen doch die Natur die
Brüste aus weit erheblichem Ursachen und zu grösserm Nutzen gegeben hat, als dass sie mit
diesen Vorzüglichkeiten Eitelkeit treiben, auf ihre erhabenen Gaben bochmflthig werden, nod
die Mannsbilder damit zur Wollust und Sünde reizen sollten."
272
VII. Die Weiberbrust.
Von den Dachaaerinnen in Bayern gilt das Gleiche. In frühester Jugend
schon hemmen sie die Entwicklung der BrQste durch starre, bretiartige Apparate,
und darum ist nach Güster dort das Stillen der MQtter ganz unbekannt, und die
Sterblichkeit der kleinen Kinder steigt bis auf 40 und selbst 50 Procent. Auch
die Landmädcheu in Württemberg drücken durch ihre Tracht die Brüste ge-
flissentlich nieder; ebenso ist dieses im Bregenzerwald in hohem Grade der Fall.
Bei Oppermann (Scherr^ Ecker) findet sich folgende Angabe über die Bewohne-
rinnen dieser Gegend:
pDie Gestalten sind kräftig und gedrangen, die Hüften breit, die Beine ebenmässig ge-
baut. Nur eins mangelt ihnen vOllig: die Brost. Allerdings gewalirt man denselben Mangel
auch sonst bei Bergbewohnerinnen, aber es ist dennoch auffallend, dass derselbe hier sogar
bei solchen angetroffen wird, die sonst üppig gebaut sind. Dies mag daher kommen, dass
Mütter solchen Töchtern, die etwa vor anderen sich durch das, was diesen fehlt, auszeichnen
könnton, tellerartige Hölzer anschnallen und so -mit Oewalt eine der schönsten Zierden des
Weibes in ihrer Entwickelung hemmen.* Auch Byr berichtet von den Mädchen des Bre-
genzerwaldes: «Die Juppe umfängt den Leib so eng, dass sie fast die Entwickelang
der Brust verhindert und bei älteren Frauen auch immer den Eindruck von Verbildungen
hervorruft."
Von der Pubertätszeit an wird in Tyrol der Brustkasten der Weiber nach Kleinwächter
in ein festes Mieder eingezwängt, das man füglich einen Holzpanzer nennen kann, denn eine
wohlentwickelte Brust, die in anderen Ländern den Stolz eines Weibes bildet, gilt in Tyrol
nicht als körperliche Zierde. Die Brüste gelangen daher durch Druck zur Atrophie. Das
deutsch-tyroler Eheweib stillt ihr Neugeborenes nicht oder höchstens 2—8 Wochen lang,
theils weil die Brüste dazu nicht mehr geeignet sind, theils weil das Stillen nicht Sitte ist.
Dagegen fehlt in Wael seh -Tyrol dieser Holzpanzer, und dort ist auch die weibliche Brust
besser entwickelt, als im deutschen Norden.
Bei den Tscherkessen wird dem jungen
Mädchen im 10. bis 12. Jahre Ton der Brust bis
an die Hüfte herab ein Schnürkleid oder breiter
Gürtel von rohgarem Leder dicht um den Körper
genäht oder bei Vornehmen mit silbernen Heften
befestigt. Die Ossetinnen tragen ebenfalls ein
I 1 ^ I / fc dicht ihre Brüste einschliessendes Corset. Dieses
1 I X — \ j IE Corset thut man dem Mädchen von 7—8 Jahren,
JcJ / 1 H^ nach Pokrowsky im 10. oder 11. Jahre, an und
nimmt es bis zur Brautnacht nicht mehr ab. Dann
zerschneidet der junge Ehemann die das Corset zu-
sammenhaltenden Schnüre und entfernt dasselbe.
Nach dieser Operation entwickeln sich die Brüste
unverhältnissmässig rasch. Diese Sitte sollen die Osseten von den Kabardinern
angenommen haben, welche nördlich vom Kaukasus wohnen, (v. Seydlits,) Auch
der Kabardiner Schora - Bektnursin-Nogmow spricht von diesem Gebrauche der
Tscherkessen:
„Mädchen nähte man mit sieben Jahren die Taille in Saffian ein, um derselben ein
grösseres Ebenmaass zu geben. Sobald aber ein Mädchen verheirathet wurde, zerschnitt der
Neuvermählte mit einem Messer die Schnur, mit welcher der Saffian zusammengenäht war,
dabei alle mögliche Vorsicht beobachtend, um weder den Körper noch den Saffian zu be-
rühren. Wenn er den einen oder den anderen verletzte, so wurde ihm dieses zu grosser
Schande angerechnet. Die junge Frau begann nach Abnahme dieses Corsets mit solcher
Schnelligkeit zuzunehmen, dass nach mehreren Tagen die Brust sich bei ihr sichtbar ent-
wickelte. Alle diese Gebräuche erhielten sich bis heute. Das Einnähen schadet sehr der
Gesundheit: durch dasselbe verfallen viele der Schwindsucht.*
Wie hoch und eng der Brustkorb von diesem Instrumente umschlossen wird,
ist aus Fig. 174 zu ersehen. Auch die Kalmückinnen flachen die Brüste durch
ein Schnürleib ab.
Man sieht, dass wir durch solche unverständige Maassnahmen bereits hin-
Fig. 174. Corset der Ossetinnen
(Kaukasus). (Nach Pokrowsky,)
Di« Pflege^ die Bobandlang und die AusEchmüekung der weiblichen Bnist.
übergefiihrt werden in das Gebiet <ler Versttiramelungen der Weiberbrost» welchem
ein späterer Abschnitt gewidmet sein wird.
Da sind bedeutend unschuldigerer Art die vermeintlichen Verschönerungen
der weiblichen Brflate, wie sie durch bestimmte Arten der Tättowirungen her-
vorgerufen werden. Derartige Tättowirungen finden wir an sehr verschiedenen
Punkten der Erde; namentlich sind bei manchen Völkern im äquatorialen Afrika
kleine, in den Uügel der Mamma eingeschnittene StrichomHmente in senkrechter
Flg. 173k. 6»H*Frfta ftos dem mnUrlandc von KtmArQn mit Sohaooluiarbcn »tif il«ii Rr<uit«ii.
(KftcU Photogrmphle.J
fer (jiierer Anordnung nichts Ungewöhnliches. Zintfjraff z. B. nahm im Hinter-
ftde von Kamerun eine Bali -Frau (Fig, 175) auf, welche auf jedem der Mamma-
Hfiöfel eine Doppelreihe von knopfförmigen Schmucknarben zeigte. Von den söd-
»r ■ ^^cheu Basutho- Mädchen sagt Jorsfii ,Ihre oft sehr schonen Brüste
vei ü sie ausserdem durch eine Menge horizontaler oder vertikaler Schnitt*
narben." Noch interessautere Tättomrungen finden sich in dem alfurischen
Archipel. So sind als Muster auf der Insel Serang bogenförmig gestellte
Ptotf-Ba?t«U, Dt« Weib. ft. AuÖ. L IB
274 VU. Die Weiberbraat
Punkte gebräuchlich, welche gleichsam die Projektionsfigur der Mamma wieder-
geben, und auf der Insel Tanembar wählt man eine Sternfigur mit geraden oder
mit symmetrisch gekrümmten Strahlen, welche die Brustwarze so umgeben, dass
sie den Mittelpunkt des Sternes bilden. Ich habe hiervon in Fig. 176 dem Leser
Fig. 176. Tättowirung der Brüste bei den Tanembar- Insulanerinnen (nach Riedel).
die Abbildungen vorgeführt. Das sind natürlicher Weise alles nur gänzlich un-
schädliche Spielereien, durch welche die spätere Function dieses für die Erhaltung
der Nachkommenschaft so hochwichtigen Organes in keiner Weise beeinträchtigt
werden kann. Wir wollen den betreffenden Völkern daher aus diesen Gebräuchen
keinen Vorwurf machen.
63. .Die Terstfimmelnngen der weibliehen Brust.
Bevor wir das Thema der Frauenbrust verlassen, muss ich noch einiger
Verletzungen und Verstümmelungen gedenken, welche die Mütter und die An-
gehörigen der Besitzerinnen oder diese selbst an den Brüsten mit Absicht und
Ueberlegung zur Ausführung bringen. Wir haben eine Reihe von Vornahmen
bereits kennen gelernt, welche man wohl als unbewusste Verstümmelungen der
Brüste bezeichnen könnte. Es waren im Wesentlichen schwere Schädigungen der
Brustwarze, welche durch unzweckmässige, die Brust beengende und drückende
Mieder an ihrer Entwickelung und Ausbildung derartig behindert und beeinträchtigt
wird, dass sie zum Säugen eines Kindes nur unvollkommen oder gar nicht mehr
gebraucht werden kann. Unsägliche Schmerzen, körperliche sowohl als auch
besonders solche der Seele, welche die jungen Mütter erdulden müssen, sind auf
das Tragen derartiger Corsets in den Jahren der Entwickelung zurückzuführen.
Dass diese Unsitte nicht nur bei uns in den Städten und namentlich auch
in gewissen ländlichen Districten herrschend ist, sondern dass wir ihr auch auf
dem Lande und sogar auf fernen Inseln des alfurischen Archipels (auf den
Sermata- Inseln) begegnen, das haben wir weiter oben bereits gesehen.
Diese Art der Schädigung an den Brüsten nenne ich eine unbewusste, ob-
gleich nach so häufigen Warnungen von Seiten der Aerzte den eitlen und unver-
ständigen Müttern doch längst die Augen hätten aufgehen können. Zur bewussten
und absichtlichen Verstümmelung aber wird das Anlegen des Mieders, wenn es,
wie das leider in einigen geistlichen Orden die Regel ist, in der wohldurch-
dachten Absicht geschieht, die Brüste möglichst an den Brustkorb heranzupressen,
um sie womöglich durch den permanenten Druck zum Schwinden zu bringen,
damit die Gott geweihte Jungfrau nichts an sich habe, wonach lüsterne Männer-
augen blicken könnten, und dass sie auch äusserlich schon hier auf Erden den
Engeln im Himmel ähnlich werde, welche bekanntlich weder Brüste noch auch
ein Geschlecht besitzen. Hier ist auch daran zu erinnern, was oben von Dachau,
dem Bregenzerwalde und von Spanien gesagt worden ist.
Es kommen aber auch Verstümmelungen noch viel gröberer Art durch
einige eingreifendere Operationen vor, welchen die Brüste unterzogen werden, und
hier wird wohl jedem sofort die Erzählung von den alten Amazonen in ^
6S* Die Ventümmelungen dar weiblichen ßrast.
275
ErinneruDg kommen* Straha sagt von ihnen: , Allen wird in der Jugefid die
rechte Brust abgebrannt, damit sie sich des Armes zu jedem Gebrauche, beaonderB
zum Schleudern bedienen können.*
Diodorus von Sicilien spricht ihnen sogar beide Brüste ab: »Wird aber
oin Mädchen geboren^ so werden ihm die Bröste abgebrannt, damit sie sich zur
Zeit der Reife nicht erheben, deim man hielt es flir kein geringes Einderniss bei
Föhrung der Wafien, wenn die Brüste über den Leib hervorragten;* wegen dieses
Mangels werden sie auch von den Griechen Amazonen genannt (zu deutsch
Brüsteloae, von nmza, weibliche Brust, und dem a privativum).
Nach Jhpjwkrat^ ieUten bei üie^iem am Asow^Bcben Meere (dem MäatidcheD Sumpfe)
wohnen den Volke der Sauromaier die Mütter den jungen Mädchen ein kanatlich daxu ge-
arbeiieiee und überdies noch glühend gemachtes Kupferblech auf die rechte ßruat, und
brannten dieM so aua, da«s sie nicht mehr wachsen kannte, damit sich alle Krafl und 8t&rke
nach der rächten Schulter and dem rechten Arm hinziehe.
Wir können nuy nnt diesen Damen hier nicht weiter beschäftigen, jedoch
werde ich in einem spateren Abschnitte auf dieselben zurtickzukommen haben.
Einen eigenthüniltchen Brauch fand Cameron in Akalunga, am Ufer des
Tanganjika-Sees, ebenso wie in Kasangalowa vor: dort scheinen die Frauen
tiicbtt wie sonst die Negerinnen^ stolx auf ihre Brustwarzen zu sein; sie haben
rielmehr eine leere Grube an der betreffenden Stelle, Cameron äussert den Ver-
dacht, dass es sich hier vielleicht um eine Form der Bestrafung gehandelt habe.
Am r " ^ne in Aut^tralien werden einzelne junge Mädchen nach
JBofeA die ausgerissen, um ihnen das Säugen unmöglich zu machen.
Auch «och in unserem Jahrhundert werden abscheuliche Arten der Bnist-
''*^'"'' '^-•^ '" p,,..i.. .. -1 ^-^ptaachhch ihr Un weisen treibenden Christ-
IS*
63, Die Ventüiiiinelungen der weibliclien Brust, 277
An^ebUcb spielt in ihrem Gottesdienste eine Abendmahlafeier eine grosse
Rolle, bei welcher den CommunicÄnten statt der Hostie ein kleines Stückchen
einer frisch abgeschnittenen, noch blutenden Jungfrauenbrust zum Essen gereicht
wird; jedoch ist diese Anschuldigung durch die gerichtlichen Untersuchungen
nicht zur Geniige aufgeklart worden. Figur 177 zeigt eine an den Brüsten ver-
stümmelte Skopize von 20 Jahren, bei welcher die zweite der genannten Arten
Ton Verletzungen ausgeführt worden und eine Verheilung der Araputationswunden
durch Narbenbildung eingetreten ist.
^Ä.
Ftf, 179. Die heilige AgtUks, too LcrtHt^ U^pi. (Nftch Pliotogrmptaio.)
Auch die christlichen Heiligen - Legenden, welche bekanntlich von einer
iunenswerthen Fülle der abscheulichsten Grausamkeiten wimmeln, denen die
>trimen Märtyrer von ihren heidnischen Peinigern unterworfen wurden, haben
"ifr' so hochempfindliche tmd so vielfach interessirende Organe, me die
w» I Brüste CS sind, keineswegs entgehen lassen. Das unglückliche Opfer
dieser Peinigung war die christliche Jungfrau Agathe^ welche in der ersten Hälfte
de? J^f*^... ^ihrhimderts in Oatania auf Sicilien gelebt haben soll. Der Statt-
h .m» beffehrte de von ihreu Eltern zum Weibe. Da er aber ein
^üiln^' ' weil sie trotz aller Bitten und Drohungen
278 Vn. Die Weiberbrufit.
auf ihrer Weigerung beharrte, wurde sie zur Strafe in ein Bordell gesperrt, ein
in den Legenden mehrfach wiederkehrender Zug. Aber auch hier bewahrte sie
ihre Keuschheit und zur Strafe Hess dann Quintianus sie an ihren Brüsten ver-
stümmeln. Das ist mehrfach künstlerisch dargestellt. Aber wie das geschah,
darüber haben die Künstler verschiedene Auffassungen gehabt.
Ein ausgezeichnetes Gemälde des Palazzo Pitti in Florenz von der Hand
des Sebastiano del Piombo (Fig. 178) zeigt uns die unglückliche Heilige mit ent-
blösstem Oberkörper. Zwei Henkersknechte haben mit riesigen Schmiedezangen
die Brustwarzen ihres Opfers gepackt und sie sind gerade im Begriff, ihr dieselben
mit colossaler Gewalt auszureissen. Das sieht man an der Spannung ihrer musku-
lösen Arme. Ein Schmiedefeuer, das man im Hintergründe schürt, legt uns die
Yermuthung nahe, dass die Zangen zuvor glühend gemacht worden sind.
Die Gemäldegalerie des Museums in Berlin besitzt ein Werk von der Hand
des Ribera, welches ebenfalls das Martyrium der heiligen Agathe schildert Hier
sind ihre beiden Brüste von dem Henker mit dem Schwerte abgeschnitten. Letzteres
trieft noch von Blut, und die amputirten Körpertheile trägt eine Person auf einer
Schüssel fort. Die Heilige ist, bleich und mit schmerzverklärtem Gesicht, auf den
Stufen eines Tempels niedergesunken und eine hinter ihr knieende Frau ist be-
müht, mit einem gegen die Brust gedrückten Tuche die Blutung aus den Wunden
zu stillen.
Ein Gemälde von Lorenzo Lippi in den Uffizien in Florenz schliesst
sich dieser Auffassung von der völligen Amputation der Brüste an. (Fig. 179.)
Hier ist die Heilige im Brustbild als Verklärte dargestellt. In den Händen trägt
sie eine goldene Schüssel, auf der ihre abgeschnittenen Brüste liegen, die sie Gott
darzubieten scheint. Ihr Märtyrertod wird auf den 5. Februar des Jahres 251
gesetzt, und an ihrem Feste werden in Sicilien noch heute wächserne Brüste
umhergetragen.
Wessely macht darauf aufmerksam, dass an der gleichen Stelle im Alterthom
bei dem Jahresfeste der Bona Dea zwei colossale Brüste als Symbole des mütter-
lichen Natursegens herumgetragen wurden. „Auch der Name Agathe (die Gute)
erinnert an die JBona Dea,*^
Als ein Kriegsgreuel soll das Abschneiden der Brüste von den Schaaren des
Attüa an den unglücklichen Weibern der Stadt Cornelia am Neckar ausgeübt
worden sein, die danach den Namen Weib er p ein oder zusammengezogen Wimpfen
erhalten hat. Wrede citirt eine Angabe Oldenburgers, nach der im Rathhause zu
Wimpfen folgende Verse angeschrieben waren:
, Cornelia war diese Stadt
Vorzeiten genannt, jetzund so hat
Sie den Namen verwandelt, heisst
Wimpfen, kömmt daher wie man weiss,
Dass zu Zeit des Königs Attüa
Die H Ungar sie zerachleiffet gar
All Mannsbild sie tödten behend.
Die Weibsbilder erstlich all geschänd:
Hernach ihr Brüste abgeschnitten,
Darum die Stadt auf Teutsche Sitten
Weibs- Pein, jetzt Wimpfen, sonst gar fein
Mulierum-poena zu Latein.
64. Die Weiberbrust im Tolksglauben.
Der Aberglaube der europäischen Völker beschäftigt sich vielfach mit der
weiblichen Brust; aber fast immer sind es Maassnahmen, welche dem (Gebiete ^
Volksmedicin angehören und die Brust zur Zeit ihrer Functionirung ab
I. Die Weiberbniflt im Yolksglaoben.
279
Qgsorgan fttr die Nachkommenschaft zum Gegenstand der Behandlung haben.
Ei» ist geeigneter, wenn ich von ihnen erst in einem späteren Kapitel spreche,
wo von dem Säugen die Rede sein solL
Im Alterthum war man fest davon überzeugt, dasa es echte Hermaphroditen
gäbe, Zwitter mit männlichen Genitalien, aber mit weiblichen Brüsten and rund*
liehen Körperformen, In der bildenden Kunst der Römer haben sie bekannter-
maassen eine beträchtliche Rolle gespielt. Baumeister sagt; ,Es kann kaum einem
Zweifel unterliegen, dass dieses doppelartige Wesen seinen Ursprung in den orien*
talischen Religionen habe:, in welchen eine mannweiblieha Vcftus als vollkommenstes
Bild der Naturgottheit bedingt ist"* Aber man ging in der Phantasie noch
weiter: Plinius berichtet von einem Volke, bei dem die Zwitterbildung noch ent-
wickelter war. Es heisst in seiner Naturgeschichte:
• Hinter den NHaamonen, und ihren Nachbarn den Maclilyorn wohnen, wie Calli-
phanes erxühU, die Androgynen, Menseben beiderlei OerchlechU, die sich wecbselweiie
DDt#r einander begatten. Aristoteles fügt noch hinzn^ ihre recJito Brust sei von männlicher,
ihre Hoke von weiblicher Bildung.*
Einen eigenthümlichen Glauben finden wir nach Virc bei den Kabylen
fon Djurjura: Wer des Nachts über einen Begräbnissplatz geht, der hört dort
einen schönen Gesang, Diesem rauss er unwiderstehlich folgen. Er trifft dann
ein kleines, ganz schwarzes, aber sehr hl)bsehei$ Mädchen. Dieses entflieht vor
ihm, zuerst langsam^ dann immer schneller und schneller, und er moaa ihr in
Fi«, lao W^MergQlftHd d««r 2 u 6 i • 1 n il ift d er CA r f tto a ik) f n
a)«rbrait.
t^ichem Tempo folgen. Endlich läuft sie in schnellstem Schritt: ihre Brüste
verlängern sich immer mehr und mehr und sie wirft sie rückwärts über ihre
Schnltern* Dann springt sie plötzlich in einen Graben , und ihr Verfolger stürzt
imversehens nach und bricht sich die Knochen.
Aueh bei den alten Peruanern spielten gagpeiiAtiflche lange Brüst« eine
RoUe. Nach r. TschmJi glaubten diese Indianer an Geister, welche Ilapinunu
hiessen* Dieser Name ist zusammengesetzt aus hapi, ergreifen und luiu, VVeiber-
brüst. Die Gespenst*>r hatten die Gestalt von Weibern mit langen, herabhängenden
Brüsten, Sie flogen nächtlicher Weile durch die Luft and erfassten mit ihren
Brüllten sogar auch Männer, und entführten sie so.
Von den Karaya in Brasilien erzählt Ehrenreich:
,Der Tnentcbi>nirflg«onde Wi^ldjjeist Mapinkuarf. wird oft begleitet von »einer Frau
Patimirw mit nur einer Brust, an*i der «e den W»iiderer mit vergifteter Milch anspritxt."
Die nördlich vom Kaukasus wohnenden Ossetinnen haben die eigen-
Uißmlicbe Ansicht, dass eine üppige Kntwickelung der Brüste bei den jungen
Midcben ein Anzeichen dafiir sei, dass sie mit den G^etzeu der Sittlichkeit in
280 VII. Die Weiberbrust.
Collision gekommen wären. Auf diesen Glauben wird der oben beschriebene
Gebrauch zurückgeführt, dass die Mütter den heranwachsenden Mädchen darch
das in Fig. 174 abgebildete Corset den Brustkorb einschnüren, damit die BrQste
nur ja nicht solche Dimensionen einnehmen, welche die Tochter Terdächtigen
könnten.
Der Zuüi-Staram der Pueblo-Indianer in Arizona fertigt eigenthfim-
liche Thongei^e an, welche die Form einer Weiberbrust nachahmen (Fig. 180).
Sie dienen als Wasserbehälter und werden auf dem Rücken an einem über die
Stirn verlaufenden Bande getragen, damit die Leute bei dem beschwerlichen Auf-
steigen vom Flusse zu ihren Felsenwohnungen die Arme und Beine zum Klimmen
frei haben. Der Name dieser Gefasse ist me he ton ne, worin der Stamm m6
ha na die weibliche Brust enthalten ist. Das Wasser, das in ihnen geholt wird,
ist für den Erwachsenen der Lebenssaft, so wie es für den Neugeborenen die Mutter-
milch ist. Wahrscheinlich hatten diese Gefasse in früherer Zeit ihre Oeffiiung da,
wo die Mammilla ihren Sitz hat. Aus Gründen der Zweckmässigkeit hat man
dann wohl die Ausgussöffnung halsartig auf die oberste Stelle gesetzt. Aber
auch jetzt noch bleibt, wenn die Zuhi-Frau ein solches Gefass in Arbeit hat,
die Spitze der Brustwarze lochformig offen, und erst wenn die ganze Arbeit fertig
ist, schliesst die Frau dieses Loch mit einem besonders eingesetzten ThonpfropfiBn
zu. Dabei muss sie die Ceremonie befolgen, dass sie dieses nur mit abgewendetem
Blicke verrichtet. Auf sein Befragen erhielt Cnshuig^ dem wir diese Nachrichten
verdanken, die Antwort von der Frau, dass es geföhrlich sei hinzusehen, wenn
man das Gefass an dieser Stelle schlösse, denn dann würde man unfruchtbar, oder
wenn man doch Kinder bekäme, so müssten sie in früher Jugend sterben, oder
die Frau, die solches thäte, würde mit Blindheit geschlagen werden, oder wer aas
solchen Gefassen tränke, würde von Krankheit befallen und müsste dahinsiechen.
Cushing fügt hinzu:
«Ich stehe unter dem Eindruck, dass die Zuni-Frau der Meinung ist,
dass wenn sie die Spitze der künstlichen Mamma verschliesst, sie die Ausgnssstelle
für „die Quelle des Lebens*' versperre, und femer, dass wenn Eine das wissent-
lich thäte, sie die Ausiiussöffnung ft)r den Lebensquell in ihrer eigenen Mamma
verschlösse, und dass sie sich so des Vorrechts beraube, ferner noch Kinder zur
Welt zu bringen. Um dieses Verschliessen der Ausiiussstelle für den Quell des
Lebens nicht wissentlich auszuführen, müssen sie den Sinn aus dem Spiele lassen,
welcher zu diesem AVissen nöthig ist.* Darum wenden sie ihre Augen w^.
Georg Ebers sagt von den koptischen Christen im mittelalterlichen
Aegypten:
„Ihre Götterbilder — auch die der weiblichen Verehrungswesen — hatten
nie bezweckt, auf die Sinne zu wirken, wenn auch ihre heidnischen, priesterlichen
Vorgänger bestrebt gewesen waren, die Göttinnen, die in ihrer Vorstellung ab
anmuthige Segenspeuderinnen lebten, mit ebenmässigen Gesichtszügen, oft auch
mit einem Lächeln am Munde, und immer mit jener schönen Rundung des Busens
zu bilden, die den Jungfrauen ihres Volkes besonders eigen war und ist, und die
ihre Dichter, wo es den Zauber weiblicher Schönheit hervorzuheben gidt, neben
der Fülle des Haares, häufiger und höher priesen, als die Wohlgestalt des An-
gesichts. Wird die Göttin Hathor auch die „Schöngesichtige'' genannt, so feiert
man doch die Schönheit ihres Busens besonders. Bei der grossen Procession dieser
Göttin von Dendera zu Edfu bestehen zwei Festacte daraus, dass ihr schöner
Busen entblösst («'up", , geöffnet) und der Menge gezeigt wird."*
^ Ilathor ist stets die Schöne und Gute {ayadt'j\ und als wir zu Catanea
in Sicilien die Brüste der heiligen Agathe in Procession umherfÜhren imd die
wächsernen Frauenbrüste sahen, die ihr geopfert worden waren, mussten wir des
Busens der Hathor^ der Dea bona der Aegypter, gedenken und zugleich dar
'^rfiach ausgesprochenen Vermuthung, dass die heilige Agathe die chnatlialir
282 "^^n. Die Weiberbrust.
Nachfolgerin jener Naturgottheit sei, deren Brüste schon in der Heidenzeit und
zuerst wohl von den Aegyptern als die Segensquellen verehrt wurden, aus denen
die ganze Kreatur Leben und Nahrung empföngt/
Dieses in culturgeschichtlicher Beziehung so wichtige Thema kann ich nicht
verlassen, ohne daran erinnert zu haben, dass auch die Brust der Jungfrau Maria
eine weite Bedeutung gewonnen hat. Dass kleine Proben von der Milch der
Madonna sich unter den Reliquien mehrerer Kirchen, auch bei uns im Norden,
befunden haben, das ist vielleicht allgemeiner bekannt. Aber wenigstens bei uns
im protestantischen Norden mag es wohl weniger zu allgemeiner Kenntniss ge-
kommen sein, dass der heiligen Sage nach auch noch ein Anderer, als das Christus-
Kind selber, die göttliche Mutterbrust gemessen durfte. Das war der heilige
Abt der Cistercienser, Bernhard von Clairvaux^ der im Jahre 1153 gestorben
ist. Wie die Legende zu berichten weiss, ist ihm die Jungfrau Maria erschienen
und hat ihm ihre Brust dargeboten und ihn mit der götÜichen Muttermilch er-
quickt. Diesem Umstände verdankt der Heilige seine honigsQsse Beredsamkeit,
welche ihm das Epitheton Mellifluus eingetragen hat. Hierauf soll der Bienen-
korb anspielen, der gewöhnlich seinem Bilde als Attribut beigegeben wird.
Zwei alte Gemälde des Wallraf-Richartz-Museums in Cöln führen uns
diese wunderbare Milchspendung vor. Beides sind anonyme Bilder des 15. Jahr-
hunderts; dass eine wird als „Kölner Schule*', das andere als von dem «Meister
des Jlfarien-Lebens* herrührend bezeichnet. Dieses letztere giebt Fig. 181 wieder.
Beide Künstler stellen den heiligen Abt mit andächtiger Geberde vor der Mutter
Gottes und dem Christus -ILinie dar. Auf dem erstgenannten Bilde kniet er
vor ihnen mit dem Abtstabe in der Hand; ein schwebender Engel halt eine Krone
über dem Haupte der Madonna, welche den Bambino auf dem Arme trägt. Das
zweite Bild zeigt die Madonna und den Heiligen, bei beiden das Haupt mit
einem Heiligenschein umgeben, in freier Landschaft hinter einer Mauerbrüstnng,
welche ihre Unterkörper verdeckt. Das nackte Christkind sitzt auf einem Kissen
auf dieser Mauer. Auf beiden Bildern hat die Madonna ihre linke strotzende
Mutterbrust entblösst, aber beide Künstler haben es in sehr feinfühlender Weise
vermieden, den Mund des Heiligen in unmittelbare Berührung mit der göttlichen
Brust zu bringen; nur fast unmerklich neigt er ihr den Kopf entgegen. Maria
hat ihre rechte Hand so an die entblösste Brust gelegt, dass die Warze zwischen
dem gespreizten Zeige- und Mittelfinger liegt. So drückt sie sich die Milch aus
der Brust und spritzt sie dem heiligen Bernhard entgegen. Einen sinnigen Zug
haben ferner noch alle beide Maler zum Ausdruck gebracht. Auf dem Bilde des
Meisters des ilfar/en-Lebens legt das Christkind seine linke Hand fest gegen
die Hand der Maria^ um deren spritzenden Druck zu verstärken. Aber noch um
Vieles reizender hat der Maler des anderen Bildes dieses Motiv darzustellen ver-
standen. Während die Madonna von unten her mit dem Daumen der linken
Hand sich die Milch aus der Brust herausdrückt, hat der kleine Heiland beide
Händchen von oben her auf die Mutterbrust gelegt und mit vereinten Kräften
spritzen nun Mutter und Kind einen grossen Milchstrahl gegen den Heiligen.
Auf beiden Bildern nimmt also das Christkind thätigen Antheil an dem Aus-
spritzen der Muttermilch, und somit wird die letztere also dem beglückten Heiligen
nicht allein von der Gottesmutter, sondern auch von dem Gottessohne ge-
spendet. Auf diese Weise fallt für die Maria die Möglichkeit eines Vorwurfs fort,
dass sie über die ihrem göttlichen Säuglinge zukommende Milch zu Gunsten eines
anderen eigenmächtig veAge. Volenti non fit injuria! und da das CAm^M^-Kind
sich ja selber bei dieser göttlichen Spende betheiligt, so drückt es damit auch seine
Zustimmung aus zu dem, was seine heilige Mutter thut.
Zweite Abtheilung.
Das Leben des Weibes.
65. Die Hauptabschnitte in dem Leben des Weibes.
Wir haben in den bisherigen Kapiteln das Weib, um es mit einem Worte
auszudrücken, von dem anatomischen Standpunkte aus in Betracht gezogen. Die
folgenden Abschnitte sollen mehr den Lebenserscheinungen desselben gewidmet
werden. Man kann die gesammte Lebenszeit des Weibes in drei grosse Perioden
eintheilen. Die erste Periode umfasst die Zeit vom Mutterleibe bis zum
Eintritt der geschlechtlichen Reife. Man kann sie auch, wenn auch nicht
mit einer für alle Fälle geltenden Sicherheit, als die Zeit vor dem Geschlechts-
leben bezeichnen. Es darf hier aber nicht vergessen werden, dass, wie wir sehen
werden, der geschlechtliche Verkehr bei nicht wenigen Volkern bereits vor dem
Beginn der geschlechtlichen Reife zu regelmässiger Ausübung zu gelangen pflegt.
Die zweite Periode ist die Zeit der Blüthe, die Zeit des Geschlechtslebens,
d. h. die Zeit von dem Eintritt der Reife bis zu dem Erlöschen der weiblichen
Fortpflanzungsfahigkeit, bis zu dem sogenannten Klimakterium oder dem Abschluss
der Wechseljahre. Dass häufig der geschlechtliche Verkehr weit über diese Grenze
hinaus ausgedehnt wird, das dürfte wohl als bekannt vorausgesetzt werden. So
heisst es in einem Sanskrit-Verse:
«Dieses ist unangemessen und verkehrt, dass die M&nner noch in hohem Alter sogar
Liebeserregungen fQhlen, und ebenso auch dieses, dass bei schönhüftigen Weibern Leben oder
Liebesgenuss nicht mit dem SchlafiPwerden des Busens ihr Ende erreichen.* (BÖhtlinglc.)
Die dritte Periode endlich umfasst die Zeit nach dem Aufhören des
Geschlechtslebens, die Zeit von den klimakterischen Jahren bis zum
Grabe. Es sind diese genannten drei Perioden in Bezug auf ihre zeitliche Aus-
dehnung von einer ganz ausserordentlichen Verschiedenheit nicht allein bei den
verschiedenen Rassen und Nationalitäten, sondern sehr häufig auch bei den weib-
lichen Individuen derselben Völkerschaft.
Wollen wir für die geschilderten Epochen kurze Ausdrücke wählen, so
können wir sie als die Kindheit, die Mannbarkeit und das Alter des
Weibes bezeichnen. Wir werden jetzt das Weib durch alle diese drei wichtigen
Abschnitte seines Lebens zu begleiten haben.
Ich brauche nicht erst zu erwähnen, dass diese drei Hauptabschnitte sehr
wohl noch in Unterabtheilungen zerlegt werden können. So scheidet sich die
Kindheit noch naturgemäss in drei Perioden, in die frühe Kindheit, das Säng-
lingsalter und ungefär die Zeit der ersten Zahnung umfassend, in die Periode
des Zahnwechsels und in das Backfischalter, und in dem letzten Lebensabschnitt
muss man die Zeit des Alterns, d. h. des beginnenden Alters von derjenigen des
vollendeten Alters trennen. Man hat bei manchen Völkern theils im Scherz,
theils im Ernst für die verschiedenen Lebensalter besondere Vergleiche und Be-
zeichnungen erfunden. Auf einem Stich des alten Tobias Stimmer (16. Jahr-
hundert) heisst es:
286 ^^ Leben des Weibes.
X Jar Kindischer art, Ix Jar des Alters schuper,
XX Jar ein Jungfrau zart, Ixx Jar alt Ungestalt,
XXX Jar im hauss die Frau, Ixxx Jar wüst und erkalt,
xl Jar ein Matron genau, xc Jar ein Marterbildt,
1 Jar eine Grossmuter, c Jar das Grab ausfÜUt.
Das Volk von Venezuela hat nach der Angabe von Ernst in Caracas
folgenden Vers:
„Die Mädchen sind von Gold
und die Verheiratheten von Silber;
Die Wittwen sind von Kupfer
Und die Alten von Blech/'
Nach BöhtlingWs Angabe enthält ein Sanskritvers die folgenden Ver-
gleiche :
,Ein unerwachsenes Mädchen gleicht dem Traubensaft, eine Jungfrau dem Zucker, eine
Frau mittleren Alters dem Safte dor Mangofrucht, ein altes Weib einer Gocosnuss."
An einer anderen Stelle der altindischen Gesänge wird von dem Mäd-
chen gesagt:
,Wenn die Menses bei ihr noch nicht erschienen sind, heisst sie Gauri (die ROth-
liche); sind die Menses da, Rohint (die Rothe), ohne Pubes — Kanja (Mädchen); ohne
Urüste — Nagnika (die Nackteinhergehen de)."
Wir finden in einer ähnlichen Angabe des Angira auch die betre£Fenden
Lebensalter aufgezeichnet, auf welche sich die soeben vorgeführten Namen be-
ziehen. Er sagt:
^Die Weiber heissen Gure im 8. Jahr, Rohine im 9. Jahr, Kangkc^ im 10. Jahr, und
nach dem 10. Jahr Majaswala, wo die Frau ihre Regel hat."
Die reichste Nomenclatur für das weibliche Geschlecht finden wir aber, wie
Beauregard angiebt, bei den alten Aegyptern wieder. Mehr als 25 Worte
sollen bei ihnen existiren, um die kleinen Kinder zu bezeichnen. Beauregard
fuhrt nur einige derselben an, und meist ist für die Knaben jedesmal ein fast
gleichlautender Name vorhanden. Erst mit dem fortschreitenden Alter tritt eine
Verschiedenheit in den Bezeichnungen ein.
Der Name mesi für die kleinen Mädchen (mes fQr die Knaben) hängt mit dem Verbum
mes, geboren werden, zusammen und bezeichnet die Neugeborenen. Set<t fSr die Mädchen
{sei für die Knaben) enthält die Wurzel set, Abbild, Aehnlichkeit. «Appliqu^ comme d^
nomination aux jeunes enfants, cette expression me paralt §tre un compliment ä Tadresse des
parents et peut-etre, compar^e a notre expression, exclamative: portrait du papa! portrait de
la mama!" Das Wort nefer-t für die Mädchen (nefer für die Knaben) entspricht ungefähr
unserem «Kleine*. Jetzt fangen die Bezeichnungen für das weibliche und das männliche
Geschlecht an sich zu scheiden; es herrscht ferner keine üebereinstimmung mehr zwischen
ihnen. Das junge Mädchen heisst renen-t. „11 r^pond au mot grec rj na(f>d'tvog et ä notre
mot: jeune demoiselle.*^ Das reife Mädchen hat den Titel hennu, demoiselle ä marier, per-
sonne müre pour la culture. Als Ehefrau heisst das Weib sami-t (s a m symbolisirt die Ver-
einigung). Das Weib als Mutter mät hat vier hieroglyphische Bezeichnungen, in deren einer
die männlichen und weiblichen Genitalien auftreten. Für die Wittwen hat die ägyptische
Sprache drei Ausdrücke; der erste, kenihy bedeutet tiefe, schwarze Trauer; der zweite, c^ar,
wüstes, unbebautes Feld, und der dritte endlich, nennu, hat den Sinn, vom Phallus entwOhnt,
verlassen.
VIII. Das Weib im Mutterleibe.
66. Die Erkenntniss des Geschlechts der Kinder im Matterleibe.
Es ist eine eigenthümliche Erscheinung in der Psychologie der Völker, dass
schon vom Mutterleibe an sich eine üngleichwerthigkeit der beiden Geschlechter
nachweisen lässt, und zwar ist es in der Mehrzahl der Fälle das weibliche, welches
bereits von seiner Geburt an als das minderwerthige betrachtet zu werden pflegt.
Hört man doch selbst in unserem hochcivilisirten Lande nicht selten spöttelnde
Bemerkungen demjenigen zuraunen, welchem ^nur ein Mädchen'' geboren ist.
Wir werden später noch zu erfahren haben, wie wenig Berechtigung einem
solchen Spotte innewohnt, aber es ist wohl eine feststehende Thatsache, dass bei
uns fast durchgehends die Geburt eines Knaben mit grösserer Freude begrüsst
wird, als diejenige eines Mädchens. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn die
in guter Hoffnung sich befindenden Frauen und vor allen Dingen deren kluge
und viel erfahrene Rathgeberinnen schon während der Schwangerschaft bemüht
sind, das Geschlecht des zukünftigen Weltbürgers vorherzusagen. Und bis zu dem
achtzehnten Jahrhunderte hin lebten selbst die Aerzte in dem festen Glauben,
dass sie sich in dem sicheren Besitze solcher Erkennungsmittel befanden.
Schon bei den Aerzten der alten Inder wurde eine frische, helle Gesichts-
farbe als untrügliches Vorzeichen für die bevorstehende Geburt eines Knaben an-
gesehen, auch hatten gewisse Gelüste und Träume ihre ganz bestimmte Vorbe-
deutung. Hingegen deutete nach Susruta^s Ayurvedas ein auf beiden Seiten
gleich hoher Leib auf einen Zwitter (Napunsaka genannt, was eigentlich ein
Nichtmännchen bedeutet), hingegen eine thalähnliche Vertiefung in der Mitte des
Leibes zeigte eine Zwillings Schwangerschaft an.
Sehr eigenthümliche Uebereinstimmungen in den Ansichten finden wir bei
den Juden, den Griechen und den Römern, welche alle drei die rechte Seite
der Schwangeren (wahrscheinlich als die stärkere oder , hitzigere") als diejenige
bezeichnen, aus welcher die Knaben herrühren, während die Mädchen aus der
linken Seite hervorgehen sollten. Und dieser Anschauung entsprechend stellten
sie ihre Diagnose, d. h. sie urtheilten nach den Zeichen rechts oder links am
Auge, aus der früheren und stärkeren Fülle der einen Brust, ans der grösseren
Schwellung der einen Bauchseite, aus der schnelleren und kräftigeren Beweglich-
keit der einen Extremität, aus der Pulsbeschafienheit auf beiden Seiten, aus dem
Niederschlage des Urins auf einer von beiden Seiten des Nacht-Geschirrs (Soranus),
oder auch aus dem Untersinken oder Schwimmen eines Tropfens Blut oder Milch
aus der rechten Seite.
Der Umstand, dass sie innerhalb der Gebärmutter jedem Geschlechte eine
besondere Seite zuweisen, findet seine Erklärung darin, dass sie ihre anatomischen
Kenntnisse, wie oben gesagt wurde, nur von den Schlacht- und Opferthieren her
288 VIII. Das Weib im Mutterleibe.
besassen, und dass die Wiederkäuer einen zweigetheilten zweihörnigen Uterus
besitzen und nicht eine einfache Gebärmutterhohle, wie sie dem Menschen zu-
kommt.
Eine andere Uebereinstimmung finden wir unter den alten Griechen und
Römern darin, dass sie gemeinschaftlich ein gerothetes, blühendes Angesicht der
Schwangeren auf einen Knaben deuteten. Sie meinten ferner, dass sich die Knaben
früher bewegen, als die Mädchen, und dass man die Zeit, in welcher die Kindes-
bewegungen von den Schwangeren gefühlt werden, als diagnostisches Merkmal
benutzen könne. Plinius sagt: eine bessere Gesichtsfarbe und Kindesbewegungen
am 40. Tage deuten auf einen Knaben, das Gegentheil aber, sowie eine leichte
Anschwellung der Schenkel und Leisten, auf ein Mädchen. Den Glauben an diese
Merkmale nahmen auch die Araber an. Nach Rhaees deutet ein voller, runder
und harter Unterleib und eine muntere Gesichtsfarbe auf einen Knaben, aber eine
rothpunktirte Haut auf ein Mädchen; „et si caput mamillae transmutatum faerit
ad rubedinem, pariet masculum, si ad nigredinem, filiam**. Aber auch die rechte
und linke Seite spielen bei Ithaees dieselbe Rolle, wie bei den Griechen. Avi-
cenna meinte gleichfalls, aus verschiedenen Zeichen rechter- und linkerseits das
Geschlecht des Kindes erkennen zu können. Nach Albukasem deutet pnlchritudo
faciei et agilis motus auf einen Knaben, aber demigratio rostri mamillae sinistrae,
discoloratio et maculae faciei auf ein Mädchen.
Ein in Rom geborener jüdischer Dichter, Namens ManoeUOy gab im Jahre
1328 ein Liederbuch heraus, in welchem er als Zeichen, dass eine Schwangere
einen Knaben gebären werde, folgende 8 Merkmale anführt: das Gesicht der
Mutter sieht schön und „ungetrübt** aus; die rechte Brust ist grösser, als die
linke; die Pulse der rechten Hand schlagen stärker; die Adern unter der Zunge
sind rechterseits lebhafter und frischer; die Adern der ganzen rechten Seite sind
zehnfach stärker, als die der linken ; der Warzenhof der rechten Brust ist dunkel,
wie bei einer leichten, kräftigen Kameeistute; das rechte Nasenloch pflegt zu
bluten; der Fötus liegt mehr auf der rechten Seite des Leibes.
Als Mittel, zu erkennen, ob eine Schwangere ein Mädchen oder einen
Knaben haben wird, giebt eine sehr alte, auf dem Blatte eines Bibelcodex
(Leipziger Bibliothek) geschriebene und von Bursian veröffentlichte Recept-
sammlung Folgendes : „Sieh die Brustwarzen an; wenn sie aufwärts stehen, wird's
ein Knabe, wenn abwärts, ein Mädchen ; wenn sie schön gefärbt sind, ein Knabe,
wenn schlecht, ein Mädchen."
In einer deutschen Bearbeitung des Plinius^ aus dem 16. Jahrhundert
lesen wir:
„Die Weiber, so Knäblein tragen, Bollen blase gefärbt seyn, auch leichtlicher gebaren,
und das Kind sich gemeinlich am vierzigsten Tage regen. Mit den Meidlein halte sichs
anders, denn die werden gantz schwerlich getragen und regen sich allererst umb den
neuntzigsten Tag/' Dann heisst es weiter: „Wenn die Seele dem zubereiten Leibe einge-
gossen wirt, so fahnt er an zu leben, und sich in Mutterleibe zu regen und bewegen.'*
Wir erfahren hieraus, dass nach der Ansicht der damaligen Zeit die Mäd-
chen in dem Mutterleibe um beinahe zwei Monate später in den Besitz einer
Seele gelangen, als die Knaben. Vielleicht klingt hier eine Anschauung der tal-
mudischen Aerzte nach. R. Ismael erzählt, dass die Sclavinnen der griechi-
schen Königin Kleopatra^ der Gattin Alexander' s^ wegen eines Majestätsverbrechens
zum Tode verurtheilt und den Weisen zu wissenschaftlichen Untersuchungen über-
lassen wurden. Man Hess 'diese Sclavinnen begatten, tödtete sie zu bestimmter
Zeit und secirte sie. Dabei soll sich dann ergeben haben, dass männliche FrOchte
in einundvierzig Tagen ihre vollständige Entwickelungsreife erreichen, weiblidie
waren dagegen erst in einundachtzig Tagen völlig ausgebildet. (KouMoiubtm
Wir sehen, dass die hier angegebenen Zeiten sich ungeföhr mit denM im
imentators decken.
66. Die Erkenntniss des Geschlechts der Kinder im Matterleibe. 289
In Deutschland, und zwar im Frankenwalde glaubt das Volk, dass
schlechtes Aussehen und besonders kränkliches Befinden in der Schwangerschaft
einen Knaben Aerspreche. (Flügel)
Nach dem Glauben der Pfälzer giebt es ein Mädchen, wenn die Frau
nach der Befruchtung mit dem linken Fusse zuerst aus dem Bette steigt. Im
übrigen Bayern wird ein gelbes, fleckiges Aussehen der Schwangeren för das
sichere Anzeichen genommen, dass sie ein Mädchen trage, und das Gleiche gilt,
wenn in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft die Mittellinie des Unterbauches
nicht dunkel gefärbt ist. (Lammert,)
Man glaubt in Steyermark, dass in Jahren, in denen mehr Aepfel und
Nüsse gerathen, mehr Knaben, in denen hingegen mehr Birnen gedeihen, mehr
Mädchen zur Welt kommen. Man deutet dort Aufregung beim Beischlaf, blühen-
des Aussehen der Frau und energische Kindesbewegungen auf einen Knaben,
bleiche Gesichtsfarbe, insbesondere „ Leberflecke' der Schwangeren auf ein Mäd-
chen. (Fossel.)
Will eine schwangere Frau im Siebenbürger Sachsenlande wissen, ob
sie einen Knaben oder ein Mädchen haben werde, so nimmt sie eines jener Holz-
stäbchen, die auf dem Webstuhl zwischen dem Garn stecken, und reitet darauf
mit zugemachten Augen auf die Gasse. Sieht sie hier zuerst einen Mann, so hat
sie einen Knaben, wenn sie eine Frau erblickt, so ist ein Mädchen zu erwarten (in
St Georgen in Siebenbürgen), (v, Wlislocki,) Der Siebenbürger Zigeu-
nerin, welche wissen will, ob sie in anderen umständen sei und welchen Ge-
schlechtes ihr Kind sein wird, wird Folgendes gerathen:
,,äie nehme ein Ei, giesse den Inhalt desselben, ohne jedoch das Eiweiss vom Dotter
zu trennen, in einen Napf und lasse Wasser aus ihrem Munde hineinträufeln. Schwimmt das
Ei am nächsten Morgen auf d(>r Obei-fläche des Wassers, so ist sie in gesegneten Umständen
und wird, wenn das Dotter vom Eiweiss getrennt herumtreibt, einen Sohn, wenn aber beide
Eibestandtheile vereinigt auf der Oberfläche schwimmen, eine Tochter zur Welt bringen.*'
(V. Wlislocki,)
Auch die Zauberfrau muss hier Auskunft verschaflfen. Das macht dieselbe
mit Hülfe einer glänzenden Zinntafel, in welcher sie, für die Schwangere sichtbar,
das Geschlecht des Kindes erscheinen lässt. (v, Wlislocki,)
Unter den Serben bedeutet die Entzündung der oberen Augenwimpern,
dass die Frau mit einem Knaben, die der unteren, dass sie mit einem Mädchen
schwanger ist. Will eine Serbin, wenn sie schwanger ist, wissen, ob sie einen
Knaben oder ein Mädchen haben wird, so soll sie im Garten zwei gleiche Gras-
halme zur Hälfte abbeissen, so dass sie ganz gleich lang sind, und dann werden
dieselben Abends in die Erde gesteckt, und zugleich die eine Hälfte dem Knaben,
die andere dem Mädchen gewidmet. Morgens früh sieht man nach, welches Ende
grosser geworden ist, ob jenes des Knaben, oder das des Mädchens. Nach der
grösseren Hälfte wird auch das Geschlecht des Kindes bestimmt. (Petrowitsch.)
„Bei den altgläubigen Südslaven wird im Allgemeinen das Schwein« welches als Fest-
braten dienen soll, nach den Weihnachtsfasten geschlachtet und sorgrfältig ausgeweidet. Die
Eingeweide legt man besonders in einen Schäffel, darauf aber beschauen zuerst die Männer,
dann die Frauen mit grösster Aufmerksamkeit die Form des in der Mitte zuriickgebliebenen
ünschlitts und prophezeien daraus, wenn es schlapp ist, dass eine von den jungen Frauen
im Hause ein weibliches, und wenn es aufgeknospet ist, dass sie ein männliches Kind zur
Welt bringen werde." (Krauss^,)
Nach der Angabe von Glück behauptet man in Bosnien und der Her-
cegOTina,
,dan das Kind ein Knabe sein werde, wenn die Schwangere die ersten Bewegungen
der Fmoht nohU yenpürt, wenn der Unterleib mehr in der Breite als nach vom sich ver-
grBwiit tnd wwn die Warzen der Brustdrüsen schwarz werden. Sind alle die Erscheinungen
aieht gmoMiMmA Baüieprftgt und kommt der weibliche Familienrath zu keinem endgültigen
~ ~ die Entscheidung dem ZnfaU. Ohne Wissen der Schwangeren
a.A«fl. L 19
290 ^f'- I^ ^eib im Motterleibe.
v^ri^t<)ckt man unt^ den Poldtdrn cmd an den entgegengesetzten Enden des ^Minden^ eine
Sch^erA and ein Beil; »fdzt nch die Schwangere in der Nähe des Beiles, ao bekommt sie eiaen
KnaheT). im anderen Falle aber ein Mädchen.*'
Hei dem russischen Volke gelten nach Demic folgende Regeln:
,.Wird die Schwangere, wenn man sie fragt, ob es ein Knabe oder ein Mädchen wird,
roth, MO wird en ein Mädchen, wird sie nicht roth, so wird*8 ein Knabe. Beschwerden in
df n drm ersten Monaten denten aaf ein Mädchen (umgekehrt, Knabe). Träamt die Schwangere
7on ein^m F^mnnen oder einer Quelle, so wird*s ein Mädchen, von einem Messer oder Beil,
ein Kna>>e. ^?JhHlamlj Kine vor der Conception blasse Frau, die hinterher roth ist, be-
kommt, einen Knaben. Die „schattige Lanbe'S ein Volksheilbach, sagt, daas die Knaben im
dritten, die Mä'lchen im vierten Monat im Uterus die ersten Bewegungen machen.'^
Ußhf^r den entsprechenden Aberglauben der Ehsten fuhrt Boder an:
,Jn Wierland deutet man einer Schwangeren Träume dahin, dass ein Brunnen oder
^^iiel) die (reburt eines Mädchens, ein Messer oder Beil wiederum einen Knaben bedeute.
Wenn zwei schwangere Weiber zugleich niesen, dann bilden sie sich ein, dass beyde Töchter
liekomnien werden, niesen aber zweene Männer, deren Weiber schwanger seynd, zugleich, so
Solls Söhne bedeuten.'
Kreutzwald bemerkt dazu: „In Wierland hört man vom erwähnten
Weiberniesen gerade das Gegentheil, und zwar stützt man sich dabei auf bib-
lischen Qrund:
Maria und FAmahrAh begrüssen sich, sie werden jede einen Sohn zur Welt bringen.*
Von den Lappen erzählt der alte Scheffer :
„Denn sobald Hio merken, dass das Weib schwanger sey, wollen sie auf diese Weise,
ob sie ein Knäblein oder Mägdlein zur Welt trage, erfahren. Sie betrachten alsofort den
Mond (denn sie halten dafür, die schwangere Weiber seyn dem Monde in vielen gleich), steht
über doiiisolbon ein Stern, so sohliesson sie, es werde ein Knäblein sein, stehet er aber unter
demselben, so werde es ein Mägdlein seyn.*
Auch bei der Hevolkerung Italiens begegnet man auf unserem Gebiete
mancherlei Aberglauben, welcher theilweise, ähnlich wie in Deutschland, die
Nachwirkung der Anschauungen des Alterthums erkennen lässt. So gilt es im
Modenosischen fUr das Zeichen einer späteren Mädchengeburt, wenn sich in den
ersten Monaten der Gravidität bleiche Gesichtsfarbe, fleckige Haut und gastrische
SU)rungen einstellen. Auch wird ein Mädchen geboren werden, wenn der Bauch
der Hohwangeren abgerundet und wenig vorspringend erscheint. (Riccardi) Allerlei
Erkennungszeichen hat man in Unter- Italien in der Provinz Bari nach Karnsio's
Angabe. Will (;ine Schwangere wissen, ob sie einen Knaben oder ein Mädchen
trage, MO muHH sie sich auf die Erde setzen und sicli dann wieder erheben lassen.
Stützt sie sieh dabei links, so wird sie ein Mädchen zur Welt bringen. Auch
eine triichtige Eselin kann iils Orakel dienen, wenn sie von der Schwangeren ge-
ritten wird. Das Kind der letzteren hat das entgengesetzte Geschlecht, wie das
junge PjselsRlllen. Wirlt der Weiberrock rechts und links auf dem Bauche eine
Falte, so wird ein Mädchen geboren werden, hingegen zeigt eine Mittelfalte einen
Knaben an. Wenn in den letzten Monaten der Schwangerschaft die Frau im
Gesichte eine unreine lliiutfarbe und Leberflecke zeigte so ist sie mit einem Mädchen
schwanger. Auch soll die Frau einen Tropfen ihrer Milch auf ein glühendes
Kohlenbecken fallen lassen. Breitet sicli der Milchtropfen aus, so deutet das auf
ein Mädchen, bleibt er konisch, auf einen Knaben. Ganz sicher soll es ein Mädchen
werden, wenn sich schon ungefähr l\0 Tage vor der Xiederkmift Milch in den
Bn'Uten findet; ist das aber erst 10 Tage vorher der Fall, so wird ein Knabe
geboren werden.
Die türkischen Hebammen machen nach Hrnni der Schwangeren HoflFhung
auf einen Knaben, wenn „la face est turgescimte, les joues coloreos et les yeux
brillants* ; sie erwarten aber ein Mädchen, »si la femme est päle, si les yeux sont
ternes, si la physiognomie est triste*. Auch vermögen sie Zv**'^"'
Schäften, welche im Orient durchaus nicht selten vorkomnv ifc
— Wimen Geschicklichkeit zu erkennen und vorherzusagen.
66. Die Erkenntniss des Geschlechts der Kinder im Mutterleibe. 291
Wie diese Völker, so glauben auch die Chinesen im Besitze bestimmter
Merkmale zu sein, die ihnen das Geschlecht des Kindes im Mutterleibe sicher an-
zeigen. Sie befühlen bestimmte Punkte an den Arterien:
.Wenn der Puls am unteren Punkte in der Gegend des rechten Handwurzelgelenks
schlüpfend und strotzend ist, so ist die Frau mit einem Mädchen schwanger." (Hureau.)
Landes sagt von den Annamitinnen:
,0n divine si une femme est enceinte d'un garvon ou d'uno fille en TappoUant et en
tirant des augures du cöte oii eile se toume pour repondre; si eile &e tourne a gauche, eile
aura un garvon, ä droite une fiUe.**
Auf den Philippinen diagnosticiren nach Mallat die Uebammen schon in
einer sehr frühen Periode der Schwangerschaft das Geschlecht des zukünftigen
Kindes. Was sie dabei als Merkmale benutzen, ist aber nicht bekannt geworden.
Nach dem Glauben der Maori auf Neu-Seeland pflegt die Geburt eines
neuen Wesens schon vorher durch Träume angezeigt zu werden. Wenn ein ver-
heiratheter Mann im Traume menschliche Schädel mit Federn verziert erblickt,
so wird ihm damit gewiss ein Kind verheissen. Waren die Federn, welche er
gesehen, vom Kotuku, so wird das Kind ein Knabe, waren es dagegen Federn
vom Huia, so wird das Kind ein Mädchen. (Novara.)
Auch die Insulanerinnen des alfurischen Archipels verstehen es, bei
Schwangerschaften vorherzubestimmen, ob ihnen ein Knabe oder ein Mädchen
geboren werden wird. Auf den Keei- Inseln geben Zaubermittel hierüber den
Aufschluss; auf den Aaru- Inseln sagen es alte Frauen den Schwangeren vorher,
weigern sich aber hartnäckig, ihre Kennzeichen anzugeben. Bei der ersten
Schwangerschaft ist auf den Babar-Inseln der Ehemann verpflichtet, unter der
Assistenz eines Sachverständigen ein Ferkel zu schlachten. Diesem wird das Herz
herausgenommen, und erblickt man beim Aufschneiden desselben eine Ader mit
einer Verdickung, so ist das Kind ein Knabe, und im umgekehrten Falle ein
Mädchen. Lst das Orakel nicht deutlich genug, dann muss noch eine Henne ge-
schlachtet und an deren Herzen die Untersuchung wiederholt werden. Wenn die
schwangeren Weiber auf Leti, Moa und Lakor an der Hinterseite ihrer Schenkel
Schmerzen fühlen, dann werden sie einen Knaben zur Welt bringen. Auf Ambon
und den Uliase- Inseln gilt es als Vorzeichen für eine Knabengeburt, wenn der
Unterbauch der Schwangeren gross ist und sie beim Laufen ihr rechtes Bein
schwer aufzuheben vermag. Ist aber der Oberbauch gross und kann sie ihr linkes
Bein schwer bewegen, dann wird sie ein Mädchen zur Welt bringen. (Riedel^.)
Die Weiber der Orang-Djakun in Malacca warten nach Stevens, wenn
sie schwanger sind, ab, bis sie von einer bestimmten Zahl träumen. Von der
folgenden Nacht an sitzen sie dann so viele Nächte hinter einander auf, als die
Zahl betrug. Eine beliebige Anzahl von Freundinnen leistet ihnen Gesellschaft.
So warten sie auf den Ruf irgend eines Vogels oder eines anderen Thieres. Der
erste derartige Schrei, den sie alle deutlich gehört haben, dient als Orakel für das
Geschlecht des zukünftigen Kindes; kommt er von rechts, so wird es ein Knabe,
kommt er von links, so wird es ein Mädchen. {Bartels'^,)
Was von allen diesen untrüglichen Zeichen zu halten ist, das enthüllte uns
schon mit klaren Worten gegen das Ende des 17. Jahrhunderts der alte Pariser
Geschworenen-Wundarzt Fran^ois Mauriceau:
„Man kann den Weibern ihren Vorwitz und Sehnsucht, indem sie /.u wissen verlangen,
ob sie schwanger oder nit, wohl genug thun. Es finden sich aber ihrer viel, und fast alle, die
da wollen, man sol weiter gehen, und ihnen sagen, ob es mit einem Büblein oder einem Mägdlein
seye, das doch schlechter Dinge unmöglich: obwohl fast keine Hebamme ist, die sich
r(Uimet, solches nicht zu errathen (in Wahrheit wol errathen; aber nicht, zu treffen): denn
wsnn das geschieht, so ist es vielmehr ein gewagter Handel, als einige Wissenschaill, oder
Bedanken, das sie gehabt haben, solches wahrsagen zn kOnnen. Man wird aber offb so hart
D, and angefochten, sein Bedenken hiervon zu sagen, sonderlich von Frauen, die nie
19*
292 Vm. Das Weib im Mutterleibe.
kein Kind gehabt, ja auch von ihren Männern, die nicht weniger vorwitzig: dass man ihnen
jemals Schanden halber auf hupfen muss, so gut man in diesem Fall kann."
Die Barbara Widenmannin^ geschworene Hebamme, und der Zeit Führerin
derselben in des Heiligen Römischen Reichs Stadt Augsburg, schreibt im
Jahre 1735 in ihrer ,, Anweisung christlicher Hebammen*':
,,0b aber eine schwangere Frau mit einem Mägdlein oder Enäblein schwanger gehe,
weiss niemand gewiss, als GOTT allein, der auch in das Verborgene siehet, und fleisäg
darum muss gebetten werden, dass er die beschehrte Leibes -Frucht gnädig erhalte und
zu rechter Zeit die Eltern damit erfreue. Alsdann können sie selber sehen was ihnen he-
schehrt worden.**
Ganz neuerdings (1888) hat Dtipuy der Pariser Soci^te de Biologie ein
Merkmal angegeben, um das Geschlecht des Kindes im Mutterleibe vorherbe-
stimmen zu können, falls es sich nicht um die erste Schwangerschaft handelt
200 Familien mit mehr als 1000 Kindern haben ihm hierzu das Beobachtunge-
material geliefert.
Zu diesem Behufe muss man das Geschlecht des ersten Kindes kennen.
Bezeichnet man den Monat (d. i. den Zwischenraum zwischen zwei Menstruationen),
in welchem das erste Kind concipirt worden ist, mit 1, so wird das nächstfolgende
Kind dasselbe Geschlecht haben, wenn es in einem paaren Monat concipirt wurde,
als im 12., 14., 16. u. s. w., umgekehrt wird das Kind das entgegengesetzte
Geschlecht haben, wenn es in einem unpaaren Monat, also z. B. 11., 13., 15. u. s. w.
concipirt wurde. Es ist mir nicht bekannt geworden, dass diese Art der Geschlechts-
diagnose bereits zu unbestrittenen und untrüglichen Resultaten geführt hätte.
67. Der Terlauf der MSdchengeburten und der Knabengeburten.
Im Alterthum war man davon überzeugt, dass die Mädchengeburten be-
schwerlicher vor sich gehen als die Geburten der Knaben. Man findet bei Aristo-
teles^ bei Plinius und bei Galenus diese Ansicht ausgesprochen. Der Letztere
hat wahrscheinlich angenommen, dass die Knabengeburten deshalb leichter sind,
weil die Knaben sich kräftiger bewegen; denn er sagt:
,,Ma8Culu8 autem in corpore quam femina majorem motum plerumque concitat et faciliiu
paritur, tardius femina.**
Auch in dem babylonischen Talmud findet sich eine ähnliche Anschauung.
Die Rabbiner glaubten nämlich, dass der weibliche Fötus bei der Geburt mehr
Rotation machen müsse, als der männliche, denn die Kinder lägen im Uterus,
so wie die Eltern beim Beischlaf gelegen hätten, also der Knabe mit dem Gesicht
nach unten und das Mädchen mit dem Gesicht nach oben. Diese Drehungen sollen
daran Schuld sein, dass die Schmerzen der Gebärenden bei der Geburt eines Mäd-
chens grösser seien, als bei der eines Knaben.
Man kann aber auch heute noch im Volke häufig dem Glauben begegnen,
dass sich die Mädchen in ihrer angeborenen Schüchternheit nicht so ungenirt aus
dem Mutterleibe herauswagen, wie die Knaben. Wenn daher eine Entbindung
länger auf sich warten lässt, als die Schwangere oder deren weibliche Umgebung
herausgerechnet haben, so wird hierdurch bewiesen, nicht dass die Damen sich in
der Feststellung des Termines verrechnet haben, sondern dass der zukünftige Spröss-
ling ein Mädchen ist, welches sich nicht entschliessen kann, das Licht der Welt
zu erblicken. Die Bayern sind allerdings, wie Lammert berichtet, in diesem
Punkte gerade der entgegengesetzten Meinung. Sie sagen, dass die Geburt eines
Mädchens immer schneller von Statten gehe, weil die Mädchen vorwitziger wären.
Solchen unbegründeten Annahmen gegenüber steht eine hochinteressante
Thatsache, welche sich aus der Sterblichkeits-Statistik der Neugeborenen in allsr
Ländern ergiebt: Es unterliegt keinem Zweifel, dass überall unter den T<
geborenen sich ganz erheblich mehr Knaben befinden als Mädchen. Was i
67. Der Verlauf der Mädchengeburten und der Knabengeburten.
293
Grund f&r diese merkwürdige ErscheinuDg ? Müssen wir in dem Geburtsacte selbst
ftir die Knaben eine grössere Gefahr erblicken als für die Mädchen? Das lässt
sich leider aus der Statistik nicht ersehen, da sich fär die während der Geburt
Gestorbenen in den Mortalitätslisten keine Rubriken finden.
Nach den älteren Beobachtungen von Wappaetis ist das Yerhältniss bei den
Lebendgeborenen = 100 Mädchen: 105,8 Knaben, bei den Todtgeborenen dagegen
100 Mädchen : 140,3 Knaben. Quetdet fand aus Beobachtungen für verschiedene
europäische Länder, vorzugsweise aus den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts,
133,5 todtgeborene Knaben auf 100 todtgeborene Mädchen. Neuere Unter-
suchungen von Bodio ergeben f&r die todtgeborenen Knaben gegenüber 100 todt-
geborenen Mädchen folgende Verhältnisszahlen:.
Italien 140 (Jahre 1865—1875), Deutsches Reich 129 (J. 1872—75), Oesterreich
181 (Cisleithanien J. 1866-1874), Belgien 135 (J. 1865—1874), Holland 126 (J. 1865
bis 1873), Bayern 134 (J. 1865—1875). Nach officiellen Zahlungen ergab sich während der
Jahre 1865—1883 (resp. 1882) ein durchschnittliches Yerhältniss der Todtgeborenen auf 100
Mädchen, die Zahl der Knaben: in Italien 187, Frankreich 145, Preussen 129, Bayern
132, Sachsen 130, Thüringen 125, Württemberg 131, Baden 128, Oesterreich-Cis-
leith. 181, Belgien 184, Holland 128, Schweden 134, Norwegen 129, Dänemark ISO.
Es ist wohl nicht ohne Interesse, ausser den relativen auch die wirklichen
Zahlen kennen zu lernen.
Todtgeborene.
Land
■I
Zeit
Knaben
Mädchen
Italien 1865—1883
Frankreich 1865—1882
Preussen i 1865-1883
Bayern ,
Sachsen || , ,
Thüringen ' , ,
Württemberg j 1871—1882
Baden '1 1865—1883
Elsass-Lothringen ,; 1872—1882
Oesterreich H 1865—1883
Ungarn „ 1876—1882
Kroatien und Slavonien \ 1874—1882
Schweiz l 1870—1883
Belgien II 1865—1883
Holland i 1865—1882
Schweden i| ^ ,
Norwegen ; , ,
Dänemark !l « »
Spanien j 1865—1870
Rumänien '! 1870—1882
Russland (europäisches)
Finnland
Massachusetts
Vermont
Connecticut
Rhode Island
1875—1878 ,
1878—1882 1
1870—1881 ,
1873-1876
1881-1882 :
1875—1883
Berlin " 1881—1893 i
301687
473204
455633
76916
52391
15521
21255
20203
13706
213466
35072
4954
29598
85358
73798
42991
20601
20613
22085
19730
10704
6016
8777
424
412
1246
12278
229478
329234
338323
56325
40205
12442
16228
15306
11540
163381
27505
8737
22141
57896
32210
15963
15814
14698
15014
8352
4621
5928
292
273
781
9644
Wenn es nun auch unter diesen Culturlandem mit verschiedener Nationa-
litat Unterschiede giebt, so sind dieselben doch nicht so bedeutend, um aus
ihnen bestimmte Schlüsse ziehen zu dürfen; nur ist es auffallend, dass sich der
KnabenüberschusB der Todtgeborenen in den beiden LSndem romanischer Zunge,
in Italien und Frankreieh, so hoeh erhebt, wie in keinem der übrigen Lander.
Doeh wer in fiMMn^M» il« Yereinigten Btst^ten Nord- Amerikas derselbe
u 4t 1870— : 148).
294 VIII. Das Weib im Mutterleibe.
Warum mehr Knaben bei der Gebart zu Grunde gehen, haben viele Forscher
zu ergründen gesucht; ich nenne hier Clarke^ Simpson^ Caspar^ Veit, Breslau^
MecJcel^ Olshausen und Ploss^. Nach Clarke und Anderen ist das mittlere Gewicht
der neugeborenen Knaben grösser als das der Mädchen, auch hat der Schädel der
Letzteren einen kleineren Umfang als der der Knaben. Olshausen maass die Schädel
von je 500 Mädchen und 500 Knaben; dabei fand er nur eine durchschnittliche
Differenz des grossten Querdurcfamessers von noch nicht 1 mm. Er halt es aber
für unwahrscheinlich, dass sich hiermit die Differenz des GeschlechtsverhältnisseB
bei den Todtgburten erklären lasse; wahrscheinlich sei, dass rhachitische Frauen
mit engem Becken häufiger als gesunde Weiber Knaben produciren. Er hat ans
6 Kliniken die Geburten bei engem Becken je nach dem Geschlechtsyerhältniss
der Neugeborenen berechnet. Das Ergebniss war hier 310 Knaben zu 211 Mädchen,
also 100 Mädchen: 150 Knaben. Es wird, wie Olshausen selbst bemerkt, freilich
eingeworfen werden, dass die Knabengeburten als die durchschnittlich schwereren
mehr zur Kenntniss des Arztes kommen als die relativ leichteren Mädchengeburten.
Allein immerhin ist es nicht unwichtig, weiter zu untersuchen, ob rhachitische
Frauen einen so bedeutenden Knabenüberschuss erzeugen, wie durch diese vor-
läufige Statistik wahrscheinlich wird.
MecJcel hatte den Versuch gemacht, die Thatsache, dass Knaben beim Ge-
burtsact häufiger sterben, als Mädchen, dadurch zu erklären, dass die Knaben sich
lebhafter bewegen und deshalb häufig Veranlassung zur Drehung der Nabelschnur,
zur Hemmung des Kreislaufes und dadurch zu dem Absterben bieten. Fernere
genaue Beobachtungen werden auch hier vielleicht Klarheit schaffen.
IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtlichen
Unreife oder die Kindheit des Weibes.
68. Die Anfhahme des Mädchens nach der Geburt.
Es wurde bereits weiter oben darauf aufmerksam gemacht, dass bei sehr
vielen Volkerschaften die Geburt einer Tochter mit sehr geringer Freude begrüsst
wird, und es geht das so weit, dass dieselbe geradezu als eine Schande und ein
Unglück angesehen werden kann.
So haben die Uiguren, welche zu den mittelasiatischen Türken ge-
hören, die folgenden Verse:
, Besser wenn eine Tochter nicht geboren oder nicht am Leben bleibt.
Wird sie geboren, so ist es besser, wenn unter der Erde,
Wenn das Todtenmahl mit der Geburt vereint." (Vambery,)
Auch der Kirgise sagt:
„Bewahre nicht lange das Salz, denn es wird zu Wasser; bewahre nicht lange die
Tochter, denn sie wird zur Sclavin.
Die Ossetin wird zur Entbindung in die Heimath gesendet und kehrt mit
leeren Händen zu ihrem Gatten zurück, wenn sie eine Tochter geboren hat. Ist
sie aber von einem Knaben entbunden worden, dann bringt sie ihrem Ehemanne
für die günstige Befruchtung reiche Geschenke mit.
Eine Georgierin, die nur von Töchtern Mutter wird, wagt es kaum, vor
Menschen sich sehen zu lassen; bei der Geburt eines Knaben aber giebt es fast
überall grossen Jubel. (Bodenstedt.)
Im Koran findet sich die Stelle:
„HOrt der Araber, dass ihm eine Tochter geboren worden ist, so f&rbt die Traurigkeit
sein Angesicht schwarz; diese Nachricht dQnkt ihm ein so schmähliches Uebel, dass er sich
vor keinem Menschen sehen lässt, und er ist zweifelhaft, ob er die ihm geborene Tochter zu
seiner Unehre behalten, oder ob er sie in die Erde scharren soll."
Auch von den Montenegrinern wird die Geburt einer Tochter beinahe
als ein Unglück, mindestens aber als eine grosse Enttäuschung angesehen; selbst
in den höchsten Kreisen findet sich diese merkwürdige Ansicht. Ist eine Tochter
geboren, so stellt sich der Vater auf die Schwelle des Hauses und senkt die
Augen, gleichsam um seine Nachbarn und Freunde um Verzeihung zu bitten;
wird mdirere Male hinter einander eine Tochter geboren, statt eines Erben und
zukünftigen Soldaten, so muss die Mutter, die ihrem Manne nur Töchter geschenkt
httti nach dem Volksglauben sieben Priester susammenrufen, welche Oel weihen
und QndMminiiain, sowie die Schwelle des Haiises fortnehmen und durch eine
A das am Hoehssitrtsg duieh böse Mächte behexte Haus
lier, wenn ein Knabe geboren
21^0 J X. Dzk Weib w&hrend der Zeil der pefrcidecbil Unmfe oder du Eindhat des Weibe».
w';rde: von fa^t t-oller Freude erdröhnt da» gmzize Haus: der Tisch wird g«dedi±.
Tji.d bald i^ammelii sieb um ilm alle BekacLten des Hanses und bringeo den Eltern
ihrK Gl tick wünsche dar. darunter anch einen sehr merkvrürdigeD. da* zugleich das
krie;?eri^cLe Leben diese? Volkes kennzeichnen nämlich den Wunsch, dias der
Neu;^eborerie nicht in seinem Bette sterben möge.
In Bosnien ^ind eben&Us Knaben aberall erwünschter,, als MadcheiL, und
wfrDL eine Frau eine Tochter geboren hat, so geht sie irgend einen Geistlichen«
ohne Unterschied der Conffösios. um seinen Segen an. um sich für künftig Knaben
zu «icbem. Hilft da? nicht, .so begiebt sie sich auf eine Wiese, wobei sie ein
ilieosendes Walser passiren muss. Auf der Wiese angelangt, benetzt sie ihren
Unterleib mit dem Than. nimmt etwas Gras, steckt es in den Bnsen nnd sagt
dabei folger-den Spruch :
Wie^lein, -ei bei Gort mir Schwegieriein Wahlschvester)
raein tei -iÄ* Deine, Dein sei das meine, — ^
mir -ei ein SoLn und Dir ^i Hea." ^Milena MrasovicJ
Auch bei dem modenesischen Landvolke sind nach Riccardi die Mädchen-
geburten nicht äehr ange»elieu.
Unter den Conibos. welche in Süd- Amerika am Ucayale wohnen, ist
dem Vater die Geburt eines Mädchens so gleichgültig, ja sogar so widerwärtig,
dasB er, wenn man ihm dieselbe meldet, sein Moskitonetz anspeit : dagegen schlägt
i:r vor Freuden mit dem Bogen auf die Erde, wenn ein Knabe zur Welt ge-
kommen iüt. und sagt der Mutter freundliche Worte. Wenn diese nach der Ge-
burt eine» Mädchens vom Flusse zurückkommt, in welchem sie sich nnd das kleine
Geschöpf gewaschen hat, senkt sie beim Eintreten in die Hütte den Kopf und ist
so beschämt, dass .sie kein Wort spricht. fMurcoyj
Wie bei fa.st allen Völkern Asiens, so ist insbesondere bei den alten sowohl
als auch bei den jetzigen Chinesen die Geburt einer Tochter ein wenig erfreu-
liches Ereigniss. Den Grund hierfür erfahren wir durch Hein:
rln China und Japan gab und giebt es wegen des Ahnencultus kaum ein grosseres
CnglQck für deu Familienvater, als keinen Sohn zu haben, da es dann an jemand fehlte, den
Vorfahren Opfer zu bringen, damit dieselben in der Unterwelt nicht ewiglich hungern und
•lijr-ilen iiiü8»ien.^
Bei manchen Nationen wird diesem Unbehagen über die Gebart der Tochter
aber nur ein >?tumrner Ausdruck gegeben, d. h. dieselbe wird gleichgültig und
ohne äussere Zeichen der Freude mit Stillschweigen übergangen, während bei der
Gehurt eines Knaben sehr grosse, oft mehrere Tage andauernde Feste veranstaltet
werden. So finden wir es bei den Arabern in Algerien, so bei den Uiguren
in Mittel-Asien, so bei den Chewsuren (Radde) und so bei den Sarten in
Taschkent nnd Chokan.
Auch von den Fiji-Insulanem sagt Blyth: „Abgesehen von den hohen Ständen
wird die Geburt eines Mädchens mit grosser Gleichgültigkeit aufgenommen, wäh-
rend die Geburt eines Knaben Veranlassung zu nicht endendem Jubel giebt ^
Sf) zeigt sich auch bei den Niassern das geringere Ansehen der Mädchen-
gebiirten darin, dass sie, wie Modigliani berichtet, einen besonderen Götzen, den
Adif Luiviru besitzen, welcher bei der Eheschliessung angerufen wird, dass er der
Frau eine stete Gesundheit und männliche Nachkommenschaft verleihe.
Sehr interessant ist es, zu sehen, wie sich die Miuderwerthigkeit des weib-
lif^hen (leschlechts sogar in gewissen rituellen Vorschriften widerspiegelt, welchen
sich (lii* Mutter nach der Entbindung zu unterziehen verpflichtet ist, und welche
verNchieden sind, je nachdem ein Mädchen oder ein Knabe geboren wurde. Wenn
eine Crih-Indianerin einen Knaben geboren hat, so muss sie zwei, nach dar
Geburt eines Mädchens aber drei Monate lang von ihrem Manne getrennt M
(Richardsofi.J
Die Anfbahnie des Mädchezi» nach der Geburt.
297
Aelinliehe Uuterschiede in Bexug auf das Geschlecht des Kindes Anden wir
aoch hereiid in den Reinigungsgeflet?.en der alten Israeliten:
Beliaiintlich »teilte Mose^ (IIL 12) fest: ^Wenn ein Weib besamet wird, und gebierst
ein Knäblein, so boII sie deben Tage unrein eeiu, so lÄOge sie ihre Krankheit leidet und
am achten Tage soll man daa Fleisch seiner Vorbaut beschneiden. Und sie aoll daheim bleiben
33 Ta^e im Blute ihrer Reinigung, Kein Heiliges solle sie anrühren, und zum Reiligthum
I ioU sie nicht kommen, bis dass die Tage ihrer Reinigung aus sind. Gebieret sie aber ein
hlädchen, so soll sie zwei Wochen lang unrein geio, so lange sie ihre Krankheit leidet^ und
toU 66 Tage daheim bleiben^ in dem Blute ihrer Reinigung.*
Die Geburt eines Mädchens machte eine Israelitin also gerade doppelt ho
[lange unrein, als die eines Knaben.
Die Griechen hatten ebenfalls eine ungleiche Zeitdauer der Unreinheit bei
[den Knaben- und den Mädcbengeburten. llippokrates sucht sie medicinisch zu
iaren. Weil nämlich bei der Bildongr tles Fötus die
,_JlderuDg der Glieder im weiblichen Kinde 42, im männ-
Bchen hingegen 30 Tage in Anspruch nimmt, so sei auch
dementsprechend nach der Geburt eine« Mädchens der Wocben-
fluss ein längerer.
Die Römer musöten ftlr eine neugeborene Tochter
leinen Quadrans, Itir einen Knaben einen Sextans in dem
Tempel der Juno befahlen.
Tage nach der Ge-
Bad, und lässt sich
schütten, wenn der
■*i n i-/
In Ober-Aegypten geht am 40.
burt die Mutter mit dem Kinde in das
vierzig Wasserbecher über das Flaupt
[Sprösslingt den sie geboren, ein Knabe, und neununddreissig
Iwenn es ein Mädchen ist Dann erst sind Mutter und Kind
rein, (Klun^mfjerJ
Auch in Deutschland lässt sich hier und da er-
anen, dass man das männliche Geschlecht hoher schätzt
als das weibliche. So wird in der Schweiz (Schaff-
^ hausen) die Nachricht von der Geburt eines Kindes durcb
1 ein Mädchen den Nachbarn mitgetheilt, wobei sie einen
groflsen Blunienntrauss auf der Brust trägt; ist aber das Neu-
.geborene ein Knabe, so hat sie noch einen zweiten, umfang-
reicheren in der Uand. Auch war ehemals nach Bhoitschlfs
tZilr icher Itechtsgeachichte verordnet, dass der V^ater bei
[der Gebart eine^* Mädchens ein Fuder llolz bekomme, bei
fder Geburt eines Knaben aber zwei Fuder.
Im Etschthale in Tyrol wird, wenn den Hirten in
den Sennhütten ein Kind geboren wird, das Familienereigniss
den über den Bergen entfernt wohnenden Nachbarn durch
Flinten-schÜsse kund gethan ; der erste Schuss ruft die Hörer
wach, die Anzahl der übrigen Büchsenschiiase thut zu wissen,
ob sie die Ankunft eines Knaben oder eines Mädchens mit-
Ifeieni sollen. Wem käme hierbei nicht die merkwürdige
[Ceremonie in die Erinnerung, dem Volke durch Kanonen-
Iscbtlase die glückliche Entbindung einer Prinzessin oder Koni-
aüÄUzeigen? Bekanntlich bedeuten hier 101 Schuss die
^ort eines Prinzen, während eine neugeborene Prinzessin ^^Jl^g^'b'ö^^'jjf h^i^
eil mit 35 ScbU8sen begnügen muss. (orm. (Kacji photognipiu«.)
Auch bei den Annamiten treffen wir in bestimmten
[Gebniuchen auf gewisse UugleichmäsHigkeiten des Verhaltens, je nachdem eiJt
lAtädchv ' ' * ^e zur Welt gekommen ist. Landes berichtet darüber:
,i \m qui snivent la naisiunce d'an garyo^i 1^ i^^af joura qui euivent
ilWt^ ii i u(»uant avec 1e ploa grand i^oin de proooncer, daaa la maison^ les mot«
Fig. 182. M
im Baekitoobmiter. im nv^
dl am der erftan Eoiwirke»
lang der Piimvr-IIamin* mit
208 I^- ^A8 Weib während der Zeit der geschlechtl. Unreife oder die Kindheit des Weibes.
<1p inort, de maladie, les noms des maladies qni peuvent affecter Tenfance, et plus pariicali^re-
nient celui du moguet (den khoa), ainsi nomnie parce qu*il est comme une sermre (khoa}
zni80 ä ]a gorge du nouveau ne. Le senl mot de khod et consid^rä comme foneste. L*oo
ne fait pas de friture dans la maison, cela donnerait des ampooles ä la m^re et ä Tenfant.*'
Und an dem £nde des Wochenbettes tritt noch einmal bei der Annamitin
ein Unterschied, je nach dem Geschlecht des Neugeborenen, zu Tage. Landes sagt:
,,Un jour avant la fin du premier mois pour les gar9ons et deux joars ponr les filles,
on fait un Bocond sacrifice aux d^esses des accouchements/*
Bei den Omaha-Indianern freut sich jedoch der Vater über die Geburt
eines Knaben ebenso sehr, als über diejenige eines Mädchens, und die letzteren
pilegen sogar eine bessere Behandlung zu geniessen, da sie ja doch nicht selbst
fiir sich sorgen können. (Dorsey.)
Aehnlich ist es bei den Ovaherero im südwestlichen Afrika, von wdchoi
I7^A<? berichtet:
„Die Geburt eines Kindes erregt grosse Freude auf der Onganda (Dorf). Ist ein Sohn
in den meisten Fällen auch willkommener als eine Tochter, so freuen sich die Eltern doch
auch über die Geburt der Letzteren und zwar nicht etwa wegen des Preises, den der Vater
später von seinem künftigen Schwiegersöhne zu erwarten hat, denn dem Vater einer Braut
]»Hßgt die Hochzoit ebensoviel zu kosten, als der sogenannte Kaufpreis betrifft. Sobald das
Kind das Liebt d(?r Weit erblickt hat, tritt eine Frau in die Thür des Hauses und giebt
Kunde von dem frohen Ereigniss. Ist ein Knabe geboren, so ruft sie: Okauta (ein Bogen)!
iHt es ein Mädchen, so lautet ihr Ruf: Okaseu (ein Zwiebelchen)! Damit deutet sie den
künftigen Iteruf der Neugeborenen an Auf den Ruf Okauta antwortet der Vater mit
langgedehntem ,eh* als Ausidruck freudiger Zustimmung; hat dagegen die Frau O käsen
gerufen, so liisst er ein ebenso langes ,.ih" hören, womit er seine einfache Zufriedenheit
ausdrückt.*'
Aber wir begegnen auch solchen Volksstämmen, bei welchen die Cteburt
einer Tochter geradezu als ein viel erfreulicheres Ereigniss begrüsst wird, als eine
Knabengeburt, lioflt berichtet nach Lote, dass bei den See-Dajaken von Borneo
die Mädchen nicht mit geringerer Liebe und Sorgfalt behandelt werden, als die
Knaben, ja dass sie in ihren Gebeten sogar in erster Linie um Mädchen bitten,
die ihnen fast ebenso nützlich .sind als Söhne. Wenn bei den Bewohnern der
A ru-lnseln im malayischen Archipel eine Frau eine Tochter zur Welt bringt,
so entsteht grosse Freude, weil, wenn sich dieselbe später verheirathet, die Eltern
einen Brautpreis empfangen, von dem auch alle diejenigen, welche bei der Geburt
anwesend waren, einen gewissen Theil bekommen. Man feiert dann ein Fest, wo-
hc\ ein Schwein gesohlachtet und eine ungeheuere Menge Arac getrunken wird.
Die Geburt eines Sohnes wird mit Gleichgültigkeit entgegengenommen. Die Gäste
begeben sich dann traurig und enttäuscht nach Hause, und der armen Mutter
wird Otters noch vorgeworfen, dass sie keiner Tochter djis Leben geschenkt.
Ein Mädchen wird gewöhnlich bei ihrer GeV>urt schon verlobt und die Grosse
des Brautschatzes gleichzeitig bestimmt, (r, Rosifibfiy,) Die Neuseeländer
Maoris treuen sich ebenfalls über die Geburt einer Tochter mehr, als über die-
jenige eines Sohnes. (Colmsftnj
Auch in Afrika tinden wir Aehnliehes wieder, so namentlich bei den
.Mumbo, und bei den Kaffern- und llottentottenstämmen. Denn hier reprä-
>entirt jede Tochter einen Zuwachs des Vermögens, da sie derein>t tur Rinder
von dem Freier dem Vater abgekauft werden muss. ,le mehr Töchter ein Mann
}>esitzt, desto mehr Rinder stehen ihm in Aussicht, und hierin beruht ihr grosster
Reichthuni.
Aber selbst bis zum Extreme sehen wir die BeTorzugung der Mädchen*
geburten vor denjenigen der Knaben bei den Hojah in /* " "V^ebildet, Ton
denen uns im Mittelalter Magrisi berichtet. Bei ihnen ' dn Weibern
die Lanzen gefertigt an einem Orte, wo kein Mann wohn« mh durfte,
aiiaaer um sich L^zen zu kaufen. Wurde nun eine di fem Ki»
69. Die Mädcbentödtung. 299
(eines dieser Lanzenkäufer) entbanden, so tödtete sie es, wenn es männlichen, und
sie liess es leben, wenn es weiblichen Geschlechtes war. {Uartmannr*,) Wir werden
einer ähnlichen Erscheinung später bei einer gewissen Gruppe der Agni in West-
Afrika begegnen.
69. Die Mädehentodtnng.
Die grosse Missstimmung, welche die Geburt einer Tochter hervorruft, geht
bei einigen Nationen so weit, dass sie bemüht sind, diesen unliebsamen Zuwachs
ihrer Familie so schnell wie nur irgend möglich wieder los zu werden. Da ist
denn der allersicherste Weg zur Erreichung dieses Endzweckes, dass das unglück-
liche kleine Mädchen umgebracht wird.
So erzählt Ilauri^ dass die alten Araber der vorislamitischen Zeit die
Gewohnheit hatten, die neugeborenen Mädchen lebendig zu begraben. Auch unter
den Hindu ist nach Mantegazza^ die Tödtung der Töchter gleich nach der Ge-
burt weit verbreitet, und als die Europäer ihnen wegen ihrer Grausamkeit Vor-
würfe machten, so antworteten sie: Bezahlt nur die Mitgift für unsere Töchter
und wir werden sie leben lassen.
Böhtlhigh schildert das Loos der indischen Weiber als ein sehr trauriges,
und er hält es für wohl begreiflich, dass dieselben ihre Töchter dem Tode in den
heiligen Strömen preisgeben, um ihnen ein gleiches Geschick zu ersparen.
Die Tödtung der neugeborenen Mädchen herrscht auch noch in anderen Erd-
theilen. Scldiephake betrachtet sie bei den Cumberland-Eskimos für einen
Hauptfactor dafür, dass diese Stämme so wenig zahlreich wären.
Nach Eitel ist bei den Hok-lo, den Hak-ka und den Pun-ti, drei in
der chinesischen Provinz Canton wohnenden Stämmen, die Tödtung der neu-
geborenen Mädchen gebräuchlich. Er sagt darüber:
,0n peut dire que le menrtre des enfants da eexe feminin est la regle generale chez
les Hok-lo, et surtout chez les Hak-ka des classes agricoles. La clasae instniite n'est pas
aasez nombreuse, meme parmi les Hak-ka, pour exercer une salatairo inflaence sur une cou-
tnine qui a enfonce depnis des siecles les plus profondes racinos dans le coeur de toas les
individus.**
,La moyenne des filles tuees imm^diatemcnt apres leur naissance est evaluee par les
Hak-ka enz-memes a peii prt»8 aax denx tiers. Dans un petit village oii Tauteur a vecu
pendant plusieurs annöeK, une enquete habilement conduite, avec Tassistance de quelques
chr^tiennes, ötablit que, sans aucune exception, toutes les femmes de ce village qui avaient
donn^ le joor a plus de deux enfants en avaient au moins tue un.*^
,Le menrtre des filles est d'usage constant sur les frontieres du Tonkin, parmi les
populations Hak-ka et Pun-ti, et meme dans certains centres chinois de la province de
Quang-yen comme A-koi. Les parents tuent leurs enfants du sexe feminin pour la simple
raison que les filles sont couteuses et ne travaillent pas comme les garyons. La mort est
donn^e a ces petits etres, apres leur naissance, par immersion dans le vase ou Ton jette toutes
les ordures et les dejections de la maison, et que possede la plus miserable case chinois e."
yQuand une femme accouche successivement de plusieurs filles, la famille croit etre sous
Fobsession d'un diable, la fiUe qui vient au monde etant consider^e comme une incamation
de ce diable, les parents se livrent ä une s^rie d'exorcismes, et le pere tue l'enfant a conps
de pieds ou de pierre, ou bien encore il lui prise la tC^te contre la muraille, avec force im-
pr^cations et blasphemes, s'efforvant ainsi d'6pouvanter le mauvais esprit pour Tempecher de
revenir s'incamer ä nouveau.**
Auch bei den Athapasken- Indianern im Osten der Felsengebirge war
es bis zur Ankunft der Missionare sehr gebräuchlich, die Tochter gleich nach
ihrer Geburt auszusetzen oder zu erwürgen, (v. Hellwald.)
Die weiteste Verbreitung scheint die Mädehentodtnng noch in Oceanien
luiben und iwar sowohl auf dem Festlande von Australien, als auch auf
';^()() f X . DaB Weib w&hrend der Zeit der geachlechtl. Unreife oder die Kindheit des Weibes.
einzelnen Inselgruppen. Von den Australierinnen berichtet MüUer^, dasa sie
nidit .selten ihre neugeborenen Kinder, namentlich aber die Töchter ambriogeD,
weil es ihnen in ihrer übergrossen Dürftigkeit an Mitteln fehlt, sie zu emahien.
Die Papua-Weiber von Neu-6uinea sollen den Neugeborenen, besonders den
Mädchen, sogleich nach der Geburt den Kopf nach vom überbiegen, so dass dem
kleinen Erdenbürger hierdurch das Genick gebrochen wird. Die Noeforezen
erHticken bisweilen die neugeborene Tochter dadurch, dass sie ihr den Mund und
die NaHO mit Asche vollstopfen. Von den Salomon-Insulanerinnen schreibt
I*JUo7i Folgendes:
^Aiif dor Innel irgi und bei der Strandbevölkerung von San Christobal ist es eine
gcwöhnlicbo Sache, die Kinder bei ihrer Geburt zu tödten, indem man sie in ein £rdloch
forn von ihren Wohnungen eingräbt ; die Mutter lägst das Kind in das Loch fallen und deckt
dasselbe sofort zu. Sie sagen, dass das Aufziehen eines
Kindes zu viel Umstände verursache. Sie ziehen es vor, ein
herangewachsenes Kind fQr einheimisches Geld von der Bosch-
bevölkorung zu kaufen, welche ihre Kinder als den einzigen
Gegenstand hat, den sie den Strandleuten verkaufen kann.
Auf den anderen Inseln der Salomon- Gruppe kommt
Kindermord nicht vor, einzig nur in dem besonderen Falles
wenn das Kind ein Bastard ist.*^
Von Neu-Caledonien berichtet Moncelon:
«LMnfanticide est commun de la part de la märe sur
ua fiUe, plus rare sur le gar^on, parce que le päre veille
sur lui. Cela tient a ce que la femme se sent trop retenue
^ la case par les soins maternels et ne peut assez facile-
ment, pondant Tallaitement, courir los pilous et les fi&tes.*
Aber ausnahmsweise finden sich auch die um-
gekehrten Anschauungen. So hat auf den Banks-
und Fiji-Inseln, wo nach Eckardt oft schon eine
Beleidigung von Seiten des Mannes, oder der eitle
Wunsch, lange Zeit jung zu erscheinen, das Weib
veranlasst, ihr Kind umzubringen, ein Mädchen stets
eine grössere Aussicht, am Leben erhalten zu bleiben,
weil es als die Stammhalterin der Familie ange-
sehen wird.
Wir finden also eine Ungleichwerthigkeit der
beiden Geschlechter und eine Verschiedenheit in der
Stellung, welche sie in ihrer Familie einnehmen,
schon von dem Mutterleibe an bestehend. Das ist
auch bei solchen Völkern nachweisbar, wo sonst im
übrigen das weibliche Geschlecht niclit als das minder-
Aber wir haben ja auch gesehen, dass es mehrere Volks-
stänime giebt, die von Kindesbeinen an das Mädchen höher schätzen als den
Knaben. Allerdings tritt hier meistens das Woib, nachdem es den Lebensgefährten
gefunden hat, wieder in die untergeordnete Stellung zurück.
KiR. IX^. Fji^hl-Lupuen -Mild «hon
vom Altcnfjovil tNorwegen^ im
liacktlsohultiT 0''<TitHroalt). mit fcrtiR
ontwickoltor Trimiir-Mumma und
»oheibfuformigi'U lirust warzenhiifeii mit
prominoiitiMi DruMw&rxi'ii.
^Nach rhotot^raphio )
werthige l)otracht«»t wird.
70. Das Leben des weiblichen Kindes.
Wir finden, abgesehen von denjenigen Gebräuchen,
vorhergehenden Abschnitten ihre Besprechung gefunden k
in dor allerersten Kindheit in dem Leben des Knaben w
jenigen der Mädchen. Allerding« behauptet der japani
gauNk: «In dem Moment, wo r ^" 4 geboren ist und
lena gelangt, legt sich da Kind auf den
in den beiden
lar wenig, was
% ab in dem-
mil
70. Daa Leben des weibHclieQ Kinde».
301
auf den Rücken,*' Aber die Kinder der übrigen Nationen pflegen sich dieser Sitte
nicht zn flogen. Alle die vielffti'ben und von Heinrich Ploss in seinem Werke
^Das Kind in Brauch und Sitte der Volker* ausführlich besprochenen Ge-
brauche der Lagerung^ Salbung, Waschung, Pflege und ErDährnng u. a. w. pflegen
bei beiden Geschlechtern die gleichen zn sein. Nur aus dem Östlichen Australien
berichten THrnhull, Ilnnfer und Andere, dass man an der linken Hand der Mädchen
bald nach der Geburt eine besondere Operation vornimmt. Durch Abbindung
oder wirkliche Amputatirm trennt man vom kleinen Finger
ein oder manchmal auch iwel Glieder ab und viürft sie
in das Meer. Das Mädchen soll durch diese Procedur im
Fischfang glücklich werden. Auch daa Bandagiren und
Verunstalten der Fusschen bei den kleinen Chinesinnen
muss ich altj eine nur das weibliche Kind betreffende
Sitte hier noch einmal iu Erinnerung bringen. Im übrigen
verläuft wohl bei den beiden Geschlechfeern in den ersten
Jahren das Leben gleichartig. Aber bei fernerem Heran-
■wachsen macht sich dann bald in dem Kinderspiele die
Trennung der Geschlechter iu charakteristischer Weise be-
merkbar. Denn für gew^öhnlich sind die Spiele der Kinder
ja nur ein Widerschein von der Thätigkeit der Eltern, und
so erscheint es uns ganz natürlich, dass die Knaben mehr
das Ge bah reu der Männer, die Mädchen dagegen mehr
die Verrichtungen der Weiber nachzuahmen bestrebt sind.
Gewisse mehr oder weniger feierliche Handlungen unter-
brechen das einförmige Leben des kleinen Mädchens, z. B»
das Stechen der Ohr-, Nasen- und Lip]>enlöcher, die Tätto-
wirungen und andere in das Gebiet der Körperplastik ge-
hörige Maniimlationen.
Wir dürfen aber nicht vergessen, dass viele dieser
pTOceduren sogenannter Verschönerung auch bei den
Knaben oft in ganz ähnlicher, manchmal sogar in gleicher
Weise vorgenommen werden. Allerdings giebt es aber
auch Fälle , in welchen flir die Mädchen entweder ein
anderer Zeitymnkt der Verschönerungsoperation als für
die Knaben, oder eine etwas andere Art der Auaflihrung
oder etwas andere begleitende Gebräuche gewählt zu
werden pflegen. So erzählt z, B. Miille/^ von den Maori
auf Neu-Seelaud:
»Mit dem achten Jahre wird der Knabo von den beiden
Eltern an einen Strom geführt^ dort von dem Priester, welcher im
Wasser steht nnd einen Karamn-ABt in der Uand hllltT auf den
Arm genommen ond mit Walser begossen. Bei dieser Oeremonie
aind alle Peraonen nur mit einem Maro (einem kurzen Gürtel ao« Blä.ttem) um die Lenden
bekleidet Während der Priester das Kind mit dem Kiiramu-Ast bespritzt, aingt er ein beson-
deres Lied, Beim Mädchen wird dieselbe Cereoionie vorgenooimen, nur der Gesang, welcher
dabei vom Prieeter angestimmt wird, ist verBchieden. Er lautet:
Getaucht in das Wasser l'n^s^
Werde kraftvoll
Durch die Kraft TtCs,
Zu erwerben Nahrung für dich üelhat^
Zu machen Kleider,
Za machen Kaitaka Decken,
Zu begrüesen die Gäate.
Zusammenzutragen Feuerholz,
Zn sammeln Muscheln und Austern;
Fig. 184. Neger-Mädchen
von der LoADj? o-KÜ^te
rW«Bt- Afrika) im Backflaeli-
alter, im Stntliutn der setir
atftTk ttiiagebiMet«n H&Uikug«l-
form der Brustwarzen höfe,
welche bereits vor EDtwicka-
\uug iler Frimär-Mamma eine
erhebliche Neigung zum üeber-
hängen zeigen.
<Nach Photographie.)
302 ^' ^^ Woib während der Zeit der gescblechtl. Unreife oder die Kindheit des Weibes.
Möge die Kraft IWs
Gegeben werden dieser Tochter!
Dann kommt die Kraft Kiharoa's,
Za fassen mich hin zu den Sandhügeln von Rangaanu,
Zu dorn Platze, wo die Geister dahingehen in Nacht,
Und was weiss ich dann ferner?"
Eine eigenthüiiiliche Sitte, zu welcher die Feier des Ohrlochstechena bei
der ältesten Tochter die Veranlassung giebt, berichtete Fawcett der anthropolo-
gischen Gesellschaft in Bombay:
„Die Weiber der zu dem Dravidischen Stamm von Süd-Indien gehörigen Beraln
Kodo' Vokaligaru-Sokte in der Gegend von Bangalore, Provinz Mysore, haben eine
bosondore Feier, die Bandi Devurü Ceremonie, welche darin besteht, dasB den MQtiem
derjenigen Kinder, welchen die Ohren und Nasen durchbohrt werden sollen, die Endphalangen
des Ringfingers und den kleinen Fingers der rechten Hand amputirt werden." (Fig. 185.)
Fi^;. IsTi. Fniu sius HauKalor«'. Iinlirn. welch«'! büi ilem Fwte «los Ohrlochstechens ihrer ältesten
T«)chter ilio NttR«'lf:li«'il«M- ilc« lJiiij;tiiiK»rrH uihl «Ics kloinen Fingers amputirt worden sind.
(Njich I\iuw,tt.)
Ks ist oin uiiiHtiiiullidu''» Kost, das mit Faston und dor Errichtung kleiner Tempel be-
ginnt. Kin (iiildschnnod ninnnt unt<>r bosondoron ('«^romonion die Operation mit einem
Moissi'l v«)r; «b»r abjr,.tronnto Finj^or winl in eine Schlangenhöhlo gesteckt, als Opfer för
Als rrspnm^ di(\s«T Ani|mtjiti()iissitte wird oiiie mystische Geschichte erzählt,
dass luohren; .Iim^^rniui'n ihres X'olkos, mii der Ehe mit einem Radjah aus einer
niederen Kaste zu entj^eluMi, vor <lieseni tiolu'n und dass die eine, den einen Ohr-
ring opfernd, das Auseinaiiderweiehen diM* Wasser eines Flusses bewirkte, während
bei Opferunj^ des and«Ten (Hirrin^^es die Wasser den verfolf^enden Radjah mit
seinen Leuten versehlan^c<*n. Darum müssen alle Frauen dieser Kaste, wenn sie
der ältesten Tochter die OlirÜMher stechen lassen, /.um Zeichen ihrer Keuschheit
und der Hochachtung der Kastenehn» «lie hetreiVenden Fin^erglieder amputiren
lassen. Diese Erzählun^^ i.sl wohl «»in sicherer Beweis, dass die Leute jetzt selbst
nicht mehr den l;rsprun>r «lieser Sitte kennen.
Mit dem l'ernt^ren lieranwaehsen der kleinen Mädchen tritt dann aber all*
mählich der Ernst des Lehens an sie heran ; immer mehr und mehr werden sie
von der Mutter oder von den anderen Weihern deH Stamn*^ ^ ihren epStoran
Beruf herangebildet in lliuis- und Feldarbeit und in dl ^MD Kfiw
70. Das Leben des weiblichen Kindes. 303
Auf Neu-Britannien müssen sie sich dann noch einer sich über mehrere Jahre
ausdehnenden Absperrung unterwerfen, worüber uns Danks einige Bericht« zu-
sammengestellt hat. Es geht dieser Absperrung eine Festlichkeit vorher, welche
der Rev. lioaney in einem Briefe an den Generalsecretär der äusseren Mission mit
folgenden Worten beschrieben hat:
«Ich war gerade zu rechter Zeit da, um Zeuge der KSüg-Feier (ceremony of caging)
eines der Mädchen zu sein. Das arme kleine Ding, beladen mit Halsbändern und Gürteln
von rothen, weissen und blauen Perlen, sah sehr erschrocken (frightened) aus. Am Morgen
wurde sie auf Neu-Irlandische Art tättowirt, d. h. allerlei Muster wurden in ihren Körper
geschnitten. Ein Theil der Ceremonie bestand in einem Gefechte zwischen den Weibern der
Maramara- und der P i ka 1 ab a- Gruppe [die beiden Gruppen, in die die Bevölkerung sich
theilt] scheinbar um den Besitz der Wächtorschaft für die Gefangene. Nachdem sie tüchtig
mit allem geworfen hatten, was ihnen in die Hände kam, wurde von den siegreichen Ama-
zonen ein (rush) Sturmlauf (?) vor das Haus gemacht, wo das Mädchen eingeHperrt war. Ein
allgemeiner Streit entspann sich bei dem engen Eingänge dos Hauses. Das Gedränge war
fürchterlich, aber es wurden keine Knochen zerbrochen. Die Damen zeigten sich von keiner
vortheilhaften Seite in diesem Meleo."*
Der Rev. Brown hatte Gelegenheit, solch kleine Neu-Britannierinnen
in ihrem Geliingniss zu besuchen. Allerdings musste er zuvor einen grossen
Widerstand bei dem Häuptling, nächstdem bei der als Wächterin der Kleinen
bestellten alten Frau und endlich auch bei den Mädchen selber überwinden, weil
diese im Walde versteckten Hütten für JMäimer, auch selbst für die Angehörigen
der Eingesperrten, absolut tabu sein sollen. Er schreibt:
«Dieser Bau war ungefähr 25 Fuss lang, und stand in einer Rohr- un<l Bambus-Um-
zäunung, über deren Eingang ein Bündel von trockenem Grase aufgehängt war, um anzu-
zeigen, dass es vollständig tabu sei. Innen bestand das Haus aus drei kegelförmigen Bauten
von ungefUbr 7 oder 8 Fuss Höhe und 10 bis 1*2 Fuss im Umfangt» an der Grundfiäclie, und
ungefähr 4 Fuss von dem Erdboden entfernt, von wo an en sich bis zum obersten Ende zu
einer Si)itze verschmälerte. Diese Kätige waren aus der breiten Kinde der Pandanusbäume
hergestellt, und waren ao fest zusammengenäht, dass kein Licht und wonig oder gar keine
Luft eindringen konnte. An dor einen Seite eines jeden befand sich eine Oettnung, welche
aus einer doppolteii Thür von geflochtener Cocosbaum- und Pandanusbaumrinde hergestellt war.
Ungefähr drei Fuss vom Boden ist ein Fussboden von Bambus, der die Diolo bildet. In jedem
dieser Käfige war, wie mir erzählt wurde, ein jungos Frauenzimmer eingesperrt, von denen
jede mindestens 4 bis 5 Jahre darin bleiben musste, ohne dass ihr jemals erlaubt wurde, aus
dem Hause zu gehen.*
Brown hatte es durchgesetzt, dass die alte Wärterin die Käfige ötFnete und
dass die Mädchen herausguckten und ihre Hände herausstreckten, um die von
ihm als Geschenke mitgebrachten Perlen in Empfang zu nehmen. Er blieb aber
in einer kleinen Entfernung stehen, so dass die Gefangenen, wenn sie die Perlen
abnehmen wollten, nothwendiger Weise aus dem Gefangniss herauskriechen mussten.
„Die Begierde nach meiner Gabe verursachte eine neue Schwierigkeit, da es diesen
Mädchen nicht gestattet ist, ihre Füsse auf die Erde zu setzen während der ganzen Zeit, wo
sie an diesem Platze eingeschlossen eind. Jedoch sie wünschten die Perlen zu bekommen
und 80 ging die alte Frau heraus und sammelte einen Theil Holz- und Bambusstücke, die sie
auf den Erdboden legte, und dann ging sie zu einem der Mädchen, half ihr heraus und hielt
ihre Hand, als sie von einem Stück Holz auf das andere trat, bis sie mir nahe genug ge-
kommen war, um die ihr hingehaltenen Perlen zu nehmen. Ich ging dann heran, um das
Innere des Käfigs, aus dem sie herausgekommen war, zu besichtigen, aber ich konnte kaum
meinen Kopf hineinstecken, so heiss und dick war die Atmosphäre. Er war rein und enthielt
gpur nichts, als nur ein Paar kurze Stücke Bambus als Wasserbehälter. Es war nur Raum
fQr das Mädchen zu sitzen, oder in zusammengekrümmter Stellung auf dem Fussboden zu
liegen, und wenn die Thür geschlossen war, musste es beinahe oder vollständig dunkel darin
8«in. Es ist ihr niemals gestattet, herauszukommen, bis auf einmal am Tage, wo sie in einer
Sehflnel oder hölzernen Wanne, welche dicht neben jedem Käfig steht, badet. Man sagt,
dflM sie stark schwitzen (perspire profusolv). Sie werden in diesen festen Käfig gesetzt, wenn
ri» §m joDg nndy und sie mttssen darin bleiben, bis sie junge Frauen sind (young women\
- faijr<fi Li*-T*fn?^-.'n-',*i:: v»l' .Win b"x*er iMSKU
<*- ä*:l ^r!t.:irvL £'. nrv- luasb'-er ci»- di«be Truözx n eznen.
.ifi.r r::.:. c> JL.'^-vpz. flL' Cj' XLii 6*7 uideren czumniBC aap T^riniBäaK
r ;•»•: Vi^r**:*- J>fu'v-<r *f.-z,fa.L:^«r uxifc. öijst äersBltie CveuruKt je mEMÜliccig Fua
! V »- >.ij*' : . . It Mb 'j •.•ii*'L "t « le- t*ei..'"
JjfH'h sei '.»«fr hbi trotz »äxiefr lAnjSknfgOL Aidesx-
Lbi'ue* ^'. Ne'J-Br:Thi.:>:«zi riemiJs eiDen saldME Kiär
z". Of*-i»:Li !>*-i;orLni»:T..
'i-y^'fhi riz^i^L urir bL.cL in ftnäerai TheOesi der £x^
Jj''**il.o]ir bcLLlden sie sehr ansfuhrlkh ans Liberia, »-o
er -;';L ir: der Stadt Jeh am Dn QTieab-BiTer acf-
i.ie:T. ^eiii Bericht erleichtert wesentlich das YerssiBi-
;.!-^ f'lr die aLLlicheD Einrichtungen andePH* Völker: er
iiiWjL düLer hier »eine Stelle finden:
.LiLe n.i der KLe is engem Znsunmenhaiig stebcBd« li-
•-TJtvt.vL >' der hogen&nLte Zniibenr&ld «engL Greegree-bstkL
ofiT b.e <r.:. hu^ da- Ebele'üeD Torbereitendee Penaonat bctnidscc
werd'^L .'j.u'^t. PI? giebt für Ksiklfen und lUdchen j« einen bem-
df'TeL Züiioerwa.d. Beindhe iede gr&Esere Stadt (Darf« bentat j«
(riLeii ^o.cLeL. »owokl für Enabes als für M&dchen. doch näd
i.><i;iie In-titui-e veit von einander abgelegen und stehen in keineriei
]x'z:<:-:.'jl;^ z'^ eiiiander. Ick Labe die Greegree-bnch-Imtitii-
tioü \'*z'. den Vej. Eorso. Godah. PesEv, Qneah und dea
ve^tiiiL'^D ha-frta an^etroflen. habe aber keine Sicherheit, ob die-
^ell'f^ aucL unter den Örtlichen Stämmen berteht Wie ge-
»a^. >te>te}it ein ä}iulicher gree-gree-busb auch f&r die Xadcfaen.
I»ereeyr..e wird bei den Vev ^^andy genannt Aach dieser Zauber-
\\<i\'\ i-t eixi^ Art von Pensionat. da£ auf einem dasn angewieaenen
riatz i::. Waldo. nahe bei der ^tadt errichtet ie^. Die Ersiehe-
riniien. b*^i den Lib*?rianern preegree-vomen, deTÜ-
ru wouieii genannt, sind alte Frauen, deren Oberhaupt gewShalich
die uUe>te Frau de» Häujitlingit ii>t. Diese «Tenfeltfraoea*
kennt man ^tot^ an kleinen, tättowirten Kreiuchan hinten auf
jeder Wiule."
„In den Sandy treten die Madchen im zehnten Jahre, manchmal schon früher, ein
und lileiben dort hU zu ihrer Heiratli<<iahi^keit. o!'t auch noch länger. Wie an die Soh-bah
für die Knaben, eo bezahlen die Kitern für ihro Mädchen eine gewisse Leistung in Natnraliea
ari dit; 'J'fuicli- trauen, um es ihren Kindern an nichts fehlen zu lassen. Aach die Madeben
\ftihfu iuj Zaubt^rwalde nackt und haben beim Eintritt, wie die Knaben, die Verbaodatitto-
wirun^r anzuneliuien und sich einer Beschnoidung zu unterziehen, die in der Entfernung d«r
i^pitz*; d^r riitoriFi auf operativem Wege besteht. Diese letztere wird darauf in ein Lftppchen
g<'buri<Ji'n. getrocknet und dem Mädchen als Zeichen der .lungfräulichkeit um den Hall
j/«?häij;^t .•■
..Die Zeichen, welche KnabiMi und Mädchen im Zauberwalde erhalten, nnd meiai auf
dem KU'.-keii oder den Lenden angebracht und werden durch Reihen Ton
habenen Hautnarben gebildet, die einigermuassen an PerlKchnüre erinnern .
die Zei< hnung bei den Vey- Frauen auf einen vertikalen Streifen auf den Imdn b
J-if l-y.. Kl. :».-- Mb lc■
^ ' L bjii. ■■ 1! t ü. ;»'l zu-ritri:
Ml» ' tuLt; u.j» j l.elli♦l-iiru^^•-lJ,
.N"*CJ. Vh'A-
7L Dos kleine Mädchen in nnihfapologiBcber
305
«Bas Betreten de« Zanberwaldes der Frauen ist Männern und uneingeweihten weihlichen
i*<»rBonen streng untersagt. Wie der Belly (Knabenzauberwald), ao ist auch der Sand/ unter
he Obhut der N 'Janas oder Geister der Verstorbenen gesteUtt und wer m ■wagt, denselben
betreten, wird, wie man glaubt, durch die wachsaujen N janas sofort anfgegritien und ge*
ödtet, Aeitere Fraiien dürfen, wenn sie die Abzeichen doB greegree-bnsh tragen ^ unge-
bindert ihre Angehörigen besuchen, doch sind sie vorfiflichtet, beim Eintritt ihre Kleider ab-
bulegen und zurückzulassen. Auch dürfen die MUdchen gelegentlich ihre Verwandten zu
Hause besuchen ^ doch beachmieren sie sich vor dem Austritt mit weissem Thon, so dasi sie
iwie die Clowns in einem Circus aussehen; auch dürfen sie, ebensowenig wie die Knaben,
baumwollene Zeuge tragen« sondern kleiden sich beim Ausgehen mit einem Schürzchen von
^Baststoffen oder Blattfasem der Weinpaltne. In diesem Zauberwalde lernen die M&dchen
unter der Aufsicht ihrer Erzieherinnen Gesang, Spiel und Tanz, sowie zahlreiche Gedichte,
^00 denen einige, wie schon Dapptr sich ausdrückt, «manches enthalten, das nicht mit Ehren
gesungen werden darf, obschou sie in ihren tilglichen Gesprächen züchtig, keusch und schirm-
pftft sind**. Zudem lernen die Mädchen kochen, allerlei häusliche Arbeiten verrichten, Netze
iitricken und dem Fischfang obliegen. Die Zauberwaldmädchen werden bei den Liberianern
preegree-bush-girls, bei den Vey sandj-ding (Zauberwal dkind), meist aber Bony
itJungfrau) im Sinne von Virgo genannt.'
Mit dem Abschlüsse dieser Erziehungszeit sind dann nicht selten Feste ter-
mnden^ so auch in Liberia, welche uns aber erst an späterer Stelle beschäftigen
loUen, Auch will ich hier gleich daran erinnern, dass viele Yolksstämme solche
Absonderung des jungen Mädchens erst dann vornehmen, wenn bei ihr der Eintritt
Ider Reife erfolgt ist. Wenn wir von diesem Zeitpunkte sprechen,
jkammen wir also noch einmal auf ganz ähnliche Gebräuche zu-
rück. Ebenso werden uns gewisse vorzeitige Erscheinungen des
geschlechtlichen Lebens, die Kinderverlobungen und die Kinder-
fiochzeiten, die Frühreife und der geschlechtlich*? Umgang mit
f Kindern in den späteren Kapiteln dieser Abhandlung noch weiter
n treten. Und so künnen wir an dieser Stelle das kleine
. ..Lti verlassen, um diissetbe in dem nächsten Kapitel als
lungfrau wiederzufinden. Zuvor aber müssen wir ans noch
lit den anthropologischen Verhältnissen der kleinen Mädchen
Eetwaa eingehender beschäftigen.
71. Das kleine Mädchen In anthropologischer Beziehung,
Wenn das Kind den Leib der Mutter verlassen hat, dann bietet pig. 187. KUmei
[^ io seinen Körperproportionen ein erheblich anderes Bild dar, als Ma«icii<in von o-
pvir Hpäter bei dem Erwachsenen wiederfinden. Der Kopf, nament- w»djo>*n»cneT p'^
lieh in seiner Hinterhauiitsregion, ist länger und! grösser, die Ex- rlodc der er»t<m
tremitüten haben gegenüber dem Rumpfe eine beträchtlichere Länge, ,xiw5if pJ^^!JJ— «hie)
und dtT Rumpf erscheint verbal tnissmässig nicht nur kürzer, son-
dern auch schmaler als später, wenigstens in seinen dem Brustkorbe angehörenden
Abtheil ungen. Die die Ausdehnung der Brust übertreffende Dicke des Leibes hat
ihre Ursache einerseits in der unverhältnissmässigen Grösse der Leber und anderer-
ffieit« in der bisherigen ünthätigkeit und Functionslosigkeit der Respirationsorgane,
welche natürlicher Weise erat nach der Geburt die ihnen zukommende Arbeit zu
Übernehmen vermögen. Dann aber fängt sehr bald der Brustkorb an sich zu
I dehnen und zu wachsen, wodurch die obere Abtheüung des Rumpfes eine ge-
wölbtere Form erhält* Das alles jedoch sind körperliche Eigenthümlichkeiten,
Iwrlche fUr da.** männliche Geschlecht ganz die gleiche Gültigkeit haben, wie
|fär da« weibliche.
Es ist nun auch bekanutermaassen in den ersten Lebensjahren nicht gut
aagltch^ an dem allgemeinen Habitus die weiblichen Kinder von den männlichen
' '^ ^ - *' 1 wird in dieser Zeit wohl ebenso häufig ein kleines Mädchen
<<. AtiH I, 20
3* .i6 I ^ • I>^ Weib w&hrend der Zeit der geBchlechtl. Unreife oder die Kindheit des Weibee.
fTif einen Knaben, wie umgekehrt einen Knaben für ein Madchen ansehen. Dieser
Zustand der Neutralität, der Geschlechtslosigkeit, wie man ihn bezeichnen konnte,
hält nun selbst bei unseren eigenen Stammesgenossen nicht immer eine gleich
knge Zeit hindurch an; er erstreckt sich aber immerhin auf einen Zeitraum Ton
mehreren Jahren, wie jeder zugeben wird, der solche kindlichen Körper häufiger
unbekleidet zu sehen die Gelegenheit hat. Denn es braucht nicht erst bemerkt
zu werden, dass hier die durch die Kleidung, den Schmuck und die Haartracht
niarkirten Geschlechtsunterschiede natürlicher Weise ausser Acht gelassen werden
müssen. Der Zeitpunkt, in welchem man zuerst mit etwas grösserer Deutlichkeit
in den Formenverhältnissen des kindlichen Körpers die secnndären Geechlechts-
charaktere, und besonders die Differenzirung in den weiblichen Geschlechtstypos
zu erkennen im Stande ist, pflegt keineswegs genau fixirt zu sein und yermag
innerhalb ziemlich bedeutender Grenzen zu schwanken. Im Grossen und Allge-
meinen fallt er aber ungefähr mit der Zeit des ersten Zahnwechsels zusammen;
er ist somit in das sechste bis achte Lebensjahr zu setzen.
Es hat sich bereits in viel früherer Zeit bei beiden Ge-
schlechtern eine sehr erhebliche Veränderung in den allgemeinen
Formverhältnissen des Körpers vollzogen. Die in den ersten
Lebensjahren unter gesunden, normalen Umständen runden,
vollen, fetten Kinder, als deren Typus man die bekannten
Putti in der italienischen Kunst bezeichnen kann, bekonunen
nach vollendetem dritten bis vierten Jahre plötzlich einen Schuss,
wie der Volksmund sagt, d. h. sie zeigen eine in kurzem Zeit-
räume sich vollziehende Wachsthumszunahme. Gleichzeitig
aber tritt eine recht erhebliche Abmagerung ein, welche nicht
nur den Rumpf, sondern namentlich auch das Gesicht und die
Extremitäten betrifft, so dass die bis dahin blühenden und
runden Kinder zum grössten Entsetzen der besorgten Mütter
trotz aller guten Nahrung und sorgsamen Pflege dennoch blass
und welk und dürr erscheinen. Das ist die Periode der ersten
Streckung, die uns die Kleine aus Celebes in Fig. 187 vor-
föhrt.
Wenn dann die Zeit des ersten Zahnwechsels erreicht
ist, gemeinhin mit dem siebenten oder achten Jahre, dann
pflegen die kindlichen Körper sich allmählich wieder mehr
Fig. iKs. Kitines '^^ ruudeu imd an Turgor zu gewinnen, so dass die Kleinen
Mädcheuvonserang wieder mehr den Eindruck der Frische und Wohlgenährtheit
ire^ÄnlTtr^^^^^^ hervorrufen. Jetzt kann man gar nicht selten schon mit ziem-
(Nach Photogi-aphie.) licher Deutlichkeit unzweifelhafte Geschlechtsunterschiede sich
entwickeln sehen, welche sich bei den kleinen Mädchen nament-
lich durch eine starke Ausbildung der Gesässpartien und durch eine grossere
Dicke der Oberschenkel, besonders in ihren lateralen Theilen, bemerklich machen.
Auch die Kniee und die Waden, sowie die Arme, die Schultern und die obere
Abtheilung des Brustkorbes zeigen einen höheren Grad von Rundlichkeit, als bei
den Knaben des gleichen xVlters. Aber auch an den Gesichtern vermag man nun
bereits in vielen Fällen das Geschlecht zu erkennen. Hier ist es nicht nur das
Abgerundetere in allen Linien und Zügen, sondern in noch viel höherem Maasse
der Qesammtausdruck, welcher der Physiognomie aufgeprägt ist. Es ist nicht
mitglich, denselben näher zu präci.siren; man kann nur sagen, dass ein gewiflsw
Grad von Verschänitlieit und Schüchternheit sich auf den kleinen Gesichtern ab-
spiegelt Man pflegt hierfür, wie ja allgemein bekannt ist, die Bezeichnung des
mädchenhaften Gesichtsausdruckes in Anwendung zu bringen.
Zwischen dem 8. und dem 10. bis 11. Jahre pflegt dann Ton Neuein ab
Periode des relativ schnellen Wachsthums, ein erneuter Schua wUk «br
72. »Statiiftischd« Über daa Wachathum der Kinder.
307
uns
Dfts ist die Periode der «weiten Streckung, für die die Figuren 186, 188, 189 aus
Serang, aus Dahome und sonder Goldküste Beispiele bringen. Auch hierbei
tritt in den meisten Fällen eine recht merkliche Abmagerung ein^ und namentlich
werden dabei die Arme und die Beine lang und knochig. Aber der mädchenhafte
Qesichfsausdnick geht dabei nicht verloren, sondern er wird sogar noch deutlicher
nls vorher, und trotz allen Dürrwerdens der Gliedmaassen nimmt doch der Quer-
durchmesser des Beckens an Ausdehnung zu. Von jetzt ab treten dann körper-
liche Veränderungen ein, welche das Mädchen allmählich der Pubertät entgegen-
f Uhren. Ich werde dieselben in einem der nächsten Abfichuitte einer genaueren
Besprechting unterziehen.
Vorher aber will ich noch besprechen, was über die Wachsthumsverhältnisse
der Kinder statistische Untersuchungen ermittelt haben.
Ki2, Statistische» über das Waehsthuui der Kinder.
Die letzten Jahre haben uns eine Anzahl ausführlicher Untersuchungen
bracht über die Langenzunahme und die Gewichtszunahme bei den Kindern
iderlei Geschlechts» Obgleich für das Thema unseres Buches die Knaben
eigentlich nichts angehen, so bieten die von
den Forschern gefundenen Ergebnisse doch auch
interessante Unterschiede zwischen dem männ-
lichen und dem weiblichen Geschlecht, und sie
müssen uns daher zur Beurtheilung der secun-
flären Geschlechtscharaktere ebenfalls willkom-
men sein.
Als den Vater solcher Kor^iermeasimgen
haben wir bekanntlich (Juctelet zu betrachten.
Er stellte seine Beobachtungen in den Schulen, I i * "/^ "
Waisen hiingern u. s. w. an und kam dabei zu
^^Igenden Ergebnissen:
^^J^ Bei dor Geburt abertreffen die Knaben an
^^B^ darcbschnittlich die Mädchen und zi^ar um
^^Mrl cm (0,499 : 0»4B9). Dagegen ist das Mädchen
^Bd dem Attf^T von 10-— 17 Jahron vorbültnissmasBig
^^chon ebenao weit in meinem Wachstbum vorgdrUckt,
aU dtr JttngUng von 18^19 Jahren. Die jährlicbo
Za nähme zwischen 5—15 Jahren beträgt bei Knaben
ungefähr 56 mm, während sie tich bei don Mädchen
nnr unf etwa 52 mm belaufte Die Grenzen de«
Wachathtima fand Quctelet bei beiden Geschlechtern
ungleich, weil die Individuen weiblichen Geschlecht«
jichüu boi der Geburt kleiner sind, als die des männ-
lichen; weil d&B Wacbuthnm der ersteren früher sein
Knde erreicht^ und weil die jährliche Zunahme der
rperlichen GrOtie boi ihnen gennger ist, als bei
männlichen Geschldchte.
II
r^ r
Fig. ISCL Atitis<*'M4dcheti von dem Volt«
Eiver, Goldküite (Weftt- Afrika),
r Auf der Ervle ttUeod : ein Ki
West hat in Gemeinschaft mit Franz SJJbku^fr.
Brüftt'^D. 2. Steheud: ein
riode d«r £ weiten Streckuaff m
enlwic kellet Priui
rtDigt^n Ilnistwarz
dem Stöhle »Uzend: ein äHei>
liädchün mit reifer, yoUii? ftOSKebÜdoUr Jit^inioib.
(Nach PhotogTBpbie.)
9oai! und einer Anmbl von anderen Forschern
Worcester, Masa. in Amerika, 3250
:vder der verschiedensten Stände ge-
Bei der Bestinmiung der ganzen Hohe zeigte sich die interessante Erschei*
Bnnff, dm»^ die Resultate verschieden waren je nach derTageszeit^ zu welcher gemessen
riiFdi* Morgens waren die Kinder am grossten, gegen den Abend hin nehmen sie
ich an Länge ab, und zwar schneller vom Morgen bis zum Mittag, als vom
jiuig ölt Kiim Abend. Da.^ ist bei beiden Geschlechtem gleich. Ifc^f sagt dann:
20 •
•*. ^4i:.»rxi . »»r i»t'-
iif SfMCiitetici ^TTfZi" Oder ütiSaadaeiMift^«
^t L:.i . MiU* V 04 V iicuFLnUL £ ^f'm^ TP'g'g' ZnUSIini. 3DE ÖSt 11^. hbl IL
■.4-..^r -Tnlir.! uv*a^. flu- «EiriTfCUCn.V AsiLkSZB- h!C. 311106' — mf ViTniMTflif ^WBtC TtfL
:::'..T i-i- V. .iiuifLL:-.ixD^?'jrr' jr jitifpc iS' Mc: ^tttItbl der dtsr JlMdeneL
--• . -L i? iH vuirr ''^STKi:::!»- .^ .-j-t-«: (»eiix- ^-«ecsieciiEer sm«: -wir riifilnnr
1 .•••...... t-. ..1 ^r Iuu»>r: ii:^»4M^ €i: -n-^.;; ^^J2?: Li OA- Li. isar «xpexän ir. lim
-- ur .1 J :...•'.- i»r: '&.:..•'.•_ 7r.*s^ ^< i> LjiUi^s: :=i. L-idoa ^ i iiwi oi- zun. J^.Mnfc
.: jri
i: ... j •-■ »>r; 1- ■.•-■ ' ■ IZT'. er »sR-
T-rr
•RTezcs' .aj.i»eL '
-•i* LijFeTTrjÄr Ü!«^ liA." L.ürn*«3P*i7icir inTiiTT "wir ad:
.i<« Jl^.. ^^'e: j? irr I« ras" «le: xr^rxenszuw^tt^ ia&jnHix.. im
I.i:.. «rf: jF" i..- Tf>i»T- ■"TgT-r^--:'— .. rziüÄiliS" ^.usxzXüli.*
-••«eil- AlÜL.Jlrrn U'.-"^.V vt'T iUilTli^Ua r.Tixrwiv r-f-ux, J. |i^ ^nn^ Ti
.11 '■■.•':*r;T3'"-?>:;i-j-fi **i:**- "i"^" ..üv.z zi'Jl^:' h-S" Ixttäjzi? 'Viftöcr ua
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>' ■.•■^■■' *'■ ,
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li'.-S A.
— -- • - 4*1-"" • ... ".'fn';. n.i-."'"»;!'^ ?*f4i:
-'■' *- '■' ^ '-' '^t'^'^z^ ü; s-i änL IT. Jaki*
.^1 ' ..I.- .:. A.j^jDiaiBt
78. Der Backfisch in autkropologücher Beziehung.
309
mach. Die Mädchen bleiben den Knaben bis sum 16. Lebeosjahre Bowohl an Länge« als an
Gewicht üb<u'legen. Mit dem 17. Jahre Undert sich duii Verhältniäs wieder. Man siebt, wie
die beiden KntwickehmgacurTen der Knaben s^tch dann über die der Madchen erheben, am
nachher in den folgenden Jahren mehr und mehr emporzngehon. Cnterdessen verbleiben die
der Müdchen fast in derselben Höhe« Die zeitweilige Ceberlegenhoit der Mädchen ist ja ganz
~ itürlich Ton dem früheren Eintritt und dem xeitigQren Absehlum ihrer Puberiätaentwiekelung
bbringig.'
Ke^ vergleicht dann seine Uesultate mit den Ergebnissen aus anderen
Indern, uamentlich von Ilertel in Kopenhagen, Roberts in England. KoteU
\ann in Hamburg, Pagliani in Turin und Bowdüch in Boston und kommt
cb zu folgenden Schlüssen:
^Die FuberUtsperiodo raarkirt sich för beide Geachlechter in der Regel tcharf mit
einem Ijfjjjqpr^ehenden Verlauf und durch dieselben Eigenthümlichkeiten , welche wir i«chen
bei den tenwedisclien Untersuchungen kennen gelernt haben. lieber-
all »»heu wir auch, wie die yon mir hervorgehobene^ tcbwache Ent-
vickelungsperiode, welche, wie wir gefunden haben, der Pubertäts-
periode vorangeht f durch die Senkung oder den niedrigen Stand der
F^ ' iDg^curven gut markirt wird. Auch ist %xx beachten, daaa die
I ritwickelung im Ganzen, sowohl bei Knaben all bei Mild-
^eii, iii Italiea und in Amerika früher als anderswo vollendet
•ein scheint.*
Endlich macht Key noch darauf aufmerksam, dass
^nacb Untersuchungen an Orten, von welchen auch Wägungen
Dd Messungen dur Mädchen vorliegen, die Menstruation in der Kegel
am Ende der Pubertai^periode eintritt * also in dem ersten oder
dem ÄweiU?n Jalire nach dem Aufhören der eigentlichen Ltingen-
73» Oer BackfiMli in aiiiliropola^ischer Ueztehnug.
Mit tingpführ dem 11, bis 13., in manchen Füllen aller-
3gs anch erst mit dem 14. Jahre sind die kleinen Mädchen
aserer Rasse in diejenige Periode ihres Lebens eingetreten,
eiche man als das beginnende Backfischalter zu bezeichnen
legt. Das Wachsthum dauert an, der Körper und auch
Ins Gesicht gewinnen an Rundung und Fülle, die Stimme ver-
liert den scharfen Beiklang des kindlichen Organes und wird
sanfter und volltönender. Auch der Ausdruck der Augen ver-
ändert sich, und damit ist der ganzen Physiognomie ein gegen
früher veränderter Charakter atifgep ragt. Der Brustkorb weitet Flg. m. Auitr^Ucrin
sich aus, namentlich in seinen oberen Partien, so dass die ti.^*'n!l"?rt°VJ!.*l*°^iL
öcnulterbreite nicht nur eme absolut, sondern auch eme suaiam i^r Halbkugel-
relativ grössere ist, als vorher. Bisweilen nimmt jetzt auch ^^' xrzenhöfo,
HS die grossen Brustmuskeln bedeckende Fettpolster stetig ^ triwuM iu^ium»
ad beirächtlich an Ausdehnung zu, namentlich gegen die (^*«h Photogrmpbir
iist Warzen hin, welche letzteren aber, ebenso wie ihr
Tarzenhof, noch längere Zeit hindurch die kindliche Fonn und Grösse bewahren.
iffallendate Breiten zunähme macht sich aber an der Beckengegend bemerkbar,
Auch die Hinterbacken nehmen an Dicke und Völle nicht unerheblich zu.
Mit dieser stärkeren Entwickelung der Gesass- und Beckengegend hält sehr häufig
diejenige der Unterschenkel und namentlich der Waden nicht gleichen Schritt,
and so kommt es dann, das» trotz der an erwacbsene Zustände erinnernden Breite
de» ^" pers docJi die aus den kurzen Kleidern hervorsehenden Beine ein
iidliches Aussehen darbieten.
Jetxt beginnt nun auch die aUmähliche Ausbildung der weiblichen Brüste.
*^'*'** 'if? SchilderungeD sich auch in erster Linie wiederum auf '^^-^
310 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtl. Unreife oder die Kindheit dei Wübei.
Mädchen der norddeutschen Bevölkerung beziehen, so lehrt doch das Stadinm
der mir zugänglichen photographischen Abbildungen fremder Völker, dasa auch
bei diesen die wichtigsten dieser Entwickelungsphasen beobachtet werden können.
Und da ein entsprechendes photographisches Material von deutschen MSdchen
nicht existirt, so sind zur besseren Erläuterung die geschilderten Verbältniase an
Mädchen fremder Rassen zur Darstellung gebracht worden.
Die bis dahin neutrale oder puerile, d. h. mit den betreffenden Formen bd
den Knaben übereinstimmende Brustwarze (man sehe die Figuren 186 — 188) fiingt
an, sich in bemerkenswerther Weise aus dem Niveau der benachbarten Hantober-
fliiche lierauszuwölben. Aus der Vorderfläche des Brustkorbes erhebt sich dann
jederseits eine kleine halbkugelige Erhöhung, deren Grundfläche ungefähr 2,5 bis
H Centimeter beträgt, während ihre Höhe 1,5 bis 2 Centimeter erreicht. Sie wird
gebildet durch die sich entwickelnde Milch-
drüse. Sie fühlt sich derb-elastisch an, un-
gefähr wie eine reife Kirsche. Fast ihre
gesammte convexe Oberfläche wird dorch
den Warzenhof eingenommen, und die
Brustwarze selber ist dermaassen convex-
flächenhaft ausgezerrt, dass sie fast toU-
ständig verstrichen ist und dass sie sich fast
gar nicht aus der Oberfläche der halbkuge-
ligen Erhöhung heraushebt, deren oberete
Kuppe von ihr gebildet wird. Ein paar
Mal ist es mir begegnet, dass ich von be-
ängstigten Eltern gerufen wurde, um diese
Zustände bei ihrer Tochter zu begutachten:
sie waren in Sorge, dass etwas Krankhaftes
zur Entwickelung käme, und sie wurden in
dieser Furcht dadurch bestärkt, dass mit
diesen Wachst humsverhältnissen der Brust-
drüse bisweilen abnorme Empfindungen Ter-
bunden sind, namentlich eine Hyperästhesie
der Ilantnerven, so dass in manchen FäUen
selbst die einfache Berührung des Hemdes
bereits sohmerzhafte Empfindungen hervor-
rufen kann.
Dem soeben geschilderten Stadinm
fol^t dann sehr bald eine stärkere An-
biMinig vi)n Unterhautfettgewebe in der
riiii^ebnng der sich entwickelnden Bmst-
drüsi», nnd hierdurch kommen nun all-
niülilich ilic eigentlichen MammahQgel zu
Stande. MeistentliciU sind dit^selbm /iutsI Imlbkngelig, wie ein kleiner halber
Apfel, und »He Vi>rlu'rgcHciuMi*rti» liull»ku>^cligc. vom Wurzenhofe und der Warze
überdeckte Drüseiipiirtic sit/! liinf^tMo Zrit hindurch noch der Mitte dieser Halb-
kugel auf. Auf diese Wim so koiiniit i«inp l\\\\\\ di»r weihlichen Brüste zu Stande,
wie sii' .sich hei cinigiMi NidkiTNcliulliMi in Alrikii und Oceanien als typisch
voriindi't, d. h. Ilritste mit iiiilhktip.nh^ iiurNit/.enthMii War/enhofe. Bei den nord*
deutsihen MiidciiiMi (l\hi«i- tlii«)onip,i«ii iiiiihMi*r Ah.stammung fehlt mir die peiBÖn-
liclit» Krfahrimgi gi'ht ihi'ii'M Slinliuiii iIim Kiitwiikt^iung ziemlich rasch TorQber;
der War/.i'iiiiot nhnnt nirh iiml hipl «luim rirhiMhtMilt'irmig dem Hügel der BrOste
auf und dif Briintwai/i' lull ditini \yu\ imii Ihtclior Knopf aus der Ebene des
Warzenhofe.N ht^auN Ihm ^Aii lui (iM^nhitluli luil' beiden KBipariiilflan fiA
zeitig vor Mich; hiHweiltMi ulhMiltnua iImiihiI iitil der einen Seite & Hllbk
des War/enhoftw um niiiiKi* /«>!< lniiH«t| im, nln mii' ^\^jp ^^^^^^
Fi*j. IK.*. KiilftM'-Mudchoii aus Nutul im
Racktlürlialtor. itii .staiUum dor sohr iiUNKc^il^ctiMi
lIunikuKclform ilor Hrustwar/ouliiitV vor Kiit wifko-
liiii^ y\^v rriiuar-MRiniiia.
iNai'h riioto|;iaphio.)
73. Der BiLckügcli in aDÜiTopologischer Besciebutig.
811
Ist nun der Wanenhof mit seiner darunter liegenden Milchdrüse in das
hrekh des Mammahrigels mit hineingezogen, so treten sehr bald schon die indi-
iduellen Form Verschiedenheiten auf, wie sie auch bei den Erwachsenen sich
aden. Bei dem einen Madchen erhält sich die Halbkugelfon» der Brüste; bei
ineni anderen werden dieselben schalenförmig; bei noch einem anderen halb-
itronenförmig, konisch oder pyriform iL s. w. Jetzt pflegen noch auf einige Zeit^
bisweilen selbst über mehrere Jahre hm, Schwankungen und Veränderungen in
len Grossenverhältnissen der Brüste sich zu zeigen. Oft nehmen dieselben schnell
Umfang zu, fast bis zu übermässiger Fülle sich ausdehnend; bald darauf
rerden sie wieder um Vieles magerer und kleiner, um dann kurz hinterher von
Teuem an Umfang zu gewinnen, ohne jedoch
vielen Falleu die vorige Fülle zu erreichen,
>ndern auf einem Stadium zierlicher Abrundung
ßhen bleibend.
Wir können also, um es in Kürze zu wieder-
>len, an der weiblichen Brust die folgenden
tadien der fortaehreitenden Entwickelung unter- — .^^^^^^
1. Die neutrale oder puerile Brust-
rarze mit scheibenförmigem Warzenhofe.
2. Die Halbkugelform des Warzen-
)fea und der Brustwarze, welch letztere
>nvexflHchenhaft uusgezerrt die Kuppe
»r lluUikugel bildet, bei gleichzeitigem
I a n g (' 1 d er M a m nr a, Fii r d ieses Stadium kö nn te
San wohl der grösseren BecjuemJichkeit wegen
BD Ausdruck gebrauchen: Halbkugolwarze
ine (primäre) Mamma.
3« Die primäre Mamma mit noch er-
haltener Halbkugelform des Warzen hofes ^— ^^^-«.
und der Brustwarze. I^^^V^\. w \
4. Die primäre Mamma mit Scheiben-
kmigem Warzenhofe und prominirender
(rustwarze. Man könnte für dieses Stadium
»jch Wohl die Bezeichnung einftibren, die fertige
lack fisch -Mamma; es ist jedoch der erstere
lame wohl vorzuziehen, da er nicht minder deut-
|ch und fast ebenso kurz ist.
Wir vermögen bei allen Mädchen unseres
aes nach und nach alle diese vier Entwicke- _
ttngsstufen zu beobachten, und unter allen Um- k% m. AndumÄneu-iuMiUnttriii,
'"aden ist die Keiheutblge der Ausbildung ohne Mn B»ekfl»rb*lt*r, im sudiam «ur iii»jk
acne AUÄnanme me gieicne. ot^is enimcKeit ^»rfodhdfe vor *ier KntwJck«itiDe ii*r
ans der puerilen Warze die Halbkugel- prim&nn Mammi.. csiwsh FHotogtmphie.)
rarz€ ohne primäre Mamma, dann tritt die
rimäre Mamma auf, während die Halbkugelwarze noch bestehen bleibt, und
Hdlich verstreicht die letztere, es bildet sich der scheibenförmige Warzenhof mit
:>minenter Brustwarze aus und hiermit ist die Backfisch- Mamma zu ihrer voll-
:»mme»cn Ausbildung gelangt. In Bezug auf die Zeitdauer dieser einzelnen
ftdien mlV88#^n wir aber die allererheblicWen V'erschiedenheiten und Srhwan-
V und wie bereits weiter oben gesagt worden ist, so kommt es
IUI* i vor, dass selbst bei dem gleichen Individuum die Brust der
aen K« e tUr die einzelnen Entwickelungsstadien eine andere Zeit inne-
d» ütrjf lu-e der anderen Seite. Bisweilen, aber allerding« nur in seltenen
•312 IX- ^M Weib während der Zeit der geschlechÜ. Unreife oder die Kindheit dee Weibet.
Fällen, vermag man sogar auch noch bei reifen jungen Mädchen mit schon toU-
HtUndig jung&äulich ausgebildeter Mamma einen leichten Grad der Knaelforai des
Wurzenhofes mit Deutlichkeit zu erkennen. Wir müssen dieses Yerhalten als öne
Art von Hemmungsbildung auffassen.
Die in den Figuren 182 bis 199 nach photographischen Aufnahmen zur
Darstellung gebrachten jungen Mädchen, welche aus allen Welttheilen stammen
und den verschiedenartigsten Rassen angehören, sollen dem Leser die in den beiden
letzten Abschnitten geschilderten anatomischen Veränderungen und Umbildangen
an dem jugendlichen weiblichen Körper zur Anschauung bring^. Man kann sich
leicht davon überzeugen, dass alle die geschilderten Phasen der Entwickeinng
unserer weiblichen norddeutschen Jugend sich auch bei den jungen Madchen
fremder Volksstämme nachweisen lassen. Und wenn wir manche der erwihnten
F'ormen hier bisweilen sogar in besonders starker Ausprägung und mit kleinen
Variationen vorfinden, so dürfen wir nicht vergessen, dass
ein solches Verhalten in gewissen Formeigenthümlichkeiten
der Brüste bei der betreffenden Rasse seine natürliche Er-
klärung findet.
Wir sehen die noch neutrale oder puerile Brustwarze
bei der kleinen Prinzessin von Gelebes, Fig. 187, sowie
bei dem Dahome-Mädchen, Fig. 186, bei der kleinen
Serang-lnsulanerin, Fig. 188, und bei dem auf der Erde
sitzenden Ahuse-Mädchen, Fig. 189. Den üebergang
von der puerilen in die Halbkugelform der Brustwanenhofe
zeigt das Loango-Neger-Mädchen, Fig. 190, während
bei der kleinen Australierin aus Nord -Queensland,
Fig. 191, bei dem Kaffer-Mädchen aus Natal, Fig. 192,
, r^f.wm ^^^ ^^^ ^^™ Mincopie-Mädchen von den Andamanen-
km frm Inseln, Fig. 193, diese Form schon ihre volle Ausbildung
L\wi jm^M erlangt hat. Auch das auf der Erde knieende Kaffer-
J^ V /l^I Mädchen Fig. 199 gehört hierher. Von einer eigentlichen
ß I if fi^B Mamma, der, wie ich sie genannt habe, primären Mamma,
vermag man aber noch keine Spur zu entdecken. Die
überaus starke Ausbildung der Halbkugelform der Bmst-
warzenhöfe, wie sie uns die junge Person aus Natal in
Fig. 192 darbietet, findet ihre Erklärung durch eine be-
sondere Kasseneigenthümlichkeit der Brüste bei diesem
Volksstamm. Ich habe davon in Fig. 165 ein sehr charak-
L- .o. 1.' ^r « 1 u teristisches Beispiel abgebildet. Bei Volksstämmen, deren
aus Britisrh-Kafferiand Bruste ZU der Zicgenbrustform mnneigen, und daher ge-
(Süd-Afrika) im Backfisch- wöhnlich in ausserordentlich früher Zeit schon herabzu-
jilter, im Stadium der \w- i„ n •j«i*'i -jt
Kinueuden Entwi.keiung der hangen pflegen, smd wir bisweilen in der Lage, sogar
Primär -Mamma mit halb- schon bei dieser Halbkugelforui der Brustwarzenhofe vor
k»«eiförmi»,en^^Brustwarzen- ^^^ Auftreten der primären Mamma ein Hängendwerden zu
(Nach Photographie.) beobachten. Wir sehen diese eigenthlimliche Erscheinung
bei den beiden jungen Negerinnen von der Loango-
K liste, Fig. 184 und 19G, bei der einen in stärkerem und bei der anderen in
geringerem Grade. Hier messen wir also sagen, so paradox dieses auch klingen
mag, es können bei diesem Volke die Brüste bereits hängend werden, bevor sie
sich noch entwickelt haben.
Nun sckliesst sich das Magungo-Mädchen, Fig. 182, an, bei welchem
die Primär-Mamma in der ersten Entwickelung begriffen, die Halbkugelform der
Brustwar/cnhöfü aber noch vollständig erhalten ist Das Gleiche gilt aaoh Ton
dem Kaffer- Mädchen in Fig. 199, welches hinter der Knieendm itehti und
ähnlich verhält es sich mit dem Kaff er- Mädchen, Fig. nur kt dia
TS. Der Backfiticfa in anthropologischor Beäiehuog.
ai3
wiekelang der Priinär-Mamma hier schon etwas weiter vorgeöchritten* Auch das
' ^^hen au5 Britisch-Kafferland, Fig. 195, und dns stehende Ahuse-MSd-
I n, Fig. 189, zeigen diesen Zustund, jedoch ist bei ihnen die Primür-Mamma
a^hon stärker ausgebildet Die fertig entwickelte Backfischbrust endlich, d, h. also
die vollständige Primitr-Mamma mit scheibenförmigen Brustwarzenhöfen und pro-
minenteo Brustwarzen, tinden wir bei dem in der Figur 198 abgebildeten Akka-
Mädchen, bei dem Lappen-Mädchen vom Altenfjord, Fig. 183, und bei dem
stehenden Kaff er- Mädchen (hinter der Sitzenden) in Fig. 199.
Dasa nun auch die fertig ausgebildete Backöschbrust ein Hängend werden
igen kann, weon bei dem betreffenden Volksstamme das Hängen der Brüste
berhaupt ak die normale und gewöhnliche Erscheinung betrachtet werden muss,
kann uns natlirUcher Weise nicht überraschen. Wir finden dieses bei dem
eger-Mädchen aus Chinchoxo an der Loango-
Uste, Fig. 197. Gerade bei den zwei jungen
ädchen dieses Volkes, Fig. 184 und 196, hatten
ir ja sogar ein üeberhängen der eben erst halb-
ugelformig entwickelten Brustwarzenhöfe consta-
reu können. Das sitzende Kaffer- Mädchen in
ig, 199 zeigt die Brüste schon in fertiger Aus-
ildung.
Wahrend nun die geschilderten Umformungen
m Bereiche des Brustkorbes sich vollziehen, der
Durchmesser des Beckens grösser und die Gesäss-
fragend dicker und voller wird, treten auch an den
.Ctosehlecht'jtheilen und besonders am Mons Veneris
merkenswerthe Veränderungen ©in. An den Ge*
hlecht«(theilen sind es namentlich die grossen Scham-
ppen, welche an Länge, Dicke und Rundüng da-
urch zunehmen, da.s.s ihr Fettpolster sich ver-
rt^ert. Auch an dem Schamberg nimmt das Unter-
utfettgewebe an Menge und Ausdehnung zu, und
hierdurch wird der erstere voller, abgerundeter und
mehr über das Niveau der untersten Äbtheilung des
T^ Ml herv^ortretend. Nun tritt genau in
ie des Mons VcnerLs die erste Scham-
behaarung Äui, Auf der rechten Körperhälfte sowohl
lU« auch auf der Unken sprossen von der Mittellinie t^HmuT-MÄmmii mit u
aut!$ kurze, pigmentirte Härchen hervor, emes mimer (N»eh piiou>-i
etwas höher entspringend als das vorhergehende,
aber jederseits nur einen einzigen, der Medianlinie dicht anliegenden Haarstrich
bildend; denn erst etwas später entwickeln sich auch lateral von ihnen neue
Härchen. Die Haare sind zuerst kurz, schlicht, von der Medianlinie nach oben
und lateralwärts verlaufend und der Oberfläche der Haut dicht aufliegend, ähnlich
wie in den gewöhnlichen Fällen die Augenbrauen dies thun. An der oberen
Commissur der Rima pudendi pflegen die allerersten Haare hervorzubrechen. Jetzt
ist der Zustand erreicht, von welchem es in einem Sanskritverse heisst:
«Der BusdTt da hat bereite einec grosaea tTmfaDgt ut aber noch nicht zu der ihm an-
gww^jwnitin Höbe gelangt ; die drei Falten aitid schon darch Linieo bezeichnet, aber die Ver-
tinfünfpön and Erhnhongoii treten noch nicht deutlich hervor t auf der Mitte ihres Leibet ist
i^in»-^ fCaradffr lani^e, in« Braune fallende Hilrchenreibe schon du; wir »ehen daa reizende Alter,
«ta Oetaiich von Kindheit and Jungtränlichkeit, vor uns.* (BtMHngk.J
Sehr bald wachsen dann aber lateralwarts von den soeben besprochenen
Hiuiren neue Haare in analoger Weise hervor, und auch der äussere freie, die
r grossen Schamlippen bedeckt sich in gleicher
fig. \9^, KuffBr^Miilclftn »tu
iiltit; , Im Staitiuui
314 IX. Das Weib während der Zeit der geschlechtl. Unreife oder die Kindheit dee Weihet.
Weise mit kurzen Härchen. Allmählich werden alle diese Haare dicker, dunkler
pigmentirt und länger und heben sich aus dem Niveau der Hautoberfläche heraus,
wodurch dann leicht der Eindruck des Krausen und Buschigen der Scham-
behaarung hervorgerufen wird. Aber noch eine ziemlich lange Zeit hindurch
bleiben die seitlichen Abtheilungen des Mons Veneris von dem Haarwuchs toU-
ständig frei; das Haarfeld nimmt fQr gewöhnlich in dieser Zeit nur auf ungefähr
zwei Querfinger Breite die Mittelzone des Schambergs ein. Die Behaarung der
Seitenpartien des Mons Veneris pflegt dann erst nach vollendeter Pubertät zu
Stande zu kommen.
Auch in den Achselhohlen vollzieht sich in diesen Jahren
insofern eine Veränderung, als hier die Ausbildung der Schweiss-
drüsen sich steigert und damit auch die Schweisssecretion ver-
mehrt wird. Dass auch die Haut der Achselhöhle allmählich
sich mit Haaren bekleidet, ist ja allgemein bekannt. Es ist
gerade ungefähr der Mittelpunkt der Achselhöhle, also deroD
tiefste oder (wenn man sie von unten her betrachtet denkt)
deren höchste, gewölbteste Stelle, an welcher die ersten ganz
kurzen, vereinzelt stehenden Haare sichtbar werden. Sie zeigen
im Anfange gewöhnlich eine weniger intensive Pigmentimng,
als die Scharahaare, und auch ihr Wachsthum geht viel lang-
samer von Statten. Von dem erwähnten Mittelpunkte aus
überkleidet sich zuerst theils gegen den Oberarm hin, theils
dem Brustkorbe zulaufend, ein ungefähr fingerbreiter Strich,
durch welchen die Achselhöhle in eine vordere (ventrale) und
eine hintere (dorsale) Abtheilung geschieden wird. Es dauert
dann aber noch eine ziemlich lange Zeit, bis auch die etwas
mehr seitlichen Abtheilungen der Achselhöhle sich mit Haaren
bekleidet haben.
Gesellt sich nun zu allen diesen körperlichen Verände-
rungen auch noch die erste Menstruation hinzu, so gilt im
Allgemeinen die Pubertät für erreicht und das sogenannte
Backfischalter für abgeschlossen.
Wie bereits weiter oben gesagt worden ist, beziehen
sich die bisher gemachten Schilderungen der körperlichen
Eutwickelung nur auf die mir allein bekannte norddeutsche
Jugend. Es ist nun allerdings in hohem Orade wahrschein-
lich, dass nicht allein bei den übrigen deutschen Stämmen,
sondern auch bei dem gesammten Menschengeschlechte die
physische Umbildung von dem Kinde zur Jungfrau in ganz
analoger Weise sich vollzieht, und manche der mir zugäng-
Afriifa^^im^^Hacktiöch- l'chen Photographien scheint diese Annahme zu bestätigen,
aiU'r, im Stadium der — aber ein strikter Beweis dafür ist noch nicht geliefert
ku^ifom'^'def ^ worden; es fehlt eben leider bisher noch an genauen Angaben.
waraenhöfe, welche be- Sind doch selbst über die Mädchen unseres deutschen Volkes
reit« vor Entwickeiung die Berichte uoch vollständig fehlend; und doch ffiebt es
der l'rimär-Mamma eine i- • i i.- i_ l • i. j. l.^ j i_ j t»
Neigung zum Ueixr- ^^^^ ^^ ^i^*® hochst interessante r ragen, durch deren Lösung
häng.ii zfigHii. unsere Kenntniss der Anthropologie ganz erheblich gefördert
(Nach Photographie.) ^^^^^^ ^^.^j^
Auch bei den norddeutschen Mädchen nämlich ist die Reihenfolge, in
welcher die geschilderten Umbildungen am Körper vor sich gehen, nicht in allen
Fällen die gleiche, typische, sondern man hat bisweilen die Gelegenheit, recht er-
hebliche Schwankungen zu beobachten.
Der gewöhnliche Verlauf ist folgender. Es tritt zuerst die halbkugelige
Hervorwölbung der Brustwarzengegend auf; dann folgt das erste Hervorsprossen
Fig. IW. Neger-Mäd
chen von der Loango-
73. Der Backfisch in anthropologischer Beziehung. 315
der Schamhaare; darauf beginnen sich die Hügel der Brust zu wölben; nächstdem
breiten sich die Schamhaare seitwärts aus, und nun erst pflegt zum ersten Male
die Menstruation sich einzustellen. Ganz zuletzt kleidet sich dann auch die
Achselhöhle mit Haaren aus.
Von dieser Regel giebt es nun aber recht häufige Abweichungen. So geht
bisweilen die Behaarung des Mons Veneris der ersten Ausbildung der Brüste
voran, und manchmal zeigt sich die erste Menstrualblutung bereits, während an
der Brust und an dem Schamberge noch Yollständig kindliche Zustände herrschen.
Nur eines scheint constant zu sein, nämlich dass die Behaarung der Achselhöhle
sich stets am allerspätesten vollzieht. Es ist im höchsten Grade zu bedauern,
dass über diese so unschwer zu erforschenden Dinge noch gar kein wissenschaft-
liches Material vorhanden ist. Wenn jeder Arzt in seinem Beobachtungskreise
sich jedesmal auch nur ganz kurze Notizen machen würde, so wären wir der
Lösung der sich uns jetzt sofort aufdrängenden Fragen schon ganz erheblich näher
gerückt. Denn worin liegt die Ursache für die erwähnten Schwankungen in der
Reihenfolge? Sollte hier nicht vielleicht in der sogenannten hellen oder dunklen
Complexion der hauptsächlichste Grund zu suchen sein, d. h. in dem Umstände,
ob die jungen Mädchen dem hellen oder dem dunklen Typus angehören, ob sie
helläugig und blondhaarig oder dunkeläugig und dunkelhaarig sind? Bis jetzt
kann dieses nur als eine Vermuthung ausgesprochen werden. Es liegen zu der
sicheren Entscheidung dieser Frage auch noch nicht einmal die ersten Anfangs-
gründe der Untersuchung vor. Erwähnt mag übrigens noch werden, dass man
bisweilen schon ganz voll und üppig, vollkommen schon zur Jungfrau ausgebildete
Mädchen findet, bei welchen trotz der schon weit vorgeschrittenen körperlichen
Entwickelung doch noch die erste Menstruation lange Monate auf sich warten lässt.
f
0^
X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthro-
pologischer Beziehung.
74. Das erste Auftreten der Menstruation.
Das Wunder hat sich vollzogen! Aus dem Kinde ist eine Jungfrau geworden:
Der Ausdruck der Augen hat sich verändert, er ist sinniger und ernster, der
Klang der Stimme ist volltönender und melodischer geworden, die Formen des
Körpers haben an Fülle und Bondung ge-
wonnen. Als Zeichen derOeschlechts-
reife des Mädchens gelten uns der Ein-
tritt der monatlichen Reinigung, die Ans-
bildung der Brüste und der äusseren
Genitalien und das Hervorwachsen von
Haaren am Schamberg und in der Achsel-
höhle. Diese äusseren Merkmale wurden
von jeher als diejenigen der Pubertit
aufgefasst. So heisst es in der Bibel
bei Ezechiel 16, 7:
,Dein Busen ist bereits gewölbt and
dein Haar hervorsprossend.*
Der altindische Arzt Susnäa
führt nur die regelmässig wiederkehrende
Menstruation als das Zeichen der Ge-
schlechtsreife an. Man erkenne eine Men-
struirende daran, dass ihr Gesicht ge-
dunsen und heiter sei, der Mund und die
Zähne nass, dass sie mannssüchtig sei and
liebkose, dass der Unterleib, die Aagen
und die Haare schluÖ' seien, die Arme
dagegen, die Brüste, die Schenkel, der
Nabel, die Hüften, der Schamberg und
die Hinterbacken strotzen, dass sie voll
Freude und Verlangen sei.
Im römischen Reiche galt die
Schambehaarung als ein wichtiges Zeichffli
der Mannbarkeit. „ Deshalb, *" sagt EUe,
Fig. 197. xeßer-Mi.ichen aus chinchoxo ander ^^i^^s der Kaiser JastiHtanus die Scham
Loango-Kttst« (West -Afrika) im Backflschalter. aller MadcheU in Bezug auf Ab- Und
im Stadium der fertig entwickeltea und bereits über- AnwftSPnbpif Hpr Haarft nntAranrliMi J^m
hängenden Primär-Jlamma mit scheibenförmigen Brust- AUWesenneit ÜCr Haare UnierSUCnen, «He
warzenhöfen and prominenten Bni8twaTze&. sie ZUm Heirathen f&r tüchtig
(Nach Photographie.) werden konnten.*
7&. Der Ebflan d«a Elima» auf daa erste Gintreten der Menstro&tion.
31i
rrl\r
Was die ehiBesischen Aerzte von der Menstruation anfübren, ist Folgendes:
Vom 14. — 15, Jabro aw tritt h&x jeder Frau ein monatlicher Bluti^bflus« (Kiog-biuel
IUI den weillicben Gesclüeeht^rtbeilen (yn-hou) ein; er dauert gewöhnlich 21,2^ 3—4 Tnge
\ind regelt sich nach 30t!lgigen Perio^len. Wenn er 2 Tage £U früh eintritt^ so beisst diese
^Icrankhafte Affection kan*t«ien, wenn er 1—2 Tage tu spät eintritt, so heisst diese tsieou-beou-
W<*nn der Ausfluss nicht lauge Zeit nach der eigentlichen Periode eintrittt ^o ist die Frau
^iwei Krankheiten ansgesetÄt, entweder deiu Hine-tche oder Hiae*kou. Die Schmerlen, welche
bisweilen vor der Men&truntion eintreten, heisBen king-sien, die nach der Menstruation Hng-
I)et Blutausflugs kann fünf verschiedene Farben haben: die bellrothe ist gesund» die
deutet auf Schwäche und entsteht durch innere ErkältuDg; die Kchwiirze deutet auf
tarke Erhitzung des Blutes; die gelbe auf zn reichliche Galtenabsonderung; die blaue out*
liebt, wenn die Frau durch Luftxug erkältet ist. (Bahry.)
Die Aerzte des Talmud äussern sieh ver-
schiedentlich über die Reife einer Jungfrau, Als
'deichen fuhren sie einmal an, dass bei ihr die
laare an den Genitalien zu wachsen beginnen;
fein anderes Mal betonen sie eine merkliche Wöl-
bung des Busens, und als ein noch höherer Grad
der Pubertät wird angegeben, dass die Brustwarzen
elastisch werden. Andere Talmudisten bezeichnen
tda» Erscheinen der dunkelbraunen Farbe an dem
lofe um die Warxe und auch das Lockerwerden
des Schamhügels als das Merkmal der Reife«
Die Naturvolker achten im Allgemeinen
Eiemlich genau auf den Eintritt des für sie allein
^gültigen Zeichens der Pubertät, das ist das erste
Ersoheinen des Blutausttue^^es; denn dieser ist es,
welcher bei vielen die Verunlusüung giebt, mit dem
jungen Miidchen ein besonderes cereuionielle,s Ein^
(veihungs- Verfahren vorzunehmen. Ich werde
aierauf später noch in ausführlicher Weise zurück-
Eukommen haben.
Man nimmt all gemein an, dass mit dem Ein-
Itritt der Menstruation das weibliehe Individuum im BAckOschaUat, imsudium derfeniK
fdas Pubertäts-Alter erreicht hat, d. h. dass das ^J^tl^t^Ztl.'^^^Z^^
^ „ , , . 1 i ♦ 1 I II 1 förmig*!! Brust wiirzeiihmoti tina promi
l /eichen emes Blutaustntts dasselbe als mannbar nentrn Bnistwar%«^n.
lerschetnen läset Inwieweit diese Annahme gerecht- t^'*^** Pbotograiihic )
[fertigt ist, bleibt fernerer Erörterung überlassen
Uiud bedarf noch eingehender Untersuchungen. Fürs Erste wollen wir betrachten,
ftir Factoren es sind, die nachweislich oder scheinbar einen befördernden oder
Iwimenden Einfluss anf da^ erste Erscheinen der Menstrualblutung auszuüben
rennogen.
Fig- IW. A k k » M ü il c h e n (Osl-Afi Ikn .
75. Der Kinflti8S den Klimas auf Am erste Eintreten der Metiüftrtiatioii.
Die ältesten Angaben scheinen schon darauf hinzudeuten, dass die Ditlerenzen
Hn der Zeit dea Menstrual - Eintritts durch klimatische Unterschiede bedingt
l^ürden. Nach dem Ausspruche des altindischen Arztes Siisruia (im Ayurveda)
pflegt die Menstruation mit dem 12, Jahre (bei den Mädchen in Indien), nach
Rabbinern des Talmud (also bei \\%n Jüdinnen in Kleinasien) in den
ten Fällen im 13. Jahre, und nach Soninus aus Ephesus zu Rom im
14. Jahre einzutreten. Diejenigen Schriftsteller hingegen, welche in Europa vor
fdem 15. Jahrh. lebten, wie der seiner Zeit so berühmte Michaelis Scoius und der
licht minder geschätzte Albertus Mat/nus^ bezeichnen das 12, Lebensjahr als das-
leiiige, in welohem der weibliche Körper diesen Grad der Entwickelong erreicht
31 f< X. Die Reife des Weites die PaberUt in anthropologueher Benehnag.
habe. Derselben Ansicht ist auch Aihncht r. Hauer: nach ihm erscheinen die
Menses in der Schweiz, in Deutschland, in Britannien and in anderen
gemässi^en Himmelsstrichen im Alter Ton 12 bis 13 Jahren, aber apfiter, je weiter
wir nach Norden kommen: in den warmen Gegenden Asiens a. s. w. sollen sie
»chon im S. bis 10. Jahre eintreten. Diese Ansicht Hallers galt lange Zeit hin-
durch unbedingt ab die richtige. Der Einäoss des Klima» wurde namentlich Ton
Halter besprochen, nnd wenn wir nun nach dem heute Torliegenden Materiale die
Frage erörtern, welche besonderen Bedingnngoi und Ursachen anf die frOhere
oder spätere Eintrittszeit der Menses einwirken, so tritt uns zunächst die That-
sache entgegen, dass man sehr häuäg das Klima, namentlich aber die durch-
schnittliche Jahrestemperatur als das einflussreichste Moment betrachtei. In der
That hat man durch Vergleiche zahlengemass nachzuweisen vermocht (Radborski^
Boudin u. A.<. dass die herrschende Temperatur des Wohnorts sehr einflossreich
auf die zeitigere oder spätere Entwickelung des weiblichen Körpers in sexueller
Hinsicht ist.
Diese Resultate, welche sich aus umtänglichen Forschungen gewinnen liessen.
stellte Marc d'Espine in folgenden Sätzen zusammen:
1. In den gemässigten Zonen tritt die Mannbarkeit bei dem Weibe iwiachen dem 9.
und 2i. Jahre ein. Das Alter aber, wo der Eintritt am häufigsten Statt hat, ist das 14. oder
15. Jahr. 2. Das mittlere Alter der Mannbarkeit erleidet sehr merkliche Variationen je nach
der geographischen Breite, in welcher man sie in dieser gemSssigten Zone beobachtet, nnd
im Allgemeinen kann man sagen, das> der Eintritt um so früher erfolgt, je mehr man lich
dem Aeqaator nähert. 3. Das Klima (wenn man darunter die mittlere Jahrestemperator ver-
steht) ist bei der Betrachtung wichtiger, als die geographische Breite, so dass das Oeaets
hinsichtlich der geographischen Breite nur wahr iet. insofern das Klima mit der Breite im
Verhältniss bleibt. 4. In den Fällen, wo alle wahrnehmbaren Umstände gleich sind und wo
das Klima variirt, sind die Verschiedenheiten, welche man in den mittleren Altem der
Mannbarkeit bemerkt, in einer geometrischen Beziehung fast gleich denjenigen der mittleren
Temperaturen.
Allein dass auch noch andere Lebensbedingungen dabei zur Einwirkung ge-
langen, ging ebenfalls scbon mit grosser Sicherheit aus den Ergebnissen Marc
d'Kspint's hervor, auf welche wir später noch zurQckkommen müssen.
Auch der englische Frauenarzt Tili bestätigt den Einflnss des Klimas,
denn bei einer Vergleichung der Zahlen verschiedener Beobachter fand er, dass in
heissen Klimaten die mittlere Zeit der ersten Menstruation : 13 Jahre 16 Tage, in
gemässigten: 14 Jahre 4 Monate 4 Tage, in kalten: 15 Jahre 10 Monate 5 Tage
betrug. Allein auch Tat erkennt noch andere Factoren als nicht ohne Einfluss
an, von welchen weiter unten noch zu sprechen sein wird.
Eine weit oingehondero Znsammenstellang der Thatsachen auf einer Tabelle, welche
(gleichzeitig die mittlere Jahrentemperatur, die geographische Lage, die Raue oder den Volk»-
fltamiii rubricirt, verdanken wir dem Berliner Arzt Krieper. Aus dieser Statistik ergiebt
HJch ullerding» eine entschiedene Einwirkung des Klimas. FQhrt man die Orte der Beobach-
tung in einer Keihenfolge je nach der steigenden mittleren Jahrestemperatur an, so zeigen sich
i'olgr*ndo mittlere Durch tücfaiiittsalter hei der ersten Menstruation nach Jahr, Monat und Tag.
Schwedisch-Lappland 18 J.; Christiania 16 J. 9 M. 25 T.: Skeen (Norwegen)
15 .1. :, M. 14 T.; Stockholm 15 J. 6 M. 22 T.; Kopenhagen 16 J. 9 M. 12 T.; Göt-
tingon 10 J. 2 M. 2 T.; Berlin 15 J. 7 M. 6T.; München 16 J. 5 M. 11 T.; Wien 15 J.
'r< M. 15 T.; Warschau 15 J. 1 M.; Manchester 15 J. 6 M. 23 T.; London nach Terschie-
denen Zilhlungon zwiHcbon 15 J. 1 M. 4 T. und 14 J. 9 M. 9 T.; Paris nach verschiedeBai
Zahlimgen zwinchcn 15 .1. 4 M. 18 T. und 14 J. 5 M. 17 T.; Sables d'Olonne 14 J. 8 M.
23 T.; Lyon 14 .1. 5 M. 29 T.; Toulon 14 J. 4 M. 5 T.; Nimes 14 J. 3 M. 2 T.; Mont-
]>Allier 14 J. J M. 1 T.; Marseille 18 J. 11 M. 11 T.; Corfu 14 J.; Madeira 14 J. SM.
(nach anderer Angabo 15 .1. 5 M. 10 T.}; Dekhan 13 J. 3M.; Calcuttal2J. 6 M.; Lohaia
11 J.; Achmim (Aegypten) 10 J. und Sierra Leone 10 J.
Eh ist hiermit unzweifelhait gezeigt, dass die klimatischen Verhikaur
nachdem einen zeitigenden oder verzögernden Einfluss ausüben.
i
^B(ßDtmatiiJti bediagen können. Weher" z. B. lehnt einen Einfliiss des Klimas ab,
^B verglich Individuen in St. Petersburg, welche aus verschiedenen Theilf^n
^Ktslandfi einjiC^WAud^rt wareo, und er gelangt dann zu dem Schlüsse:
^^ / ' 1.1 r , it es* unser Material betrtöt, keinen dirLgreifeoden
aütv nnd die Schwankungen, die dennoch vorkommen,
dea r^kUiuxioiiUtau tuiU dati Ua^^eii /.aziucbreilien zu sein.
320 ^' ^i® Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologiBcher Bexiehung.
Krieger hingegen vertheidigt, nachdem er die Verschiedenheiten der Lebens-
weise als weniger einflussreich für den Menstruationseintritt erklärt hat, als die
verschiedene Höhe des Wohnortes über dem Meeresspiegel, die Ansicht, dass dn
wesentlicher Unterschied in dem mittleren Alter der ersten Menstruation besteht,
je nach dem Himmelsstriche, unter welchem die Menschen leben. Er beruft sich
dabei mit Recht auf Dubois und Pajot^ welche in einer Tabelle den Eintritt der
ersten Regel bei je 600 Frauen im südlichen Asien, in Frankreich und im
nördlichen Russland verzeichnen. Hieraus liess sich berechnen, dass in der
heissen Zone die grösste Zahl der Frauen zwischen dem 11. und 14. Jahre, in
der gemässigten Zone zwischen dem 13. und 16. Jahre, in der kalten Zone
zwischen dem 15. und 18. Jahre menstruirt wird. Krieger selbst sagt nun:
^Als die hauptsächlichste Ursache dieses Unterschiedes rnuss daher allerdingfi daa Klima
angesehen werden, und nur innerhalb dieses Einflusses, den das Klima ausübt, oder als con-
stituirenden Factoren des Klimas wird der mittleren Jahrestemperatur, der geographischen
Länge und Breite, der Höhe über dem Meeresspiegel, der Nähe des Meeres und zum Theil
auch dem städtischen oder ländlichen Wohnsitze einiges Gewicht beizulegen sein. In welchem
Maasse aber jeder einzelne dieser Factoren ein yorwiegendes Interesse in Anspruch nehmen
darf, ist zur Zeit wohl kaum zu entscheiden. Der Rasse endlich wird sich nicht jeder Ein-
fluss auf den Menstruations-Eintritt absprechen lassen, doch möchte es schwierig sein, den-
selben zu detiniren.*^ Dann aber entscheidet sich Krieger auf Grund der yon ihm aufgestellten
Tabelle dahin, «das es nicht die Rasse, sondern vielmehr das Klima ist, wodurch der Untei^
schied in dem Alter der ersten Menstruation bedingt wird,' indem er weiterhin behauptet,
,.dasB die Wärme der Luft im geraden Verhältnisse zu der früheren Entwickelung der weib-
lichen Geschlechtsreife zu stehen scheint."
76. Der Einfluss der Basse auf das erste Eintreten der Menstrnatton.
Während die bisher angeführten Gelehrten für die Verschiedenheiten in dem
ersten Auftreten der Menstruation in erster Linie das Klima verantwortlich zu
machen bemüht sind, haben namentlich Alexander von Humboldt und Röberion
den Einfluss der Rassenangehörigkeit und innerhalb derselben den der Nationalitat
nachzuweisen gesucht. Auch Tut hält diese genannten Factoren nicht für wir-
kungslos, und wir müssen besonders hervorheben, dass einige Beobachter, freilich
ohne genauere Zahlen anzugeben, z. B. Polak u. A., diesen Einfluss nicht gering
anschlagen. Letzterer sagt:
^Ueberhaupt scheint das frühere oder spätere Eintreten und Erlöschen der Menstruation
mehr yon der Kasse als vom Klima abzuhängen, und obwohl sie durch ein kaltes, nOrdlichet
Klima verzögert wird, so verwischt sich doch in allen folgenden Generationen nicht der Em-
fluss der Rasse. Als Beleg hierfür dienen die Jüdinnen in Europa und die Negerinnen
in Persien und den amerikanischen Colonien.**
Auch Oppenheim schloss auf eine Rassendiflerenz in dem Auftreten der
ersten Menstruation nach seinen Beobachtungen an bulgarischen, türkischen,
armenischen und jüdischen Mädchen, und Lebrun fand bei 100 weiblichen
Wesen jüdischer und slavischer Herkunft, dass eine grössere Anzahl der
Jüdinnen schon im 13. Jahre ihre Menses bekam, in welchem nur eine Slavin
menstruirte. (Corre.)
Mag hier nun die Verschiedenheit der Lebensweise vielleicht auch nicht
ganz ohne Einfluss sein, so ist doch eine so völlige Zurückweisung der Rassen-
differenz, wie wir sie bei Krieger und bei Topinard finden, doch wohl keinesw^
gerechtfertigt.
Weber in St. Petersburg kam bei seinen Untersuchungen zu den folgenden
Resultaten. Er bezeichnet als „frühzeitigen'' Eintritt denjenigen mit 15 Jahren
und als „späteren'^ Eintritt den mit 17 Jahren. Es fand sich ein:
Russin. Jadin. Deutsche. Polin. Finnin.
Früher Eintritt: 48.5«/o. 54,50/o. 47,1%. 52,70/o. 190,^
Spater Eintritt: 6,36%. 8,7%. 2,90/«. 2.90'o. 19,250/0.
77. Der Einfluss d. Standes und d. Lebensweise auf das erste Eintreten d. Menstruation. 321
Nimmt man nun noch die Verhältnisse für , vorzeitig* bis 12 und «verspätet* nach
18 Jahren, so kommen:
Russin. Jüdin. Deutsche. Polin. Finnin.
Vorzeitig: 10,60,o. 12,50/o. 8,20/o. ll,70o. 2,750/o.
Verspätet: 2,860/o. 1,2%. 3,80/o. 2,90/o. 0,0<»/o.
Man vermag hieraus zu ersehen, dass bei den Finninnen, trotzdem im
Ganzen die Menstruation erst spät eintritt, doch Verspätungen zu den grössten
Seltenheiten gehören; dasselbe kann man fast auch von dem vorzeitigen Eintritt
sagen; wogegen bei den Jüdinnen und den slavischen Völkern der unzeitige
Eintritt, und zwar besonders der vorzeitige, recht häufig vorkommt.
Dass sich bei verschiedenen Nationen, selbst wenn sie in einem Lande
zusammen wohnen, grosse Differenzen zeigen, geht aus den in Ungarn angestellten
Untersuchungen Joachim' s hervor. Es menstruirten dort zum ersten Male:
Magyarische Bauernmädchen im 15. — 16. Jahre,
Israelitinnen , 14.— 15. „
Raizitische Mädchen „ 13. — 14. „
Slovakische „ , 16.— 17. „
In Strassburg jedoch fanden Stöber und Tourdts bei 29 Judenmädchen, dass sich
der Menstruationseintritt durchschnittlich ebenso verhielt, wie bei den Mädchen der Qbrigen
Bevölkerung; er war in keinem Falle vor dem 12. Jahre, das Maximum war zwischen dem
14. und 17. Jahre. Freilich sind 29 Individuen zu wenig, um eine solche Frage zo ent-
scheiden.
77. Der Einfluss des Standes und der Lebensweise auf das erste Eintreten
der Menstruation.
Als einen ferneren Factor, welcher das erste Eintreten der Menstruation zu
beeinflussen vermag, müssen wir die Standesunterschiede hervorheben und die da-
durch bedingten Verschiedenheiten in der Lebensweise, sowie das Aufwachsen
auf dem Lande, gegenüber demjenigen in den Städten.
Das hat in recht eingehender Weise lienseußer erörtert, welcher an 5G11 weiblichen
Individuen, die während 10 Jahren in Moskau lebten, den Eintritt der Menstruation fest-
stellte. Es Hess sich bezüglich des ersten Auftretens der Menses unterscheiden eine frühe
Periode von 9 bis 12 Jahren, eine mittlere von 13 bis 16 Jahren, und eine spätere von 17
bis 22 Jahren. In Moskau hat sich nun mit Berücksichtigung der Stande Folgendes ergeben:
Das Maximum der frühen Periode (9 bis 12 Jahre) fällt auf den Adel und die Ausländer
(es werden keine Nationalitäten genannt): für die zweite, die mittlere Periode fällt das
Maximum auf die Geistlichkeit und den Kaufmannsstand; für die dritte Periode fällt das
Maximum auf die Bauern. Hiernach hat es den Anschein, als wenn weniger das Klima,
als vielmehr die physische Erziehung, und wahrscheinlich die Nahrung einen Einfluss habe,
wobei jedoch der durch Erblichkeit sich fortpflanzenden Einwirkung der physischen Erziehung
auf das Nervensystem gewiss auch Rechnung zu tragen ist.
Auch Weher fand, dass Stand und Beruf auf die erste Regel sehr einfluss-
reich sind:
Nach seinen in St. Petersburg angestellten Erörterungen kommt das Maximum des
ersten Menstruations-Eintritts auf das Jahr 14 bei Hausfrauen, Näherinnen, Wäscherinnen,
Ladenmädchen, Schuhmacherinnen, Hebammen, Kindermägden, Wartefrauen; auf das Jahr 15
bei Köchinnen, Schneiderinnen, Händlerinnen, Ammen, Schauspielerinnen, Feldarbeiterinnen,
aof das Jahr 16 bei Stubenmägden, Prostituirten, Lehrerinnen, Wartefrauen; auf das Jahr 13
bei Lehrerinnen, Sängerinnen, Studentinnen und Modistinnen (allerdings ist diese Rubrik zu
gering an Zahl).
Ich kann nicht verhehlen, dass hierdurch doch immerhin nur ein approxi-
mativer Rückschluss auf die Einwirkung der Lebensstellung zulässig ist. Denn
alle die in der obigen Liste aufgeführten Personen haben doch natürlicher Weise
um vieles später ihren Lebensberuf ergriffen, als sich die erste Menstruation bei
ihnen gezeigt hat.
Ploss-Bartels. Das Weib. C. Aufl. I. 21
322 ^* I^ie Keife des Weibee (die Pubert&t) in anthropologischer BeziAfaniig.
^Im Granzen, so schliesst Weher ^ kOnnen wir von dem Einfloss der Beichftftigiiiig und
Lebensweiue sagen, dass bei unseren Städterinnen die Menstruation in den besseren Krtisan,
in regelmässigen Verhältnissen, wo das Weib seiner Bestimmung nachsukommen Torbereitat
wird und sie schliesslich in den Stand der Hausfrau tritt, die Menstruation zeitiger ainfaritt;
wogegen bei' den Proletariern, Feldarbeiterinnen, bei Mädchen, die schon von KindesbeiiieB
an zu schweren Arbeiten angehalten worden, die Menstruation später eintritt. Auffallend Irflh
tritt dieselbe bei Mädchen ein, die sich dem Studium und überhaupt den geistigen Arbeiten
widmen, also bei Studentinnen, Lehrerinnen, Schauspielerinnen, Sängerinnen und dei^leichen.*
Auch den Einfluss des Standesunterschiedes hinsichtlich des elterlichen Berufet stndirte
Weber: es waren beim Bauernstand im Mittel 14,8 Jahre, im Maximum 15 — 16, im Minimnm
10—11 Jahre; dagegen, wenn man das begonnene Jahr als voll nimmt, bekommen wir 16 Jahr»
als mittleren Menstruations-Eintritt; beim Bdrgerstand im Mittel 14,6 Jahre, Maximum 14 — 15
Jahre; beim Kaufmannsstand im Mittel 14,1 Jahre, im Maximum 14 — 15 Jahre; bei Adligim
und Officieren im Mittel 14,1, im Maximum 14 — 15 Jahre; beim Beamten- und Gelehrtn-
stände im Mittel 14,29 Jahre, im Maximum 14—15 Jahre; beim Soldatenstand im Mittel
14,8 Jahre, im Maximum 16 — 17 Jahre; beim geistlichen Stande waren die Zalden zu klein,
um sicher die Zahl 13,9 Jahre als Mittel bezeichnen zu kOnnen.
Der bedeutende Einfluss, welchen die Lebensweise äussert, ergiebt sich
aus Brierre de Boisnionfs Berechnungen in Paris; er fand, dass durch luxariSae
und bequeme Lebensweise sowie durch die verweichlichende Erziehung der Men-
struations-Eintritt gezeitigt w^ird. In Paris ist nach ihm das durchschnittliche
Alter des Pubertäts-Eintritts:
Bei Frauen der mittleren Bürgerklassen 15 Jahre 2 Mon.
^ Handarbeiterinnen 15 , 10 ,
, Mägden 16 , 2 ,
, Tagelöhnerinnen 16 , IV2 •
Für P aris im Mittel 14 Jahre 4 Moni
In Wien fand Setikits das mittlere Menstruations- Alter 15 Jahre and
8V2 Monate; hingegen auf dem Lande in Oesterreich 16 Jahre und 2^/2 Monate.
Dass Marc d^Espine Aehnliches gefunden hatte, das haben wir bereits oben ge-
sehen. Für Strassburg und das Departement Bas-Khin (Elsass) £Emd Stöber
und Tourdes^ dass die Menstruation in der Stadt meist im Alter von 13 Jahren
eintritt und nicht selten auch schon im 11. und 12. Jahre; auf dem Lande
scheint das Alter zwischen 15 — 16 Jahren das gewöhnlichere zu sein, and ofl
erscheint sie hier noch viel später.
Schon Hippolitns Guarinanins^ der in Hall bei Innsbruck als Arzt lebte
und dessen berühmtes Buch «Die Grewel der Verwüstung menschlichen
Geschlechts^ im Jahre 1610 erschienen ist, hatte die Beobachtung gemacht,
dass der Eintritt der Geschlechtsreife bei den Bäuerinnen und Städterinnen nicht
zu gleicher Zeit erfolge. Es heisst bei ihm:
,Zu guter KundschafFt sehen wir, dass die Bawren Mägdlein in hiesiger Landtechaflft»
wie auch allenthalben, vil langsamber, als die Bürgers, oder £delleuth Töchter, und selten
vor dem 17 oder 18 oder auch 20igi8ten Jar, zeitigen, darumben auch dise umb vil länger
als die Bürger und Edollouth Kinder leben, und nit sobald als dieselben veralten. Item wir
spüren fein klar, und ohne \'il Nachsinnen, dass in gemein, wann der Bawren M&gden kanm
zeitigen, die Biu*gerlichen schon otlich Kinder getragen haben. Ursacli, dass die Inn wohner
der Stätten, mehreres den gaylen Speisen und Trank ergeben, darnach auch jhre Leiber lart,
weich und gayl, und gar zu bald zeitig werden, nicht änderst als ein Baum, welchen man
zu fast begeust, sein Frucht zwar bälder als die andern zeitigt, aber nit so vollkommen, nnd
veraltet auch desto bälder."
Auch Marc d'Espine hatte durch seine vergleichenden Untersuchungen
herausbekommen, dass Frauen, welche in Städten geboren sind, oder daselbst ihre
Kindheit zubringen, eine frühzeitigere Mannbarkeit zeigen, als diejenigen, welche
auf dem Lande in Dörfern geboren sind und ihre Kindheit verlebt haben. Der
Unterschied in den mittleren Mannbarkeitsjahren möchte jedoch nicht mehr ab
ein Jahr betragen. Die Grossstädte haben, im Verhältniss zu den Mittelstädten,
die Eigenschaft, die Mannbarkeit noch früher zu zeitigen.
78. Der Einflass d. voneit. Geschlechtsgenasses auf das erste Eintreten d. Menstruation. 323
Schon die Aerzte des Talmud wussten, dass die Lebensweise des Mäd-
chens grossen Eiufluss auf die Eintrittszeit ihrer Pubertät ausQbt. So behauptet
Rabbi Simon ben Gabiel von den Mädchen, welche in Städten wohnen und dort
Gelegenheit haben, öfter Bäder zu benutzen, dass bei ihnen das Behaartwerden
der Körpertheile sich weit früher einstelle, als dieses bei den Dorfbewohnerinnen
der Fall sei, wogegen bei- letzteren die Wölbung des Busens sich früher zeigt
als Folge ihrer anstrengenden körperlichen Arbeiten. (Wunderbar.)
78. Der Einflnss des Torzeitigen Oeschlechtsgennsses auf das erste
Eintreten der Menstruation.
In engem Zusammenhange mit dem Einfluss, welchen die Lebensweise im
Allgemeinen auf das frühere oder spätere Auftreten der Menstruation ausübt, steht
derjenige, welcher durch einen verfrühten Oeschlechtsgenuss hervorgerufen wird.
Es scheinen ftir eine derartige prädisponirende Einwirkung mancherlei wichtige
Thatsachen zu sprechen.
Bei den Ehstinnen stellt sich die Menstruation trotz des rauhen Klimas,
trotz der abhärtenden und den Eintritt der Menses verzögernden Lebensweise,
trotz der durchgängig torpiden Constitution, wenn auch selten, schon im 15.,
selbst im 14. Jahre ein. Holst giebt dies der Unkeuschheit der Mädchen
schuld. Er glaubt, dass durch die geschlechtlichen Reizungen die Genitalien in
ihrer Entwickelung derjenigen des übrigen Körpers vorangingen.
Die Schwierigkeit des Beweises zeigt sich aber in Folgendem. Nach Chervin
tritt bei den Hindu- Mädchen die erste Regel keineswegs früher ein, als bei
den Europäerinnen, die unter gleichen klimatischen Einflüssen leben. Sie men-
struiren im 12. Jahre, was sich auch ganz ebenso bei den anderen Orientalinnen
findet Also kann es hier jedenfalls nicht allein der frühzeitige Geschlechtsgenuss
sein, der diesen Zeitpunkt der ersten Menstruation bedingt. Denn die Hindu-
Mädchen heirathen viel früher als die anderen Südländerinnen. Nach dem Ge-
setze des Manu dürfen sie schon mit 8 Jahren in die Ehe treten ; jedenfalls aber
•ollen sie sehen vermählt sein, bevor ihre erste Regel sich zeigt.
Die geschlechtliche Reife pflegt sich bei den Mädchen der Nay er -Kaste in
Indien zwischen dem 13. und 15. Jahre einzustellen, nur ausnahmsweise vor
dem 12. Speer Schneider^ der in Trovancore lebt, kennt Mädchen der lUuvar-
und anderer schlecht genährter Kasten Süd- Indiens, die im 16. Jahre noch
nicht geschlechtsreif waren und noch unentwickelte Brüste hatten. Viele Mäd-
chen der Nayer-Kaste leben aber schon vom 11. Jahre an mit Männern.
(Jagor. Meyer^,)
Auch auf den Sandwichs-Inseln heirathen die Mädchen vor dem Eintritt
der Pubertät, und nach Dumas hält man daselbst die Menstruation itir die Folge
des Coitus und ihr Erscheinen bei einem unverheiratheten jungen Mädchen für
ein Zeichen übler Aufitihrung.
Für europäische Verhältnisse liegen zur Beurtheilung des uns beschäf-
tigenden Gegenstandes einige interessante Beobachtungen vor. Es sind Unter-
suchungen an Prostituirten, von denen, wie ja hinreichend bekannt sein wird,
viele ihren liederlichen Lebenswandel schon in einem noch kindlichen Alter be-
ginnen. Lombroso macht uns Mittheilungen aus Italien. Er fand die Men-
struation verfrüht bei 16 Procent, verspätet dagegen bei 9 Procent. De Albertis
fand bei 28 Prostituirten ein normales Mittel für den Eintritt der ersten Men-
struation; auch hier zeigten einzelne Fälle wieder eine erhebliche Verfrühung,
andere aber auch wiederum eine beträchtliche Verspätung. Orimaldi stellte 6 Mal
bei 26 Prostituirten das erste Auftreten der monatlichen Reinigung zwischen 11
und 12 Jahren fest.
21*
324 ^- ^^io Reif® <1^ Weibes (die Pubertät) in anthropologiMher
Die ausführlichsten Beobachtungen auf diesem Oebiete hat PauUne Tomairriiy
angestellt. Sie fand bei 150 Prostituirten in St Petersburg, die thnlweiK
aus dessen ländlicher Umgebung stammten, 45,99 Procent, welche schon swiflcha
11 bis 15 Jahren menstruirt waren, während die gleiche Anzahl Ton Bauer*
niädchen des gleichen Gebietes hierfür nur 10 Procent aufzuweisen hatte. Hier
ist also ganz zweifellos eine Beschleunigung des Eintrittes der ersten MenstmatioB
durch den verfrühten Geschlechtsgenuss nachgewiesen. Dass der letztere wirkfich
stattgefunden hat^ wurde von Frau Tarnowshy auch festgestellt:
^11 r^Kulte de ces chiffres que 32 filles ont exerc^ Tacte sezuel avant d'aroir itteiit
15 ans; 38 autres filles ^ partir de 15 ans. Ce qui fait un total de 65 fiUes sor 150 qvi k
8ont abandonn^es aux rapports sexuels avant 16 ans, äge exigä par notre l^gislatioii poor li
coneöcration du mariage. Les paysannes illettrees prises k titre de comparaiaon, dont la pfai-
part dtaient mariees et nieres de familles, n'ayaient pas eo de rapports Mzuela en moyeane
avant Tage de 18 ans/
Von diesen Prostituirten hatten 12 den geschlechtlichen Verkehr mit 13
«labren begonnen, 4 mit 12 Jahren, eine mit 10 Jahren und eine sogar bereife
mit 9 Jahren.
Aber nicht bei allen Prostituirten hat sich, wie wir bereits gesehen haben,
eine Verfrühung des ersten Menstruationseintritts nachweisen lassen. Bei einiga
zeigte sich im Gegentheil die erste Kegel in abnorm später Zeit. Auch PaiJiV
Tanwwsly fand dieses bestätigt:
ylndöpendamuient de la menstruation precoce du plus grand nombre de noa prostitote
quelques- unen d'entro elleH se distinguaicnt au contraire par une nubilit^ tardive. La p^riodc
menstruelle nc s*6tablit ({u'ä Tage de 19 ans choz 20/0 de nos prostitu^es.*
Nun vermögen wir allerdings nicht nachzuweisen, dass auch diese Ver-
späteten bereits vor dem Eintritt ihrer ersten Menstruation sich der Prostitution
ergeben haben. Es wäre ja immerhin wohl möglich, dass sie erst spater zu
diesem traurigen Berufe gekommen wären. In der That f&hrt die laste der
Tarnonshy 49 Personen an, die relativ spät sich geschlechtlich hingegeben haben,
nämlich 26 mit 17 Jahren, 12 mit 18 Jahren, 9 mit 19 Jahren and 2 mit 21
Jahren. Es bleibt also hier ferneren Beobachtern noch mancherlei zur Ent-
scheidung vorbehalten.
«
79. Anderweitige Einflüsse auf das erste Eintreten der MenstruatioiL
Also nicht nur durch das Klima, sondern auch durch manche anderen Ver-
hältnisse, z. B. durch Kasse und Nationalität, Lebensweise, Beschäftigung, Er-
ziehung, Nahrung, Wohnung, Kleidung, Sitten und Gewohnheiten wird der Men-
struationseiutritt b(\stimnit. Auch wurde bereits von Roherton darauf hingewiesen,
dass die Indianermädchen schon sehr früh menstruiren, die NegermädcheU
aber, die in eben so heisseu Zonen wohnen, durchschnittlich in etwas späterem
Alter reif werden: llohnion sucht dies allerdings dadurch zu erklären, dass die
Indianermädchen mehr als die Negermädchen vorzeitiger geschlechtlicher
Heizung ausg<»set/i werden, denn vieh' Indianerinnen werden schon im 10. Jahre
Mütter. Ebenso behauptet Lacepidr^ dass in denselben Breiten und Klimateu die
Pubertätszeit der Neger und Mongolen früher als bei Europäern eintrete.
Hierbei wird wohl uuf die Thatsache zu verweisen sein, dass die angestammten
Eigentlühuliclikeiten sich nur langsam und im Verlaufe zahlreicher Generationen
vorändern können. Eigen thümlicher Weise sollen, wie man allgemein angiebt
trotz des kalten Klimas bei den Mongolen, Kalmücken, Samojedea, Lappen.
Kamtschadalen, Jakuten, Ostjaken u. a. die Mädchen schon im 12. bis 13.
Jahre menstruiren. Mag diese Behauptung im Allgemeinen wahr sein (f&r die
Lappen hat sie sich als unrichtig erwiesen), so würde aus einer solchen Thatsadie
weder die Einflusslosigkeit des Klimas, noch auch der alleinige Einflnss der
resultiren. Vielleicht muss hier auch die ganze Lebensweise, die Tonn
80. Das Lebensalter für den Menstruations-Eintritt bei den Europäerinnen. 325
animalische Kost und die Gewohnheit, in ihren Hütten fortwährend eine be-
deutende Hitze zu unterhalten, mit in Rechnung gezogen werden. So weist auch
schon Krieger die Argumentation Walkers zurück, der das frühe Erscheinen der
Menses bei den Mongolen als eine Eigenthümlichkeit der Rasse bezeichnet.
Es sind aber ganz unbedingt noch einige andere Factoren nicht ausser Acht
zu lassen, welche auf das frühere oder spätere Auftreten der ersten Menstruation
nicht weniger als die bisher genannten von bedingendem Einflüsse sein können.
Dahin gehört in erster Linie die Erblichkeit. Ich meine hiermit nicht die
einfache Vererbung der Nationalität, sondern die oft so überraschende Uebertragung
individueller Eigenschaften auf die nachfolgenden Generationen. So erfilhrt man
wenigstens bei unserer Bevölkerung durchaus nicht selten, dass die Töchter ganz
genau in dem gleichen Lebensalter zum ersten Male ihre Menstruation bekamen,
in dem sie auch bei der Mutter und der Grossmutter eingetreten war, und diese
Uebereinstimmung erstreckt sich sehr oft selbst auf die Dauer und auf die Quan-
tität der blutigen Ausscheidungen. Auch dasjenige, was man früher gewöhnlich
als das Temperament bezeichnete, ist zu berücksichtigen, d. h. die Eigenthüm-
lichkeiten der körperlichen Entwickelung und die Färbung der Haut, der Haare
und der Augen. So sagte auch bereits Marc d'Espine: Die Bedingungen, welche
von Seiten des Temperaments am meisten auf frühzeitige Entwickelung der
Pubertät in unseren Klimaten von Einfluss zu sein scheinen, sind: schwarze Haare,
graue Augen, eine feine weisse Haut und ein starker Körperbau. Ein verspäteter
Eintritt der ersten Menstruation trifft dagegen zusammen mit kastanienbraunen
Haaren, grünlichen Augen, einer rauhen gefärbten Haut und einem schwachen,
zart«n Körperbau.
Dass endlich auch der höhere oder geringere Grad der Gesundheit des
einzelnen Individuums nicht ohne bestimmenden Einfluss sein kann, das bedarf
wohl kaum einer weiteren Erörterung. Allem zuletzt Erwähnten entsprechen auch
die verschiedenartigen Resultate, welche SuUies in Königsberg bei der Unter-
suchung von 3009 Frauen herausbekam. Er vermochte nachzuweisen, dass im
Durchschnitte die erste Menstruation mit 16 Jahren auftrat, dass Krankheiten
und das Leben auf dem Lande sie später eintreten Hessen, dass die Grossen früher
als die Kleinen und diese früher als die Mittelgrossen, die Schwachen früher als
die Kräftigen, die Blonden früher als die Brünetten menstruirt wurden. Zuerst
wurden die grossen, schwachen Blonden, zuletzt die kleinen, mittelkräftigen
Brünetten menstruirt.
Inwieweit vielleicht auch die Jahreszeiten ihren Einfluss auf das erste Auf-
treten der Menstrualblutung ausüben mögen, darüber ist noch zu wenig bekannt,
Mac Diarmid hat von den Eskimo- Weibern behauptet, dass sie nur im Sommer
ihre Regel hätten. Somit schreibt er der Winterkälte also eine hemmende Ein-
wirkung zu. Krieger hat aber für die Europäerinnen festgestellt, dass bei
ihnen nicht die warme Zeit fordernd einwirkt; denn weder im Frühjahr noch im
Sommer tritt bei ihnen die erste Regel ein; weit mehr als die Hälfte der von
ihm untersuchten Frauen waren zum ersten Male im September, im Oktober oder
im November von ihrer Menstrualblutung befallen worden.
80. Das Lebensalter fOr den Menstruations-Eintritt bei den
Europäerinnen.
Nach diesen Erörterungen wollen wir die Erde durchwandern, um die Zeit
des ersten Eintretens der Menstruation bei den verschiedenen Nationen kennen zu
lernen. Ich b^^ne mit den Europäerinnen.
Tarigiano hat berichtet, dass ftLr Corfa das 14. Jahr als das mittlere Alter fftr den
der ÜMMlniatioii sn betrachten sei. In Bosnien werden die jongen M&dchen nach
326 X. Die Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Besiehnng.
Mrazoric für gewöhnlich mit 14 bis 15 Jahren reif. Für Spanien und Italien wird ron
Virey das Alter von 12 Jahren als das durchschnittliche angegeben.
In Rom werden die M&dchen schon von Alters her mit 12 Jahren für heirathafthig
gehalten, doch schon Zacchias, der dort als Arzt prakticirte, erklärte nach TiWa Angaban,
dasB kaum der zwölfte Theil der römischen Mädchen mit 12 Jahren schon menaimirt sei,
ja viele sogar noch nicht mit 14 Jahren, obgleich er auch solche gekannt hätte, deren Ifensei
schon im 9. Jahre eingetreten waren.
Aus Italien, besitzen wir eine Liste, welche ihren Werth durch Trennung de« Landes
in einen nördlichen, mittleren und südlichen Theil hat und sich auf 2652 Fälle erstreckt
Im nördlichen und mittleren Italien fällt die Mehrzahl der Fälle auf das 14. Jahr (20,10
und 19,50 o/o), im südlichen hingegen auf das 13. Jahr (16,75%), doch kommen auch im sfld-
lichen Italien verhältnissmässig noch hohe Procentzahlen auf die späteren Leben^ahre, so
dass selbst noch vom 15. bis 20. Jahre sehr viele Mädchen zum ersten Male menstruiren.
Bis zum 16. Jahre ist im mittleren Theile des Landes eine weit grösser^ Zahl von Mädchen
reif, als im südlichen.
Cleghom giebt von Minorca an, dass die erste Menstruation meistentheils vor dem
14. Jahre, oft aber schon mit 11 Jahren eintritt.
Ich schli esse hier gleich Madeira an, obgleich es streng genommen nicht za Europa
gehört. BasSf der lange daselbst lebte, hat aus 240 Fällen das mittlere Alter, in welchem
die eingeborenen Mädchen dort menstruiren, auf 14 Jahre und 8 Monate berechnet» während
Dyster bei 67 der von ihm gesammelten 228 Fälle den ersten Eintritt erst im 16. Jahre
fand; als Durchschnittsalter bezeichnet er 15 Jahre 5^/3 Monate.
Ueber Frankreich htit Brierre de Boismont eine Arbeit geliefert, in welcher er unter
1111 Fällen einen fand, wo die Regeln im 6., einen zweiten, wo sie im 8. Jahre begannen,
im 10. Jahre schon 10, im 11. 29, im 12. 93, die grösste Zahl: 190 oder 17,lo/o, menstmirte
aber erst im 16. Jahre, und auch im 18. sind immer noch 127 verzeichnet Als das dnrdi-
schnittlicbe Alter lassen sich hieraus für Paris nach dem Verfasser 14 Jahre 6 Monate 4 Tage
berechnen. Aran giebt dagegen 15 Jahre 4 Monate und 8 Tage als mittleres Menetroations-
alter für Paris an. Man ersieht hieraus so recht, was für falsche Bilder die Berechnangen
eines sogenannten durchschnittlichen Alters zu geben im Stande sind.
Wenden wir unsere Blicke auf Deutschland, so finden wir, dass aus mehreren Städten
des Reichs zablengemässe Erhebungen vorliegen. Die umfassendsten Untersuchungen stammen
von Krieger und Louis Mayer in Berlin, dieser benutzte 6000, jener 5500 Fälle. Am ihrer
Tabelle ist ersichtlich, dass der Beginn der Menstruation am häufigsten im 15. Jahre erfolgte
(18,931% der Falle), diesem steht das 14. Jahr am nächsten (18,213<>/o); bei den übrigen sind
die späteren Lebensjahre weit reichlicher vertreten, als die früheren. Die Mehrzahl dieser
Fälle entstammte der Privatprazis, und somit kann es sich vielfach um von anderswoher Ein-
gewanderte gebandelt haben. Marcuse benutzte daher 3000 Fälle aus der Berliner gynä-
kologischen Klinik, die naturgemäss aber auch nicht frei von eingewanderten Elementen ist;
sie erhält ihr Material aber nur aus den niederen Ständen und hier fand der durchschnittliche
Eintritt der Menses im 16,18. Lebensjahre statt.
Ueber das Auftreten der Menstruation bei der Münchener Bevölkerung hat Heeker
an 8114 Fällen aus der Gebäranstalt und Poliklinik Untersuchungen angestellt. Hier sind
das 16. (16,920 0), 17. (16,44 O'^) und 18. (15,61 0'o) Jahr in absteigender Folge die häufigsten
Termine für den Eintritt der Menstruation, dann folgt das 15. (15,32 o/o), 19. (10,37 0^0). 14.
(8,89 o'o), 20. (7,51 0,0) Jahr u. s. w. In den drei genannten Jahren menstruirten zum ersten
Male im Ganzen 48,97 "/o, vor dieser Zeit 29,37%, nach derselben 21,620o. Hecker trennte
bei seinen Untersuchungen aber auch die Stadtbevölkerung von dem Landvolke, welch
letzteres fast ausschliesslich aus Oberbajern stammt. Er gelangte zu dem Rmoltate:
,Mü neben verhält sich bezüglich des Menstruations-Kintritts ziemlich ebenso, wie Ober-
bayern; hier wie dort tritt die erste Menstruation durchschnittlich ziemlich spät ein.*
Später hat SchUchiing an 8881 Fällen der Münchener Klinik und Poliklinik ebenfalli das
16. Jahr als das höchstbelastete (mit 18,534%) gefunden; die Mehrbelastung des 16. Jähret
bei den Städterinnen erklärt er daraus, dass die die Gobilranstalt besuchenden Städterinnen
mehr der niederen Klasse angehören, während die auswärtigen zum Theil auch aus den be-
sitzenden Ständen stammen.
Vergleicht man nun München mit Berlin, so findet man auffallende Unterschiede
zu Gunsten der Berlinerinnen: In Berlin ist das 14. Jahr mit Id^/o und das 15. ungefthr
mit 19^,0 vertreten, während die höchsten Procente in München das 15. mit 17V2^/o und
das 16. mit 18^/40/0 giebt. Sdiliehting macht darauf aufmerksam, dass Berlin nngefUir
80. Das Lebensalter für den Menstroations-Eintritt bei den Europäerinnen. 327
41/2 Grad nördlicher liegt, als München, daf&r aber fast um 500 Meter niedriger. Diese
500 Meter scheinen nicht nur den Breitengrad-Unterschied zu compensiren, sondern lassen so-
gar die Jungfrauen Berlins um ein volles Jahr frfiher ihre Menses zeitigen, als die
Mfinchnerinnen. Er schliesst mit den Worten: ,Aus dem (Ganzen möchte hervorgehen,
dass die klimatischen Einflüsse auf den Eintritt der ersten Menstruation sehr bestimmend
wirken.* Allein wir fragen, ob nicht auch die differente Lebensweise mit in Anschlag zu
bringen ist?
Auf dem Lande in Bayern scheint der Menstruations- Eintritt überhaupt ziemlich
spät zu fallen, denn Flügel berechnete im Frankenwalde die mittlere Zahl des normalen
Eintritts auf 17 Jahre und 5^/2 Monat.
In Oesterreich-Ungarn hat Szukits 2275 Fälle der verschiedenen Nationalitäten
analysirt. Es zeigte:
Ungarn aus 118 Fällen im Mittel 15 J.
Schlesien 63 , , , 16 , 1 M. 15 T.
Böhmen .430 . , , 16 . 2 ,
Ober- und Nieder-Oesterreich , 603 , „ ^ 16 , 3 ,
Mähren ,273 , , , 16 , 3 . 23 ,
aus Bayern , 66 , , ,16,10,
Gesammtstaat Oesterreich 15 J. 7^2 M.
Unter 665 in Wien geborenen Frauen fand Szukits die Zahl der nach dem 16. Jahr
Menstruirten (303) viel grösser als die der vor dieser Zeit Menstruirten (152); bei den 1610
Frauen vom Lande war dieses Missverhältniss noch grösser, indem 888 nach und nur 304 vor
dem 16. Jahre menstruirt waren.
In Strassburg traf bei 600 in der Matemite aufgenommenen Frauen nach Stols'8
Beobachtung die grösste Zahl auf das Alter von 14 — 18 Jahren, das Maximum auf das 18. Jahr.
In einer Strassburger Tabaksfabrik ermittelte Levy bei 649 Frauen als mittleres Alter der
Arbeiterinnen 15 Jahre (200/o); dann kam das 14. (19,630.o) und das 16. Jahr (19,170/o); im
Alter von 18 Jahren traten die ersten Menses aber immer noch bei 10,78% ein.
Wenn für Lyon Petrequin aus 432 Fällen das durchschnittliche Alter auf 15 Jahre
6 Monate berechnete, so macht schon Krieger darauf aufmerksam, dass hier wohl ein Rech-
nungsfehler zu Grunde liegt, da andere Beobachter sehr abweichende Resultate hatten; denn
BouchcLCWirt giebt den Menstruationsanfang für Lyon auf 14 Jahre 5 Monate 29 Tage, für
Marseille und Toulon auf 13 Jahre 10 Monate, und Marc d'Espine für Paris auf 14 Jahre
11 Monate 20 Tage, für Toulon auf 14 Jahre 4 Monate 29 Tage, für Marseille auf 13
Jahre 11 Monate 11 Tage an. Diesen Beobachtern standen jedoch viel zu kleine Zahlen zu
Gebote, um aus ihnen statistisch sichere Resultate zu gewinnen; Bouchacourt nämlich benutzte
nur 160, Marc d'Espine für Toulon 43, für Marseille sogar nur 24 Fälle.
Zahlreiche Berichte, die sich auf grosse Zahlen stützen, liegen aus Grossbritannien
vor. Allein es ist keineswegs thunlich, für das ganze Land ein mittleres Alter des Pubertäts-
Eintritts berechnen zu wollen. In London fand Guy bei 1498 Fällen die Mehrzahl im 15.
(17,80,o)» im 16. (19,40'o) und im 17. (14,6«/o) Jahre zum ersten Male menstruirt; Krieger
berechnet hieraus das mittlere Alter zu 15 Jahren 1 Monat 4 Tagen. Tut berechnete da-
selbst aus 1551 Fällen das Alter von 15,06 Jahren. Wir übergehen die Angaben von Lee und
Murphy sowie von West, und führen nur noch die von Walter Higden aus 2696 Fällen zu
London berechnete Zahl von durchschnittlich 14,96 Jahren an. Für Manchester liegen
die Zählungen von Mliitehead vor, der in 4000 Fällen als Mittel 15 Jahre 6 Monate 23 Tage
berechnete, während Rdberton sich für Manchester auf zu kleine Zahlen beschränkte und
bei seinen weiteren Angaben über die Engländerinnen unterliess, anzufahren, aus welchen
Gegenden diese stammten.
In Kopenhagen fanden Ba\>en und Lety bei 3840 Fällen das mittlere Alter zu 16
Jahren 9 Monaten 12 Tagen, in Christiania Frugel bei 157 Fällen 13 Tage mehr; Vogt
bei 1821 Norwegerinnen 16,12 Jahre; in Stockholm JFViye bei 548 Fällen 16,6 Jahre, der-
selbe in Skien bei 100 Fällen 15 Jahre 5 Monate 14 Tage. Wretholm gab für das schwe-
dische Lappland 18 Jahre, Vogt für die Quänen in Finland 15,2 Jahre, Berg für die
Faröer-Inseln bei 122 Fällen 16,13 Jahre, Heinricius für Finland bei 3500 Fällen (der ge-
burtsh. Klinik zu Helsingfors) 15 Jahre 9 Monate 25 Tage an.
Ueber die Menstruationsverhältnisse der Frauen in St Petersburg haben besonders
die Arbeiten von Horwitt, Lieven, Tamowsky, Enko, Bodxewitsch und Weber wichtiges
Material beigebracht. Aus seiner Privatprazis hat Wdier^ 2875 Frauen und Mädchen bezüg-
i'.-L jm» -.L''..r<ft<*iii der ^rsus. %en!:inift.tJDz. ssiierBDrlxi. -«^»ba er &■&. tes vob ika^ 10 =
.-^- :: .'uiirei. T'j = .b.O" , nii il .Ikiirei^ 271 = ':2^^^ BÖt 12 Jbknn. 415 = 17^5^^
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■.-..'? :.*: J.- -..".. 'jv.lx.: i-^iil. TvL :.'7J. BiTtr.:: t:.l 17.58 JAiixvn iiack aeiBer Fnratptmzü, md
'.•1 .'.'-■ ^fcp'.i '-itL li*':\»L,:LTL:.r*-L o^, q«l rieeutbera der Ambnljuit im
-•v. vr- .-.^L i.-^ Itf «;•!.>• DT^.: fpL:^: eiz.'u-e'^L <-:''. jes.i. Liereft häX fSr die aitlieve Zeit dei
l!Ctfzi'-h^-},.'^\r.\Vt i&s^^.'ci I'..-r4 .'bi-r? re^tz'fseLzi Pbtiezitiimem d« Hfhammenmetmit»;- Ter-
' :• (' < I. . -^.hw W. -'•'.' .•'.' ?£k tir'i.i: LZ;eL ües Peter» bnrgf-r «jeb8Amn»Bi die Wi— ^i»^i «of
I- .% /fci/? <j:. £^r.f.': ihz.. JL ier Lrirä:.ru.Ii de: jl<«;z:fl«f£?^-MLdebeiiixii4itiru. also bei voU-
Sl. IIa«; LtlMrnMltcr für den Menstnutions-Eintritt bei d» AsiatiBBML
NL/jl-1 K-r. ; ä "if-j^i: ::r- 5L«r d« Lrl-enshlter. in welchem dai junge Mädchen inert
.:. PiklarTiLä :.-■:: r.i.L J .^.Vr -üe PulienÄ: neifi im 13. Jahre, seltener schon im
l'-i. ^k.:.TSr. :r. A .:.-:_äi;Su^f^lleL hjZaz z^'y.L früher ein. litpler giebi fiir SmTrnm daf II. b»
]-'. Z'A\T. Oj'j-irfJirtttt i^ üe Türke, sozar *.cr;:ii da* 10. Jahr an. Ancfa die Araberin be-
f.Lz.\ r.ä'.-:. yi^luhr in^ AI^?r v.- ]0 Jahren z:: menstrciren.
In Persien zeigen ^:ii. 7i:ier&cbieäe je nach der geographischen Lage. Hämissdie
'i^;ri vvi; öer^ Mäör-Len der Priv:r.>: Gilar. a=i Cafii-5ee. -ias* sie mit 14 Jahren ihre Reife
errel'.LeL: P'jiah etel^ie f^ d&s z^-rdliciie Per^ien diesen ^itpnnkt mit 13 Jahren fest:
' h.-irdtn a^i^tr^jen fand iiL :?ilden die ert:e Keg-e! zwischen dem 9. imd lö. Jahre.
I:j JI i n d 'j f I a n L a 1 c u : i a häiie nach dieser Eichtang hin znent Ecberfon Stadien
g'ra.acLt: von C^ be^'V-a^/Lteier. Kl^liei. ka=j hier die Mehrzahl auf dai durchschnittliche Alter
von 12 Jahren und 4 Monaten. NacL eiüem Berichte, den Bolierlon aus Bangalore. District
Mvrorf;. 10 Grad fc^ldliciif-r w:e «. a-cuitft. erhielt, traten dort die Mensei durchschnittlich
D.it 1^^ Jahren 2 Mina'.en pii.. Ir. Dekban. District Bo^^l-ay, fanden Leith und Andere
;r:t«r hirLJiziiig von ä'jl Fi. 1er- 1:; Jahre und o Monate al> mittleres Alter. Gooder^e in
Cal'.-Jtia er L'.h teile a-jf GruL-i vgl 2>i:^ Beobachtungen das durchschnittliche Alter fOr den
M'rrji»tr-ai:or.>;- Ein Tritt a-jf 12 ^az^re 0 M:n.: ähnlich 5rrTfjrt au« nur 37 Fällen fftr den District
\irafiti\trn a-j: 12 Jahre ^^ 4 ^lon. Nach der Aussage von AUan IIVW» tritt bei den Hindn-
Mä'Jche.'j die Menästr-jaiir-ii -e'.ten vrr dem 12. Jahre ein: unter 127 Hindu-Mftdchen waren
nur **• fj\iher !:.en=tr jin : dagegen kommen die Menje» oft erst im 16. bis 18. Jahre. WM
;;.eirit. da-^ di-; j-hysiologi-chen Verhältnisse bei den Hindu-Weibem dieselben eeien, wie
oei defj K jroiäerinnen. d^tsi sie weder durch die Nationalität noch durch das Klima be-
«f;ritiu-';t w-jrden.
i^ie Mädchen der .'? inghalesen auf L eylon menstrniren nach Schmarda zuerst Ewiacfaea
«jt'Di l'j. 'imi 14. Jahre.
In ^iam tritt na'.h CamphiJf da- junge Mädchen nur äusserst selten früher als im
IJ. Jahre und o Monat in das Pubertätsalter ein, meist erst später ini 14. — 18. Jahre, so dasi
;ijj Allgeu-eiiien die Menstruation hier verhältnissmässig spät sich ündet. Cumpbell selbst be-
ova«:Mete keinen Faü. in welchem i^ich die Menses vor 12 Jahren 3 Monaten aeigten; von
./O Mä'i'.hen uienttruirten '> nach zurückgelegtem zwölften, S nach dem dreizehnten, 3
derij w<'r/ehnten. 10 nach dem tünfzehnten. 2 nach dem .^sechzehnten. 1 nach dem
/••/ifiten Jahre. Demnach tritt in Siam die Menstruation mei*t nach zurflckgelegtem IS. — Ift.
U^re ein
In Cochinchina hat Moudün 9S0 annamitische Frauen untersucht: hier fiel die
er>ie Mentitrwation i-ehr spät, im Durchschnitt auf 1«» Jahre ? Monate; am hOehatea
'la% V». 'M.il 'l'iM'hh das 16. (mit 22,i^a^,.) und das 17. (mit 23.26« 0) Jahr. Uiilar <
P^ai^t^eii von Cochinchina ist nach demselben Autor die .\nnamitin am frflhHli
^truirt. mit 10 Jahren und 4 Monaten: nächstdem folgt die Chinesin mit 16^
0 .Monaten: dieser schliesst sich die Mischrasse der Minh-huong mit 16 JahmaM*
82. Der Menstniations-Einiritt bei d. Afrikanerinnen, Oceanierinnen u. Amerikanerinnen. 329
an, nnd am spätesten tritt die Regel bei den Cambodjerinnen auf, nämlich mit 16 Jahren
und 10 Monaten.
In Japan erfolgt nach dem Bericht eines russischen Arztes der Menstruations-Kintritt
gewöhnlich im 14. Jahre, zuweilen schon im 13. Auch Wernich giebt an, dass in Japan
die Menses im 14. und 15. Lebensjahre eintreten. Seltener, als sehr früh menstruirte Personen,
sind später menstruirte; doch gehört ein Anfang der Periode vor dem 12. Lebensjahre schon
zu den auffallenderen Erscheinungen. Die Mädchen, bei welchen die Menstruation sehr lange
(bis ins 18. Lebensjahr) auf sich warten lässt, sind gewöhnlich nicht krank, am seltensten
bleichsQchtig in unserem Sinne, sondern sie sind in der Entwickelung einfach zurückgeblieben
und bleiben auch geistig Kinder. Wemidij der dies nach seinen Beobachtungen in Yeddo
mittheilt, berichtet eine Aousserung seines Dolmetschers über solche Mädchen, deren Men-
struations-Eintritt sich verzögerte: ,Sie bekümmern sich nicht um Haarnadeln und künstliches
Aufloupiren des Haares, sie pudern sich nicht den Hals und legen nicht den Gürtel des er-
wachsenen Mädchens an, sondern kleiden und geberdon sich wie Kinder, spielen mit den
Knaben auf der Strasse u. s. w.** Ihre körperliche und geistige Entwickelung hat etwas Ab-
weichendes; sie bleiben eckig, während sonst die entwickelte Japanerin mit der ersten
Menstruation sehr starke Formen bekommt und besonders an den Brüsten und Hüften ausser-
ordentlich in die Breite geht.
Veranlasst durch Generalarzt T. Ishiguro hat Moriyasu mit seinen Collegen eine Tabelle
über den Eintritt der ersten Menstruation bei Japanerinnen zusammengestellt, welche sich
auf 584 Frauen in Tokyo bezieht.
Die Menstruation trat ein:
11.
Jahre bei 2,
12.
. 2,
13.
. 26,
14.
. 78,
15.
, 224,
Itf.
. 228.
17.
. 68,
18.
. 44,
19.
. 10,
20.
2.
Für die Mädchen der Mongolen und Chinesen stellte Hureau de Villeneuve die Zeit
zwischen dem 12. und 13. Jahre als das Mittel für den Eintritt der ersten Hegel fest. Die
gleiche Zeit giebt auch il/orac/ie für die Chinesinnen von Peking an. Scherzer hingegen
behauptet, dass in China erst im Alter von 15 bis 16 Jahren die Pubertät einzutreten pflege.
82. Das Lebensalter fOr den Menstruations-Eintritt bei den Afrikanerinnen,
den Oceanierinnen und den Amerikanerinnen.
Es ist begreiflicher Weise nicht leicht, bei fremden, und namentlich bei uncivilisirten
Völkern entsprechend genaue Angaben zu erhalten und die nothwendigon Beobachtungen zu
machen über das Lebensalter, in welchem die erste Menstruation sich einstellt. Wissen doch
die Leute häufig selber nicht, wie alt sie sind. Wenn die Reife eingetreten ist, kann man
es bei vielen Volksstämmen an gewissen Ceremonien oder anderen Maassnahmon erkennen,
und das vermag denn immerhin einen gewissen Anhalt zu geben. Was darüber bekannt ge-
worden ist, möge hier seine Stelle finden.
Die Negerin wird im Allgemeinen nach Roberton nicht sehr früh. d. h. zwischen dem
13. und 17. Jahre, durchschnittlich mit dem 15. Jahre menstruirt, doch kommen nach ihm
auch Fälle vor, wo schon mit 11 Jahren die erste Regel eintritt. Bei den Woloffen-Mäd-
chen am Senegal glaubt de Bochehrune die Reife zwischen dem 11. und 12. Jahre annehmen
xu dürfen. In der Bai von Biaffra fand Daniell das 11. bis 12. Jahr, bei Negerinnen in
Aegypten Pruner den Zeitraum vom 10.— 13. Jahr, Bigler daselbst vom 9.— 10. Jahr. Die
Mädchen tollen sa Mensa nach Brehm im 13., die Bogos nach Hunzinger erst im 16., die
Sxaaheli -Mädchen in Zanzibar gewöhnlich im 12. oder 13. Jahre reif werden, die Mäd-
chen der Wanjamueii nach Beidiard mit dem 10. —13. Jahre. Die Mädchen der Beräbra
eniwickefai wdl aaoh Bartmann nicht so früh wie die ägyptischen; sie gewinnen ihre
Blatbenü miüiliM Ift und 19 Jahren, die Somali-Mädchen nach Haggemacher erst im
Ift. Jahn.
330 ^* ^^0 Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Besiehung.
Aus diesen, offenbar nur durch Abschätzung gewonnenen Angaben ersehen wir, wie
mannigfach und von einander abweichend unter den Völkern Afrikas die Verhftibiiise an-
genommen werden. Der Zukunft bleibt die Richtigstellong vorbehalten; und ITaUcengteiii}
sagt gewiss mit Recht: ,Ich bin nun weit entfernt davon, zu negiren, dass unter den Tropei
der Eintritt oft bei 12 Jahren und auch früher beobachtet wird, ich man aber anfUuen,
das8 mir in mindestens eben so vielen Fällen die Mädchen (der Neger an der Loango-
Eüste) ein Alter von 14—15 Jahren zu haben scheinen. Ich glaube also, dau die Gienifln
für das Auftreten bei den verschiedensten Völkern näher liegen, als man annimmt^ und
möchte davor warnen, das Alter nach dieser Erscheinung in Einklang mit den bisherigen
Annahmen schätzen zu wollen, ohne zugleich die ganze Körperbeschaffenheit des Individnanu
mit in Betracht zu ziehen.*
Diese Meinung stimmt im Allgemeinen mit dem Ausspruche NcuhtiffaVs überein. Dem
dass in Fozzan die Pubertät so aussergewöhnlich früh eintrete, wie manche Reisende be-
richten, konnte Nachtigal, der dort bekanntlich als Arzt prakticirte, nicht bestätigen. Er ah
ebenso viele Mädchen, die mit 15 Jahren nicht menstruirt waren, als solche, die das Zeichen
der Reife schon mit 12 Jahren darboten. In Algier föllt die Pubertätszeit der Araberii
nach Bertherand auf das Alter von 9 — 10 Jahren.
Bei den australischen Schwarzen am Finke-Creek tritt die Menstniatioi
gewöhnlich wohl schon mit dem 8., spätestens aber im 12. Lebensjahre ein (nach Missionar
Kernpe).
In Neuholland werden nach Macgregor die Mädchen mit dem 10. — 12. Jahre mann-
bar, in Neu-Caledonien nach Bourgarel im 12. Jahre, nach Vinson im 12. — 15. Jahre und
später, nach Fi'c^or de Eoduxs im 12.-13. Jahre; auf den Fiji-Inseln nach Wilkea erst mit
dem 14. Jahre. Ueber dieselbe Inselgruppe berichtet Blyih: «Wie in allen tropischen Gegen-
den, so tritt auch in Fiji die Pubertät in frühem Alter ein; die Fiji -Mädchen beginnen im
Durchschnitt mit 10 Jahren zu menstruiren. Das Auftreten der Pubertät wird dann als ein
Anzeichen für das Aufhören des Wachstbums betrachtet Fälle von verzögerter Menstruation
sind nicht unbekannt bei zur Mannbarkeit herangewachsenen Fiji -Mädchen.* Die Maori-
Mädchen auf Neu -Seeland menstruiren nach Brown schon im 12. Jahre, nach Thomson }t-
doch erst im 13. — 16. Jahre. Auf den S am oa- Inseln stellt sich bei den weiblichen Einge-
borenen die Menstruation im 12. — 13. Jahre, seltener schon im 10. Jahre ein. Daför werden
sie schon im 30. Jahre alt und hässlich. (Graeffe.) Als das Alter des Pubertäts- Eintritts aoi
den Salomon -Inseln bezeichnet Elton das 15. Jahr. Auf den Neu-Hebriden, und zwar
speciell auf Vate, menstruiren nach der Schätzung von Macdonald die Mädchen ungefähr
im 13. Jahre.
Einige politisch noch zu Asien gehörige Inselgruppen schliessen wir hier in unssnn
Betrachtungen an, weil ihre Einwohner eher den Öceaniern als den Asiaten zuzu-
rechnen sind.
Auf den Inseln des ostindischen Archipels sind die Mehrzahl der Frauen nadi
Kpi) schon im 14. Jahre menstruirt, doch soll man noch einige treffen, bei denen die monat-
liche Reinigung erst im 10. — 18. Jahre eintritt. Auf dem Aaru-Archipel treten die Mens«
aber gewöhnlich vor dem 10. Jahre ein. (KieJfl^.J Auf den Ambon- und üliase- Inseln.
ebenso auf den Tanembar- und Timorlao-Inseln, sowie in dem Ba bar -Archipel ist
nach Riedel^ die Zeit zwischen dem 9. und 11. Jahre der gewöhnliche Termin für den Eintritt
der ersten Regel, wilhrcnd man bei den Töchtern des Seranglao- und Gorong-Archipeli
das 9. Jahr als das allgemein gültige annehmen muss. Auf den Watubela-Inseln schwankt
der Zeitpunkt zwischen dem 9. und 12. Jahre, und auf der Luang- und Sermata-Omppe
zwischen dem 10. und 12. Jahre. Nach Modigliani tritt die Pubertät auf Niaa erst mit 15
bis 16 Jahren ein, während in Sumatra schon mit 11 bis 12 Jahren die erste Menstmation
sich zeigt.
Ueber die Andamanesinnen erfahren wir von Man, dass sie nicht vor dem 15. Jahre
ihre erste Kegel bekommen und dass sie nicht vor 16 Jahren Kinder gebären. Das Maximum
ihrer Grösse und Körperausdehnung erreichen sie ernt zwei bis drei Jahre nach dem Eintritt
ihrer ersten Menstruation.
Bei den Negritas auf den Philippinen schätzt Schadenberg^ dass die Pabert&t mit
dem 10. Jahre sich einstelle; hingegen sagt Montana darüber: ,11 n'est pae possible d*avoir
des renseignements sur IV'poque de la menstmation; les Negritos ne t^nant ancnn compte
de leur age.*
Aus allen drei Zonen Amerikas liegen uns vereinzelte Angaben vor:
83. Die. Frühreife. 331
Die Araucanierinnen in Chile menstruiren nach ISoZZtn im 11. oder 12. Jahre. Bei
den Indianerinnen in Peru sind die Menses sehr schwach und sie stellen sich, wie be-
hauptet wird, bei ihnen viel später ein, als bei den übrigen Rassen, gewöhnlich erst im 14.
Jahre, wenigstens bei den Gebirgs-Indianerinnen, aber die Creolinnen dort sollen
schon im 9. Jahre die Reife erlangen. Für die Campas und Antis am Amazonen ström
giebt Grandidier das 12. Jahr, Mantegazza für die Pampas -Indianerinnen das 10. — 12.
Jahr als den Zeitpunkt der ersten Regel an. Die Pajagua- Mädchen in Paraguay men-
struiren nach Bengger im 11. Jahre, während die Indianerinnen in Surinam nach Stedt-
mann erst im 12. Jahre menstruiren.
Die in gemässigteren Elimaten Nord-Amerikas wohnenden Indianervölker
zeigen auffallende Verschiedenheiten; nach Buscli menstruiren ihre Frauen im Allgemeinen
selten vor dem 18. oder 20. Jahre. Nach Edwin James dagegen treten bei ihnen schon gegen
das 12. oder 13. Jahr die Menses ein. Nach Keating beginnt die Menstruation der Poto-
watomi am Michigan-See gewöhnlich im 14. Jahre und dauert bis zum 50., ja sogar bis
zum 60. Jahre; dies erfuhr Keating von einem Häuptlinge des Stammes. Bei anderen In-
dianerstämmen, den Dacotas und den Sioux, erscheint nach demselben Autor die
Menstruation selten vor dem 15. oder 16. Jahre; er erklärt diesen Unterschied durch das
rauhere Klima, in welchem diese Stämme wohnen, und durch ibre grösseren Entbehrungen.
^2Lch Dougherty menstruiren die jungen Omaha- Mädchen und erhalten die Fähigkeit, Kinder
zu zeugen, mit dem 12. oder 13. Jahre. Bei 82 Indianerinnen trat nach Roberton die erste
Menstruation ein:
im 8. Lebensj. bei 1 Ind. im 13. Lebensj. bei 9 Ind.
» 9. , , 5 , n 14. , , 8 „
. 10. . . 9 , , 15. . , 7 ,
„11. „ ,16, «16. und höheren Lebens-
,12. , , 27 , Jahren bei keiner.
In Alaska tritt bei den Indianerinnen die Pubertät zwischen dem 14. und 17. Jahre
ein. lieber die Eskimo -Mädchen aus Labrador haben wir von Lundberg Nachricht.
5 Mädchen, die 14 Jahre oder jünger waren, hatten ihre Regel noch nicht gehabt; 16 andere
waren bereits menstruirt, und zwar waren die ersten Menses erschienen bei je 4 im Alter von
14 und 15 Jahren, bei je 3 im Alter von 16 und 17 Jahren, bei 2 nach vollendetem 20. Jahre.
Das mittlere Alter beträgt also etwa 16 Jahre. Mac Viarmid, welcher die Nord pol -Expe-
dition unter John Rose als Arzt bogleitete, theilt mit, dnss die Menses bei den Eskimos oft
erst mit 23 Jahren eintreten und auch dann sich nur Spuren davon während der Sommer-
monate zeigen.
Von 100 Grönländerinnen, über welche roH /faren berichtet, bekamen 88 die erste
Menstruation zwischen 15 bis 17 Jahren; bei 5 nur trat sie schon früher ein, während 7 sie
erst nach diesem Alter bekamen. Von den Cumberland -Eskimos sagt Schliephdke : ,Die
Geschlechtsreife tritt früh auf; soviel sich bei einem Volksstamme, bei welchem Niemand sein
eigenes Alter kennt, erfahren lässt, beim weiblichen Geschlecht schon mit 13 bis 14 Jahren.*
Aus der südlichen kalten Zone von Amerika liegen über die Feuerländerinnen
Nachrichten von Bridges, sowie von Deniker und Ilyadea vor. Ersterer giebt als Zeitpunkt
der ersten Regel das 14. bis 15. Lebensjahr an. Hyades und Deniker erwähnen eine 18jährige,
welche ihre Menstruation noch nicht hatte, wahrend zwei 11 jährige Mädchen bereits men-
struirt waren. Diese beiden Letzteren litten an Tuberkulose. Die Autoren kommen zu der
Ueberzeugung, dass die erste Menstruation im Feuerlande sich im Allgemeinen später ein-
stellt, als bei den jungen Mädchen in Europa.
83. Die Frahreife.
Wir können diese Besprechungen über den Zeitpunkt, zu welchem bei dem
heranwachsenden Mädchen die Menstruation zum ersten Male eintritt, nicht ver-
lassen, ohne gewisser Zustände zu gedenken, die allerdings sehr selten sind und
auch als im Allgemeinen pathologisch bezeichnet werden müssen, welche aber
doch noch einer eingehenden Untersuchung harren. Man hat diese Dinge unter
dem gemeinsamen iNamen der Frühreife znsammengefasst. Wir werden aber
gleich sehen, dass hiermit sehr verschiedenartige Processe bezeichnet worden sind.
Unter Frühreife im physischen Sinne und bei dem uns hier ja nur allein interes-
332 ^' I^io Reife des Weibes (die PubertAt) in anthropologiicher Bendrang.
sirenden weiblichen Geschlechte versteht man das Eintreten der Menatmation nnd
die Entwickelung der Brüste nebst dem Hervorsprossen der Scham- and Aehsel-
behaarung in einem Lebensalter, welches erheblich vor demjenigmi li^t, in wei-
chem unter normalen Verhältnissen allerfrQhestens zum ersten Male diese Ding«
sich zu zeigen ]^flegen. Namentlich ist es Kussmaul gewesen, welcher diesem
Gegenstande seine ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat.
Man hat das Ausfliessen von Blut aus der Vagina bei noch aoflserordentlich
jungen Mädchen, selbst noch vor dem Ablaufe des ersten Lebensjahres, beobachtet
und als Beispiele von Frühreife beschrieben, auch wenn eine solche Blatang aus
der Scheide auch nur ein einziges Mal sich gezeigt hatte. Solche Falle mas3
man natürlicher Weise überhaupt vollständig ausschliessen. Denn ob eine solche
Blutung analoge Bedeutung wie eine wirkliche Menstruationsblutang besitzt, das
ist doch als ausserordentlich fraglich zu betrachten. Sollen derartige Blutabgange
wirklich als Menstruationsblutflüsse angesehen werden, so moss man allermindestens
doch verlangen, dass sie mit einer gewissen Periodicitat sich wiederholen. Bei
manchen Kindern bestand die Frühreife nun allein in dem Auftreten von nnr als
Menstruation zu deutenden Blutungen.
Es mögen .jetzt in aller Kürze hier die einscblägigen Beobachtungen ihre Stelle finden:
1. X., mit 2 Monaten menstr. (ZeJkr.)
2. X.j mit 3 Monaten menstr.. litt an Rhachitis. fComarmond.J
3. X, geb. im Febr. 1880, Nord -Amerika; van Dertceer sah das Kind im Sept. 1882,
wo 03 2 Jahre 7 Monate alt war. Das Mädchen begann, als es 4 Monate alt war^ alle 28
Tage zu menstruiron; die Menses flössen 4 — 5 Tage. Das Kind
ist ungemein gut entwickelt, 49 Pfund schwer, und es sieht ani
wie ein zehn- bis zwölQähriges. Im Dec. 1882, Jan. and Febr.
18S3 blieben die Menses aus. Ein ähnlicher Fall kam nicht in
der Familie vor.
4. X., mit 6 Monaten menstr., litt ebenfalLi an Bhachiti«.
fCesarano.)
o. Barbara JCckhofer, geb. 1806, im 9. Monat menstroirt.
CiVOutrepontJ
6. X., Blutabgangmit 9, 11, 14und 18Monaten. CDieffenbathlJ
7. X.. aus Werdorf, am Schluss des 1. Jahres menstr.,
1.- .^ rw . u « 1 1 litt ftn Rhachitis. (Susetciml )
tig. '200. Deutsches Mailohfii ^ .* ,, t^ • ir ' i. i_ i lortj «j. • t t
von 3 Jahren mit vorz.ritijjei ^- 'i>"% Deweese m Kentucky, geb. 1824, mit einem Jahr
Ausbildung <ler Brii^te und ai>- menstr., gebar im 10. Jahre. (Montgomery.)
uormer Kettloibißkoit. 9. ,s\. mit 2 Jahren 9 Monaten menstr. fLieherJ
.Nach Photogruphi. ., j^ ^^^^^^ .^^. ^,^^^^ ^^^ ^^^2, gest. 1809, menstr. im 4, Leben^.;
wur bartig; litt, wie sich bei der Section ergab, an Hydrocephalus internus. (Cooke.J
11. Thrrcst' Fischer ans Kogonsburg, geb. 1807, im 6. Jahre menstr., litt an H3'dn>-
c«'i»halus. Oyltclvrj
12. A'. aus Königsberg, im \K Jahro monstr. fMayer.)
U\. A. M. aus r., im \K Jahre monstr., kurz, nachher geschwängert, starb 14 Monats
nach der Entbindung an IMithisis. (tV(htin}HintJ
Wir haben iiior uIho 1 1 kloine MädcluMi, bei welchen die erste Menstruation
bereits vor der Zfit. dos Ziiiinwoohsol.s oinj^otreton war. 7 unter ihnen waren so-
güLT schon im Ijaulo dt*s orston lit^bonsiiiliros nienstruirt. Ueber andere Zeichen
von Pubortät lob Im uns iibor dio nilhoron Angaben. Zwei Fälle mit einer ersten
Menstruation um das U. .bilir kommon noImmi normaloron Zuständen nahe.
Dio KäUo von Krührrito im oi^ontliohon Sinno des Wortes boten aber auch
nooli andere, rooht in dio Aii^on lalbMido Morkmulo dar. iFi^.200.) Die Brüste wuchsen
und inihmon Kormon an, win wir sin sonst nur boi roifon Jungfrauen zu sehen ge-
wohnt sind, dio l\l)rigtMi l\rir))orthoilt« wurdon rund und voll, und an den Genitalien
sprosstt» oin molir ndi«r woni^iM' ri«irhor lliiarwuchs hervor. In einigen Filien,
welche an^oblii li noImui Kitii/> auNsorord«Mitlioh früh, seihet ^ mit emem Jahn
menstruirt wuron, mill dii< n««li»iinm^ Avr (lortohhvUistheils 4 Wgttb
gewesen nuin.
8S. Die Frühreif«.
83S
^
Hier haben die uns bedchriebenen Fülle sich aber nicht immer gleichmässig
rerhalten, allerdings mag daria wohl eine IJnvollständigkeit in der Beobachtung
beschuldigen sein. So wird wiederholentlieh zwar von dem frühen Eintritt
"legel und von einer vorzeitigen Entwickehing der Brüste gesprochen : ob sieb
ich schon Schamhaare zeigten, das wird nicht näher angegeben,
14. Solch eiD frahmfea Kind mit abnormer Fettleibigkeit \m<\ bereits deutlich siebt-
Brllftten fahrt die Fig, 200 vor. Nübere Angaben über das Verhivlte» des übrigen
pers üteben leider nicht zur Verfügung. Daa Kind hat ein Alter von S Jahren.
15, Kelly 0., geb. 27. Jan. 1872 in London, vom 22, Lebensmonat an menatruiit,
geigte schon von ihrer Goburt an sehr entwickelte BrÜate; Men&en erscheinen alle 4 Wochen
evor sifj eintreten» befindet fich das Kind jedesmal etwas unwohl. Im Alter von 4 Jabreü
Monaten tand man die Briisto vollständig ausgebildet, du* Warzen ro gross ,wie da*
>aumcngUed einea Mannes*, Hof rosig gefärbt» etwas hervorragend: bei jeder Alenatr. nohuieu
lie BdUte an umfang zu. Der ganze Körper tragt mit meinen runden Ff»rmön alle Zeichen
aber Reife und wiegt 55 Pfund englisch; Wesen und Charakter ernätt?r als gewöhnlioh in
Alter. (Douchutj
15. Josefinc X,, geb. d. 15. März 1S71, Zwillinga-
mlLdchen, deren Schwester als 7^ 4 jähr. Mädchen keine
derartige AbnormitiLt zeigt. Sogleich bei der Gebart
war d'w un verbal tnisswüsFige Gröflse des Kindes auf*
gefallen im Vergleich zur Schweater; achon nach dem
•Estan tialbjnhr begannen die ßrüate ku wachi^en; im
jF. oder 8. Monat bekam sie wie die Schweat^rr die
atcn Zühne. Ala aie ca. 1 Jahr alt war, zeigte sich
^1 titspur, zum zweit<9n Male Anfang Mai 1^74, wo
pa Blutung ftilrker war; Blutabgang dauerte 8 Tage;
tin da ab regelmjiaaig menstr. alle 4 Wochen ohne
klle Be<»chworde. Vom 5. Lebenej, an wurde die
püriodt^ ROgar sehr reichlich; aeit dieuer Zeit klagte
!im M.ub'lien y Tage vor Eintritt der Menaea über
•< Schmerzen im Baucb. Sie ist dunktilblond
L u Augen ; man würde aie bei ihrer körj^er-
liehon Aunbildung für rijährig, statt für 7^/4 jährig
alten. Interenaant iat der Vergleich mit der Zwil-
ingMüchwester: tiie wiegt 84»75 kg» ihre Schwerter
0,<) kg; ibrt* CJrßsse 139 cm, die der Schwester 121 cmj
Jmfang ül>er den Warzen 77 cm, der der Schwester 61
Umfang de« Bauchea am Nabel 73 cm, der der
cb weiter 62 cui. ( Stocket.)
17. lAtuiM H. aus R., geb. 1840; mit 15 Monaten menttr., gleichzeitige Entwickelung
TBrilate. (HeuterJ
18. X,^ 3 Jahre alt, raenatruirt alle S— 4 Wochen 3 — 4 Tage lang ohne besonderes
eiden, bostizt eine ihr Lebemalter erheblich überscbreitende Schwere und Länge; beide
brutto halb kugelförmig, VV^arzen prominirend, Warxenbof blaaaroth; Schamlippen wie bei
aduenen entwickelt, (Wachs,)
10. Jam JantM, seit dem 5. Jahre alle 3 — 4 Wochen 2 Tag© lang menatr., mit 8 Jahren
Eniwickelnng der BrÜate. (PracockJ
20. X., steigte schon als zwei Wochen altea Kind einen blutigen AuaHua)!, der 2 bii 3
r.ige anhielt und sritdem faat genau jeden Monat wiederkehrte; das Kind wird als kleine«
iies Wonen be^chri«^ben, dessen Brttate bereits so entwickelt waren, wie bei einer 16- bi«
■igen Jungfrau; nach Aussage der Mutter werden die Brüst« zeitweilig härter und
drendi di«« Wannen ware^i bei der Cnterauchung im 4. Jahre über 5 cm lang und
bcn»o wie die 2 cm breite Areola dunkel pigmcutirt. Dieämieren Genitalien gut entwickelt,
b» Labia minom Hark hervortretend, dagegen fehlte die BehaArnng der Schamgegend. Dum
lind war rhaclutiflch und hatte bereits Genu valgum. Die geistige Kntwickelung war dam
^lier «nUproobend. fDrummondj
21. Antm StroM^ geb. 1S70 bei St Louis, menstr. mit IG Mou., hatte mit 4 Jahren
MonAMm liiirk «nt wickelte Brüste. (Btrnatfn,) (Fig. 20 L)
ti
v^.
äf<
Ftff. 101. Präbrclfw uinotlhAtiiicIlM
Uidchen, *% Jkbr «IC (Nach BtT»oft.\
334 ^- ^ie Reife des Weibes (die Pubertät) in anthropologischer Besiehnng.
22. Mane Auguste Coquelin geb. Michel in Paris, menstmirte von 2^2 Jaliren an
regelmässig, hatte im 8. Jahre stark entwickelte BrOste, heirathete im 27. Jahre, CDeteuret.)
Alle diese Kinder, bis auf eins, hatten also schon vor dem vollendeten
5. Lebensjahre eine beträchtliche Entwickelung der Brüste; einmal wurden dieselben
schon bei der Geburt beobachtet, in drei F^en war ihre Entwickelung der Men*
struation vorausgegangen.
Bei dem 3 jährigen Mädchen in No. 18 heisst es zwar, dass ihre Schamlippen
wie bei einer Erwachsenen entwickelt wären, ob sie aber auch schon einen Haar-
wuchs trugen, davon wird nichts Näheres erwähnt. Eine bestimmte Angabe Qber
das vorzeitige Vorhandensein der Pubes finden wir jedoch in mehreren Fällen.
23. Russisches Mädchen 6 1/2 Jahr alt, 121 cm hoch, 27,500 g schwer, hat apfelrinen-
grosse, schon etwas hängende Mammae, Labia majora, minora, Clitoris und Hymen wie eine
15— 16jährige; der Mons Yeneris ist mit 2 — 3 cm langen, dunklen Haaren bedeckt. Seit
einem Tage hat sie eine Blutung aus den Genitalien, die nach 2 Tagen sistirte. Da« Kind
ist rhachitisch, aber schamhaft und geistig normal. ( Wladimir ow.)
24. IsabeUa, Negerkind, geb. 6. Juli 1821 in der Havanna, Ende des 1. Jafaxes
menstr., bei der Geburt schon entwickelte Behaarung und Brüste. (Tiamon de la Sagra,)
25. Anna Mummenthaler aus Trachselwald (im Canton Bern), geb. 1751, gest. 1826,
war mit 2 Jahren menstruirt; bei der Gebiut waren die Geschlechtstheile behaart und die
Brustdrüsen entwickelt; im 9. Lebensjahre wurde sie geschwängert; blieb bis zum 52. Jahre
menstruirt. (v. Haller.J
26. X aus Ober- Fallen in Niederl.- Luxemburg, geb. 27. Oct. 1868, zeigte so-
gleich bei der Geburt kräftigen Körperbau, die Schamgegend war mit Haaren besetzt; men-
struirte mit 4 Jahren; seit dem 8. Jahre treten die Menses regelmässig ein; mit 8 Jahren
war sie 133 cm hoch, von kräftigem Körperbau; der Blick war kühn; die Brüste gat ent-
wickelt, Geschlechtsth. mit dichtem Haarwuchs bedeckt. Sie hatte schon mit 8 Jahren
häufigen geschlechtlichen Umgang mit einem 32 jährig. Manne gepflogen; sie klagte über
Uebelkeit und war leicht icterisch. Seit 3 Monaten war die Menstr. ausgeblieben, während
2V2 Monaten erfolgten Blutungen, dann wurde am 27. Juli 1877 eine Hjdatidenmole nebrt
einem Embryo ausgestossen ; das Kind genass vollständig. (Molitor.)
27. Charlotte Z., mit 7 Jahren menstr., fiaumartiges Haar an den Geschlechtsth., starke
Entwickelung der Brüste; litt an Steatom und Hydatiden der Ovarien nach Ergebnias der
Section. (Gediehe.)
28. Anna S. in Ältenburg, geb. 1860, mit 1 Jahr 7 Mon. menstr., Geschlechtsth. mit
^'4 Zoll langen Haaren, Brustdrüsen wie bei einer Frau; bei der Section fand sich Sarkom
der Ovarien. (Geinitz.)
29. X., im 10. Monat menstr., Behaarung und Brüste mit 2 Jahren völlig entwickelt.
(LefHiossek.)
30. X, mit 9 Monaten menstr., zeigte im 2. Jahre Behaarung der Geschlechtsth. and
mit IV2 Jahr Entwickelung der Brüste. (Wall.)
31. Christine Therese Ä., geb. 27. Januar 1838; im 2. Jahre menstr., zeigte bei der
Untersuchung im Dec. 1841 dunkle Haare an den Geschlechtstheilen und Brüste wie bei einem
16 jährig. Mädchen. (Carus,)
32. X, mit 7 Monaten (am 4. April 1878) trat Tage lang Blut aus der Vulva; im
folgenden Monat kehrte die Blutung wieder und währte gleichfalls 3 Tage; und so allm&hlich
weiter bis zum März 1879. um diese Zeit, als schon das Kind 18 Monate alt geworden, trat
statt der Blutung eine sehr reichliche Leukorrhoe auf, die bis Mitte Januar 1880 anhielt.
Hierauf zeigt« sich nach einer heftigen Kolik Menorrhagie von neuem. Die Menge des Blntea,
die jedesmal abging, betrug bei 45 Gramm. Das Kind hatte im Alter von 28 Monaten in
Bezug auf seine runden Formen, sowie seine 75 cm breite Taille, ganz das Aussehen einer
im Wachsthum stark zurückgebliebenen Frau. Die Brüste sind kräftig, über citronengroeSv
elastisch und turgescent, wie bei einem 16— 17jährigen Mädchen, mit prominirenden Warsen
und sehr breitem Hof. Die äusseren Genitalien sehr gut entwickelt, die Vulva-Oeffnung ist
sehr gross, die Labien sind dick und der Schamberg mit ziemlich langem, rothem Haar be-
setzt. In moralischer und physischer Hinsicht entspricht das Kind den Verhältniaten der
ersten Kindheit. (Cortejanera.)
33. Mädchen aus Dalheim bei Gutenfeld, Ostpreussen, fast 3 Jahre alt, geirtig
rege, 32 Pfund schwer, zeigt seit einem Jahre eine Behaarung der Genitalien, die jetst
dicht und lang ist. Menstruation hat sich nicht gezeigt. (Papendiek,) (Fig. 202.)
83. Die Frühreife.
33h
34, X., mit drei JahrcD mensir,; gleiclieeitig behaarten «ich die Geschlecbtsiheile und
entwickelte eich die Bruat,
85, Theodor a Possaj^st war mit Z^jo Jahren menstruirt., zeigte an den Geächlechtstheilen
starke, «chwar^e Haare, ihre Brüste waren sehr stark entwickelt. Bei der Section zeigte sich
Sarkom der Eierstöcke, (Betern,)
36. Johanna Frieäerike (Hoch aus Köthen, geb. 28- April 1799, gest. 1803, hatte an
pn Geschlecb tätheilen starke, dankle, krause üaare; H&ngebrüste, litt an Hydrooephalus und
Btt«ucht, Bei der Section fanden sich Uterus, Ovarien und Vagina wie bei einer Er-
ibchsenen. fTileHus.)
37. Kin S^^jähriges M&dchen wurde den 15. Oct 1883 der geburtsh, Geaellschaft «u
Leipzig voi^estellt; ihr Aussehen war das eines Mädchens ?on 6—7 Jahren. Brüste, Schani-
haare, Schamlippen sehr entwickelt, seit Weihnachten 1881 war bei ihr Menstruation mit
Yierwdeh entlichem Tjpae eingetreten.
38. Mary Anna G., geb. im M&i^ 1845; Blutung im 5, Lebenamonat mit 5 monatL,
dann 3 monatl.^ dann 7 monatl. Tjpus bis zum 6. Lebensjahre, mit schwarzen Haaren an den
GeschleehtHtheilen und bei der Geburt hühnereigroasen Brüsten, (WihonJ
39. Elisabeth KUnck, geb. 31, Oct 1875 in Bnrnheim; mit 9 Monaten raenstr., die
Menses im 2, Lebensj. geregelt; bei der im Febr. 1882 atattändenden Untersuchung ergab
sich reichlicher, dunkler Haarwuchs an den Geschlechts theilen und gute Entwickelung der
BrÜflIe, sie wog 47 Pfund mit G Jahren 4 Monaten und war 120 cm gross. fLorttfJ
-'M^
»4^^^^^^
Fig. 'SJ'2. Ftiiluciica. IääI dr« ijiüirii;L'j l|AdGti«ti mit beiiÄArteii CJüuilÄlieii.
(Nucki Photogr«pliicj
M&dchen ans der Schweiz hatte im Alter von 3 Jahren die erste Menstruation,
lie dch 8—9 Mal wiederholt hat. Mit 6 Jahren zeigt «ie rollen twickelte Brüste, «ehr starke,
lichte Behaarung der Genitalien, die sieb in der Linea alba bis zu dem Nabel hinaufzieht.
Aber auch am geeammten Körijer ist der Haarwuchs aboonn stark entwickelt. (Leaaer,)
Walirscheinlich ist hier auch noch gleick die folgende Beobachtang an-
uschliesaen :
£va ChHxftne Fißchtr an» Eise nacht geb. 1750, gest. 18. Mai 1753, war wie ein
MMchou entwickelt und wurde 175^1 auf der Leipziger Osterme&se eur Sohau
teilt Sie wog 82 Pfund (Leipziger Fleisch ergewicht) und ist in der Anatomie tu,
ipsig abgebildet.
In allen Fällen trat die Schambehaarung bereitö vor dem ersten Zahnwechsel
f; 3 Mal soll sie sogar schon bei der Geburt vorhanden gewesen sein.
In dem folgenden Falle wird nichb über den Zustand der Brüste gesagt
42. MaÜUlde H, aus Louieiana, g«b. S0< 8ept 1H27| mit 3 Jahren mentitr , von da
ma regelm&isig jeden Monat jedesmal 4 Tage lang; schon bei der Geburt behaarte Ge*
Liechtttth* fLe BtauJ
83. Die Frühreife. 337
Derartige Fälle sind wahrscheinlich gar nicht so übermässig selten.
Wie nun hier die prämature Entwickelung der Brüste ohne sonstige Zeichen
der Reifung einhergeht, so finden wir in einem anderen Falle als einziges Merkmal
einer Frühreife ein vorzeitiges Hervorsprossen der Schambehaarung. Einen solchen
Fall habe ich vor einigen Jahren beobachtet und ich konnte ihn photographisch
aufnehmen lassen; seine Abbildung ist in Fig. 203 gegeben:
44. Eine kleine Berlinerin, die ihr 5. Lebeosjahr beinahe vollendet hat (geb. 16. Juni
1886, photographirt 31. Mai 1891), erscheint fQr ihr Alter sehr gross, hat jedoch vollständig
den kindlichen Habitus. Ihre Stimme aber ist sehr tief, ungefähr wie bei einem im Stimm-
wechsel begriffenen Knaben. Ihre Achselhöhlen sind kahl, ihre Brüste haben noch einen
vollständig kindlichen Charakter ; irgend welche Spuren einer Menstruation haben sich bisher
noch nicht gezeigt. Ihr Mons Yeneris und die grossen Labien sind aber schon recht stark
entwickelt und sie trägt eine dichte Schambehaarung von langen, blonden, leicht gekräuselten
Haaren, wie eine vollerwachsene Jungfrau. In geistiger Beziehung machte die Kleine voll-
ständig den Eindruck eines Kindes von ungef&hr acht Jahren.
Sehr lehrreich für die Beurtheilung der Ursachen, welche in der äusseren
Erscheinung des Körpers so auffallende Veränderungen hervorzurufen vermögen,
ist die Beobachtung, in welcher die Obduction die Gebärmutter, die Eierstöcke
und die Scheide wie bei einer Erwachsenen ausgebildet nachzuweisen vermochte.
Durch diesen Umstand werden uns auch solche Fälle verständlich, in welchen in
sehr ftrühem Lebensalter, im 13., 12., 11., ja selbst ein paar Mal schon im 9.
Lebensjahre eine Schwangerschaft eingetreten und das Kind sogar ausgetragen
worden war. Wir werden in einem späteren Abschnitte noch einmal von solchen
Kinderschwangerschaften zu sprechen haben.
Wie weit bei diesen vorzeitig entwickelten Kindern die Heterochronie ihrer
Entwickelung von speciellen pathologischen Vorgängen abgeleitet werden muss,
das ist für uns nicht gut möglich zu entscheiden. Jedenfalls aber fanden sich
bei mehreren solchen frühreifen Kindern, die gestorben waren, bei der Obduction
recht bedeutende Abnormitäten der inneren Organe vor, nämlich einige Male
Sarkom- und Hydatidenbildung in den Ovarien, einige Male Hydrocephalus, und
ausserdem wird bei einigen Kindern das Bestehen einer Rhachitis besonders hervor-
gehoben. Auch Fettsucht wurde in einem Falle verzeichnet.
Einige dieser Kinder schienen dagegen, abgesehen von ihrer prämaturen
Reife, keine Spur einer pathologischen Veränderung zu zeigen. Besondere Um-
stände in der Lebensweise der Mutter, oder eine erbliche Veranlagung hat man
für die Frühreife nicht verantwortlich machen können. Und so ist die eigent-
liche Ursache dieser absonderlichen Erscheinung inuner noch in Dunkel gehüllt.
Uebrigens sind bei fremden Rassen, wie wir in einem späteren Abschnitt sehen
werden, Schwangerschaften in einem Lebensalter, in welchem wir das Weib noch
als ein Kind zu betrachten gewohnt sind, durchaus nicht zu den Seltenheiten
zu zählen. Das ist in heissen Klimaten sowohl wie auch in kalten beobachtet
worden.
Ploss-Bartels, Dms Weib. 6. Aufl. I. 22
XL Die monatliche Beinigiing.
84. Die Menstruation im Tolksmunde.
Die für das junge Mädchen oft zuerst so überraschende und beängstigende
Menstrualblutung, welche auch später immer noch das Schamgefühl wachmft,
hat im Laufe der Zeiten und bei verschiedenen Yolksstämmen mancherlei um-
schreibende Bezeichnungen hervorgerufen. Bei den Nayers in Malabar heiast
das von einer Prinzessin während dieser Zeit ausgeschiedene Blut tirrapickerdu,
das bedeutet heilige Blüthen.
Auch die Letten bezeichnen nach Älksnis die Menstruation mit dem Worte
Blüthen (seedi) und danach ist auch einer ihrer Namen für den Uterus gebildet,
nämlich seedu mähte d. h. Blüthenmutter.
Zendavesta sagt von einer menstruirenden Frau: ,Sie hat ihre Merkmale
und Blut.*
Die Bibel spricht an verschiedenen Stellen von der Weiber Weise, der
Weiber gewöhnliche Zeit, der Weiber Absonderung und der Weiber
Krankheit.
Bei den Japanerinnen sind mehrere Ausdrücke für die Menstruation in
Gebrauch:
Der gewöhnlichste ist „Gek-ke*, was einfach monatliche Regel bedeutet «Mengori*
oder ^Megori", das demnächst gebräuchlichste, etwas feinere Wort ist wörtlich Cirkeltonr
oder dasjenige, was regelmässig wiederkehrt. .Akane Son-ke** (ein etwas ordinärer, vielfkch
in Voklsliedem und Witzen gebrauchter Ausdruck) heisst Rothfärbung; «Geschin* heint
monatliche Botschaft oder Verkündigung, und «Jakh*" heisst einfach: Pflicht. Die
beiden letzten sind schon etwas ungebräuchlichere Bezeichnungen.
Das erste Eintreten der Menstruation wird, wie wir schon sahen, Ton den
Xosa-Kaffern das Autknospen der Blume genannt. (Kropf.)
Der Serbe nennt sie die weibliche BlUthe. Bei unseren Landsmanninnen
ist der gebräuchlichste Ausdruck die Regel. Aber auch als das Unwohlsein, die
Periode, das Blut, die monatliche Reinigung hört man die Menstruation
sehr häufig bezeichnen.
Die Steyermärkerinnen bezeichnen, wi^ Fossel angiebt, die Menstruation
mit dem Namen Monat, Zeit, Geschieht, Sach\ Periode, rother König.
Der letztere Ausdruck ist bekanntlich auch in Norddeutschland gebrfiuchli<£,
aber nur in den allemiedrigsten Schichten der Bevölkerung. Die AusdrQcke
Periode, Sache, Geschichte, Zeit benutzen nach Lammert auch die Leute
in Bayern.
Sehr erfinderisch in poetischen Umschreibungen war man in den früheren
Jahrhunderten in Deutschland: Die Blume, die monatliche Blume, oder
Blüthe, die monatliche weibliche Blödigkeit sind Ausdrücke, denen
85. Die Quantität des Menstmationsblutes. 339
in älteren Schriften öfter begegnet. Cruarinonius sagt auch, das Mägdlein
zeitigt. Vdsch nannte das erste Menstrualblut einer JungÄ*au den Zenit h.
Der getreue Eckarth spricht von der Rosenblüth oder von den rothen Äma-
ranthen, Schurig in seiner Parthenologia vom Rosenkrantz. Der Letztere
führt als volksthümliche Bezeichnungen auch femer noch an die böse Sieben
oder «ich habe Briefe erhalten, der Vetter oder die Frau Muhme ist
gekommen*'.
Auch die alten Inder hatten ihre umschreibenden Bezeichnungen für die
Menstruation. So giebt Vätsyäyana in seinem Werke Kamasütram dem Mäd-
chen ihrem Liebhaber gegenüber, dem sie nichts gewähren darf, die folgende
Vorschrift:
.Sie spreche von ein und derselben Krankheit, die ohne Veranlassung auftritt, nicht
zu verheimlichen ist, nicht mit den Augen zu erfassen und nicht ständig vorhanden ist.*
(Schmidt^.J
Es ist hier woU kaum misszuverstehen, welche Krankheit der alte Verfasser
gemeint hat.
85. Die Quantität des Menstmationsblutes.
Eine Bestimmung der Menge des Blutes, welches während der Menstruation
aus dem Korper ausgeschieden wird, hat selbstverständlich ihre erheblichen Schwierig-
keiten, und man wird gut thun, die bisher vorliegenden Angaben, welche übrigens
ganz ausserordentlich spärlich sind, nur als approximative Schätzungen zu be-
trachten. So hören wir von dem Physiologen Burdach^ dass das Gewicht dieses
Blutes in kälteren Gegenden (England und Norddeutschland) 90 Gramm,
in gemässigten 150 — 180, in südlichen (Italien und Spanien) 360 und in den
tropischen Gegenden 600 Gramm betrage.
Ganz treffend sagt der bekannte Physiolog Ludwig: „ Zahlenangaben, wie
die von Burdach, müssen mit einem Fragezeichen aufgenommen werden. ** Dem-
gemäss geben mit grosser Vorsicht Wundt, L, Hermann und andere Verfasser von
Lehrbüchern der Physiologie auch eine ganz runde, noch dazu in weiten Grenzen
schwankende Zahl an, indem sie von einer 100 — 200 Gramm betragenden Quantität
sprechen; und ebenso vorsichtig äussert sich Funke: »Man schätzt die mittlere
Menge zu 4 — 5 Unzen; bei manchen Frauen reducirt sich dieselbe zu einem sehr
geringen Quantum, bei anderen dagegen ist die Blutung profus.''
So sind denn auch alle Vermuthungen über den Einfluss des Klimas oder
der Rasse auf die Menge des ausgeschiedenen Menstrualblutes kaum benutzbar;
es schwanken ja auch die Schätzungen der verschiedenen Beobachter gar nicht
unbedeutend: Von England und Oberdeutschland besitzen wir Angaben von
Dehaen^ der sie auf 3 Unzen, von SmeUie und Dobson, die sie auf 4 Unzen, und
von Pasta, der sie auf 5 Unzen bestimmt.
Emtnett und Fitegerald geben für Spanien bis zu einem Pfunde, SneUen
unter dem Wendekreise sogar bis zu 2 — 3 Pfund an. Ob diese Angaben aber
zuverlässig sind, ob sie das Normale oder individuelle Eigenthümlichkeiten wieder-
geben, das müssen wir dahingestellt sein lassen.
Bei 140 Woloffen-Negerinnen fand de Rochebrtme den Blutverlust zu
95 Gramm. Riedel^ bezeichnet die Menstruation bei den Weibern der Ambon-
und Uliase-Inseln als spärlich, ebenso auf den Tanembar- und Timorlao-Inseln.
Dass aber bei einem Wechsel des Klimas recht erhebliche Veränderungen
in der Menge des Menstrualblutes hervorgerufen werden können, das ist seit langer
Zeit bekannt. Schon Blumenbach giebt an, dass die Mehrzahl der Europäe-
rinnen, welche nach Guinea übersiedeln, sofort Gebärmutterblutungen bekommen.
Wenn Europäerinnen, welche in ein heisses Klima ziehen, an allzu reich-
lichem Blutabgang bei den Menses leiden, so wird vielleicht nicht selten die Ur-
22*
340 ^I- ^io monatliche Reinigung.
Sache dieser Metrorrhagien darin beruhen, dass sie in Folge einer Infection durch
Malaria anämisch geworden und hierdurch zu dergleichen Blutflüssen disponitt
worden sind. Dies wollen französische Aerzte, z. B. Bestion^ namentlich in
ungesunden Oegenden Afrikas beobachtet haben. Einen solchen Grund hat
vielleicht auch die von Stormofit berichtete Erscheinung, dass die Negerinnen
der Sierra Leone beim Eintritt der ersten Menstruation an einem ephemeren
Fieber leiden. Dagegen hat Saint Vd auf Martinique durch das Klima keine
Vermehrung des Menstrualflusses wahrgenommen. Das vermag nun aber die Be-
obachtungen anderer Autoren natürlicher Weise nicht umzustossen.
In St. Petersburg scheint es nach Weher für die Menge des ausg^eschie-
denen Menstrualblutes im Ganzen von untergeordneter Bedeutung zu sein, ob der
Eintritt der ersten Regel ein frühzeitigerer oder ein späterer war. Hingegen
spielen in dieser Beziehung die Körperconstitution und die Haarfarbe zweifellM
eine grosse Rolle. Profuse Menses hat Weher sehr häufig bei Blonden, and
namentlich bei Rothblonden getroffen; die gewohnliche Annahme, dass bei Brü-
netten der Monatsfluss ein reichlicherer sei, als bei anderen Frauen, hat sich hier
nicht als zutreffend erwiesen.
86. Beeinträchtignngen der Menstrnation.
Bei manchen Völkerschaften scheinen gewisse Lebensverhältnisse eine Neigting
zu besonderen Menstruationsstörungen herbeizufahren. Von Velpeau und
Gardieii wurde angegeben, dass Grönländerinnen nur alle 3 Monate oder selbst
nur 2 — 3 Mal im Jahre menstruirt werden. Es ist nicht mitgetheilt, woher diese
beiden französischen Geburtshelfer ihre Notiz haben. Nach Guerald soll bei
den Eskimos die Menstruation während der Zeit des Winters und des Mangels
an Nahrung ausbleiben.
Auch im Memoire sur les Samojedes et les Lappons vom Jahre 1762
heisst es:
„Ceux, qui ont prötendu, que les femmes des Samojedes ne sont point sujettes aox
evacuations pdriodiquos, se sont trompös; cependant il est vrai, qu^elles ne les ont que in»-
faiblement et en petita quantitii/
Auch nach Linnc haben die Weiber der Lappen spärlichere ELatamenien
als die Schwedinnen.
V, Bischoff' hat bei den Feuerländerinnen, welche in Europa umher-
reisten, den Nachweis zu führen vermocht, dass während mindestens sechs Mo-
naten keine Menstruation, d. h. keine bemerkbare stärkere Blutung aus den Geni-
talien wahrgenommen wurde, obgleich sie auf dem Schiffe noch ganz nackt gingen;
ihr Führer dagegen fand zuweilen geringe Blutspuren, ohne in Beziehung auf den
Typus etwas Genaues aussagen zu können.
Es wäre nun allerdings noch denkbar gewesen, dass die Reifung und Los-
lösung der Eier im Eierstock doch zu den bestimmten vierwöchentlichen Perioden
bei diesen Weibern vor sich ginge, trotzdem die Menstrualblutung ausgeblieben
war. Um diese interessante Frage zu entscheiden, bot sich die günstige Gelegen-
heit, da zwei dieser Frauen starben und die Obduction gemacht werden konnte.
Hierbei zeigten die Eierstöcke keine Spur von solchen Eiern, welche der Reifung
nahe gewesen wären. Und somit ist es als bewiesen zu betrachten, dass hier
nicht nur die Menstruation, sondern auch die Ovulation cessirt hatte, dass sie bei
den Feuerländerinnen also nur in langen, bis halbjährigen Zwischenpausen
zu Stande kommt. Hier ist alHO die Annahme nicht abzuweisen, dass sich die
physische Verkümmerung dieses Yolksstammes auch in denjenigen Organen aus-
spricht, welche den Zwecken der Fortpflanzung dienen.
Eine unverständige Lebensweise hat auf das Verhalten der Menstruation
einen ganz deutlich schädigenden Einfluss. Darum fand Rigler bei Orientalinnen
86. Beeinträchtigungen der Menstruation. 341
häufig Störungen des Monatsflusses, namentlich Metrorrhagien, aber auch Dysme«
norrhöe und Amenorrhoe. Auch die eingeborenen Frauen in Indien leiden nach
Stewart ausserordentlich häufig an Gebärmutterkrankheiten. Hingegen gehören,
wie Folak sagt, in Persien Unregelmässigkeiten der Menstruation zu den grossen
Seltenheiten, und sie kommen nur bei Frauen vor, die von ihrem Manne ver-
nachlässigt werden.
Von den Viti-Insulanerinnen berichtet Blyth:
»Menstrualanomalien sind nicht unbekannt, was nicht zu verwundern ist, da sie sehr
unvorsichtig während der Menstruation in den Flüssen baden, oder in der See herumwaten,
um zu fischen.**
Suppressio mensium kommt nach Raven auf den Faröer häufig vor. Die
Weiber gehen dort ohne Schuhe und tragen nur ein Fell um die Füsse, so dass
diese inuner der feuchten Kälte ausgesetzt sind. Hierdurch werden diese Störungen
verursacht.
Von Nord-Island schreibt Olaffen:
.Das Frauenzimmer hat bej Weitem keine so gute Gesundheit; indem Obstructio
mensium, insbesondere beym unverheiratheten Frauenzimmer, hier so wie in ganz Island
sehr allgemein ist. Ihre gar zu stille Lebensart scheint vornehmlich Schuld daran zu seyn:
denn ausserdem, dass sie wenige Belustigungen haben, wodurch sie schon gezwungen, still-
schweigend und schwermüthig in ihrem Umgange und ihrer AuffQhrung werden, trägt es auch
vieles dazu boy, dass sie, wenige Tage im Sommer ausgenommen, stets bey ihrer Haus- und
Wollarbeit siüen, ohne in die freye Luft zu kommen. Hierzu kömmt, dass sie bei ihrer
Arbeit nicht auf Stühlen oder Bänken, sondern mit untergeschlagenen Beinen auf dem Fuss-
boden, auf einer Matte, einem Easseu oder einem Schaffelle sitzen. Vielleicht giebt es noch
viele andere Ursachen zu der schlechten Gesundheit dieses Geschlechtes, die Niemand achtet
oder zu achten wertb hält. Die angeführten sind aber wohl die Hauptursache.*
Die bei den ehstnischen Mädchen zur Zeit der Pubertätsentwickelung ein*
tretenden Störungen müssen zum Theil davon abgeleitet werden, dass den jugend-
lichen Körperu zu gewaltige Anstrengungen zugemuthet werden, die um so eher
als Krankheitsursachen wirken, als diesem starken Verbrauch in dem noch nicht
erwachsenen Körper und Alter oft nicht die solchem Gonsum entsprechende
Nahrung geboten wird. Beachten wir nun noch die grosse Unkeuschheit der
Ehstenmädchen, so haben wir ein drittes krankmachendes Moment, welches
die Bleichsucht, die Menstruationsstörungen und selbst üterusleiden entstehen
lässt (Holst),
Keating erfuhr von einem Potowatomi- Häuptling, dass unter den Frauen
seines Stammes Unregelmässigkeiten im Monatsflusse nicht selten seien, ebenso
wenig als Verb alt ungen ; allein er schien sich hierüber nur mit Zurückhaltung
auszusprechen. Auch in Guatemala sind nach JSernof4/h' Menstruationsstörungen
eine sehr häufige Erscheinung.
In der Sierra Leone kommen, wie der dort beschäftigte Chirurg Robert
Clarke fand, Amenorrhoe, Dysmenorrhöe, Leukorrhoe und profuse Menstruation
bei den Negerinnen gleich häufig vor, wie bei den Engländerinnen.
Die chinesischen Aerzte glauben bei den Weibern die Menstruations-
störungen am Pulse erkennen zu können. Sie setzen bekanntlich drei Finger auf
drei verschiedene Punkte der Arterien auf, und diese drei Punkte nennen sie
tauen, tsche und koun. Ist der Puls beim Punkte tsche voll und kräftiger am
rechten Arme, als am linken, so erklären sie die Frau für gesund; ist er klein,
hart und oberflächlich, so vermuthen sie eine Menstruationsstörung; ist er schwer
fühlbar und schwach am Punkte tsche, so sind die Regeln zu reichlich; ist er
schwer fühlbar, schnell und hart, so sind sie zu früh eingetreten; ist er schwer
fühlbar und langsam, so sind sie verzögert; ist er klein, hart und oberflächUck
so sind sie ungenügend; ist er schwer fühlbar und schwach, so sind sie unter
drückt (de ViUeneuve). Eine Menstruationsstörung wollen die * '
Aerzte nach anderer Angabe erkennen (Dabry)y wenn der Nierei
342 ^I- ^16 monatliche Reinigang.
und oberflächlich, wenn der Leber-Puls spröde und übereilt ist. Za reLcUicke
Menstniation soll sich nach ihnen durch einen tiefen und schwachen Puls knnd
geben. Wenn die Menses vorzeitig eintreten, soll der Puls tief und langsun^
wenn sie ungenügend sind, soll er klein, spröde und oberfifichlich sein; bei der
Unterdrückung der Menses ist der Puls tief und gedehnt oder tief und schwach.
Bei einem Blicke auf die Gynäkologie des Alterthums (Kleinwädäer)
finden wir, dass die altgriechischen Aerzte sich eine ganz besondere Ansicht
über die Menstruation und ihre Störungen zurechtlegten. Nach Hippohrates sbd
Weiber, die nie schwanger waren, menstrualen Leiden viel mehr aosgesetzti als
jene, die geboren haben, denn der Lochienfluss (der Ausfluss im Wochenbett)
wirkt auf die Circulation wohlthätig ein. Durch die Schwangerschaft, so stellte
er sich vor, werden die Blutgefässe der Baucheingeweide, des Uterus sowie der
Brüste gehörig erweitert, so dass späterhin nach überstandener (Geburt der Blnt-
abgang leichter stattfindet. Bei jenen dagegen, die nie geboren haben, sind die
Blutgefässe nicht gewöhnt, sich auszudehnen, und es kann daher das menstraale
Blut nicht so leicht abfliessen. Die Gewebe des Weibes sind zarter und erhitzen
sich mehr. Dadurch entstehen Beschwerden, die durch die Ausdehnung der Blnt-
gefässe gemildert werden. Deshalb ist auch die Wärme des Weibes eine höhere.
als die des Mannes. Durch den monatlichen Blutfluss wird ein zu hohes An-
steigen der Körperwärme verhindert.
Es folgt nun bei Hippokrates die Besprechung der Ursachen, der Erschm-
nungen, sowie der Behandlung einer Stockung und eines zu reichlichen Flusses
der Menses; seine Darstellung gründet sich nicht auf genaue anatomische Unter-
suchung, die man ja auch noch bei seinen Nachfolgern vermisst. Paidus vanAegina
empfiehlt bei Ausbleiben des Blutflusses durch Uterusleiden Blutentziehung, Liga-
turen an den unteren Extremitäten 3 — 4 Tage lang, wobei man die Binde knn
vor der zu erwartenden Menstruation abnimmt, und femer einen Trank von
Myrrhen, Räucherungen u. s. w. Galenus entwickelte wiederum andere Ansichten.
Die arabischen Schriftsteller behandeln die Menstrualstörungen ziemlich gleich-
artig: Aviccfina empfiehlt ebenso wie Serapion Ligaturen um die Oberschenkel,
ferner den Aderlass, und als menstruationstreibende Mittel Moschus, Castoreum
und Myrrhen.
S7. Die normale Menstniation.
Der vorige Abschnitt hat uns bewiesen, dass bei verkümmerten Völkern in
arktischen Gegenden Anomalien der Menstruation sich zum regelmässigen Zustande
ausbilden können. Wir haben nun zu untersuchen, ob wir auch aus anderen
Theilen der Erde, namentlich aus tropischen Ländern, Aehnliches nachzuweisen
vermögen. Leider ist hierfür das Material noch von bedauerlicher Spärlichkeit;
die vereinzelten Angaben aber, die mir bekannt wurden, will ich nachstehend zu-
sammenstellen. Als bekannt setze ich dabei voraus, dass die Menstruation des
europäischen Weibes 3 bis 4 Tage zu dauern pflegt.
Für die Talmudisten war es aus rituellen Gründen Pflicht, auf den Blut-
fluss der Weiber ein besonderes Augenmerk zu haben. KazeneUon schreibt hierüber:
^Da (las poriodische Eintreffen der Monstruation, die Menf^^e und Farbe des Blotet be-
deutenden .Schwankungen unterworfen sind, bemühen sie sich, einige allgemeine Regeln anf-
zustellon, von denen sie sich bei der Differentialdiagnose zwischen Menstruation und anfUlig
auftretenden Blutungen auH den Geburtswegen leiten lassen. Regelmässig bei einem W«be
auftretende Prodromalencheinungen erleichterten bedeutend die Diagnose. Derartige mam
Krau eigenthQmlicbe Prodromalerscbeinungen waren G&hnen, Niesen, SchmengefUü im Ea-
gange oder abschüssigen Theile des Magens; ferner SchleiraOuss, Angstgefühl odar llnli
Erscheinungen, sobald sich dieselben dreimal wiederholten. Ein zweites diagnosti««"
war die Untersuchung mit dem Mutterspiegel (derselbe wird n&her bosohriobr
führten gewöhnlich selbst den Spiegel ein, und war dann kein Blv<^ *■
88. Die Störungen der Menstmaiion und die Volksmedicin. 343
merken, so war das ein Beweis dafür, dass das Blut nicht aus dem Cerncalcanal stammte.
Ausserdem waren auch die Farbe des Menstruationsblutes und dessen Flecken auf der Wäsche
ein diagnostisches Mittel. Einige Gelehrte sollen eine bewundernswürdige üebung in dieser
Kunst erlangt haben. Ein Eingehen auf die im Talmud dafür angeführte Farbenscala und
einige damals zur Analyse der Flecken gebräuchlichen Reagentien (Nid da 61 a) würde jedoch
die Grenzen unserer Aufgabe überschreiten.'
Auf der Insel Minorca erscheint nach Cleghom die Menstruation bei jungen
Mädchen zweimal in einem Monat, bei allen anderen alle drei Wochen.
Bei gesunden Japanerinnen dauert nach Wernich die Menstruation 3 bis
4 Tage; im Krankenhause bei den verschiedenen pathologischen Formen natürlich
meist länger. Ein nicht sehr sauberes japanesisches Volkslied, in welchem das
Mädchen den Oeliebten beklagt, dass er sich während dieser Zeit ohne normalen
Genuss behelfen müsse, nimmt die Dauer der Periode auf 7 Tage an. Die Be-
rechnung wird sehr sorgfältig gefQhrt, da sowohl die Verkürzung der Menstrua-
tionstage als auch des freien Intervalls für ein Krankheitssjmptom gilt. Als noch
zur physiologischen Menstruation gehörig betrachtet man in Japan leichte wehen-
artige Schmerzen im Unterleibe und einen geringen Druck in der Schläfengegend.
Schmerz und Kältegefühl im Kreuz, Ziehen an den Schenkeln, Schmerzen im
Hinterhaupte und in der Stirn sind als pathologische Symptome wohlbekannt.
Die Dauer ihrer Menstruation wird bei den Nayers (Jagor^) zu 3 Tagen,
bei den Hindu- Weibern (Ckervin) zu 3 bis 5 Tagen angegeben. Bei den Chew-
suren dauert die Menstruation selten länger als 2 Tage (Radde),
Bei den Dayakinnen von Sarawak giebt Houghton die Dauer der Men-
struation auf 4 Tage au.
Bush sagt von den Weibern der nordamerikanischen Volksstämme, dass
sie ihre Katamenien in geringer Menge, aber in regelmässigen Zwischenräumen
hatten. Die Omaha-Indianerinnen haben die Regel 3 bis 4 Tage.'
Auch von den Weibern der Charucas und Guaranis in Paraguay be-
tont AjBfara die Spärlichkeit ihrer Menses ; auch sollen sie durch grosse Intervalle
getrennt sein. RoUin^ der Wundarzt von La Perouse's Expedition, giebt die
Dauer der Menstruation bei den Indianerinnen in Chile und Galifornien auf
3 bis 8 Tage an, je nach ihrer Constitution und Lebensweise.
Bei den Negerinnen der Küste von Old Calabar dauert nach llewan die
Menstruation ebenfalls 3 bis 4 Tage. Nach de Rochebrune sind bei den Woloff-
Negerinnen die Menses kurz und der Blutverlust schwach.
Aus diesen leider nur spärlichen Thatsachen lassen sich begreiflicher Weise
keine weitgehenden Schlüsse ziehen. Immerhin können wir wohl hervorheben,
dass ein wesentlicher Einfluss der Tropen auf eine Verlängerung oder Verkürzung
in der Dauer der Menstruation sich nicht nachweisen lässt. Interessant ist noch
eine Erscheinung, die sich bei den Loango-Negerinnen gezeigt hat. In
den Tagen, wo sie menstruirten, schien ihre Haut um eine Schattirung dunkler
zu sein, als in ihrer menstruationsfreien Zeit. Es lohnte sich wohl, darauf zu
achten, ob auch bei anderen farbigen Völkern sich etwas Aehnliches nach-
weisen lässt.
8S. Die Störungen der Menstruation and die Volksmedicin.
Störungen der Regel gelten dem Volke als eine Quelle grosser Gefahr.
Allerlei Gebresten und körperliche Beschwerden, allerlei nervöse Leiden und viele
Formen geistiger Umnachtung werden mit dem „versetzten Geblüte' in ursäch-
lichen Zoiammenhang gebracht. Kein Wunder daher, wenn wir in der Volks-
mediein mkIi dm mannigfachsten Mitteln gegen diese so gefürchteten Zustände
^ ^nie darartige Fürsorge ist nicht auf die Völker Europas be-
«ndi in anderen Welttheilen und wir können hieraas
^imeienscfaatz Mittel gegen Menstruationsanomalien
344 XI* ^ie monatliche Reinigong.
aufweist, diese Letzteren bei dem betrefifenden Yolksstamme keine nngewöhnlidie
Erscheinung sein können.
Will bei den Frauen in Algier die Menstruation nicht eintreten, so be-
sitzen sie mehrfache Recepte, um dieselbe hervorzurufen. Die Einen werfen ein
Ammoniaksalz, Nehader genannt, auf das Feuer imd setzen sich direct über den
Dampf; Andere räuchern ihre Genitalien mit anderen StofiFen und zwar im un-
mittelbaren Anschlüsse an die Yorgeschriebenen Abwaschungen. Aach Tamponi
von Wolle, die mit Schwefelantimon eingepudert wurden, führen sie sich in die
Scheide ein. Als sehr wirksam wird es auch angesehen, wenn die Frau auf 4 bis
5 Blätter der Pappel den Namen ihres Vaters, ihrer Mutter und anderer Ange-
hörigen schreibt; dann muss sie diese Blätter in ein kupfernes Schächtelchen thnn
und dasselbe in ein Feuer legen. Sobald es sich nun mit Rauchwolken bedeckt»
so ist sie überzeugt, dass die Regel erscheinen werde. Wenn aber die Menses
zur rechten Zeit kommen, jedoch zu gering und schwierig sind, dann muss die
Frau eine Abkochung der Nigella sativa trinken (Bertherand). Fliessen dagq^
die Menses zu stark, so bringt man in die Scheide eine Mischung von Essig and
Vitriol, oder von Honig, den man mit Vitriol und Granatrinde versetzt hat.
Ist in Fez z an bei einem jungen Mädchen der Korper bereits voll ent-
wickelt, ohne dass die Menstruation sich zeigen will, so muss sie, wie Nctcktigol
berichtet, drei Tage lang einen Brei von Gerstenmehl mit Butter und Zucker und
eine Paste von Färberröthe geniessen.
Die Weiber der Galla und Hararf scheinen wenig von Anomalien der
Menstruation zu leiden; unter einer Liste von 66 Medicinaldroguen, welche Pau-
litsclike von ihnen veröffentlicht hat, befindet sich nur ein einziges Medicament,
welches bei Frauenleiden- Anwendung findet.
Im ostindischen Archipel steht unter den Mitteln, den Eintritt der Men-
struation zu befördern, das Kneten bestimmter Theile des Leibes obenan; nebenbei
besitzen sie aber allerlei Kräuter, welche auf die Regel fordernd einwirken sollen.
Sie haben dort die Ansicht, dass der Mond einen sehr bedeutenden Einflnss auf
die monatliche Reinigung übe, und zwar so, dass junge Mädchen zur Zeit des
Neumondes, ältere Frauen aber nach dem Vollmonde menstruiren. Nur ungemein
selten kommt es vor, dass daselbst Schwangere menstruiren. (Epp.)
In Japan gilt als menstruationstreibendes Mittel besonders die Abkochung
der Wurzel von Rubia cordiflora, welche die Frauen Shenkong Akane nennen.
Doch sind neuerdings Eisen- und Chinin -Präparate, Fussbäder und Senf teige be-
reits populär geworden; zuweilen kommen auch Capsicum und Senf innerlich zor
Anwendung. Auch gebraucht man dort nach Williafn^ als Mittel gegen Ame-
norrhoe Key-tu-sing, das ist die Tinctur aus den Blättern eines Baumes aus der
Klasse der Tenistromaceae ; man nimmt dieselbe zur Zeit des Vollmondes unter
kabbalistischen Ceremouien ein.
Die Chinesinnen benutzen bei Menstruationsstörungeu sehr verschiedene
Arzneien. Beim Ausbleiben des Monatsfiusses wird Ning-kuen-tschi-pao-tan zu-
gleich mit Knabenham und altem Wein eingenommen. Bei Schmerzen in der
Herzgegend kurz vor dem Eintritt der Menses wird es mit Absud von Cypem«
graswurzeln und von alten Citronen gegeben; ist der Monatsfluss dunkelblau oder
schwarz, dann kommt eine Abkochung von Päonienrinde mit Schwarzwunel,
Safran und grünen Citronen an die Reihe; bei übermässiger Menstruation nehmen
sie ein Decoct von Seekohl und weisser Bergdistel ein. (Schwarz,)
Ueber die Viti-Insulanerinnen hat uns Blyth Bericht erstattetb Voa
ihnen wird als Mittel gegen die Suppressio mensium die Rinde von der Ymi
Ndina (a tree of the greenheart species) geschabt und davon ein Infus gor*
Das hilft in manchen Fällen, und wenn es fehlschlägt, so hilft anch nichtF
Die Hebammen behaupten, dass sie auch Todesfölle nach Bar*
kennen, aber damit ist wahrscheinlich gemeint, dass Krankhr
88. Die Störungen der Menstruation und die Volksmedicin. 345
sation der Menses Veranlassung geben, oder mit ihr einhergehen, in Fiji vor-
kommen. Auch schmerzhafte Menstruationen werden beobachtet (Dravutu ge-
nannt) und von den Hebammen mit einem Infus von dem geschabten Stamm und
den Blättern eines Weinstockes (Wa Ndamu) behandelt. Für die Hebamme wird
dann, bevor sie fortgeht, ein Mahl bereitet, nach dessen Einnahme sie zu ihrer
gewohnten Beschäftigung zurückkehrt, mit der Weisung, dass wenn die Kranke
nicht in vier Tagen vollständig wohl ist, man sie wieder rufen solle; dann wird
die gleiche Behandlung wiederholt.
Kehren wir nun nach Europa zurück, so treffen wir in Kleinrussland
als das die Menstruation befördernde Mittel den Aufguss von Lathraea squamaria
mit Wasser oder Branntwein, zu einigen Spitzgläsern täglich, in Gebrauch. Im
Nowgorodschen Gouvernement nimmt man Bierhefe und frischgemolkene
Milch zu einem halben Bierglase des Morgens nüchtern. Ausserdem wird noch
in den südlichen Gouvernements Russlands sowohl bei zu geringer, als
auch bei ausbleibender Menstruation der Splint des Kirschbaumes benutzt. Mit
einem Messer muss man dabei den Bast abschaben, und zwar nach oben, wenn
die Regel zu schwach ist, und nach unten, wenn sie zu reichlich auftritt. Auch
trinkt man in Russland den Thee von Tanacetum vulgare und gebraucht inner-
lich seit den ältesten Zeiten Ol. Terebinthinae zu 12 — 15 Tropfen, Morgens und
Abends, mit einem starken Aufguss von Artemisia (Krebel), In Sibirien wird
der gesättigte Aufguss von Geranium pratense getrunken.
Bei den Serben müssen Weiber, die an Menstruationsbeschwerden leiden,
den Saft rother Blüthen trinken. Wenn es dagegen einer Frau lästig ist, jeden
Monat von der monatlichen Reinigung heimgesucht zu werden, dann soll sie sich
bei dem Eintreten derselben waschen und mit dem Abwaschwasser eine rothe Rose
begiessen (Petrowitsch).
Bei den Polen und Ruthenen wird nach Glück der Beifuss bei Frauen-
krankheiten und namentlich bei Menstruationsstörungen empfohlen. In Bosnien
und der Hercegovina benutzt man das gekochte Kraut des Wermuth mit Honig,
als Umschlag auf den Unterleib gelegt, gegen Dysmenorrhöe; aber auch den
Beifuss wenden sie bei Amenorrhoe an und zwar innerlich genommen als Ab-
kochung. Gegen die gleiche Beschwerde wird von ihnen der Saft von Tausend-
güldenkraut mit einem Weinabsud gebraucht.
In den Provinzen Treviso und Belluno in Italien wird das Ausbleiben
der Regel mit Malven und Venushaar behandelt (Bastanzi). Gegen Gebärmutter-
blutungen benutzt man in der Provinz Bari die Stricke, welche zum Zubinden
der Schlauche gebraucht werden. Man umbindet damit die Taille, die Hand-
gelenke und die Fussgelenke der Kranken, und wenn das nicht ausreicht, so bindet
man noch Fäden von schwarzer Wolle um jeden Finger und um jede Zehe: dann
steht die Blutung (Karnsio).
Gegen das Ausbleiben der Menstruation hilft, wie es in der Mark Bran-
denburg (in einer alten Handschrift) heisst, ein Stück von einem Fischernetz
und ein Zipfel von einem Mannshemde zu Pulver gebrannt und eingegeben. Im
Frankenwalde (Flügel) ist unter den Hausmitteln gegen mangelhafte Menstrua-
tion wohl Safran mit Wein das gewöhnlichste. Einige Mittel zur Hervorrufung
der Regel im bayerischen Franken, bei welchem Menstruationsblut die Haupt-
rolle spielt, werden wir noch kennen lernen.
Gegen zu reichliche Menstruation gebraucht man daselbst frische Muttermilch,
ebenso luitzendreck und Rosenöl. Bei Mutterblutfluss giebt man Hirtentäschlein
mit Wein und Wasser gesotten. Dort glaubt man auch, dass bittere Mandeln
die Menstnifttioii aufhören machen. In der Pfalz gebrauchen die Frauen auf
t iMBBi Venstnialio&iBtSnuiffen G^etränke aus gemeiner und auch romischer
ArUieninm), Stabkraut (Artemisia Abrotanum),
•^Qpirbe und Bosmarin werden zu diesem Zwecke
346 ^^' ^^® monatliche Reinigung.
schon seltener benutzt, wenn sie gleich minder schädlich sind, als beispielsweise
Zwetschenbranntwein, allein oder mit Safran oder Aloe, «Lohröl* (Lorbeerol),
wovon die Bäuerinnen gern Gebrauch machen, wenn ihre Periode ganz zurück-
bleibt. Sie lassen wohl auch bei Amenorrhoe einen Aderlass am Fnss vornehmen,
nehmen auch Thee vom Sevenbaum, besonders dann, wenn sie eine vermuthete
Schwangerschaft beseitigen wollen (Pauli).
In Schwaben giebt man Melisse oder Mutterkraut bei schwachem Gteblüt,
auch Raute treibt dort die Menstruation, ebenso Sabina, auch thut es das Trinken
von Geisham (Bück), femer wird Akelei als weiberzeittreibendes Mittel benutzt.
Auch Regenwasser und Stutenmilch soll sehr wirksam sein. Zu reichliche Men-
struation hemmen sie durch den Genuss von bitteren -Mandeln. (LammerU)
Auf die Dauer des Blutflusses bei der Menstruation vermag nach dem
Glauben der Bayerischen Bevölkerung die Weibsperson selber, oder deren Mutter
oder Verwandte einen ganz erheblichen Einfluss auszuüben. »So viele Finger die
Mutter bei der Wäsche des vom erstmaligen Monatsblute befleckten Hemdes in
das Wasser taucht, so viele Tage wird künftighin die Menstruation ihrer Tochter
andauern. ** Mit diesem Wasch wasser muss dann ein Rosenstock begossen werden,
dann wird der Monatsfluss immer mit Regelmässigkeit von Statten gehen. Soll
zu reichliche Menstruationsblutung beseitigt werden, so muss man die Ohrfiboger
beider Hände mit carmoisinrothen Seidenfaden umwickeln. So oftmal man den
Faden umgewickelt, so viele Tage bleibt die Regel aus. (Lammert)
Im Mittelalter spielten in Deutschland bei den Menstruationsstörungea
Räucherungen eine sehr grosse Rolle. Das war aber eine Behandlungsweise, welche
der griechischen Medicin entlehnt worden war. In dem Arzneibuche des Sar-
tholomaeus Anglicus aus dem XIII. Jahrhundert, das von Pfeiffer herausgegeben
wurde, kommt die folgende Stelle vor:
^Swelh w!p ir siechtuomes (siech tum de wibe i. e. menstrua) niht haben muge, diu
neme myrren unde temper si mit dem sfige (Safte) arternysien, unde 86 diu temperonge daime
getruchne, so so! si vigelen (chaben, feilen) ein hirzes hörn (Hirschhorn) unde mische diu ra-
samme unde behulle si vlizechltch unde mach einen rouch dar üz unde setze den under dia
bein: an der wile so gewinnet si ir wiphoit.
,Ze gelicher wie sol si rüten (Raute) ezzen unde den souch (Saft) vaste (stark) trinchen
undo Bol die wurzenschtben zwischen diu bein haben: so ledigen sich diu menstroa.
,Ez erget vil dicke (es geschieht sehr oft), daz diu matriz ersticket, dft das chint ihm
lit, eintweder von dem smerwe oder von dem foulen pluote, daz sie sich nicht erfurben (rei-
nigen) mach. Des sol man sus buozen (bessern). Daz w!p sol nemen gruone rOten, unde rtbe
die wol yast unde stozo die an die statt. Ze gelicher wis du sold nemen swebel unde temper
den mit starchem ezziche und habe die temporunge lange für die nase unde stöz ir ein teil
an die tougen (geheime) stat, so wird dir baz.
,Swenne daz wip den siechtuom hat, so geswillet si ein teil umbe den nabel unde
walget (rollet) ir daz gclibcrte bluot imter den rippen also diu eiger unde beginnet fir dia
äder swellen undo get ir der toum in daz houbet als der dicke rouch. Wil du des tiech-
tuomes schiere (sogleich) buozen, so nim ruten ünde temper die mit guotem honege ande
salbe dich da mit al umbe die tougen stat. Wellest dfi aver schiere gesunt werden, so nSm
linse und beize die mit wenc, da nfib temper siu mit honege unde neuz die erzente alle tage:
du wirdes schiere gesunt.*
XII. Die Menstruation in ethnographischer Beziehung.
89. Gebräuche bei dem Eintritt der Menstruation.
Das zum ersten Male menstruirende Mädchen tritt in eine neue Entwicke-
lungsepoche des Lebens ein: sie ist reif geworden, einen eigenen Hausstand za
gründen, zur Vermehrung des Stammes auch ihrerseits beizutragen; mit einem
Worte, sie ist mannbar geworden. Mit dem Erreichen der Pubertät verbindet
sich aber in dem Volksglauben sehr vieler Nationen die Ansicht, dass das weib-
liche Wesen mit dieser erstmaligen Blutausscheidung in einen Zustand temporärer
Unreinheit versetzt wird, in der sie abgesondert werden muss, um nicht auch
Andere zu verunreinigen.
Gleichzeitig hat man diesen Lebensabschnitt aber auch für ganz besonders
geeignet angesehen, um das junge Wesen durch die Auferlegung von Leiden und
Weh eine Art von Prüfung durchmachen zu lassen, durch deren Ablegung sie
sich erst der Stammesangehörigkeit für würdig erweisen muss. Erst wenn sie
diese Maassnahmen erduldet hat, wird sie als eine Erwachsene betrachtet
Es kommen bei weniger civilisirten Volksstämmen recht widerwärtige und
bisweilen sogar lebensgefahrliche Peinigungen in Anwendung, die vielleicht nicht
immer nur den Endzweck haben, die Standhafbigkeit des armen Wesens zu prüfen.
In vielen Fällen dienen sie wohl auch dazu, den vermeintlichen Dämon der Un-
reinheit und der Krankheit, welcher das junge Mädchen ergriffen hat, durch ge-
waltsame Eingriffe zu vertreiben.
Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung, was vofi den Steinen über die Er-
findung der Schambinde bei den Mädchen der Bakairl entwickelt:
«Plötzlich treten Blutangen auf; hier ist eine Erkrankung gegeben. Dass der Indianer
ursprünglich so dachte, wird klar bewiesen durch die bei den meisten Stämmen Übliche, höchst
überOüssige medicinische Behandlung des menstruirenden Mädchens mit Isolirung, Ausräuche-
rung, Diät, Incisionen und den übrigen Hülfsmitteln wider die unbekannten Feinde. Man
entfernte säuberlich das Schamhaar, und legte einen Verband an, die Bastschlinge, oder
eine Pelotte, das Uluri. Die Bastschlinge ist bei den Tru mal -Frauen — eine Combination
von Verband und Pelotte — strickartig gedreht. Bei den Üluri-Trägerinnen bewirkt der
schmale Rindenstreifen die Anspannung Über den Damm; in beiden Fällen wird ein gegen
die Schambeinfuge hin andrückendes Widerlager geschaffen, bei jenen durch das Röllchen,
bei diesen durch das federnde Dreieck. Man sieht, es war nicht die Reinlichkeit, die das
Ver&hren eingab, sondern das ärztliche Bemühen, dem Blutverlast entgegen zu arbeiten.
Das nnd aber wahrlich keine Erfindongen der Schamhaftigkeit, wie Schürzen oder dergleichen
tbnhai«.*
•■indieeka wiid dann aber auch fernerhin von den reif gewordenen
^** liier finden wir auch bei anderen Völkern, dass
Mneichen oder ein besonderer Schmuck auch
eine Jungfirau geworden sei.
348 XII. Die Menstruation in ethnographischer Besiehnng.
Vielfach schliessen diesem ^svichtigen Ereigniss sich dann langdauemde Feste
an, und so erhält der ganze Vorgang hierdurch den Charakter des Feierlichen
und des Weihevollen. So werden wir allmählich hinübergeleitet in die edleren
Gebräuche, wie sie bei den civilisirten Völkern mit dem Abschlösse der Kindheit
verbunden sind.
90. Die Reifeprüfung and das Beifezelehen.
Wir wollen ffir die vielfachen Oebräuche, welche die verschiedenen Völker
des Erdballs bei der Reifung der Jungfrauen befolgen, den Lesern nur einzelne
Beispiele vorßihren, ohne dabei auf Vollständigkeit Anspruch zu machen. Immer*
hin werden dieselben wohl ausreichend sein, um das in dem vorigen Abschnitt
Gesagte in befriedigender Weise zu illustriren.
Bei mehreren australischen Stämmen werden sowohl bei den Mädchen
als auch bei den Knaben als Einfuhrung in die Mannbarkeit unter grossen Gere-
monien zwei Zähne ausgeschlagen, z. B. im Seengebiet, wo diese Operation
Tschirrintschirri genannt wird: Zwei Stäbe von Holz, die keilförmig zugescharft
sind, werden zu beiden Seiten eines Zahnes eingetrieben; auf den Ztäm legt man
ein Stück Fell und setzt darauf ein scharfes, etwa 60 cm langes Holz; ein bis
zwei Schläge mit einem schweren Stein auf dieses Holz genügen in der Rq^
um den Zahn so zu losen, dass er mit der Hand herausgenommen werden kann.
In gleicher Weise wird der zweite Zahn entfernt, und dann feuchter Thon auf
die Wunde gedrückt, um die Blutung zu stillen. Die Kinder verrathen kaum
durch ein Zucken des Gesichts, dass sie einen Schmerz empfinden.
Auch in dem ostindischen Archipel ist bei den Malayen überall die
Sitte verbreitet, dass bei eingetretener Pubertät die Zähne bei beiden Oeschlechtem
um ein Viertel ihrer Länge abgefeilt werden. Danach werden sie schwarz gefirbt
und häufig legt man sie ausserdem auch noch mit kleinen Goldplättchen ans.
Die grossen Festlichkeiten, welche bei dem Abfeilen der Zähne einer Prin-
zessin in Baren auf Celebes veranstaltet wurden, hat uns Ida Pfeifer be-
schrieben. Das auf einer Matratze liegende Mädchen wurde von einem alten
Manne mit drei Feilen au ihren Zähnen so behandelt, dass die obere Zahnreihe
erst mit der gröberen, dann mit einer feineren, schliesslich mit der kleinsten und
feinsten Feile abgeraspelt wurde, wobei der Operateur im Allgemeinen g^eschickt
verfuhr und die Prinzessin keinen Laut von sich gab. Der Operateur erhielt da-
für ein Huhn, welchem er ein kleines Stück des Kammes abriss und hierauf das
herausspritzende Blut auf die Zähne und Lippen der Prinzessin brachte. Dann
wurde auch dieselbe Operation an sechs jungen Mädchen des Hofstaates vollzogen,
aber mit weniger Umständen, worauf ein grosses Gastmahl die Festlichkeit be-
schloss. Ist das Feilen der Zähne auf Timoriao bei einem reif gewordenen
Mädchen versäumt worden, so muss die Operation während der Schwangerschaft
nachgeholt werden. (RiedeP,)
Auch die jungen Mädchen der Sawu-Inseln (oder Haawu-Inseln) in In-
donesien werden bei dem Eintreten der ersten Regel der Operation des Zahne-
feilens unterworfen. Aber man nimmt bei ihnen auch noch andere Manipulationen
vor, welche auf das spätere Geschlechtsleben des Weibes ganz unzweideutige Be-
ziehungen haben. Den Mädchen werden nämlich die Brüste geknetet und ein
zusammengerolltes Koliblatt wird ihnen in die Vagina geschoben, natürlicher Weise,
um diese wegsamer zu machen. (RiedeV.)
Auch die Tättowirungen, von denen ich ja bereits ausfuhrlich sprach, werden
bei vielen Volksstämmen mit der Reifung der jungen Mädchen in Zusammenhang
gebracht. So sagt Forst er:
, Auf Tahiti t&ttowirt man die geschlechtsreifen Mädchen; diese harren dieses Momentes
sehnsüchtig, denn nicht mannbar zu sein gut für sie als eine Schande.'
90. Die Reifeprüfung und das Reifezeichen. 349
Ebenso haben nach MaucVs Bericht die Makalaka in Süd-Afrika die
Sitte, dass die alten Frauen das junge Mädchen zur Pubertätszeit tättowiren, wo-
bei unter grossem Schmerz dem armen Wesen etwa 4000 Schnittchen in die
Haut gemacht werden; dann reibt man eine ätzende, durch Kohlenpulver ge-
schwärzte Salbe ein.
Tättowirungen, und zwar im Gesicht, nehmen bei den mannbar werdenden
Mädchen auch die Lenguas und die Payaguas, sowie andere Stämme in Para-
guay vor, auch berichten Demersay und Dohrizhoffcr Gleiches von den Abi-
ponern. (v. Azara,)
Ebenso tättowiren auch die Kaders in den Anamally-Bergen in Indien
die jungen Mädchen zur Zeit der Reife.
Für das Stechen der Schmuckdurchbohrungen an den Ohren, den Lippen
oder der Nasenscheidewand wird ebenfalls die eingetretene erste Menstruation als
der gewohnheitsgemässe Zeitpunkt gewählt. Das findet z. B. in Birma statt.
Das Ohrläppchen des jungen Mädchens wird mit einer silbernen Nadel durch-
stochen. In die gemachte Oeffnung werden so viele Stengel eines bestimmten
Grases gesteckt, als sie fasst. Dann wird durch Schrauben-Ohrringe das Loch
erweitert, in welches später mächtige Ohrscheiben gesteckt werden.
Die Koljuschen an der Küste der Bering-Strasse sondern das reif ge-
wordene Mädchen ab, und zu der gleichen Zeit wird die Durchstech ung der Unter-
lippe vorgenommen, um den als Schmuck dienenden Holzklotz in dieselbe ein-
zusetzen.
Aehnlich ist es bei den Thlinkiten, wo am Schlüsse der Absperrungszeit
ihre Unterlippe durchstochen wird. In das Loch wird ein dicker Draht von Silber
oder ein hölzerner Doppelknopf gebracht. Allmählich wird diese Oeffnung nach
mehreren Monaten und Jahren immer grösser geschlitzt und die Lippe durch ein
in sie gebrachtes ovales oder elliptisches Brettchen oder Schüsselchen immer weiter
ausgedehnt. Hierdurch gewinnt dann jede Frau das Ansehen, als wenn ein grosser,
flacher, hölzerner Suppenlöffel in das Fleisch der Unterlippe eingewachsen wäre.
Der äussere Rand dieses Tellerchens ist mit einer Rinne versehen, damit die be-
trachtlich ausgedehnte Unterlippe desto fester um dieselbe anliegt. Der Teller
ist meist 2 — 3 Zoll breit und höchstens ^'2 Zoll dick; bei vornehmen Damen ist
er jedoch grösser und Langsdorff sah einen solchen, der 5 Zoll lang und 3 Zoll
breit war. (Krause,)
Es genügt, an dieser Stelle auch noch auf die Beschneidung und die Ver-
nähung hinzuweisen, von welchen ich oben schon gesprochen hatte.
Peinigungen anderer Art sehen wir die jungen, reif gewordenen Mädchen
in Amerika ausgesetzt. Den Caraiben-Mädchen in Britisch Guyana werden
dabei, wie Schomburgk erzählt, die Kopfhaare abgebrannt und dann muss ihnen
ein Zauberer mit den Zähnen eines Aguti quer über den Röcken zwei tiefe Ein-
schnitte machen, in welche Pfeffer eingerieben wird; Schmerz darf die Gepeinigte
nicht äussern. So wird sie mit an den Körper gebundenen Armen in eine Hänge-
matte gelegt und ihr ein Amulet von Zähnen umgehangen. Nachdem sie 3 Tage
ohne Speise und Trank und ohne ein Wort zu sprechen zugebracht hat, wird
sie von den Banden, welche die Arme an den Körper befestigen, befreit und in
eine Hängematte gelegt, die sie nun einen Monat lang hüten muss, ohne Anderes
zu geniessen, als ungekochte Wurzeln, Cassadahrod und Wasser. Am Ende des
Monats wiederholen sich diese Operationen, und erst nach dem Ablaufe des dritten
Monats wird die Prüfung als vollendet angesehen.
Bei den Uaupes wird mit dem Eintritt der Pubertät die Jungfrau auf
kärgliche Kost beschränkt und in dem oberen Theile der Hütte zurückgehalten.
Ausserdem hat sie aber noch Peinigungen zu überstehen. Sie empfängt von jedem
Familiengliede und Freunde mehrere Hiebe mit schmi^^men Ranken über den
ganzen naekten Leib. Hierbei sind Ohnmächten nicht selten und bisweilen erfolgt
i^l'>^ i*r T>L Difse Opertti&r: wird in
V^ vie-i^holt. v££T«sd sich die Az:^<s£:o]ig«Q
S:;-7i.*iri. :;:i.i G»mick€£i ^berias&a:: die r:: PrSende aber darf hut an don in die
'^'z.'j-^jL eeraicLi«^ Z^cLtürnursirjcrizz&ectsi kdcoi. Hak sie fieae PrftfuiigHi
li'rrr^Ai.iriL »: durf » wi^er ftlles essec und ae vixd mm für mannliar er-
brri i*^ )I&c:i§i5-I:;diazierz:i2i Briiisch Gavana. anf wddbe ich spitnr
r.v.r. z.r!:ckkc=iiLtr. m:ise raek Pt/iofr d&5 Madefaec «von es nadi Beendigong
^^r ^rt^rL Ueci^Trii&tion Tom Bade zx^nckkehrt. sich auf einen Stohl oder Stm
^V:L^. iro ^ Ton der Matter mit düni^en Bathen gepeitscht wiid, ohne einen
T!^:L::.sirviZj^L,Tri aosstosses za dOrfRi. Bei der zweiten Periode der MenstmatioB
T.i.i'iz. iWrtf: Geis&elargen wieder statt, aber dann qnter nicht mdir. Von da an
Ir*. iAti MädcLec sofort Leirathsfahig.
Wir har>Err. in einem früheren Abschzdne schon gesehen, daas manche Volker
dl-; ailmählich heranwachsenden Mädchen längen^ Zeit ans dem Dorfe enfcfienien,
\nx ih&ec eine Art von Einweihocg und von Unterricht angedeihen zu lassen.
Aehnliches nnden wir auch bei den herangereiften Jnngfranen mancher VoDn-
stämiTie und e* mögen hierfür einige Beispiele folgen.
Von Frttidr liegt hierfär ein Bericht über die Betschaanen Tor:
«Ei^entLüzilich «^Leist den Be-cb::aDa die Aiubildaiig einer dem Bognera (KiiabeB-
'y^ftcr^ceiducg > ^nalo^n Sit:-? flr d^s weibliche Ges&chlecht zu Min, Bojale geaamiit weUe
r^ei den anderen htksLZLrn n;ir angedeutet ist. Die heran vachMiiden Mädchen mfisMB nimlifh,
'r/«Tor iiie als heirathjf^lhig in den Stamm aufgenommen werden, aneh eine etrenge Unter-
vtilk-jL^g in ihren zak-önftigen Pflichten darchmachen. welche ebcaio geheimnüiToll bstrisbcB
wird. aU die der Knaben, und mehrere Wochen andauert. Daza Tcreinigen tich die Noriia
in kleinen Trapp s Ton etwa sechs und ziehen, unter eigenthümlicfaea monotoaen Getiagen
hinter einander hertrabend, hinaus in die Wildni», wo sie von einer beMmden dazn be-
Ktimmten Matrone unterwiesen werden. Um sie als dem B ovale angehOrig zn kmmeirfiBen,
Viemalen sich die Mädchen mit weissem Thon und kleiden sich in eine phantaatiaeha üm>
ijQliarig von Rf;hricht und Schnüre von getrockneten Kürbiskemen. Die Bohre werden zu
^chQrz^n /.usaminengefQgt um die Lenden, sie umziehen den bloasen Leib in dicken WOlztHU
hängen locker um don Hals und die Schultern herab und selbst der Kopf trftgt no<di einen
AuH^au von demselben Material. Die Schnüre von getrockneten Kernen, welche daiw&Mhen
hängen, \erureachen mit den Schilfstengeln zusammen bei jeder Bewegong eigenthfinüiehei
Ka&cheln, und wenn ein ganzer Zug so verkleideter Mädchen eiligen Laofee daherkommt^
hört man die-« Oeräu^^ch für grossere Entfernungen. Eine derartige Anmeldung tcheiat beab-
nichtigt zu feein; denn ea im nicht erlaubt, dieselben zu stOren. und beeonden die MiUiner
hahen »-ich entfernt zu halten, widrigenfalls die Mädchen von den langen Stocken, welche lie
in tinn Händen tragen, ungestraft den freiesten Gebrauch machen.
«Ah einem einsamen Urte der Nachbarschaft geht dann die Unterweisong dnrch eine
alt^ Krau vor f^i'^h. wobei e» wiederum darauf ankommt, die Novizen an die Leiden nnd
Mühen de« harten Lebenn, dsm sie erwartet, zu gewöhnen und sie mit den Pflichten gegen
den zukünftigen Herrn und Gebieter vertraut zu machen. Sie müssen Wasser und Hols nater
Mcbwierigen Verhältnissen zusammenschleppen. Feuer anmachen, erhitzte Gegenitftnde anfawen,
rim die Haut der Hände abzuhärten, sowie körperliche Misshandlungen ertragen lernen.
,\Vie bei der Hoguera der Knaben, nimmt die ganze Einwohnerschaft des Oriee leb-
haften Antheil an dem Verlauf des Boyale, und nahen die Unterweisungen eich ihrem Bnde^
KO wird ein grosses Fest veranstaltet. Die Frauen spielen dabei die Hauptrolle, ne ver-
sammeln sich zum Schluss der Ceremonien nächtlicher Weile bei der Khotlannd führen mite
Singen und Händeklatschen feierliche Tänze auf, während die Mädchen ihre VenfaflUo^gM
von Kohr auf grosse Haufen zusammentragen und den Flammen übergeben. Um dieee Frendea«
fiMier iJrehen sich alsdann die wilden Reihentänze der dunklen Mänaden, bii die aUgeaeiae
Ermüdung dem Feste Grenzen setzt. Am nächsten Morgen kommen alsdann die neiMidiqgi
unter die Zahl der Frauen aufgenommenen Mädchen zum nächsten WasMr, waechea Mb. 4»
ganzen Kürpor und bemalen sich darauf mit rother Ockererdc und Fett, den HmiwA^m^
Scheitols aber und die rasirten Seiten des Kopfes mit der glitzernden Pomade «sr
glimmer und Fett, Sibilo genannt, wie sie es für ihr flbriges Leben la thui pB
Die Eeifeprüfung und dtts Reifezeicfaen.
351
lädchen sind damit betrathsfühig geworden und pflegen auch meist sebr jung in den Beat«
einesi Mannes üheneugeben/
Boi den Basutho werden die Mädchen (nach Undemann) dem ^ Polio*
aterworfen: Sie ziehen in Begleitung einer Aufaeherin nach einer Stelle am
iTasser, wo es tief genug ist zum Untertauchen. Dort müssen sie einen in das
i^aflser geworfenen Armring tauchend herausholen. Des Tages über treiben sie
ich im Felde umher^ um für den weiblichen Beruf geschult zu werden, daneben
tanzen und zu singen. Aber Nachts brauchen sie nicht im Felde zu bleiben:
loch leben sie abgesondert. Sie beschmieren sich mit Asche. In dieser Zeit ist
Weibervolk wie unsinnig; sie verkleiden sich und treiben viel Muth willen.
)ie Mädchen des Polio müssen verschiedene Waschungen vornehmen. Zu Ende
Polio giebt es ein Fest, zu dem die zuletzt beschnittenen Knaben eingeladen
rerden; da giebt es Schmaus, Tanz und Unzucht.
Merensky berichtete ebenfalls von den Basutho:
«Koma ist der tnVtegrifT der Proceduren, deuten Knaben wie Mädchen sich unterwerfen
um in die Reihe der M&^nner und Frauen aufgenommen zu werden, V^on dieeen
Singen darf kein Uneingeweihter je etwo^ erfahren. ,Du verriithfit die Koma-Gebräuche* ist
eiii<3 Art Fluch oder Schimpfwort, welches schwer wiegt. Freiwillig gchlieasan »ich die Kinder
dem Zuge jin, der sie in irgend welche Waldkluft führt. Tobeu uod wüstes SingeUi echter
rechter HeidenliLrm, tönt aus dieser Kluft hx^t ohne Uuterbrechung bei Tag und Nacht.
Monatelang dauert das wüst© Weaen; im Jahre darauf folgt noch ein Nachspiel» , . . Figuren,
Reiche unter wunderlichen Namen gezeigt werden, erinnern daran, duds früher Einweihung
giltzendienerischei» Wissen dabei atattgefunden bat. Daran erinnert auch, dass in Nord-
rrane\raal die Mädchen bei der Koma um eine aus Lehm gebildete Schlange tanzen. Die
liidchtsn werden von Frauen unterrichtet, Sie müssen Feuer anblrtaeu, in der Kälte des
Ibesten Morgeni baden, eine mit Domen gespickte Lehmfigur ald Kind auf dem Rücken im
Tragetuch wiegen ^ und erhalten dabei aUerband Lehren. Unter anderem wird dem Mitdchen
getagt: ,Etn Weib darf nicht lllgen» Iftget nie,* Wenn ein junger MenBch ein Kind zeugt,
der noch nicht die Koma durchmachte, oder ein Madchen, welches in ebendemselben Fall
ist, ein Kind gebiert^ so mttsaen die betheiligten Personen unerbittlich sterben, wie auch
das Kind.*
Die Bawenda der Station Ha Tschewasse (Nord-Transvaal) haben
neuerdings von den Basutho das Beschneidungstest der Frauen aufgenommen.
berliner Missionsbenchte 1890.)
«Die Frauen nmcihten einen sonderbaren Aufzug hier In der Nähe im freien Felde, in-
em sie den Tag über die Trommeln schlugen und wunderliche« ganz alberne Aufzüge hielten,
Rrobei »ich einige Frauen mit weisser Erde beschmierten und ins Feld liefen« als ob sie wabn-
noig seien; andere nicht geweisete und wahnsinnige Franen waren ihnen als Begleiter und
ahror beigegeben. Nachdem man einige Tage lang diese Possen hier in der Nähe getrieben,
og man etwas weiter ins Feld, wo sie noch gegenwärtig ihr Wesen haben.*
Misaionar Schloemami, der ebenfalls unter den Bawenda in Nord-Trans-
raat, in Malakong seinen Wohnsitz hat, tbeilte mir mit^ dass bei diesen Feiern
Qe ganx kleine menschliche Thonfigur vor jeden der Katechumenen hingestellt
und es wird ihnen dabei gesagt, dass diese Figur die Koma sei. Was das
jdeutet, wissen sie selbst nicht Aber Merensky hat das gleiche Wort bei den
ntnen am Nyasaa-See unter der Bedeutung von Gott gefunden.
ml diese kleinen Konia- Figuren ursprliuglieh also wirklich üötter-
Id^r. Jetzt sind aber bildliche Darstellungen von Gottheiten der Bawenda
ibekannt. Daher sind sie also wahrscheinlich nur noch eine Art von Symbol,
reiche« anzeigen soll, daaa es sich um gottliche Vorschriften handelt.
ScMaor " ' ': ' * h hem die Weiber
ihr© (koma-^ rchen hatte der
eingeborene, aber be am Hände des Busches stehende
"Tickt Dieses hai. i. .*^ -^ ,^.... m**^ ^^ pnti$tand ein ungeheurer
fumiilt, Sie MiClrmten auf ditii ^ m und n ihn mit Schreien und
apfen hu auf di«? MissioaisiaUuu, uouderte vau V> üibem sammelten sich an.
352 ^^I* ^^8 Menstruation in ethnographischer Betiehung.
und sie machten ernstlich Miene, Alles zu demoliren und das Stationagebaade in
Brand zu stecken. Dabei schrieen sie unaufhörlich: ,Er hat sie gesehen, er hat
sie gesehen, die Koma des Korbes!* Das soll soviel heissen, wie die Koma,
welche sonst unter Korbe, d. h. unsichtbar ist. Endlich schaffte der Häupt-
ling Hülfe und die Weiber wurden aus einander gejagt.
Von den Bawenda schrieb mir auch Missionar Beuster aus Ha Tschewasse
in Nord-Transvaal:
„Die Candidatinnen nehmen auch an der eigentlichen Koma Theil; fie haben auch ge-
wisse Uobungen durchzumachen, meistens tagelange Rundzüge im VersammlangBraaine der
Hauptstadt, und zum Schluss zeigt man ihnen irgendwelchen GiBgenstand nur f!ir einige Angu-
blicke. Dieser Gegenstand wird dann als Geheimniss der Boscha, wie diese BeiÜBfoier-
lichkeiten genannt werden, betrachtet, und dafür, dass man dies Geheimnin hat sdiaw
dürfen, muss bezahlt werden, fQr jedes Kind von dem Vater desselben eine Ziege oder der
Werth derselben in anderen Sachen. Ich bemerke, dass es mir vorgekommen ist, dn» die
Veranstalter der Boscha sehr in mich gedrungen haben, ihnen eine Gelenk- oder 8<ihreipoppe
oder Gelenkschlange, welche sie hier bei mir sahen, zu dem Zweck zu fiberlassen. Man gidit
daraus, dass es ihnen nur darauf ankommt, etwas recht Sonder- und Wunderbares Tono-
bringen, ein Ding, das scheinbar lebt, und die Leute dann bei dem Glauben xn lassen, dssi
die Anstifter so etwas Wunderbares besitzen, dass der Reiz bleibt, es ku sehen und die Be-
sitzer zu fürchten. Das ist der einzige Zweck bei der Mädchen- Boscha, wie sie hier bei mt
besteht. iSonst existirt noch eine andere Weise der Keifefeierlichkeiten, dass man die jungen
Mädchen ohne Unterschied der Jahreszeit, auch im Winter, schon am frühen Morgen in*t
Wasser bringt, worin sie stundenlang bleiben müssen. Die Trommel wird von Frauen ge-
schlagen, und während die Leiter und Aufseher der Feierlichkeit sich am Ufer am Feuer er-
wärmen, sitzen ihre unglQcklichen Zöglinge im Wasser und frieren, dass sie steif werden und
oft sich nicht mehr selbst aus dem Wasser fortbewegen können, sondern heransgefaagen
werden müssen. Wenn man den Leitern die Grausamkeit vorwirft, antworten sie gewöhnlidi
nur, dass sie nelbst auch dasselbe durchgemacht haben.* (Bartels^.)
Zu den Koma -Festen wird eine besondere lange, mehrtönige Pfeife ge-
braucht. Diese hält man auch vor den jungen Leuten streng geheim, da sie
sicherlich Geisterstimmen nachahmen soll. {Wangetnann,)
Dass bei dem jungen Mädchen die Reife eingetreten ist, wird auch Suseer-
lieh nicht selten an ihr bezeichnet. Zu solchen Abzeichen gehört z. B. das An-
legen der Schamschnur bei den Bakairi und Trumai in Brasilien und die
besondere Tracht der K r ob o- Mädchen au der GoldkUste (Fig. 206); von ersterem
haben wir schon gesprochen.
Dclafoifse sagt von den Agni in West- Afrika:
yLorsqu'une jeuno fillc comnicnce a manifester Ics si^nes de la puberte, on la pare de
tous les ornenients de la famillo, bracolets, coUiors, plaques frontales et pectorales, anneaoz
auz janibes et aux brah etc., et eile proniene ]>eudant plusieiirs jours cet etalage d*orf6vrerie.*
Als Zeichen der eingetretenen *1 ungfrauschaft erhält in Abyssinien das
junge Mädchen einen besonderen Schmuck: sie trägt mitten auf der Stirn eine
runde Elfenbeinplatte, welche mittelst eines Stirnbandes festgehalten wird. {Stecker,)
Bei den Chinesen und den Japanern schmückt man das herangereifte
Mädchen mit der Haarnadel, dem Kopfputz der Frauen. Bei den Japanern ist
dieses ein Akt von besonderer Feierlichkeit, und das durch die Ausschmückung
mit den Haarnadeln nun ftir ^erwachsen*" erklärte junge Mädchen wird dann den
Anverwandten und Befreundeten vorgestellt. Wir sehen eine solche Vorstellang
in Fig. 204 nach einem ja[)anischen Hol/schniit von dem Jahre 1769. Zwei
grössere Mädchen stellen die allerdings noch sehr kleine Erwachsene zwei anderen
jungen Mädchen vor, deren erste scheinbar im BegriflFe ist, eine Beglückwünschunge-
rede an die Kleine zu richten.
Die Mädchen der Nootka-lndianer in Britisch Columbien legen mm
vierten Tage nach dem Eintritt ihrer ersten Kegel einen besonderen Kopfschmuck
an, welcben sie dann, wie lioas berichtet, während ihrer ersten acht Menstrua-
tionen auf je vier Tage tragen mUssen.
VblCacb treflen wir den Gebrauch, die jungen Mädchen zur Bezeichnuncr
betreffenden Ereigniases mit rother oder schwarzer Farbe anzumalen, so nacn
-\iot in Canada. nach Wisstnann bei den Negern von Lubuku, nach Dohne
MQft*a«7telB, 1>M Wdb, « Aiid. h 23
mmsä
354
XII. Die Menstruation in eÜl&oigApbischer Beadbong.
bei dea Zulu- Kaffern, nach Wdff^ im Kuango*Gebiete, nach Wemjiu
bei den Koljuschen u. 8. w. Wir werden davon noch weiter *
In Siani werden nach den Berichten des verstorbenen >^ t-j^k
Mädchen beim Eintritt der Menses die Haare abgeschoren.
Auch bei den Marolong (Betschuanen-Stamm) werden die
sobald sie mannbar sind, 2—3 Monate lang unter strenger Clausur in den
der Hausfrauen unterrichtet, ^Sobald die Menses vorbei sind, werdr- --■ ^r-
ihr Kopf wird bis auf eine kleine Stelle rasirt und statt des Perk .
sie ein kleines SchUrzchen, dann sind sie heiratbstahig.* (JoesL)
Die Nama-Hottentotten bekleiden das mannbare Mädchen mit
reicbgeacbmfickten Kaross, der sie als beirathsfahig bezeicbuet (bis dahin
nackt einher). Nach dieser Einkleidung sitzt sie drei Tage lang dem £ii
Fig, 90$, Ko[»r[iuU einer Hilf gewcirdeneo llo«karaiL- (ndiÄn-nn. VftiicoiiTtir.
(MasAum für VölkerUund« ia Berlin J (K*tth riioiogr»nhio.)
der Hütte gegenüber an der Seite, wo das Hausgeräth sich betindel, in eineni Tl
I fussbohen Stäben eingeschlossenen, 2^/2 bis 3 Fuss im Durchmesser wetten
mit nntergeschlageuen Beinen, den Mund zam Zeichen ihres Hocb^«»''^!^'^
^Stokes fischmaulartig vorgestreckt und zuweilen mit dem Kopfe h-
nickend. Am dritten Tage wird eine fette V schlachtet, T
verwandte, gewöhnlich ein älterer Vetter, . mit der ^
Gratulation und zum Schmaus. (Hahn.) Daun folgt eine I'
\\\r Wiir riiu - 1 rul 1 nni» r \\\ BrifiKrh Guyana hni'itiili» .Iü
91. Das Einsperren der zum ersten Male Menstmirenden. 355
Mädchen ihres langen Haares und schmücken es unter Tänzen mit Perlen und
mit weichen Vogel-Daunen, die man mit Gummi auf den geschorenen Kopf, sowie
an Arme und Schenkel klebt. (Schomburgk.)
91. Das Einsperren der zum ersten Haie Menstmirenden.
Als eine besondere Prüfungszeit rauss man auch das Einsperren der jungen
Mädchen betrachten, das bei einer grossen Zahl von Yolksstämmen bei der ersten
Regel in Anwendung kommt. Nicht selten ist Fasten hiermit verbunden. Es
geht aus dieser Maassnahme hervor, dass man das Mädchen jetzt für unrein be-
trachtet und dass sie somit auch verunreinigend auf Alles einwirkt, das sie be-
rührt. Bisweilen schliesst ein wahrer Reinigungsprocess sich dieser zwangsweisen
Absperrung an.
Wird in Neu-Irland ein Mädchen mannbar, so steckt man sie, wie PaweU
berichtet, auf etwa 4 Wochen in eine Art Käfig innerhalb des Hauses, welches
sie bewohnt. Kränze aus wohlriechenden Pflanzen werden um ihre Taille und
um ihren Hals gebunden. Der Käfig wird gewöhnlich zweistöckig gebaut; oben
wohnt die junge Dame, unten entweder ein altes Weib oder ein kleines Kind.
Der Raum, in dem das Mädchen verweilt, ist so klein, dass sie nicht aufrecht
stehen, sondern nur liegen oder sitzen kann. Nur bei Nacht darf sie diesen un-
bequemen Aufenthaltsort verlassen.
Wir haben früher schon gesehen, dass in einigen Distrikten dieses Landes
die jungen Mädchen in der Backfischzeit schon solche Einsperrungen durchzu-
machen haben.
Auf Yap, einer der Carolinen-Inseln, wird das reif gewordene Mädchen
isolirt; es lebt 2 — 3 Monate in einer Hütte, die unweit des Dorfes nur zu diesem
Zwecke dient, (v. Miklucho-Maday.)
Das zum ersten Male menstruirende Mädchen wird auf der Insel Vate(Neu-
Hebriden) abgesondert, weil sie für unrein gilt. In einigen Gegenden der Insel
muss sie in einem besonderen Hause verweilen. Ein Mann, der mit einer solchen
unreinen Person verkehrt, muss sich wegen der Verunreinigung ceremoniellen
Waschungen unterziehen; thut er dieses nicht, so haben sie den Glauben, dass
ihm seine Yams-Pflanzen verfaulen werden.
Auch im nördlichen Amerika finden wir die Absonderung des zum ersten
Male menstmirenden Mädchens im Gebrauch, so in Canada und in Britisch
Golumbien. Bei den Shushwap im Inneren des zuletzt genannten Landes muss
nach Boas ein Mädchen, das ihre Reife erreicht, das Dorf verlassen und allein in
einer kleinen Hütte in den Bergen leben. Sie kocht ihre Mahlzeit allein und
darf nicht essen, was blutet. Auch sonst hat sie noch Allerlei streng zu be-
obachten, wovon ich später noch reden werde.
In ähnlicher Weise werden die Nootka- Mädchen in Britisch Columbien
zu derselben Zeit ihres Lebens von den anderen Hausbewohnern abgesperrt. Sie
sitzen dann auf der Plattform des Daches und es schliesst sich eine Festlichkeit
an, die ich an dieser Stelle nicht näher erörtern werde, da der Besprechung der-
artiger Feierlichkeiten ein besonderer Abschnitt gewidmet werden soll. Nachdem
die Reife erreicht ist, müssen die Nootka- Mädchen regelmässig im Walde baden.
Sie dürfen das Bad nicht in der Nähe des Dorfes nehmen, wo die Männer häufig
vorübergehen.
Während der Absperrung in dem engen Räume müssen sie dann fasten
und acht Monate hindurch, nachdem sie ihre Reife erreicht haben, ist es ihnen
verboten, frische Nahrung zu sich zu nehmen, namentlich Lachs. Während dieser
acht Monate müssen sie auch allein essen und ihren eigenen Napf und ihre eigene
Schüssel benutzen.
28*
356
XII. Die Menstruation in ethnographischer Besiehungp
Die Thlinkiten sondern die Mädchen, welche das Zeichen der Reife zeigen,
jetzt auf 3 Monate, je nach der Jahreszeit, in einer Zweig- oder Schneehütte ab.
Früher Hess man sie ein ganzes Jahr darin. Nach Ablauf dieser Frist werden die
alten Kleider verbrannt, das Mädchen wird von Neuem geschmückt und es folgt
dann ein grosses Fest. Bei diesem wird die Durchbohrung der Lippe aosg^ef&hit,
von welcher wir schon gesprochen haben.
Die Koljuschen an der Küste der Bering-Strasse haben ebenfidk den
Gebrauch, die Mädchen zu der betreffenden Zeit 8 — 6 Monate einzusperren. Nach
Erman werden sie in Hütten oder 6 — 8 Fuss hohe, nur mit einem vei^tterten
Lichtloch versehene Käfige verbannt, nachdem ihre Gesichter mit Buss geschwärzt
worden. In jedem dieser Ställe steckt ein Mädchen. Wenjamow giebt an, daas
die erste solcher Einspeil-ungen, die ein Mädchen erlebte, nach altem Gebrauche
ein Jahr gedauert habe.
Die Absonderung des jungen Mädchens bei dem Eintritt der Reife dauert
unter den Indianern der Nordwestküste Amerikas nach Capitän Jacobsen 30
Tage; während dieser Zeit muss es, in einen kleinen
Raum des elterlichen Hauses gesperrt, verweilen und
erhält von irgend einer weiblichen Verwandten
eine nur spärliche Nahrung. Nach Beendigung der
Abgeschlossenheit darf sie wieder wie gewöhnlich
im Hause wohnen und erhält ein neues Kleid und
andere festliche Geschenke von ihrem Vater oder
von dem nächsten Verwandten. Gewöhnlich wird sie
bald danach verlieirathet und bekommt dann eben-
falls von den Eltern Geschenke.
. 1 ^^i .^^K. Auch bei den Indianern Süd- Amerikas
WK'^^ 'M^^ ^ rS^Mi ^i6d6i*bolen sich ähnliche Anschauungen.
MVi^ JM L^flL Iivl^^r In Brasilien sondern die Goroades die jungen
V 1 ' /Um^m^tFjMK Mädchen während der ersten Menstruation von allem
f il VvR^H^M Verkehre ab. Sie müssen dann, wie Bnrmeist^
sagt, diese Zeit in einem Behälter zubringen, welcher
aus Baumrinde geflochten ist.
Unter den Passes übersteht die angehende
Jungfrau« in den oberen Raum der Hütte auf die
Hängematte verwiesen, ein Monate langes Fasten.
Auch die zahmen Tucunas am Amazonas Ter-
weisen ebenso wie die Colli na und Mauhe die
Mädclien in den Itnuchfang der Hütte und setzai
.sie einen Monat lang auf magere Kost.
Die Macunis-lndianer in Britisch Guy-
ana sondern auf die Weise das Mädchen als unrein
ab, daHH sie seine Hängematte in die Kuppelspitze
d(T Hütte hängen, wo die arme Person nun dem
({uälenden Itauclie ausgesetzt ist. Uort bleibt das
Mädchen mehrere Tage und darf nur Nuclits henibkommen; während der ganzen
Zeit des Menstrualflusses nniss es streng fasten. Alsdann darf es herabsteigen,
muss sich jedoch noch in einen dunklen Platz der Hütte zurückziehen und ihren
Cassada-Mehlbrei an einem liesonderen Feuer kochen: nach 10 Tagen wird 68
selbst, sowie alle von ihm berrihrt.en Sachen, von einem Piay (Zauberer) ent-
zaubert; die von ihm benutzten Tö|»te werden zertrümmert und die Scherben
vergraben.
Die Kro))o-Mäd(-iien an der (Iuldkiiste müssen sich b
der Mannbarkeit auf lange Zeit in den Wald zurüekziehen. Sie h
besondere Tracht, welche in Kig. 'Jnd dargestellt ist.
Fij;. 2«>i. Kiülio-Minlfihen vdii iler
üuM-Küst»* (West -Afrika) iu der
Tracht tWr beKiiuieiulcn Miiiniluirkiät.
(Nach I*h«it<»j:i-tt|ihie.)
91. Das Einsperren der zum ersten Male Mens tmir enden. 357
Wissmann erzählt von West-Afrika: „Wenn bei einem Mädchen zum
ersten Mal die Menstruation eintritt, wird dasselbe 4—6 Tage in eine Hütte ein-
geschlossen.^
An der Loango-Küste bringen die Bafiote-Neger das junge Mädchen in
eine abgesonderte Hütte; dasselbe heisst von diesem Tage an bis zur Hingabe an
einen Mann ukumbi oder tschikumbi; die Töchter weniger bemittelter Leute be-
wohnen eine gemeinschaftliche Hütte. Hier werden die Jungfrauen von einer
Frau, die von den Eltern als Yertrauensperson gewählt worden, unterrichtet; viel-
leicht bezieht sich dieser Unterricht auf zukünftige Pflichten; hier ist übrigens
das Mädchen als unrein betrachtet und wird schliesslich gebadet. (Pechuel-Loesche.)
Der Eintritt der Reife des Mädchens wird im Kuango- Gebiete nach Wolfp
mit grösseren Ceremonien gefeiert, wie an der Meeresküste, zumal in Kabinda.
Dort kommt das Mädchen nach ihrer ersten Menstruation in ein kleines Häuschen,
das innen vollständig mit roth geförbtem Zeug ausgeschlagen resp. mit rother
Farbe angestrichen ist. Die rothe Farbe macht das Mädchen gewöhnlich selbst,
indem sie Etothholz auf einem Steine zerreibt. Sie selbst ist ebenfalls roth bemalt
und trägt roth geförbte Kleider. Das Essen wird ihr von den Anverwandten in
die Hütte gebracht. Sie bleibt nun so lange in dem Farbenhaus, bis sie entweder
herausgeheirathet wird, oder von den Anverwandten nur das jus primae noctis
abgekauft ist; in diesem Falle bleibt sie dann Mädchen. Man sieht hier auch
bisweilen schon längst verheirathete Weiber sich theilweise roth färben, jedenfalls
um ihren Ehegemahl an die Zeit der ersten Liebe zu erinnern und dadurch in
neues Entzücken zu versetzen.
Bei den Madi in Mittel-Afrika (zwischen Dufile und Fatiko) herrscht
die Sitte, dass die Mädchen zur Pubertätszeit in abgesonderten Bauten mit ovalen
Eingangsöffnungen verharren; zu ihnen gesellen sich alle mannbaren Knaben.
Wird ein Mädchen schwanger, so ist ihr bisheriger Gefährte verpflichtet, sie zu
heirathen und ihr den üblichen Brautpreis zu erlegen. (Emin lieyKj Aehn-
liches soll Burton von den südlich vom Aequator wohnenden Stämmen berichtet
haben. Hier ist also der Begriff der Unreinheit zweifellos schon in Vergessen-
heit gerathen.
Auch bei den Kaders in den Anamally-Bergen in Indien und bei den
Badagas im Nilgiri-Gebirge werden die zum ersten Male menstruirenden Mäd-
chen in eine besondere, nur den Weibern zugängliche Hütte verbannt. Bei den
letzteren dauert diese Absperrung aber nur drei Tage und findet später nicht mehr
statt. Im Anschlüsse daran werden die Mädchen tättowirt. (Jagor.)
Wenn bei den Vedas, einer südindischen Sclavenkaste, sich bei einem
jungen Weibe die Menses zum ersten Male einstellen, so wird dasselbe in einer
für diesen Zweck erbauten besonderen Hütte untergebracht, in welcher es 5 Tage
weilt; nach Ablauf dieser Frist bezieht es eine andere, halbwegs zwischen jener
imd der Wohnstätte ihres Mannes belegene Hütte, in der es abermals 5 Tage
zubringt. Täglich geht das junge Weib aus, um sich zu waschen. Am 10. Tage
aber wird sie von ihrer und ihres Mannes Schwester an das Wasser geführt, sie
badet, wäscht ihre Kleider, reibt sich mit Tumeric ein, badet abermals, ölt ihren
Körper und kehrt dann (am 10. Tage) mit ihren Begleiterinnen in ihre Wohnung
zurück. Dort angekommen, kochen die drei Frauen Reis und verzehren ihn ge-
meinschaftlich. Während jener Tage der Absonderung darf der Mann in seiner
Hotte nur Wurzeln essen, aber keinen Reis, aus Furcht, vom Teufel umgebracht
zu werden; am 9. Tage findet ein Fest statt Der Boden der Hütte wird mit
Palmbranntwein besprengt, man ladet Freunde ein und bewirthet sie mit Reis und
Bnointwein. Die Frau hält sich noch abgesondert in der zweiten Hütte. Am
10. Tage aber muss sich der Gatte aus seiner Wohnung entfernen und darf sie
Mit wieder betreten, nachdem die Weiber den Reis aufgezehrt haben. Während
^ . 4 Tage darf der Mann weder Reis im eigenen Hause essen, noch
358 ^11- ^io Menstruation in ethnographischer Besiehnng.
Umgang mit seiner Frau pflegen. Jedes Versehen in dem Torgeschriebenen Cer»-
moniell wird von den Tschawus (den zu Teufeln gewordenen Geistern gestorbener
Vorfahren) streng geahndet! (Schlagintweit)
Von dem Tage an, wo in Cambodja bei den jungen Mädchen das erste
Zeichen ihrer Mannbarkeit erscheint, müssen sie »in den Schatten* eintreten.
An demselben Abende noch befestigen die Eltern BaumwoUf&den nm das Handgelenk
und bereiten ein vollständiges Opfer fQr die Ahnen, bestehend in Speisen, Kersen und RAocfan-
werk. Das Ereigniss wird den Verstorbenen förmlich kund gethan: .Untere Tochter wird
mannbar: Wir lassen sie in den Schatten eintreten; schenkt ihr Eure Gunst* An demiellMS
Tage pflanzen sie eine Banane, deren Früchte nur fQr das junge Mädchen bestimmt sind, oder
von ihr an die IBonzen geschickt werden. Die von den Eltern dem Mädchen fSr die Zeit der
ZurQckgezogenheit gegebenen Regeln lauten: „Lass Dich vor keinem fremden Manne lehai:
Hcbau keinen Mann, selbst nicht verstohlener Weise an ; nimm ebenso, wie die Bonien, DeiM
Nahrung nur zwischen Sonnenaufgang und Mittag; iss nur Reis, Salz, CocomoBS, Erbtso.
ScHam und Früchte; enthalte Dich von Fisch und jeglichem Fleisch. Bade Dich nur, wem
die Nacht eingetreten ist, zu einer Stunde, wenn man die Menschen nicht mehr erkennt, damit
Du von keinem lebenden Wesen gesehen wirst' Ueberhaupt darf das Mädchen nicht allein
baden, sie wird von ihren Schwestern oder von anderen Verwandten begleitet. Sie arbeitet
nur im Hause und geht nirgendwo hin, nicht einmal nach der Pagode.
Je nach der Lebensstellung und dorn Vermögen der Familie ist diese Zurückgeiogenheit
von längerer oder kürzerer Dauer, sie wilhrt einige Monate bis zu mehreren Jahren; anne
Leute beachten sie wenigstens 8 bis 5 Tage lang. Diese Zurückgezogenheit wird während dff
KinbterniBH unterbrochen; dann steckt das junge, ,|im Schatten* befindliche Mädchen ebenso
wie die schwangere Frau ein Betolmesser und den Behälter fQr den zum Betelkanen nOthigen
Kalk in die von den Falten des Langati (Schurz) gebildete Tasche; es zündet Lichter nnd
Räucherkerzchen an und geht weg, um Rdlin (das Ungeheuer, welches die Finstemiss entstehen
lasst, indem es die Sterne zwischen den Zähnen schüttelt) anzubeten, auf dass es sein Flehen
um Glück erhöre. Darauf kehrt es wieder ,in den Schatten* zurück. Arme Leate, welche
keine Mittel zur Anschaffung von Kerzen und Räucherwerk besitzen, lassen das Mädchen,
welches hingeht, um Kahn zu verehren, wenigstens die schönsten Kleider anlegen und benuticn
die Gelegenheit, um die Tochter, welche gewissermaassen Hahn zum Herrn annimmt, aas der
Zurückgezogenheit hervortreten zu lassen. Wohlgestellte Leute erwarten eine günstige Gelegen-
heit besonders im Januar, Februar oder Mai, um die Ceremonie des Austritts aus dem Schatten
zu begehen. Die Bonzen werden gebeten zu erscheinen und ihre Gebete zu wiederholen : das
junge Mädchen muss sich vor ihnen in den Staub werfen; Nachbarn nnd Freunde werden
eingeladen, dem Feste beizuwohnen.
Manchmal werden auch die Zähne des Mädchens dabei gefUrbt, anstatt bis snr Heirath
damit zu warten. Ebenso wird bei den jungen Männern diese Ceremonie bei der Aufnahme
in die Religionsgemeinschaft oder bei der Heirath vorgenommen. Das Verfahren , welche«
hinsichtlich der jungen Mädchen beobachtet wird, ist folgendes:
Ein Achar (ein weiser Mann) breitet ein Stück weissen Baumwollenzeuges aus, legt acht
Strohhalme in der Richtung der Himmelsgogenden auf dasselbe, nimmt einen aus Cocoenav
verfertigten Napf und ein Weberschilfehen. Dann geht er in die Scheuer, nimmt dort eben
so viel mal Paddie (oder ungedroschenon Reis), als das Mädchen Jahre zählt, and schtlttet
denselben auf das Zeug; wenn das Mädchen also 15 Jahre zählt, füllt er 15 mal den Napf
und 15 mal das Schiffchen. In diesem Haufen Paddie versteckt er den Napf* das Schiffchen,
einen Bronzebecher und ein kleines Metallschiif; darüber hin macht er den Paddie glatt nnd
bedeckt ihn mit den Zipfeln des weissen Baumwollenzeuges. Alles dies muss in Abwetenheit
des jungen Mädchens geschehen, das danach eingeladen wird, auf diesem glattgemachten
Paddie während der weiteren Dauer der Feierlichkeit Platz zu nehmen.
Der Achar murmelt nun Formeln, die den Zähnen Glück bringen sollen. Ein attei
Paar, am liebsten Mann und Frau, stampft Lack in einem Mörser, während 7 Knaben, welehe
Bunanenzwoigo mit Früchten in der Hand halten, mit denen sie das Stampfen im
nachahmen, dabei folgende Worte Hingen: „Grossvuter Ku1u\ Grossmutter ÜCiiAc itunpft
Lack gut, damit er an den Zähnen hängen bleibt.* Jedesmal wenn das Wort bok «■ i
gesungen wird, lassen der Mann und die Frau die Stampfer im Takt niederfallen. 1i
Gesang so oft, wie die Sitte es will, wiederholt ist, hören die Knaben anl^ wÜinp
Leute mit Stampfen fortfahren. Endlich wird der Lack durch ein Stflok V
nur das feinste Pulver sn gebrauchen. Man schneidet ein Blatt d
92. Du Reifefest.
3ö9
form dee uienseblicbeii Gebisiea und amgiebt dieses Blatt mit ein wenig auBgefasortem Ganm-
roUonseug, welühes Torber in den Lack eingetaucht ist. Der Ta Kubt^ bietet dieses Fucket
r^em jungen Mädchen an, welchem es auf die Zähne legt und bia zum Morgen auf denselben
liegen lilfat. Es darf ntir in Pisang- Blätter speien, welche in Form oinee Spucknapfes zu-
^mmengenjlbt sind. Hierauf fangen die sieben Knaben ihren Umzug aufs Neue an« um
fiiternitcbt folgt dann die HeschwOning der Waldgeister. ßei dem HahnenBobrei geben die
deben Tbeilnebmer an der Processioni welche jetzt mit dem Beinamen äeb (Pferde) bezeichnet
r erden« nachdem sie vorher noch einige vom Ta Kuh^ hergesagte Poesien angehört haben, in
ie Nachbartfcbaft, um Jagd auf die Hühner und Enten der Eingeladenen zu mivcben. Bei
Tagesanbruch gebt das junge Mfidchen aus dem Hause and betet die aufgehende Sonne an^
ödem es sieh dreimal in den Stanb wirft. Nach langer und sorgfältiger Vorbereitung macht
er Ta Kube die Bewegung, als ob er ihr die Zähne mit Hammerschlägen entfernen wollte,
. beutreicbt sie mit einem an Ort und Stelle bereiteten Russ. Das Mädchen wirft sich drei-
^Tor einem kleinen Altar nieder« auf welchem die bei häuslichen Festlichkeiten gewöhnlich
~g#Fraucht«n Gegenstände aufgestellt sind, und kehrt dann in das Hau» ztirück« Bei allen
dieeen Festlichkeiten mus8 es mit einem Uaarwulst geschmückt »ein, und wenn ee aus irgend
etneto Grunde (Neuralgie u, s« w.i kurzes Haar trägt, wie dies in Cambodja gebrS.nehlich,
•ooinss es sich mit falschen Zöpfen schmücken. (Äymmii<r.j
92. Das Beifefest.
Sb jifc biXieiti ugedeuiet worden^ dass viele Völkerschaften die erste Men-
struation im jutlgan Mädchen durch hesoudere Feste feiern, während bei uns die
letetereu ihr Geheimniss möglichst verbergen,
Prao Antonie J/cr/' erzählt van Java: ,So »ah ich jüngst einen Aufzug, über deesen
Sadeutung ich, so lange ich ihn sah, mich in völliger Unklarheit befand Voran zogen un-
12 junge unbekleidete Javanesen, Alle waren gelb gepudert, wodurch ihre Körper
i in knapf> anschliessenden Tricot gekleidet erschienen. Sie trugen die verschiedensten
f\ htnde; der eine einen kostbaren, zierlichen Spiegel in glänzendem Rahmen.
bl' >k der Sonne funkelnden Steinen besetzt wan Ein anderer hatte einen grosien,
[»ühonen F&cher in der Hand, ein dritter Kamm und Bürste in ofienem, heschnitztem
hbeinkasten, der mit rothem Sammet ausgeschlagen war; der uüehirte trug auf goldenem
Teller zwei Slickchen von dünnem, durchsichtigem Gewebe, von welchen das eine den hier
lllgemein üblichen ScbÖnbettspuder, aus dem Samen einer seltenen einbeimi»chen Pflanze
bereitet, das andere Curcuma enthielt, ein FiLrbungsmittel, da« ich schon früher einmal er-
r&hnt habe. Verschiedene andere Gegenstände, die noch weiter von den gelben Jünglingen
forübt»rge tragen wurden, waren mir theils unerkennbar, theils überhaupt unbekannt. Ein
lusikcorp» folgte. Hinter demselben wurden lange, breite Bretter getragen, welche von
veissen, mit Blumen und Blindem geschmückten Tüchern bedeckt waren. PrUchtige, riesige
^lamonitträuäse prangten auf denselben; verschiedene reich verzierte Gerichte, Kuchen und
l^rüchli* kennzeichneten sie aln ambulante Festtafel. Dieser folgten wiederum Javaneeen-
inge, welche Hauahaltungsgegenstände in idealisirter Form und verschwenderischer Aua-
|llckung trugen. In der Mitte des Zuges bewegte sich langsam ein pbantoatisch auB-
ier, mit farbigen Tüchern drapirter offener Wagen, welcher von vier blumenbekrÄ.n«teii
bewimpelten Schimmeln gezogen wurde. In demselben sass ein drollig herauageputctes
Javanenkindy etwa stehn Jahre alt und recht unglücklich dreinschauend. Ihm folgte
wiedennn eine Schar Javanen in den denkbar buntesten Sarongs und Eabayen, und ein
cweitee MuBikcorps machte den Beschlusi. Und was bedeutet diese wunderliche Komddie?
•n Trtumpbzug eines stur Jungfrau herangereiften Kindes, welches nun feierlich als heiraths-
big proklamirt war!*
Auch in Siam werden bei dem Reifwerden der Jungfrau Feste gefeiert,
reiche bisweilen 5 bis 0 Tage in Anspruch nehmen. Ganz besonders grosaartig
pflegen jfie bei königlichen Prinzessionen zu sein.
In Afrika nind dtrartige Feete eine weitverbreitete Gewohnheit Wur hatten
lao oben von Wissmann gehört, daas das junge Mädchen in dem Congo-
' te tv'*' --ttyii Tage eingesperrt wird. Er erzählt dann weiter;
»A ig«, an dem sie wieder herauage lasten wird, wird der ganze Körper mit
nt4äm . ^ ^: r! eingerieben und aach das Gesicht rotb angemalt Sid
360 ^^ ^^^ Menstruation in ethnographischer Beziehung.
erhält ein kleines Fell ausser ihrer gewöhnlichen Bekleidung, und um den Hals wird ein Stück
Zeug gehängt, das aus dem Bast des Lukanda-Baumes bereitet ist, und auch der Kopf wird
auf dieselbe Art geschmückt. Dann wird sie auf den Schultern eines Mannes durch das
Dorf getragen und ihr Vater giebt ein grosses Fest. Da die meisten Mädchen schon Yorho-
von ihren Vätern vergeben sind, so wird meist an demselben Tage auch anr Heiiath ge-
schritten, so dass dann beide Festlichkeiten vereinigt stattfinden, aber die eben beschriebene
Ceremonie besteht ganz selbständig für sich. Dieselbe wird Hetta genannt, das betreffBnde
Mädchen Muhetta."
Ebenso werden nach Falkemtein^ bei den Loango-Negem die jungen
Mädchen im Dorfe durch Gesang und Tanz gefeiert, und, begleitet Ton der Jagend
beiderlei Geschlechts, sogar den Europäern vorgeführt.
Eine solche Procession giebt «ich schon von Weitem durch ihren ausgelassenen Jnbel
kund und führt die völlig Vermummte in die Mitte des Hofes, wo sie auf einer Kiste unter
einem Schirm Platz nimmt und von ihren Gespielen in höchst deutlicher Weise ihre Aus-
sichten für die Zukunft besingen hört. Für ein Glas Rum entschleiert sie gern ihr Gesicht
und bietet höchstens den Ausdruck des befriedigten Stolzes, nun zu den Erwachsenen tu
rechnen, niemals aber den der Scham. (Falkenstein^.) Ebenso führen die Neger der Gold-
küste das zum ersten Male monstruironde Mädchen im grössten Putze durch die Starawcn.
dabei werden Loblieder auf ihre Jun^räulichkeit gesungen CBrodie, CruücshankJ.
An einer früheren Stelle habe ich über den Aufenthalt der heranwachsenden
Mädchen von Liberia in dem Zauberwalde gesprochen. BiUtikofer berichtet
weiter hierüber:
«Auch dor Sandy hat sein besonderes jährliches Auatrittsfest. Dabei werden die aus-
tretenden Mädchen, nachdem der ganze Körper reichlich eingeölt, durch ihre Angehörigen
mit oft sehr kostbarem Schmuck, wie silberne Halsketten, Armbänder, Beinringe und Schellsn,
behangen, welche letztere um die Füsse getragen werden, um beim Tanzen möglichst yiel
Lärm zu machen. An diesem Feste tragen die Soh und Soh-bah hölzerne Masken (Deyil-
heads, Teufels köpfe). Diese sind mehr oder weniger kunstreich aus einem Stück WoU-
baumholz geschnitzte Masken, von unten genügend ausgehöhlt, um den ganzen Kopf hinein-
zustecken. Ein solcher Teufolskopf wird der Person, für die er bestimmt ist, auf Maass ge-
macht und so tief ausgehöhlt, dass sie, wenn sie denselben über den Kopf stülpt, durch die
vom an der Stelle der Augen angebrachten kleinen Oeffnungen bequem sehen kann. Die
Masken der Soh-bah stellen Mannsgesichter, diejenigen dor Soh Frauengesichter vor, bei
welchen die eigenthümlichen Haarfrisuren mit vieler Sorgfalt nachgeahmt sind. [Soh ■« Teufel,
Waldteufel; bah = gross. Soh-bah heisst somit Grossteufel zum Unterschiede von Soh, wie
die weiblichen Teufel genannt werden.]*
.Diese schwarz gebeizten Maskon sind meist einfarbig, manchmal aber auch auf eine
phantastische Weise mit grellen Farben, besonders mit Weiss und Roth bemalt. Der antere
Rand der Maske hat eine starke Einkerbung, um welche der früher beschriebene Blfttter-
mantel befestigt werden kann. Von dem in Nieder-Guinea sehr beliebten Federschmuck
findet sich an demselben keine Spur."*
«Die weiblichen Teufel 'pflegen unter ihrem Blättermantel oft europäische Manns-
kleider, Strümpfe, Schuhe oder Pantoffel zu tragen. Sie werden, sobald sie sich in der Oeffent-
lichkeit zeigen, von einigen Frauen begleitet, welche Matten bei sich tragen, um bei
etwaigen Toilettenunglück die Soh vor neugierigen Blicken zu schützen.*
,Um ihren Einfluss besser geltend machen zu können, halten die Häuptlinge
darauf, dass die Jugend, besonders die männliche, eine gewisse Zeit im Greegree-Bush
zubringt.*
„Der Festteufel erschien, vom Kinn bis auf den Boden mit an Schnüre geteihten
trockenen Federblüttem der Wcinpalme behangen, so dass man nicht gewusst hätte, was Tom
oder hinten wäre, hätte er nicht auf dem Kopfe eine schwarze, hölzerne Maske, den soge-
nannten deviVs head, mit hässlichem Fratzengesicht getragen. Diese Gestalt machte beim
Vortreten allseitig plumpe Verbeugungen, spazierte bedächtig auf dem freien Platu hin md
her, drehte sich auf einmal wie ein Wirbelwind im Kreise herum, schüttelte sein ]
lilätterkleid und war nach einigen Bockssprüng^n wieder in der Hütte verschwandsB.*
Baumann sagt vou den Suaheli:
«Das Reifwerden eines Mädchens wird mit Tänzen gefeiert Dann genienk ^i
7tägigen Unterricht bei einem alten Weibe, sowohl theoretisch in den PfliohteB di
92. Das Reifefest. 361
in Bezog auf Trene nnd Qehorsam, als auch praktisch in Form von obscönen Tänzen. Dabei
wird das von Kersien erwähnte „Digiticha" besonders geübt. Auch Massiren wird gelehrt
and ist als sanftes Kneten mit der Handfläche sehr üblich.''
Bei den Wabondei in Ost-Afrika fand Baumann ebenfalls die Reife-
feste im Gebrauch. Er sagt hierüber:
.Dem ,Qalo* der jungen Männer entspricht das «Kiuanga* der Mädchen. Dasselbe findet
statt, wenn man ein Mädchen als erwachsen erklären will, fällt jedoch keineswegs immer
mit dem Eintritt der Pubertät zusammen. Auch hierbei wird die Siammesmarke durch Hitzen
mit dem Messer angebracht. Dann begeben sich die Mädchen splitteruackt mit einer , weisen
Frau* in den Wald, wo sie 6 bis 8 Tage verweilen. Doch können sie während dieser Zeit
manchmal nackt in das Dorf zurückkehren, um etwaige Verrichtungen zu besorgen. Der
Schlusstanz, der alles junge Volk der Umgebung vereint, findet im Dorfe statt. Dabei sitzen
die Mädchen nackt in der Dorfschenke auf den ausgestreckten Beinen ihrer Mutter, werden
am EOrper und im Gesichte mit weissen Zeichnungen bemalt und müssen später laufend
glühende Kohlen in der Hand durchs Dorf tragen. Dies dauert ein bis zwei Tage, während
welcher Alles, was Beine hat, tanzt und sich am Palmweingenuss ergötzt.*
Kropf berichtet von den Xosa-Kaffern, unter denen er seit Jahrzehnten als
Missionar lebt:
„Der Beschneidung der Jünglinge entspricht das intenjane der Mädchen, wodurch sie
zur Zeit ihrer Pubertät unter die heirathsföhigen Jungfrauen eingeführt werden. Das Erscheinen
der Pubertät nennt der Kaffer in seiner bilderreichen Sprache „Das Auf knospen der Blume*.
Sobald dies eintritt, muss es sich hinter einer von Matten im Hause gebildeten Scheidewand
verborgen aufhalten, wo sie der Obhut einiger Mädchen und Frauen (gefallene oder von ihren
Männern getrennte) anvertraut ist. Die Speise für sie und ihre Umgebung haben ihre Eltern
zu besorgen. Der Vater des Mädchens ladet alle jungen Mädchen, Frauen und Männer der
Nachbarschaft ein. Nachdem am Vormittage die Kühe gemolken und die Milch aus dem
Milchsack getrunken ist, beginnen die Mädchen den Tanz. Sie kommen aus der Hütte des
Mädchens, um dessen twillen das Fest angerichtet ist, das aber in der Hütte bleiben muss, im
Gänsemarsch und begeben sich in feierlicher Procession zu dem Platz ausserhalb des Vieh-
kraals, jedes einen Spiess in der Hand, um den nackten Leib einen mit messingenen Hingen
besetzten Kiemen und ein rothes Taschentuch. Angekommen beim Viehkraal schliessen sie
einen Kreis, sich bald nach links, bald nach rechts bewegend, mit den Füssen stampfend und
„hoha hoch* johlend. Bald darauf kommen auch die an einem besonderen Orte sitzenden
Frauen, in ihre Decken und Mäntel gehüllt, einen rothen Turban um den Kopf, herbei, um
in einem weiteren Kreise um die Mädchen herzutanzen, mit diesen um die Wette stampfend
und johlend. Sind die Frauen müde, so werden sie von den Männern abgelöst, die bei ihrem
Stampfen, Springen und Gliederverdrehen jede Muskel in zitternde Bewegung versetzen. Ein
Ochse wird vom Vater des Mädchens geschlachtet, worauf, wenn er aufgezehrt ist, das Tanzen
aufs Neue beginnt. Junge Männer, ja selbst Knaben kommen von verschiedenen Orten, um den
greulichen Tanz umtshotsho in der Hütte der Gefeierten mit den Mädchen zu vollführen.
Die Tänze werden nackt aufgeführt, ohne jegliche Scham, und viel Schmutziges dabei geredet.
Den jungen Leuten ist gegen Bezahlung erlaubt, mit unverheiratheten Weibern und Wittwen
zusammen zu kommen, und in Bezug auf die alten Männer muss der von ihnen erwählte Auf-
passer dafür sorgen, dass sie mit jungen Mädchen versehen werden. Auch ein ordentliches
Mädchen kann dabei mit Gewalt missbraucht werden, wenn sie so leichtHinnig war, sich zu
solchem Feste zu begeben. Oft entstehen dabei unter den jungen Männern Schlägereien um
ein Mädchen. Solche Feier bringt manchen Vater in Armuth, denn hätte er auch nur eine
einzige Kuh, so muss sie geschlachtet werden.*'
»Sieht der Vater, dass es mit der Speise zu Ende g^ht, so lässt er wissen, die Feier
solle aufhören. Wenn der Schluss nahe ist, manchmal nach 3 Tagen, manchmal nach 4 bis
8 Wochen, dann kommen die Leute der benachbarten Plätze mit ihren Ochsen, um die Feier
dorch eine OchMnschau und Ochsenwettrennen zu y erherrlichen. Die Ochsen, die zu einem
bestimmten Kraal gehören, werden gewöhnlich in ein oder zwei von den jungen Männern
nach einander in die Mitte des Kraab getrieben, womaf ein Tans beginnt Hat jede Ab-
theilong dies gethan, so begimit der growe Tau dar Tmeliiedenen Kiaale nnter ihren Vor-
stehern nnd Hiaptlingen. Dm OcIumip^ ■"■■—■- — ** Mi^ Sehlui."
.Zwei oder drä Tige danv^ ^^ Otfafarten anlgewartet hatten
nach dem Walde und liok* ¥irtter brii^ieii, wonmf ne
lieh nach Hmm Im^ iMehen TiriieiniftlMt, bei
362 Xn. Die Menstruation in ethnographischer Beiiohnng.
deren Pubertät diese Feier unterlassen wurde; solche müssen aber zu ihren Kraalen snrflck-
kehren und das Versäumte nachholen.*
Auch bei den Völkern Amerikas treffen wir vielfach derartige Feste an.
In Peru begehen die am Ucayale- Strom hausenden Conibos bei solcher
Gelegenheit das sogenannte Chenianabiqui-Fest, wobei mit Flöten gespielt und
Yon beiden Geschlechtem getanzt wird; die jungen Mädchen müssen sich toll
und voll trinken und werden einen Tag und eine Nacht lang von den alten
Frauen im Tanze herumgedreht, bis sie niedersinken und wie Leichen am Boden
liegen. (Marcey.)
Die Patagonier feiern den Pubertätseintritt durch Pferdeopfer. (Musters^
Die Chibchas (auch Muistas oder Mozcas), ein fast ganz untergegangener
Volksstamm, der in Neugranada lebte, begingen zu diesem Zeitpunkte ebenfalls
ein grosses Fest. (Waitjs.)
Unter den Apache-Indianern ist es ein wichtiges Familienfest, zu dem
alle Familienglieder eingeladen werden, das beim Eintreten der Mannbarkeit eines
Mädchens gefeiert wird. (Spring,)
Einige californische Indianer-Stämme, z.B. dieHupa, feiern aach den
Keifeeintritt als Fest. Fühlt ein junges Mädchen den Zeitpunkt nahen, so mnsa
sie, wo immer sie sich auch befindet, den väterlichen Wigwam aufsuchen; bleibt
sie diesem fern, so wird sie ausgestossen und gilt fortan als Fremde. Es folgt
dem Eintritt der Reife ein langes Fest, der Kin-Alktha oder Jungfemtanz: Neun
Tage kommen die Männer des Abends zum Tanze zusammen, von dem die Weiber
ausgeschlossen sind. Das Mädchen darf unterdessen kein Fleisch essen und sich
vor keinem Manne sehen lassen. In der 10. Nacht versteckt es sich in einem
Winkel der Hütte. Dann kommen zwei junge Männer und zwei alte Weiber aas
ihrer Verwandtschaft, um die Jungfrau zu suchen und abzuholen. Die jungen
Burschen stülpen sich eine Maske aus Leder oder Schilf über den Kopf, die an
den Seelöwen erinnert, und nehmen das Mädchen in die Mitte; rechts und links
von ihnen stellen sich die alten Frauen auf So treten die Fünf unter die Ver-
sammlung. Das Mädchen schreitet zehn Mal vorwärts und rückwärts, erhebt die
Hände zu den Schultern und singt. Das letzte Vorwärtsschreiten endigt mit dem
Hochsprung. Darauf begrüsst die Versammlung das junge Geschöpf durch laute
Zurufe, und die Ceremonie ist beendigt. (Powers.)
Die Wintun- Indianer, ein anderer californischer Stamm, veranstalten
bei dem Eintritt der Geschleclitsreife eines Mädchens gleichfalls einen „ Reifheits-
tanz **, zu welchem die Bewohner der nächsten Dörfer geladen werden. Schon
drei Tage vor diesem Feste muss sich das Mädchen jeder animalischen Kost ent-
halten, sie darf nur Eichelbrei geniessen. Während dieser Fastenzeit ist die
Aermste aus dem Lager verbannt in eine entfernt gelegene Hütte. Todesstrafe
wird über denjenigen verhängt, der sie während dieser Zeit berührt oder es wagt,
sich ihr zu nähern. Nach Ablauf dieser Vorbereitungsfrist nimmt sie eine ge-
weihte Suppe zu sich, die von den Früchten der Buckeye califomica bereitet
wird, aus denen zuvor durch Einweichen in Wasser das Gift entfernt wurde.
Durch das Verzehren dieser Masse macht sich das Mädchen würdig, sich an dem
bevorstehenden Tanze zu betheiligen, sowie die Pflichten einer Frau zu über-
nehmen. Nunmehr erscheinen die eingeladenen Stämme, indem sie in langen
Reihen herbeiziehen und um den Lagerplatz feurige, sinnliche Lieder singen.
Sind alle Stämme oder Deputationen derselben versammelt, was 2 bis 3 Tage in
Anspruch nimmt, so vereinigen sich Alle zu einem grossen Tanze, der in einem
Knndmarsch um das Dorf besteht, während ununterbrochen Chorgesänge erschallen.
Zum Schluss der Ceremonie nimmt der Häuptling das Mädchen bei der Hand n;
tanzt mit ihm die ganze Linie entlang, während die Gäste improvisirte Geri^
anstimmen. Nicht immer sind letztere keusch und unschuldig, biswdlsD
Dann kommen auch Gesänge, in welchen jeder Indianer seine
ISn^m ausdrückt, wobei «ie seltsamer Weise vollkommen Takt mit^^BSmüer halten*
7ie Frauen drücken bei solchen Gelegenheiten keine un keuschen Gefühle aus.
Ein Klamath-Indianer in Oregon sagte zu Gatchet: „Die Modocs bei
ler ersten Menstruation tanzen fünf Tage und (tinf Nächte, ohne zu schlafen; die
'eiber essen vierzehn Tage keine Nahrung/
Auch Pctitot liefert uns einen Originalbericht der Ganada-Indianer in
wortgetreuer französischer Uebertragung, Dadurch erklärt es sich^ daas die Stei-
lhang der Worte eine etwas absonderliche ist; man liest sich aber schnell hinein:
(»Deniierenient une femnie (qui) ^e& menstruefl n'avait pas, lor&que pour ta pretxiitiro foie
ei i^gle« ayant [litt: ses rcins eUe r^pand] h sa nitre: Mes mois viennent eile oe disait pas,
lort sa taere: De quelque chaae tu es ^'tnue si, sauve^oi, ton capulet avec ta tete courre la,
iiifl coucbe-toi, sa m^re lui disait. Alors apres cela la fiUe de quoi e^est-elld apervue^ je
lippove, eile e«t emue ^a arrive^ eile se sauve aloi^ et son capulot dans eile m cache. Oa la
it. an Tatteint, BOn veteinent on oxannnef donc^ 8on vetement ce qui n'est piLs bon comme
parait vu que, eile pour une hutte on construii, de Teau olle pour on pulse. Malade eile
lt com tue, cinq joura pendant eile est forte ne pas eile Uenieure couch^e. On travaille pour
He, quelque cbose eile pour on coud, joliment sa ceintiue on brode, son viiiage on peint en
.^
:^.
<^ <^M
Pllp. 207. nerji&Ile Holzw&nd d«r NootUm-Indiftacr, Britisch Colambien, Eum Verbergen
der rel/ge worden «n Jaugfrfta. (Aus Sima.)
^ttg«, ifa t^ie on pommade. Üi Toili qae d^ lora un jour pendant du bouillon [litt: viaade-
l.u] «eulemont on lui donne & boire, un uatendle dani non paj«, un eygne son aile-os avec
elJe pour un cbaltimeau ayant fait, par cela ello bume leau. Peu bois, peu uiange! Ba m^re
11 tlit. Trt^bien joliment on la traite. Cn bonnet grand pour eile on fait, ses seina sur
place doux bob en croix, \m ll^vren-os eile casse ne pas; du c^i'ur anssif du eang au^si,
b frai de poiiiaon ausmi, du lard (ou du gras) aussi eile mange ne pas; une lune pendant
Dute la durt^e de c*eet ainai qu*on la traite* ,C*eiit ainsi que une tille nubile (Litt: mal
[iii renitent« ou Celle qui est dans le mal] on traitait autrefoia, la premiere fote que Mes mois
ile avait,'
V^on den Stämmen aus Britisch Colunibien giebt uns Boas über die
Toolka-Indianer Bericht:
«Wenn ein M&dcben ibre Helfe erlangt, m mosa tie auf der Plattform des Uaueas, der
[|Ür gogenöber, Platz nebmen, und der gan«e Stamm wird eingeladen, um an einer Feier
il zu nehmen. Eine Anzahl von M&nnem und Frauen wird angenommen, um su singen
aae aaszuf^hren, und die Leute werden fUr die«e Dienstleistung bezahlt. W&brend
pi*a'mä genannten Gesänge gesungen werden^ steht xu joder Seite des M&dcbena ein
in dem Anzüge des Donnervogels, Dieser besteht au£ einer grossen Ma^ke und aus
TolltUndigen mit Federn und zwei Flügeln versehenen Kleidung. Die Tänzer sind nicht
Dann ergreifen acht Männer je eine tScbüsseU laufen zum Flasae, schöpfen friBcbet
und kebtwa damit zu dem Hause zurück* Hierbei müeeen sie sich im Kreise bewegen,
tfiö die link« Hand im Inneren des Kreinet haben müssen. Dann gieasen sie das WaeMf
^FriBki* lioi MAdcItens und kehren darauf zum FlnsH« zurück, sich beetändig im KreiJie
linken Hand nach innen/
364 XII. Die Menstruation in ethnographischer Besiehnng.
,Wenn dieses geschehen ist, so wird eine mit Figuren des DonnenrogeU bemalte Holi-
wand (Fig. 207) auf die Plattform des Hauses vor das M&dchen gestellt, so dan dieselbe n«
vollständig verbirgt. An beiden Seiten werden Matten aufgeh&ngt| so daat nur ein kleiner
Raum für das Mädchen übrig bleibt, in dem sie für mehrere Tage, verborgen vor den Bliekn
der Männer, verbleiben muss. Während dieser Zeit wird sie immer von einer AwTahl tob
Mädchen und Frauen bedient. Nach Sproat's Angabe ist es ihr nicht erlaubt, die Sonne oder
das Feuer zu sehen. Nach meinen Informationen wird sie nur davor behütet. Wfthrend sie
hinter der Wand versteckt ist, nimmt das Fest seinen Fortgang. Hier folgen swei Greiftnge,
welche bei diesen Gelegenheiten angestimmt werden" :
„Ich hatte einen schlechten Traum letzte Nacht.
Mir träumte, mein Gatte nahm ein zweites Weib.
Da packte ich meinen kleinen Korb und?
Und ich sagte, bevor ich ihn verliess,
Hier ist ein Ueberfluss an Männern.
So habe ich geträumt.*
„Ich wünschte, ich hätte mein Gesicht an eines Mädchens Busen.
Ich würde mich wohl fühlen. Oh, dead!
Ja, Dein Antlitz ist gross genug für ein Ding, das niemals befriedigt ist.*
Wir finden hier eine ähnliche Anspielung, wie in dem oben angef&hiien
Ausspruche König Salomo's.
Bei einigen Völkern gestalten sich aber diese Reifefeste doch bereits weihe-
voller; sie nehmen schon mehr den Charakter einer feierlichen Handlung an, bei
welcher, wenn auch manchmal noch in absonderlicher Form, eine Art von Segens-
wünschen gespendet und bestimmte Weihen vorgenommen werden.
Bei den Wanjamuesi ist nach Reichard die Beifeerklarung der jungen
Mädchen eine ausschliessliche Festlichkeit der Weiber, bei welcher allerdings Ge-
sang und Tanz und auch ein Biergelage nicht fehlen. Das nunmehr mannbare
Mädchen, dessen Jungfräulichkeit jedoch immer schon verloren ist, wird dann im
Kreise der Waganga (Fetischweiber) mit Kräuterabsuden gewaschen, mit Oel ein-
gerieben und zuletzt über und über mit Mehlwasser aus dem Munde des Fetisch-
weibes bespritzt. Es schliesst sich darauf noch eine Art von Examen an. Das
Mädchen muss nämlich vor allen Weibern eine Probe in der Fertigkeit ge-
wisser Bewegungen in verschiedenen Stellungen ablegen. Männer haben dabei
keinen Zutritt.
Die Makololo und andere Stämme im Marudse-Mambunda-Reiche am
Zambesi-See benachrichtigen, sobald ein Mädchen reif wird, deren Freundinnen,
die nun jeden Abend 8 Tage lang zu ihr kommen und sie bis tief in die Nacht
hinein mit Tanz unter Castagnetten-Begleitung unterhalten. Ist die Tochter eines
Königs zu dieser Zeit schon verlobt, so wird sie von einer weiblichen Verwandten
in ein Dickicht geführt, wo sie eine Woche lang, von einer Sclavin bedient, ein
abgeschiedenes Leben führt; doch wird sie auch hier von ihren Genossinnen des
Abends aufgesuclit, die ihr Nahrung hinstellen, ihren Kopf mit Parfüm einreiben
und sie mit Ermahnungen und Zureden fQr den ehelichen Stand vorbereiten, um
nach Ablauf der Frist sie ihrem Qemahl zu übergeben. (Holub,)
Bei dem Reifefest der Nama-Hottentotten, von welchem wir oben ge-
sprochen haben, nimmt der nächste Anverwandte des jungen Mädchens, gewöhnheh
nach Ilahn^ ein älterer Vetter, die Magenhaut des geschlachteten Rindes und hangt
sie dem Mädchen über den Kopf Dabei spricht er ihr den Wunsch aus, dass M
ebenso fruchtbar sein möge, wie eine junge Kuh. Dann kommen die Freunde und
Freundinnen mit ähnlichen Glückwünschen, und nun beginnt ein FeetedimMia ]i#
Gesang und Tanz, der mit einem Zechgelage endigt
Den Eintritt der ersten Menses zeigt das Nayer-Mtdeb*"
durch ihre Mutter ihrer Schwiegermutter an, d. L der Mi
92. Das Reifefest. 365
günstigten Liebhabers; Letzterer giesst ihr darauf eineu Krug Wasser über den
Kop£ {Jagar^.)
Bei den Hill Arrians in Travancore werden nach Painter^ wenn ein
Mädchen ihre Reife erreicht, die Freunde und Verwandten zu einer Geremonie
zusammengerufen, bei welcher das junge Mädchen auf ein Brett von dem für
heilig angesehenen Jack-Holz treten muss. Dann bindet ihr die Schwester ihres
Vaters einen Faden um den Hals und damit ist die Feierlichkeit beendet.
Erreichte bei den alten Mexikanern ein junges Mädchen ihre Reife, so
gib ihm der Vater in wohlgesetzter Rede Ermahnungen auf ihren Lebenspfad mit.
ann wurde das Mädchen in einer Tempelschule unterrichtet und aus dieser erst
entlassen, wenn es sich verheirathen wollte.
Wir sehen hier, wie von dem einfachen Freudenfeste an allmählich die An-
schauung sich Bahn bricht, dass das junge Mädchen nun in ihre späteren Frauen-
pflichten eingeftihrt und durch besondere Ceremonien eingeweiht werden muss, bis
schliesslich bei den Mexikanern, ähnlich wie bei den heutigen civilisirten Völkern,
der Zeitpimkt der eingetretenen Reife allerdings auch eine festliche Stimmung
veranlasst, welche aber bereits als eine mehr geistige, an die christliche Einseg-
nung erinnernde, aufgefasst worden ist.
XIII. Die Menstmation im Volksglanben.
93. Abergl&ablsche Verhaltangsniaassregelii bei der ersten Menstnuttoi.
In mehreren Berichten sahen wir bereits, dass den zum ersten Male men-
struirenden Mädchen eine besondere Fastendiät vorgeschrieben wurde: das heittt
mit anderen Worten, sie unterlagen ganz bestimmten Speiseverboten. Das ist ein
ziemlich weit verbreiteter Brauch, und bisweilen erfahren wir sogar, was die
Leute mit diesen Vorschriften &Xr Gedanken in Verbindung bringen. Aber nicht
auf die Ernährung allein bleiben diese Verbote beschrankt; auch mancherlei
Anderes wird angeordnet, was sie zu thun oder zu unterlassen haben, und den
Befehl im Winkel zu verharren, oder in einer besonderen Hütte, müssen wir ji
eigentlich auch hinzurechnen.
Jacohsen erzählt von den Indianern im nordwestlichen Amerika, dia
das abgesonderte junge Mädchen sich stets derartig niederlegen muss, dass ihr
Kopf nach Süden gerichtet ist.
Wenn das junge Mädchen der Lku'ügen oder Songish im südöstlichen
Vancouver die ihm angewiesene Hütte verlässt, so muss sie in solcher Richtong
zurückkehren, dass, wenn sie den Rückweg antritt, sie die Sonne im Rücken hat,
und dann muss sie in der Richtung gehen, wie die Sonne sich bewegt. (Boas,)
Ebenso darf bei den Sitchaer Koljuschen und in gleicher Weise auch
auf den Aleuten das junge Mädchen die Sonne nicht sehen. Es wird ihr während
dieser Zeit ein Hut mit sehr breiter Krempe aufgesetzt, damit sie nicht durch
ihre Blicke den Himmel verunreinige.
Von den Nootka-Mädchen sagt -öoa.s":
«Während der Zeit ihrer Absperrung trägt »io kein Hemd und es ist ihr verboten, tich
zu bewogen und sich niederzulegen, sondern HJe muss immerwährend in hockender SteUnng
verharren. Sie mu».s es vermeiden, ilir Haar zu berühren, aber sie muss ihren Kopf mit einem
Kamm oder mit einem hierfUr hergt^richtoten Stück Knochen kratzen. Niemals aber darf sie
ihren Körper kratzen, da jede gekratzte Stelle eine Narbe hinterlassen würde, wie sie
glauben."
Dieses Verbot, den Ko])f zu kratzen, so lange sie ihre erste Regel haben,
führt lioas auch von den Mädchen der Shushwap-Indianer in Britisch
Columbien an:
pKs iHt ihr verboten, ihren Kopf zu berüliren, deshalb bedient sie sich einei Kammei
mit drei Spitzen. Nirgends ist es ihr erlaubt, ihren Körper zu kratzen, als nur mit omt«
bemalten Thiorknochen. Sie trägt dieHon Knochen und diesen Kamm an ihrem Gllrtel ■>-
gehängt."
Das Nootka-Mädch(*ii hiuhh in der betrettenden Zeit sich hAten«
Hässliches oder etwa gar Männer zu sehen. Auch die MSdohen auf dtt 7
von Darien dUrfen dann keinen Fremden erblicken. (Wdfer^
Die Mädchen der Sjhushwup-Indianer bedienen iMik in
Trinken einer bemalten Schale ans Birkenrinde, die ne
94. Die Menstmirende gilt fQr unrein. 3g7
müssen. Die Nootka- Mädchen dürfen dann nur trockene Fische essen, sie müssen
frische Muscheln essen. Stachelbeeren und Holzäpfel sind ihnen verboten, weil
man glaubt, dass sie ihren Zähnen schaden. (Boas,)
Die Mädchen der Lku'ngen, „welche kurz vor der Reife stehen, dürfen
von den Fischen nicht Stücke aus der Nachbarschaft des Kopfes essen, sondern
nur Schwänze und die angrenzenden Theile, damit sie sich Glück in der Ehe
sichern.'* (Boas,)
Noch einigen anderen Aberglauben fuhrt Boas ebenfalls von den Shushwap
an. Das abgesperrte junge Mädchen geht alle Nächte aus ihrer Hütte, ,und pflanzt
Weidenzwoige, die sie bemalt hat, und an deren Enden sie Zeugstücke befestigt hat, in die
Erde. Man glaubt, dass sie dieses im späteren Leben reich macht. Um stark zu werden,
mnss sie auf Bäume klettern, und versuchen, deren Spitzen abzubrechen/
Weiter sagt Boas:
,,ln Victoria muss ein Mädchen, das ihre Reife erreicht hat, einige Lachse auf eine
Anzahl von grossen Steinen legen, nicht weit von der Finlajson Point Battery. Man nimmt
an, dass sie dieses freigebig mache. Sie muss forner die Hügel Petle'wan, in der Nähe von
Cloverdale, besuchen, an deren Spitze ein Weiher ist. Hier muss sie die Hand in das
Wasser stecken und sie langsam geschlossen wieder herausziehen. Hat sie Gras u. s. w. in
derselben, so wird sie reich und das Weib eines Chief werden; im anderen Falle wird sie
eines armen Mannes Weib.*
Der jungen Australierin werden, wie oben gesagt, bei dem Eintreten der
ersten Menstruation einige Zähne ausgeschlagen, und es bringt ihr Unglück, wenn
sie drei Tage nach dieser Procedur irgend Jemandes Rücken sieht. Dann wächst
ihr der Mund zu und sie muss Hungers sterben. Auch mit den ausgebrochenen
Zähnen muss man äusserst vorsichtig umgehen. Man hüllt sie in Emu-Federn
ein und hebt sie auf das Sorgfältigste auf, damit sie nicht die Adler ünden.
Denn wenn dieses geschieht, so wachsen an der Stelle der ausgezogenen Zähne
grössere, und diese krümmen sich in die Höhe und verursachen unter grossen
Schmerzen den Tod.
94. Die Henstruirende gilt fQr unrein.
Bekanntlich wird die Menstruation gemeinhin als die monatliche Reinigung
bezeichnet. Man ist im Volke der Ueberzeugung, dass in dem Körper des er-
wachsenen Weibes von Monat zu Monat sich Unreinigkeiten ansammeln, welche
durch den Blutfluss der Menstruation aus dem Körper ausgeschieden würden. Da
nun das Menstrualblut diese Unreinigkeiten enthält, so sieht man es als ver-
unreinigend für Alle an, die damit in Berührung kommen, und allmählich bildete
sich der Glaube aus, dass es nicht allein verunreinige, nicht nur schmutzig mache
im gewöhnlichen Sinne, sondern dass es auch schädliche und selbst giftige Wir-
kungen ausüben müsse. Um sich nun wirksam vor einer unfreiwilligen Berührung
zu schützen, lag es am nächsten, das Weib überhaupt in diesen Tagen des Blut-
ausflusses als venmreinigend zu betrachten und ein Verkehren mit ihm sorglich
zu meiden. Und so erklärt es sich von selbst, dass auch zu einer anderen Zeit,
in welcher ebenfalls die Frauen Blut aus ihren Geschlechtstheilen verlieren, nämlich
zur Zeit des Wochenbettes, sich der Begriff der Unreinheit mit ihnen verbindet.
So einfach uns die Sache erscheint, so hat sie doch etwas Ueberraschendes.
Bei den Sängethieren hat nämlich die Menstruation ihr Analogon in der weiblichen
Bmiut. Wirrend nun, wie gesagt, der Mann sich sorgfaltig von dem menstruiren-
den Weibe mrückzieht, dient bei dem Thiere bekanntlich die Brunst dem Männchen
ab ein unwiderstehliches Anlockungsmittel.
Die Thetiche steht aber unerschüttert fest, dass die Weiber während der
Meiietrunl Ton allen Völkern des gesammten Erdballs als unrein angesehen
^ P^ A der Unreinheit allerdings unterliegt erheblichen Abstufungen.
■nmen aber alle Volksstämme überein, auch bei der grössten
't^n
HIL Zia XfBucrnacon. jn. T
iii^ *r--'^ iii^iarr-ianna iuiht xrui:: itanniitfrai '/bii&m lodocf iiini w» ädk &
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t;i.-:s liis, ~ *«'.i üir^i *!ii iiix-**rr= Zisr'jtai iiiräi i»»iiHniii*»T JunsoBui lannsinsa. ita^?
La i.iiiiL iiuui uii'-a. iiivir i.:Km»'ai-L ^sm vx amau 'w^ •& Vg'inraiai»
ii*r *!ini»'!:i*!i iÄTi-aiiiir *i*^^ i»*iii 3iut»* ^ü? n ir-j*äiaEti2Xisr Eimämmixic sc.
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7 b-- ZI.- ^-. xLi^-^Lt ;.:• >:..;■ :-> S / .. : -s o«. -v-r^Li^-itsL lansna des
95. Die Üareiahett d. Meastmirendezi bei den alten CaltuTTölkem u, ihren Nachfolgern, 360
Die Talmudisten bildeteo das mosaische Reinigungsgesetz dahin aas, dass
sie den Weibern nach der Menstmation verordneten, den Korper zu waschen und
danach noch ein Tauchbad zu nehraen. Dieses letztere kann entweder in Seen,
Flüssen oder Quellen, oder auch (was am gewohnlichsten geschieht) in einem Wasser-
1 ' " ' 's vorgenommen werden, welches mindestens eine Wassermenge von 40 Sea
t ; muss. Doch darf solches Wasser kein geschöpftes sein, sondern entweder
ein unmittelbar aus der Erde quellendes oder ein durch Regen angesammeltes Wasser.
Bei Wall beisst es nach Weissbrodt's Uebersetzung; „Während der Rei-
ignngszeit trug das jüdische Weib eine besondere Kleidung und nach Ablauf
zyv »I
'^
y^
D«T Zngmigvhof Aw Jadflnbado« in Ff iedberg in 4«r WetterA«, (KMs Photoffr«|ililtO
erselben musste es in Gegenwart zweier Weiber, die gewöhnlich von der Qe-
leinde eigens fUr dieses Amt bestellt und besoldet wurden, ein Qtiellwasserbad
^i^hmen, gleich vrültig ob es eben Sommer oder Winter war. Die Gereinigte
lioa^t^ dff'iTnHl iint»^Hauchen, so dass kein Haar trocken blieb. Auch die kleinste
einen Mikwa, d. b, ein Quellbad, welches so eingerichtet
r zur Winterszeit erwärmt werden konnte. Die Kosten dieses
ie» tnigen für unbemittelte Frauen die wohlhabenderen Gemeindeglieder Nach-
r>in das Weib dieses Bad genommen und danach ihre gewöhnliche Kleidung
^lOSA-BftcUU, Di« Weit). 6. Aull. L %A
Hole
xin. IM«
wieder uDgtUfii hstt«, erkaimte ei der Gtatle aIs geremigt «a.* Solch eb Ji ^^
b«i/l hiit iieb in Spayer aiu dem 14. Jahrhundert eriialtao. Za dem |;i CMtt
((uiwlretincb«!! Btatb nteigt mao rieb Stufen henib, auf deren halber flObe eiii
kleiof^r, en^i^f Kiiunt wahm^hfiiriUch zam AiKskleiden gedient bat, wäkreod fitr
die Wart4fnd«'n «licb eini; Kiitik nn der Treppeswand befindet.
Audi in der alten Stadt Friedberg in der Wetteraa befindel aieli s>lc
nbttd, descten K' ' ^ ^ fhach^* wohl Cnrecht in df o^
fjV i^'fi 13« JabrhurKl 14. Jahrhutii'i .¥ird es brrfttti
iirkimdliüh erwühnt, £a ist ein kühner Bau mit quadrsti scher Grundflädie to
20 Fufls Breite, welcher
Fuas tief in einen Berg
rücken hineinge^nkt ist.
Man beiritt das Bad tob
einem kleinen, engen Hofe
aus dorch eine niedrige«
scheinbare Thür (Fig,
Dann steigt man auf
Stufen zu dem Wasserspf
hinab ^ der die unleratm
Stufen Qber^pült. I>ielVe|ip«
ist an den Wänden m
ipart und immer nach 11
Stufen folgt ein kleines P<
diunt, von df^m es auf die
niit'hsten 11 Stufen an der
rechtwinldig anschliessenden
Wund übergeht- Jedes Po*^
iHuru ist von einem Rand*
bogen überdacht, der von
einer Halbsaule in der Wand
und von einer t mie
getragen vrird. 1j. ..^^aile
derselben sind mit Blatt
werk geschmückt (Fig. 2(J9
Der ganze Bau wird toj
ctitier tlachen Kuppel
deckt, deren Mitte
uüisstg groese« runde
nung besitsd* In dem
gangshof^ markirt sich
die:« r1 nur die mit-
telst 1 luit der
erwihnteo Oelbtmg«
tnSehle glaobeo* des» m
um emee Zielibrtmiien
delt Dteser Theil tel
1%. SllH nttiht sichiber. Die Oeflhmig der Kumiel ist es siniijr. durch wdlebei
tiefe Bau Luft nnd Licht etfailt Audi bei oisaem Bede hi- h gans
etsMi Anfinge *V'* ^— npe üie kletnei eJsdbeeartiir- ^*^' ...X;,-
graeser Wahmh^ t ab prinitiTer AoUsidera
Ueber ein^n /.unass oder Abfluea des Wi
Fried berf* ist njchts tu bemerka^BkAii^ ^^ ^ui^
I
i1
f1« tfLWv 1^1« lUiNtlnllccte Tr*f<t»tifcttlif» 4m .
swpecalur soll nai
*0 »or^nph fhd
}kßtw^ iU%
95, Die Unreinheit d, Menstrnirenden bei den alten Cnlturvölkern u. ihren Nachfol^rn. 371
lieh Vorsorge getroffen, daas das Baden an diesem der Gesundheit so nachtheiligen
Platze nicht mehr stattfindetw'* Auch heute noch ist dieses Verbot in Kraft.
Aber nicht an allen Orten hatten die jüdischen Gemeinden so stattliche Bauten.
Bis noch vor wenigen Decennien befanden sich diese Frauenbüder sowohl
im Auslande als auch bei uns in sehr vielen Gemeinden in einem höchst gesund-
heitswidrigen Zustande. In grösseren Städten waren sie in den Kellern der
Synagoge, in kleineren Orten in Privatkellem, sehr schmutzig, in einem feuchten
Loche gelegen, und ^ie wurden von vielen Frauen benutzt, so dass sich allmählich
^em ekelhafter Schlamm am Boden des Wassers ansammelte. M€tztjef\ FriedHch^
Trtisefiy Wunderbar besprachen die sanitatspolizeiliche Seite dieses Gegenstandes.
(Picard,)
Die Vorstellung, dass jede menstruirende Frau unrein ist, findet sich schon
bei den Iranern im grauen Alterthume. Die alten Meder, Baktrer und
■Perser hatten in dieser Beziehung sehr strenge religiöse Vorschriften. Sobald
^ein Mädchen oder eine Frau die eintretende Menstruation bemerkte, musste sie
eich an einen einsamen, von aller menschlichen Gesellschaft entfernten Ort be-
geben, wie es auch bis auf diesen Tag Sitte ist unter den Ürbe wohnern des
Hochgebirges zwischen Tibet und Indien. Im Zendavesta heisst es, das
iMiidchen werde unrein durch ihre Zeiten, durch „Merkmale und Blut"*. Die
jWeiber wurden dann als unrein betrachtet und mussfcen einen eigenen Platz ein-
aehmen, welcher völlig abgeschlossen war. Für die Anlage dieses Platzes bestanden
Hat besondere Vorschriften. Er soll mit trockenem Staube beschüttet und von
azen und Kräutern gereinigt werden; er soll höher liegen als das Haus,
äarait das Auge des Weibes nicht auf das Herdfeuer falle und es verunreinige,
'Fünfzehn Schritte muss der Ort entfernt sein von den heiligen Elementen Wasser
und Feuer, sowie von den zum Opfer gebrauchten Geräthen, Die Männer und
alle frommen Menschen durften sich nur auf drei Schritte nähern. Noch jetzt
bestebt in jedem Perserhause eine solche AufenthaltMätte für unreine Frauen.
Als normale Zeitdauer der Menses gelten drei Tage, als ausserste Grenze der
neunte Tag; die Isolirung wäiirt imter gewöhnlichen Verhältnissen vier Tage.
Avesta verbietet ausdrücklich den Männern den ehelichen Verkehr mit
rsnenstniireuden Weibern. Erst nach entsprechenden Waschungen durfte die Frau
livieder mit anderen Menschen zusammenkommen. (Geiger,) Pflegt sie während
Jieser Zeit Umgang mit einem Manne, so bekommt sie 20 Riemenstreiche; begeht
|ßie dieses Verbrechen zum zweiten Male, so erhält sie 20 Streiche mehr. Der
lann, welcher an diesem Orte mit ihr sich eingelasaen, begeht nach Zoroastcr ein
I Verbrechen, für welches es keine Aussöhnung giebt: er muss dafür bis zur Auf-
Jemtehung der Todten in der Hölle büssen. Hatte ein Mann mit seiner eigenen
"^rau den Coitus voUzogen, so wurde er „Tanafur*, bekam 200 Riemenat reiche
>der musste statt derselben 200 Derecus zahlen. (Altj
Die Vorschriften für die Behandlung menstruirender Weiber sind bei
oraasier und Moses ähnlich. Das Weib wird an einen abgesonderten Ort ge-
bracht und Alias, was sie berührt, ist unrein. Hier hat sie 4 Nächte zu verweilen;
ch soll sie sich untersuchen. Findet sie dann, dass die Menstruation noch
llt ihr Ende erreicht hat, so wird ihr gezwungener Aufenthalt hier nochmab
Bin 5 Nachte verlängert. Dann aber zahlt sie noch 9 Tage hinzu, die sie auch
auch an diesem Orte verbringen muss. Nun lasst sie sich nach V^orschrift reinigen
md darf dann ihre Einsiedelei verlassen und sich in die menschliche Geselkcfaaft
iteben. Die Zahl 9 ist bei Moses auf 7 herabgesetzt.
Bekanntlich halten die Pars i in Indien noch heute an den Vorschriften
oaster's fest. Auch bei ihnen muss sich die menstruirende Frau, weil sie
ist, an einen abgesonderten Ort des Hauses begeben: man nennt denselben
btaa-satan, und legt ihn so an, dass die Sonnenstrahlen keinen Zutritt haben.
^Wn^-'^^- "'• ^ t: .. .„ ^^^ Alles, was zum Leben gehört^ ihm fern bleibt. Ehe-
24*
{\^2 XIII. Die Menstruation im Volksglauben.
iniils Holl es öffentliche Daschtan-satans gegeben haben; doch im Laufe der Zeit
veriuinderte sich auch bei den Persern diese Sitte. Wahrend die armen Men-
struirenden in ihren Gefangnissen sitzen, dürfen sie mit Niemandem sprecheo.
Niemand darf ihnen nahe kommen; das Essen wird ihnen von Weitem zugeechoben.
Kr.st zwei Tage nach Ablauf der monatlichen Reinigung ist dem Manne der Ver-
kehr mit dem Weibe wieder gestattet. (Du Perron.)
Unter den Mohammedanern gelten ähnliche religidse Bräuche in Bezug
auf die MeiiHtruation. Im Koran (Wahl) heisst es: «Trennt Euch von den Weibern
zur Zeit der monatlichen Reinigung und nähert Euch ihnen nicht, als bis sie rein
sind.'' So betrachten denn alle mohammedanischen Volker die Frau wahrend der
Menstruation ftlr unrein; das gilt für Arabien, für Aegypten und für viele
Völker in Ost- und West- Afrika. Ebenso wird die Mohammedanerin in Persien,
während sie menstniirt, für unrein gehalten, aber abgesondert wird sie nickt, wie
ll(in(::sclic an Ploss berichtete. Hier sowohl, wie in der Türkei müssen sich die
Krauen während der Menstruation sogar dreimal täglich baden, und sich, da sie
unrein sind, aller religiösen Pflichten enthalten.
Ks mögen hier gleich einige Bemerkungen über die Japanerinnen und
die Chinesinnen angeschlossen werden, lieber die Ersteren bat Wemich eine
Reihe von interossunten Thatsachen gesammelt.
In einzelnen Provinzen des Inneren von Japan, speciell in Hida, ist den
Krauen während dieser Zeit der Tempelbesuch und das Beten zu den Göttern und
^uten (leistern aut das Strengste untersagt: in anderen müssen sie sogar die ganze
Zeit in abgesonderten Oemäcliern zubringen und dürfen nicht mit ihren Familien
/usamnien essen.
Die in Japan gebräuchlichen Ausdrücke für die Menstruation liefern nach
Wnnivh auch den Beweis, dass die Japanerin das hierbei ausfliessende Blut als
eine höchst unreine, violleicht sogar als die allerunreinste Aussonderung ihres
Körpers betraelitet: aber nirgends tritt uns der BegriÖ* entgegen, dass diese Aus-
sonderung ttlr den weiblichen Körper eine reinigende Eigenschaft besitze. In den
melir zugänglichen Theilen Japans triiit man tür die menstruirenden Weiber nur
sehr ullgemeiiu' Verbote. Sie sollen sich anstrengender Arbeit enthalten, sie sollen
nicht baden und den i'oitus meiden und sieh vor Erkältung schützen, welche sie
sehr oharakteristiseli Shimokase. d. h. .Wind von unten' nennen. Das Theater
ilürton sie besuchen, jedoeh scheint dieses nicht streng eingehalten zu werden.
Pie Japanerinnen befleissigen sich grosser Reinlichkeit, woftir sie Blatt«
dien feinen Papieres benutzen, Sie kneten aus einem der stets (zu verschiedenen
/wecken ■ ui grösserem Vorrath mit geführten Papierblätter eine etwa knackmandel-
bis wallnussgrv^sse Kugel und stopfen sich diese je nadi Beilurfniss in die Vagina.
Kine Frau, die während der Periode i. B. das Theater besucht, nimmt diese
Procedur aut' dem Abtritt mehrere Male vor. Sie weiss ziemlich genau« wenn
die eingetuhrte Kugel von Blut durchtränkt ist, und knetet dann eine neue. Auch
bei starkem Fluor albus hat W^pnich solche Fapierkugeln in der Vagina ge-
bunden. Aus der Zahl neun, die während eines Meustrualtages verbraucht wird,
tur gewöhnlich sind es l> bis l'J Stück, machen die Frauer. ei::en Schluäs auf den
iTuten Ablauf der Periode und aut die l\eicl;lichkeit derselben. Diese letztere und
eine kurze Dauer gilt vornehmlich tür eir. Zeicl.en guter Gesundheit; weit weniger
Gewicht wird aut die Farbe, aul' die Consister./ ur.d aut erwaige Beimenffungen
srclegt. Um die Papierkugeln in der richtigen Li^e zw er'::Alteu. legen die Fraaen
austatt des gewohnlich um die Hütte geschlur.ger.ei; Tuches eine wokleoMftniirte
T-Bir.de an, welche Kama, d h. Pierdcher. ge::;i::::t wrd. Bemerf' * *NaB daf
Authöreu des Blutäusses. s^^ rammt sie e::i Kad, jiel:: andere 1U# t kgt
die T-Binde wieder ab. Mit dieser Ke*^»»!" s^^wie ir.:: der Auff mm
Vorganges werden die jungen Mädc^ ^ bekannt, da ^^
dar etwas alteren Madchen und dei Frauen zuiuk
96. Die Unreinheit der Menstruirenden bei den Naturvölkern. 373
Ganz ähnlich ist das Verfahren in China. Die Frauen tragen dort während
ihrer Menses ein als Enveloppe zusammengefaltetes Papier vor den Geschlechts-
theilen zwischen den Schenkeln und fangen in dieser Papierdüte das Menstrualblut
auf; dabei befestigen sie an einem Gürtel ein Tuch, das zwischen den Schenkeln
hindurchgezogen wird und durch welches die Papierdüte an ihrem Platze gehalten
wird. So kommt also auch eine Art von T-Binde zu Stande. Unsere europäi-
schen Damen sind gewöhnt, während ihrer Menses ein Tuch zwischen den
Schenkeln zu tragen, allein in China verweigern nach KaiUer die eingeborenen
Dienerinnen ein solches mit Menstrualblut verunreingtes Tuch zu waschen ; daher
sehen sich die europäischen Frauen in China genöthigt, ebenfalls jene Papier-
düte bei der Menstruation zu tragen. Eine mir befreundete Dame, welche lange
Jahre in Shanghai lebte, theilte mir dagegen mit, dass sie bei ihren Dienstboten
niemals -auf Schwierigkeiten gestossen sei, wenn derartige Wäsche gewaschen
werden musste.
96. Die Unreinheit der Menstruirenden bei den Naturvölkern.
Wie die alten Inder, so pflegen noch heute mehrere Völker Ostindiens
die Menstruirenden streng abzusondern; dies gilt nicht nur bei den noch immer
den Geboten Zoroaster^s folgenden Völkern, sondern auch von anderen Stämmen.
So berichtete Wolp über die Hindu:
,In Ostindien ist es Sitte, dass jedes Mädchen ihren periodischen Blutabgang durch
ein mit ihrem Blute gefärbtes Läppchen Leinwand, das am Halse befestigt wird, bekannt macht.'
Das Gleiche schreibt auch Engelmann^. Gentü sagt:
,So lange die Frauen in Ostindien ihre Reinigung haben, erlaubt man ihnen kaum
einen Platz im Hause; sie halten sich gemeiniglich in einer besonderen, vor dem Hause an-
gebauten Gallerie auf, wohin man ihnen auch das Essen bringt.**
Bei den Nayers in Malabar ist die Menstruirende während der ersten drei
Tage unrein: sie muss in einem besonderen Räume des Hauses weilen und darf
kein Koch- oder Speisegeräth berühren. Am 4. Tage badet sie und ist dann bis
zum 7. Tage einschliesslich halbrein; sie darf dann das Zimmer verlassen, aber
noch nicht den Tempel betreten. Die Nayer-Frau sagt in solchen Fällen viitii-
durum (fern vom Hause). Verlangt man dann* einen Trunk Wasser von ihr, so
antwortet sie: ich bin nicht zu Hause. Bei Erbauung eines Nay er- Hauses wird
ein besonderer Raum für menstruirende Frauen und Wöchnerinnen bestimmt. In
Travancore ist für Ranis (Prinzessinnen) in solchen Umständen ein eigener
Palast vorhanden. (Jagor^.)
Die Hindus haben für die verschiedenen Tage der Menstruation eine ganz
besondere Stufenleiter der Unreinheit; das geht, wie Dubois berichtet, aus den
Schriften Nittia carma und Padmapurana hervor:
.Sobald eine Frau ihre Regel bekommt, so wird sie in ein abgesondertes Local gebracht
and es darf drei Tage lang Niemand mit ihr verkehren. Am ersten Tage betrachtet sie sich
als eine Paria (der Autor nimmt an, die Frau sei von höherer Kaste). Am zweiten Tage
h< sie sich in gleicher Weise für unrein, als ob sie einen Brahma getödtot hätte. Am
dritten Tage befindet sie sich in einem Zustande, der die Mitte zwischen beiden vorausge-
gangenen Tagen hat. Am vierten Tage reinigt sie sich durch Abwaschungen und alle die
für diese Gelegenheit vorgeschriebenen Ceremonien. Bevor dies geschehen ist, darf sie weder
baden, noch irgend einen Theil des Körpers waschen, noch auch weinen. Sie muss sich hüten,
laMkteo oder irgend ein lebendes Wesen zu tödten. Es ist ihr verboten, ein Pferd oder einen
oder Elephanten zu besteigen, sich im Palankin tragen zu lassen oder im Wagen zu
ihren Kopf mit Oel zu salben, ein Spiel zu spielen, Wohlgerüche, wie Moschus u. s. w.,
m bringen, auf einem Bett zu liegen, am Tage zu schlafen, die Zähne zu reiben und
^^ Ifamd anniiBpülen. Schon der Wunsch, mit ihrem Ehemanne zu cohabitiren, ist eine
8llnd0» Sie darf nicht denken an Gott, noch an die Sonne, an die Opfer and Gebete,
^tm ne verpflichtet ist. Sie soll Personen höheren Ranges nicht begrfissen. Wenn
m Wmaaikf die ihre Begel haben, zugleich in einem Gemach befinden, so dürfen sie
374
XIII. Die Menstraation im Volksglauben.
kein Wort mit einander wechseln, noch sich unter einander berühren. Eine Fnui in diesem
Zustande kann sich nicht einmal ihren Eindem n&hem, es ist ihr versagt, sie amgfasson oder
mit ihnen zu spielen. Hat die Frau demgemäss drei Tage zugebracht, so yerlftsst sie am
vierten das Gemach, in dem sie abgeschlossen war, und man übergiebt sie den Wftscherinnea
zur Reinigung; sie zieht ein reines Hemd an, und darfiber noch ein zweites, und so führt
man sie zum Flusse, um ein Bad zu nehmen. **
Die im Norden Indiens wohnenden Stamme von ürein-
wohnern befolgen zum Theil gleichfalls den Brauch der Frauen-
Absonderung. Bei den Gauri, einem sanskritsprechenden, nicht
dem Zoroaster anhängenden Volke in Bengalen, existirt nach
Tavemier folgende eigenthümliche Sitte.
„Es begiebt sich jedes Mädchen und jede Frau, sobald sie ihre Zeit
bemerkt, schleunigst aus ihrer Wohnung und geht nach einer kleinen
auf dem Felde besonders stehenden Hütte, so von Baomftsten als ein
Korb geflochten ist und vor welcher vorwärts ein langes leinenes Tach
herabhängt, welches als Thür dient. So lange, als ihre Menstruation
währt, wird ihr alle Tage zu essen gegeben. Wenn die Zeit verflossen
ist, schickt sie je nach Umständen dem Priester eine Ziege, ein junges
Huhn oder Taube zum Opfer. Nachher geht sie in das Bad und ladet
ihre Verwandten zu einem Mahle ein."
Fi 210 (Abgerolltes) ^^^ ^®° K afir-Stämmen im Hinduh-Kush müssen sich
Zauber '- Muster eines ebenfalls die Frauen bei jeder Menstruation in ein besonderes,
chit-nort(BambMgefä8- yQ^ Dorfe entfernt stehendes Gebäude zurückziehen, weil sie
das In M^au^ca, für dieselben für unrein halten. Auch hier müssen sich die Weiber
die Abwaschungen nach zum Schlusse einem religiösen Reinigungsverfehren Unterwerfen.
2»ucW.Tas'Vl^-S: Dagegen findet bei den B adagas im Nilgiri-Gebirge die
Stevens, Barteis'.) Absondcrung der Mädchen nur für das erste Mal des Men-
struations-Eintritts statt. {Jagor)
Von Vaughan Stevens^ {Bartels^ ^ dem wir eingehende Forschungen über
die Orang Hü tan, die wilden Stämme in dem Inneren von Malacca verdanken,
erfahren wir, dass früher die Mädchen und Frauen der Djaküns, wenn sie ihre
Katamenien hatten, das Lagerfeuer nicht anzünden durften. Bei den Orang Laut
ist es ihnen verboten, aus dem gleichen Gefasse, wie die Männer, ihr Trinkwasser
zu entnehmen, und bei allen Stämmen dürfen sie keine Speisen berühren, welche
ein Mann später essen soll; es wird aber für genügend gehalten, dass Warzeln,
die sie für die Männer gegraben haben, von diesen, bevor sie sie essen, abgeschält
werden. Die Belendas-Frauen bleiben in dieser Zeit im Hause und manche
schliessen sogar die Thür, aber der Ehemaon hat freien Zutritt.
Ihre durch das Menstrualblut besudelten Korpertheile müssen die Weiber
mit Wasser abwaschen, das in bestimmte grosse Bambusröhren, Chit-nort genannt,
eingefüllt ist. Diese Chit-nort sind mit Zaubermustern bemalt (Fig. 210), welche
in dem Leben der Orang Hütan überhaupt eine grosse Rolle spielen, denn sie dienen
dazu, allerlei böse Geister und Gespenster, sogenannte Hantu, von den Menschen
fern zu halten. Die Zaubermuster im Allgemeinen darf nur der Medicin-Mann
aufmalen, wenn sie die entsprechende Kraft haben sollen. Mit den Mustern auf
den Bambusgefassen, welche bei der Menstruation gebraucht werden, ist das aber
etwas anderes. Hiermit wollen die Medicin-Männer nichts zu thun haben, und
es ist Sache der Hebamme, die betreffenden Muster aufzumalen. Sie bedient sich
hierzu hölzerner Instrumente, welche die Form kleiner Stichsägen haben, und die
sie auch zur Durchtrennung der Nabelschnur bei den Neugeborenen benutzt. Ich
werde von ihnen eine Abbildung im zweiten Bande dieses Werkes geben.
Die Muster sind verschieden bei den Mädchen und bei den verheiratheten Frauen.
Das Ornament stellt eine Blume dar, welche an den alten Wohnplätzen dieser
Stamme diesem Wasch wasser zugemischt wurde; in ihrem jetzigen Lande wachst
sie nicht und so muss sie nun in efligie wirken. Sie dient dazu, um »das Blut
%. Die ÜDreinbeit der MeiL^niirenden bei den Natiirv51kern.
375
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3
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zu zerstören*. Geschieht das nicht, so entstehen die Hantu Därah {Blut-
Hantu) daraus, welche sofort in deo Leib des Weibes kriechen, um ihreD Blut-
fluss zu Ternichten. Dann ist die Frau ferner nicht mehr im Stande, gesunde
Kinder zur Welt zu bringen.
Die Männer wollten Steveiis über den Hantu Därah
keine Auskunft geben. Sie behaupteten, nichts von ihm
zu wissen^ und wiesen ihn an die Hebamme.
Die erwähnten Chit-nort werden auch vor
den Männern verborgen gehalten und kein
Belen das -Mann wird sie berühren. Die
Weiber der Orang Laut sagten dem
Reisenden, ihre Männer hätten den Glau-
ben, dass wenn sie ein menstruirendes
Weib berührten, so würden sie in ihrer
Mannbarkeit geschwächt.
Auch die Mädchen der Orang Be*
lendas müssen ein solches mit Zauber-
Mustern bemaltes Chit-nort flir ihre Ab-
waschungen nach der Menstruation be- ;^
nutzen* Dieses Chit-nort wird mit dem
Namen Karpet bezeichnet. Bei den Unter- ^^ ^12 cAbgoroU-
atämmen der Orang Belendas, den te«) ZAober Mtister
^ J Orang Sinnoi und den Orang Kenä- ^^"Ü^SSfl ^^""'
(Ahg,.f«Ut^) z»ttb«T- boi, sind die Muster derselben etwas anders, ormg Kfeiiboi
•inw KariHjt (B»mbii»* Fig, 211 zeigt uus das Zaubermnater des ia MaIäcc*, rar
^,Lr..",;.rfi/X:! karpet der Orang Sinnoi während Fig. tb^lT^SlÄ:
ft««n UÄch der MettBtnm- 212 dasjenige der Orang KOnaboi vor- tion von Unv«rbd-
Ymi ruv«rh«i,-jitheu-t. ^,- fQ^rt. Es erscheint mir besonders beachtens- "»>»•*«?* ^*^^*-
BnrMiK) wertb» dass bei diesen Volksstammen also ^^m, ^-r/r/*?.)
die Unverheiratheten auf ihren Bambus-
in denen sie das Wasser haben, mit dem sie sich nach der Menstruation
'müssen, andere Zauberomamente fiihren, als die verheiratheten Weiber
aaf den ihrigen.
In dem nördlichen China und speciell in Peking haben die Frauen und
liidchen den Gebrauch, sieht wenn sie ihre Menstruation bekommen, einen Ring
it den Finger zu stecken, um hierdurch ihren Zustand kenntlich zu machen.
)ieser Ring führt den Namen chieh chih, d. h. Warnungsring.*)
Die menstruirenden Mäilchen und Frauen müssen bei den Cbewsuren (im
laukasus) in entlegenen Hütten als „unrein* abgesondert leben; solche aus
^chieferpbtten hergestellte Häuschen sieht man stets in der Nähe der Chew-
»rendörfer. Während dieser Zeit mtSssen die Weiber alte Kleider anziehen.
It schönes Wetter, so sitzen sie auf dem Dache, und im Sommer leisten sie in
ßr Vertilgung von allerlei wilden Kräutern das Unglaubliche. Abends aber
en diese , unreinen" Wesen doch die Kühe besorgen, und dann begeben sie
zur Nacht wieder an den abgesonderten Ort. Der Process der Menses ver*
in normalerweise, langer als zwei Tage sitzt selten ein Chewsuren-Weib
Ich verdaoko dieee, sowie auch einige spüter Docb antufObrende Angaben (iber Ge-
der Chinesinnen von Peking während der SchwangerBchaffc, der Niederkunft
i. w. der freundlichen Mittheilung des DirektonalaeaMtenten am KgL Muaeum fQr Völker*
ind« in Berlin» Herrn Profeator Dr, Wil^ifilm Oruhe. Deraelbo bat dieae That«Achßn
in jangsUt Zeit in Peking selber festgestellt, wobei ihm ein chinesiacher Arzt behQlflich
int Sie werden gemeinsam mit seinen anderen Reiaeergebnissen in den ,Veröffent-
on des Kgl. Museuroe för Völkerkunde zu Berlin* erscheinen. Ich habe jedoch di«
ilicit* Erlaabnia« erbalten, ftchon hier davon Mittheilung machen tn dürfen.
diiüiBiitt
iibi^
376 ^^^' ^^® Menstruation im Yolksglanben.
in der „Samrewlo-HQtte^. (Badde.) Bevor die Frau wieder ins Dorf kommtf
muss sie sich am ganzen Körper waschen.
Unter den Samojeden gilt das Weib überhaupt als unreines Wesen, zar
Zeit der monatlichen Reinigung wird sie aber am meisten verachtet; da muas sie
gar oft über das Feuer schreiten und mit den Dämpfen von Rennthierbaaren oder
Bibergeil sich räuchern; da darf sie keine Speise ftlr Männer bereiten und ihnen
gar nichts darreichen. (Paüas.)
Auf den aleutischen Inseln dauert die Absperrung für Frauen und
Mädchen während der Menstruation jedesmal 7 Tage; sie ist dort durch das Ein-
dringen des Christenthums ziemlich abgeschafft. Bei den Ttynai sah GapitSn
Sagoskin im Jahre 1842 die menstruirenden Mädchen mit schwarz bemalten Ge-
sichtern unter einer ledernen Zeltdecke abgesperrt. Die Eoljuschen auf Sitcha
sperren nach Erman die Mädchen und die Frauen in dieser Zeit drei Tage lang ab.
Die Ansicht von der Unreinheit der Menstruirenden hat Schoniburgk auch
in Siam vorgefunden.
Auf mehreren Inseln des alfurischen Archipels wird das Mensfaraationsblut
als sehr unrein betrachtet. Die Mädchen und Frauen stecken sich in dieser Zeit
Tampons aus weich geklopftem Baumbast in die Scheide, und sie werden während
der Regel von den Männern nicht geschlechtlich berührt; auf den Seranglao-
Inseln werden sie sogar von den Männern sorgfaltig gemieden. Sie dürfen kein
Feld und keinen Garten besuchen, kein Oam färben und beim Fischen nicht
gegenwärtig sein. Auf den Aaru- Inseln dürfen sie nichts pflanzen, kochen oder zu-
bereiten, auch nicht baden oder sich waschen. Von ihren Männern sondern sie sich ab.
Auf der Insel Serang schicken die Bergbewohner, die sogenannten Hali-
furu, ihre Frauen während dieser Zeit in den Wald. Dagegen berichtet C^pitän
Schuhe von derselben Insel:
,In Geram befindet sieb in jedem Dorfe ein apartes Menstmationshaas, worin alle
Frauen die ganze Zeit der Reinigung zubringen und mit den Männern und selbst mit den
grösseren Kindern in keine Berührung kommen.
Die Völker der Südsee glauben ebenfalls an das Unreinsein der Mensbniren-
den. Auf den Marianen-, Carolinen-, Marshall- und Gilbert-Inseln gelten
nach Merten's Bericht Meustruirende für unrein. Wilson^ Nichclas und Andere
bestätigen, dass auch auf fast allen Inseln Polynesiens die Weiber während
ihrer Periode unrein und von den Männern abgesondert sind.
Auf der Carolinen-Insel Yap {sLni v. MiMucho-Maclay^^ dass die Weiber
während des Monatsflusses in einer Hütte, die entfernt vom Dorfe errichtet ist,
sich aufhalten müssen. Sie gelten in dieser Zeit für unrein und dürfen sich im
Dorfe nicht sehen lassen.
Auf Tahiti reibt man die Frauen während der Periode mit Kurkuma ein,
das dort, wie Mariner berichtet, als Präservativ betrachtet wird.
In Neuholland gelten bei den Eingeborenen die Weiber während der
Periode 7 Tage lang iiir unrein und so lange enthalten sich ihrer die M&nner;
sie wohnen dann in einer abgesonderten Hütte für sich allein. (Schürmann.)
Auch auf Neu-Cajedonien sind solche Hütten, und die Weiber werden in
dieser Zeit als tabu, d. h. als unberührbar, betrachtet, {de Rochas.)
Bei den amerikanischen Völkern haben sich fiir die Absperrung der zum
ersten Male Menstruirenden viele Beispiele beibringen lassen. Auch bei der
Wiederkehr der Regel ist solche Absperrung gar nicht selten.
Manche Stämme Süd- Amerikas, sagt La Potherie^ sondern die Menstmi-
rende ängstlich ab; es werden ihr besondere Cabanen angewiesen und sie dürfen
sich nicht erlauben, irgend etwas anzurühren, was noch gebraucht werden könnte.
Die Quayquiries am Orinoco glauben, dass die Menstruation f&r andere
eine vergiftende Wirkung besitze, und die menstruirenden Weiber fasten deshalb
4 Tage lang, damit sie kein Gift mehr enthalten, sondern dies vollständig ein-
378 ^m* ^i® Menstruation im Volksglauben.
(Carver,) Auch die Weiber der Crih-Indianer dürfen sich wahrend der monat-
lichen Reinigung nicht mit den Männern geschlechtlich vermischen. {Richardsan.)
Der Maler ^ane, welcher die Ojibeways am Huron-See besuchte, schreibt:
„Zu gewissen bestimmten Zeiten ist den Frauen nicht der geringste Verkehr mit dam
übrigen Stamme gestattet, sondern sie müssen eine Hütte nicht weit Tom Lager baaen, in
der sie bis zu ihrer Genesung völlig abgeschieden leben/
unter den Omahas und Ponkas macht die Frau, wenn sie menstruirt,
auf vier Tage ein abgesondertes Feuer in einem kleinen Räume und wohnt ge-
trennt vom übrigen Haushalte. Sie kocht und isst allein und sagt Niemandem
etwas von ihrem Unwohlsein, nicht einmal ihrem Ehegatten« Am vierten oder
fünften Tage badet sie sich und wäscht ihr Geschirr u. s. w. Dann darf sie in
ihren Haushalt zurückkehren. Eine andere, ebenfalls menstruirende Frau darf mit
ihr zusammenwohnen. Während der Regel wollen die Männer mit ihren Frauen
weder zusammen liegen, noch essen, und sie wollen nicht dieselbe Schüssel, den-
selben Napf oder Löffel benutzen. Seit über 10 Jahren, wo die Leute mehr mit
den Weissen in Berührung kommen, ist diese letztere Sitte, nicht von derselben
Schüssel zu essen, aber bereits abgekommen.
Eine nordamerikanische Indianerin, wahrscheinlich vom Stamme der
Dacota, abgesondert in einem besonderen Menstruations-Zelte sitzend, ist in dem
grossen Werke von Schoolcraft abgebildet worden. Fig. 213 führt uns diese Ab-
bildung vor.
Auch bei den Stämmen des amerikanischen Nordens begegnen wir der
Auffassung von der Unreinheit der menstruirenden Frau.
Bei den Eingeborenen im Westen der Hudsonsbay, den Athapasken,
den Hundsrippen- und Kupfer-Indianern, dürfen die Weiber während dieser
Zeit nicht in einem Zelte mit ihren Männern bleiben, sondern sie kriechen in
kleine, elende Hütten, welche in einiger Entfernung vom Lager der Horde er-
richtet sind. Die Weiber benutzen zuweilen diesen Gebrauch, um sich auf einige
Zeit der üblen Laune ihres Eheherrn zu entziehen.
Bei den Eskimos der Nordwestküste Amerikas gelten nach Jacobsen in
diesem Zustande ebenfalls die Mädchen und Frauen für imrein; sie dürfen nicht
mit den übrigen Hausbewohnern gemeinsam dieselben Speise- und Trinkgefasse
benutzen und sie bedienen sich während dieser Tage besonderer Geschirre.
Hamilton berichtet Aehnliches von den Indianern am Stuarts-Lake und
Fraser-River in Britisch Golumbien.
Auch die Nootka- Weiber müssen, wie Boas berichtet, in diesem Zeitraum
abgesondert essen und ihre besonderen Geschirre benutzen. Und von den Shush-
wap -Indianern erzählt er:
«Den Frauen ist es während der Menstruation verboten, frisches Fleisch cu essen, son-
dern sie müssen hauptsächlich von Wurzeln leben. Sie dürfen nicht für ihre Familie kochen,
weil man glaubt, dass das JB^ssen dadurch vergiftet würde. W&hrend dieser Zeit man sich
der Ehemann abgesondert von seinem Weibe halten, weil ihn sonst, wenn er jagen geht, die
Bären anfallen würden.*
Der Brauch, die Menstruirende als eine „ Unreine*' abzusondern, geht auch
durch ganz Afrika. Auf der Westküste verbieten die Ibu-Neger in Old-
Galabar der Frau, das Haus zu verlassen; dieselbe muss auf einer Art Nacht-
stuhl mit untergestelltem Gefasse sitzen. (Hewan,) Bei den Negern an der
Guinea-Küste, sowie an der Zahn- und Elfenbein-Küste (in Issini) hat
ji'des Dorf eine abgesonderte, an hundert Schritte von der Wohnung entfernte
Hütte, ^^Bumamon" genannt, in welche sich alle Weiber und Mädchen begeben
und sich des Umgangs mit anderen Menschen enthalten müssen, bis die Zeit der
Reinigung verflossen ist; während dieser Zeit wird ihnen der Lebensunterhalt
dorthingebracht. (Loyer) Beiden Gongo-Negern müssen Menstruirende volle
sechs Tage in Abgeschlossenheit leben und dürfen vor Niemandem sich blicken
96. Die Unreinheit der Menstruirenden bei den Naturvölkern.
379
lassen; geschieht hierin ein Versehen, so fangen die sechs Tage von netiem an.
Nach dem Ablauf dieser Frist nmss die Frau mit rother Erde und alsdann durch
ein Bad sich reinigen. {Degrandpre.)
Aehnlich ist es unter den weiter im Inneren wohoenden Kalunda-Negern
in der südlichen Hälfte des Co ngo- Beckens; die Frau des gemeinen Negers
wohnt alsdann hier allein in einer besonderen Hütte und darf nicht für Andere
Wasser holen oder Speisen bereiten; die vornehmen Weiber verhissen mit ihrer
nächsten Sclaven-Umgebung ihre gewöhnlichen Wohnungen, um in entfernten,
einsam gelegenen Wohnungen die Zeit ihrer Reinigung abzuwarten. (Fogge,)
Unter den Negern der Loango-KQste (Bafiote) bleibt das menstruirende
Weib den Hütten fern, in welchen Männer hausen; die Frau gilt also während
dieser Zeit für unrein, (PechKel-Loesche^) Hier wird ein Stoff TakuUa genannt,
welchen ein im Majombe^Gebiet wachsender Baum liefert, zu F*ul¥er verarbeitet
und dazu von den Weibern benutzt, sich znr Zeit der Periode roth zu bemalen.
Während der Menstruation wird die Reinlichkeit, welche die Bafiote-Neger an
der Loango -Küste überhaupt auszeichnet, keineswegs vernachlässigt 5 man wäscht
und badet sich ohne Rücksicht zu nehmen auf den jeweiligen Zustand, welcher
Überhaupt die Betreuenden wenig zu alteriren scheint (Pvchuel-Loescke,) Audi
bei den Äschanti in West» Afrika sondern sich die menstruirenden Weiber von
anderen ab. (Botüditeh,)
Die Wol off- Neger innen tragen nach de Rochebrune während der Men-
struation stets über dem Buhu als Abzeichen ein Schnupftuch oder einen Foulard
in schreienden Farben, dreieckig zusammengelegt und leicht über dem Vordertheil
der Brust zusammetigeknüpft. Dies ist das Merkmal ihres physiologischen Zustandes.
_^ Ueber die Volksstämme Süd- Afrikas Hegen analoge Berichte vor.
Bt Von den Hottentottinnen wird auch von mehreren Seiten bestätigt, dass
sie sich während ihrer Menses in eine abgesonderte Hütte zurückziehen und dass
sich bei einigen Stämmen die Weiber obendrein ihr Gesicht mit einem brillen-
förmigen Zeichen zu bemalen pflegen. {Novara.) Die Kaft er- Frauen halten sich
in dieser Zeit von ihren Männern streng getrennt, {Älherii.) Von beiden Volks-
stämmen und von den Gonaquas berichtet Le VmUmid folgendes:
,Wenn bei diesen Völkern eine Frau oder ßin MädcheQ die Vorboten der Menstruation
spürt, 80 verliisst aie aogleicli die Hütte ihres Mannes oder ihrer Eltern und bleibt in einer
g«wiaaen Entfernung von dem Woknplatze der Horde^ mit welcher sie alsdann keine weitere
Gameinschaft hat Gewöhnlich errichtet sie für sich eine Hülte^ in welcher i^ie sich so lange
verschlossen bält^ bis die Menstruation vorüber und sie durch Bilder gereinigt ist*
Er t\igi dann noch hinzu:
,Da zu solcher Zeit die Kleidung dieser wilden Frau ihren Zustand nur sehr unvoll*
kommen verbergen kann, so würde ein solches Weib dem Spotte der übrigen ausgesetzt sein,
wenn man äusserlich die geringste Spur ihrer Krankheit entdeckte; ein dergleichen verspottetes
Weib würde alsdann die Zuneigung ihres Mannes oder Liebhahers sogleich verlieren* Man
sieht also, dass diese natürliche Schanihnftigkeit lediglich in dem Bewusstsein ihrer LTnvoU-
kommenhcit und der Furcht äu misa fallen gegründet ist."
Bei den Makalolo nnd anderen Stämmen des Marutse - Mambnnda-
Eeiches am Zambesi in Afrika wird die verheirathete Fran während der Zeit
ihrer Menstruation für unrein gehalten und muss durch 7 Tage ihren Mann
meiden; gewöhnlich muss sie sich in einer Nebenhiitte installiren, und dazu dienen
namentlich die backofenformigen Häuser in der Hof um friedigung der königlichen
Weiber. (IIolHk)
Derartige afrikanische Sitten sehen wir auch hei den freien Busch -
Degern in Surinam. Dort müssen die Weiber während der Dauer ihrer monat-
lichen Reinigung in einem besonders dazu eingerichteten Hause verweilen. Auf
dem Wege in dieses Quarantäne -Haus muss die Frau sich sorgtaltig hüten, dass
sie keiner ihr etwa begegnenden Mannsperson den Kücken zukehrt, noch weniger
darf sie Jemand hinter sich geheo lassen^ sondern sie muss, sobald man ihr oiiher
330 ^^^ I^ Menitniativii im V<rikpglABlMB.
kommt. 30 lange stehen bleiben, bis die ihr Begegnenden Toifiber sind. Ereignet
e«; sieb, das» ihr auf diesem Wege ein Mann oder eine Ffmi entgegoikommt, so
bleibt äie sogleich stehen and roft mit ängstlicher Stimme: mi kay! mi kay! (ich
bin unrein!;. Ihres Mannes Wohnung darf sie nicht eher wieder betraten, ab bis
AUeä vorüber ist. Wenn sie wahrend dieser Zeit ans ihrer Wohnung etwas nöthig
oder bei einem Nachbar eine Verrichtung hat, so mnss sie an der Hansthür stdien
bleiben und das Benothigte sich heranslangen lassen; dann mnss sie sofort wieder
vorsichtig nach ihrer Herberge eilen and sie darf wihrend dieser Zeit auch mit
keinem anderen Weibe Umgang haben. (Biemer^j
97. Das Unheil, welehes die XenstniireBde auiehtet.
Wir haben soeben kennen gelernt, eine wie nngemon weite Yerbreitang der
Glaube gefunden hat, dass die Menstrairende venmreinigt sä and dass sie aoch
auf andere Teranreinigend wirke. Diese Anschanong allein genGgte dem Volks-
glauben aber nicht, sondern derselbe mosste za seiner ToUen Befiiedigang auch
noch über directe Thatsachen Terfögen. Und so entwickelte sich allmählich ein
reichhaltiges Register von allerhand Schaden und Unheil« Ton Zanberhaftem nnd
Uebernatürlichem, welches die Menstrairende und namentlich ihr Blut aaf Lebende
sowohl, als auch auf leblose Gegenstande ausüben sollte. Wir begegnen derartigen
Auffassungen vom Alterthum an bis in unsere Tage, und nicht fdlein rohe und
uncivilisirte Volker sind es. die derartiges glauben, sondern auch bei den Ter^
scbiedenst^n Nationen Europas hat dieser Glaube Warzel geschlagen und ist
auch heute noch nicht ausgerottet.
Von allerlei Unheil berichtet schon Flinius:
.Aber nicht leicht wird man etwas finden, was wanderbarere Wirkungea herrorbringt,
als der Blutfiuss der Weiber. Kommen sie in diesem Zustande in die N&he ron Most, so
wird er sauer, die FeldfrQchte werden durch ihre Berührung unfruchtbar, Pfropfreiter sterben
ab, die Keime in den Gärten Terdorren, und die Früchte der Bäume, unter denen sie gooMScn
haben, fallen ab. Der Glans der Spiegel wird durch ihren blossen Blick matt, die Schneide
einemer Geräthc wird stumpf, das Elfenbein verliert seinen Glanz, ja sogar Ert und Eisen
rotten und bekommen einen üblen Geruch; Hunde, die davon lecken, werden wfithend md
ihr Fiiss wird dadurch zum unheilbaren Gifte. Selbst das sonst so z&he nnd klebrige Harz,
welches zu einer gewissen Zeit auf dem Asphaltsee in Judfta henimschwimmty das nch
nicht ablösen lä^st und an Alles, was damit in Berührung kommt, sich fest anhingt, haftet
nicht an einem Faden, der mit diesem Gifte benetzt ist. Sogar die Ameise, dieees so kleine
Thier, hoU eine Empfindung davon haben, denn sie wirft die zusammengetragenen Körner.
welche davon berührt sind, weg und sucht sie niemals wieder auf.'
Im Sidi-Khelil. einem Gesetzbuche der Mohammedaner, heisst es: Der-
jenige, welcher mit der Absicht, seine Wollust zu befriedigen, seine Frao, während
sie ihre Menstruation hat, berührt, verliert die Kraft der geistigen Buhe.
An eine Beeinträchtigung der körperlichen Kräfte durch die Menstrairende
glauben in Vancouver die Sonkish- oder Lku'ngen-Indianer. Nach Boas
dQrfen dort menstruirende Frauen sich niemals einem Kranken nahem, weil sie
denselben schwach machen würden. Aehnliche Anschauungen herrschen auch bei
den Bewohnern der Insel Eetar im ostlichen malayischen Archipel. Siedet^
berichtet, dass dieselben sorgfaltig die Nähe der Hütten vermeiden, in welchen
die Mädchen sich während ihrer Kegel aufhalten müssen. Denn wer zufällig aof
Menstrualblut tritt, der wird in jeder Beziehung kraftlos, ganz besonders aber
würde er im Kriege unglücklich sein. Auch auf den W a tu bela- Inseln bringt
das Menstrualblut den Männern Unglück.
Bi.s zu welchen Consequenzen solcher Glaube fuhren kann, das beweist
Erzählung von Armit:
,Im Jahre 1870 tOdtete ein AuHtralier in der Nähe von Townsville MUi "^
weil eH sich cur Zeit der Menstruation in die Decke des Mannes gehfiUt hatte und la
Schaden brachte.'
97. Das Unheil, welehes die Menstrairende anrichtet. Sgl
Bei den Guayquiries am Orinoco herrscht, wie Gumilla berichtet, die
Ansicht, dass überall da eine Dürre entstehe, wo die menstruirende Frau ihr
Wasser hinlässt. Wenn dann ein Mann auf derselben Stelle urinirt, so bekommt
er Anschwellungen der Schenkel. Auch die Omaha- und Ponka-Indianerinnen
richten während ihrer Regel Unheil an:
.Erwachsene Leute fürchten sie nicht, aber Kinder haben Ursache, den Geruch zu
fiirchten, welchen sie verbreitet. Wenn eins mit ihr isst, bekommt es eine auszehrende
Brustkrankheit und seine Lippen verdorren im Umkreise von zwei Zoll. Sein Blut wird schwarz
und das Kind muss brechen. *"
Auch in Italien glaubt man heute noch, dass die Weiber zur Zeit ihrer
Regel allerlei Schaden und Unglück bringen.
In der Provinz Bari in Unteritalien dürfen sie nicht unter einem
Kirschbaum pökeln, weil dieser sonst eingeht; sind sie in dem Hause, dann ge-
rinnt die Milch nicht, deshalb schicken sie die Hirten hinaus; sitzen sie auf einem
Wagen, so können denselben die Thiere nicht ziehen, wenn sie nicht 3 Steinchen
auf dem Rücken tragen. (Karusio.)
In den Provinzen Belluno und Treviso lässt die Menstruirende das Gras
verdorren wo sie hintritt, und vernichtet auch für später jegliche Vegetation, und
wenn ein Mann neben ihr schläft, so wird er von Kreuzschmerzen befallen, ebenso
auch wenn im Waschbottich das Hemd, das er anzieht, gerade unter einem durch
Menstruationsblut verunreinigten Wäschestück gelegen hat; darum packt man die
letzteren sorgfaltig zu unterst. (BastaneL) Im Mündungsgebiete des Po darf eine
Frau, welche ihre Regel hat, zu keiner Säugenden, weil dieser sonst die Milch
vergehen würde. (Mazzuchi,)
Ueber die Zigeuner sagt v, Wlislocki^:
.Hat eine Frau die Menses, so soll sie weder Brot backen, noch Kraut einsäuern, noch
spinnen oder buttern, denn air diese Geschäfte misslingen ihr.*
Bei den deutschen Volksstämmen ist der Glaube an die Schädlichkeit der
Menstruirenden ebenfalls ein althergebrachter. Schon die heilige Hildegard gab an,
dass durch die Anwesenheit solcher Menstruirenden die Pflanzen verwelken, der Wein
und Essig umschlage und die eingekochten Früchte und Gemüse schlecht werden.
In »des getreuen Eckarth's unvorsichtiger Heb-Amme*, die im
Anfange des 18. Jahrhunderts erschien, steht geschrieben:
.Dieses ausgeworfene, monatliche Blut ist nicht, wie einige vorgeben, ein so gutes Blut,
wie es aus den Adern gelassen wird, oder aus der Nase und Hals gehet, sondern ein scharfes,
unreines und gleichsam durch den ganzen Leib ausgesondertes Geblüt, welches durch der-
gleichen Abstösse, gleich einem Gifft, sowohl Menschen als Vieh und andern Sachen schaden
kann. Wo dergleichen Geblüt hinfallet, ist es als ein Scheide-Wasser, und hlsst in denen
Tüchern, auch nach dem genauesten Auswaschen (welches ein ander Blut nicht thut), einen
röthlichen Flecken nach sich, man erfahret, dass ein Spiegel, in welchem eine dergleichen
Frauensperson und Jungfer sich bespiegelt, gleich denen Augen runde Girkel- form ige Flecke
bekommt, welche nicht wieder können abgebracht werden, vornehmlich die von schönem Glase,
and mit Zinn und Quecksilber beleget sind. Zuweilen wird man auch auf dem feinen Zinn
gleiche Merckmal finden, so will man auch vorgeben, ob selten die Weine, die zu der Zeit
von einem Weibsbilde traktirt würden, verfallen und ihre Kratft verliehren. Einige wollen
behaupten, dass wenn man ein Haar einem Frauenzimmer zur Zeit dieses Auswurffs ausziehet
und in den Mist vergrabet, eine Schlange draus werden soll. Dieses ist gewiss, wann ein
dergleichen Mensch eine Wunde beschauet, dieselbe nicht wohl zu heilen ist, und wofern sie
im Zorn einen Menschen beisset, und mit denen Zähnen verwundet, gar gefährliche und un-
heilsame Wanden entstehen. In Candia und Cypern sollen solche Bisse so übel gerathen,
dan die Oebissenen (gleich von tollen Hunden geschehen) in eine Raserey gerathen und daran
sterben, wie gemeldete Personen denen armen Kindern schaden (welches man das Beschreyen
nennt), ist bekannt» sehen sie darsa in Monden, nnd beschauen einen Menschen, ist es weit
ftrger/ fEekarih,)
QuarmamiMß <■ le Yerhaltungsregehi
.wiluraad
382 XII [. Die Menstruation im Yolksglanben.
«Die Töchter lass nicht nnter d'Leat, noch Hochzeit noch Tantz,
Die verehelichten mercken besonders an ff ihre Schantz,
Damit sie zu wehrender Blumens Zeit
Von ihren M&nnem sich schrauffen weit,
Nicht greinen, nicht zQmen, nicht schlagen umb,
Sonst schlägt das Gifft in d'Glieder und werden krumb,
Die jungen Kinder nicht yiel kOssen noch berühren,
In der Euchel die Speiss nicht selbst anrühren,
Nicht in die Keller noch zum Weinfass gehen,
In Gärten umb die jungen B&umblein auch nicht stehen,
In keinen reinen Spiegel hinein sehen,
Daheymbs still sitzen, dafür neben.
Sich sonsten auch gar wol verwahren,
Das leinen Tuch hierinn nicht zu fast sparen.
Damit nicht das unwissend Hausgesinde
Das Gspor der Kranckheit auf dem Boden finde.'
In dem Volke sind derartige Anschauungen aber auch heute noch erhalten
und zwar gar nicht selten sogar bei den sogenannten gebildeten Ständen. Es
darf die Menstruirende nicht in den Keller, weil man glaubt, durch ihre Aus-
dünstung verderbe der Wein. Betritt imMeininger Oberlande eine menstruirende
Frau eine Brauerei, so schlägt das Gebräu um; von einer solchen Frau Einge-
machtes hält sich nicht; Wein, Essig, Bier, das sie abzieht, verdirbt. (Schleicher.)
In Schlesien darf sie nach Wuttke nicht pflanzen und auch nichts Gepflanztes
berühren, sonst geht es ein. In Schwaben gilt das Menstrualblut f&r giftig;
Weiber sollen damit schon öfters ihre Gatten umgebracht haben; wo dasselbe
hinfällt, wächst kein Gras mehr, und der Beischlaf mit einer Menstruirenden soll
dem Manne den Tripper bringen. Letzterer Glaube ist aber auch in dem nord-
lichen Deutschland sehr verbreitet.
Am Rhein wird nach einer mir von W. Joest gewordenen Mittheilung von
den Weinproducenten streng darauf gesehen, dass während der Gähnmg des
Weines kein Frauenzimmer den Raum betritt. Denn wenn sie zufällig menstruiren
sollte, so ginge die Gährung zu schnell vor sich und der Most würde dann über
die Bottiche überfliessen. Auch beim Ansetzen der Backwaaren mit Hefe und
selbst beim Wurstmachen soll man in dieser Beziehung vorsichtig sein.
Dass auch bereits die Talmudisten ganz ähnlichen Anschauungen huldigten,
das ersehen wir aus folgender Geschichte, die im Midrasch Wajikra Rabba
erzählt wird:
^Fabritha, die Magd des Rabban Gamlielj untersuchte die Weinf&sser; als sie bemerkte,
dass ihr Menstruum eintrat, setzte sie sich hin (d. i. sie setzte die Prüfung nicht fort). Der
Wein, sagte er, ist gewiss sauer geworden. Nein, gab sie zur Antwort. Wehe, rief er ans,
da er die wahre Ursache erkannte, der Wein ist nun dahin. Darauf sagte die Magd: Ich
habe viele Fässer untersucht, und merkte es erst bei diesem. Beruhige Dich (gieb Dich xn-
frieden), sprach er zu ihr, denn Du hast mich beruhigt." f^TTtin^c^^
Die Giftigkeit des Menstrualblutes wurde vor noch nicht so übermässig
langer Zeit selbst von den Aerzten vertheidigt. Der Leibarzt des grossen Kur-
fürsten Baidassar Timaeus von GüldenTclee schrieb ein dickes Werk, das von
Coschwite im Jahre 1704 unter dem Titel Timaeanisches Zeug-Haus der Ge-
sundheit herausgegeben wurde. Darin heisst es von dem , weiblichen Monats-Blut*:
Dieses, so es in den Leib genommen wird, machet den Menschen vergessen, ttampff-
sinnig. Melancholisch, unterweilen gar rasend und uusinnig oder aussätzig.
Zum Glück erfahren wir aber auch, wie solch ein schwerer Schaden wieder
gut gemacht werden kann:
Hiervon gebrauchet man ein Quintlein Perlen- Pulver in Melissen- Wasser, oder 2 Scnipel
von den Trochiscis de vipera, item Bezoar, Theriak. Der Erancke soll offl baden, schwÜMH
und Melissen- Wein trinken.
Die giftige Wirkung des Menstrualblutes ist auch den Zigeunern bekaimt
98. Das Menstrualblut als Arzneimittel. 333
Wird es mit der Erde von einem sogenannten Mondberge gemischt und dem
Manne unter die Speisen gethan, so verliert er seine Potenz; ausserdem stellt sich
noch eine heftige Abneigung gegen seine Ehehälfte ein.
Schurig^ gab im vorigen Jahrhundert an, dass der, dem Menstrualblut mit
Wein beigebracht würde, mondsüchtig, wahnsinnig oder liebestoll werden könne.
Auf letzteren Glauben komme ich noch zurück.
Auch dem Weibe selber kann das Menstrualblut Schaden bringen, und zwar
nicht nur in der Form der üblen Vorbedeutung, wie sie z. B. nach Hüdehrandt
in der Gegend von Königsberg in Preussen gilt: Wenn hier ein Mädchen
an ihrem Yerlobungstage die Regel hat, bringt ihr das für ihr ganzes Leben
Unglück. Ein weit schlimmeres Unheil aber kann unter Umständen die Zigeu-
nerin treffen. Bei ihnen glaubt man nach v. Wlishcki^ an bestimmte „glück-
liche Berge*, um die sich allerhand Zauber schlingt:
«Aber wehe dem Weibe, das sein Menstruationsblut in eine solche Quelle oder gar
auf den Gipfel des glücklichen Berges fliessen lässt! Es wird unbewusst ein Wesen, halb Mensch
halb Thier zur Welt bringen, das allnächtlich seine Gebärerin im Traume erschreckt und quält.
Gewöhnlich hat ein solches Wesen den Kopf und Unterleib von demjenigen Thiere, nach
welchem der betrefifende glückliche Berg benannt worden ist."
98. Das Menstrualblut als Arzneimittel.
Von der Anschauung, dass das bei der Menstruation aus den Geschlechts-
theilen ausfliessende Blut auf alle möglichen Dinge eine schädliche oder sogar
eine giftige Wirkung auszuüben im Stande sei, war es naturgemäss nur ein Schritt
zu dem Versuche, ob diese Verderben und Untergang bringende Giftigkeit sich
nicht auch an dem Feinde der Menschheit, an der Krankheit, bestätigen würde.
Man kam also dazu, das Menstrualblut als Medicament zu benutzen. Es handelte
sich hier aber keineswegs allein um Arzneimittel, welche vom Volke nach eigener
Initiative heimlich und hinter dem Rücken der Aerzte angeordnet wurden, sondern
diese letzteren selbst verordneten es, wie wir in älteren medicinischen Werken
finden können. Dem Menstrualblute traute man nach Plinius folgende Heilkräfte
zu: durch Bestreichen mit demselben glaubte man Podagra, Kropf, Speicheldrüsen-
entzündung, Rose, Furunkel, Wochenbettfieber, den Biss toller Hunde, Epilepsie,
Kopfschmerz u. s. w. beseitigen zu können. (Abt.)
Da aber das Ungewöhnliche, das Absonderliche sich von jeher unter den
vom Volke geschätzten Heilmitteln eine hervorragende Stellung erobert hat, so
ist es auch in unserem Falle sehr häufig nicht jedes Menstrualblut, dem die hei-
lende Kraft innewohnt, sondern es muss dasjenige sein, welches ein Mädchen als
das erste Zeichen ihrer eingetretenen Geschlechtsreife von sich giebt.
Die durch dasselbe gefärbte Wäsche getrocknet und mit Rheinwein oder
mit Meerzwiebelessig extrahirt, giebt nach Velsch ein Medicament zu verschieden-
artigem wirksamen Gebrauch. EttmüUer gab es gegen Epilepsie, und gegen den
Morbus comitalis galt es ebenfalls als bewährt. Auch als Mittel gegen den Stein
und als Emenagogum wurde es gebraucht; als letzteres auch in Brod einge-
schlossen, femer zusammen mit Theriak, gegen Tertianfieber.
Unter den russischen Volksheilmitteln, welche v. Henrici zusammengestellt
hat, spielt das Menstrualblut auch eine Rolle. In Nowaja Uschytza wird ein
damit befiecktes Hemde in Wasser gebracht und dieses Wasser müssen dann die
Fieberkranken trinken. In Ryshanowka wird das Blut mittelst eines Leinwand-
stückes dreimal auf ein Muttermal gestrichen und den Lappen muss man darauf
in das Feuer werfen. In Nowaja Uschytza soll es auch die Warzen vertreiben,
wenn man sie damit bestreicht.
Nach Schurig^ ist das Menstrualblut gut «wider das Verschlagen (con-
tractura) der Pferde*, und äusserlich wurde es angewendet gegen Blutungen,
384 ^^11- ^^® Menstruation im Yolksglauben.
Metrorrhagien, Erysipelas, Gicht, Ausschläge, Mutterm&ler, Kropf, Aogenkrank-
heiten, Pest, Biss vom tollen Hunde, Wörmer, Brand u. s. w.
Die heilige Hildegard empfahl als ein unfehlbares Mittel gegen den Aussatz
die Anwendung von Vollbädern aus Menstrualblut, ein gewiss ni^t gerade leicht
in der nothwendigen Menge zu beschaffendes Medicament. Sehr wirksam gegen
das Podagra, und vor allen Dingen sehr schmerzstillend, sollen ITmschlSge mit
dem warmen Menstrualblute einer Jungfrau sein. In Steyermark glaubt man,
dass Warzen verschwinden, welche mit frischem Menstrualblute bestrichen werden,
und auch hier sind nach Fasset gegen die Oicht «mit Menstrualblut getr&nkte
Leinwandflecke allbekannte Umschläge*.
Die Siebenbürger Sachsen und ebenso auch die dortigen Rumänen
heilen mit den Menses einer Jungfrau die Gerstenkörner, indem sie diese damit
einreiben, (v. Wlislocki^.)
Ein Säugling, der nicht gedeihen will, «wird bei den Zigeunern auch in
einem Bad aus Erbsenstroh und Heublumen gebadet, dem Menstruationsblnt der
Mutter beigemengt ist. Das Badewasser wird dann auf einen weissen Hund ge-
gossen, wobei man spricht:
Was Gutes darin ist, komme zurück,
Was Schlechtes darin ist, gehe weg!' (v, Wlislocki*.J
In den Provinzen Belluno und Treviso glaubt man, ähnlich wie in
Steyermark, dass ein Bestreichen mit Menstrualblut Warzen zu vertreiben ver-
möge, und ein damit getränkter Lappen soll die Kreuzschmerzen heilen können.
(JBastanzi,)
Von den bayerischen Franken berichtet Lämmer^ noch einige absonder-
liche Auwendungsweisen des Menstrualblutes, aus welchen so recht deutlich der
in der Volksmedicin so weit verbreitete Glaubenssatz similia similibus erkannt
werden kann. Wenn einer Person die Regel ausgeblieben ist und sie wttnscht
deren Eintritt wieder herbeizuführen, so soll sie ein mit frischem Menstrualblute
beflecktes Hemd anziehen, oder sie soll Wasser trinken, in welchem das bei der
ersten Menstruation einer unbefleckten Jungfrau geflossene Blut aufgelöst worden
ist. Ja sogar schon ein Stückchen Brod in den Mund genommen, das eine gerade
menstruirende Frau gekaut hat, soll sofort den Monatsfluss wieder herbeifbhreo.
Das leitet uns schon hinüber zu den Zauber Wirkungen, welche die Menstruirenden
auszuüben vermögen. Wir werden dieselben im nächstfolgenden Abschnitte niher
kennen lernen.
09. Das Menstrualblut als Zaubermittel.
Aber nicht allein als Medicament in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes
wird das Menstruationsblut gebraucht, auch als Amulet und als Zaubermittel hat
es seine hohe Bedeutung gewonnen. Natürlich kann es uns nicht fiberraschen,
dass hier wiederum das Menstruum primum einer unberührten Jungfrau sich
eines ganz besonderen Ansehens erfreut. Aber auch das Menstrualblut selbst der
verheiratheten Weiber verrichtet doch noch immerhin auch ganz anerkennens-
werthe Leistungen.
Interessant ist ein Aberglauben, welchen die heilige Hüdegardis anfbbrt;
danach vermag ein mit dem Menstrualblute beflecktes Hemd, in die Flammen
geworfen, eine Feuersbrunst zu löschen, auch macht solch Hemde, auf dem Leibe
getragen, unverwundbar gegen Hieb und Stich. In Schwaben gebraucht man
noch nach heutigem Aberglauben zum Schmieden allzeit siegreicher Waffen das
Menstrualblut einer reinen Jungfrau, sowie das Hemd, in dem sie ihre Periode
gehabt hat.
Zur Zeit des Plinius glaubte man, dass eine Menstruirende Sturm and Hagel fsitieibw
könne: befinde sich eine menstruirende Frau auf einem mit den Wogen und dsm Orkn
99. Das MenBtraalblut als Zaubermittel. 385
kämpfenden Schiffe, so werde dasselbe gerettet. Alle Insecten sollen von den Bäumen fallen,
wenn sich denselben eine Menstniirende entkleidet nähert. So vertrieb man die Ganthariden
in Eappadocien nach Meirodorus ScepsttiSy indem eine Frau zur Zeit ihrer Regel mit bis
an die Lenden aufgehobenen Kleidern, oder auch nur mit blossen Füssen, gelöstem Gürtel
und flatterndem Haar durch das Feld ging; doch musste nach PHntus diese Geremonie vor
Sonnenaufgang geschehen, da sonst die Saat verderben würde, denn auch junge Weinstöcke,
Raute und Bpheu verkümmern, sobald sie von einer Menetruirenden berührt werden.
Danid Becker erzählt, dass, wenn man im Felde ein mit dem ersten
Menstruationsblute beflecktes Tuch an einen Stock hefte, an dieser Stelle die
Hasen so zusammenlaufen, dass man sie leicht schiessen und selbst mit den Händen
greifen kann.
Die in Judäa wachsende fabelhafte Pflanze Barbaras, deren Berührung den
Menschen tödtet, kann nur dadurch unschädlich gemacht werden, dass man sie
mit der Wurzel ausreisst. Dies ist aber unmöglich, wenn man sie nicht vorher
mit Menstruationsblut oder mit Frauenurin begiesst. (Valentino Andrea MoeUen-
hroccio.)
Wir lesen ferner in des getreuen Eckarth's unvorsichtiger Heb -Amme:
,So scheinet es doch, als wenn das Menstruum virginis primum vor anderen einen Vorzug
habe, wiewohl manche es allzuweit in ihren Tugenden exaltiren, und ausbreiten wollen,
dannenhero ich allen Eltern rathe, dass sie das erste Geblüte, welches von ihren Töchtern
ausgehet, wohl in obacht nehmen, denn wofern ein bosshaffbiges etwas davon habhaffb würdet
kan es der Person von der solche gegangen ist, schaden. Die alten Gothen und Finnen
als auch Lappländer, gebrauchten eich desselben entgegen der Zauberey in ihren Schiff-
fahrten, dann wann ein Schiff an seinem Gange durch Zauberey verhindert wurde, nahmen
sie ein solch Flecklcin, machten es feuchte, und bestrichen damit die obersten Theile der
Umg&nge, womit die Zauberey wiche. Ein Mägdlein, die von ihrem eigenen Menstruo primo
ein beflecktes Stücklein mit ein Wenig Farrenkraut Wurzel in ein Tüchlein eingenehet am
Halse traget, wird nicht leichtlich von bössen Leuten angetastet werden.* Es bringt auch
auf dem blossen Leibe getragen, Glück im Spiel, und Sieg im Kampfe, mit warmem Essig
heilt es die lioso, es dämpft das Feuer und heilt, in da» Trinkwasser gethan, verschlagene
Pferde und Schweine und Hunde, ,wenn sie finnigt und schäbigt seyn*. Jedoch ist es am
wirksamsten, «wenn ein Sohn von seiner leiblichen Mutter das primum menstruum zu einem
Angehencke haben kann*. ,ln Italien und andern Orten pflegen einige Leute diese mit
dem primo menstruo befleckte Tücher zu verkauffen, weil man aber des Vortheils halben, da
es wol von andern oder mehren mal kan genommen seyn, des rechten nicht gewiss seyn kan,
ist nicht wol zu trauen. Weswegen am besten, dass man von redlichen Leuten solches zu
bekommen sich bemühe. Vorsichtige Eltern aber sollen sich wol in acht nehmen und zusehen,
wem sie es geben, denn mit selbigem man per magnetismum ihnen grossen Schaden und Unfug
zurichten kan.*
Bei den Sachsen in Siebenbürgen vergräbt nach v. WUslockf'* »die Frau
Haare von einem Todten und die eigenen Menses an dem Orte, wo der Mann das
Wasser abzuschlagen pflegt, um sich seiner ehelichen Treue zu versichern".
Ueberhaupt spielt die Menstruation in dem Liebesleben eine recht hervor-
ragende Rolle, und bei der Besprechung des Liebeszaubers werden wir noch zu
wiederholten Malen wieder dem Menstruationsblute begegnen. Auch auf die
Heilung der Unfruchtbarkeit vermag es fordernd einzuwirken. Das ist ein Glauben,
welchen wir namentlich wieder bei den Zigeunern finden, v. Wlislocki schreibt
darüber:
,Weiber, welche sich Kinder wünschen, und bei denen schon alle Geheimmittel erfolg-
los blieben, bringen dem Monde ein Opfer dar, indem sie bei Vollmond die Genitalien zweier
y^gel und zweier vierfüssigen Thiere, männlichen und weiblichen Geschlechts, auf einem Berg
in die Erde graben und ihr Menstruationsblut auf den Ort fliessen lassen. Bei den nord-
ungarischen Zigeunern werden die Genitalien kinderloser Eheleute mit einer Salbe ante
coitum eingerieben, die aus dem Menstruationsblute einer Jungfrau, dem Blute einer Nach-
geburt, dem Urin eines ungetauften En&bleins und einigen Eflrbiskemen bereitet wird; ein
Mittel, das auch slovakische Bäuerinnen gar häufig anwenden.*
In dem Volksglauben findet man nicht selten, dass demselben Gegenstande
Ploss-Bartels, Dms Weib. 6. Aufl. I. 25
386 ^^^* ^0 Menstraaiion im Volksglaaben.
bald die eine, bald aber auch die geradezu entgegengesetzte Eigenschaft zuge-
schrieben wird. So geht es auch mit dem uns beschäftigenden Stoffe. Haben
wir oben gesehen, dass das Blut, welches die Frau bei der Regel yerliert, dem
Manne die Zeugungskraft nehmen kann, so finden wir andererseits wiederum, daas
es, in richtiger Weise angewendet, seine Potenz zu steigern vermag. Das war
schon den alten Indern bekannt, wie wir aus Yagödharas Kommentar zum
Kämasütram von Vätsyäyana ersehen können. Hier heisst es:
.Eine Speise aus Asparagus ramosus, Asteracantha longifolia und Meline-Saft, mit
einer Paste von Piper longum und Honig, sowie Kuhmilch und Ziegenschmebbatter, sammt
dem ersten Menstrualblute, wer das t&glich geniesst, der hat davon einen lauteren Tnuik, der
auf die Potenz und lange Lebensdauer günstig wirkt, wie man sagt'
Interessant ist es, daSs wir bei den, den alten Indern bekanntermaaasen
stammverwandten Zigeunern auf ganz ähnliche Anschauungen stossen. So lesen
wir bei v. Wlislocki^:
,Membrum virile firmandi causa wird dasselbe vor dem Act in Eselsmilch, der Men-
struationsblut der Gattin beigemengt ist, gebadet. Zu Pulver geriebene Fachshoden mit ihrtm
Menstruationsblute vermischt, giebt die siebenbürgische Zelt-Zigeunerin dem Mamie
in Speisen gemengt ein, um seine Potenz zu steigern. Menstruationsblut auf ein Etelsfell
gegossen, wird bei den südungarischen, ansässigen Zigeunern ins Ehebett gelegt, um
stimulirend zu wirken.*
Aber nicht dem Manne allein, sondern auch dem Weibe selber kommt der
Zaubersegen des Menstruationsblutes zu Statten:
«Das Menstruationsblut und einige Haare vom Membrum virile des (xatten giessen die
siebenbÜrgischen ansässigen Zigeunerinnen bei Vollmond auf einen Rosenstranch
oder in ein Baumloch und sagen, dabei den Mond anblickend, dreimal die Worte her:
Wie der Mond nehme zu mein Leib!'
Auch noch in einer anderen Weise hilft das Menstrualblut den Zigeunern.
Wir folgen wieder v, Wlislocki^:
, Wollen die siebenbÜrgischen Kesselflicker- Zigeuner ihre Arbeiten rasch an den
Mann bringen, so lassen sie ihre Weiber etwas Menstruationsblut in das Feuer werfen, bei
welchem sie die Gegenstände schmieden. Unter der europäischen Bevölkerung der sieben-
bÜrgischen Gebirge beisst es, dass die jüdischen Schankwirtbe dasselbe Mittel anwenden»
um ihren Branntwein rasch loszuschlagen, indem sie das Menstruationsblut ihrer Jongfranen-
Töchter in das Schnapsfass werfen. Wer davon getrunken, der kann vom Trinken nimmer
lassen und kehrt alltäglich in die Schenke des Juden ein.'
Beiläufig will ich hier erwähnen, dass Flinixis, wie es den Anschein hat, das
Menstruationsblut mit dem weiblichen Samen identificirt. Er sagt, dass manche
Weiber niemals den Monatsfluss hätten, und dann fahrt er fort:
«Allein Letzere gebären auch nicht, denn dieses ist der Stoff zur Erzeugung des
Menschen, mit welchem sich der Same des Mannes wie eine geronnene Masse vereinigt und
mit der Zeit Leben und Form bekommt. **
100. Der Glaube von dem Ursprung der Menstraation.
Ueber den ersten Ursprung der Menstruation begegnen wir bei einigen
Völkern sehr eigenthümlichen Anschauungen und Glaubenssätzen, durch welche
dieselbe bisweilen mit Gottheiten und Dämonen und mit übernatürlichen Gewalten
in Verbindung gebracht wird.
Die Menstruation galt den Iranern als eine Schöpfung der bösen Geister.
Es sind also die Frauen während ihrer Regel gewissermaassen in der Gewalt des
Bösen; und so erklärt sich auch die Anschauung von ihrer hochgradigen Un-
reinheit, und wir begreifen die strengen Vorschriften, von denen wir oben ge-
sprochen haben, durch welche das Weib zu dieser Zeit von der übrigen mensch-
lichen Gesellschaft ausgestossen wird. Die Iraner hatten die Legende, daaa es
ursprünglich Dsckahi^ die Dämonin der Unzucht gewesen sei, an welcher Ämgra
Der Glaabe von de« Draprung der Meastruaüon.
387
' I
.Mdfiia zuerst die Menstruation hervorgerufen habe. Es liegt wohl im Bereiche
Ider Möglichkeit, dass hierfür die Beohachtung nicht ohne Einfluss gewesen ist,
dass bei frühzeitigem geschlechtlichen Verkehr vor fertig erlangter Reife die
Menstnialblutungen sich früher einzustellen pflegen.
Bei den Omaha- In dianern wird die Menstruation als ^zu Wakauda ge-
hörig* betrachtet Iti der Mythe vom Kaninchen und dem schwarzen TtHrf^n
[warf Mactcinge^ das Kaninchen, ein Stück vom schwarzen
I Bären- Häuptling gegen seine Qrossmatter, verwundete sie und
f veranlasste hierdurch, dass sie die Katamenieu bekam. Seit
dieser Zeit sind die Weiber damit behaftet.
Üass auch die Neu-Britannier mit dem Auftreten
[der Menstruation Übernatürliche Gewalten in Verbindung
bringen, das beweist eine ihrer phantastischen Holzschnitze-
reien, die das kgL Museum für Völkerkunde in Berlin be-
sitzt Dieselbe wurde von der Südsee-Expeditiou der
Gazelle mitgebracht (Fig. 214)
Eme grotesk geschnitzte weibliche Figur mit deutlich
markirtem Munde, breiter, gebogener Käse und sehr grossem
[Auge trägt über dem wolligen Haare eine grosse Kopf*
ibedeckung in Form einer Schnecke, deren Windungsspitze
'die Spitze dieses absonderlichen Hutes bildet. Das sehr
grosse Ohr reicht vom äusseren Augenwinkel bis zum unteren
Bande des Unterkiefers herab, entwickelt dann aber noch
[010 grosties Ohrläppchen von der Form eines spitzwinkligen
I Dreiecks, dessen Spitze die Schulter erreicht. Dasselbe be-
sitzt eine grosse Durchbohrung von ebenfalls dreieckiger
lorm, welche dem äusseren Umfange des Ohrläppchens con-
gruent ist.
Die Person liegt auf dem Rücken, bat die Arme im
^ Ellbogengelenke rechtwinklig gebeugt und die Hände um-
fassen das untere Ende je einer Mamma, welche schmal, lang
und in einer stumpfen Spitze auslaufend, in ihrer Form an
(Gurken erinnernd, von dem Brustkörbe bis zur Grenze des
[Epigastrium und Mesogastrium herabreichen* Ütt Bauch
tritt spitzig hervor und besitzt einen grossen, convexen
Nabel Die Beine sind in den Hüft- und Kniegelenken leicht
gebeugt. Aus den Geschlechtsth eilen ragt, die Schamspalte
vollständig ausfüllend, ein rothgeförbtes Gebilde hervor,
welches man in seiner Form am besten mit einem Apfel-
ainensegmente vergleichen kann. Dieses Gebilde packt ein
[Vogel mit seinem grossen, gebogenen Schnabel, als wenn Fig, 214. üoizg^^ohniuus
er es aus den Schamtheilen herauszerren wollte. Auf seinen ßTi^Jinfe^f^Ui^her^
halb vom Körper abgehobenen Flügeln ruhen die Füsse der Vog«i «tww \m den o<*-
Frau, Bei diesem Vogel läsat die Form des Kopfes und M^'^i^^Vilr^'wa^^^^^
namentlich eine charakteristische Verdickung auf der Über- ^"^^Tn Beril'ii.r "°
Seite des Schnabels keinen Zweifel darüber bestehen, daas (Nach Fiwtographi*.)
lier der Künstler den Nashornvogel hat darstellen wollen,
(reicher in den mystischen Anschauungen der Neu-Britannier eine so hervor-
^ragende Rolle spielt Er ist es hier, der aus den Genitalien des Weibes das
Menstruationsblut mit seinem Schnabel herausholt Die ganze Gruppe ist in der auf
Neu- Britannien gebräuchlichen Weise weiss, roth und schwant bemalt; sie ist
ivon leichtem Holze gefertigt und besitzt eine Länge von ungefähr einem Meter.
Von der Neu-Guinea-Compagnie sind dem kgL Museum für Völkerkunde
in Berlin einige lange Planken mit Holzschnitzereien käuflich tiberlassen worden.
25*
LT'.ll
888
11 I
Fif];. 215. Uolzf^eMChnitzte
weibliche Figur auf
einer Planke aus Neu- Gui-
nea. Kin (nicht vollständig
ilargest eilte«) Krokodil packt
den Kojif der weildichen
Figur, während ein zweites
Krokodil mit dem Maule
etwas aus ihren Oeschlechts-
t heilen zieht.
(Museum für Völkerkunde in
Berlin.)
(Nach Photographie.)
XIII. Die Menstruation im Volkaglanben.
welche aus der Dorfschaft Suam in der Umgebung von
Finsch-Hafen auf Neu -Guinea stammen. Sie waren in
horizontaler Richtung an einem Hause als Verziemng an-
gebracht, ungefähr 1^/2 m von dem Erdboden entfernt
Dieses Haus diente nach der brieflichen Angabe des Sta-
tionsvorstehers Menteel einem ganz besonderen Zwecke. «Es
wurden darin junge Mädchen im Alter von 8 bis 12 Jahren
von einer Alten bewacht, und war der Eintritt mir wie
auch den unverheiratheteu Eingeborenen verwehrt Möglich,
dass man es hier mit einer Herberge fQr Jungfiranen ante
menses zu thun hat. Darauf deuten auch die Schnitzereien
hin.** Die Planken sind mehrere Meter lang.
Die eine der Planken (VI. 10 521) zeigt links ein
grosses, fast voll ausgeschnitztes Krokodil, in dessen Schwanz
ein flacher, breiter Fisch sich festgebissen hat. Das Kroko-
dil packt mit seinem Maule von oben her den viereckigen,
seitlich mit Federn geschmückten Hut einer grotesk ge-
schnitzten kleinen Weibsperson. (Fig. 215.) Dieselbe hat
ein grosses Gesicht mit lang ausgezogenem spitzen Kinn,
welches fast bis zu der Magengrube herabreicht. Die Schul-
tern sind hochgezogen und reichen weit an dem Gesichte
herauf. An jeder derselben ist an der Vorderflache ein
kleines Kreisomament angebracht, durch welches ohne
Zweifel die Brustwarzen angedeutet werden sollen. Ein
etwas grösserer Kreis markirt den Nabel. Die Hände liegen
in der Leistengegend, als wollten sie die Schamlippen aus-
einanderziehen, um die Rima pudendi zum Klaffen zu bringen.
Die kurzen Beine sind leicht gespreizt und lassen die finger-
breit klafl'ende Vulva deutlich übersehen. Von rechts her
kommt ein zweites Krokodil, an Grösse dem ersten gleich,
mit lauggestreckter schmaler Schnauze, deren Spitze es in
die Vulva der Frau gesteckt hat. Dass dieses wirklich die
Schnauze und nicht, wie man bei der Rohheit der Aus-
führung glauben konnte, der Schwanz des Thieres ist, das
wird durch zwei seitlich angebrachte kleine Kreise bewiesen,
welche sicherlich die Augen des Thieres vorstellen sollen.
Alle Figuren sind weiss, roth und schwarz gefärbt.
Das Brett VI. 10523 a, b zeigt eine im Hochrelief
geschnitzte, groteske menschliche Figur. Dieselbe hat anf
dem Kopfe einen fast quadratischen Hut, von dessen Seiten
kurze Federn abgehen. Von der Oberfläche des Hutes aus
entwickelt sich nach dem Ende der Planke zu ein ganz
flach geschnittener sehr hoher Aufsatz, der in seiner Form
an einen Fisch mit breitem Schwänze erinnert. Die kurzen
Beine der menschlichen Figur sind im Knie leicht ge-
krümmt und so gestellt, dass man die Genitalien übersehen
kann. Die Hände liegen in der Leistengegend, als wollten
sie die Besichtigung der Genitalien erleichtem. Letztere
sind weiblich, die Schamspalte ist gross und klaffend nnd
aus ihrer der hinteren Commissur benachbarten Abtheilong
kriecht ein Thier hervor mit schmalem, rundlichem Leibe,
wie derjenige einer Schlange, und mit grossem, breitem,
rautenförmigem Kopfe. Von diesem sowohl, wie auch
von den oberen Abtheilungen des Schlangenleibes gehen
100. Der Glaube von dem Unprurig der Menstruation.
.flache, seitliche Fortsätze aus, welche an Federn oder an
^ischflosaen erinnern. (Fig. 216.)
Während dieses alles in der Längsrichtung der Planke
liegt, wird die Mitte derselben durch eine quergestellte
deine, ebenfalls weibliche Figur eingenommen. Dieselbe
bat die in der Höfte und ira Knie ad maximum flectirten
)eine vollständig nach den Seiten gekehrt, so daas die
**U8asohlen mit dem Sitzknorren in gleicher Linie liegen
and da&s der Kopf sich zwischen den Knieen befindet. Die
lulvA ist klaffend dargestellt und aus derselben kommt
Bin roth gefärbter Gegenstand von rhombischer Gestalt
berror, (Fig. 217.)
Der andere Seitentheil der Planke wird von einer
ieder in der Längsrichtung angebrachten Reliefdarstellung
eingenommen, welche fast vollständig das Gegenbild der
IUI der ersten Hälfte befindlichen ist. Es ist eine weib-
liche Gestalt mit klaffender Vulva, aus welcher gegen die
litte der Planke hin ein schlangenartiges Wesen mit
jrosaem rhombischen Kopfe kriecht. Die Hände der Frau
ihen auf der obersten Abtheilung der vorderen Ober-
chenkelfläche ; der Kopf trägt den quadratischen Hat und
von diesem aus entwickelt sich der hohe, flache Aufsatz, der
an einen grossen Fisch mit breiter Schwanzflosse erinnert.
Auf dem Brett VI. 10 522 befindet sich links ein
ro88er, flach geschnittener Fischleib, wie wir ihn auf der
rorigen Planke auf den quadratischen Hüten sahen. Er ent-
pringt hier aber nicht von solchem Hut, sondern er steht
der Concavität eines grossen Halbmondes, an dessen
[^onvexitlit zwei Menschen köpfe neben einander hängen.
Mitte der Planke nimmt ein kleiner, in hohem Relief
tinittener Mensch ein^ mit breitem Kopf und lang-
aiiflgezogenem Untergesicht« Von dem Kopfe stehen seitlich
^radiär kleine Federn ab und von dem Scheitel gehen
^öi sehr gronse Fddern (ähnlich den Schwanzfedern des
eien^ogels) gerade nach oben mit leicht eingerollter Spitze,
tinen K5rper besitzt diese kleine Menschengestalt eigent-
überhaupt nicht, die Beine sitzen gleich am Kopfe; sie
tehen aus einander, aber von den Genitalien findet sich
keine Andeutung. An der Stelle, wo diese sitzen mUssten,
kriecht aus der Vereinigungsstelle der Oberschenkel in der
Mittellinie eine kleine rundliche Schlange mit abgesetztem,
schmalem Kopfe hervor. Oberflächlich betrachtet, könnte
_man diese auch fllr einen Penis ansehen. Da jedoch ein
lodensack fehlt und da bei den anderen menschlichen Ge-
ilten an der analogen Stelle Schlangen aus dem Leibe
kervorkriecheu I die in ähnlicher Weise dargestellt sind, so
3U88 auch mit grösster Wahrscheinlichkeit dies Gebilde
ils Schlange und nicht als Penis gedeutet werden. Der
fechte Theil der Planke wird wieder durch eine ganz ähn-
Vli^ Darstellung eingenonmien , wie wir sie bereits auf
len beiden Seitentheilen der vorigen Planke kennen ge-
tmt haben. Eine groteske, in hohem Relief geschnitzte
Prau hat auf ihrem nach dem lateralen Ende hingerich-
eten Ko[)fe einen quadratischen Hut mit seitlich ab-
w n i b 1 i c b e F i g a r «of
einer Flanke «na Nea-Oni-
na». Aa.^ fkn Oeschleobta-
theUen eintsr Frsn kriecht
eine Schliuig« bervor.
iMoseiuD für Völk«irkuiide Iti
B erlitt.)
lK»cb Pbotö^TAtihi»'
390
XIIL Die Menstruation im Yolksglüubeu.
gehenden Federn. Auf dem letzteren befindet sich wiederum d€
geschnitzte Aufsatz in Gestalt eines Fischleibes. Die Hände der Frau Hegen oben
auf den etwas aoseinanderstehenden Schenkeln, zwischen denen sich eir - ^?e,
kl&ffende Vulva befindet. Aus dieser und zwar aus ihrer hintersten A ig
kriecht eine Schlange hervor mit schmalem, rundlichem Leibe und breite j n-
fcirmigem Kopfe, von dem seitlich ganz flach geschnitzte federartige G' ii>-
gehen. Innerhalb der Vulva scheint vom Schlangenleibe noch nach obtm etwa«
in die Höhe zu gehen, so das» diese Stelle auch an eine Haifischschw»n7t^^—
erinnert.
I
Fig, 217, Ilolz^eaehuil zt»^ w«^i bliebe Figur, Eelief von *iiner litü*ke uuh liti 0\'giiti4
\oft Fiusi h-U*fen, Neu- Guinea.
(Itufieam für Völkcrkimde in BerUn.) (Nacta Photogtmphi«^)
Auch auf Rudern aus Neu^Ouinea finden sich bisweilen Hhnliche Dar-
sFellungen, Wo der Stiel an die Ruderschaufel ansetzt, befindet sich auf d»- ' >*n
eine erhaben geschnitzte, rohe, weibliche Figur (ungefähr 12 — 18 cm i üit
gespreizten Beinen und klaffenden Geschlechtstheilen. Die Hände sind auf die
Oberschenkel gelegt, dicht an deren Ursprung am Unterleib. Zwischen den Beinen
dieser Figur ist in flacherem Relief eine kriechende Schlange dargestellt, düren
Form auf jedem Ruder kleine Abweichungen nachweisen lässt. Die Schlange
kriecht in den meiftiten Fällen unmittelbar aus den Genitalien heraus. Bei einem
Ruder vom Uuon-Golf schlängelt sie sich aber umgekehrt gerade in di« VuItb
hinein. Solche Stücke finden sich im Museum für Völkerkunrb^ '" RMrl^n i^^d
im Ethnographischen Museum in München.
101* Anderweitiger Henstraations-Aberglaiibe.
Das vorliegende Kapitel kann ich nicht schliessen, ohne noch einiger
(»onderlieher abergläubischer Anschauungen zu gedenken, welche ebenfu^
Menstruation zu ihrem speciellen Gegenstande haben«
Wenn bei den alten Iranern das Weib noch nach 9 Tagen Spuren 11
ßlutflusaea zeigte, so war man fest davon Qberzeugt, dasa sie unter der Einwirkunir
böser Geister stand. Sie wurde dann mit 400 Schlägen bestraft und ullerl '• ' ' ^^^
Ceremonien mit Wasser und Kuhharu wurden in ihrer Umg«^lning «.^o.
Auch mussten zur weiteren Sühnung Ameben und andere »chlUlliciie rhiere erlogt |
werden.
Die Zigeuner glauben,
ydaa» die Hexen jöd«r Prorinx ihren ,&onntag* m dor i rmta^jnacUt *Aüf ein«im ^Moitil-
101. Anderweitiger MeDstruations-Aberglaabe. 391
berge* abhalten; ebenso erneuern sie ihren Bund mit dem Teufel jedes siebente Jahr auf
einem solchen Berge, indem sie sieben Jahre lang ihr Mentruationsblut sammeln und ihm
auf einem solchen Berge zu trinken geben. Manchmal sieht man auch auf diesen Bergen
Steine, die, wenn man sie mit Wasser begiesst, blutigroth werden, was daher kommt, dass
der Teufel, während er dies Blut schlfirfte, etwas davon auf den Stein vergoss." (v, WUslocki^.)
Vielfach haben wir die Vorschrift getroffen, dass die Mädchen bei der
ersten Regel sich besonderen Speiseverboten unterwerfen mussten. Bei manchen
Volksstämmen ist das auch bei jeder späteren Menstruation der Fall, so z. B. nach
t;. Azara bei den Mayas und nach Rengger bei den Payaguas; die verheira-
theten Frauen der ersteren dürfen überhaupt niemals Fleisch von Kühen und Ochsen
geniessen; während der Menses ernähren sie sich lediglich von Gemüsen und Obst,
sie vermeiden zu dieser Zeit Alles was fett ist, denn sie glauben, dass nach dem
Genuss von Fett in dieser kritischen Zeit Hörner aus ihrer Stirn wachsen würden.
Interessant ist auch noch eine Anschauung, weil wir sie in fast überein-
stimmender Form wiederum bei zwei weit von einander wohnenden Völkerschaften
finden. In Portugal nämlich existirt nach Reys' Angabe der Glaube, dass die
Frauen, wenn sie von ihrer Menstruation befallen sind, von den Eidechsen ge-
bissen werden, und um sich vor dieser Gefahr zu schützen, pflegen sie, solange
der betreffende Zustand andauert, Hosen zu tragen. Ganz etwas Aehnliches nun
vernehmen wir durch Schomburgk von den Macusi-Indianern in Britisch-
Guyana. Bei ihnen dürfen die menstruirenden Frauen und Mädchen den Wald
nicht betreten, weil sie sonst den verliebten Angriffen der Schlangen ausgesetzt
sein würden. Sollte in diesen beiden Fällen nicht eine ursprüngliche, uralte
mystische Anschauung zu Grunde liegen, ganz ähnlich derjenigen, welche uns die
weiter oben beschriebenen plastischen Darstellungen von Neu- Britannien und
Neu- Guinea vorgeführt haben? Es möchte mir scheinen, als ob es sich hierum
den Glauben handelt, dass ursprünglich bei dem ersten Weibe die Menstrualblutung
durch ein Thier verursacht worden sei, welches dem Mädchen eine Bisswunde an
den Geschlechtstheilen beigebracht habe. Nur über die Thierspecies schwanken
die Ansichten. In Portugal war es die Eidechse, in Neu-Guinea das Krokodil,
in Guyana die Schlange und in Neu-Britannien der Nashornvogel. Dass dieser
Biss nicht ein eigentlich feindseliger Angriff war, sondern dass er mehr in
erotischer, verliebter Ekstase ausgeführt wurde, das mag vielleicht aus den Besorg-
nissen der Macusi-Indianerinnen hervorgehen.
Jedenfalls verdient es aber noch hervorgehoben zu werden, dass wir die
Schlange nicht allein bei den Indianern in Guyana als zu der Menstruation in
Beziehung stehend vorfinden, denn wir haben ja auch auf den sculptirten Planken
aus Neu-Guinea Schlangen aus den Genitalien der Weiber hervorkriechen sehen.
Aber auch bei den Basutho in Nord-Transvaal sahen wir, dass die zu der
Koma vereinigten halbreifen Mädchen um eine aus Lehm gebildete Schlange
tanzen müssen, und selbst in Deutschland glaubte man im 18. Jahrhundert,
wie ich berichtete, dass ein der Menstruirenden ausgerissenes und in den Mist ver-
grabenes Haar sich in eine Schlange umwandele. Warum es immer die Schlange
ist, vermag ich heut noch nicht in befriedigender Weise aufzuklären.
XIV. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben.
102. Die Beziehungen des Weibes zum männlichen Geschlecht.
Je höher ein Volk in der Cultur steht, um so geistiger und sittenreiner ist
das Band, welches beide Geschlechter mit einander verknüpft. Bei den rohesten
Völkern ist das Yerhältniss ein sinnliches und es kommen da fast nur die Triebe
zur Geltung, die auch beim Thiere eine bald länger, bald kürzer dauernde Ver-
bindung zwischen den Geschlechtem herstellen. Dann kann uns aber auch nicht
auffallend erscheinen, wenn dergleichen Völker ruhig gestatten, dass schon bei
Kindern der kaum erwachende Trieb mit einer Freiheit befriedigt wird, die wir
selbst als freche Unzucht bezeichnen, die von den Erwachsenen dort aber als
«Spielen'' aufgefasst wird. Eine Zurückhaltung von beiden Seiten gebietet die
herrschende Sitte bei Culturvölkem, denen noch nicht durch üebercultur die Ethik
abhanden gekommen ist; dagegen begegnen sich mit der naivsten Hingebung
Knaben und Mädchen unter vielen Naturvölkern.
Auf Madagascar stören und hindern nach Audebert die Eltern ihre Kinder
nicht; und bei den Basuthos in Süd-Afrika giebt es nach Missionar GriUzner
„neben der sanctionirten Hurerei eine heimliche, welche die kleinsten Kinder treiben,
und wobei die Knaben den Mädchen Perlen, Messingdraht u. s. w. als Hurenlohn
geben". Für den unbehinderten Geschlechtsverkehr der herangewachsenen Jugend
werden wir ebenfalls zahlreiche Beispiele kennen lernen. Von dieser untersten
Sprosse kann man die Stufenleiter bis zu derjenigen Höhe der civilisirten Zustande
verfolgen, wo sich zwischen Jüngling und Mädchen, sowie zwischen Mann und
VP'eib das reine Gefühl der Liebe und Achtung herstellt, und wo die Würde der
Frauen in ihr moralisches Recht eingetreten ist.
Bei der culturgeschichtlichen Betrachtung der Verhältnisse, die wir im sitt-
lichen Verhalten der Volker vorfinden, müssen wir uns vor allem frei halten von
der Neigung, jede Erscheinung von unserem eigenen Bildungszustande ans zu
betrachten und mit einem Maassstabe zu messen, wie wir ihn bei unseren Stammes-
genossen anzulegen gewohnt sind. Hierdurch würde unsere Beurtheilung auf er-
hebliche Irrwege gerathen, und unser subjectives Gefallen oder Missfallen an den
Gewohnheiten, wie wir sie bei den Naturvölkern finden, giebt uns gar za lacht
eine schiefe Stellung zu der Sache. Es ist uns gerade auf dem (Gebiete, das wir
nunmehr zu betreten haben, vorzugsweise eine ganz objective Auffassung geboten.
Wir müssen die Frage zu entscheiden suchen, ob gewisse Begriffe, die wir
uns bei unserem Bildungsgrade vom Weiblichen in ethischer Hinsioit geschaffen
haben, eingepflanzt sind schon in das ursprüngliche Gefühl und Denken des
Menschen? Liegen die Begriffe der Schamhaftigkeit, der Keuschheit nnd
die Werthschätzung der Jungfräulichkeit schon vorgebildet in der Psyche dos
108. Die Schamhaftigkeit der Weibet. 393
Menschen? Unter welchen Formen und Erscheinungen treten sie uns bei den
Natnrvölkem entgegen? Wie haben sich solche B^riffe dann mit der Gesittung
weiter entwickelt, oder wie sind sie später wieder verwischt worden? Dies Alles
sind Fragen der Ethik und Culturgeschichte, die uns im Folgenden beschäftigen
müssen.
Nächstdem werden wir zu ergründen suchen, wie sich das sexuelle Verhalt-
niss des Weibes zum Mann gestaltet hat, und was für Thatsachen wir in dieser
Beziehung bei den Naturvölkern nachzuweisen vermögen. Manchen socialen und
geschlechtlichen Yerirrungen werden wir nach unseren Begrififen begegnen, und
auch die Ehe wird uns dabei in ungewohnten Formen entgegentreten. Die Liebe
und die künstliche Erweckung derselben, die verschiedenen Formen des Verlöb-
nisses, das Heirathsalter, die Zeugung, die Befruchtung und Empföngniss müssen
wir ebenfalls genauer studiren. Denn wir sind leider noch weit entfernt, diese
Fragen endgültig beantworten zu können. Aber einiges Material, um sie ihrer
Lösung entgegenzufuhren, sollen die folgenden Abschnitte bringen.
103. Die Schamhaftigkeit des Weibes.
Ein dunkles Gesammtbewusstsein hat, wie der Psycholog Lotee bemerkt, in
der beginnenden sittlichen Ausbildung die verschiedenen Arten der Scham erzeugt,
«durch die das menschliche Geschlecht überall die Naturbasis seines geistigen
Daseins zu verhüllen sucht, und da am meisten, wo sie zu den zartesten und
geistigsten Gütern der Liebe und des Lebens die allersinnlichste Vermittelung
bildet ''. Man hat das Gefühl der Schamhaftigkeit als den ersten Grad der sitt-
lichen Regung aufgefasst, die in den Menschen erst dann einzieht, wenn für ihn
die niedrigsten Stufen der Cultur bereits ein überwundener Standpunkt sind.
Ganz ähnlich sind die Anschauungen PescheVs^ welcher den folgenden Satz
aufstellt :
«Brauch und Sitte entscheiden über Verdtattetes und AnstOssi^es, und erst nachdem sich
eine Ansicht befestigt hat, wird irgend ein Verstoss zu einer verwerflichen Handlung. Das
Schamgefühl hat sich noch gar nicht geregt, es herrscht also Nacktheit beider Geschlechter
bei den Australiern, bei den Andamanen, bei etlichen Stämmen am weissen Nil, bei den
rohen Negern des Sudan und bei den Buschmännern. Durchaus irrig wäre die An-
nahme, dass sich das Schamgefühl früher beim weiblichen Geschlecht rege als
beim männlichen, denn die Zahl solcher Menschenstämme, bei denen die Männer allein
sich bekleiden, ist nicht unbeträchtlich. Am Orinoco versicherten Missionare unHorem
Alexander von Humboldt, dass die Weiber weit weniger Schamgefühl zeigten als die Männer.
Bei den Obbo-Negern am Albert-See besteht die Bedeckung der Frauen in einem Laub-
büschel, während die Männer einen Fellschurz tragen u. s. w.'
Solche Ansichten sind, wie ich glaube, weit davon entfernt, das Richtige
zu treffen. Bei den allerniedrigsten Naturvölkern bereits finden wir unzweideutige
Zeichen eines entwickelten Schamgefühls. Man muss in dieser Beziehung ausser-
ordentlich vorsichtig mit seinem Urtheile sein, und man darf vor allen Dingen
nicht in den Fehler verfallen, dass man einen Mangel an Bekleidung mit einem
Mangel an Schamhaftigkeit identificire. Die völlige oder fast vollständige Nackt-
heit vieler Stamme unseres Erdkreises ist sehr wohl mit einem hohen Grade von
Decenz vereinbar und thatsächlich auch damit verbunden; während andererseits
die Bekleidung durchaus noch keine Garantie fär das Bestehen einer ausgebildeten
Schamhaftigkeit abgiebt.
Ganz neuerdings hat Heinrich Schürte den Satz aufgestellt: ^Das Scham-
gefühl ist nicht etwas zuföUig und nebenher Entstandenes; es ist vielmehr eine
nothwendige Folge einer gesellschaftlichen Entwickelung der Menschheit, und die
Kleidertracht ist nichts anderes, ab die äussere Andeutung eines seelischen Vor-
gangs: sie geht parallel dem Entstehen eines geschlechtlichen Alleinbesitzes, mit
394 XIV. Der Eintritt des Weibes in das Creschlechtsleben.
anderen Worten der Ehe/ Mit der Entstehung der Einzelehe bilden sich fest
geregelte Verhältnisse der einzelnen Frau zu dem einzelnen Manne; dieser wahrte
eifersüchtig, während die XJnverheiratheten der Bewerbung freigegeben waren,
das mit ihm verbundene Weib für seine Person und hatte das grösste Interesse,
dass es andere nicht anlockte; unter dem Zwange einer solchen Eifersucht entstand
die Kleidung, die auch in ihrer primitivsten Art symbolisch ausdrückte, dass die
Gattin nur ihrem Gatten angehöre. Am ersten und am stärksten bekleidet er-
scheint deshalb zuerst auch die verheirathete Frau.
Diesen von Karl von den Steinen reproducirten Anschauungen von Schürte
tritt der erstere in einem Artikel des Ätidandes entgegen, gestützt auf seine Er-
fahrungen, welche er unter einer Anzahl von beinahe oder gänzlich nackt gehenden
Indianer-Stämmen Brasiliens gesammelt hat. Er ist der Meinung, .dass der
Mensch zu einer Zeit, wo er das physiologische Schamgefühl schon voll besitzt, wo
er den Act versteckt, noch nicht daran zu denken braucht, die Organe zu verbergen,
sondern eher als ein anatomisches Schamgefühl ein InteressegefÜhl ffir dieselben
hat, das theils auf einer bei geringer Yolkszahl und niederer Culturstufe nodi
lebensfähigen ganz gesunden Unbefangenheit, theils auf Nützlichkeitsgründen, theils
auf dem Schmuckbedürfniss beruht. Ich beantworte meinerseits also die Frage:
haben alle Naturvölker Schamgefühl und Kleidung ? Physiologisches SchamgeftLhl
haben wenigstens die allermeisten und haben es in Folge einer einst sehr zweck-
mässigen, den Fortschritt begründenden Verheimlichung des geschlechtlichen Einzel-
verkehrs; zum anatomischen Schamgefühl sind viele noch nicht gekommen, und
diese haben „Kleidung'' nur in dem Sinn, dass man darunter den Schutz und die
Ausschmückung des Sexualapparates versteht, dessen Verheimlichung dem Yor-
stellungskreis der Naturkinder noch gänzlich fern liegen kann."
Karl von den Steinen fand, dass dieselben Leute, deren Schambekleidung
derartig gewählt war, dass sie so recht die Aufmerksamkeit auf die nur unvoll-
ständig verhüllten Theile lenken musste, in tiefer Beschämung die Köpfe senkten,
als er so schamlos war, in ihrer Gegenwart einen Bissen zu essen, den sie ihm
soeben als Geschenk übergeben hatten.
Es muss daher als durchaus unrichtig bezeichnet werden, wenn man als
allererstes Zeichen der weiblichen Schamhaftigkeit das Verhüllen der Schamtheile
hat hinstellen wollen. Die Schamhaftigkeit geht diesem Acte ganz offenbar schon
lange voraus. Und wo wir dann die Anfange einer Schambekleidung finden, da
steht es immer noch nicht fest, ob diese ein Verhüllen im ästhetischen Sinne, oder
vielleicht etwas ganz anderes bewirken soll.
Allerdings finden wir fast immer bei den wenig bekleideten Völkern, dass
die Kinder beider Geschlechter bis zu dem Beginne der Pubertät vollständig nackt
einherzugehen pflegen. Erst zu der Zeit, wo die Menstruation beginnt, fangt das
Bekleiden der Schamtheile an. Aber bei einzelnen Volksstämmen bleiben auch
noch die erwachsenen Mädchen ganz nackt, z. B. bei einigen südamerikanischen
In dianer- Stämmen; und erst nach erfolgter Verheirathung wird das Schamband
angelegt. Hier hat schon Waitjs^, ganz ähnlich wie Schürte^ die Eifersucht der
Männer als die Ursache der beginnenden Bekleidung betrachtet, von den Steinen^
stimmt aber auch hier nicht zu; er erkennt in dem Schambande nur eine Vor-
richtung, um ein Klaffen der Vulva zu verhindern und die Schleimhaut vor In-
sulten zu bewahren, und er sagt dann:
,Ks ist ferner anzuerkennen, dass, die Absicht des Schutzes der Schleimhaut voraus-
>?esctzt, ein Bedürfniss sich dafür durch das geschlechtliche Leben wenigstem steigert«, weil
bei der jungen Frau die Mucosa zugänglicher wurde, im Zustande der Schwangerschaft tur^
gescirte, und durch die Entbindung gelockert wurde.*
Ich schliesse diese Erörterungen mit dem Hinweise auf den Ausspruch eines
ungenannten Anthropologen, dem man gewiss beistimmen darf:
,Mit der Ethik ist es ungeachtet mehrerer achtungswerther Versuche, den Bann an
durchbrechen, noch nicht viel besser bestellt, als mit vielen anderen Gebieten der «GrätM-
104. Das weibliche ScbamgeiQbl bei den Natu
395
i^cbaften'r welcbe Ja «ämmtlich auf psycho! ogiacher Btuis beruhen. Die Parole hcdMt
uelj hier* »elbat bei Yorurtbeilsloeeni noch Inuner; Coijstnuren! Zuerst macht man sich nach
öor Bilduog und Neigung, wie nach UedankenÄtröaiung dt?r Zeit einen Begriff von Tugend
d Ftlichti und sucht dann dessen geschichtliche Kr>'9talli6ation zu finden und nnchzu-
n. Einzig die Anthropologie^ die Kenntnis.«! der moralischen Anschatiungen
&r Urvölker, soweit «ie zu eruiren sind, dann der noch lebenden Naturvölker,
lien sie auch nur Rudera älterer Stämme und Rassen, kann hier therapeutisch und corri-
lirend wirken.*
104. Da8 wcnklielie SehitingerUhl bai den Naturyölkerti,
Wollen wir die ThateÄchen, die über dos Schamgefilhl des weiblichen Ge-
plilccbts bei den verschiedenen Volksstiimraen beobachtet werden konnten, einer
päheren Mnsterunj^ unterziehen, 8o beginnen wir wohl am besten mit den in der
Itur tief stehenden Rasseu» Auch hier ist es wiederum sehr lehrreich, was
faW von deft Stanen- über die von ihm besuchten Indianer* Stämme in Bra-
ilion berichtet, welche sich bekanDtermaaseen bei seiner Ankunft noch in der
Jt^inzeit befanden:
.Unvere Eingeborenen haben keine geheimen Körpertbeile. Sie scherzen dber sie in
>^ori und Bild mit voller rnbeiangenheit, so daii*8 es thöricht wäre, sie deshalb um&nettlndig
uenuen. Sie beneiden uns um unsere Kleidung als um einen werth vollen Schmuck, «de
a^eu ihn an und tnigen ihn in unserer Gesellschaft mit einer so gänzlichen Niebtaehtung
tiserer einfachsten Regeln und einer i^o gänzUchen Verkennung aller
piesoii gewidmeten Vorrichtungen^ daas ihre paradiesische Ahnnngs-
ligkeit auf das AufflLlligste bewiesen wird. Einige TOn ihneu be-
»hea den Eintritt in die Mannbarkeit für beide Geschlechter mit
lut#n Volksfesten, wobei sich die allgemeine Aufmerksamkeit und
Ausgelassenheit mit den , private parts^ demonstrativ beschäftigt. Ein
der dem Fremden mittheilon will, dass er der Vater eines
deren sei; eine Frau, die »ich als die Mutter eines Kindog vor-
will, eie bekennen sich ernsthaft ala würdige Erzeuger, indem
Bit der unwillkürlichsten und natürlichsten Verdeutlichung von
Welt die Organe anfassen, denen das Leben entspringt.*
^Die Suya- Frauen, die sich mit Halsketten dchmücktdn und
in den durchbohrten Ohrlilppcbeu dicke band maassartig aufg^^roUte
F VI mblattüt reifen trugen, gingen durchaus nackt. Die Trumai-
Frauen trugen eine Binde aus weichem» grauweiKalichem Batt: fda
war XU (linem Strick gedreht, «o daw eine Verhüllung nur in den pjg 2\i^. b
allerbeacboidensten Grenzen vorhanden war und sicherlich nicht beab« U ä d c h « n i
sichtigt sein konnte, da man den Streifen nur hjltte breiter zu nehmen »»**^''* ***' tl] \
ImiQchAn. . . . Die Boror 6- Frauen hatten ebenfalls die weiche
grane Baatbinde, die sie während der Mensea durch eine 8chwar7,e
ervetzten ; nur befestigten sie die ßinde an einer Htiftschnur, . . Die
Krauen der Karaiben, der Nu-Aruak und Tupi -Stämme dea
Seh ingu- Quellgebiet« trugen sUmmtlioh das dreieckige Stückchen starren Rindenbaates (das
Durip das der Verfasser genau beechreibt). Sie bedecken gerade den Anfang der Scham-
8palte und liegen dort fest an. Der Introitua vaginae wird durch das Dreieck nicht erreicht»
lit'cr durch den Gesammtdrock von vom nach hinten verschlossen oder mindestens nach innen
c'u nick geh alten, da der zwischen den unbehemmten Labia miyora »n der Spalte eingebettete
Pjinmstreifen scharf angezogen ist*
von den Steinen kommt dann zu folgendem Schlug«;
«Den venschiedenen Methoden der Frauen gemeinsam ist der V«r9chluM, nicht die Ver-
hllllung. Sie halten die Schleimhauttheile sturQck, wie bei den Männern die Glans verhindert
wird, vorzutreten. Zurückhalten der Schleimhaut ist der allen Vorrichtungen beider U^
' r gemeinsame Effect Das Uluri erreicht ihn bei einer so weit getriebenen Reduction
jkung, dasa die Verbdllung eher möglichst vermieden, aU gewiUiBcht erscheint. Dit^
i!Ciilt:uulmüt bleibt . < . der Aussen weit . . . verborgen. Kleidung«stiicke, deren H ^ ^^
«8 wäre, dem Schamgefühl zu dienen, kann man doch nur im Scherz in jenen Von i
erblicken. Das rothe Fädchen der Trumai« die riarlichen Hloris, die bunte Fakn^ der
Ver-
tleckung der ScliAmtbftilo
bc nutze tiiU
(Kfecli Photoj^r»phb4
396
XIY. Der Eintritt des Weibes in das Geschlectitsleben.
Bororö fordern wie ein Schmack die Aufmerksiimkeit heiuoa, statt Bit absuJenken.
Auch bei den Frimen wörde» wenn Schatz der Scbleiuihaut darch ihr© Vorrl * i
werden aoUte» dieser Zweck wohl erreicht, und aicberUcb besser erreicht iv dek ilo
Verhüllung. Die absolut nackten Suy4-FrAuen wuschen sich die GeBcblecbUtUüiU am Fla»
in unserer Gegenwart.*
In Bezug auf die Schaiiitheile berrscht hier also keine Scham; und doch
hat gerade von den Steinen gezeigt^ dass diesen Wilden, me wir oben V^Ht-'^^it«
trotzdem die Empfindung des Schämens nicht fremd ist.
Bei einem gänzlich nackten Botoku den -Mädchen, welches
photographisch aufgenommen hat (Fig, 218), erkennt man schon du- 1
Bestreben, beim Niedersiizen eine solche Stellung einzunebmea, dass die Gemtatu
FSg. 21^ »- '
oh bodcckend. CKach Phot«gt«phU.)
!urch das Bein verdeckt werden. Auf der Photographie einer T! ' la-
nttrin, welche im Dammann- Album enthalten ist, können vrir l
njerken. Ebenso zeigt 68 sich auf den in dern Werke von It^ades ann lltnth
enthaltenen photographischen Aufnahmen von Feuerländerinnen, oh'i-'-i^ die
ftelben, ebenso wie die Ticunas^Indianerin, nicht gfinzüch narkend ei
eine kleiit' ''- ' -lecke tragen. Nur eine >
wurd»^ [)li iirt, als sie zufiLlHg ihr-
verhüllte sich mit der Hand und e« wird zu diesem Bütl«,* bemerkt it'ig, 2\i^}\
»La Fig, 1 la repr^sente au tmnnent oü, par tmo axception fr • ^- „n. .:#,♦ .;,..r.^
104. Das weibliche Schamgefühl bei den Nati
Epetit tablier; noire regrett^ camarade, M, le lieateaant de vaisseau Fipjen, qui a pris
[ eette Photographie, etait tret^ coimu de cetie jeune fttle, mai& ü ne put jamais obtenir qaVlle
ität iia main droite de la place aasign^e au tablierv'
Ganz ähnlich erging es r. Bischoff bei den von ihm in Miinchen unter-
suchten P e ue r 1 ä n d e r i n n e n.
Nur unter Widerstreben konnte er sju einer «ehr oberflächlichen Anachauujig gelangen;
telbtl bei den kleinen vier- und dreijährigen Mädchen der Truppe war es ihm
unmöglicbi sich von dem Verhalten ihrer Geechlechtsilieile zm überiseugon« da ihr eigenes
' Btr&uben auch noch von ihrer Matter unterstQki wurde.
'i^v.
Mi
Fig. 220. FeaerUnderinoeD, Im SiUou %\^h uiit den Beiaoti diu Si^bamtliQilo v«rc1«ckfltiil.
(N»ob Pbotogmpbie.)
Ihjailes und DeniJcer äussern sich über die Öchamhaftigkeit der Pen ei-
lend er folgendemiaaHsen:
»Qu pourra peut*L«tre d'etouner de lire ici que le sentiment de la pudeur est tr^s d6ve-
lopp^^ ches le« Fudgiena, habittieä a virre nue«i. IIa la maniJostent dan» leur main tien, dann
Vaiaance avec taquelte iis äe montrent Bana vetement, compares ^ la gene, 4 la rougeur, u la
honte qu^ili t^prouvent, hommei ou temmes, si Ton üxe le regard aur certaines parties de leur
Corps. £ntre euz Jamals ce dernier fait no se realifio« meme, si Ton reut pouBser robservation
de honte 4 l'extrdmei dans les rapports ontre ejHJuz/
Eine Gruppe von Feuerlünderinnen, welche von den Genannten sitzend
photographtrt wurden (Fig. 220), lassen deutlich erkennen, wie geschickt sie es
verstehen, den Beinen beim Niedersitzen eine solche Stellung zu geben, dass die-
selben die Schamtheile verbergen, obgleich die letzteren durch einen Schamschorz
hinreichend verhüllt werden.
Auch bei einem sehr wenig cultivirten Indianer-Stamme amGoyabero*
Flusse, den Mitua, welche die Nachbarn als Wilde bezeichnen, fand Creveaux
I die offenbaren Zeichen von natürlicher Scliamhaftigkeit der Frauen* Die Weiber
398 ^^^- ^01^ Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben.
tragen dort ein sackartiges Gewand; Creveaux kaufte einem Weibe ein solches
ab, und als sie nun das neue mit dem alten vertauschen sollte, da konnte sie nur
mit grosser Mühe von ihrem Manne dazu bestimmt werden, diesen Kleiderwechsel
in der Gegenwart der Fremden vorzunehmen. Von den Araucanierinnen in
Chile behauptet Treidler^ dass sie bedeutend verschämter seien, als die chrisÜiche
weisse Bevölkerung.
Bei den Völkern Oceanieus begegnen wir auch schon dem erwachenden
Schamgefühl. Jung bestätigt es von den Australierinnen, und LabiUadiere
erzählt von den Tasmaniern, dass die Männer mit auswärtsgelegten Beinen zu
sitzen pflegten; ihre Weiber aber legten beim Sitzen die Beine so, dass ihre
Scham durch den Fuss bedeckt wurde.
Hagen^ berichtet von den Salomon-Inseln:
«A San Cristoval on ä Malayta, les femmes se pr^sentent sur la plage absolomeni
nues: dans les autres lies, soules les femmes, ayant eu des enfants, portent antoor des reias
une ceinture en feuilles de pandanus qui laisse les hancbes ä decouvert."
Auf Neu-Caledonien tragen die Männer nur einen dünnen Strick am den
Leib, die Weiber hingegen einen freilich äusserst schmalen Rock aus Rindenfasen^
gelb oder schwarz gefärbt, auch wohl mit Muscheln besetzt (Jung). Dieses Tragen
des Franzengtirtels auf Neu-Caledonien ist nach de Eochas den Madchen unter-
sagt, und nur ein Recht der verheiratheten Frauen.
Von denselben Insulanern schreibt Moncdon:
„Le sentiment de la pudeur eziste tr^-certainement malgr^ la facilit^ et le r^lachement
des moeurs. On le reconnait ä certains mouvements, certaines ezclamations qui se prodoisent
ä un moment donn^. Ainsi, il m'est arrive de couper brusquement la feaille de baoaniar
servant de tapa (Schamschurz) u des femmes, qui s^enfujaient imm^diatement dans les fourr^
voisins en cherchant ä s'abriter de leurs mains ^tendues.*
Man wird sich hier allerdings kaum des Gedankens erwehren können, dass
diese Weiber wahrscheinlich gefürchtet haben, dass man ihnen Gewalt anthun wollte.
In Polynesien legen die Weiber, wenn ein Schiff die Küste ihrer Insel
anläuft, mit der grössten Leichtigkeit ihre Kleider ab, die nur aus zwei Theilen
bestehen, einem oberen, Poncho-ähnlichen und einem um die Hüften gewundenen
Lendentuch, man sieht sie dann um das Schiff herumschwimmen und an Bord des-
selben steigen, ohne dem völlig nackten Zustande irgendwie Rechnung zu tragen.
Dies fand schon statt, als die ersten Europäer dort landeten, und noch heute
besteht solcher Brauch. D^e Damen der Sand wich -Inseln begeben sich auf
diese Weise auf die europäischen Schiffe, indem sie beim Schwimmen ihre
seidene Robe, ihre Schuhe und ihre Sonnenschirme über die Wogen emporhalten
(Beechy), Dieses nach unseren Begriffen ,, schamlose* Gebahren ist ursprünglich
wohl nur das Ergebniss einer naiven Auffassung von Freiheit und Reinheit der
Sitten, die von jenen, damals noch wenig verdorbenen Weibern dem enterteten
Geschlechte der europäischen Matrosen entgegen gebracht wurde; allein gar
bald machte solche Naivetät bei so unreiner Berührung der schmählichsten Pro-
stitution Platz. Ursprünglich schien nicht das Schamgefühl die Verhüllung der
Blosse vorzuschreiben; auf Tahiti bedeckten sich die Frauen in den unteren
Partien nach Cook's Beobachtung lediglich ^aus Artigkeit**. Wenn die Missionare
auf mehreren Inseln der Südsee die Mädchen veranlassten, sich mit einer wenig
anmuthigen Tracht zu bekleiden, so haben dieselben neue Begriffe von Anständig-
keit gewonnen, aber zugleich das natürliche Gefühl der „Artigkeit*" verloren.
Früher waren die Weiber der Mikronesier sehr streng, schamhaft, durch-
aus taktvoll und zurückhaltend. Auch im freien Verkehr mit den Jünglingen ihres
Volkes, welche den Mädchen für ihre Gunst Geschenke geben müssen, herrscht
bei aller Freiheit eine gewisse Schamhafbigkeit. (Waitz-Gerland.)
Grosse Naivetät zeigen dagegen die Chi nwan- Weiber auf der Insel For*
mosa. Joest^ berichtet:
104. Das weibliche Schamgefühl bei den NaiaryOlkern. 399
«Schamgefühl ist nicht der Grund ihrer dichten Bekleidung; die Frauen und M&dchen
zeigen, zumal beim Hocken, ohne Scheu ihre Geschlechtstheüe, und häufig äusserten sie den
Wunsch, die meinigen zu besehen oder zu betasten, allein aus Neugierde."
Von den alfurischen Frauen auf Serang sagt Gapitan Schubse:
„Trotz der spärlichen Bekleidung sind sie sehr keusch und züchtig."
Ueber die Schamhaftigkeit der Weiber in Cochinchiua äusserte Mondiere
Folgendes:
„La pudeur, ou au moins se que nous nommons ainsi chez nous, g§ne pou la femme
d^Annam, et eile vous dit de Tair le plus natusel et sans que la moindre rougeur appa-
raisse sur son front, Tage oü pour la premiere fois eile s'est abandonnee. Et ce n'est pas
leulement dans les classes inferieures que les choses sont ainsi. J'ai eu Thonneur d'^tre con-
sult^ ou Visits par plusieurs dames de ce que Ton appelle la cour de Hu^ et qui ressemblent
beauconp aux helles et honn§tes dames du sire de Brantöme, EUes m'ont racont^ leur
d^buts amoureux avec la mSme franchise et la memo impudeur que les filles de Dan (lisez
Yä-n, paisan).*'
Nach dem letzten Tagebuche des verstorbenen Ludwig Wolf traf derselbe
in Tschau tjo, einem der Hinterländer des Togo- Gebietes, eine herrschende
und eine eingeborene beherrschte Bevölkerung an. Von der letzteren gingen
nicht nur die Kinder, sondern auch die Männer und die Frauen und die er-
wachsenen Mädchen vollständig nackend. Von Schamlosigkeit wird aber nichts
berichtet.
Auch in der Stadt Lari in Central -Afrika sind alle Frauen völlig un-
bekleidet (Detiham).
Eine Prinzessin des Stammes der Apingi in Gentral-Afrika erhielt von
Du Chaiüu als Geschenk ein schöngefärbtes Hemd, und sofort entkleidete sie sich
vor seinen Augen, um dasselbe anzulegen.
Bei dem 6 alla- Häuptling Tidu in Gobo im oberen Nil gebiet fand Juan
Maria Schuver eine sehr primitive Hottracht: er bemerkte, dass ein halbes
Dutzend gelber wie schwarzer junger Mädchen in völlig nacktem Zustande, ohne
Kleidung, ohne irgendwelchen Zierath einfaergingen, obwohl manche unter ihnen
wohl kurz vor der Heirath standen. Bei dem benachbarten Stamm der Koma-
Neger fand er dagegen, dass die Mädchen ein sehr entwickeltes Schamgeftihl
haben. Schuver verfällt hier in den gewöhnlichen Fehler, Nacktheit mit Scham-
losigkeit zu verwechseln.
Bei den Frauen der Fan an der Küste von Guinea beschränkt sich die
Bekleidung auf ein Affenfell rückwärts, ein schmales Stück Zeug oder einen Qras-
büschel vorn; trotz dieser geringfügigen Verhüllung sind die Frauen der Fan weit
schamhafter, als die der anderen Stämme.
Von den Negerinnen der Westküste sagt Zöllner:
,Das, was wir Schamhaftigkeit nennen, ist ganz gewiss auch hier vorhanden, nur weit
weniger entwickelt als bei den civilisirten Völkern. Die jungen M&dchen nahmen nicht den
geringsten Anstand, sich vor den Augen der weissen Männer sowohl wie der schwarzen Männer
selbst ihres Shlipses, jenes fingerbreiten, zwischen den Schenkeln von vorn nach hin ton ge-
zogenen Bändchens zu entledigen, sich mit einer schwarzen, im Lande verfertigten Seife ein-
zureiben, und dann an der Lagune abzuspülen.*
Pechuel'Loesche sagt von den Loango-Negerinnen:
,iDie theil weise Nacktheit der Negerinnen wird gemildert durch die entschieden vor-
theUhafte dunkle Farbe der Haut, und sie erscheint keineswegs so unzüchtig und wirkt nicht
so entsittlichend, wie das Verführerische halb verhüllter Reize. Die wohlerzogene Negerin
liebt es, den Busen zu bedecken und ist empfindlich gegenüber musternden Männeraugen.
Begegnet sie ohne Obergewand dem Europäer, so führt sie instinctiv, wiewohl auch oft
nicht ohne Coquetterie, die Bewegung aus, welche an der mediceischen Venus so vielfach be-
leuchtet wurde.*
Hier darf man nicht übersehen, dass der erste Satz doch nur den Eindruck
wiedergiebt, den diese Farbigen auf den Europäer hervorrufen. Dass sie ihren
Landsleuten vrirklich nackt erscheinen, darüber kann wohl kein Zweifel bestehen.
400 ^1^* ^61* Eintritt des Weibes in das (Geschlechtsleben.
Die Bedeckung der Blossen ist bei den Weibern noch mancher anderen
Neger-Völker eine äusserst geringe oder nichtige. Emin bemerkte auf seiner
Reise vom weissen Nil durch Njambara nach Kedibe, dass im Bezirke Amadi
die Laubschürzen der Frauen oft eine pure Formalitat, Muster fttr die Breite
individuellen Geschmacks sind; vom dichten Büschel grün belaubter Zweige, die
wirklich Blossen zu verdecken vermögen, bis zur einfach grünen Ranke, die sich
von der Gürtelschnur vorn nach der Gürtelschnur hinten zieht. Emin sagt:
^Das schwächere, hier aber sehr stämmige Geschlecht ist im Bedecken sehr sparsam,
und viele der fettglänzenden, eisenbeladenen Schönen hüllen sich absolut nur in ihre Farbe.
Im Moru-Lande gehen die Franen meist vöfiig nackt, nur einzelne hängen hinten an die
Gürtelschnur ein Laubfragment. Sonderbar dabei ist, dass, wenn man einem Zug^ Reicher
decollotirten Schönen begegnet, die Wasser tragen, sie zunächst mit der freien Hand ihr Ge-
sicht verdecken. Nach allem, was man in Afrika sieht, ist Scham doch auch nur ein Er-
zieh ungsproduct. "
Obwohl die Frauen der Berabra sehr virenig bekleidet einhergehen, und die
Mädchen bei ihrer Verheirathung nur eine sogenannte Rahat (einen den Unter-
leib umfassenden Riemen, von dem nur dünne Riemchen von verschiedener Lange
herabhängen) tragen, und auch sonst den Fremden gegenüber sich frei bewegen,
sind sie doch von grosser Eingezogenheit und Sittenreinheit. Bei einzelnen
Neger Völkern bedecken die Weiber das Hintertheil; nimmt man ihnen den
Schurz, so werfen sie sich mit dem Rücken auf die Erde, um diesen Theil nicht
sehen zu lassen; sie besitzen also ein perverses Anstandsgefühl.
Wir werden aber für die Mehrzahl der Fälle Merensky^ zustimmen müssen,
welcher sich nach eigenster Erfahrung unter sehr verschiedenen Stämmen von
Afrika mit folgenden Worten über gewisse Fehler äussert, welche in unseren
Kolonien begangen wurden.
„Jeder Kenner von Naturvölkern weiss, dass auch unter solchen Völkern,
bei denen das von der Sitte vorgeschriebene Maass der Bedeckung vielleicht recht
gering und kümmerlich ist, die Leute gerade in Bezug auf die Bewahrung dieses
Maasses meist ängstlich peinlich sind, und es als tiefe Schmach empfinden, wenn
man sie dessen beraubt/
105. Die weibliche Scliamhaftigkeit bei den hoher cultiTirten
Yolksstiiinmen.
Auch bei den Völkern höherer Cultur finden wir sehr verschiedenartige
Abstufungen in Bezug auf die weibliche Schamhaftigkeit. So kommen in Japan
Gebräuche vor, welche sich ganz wesentlich von unseren heutigen Begri£Pen von
der Schamhaftigkeit unterscheiden. Dahin gehört vor Allem, dass beide Ge-
schlechter in den öffentlichen Bädern völlig unbekleidet mit einander verkehren.
Wir dürfen hierbei aber nicht vergessen, dass noch bis in das 17. Jahrhundert
hinein auch bei uns ganz ähnliche Zustände geherrscht haben, wie ich später
noch besprechen werde.
Haben wir in dem vorigen Abschnitte gesehen, wie bei vielen Volkern es
sehr wohl mit der Schamhaftigkeit verträglich ist, dass die erwachsenen Madchen
und Frauen entweder vollständig, oder doch so gut wie nackend gehen, so finden
wir das andere Extrem bei den Mohammedanerinnen, welche, wie ja allgemein
bekannt ist, sogar ihr Gesicht unter einem Schleier verbergen müssen. Bodenstedt
konnte in Tiflis von seiner Wohnung aus das Frauengemach eines armenischen
Kaufmanns überblicken:
,Da sassen (bei jedem festlichen Anläse) 30—40 armenische Frauen mit gekreuzten
Beinen auf einem grossen, das ganze Zimmer ausmessenden Teppich, in buntem Kreise, aUe
angethan mit schweren kostbaren Stoffen, den Nacken von einem weissen Schleier überwallt,
und das Leibchen zwiefach halbmondförmig so weit ausgeschnitten, dass des Dofeni besserer
Theil offen zur Schau lag. Ich kann hier die Bemerkung einschalten, dass im Iforgenlande
m
Did weibliche Scham baftigkeit bei den höher culÜvirton VoIkssULmmen. 401
te Frauen mit ihrem ßiuen noch Tie) weniger heimlich thnn aU bei nns. Dem i»trengateci
Schamgefllhl itt dort Genüge gethan mit dem Verhüllen des Gesichts. Alle Qbrigen Körper-
thmio werden geringerer Berückcichtignng gewürdigt. Es iat um da^ Bebte kl ichkeiis- und
AnatandHgefQbl (wie es im Grunde allen Völkern inne wohnt» »ich aber auf die verschied enatc
Art kundgiebt) ein eigenes Bing. Eine Schottin kann vor lauter Scham haftigkeit in Obn-
tiiiicht falleu, wenn sie einen Mann mit einem Barte «iebt, findet e^ ah^er ganz ihren Begrifien
von Anstand gernfts^^ dass die Männer ohne Hosen einhergehen, ein Zustand, der den Damen
anderer Lünder wieder das Blut der Scham in die Wangen treiben würde. Eine badende
uropUerin wird« wenn de sich von Männeraugen erspähet weij^s, alles andere eher ver-
Ueut aU ihr Gesicht, Eine Aiiatin wird, unter ähnlichen Umständen, fremden Blicken
'altes andere eher preisgeben als ihr Gesicht. Diese wenigen Beispiele mögen genügen, um
darsuthünf wie schwer m ist, in dem, wa« man Sitte und Anstand nennt, die Scheidelinie
zwiacben dem Ernsten und Komischen^ zwischen Weisheit und Thorhoit zu ziehen« Der be-
echränkte Mensch ist immer am meisten geneigt, das zu belächeln, was über meinen engen
Geiichtskreis hinausreicht j je weiter der Blick» desto milder das ürtheil/
In der Art und Weise der Verhüllung des Gesichts durch den Schleier
&rr«cben aber bei den Orientalinnen recht erhebliche Untei'schiede, wie wir aus
»wissen Photographien entnehmen können.
au der vornehmen Klasse aus Tunis in
brem Strassenanzuge, im Begriff, das Bad
besuchen. Hier hat die Verhüllung des
leaichts ihr Maximum erreicht. Bei einer
lauriu aus Algier dagegen iVig. 222)
^finden wir den Schleier so diinu und durch-
pichtig, daea er doch fast das ganze Antlitz
rkennen lasai
Zwischen diesen beiden Extremen findei
ich allerlei Uebergänge, und bei eir
Tolksstiimmen sind es nur die verheirah
Weiber, welche das Gesicht verhüllen milssen,
während die erwachsenen Mädchen ihr Ant-
litz unverhüllt zeigen dürfen. Bei manchen
Volkern erstreckt sich die Verhüllung nur
auf das Untergesiebt, den Mund und das
tinn, und noch andere gestatten ihren Wei*
ern, obgleich sie Mohammedaner sind, voll-
Andig un verschleiert einherzugehen.
Bei den Armenierinnen des Dorfes
Kurd-i-Bala in der Nähe von Ispahan
musB nach Benins Bericht das Untergesicbt
Fig. 221 zeigt uns eine verheirathete
if;
Kig 221. Verhelmthetd Fra« «ler vor*
Stet« verscnieiert getragen werden, und den ^^ ^^^ ,^^,, ^j^.^ ^,,^,, ^^vith^ j^a «eher.
Mund der rrau oder gar ihre Zunge darf (KEch Pboiogimpiiieo
nicht einmal der Ehemann sehen.
Komisch wirkt es nun allerdinga auf una, wenn wir von Mitiich erfahren,
BS die Tschuwaschinnen (Wolga- Türken) es ftir unmoralisch halten, ihre
ckten Füsse zu zeigen, und dass sie sich sogar mit umwickelten Füssen zu Bette
egeben. Ab Pendant hierzu erzählt Vamhirij^ dass die Türkinnen Central-
^siens etwas Aehnliches thun, und die Turkomaninnen als lasterhaft ver-
schreien, weil letztere selbst in Gegenwart von Fremden barfüssig einhergehen.
Bei den Japanern ist es gebräiichlich, tiiglich ein heisses Bad zu nehmen
Jach Svlcftla finden die unbemittelten Klassen an verschiedenen Stellen der Stadt«
Tentliche Badehäuser, wo oft Mann und Weib, Mädchen und Jüngling un be-
kleidet neben einander bocken. In harmloser Unschuld, wie Adam und Eva vor
^m Sünden fall, gieht man sich plaudernd und scherzend der Abbrüh ung hin, um
i)enso ungenirt dem Bade zu entsteigen, sich zu trocknen und wieder anzukleiden.
402
XIV. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben.
Bei den Chinesen darf dagegen nicht einmal der Gatte die nackten FOsse
seiner Ehefrau sehen, und überhaupt gilt es dort für unanständig und sogar für
eine Sünde, welche gebeichtet werden muss, nach den Füssen der Damen zu blicken.
Ich hatte dieses früher schon erwähnt.
Es wäre nun aber ein ausserordentlicher Irrthum, wenn man glauben wollte,
dass dasjenige, was man als weibliche Schamhaftigkeit und Züchtigkeit zu be-
zeichnen pflegt, bei den Culturvölkem Europas bereits zu einem absolut fest-
stehenden BegrifiTe sich herausgebildet habe. Wie ausserordentlich wechselnd hier
noch in den letzten Jahrhunderten die Anschauungen der Damen gewesen sind,
selbst in den höchsten und den gebildetsten Kreisen, das lehrt uns einfach ein
Blick auf die rhythmischen Schwankungen der Damenmoden. Was den einen Tag
als frivol und gemein im höchsten Grade betrachtet wird, das gilt bereits den
nächsten Tag in noch gesteigerter Potenz für fein, naturgemäss und wohlanständig.
Gilt es heute noch für unschicklich,
auch nur das Handgelenk unbedeckt zu
zeigen, so trägt mau morgen ohne Scheu
den ganzen Arm bis zu seinem Ur-
sprung entblösst, und gestattet sogar
einen unbeschränkten Einblick in die
Achselhöhle. Muss das eine Mal der
Hals verhüllt sein bis unter das Kinn,
so erregt es Tags darauf keinen An-
stoss, die Schultern bis tief hinab zum
Rücken und die Brüste fast bis zu ihrer
Warze zu präsentiren. Darf eben noch
auch nicht einmal die Fussspitze unter
dem Gewände hervorblicken, so ist es
im nächsten Augenblick erlaubt, das
Hein bis über das Knie hinaus den pro-
fanen Männerblicken blosszustellen. Muss
endlich einmal die gesammt« Kleidung
so gewählt werden, dass man in ihr
selbst bei der blühendsten Phantasie
einen menschlichen Körper nicht mehr
zu ahnen vermag, so ist es in kurzer
Zeit schicklich, dass das Gewand dem
Fig. 222. Maarin uas Algier, versrhleiert, aber Körper sich SO knapp anschmiegt, dass
80 feiu. dass das ^ga^M^ii^skht^^^^^ ist. ^an ihn in allen seinen anatomischen
0 o^nrap le.) Eigenthümlichkeiteu sofort zu über-
blickeu im Stande ist. Dass das Radfahren neuerdings eine ganz plötzliche Um-
wandlung in den ethischen Anschauungen unserer Damen hervorgerufen hat, das
brauche ich nicht weiter auseinanderzusetzen.
Aber auch abgesehen von diesen Launen der Mode hat die Schamhaftigkeit
bei uns recht erhebliche Wandlungen erfahren, und wenn wir uns bemühen, aus
unseren Dichtern und Busspredigern in dieser Beziehung die Anschauungen der
Damen des Mittelalters kennen zu lernen, so begegnen wir dort für unsere heutige
Auffassung und Empfindung sehr eigenthümlichen Sitten und Gebräuchen. Lesen
wir z. B. den Parzival, so finden wir, dass er in der Burg des heiligen Graal
als Gast aufgenommen und Abends von Jünglingen entkleidet wird:
Jungherren gar behendiglich
Entschuhen ihm Beine, die sind blank:
Mancher ihm zu Hülfe sprang,
Auch zog ihm seine Kleider ab
Mancher wohlgebome Knab:
Es waren schmucke Herrlein.
105. Die weibliche Sohamhaftigkeit bei den hoher coltivirten Volkast&mmen. 403
Als er nun entkleidet auf dem Polster vor dem Bette sitzt, da erscheinen
▼omehme Jangfranen, um ihm noch Erfrischungen zu bringen:
Zur Thüre traten jetzt herein Sie sprachen: „Ihr sollt wachen
Vier klare Jungfrauen, Uns zu Lieb noch eine Weile.*
Die man gesandt zu schauen, Verborgen in der Eile
Ob man ihn wohl yerpfl&ge Hat er unterm Bett sich ganz;
und ob er sanft gebettet l&ge Nur seines Antlitzes Glanz
Pareival der schnelle Mann Gab ihren Augen Hochgenuss,
Sprang unters Decklachen. £h sie empfingen seinen Gruss
Sie bieten ihm nun Morass, Wein und Lautertrank und Aepfel aus dem
Paradeis an *
Süsser Red er nicht vergass;
Der Herr trank, einen Theil er ass,
Dann gingen sie mit Urlaub wieder.
Natürlicher Weise kann bei dem Einnehmen der Mahlzeit die Verhüllung
dieses hemdenlosen Ritters nur eine ziemlich dürftige gewesen sein, denn man
darf dabei nicht vergessen, dass man in damaliger Zeit vollständig nackend zu
schlafen pflegte. Legt ausnahmsweise einmal Jemand ein Hemd an, so wird das
ganz besonders rühmend berichtet.
An einer anderen Stelle wünscht eine Königin, dass ParzivcU sie von ihren
Feinden befreie. Sie sucht ihn, um diesen Beistand von ihm zu erbitten, Nachts
allein in seinem Schlafgemach auf .nicht zu solcher Lust Gewinn, die aus Mädchen
Frauen macht unversehends in einer Nacht", sondern „sie suchte Half und Freundes Rath.
Sie trug auch wehrlichen Staat; Ein Hemd von weisser Seide fein. Wie könnte streitbarer
sein, wenn sie zum Manne geht, ein Weib? Auch schwang die Frau um ihren Leib von
Sammet einen Mantel lang: Sie ging, wie sie der Kummer zwang. ** Dann kniet sie an seinem
Bette nieder, er will das nicht leiden und bietet ihr seinen Platz an. „Sie sprach, wollt ihr
Euch ehren, mir solche Zucht bewähren, nicht zu rühren meine Glieder, leg ich mich zu Euch
nieder. Den Frieden gab er feierlich: Da barg sie in dem Bette sich.* und nun setzt sie
ihm ihr Gesuch aus einander, dem er auch Folge giebt, und ihre Stadt befreit, worauf sie sich
ihm ergiebt. „Den alten immer neuen Brauch übten da die Beiden auch.*
Ueberhaupt erscheint es als Sitte, dass die Ritter für irgend eine ihnen
bisher ganz unbekannte Dame kämpfen, deren Feinde besiegen und dann sofort
nach erfolgter Reinigung und leiblicher Erquickung mit der Dame zu Bette
gehen, ein Kind mit ihr zeugen und darauf von dannen ziehen. (Wolfram von
Eschenbach.)
Auch noch im 15. Jahrhundert müssen sehr freie Sitten geherrscht haben,
gegen welche Geyler von Keyserszherg eiferte:
„Die dritt Schell ist, ein lust haben auif blosse Haut szugreiffon, nemlich den Weibern
oder Jungfrawe an die Bruestle zugreiifen. Dann es sein etliche darauif gantz geneigt, das
sie meine, sie können mit keiner rede, sie muessen jr an die Bruestle greiffen, dass ist ein
grosse geilheit.* (KotelmannJ
Im 13. Jahrhundert predigte der Franziskanermönch Berthold von Regere-
bürg gegen die eingerissenen Unsitten:
„Das vierte daz schentlich küssen. Daz fünfte diu schentlich begrifunge der lider'
(d. h. das Begreifen der weiblichen Geschlechtstheile).
Er fahrt dann fort:
,ünd etliche tuont so getaniü dinc, daz sie niemer dehein (d. h. irgend ein) reinez dinc
selten an grffen, weder wSn noch bröt noch becher noch schüzzeln noch den galgen; sie w&ren
des halt niht wert, daz sie den narten (Trog) selten an grffen, dar üz diu swin ezzent, noch
deheine kr^tiure, die diu werlt (Welt) ie gewan.* (Kotelmann,)
Man ersieht hieraus, dass die Frauen und Mädchen damals doch fär der-
artige Betastungen leicht zugänglich gewesen sein mOsseii.
Ueber die Schamhaftigkeit im 15. Jahrhnnderfc EuBfirt r«
«Auch die Öffentlichen Badeh&user der St&dte, in «*lfl^
chen und Jünglinge, MOnche und Nonnen unter
404
XIV. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben.
häufig splitternackt sich begegneten, konnten zur Hebung der Keuschheit gewiss nicht bei-
tragen. *"
Derselbe Autor berichtet dann noch nach den Angaben Poggio's aus dem
Jahre 1447 über das Leben in Baden im Aargau:
pIn der Morgenfrühe waren die Bäder am belebtesten. Wer nicht selber badete, stattete
seinen badenden Bekannten Besuche ab. Von den um die Bäder laufenden Galerien konnte
er mit ihnen sprechen und sie auf schwimmenden Tischen essen und spielen sehen. SchOne
Madchen baten ihn um Almosen, und warf er ihnen Münzen hinab, spreiteten sie, dieselben
aufzufangen, wetteifernd die Gewänder aus und enthüllten dabei üppige Reize*
Im 16. Jahrhundert nahm Johann von Schwarteenberg^ an, dass die Scham-
haftigkeit prädisponirt sei durch die versteckte Lage, welche die Natar den Geni-
talien gegeben habe. Er bringt dem
Leser das Bild eines nackten, aber am
Mittelkörper verhüllten Weibes (Fig. 223)
und schreibt dazu:
,A11 zier des leibs macht angenehm,
Darzu den Menschen ist bequem.
Welch glydmass die Natur versteckt.
Das solchs von vns bleib vnentdeckt.
Erstlich soll vermercket werden, das der
Natur zu der formierung vnsers leibs grossen
fleiss gebraucht, wann sy die glydmass vnd
Form, darinne eyn erbare gestalt ist zu gesiebt
gestelt, aber die leiblichen teil (zu nottürftigem
aussgange des vberfluss gesatzt, vnnd schnöd
anzusehen) bedeckt hat. Dem selben fleissigen
paw der natur, hat nachgewolgt menschliche
schanihaütigkeit, also das sollche verborgne
ding der natur, alle rechtsinnige menschen,
von den Augen wenden, vnd notürflftige ge-
brauchung auif das aller heimlichest volbringen.
vnd darzu (wyewol es on bossheit geschehen
iiHig) hie nit öffentlich mit jren namen nennen
sollen, dann gemolte offenliche vnsaübere wort
vnd werck, von der schnöden geylikeit nicht
geschoiden seindt.*
Aus dem Ende des 16. Jahrhunderts
schildert uns Guarinonius absonderliche
Sitten, die in Hall im Innthale in den
Badstuben herrschten:
„Der Schlüssel der Jungkfrawschafft, ist
die Cioschämigkcit, dann eben von der Ge-
Hchäuiigkeit wegen, wirdt manche wider ihren
eignen Willen, von der Unzucht abgehalten,
durch diese Bäder aber, verleurt man allgemach
dio. Gcächämigkeit, und übet sich fein ent-
blösHtcr vor den Männern sehen zu lassen. In
dern vilon man auch gar kein Unterschied,
der abgesimderten Zimmer zu der Entblössung noch zum Baden hat, ja die Bad wannen, darin
man sitzt zu sondcrm Fleiss unter einander Mann und Weib spicken, damit eins das ander
dento besser und fQglicher »eben, und <lio Schambarkeit gegen einander verlieren lernen. AVie
viel mal sihe ich (ich nenn darumb die Stadt nicht) die Magdlein vom 10. 12. 14. 16 und 18
Jaren giintz cntblüsst, und allein mit einem kurtzen leinen oift schleussigen und zerrissnen
Badniantel, oder wie maus hier zu Land nennt, mit einer Badehr allein vomen bedeckt, und
hinten umb den Rucken! Dieser und Fflsscn offen, und die ein Hand mit Gebühr in dem
Hindern haltend, von ihrem Hauss auss, über die lang Gassen bey mitten tag, bis zum Bad
lauffen? Wie viel laufft neben ihnen die gantz entblOssten, zehen, swOlff, viertxehn und
sechtzehn jährigen Knaben her, und begleit das erbar Gesindel.*
Kip:. 223. Ein srhamhaftcs Weib. (1531.)
(Nach J. t: Schwor f Bender ^^.)
106. Die Keuschheit des Weibes. 405
Aehnliche Sitten sollen nach du Chaiüu noch heute im nördlichen Nor-
wegen und in Finnland bestehen.
Dass noch zu der Zeit Kaiser KarVs des Fünften bei seinen feierlichen
Einzügen die Tochter vornehmer Patrizier es sich zur Ehre anrechneten, voll-
standig nackt dem Kaiser voranzuschreiten, und dass die Väter willig ihre
Töchter dem Kaiser als Concubinen überliessen, das möchte wohl hinreichend
bekannt sein.
Einem eigenthümlichen Grade der Gastfreundschaft begegnen wir noch vor
wenigen Jahren in Island in der Nähe der Geisire, die uns der den Lord
Dufferin begleitende Arzt folgendermaassen schildert:
Die erwachsene Tochter der Familie, bei welcher er Unterkunft gefunden hatte, führt
ihn des Abends auf sein Schlafzimmer, ^und ich war eben im Begriff mich zu vorbeugen und
ihr gute Nacht zu wünschen, als sie auf mich zutrat und mit einnehmender Grazie, der nicht
zu widerstehen war, darauf bestand, mir den Rock ausziehen zu helfen und dann (zu den
Extremitäten übergehend) mich auch der Schuhe und Strümpfe zu entledigen. Mit diesem
höchst kritischen Theile ihrer Verrichtungen, dacbt' ich natürlich, würden ihre Geschäfte
enden und ich endlich des Alleinseins theilhaftig werden, das man zu einer solchen Stunde
gewöhnlich für schicklich erachtet. Nicht dran zu denken. Ehe ich wusste, wie mir geschah,
sass ich da im Hemde und hosenlos, während meine schöne Zofe vollauf beschäftigt war, die
geraubten Kleider nett zusammenzufalten und auf den nächsten Stuhl hinzulegen. Mit der
grössten Natürlichkeit von der Welt half sie mir ins Bett, steckte die Decke überall hübsch
ein, sagte mir noch allerlei hübsche Dinge in Isländisch, gab mir einen herzlichen Kuss
und ging.* Morgens wurde er durch einen Kuss wieder aufgeweckt.
Aus allen diesen Thatsachen sehen wir, dass dasjenige, was wir als Scham-
hafbigkeit bezeichnen, sehr verschiedene Abstufungen und Schattirungen darbietet.
von den Steinen^ kommt zu dem Ausspruch :
„Ich vermag nicht zu glauben, dass ein Schamgefühl, das den unbekleideten Indianern
entschieden fehlt, bei anderen Menschen ein primäres Gefühl sein könne, sondern nehme an,
dass es sich erst entwickelte, als man die Theile schon verhüllte, und dass man die Blosse
der Frauen den Blicken erst entzog, als unter vielleicht nur wenig complicirteren wirthschaft-
lichen und socialen Verhältnissen mit regerem Verkehrsleben der Werth des in die Ehe aus-
gelieferten Mädchens höher gestiegen war, als er noch bei den grossen Familien am »Schingu
galt. Auch bin ich der Meinung, dass wir uns die Erklärung schwerer macheu, als sie ist,
indem wir uns theoretisch ein grösseres Schamgefühl zulegen, als wir praktisch haben."
Auch nach meiner Ueberzeugung ist das Schamgefühl nicht eine Regung,
welche dem Menschen angeboren ist; denn bekann termaassen fehlt es bei den
kleineren Kindern vollständig. Aber die Anlage dazu ist sicherlich in jedem
Menschen vorhanden und kommt auch bei sehr rohen Völkern verhäitnissmässig
früh schon zur Entwickelung, um allmählich mit der fortschreitenden Cultur
immer mehr und mehr an Ausbildung zu gewinnen.
106. Die Keuschheit des Weibes.
Je tiefer eine Volkerschaft auf der Stufenleiter der culturellen Entwickelung
ihre Stelle hat, um so freier und ungehinderter, ist für gewöhnlich den Individuen
die Befriedigung des sexuellen Bedürfnisses gestattet, so lange das Weib noch
unverheirathet ist. Der Begriff der Keuschheit bei den Mädchen ist wenig ge-
kannt. Aber mit der Verheirathung treten dann nicht selten vollständig andere
Anschauungen in Kraft. Bei einigen Nationen hält allerdings die Unkeuschheit
der Weiber auch noch nach der Verehelichung an, und bisweilen werden sie sogar
von ihren Männern selber veranlasst, ihnen die eheliche Treue zu brechen.
Eyre macht von der Keuschheit der Australierinnen eine recht uner-
freuliche Schilderung.
Nach seiner Beschreibung ist das Leben der australiichen F^nm im O«
als eine fortgesetite Prostitution. Von ihrem zehnten Jahre ai
406 ^V. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben.
Burschen von vierzehn bis fünfzehn Jahren. Später bietet sie sich auch jedem Gaste an, der
den Stamm auf eine Nacht besucht Die Australierin, die verheirathet ist oder vielmehr
im Besitz eines Mannes sich befindet, kann auch von diesem verliehen werden. Wenn der
Mann abwesend ist, nimmt ein anderer seinen Platz ein. Wenn mehrere St&mme neben
einander ihr Lager aufgeschlagen haben, so bringen die Männer des einen Stammes die Nacht
über bei den Frauen des benachbarten Stammes zu; denn die Prostitution der am Murray-
Flusse wohnenden Australier ist, ähnlich wie ihre Heirath, ezogamisch. Allein schon
Fescliel macht darauf aufmerksam, dass die Abtheilungen der Australier schon durch den
Verkehr mit europäischen Ansiedlern verwildert sind, und auch Jung, der vielfach noch
unverdorbene Stämme Central-Australiens persönlich kennen lernte, versichert, dass die-
selben keine so üble Nachrede verdienen.
Cook's Matrosen fanden auf den Loyalitäts-Inseln, auf den Neu-He-
briden und in Neu-Caledonien die verheiratheten Frauen und auch die Mad-
chen ungemein zurückhaltend.
Jener Ruhm der Neu-Caledonierinnen wird allerdings durch neuere
Berichte abgeschwächt; vielleicht haben europäische Einflüsse hier gewaltet.
Dort ist die Keuschheit jetzt wenig geschätzt; de Rochas nannte die Frauen der
Eingeborenen wilde Messalinen, und die alten Frauen fuhren schon früh das junge
Mädchen auf den Pfad des Lasters.
Auf Neu-Britannien sind nach Finsch die Weiber keusch; auf Neu-
Guinea ist das nicht so streng, aber es herrscht keine Prostitution.
Auf den Salomons-Inseln sind nach Guppy die Weiber im Ganzen
keusch. Es kommt allerdings vor, dass die Bewohner der benachbarten Inseln
Sancta Anna und St. Christobal auf einige Zeit ihre Weiber austauschen,
nachher nehmen sie dieselben aber wieder zurück und das wird nicht als Ehe-
bruch angesehen.
Die Bhutia in Indien legen nach Mantegazea^ kein grosses Gewicht auf
die Keuschheit ihrer Weiber, eine Duldsamkeit, von welcher die letzteren in aus-
gedehntester Weise Gebrauch machen. Eine alasolute Keuschheit vor der Ehe ist
auch bei den Limboo in Indien nicht durchaus nothig, und die männlichen
Kinder des Mädchens werden vom Vater, die weiblichen von der Mutter unterhalten.
Bei den Berulu Kodo Vokaligaru in Indien wird streng auf die ehe-
liche Treue gehalten. Die Sitte der Weiber, von der wir durch Fawcett erfuhren,
bei dem Ohrlochstechen der ältesten Tochter sich ein Fingerglied des Ring- und
kleinen Fingers amputiren zu lassen (Fig. 185), gilt ihnen als ein Keuschheitsorakel.
Nur eine Frau, die ihrem Manne treu geblieben ist, kann diese Amputation gut
ertragen; dem untreuen Weibe aber würde am Fingerstumpf als Zeichen ihrer
Unkeuschheit wieder ein Nagel hervorwachsen.
Die nicht civilisirten Weddahs auf Ceylon halten eheliche Treue für
selbstverständlich, und schon eine einfache Berührung der Frau kann den Mann
veranlassen, den Frevler zu tödten. (Sarasin.) Von Ehebruch hört man bei den
Weddahs nur da, wo man den Versuch gemacht hat, sie zu civilisiren. Bei den
ihnen benachbarten singhalesischen Kandiern ist der Ehebruch sehr ver-
breitet. ( Virchow^.)
Die Chewsuren-Mädchen gelten für keusch, ünverheirathet niederzukommen
gilt für eine so grosse Schande, dass sie gewohnlich nicht überlebt wird. Ent-
weder erhängt sich das schwangere Mädchen öderes erschiesst sich. Die Pscha-
wen- Mädchen sind minder züchtig. (Radde.)
Die geschlechtliche Moral der Wotjäken weicht von der europäisch-
christlichen Sitte ganz erheblich ab. Max Buch sagt darüber:
«Mädcben und Burschen verkehren mit einander durchaus zwanglos und die sogenannte
Keuschheit setzt der Liebe keine Schranken. Ja es ist sogar schimpflich für ein Mädchen,
wenn sie wenig von den Burschen aufgesucht wird. Charakteristisch ist folgendes Sprichwort
der Wotjäken: «Liebt der Bauer (ein Mädchen) nicht, liebt auch Gott (es) nicht* Die
hierauf bezüglichen Schilderungen der Autoren sind dorchaus in keiner Weise übertrieben;
106* Die K^uficbheit des Weibes.
407
OtirmcBkff enJMt Ton einem Spiele, dos von Mildchen und Burschen gespielt und Heiratba-
tpiel gen^innt wird. Einige Burschen und Müdeben TeriheUen Bieh paarweis; jeder Bursche
wählt bich ein Mädchen, wobei es aetbsiverständlioh ntcbi immer ohne Streit abgeht; jedes
Paar versteckt sich dann an einem dunklen Ort, wo das Spiel dann sehr realistisch aufgefust
werden »oll; darauf versammeln sich die ^Familienpaare* alle wieder zur Fortsetzung des
Spiels; — da es fQr ein Mädchen schimpÜich ist, wenige Besucher xu haben« so ist nur eine
logische Folge» daes es fär ein Mädchen ehrenvoll ist, Kinder lu haben. Sie bekommt danu
einen reicheren Mann und ihr Vater bekomuit einen höheren Kalym (Brautgeld) för sie be-
zahlt.* Buch bemerkt schlieaslich: ,Ein wohlerhaltenor Rest jener, ,comm«neB Ehe' (LuhhocVs)
ist nun in der sogenannten Sittenlosigkeit der Mädchen ku finden, welche ihren («efUhlen
keinen Zwang antbun und dem Bedürfnisse der Liebe in vollem Maasse genügen. Dieso Eigen-
thtlmlichkeit ist also nicht als die Folge späterer Entsittlichung, sondern als etwas durchaus
NatüjUehes, Ursprüngliches anzusehen/
Alle alteren Berichte kommen darin uberein, daaa Korjaken wie Tschak-
1 sehen streng auf die Keuschheit ihrer Weiber Fremden gegenüber hielten,
dass sie nie ihre Weiber ihren Gästen anboten; ja es standen schwere Strafen auf
der Verletzung ehelicher Treue oder der Keuschheit. Andere Berichte wider-
sprechen dem aber. Auch v, Nordenshjöld und Bove schildern die Tschuk-
tschinnen als gittlich, doch führt letzterer diese Eigenschaft auf Zwang zurück,
DasB sich heutzutage die alte Sittenstrenge bei dem reichlicheren Fremdenverkehre
etwas gelockert hat, ist begreiflich.
Mit Hecht wird von Feschei-Kirchhoff' bemerkt: dass sehr viele Stamme
grosse Gleichgültigkeit gegen jugendliche Unkeuschheit zeigen und erst mit der
Ehe den Frauen Wandel auferlegen. Allein es wird auch mit eben so vielem
Hechte der Versuch zurückgewiesen, aus dem Mangel eines sprachlichen Aus-
drucks, durch welchen ,, Jungfrau** und ,.Prau* unterschieden werden, auf eine
Gleichgültigkeit gegen geschlechtliche Reinheit zu schliessen; denn manche Völker,
«» B. die Abiponen, besitzen kein Wort ftlr „Jungfrau*, werden aber doch hin-
sichtlich ihrer Sittenstrenge gerühmt. (DohrishoffvrJ
Die Franzosen der zweiten Reise d' Un^/Wt's fanden auf Isabel, sowie auf
Modera in der Marianenstrasse, dass die Weiber angeboten wurden. (Waitjs*
Gerland,) Von den Bewohnern der Insel Spiritu Santo (auf den Neu-
riebriden) heisat es:
„üti ont 1a r^putation de o4der leurs femmes, maia assurement ils ne les oflrent pa« et
je n en at pa» apervu une Beule; hion plun^ quelques ofßcierB etant all6s dans un Wllage »itu^
tur une de« tle» de la baie. Tont trouve «SvacuL* par les fem nies et les enfants/ fltobfrjot,)
Auf Tahiti, auf den Gesellschafts-lnseln u. s, w. wird der Liebesgenuss
als der höchste Reiz des Lebens betrachtet; und die Gesellschaft der Areol's
setzen ihre ganze Lebensaufgabe in die Befriedigung dieses Vergnügens. Ich
konnte die Listen dieser zügellosen Sitten noch sehr vergrössern. Die Einführung
des Christenthums hat die Zustände allerdings öchon sehr geändert. Allein auf
den Sandwich- Inseln fanden die Missionare die grösste Schwierigkeit t*Ür ihre
christlichen Predigten in dem völlig maogelnden Vei^ständnisse dessen, was wir
unter ^ Keuschheit* verstehen: ,Die Frauen kannten weder das Wort noch die
Sache,' (De Varigntf.)
Auf den meisten polynesischen Inseln herrscht eine grosse Sittenlosig-
keit. Nur auf Neu -Seeland waren, wie Cook bezeugt, die Frauen zurück-
haltender. Sonst zeigte sich auf allen Inseln kaum eine Idee von Schamgefühl,
und derselbe Reisende fand überall in den Hütten der Wilden einen so wenig
durch Zurückhaltung gezügelten Verkehr, dass die sexuellen Vereinigungen gleich-
Batii coram populo geschahen. Eine Prinzessin, Namens Oberca^ verschmähte es
nicht, ein junges Miidchen anzuleiten, dass sie mit einem jungen Menschen öffent-
lich cohabitire. (Cook.)
Das Leben des weiblichen Geschlechts auf Hawaii fand auch Ihchard
Neuhauss sehr sittenlos; Miidchen von 12 — M Jahren sind in der Regel nicht
408 ^IV^- ^er Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben.
mehr jungiräalich; Unzucht zwischen Vater und Tochter gehört keineswegs za
den Seltenheiten.
Bei den Rotinesen ist die freie Liebe zwischen den jungen Leuten eine
ganz gewöhnliche Sache; aber sie geschieht nur im Verborgenen. Denn werden
sie dabei erwischt, so muss der Verführer 25 Gulden oder einen Büffel bezahlen.
Bisweilen folgt auf solche Entdeckungen die Hochzeit, aber nicht in allen Fallen.
(Graafland.)
Die Behütung der Keuschheit der Mädchen ist bei den Igorroten auf
Luzon (Philippinen) eine geradezu ängstliche, und Fehltritte werden mit
schweren körperlichen Züchtigungen oder sogar mit dem Tode bestraft. Die un-
verheiratheten mannbaren Igorrotinnen bringen die Nächte in einem besonderen
Schlafhause zu. Ein solches ist in Fig. 224 abgebildet. Bei den Lepanto-
Igorroten muss der Verführer das Mädchen heirathen oder ihr ein vollständiges
Weibergewand und ein belegtes Mutterschwein schenken, und falls das Mädchen
niederkommen sollte, so muss er auch das Kind erhalten. Eine Scheidung aber
der geschlechtsreifen Jünglinge und Mädchen einer Rancherie in zwei grosse
Hütten, wie sie Lillo de Garcia angiebt, besteht bei den Lepanto-Igorroten
nirgends mehr. (Meyer^,)
Auf mehreren Inseln des malayischen Archipels, namentlich auf den öst-
lichen Gruppen, herrscht zwischen den jungen Leuten ein ganz unbeanstandeter
geschlechtlicher Verkehr. Es ist aber auf das strengste verboten, doppelsinnige
oder gar unzüchtige Ausdrücke im Beisein der Frauen zu gebrauchen.
Unter den Malayen lebt überhaupt das Mädchen völlig ungebunden, so
lange man sie noch nicht verheirathet hat; allein in Lombok gilt Ehebruch ab
Verbrechen; man wirft den Verbrecher mit der Verbrecherin Rücken an Rücken
zusammengebunden den Krokodilen vor. Auch in Niederländisch-Indien aind
schon lange vor der Entwickelungs-Periode die Kinder dem GeschlechtsgennaBe
ergeben und der Coitus zwischen Brüdern und Schwestern von 5 bis 6 Jahren
ist keine Seltenheit, (van der Burg.) In Cochinchina und Japan halt man
auf Treue in der Ehe, allein die Eltern dürfen ihre Töchter ohne Scham rer-
kaufeu, sei es an Private, sei es an Prostitutionshäuser. In China kaufen rieh
reiche Männer junge Mädchen von 14 Jahren fiir ihren Gebrauch. Nach Tun^er
kann in Tibet jedes junge Mädchen ausserehelichen Umgang pflegen, ohne dass
ihr Ruf darunter leidet.
Wenn bei den Altajern ein Mädchen verführt wird, was nur höchst selten
vorkommt, so versammeln sich alle männlichen Verwandten des Mädchens und
versuchen den Verführer zu überreden, jene als seine Frau heimzuführen und dem
Vater einen verhältnissmässigen Kalym zu zahlen. Weigert sich derselbe, so
fallen sie über ihn her und prügeln ihn so lange, bis er um Gnade bittet. Dann
bezahlt er dem Vater ein kleines Strafgeld, giebt ihm eine Flinte und einen Pelz
und kann nun unangefochten nach Hause gehen, das Mädchen wird aber in
diesem Falle nic^ht mehr als Tochter betrachtet, sondern muss gemeine Dienste
als Magd verrichten. {liadloff,)
Der Indianer folgt in seinen sexuellen Beziehungen lediglich seinem Wohl-
gefallen, er darf mit einem fremden Weibe, selbst mit dem seines Freundes sexuell
verkehren. Bei den Sioux fand früher alljährlich eine seltsame öffentliche Beichte
statt. Die in zwei Reihen gegen einander aufgestellten Jünglinge und Männer
Hessen sämmtliche Mädchen und Frauen hindurch passiren, und jeder legte die
Hand auf diejenige, mit welcher er während des Jahres Umgang gepflogen hatte.
Schlimme Folgen hat dieses Bekenntniss für keinen der beiden Theile; nur wurde
das Weib ein Jahr lang, so oft sich dasselbe ohne Frauenbegleitung ausserhalb
des Lagers befand, als Prostituirte behandelt. {Dodge)
Die Indianer- Frauen einiger Stämme besitzen einen Keuschheitsschutz, der
bei Männern Ansehen und Geltung hat: Ein Angriff auf ein Cheyenne-Weib,
106. Die Eenschbeit des Weibee.
409
ich die Ftisse mit einem Lariat, eiaem Stricke, umwickelt hat, würde aU
l^-ucht mit dem Tode geahndet werden: ohne diesen Talisman aber ißt das-
^selbe io Abwesenheit ihres Eheher m jedem fremden Menschen wehrlos preis-
geben. iDodffe,)
Die Schetfmascha-Indianer im südlichen Louisiana lebten in mono-
ganiischer Ehe und hielten streng auf Beobachtung der Keuschheit. Liess ein
Mädchen sich 'i\x weit mit einem Manne ihrer Bekanntschaft ein, so harrte ihrer
zu Hause die Prügelstrafe. (Gafschet.)
Dagegen fand Riehard Rhode die Weiber der Bororö-lndianer an den
Ufern des Paraguay wenig keusch, denn sie machten ihm, sowie seineu Leuten,
häufig Liebesanträge,
Fig. 324. Jttfic^ ttuvtrheh-aUiät« jgoi rot m (?1it1lp]^ln«n) vor «lern Scblmrhutistt <)er Mudi^heii.
Einen Einblick in die im Lande herrschende Keuschheit gestattet der Stauts-
axeiger ron Surinam, der fi5r das Jahr 1889 eine Zahl von 1 935 Geburten an-
liebt, von denen nur 30M ehelich waren, {Joesf.)
V, Turhiifit berichtet von einem Gebrauche der alten Peruaner, welcher
ein Licht auf die »Itimals herrschenden Keuschheit^begritfe wirft;
.In iDiuichon <T«»gendöii der Kbetsoa pflegten junge Leute, die in ein M&dcben ver-
Wf^y* « "■■'^n, mit Steinen oder Stäben nach einem grosien 8tein oder Felsen tn werfen, um
i\ in eine ^ptvlte desselben hineinzubringen. Wenn es gel&ng, bo wurde das MTidchen
lifMiitigt, und e« muaate dann dem Sieger iu Willen sein» weuaa iich, wie V%ilagomei
410 ^I^^* I^er Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben.
sagt, dasselbe nie weigert, da es als grosse Ehre galt und sich eine Menge abergl&abischer
Traditionen daran knüpften.*
Im Allgemeinen herrschen in Beziehung auf dasjenige, was wir Keuschheit
nennen, auch unter den Völkern Afrikas sehr di£Perente Zustände. In Wadai
wie in Darfur leben die Mädchen völlig ungebunden, und es tritt erst dann ein
festeres Verhältniss ein, wenn einer der Bewerber einen Vorzug erhält. Bei an-
deren Völkern, in Akra, am Congo u. s. w. geben Ausschweifungen der Mädchen
keinen Anstoss, ebenso wenig bei den Papels, wo jedoch auf Treue des Weibes
streng gehalten wird. Dergleichen Thatsachen findet man noch mehrfach bei
Waits, der jedoch auch anführt, dass man dagegen an der Goldküste, in Da-
bo me u. s. w. die Verführte bestraft, oder den Verführer nöthigt, sie zu heirathen.
Nach Thomsmi tödten die Massai in Ost-A f rika jede ausserehelich Geschwängerte,
gleichgültig ob es sich um eine Unverheirathete oder um eine Verheirathete handelt.
Bei den Agahr, einem Dinka- Stamme, muss nach Schweinfurth und Ratäel schon
derjenige, der die Brust eines Mädchens berührt, den Kaufpreis zahlen und das
Mädchen heirathen. Weigert er sich, das letztere zu thun, so muss er die Kühe
als Brautpreis doch geben; das Mädchen kann dann einen anderen heirathen, aber
ihr Werth wird dann als geringer betrachtet. Bei den Kaffern hat der Ver-
führer eines Mädchens Busse zu zahlen, und es ist ihm verboten, die Verfahrte zu
heirathen. {Dohne.) Von allen Autoren wird, ausser der Schönheit, die Keusch-
heit der Zulumädchen gelobt; das bezieht sich aber doch wohl nur auf ihren
Verkehr mit Europäern, üebrigens würde jedes Mädchen, das bei intimem Ver-
kehr mit einem Weissen überrascht oder das gar einem Weissen ein Kind ge-
bären würde, sofort todtgeschlagen, und da ist die Keuschheit am Ende etwas
nicht sehr Verdienstvolles. (Joest^,)
Wie soll sich denn auch der Begrifi , Keuschheit' entwickeln in einem
Volke, dessen Anschauungen so tief stehen, dass es am Kinde selbst unzüchtiges
Wesen zulässt? Von den Basutho sagt Missionar Griitzner:
n Unzucht ist Yolkssitte. Nur in dem Fall, dass ein Mädchen dabei geschwängert wird,
was übrigens wunderbar genug nicht allzu oft vorkommt (die Mädchen sagen za den Kerlen,
die bei ihnen liegen: verdirb mich nicht!), so heisst es: Bezahle Strafe! Der Betreffende
bezahlt dann an einigen Orten 1 — 2 Ziegen, anderwärts bis zu 7 Kühen. So lange aber ein
Mädchen nicht schwanger ist, so ist sie noch trotz aller Unzucht Xo lokile (in Ordnung).
Solche Unzucht der Kinder und Halberwachsenen heisst auch nicht anders als: Xo raloka,
d. h. spielen. Ein Seotsoa (Hurer) ist nur ein solcher Mensch, der überall und mit jedem,
sonderlich verheiratheten Weibe sich abgiebt. Alle anderen oben Genannten ,spielen' bloss,
,wie die Hühner'.*
Aehnlich schrieb mir auch der Missionar W essmann {Bartels^ dass die
eben geschlechtsreif gewordenen Bawenda-Mädchen in Nord-Transvaal von
den Frauen angehalten werden, mit den jungen Männern zu ,, spielen*. Weigern
sie sich, so werden sie von den anderen Mädchen verachtet; man spricht nicht
mit ihnen und wirfb sie auch wohl mit Steinen. Das Spielen ist nun ein weiter
Begriff, es ist jedoch streng von dem Beschlafen unterschieden. Hierüber wird
von den alten Frauen in monatlichen Zwischenräumen eine Controle ausgeübt,
wobei das Mädchen auf einem Steine sitzt. Wenn ihre Schamlippen aus einander
stehen, so erkennt man daran, dass sie den Beischlaf zugelassen hat, und sie wird
dann gescholten oder bestraft. Dem Jüngling ist nach erreichter Mannbarkeit
das „Sj)ielen'* ebenfalls erlaubt. Um einem Mädchen seine Wünsche in dieser
Beziehung anzuzeigen, schickt er demselben ganz öffentlich ein Geschenk, dem er
sehr bald selber folgt. !Nach der allgemeinen Begrüssung verschwindet er mit ihr
im Hause und thut mit ihr, was ihm gefallt. Jedermann, auch die Eltern wissen
davon. Wenn nun aber doch einmal ein Mädchen hierbei geschwängert wird, so
muss der junge Mann eine Busse in Ochsen bezahlen. Danach ist dann alles ver-
gessen. Solche Uebertretung kommt aber selten vor.
106. Die Keuschheit des Weibes. 411
Von den Ovaherero sagt Fritsch^:
«Dieselben haben eine Art von VerbrQderung zwischen Personen desselben Geschlechts,
welche sie Omapanga nennen. Sind M&nner in dem Verh<niss zu einander, so haben sie
ihre Frauen gemeinsam, es findet also Polyandrie statt; handelt es sich aber um Personen
weiblichen Geschlechts, die Omapanga sind, so bedeutet dies, sie treiben gewohnheitsgemässe
Unzucht mit einander, was mit Wissen und Willen der Eltern geschehen kann. {Rath.J
Bei den Vaiave auf Madagascar begatten sich die Kinder, ohne dass die
Eltern dagegen einschreiten, schon sehr früh, und ahmen mit wachsender Beweg-
lichkeit immer mehr das Oebahren der Eltern nach, leider auch zum grössten Ver-
gnügen letzterer und unter ihrer Ermunterung die Handlung sich täglich vor
ihren Augen begattender Hausthiere, so dass ein civilisirter Mensch mit Ekel von
dem Treiben dieser verthierten Jugend sich abwenden muss. (Audebert,)
Schon früh hat die religiöse Gesetzgebung ein grosses Gewicht auf ein
keusches Leben gelegt. Unschuld der weiblichen Jugend und Keuschheit wird
schon im mosaischen Gesetze geboten: Es soll keine Hure sein unter den
Töchtern Israels und kein Schaudbube unter den Söhnen Israels; und eines
Priesters Tochter, die also thuet, die anfanget, also zu thun, soll mit Feuer ver-
brannt werden (3. Moses 19, 29. 21, 9. 6. Moses 23, 17).
Die Einführung des Christenthums hat bei manchen wilden Stämmen nicht
auch allemal zu besseren Sitten geführt. So hat z. B. der gewiss gute und heil-
same Gebrauch der wilden Alfuren auf der Insel Serang (Joest^)^ dass die
jungen Leute im Baileo schlafen müssen, bei den Christen aufgehört zu existiren;
da schläft die ganze Familie in einem Hause, leider aber auch die Töchter mit
ihren Geliebten und die Söhne mit ihren Freundinnen, dabei herrscht die unge-
bundenste freie Liebe; und wenn einmal ein Mädchen heirathet, dann vereinigt
sie sich meist mit dem Manne, von dem sie glaubt, schon mehrere Kinder zu
haben. Die Sitten der Wilden lockern und verschlechtern sich vielfach in der
Berührung mit einer Cultur, für die ihnen das Verständniss fehlt, die ihnen
auch nur den altgewohnten Brauch nimmt, ohne ihnen wirklich bessere Gebräuche
beizubringen.
Wenn wir im Allgemeinen wohl in der Ueberwachung der Weiber in
Bezug auf ihre Keuschheit einen Fortschritt zu höherer Sittlichkeit erblicken
müssen, so wird dieses Bild sehr getrübt, wenn wir sehen, dass ein Theil der
mohammedanischen Völker als Keuschheitswächter Eunuchen anstellt. Aber mit
Bedauern müssen wir eingestehen, dass es nicht der Islam war, wo der Ursprung
des Eunuchenwesens zu suchen ist, sondern dass die Mohammedaner dasselbe von
den Cniiristen übernommen haben. Hauri sagt sehr richtig: «Wir brauchen kaum
zu sagen, dass der Prophet solche Verhältnisse nicht gewollt hat. Die gute
altarabische Sitte ist hauptsächlich durch fremde, persische und byzantinische
Einflüsse zerstört worden.'' An dem Hofe von Byzanz waren Verschnittene ganz
gebräuchlich. Ein moslimischer Theologe der ältesten Zeit berichtet: „Die Sitte
des Verschneidens stammt von den Byzantinern, und wunderbar ist es, dass
gerade sie Christen sind und vor anderen Völkern der Milde, der Humanität und
der Barmherzigkeit sich rühmen.* Die Ghalifen von Damascus bezogen ihre
Eunuchen ursprünglich aus dem byzantinischen Reiche, und die von Cordova
die ihrigen aus Frankreich, besonders aus Verdun, wo die Juden weltbe-
rühmte Eunuchenanstalten hatten {Doey). Trotzdem fallt ein grosser Theil der
Schuld aus diesen Verhältnissen auf den Islam mit der Polygamie und dem
Haremsleben. Dnsittlichkeit wird die Folge sein, wo das Weib sich in die vom
Koran gezogenen Schranken fägt, aber ebenso gut da, wo es nach grösserer
Freiheit trachtet; denn dass es nur durch Uebertretung göttlichen Gesetzes sich
eine freiere Stellung in der Gesellschaft erringen kann, führt natürlich zu einer
ungesunden, unsittlichen Freiheit.
Die Eifersucht der Männer hat es sowohl bei den Naturvölkern als auch
412 ^^^' ^or Einixitt des Weibes in das Oeschlechtsleben.
bei den sogenannten Vertretern der Civilisation verstanden, mechanische Vor-
kehrungen zu treffen, welche eine etwaige Untreue der Frauen zu verhüten im
Stande waren. Es waren Apparate, welche den Zugang zu den weiblichen Ge-
schlechtstheilen verschlossen. Einige afrikanische Volker sollen, wie es heisst,
ihre Frauen nicht ausgehen lassen, ohne dass dieselben sich ein Sieb oder eine
Rosen-Muschel vor die Geschlechtstheile binden.
Ein anderes Verfahren, welches die Eifersucht der Ehemänner ersann, ist
eine Art der Infibulation, d. h. das Einziehen eines Ringes in die beiderseitigen
Schamlippen, um den Introitus vaginae zu verschliessen. Dieses soll im Orient
sehr gebräuchlich gewesen sein. In Ost- Afrika wird bei vielen Völkern ans
den gleichen Gründen bei jungen Mädchen die operative Verschliessung der Scheide
durch Wundmachen und narbiges Zusammenheilen der Schamlippen geübt, wie
wir das in einem der vorigen Kapitel ausführlich kennen gelernt haben.
Bei den Indianern beschreibt Fauw eine Art von KeuschheitsgOrtel:
«II coDsiste en une ceinture tressee de fils d*airain et cadenass^e; an-dessos des hancheB,
au moyen d'une serrure composee de cercles mobiles, oü Ton a grav^ nn certain nombre de
caractdres et de chiifres. II ny a qu'une seule combinaison pour compriiner le ressort qui
ouvre, et c'est le secret du mari.*
So finden wir bei den uncivilisirten Volkern eine volle Stufenleiter in Bezug
auf die Würdigung der weiblichen Keuschheit, von der grossten Laxheit and
Toleranz bis zu der unerbittlichsten Strenge, welche die Verletzung derselben mit
hoher Strafe, ja selbst mit dem Tode der Sünderin ahndet.
107. Europftische Weiberkenschheit.
Die Sittenreinheit der Weiber in Europa ist auch durchaus nicht zu allen
Zeiten eine mustergültige gewesen, und es ist ja hinreichend bekannt, dass ähn-
liche Marterwerkzeuge, wie ich sie am Schlüsse des vorigen Abschnittes besprochen
habe, auch in Europa in Gebrauch gezogen wurden.
Wahrscheinlich waren es die Kreuzzüge, welchen diese barbarische Erfindong
zu danken ist, durch die der eine oder der andere der zu langer Abwesenheit ge-
zwungenen Ritter sich der ehelichen Treue seiner Hausfrau unverbrüchlich ver-
sichern wollte. Wie absprechend aber bereits die Zeitgenossen über eine solche
Grausamkeit aburtheilten, das können wir aus folgenden Thatsachen entnehmen.
Im Arsenal zu Venedig soll sich ein Instrument befinden, das aus einem
Process gegen Carrara^ einen kaiserlichen Gouverneur in Padua vom J. 1405,
herstammt; dasselbe diente als Beweismittel für seine Vergehen, für die er auf
Befehl des Senats eingekerkert wurde: „Ibi sunt serae et varia repagula, quibus
turpe illut monstrum pellices suas occludebat.** {Miss(yn,)
Trotz der exemplarischen Bestrafung dieses Mannes scheint sich das Instrument
nicht nur in Italien, sondern auch in Frankreich verbreitet zu haben. Zuerst
wurde der Versuch der Einführung unter König Heinrich IL von einem Geschäfts-
manne gemacht, welcher eiserne Keuschheitsgtirtel, genannt „ä la Bergamasque*,
auf der Messe zu Saint-Germain ausbot.
,Du temps du roy Henry, heisst es bei Brantome, il y avait un certain quinqaailleor,
qui apporta une douzaine de certains engins ük, la foire de Saint Germain pour brider le
cas des femmes, qui estoient faicts de fer et ceinturoient comme une ceinture, et venoient &
prendro par le bas et se fermer b. clef, si subtilement faicts qu'il n'estoit pas possible que la
fomme eüt ce doulx plaisir, n*ayant que quelques petits trous menus pour servir ä pisser.*
Der Erfolg dieses Kaufmannes war ein höchst ungünstiger. Er musste
fliehen, denn die Bevölkerung drohte, ihn in die Seine zu werfen. Später freilich
mochte man sich wenigstens heimlich mit dem Gebrauche und der Benutzung
vertraut gemacht haben, denn im Musee de Cluny zu Paris befindet sich ein
solches Instrument, das durch seine Abnutzung es wahrscheinlich macht, dass es
107. Earop&iscbe Weiberkenschheit.
413 .
vielföltig in Anwendnng war. Es besteht aus einer Platte von Elfenbein, befestigt
an einem Gürtel von Stahl, der von rothem Roste bedeckt ist und mittelst eines
Schlosses zugehalten werden kann.
In der berühmten Waffensammlung im Schloss Erbach im Odenwald sah
ich zwei solche Keuschheitsgürtel aus Eisenblech.
Der eine ist mit rothem Sammet überzogen, aber sonst ohne jede Verzierung; dem
anderen feblt der Stoffüberzug, jedoch hat er früher wohl einen solchen getragen, zu dessen
Befestigung die Ränder des Instruments in gleichen Abständen
Yon feinen Löchern durchbohrt sind. Die Aussenfläche des
Letzteren zeigt in ziemlich roher Weise eingeätzte bildliche
Darstellungen im Stile der Wende des 16. Jahrhunderts. Yon
einem dreitheiligen, ungefähr nur 1 cm breiten eisernen Leib-
gurt geht vom und hinten je ein schmales, der Eörperrun-
düng entsprechend gebogenes Eisenblech nach unten ab. Diese
beiden Stücke sind mit dem Leibgurt durch ein Chamier
verbunden und haben eine breite Basis, nehmen aber dann
ungefähr eine Lanzettform an. Die Spitzen dieser beiden
Lanzetten treffen sich in der Dammgegend der Frau und sind
hier ebenfalls durch ein Chamier mit einander verbunden.
Die hintere Platte besitzt dem After entsprechend eine klee-
blattfOrmige Oeffnung von 5,2 cm Breite und 4,5 cm Höhe.
Bei dem unverzierten Gürtel ist diese Oeffnung rund und
von nur 3,1 cm Durchmesser. Auch der vordere Theil der
Gürtel ist mit einer Oeffnung, der Schamspalte entsprechend,
vorsehen. Dieselbe bildet einen schmalen, spindelförmigen
Längsspalt von 7 cm Länge und 1 cm grösster Breite. (Bei
dem nicht verzierten Gürtel 7,6 cm und 1,7 cm.) Bei beiden
Gürteln ist dieser Längsspalt mit feinen Zähnen besetzt. Etwas
oberhalb dieses Spaltes ist bei dem schöneren Gürtel noch ein
Ausschnitt von der Form eines Pique-Ass angebracht, der wohl
nur einen omamentalen Zweck besitzt. Auf der Bauchplatte
sowohl, als auch auf der Gesässplatte finden sich flach ein-
geätzte Verzierungen. Dieselben stellen ein Rankenwerk dar,
welches nach oben aus einander weicht, um je eine bildliche
Darstellung zu umrahmen. Vom ist dieses ein Paar, das
sich umschlungen hält und sich küsst, wobei die Frau, viel-
leicht cohabitirend, auf dem Schoosse des Mannes sitzt.
Damnter findet sich die Unterschrift:
Ach Das sey Eich
geklagt Das mir
Weiber sein mit der
Bruch (Brück?) geplagt.
Etwas tiefer ist im Ranken werk noch ein kleiner bekleideter Mann zu erkennen.
Die Hinterplatte hat als Bild eine im halben Profil sitzende nackte Frau mit ziemlich
hängenden Brüsten. Sie ergreift mit der Hand den senkrecht aufstehenden Schwanz eines
Fuchses, welch letzterer ihr zwischen den Waden hindurchkriecht. Auch hierunter befindet
sich ein Vers:
Halt Füxel ich
Hab Dich er Wischt
Du büst mir Oft dar
Durch Gewist.
Noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts war eine Frau in Frank-
reich gegen ihren Ehegatten klagbar geworden, weil er ihr einen derartigen
Keuschheitsgürtel angelegt hatte. Die Rede seines Yertheidigers im Parlamente
ist uns noch erhalten geblieben. (Freydier,)
Die Abbildung eines solchen Gürtels hat uns ein unbekannter Meister des
16. Jahrhunderts geliefert. Dieser Stich ist von Hirth in seinem culturge-
Fig. 225. Keaschheitsgürtel.
(Nach einem aiumyinen Stich den
10. JahrhuoderUi.)
414
XIV. Der Eintritt des Weibes in das Geschlechtsleben.
schichtlichen Bilderbuche wiedergegeben. (Fig. 225.) Ueber der ge-
schlossenen Dame, die aus der Geldtasche eines Alten mit einer Hand Münzen
herausnimmt und mit der anderen Hand das Oeld einem jungen, einen grossen
Schlüssel haltenden Manne giebt, steht auf einem Spruchbande folgender Vers:
Es hilft kain shloss für franwen list
kain trew mag sein dar lieb nit ist
Darumb ain schlüsseli der mir gefeit
Den wOl ich kauffen umb dein gelt.
Auch noch mancherlei andere Thatsachen sprechen dafür, dass in den frQheren
Jahrhunderten es die Weiber in dem Punkte der Keuschheit nicht gerade allzu
genau genommen haben. In einem berühmten Werke des 16. Jahrhunderts, des
Franrisci Petrarchae Trostspiegel in Glück und Unglück, handelt ein
Fig. 2^. VoD anehi'lkher Unkeuschlieit. (Xa«h Fetrarckae Trostspiegel.) (1584.)
Kapitel „von vnehrlicher Vnkeuschheit**. Der beigegebene Holzschnitt (Fig. 226)
zeigt, wie die Teufel die Unkeuschen zusammenführen, und als Trost ist folgender
Spruch hinzugefügt:
«Für böse Lust und Büberey
Findt man kein besser Artzcney,
Dann Abstinentz in Speiss und Trauck,
Vnd ^eb dich nicht in Müssiggang.*
Als eine grosse Quelle der Unkeuschheit wird von Petrarcha der Tanz
bezeichnet. Er giebt dazu die Abbildung Fig. 228 und den folgenden Vers:
«Der Teuffei hat den Tantz erdacht,
Damit vii vbels auifgebracht.
Wie man der Bulschaift pflegen sol,
Das lernt man an den T&ntzen wol."
Wie der menschliche Geist bei seinen Sünden aber stets auf eine gute Ent-
schuldigung sinnt, so suchte man die Unzucht dadurch zu beschönigen, dass man
die Sterne dafür verantwortlich machte. Denn wer unter dem Planeten Venus
geboren war, der musste nach dem damaligen Glauben unwiderruflich der Wollart
416
XIY. Der Eintritt des Weibes in das Geseblechbleben.
nommeü- Jedem Planetenbilde ist ein Gedicht beigefügt, das deru Planeioi io dt^o
Mund gelegt ist. Bei dem Bilde der Vmus^ das in der Fig, 227 wicderg«geb6Q
ist, ^^*^i"^* f"^ '
„Venus der funfft planet fein
Hojss ich vnd ptn der niynne «cbein
Feucht TDcl kult pin ich mit craöl
Natürlich dick mit meiiterBcbaift,
WsLH Kinder vntter mir geporen werden
Die »int frolich hie auM' erden
Ein «eit arm die ander xeit reich
In mittelkeit ist in nymant gleich
Harpffen lauten sinjc^en alle seytenspit
Hören sie gern vnd kunnen sein vil
Orgeln pfeiffen vnd pusaunen
Tanntzen heben kudsen vnd rawmen
Ir leip ist schon ein hübschen mitnt
Augpraven gefug ir antlutx runt
Vnkeusch vnd der mynne pflegen
Sein venus kint all wegen/
./^•j
'mm
.M^
\t i
Fift. 22^ Der Tft««. Uolzicbaitt vam J ,
'■fj" Vr<>sl>>.}Arit¥\ \
Von den Zuständen in den Bädern habe ich oben bereits erzahlt Das»
liier nicht nur bei der Betrachtung der körperlichen Iteize des anderen Q^^
schlechtes geblieben ist, dafür finden sich vielfache Belege. Aus dem II», Jahr-
hundert berichtet der Florentiner Poggio von Baden im Aargan:
«l)ie Bader&ume m den Gastbiluseni waren zierlich, jedoch ebcnfalli boidon Oeiokiloollivm
geDieinaani. BretterwUnde gingen %war xwijchtmdurdi. alloin dieselben haltian iO violo O^fT-
fiungen, daün man von beiden Seiten ttich «oheii. und anch, wiu hAuHg vorkanr »-^^^-t-r
koiint4>/ CSdierr^^
Und 80 sprach PoggiO nber diesen Badeort das charaktorisiWhti Ui
theil aus:
,Nnlla in nrbo temutini baln«a ad Foeeunditat4}iii mulifiram tnagi* ftiuii j
107, EuropAiflcbe Weiberkeuschheit.
417
Alwin Srhnlts äussert sich über die Wannen biider im Mittelalter folgender-
en:
,Wir upHitztm zwßi Intereggante Darstellungen eines solchen Badesaalea, beide bur*
gundiscbe Miniaturen in den fr an z5d lachen Uebersetzungen des VcderhM Maximxis^ die
eine in der Stadtbibliothek zu Breslau, die andere in der zu Leipzig* Voransechicken
möchte ich, dass ich die Bilder für übertrieben halte, und dase nach meiner Ansicht auch in
ihnen nur der Vorliebe des Mittelalters für derbe handgreifliche Scherze EechnuAg getragen
worden ist. Die Breslauer Miniatur zeigt uns eino Reihe von Badewannen, in denen immer
ein Mann und ein Weib gegenüber Platz genommen haben. Ein Brett, das über die Wanne
gelegt' ist, dient als Tische iat mit einer hQhBchen Decke überbreitet, und auf ihm stehen
Früchte, GetrÄnke u, ?;, w. Die M&nner haben ein Kopftuch und tragen eine Schambinde;
die Frauen sind mit KopfpntE, Halsketten u. ä. w. geziert, sonst aber ganz nackt. Die Leip-
ziger Miniatur ist ähnlich, nur stehen die Wannen getrennt, und über jene ist eine Art
Hube, aus Stoff gefertigti angebracht, deren Yorh&nge zugezogen werden k5nnen. Gar zu
Icbtig ist es in dieser Art von Badestuhen nicht zugegangen, und anstftndige Frauen worden
lle wohl nicht benutzt haben**
i
#^
J^?r§fe<
Fig. 2Sh». B»del«b«n im 16. JabrbaDdert Nach Rf^. (IM«.)
Hier befindet sich Schtdf^ wobi im Irrtbum, sonst wäre vod der Kirche gegen
die Badestubeo nicht so energisch geeifert worden. Und Schulijs selber fahrt fort:
,Dafig jedoch die Badest üben von Liebeapaaren hin and wieder benutzt wurden, das
tcheint ebenso sicher. Die BAder galten als Gelegeoheitamacber, wie in dem Gedichte ;,Det
Teufeb Netz* (um 142Q entstanden) klar ausgesprochen wird. Eis heiait da:
«Der bader und sin geaind
Gern huoren und buoben sind
(Daz sich wol dick empfint),
Diep, lieger und kuppler
Und wissend alle fremde mär
Och kunnen sie wol schatfen
Mit laigAn und mit pfaffen.
Die ir Üppigkeit went triV«en,
Krmnen die froulin zuo in schiben^
LDm Bedeleben im Ul Jahrhundert flihrt ans ein Holzschnitt aus Owol-
Itifff: Spiegel UDd Regiment der dedundbeit iPig. 229.) An
no«»Hart»lt. Vm WsT-
*'»«» I.
27
418 XIV. Der Eintritt det Weibes in das Geechlechtaleben.
einem gedeckten Tische sitzt ein Herr und eine Dame; za ihren Seiten steht ein
Narr und ein musicir^nder Pfeifer. Ein reich gekleideter Diener tragt fiisclie
SchüsHeln auf. Dabei steht der Arzt, den Urin beschauend. Vor dem Tische
sitzt nackt in einer Badewanne ein Mann, und ein zweiter, ebenfalls nackt, sitzt
auf einer Fussbank daneben; 'er scheint einen Schröpf köpf auf der Schulter zu
haben. Ihm zur Seite sitzt eine Dame, die Kleider bis auf die Oberschenkel zurfick-
geschoben; der rechte Fuss steht, in einer Fusswanne und am rechten Arme ist
ihr die Ader geschlagen. Ein hinter ihr stehender Herr beugt sich über sie und
legt ihr seine Hand auf die Schulter. Diese ungenirte Scene spielt sich im Freien
in einem Garten ab.
Bekanntlich spielt die Untreue der Weiber und das Hintergehen ihrer Ehe-
männer in vielen mittelalterlichen Erzählungen den wesentlichen Kern der Ebmd-
lung. Hier sind namentlich die Novellen von Boccaccio zu erwähnen. Auch die
Sittenprediger berühren wiederholentlich dieses Thema; hierfür finden wir bei
Kotelmann mehrere charakteristische Bel^e. Er sagt:
«Auch von der Prostitution abgesehen, war der aussereheliche Verkehr der beiden Gre-
schlechter sehr häuBg. Berthold von Regensbttrg bezeichnet denselben ab «üne* (Unehe,
Concubinat), da ein lediger man ein lediges w!b hat. Oder er sagt davon: ,£z heizet das
unkiusche, daz die nescher unde die nescherin naschent von einem zu dem andern, als das
▼the," wie dies oft bei Ledigen der Fall war. War doch die angeborene, von allen Zeugen
gerühmte Keuschheit der alten Germanen l&Dgst verloren gegangen und an deren Stelle eine
weit verbreitete sittliche Laxheit getreten. Berthold weiss nicht oft genug zu klagen, in wie
grosso Kreise die Unzucht eingedrungen sei.''
An anderer Stelle sagt Berthold dann:
«Die jungen toechteren, und die jungen meytlin gedencken, wie sye ettwann inünch,
unnd pfafTon herumb bringen.*
Und Geiler von Keyserseberg predigt:
„Das man aber in den kloesterenn zuo ersten messen (Kirchweih), oder sunst zur an-
deren zeitten sollich buobenteding uffrichtet, unnd das die Frowen in die kloester gond
(gehen), unnd mitt den münchen uft unnd ab hupffent, und in die Zellenn unnd winckel
doraiftor (danach) schlieffent (schlüpfen), das ist einn öffentlicher miszbrnch, unnd sol nit
gestattet worden, denn kein frow soll in kein münch kloster nit gon. es ist luter
buobenteding. Menge fromme frow got in ein kloster, und aber got ein hurr wider
heruiz. Doran sein schuldig ir mann, die do eweren (euren) wyboren sollichs gestatten.*
( Kotelmann J
Die heutigen ungarischen Zelt-Zigeuner bedienen sich, wie r. Wlislocki^
«Tziihlt, eines besonderen Apparates, um ihre Eheherrin vor Verführung zu sichern :
fiDor junge Gatto lilsst sie in der Brautnacht unbemerkt auf eine kleine Scheibe aus
Lindenholz, von der Grösse eines Thalen«, barfuss treten. Auf der einen Fläche dieser Scheibe,
die die Dicko und Grösse eines Thalors hat, sind, wie aus folgender Abbildung (Fig. 230)
Fig. 'J:k\ Ziiaberbolr. xur Krhaltung der Fig. ZM. Zaabcrholx zar Erhaltiing der
ohelichon Trvuo d«r Zigeunerin. ehelichen Treue der Zigeunerin.
iVorierüeite.) vNach t\ U7tW4hrki^. (Rückseite.) (Xach r. init/<^kiK)
orsichtlich. Zeichen und Figuren mit einer noch nie gebrauchten, im Feuer erhitsicn Nad«!
oingeritxt. Kino Zigeunerin erklrurte mir diese Zeichen folgendermaasMa: Bia am Budt
der Flüche hinlaufenden verschlungenen Linien bedeuten eine Kette (wie w^ 4
Frau an den Mann gefeeselt sein); die Kreuze bedeuten das ,b{We Glflok* •
^ «Loch* ffültn soll. Die darunter befindlicht Figur stellt die Schlag»
107. Eorop&ische Weiberkeuschheit 419
symbolisch den zukanftigen VerfAhrer); und die darunter befindliche Figur ist ,Thurm", ,wie
der Gatte wachen soll* über die Treue seiner Gattin, oder , seine Glieder sollen so stark sein,
wie der Thurm*, damit seine Gattin mit ihm zufrieden sei. Auf diese Seite der Scheibe soll
die junge Gattin in der Brautnacht mit dem linken Fuss treten, mit dem rechten aber auf
die andere Seite, die mit folgenden Zeichnungen versehen ist. (Fig. 231.) Die obere Figur
soll eine Blume darstellen, ,das ist die Liebe*; die untere aber zwei gekreuzte Stöcke, für
den Fall, wenn sich die Ehefrau in der Liebe vergessen sollte.*
Dieser Zauber scheint aber nicht unter allen Umständen seine schützende
Wirkung auszuüben, denn v. Wlislocki^ erzählt femer noch:
»Einen eigenthümlich geformten Zauberapparat verkaufen bisweilen die südunga-
rischen Zolt-Zigeunerinnen, der als ein zuverlässiger Probirstein für die Treue einer
Ehefrau betrachtet wird. Derselbe besteht aus drei entblätterten Buchsbaum- und ebenso
vielen Rosmarin-Zweiglein, die mit einem rothen Faden umwunden durch drei entfleischte
Klstornschädel gezogen werden. Der eifersüchtige Gatte legt nun diesen Zauberapparat unter
das Kopfkissen seiner Frau: ist sie rein, so wird sie ruhig schlafen, im anderen Falle aber
wird ihr Schlaf unruhig sein, ja* sie wird im Traum alle ihre Fehltritte ausplaudern. Wirk-
samer wird dieser Apparat, wenn er neun Tage vorher in dem Grabhügel eines ungetauft ge-
storbenen Kindes eingeschurrt gelegen und dann mit dem Menstrnationsblute eines Weibes
besprengt worden ist.
27*
XV. Die Jungfranschaft
108. Jnngfranenzanber nnd JnngfSraaschaftsorakel.
Allerlei mystischer Einfluss im günstigen Sinne wird einer keuschen Jung-
frau zugeschrieben, bisweilen leider sehr zu deren Schaden. So erscheint über
ganz Deutschland der unselige Aberglaube in dem Volke verbreitet, dass kein
wirksameres Mittel gegen venerische Erkrankungen aller Art existire, als der Bei-
schlaf mit einer unbefleckten Jungfrau, oder wenigstens die directe Berührung
ihrer Oeschlechtstheile mit dem erkrankten Penis. Unendliches UnglQck ist auf
diese Weise verbreitet worden. Auch in den Gebieten von Belluno und Tre-
viso findet sich nach der Angabe von Bastanzi die gleiche schreckliche Unge-
heuerlichkeit.
Wie das primum menstruum der jungfräulichen Mädchen zu allerhand Zauber
und Medicin gebräuchlich ist, das haben wir bereits oben kennen gelernt. Eben-
falls in den Provinzen Belluno und Treviso vermag die Jungfrau die Frucht-
barkeit der Schweine zu vermehren, wenn sie dabei anwesend ist, während der
Eber das Bespringen ausfuhrt. {BastanzL)
Eine merkwürdige Sitte, die Raupen zu vertreiben, berichtet Bastanzi aas
dem Gebiete von Belluno. Sowohl ein Priester als auch ein völlig nacktes
junges Mädchen müssen Morgens früh in der Anpflanzung erscheinen. Und wenn
sie sich treflfen? „Mio Dio, non ci pensiamo!*
Hieran erinnert ein Gebrauch in Litthauen, von welchem uns Beejsenberger
Nachricht giebt Er sagt:
«Wenn in einem Hause viol Flöhe sind, so muss es ein Mädchen ganz nackt am ersten
Ostertage vor Sonnenaufgang auskehren und den Kehricht über die Feldgrenze werfen.*
Die gestriegelte Rocken-Philosophia führt den im Jahre 1709 in
Deutschland noch herrschenden, merkwürdigen Aberglauben an, dass wenn einem
frühmorgens eine reine Jungfrau begegnet, dieses Unglück bedeute.
Nun ist es aber dann natürlicher Weise auch wünschenswerth, ein sicheres
Kennzeichen zu besitzen, imi zu wissen, ob das betreffende Mädchen auch ihre
Jungfrauschaft; noch nicht verloren habe. Auch in dieser Beziehung begegnen
wir im Volksaberglauben mancherlei absonderlichen Prüfungsmitteln und Orakeln.
Schon nach Ovid zeigte ein Faden, mit welchem man den Halsumfang maass,
eine Zunahme des Letzteren an, wenn das Mädchen die Keuschheit verloren hatte.
Noch heutigen Tages hat man nach Karusio solch ein Faden-Orakel in der Pro-
vinz Bari. Man muss von hinten her über den Nacken und die Lippen messen.
Wenn dann der Faden sich nicht über den Kopf des Mädchens abstreifen lässt,
so befindet sie sich noch im Besitze ihrer Jungfranschaft.
Von den Ossetinnen im Kaukasus hatten wir schon oben berichtet, dass
eine üppige Ausbildung der Brüste bei jungen Mädchen für ein sicheres Zeichen
eines unsittlichen Lebenswandels angesehen wird.
109, Die Mueftchtung der Jongtraußcbaft.
421
Auch von dem Landvolke in Bayern führt Lammert solche Keaschheits-
Prüfungen an. Wenn ein Mädchen einen Topf kochenden Wassers vom Fener
hebts, und derselbe hört auf zu kochen, so hat es seine Jungfernschaft verloren.
Weniger ästhetisch ist die folgende Probe; Giebt man einem Mädchen das Pulver
von verbrannten Epheu wurzeln ein, so vermag es, wenn es nicht mehr Jungfrau
ist, seinen Urin nicht zu halten.
Nach der gestriegelten Rocken-Philosophia glaubte man in Nord-
Deutschland, dass OS ein Beweis für die noch erhaltene Jungfernschaft sei, wenn
das Mädchen ein verlöschtes Licht wieder anzublasen vermochte, so dass dieses
wieder zu brennen begann.
Die Neu -Griechen auf Morea besitzen eine ganz absonderliche Jungfern-
schaftsprobe, Hier rausste die Braut, bevor sie das Brantbett bestieg, auf ein
ledernes Sieb steigen. Durchtrat sie hierbei das letztere, so lag ihre Unbefleckt-
heit klar zu Tage. (PouqueviUe)
109* Die Mlssftchtnng der Jnngfranschaft.
Der Begriff der Jungfrauschaft ist ein ethischer, der von der Annahme
ausgeht, dass die 9e:itaeUe Unberiihrtheit des Mädchens einen ganz besonders hohen
sittlichen Werth besitze. Die Anschauungen über diesen Werth sind aber bei
den verschiedenen Völkern sehr verschiedenartig abgestuft; aber selbst bei einer
ziemlich niederen Cnltur finden wir bisweilen als ein untrügliches Zeichen einer
ethischen Kegimg die Achtuüg und die Werthschätzung der Jungfräulichkeit
Wir selbst haben uns allerdings schon längst gewöhnt, in der Unnahbarkeit und
Keinheit des jungfräulichen Zustandes das Ideal schöner und keuscher Weiblich-
keit zu verehren. Schon im altgernianischeu Rechte wird die Jungfräulichkeit
als achtungswerth aufgefasst, und auch die christliche Religion legt bekanntlich
von Alters her ein so hohes Gewicht auf ein keusches jungfräuliches Leben, dass
manche verehelichte Frauen als Heilige noch heutigen Tages verehrt werden, weil
sie auch in dem Ehestande sich die J unglVauschat^ zu bewahren wussteu,
Ganz andere Momente hingegen liegen der Werthschätzung jungfräulichen
Zustandes bei vielen weniger civilisirten Völkern zu Grunde; es ist bisweilen hier
ein Naturalismus der gröbsten Sorte, der ihre Auffassung leitet, und der zugleich
in schroffen, unsere Gefühle verletzenden Formen zu Tage tritt. Nichts Sinniges,
vielmehr nur Sinnliches ist dann das Motiv, welches die eifersüchtige Männerwelt
bei niedrigem Culturgrade veranlasst^ das deflorirte Mädchen zu missachten und
von dem Ehebette zuHlckzu weisen.
Ein unverletztes Hymen gilt bei den meisten Völkern als einziges Zeichen
der Jungfrauschaft. Auch bei uns war das von jeher der Fall, und die grosse
[Masse des Volkes hält an dieser Signatur noch fest, obgleich die gerichtliche
I Medicin schon längst über diesen populären Staudpunkt hinaus ist* Das Hymen
i oder das Jungfernhäutchen bildet eine hohe Schleimhautfalte am Scheideneingange,
vor dem es in den meisten Fällen halbmondförmig ausgespannt ist. Man glaubte
allgemein, dass die an einzelnen Stellen des Scheideneingangs sich erhebenden
warzigen Excresceuzen, welche die Anatomen als Carunculae myrtiformes beseich*
neten, sich unmittelbar nach der Zerreissung des Hymen beim ersten Coitus aus-
bildeten. Allein Karl Schröder hat mit Sicherheit nachgewiesen, dass das Jung-
I fernhäntehen bei der Cohabitation nicht selten ziemlich unverändert bleibt; selbst
nach häufig wiederholtem Coitus erscheint es nicht selten nur ausgedehnt oder
eingekerbt. Durch das Eindringen des Penis wird höchstens der freie Rand des
Hymen zerrissen. In der Regel kommen erst in Folge einer Geburt solche Ver-
länderungen zu Stande, als deren Ergebniss sich jene Carunculae myrtiformes dar-
I stellen. Demgemäss ist das Vorhandensein des Hymen kein Kriterium daflir, dass
die betreffende Person noch nicht cohabitirt hat. Auf der anderen Seite ist aber
422 XV. Die Jungfrauschaft.
auch, wenn das Hymen fehlt, die Annahme noch nicht ohne Weiteres berechtigt^
dass schon ein sexueller Verkehr mit einem Manne stattgefunden habe, denn es
giebt auch eine Reihe anderer Eingriffe, durch welche das Hymen zerstört werden
kann. Hiernach erleidet also die weitverbreitete Meinung über das Kennzeichen
der Defloration sehr erhebliche Einschränkungen und Abänderungen.
Wir finden, wie bereits gesagt wurde, durchaus nicht bei allen Völkern der
Erde die gleiche Auffassung und Werthschätzung der Jungfrauschaft, beziehungs-
weise eines unverletzten Jungfernhäutchens. Wenn, wie wir soeben gesehen haben,
nun auch diese beiden Begriffe sich nicht vollständig decken, so sind wir doch
nicht im Stande, sie absolut aus einander zu halten. Und da zeigt es sich, dass
man eine ganze Stufenleiter der Achtung oder Nichtachtung aufzustellen vermag,
welche diese Zustände in der Meinung der verschiedenen Völker gemessen. Be-
ginnen wir mit denjenigen Nationen, welche der Jungfrauschaft eine vollständige
Nichtachtung entgegenbringen, so steht hier obenan die absichtliche Zerstörung
des Jungfernhäutchens oft schon von den ersten Lebenstagen an durch die Hana
der eigenen Mutter.
War es bei den Chinesinnen, bei den Bewohnerinnen von Amben und
den Uliase-Inseln und bei den Indianern in übertriebener Reinlichkeit ein
wiederholtes und ganz energisches Waschen, welches zu der Zerstörung des Hymen
führt, waren es bei den soeben reif gewordenen Mädchen des Banda-Archipek
wahrscheinlich ebenfalls religiös- hygienische Ursachen, welche dazu fähren, Tam-
pons aus Baumbast in die Scheide zu stecken, wahrscheinlich wohl, damit das in
hohem Grade für unrein angesehene Menstruationsblut nicht sichtbar wird und
die Schenkel nicht besudeln kann, so ist die Absicht bei den Machacuras-In-
dianern eine durchaus andere, wenn sie durch ihre bereits oben beschriebenen
Manipulationen ihren kleinen Kindern die Jungfernhaut vernichten und die Scheide
erweitem. Hier soll das Mädchen für einen recht frühzeitigen Verkehr mit er-
wachsenen Männern hergerichtet werden. Ganz ähnliche Zwecke verfolgen die
onanistischen Reizungen, welche die alten Impotenten auf den Philippinen bei
den kleinen Mädchen vornehmen, und auch die ähnlichen Spielereien, wie wir sie
bei manchen afrikanischen Völkern die grösseren Mädchen bei den kleineren
haben ausführen sehen, mögen halb bewusst, halb unbewusst die gleichen Ziele
zu erstreben suchen. Jedenfalls gehört hierhin der oben erwähnte Gebranch der
Savu -Insulanerinnen, den jungen Mädchen bei der ersten Menstruation ein
zusammengerolltes Koli-JBlatt in die Vagina zu stecken, um diese zu erweitem.
Eine absolute Gleichgültigkeit gegen die Jung&auschaft müssen wir überall
da erkennen, wo wir einen vollkommen unbehinderten geschlechtlichen Verkehr
zwischen den unverbeiratheten jungen Leuten beiderlei Geschlechts vorfinden. Wir
haben hierfür bereits mehrere Beispiele kennen gelernt und ich brauche an dieser
Stelle dieselben wohl kaum zu wiederholen, (Südsee-Insulaner, Bewohner des
malayi sehen Archipels, Nord-Asiaten, Japaner, Indische Stämme, Afri-
kaner u. s. w.), und eine derartige Unbeschränktheit finden wir bei den Mada-
gassen, den Basutho, den Bawenda u. s. w. sogar schon im kindlichen Alter.
Dass hier der Bräutigam bei seiner Auserwählten bei der Verheirathung ein Be-
stehen der Jungfernschaft nicht voraussetzen kann, das bedarf wohl keiner weiteren
Darlegung.
Es giebt nun aber auch gewisse Stämme, welche noch einen Schritt weiter
gehen, indem sie das Fortbesteben der Jungfrauschaft bei einer Erwachsenen ge-
radezu für eine Schande betrachten, für einen sicheren Beweis, dass das MBdchen
vor keines Mannes Auge Gnade gefunden hat. Aehnliches haben wir weiter oben
bei den Wotjäken gesehen. Auch bei den ühibchas (auch Muiscaa
Mozcas) in Neu-Granada, welche jetzt fast ganz untergegangen sind- w\
die Jungfrauschaft als Beweis dafür angesehen, dass das Mädchen onfl
Liebe zu erwecken.
109. Die Missachtung der Jungfraoschafb. 423
Aehnlich war es nach Gemelli Carreri im 16. JahrhuDdert bei den Bisayern
auf den Philippinen (Jagor^):
«Mais aujourd*hui meme an Bisayos s'afflige de trouver sa femme ä T^preave du
Boup^on parcequ'il en conclat, que n^ayant et^ däsir^ de personne, eile doit avoir quelqae
mauvaiso qualit^, qui rempöchera d etre heureux avec eile.*
Wenn nun auch andere Nationen nicht soweit gegangen sind, etwas Ent-
ehrendes in dem Vorhandensein eines Jungfernhäutchens zu erblicken, so sehen
sie dasselbe doch als etwas an, das das eheliche Vergnügen hindert und beein-
trächtigt und welches daher vor dem Eintritt in die Ehe entfernt werden muss.
Inwieweit geschlechtliches Unvermögen in geringerem Grade, bedingt durch Aus-
schweifungen in der Jugend, die erste Veranlassung zu diesen Gebräuchen gegeben
haben mag, das werden wir wohl niemals zu entscheiden im Stande sein.
Bei den Sakkalaven in Madagascar entjungfern sich die jungen Mädchen
selbst vor ihrer Verheirathung, faUs ihre Eltern nicht schon früher dafür gesorgt
haben, dass diese Präliminar-Operation ausgeführt wurde. (Noel.) Abscheulich
ist die ungemein rohe Art, in welcher australische Stämme am Peak-Flusse,
um den geschlechtlichen Verkehr mit sehr jungen Mädchen zu ermöglichen, diesen
die Vagina nach und nach bis zu den gewünschten Dimensionen erweitem. Dieses
Geschäft sollen die älteren Männer der Gesellschaft übernehmen. Wenn des jungen
Mädchens Brüste schwellen und sich der Haarwuchs zeigt, so entführt sie eine
Anzahl älterer Männer an einen einsamen Ort; dort wird sie niedergelegt, ein
Mann hält ihre Arme, zwei andere die Beine. Der vornehmste Mann führt dann
zuerst einen Finger in die Vagina ein, dann zwei, zuletzt vier. Zurückgekehrt
an den Lagerplatz, kann das arme Ding in Folge der Misshandlung 3 — 4 Tage
denselben wegen der heftigen Schmerzen nicht verlassen. Sobald sie kann, geht
sie fort, wird aber in jedem Winkel von den Männern verfolgt und muss sich
den Coitus von 4 — G derselben gefallen lassen. Dann aber lebt derjenige, mit
dem sie als Kind versprochen worden war, mit ihr als Gatte, wobei der Mann
zuweilen circa 5 mal älter sein kann, als die Neuvermählte. Hill in Sydney be-
richtet auch, dass die Eingeborenen von Neu-Süd-Wales vor der Heirath an
der Braut, einem meist sehr jungen Mädchen, die Defloration mittelst eines
Feuersteinsplitters vornehmen, der Bogenan genannt wird, und mit welchem das
Hymen aufgeschlitzt wird. Dies geschieht angeblich, um den Eingang so gross
oder so klein herzustellen, wie es dem Gemahl passend erschien.
Es ist nicht deutlich zu verstehen, wie sich der Berichterstatter hier die
Verhältnisse eigentlich vorgestellt hat. Ein mehr oder weniger tiefes Einschneiden
der Jungfemhaut macht einen engen, jugendlichen Scheideneingang noch nicht
für einen starken Penis zugänglich. Wahrscheinlich liegt hier eine Verwechslung
vor mit der weiter oben geschilderten Operation, von welcher Furcell berichtet
hat. Sie besteht darin, dass die hintere Abtheilung des Scheideneingangs mit
dem Feuersteinmesser eingeschnitten wird; eine solche Vornahme muss ihn aller-
dings erweitem.
Dieses letztere erinnert an die Operationen, welche bei den excidirten und
vernähten Mädchen in Afrika vor der Hochzeit nothwendig werden und bei
welchen von Priestem oder von alten Weibern dieses Wiederaufschneiden meistens
mit sehr fragwürdigen Instmmenten ausgeführt wird. • Die alten Aegypter
schnitten das Hymen durch.
Bei anderen Völkern wieder begegnen wir der Sitte, dass die Entjungfemng
der Braut allerdings «lege artis** vor sich geht, d. b. durch die Ausübung eines
Beischlafes. Diesen vollföhrt aber nicht der Bräutigam, sondern irgend ein anderer
Mann an seiner Stelle. Wir dürfen diesen Gebrauch aber nicht mit einem ähn-
lichen Terwedneln, welchen wir später bei den verschiedenen Formen der Ehe
kennen lenm werden. Ich meine die einmalige Preisgebung des Mädchens an
die StüinuMMgenoceni bevor sie durch die Ehe das ausschliessliche, unantastbare
J-j,~. ^V Die JiuigtrauHciiaU.
Li^*:-atijLiu «^iiitic Einz^iu^L vrird. Hier liegen, wie icb seiuer Zeit erluatem werde,
utiiviziiur ii:ju^rt Mütivr zi; (Truuüe. \'n- iiui. zu imüsereni Falle zurückzukeihren,
?i ujUs>f^i V ir II. dies*?iL priimireL Coitus dunri. eiuen Stellvertreter doch wiederum
^iiii^* VMl•r^^'.'UHidulJ^eI: trefiei.. jSacli einem Ausspruche des heiligen Athanasius
Ui*.'i'i«fL >i'.-i (ij^ ^'tii>i:ii'. [ev einei: iiesüadereii N:laven. dem das Amt oblag, die
brttu- ZI uehviT-ir-fi. Bei den ViMcavern auf dei! }'hLli]»pinon eziBtiren nach
JJitt/h^u:' /T' iiiuivjuuei:. welche die Lutiunglemiip gewerbamkssifr betreiben. Auch
."//»r/; «'■'•• v.^iireiüi im Uv .lalirhunden.. wit Jaanr berichtet von den
b'.5L:;r'i. all' u^i j-'l. .lijipiiieu:
.'.'1 u* cuijuui: poiiit i! tf^tfonpH- d uiit iroutumr auäs. üurbarf: quf celle qui f'y etait
r-ui .i» ^' ii\ 'i: ue- ol'liVier^ puuiic&. e: uuyt'h xu'jzut iort ciierenieni. priur Ata* la vizginite aux
:.:.•?- pa:'.-* <a «^li«- '.'Uti: re^iiüf^t L-umiui- ul oü.nuLie uu^ piaisir.- du niari. A la Terite il
:i>. \»f.i\' uu'.uiK iru'.'* u« (;tftu iiiluojt pratiijut? uel)ui^ iu uumiiuiiioi. de» ll6]iupnolK.*
r^<;llIliiclitf^ üericjii-ei uuci- S^itthrriiUi vul Neii-Cujeü(»i:ien. Er sagt Ober
ti»*i. \\ H-ii weioiieij m.»ri die .UinpieruschafT hesitzr:
.'.•1 ' lui: pei. aiiexiiiOL. L-a; t*lie ib ]H*ri: ei. tuLirrani der >oi. bat' äpc. Ghoae fort
•juvieu»^ ; u. «L iu i'ivLixt- qut. iortijL'iix: uiur. iit ]ieii: OL xiv v«nT defiore; sa femxne. ü w
;Luit\t VI {lii^un: •jeruiu.'^ ludi^iiiu^. uu. - ei ui-Liiiiit^n: :. si. piucc C'e eont dof^ j^er-
• *\.'i ar;ii:>rt .' a M \o-ili*." iii'\iL viiiufTi la i>. it iioninii Th-n iuisaiT cette besogne
^^ I» *;iii*fi J i»ri»oii-i:: ii. der Sirilii-nktn: müssei. wir t* dalier betrachten.
v^fiii V" ^ell••l.. Vi» diese tiiTJuiiirieruiij: eiiit Ehr* isr^. die nur einem hochge*
»•.^livei Maiiiit :'.iii;.»niiu: jut ])rimue mKtl^.. nde: eiL '^Veingeschenk. welche? der
'ji\jt:iiei: (ia'>!»^o'*a'.'ii: v>'rat?i mus^. und vei'.ile^ duijt»r äa> Bild der Gottheit selbst
\jtkK' de' bMive-ire'rfr •.^l•n'e^ auf Erdvi.. der l'riesier, Vi^rzunehmen l>erufen ist.
EU. i>ei?j»ie! tlsr dei. er^i-eL Vul. tiüdeL wi! ne. d^'i. BaiuLttL iLSecegambien,
eiueii beiir rouei ^ ejierbTamu. t. Hier iii;: d^r HLui^Timxr die Terjiflichtung,
die fcriiuu si. QHti<..rirei.. vfi'.i: er sicL i^f: i;il- C'.*S'^'1 ausftiiniit:he Geschenke her-
ueiiiiMii : v»niit diewr LT;iuBtiie'.:eiirunc de^ Hüu:•I::lu^^ ist *■< ai»er keinem Mädchen
«•■iaiii»!. -tu iieiraüiieL. Miwi**
Alt '.*;»ief piT.it uL dit *!.Tt»nüe:T sehei, wi: dit ErsTlinre «er .^ungiemscbaft
•^e ve'-b'.iiiedeLiei. N''.*»li;e''L Qe^ A■^■e^i:um^ dareevrat-i:!. r;: denäL auch die alten
K'.u.e»^ >:eli'.'r^'. . A: ju^e'.'iivi. !*.»liei. sji-L dit rC n:->(i.eL BrLüTt auf den Schooss
ciÄ «.".•: :.et JMiCi'i'.-.f t:*£>f\:z.\ i:a:»eL. d::re'L äe>>e:: }*:ial:u^ äa> B;»-men zerrissen
. 'iC c.t '^'u>: ::i. e-v *■!:>•-. vvrd* AvivL il:; der^ L.:;^Ln:-r»i:'ns: :l Indien sind
i.'. '. .1 V 1*». ' ,/»r ' ». ■ '.Il ". ' « ".e L * e '".»•.i '.* ae* . .
. .'.■i.'n^^i.» i. ». '.le»-.'.!.:;-« ,'t.. liv .;L!ib ie^ e:v.r.■li^ i« • : :. . 1 : : • !*»* .»flun» znajie«?
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'»,if.. .'.■* ;f-'.:.>/p :.u •.•..i-rifc.»:^ .. ■.:•..% >*"j.: ,u-. .• j... .t ...t: : '...:xi*r.. tv: ät :er; et Ton
*4..'. . . .»^' • '-* !-■.•:■- -r • . it :*»: M-'.r.'.i .!.:*•:;.• * .'.t? ,:■ ir
J>.t !»jL'.»: ■. "..d Arve:: Jür is.r ».^" TT-rr* i-i '.:»rr::;tL:-e:. iki.r. >:»5i'er Opfer-
«:_-.;£ •:.»: Pr.e*:-er vder öu.L :.e ZaWrrrr. I>ä< le;r:rr; w.-.: r::. "r^ -Jahrhundert
» V- dei A '. '. w ii > '. i *: 1 -.Li K u II. a L «r L A IL r r : *i :i * :»r r. . :.: e:, "«^ .iirr-r- i in N i ca-
•^a^^.a der '.''.-er;. r:e^>r iic Brauir eL:;u:.*rrnT. uii A.%s> .»../:. he-l« noch in
' '. ■: . •- :. : r r • i ri •, : ;(:a 'j- >e . Le B ra - : r u r : l r "- Bri : ::. u- ri. :T. : . r: . iir.-. \\ dieser ihr
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i :•..'-•: ii-y" r »T-re-'L:. l'.r ;:rw>>r BraL:-:* t r. .^■.:: M.-».ji.sr s. .. v.t^es Amt sogar
• '•: »:.•/;:*: Ber ..>:.r i'.Lt iTrwe^r:: >e:n.
}■ • ':-*r;eii;^»eL YkW^. «o *ivh .iie J^:.*rra.'. »'>.: »:-.itr .::::: Priester
ix\i*'l 'i*::i. KOr::;;e. *'>Lderr. i'^jei.d eiami FrMv.ier. irt^ssoivr: u:usk»
•i Bü'yvjoü und Cvpvrn der Fali war. eri»I:i*ki ?»..>: •..•■.:?*w .:;e FiHjf
(ieii. L'i/i»iaiide. das$ nicht cur da» MenstruJÜbhit, $o:iden: a*.;o!; das bei
110. Die Werthsch&tzmig der Jungfrauschaft. 425
floration durch die Zerreissung des Hymen fliessende Blut, und somit auch der
Act der Entjungferung selber für verunreinigend gehalten wurde. Daher überliess
man ihn den Fremden.
110. Die WerthscUtzung der Jungfranschaft.
Bisweilen finden wir bei solchen Volksstämmen, welche die freie Liebe der
Jugend nicht hindern, dennoch eine Werthschätzung der Jungfrauschaft. Dahin
gehören beispielsweise die Eingeborenen des Haawu-Ärchipels in Nieder-
ländisch-Indien. Sie gestatten zwar den jungen Leuten einen ganz ungestörten
geschlechtlichen Verkehr, und daher verlangen sie durchaus nicht bei dem Ein-
gehen der Ehe ein Bestehen der Jungfrauschaft; aber dennoch geben sie unter
allen Umständen einer Virgo intacta den Vorzug.
Den grössten Werth legt man auf das angebliche specifische Merkmal der
Virginität in Asien und in Afrika, und in den meisten Ländern dieser Continente
wünscht der Mann regelmässig bei dem Vollzuge der Verheirathung untrügliche
Beweise zu erhalten, dass das in seinen Augen allein maassgebende Zeichen der
Jungfrauschaft, das Jungfernhäutchen, bei seiner oft für schweres Geld oder Oeldes-
werth erkauften Braut noch unberührt und unverletzt erhalten sei. Auch hier
begegnen wir wieder einer sehr beachtenswerthen Stufenfolge in der Art und
Weise, wie sich der Bräutigam die Ueberzeugung von der geschlechtlichen Un-
berührtheit seiner Braut zu verschaffen suchte. Als ersten Grad in dieser Be-
ziehung können wir die Sitte betrachten, nach welcher, wie Clot berichtet, in
Aegypten das Hymen nicht etwa durch den ersten Beischlaf zerrissen wird,
sondern der Mann hüllt ein weisses Mousselintuch um den Zeigefinger der rechten
Hand und dringt in die Mutterscheide der jungfräulichen Braut ein; das blutige
Tuch nun zeigt er den Angehörigen vor. Unter anderen orientalischen Völker-
schaften wird diese Angelegenheit mit noch weniger Delicatesse behandelt.
In Nubien wird gegen das 9. Lebensjahr hin das Mädchen verlobt; der
Ehemann defiorirt dasselbe mit seinem Finger und vor Zeugen; als wirkliche
Gattin führt er sie erst nach einem Jahre oder später heim. Bei den Arabern
wird die Verlobte, wenn sie nicht Wittwe ist, ebenfalls wie in Aegypten mittelst
des von einem leinenen Tuche umhüllten Zeigefingers der rechten Hand entjung-
fert, doch besorgt dies Geschäft nicht der Mann, sondern eine Matrone, und jene
führt dasselbe vorsichtiger Weise nur dann aus, wenn die Verlobte gerade men-
struirt; das Tuch wird stets den Eltern gezeigt. Die Kopten verhalten sich in
dieser Beziehung ähnlich wie die Araber.
Bei der Mehrzahl der orientalischen Völker und auch bei einigen ihrer
Nachbarn verlangt der Bräutigam in der Brautnacht nach dem ersten Coitus im
Ehebette Blutspuren zu finden zum Zeichen, dass das Hymen von ihm selbst
durchrissen, seine Frau also nur erst von ihm selbst entjungfert worden sei. Diese
Trophäen seines Sieges und gleichzeitig die Keuschheitsbeweise seiner Braut werden
dem Kreise der Freunde und Verwandten im Triumphe vorgezeigt.
Auch die Bulgaren verlangen nach Bogisic von dem jungen Ehemanne
die sichtlichen Beweise dafür, dass seine Braut noch Jungirau war.
Bei den Samojeden und Ostjaken ist es nach Pallas sogar gebräuchlich,
die Schwiegermutter für die überbrachten Zeichen der Jungfrauschaft zu be-
schenken.
Bei den Chinesen von Peking wird, nach mir von Herrn Professor
Dr. WOMm Orube gemachten Mittheilungen, die Braut am Hochzeitsabende von
einer Ehzakboie entkleidet, wobei sie aber die Strümpfe, die Beinkleider und
den LendflBgttrtel anbehält, in dessen Tasche sich ein weisses Tuch befindet.
Der ^ "» 4wf ihr die Unterkleider nicht ausziehen, aber das weisse Tuch
p der Tasche nnd breitet es über das Lager hin, damit es bei
426 ^^- ^ie Jungfrauschaft.
der Cohabitation das hsi hang, »das glückbringende Roth* anfifiehmen
könne. Fehlt das letztere, so ist das ein Unglück und eine grosse Schmach. Die
Hochzeitsdecorationen werden dann von der Thüre herabgenommen und die Gaato
verlassen schleunigst das Haus. Von der Jungvermählten sagt man dann:
öffentlich Frau, heimlich Concubine. Der Mann darf seine Gattin zurückschicken,
oder auch eine zweite Gemahlin nehmen. Diese letztere hat dann den vollen
Rang einer rechtmässigen Frau und gilt nicht als Concubine. Wenn die Matter
behauptet, dass ihre Tochter durch einen früheren Unfall das Jungfernhäatchen
verloren habe, so muss sie zum Beweise dessen die blutigen Beinkleider der
Tochter herbeibringen, welche dieselbe damals trug, oder die Watte, mit welcher
das Blut aufgefangen worden war. Beides wird für diesen Zweck von der Matter
sorgfaltig aufbewahrt.
Ueber die Afrikaner finden wir auch schon im Anfange des vorigen Jahr-
hunderts analoge Angaben in des getreuen Eckarth's anvorsichtiger
Heb- Am nie. Es heisst daselbst:
, Dergleichen Gebrauch sollen auch die Afrikaner unter sich zuhalten pflegen. Denn
sobald der Bräutigam und die Braut nach verrichteten Ehren-Verpflegungen nach Hange ge-
langen, 80 verfQgen sich beyde alleine, unterdessen das Hochzeit-Mahl zubereitet wird, in ein
sonderlich Zimmer, vor welchen ein altes Weib aufzuwarten bestellet wird, in welchen der
Br&utigam die Jungfrauschafft aufsuchet, wann er nun solche gefunden, so reichet er selbige
dem alten Weibe zur Thüre aus. Diese nimmt nun das mit rothen Rosen-Bl&ttem angefüllte
Leinwand, und zeiget es denen anwesenden Gästen als ein sonderbares Triumphs-Zeichen, mit
grossen Freudens-Bezeigungen der eroberten Jungferschafft vor, worauf die Gäste sich setsen,
und sich fröhlich erzeigen. Wofern aber die Rose die Blätter nicht fallen last, wird die
Braut den Eltern zurück gesendet, die eingeladenen Gäste aber müssen traurig und uoge-
speiset nach Hause kehren."
,So bezeugen auch des Claudiani Garmina, dass gleiche Gewohnheit die ROmer
celebriret haben, wenn er saget:
Et Yestes Tyrio sanguine fulgidas
Alter virgineus nobilitet cruor.
Tunc Victor madido prosiliat thoro.
Noctumi referens vulnera praelii.
Gleichwie das Ober-Bett von hohem Purpur strahlt.
So ist das Unter-Tuch mit Jungfer Blut bemahlt,
Das aus dem feuchten Ort der Ueberwinder springt.
Und vom erhaltnen Kampf die Sieges-Lieder singt. **
«Dergleichen Gebräuche halten einige Nationen noch mit in Europa wohnende, daes
gleiche BogobeDheiton das wahre Kennzeichen einer unverletzten Jungfrauschafft sej.*
Es ist wohl sehr schwierig, zu entscheiden, ob es sich lediglich um eine
eigenthümliche, besonders scrupulöse Art handelt^ das Vorhandensein oder Fehlen
der Jungfrauschaft zu constatiren, oder ob wir darin eine Art von Analogie ftbr
die Institution unserer Trauzeugen erblicken müssen, wenn wir sehen, dass bei
manchen Völkern bestimmte Freunde oder Anverwandte bei dem ersten Goitus
des jungen Paares zugegen sein und sogar hierbei handgreiflich helfen und aflsis-
tiren müssen. So erfolgt z. B. bei den katholischen Christen in Aegypten die
Entjungferung durch den Beischlaf, welchem die beiden Schwiegermütter, die
Mutter des Mannes sowohl als auch diejenige der jungen Frau, beizuwohnen Ter-
pflichtet sind.
Bei dem ersten Coitus eines Ehepaares assistiren auch in Abyssinien
Zeugen, welche dabei der liegenden Frau die Beine so hinaufhalten,
Ehemann zwischen denselben seine Lust befriedigen kann. Diese beiden
treten von da an zu dem Paare in ein Verhältniss, welches einem verwandtnl
liehen gleicht; dasselbe ist ähnlich wie bei uns die Pathenschaft. Stedser,
Ploss dies mittheilte, giebt auch an, dass dieses Halter
111. Die verlorene Jungfraoschaft. 427
Goitus deshalb vorgenommen wird, weil die junge Frau dort wie überhaupt in
vielen Ländern Ost-Afrikas eine durch künstlich eingeleitete Verwachsung ver-
schlossene Scheide hat, die jedoch nicht, wie anderwärts durch Schnitt, sondern
von dem jungen Ehemanne selbst durch gewaltsames Einschieben des Penis ge-
ofihet wird.
Eines eigenthümlichen Edictes muss ich noch gedenken, welches in Rom
der Kaiser Tiberias ergehen Hess. Er verbot, dass Jungfrauen hingerichtet
würden. Hatten dieselben ihr Leben verwirkt, so war es die Pflicht des Henkers,
sie vor der Hinrichtung zu defloriren. (Hyrtl.) Was ftir Motive ihn hierzu
bewogen haben mögen, das sind wir heute wohl nicht mehr im Stande zu
entscheiden.
Zum Beschluss sei noch eine Sitte erwähnt, welche Paasonen von den
Mordwinen berichtet:
«Arn Vorabend der Hochzeit legt die Braat ihre Kopfbinde mit einem eingesteckten
Ringe um den Hals einer ihrer Freundinnen ; die Kopfbinde wird Jungfernschaft genannt.
Dabei wird gesungen:
, Meine kleine Schwester Najo (AnastasiaJ,
Komm, Schwesterchen, vor mich,
Komm, Schwesterchen, in meine N&he!
Ein kleines Geschenk will ich schenken ,
Eine kleine Gabe will ich Dir geben,
0, ich lasse Dir
Meine Bojarinnen -Jungfemschaft,
Meine Herrinnen-Freiheit.
Trage sie auch hübsch herum!
0, lass sie nicht
Die Häuser der Todten, Hingeschwundenen besuchen!
0, lass sie nicht
Der Todten Reiche besuchen (die Gottesäcker).
Nein, trage sie in Hochzeits-
In Hochzeitshäusem, in Häusern, wo ein (fröhliches) Gespräch geführt wird, herum,
Zwischen den Tanzenden, Singenden entlang.*
Die Hochschätzung der Jungfräulichkeit kommt bei den Finnen in ihrer
Volkspoesie zum Ausdruck. Es heisst in einem ihrer Verse:
, Heilig selber ist dem Bösen
Mädchenunschuld, Mädchenehre.
Hiisi (das böse Prinzip) selbst geht einer Jungfrau
Mit gesenktem Blick vorüber.* (AUmann,)
111. Die yerlorene Jnngfranschaft.
Aber wehe der unglücklichen Braut, welche die Probe der Keuschheit nicht
zu bestehen vermag! Es giebt bei vielen Völkern keinerlei Entschuldigung fttr
den Mangel des Jungfernhäutchens. In Persien kann, wie Folak berichtet, in
einem solchen Falle die Frau auf die einfache Aussage des Mannes hin nach der
ersten Nacht Verstössen werden. Dieser ungerechte Brauch wird oft benutzt zum
Zwecke der Gelderpressung von den Schwiegereltern, die den Ruf der Frau nicht
beflecken lassen wollen. Andererseits aber hat diese Sitte den Erfolg, dass
gemeinhin in Persien die jungen Mädchen fast alle in voller Virginalitat in die
Ehe gelangen.
Auch in Nicaragua durfte der junge Oatte seine Verlobte (nach Squier)
ihren Bltem surOdkiMlikk«!, wenn dieselbe schon ArQher ihr Hymen eingebüsst
hatta Bbanao äbnoff wmde ea niit der Reinheit der Braut nach Äcosta's und
B ^'^ txikaner-Beiche genommen.
428 ^V. Die Jungfrauachaft
Aehnlich ist es bei einigen anderen orientalischen Yölkem, aber auch
bei gewissen afrikanischen Stammen schickt der Bräutigam die Braut den
Eltern wieder zurück, wenn er sie in der Brautnacht nicht ds Jungfrau erfunden
zu haben glaubt. Die Ehe ist damit einfach für angültig erklärt und aufgelOet«.
Ist bei den Szuaheli im östlichen Afrika bei der Verheirathung das Jungfern-
häutchen zerrissen gefunden, so müssen die Eltern die Hälfte des Brautgeldes an
den jungen Ehemann zurückbezahlen.
Findet der Qatte bei einer Zulu -Hochzeit heraus, dass es mit der Jung-
fräulichkeit der Braut schlecht bestellt war, so zahlt der Bruder oder der Vater
derselben an den jungen Ehemann einen Ochsen: „to stop the hole', wie der
Zulu- Ausdruck im Englischen lautet. (Joest.^)
Asboth berichtet aus dem südlichen Rassland, dass eine Braut, deren Jung-
frauschaft sich bei der Hochzeit als verloren erwies, der verächtlichsten Behand-
lung gewärtig sein konnte.
Bei den Bulgaren wird die Schande des Mädchens laut verkündet, wenn
bei Vollzug der Ehe die Beweise für ihre bisherige Jungfräulichkeit ungünstig
ausgefallen sind, jedoch pflegen in einem solchen Falle ihre Eltern die Bedenken
des Schwiegersohnes durch eine entsprechende Vermehrung der Aussteuer zu be-
schwichtigen.
Schon die Juden der Bibel hielten nach Moses' Qebot (5, 22) gar streng
auf die Jungfernschaft. Wenn ein Mann ein Weib genommen und wenn er sie
dann unter dem Vorgeben, sie sei nicht mehr Jungfrau, deren Eltern zurückgiebt,
so soll ihr Vater die Aeltesten der Stadt als Richter anrufen, vor diesen aber
sollen die Kleider ausgebreitet werden. Der Mann soll dann für die ungerechte
Bezichtigung einer Jungfrau Strafe zahlen und das Weib zur Gattin nehmen.
Wird jedoch die Dirne nicht als Jungfrau befunden, so soll sie öffentlich zu Tode
gesteinigt werden.
112. Die kfinstliche Jnngfranschaft
Bei derartig strengen Maassregeln, welche das gesammte Lebensglück des
Mädchens, oder selbst sein Leben bedrohen, wenn dasselbe seine Keuschheit nicht
zu wahren vermocht hatte, muss es wohl begreiflich sein, wie sie selbst oder die
Ihrigen auf Mittel sannen, die verlorene Jungfernschaft zu entschuldigen, zu be-
mänteln oder ttlr die Zeit der Prüfung scheinbar wiederherzustellen.
Nach des getreuen Eckarth's unvorsichtiger Heb-Amme ist die
Sache nicht gerade schwierig; sie sagt:
,Wann die guten Bräutigam in diesem Stücke die Gewissheit suchen, kan ihnen hier-
innen gar wohl ge willfahret werden, indem, wann sie nicht sonsten von denen AoBgefochtenen
oder Grillenfängern seyn, durch ein beygebracht kleines Riluschgen, und beygelegten Betrags,
so wol der Engigkeit als Rosen-Saffts, die Einbildung erlangter grosser Beute der gefaaste
Argwohn benommen wird.* Es wird ihr dann entgegnet: ,Frau Carilla, ich will wohl nicht
vor gewiss euch dessen beschuldigen, sondern nur wehnen, ihr werdet mancher ausgeblatterter
Rose EU einer scheinbaren völligen Knospe geboltfen, und das untergelegte Leylach mit einem
rothen Mohn-Satft bestrichen und also manchen Actaeon vor der Zeit gemacht haben.* Sie
entschuldigt sich: «Es sind doch nicht alles Huren, die nicht eben Jungfern sind, es geschieht
ja zuweilen, dasH eine oder die andere durch Gewalt> Krankheit und andern Zuf&llen, in ein
weit Loch oder Grube fallen kan, oder auch die armen Mägdgen. wenn sie so verklaiutert
und alleine gelassen werden, ihnen manchmal ein Extra-Lust zu machen, das Kleine in ein
Grosses verftndem. (Aus ein Omicron ein Omega bereiten, warf einer der Begleiter ein.)
Solte man denenselben nicht mit guten Zusammonzieh- und Anhaltungs-Mitteln, nebenst
andern untergelegten Kunst-Stücken, entgegen gehen, und ihnen einer bOoe Ehe wa entgehen,
beynithig seyn?'
Die Begleiter lassen ihr dieees aber nicht durchgehen,
es ihr mit folgenden Worten:
112. Die kOnstliche Jungfrauschaft. 429
.Es ist nicht genug, dass eine Abele Ehe zu verhüten, man einen ehrlichen Biedermann
berücken und ihme eine Ganalie, die in allen Sträuchem herum gekrochen ist, und jedermann
feil getragen hat, wai sie vor denjenigen, der sie Lebens lang behalten sollen, vor eine ehr-
liche Jungfrau verkauffen. Frau Carilla, ihr könnet der Sachen, wie euers gleichen Leute
gemeiniglich zu thun gewohnet sind, ein besonderes Färblein, von Gewalt, Krankheit und
andern Zufällen anstreichen, allein ihr werdet unter denen Redlichen damit nicht fortkommen.
Gewall und Krankheit können noch passiren* was aber unter denen andern Zufällen verstanden
wird, wird keine Entschuldigung der betrügerischen Jungfemschafft gefunden werden. Man
muss keinem ehrlichen Mann an den Narren-Seile herum führen, und ist unverantwortlich es
geschehe vor einem Medice, Empjrico oder Kinder-Mutter, dass man eine geile Bräckin so-
phisticire, es wäre denn Sach, dass mit jener Sünderin eine Summa contritio vitae anteactae
sich rechtschaffen finden thäte, sonsten soll es nicht seyn.''
Nach einefr Krankengeschichte, welche Hechstetter berichtet, waren solche
künstlichen Hülfsmittel in dem ersten Viertel des 17. Jahrhunderts auch in der
Gegend von Augsburg bekannt. Man benutzte hierzu das Sjmphytum majus:
„Noverat serva illa sponsa hoc secretum, quae ante nuptias usa est solio aquae, in
qua haec radix decocta fuit, ut antrum virginale amico olim Pölyphemo pervium angustius
arctaret."
In Sibirien geniesst das junge Mädchen, das nicht mehr Jungfrau ist, vor
der Brautnacht die gekochten Früchte der Iris sibirica. (Krebd,)
Wir sahen schon, dass die Matronen bei den Arabern die Digitalentjnng-
ferung vorsichtiger Weise am Ende der Menstruation vornehmen.
Auch soll in Persien öfter ein mit Blut getränktes Schwämmchen mit
Vortheil in der Brautnacht in die Vagina gesteckt worden sein.
Hat bei den Persern ein Mädchen das Unglück gehabt, ihre Jungfemschaft
einzubüssen, so wird sie, um die Schande abzuwenden, entweder an einen armen
Teufel oder an einen jungen Knaben verheirathet, und die EUem sorgen daftir,
dass die Tochter dann schnell wieder geschieden wird. Dann kann sie hinterher
ohne Mühe einem angesehenen Manne zur Frau gegeben werden. Aber es giebt
auch noch ein anderes Mittel, um an dem Tage der Entscheidung die verlorene
Jungfernschaft scheinbar wieder zurückzuerhalten. Die persischen Chirurgen
pflegen dann dem Mädchen einige Stunden vor der Verheirathung die Scham-
lippen durch ein paar eingelegte Nähte zu vereinigen, die dann durch die Coha-
bitationsversuche des Mannes unfehlbar ausgerissen werden müssen. Natürlicher
Weise fliesst hierbei Blut, das dann der Mann ftir das Zeichen ansieht, dass die
Braut eine Virgo intacta war.
Das gleiche Verfahren war auch Cervantes bekannt, und vielleicht ist es
also in Spanien noch von den Zeiten der Mauren her haften geblieben. Cer-
vantes erzählt in seiner NoveUe „die vorgebliche Tante' das Zwiegespräch zweier
Damen, der Nichte und der Tante, welche nach Salamanca zugereist sind. Die
Nichte sagt:
«Aber eines will ich euch noch sagen und versichern, damit ihr euch darüber keine
Täuschungen und Vorspiegelungen macht, nämlich dass ich mich nicht mehr von eurer Hand
martern lasse, so grossen Gewinn ihr mir auch dafQr anbieten mügt. Drei Blumen habe ich
schon hingegeben und ebenso viele hat Euer Gnaden verkauft, und dreimal habe ich die unaus-
stehliche Pein durchgemacht. Bin ich denn etwa von Elrz? Hat mein Fleisch kein Gefühl?
Wisst ihr denn nichts besseres zu thun, als es mit der Nadel zu flicken, wie einen aufge-
trennten Rock? Bei der Seligkeit meiner Mutter, die ich nicht gekannt habe, ich werde es
nicht mehr zugeben. Lasst mich, Frau Tante, in meinem Weinberge jetzt Nachlese halten,
denn in vielen Fällen ist die Nachlese schmackhafter, als die erste Ernte! Wenn ihr aber
durchaus entschlossen seid, meinen Garten für rein und unberührt zu verkaufen, so sucht eine
andere, mildere Weise der Verschliessung für sein Pförtchen, denn ein Verschluss mit gezwirnter
Seide und Nadel müsst ihr euch nicht einbilden, dass wieder meinem Fleische nahe kommen
soll." Die Alte erwidert dann aber:
«£• giebt nichts auf dieser Welt, was sich mit Nadel und fleischrother, gezwirnter
Seide vergleichen liesse; alles andere sind Lumpereien. Der Sumacb und geriebenes Glas
4;3i~) XT- I>ü JuigfrumeitaifL
iixifb ▼'Oii^r. aock ?ieL waii^vr haiibn Bln&igel. d» Xjnte- nfc «an ga
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•i«r likiJMmm X.laaa ipiirc E* leb* moa. Fin^vriiufi oiui aunu 3UbI; «i laiica
■ r^üiiiiii iiLii dtfiiie Aaadaoar o. i. w.*
In dem aüiJHt'faen Bn^ilaad mogoL wt^fal derartig KozxsiikSEfeDL
'zäih^TL zia«:h ^^<:i(A der: den Gebranelu da« die Bmzc suk miror. c&e
Eifäari^äzn 5b«rIa^e«XL wird. Tor Zeug*iXL ToIIacicdop eafekLeöioL
sr4>ä)tellT: w>»rdi». ob ik nLekt ecwa TSaaelniTiCTnhteL bei äeiL bafae. Döe .
dtiä B*»iä«:blafä in d^r Braatnaehc hilc man dort ab^ äo dnnryfcaiw fir mackwoiii^.
iaüB, w.»iin di»r BriizcigauzL etwa tmlSkig iesR soOte. den Coänu MfiKlr m tqB-
zieceii, •»in Ar-derer an «eine SceDe b^nifen wird, am der Irmz^ennSUbm ^
Diener m leistec-
XVI. Das Weib im Geschlechtsverkehr.
118. Der Beischlaf.
Die Stellung des Weibes in der Familie und in dem Volke, die gegenseitigen
Beziehungen zwischen Mann und Frau sind für die Stufe der Sittlichkeit, auf der
ein jedes Volk sich befindet, von höchster Bedeutung. Eine wahre Stufenleiter
zeigt sich da, von der tiefsten Missachtung an bis zur grössten Hochschätzung,
von der schändlichsten Behandlung bis zu den zartesten Rücksichten. Das rein
geschlechtliche Verhaltniss tritt eben nur bei den rohesten Völkern in den Vorder-
grund, spielt aber auch noch bei den halbcivilisirten Nationen eine ganz wesent-
liche Rolle, während bei entwickelten Culturzuständen das geistige und sittliche
Wesen dem weiblichen Geschlechte seinen Werth verleiht, die sexuellen Be-
ziehungen aber unter der Herrschaft geläuterter ästhetischer Anschauung in die
engsten moralischen Grenzen eingeschränkt werden. Wo das Weib nichts ist,
als der Gegenstand, durch welchen einestheils die viehischen Gelüste befriedigt,
anderentheils die anstrengende Arbeit des Mannes verringert werden kann, da
wird der Frau auch das Aergste in Bezug auf den sexuellen Verkehr zugemuthet.
Die Ethnologie kann nicht umhin, sich auch mit diesen Dingen zu be-
schäftigen, welche gemeinhin „unter dem Ausschluss der OefiTentlichkeit* ver-
handelt werden, und auch wir können solche Erörterungen nicht entbehren,
wenn wir das Weib in der Natur- und Völkerkunde in Wahrheit kennen
lernen wollen.
Dass bei südlichen Völkern nicht überall die Sinnlichkeit des Weibes bei
der Ausübung des Coitus zu besonderer Erregung gelangt, ist eine nicht zu be-
streitende Thatsache, wenn man den Berichterstattern Glauben schenken darf.
Von den Mädchen und Frauen auf Ponape (Carolinen), welche unendlich kalt
und eisig zu sein scheinen, erfahren wir von einem derselben durch Finsch:
«Drei Mädchen, die ich behafs Constatining der Beweglichkeit vorzanehmen Gelegenheit
fand, blieben bei den einleitenden Manipulationen total indifferent, verhielten sich während
der Operation völlig passiv und reagirten selbst im Culminationspunkte kaum wahrnehmbar;
dagegen zeigten sich alle drei Wiederholungen nicht abgeneigt und namentlich ftlr den Nervus
rerum sehr empfänglich. Ein unter dem Arme getragener angefeuchteter Schwamm wurde
jedesmal nach vollbrachtem Actus mit grosser Behendigkeit zur Aufsaugung der überflOsaigen
Materie introducirt, wodurch allzu grosser SchlOpfrigkeit bei nachfolgenden Einführungen
kunstvoll vorgebeugt wird."
Allerdings hatte es der berichterstattende Experimentator wohl lediglich
mit Sabjekten sa thun, die gewerbsmässig zum Orden der Venus vulgivaga gehörten.
Aber w«iiii dieees auch nicht der Fall gewesen sein sollte, so ist doch noch
Dieht ohn* ^ ^ ansonehmen, dass so, wie sich diese Weiber dem Fremdlinge
mmfih haben, sie sich nun auch im Verkehr mit ihren Stammes-
4:32 ^^t- ^^ ^e^^ ün Geschlechtaverkehr.
genossen verhalten wQrden. Sehr lehrreich ist in dieser Beziehung eine Bemerining.
welche Rifthi^ über die Einwohnerinnen der Insel Barn machte:
,L>ie Fnuien haben ötter intimen Umgang mit fremden Münnem, jedoch Teriialten li«
^ich wiihrend der geschlechtlichen Vereinigung sehr pamir and indifferent, ans Furcht, be-
fruchtet zu werden.*
Daj^regen bezeugt Appun, der lange anter ganz unciTÜisirten Indianern
von Gnyaua gelebt hat and selbst nach der Sitte des Landes zeitweilig mit
einer Eingeborenen verheirathet war, ^dass alle Indianerinnen geringere Neigong
zu physischer Liebe haben." Aach anter civilüirten Nationen scheint die Frau
beim ^exaell*^n Acte nicht überall sinnlich aufgeregt zu sein. Temperament and
Reizbarkeit sind jedenfalls in differenter Weise auftretende EigenthumliclLkeiten.
<)b dieselben nur individaeller Art sind, oder ob es hier wirklich Rasseniinter-
schiede giebt, das werden fernere Angaben entscheiden müssen.
Man darf nun aber nicht vergessen, dass gar nicht selten die scheinbare
F*aäsivitüt des Weibes, oder gar ihre rnempfindlichkeit ihren Grand in sexueUer
Schwäche des Mannes bar. welche der Frau nicht die vollständige Vollendung des
Actes gestattet nnd die hinreichende Betriedigung gewährt.
Bei oulturell tiet'stehenilen V"ilfcem sind es wesentlich zwei Erscheinangen.
welche wir als allgemeinen Volksb rauch auftreten sehen, während sie unserem
Frihien und Emprin-len auf das Entschiedenste widerstreben. Die eine ist der
ceschlrchtliche Verkehr «ier Männer mit Mädchen, welche dem Kindesalter noch
lüch: »»nt wachsen sind, un.i liie zweite ist die Ausübung des C«?itas vor den Augen
einer z. -.schauenden t'^r-^na.
Bei nicht wenigen Völkern kommt es v-i-r, dass. wie ich im Artikel ttber
dds Heirathsalter zeigen werde, geschlechtlicher l'mgang schon mit )l2dchen
v..'r der Geschiech tsreile getrieben wird: so z.B. bei den Australiern. Hier ist
nach der Angabe von ••. 3IiJiI*t*'h':'3L.idau nichc selten ein zehn- bis elf-
jähriiT^ Kind liie Frau eines ->'j jährigen Mannes, oder die Maitresse eines Bnggi-
Marrosen.
Aach r-*: den Woloff-Neg-rrn a!n Senegal wird der •Virus gar nicht
-r-ten nii: iinjrii Mäd-ihen v.>r dem ersten Eintritt der Mensimarlon vollzogen,
wie wir au«:h r^ei n:an:hen Indianerstiimmen die glriche l'nsirre antreten.
Nimenrli h a-er ist iie Ehe mi: unreifrn Mäijhen in In iien eine weil
T-=-rrrei:'=-tr Gew.-'nnh-.:. Ion k-:n:n:e dArin: a!is:~;nriich zurl.k.
Man:"r.e V /isstlr-ime rn:"' 1' irr. *i:"n nicht, irz Beischli: "^enilich vorzu-
:>^r.r..er. Tih-^- < r-'s.,^.: .Die «>e5-^r.tli.*nkeit irr BegittjLug ist ein Merkmal der
:.-2.-.>tIr.i.i"hr" Kr.ev^rLlltn:s>e Wir r-nien -.1 hr r^i irn Massigeren. Mosst-
niiken. Ai^rrn Vei einigen in::^:"r.er. Stln-nien. ien Etriskern. Ich deute
". .;:i Äi:' i.r re: = -:hr-Nr*:rr. ".'r-r wrl.he ier ari:is:hT Oer-graph ^1^4i-
/••." sihrri'rt : .?i-=- rsser. n:ir Hirse .^i wl--^- irr. W-:*:^.-n iut* cfenem
7^. i';;- >. rer: htet nich J : ■' im Uhre v-ül u:^r iie WirÄger-R -ssen:
Vi..: ■-. --. i .* : - - '•'*:£.! i: ;*»:.- r ; -iz: i A :■: : t iz-^ : -m r -r .li : : - : i - '; .: k=. . :•: Ai*T :ci«nte
f-' .nvr:;- : zir.-r« ; ...n.srr- : -r i ; - •: il.: .- ::::?:■=•::- i . .-_- tT ir:^r£-= ^-ereator
r»ie ;.:nc-^r: Le-tr ä.:: der Ir.s«-! ri:v..i i:v. nii'.üv :s: : t :. Arci.ir«rl haben
-.-r-7 ?er-r ?-:n:rr".. hen »lerrav-cr. ::r/. ^5r:':".:/n :- .•..■::mrr.:.r*r. .iass sie eine
hrr c*s:^::.>s-n r.iV-rn W.r.-. tcc einen: :nrgrr M^i.:r: ri..i einigen Besuches:
ir.r-f^ r-^«rr"rirr4 ein t- dit^-n: geS.i^nes Ge^htni. Vift-ithtii in eii^esn Svc«^
v.r.d -migen Kcril-en. Är-genonimen. so is: die Veri.'Mir^: gwiciiloäcen. Der jusge
Mann VifiM in: Hi-is* der Brkni, .coimin cr.n: ilia exereel; «^' ^md
THlTiL erhrbrn d:e Anverw*nd;eii der Braut ein ctoäms fici |
113. Der Beischlaf
438
imd verfolgen ibn scheinbar wüthend und bewaffnet bis zu seinem Hause, indem
sie den Brautscliatai fordern. Die Anverwandten des jungen Mannes kommen dann
ebenfaUö bewaffnet heraus. Bald aber hat man sich über deji Brautschatz geeinigt
und in Frieden und Freundschaft geht alles aus einander. Der junge Gatt© lebt
fortan im Hause der Frau, {liiedeV,)
Bei den Malayen der Philippinen wird der Coitua nach Canamaque an-
geblich ganz ungenirt auf ofteuer Strasse vollzogen; derselbe Autor beschuldigt
elbst Kinder dieser Unzucht. [Blmncntritt.) Auch in Tahiti wurde die Begattung,
ie Coök's Reisebegleiter sahen, öffentlich vor aller Augen ausgeführt, tmter gutem
der Umstehenden, namentlich der Weiber, worunter die Vornehmsten sich
befanden ; doch wusste das betheiligte Mädchen (von 1 1 Jahren) schon allein guten
Bescheid, Aehnliches erlebte La Ferome auf Samoa.
licider lässt es sich nicht verhehlen, dasa es wenigstens auf den Inseln der
Judsee wesentlich europäische Einflüsse waren, welche solche Schamlosigkeiten
Bingeftihrt haben; denn auf Tahiti und anderen Inseln waren früher die Weiber,
isbesondere diejenigen der besseren Klassen, wie EUis, Forster u. A, bezeugen,
nel sittenstrengen Die öffentliche Begattung, die Inderlichste Unzucht haben
^ioui/aifiviUe's, Marchand' s, Dumoni d' VrrHhfs^ Laplaccs Schifföleute in den
Häfen eingeführt. (WaitZ' Gerland J
Dagegen durften auf Neu- Seeland, wie Duffmhach^ PoiaÄ; u. A. berichten,
lie Madchen allerdings ihre Gunst schenken wem sie wollten^ allein sie entzogen
pich doch dabei aus Schamhaftigkeit den Blicken der Fremden, wenigstens dort,
vo Europäer noch nicht hingekommen waren.
Die Friitien der Gebvuka auf der Insel Buru sind in Folge der ihnen auf-
_ bürdeten Arbeiten des Nacht« gewöhnlich zu müde, um den Coitus »sicut oportet
et commode* zu vollziehen* Derselbe wird daher bei Tage unter Büumen aus-
jeführt. Bei den Bewohnern der Insel Arabon und der Uliase-Inseln ist das
»commercium inter sexus satiä libidinoaum*. Auch die Serang- und dieEetar-
1 lauer fuhren den Coitus im Walde aus. In dem Seranglao- und Qorong-
Lrchipel bestreicht der junge Gatte vor dem ersten Coitus die Pudenda der Frau
riit einer Salbe aus Opium, Muscus u. s. w., obgleich er schon seit langer Zeit in
Bette seiner Braut geschlafen hat, (Rkdd^J
Bei den Drang Bülendas in Malncca konnte Stevens constafciren, daas
die Frauen nicht hitzig sind und dass ihr Verlangen bald wieder vorübergeht.
Auch bei den Männeni ist der Geschlechtstrieb nur in geringem Grade entwickelt
und für gewöhnlich wohnen sie ihrer Frau nicht öfter als dreimal im Monat bei.
,Die Orang Laut scheinen wollüstiger zu sein. (Bartels^.)
Eine absonderliche Bemerkung über den Beischlaf der alten Israeliten
[befindet sich in dem Midrasch Bereschid Rabba. Dort sagt der Rabbi
fMlemar: „Die Müssiggänger üben den Beischlaf täglich aus, die Arbeiter wöchent-
lich zweimal, die Schiffiüleute nur alle sechs Moüate.* (Wunsche^.)
Je niederer in der Cultur ein Volksstamm steht, um so häufiger äussert
sich die Lüsternheit und thierische Sinnlichkeit. Manches Urvolk bedient sich
Erregung weiblicher Wollust excessiver Reizmittel Auf der Insel Ponape
|(we8th Carolinen) gilt es als besondere weibliche Schönheit, dass die kleinen
Bchanilippen sehr verlängert werden: und die Verlängerung derselben^ wie die der
IJlitoris, wurde schon« wie wir sahen, bei den kleinen Mädchen künstlich erzeugt.
[Der Mann erregt die Wollust beim Weibe, indem er mit den Zähnen die ver-
längerten Schamlippen fasst, um sie länger zu zerren, und einige Männer gehen,
wie Kuhart/ versichert, so weit^ der Frau ein Stück Fisch in die Vulva zu stecken,
' nach und nach her ' ^-ken. Solche widerliche und abscheuliche
• ' werden mit der U ^ u mit welcher der 'Mann ein Kind zu er-
zeugen wünscht, so weit getrieben, bis dieselbe zu uriniren anfangt, und hierauf
wird zum Coitus geschritten, {Finsch^,)
{UifB^rttli. Du Wftik it. Aafl. t
28
434 XVI. Das Weib im GeMhlechtsverkehr.
Auf den Inseln des Aaru- Archipels findet die Beschneidung der Knaben
in der Weise statt^ dass ihnen das obere Stück der Vorhaat abgeklemmt wird.
Diese ganze Operation wird in der aasgesprochenen Absicht aoagerahrt, der Frma
das Wollustgeföhl bei der Aus&bong des B^sehlaÜBS zq erhöhen. Auch die Serang-
Insulaner lassen sich in ahnlicher Weise beschneiden, wenn die Schamhaare herror-
znsprossen beginnen« nnd zwar aaf Andrangen der von ihnen erwählten Midchen,
.ut augeant Toluptatem in coitu*. {Riedel^,)
In Abyssinien haben ebenso wie an der Zanzibar- Küste die jangm
Mädchen Unterricht in den Rompfbewegongen, welche sie zur Erhöhung wol-
lüstigen Reizes beim Coitus auszufahren haben; die Unkenntniss dieses Muskdr
spieb gilt unter den Jungfrauen als Schande; hier heisst das rotirende Hin- and
Herbewegen Duk-Duk. iStecter^^
Um dem Weibe den Genuss beim Coitus durch ein starkes Reizmittel zu
erhohen, durchbohren sich Tide Dajaks die Glans penis mit einer silbemen Nadd
Ton oben nach unten: sie lassen diese Nadel so lauge darin, bis die dnrchstodieDe
Stelle als Kanal Terheilt ist. Vor dem Beischlaf wird dann hier hinein ein fest-
sitzender Apparat gef>^ welcher eine starke Reibung der Vagina bewirkt and
hierdurch den Geschlechtsgenuss der Frau erheblich steigert.
Die in diesen Kanal eingebrachten Körper sind Terschieden: kleine Stäbeben
aus Messing, Elfenbein, Silber, ja auch aus Bambus. Auch werden eompfiaitere
Instrumente hineingesteckt, die Ton Silber und mit Oeffnungen an beiden Enden
Tersehen sind: in diese Oeäiiungen werden Tor dem Coitus kleine Bündd ron
Borsten befestigt, so dass der Apparat eine Art kleiner Bürsten darstellt, r. Jtfr-
UHcAt^Ma(kiit^ sagt:
,Es ist wahr»hein!ich. da diese Opention ichmenhaft. ja gef&hrlich ist» die Folgen
denelben aber den G«*ckleckt8geniia$, beionden der Fraaen erltöb«i. da» diese Sitte wmmt
alle» den Apparaten Ton Fimoen selbst oder nur für die Frauen erfanden ift. Jcdeafiüls
vird dieser Gebraaoli dnrch die nicht nadilaaenden Fordeningen der Frauen crhaHen. inde«
die M inner ohne diese Acc.nnzi'XUktion zum Festhalten der Reiiapc^umte von den FEanen
zarSckgeviewn verden: die Leate, die mehrere solcher Perforadc-nen lich gefaUcn InaMn
^nd sehrere der In>tra=:ente fahren kennen, verden von den Fraaen besosdetv gesocht und
sei«ch2£z:.*
Der Appar&t heissi Ampallang: die Frau aber giebt dem Manne ihren
Wunsch, dass er «ich einen solchen anschaffe, auf sjmbolische Weise zn er-
kennen: er dr.det in seiner Reissch3ssel ein zusammengerolltes Siriblatt mit einer
hineinffe^eckien Ci^ar^tte. deren Länsre das Maass? des s^wücschrec Amp^lUwg
dar^tei:-.
A-ch unter den Alfuren anf Xord-Celebes tinl BiVifoj ihnlfdie, doch
ncvh compÜc irrere Apr-^rare. die dort Kambiong o-ier Kambi heissec üxhi wie
n:an diselbst susserien: rzr Sceigenng des WoUnstg^flhls flr die Frau tim die
Corona der Gl^ns iezi Angenlidrand eines B-x'kes n::; den Wir^periaanen Ter*
sehen wie einen bcrstiairen Krwren binde:, so nmwickel: n:an an: Jara teäI b«
dec Snlanesen Tcr den: Co:::rs den Penis =:: S:r>»i:rn t;- ZievrenfetL doch so.
ias$ üe Glans fr^ bleib:. Dervrleichen 5:::en sind w^i: rertreiie:. Dnn in
Peff'i fand schon Lih^:^.^^^, iass eini« Minner am T:r£Tr»n Theäe des
Prnis Scifllen von der Gr:«?e einer welschec N,»? :mc?n : .mi in China
nniirix'kein WoH^tlinire die Corona eianiis m:: i*n aV-^risÄ-n-n F^^Jem einer
V>^j:eier. üe beim' CoitTis sich bdretenArtiir a-fsteilec .mi fi-^ K«b«is be-
wirken. flr>»k rn:de-:r:c nnter dea Baita in SumATri fir. i^:^ rTinhcr
nrhenirn Medirlnminnem cee«es orern:Te* \ erfah^fc. w.Sr: ;iz:«' die HaM
des Penisw iie einireschnin« wiri Äetschec P<r?imVr*:n cecaart» m^ «^er
Ä>fiar :■:• ScCck deneiben. btsveüec anch dr^Kkarti- SrZckchca A «dir
Silber cingeKhob« vmcc damit sie eisbeikc: &ai dec Reu ^ Sm
Fiaa erhoben.
113, Der Beischlaf.
435
v\\
Aebnlich wird, wie Meper^ mittheilt, von den Malajeu auf Borneo der
Penis perforirt und ein zusammengedrehter sehr feiner Messingdraht eingefügt,
der an den Enden bürstenartig auseinandergezogen ist. Das durch das Bohrloch zu
steckende Ende wird wahrscheinlich vor der Einführung in dasselbe zusammenge-
drückt und erst vor der Ausübung des Beischlafs wieder aus einander gebogen.
Vaughan Stevens (Bartds'^) ist es gelungen, eine sonderbare Umwandlung
eines solchen Gebrauches bei den Orang Utan in Malacca aufzufinden. Die
)rang Temiä hatten in früheren Jahren die Gewohnheit, solchen Reizapparat
verwenden. Er bestand aus einem hölzernen Stäbchen, dessen eines Ende eine
lopfartige Verdickung trug. Wenn nun dieses Stäbchen in die Durchbohrung
des F*eni8 eingeführt war, dann wurde dem freien
Ende ein ganz symmetrisch gearbeiteter zweiter Knopf
fiufgeschraubt und nun sass der kleine Apparat fest
seinem Platze. Heutiges Tages wird er nicht mehr
genutzt. Diesen Apparat lernten nun die Orang
linnoi von den Orang Temiä kennen. Sie wussten,
kss er irgend etwas mit dem Geschlechtsakt zu thun pj^ .^ ZwbereerÄth von HoU
habe, und so bildeten sie ihn nach und fanden nun der Orang SiünoidfaUocw wir
in dem Stäbchen mit dem festanhängeuden Knopf eine !*^*KT^ **? GeBeUieobutri«bes
\ennlichkeit mit männlichen üenitahen» bie durch- Baru/fK)
>hren sich den Penis nicht und so konnten sie das
)ing natürlich auch nicht, wie die Orang Tömiä anwenden. Sie waren nun
kber doch davon überzeugt, dass es von Einfluss auf die Geschlechtsthatigkeit
Bin müsse, und so legen sie es unter die Schlafmatten, um bei ihren Weibern
^während der Copulation den Geschlechtstrieb zu erhöhen*. So ist es also zu
'aem Zaubermittel geworden, von welchem Fig. 232 eine Abbildung giebi
Von den Balinesen berichtet Jacobs:
«Die 6alt€rs kennen oine Menge Mittel, die Wellavt bei dem Coitui (mSkatoekan)
|nd den Gescblechtstrieb zu steigern, und et wird ein nicht allzu geringer Gebrauch von
«en Mitteln gemacht...,, Dieee Mittel gehören meist dem PÜanzeu reiche an. Eins der
gebrftachlicbätcn ist der Padangderraan (bal.) (oder jav.t Patideruian), die Blatter von
Aitemifiia vulgaris L. Auch die Ghinasen liefern ihnen vielfach Mittel ftlr diesen Zweck.
In der Absiebt, den Gennas bei dem Coüub %u erhöhen, wird auch von den Frauen vqr
sm Coitim ein rothee, harzartige« Pulver, Gopita geuanntf das prickelnde und zusammen-
ebende Eigenschaften besitzt und eine Vertlnderung des Lumens der Vagina zu be*
Krken «cheint, in die Vulva (platt bali: tSIi, hoch bali; srira) gectreut Mit Unrecht
igt can Kckf d9*9 man dieses Mittel zu dem Zwacke anwende, die Fruchtbarkeit der Frau
EU befördern.*
lieber die Viti-Insulaner berichtet Blyth das Folgende:
,, Allgemein wird von den Fiji-Intulanern geglaubt, dass die einer Ehe entspringenden
Einder kräftig and gesund werden, wenn die Ehegatten selten cohabitiren, und wenn ein oder
^•brere Rinder schwach und krank werden, so schiebt dies die Mntter auf geschlechtliche
Kcesse das Vaters.''
,^Die Fijt-Insutuner sind der Ansicht^ daas ein Beischlaf zur Befruchtung nicht hin-
reichend sei. Sie haben einen sonderbaren Aberglauben, dass wenn ein junger unvarheiratheter
[ann einen unerlaubten Verkehr gehabt hat, und denselben nicht wiederholt, er sicher ist.
t&her oder später von einer zehrenden Krankheit befallen zu werden und schliesslich zo
titerben, üieraua folgt, dass er ge^w^ungen ist, den Beischlaf su wiederholen, um nicht der
Bvermetdlichen Krankheit Kum Opfer zu fallen/^
Auf sümmtlichen Inseln der Südsee, welche Kubanf^ besucht hat, fand er
Sie Gonorrhoe stark verbreitet Als die Ursache dieser Erkrankung betrachteten
Üe Eingeborenen die geschlechtliche Ueberanstrengung, oder, wie sie sich aus*
Icken« ,das Brechen der Frau*. Nur auf der Insel Sonol in den CarolinoD
irde die Besatzung eines Schifles als Infectionsquelle erklärt.
Eine sonderbare Vorstellung von der sympathischen Vt^irkung des Zeu-
mgsgescbäftes auf den Pflanzenwnchs findet sich bei manchen Naturvölkeni :
2S*
- T... *i ;.: -::: .•»:»> ii ifftt if-'^.iiunim*-: -^inar-. it-.a -r^r* n uafe- tteoiS'
• r. . -iLi^wr i: f Vu-K " '.irun luxDiTZinvr. u::i v-rnjriirr rrf^ üiip^ n liHsftsr
uiv;ii:. ::i!T.itt; ). ?■-:«♦. unii-3in. ui>u- iun y^^f-rrc, iL* Tumr. ir iiirnnr «uim.
• . , .-r-.i. •. r:»-?- ii-«tii:fr: Äimnif -rftir-iun.- Ifeas-" I»Hi=r uirr "nn iw Jtui
: 1 *w L.wr^nMissr''^ tr^^mrSwL
' -«i u*r. r.i^.-r:. v .:i- in-- it-:!'*; Xür. mr ^s-iurei i»=s«-ni4**nTiii-ai«i -iarimt-
-.:.i.T. ^-.-rW.fl it*.^' ■.:::l 11 l»*r Tu** äT Uiie iilv:! Ilrli?TFSls tl^ J uL ÜlXlL
•. .- . ■/•: ■>*;.••: * "i\*. — :. Tf VI- x«r>^»-" iiii-»*n. n liii^^r I.-ir dt* "^fiii»«" lji»ar-
::*i ;/ -iijnii. 1 :i\i\ 1 -r-?-:L- v.ii.'.riif:!. " •: ii*.Ti iiiIii::Jt iusi rf*=. uii— ar ^rilüfumaic
» H- -.liTiT :! «4l»f: .• iV.tri V :"-i liir*- -'-ij*!!! IUI' ^1 null* :iir«!itiif T.iTrtiuh.
.--HU. •••••: -.Mr «liti'-iir»' *r:ir.j: Uk»' iii -h;."?'J1i- ti^^-'u i;irri* tr ;& T^^s^inTTTTfmuiMnn'T'
*\\' ii '.ir*nii;ii j:*'i:i4:*-n, i:»*r":;;' i»r?" »iitt*-- ri*^!» n- r.i -rjus^SL \na «iniMuL 2«.
«.»n ./'ic» ■• : *■:! 'uu' üirsi««" i»-^'.:!;''::?' r.rviüe" iiuiiü*ipf. ^: iucn*n itniö*
•>-• • t;iw I.-'-. :.•". V :- i.w t.*i .'"-Vur"-*!: ii*ft 2'- ''»*'*[ ' n J./»'i. -•'»!/ -r «rv«*iijÄ.
,f>i t*»-.<s' ♦;i;':i
• . r — . -%,u y ' i**^ IT»." T r"' -'.'•'■»' ^ iii-: -* *i!* i:.»^'- 1:.* "liimn ix-ir
. .» r i*»-»' .t. V •■ ./ • >: :i u— i-n i'^'v — — u. -" - .n.**" «s ▼" i. i*iiiiiftn.Hx.
• .. ■ ■ ■ 1. '.■■■ ..■-.»■ ; »'.ii-'i :: ".i •" "■•T'i.Liii-r. '
}y-'- f.j. .■^- '.i.V. '. * • *- u' : ""»^-'i .' : 1 * 1 l^ !»-.-■<: f.. i lt. v: i.»* Trki
• '.-«:. V '. •• -. »■•»»-. «, ■.—>•■. i.'.! i>'*"._Ll'*ri Li.- -ni«::i«*;i ^f**- Ütä^ *r '"»*
'.»■•' /' ', '. .»■ ■.•»•■ *.:i.'»»
- • .- ■ ^- i.--»".i ■. * ■..!.•. •■■■■*•* . :'-» ui-'j» -*•:■ V . _u: ---x -C-Xi «Xibnc jüa*.
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,1- ^ , .1 •. .1 r .» •.-..'..» •..::•» u> :*r -^^^ '-«^ i-- : '-* ^— ' :.i^j--:. t.- ch »1^ «i!-
i ..1- ^ ,.» .*. ^»r. -k i. • : i-i '.:"-. ~ !■:- -^ " i - :- ' :r-'?-.:.*-i 1 . - r«»" -v «. «sblma
-. I • .!• .»•• .•."''*- ?■■:»'
>/»- ^ ■. •. r-, •-'".".•*'•. i-*--^r:r: l^.fs^ V^-:.. : "»Line sös
;->/* '.^r. • 0 V j^fc- -r.i.*c. .rlr::: rirr. t.: £-?«•- Fr
114. Abttinens-VorBcbriften.
487
Auch die übrigen ^funktionellen* Zeiten der Frau, d. h, die Zeit der Gra-
tidität, da.>i Wochenbett und die Säugungsperiode halten bei halb civilisirten, aber
knch bei manchen ganzlich rohen Völkern den Gatten von der ehelichen Um-
armung fem. Da die Saugungszeit sich gar nicht selten Über mehrere Jahre hin
rstreckt, so ist die geschlechtliche Trennung der Gatten dann eine ausserordent-
Sch lauge dauernde. Es ist das sicherlich ein sehr bemerkenswerther Zug im
Tölkerleben, der wohl verdient, als eine halb unbewusste Maassregel primitiver
lygiene aofgetasst zu werden.
Bei den Baktrern, den Medern und den Persern war auch für eisen
Beischlaf in den soeben genannten Zuständen des Weibes die gleiche Strafe fest-
gesetzt» wie för einen Coitus in der Menstruation: 200 Ruthenstreiche oder die
&hlung von 200 Decems waren die Strafe fiir denjenigen, welcher gegen daa
Terbofc sündigte.
Bei den Drusen ist es dem Ehemanne nicht gestattet>, mehr als einmal
in jedem Monat seiner Frau nach ihrer Reinigung beizuwohnen; und wenn der
Monat vorüber gegangen ist, ohne dass sie die Menstruation gehabt hat, so nähert
sich ihr nicht ; denn er darf den Beischlaf während der Schwangerschaft nicht
irollziehen; t'benso wenig darf er sie während der zwei Jahre berühren, wo sie
stillt. (Pderniann,)
Aber auch abgesehen von der Menstruation, giebt es Zeiten, in welchen der
Jeischlaf unterbleiben solL Im christlichen Mittelalter waren es namentlich be-
kimmte Feiertage. Hier predigt Berihold von Reßen$hurg:
«[f m\\i da^ wol, da^ keiner kr^atüre got ^t viJ xlt gellUen ha %e 86 ^etäaen dingen»
iiit halt vil krt'ati^re. diu niwan (nur) ein fAl in dem j^e bütl tö hat iu gar vil zSt gctlän
ela«»)en) in dem langen j&re, amle da, von ist daz gar mflgelicH, daz ir die fünf £lt mäze
ultet unde maexicücheti dt mit einander an dem bette/
Nun werden die heiligen Zeiten genatmt und den Frauen gesagt^ dass die
Männer sich diesem Verbote vielleicht nicht gutwillig fügen wollen:
, Wirt aber er s^6 gar tiuvelheftic, da» er »prichet übel unde von dir wil hin zur einer
ttndern unde im daz gar ern«t werde ande du e% itn niht erwern (erwehren) mflgest; ^> lehe)
ünne daz dil in zur einer andern l&sest, aioh, frouwe, aI oz danne au der heiligen kristnaht
bder an der heiligen karfritagesnabtf aO too ez mit trtirigem herzen; waa «ö bist du an«
Dhuldie» ist eht (nur) dln wille da bt niht/ C^^otrlmann.j
StM erzählt: »War bei den Stämmen der Verapaz in Guatemala die Zeit
les Festes bestimmt, so begannen die Vorbereitungen dazu mit allerlei Kaateiungen.
ßblecbtlicher Umgang war selbst für Verheirathete verboten/
In Abysi^inien darf Sonnabends kein ehelicher Coitus stattfinden.
Das Enthalten des geschlechtlichen Umganges ist bei den Wakamba und
Wakikuyu in Ost-Afrika geboten: so lange das Vieh sich auf der Weide be-
tindet, also tagsüber vom Austreiben vom Morgen bis zum Eintreiben am Abend.
Ferner gehen bei diesen Völkern die Männer nicht zum Weibe, so lange sie sich
auf einer Reise befinden, selbst nicht zu ihrem eigenen, wenn es sich in der Kara-
rane befinden sollte. Als Trauer beim Tode eines Verwandten oder Häuptlings
£nd die Wanika gehalten, drei Tage lang nicht zum Weibe zu gehen.
Von den Aschanti berichtet Bowditch folgende Geschichte: Der Königssohn
litte sich von dem Fetischmann einen Fetisch liefern lassen, welcher ihn schuasfest
chen sollte« £r versucht es und zerschiesMt sich den Arm. Da erklart der
i anUf dass ihm der Fetisch offenbart habe, warum der erhoffte Schutz
ben sei; der Königssohn habe zu einer ungehörigen Zeit einen ver-
t^Ueneo Umgang mit seiner Frau gehabt.
Bei einzelnen Völkern, z B. bei den Kaffera, ist der Brauch des Probe-
|oitu» vor der Verheirathung eingeführt, doch muss der junge Mann sich dabei
-;t-,. *^rV:v iTirj^rung herbeizut^hren, da ihn dieselbe veri>flichten würde,
■ib zu behsUten- Dei^halb befriedigt er seine Ge&chlechtslust
Ödiüükehi
438 ^^I- ^CM Weib im GeschlechUTerkehr.
Bei anderen Völkern ist die eheliche Beiwohnung in der Brautnacht durch
die Sitte verpönt. Bei den Ehsten darf in der Hochzeitsnacht weder die fleisch-
liche Vermischung noch auch sonst etwas darauf Hinzielendes stattfinden. In
einigen Gegenden Ehstlands hütet man sich sogar, dass der Mann selbst nur
den Busen seiner Frau berfihre, weil sonst beim späteren Stillen Milchknoten,
Entzündung und Abscesse der Brustdrüse folgen würiden. (Kr^}d.)
Auf den Keei- Inseln in dem B an da- Archipel dürfen die Jungvermihlten
erst nach dem Verlaufe dreier Nächte den Beischlaf ausüben, und um sie mit
Sicherheit vor einer Uebertretung dieses Gebotes zu schützen, muss in den ersten
drei Nächten ihrer Ehe eine alte Frau oder ein junges Kind zwischen ihnen
schlafen. Was ist der Grund für eine so merkwürdige Sitte, die wir bei xwei
weit von einander wohnenden und nach Rasse und Lebensrerhaltnissen g&nxlich
verschiedenen Volksstämmen antreffen? Sollte es nicht ein unbewusster Nach-
klang jener Gebräuche sein, welche wir oben kennen lernten, dass nfimlioh
die erste Nacht nicht dem Gatten gehört, sondern der Gbttheit dargebradit
werden muss?
Man wird hier auch an die mittelalterliche Gewohnheit erinnert, dass der
Ritter, welcher mit einer Dame das Lager theilte, aber ihre Keuschheit zu schonen
versprochen hatte, zwischen sich und seine Bettgenossin ein entblösstes Schwert
als Tugendhüter legte.
Blyth erzählt von den Fiji -Inseln:
,Wenn ein Fiji-Insalaner und eine Frau sich geheirathet haben, verbleiben aie drei
Tage in strenger Absonderung (strict seclusion). Am vierten Tage versammeln sich die Weiber
desselben Ortes und führen die Neuverm&blte zu einem Flusse zum Baden, und der Gatte ist
nun verpflichtet, sich l&ngere Zeit des Geschlechtsgenusses zu enthalten. Diese aus der Zeit
der Polvgamie stammende Crewohnheit wurde früher so streng eingehalten, dass Zuwider-
handelnde unfehlbar der Tod erwartete. Jetzt, wo durch den Einfluss der Missionare die
Monogamie herrscht, ist der Brauch vergessen.*
Nach Graaflatid ziehen sich auf der Insel Rote die Neuvemwhlten, von
zwei alten Weibern begleitet, zurück. Der Gatte muss der Braut einen Gürtel,
dessen neun Knopfe mit Wachs überzogen sind, abknöpfen und zwar nur mit dem
Daumen und dem Zeigefinger der linken Hand. Hierüber wachen die alten Frauen.
Bevor der Gürtel nicht völlig gelöst ist, darf der Bräutigam nicht in eheliche
Gemeinschaft mit seiner Braut treten: wie man ihm erzahlte, verginge maochmal
ein Monat, ja ein Jahr darüber.
Auch in Deutschland begegnen wir an einer Stelle einer besonderen Ent-
haltsamkeit. Lamtntrt sagt:
,Am ersten Samstage nach der Hochieit verlaust in manchen Gegenden Oberbayerns
die junge Frau ihr Hans und eheliches Bett und macht eine einsame Wanderung m einem
nahen Wallfahrtsorte (so im Traungau nach Mariaegg im Bergenerthal oder int
Kirchenthal bei Lofer), indem sie im Hause ihn^r Eltern oder Verwandteil diese Nadit
im Kirchtagbett lubringt. Denn die Samstagnacht ist der Jungfrau Maria geweiht, vmd
solch ein Opfer der Enthaltsamkeit sichert der Ehe den be^ondersn Schutt der Himmeb-
kSnigin.^
Bei allen Zigeuner-Stammen gilt nach r. ir^.c/i'rK das Wieed als daa
Lieblingsthier der Krankheits-Dimonen. und eine zufällige I^egegnung ^t ihm
ist daher von schlimmer Vorbedeutung. , Sehen Eheleute, auf dem
Hegend, ein Wiesel vorbeilaufen, so müasmi sie sich jeder Vermischimg
Tage lang enthalten.*
115. Die StHlufT bei dem loili».
Es mag wohl sonderbar erecheineiu wenn ich der La
in welcher der Brischlaf aui^t^bt wird, eine l^esondere
Keineswegs ist es die Abeichl, nach ' des ISHro JL
116. Dm SteUtwg bei dem Coitai.
439
1^
Stellungen zu durch mustern, welche mffinirte Sinnlichkeit und Wollust auszu-
denken vermochte, sondern nur diejenigen Positionen verdienen unser Interesse,
welche von bestimmten Völkern gewohnheitsgemäss und der Regel nach ausgeführt
werden, welche aber von der uns als gewöhnlich geltenden Art abweichen. Nicht
das erotische, sondern das ethnographisch-anthropologische Interesse ist es also,
welches mich diese Angelegenheit hier zu erörtern veranlasst Denn wir müssen
Eier Sache schon deshalb unsere Aufmerksamkeit zuwenden, weil in Folge der
Irahrgenoramenen Differenzen die Frage aufgeworfen werden muss^ wenn sie auch
heute noch nicht definitiv beantwortet werden kann, welche Ursachen und Be-
engungen denn hier eigentlich im Spiele sind^ ob etwa nur die Nachahmung des
Bebahrens gewisser Thiere, oder ob besondere
Abweichungen von der Korperbildung der
übrigen Menschenrassen als die eigentliche Ur-
sache hierfür angesehen werden müssen.
Wohl ist es nun ein naheliegender Ge-
danke^ dass der Mensch zu allen physiologi-
schen Verrichtungen diejenige Stellung oder
Lage fast instlnctiv schon wählen wird, in
welcher ihm dieses Geschäft am leichtesten und
angenehmsten von Statten geht* Und so müsste
man auch erwarten, dass für die Ausübung
der sexuellen Verrichtungen auf der gesaramten
bewohnten Erde dieselbe Lage gebräuchlich
wäre, Ist denn nun aber die Prämisse richtig?
Dass sie dieses nicht ist, lehren einfache Bei*
spiele. Man denke nur an die Art des Sitzens
bei den verschiedenen Völkerstämraen, an die
Stellungen wie sie beim Essen, an die Lagen,
wie sie beim Schlafen selbst bei nahe ver-
wandten Völkern durchaus nicht immer ül)er-
nstimniende sind; und dann wird man sich
cht mehr verwundern, dass auch von einer
pischeu Lage für den Beischlaf nicht die
ede sein kann, sondern dass wir bei ver-
hiedenen Völkern mancherlei verschiedene
ormen auffinden, die durch althergebrachten
auch und Gewohnheit bei ihnen traditionell
Orden sind*
Unter den anatomiachen Handzeichnungeo
des Leonardo da Vinci hat sich ein sehr inter-
eitaiites Blatt erhalten, welches die 8r
Venus ahversa als die dem Bau der meii l-
liehen Geschlechtstheile entsprechendste dar*
stellt. (Fig. 233,) Der alte Blumetibach sagt
darüber; , Besonders lehrreich ist eine Zeichnung, wo ein männlicher und ein
weihlicher Körper zusammen in copula, den Vorderleib gegen einander gekehrt,
id beide von hinten nach vorn (in sagittaler Richtung, wie wir beute 8ageQ)|
mlich vom Rückgrat bis zum Brustbein und der Synchondrose der Schambetno
bnitten« um die Richtung der männlichen Ruthe^zu der Axe der weiblichen
ie zu zeißen, und die natürlichen Bestimmungen zur Venus obversa zu er-
/
i^
Kig, 233, Veaas obversft, (Km&h eta«r
I ir^eichnete Lajrc Leib an Leib, ist bekanntennaasaen
tigen (Jti che; aber auch bei vielen anderen
n^^^ , welche man daher wohl nicht mit
7 :r^::r ii.s ii^ N'^^rmaLärrilunif >t*zeioimen -rann. Die rrau )emdet äeh dabei
.:; '>r Ri:- ^.-r.iae^ nir ^esprwzrea ind Irichr im 5aie ind m ier Hülte :ze-
••=-;;vr*^r. 3»-!nrr.. Tihn^ad ier Wanr. nriächen irei Srhenkein iegr and sürii mit
.-::ir.'i ;:-.ä Zller. .''nireri •vüir=-nd ii^r Cmarmunc anitzr.
':: ir-n Trii'r-r: -oa 3»?n:'aaa'!:ia Ji Ae-j^^aTen. "xeicne iem liten R«9che
'.!;.i :tvi- i»-r a!'. Z'^nasn»* nurehör^a. imd Lco.^*"^ inrer irti Hieroeivphffi-
!:>i''".rr'.-': iir- lar-tr-diiiu? -^nei^ Paares, Teicäe» Aiir -»ineni Riihtrbetie t^nabiiirt.
r.'ri r.T»:: "iesr »astr^srr^kr mi iem 3:iciKi ind ier Mann hat äch ib«- ae
.::-.';j^'"-^"ür. Iv 3»-dt*ar.iiitf iiesea Znchens jsz xir iinrnr 'gekannt.
Z. Ä"ii ies a/*"/ 'f "»H#*r H»ii^'>*L .Lb»t ''tnni*(n ziebr ins lack sÄr die
.\r -:r-n:::: i-> V-r.v.s ■i'"-frsÄ lis iie yomaifTeiliing in:
> r,. '.tr-rr*. ir ••** v-::r:r= r: ^^ ■«^r.:*- .Tj. ri-iile «r -a ziesm« ie r^c-riir. atbc
.r".". .i :■. if^'.T «Tj^rtEji;! :':•*. "T":- "■ 'lä xetrrei --ir -»ile. "^a«£" .-:nc» Tiäaiz*. ""»nire amra
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-ü'- r^-vj^r- ■-- ..:: s. \-. -a,-.-. ^—^n v^in-.eiz. r-a ^Lkza-f iz:s:-r!i- ier üarer
.-- -'er.e-. : :-.: i-^-^-r riir.i^, i:: v.-- Elr-ra .**-:ai. ? e'-r~ 2:_*: ier IzaniKio
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•--i.-i .-. :.- --:'--* .-.r- r.: iv*-. ia:er*c ri^rz rz:— - i.r? F-k; iie Klckeclage
*:". '«•l •.."*::: :-." M.w^ i--:'"-*rir ;"«•:?*• ira : irra S;i.*a£-Lz. cz_-»r. .1 i-er Sfcaiai-
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7.7A^., £A::a ** »:"rl kfia-r— Zwrir^l -■r:^r-:>r^r. ii*- *;-? \>ri;AT*
t.*:.*7. rtliiÄ'iica ris. Z-ir^ii* c^ S:aafa*k::r=*> ^:^:7r:^ »w«
115. Die Stellung bei dem Ooiiue.
441
anders verhält ea sich Tielleicht mit den cliinesischen Figuren. Hier kommt
"namentlich die bereits weiter oben erwähnte Gruppe von Kunstwerken in Betracht,
reiche unter dem Namen tsch'un-tschV «Frühlingstäf eichen* oder pi-hi
Lgeheime Spiele' bekannt sind, Sie gleichen in der Form ungefähr unseren
TuBchkästchen und haben auf dem Schiebedeckel in farbigem Elfenbein eine
}ruppe von zwei oder mehreren menschlichen Figuren verschiedenen Geschlechts,
welche meist in harmloser Unterhaltung oder auf der Promenade sich befinden.
iieht man den Deckel auf, so findet man im Inneren de^ Kästchens ebenfalls eine
irbige Relief darstell ung in Elfenbein, welche ein ganzlich oder nahezu voUstän-
lig entkleidetes Paar in verschiedenen Stellungen der Begattung zeigt. Das Vor*
lierrsehen einer bestimmten Stellung lässt sich dabei nicht erkennen, nur ist es
luffallend, wie hantig die Frau die Beine ad maximum in den Knieen und in der
löfte gebeugt hJilt. Ich komme hierauf noch zurück,
Eugen Pander theilte mir mit, dass diese Frühlingstäfelchen noch in
der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts als Geschenk flir Bräute benutzt worden
wären. Prof. Dr. Grube gab mir über dieselben Folgendes an: ,Nach mündlicher,
China ziemlich allgemein verbreiteter Ueberlieferung dienten sie wahrend der
ling-IJyinastie (1368 — 1644) als Wahrzeichen gegen Feuersgefahr- Pander s
Mittbeilung, dass dergleichen Bilder früher Bräuten vor der Hochzeit geschenkt
|i¥urden, beruht, wie mir mein chinesischer Freund, Herr Knei-lin, mittheilt^
ntschieden auf einem Irrthum. Hingegen soll es vorkommen, dass sie jungen
länncm geschenkt werden, die in den Ehestand treten wollen und nicht wissen,
iWie man es macht*.*
Es ist überhaupt nicht leicht zu sagen, welchen Grad von Beweiskraft man
wichen bildlichen Darstellungen beizulegen berechtigt ist. Das Museum für
Völkerkunde in Berlin besitzt eine in Holz geschnitzt« Gruppe aus dem Benue-
^Gebiete in West-Afrika, wo das Paar in der gewöhnlichen Stellung, die Frau
in vollständiger Rücfceulage, der Mann auf ihr liegend, gebildet ist Eine in der-
selben Sammlung befindliche fignrenreiche Gruppe in Messing von der west-
^afrikanischen Sclavenküste zeigt zweimal die Frau in der Rückenlage mit
gespreizten Beinen, hochgezogenen Knieen und fast wagerecht gehaltenen Unter-
chenkeln^ während der Mann in beiden Fällen in aufrechter Stellung, aber mit
Jebeugten Knieen seinen Unterkörper der Erde nähernd, die Immissio penis voll-
debt. Auf den berühmten prähistorischen Felseuzeichuungen bei Bohuelaen in
Schweden finden sich nach den von Bntmus und Holmberg gegebenen Nach-
bildungen zwei Paare, welche die Cohabitirung im Stehen ausfiihren.
Das Museum für ViMkerkunde in Leipzig besitzt einen Löffel von den
Philippinen, dessen Stiel durch ein cohabitirendes Paar gebildet wird. Die
Vnden befinden sich Brust an Bru&t, der Mann zwischen den Beinen der Frau,
ler er die rechte Hand auf die Kreuzbeingegend gelegt hat, um sie gegen sich
zu drücken; beide halten die Beine in den Knieen leicht gekrümmt. Wenn man
len Wflel aufrecht halt, so wird dieser Beischlaf im Stehen ausgeführt; legt man
|en Löffel aber hin, so nimmt auch das Paar eine liegende Stellung an, so dass
|ie Frau unten und auf dem Rücken liegt. Diese Stellung war vermuthiich be-
ibsicfatigt.
Der Coitus wird, wie es scheint, bei der Mehrzahl der Naturvölker in der
lückenlage der Frau vollzogen; wenigstens würde wohl, wenn dies nicht der
Fall wäre, häufiger von Reisenden und Beobachtern das Vorkommen einer anderen
' erwähnt werden. Von den Fe u er l ändern, welche 1881 in Europa
t worden sind, wurde nach Angabe ihrer Führer der Coitus ,ab anteriore*
, Bisrhoff'}; Vh'xmxi ist freilich nicht ausgeschlossen, dass nicht auch
mgcn ausnahmsweise gewählt werden.
^♦^ Suaheli in Zanzibar haben ausser dieser ^natürlichen* Lage nach
heilaDi:^ ^'" fi' .--^ .. *ixi ploss auch noch die umgekehrte Position im
^42 XYL Das Weib im Geschlechtsverkehr.
Gebrauche, so dass der Mann also unten und die Frau auf ihm liegt: dabei macht
die Frau eine eigenthümlich mahlende Bewegung mit dem Leibe, Digitischa ge-
nannt, welche jedenfalls zur Erhöhung des Genusses für den Mann dienen boU.
Diese Bewegungen werden den Mädchen von alten Weibern gelehrt, bei welchen
sie vierzig Tage lang in die Schule gehen. Es ist dort beleidigend, wenn man
einer Fran sagt, dass sie nicht Digitischa machen könne. Aehnliches wird aus
Niederländisch-Indien berichtet.
In Ost-Afrika scheinen noch andere Manieren beliebt zu sein. In Abys-
sinien wird der Goitus auf zweifache Art vollzogen; zumeist in der halben
Seitenlage, dann aber auch so, dass die Frau sich in der Rückenlage befindet,
während der Mann die Beine derselben über seine Schultern nimmt. (Stecker.)
Bei den Sudanesen wird der Goitus, wie Ploss you Brehm erfuhr, in ganz
eigenthümlicher Weise vollzogen, denn er findet nicht bloss im Liegen, sondern
auch im Stehen statt; dabei beugt sich das Weib nach vom und stemmt die
Hände auf die Knie, das Hintertheil streckt sie nach hinten, während der Mann
den Goitus a posteriori ausübt.
In Italien mag früher Aehnliches vorgekommen sein. Freshun^ welcher
die Wandgemälde Pompejis genau studirte und viele derselben copiren Hess
und publicirte, hat die Beobachtung gemacht, dass auf diesen Bildern stets dort,
wo zwischen einem Paare der Goitus zur Darstellung kommt, das Paar die Stellung
wie bei solchen Thieren einnimmt, bei denen das Weibchen nach vorn vorgebeuj^
ist und das Männchen demselben von hinten beikommt. Freshun sprach gegen
Ploss die Vemmthung aus, dass diese Stellung vielleicht zu jener Zeit im süd-
lichen Italien sehr häufig war.
Wir dürfen aber nicht ausser Acht lassen, dass raffinirte Wollust im da-
maligen römischen Reiche sehr verbreitet war, und ich konnte mich an Ort und
Stelle überzeugen, dass die Wandgemälde Pompejis auch noch andere höchst
unnatürliche Positionen für die Ausübung des Goitus zur Darstellung bringen.
Doch auch hoch im Norden giebt es ein Volk, bei dem der Mann sich der
Frau gleichfalls von hinten nähert. Nach Bessels vollzieht der Inuit (Eskimo)
des Smith-Sunds mit besonderer Vorliebe den Beischlaf nach Art der Vier-
füsser; nach mündlicher Mittheilung eines Freundes erfuhr Bessels, dass dies auch
bei den Kon jagen der Fall ist.
Ein anderer Gebrauch besteht in der Seitenlage: Von den Kamtscha-
dale n sagt Steiler:
„Bei ihnen boisst es, wer den Concubitus verrichtet dergestalt, dass er oben aufliegt,
begehe eine grosse Sünde. Ein rechtgläubiger Itälmeno muss es von der Seite verrichten,
aus Ursache, weil es die Fische auch so machen, von denen sie ihre meiste Nahrung haben.*
Hier wird also doch ein Grund angeführt: es ist die Nachahmung der
Thiere, welche als Modell oder Vorbild dienen. Auch die Tschuktschen und
die Namollos haben den gleichen Gebrauch.
Bei den Bafiote-Negern an der Loango-Küste wird ebenfalls die Bei-
wohnung liegend von der Seite ausgeführt. Besondere Gründe hierfür konnte
Pechuel'Loesche nicht in Erfahrung bringen; es liesse sich vielleicht, wie er sagt,
die Grosse des Penis als Ursache hierfür anfllhren. Jedoch haben, wie wir sehen,
auch andere Völker einen ähnlichen Gebrauch, obgleich ihr Penis die gewöhn-
lichen Dimensionen nicht überschreitet.
Sehr wechselnd sind die Gewohnheiten in dieser BeMkHMr bei den Ein-
wohnern der verschiedenen Inseln des alfurischen Ardh^^^^uMB Baru-In-
sulaner föhren den Goitus unter Bäp 9, wobei die F " kenla^ ein-
nimmt. Auch die Bewohner von abitiren in li wurd die
Angelegenheit im Stehen abgem» Xeei- um der komnw
iA noch weiter unten zurück. (
Ein Paar &rbige Thonfigur in f&r VUI
115. Die SteliuBg bei dem CoitoB.
443
konde in Berlin ȟf der Insel Bali im malayischea Archipel erworben hat,
stellen die Cohabitirenden flach auf der Erde sich gegenübersitzend dar In der
einen Gruppe liegen hierbei die Schenkel der Frau auf denen des Mannes, und
mit den Bänden hält der Letztere die Genossin unter den Achseln fest. In de|^
anderen Gruppe hat die Frau die Schenkel in den Knieen und den Hüften ge-
beugt und hat dem Manne ihre Füsse auf die Scholtern gelegt, Ihren Körper
"ixat sie ein Wenig nach hintenüber gelegt und sie wird von hinten her von
ßinem zweiten Manne gestützt^ mit dessen Penis ihre linke Hand sich zu schaÖen
aacht. In dem letzten Falle ist wohl «licherlich nicht mehr an alltagliebe Ver-
hältnisse zu denken.
Hierzu stimmt es sehr gut, wa» Jacobs von den Bai lern berichtet:
.Auch in der Anwendung mecbaDischer Mittel, um den GenuBs boi dem Coitus zu er-
höhen und in dem Auffinden verschiedener tjehaglicher Stellungen wllbrend diese« Actes bleibt
ler Baliftr nicht hinter der Pariser Demi-mondo zurück. Manche tragen auch die Renn-
eichen der passiven (lijdelijk) Stellung der Frau an sich, da iie mehr die Erhöhung des
Eilichen Genusses von dem Manne berücksichtigen, ohne dem Schaden und den Schmerzen
echnung zu tragen^ welche dadurch manchmal der Frau veruraacht werden. So ist z. B. oine
Sethodß bei ihnen allgemein bekannt, ngongk^kang (wörtlich ,zur Seite stossen*» mit einem
Bpaten oder einem andnren Werkzeuge beim Umgraben) genannt, die dajin besteht, diws der
Mann vor der Immisflio penis mit aller der Kraft, welche er in stadio sunimae voluptati» zu
produciren vermag, gegen die oder längs der Labia m^jora oder gegen die Clitoris stösst» ein
MftnOver, das bei den Frauen häußg Erosionen und Blutungen, z. B. durch das Aufscheuern
dei Frenulum clitoridis, im Gefolge hat, ohne ihr Wollustgefühl zu erhöben/
pSebr beliebt ist auch bei den Baliern die St-ellung der Frau k la vache w&ihrend des
Doitua. Als ein Muster von dem Wortreichthum der Balischen Sprache kann es dienen,
MW sie selbst ein Wort besritzt für den Fall, dass der Mann durch zu grosse Aufgeregtheit
Dt dieser Stellung der Frau in einen falschen Hafon segelt; man nennt diese« m^glajaban:
er zu sehr auf der einen Seite^ es sei rechts oder links oder schief, dann sprechen sie
"ro© bagor mekossod.^
In der Dessa-Koebe-Tambaan in BoeUleng war Jacobs der Gast des
)or!bberhaupte8.
.Die Kammer wurde fast ganz von zwei grossen Bettstellen eingenommen, beide um-
liangen mit buntgef Erbten Gardinen, reich mit möglichst vielen Figuren verziert, ein Product
Malischen Kunstfleisses, Bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass sie hundorte von ver-
ehiedenen Darstellungen enthielten, wie der GcBchlechtstneb befriedigt werden kann, sowie
pin0 Zahl von verschiedenen Stellungen bei dem Coitns/
Der Beischlaf wird nach dem Bericht des Missionar Kcnipe bei den cen-
tral australischen Schwarzen am Finke-Creek liegend vollzogen; diese Be-
i>bacbtung bezieht sich auf die Umgebung der Missiansstation Herrn annsburg
nahe der Mac Donnel-Kette.
Bei den Australierinnen am Vincent-Golf (bei Adelaide) sollen nach
{öhler die Schamtheile etwas mehr als bei anderen Volkern zurßckstehen, daher
|ie Männer, ,was Übrigens bei den meisten Australiern Sitte ist"*, die Begattynjr
ron hinten vollziehen. Dagegen sind in einigen Gegenden Australiens unter
Stammen besondere Stellungen beliebt. Eine Coitus-Stellung, welche sich
Inzlich von der anderer Völker unterscheidet, ist in West-Australien gebrauch-
Seh; Fletcher Moore berichtet, dass sie dort mit dem Worte Mu-yang bezeichnet
Die Weise ihrer Begattung ist sitzend, Gesicht gegen Gesicht, Auch ver*
Brte Oberländer^ der sich in Australien längere Zeit aufhielt, dass sich dort
ire im Sitzen auf der Erde hockend Brust an Brust bei eigenthümlicher
iriLnkung der Beine umfassen, v. Miklucho-Maday^ hat hierüber genauere
iigungen eingezogen. Die Eingeborenen entblöden sich nicht, die Begattung
am hellen Tage vorzunehmen, wenn man ihnen ein Glas Gin
,/» fi^KiDpT^ ^\q die hockende Stellung ein in einer von Millucho-
^»'' n Weise. Die Frau befindet sich zunächst in Rücken-
heu ihren Schenkeln nieder und zieht die noch imnur
Ben
rird.
444 XVI. Das Weib im Geschlechtsverkehr.
liegende Frau an sich, bis die Geschlechtstheile an einander treffen. Zuweilen
wird der Coitus in dieser Stellung, der Mann hockend, die Frau liegend, zum
Äbschluss gebracht; in den meisten Fällen aber ist dieselbe nur die Praliminar-
ßtellung für ein weiteres Verfahren, indem der im Niederhocken verharrende Mann,
den Oberkörper der Frau vom Boden erhebend und an den seinigen heranziehend^
Brust an Brust in engster ümschlingung den Begattungsact vollzieht.
Ein zuverlässiger junger Mann, Morton^ berichtet ab Augenzeuge Weiteres:
Eines Abends, als er sich in der Nähe eines Camps von Eingeborenen be&nd,
fiel es ihm ein, einen Eingeborenen, der um ein Gläschen Oin bettelte, aofira-
fordern, vor ihm den Coitus auszuüben. Der Eingeborene entfernte sich willig,
um ein Weib zu rufen, welches auch bald darauf erschien. Ohne irgend welche
Zeichen von Verlegenheit zu äussern, nur mit dem Gedanken, sein Gläschen Gin
rasch zu verdienen, machte sich der Mann an das Weib, wobei das Paar die vor-
stehend erwähnte Positur annahm. Die Operation in dieser Stellung ging nach
der Meinung des Mannes nicht rasch genug von Statten, weshalb er mit der Be-
merkung: ,,so dauert es zu lange, werde es auf die englische Manier (english
fashion) versuchen, '^ das Weib auf den Rücken sich zu legen nöthigte und selber,
auch liegend, den Coitus zu Ende brachte. In Folge von Erzählungen anderer
erfahrener Weisser war die Aufmerksamkeit Morton*s nach dem Coitus auf das
Weib gerichtet. Er bemerkte daher Folgendes: Nachdem der Mann aufgestanden
war und nach dem Gläschen Gin langte, richtete sich auch die Frau auf, stellte
die Beine aus einander, und mit einer schlängelnden Bewegung des Mittelkörpers
warf sie mit einem kräftigen Ruck nach vorne ein Convolut von weisslichem
Schleim (Sperma?) auf den Boden, wonach sie sich entfernte. Diese Art, sich
des Sperma zu entledigen, welche sogar eine bestimmte Benennung im Dialect
der Eingeborenen aufweisen soll, wird, nach den Aussagen der weissen Ansiedler
Nord-Australiens, von den eingeborenen Weibern nach dem Coitus gewöhn-
lich ausgeübt, mit der Absicht, keine weiteren Folgen des Zusammenseins mit
einem weissen Manne durchzumachen. Wenn die Weissen solche Schaustellungen
fordern, werden diese schon corrumpirten Eingeborenen allerdings in ihrer Sitt-
lichkeit nicht gerade gefördert werden.
Den Coitus in sitzender Stellung führen nach Eiedel^ auch die Bewohner
der Keei-Inseln aus, während die Aaru-Insulaner denselben hockend voll-
ziehen, wie die Marege in Nord-Queensland oder wie die Orang-Utan und
andere Affenarten. Von Herrn Dr. Max Uhle werde ich darauf aufmerksam gemacht,
dass die Amsterdamer Ausstellung im Jahre 1883 eine Holzschnitzerei von
einem Sarge der Longwai-Dayaks in Ost-Borneo besass, welche die Cohabi-
tation in der gleichen Stellung zur Darstellung brachte. Uebrigens findet diese
letztere sich ebenfalls unter den peruanischen Vasen der Sammlung Ettore Minas
in Cuzco, und auch eine rohe Thongruppe der Malanga in Afrika (im Ber-
liner Museum für Völkerkunde), welche zur Aufstellung auf einem Grabe beatimmt
ist, führt sie uns vor. Es liegt aber kein Beweis dafär vor, dass diese Stellung
bei den Malange die typische wäre.
Die alten Inder waren davon überzeugt, dass die Bewohnerinnen der ver-
schiedenen Districte ihres Landes in Bezug auf ihren geschlechtlichen Geschmack
ganz zweifellose Rassenunterschiede erkennen lassen. Vatsyayana schreibt davon
in seinem berühmten Werke Kama Sutra oder die Gesetze der Liebe, welches
Lamairesse aus dem Sanskrit übersetzt hat. Es heisst darin:
,Les femmes du Centre, entre le Gange et la Jumna, ont des sentiments Kleves
et ne so laissont point faire de marques avec les ongles ni avec les dents. Les femmes
d*Avantika ont le goüt des plaisirs bas et des mani^res grossi^res. Les femmes du Maha-
rashtra aiment les soixante-quatre sortes de volupt^. Elles so plaisent aux propos ob«c^6s
ot sont ardentes au plaisir. Les femmes de Patalipoutra (aujourd^hui Padma) ont let
mdmes ardeurs que les pr^^entes, mais ne les manifestent point pabliqaement. Les femmM
115. Die StelloDg bei dem CoitUB.
445
>ravtdieiiii6s, malgre loa careraes de toutes sorte«, s'^chauffeiit iHfßcileiueiii et n^arriveDt
Fq^oe lontement au spasme g^n^sique, he& femmes de Vanavasi sotit aaset frotdea et pea
fiensibles ai]x careraea et au attoucbements et ne soaSrent poinl de propos obdc^ne«. Lee
femmes d'Avanti aiment runion sou^ toutes ses fonnes, maifl ä rexclusion des caresse^ ac-
eeasoiree. Les femmeg de Malva ainient les baber«, le« embraseements e« surtont les ooiips»
tuait DOD les ögratignures et les tuoraureg. he^ femmes de Funjab soQt folles de Taupa*
risbtaka (careeses iwec la lan^ue). Les femmes d'Aparattka et de Lat soot tr^ pae^
sioimeea et pouuent doucement 1e cii SitT Les femmeä de POude OBt les d^sirs les pitii
imp^tueux, Icar semence coule avec abondance et olles j aident par des m^dicamants. Les
jfcnime« du pays d^Audbra ont des membres d^licats et sont tr^ voluptueöses. Les femmen
■de Ganda dODt douces de corps et de langage.*
Man ersieht hieraus, dass der alte Vatstfayana sich das exacte Studium
dieser Verhältnisse hat sehr angelegen sein lassen. Wahrscheinlich Hegen aber
seinen Angaben wirkliche rassen-anthropologiache Tbatsachen zu Grunde^ die wir
daher nicht unterschätzen dürfen.
Neuerdings hat Richard Sckmidf^ mit Unterstützung der Berliner Aka-
lemie der Wissenschaften dieses Werk mit dem Commentare des Ya^dhara in»
deutsche übersetzt. Man kann nur staunen, welchen Fleiss die beiden indi-
ichen Autoren auf ihren Gegenstand verwendet haben. Jedenfalls vermag man
)icht zu leugnen, dass sich die physische Liebe in Indien zu einer wahren Kunst
l«ntwickelt hatt^\
Die talmudischen Aerzte waren der Ansicht^ das ein im Stehen aus-
geführter Coitus kein© Befruchtung nach sich ziehen könne. (Wunderbar.)
Eines im Modenesischen herrschenden Aberglaubens m\is9 ich noch
Erwähnung thun. Hier sagen nach Rkcardi die Bauern, dass wenn ein Mann,
dessen Gattin ihm immer Mädchen zur Welt bringt, einen Knaben haben wolle.
so müsse er beim Coitus eine andere Stellung einnehmen. Es soll aber bereits
^auch Abhülfe schaffen, wenn er seine Frau während des Beischlafs in das
)hr beisst.
Bei Lageveränderungen der Gebärjuutter, wo ein Zur echt rilcken unaus fuhr bar
wird in des getreuen JCckarth's iiuvorsichtiger Heh-Ämme als ,^das
näheste und sicherste Mittel* ausgeführt,
I .doM man den Modom coogressus mutire und ändere, und Ut im geringsten vor kein
Ipeccatunt mortale (es w&re denn das man GeiJheit wegen allerband modus co^undi exercirte)
Ita achten^ wenn ein paar verebelichle Personen nm Kinder 2u sengen a parte anteriori« la-
eriaU vel posteriori, modo locus congresgui destinatus tangatur einander beywohneti, denn
0, und alle mechaniscbe Hanthierung zeigen mir aolcbes, dass diss, was mir von vom im
siebet, auf der Seiten oder im Hi&thertheile mir einen füglichen Vortheil dem Woreke
vorweiset, und dieser modus congrediendi kan in vermejnten Hindemiss Kinder
A, beiderseits so wol bei Manna- als Weibsperaooen in acbt genommen werden,'*
Kkodja Omer Haleby^ Abu Othtnim sagt in seinem e 1 K t a b genannten
IWerke:
»Dieu Mt pntssant et mia^ricordieux I £n C6 qoi conc^me les antres maniäres de colter,
oit qne la femme preune la place de Tbomme* soit qn*el!e seit ä demi-pencbee sur le bord
l'un baut sopha, fM>it qu'elle se tienne de beut, ou ados^ee h. un arbre, soit qu'eUe se mette
ians la posture des femeUes des animaui, ce sont la jeax d*amoareux, que la loi aotorise,
onform^ment ^ cette parole du Propb^te: Les femmes sont votre cbamp; cultives-le de
"la maniere que voua Tenti^ndrez, ayant fait auparavany quelque acte de piete,* Cde livgla,)
Bei der Durchmusterung dieser Berichte macht es doch den Eindruck, als
ob einige dieser Stellungen durch körperliche Verhältnisse der Frauen bedingt
.siud. Dahin sind namentlich diejenigen zu rechnen, bei denen die Beine der Frau
[besonders stark in die Höhe gehoben werden. Es kommt auch bei Weibern
unserer Rasse vor, dass der Scheiden eingang etwas weiter nach hinten gerückt
st, als gewöhnlich. Dann gelingt die Immiso penis nur, wenn die Frau die
Heine in den Knieen und Hüften stark beugt, oder mit anderen Worten, wenn
hie sie in die Höhe hebt. Da wir dieses Erheben der Beine nun gerade auf
446 ^^I- ^^ ^01^ ^^ GeechlechtsTerkehr.
chinesischen Darstellungen sehen, so könnte man vermuthen, dass die Ver-
krüppelung der Flisse und das hierdurch bedingte abnorme Verhalten auch der
Weichtheile des Beckens eine Verschiebung des Introitns vaginae nach hinten
verursacht. Sichere Angaben hierüber liegen aber nicht vor.
116. Der rituelle Beischlaf.
Wenn wir uns in die Erinnerung zurückrufen, welch eine wichtige Trieb-
feder, sowohl in dem Leben des Einzelnen als auch in dem Geschicke ganzer
Völker, der Geschlechtstrieb zu werden vermag, dann wird es uns nicht Wunder
nehmen, dass schon in verhaltnissmässig früher Zeit die Priesterschafi; auch den
Beischlaf in den Bereich ihrer Einflusssphäre gezogen hat. Man kann filr diesoi
von religiösen Vorstellungen und Vorschriften beeinflussten geschlechtlichen Ver-
kehr, ganz gleichgültig, ob er zwischen Eheleuten oder ausserehelich stattfindet,
die Bezeichnung des rituellen Beischlafs einführen.
Zu dem an dieser Stelle uns interessirenden Rituale mQssen solche Be-
stimmungen gerechnet werden, welche den Neuvermählten für die erste eheliche
Beiwohnung einen ganz bestimmten Tag nach dem Abschluss der Hochzeitscere-
monien vorschreiben, wie wir das bereits in einem früheren Abschnitte kennoi
gelernt haben. Hierher gehören auch ebenfalls alle diejenigen Vorschriften, welche
den ersten Goitus der neuvermählten Frau der Gottheit oder deren Vertreter vor-
behalten, wofür dann der unglückliche junge Ehegatte diesem Substituten noch
Opfer und Geschenke darzubringen hat. Wir werden hierfür später noch eine
Reihe von Beispielen kennen lernen. Dass nun aber auch der S^en der Gotttieit
für diesen so ausserordentlich wichtigen Act erfleht werden muss, das erscheint
uns ganz naturgemäss.
Auch nach den Gesetzen Zoroaster's soll man nicht nur vor dem Goitos
gewisse Gebete aussprechen, sondern es müssen auch nach demselben beide Ehe-
leute gemeinschaftlich ausrufen:
,0 Sapondomad, ich vertraue dir diesen Samen an, erhalte mir denselben, denn er ist
ein Mensch!*
Ebenso müssen Mann und Frau im Seranglao- und Gorong-Archipel vor
dem Beischlaf ein Gebet sprechen.
Von den Abstinenz -Vorschriften während der Menstruation, sowie in der
Zeit der Schwangerschaft, des Wochenbettes und der Säugungsperiode ist früher
schon die Rede gewesen.
Hier schliessen sich bestimmte Reinigungsvorschriften an, welche uns bei
gewissen Nationen entgegen treten. Denn bei manchen Völkern herrscht der
Glaube, dass der Coitus „unrein** mache. „So oft ein Babylonier,*^ sagt Herodat,
„seiner Frau beigewohnt hat, zündet er Weihrauch an und setzt sich daneben,
welches die Frau gleichfalls thut. Bei Tagesanbruch baden sich dann beide, denn
ungewaschen rührt bei ihnen keiner etwas an. Beides findet man auch bei den
Arabern." Hiermit kommt eine hygienische Volkssitte zum Vorschein, die
später zum Cultus geworden ist.
Schon unter den alten Juden der Bibel verunreinigte jeder Act ehelicher
Beiwohnung beide Theile bis an den Abend (3. Moses, 15, 18); beide, der Mann,
sowohl als aucli die Frau, mussten sich hinterher durch ein Bad reinigen.
Auch der Muselmann soll bei dem Beischlaf beten, um die bösen Geister
fern zu halten. Khodja Om^r Halehy sagt hierüber:
„II est bon de prononcer, au moment on le Dkeur (penis) pen^tre dans la vhIt«, 1a
parole sacrue: Au nom du Dieu Clement et misericordieux ! On öloignera ainri let <Qiaai e^
les mauvais esprits, dont la mission est de presider ä la confection des enfants
malsains/'
Später heisst es dann, wenn die Einführung des Gliedes be|P'
116. Der rituelle Beischlaf.
447
m
,C*e6t & ce momont-l^ que» poar motlre )e diable en faite, vous diaez ious deux: au som
teu! Si, au momont du spaäine final, au moinent de rejaculartion, 1a femiuo &e tenftnt
hüe, comme en eita^e» vuus pouvez ajout^r Je refite» de la forniüle aacrde; clt^ment et
niia^ricordieux! Vuearro Mra parfaite et renfant que voub procr^erez ne eeBtim jauiais la m&lii
u d^moa." (de Regia, J
Nach deu religiösen GBboten der Mohammedaner (Sikhelil) ist der Ehe-
ann nur dann verhindert^ seiner Frau beizuwohnen, wenn sie krank, menstruirt
er im Wochenbett ist; heirathet er eine Jungfrau, so soll er ihr sieben auf
einander folgende Nächte sich widmen; nimmt er eine neue nicht mehr jung-
frauliehe Gattin, so ist er ihr nur drei auf einander folgende Nächte schuldig.
So heisat es auch bei Khodja Omer Halehy:
,8i, ayaot dej& uoe femme, irous en prenesE ttne seconde, voas derres pasBor troU
nuitfi cons^cutive« avec votre nouvelle femme; vous lui aooorderez eept si eile est vierge/*
Der Gatte kann mit einer seiner Frauen in der Reihe seiner Besuche häufiger
zusammenkommen, sobald die andere Frau zustimmt^ dass sie übergangen wird,
i es freiwillig oder nicht; auf der anderen Seite kann eine Frau ihrer Gefährtin
re eigene Reihe der Begattungsbesuche abtreten.
Wenn nun andererseits die Mohammedaner nach dem Koran verbunden sind,
fr Frau regelmüsöig wöchentlich einmal beizuwohnen, dasselbe Gesetz aber auch
an Eheleuten verbietet, während der ganzen Zeit der Schwangerschaft und
"Nährens, während des Monatsflusses, sowie acht Tage vor und nach dieser
it, endlich während der dreissigtagigen Fasten im Monat Ramasun mit einander
cohabitiren, so möchten, wie Oppenheim hervorhebt,, dem streng an das Gebot
sich haltenden Muselmann selbst bei seinen vier Weibern die uns nach Ltdher s
Ausspruch erlaubten hundertundvier Umarmungen im Jahr nicht einmal zu Gute
kommen.
Aber überhaupt fa«t alle Völker enthalten sich der Gattin während der
enstruation, die, wie wir ja bereits oben gesehen haben, die Frau in hohem
ade unrein macht.
Zoroaster schrieb vor, dass ein Gatte seiner Frau einmal binnen neun Tagen
beiwohne; Solon setzte das Minimum auf dreimal des Monats fest; Mohammed
erklärte es für einen Ehescheidungsgrund, wenn der Mann nicht wenigstens ein
Mal in der Woche seine Pflicht erfüllte.
Bei den Wakamba in Afrika ist der Beischlaf geboten, wenn eine Wittwe
heirathen will; dann muss ein fremder Mann, z. B. ein M'swaheli oder M*kamba
aus anderer Gegend, vorher mit ihr einmal Umgang gehabt haben. Dieser Mann
erhält zum Lohn einen Ochsen.
Steuer sagt von den Itälmenen, daas sie nach der Hochzeit den Beischlaf
,^aiobt auf einmal vollbringen durften, sondern sie mussten grndutim noch und nach immer
weiter kommen^ wodurch die Mannspereon erhitzter and dii< Weiber vergnügter worden. Nach
diesem Acte wurden weder MahUeiten noch LuatbEirkeiten angeetellet, tondem richteten iie
dch nach den Thieren, welche nach verrichtetem Concubitu, wohin jedee will, nach Belieben
gehet» nnd deriviren sie auch ihre Gwateien (Uaachen, man vergleiche den Abechnitt ßraut-
Werbung) daher, weil keine Hündin einen Hund Über sich läAst, ohne dich vorher eine Zeit
lang KU sperren/'
Es mu88 aber noch daran erinnert werden, dass sich in den alten Calendarien
des 15.^ — 18, Jahrhunderts ganz ähnlich wie tilr den Aderlass, so auch tur die
eheliche Beiwohnung ganz bestimmte Gebote und Verbote verzeichnet und für
Verrichtung günstige oder ungünstige Tage angegeben finden. Es steckt
I mit grosser Wabrscheinlichkeif, wie es mir erscheinen will, ein bemerkens-
f>iel von altem \ ' dessen Wurzeln vielleicht, ganz ebenso
, -..^_a unseres gesamrui .. rwesens, bis in die graue Vorzeit Asiens
reir.h^Ti» Ich werde in dieser Annahme bestärkt durch das schon oben einmal
d^r Tamil- Sprache vorliegende alte Sanskritwerk Ivokkögam*
448
XVI. Das Weib im Geschlechtsverkehr.
Dasselbe enthält ein besonderes Kapitel, welches den Titel führt: Oeschlecht-
liche Umarmung je nach den Monatstagen. In diesem finden sich ancb
gleichzeitig ganz genaue Vorschriften, in welcher Weise der Beischlaf ao^ef&brt
werden soll, und welches „Aussenspiel" man mit ihm verbinden müsse. Diese
beiden Punkte spielen noch immer in gewissen Theilen Indiens eine nicht unbe-
deutende Rolle in ritueller oder religiöser Beziehung. Es befinden sich nament-
lich in Orissa eine Reihe von Tempeln, an welchen in plastischen Gruppen sowohl
dieses Aussenspiel, als auch die nach unseren europäischen B^riffen raf&nirtesten
und obscönsten Stellungen und Arten des Beischlafes zur Darstellung gebracht
sind. Nach Rdjendralala Miira finden sich diese Obsconitäten ausschließlich an
den Tempeln und den zu ihnen gehörigen Vorhallen, aber niemals an den die-
selben umschliessenden Wällen, Thoren oder anderen Bauten von nicht religiösem
Charakter. Ich kann hinzufügen, dass sie als Holzrelieis auch an den grossen
Wagen angebracht sind, welche zum
Herumfahren der Götterbilder des
Dschagannätha^ seines Bruders JBSa2d-
räva und ihrer Schwester SiMadhra
in feierlicher Procession benutzt werden.
Solch ein Wagen ist von Wilhelm Jbest
im Museum für Völkerkunde in Berlin
ausgestellt. Er stammt aus Pari in
Orissa. Unter den Reliefdarstellangen
sind 6 unschuldigerer Natur, während
20 das Licht der Oeffentlichkeit scheuen
müssen. Von diesen letzteren zeigen
16 je ein Paar in der Cohabitation,
und zwar in Stellungen, wie sie die
kühnste Phantasie wohl kaum erdenken
könnte. Vier weitere Platten führen
uns ebenfalls je ein Pärchen vor, aber
noch ante actum mit yerschiedenen
Arten des purattolll, des schon er-
wähnten Augenspieles beschäftigt
Alle Darstellungen bezeugen einen ziem-
lichen Grad von Kunstfertigkeit bei
dem Bildhauer, der diese Kunstwerke
in sehr hohem Relief aus je einer Holz-
platte in der Weise herausgearbeitet
hat, dass der Rand der Platte, sie wie
einen Rahmen einschliessecd und bis über ihr höchstes Relief hervorragend, stehen
geblieben ist.
Tausend und aber tausend Hindus, Männer, Frauen und Kinder, sagt
lidjendraläla Mitra^ besuchen jedes Jahr die Tempel von Orissa; sie legen lange
und anstrengende Reisen in der härtesten Jahreszeit Indiens zurück, sie ertragen
die grössten Entbehrungen, um sie zu erreichen, und sie kehren mit der festen
Ueberzeugung nach Hause zurück, dass sie sich durch diese Pilgerfahrt von
allen ihren Sünden gereinigt haben, und sie haben auch nicht den Schatten
von einem Gedanken, dass irgend etwas, was sie gesehen haben, unsauber oder
unanständig sei. Das Ganze ist ein Mysterium, ein Mysterium aus alter Zeit«
heilig durch das Alter und gehüllt in Alles, was rein und heilig ist. und sie
verlangen nicht, den Schleier zu heben und in die Geheimnisse einzudringen oder
deren Gründe zu erforschen, welche ihre Vorfahren Jahrhunderte lang unberOhit
gelassen haben.
Fig. 234. Lamaistische Yi-dam-Figar (Schatz-
gottheit) mit seiner Yum in der Yab-y am -Stellung.
(Chinesische Bron/egruppe des kgl. Museums für
Völkerkunde in Berlin.) (Nach Photographie.)
U6. D^r rituelle Beischlaf.
449
Rajrndraldla Mifra ist der gewiss ganz ztitTefTenden Meinung, dass es auch
fien ersten Bildnern dieser ftir unsere verfeinerten Begriffe obaconen Sculfitnren
rollkomraen fern gelegen habe, etwas Unanständiges darstellen zu wollen. Es war
nar ihre Absicht, einen religiösen Gedanken in entsprechend realer Weise zur Ver-
körperung zu bringen. Und dieser Gedanke hängt ohne allen Zweifel mit der
Verehrung der Gottheiten der Zeugung, mit dem Phallusdienste zusammen, der in
früheren Jahrhunderten wohl fast über das gesammte Asien die allgemeinste Ver-
breitung hakte.
Aber auch noch in einer anderen Heligion spielen plaj^tische und gemalte
Darstellungen des Coitus eine ganz hervorragende Holle, das ist der Lamaismus.
Hugett Pander^ * ^^ dessen liber-
*ÄU8 reiche Sammlung seit einiger
Zeit in den Besitz des Museums
Ifiir Völkerkunde in Berlin ober-
gegangen ist, hat darüber inter*
ate Mittheilungen gemacht
Inder sagt: dass die Schutz-
jottheiten Yi-dam meistens in
Umarmung mit ihrer Vuni dar-
restdlt werden, und ebenso auch
iie Dhiftini-Buddahs und Bodhi-
$aUvas* Diese Stellung, welche
Ibrigens gewissen Variationen
[unterliegt, heisst Yah-yum
[tshudpa d. h, der Vater mit
äer Mutter den Beischlaf aus-
(übend. Diese Yab-yum-SbeHung
Ider lamaischen Götter hat der
lamaischen Kirche einen üblen
Ruf eingetragen. Die Lamas
weisen indessen die Zumuthung^
dass in ihrer Religion etwas
Obscönes vorkommen könne, mit
Entrüstung zurück. Sie erklären
die Yab-yum- Stellung durch den
Terminus Täbsdang ses-rab, d.
i. Vereinigung der Materie mit
der Weisheit. Die durch die
L Bione nicht wahrnehmbare Weis-
heit oder der Geist sei in der
Tatur latent; die Materie sei
[ftber todt* Erst durch die Ver-
Binigung und Wechselwirkung
beider entstehe Leben und Be*
[wusstsein. Die primitive Formt "i der die Befruchtung der Materie durch den
ieist stattfinde, sei die geschlechtliche Umarmung, welche — als Ursache alles
[organischen Lebens auf Erden — der höchsten Verehrung würdig sei. Nur der
geschlechtliche Verkehr zwischen Mann und Weib könne als indecent betrachtet
iWerden, da beide, ungleich den Göttern, sündhaft und unrein seien und den Bei-
[schlaf nicht behufs Verherrlichung der grossen Principien der Natur, sondern nur
\zn ihrem persönlichen Vergnügen ausübten.
Meist ist die Gottheit stehend dargestellt, während die von ihr umarmte
\YHm beide Beine um de» Gottes Hüften gelegt hat. (Fig. 235.) Auch steht die
^*'^»»i lYiauchmal mit einem Beine »»»»f -'»'^ F!"«»^ »i^"^ schlingt nur das andere Bein
fi«rf«lt, Dm W«l1t, Q, Ann 29
■m
Fig. 23.=», Liim*istiirli« Yh'!"'- ^
fl«uier Vum jtt «kr Yab-yi
6ronzegni|i|)« des kgK Mtist?HTn
-otUielt) mit
Berlin )
%VL Dju Weib im Geschleckta verkehr.
um die Hüfte des Oottes. (Fig, 234») Bisweilen auch sitzt der Gott auf
Erde mit untergeschlagenen Beiuen und hat dann ebenfalls die Yum auf
Hüften reitend, (Fig. 236.) Die letztere hat stete den Kopf mit vertückteii
Ausdruck zurückgebogen, und an der krampfhaften Stellung ihrer FoBSi^heD
erkennt man deutlich, dass sie sich auf dem Gipfelpunkte ihrer woUOsl|a|^J
Empfindungen befindet. Die kleinen Bronzefiguren sind Meisterwerke metallq^^H
öcher Technik. In den Fig, 234 bis 236 führe ich dem Leser Proheu diMf ■
/ ^
■M0
Götterbilder vor,
nEs bleibt eine interessante Thateache, sskgt Pander, daas der chiDesi^chl
Hof den Lamas verboten hat, in den Tempeln, die von den Damen de» kaiser
liehen HarennB besucht werden , di^
Yi'dam in der Yab-yum-Stellanf^ cui4
die Draggshed (welche als atreitb«re^
Gotter zur Symbolisirung ihrer nitomfr
erschlafiTendea Cnergie phallisch dar-
gestellt werden) mit einem Penia abzu-^
bilden. Die Lamas zucken darn*
Achseln und bedauern, dass li
nesen eich nicht zu einer i
Auffassung dieser Dinge aufzu^i!
vermögen.*
In Japan ist nach ^c'7^
Phallus - Cultu8 noch weit t
Ein männlicher und weibli*
stein in der Cohabitation bt..i.^..w
in Netsu mura. Ogatagori in
Provinz Shinano. 3L
davon eine Abbildung l
von Schedd wiedergegeben wird.
In Dorej im südwestlichen Nea^
Guinea fand v, Mmenhcrg nahe de
Küste, frei im Meere st»' ^^rk-^
würdigem? Haus, das bei yoi
nur 6 Fus9 eine Länge von tSb Fu
beBafis, Die eigenthllmlic! -^ ^-m
desselben wird ausführlieh f
eine Verbindungsbrücke
an demselben nicht aii^
interessirt daran das Folgende:
goltlieiU nut seiner V um in tii^r V Ab-ynm-ätolltt&g, * q iiL r i i. i -i. ■
[rbiiiesUchB Brouiftgruppe df» kgl. MuMum» mr em öalkeu, ttut welchem rj tu w^ü^i
Völkerkunde in B«rUiiO (Kach Pfaotogniiibie.) liobe Figuren, den Beiedilaf vallxioba
rober Arbeit liuegesclinitrt i»ind. ßUd<»r^
SchUingGD, Fiscben, Krokodilen u,,^. w. webt man an den Trug balken de wlbffi|i#
an den beiden HaupUtülzpfUhlen zwei groflse Fig^anm befeBtigt *jind, xv inm doc
Doreaen var«tellon. An der weatwärt« gekehrten^ ottonen Seit« de? -'«n
hAlzome, 4 Fq89 lange Figuren, Mann und Frau in V'olktebung dei Coitu , an^fii
tnifc in die U(^be gezogon^^n Knieen, beide mit beuiiilteui Aniliüc und an dwuemg«i KOir|ii
theiien, welche mit Haar bewachsen sind, in Nachahmung desselben mit Gumutu iTk»r7ri ^
di'r Blattscbeide der Siigopalmo) belegt. Der Kopf do» Mannei iat d«rgecl^
mau ihn an einem darin befestigten Tau in die Höhe ziehon und auf da« .'
wieder nied^rfüllen loggen kann, f Unter dem Manne liegt ein l^j Fu» Inn
Rtlckou. »eine Beine gegen den Anus do« männlichen Bildes steinoi"*^ '
lieferung Nt dan Kind ärgerlich auf den Vater, dtub» er die Muttor
'vilhrend ee wölbst noch höl^bedttrftig i*t Hinter dem Kind.
117. Masturbation und Tribadie und die Unzucht mit Thieren. 451
Vertiefung ausgehauen, worin sich frisches Wasser befindet, womit sich die das Gebäude be-
suchenden Personen das Haar anfeuchten. An der gegenüberstehenden Seite des Gebäudes
liegen ähnliche Figuren, jedoch ohne Kind. An der Aussenseite der Pf&hle, welche das Ge-
bäude tragen, sind männliche und weibliche Figuren von 3 Fuss Höhe mit unverhältnissmässig
grossen Geschlechtstheilen angebracht. Die an der dem Meere zugekehrten Seite strecken
den rechten Arm drohend in die Höhe, die an der Landseite befindlichen Frauen bedecken
damit die Schamtheile. Bezüglich des Ursprungs der Bilder und des Gebäudes, welches
nimmer durch Frauen mag betreten werden, erzählen die Doresen, dass die Figuren ihre
Stammeltem yorstellen, und die Bilder von Schlangen, Krokodilen und Fischen auf diejenigen
ihrer Vorfahren hindeuten, welche von solchen Thieren abstammen. Noch bis vor Kurzem
stand ein ähnliches Gebäude im Dorfe Mansinam; im Jahre 1857 ist dasselbe eingestürzt
und bis heute (1870) nicht wieder aufgebaut.'
Es möge hier daran erinnert sein, dass man auch auf anderen Punkten
Neu-Guineas Bauwerke mit plastischen Darstellungen gefunden hat, welche
unseren Augen obscön erscheinen. Auch bei ihnen spielen, wie wir oben gesehen
haben (man vergleiche Fig. 214 — 217), Schlangen und Fische und Krokodile eine
ganz hervorragende Rolle.
Es mag hiermit dieses für die Völkerpsychologie so lehrreiche und hoch-
wichtige Kapitel abgeschlossen werden; aber noch einige andere Formen des rituellen
Goitus werden wir in einem späteren Abschnitte kennen lernen; es ist der ausser-
eheliche, durch göttliche Institution gebotene Geschlechtsverkehr, wie er uns in
den heiligen Orgien entgegentreten wird.
117. Masturbation und Tribadie und die Unzucht mit Thieren.
Man begegnet gar nicht selten der Ansicht, dass Alles, was man als wider-
natürlichen Geschlechtsgenuss zu bezeichnen pflegt, erst der überreizten Sinnlich-
keit einer hohen Cultur seinen Ursprung verdankt. Das ist aber vollkommen
unzutreffend, und wir finden im Gegentheil gar nicht selten eine höchst raffinirte
Unzucht bei Volksstämmen von sehr geringer Civilisation, die man sich so gern
als in einem idyllischen Naturzustande lebend vorzustellen pflegtf von denen man
bisweilen Schilderungen hört, als wenn bei ihnen das goldene Zeitalter mit allen
seinen Segnungen noch existire.
Es fand sich schon oben Gelegenheit, auf einige künstliche Gestaltsverände-
nmgen der weiblichen Geschlechtstheile hinzuweisen, die offenbar mit der schon
bei jungen Mädchen erregten Sinnenlust zusammenhängen. Die Kinder der Wilden
denken sich dabei gewiss nichts Schlimmes. Letourneau sagt mit Recht: „Les
ecarts genesiques sont anormauz, mais, ä vrai dire, ne sont pas contre nature,
puisqu'on les observe chez nombre d'animaux.*
In der That müssen wir in der Masturbation und den ähnlichen geschlecht-
lichen Reizungen einen allgemein thierischen Trieb erkennen, und es braucht hier
nur an das Gebahren der Hunde, an das gegenseitige Bespringen der Kühe und
an das Onaniren der Affen erinnert zu werden. Auch bei zwei Hyänen hatte ich
Gelegenheit, ein gegenseitiges offenbar beide Theile sehr befriedigendes Lecken
an den Genitalien zu beobachten.
Es ist wohl sicher anzunehmen, dass die Masturbation eine Gestaltsver-
änderung der Genitalien zu verursachen vermag. Aber abgesehen von diesem
örtlich anatomischen Einfluss, kann sie auch nicht ohne schwere Folgen auf den
gesammten Organismus bleiben, unter denen ein frühzeitiges Verblühen, ein Welken
und Abmagern und vielleicht sogar eine Beeinträchtigung der Zeugungskraft in
erster Linie zu nennen sind.
Eram, der längere 2«eit im Orient die ärztliche Praxis ausübte, äussert
sich, dass die MastarlMition eine .condiiion extremement commune chez les jeunes
filles en Orient* ist; er eeM hinin: ,Poar se rendre compte de sa fr^quence
en gSmianl dies lee jeanei fiDee en Orient, on n'a quen penser au defaut
29»
452 XVI. Das Weib im Geschlechtaverkehr.
d'exercice, ä la vie sedentaire, ä roisivet^, ä Tennui et surtoat ä la confiance et
ä la credulite des meres, qoi D^gligent toute esp^ de surveillauce ä T^^rd de
tout ce qui se passe chez lear fille ä ses heures de solitude."
Bei den Khoikhoin (Nama-Hottentotten) ist unter dem jüngeren weib-
lichen Geschlechte Masturbation so häufig, dass man sie als Landessitte betrachten
könnte. Es wird daher auch kein besonderes Geheimniss daraus gemacht, sondern
in den Erzählungen und Sagen sprechen die Leute davon wie von der gewöhn-
lichsten Sache. (Fritsch\)
Wir haben oben bei denBasutho und bei den Ovaherero ganz ahnliche
Unsitten kennen gelernt.
Die ünsittlichkeit war unter den Weibern der Viscayer auf den Philip-
pin en schon zur Zeit der Ankunft der Spanier daselbst grenzenlos; sie hatten
sogar die Erfindung eines künstlichen Penis gemacht, um die unstillbaren GtelQste
befriedigen zu können, und ähnliche Mittel zur Sättigung unnatürlicher WoUiut
besassen sie noch mehr. (Blumentritt,)
Bei den Japanerinnen spielt ebenfalls ein künstlicher Penis eine groase
Rolle, ausserdem sind aber dort, wie Joest^ berichtet, kleine Kugeln gebräachlich,
Rin-no -tama genannt, welche zum Zwecke geschlechtlicher Reizung von Weibern
in die Vagina gesteckt und durch einen Papiertampon an ihrer Stelle festge-
halten werden.
, Gewöhnliche Mädchen, auch wenn sie in der ars amandi ziemlich erfahren waren,
kannten die Kugeln nur dem Namen und Ansehen nach; benutzt wurden sie von «yomehmen*
(wenn der Ausdruck gestattet ist) Geishas (Tänzerinnen, Sängerinnen) und den, dem Euro-
päer meist unnahbaren Venuspriesterinnen u. s. w. Die Kugeln sind bohl und in ihnen
befinden sich zwei Böden aus je 4 kleinen Metallzungen gebildet, zwischen denen eine ganz
kleine, massive Metallkugel frei beweglich liegt. Die leiseste Bewegung bringt diese int
Rollen und verursacht durch Vermittelung der Metallzungen eine leichte Vibration, .einen
nicht unangenehmen Kitzel, einen leichten Schlag, wie etwa den eines ganz schwachen In-
ductionsapparates*. Auch die Chinesinnen sollen von solchen Reizkugeln oder „Klingel-
kugeln*' Gebrauch machen/*
Bei den Balinesen herrscht nach Jacobs ebenfalls eine grosse Ünsittlichkeit
Er sagt von den dortigen Weibern:
. . . „Onanie und Masturbation ist allgemein; sie nennen das njoktjok. Kentimoen
und Pisang werden von den Balischen Mädchen vielfach als Leckerbissen, aber nicht
allein als Mundkost benutzt. In dem Boudoir von mancher Balischen Schönen und sicher
in jedem Harem kann man ein aus Wachs verfertigtes plaisir des dames finden, das den be-
scheidenen Namen ganem oder tjglak-tjSlakan mal^m trägt (tjSlak = penis, mal^m ■■
Wachs), und manches Stündchen wird in stiller Abgeschiedenheit mit diesem consolatenr
zugebracht. Der ganem heisst auch wohl koempSntji.**
Auch den Damen der alten Israeliten schienen solche Gebräuche nicht
fremd gewesen zu sein. Im Midrasch SchemotRabba wird folgendes hierf&r
charakteristische Gleichniss gebracht:
„Gleich einem König, der, als er in sein Haus ging, seine Gemahlin einen Tisch
(mensa delphica) umarmend antraf, worüber er in Zorn gerieth. Da trat sein Brautführer
vor ihn und sprach: „Wenn er Kinder gebiert (d. h. wenn von diesem Umgange ein Kind
zu erwarten stünde), würdest Du mit Recht zürnen.'* Der König antwortete: „Es ist an der
Sache nichts Wichtiges, als ihr zu lehren, dass sie so etwas nicht thun soll." CWiin9ehe*,J
Eine nicht sehr seltene Unzucht, mit welcher ein Weib dem anderen eine
geschlechtliche Befriedigung zu verschafifen bestrebt ist, besteht in der sogenanntoi
Tribadie. Diese Perversität geschlechtlicher Vermischung wird auch von Alters
her mit dem Namen der Lesbischen Liebe belegt, weil sie besonders bei den
Weibern von Mjteiene, der Hauptstadt der Insel Lesbos, verbreitet gewesen
sein soll. Angeblich ist sie von hier nach Griechenland, nach Rom and nach
Aegypten gewandert. Im Orient und namentlich bei den Arabern soll sie
auch heute noch weit verbreitet sein; aber nach Parent-Duchatdet und anderen
Autoren kommt sie auch bei den Völkern des westlichen Europas vor, und xwar
117. Masturbation und Tribadie und die Unzucht mit Thieren. 453
häufiger als man es ahnen mochte. Lucian hat sie in seinen Hetären- Gesprächen
klassisch geschildert
Eine excessive Grossenentwickelung der Glitoris erleichtert natürlich den
aktiven • Tribaden, den Pictrices oder Subigatorices, wie die alten Römer sie
nannten, wesentlich diese wollüstige Arbeit, und es ist in hohem Grade wahr-
scheinlich, dass das Bestreben mancher Völker, den Kitzler durch oft wiederholte
Reizungen in seinem Wachsthum zu befördern, mit dieser Unzucht in Zusammen-
hang steht. Auch in ihr sollen die Weiber auf Bali excelliren. Jacobs be-
richtet darüber:
.Beinahe in demselben Maasse, wie die Päderastie, doch mehr geheim, herrscht unter
den Mädchen die sogenannte lesbische Liebe (mgtjengtj^ng djoeoek, wörtlich: mit den
Becken gegen einander schlagen, ohne Klang zu verursachen) [im Malayischen: bertampoeh
laboe. — tampoeh die Krone von einer Frucht, vielleicht eine Anspielung auf die Glitoris]
mit ihrer digitalen und lingualen Variation. Die starke Entwickelung der Glitoris, womit
nach den Kundigen viele Baiische Schönen gesegnet sind, arbeitet diesem Missbrauche sehr
in die Hand.*
Auch bei anderen Orientalinnen sollen natürliche Vergrösserungen des
Kitzlers nicht selten sein, und hieraus wird sich schon die Möglichkeit erklären
lassen, dass dort überhaupt ohne weitere künstliche Hülfsmittel unter Frauen bis-
weilen ein geschlechtlicher Verkehr stattfinden kann.
Duhousset will sogar erlebt haben, dass durch solche lesbische Liebe die
eine Tribadin geschwängert wurde; wir müssen ihm den Beweis für diese That-
sache überlassen. Er berichtet nämlich, es sollen in Aegypten zwei Freundinnen
dergleichen Unzucht mit einander getrieben und auch dann noch fortgesetzt haben,
als sich die eine derselben verheirathete; darauf sei es denn geschehen, dass die
nicht verheirathete Freundin schwanger wurde und zwar, wie die Erklärung
lautet, dadurch, dass die andere noch Samen des vorher mit ihr cohabitirenden
Mannes in der Scheide barg und von diesem ihrer Genossin bei der Umarmung
abgab. Dieser Fall wurde der Pariser anthropologischen Gesellschaft im Jahre
1877 mitgetheilt.
Eine grausame Bestrafung solcher Tribadie berichtete Jan Mocquet in seinem
Itinerarium:
«Als ein gewisser König von Siam in Erfahrung kommen, dass seine Beyschläfferinnen
und Nebenfrauen, derer eine grosse Anzahl, unter sich zuweilen durch Nachahmung der
m&nnlichen Natur, in Geilheit sich belustigten, so die Schönsten von dem Lande, die er nur
bekommen kunte, hat er sie für sich bescheiden, einer jeden, zum Zeichen ihrer Unkeusch-
heit, ein natürliches Glied auf die Stirn und beide Backen brennen, und also lebendig ins
Feuer werfen lassen.*
Dass auch bei den deutschen Frauen des Mittelalters manche grobe
Unsitte geherrscht haben muss, das ersehen wir aus dem vom Bischof Biirchard
von Worms im 12. Jahrhundert verfassten Verzeichnisse der Kirchenstrafen.
Es heisst darin:
«Fecisti quod quaedam mulieres facere solent, ut faceres quoddam molimen aut machi-
namentum in modum virilis membri, ad mensuram tuae voluntatis, et illud loca verendorum
tuorum, aut alterius, cum aliquibus ligaturis colligares, et fomicationem faceres cum aliis
mulierculis, vel aliae eodem instrumento sive alio tecum? Si fedsti, quinque annos per
legitimas ferias poeniteas. Fecisti quod quaedam mulieres facere solent, ut jam supradicto
molimine, vel alio aliquo machinamento, tu ipsa in te solam faceres fomicationem? Si fecisti,
unum annum per legitimas ferias poeniteas.* (DulaureJ
Ein widernatürlicher Verkehr zwischen Weibern und Thieren ist ebenfEÜls
nicht erst eine Erfindung der Neuzeit. Mantegazza^ sagt darüber:
,Auch der Frau wird die Schmach der Bestialität nicht erspart. Seit den ältesten
Zeiten schon erzählt uns Plutarch^ dass die Frauen sich den unzüchtigen Launen des heiligen
Bockes in Mendes hingaben. Heute, nach einer langen Reihe von Jahrhunderten, ist der
Hund derjenige, welcher die Stelle jenes Bockes einnimmt Mehr als einmal beten reizende
Damen, in den höchsten Sphären der gebildeten Gesellschaft Europas, ihren Schoossbund
4rU
XTL DtU ^äh im <^*«rhiitMihtBrowfc»m»
itu ;:--'miii»n m. tirt ua kainfv lehouuai '^«HUft juiMiiiui w^lniffii. ssüamigr ihc 'iac ffinni kü
^r':ini-^ii.liiiit*jii*n. mit iann .bc iii» ^-»rirmTiiy nnr üoiül aütirianr mtt narwwmihshBP imi sas
»!'j<>s -.i-.i*rt«i>ui>ii ri-ihiutiiuziiui iuioiiii wir •na BtanpiAL ^on thTarJMPWrfm CiüaiHw vm. •bbbl
<i*.niu:i««:r* )!>n. .--u',iuii»h>ii ZiuaiiuxiiOLliih<m iaa ftmilnateiL -iisr '3<KhiIpäi noz *bBiL 'iiTanfruitntgw
r.;»»ii-.»*i*ni»niiarr»ii u".i*r Ea^utiiitfr^ *
r>^i t.i^>^ii Tiiir^a Lina^n. ^iids aoi^li iL^r Afr »ane gnseae BoQi^^ Ex ioL
»riii.:.: ^ .1: i{.iiii!i:»*n?ar.'-i, iiHi iiej» zr<:i»(iiL Bt*gcit*ii loatfi^äüirTL omi wie ss mn
.11. r :«*•: 7-".:»*r»!i -vir ii:i»r i.-.iili imnuar --r tan •irzwnzupmia. Acer süim. 1^
r-*^ v.lliuv '7-»f*f.ii;.i*i*.iir^'*7^r2iiA!ii:;M 2w-j»«iiit*ii iSai izi Fraa«ai biaäsziaL wir Be-
r.rr.v. "-•-. riar.r.eu iitr I- i:A-^r iai AüiiiiaeiitiroaiZHhbLe^'»- «iski» £* i*r«f
2.:: ^i-.>ci»M Zti*ui:2:t»iili»»:»ai nii-s irici •".V.ad £z:'i»*n zai:ii FrmciA id Ou&d'm»
.a .i-!!!*:: '-'^'i'-^r.iieü i.-«iii \^rjr. vlü^iz, -HAznL Er ■»?3ählj:
..tn ii*5Hy«ii:iiii*. .J. r.'a*r» ;«» JLuk:: i*«. ;»* t-j o. ;i:iir ;:r*?? :«» Iix^-f^i-k iii C»:*::
nur 1" i:ii* *t!»:riirt :. iirtiuii'.ti L ici:»ir;äiiw^ i "-^i» j*m-ni* :aii-»m. i lifc^iatj* ;~:»&a zz.
ir.:: v*s-'.:-»w;i:i*ri.'.'t» ;i'.'i..' .1* :ii.3j ii» « '.iirji'ijc »^--^ -"M-i ■slala *ilt» rsri^a -uun -e
I.* ■:;•* "■' \^ *!f.r."i «: :". ..i.:-s'.c»s. 2:14 :.- m I2 ::^i .u -^u^- iuju La :ai:iuie. :'j«i jcb. zu
11^. f»i»9^hlfh^ktii«'k^r T.^rki^hr aii 6«>nitn. iS^isUn. T(mMb
"LiA* :.'* ?".:.t*.M.*-.t* :-*:* " ' ,i,*» zzlz ilr??-*c: L*"jirr!i TTfÜ." ii* izri *ja& s* die
▼-.- :*■. /„i.>r;. T^-::i.-^-. i._^^ :T«ä't •T-r.iv ':»»*r.zin:T: Ar: iif Ma^'i.: *r<i3£s»eD.
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118. Geschlechtlicher Verkehr mit Göttern, Geistern, Teufeln und Dämonen. 466
Zeichnung för die semitische Bevölkerung Assyriens und Babyloniens ist.
Die Sumerer waren aber ein nicht semitisches Volk, welches lange vor den
Assyrern das Euphrat-Tigris-Land inne hatte und von Letzteren erst ver-
drängt worden war. Die auf den Thontafeln entdeckten liturgischen Gesänge
tragen eine interlineare Uebersetzung in assyrischer Sprache; einzelne Worte
des Sumerischen vermochte man aber schon damals nicht mehr zu übersetzen.
Darin li^ der untrügliche Beweis, dass die sumerische Sprache schon damals
selbst von den Gelehrten nicht mehr völlig verstanden wurde, und hieraus kann
man auf ihr hohes Alter schliessen.
Unter den Beschwörungsformeln kommt auch die Stelle vor:
Gegen die Dämonen, den Genius, den rabisu, den ekimmu,
das Gespenst, das Schattenbild, den Vampyr,
das Nachtmännchen, das Nachtweibchen, den weiblichen Kobold,
und alles Uebel, das den Menschen erfasst,
veranstaltet Festlichkeiten, opfert und kommt alle zusammen.
Dass euer Weihrauch zum Himmel emporsteige!
Dass die Sonne das Fleisch eures Opfers verzehre!
Dass i^a's Sohn, der Held, dessen Zauber
euer Leben verlängere!
Das Nachtmännchen und das Nachtweibchen heissen sumerisch lillal und
kiel-lilla), das bedeutet «der Bezwingende** oder «die bezwingende Beischläferin".
Dieser Name giebt die Art und Weise an, wie sie sich derer bemächtigen, denen
sie ihre Umarmungen aufdrängen. Der assyrische Name ist lilu und lilitur.
(Lenarmant.) Beide Sprachen erinnern an die Lüith, welche in der Dämonologie
des Talmud einen wichtigen Platz einnimmt. Es war das ein Dämon, mit welchem
Adam in ein Liebesverhältniss trat, bevor Eva erschaffen wurde.
Eine grosse Rolle spielte dieser geschlechtliche Verkehr zwischen Weibern
und allerhand überirdischen Wesen bekanntlich auch in den Heldensagen der
europäischen Völker. Es sei hier zuerst an die verschiedenen Kinder des Zeus
erinnert. Aber auch die merovingischen Könige, und zwar in erster Linie
Meroveus selber, stammen von einem Meerungeheuer ab, das aus dem Wasser
auftauchend sich zu der am Ufer schlafenden Mutter des letzteren legte. In
anderen Fallen nehmen die Geister die Gestalt des Ehemanns an, so dass die Frau
den Betrug erst gewahr wird, wenn er bereits vollendet ist. So wurde der grimme
Hagen von einem Alf erzeugt, so der König Otnü vom Zwergkönig Alberich^
und die Gemahlin des Königs Aldrian empfing von einem Elfen in der Gestalt
ihres Gbtten ein Kind. (Schwartz.)
Auch in dem B ab ar- Archipel in Indonesien besitzen böse Geister die
Macht, junge Frauen in der Gestalt von deren Gatten zu schwängern, und wenn
auf Nias ein Albino geboren wird, so behauptet die Frau, dass ein Teufel der
Vater des Kindes sei. (Modigliani.) Aus Neu-Guinea berichtet Kühn:
«Von einem dritten Götzen, der in Aerfanas stand, erzählte man mir, dass er für
junge Mftdchen nnd Frauen sehr gef&hrlich sei. Wenn dieselben nämlich sich in seiner
N&he onvonichtiger Weise schlafen legten, könnten sie sicher sein, dass sie nach 9 Monaton
einet kleinen Papnas genäsen. Die Männer von Sekar hätten es gern gesehen, wenn ich
diesen Burschen mit mir genommen hätte. Sie hatten einige aus ihrer Mitte dorthin ge-
Mndt, mn ihn für mich holen zu lassen, diese waren aber bis zu meiner Abreise noch nicht
wieder tnrflok."
Dan Ghnben an den Beischlaf mit der Gottheit können wir in allen den
FBkn dp bestehend annehmen, wo wir die Sitte finden, dass das reif gewordene
odiP -— :: I«.- ichreitende Mädchen ihre Jungfrauschaft im Tempel darzubringen
geh 'Vnn der diesen Dienst übernehmende Priester ist ohne Zweifel
T Allerer Zeit fbr eine wahre Incamation des Gottes angesehen
8 «och an die Angabe des Herodot über den ^Thurm 7a\
456 XVT. Das Weib im Geschlechtsverkehr.
Dieses Heiligthum des f,Zeti8 Belus*' schildert er als aus acht auf einander geitellien
Thürmen bestehend. ,Id dem letzten Thurm ist ein grosser Tempel; in diesem Tempel be-
findet sich eine grosse, wohlgebettete Lagerstätte und daneben steht ein goldener TiBch, ein
Götterbild ist aber dort nicht aufgerichtet, auch verweilt kein Mensch darin des Nachtt,
ausser ein Weib, eine von den Eingeborenen, welche der Gott sich aus allen erwfthlt hat, wie
die Chaldäer yersichem, welche Priester dieses Gottes sind. Ebendieselben behaupten auch,
wovon sie jedoch mich nicht überzeugt haben, dass der Gott selbst in den Tempel komme
und auf dem Lager ruhe, gerade wie in dem ägyptischen Theben auf dieselbe Weite,
nach Angabe der Aegypter; denn auch dort schläft in dem Tempel ein Weib: diese beiden
pflegen, wie man sagt, mit keinem Manne Umgang; ebenso auch verhält es sich in dem
lykischen Patara mit der Priesterin des Gottes (A^loJ zur Zeit der Orakelnng, denn es
findet diese nicht immer daselbst statt; wenn sie aber stattfindet, so wird sie dann die Nächte
hindurch mit dem Gott in den Tempel eingeschlossen.*
Auch der oben erwähnte heilige Bock zu Man des wurde von den sich ihm
prostituirenden Weibern ganz sicherlich als eine Personification des Sonnengottes
selbst angesehen.
Fabelhafte, dämonische Thiere als Stammväter ganzer Glanschaften findet
man vielfach erwähnt, namentlich bei Indianern und Polynesiern, aber anch
in Indien und auf den Sunda-Inseln; selbst die dänischen Könige und die
Gothen sollten von einem Bären abstammen, wozu Mannhardt bemerkt, dass
Bjoern ein Beiname Thors gewesen sei.
Eine ganz besondere Rolle spielte im 15. und 16. Jahrhundert, aber auch
noch in viel späterer Zeit, der Glaube an die sogenannten Teufelsbuhlschaften,
und Jean Bodin^ der ebenfalls fest an dieselben glaubte, hat viele Beispiele zu-
sammengebracht, in denen die Weiber ihre wiederholte, oft Jahrzehnte lanff fort-
gesetzte Unzucht mit dem Teufel bekannt und mit dem Feuertode gebüsst nahen.
FQr gewöhnlich geht dieser geschlechtliche Verkehr des Nachts vor sich; man hat aber
auch Frauen , gefunden, welche bey hellem Tage mit dem Teufel ungeheure Gemeinschafft
gepflegt haben, und auf dem Felde offt gantz nackend sind gesehen worden. Ja biasweilen
haben ihre Männer sie mit den Teufeln verkuppelt gefunden, und als sie vermeynet, es wftre
sonsten leckerhaffte Gesellen, mit Prügel auff sie zugeschlagen, aber, leyder! nichts getroffen.*
In Jacob Rueff's Hebammenbuch vom Jahre 1581 heisst es:
,Es sol niemand zweiffein, dass sich der Teuffei nicht möge in Menschliche form vnd
gestalt verkehren vnd verwandlen, auch mit dem Menschen reden. Dann so sich der Tenffel
in eines Engels Gestalt (wie Paulus sagt) verkehren mag, ist es auch möglich sich sa ver-
wandeln in eines Menschen gestalt, das viel malen beschehen vnd offenbar gemacht ist worden.
Ob aber der Teuffei bey den Menschen möge schlaffen oder beiwohnung haben mit den vn-
keuschen werckon, vnnd Kinder bey jhnen pflantzen, muss eigentlich entscheiden werden.
Dass der Teuflei solche weiss möge treiben, bezeuget auch der heilig Augustintis, da er also
redt, Es reden viel davon die, so solche ding erfahren vnd orkent haben, auch jnen begegnet
vnd davon gehört haben, dass da seyen Geister, Sylvani genomt, so den Weibern viel sn leid
gethan haben, bei jnen schlaffen oflt begert vnd vnkeusche werck mit jhnen getrieben. Solches
ist nicht nun allein bey den alten erkant, sondern zu vnserer zeit auch genug^m erfahzen.
Dann allhie ein gemeine Mätz, so zu Nacht von dem Teuffei in Menschliche gestalt beschlaffim
worden, ist angehend« von stund ahn kranck worden, vnnd dermassen der forder Leib er-
brunnen mit dem kalten Brandt, dass kein schneiden darvon nichts geholffen, vnnd vor dem
neundten tag gestorben. Dann sie so elend vnnd jämmerlich ward, dass jr all jr Einge-
weidt aussfiel."
Die Meinungen der Gelehrten waren darüber getheilt, ob solch ein Beiechlaf
mit dem Teufel fruchtbar sein könne oder nicht. Es fanden sich aber doch videi
die die Erzeugung einer „Teufelsbrut*" für möglich hielten. Das sind dann die
Wechselbälge oder Kilkröpfe, die sich durch Missgestalt und ungeheure GefirSsaig-
keit auszeichnen. Die Weiber, welche mit den Teufeln Gemeinschaft hatten,
gaben übereinstimmend an, dass sie deren Samen ganz kalt gefunden haben. Das
ist ganz natürlich, da er nicht irisch ejaculirt ist, denn es ist gestohlener i
lieber Same; „die hyphial tische oder succubische Geister fangen den
118. Geschlechiliclaer Verkehr mit GötterD, Gei«tem, Teufeln und Dämoueii* 457
ea Menschen auff, und behelffen steh desselbigen gegeo den Weibern in Qestalt
,er Aüff bucker/
Rueff tritt dieser Anschauung entgegen:
«Wiewol aber aueb Tiel Leut glauben vnd veroieinen» der Touffel Sueeu^iis möge m
eiblicher gestalt bey einem man wohnen, auch von jm <lie Natur oder den Samen empfiilioM.
vnnd deuBelben bebalten» vnd demnach so verwandte er sich ku einea Manns geetalt, /».lm' <
genannt, vnnd verfüge sich zu den b?>8en Weibern, oder Hexen^ die jm versprochen sind, \h
giesse den solche Natur oder Manns samon in sie, vnd mache sie sciiwanger, daraus denn
nder geboren werden^ so ist doch das alles wider den Christlichen Glanben, wider die Natur^
ch aller vermüglichkeit, Dan ob gleich schon der Teuffei den Männlichen Saraen behalten
kr>ndte oder möchte, «o bald er verschQt wirdt, möcht doch davon nichts lebendig«, guts noch
Naturlicbea geboren werden, ob er achon zu einer Frauwen käme, dieweil er kalt, vnkrefftig^
mit seiner kr^^ vnnütz gemacht, md von hin vnd widertragen verenderet worden vnd
kältet*
Die Erzählungen ?on den Teufelskindern sucht Rue/f auf folgende Weise
erklären, wozu er das Beispiel von dem TeufeUkinde Merlimis heranzieht:
«Das« dieser Merlin hu, wie s^ein Mutter vor dorn König bekennt, von einem Geist em-
aeye, vnd also von jr geboren, \»i nur ein beBchiess vnd trug sol auch von niemandts
bet werden, dann er ein lauter purer Mensch von einem Menschen empfangen vnd
ihoren ist, rechter vnd natürlicher geburt Dann die Mutter den Hexen gleich, treffenlich
»jrrt, vnnd durch den Teutfel betrogen worden» also, dass sie venneint hat, durch einen
"een Traum im uchlaff sie habe Mirlitmm von dem Teuffei empfangen» dieweil sie allen
augenscheinlich mit dem Teuffei, als sie vermeint, gebraucht vnnd empfunden habe. Wie
er die Mutter des Merlini zu «okben jrrthumb, beschiess vnnd trug gebracht aey worden,
il ich nieio einfeltige meinung anzeigen. Nach dem vnd sich die Mutter Merlini dem Teuffei
:ebeo, vnd jn in allen seinen aaohen bewilliget, als alle verzweifelte Weiber, vnnd Hexen
;nn, so dem Teuffei verlobt vnd versprochen sind, bat jr der Teuffei ein solch starke ein*
düng mit fantaseien in jr gemQt eingeben vnd ©ingeworffen, dadurch ihre Siu bezwungen,
sie gemeint hat, er sei bej jr gelegen, dieweil sie jin Schlaff alle Vorbildung des wollusts
pfunden habe. Der Teuftel bat auch jr durch den Trug vn beschiss, auch Kunst, prästi-
ium, jren Leib autJgeblUhet mit Lufft und Athem^ auch andern Dingen, dass sie vermeint
le se/ schwanger. Vnd ao bald die Zeit der betrüglichen geburt kommen ist (das dann auss
verhvngnuss Gottes, von desa vnglaubens wegen nach gelassen) er jren schmertzen vnd weh
in de Leib gemacht vnd den feucbtigkeiLtfn die sie dann gehabt, ausgetrieben vnd bald ein
ander Kind so er vor gei^tohlen» jr verborgenlich vndergelegt, welches dann die Mutter mit
betrogenen Sinnen genommen, vnd also anferzogen habe.*
Dass der Teufel die >lacht habe, Kinder zu stehlen, das unterliegt för Rufiff
keinem Zweifel Er vermag seine Macht auszuüben:
»besonder an denen Kindern, m vngottesfürchtig vnd verrucht Vatter vnd Matter auch
Knecht vnd Ulkgt haben, ja so aller Bdberey vnd vnkeoBchheit ergeben, gern viel Kinder
helffen zu rüsten, tragen vnd bringen aber die mit grotsem mwillen, ziehen auch die obn
alle forcht vnnd zucht. Dann sobald die selben geboren werden, vnd nach jrer art greinen
vnd schreien, so entspricht jnen Vatter vnd Mutter, auch die Dienstm&gde mit fluchen vnnd
schweren, oder so sie nieder gelegt, vnnd auffgehebt sollen werden, es leye dass Tags oder
"aehtä, so segnet man sie in aller Teuffei namen nider, im selben Namen bebt man sie auch
;ff^ das gar vnchristlich ist,*
Nach einer Angabe in des getreuen £cÄ'ar^A'5 ungewissenhaftem Ai'^j-
theker glaubte man im 17, Jahrhundert in Schweden, dass die Hexen dem
Teufel in Biockulle gestohlene Kinder zuführen mussten. Dort hatten sie mit
ihm und die Kinder mit anderen Teufeln geschlechtlichen V'erkehr. Sie machen
dabei eine vollständige Trauungsceremonie durch, deren Formel lautet: , verflucht
«ey, der Über sechs Jahre alt nicht zwei oder drei Männer oder Weiber habe.*
Den sie heiratheu ist ein Bock oder eine Sau, mit welcher sie zwei, vier bis
Iizebn ' ' haben Diese sind halb so gross wie „Christen-Kinder und
hen Al r denen Ratzen gleich, aber kein Haar und feuerrothe Ange-
hter. Ihre Geburt haben sie denen Hexen gleich alle Monat, seclis Wochen
zvrey Monier* r»!« Tonf^^i^i^inder werden sofort nach der Geburt zerhackt,
458 ^^1- ^^ ^oi^ "^ Geschlechtsverkehr.
in einem Kessel gekocht und eine Salbe daraus gemacht, «so hernach ausge-
theilet wird*.
Von jeher hat der Wald als das bevorzugte Bereich der unkeuschen An-
griffe der Dämonen gegen die Weiber gegolten, und die Lüsternheit der Satjpri,
der Fauni und der Sylvani ist ja allbekannt. Es schliessen sich hier die Dum
der alten Gallier und die Forst- und Waldteufel der Deutschen an. Aueh
heute noch müssen die Einwohner mehrerer indonesischer Eilande (Ambon,
Uliase-Inseln, Serang) und zwar die Männer ebenso gut wie die Frauen, bei
ihren Wanderungen im Walde sehr vorsichtig sein. Denn bestimmte Dfimonen
beiderlei Geschlechts hausen dort und zwingen die Menschen, die in ihre Nähe
kommen, zum Beischlaf. Wem das geschehen ist, der stirbt in wenigen Tagen,
da der Dämon seine Seele mitnimmt. Auf Eetar sind diese Walddämonen nar
den Weibern und Mädchen gefahrlich, so dass diese, wenn sie im Walde Holx
sammeln, stets von einer Anzahl von Männern zum Schutze begleitet werden
müssen. Auf den Aaru -Inseln hat der unzüchtige Waldgeist nur Macht über
die menstruirenden Weiber, die in dieser Zeit daher den Wald nicht betreten
dürfen. Einen ähnlichen Aberglauben haben wir bereits weiter oben von Aea
Macusis-Indianern kennen gelernt. Thun sie es dennoch, dann beschlaft sie
der Geist und sie bekommen davon einen Stein in dem Uterus, oder sie mfisaeii
bald darauf sterben. (Riedel^.)
Derartige Anschauungen, welche einen noch ziemlich niedrigen Gulturzustand
verrathen, sind aber auch heutigen Tages in Europa noch nicht abgethan. Noch
immer vermögen zu Dämonen umgewandelte Menschen mit den Frauen geschlecht-
lichen Unfug zu treiben. So berichtet Krauss^:
«Vampire sind nach dem allgemeinon Volksglauben der Slaven, Lithauer und
Deutschen verstorbene Menschen, die als Plagegeister die überlebenden Angehörigen heim-
suchen, um ihnen das Blut auszusaugen. Danach entsteigt der Wärwolf n&chtlicher
Weile dem Grabe, würgt die Menschen in den Häusern und saugt ihr Blut. Der
Wärwolf sucht mitunter sein Weib heim, besonders wenn sie schön und jung ist, und liegt
ihm bei; man sagt, ein Kind aus solchem Beisammensein entsprossen, habe keine Knochea
im Leibe. "^
Ist dieser Aberglaube noch ziemlich unschuldiger Natur, so findet sich ein
für die gesellschaftliche Stellung des Weibes noch viel bedenklicherer nach wn
^VlislocJci bei dem wandernden Zigeunervolk in Siebenbürgen:
.Ein kinderloses Weib wird bemitleidet und gering geschätzt, und ihre Stellung dem
Gatten gegenüber wird mit der Zeit ganz unhaltbar, denn dem Volksglauben der Zigeuner
gemäss hat ein kinderloses Weib vor ihrer Verehelichung mit einem Vampyr ein Liebesver-
hältniss gehabt und dies ist der Grund ihrer Unfruchtbarkeit."
Nach einer Angabe von Glück wird auch in Bosnien und der Hercego-
vina die Kinderlosigkeit der Frau darauf geschoben, dass die Letztere geschlecht-
lichen Verkehr mit dem Busen gehabt habe.
Die Sachsen in Siebenbürgen haben ebenfalls noch den Glauben an einen
Beischlaf mit übernatürlichen Wesen bewahrt, v. Wlislocki^ sagt darüber:
„Der dlf ist in erster R^ihe der AJp, der Geist, welcher dem Menschen leibhaftig er-
scheint und ihn seine Macht spüren lässt. £r kommt in der Nacht zu den Schlafenden and
sucht sie zu erdrücken, ja selbst als Buhlgeist (als Incubus und Succuhus) tritt er auf
Tritt er als Buhlgeist auf, so nimmt er die Gestalt eines Jünglings oder einer Jungfrau an.
Von einer Frau in Mühlbach, die bereits 8—10 Kinder todt zur Welt gebracht hat, tagt
das Volk: .Der alf hot se ämgestälpt" (der Alj) hat sie umgestülpt). Man glaubt, da«
wenn eine Schwangere vom alf ad coitum benutzt wird, dieselbe ihr Kind todt zur Welt
bringe."
Von einem hierb ergehörigen Glauben der Zigeuner ist bereits die Rede
gewesen. Die Letzteren halten aber auch noch andere überirdische Wesen für
fähig, sich geschlechtlich mit den Menschen einzulassen. Auch hierfür ist r.
Wlislocki^ unser Gewährsmann. Er sagt:
460 XVI. Das Weib im Geschlechtsverkehr.
, Ausser diesen erbgesessenen Zauberfrauen giebt es auch solche, die ihre Kunst nicht
durch Blutyererbung erlangt, sondern von den Nivashi- und Pguvush-liexiiAn (Wasser- und
Erdgeistern) erlernt haben, indem sie mit denselben geschlechtlichen Umgang gepflogen. Der
Act selbst geschieht ohne Wissen des Weibes, das erwachend, erst die mit ihr yorgenonunene
Veränderung wahrnimmt und nur dadurch zum Schweigen gebracht wird, daas sie eben der
Nivashi oder P{'uvu8h in den geheimen Künsten unterrichtet. Thut er es nicht, oder schreit
das Weib um Hülfe, so ist er verloren, denn er verliert auf einige Stunden seine Kraft ond
ist nicht im Stande, sich von der Stelle zu rühren, so dass er leicht erschlagen werden kann.
Ein weiter Spielraum für Betrug und Schwindel ist hierbei selbstverständlich geOffnei. So
lebte vor einigen Jahren in Siebenbürgen eine wunderschöne siebzehnjährige Zigeuner-
Maid, die bereits drei uneheliche Kinder hatte, deren Väter jedem anderen, aber nor nicht
dem Zigeuner- Volke angehörten. Sie war deshalb die Zielscheibe des Spottes von Seiten
ihrer Stammesgenossen, ja selbst der Verachtung ausgesetzt, und mit dem Schimpfworte Parm
Lubhi (weisse Dirne) mit Bezug auf ihre Liebeshändel mit «weissen* Leuten, also Nicht-
Zigeunern, benannt. Wir sagten ihr oft und oft, sie möge der Truppe den Rücken kehren
und sich irgendwo niederlassen, um so diesen fortwährenden Gehässigkeiten zu entgehen.
Bei einer solchen Gelegenheit antwortete sie einmal : Ich gehe nicht, ich werde eine Zauber-
frau! Sieh dann, wie mich die Leute lieben! Sie bat mich nun, der Truppe mitzutheilen,
dass ich die nächste Nacht im Dorfe zubringen wollte. Ich that es, worauf sie mich ersuchte,
die Nacht über mich in der Nähe der Zelte versteckt zu halten, und von ferne und unbe-
merkt den kommenden Skandal anzusehen. In der Nacht erwachte die Horde auf ein ohren-
zerreissendes Geschrei. Alle rannten zum Zelte der Pame Lübni, die, am ganzen Leibe
zitternd, den Stammesgenossen erklärte, ein Nivashi habe sie besucht, und dabei auf die am
Boden sichtbaren Hufspuren hinwies. Hierauf warf sie sich auf den Boden, murmelte Zauber-
sprüche und verfiel scheinbar in Verzückungen. Am nächsten Morgen wurde mir der nächt-
liche Vorfall mitgetheilt. Als ich die Leute fragte, woher sie es wissen, dass auch in der
That ein Nivashi die Pame Luhni besucht habe, meinten sie, sie hätte es ihnen bewiesoi,
und ich dürfe sie nicht mehr Pame Lubni nennen, sonst könnte es mir schlecht ergehen.
Wie sie den näheren Beweis für die Richtigkeit ihrer Angabe führte, unterlasse ich aus An-
standsgründen hier zu erwähnen; kurz und gut, von dieser Zeit an genoss sie ein grosses
Ansehen unter ihren Stammesgenossen und ist als Zauberfrau auch bei der siebenbürgischen
Landbevölkerung weit und breit berühmt. Sie heisst Ihatia Dar^!*
Solche ÄnschauuDgen sind nun wohl absonderlich genug; aber unerhört
erscheint es nach unseren Begriffen, dass selbst die Heiligen sich nicht entblöden,
mit den Sterblichen geschlechtlichen Umgang zu halten. So etwas wird von den
Magyaren geglaubt. Es sind die Schatzgräberinnen, die sich dem heiligen
Christoph ad coitum versprechen, wenn er ihnen zu dem gesuchten Schatze ver-
hilft. Sie haben ein besonderes Gebet an den Heiligen, das v. WlislocJci^ in der
Uebersetzung mittheilt.
„Treu gedenke ich Deiner jeden Tag, zu jeder Stunde, damit der Funken Deiner Kraft,
der in mir ist, nicht erlischt, sondern einmal zu einem goldenen Feuer wird, zu einem dia-
mantenen Feuer wird, zu einem Karfunkelfeuer wird, das uns in der Brautnacht leuchten soll !
Hilf mir, heiliger Chnstoph, mit der Macht Deines Hammers! Amen!"
Aber nach dem Glauben unserer Vorväter konnte der geschlechtliche Um-
gang mit einem Geiste auch ein ganz legitimer und von Kirche und Gesetz ge-
billigter Verkehr sein, vorausgesetzt nämlich, dass der den nächtlichen Besuch
abstattende Geist derjenige des in weiter Feme weilenden Ehegatten sei. Man
hielt es nämlich noch im 17. Jahrhundert für möglich, dass die Seele den leben-
den Körper verlassen, in der Welt umherfliegen und nach einiger Zeit in den
Körper zurückkehren könne. Im Jahre 1637 bestätigte das Parlament zu Gre-
noble die eheliche Geburt eines Knaben, der nach vierjähriger Abwesenheit seines
Vaters geboren war, da seine Mutter , zugestünde, dass obgleich ihr Gemahl aus
Teutschland unter 4 Jahren nicht kommen wäre, sie ihn auch nicht gesehen
nocli fleischlich erkannt hätte, so wäre nichts desto weniger gar zu gewiss, dass
sie ihr im Traume die Gegenwart und Umbfassung ihres Gemahls feste einge-
meldet, und alle Empfindungen, sowohl der Empfangniss, als Schwängerung so
accurat gef&hlt hätte, als sie sonsten bey würcklicher Gegenwart ihres Herrn
118. Geschlechtlicher Verkehr mit Göttern, Geistern, Teufeln und Dämonen. 461
empfinden können.*' Eine solche Art der Schwängerung ¥nirde als Lucina sine
concubitu bezeichnet.
In den Sagen der Isländer und der Bulgaren ist von Verstorbenen die Rede,
welche mit bestimmten Mädchen ihre geschlechtlichen Gelüste befriedigen. In
Island war es der verschmähte Geliebte des Mädchens, der dann endlich durch
eine beherzte Frau gebannt wurde. Das Mädchen war aber von ihm schwanger
geworden und kam später mit einem Sohn nieder, der dann, als er erwachsen war,
zur Rettung der Gemeinde erstochen werden musste. (Maurer^ Amason.)
Im Dorfe Orzoja in Bulgarien starb, wie Straiisz berichtet, im Jahre
1888 ein Mädchen, von dem die Leute glaubten, dass der geschlechtliche Umgang,
welchen die Seelen Verstorbener mit ihr unterhalten hätten, ihren Tod herbei-
geführt habe.
Bei den Japanern spielen die Fuchsgeister eine grosse Rolle. Dieselben
können die Gestalt von schönen Frauen annehmen und mit den Männern ge-
schlechtlich verkehren. Sie müssen aber ab und zu ihre ursprüngliche Körper-
form wieder annehmen. Fig. 237 giebt eine Abbildung aus einem japanischen
Bilderbuche wieder. Die gespenstische Frau verlässt nächtlicher Weile das Haus,
und der Schatten, welchen ihr Kopf und ihre Hand, die beide schon ausserhalb
des Hauses sind, gegen die Mauer werfen, lassen keinen Zweifel mehr darüber,
wie eigentlich die Gestalt der Frau beschaffen ist. Das ihr nachkriechende Kind
sieht dieses mit Staunen.
XVII. Die Prostitution.
119. Die Preisgebung der Weiber.
Dass es nicht immer der legitime Ehegatte ist, mit dem die Weiber ge-
schlechtlichen Umgang halten, das haben wir in den vorigen Abschnitten zu
wiederholten Malen schon erfahren. Man war in früheren Zeiten in Deutsch-
land in solchen Fällen schnell bei der Hand, ein Frauenzimmer, die so etwas
that, mit dem Namen einer Hure zu belegen. Das galt dann natürlich als grosse
Schande. Mit solchen Anschauungen darf man in der Ethnologie an das Thema
von der Preisgebung der Frauen nicht herantreten. Denn mancher Yolksstamm
gestattet nicht nur, sondern fordert sogar von seinen Weibern, dass sie sich auf
ausserehelichen Verkehr einlassen; und hiermit fallt dann selbstverständlich jeg-
liche Spur des Beschämenden hinweg.
Mustern wir nun die Umstände durch, unter welchen bei den verschiedenen
Völkern der aussereheliche Beischlaf zur Ausübung kommt, so müssen wir uns
sehr bald überzeugen, dass hierfür sehr verschiedene Bedingungen die Veran-
lassung geben können. Das heisst mit anderen Worten, wenn wir für solche
Preisgebung der Weiber den einmal dafür eingeführten Namen der Prostitution
gebrauchen, so sind wir gezwungen, sehr verschiedene Arten der Prostitution zu
unterscheiden.
Von einzelnen Formen des ausserehelichen Verkehrs ist schon früher die
Rede gewesen. Die Preisgebung einer Braut an den Vertreter der Gottheit, an
den Landesherm oder an einen Beamten, der die Entjungferung der Neuvermählten
an Stelle des Bräutigams zu vollziehen hat, können wir als Prostitution nicht
bezeichnen. Hier ist es doch nur ein einziger Beischlaf, welcher ausserehelich
vollzogen wird ; unter der Prostitution pflegt man jedoch immer nur eine wieder-
holte Hingabe der Weiber zu verstehen.
Eine andere Art der Prostitution, für welche ebenfalls sich die Mädchen
besonders Auserwählten hingeben mussten, aber nicht nur einmal, sondern wieder-
holentlich, finden wir auf einigen Inseln der Südsee. So bildeten auf den
Marianen-Inseln die Ulitaos eine Art von geschlossener Gesellschaft, die nnter
dem besonderen Schutze der Götter stand. (Waitjs^.) Sie lebten uirvermahlt mit
Mädchen aus den vornehmsten Familien, und es galt, wie Freycinet bezeugt, als
die höchste Ehre für ein Mädchen, den Ausschweifungen dieser Männer zu dienen;
ein solches weibliches Wesen wurde sogar höher geachtet, als eine wirkliche
Jungfrau. Aehnliche Vorrechte genossen die Areois auf den Gesellschafts-
Inseln und auf anderen Inseln Polynesiens.
Eine vorübergehende Preisgebung der Weiber, für welche auch kein Ent-
gelt geleistet wird, kann man mit dem Namen der gastlichen Prostitution
bezeichnen. Sie tritt uns in zwei Formen entgegen, von denen die eine unserem
Fühlen und Empfinden ganz besonders widerw^tig ist. Ihre Erklärong giebt
119. Die Preisgebong der Weiber. 4g3
V, Chamisso und es wird dayon noch die Rede sein. Bei der einen dieser Formen
ist es die Dienerin oder die Sclavin, welche dem Gaste f&r die Nacht übersendet
wird; bei der anderen muss sogar die Tochter oder die eigene Gattin des Wirthes
das nächtliche Lager mit dem Gastfreunde theilen.
Mit dem Namen der heiligen Prostitution kann man es belegen, wenn
zu Ehren der Gottheit im Tempel entweder alle Weiber des Stammes oder be-
sonders angestellte Priesterinnen sich dem Liebesgenuss ergeben müssen. Ihr nahe
verwandt und ursprünglich vielleicht sogar aus der heiligen Prostitution hervor-
gegangen ist die festliche Prostitution, d. h. die Preisgebung der Weiber an
besonders feierlichen Tagen.
Die Prostitution als Form der Ehe findet sich bei manchen rohen
Völkern. Lubhock hat für diesen Zustand den nicht gerade sehr treffenden Namen
Hetärismus eingeführt. Er sieht darin einen allgemeinen Gebrauch des mensch-
lichen Geschlechts auf allemiedrigster Entwickelungsstufe, bei dem die Frauen
einer Horde Gemeingut aller Männer gewesen sein sollen. Eine nicht geringe
Reihe anderer Forscher, MLennaviy Morgan^ Post^ Julius Lippert u. s. w.
schlössen sich ihm an. Auch als Gemeinschafts- oder Genossenschaftsehe
hat man dieses Verhalten bezeichnet; ob es aber den Thatsachen entspricht, dass
diese mehr als Prostitution, denn als Ehe zu bezeichnende Verbindung der beiden
Geschlechter überall in der Vorzeit vor der Begründung einer Familienzusammen-
gehörigkeit geherrscht habe, das ist noch nicht endgültig entschieden.
Anders verhält es sich nun allerdings mit der freien Liebe der Unver-
heiratheten, wie wir sie bei vielen Volksstämmen fanden. Diese kann man
füglich wohl als eine Form der Prostitution bezeichnen, wenn auch oft nur einem
Einzigen von dem Mädchen ihre Gunst gespendet wird. Gegenseitige Zuneigung
führt die jungen Leute zusammen, und sie unterhalten mit einander die ge-
schlechtlichen Beziehungen so lange, bis eine gegenseitige Erkaltung eintritt, oder
bis der eine Theil heirathet. Oft gehen sie aber später auch mit einander die
Ehe ein. Hierin findet man nichts Anstössiges, denn es erscheint als selbst-
verständlich, dass erwachsene junge Leute den Geschlechtsgenuss nicht entbehren
können. Auch besteht zwischen den jungen Paaren in den meisten Fällen eine
Art von Treue und Beständigkeit. Hat sich das Verhältniss gelöst, so kann ein
neues angeknüpft werden, und das erschwert dem Mädchen nicht etwa die spätere
Verheirathung , sondern bei manchen Volksstämmen steigern sich hierfür ihre
Aussichten sogar wesentlich, je grösser die Zahl ihrer Liebhaber war, die sie nach
und nach mit ihrer Gunst beglückte.
Nahe verwandt mit diesen Verhältnissen ist das, was man gewöhnlich mit
dem Namen des Concubinates bezeichnet. Dieses ist auch eine Eheform, und
in dem Kapitel, wo von der Ehe gesprochen wird, muss auch das Goncubinat er-
örtert werden.
Dem Concubinate ähnlich, aber doch nicht mit ihm übereinstimmend, war
eine Form der Prostitution, wie wir sie in dem alten Griechenland finden.
Es ist dieses das Hetärenthum, welches man wieder nicht mit dem oben er-
wähnten Hetärismus verwechseln darf. In Griechenland waren die legitimen
Ehefi^uen auf das häusliche Leben beschränkt, und die Männer fanden einen reiz-
vollen Genuss im freien Umgange mit Weibern, welche durch Bildung, Feinheit
des Benehmens und geistvolle Unterhaltung neben der Hingebung ihrer weiblichen
Reize eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf die Männer der höheren Stande
ausübten. Meist waren es Freigelassene, welche den Hetärenstand ergriffen, doch
auch freigeborene Bürgerinnen gingen, durch Armuth getrieben, derartige Ver-
bindungen mit Männern ein.
Die Geliebten des Jlktbiades^ Timandra und Theodata^ bewahrten ihrem
Freunde noch nach seinem Tode ein treues Andenken, während allerdings andere
Hetären lediglich auf Ausbeutung ihres Liebhabers bedacht waren, wie aus den
464 XVU. Die Prostitution.
Hetärengesprächen Lukian^s hervorgeht. Im bürgerlichen Leben Athens spidtea
die Hetären eine grosse Rolle.
An'stophanes von Byzanz führt in seinem Buche die Namen von 185 be*
rühmten Hetären auf, und Solon soll das Hetärengewerbe gesetzlich gestattet haboiii
aus Rücksicht ftür die öffentliche Sittlichkeit; denn er hoffte auf diese Weise die
Ehemänner von dem unerlaubten Umgange mit verheiratheten Frauen zut
halten. Perikles^ welcher, obgleich verheirathet, die berühmte Aspctöia su
Freundin erkor, gab das erste Beispiel und fand nicht wenige Nachahmer.
verkaufte ihre Gunst zu den höchsten Preisen; Phryne konnte mit ihrem
benen Reichthum den Thebanern anbieten, einen Theil ihrer zerstörten Stedk^
mauern wiederherstellen zu lassen. Der Hetärismus war dort ein freies, nidA
durch die Sitte verpöntes Gewerbe.
Diese griechischen Hetären bieten uns in ihrem Benehmen nun B6baä
ein Beispiel iür dasjenige dar, was man gewöhnlich unter Prostitution im enffemi
Sinne des Wortes versteht, nämlich die Preisgebung des Körpers gegen Besamugi
Diese Art der Prostitution pflegt man als die gewerbsmässige Prostitution
zu bezeichnen. Auch bei ihr lassen sich noch mehrere Unterarten unterschrnden,
so z B. die Prostitution als Nebenerwerb, die vorübergehende Prosti-
tution und endlich die Prostitution als Lebensberuf.
So werden wohl annähernd alle Formen, unter denen die Preisgebung des
weiblichen Geschlechts bei den verschiedenen Völkern uns entgegentritt, ihre Er-
wähnung gefunden haben; von einigen soll in den folgenden Abschnitten nodi
etwas ausführlicher gesprochen werden.
120. Die gastHche Prostitution.
Was man unter der gastlichen Prostitution versteht, das habe ich weiter
oben schon erläutert; es ist die Versorgung des fremden Gastes mit einer Bett-
genossin für die Nacht. Man wird in diesem Punkte wohl gewiss demjenigen
beipflichten, was Adalhert von Chamisso hierüber sagt:
„Die Keuschheit ist nur nach unseren Satzungen eine Tugend. In einem der Nstur
näheren Zustande wird das Weib in dieser Hinsicht erst durch den Willen des Mannet ge-
bunden, dessen Besitzthum es geworden ist. Der Mensch lebt von der Jagd. Der Mann aoxgt
für seine Wafion und den Fang: das Weib dient und duldet. £r hat gegen den Frerndn
keine Pflicht; wo er ihm begegnet, mag er ihn tödten und sein Besitzthum sich aneigiMB.
Schenkt er aber dem Fremdling das Leben, so schuldet er ihm turdor, was zum Leben gehOit^
Das Mahl ist für alle bereitet und der Mann bedarf eines Weibes. Auf einer höheren Stufe
wird die GastfrcundKchaft zu einer Tugend und der Hausvater erwartet am Wege den Fremd-
ling und zieht ihn unter sein Zelt oder sein Dach, dass er in seine Wohnung den Segen dM
Höchsten bringe. Da macht es sich leicht zur Pflicht, ihm sein Weib anzubieten, welches
dann zu verschmähen eine Beleidigung sein würde. Das sind reine un verderbte Sitten.*
Solche Sitten sind aber sehr weit verbreitet, und wenn wir die Berichte
unserer It eisenden lesen, sei es aus Afrika, oder aus Asien, oder auch Yon den
Insehi der Südsee, so finden wir in einer grossen Reihe der Fälle auch die An-
gabe beigeiiigt, dass, wo sie freundlich aufgenommen wurden, man ihnen ausser
den Lebensmitteln auch eine junge Weibsperson übersandte. Was ftkr einen Zweck
diese Sendung hatte, das bedarf wohl keiner näheren Erklärung. Hier ist es aller-
dings wohl für gewöhnlich eine Sclavin oder eine der vielen Nebenfrauen, welche
sich dem Fremdling zur Verfügung stellen muss.
Auch in alten Zeiten hat es Derartiges gegeben. In dem Tractate des Talmud,
Abodah Sarah, ,vom Götzendienste", findet sich hierfür ein merkwürdiger Be-
leg, den ich nach EivaWs Uebersetzung wiedergebe:
r Einst sass Mar Jehuda und Bati, S. Tuhi, bei dem persischen Könige Sthabur sor
Tafel; da wurde ein Ethrog aufgetragen. Der König nahm sich davon ein Stück, nnd ein
StQck gab er Jiati, S. Tubi: hierauf nahm er das Mesßer, steckte es zehnmal in die Erde;
466 XVII. Die Prostitutioii.
dann schnitt er ein anderes Stück ab und gab es Mar Jehuda. Daraaf sagte BaH, S. T^Uri:
bin ich denn kein Jude, dass du für ihn zehnmal das Messer in die Erde steckst and flür
mich nicht? Der König erwiderte: ich bin von der Frömmigkeit Mar Jehuda fibeneugt, aber
nicht von deiner. Andere meinen, der König habe Bati geantwortet: erinnere dich, wm da
gethan hast in der verflossenen Nacht."
Der König hatte nämlich in der Nacht vorher ihnen zwei Sclavinnen über-
sendet. Mar Jehuda hatte die seine unberührt zurückgeschickt, Bati aber hatte mit
der für ihn bestimmten Sclavin das Bett getheilt, und daher hielt es der ESnig
nicht für nötbig, mit dem Messer die für einen Juden vorgeschriebene Reinigong
vorzunehmen.
Häufig ist es nun, wie gesagt, die eigene Tochter oder die Ehefrau, welche
dem Gastfreunde überlassen wird. Die Beweggründe für diese Unsitte hat ja
t\ Chamisso klargelegt. Er sprach über die Völker der Südsee. Auch Bougain'
viUe sagt, dass es in Polynesien gar nichts Seltenes sei, dass dem Gh»te die
Ehegattin oder die Tochter angeboten wird.
Aber auch in vielen anderen Regionen treffen wir die gleiche Abscheolich-
keit an. Bindtdph berichtet sie von den Einwohnern Hunsas im westlichen
Himalaya. Erman nuA Krascheninnikow fanden die Sitte, dem Gastfreunde die
Frau zu überlassen, in Kamtschatka, v, Middendorff bei den Samojeden. Bei
mehreren sibirischen Völkern besteht diese Sitte nach Middefidorff noch heute.
Allein wir würden irren, wenn wir nun annehmen wollten, dass bei diesen
Völkern, deren Frauen so wenig unsere Begriffe von Keuschheit theilen, deshalb
die weibliche Treue vermisst wird; die Hingebung des Weibes geschieht nur auf
Geheiss des Mannes, der über seine Frau ein Besitzrecht ausübt und dasselbe ledig-
lich aus freien Stücken auf kurze Zeit einem anderen überträgt.
Bei den sesshaften, angesiedelten Tschuktschen und Korjaken galt es
nach Georgi sogar als eine Beleidigung, wenn der Gast die vom Hausherrn ange-
botene Tochter oder Hausfrau zurückwies.
Die Soegstie halten, wie ' Os^a^ie/' erzählt, es ebenfalls für ihre Pflicht,
ihre Frauen und ihre Töchter den Gastfreunden zu prostituiren. Von den Co-
manche-Indianern berichtet das Gleiche Schoolcraft^ von den Tinne-India-
nern Hearne, Auch von den Eskimos wird es berichtet; sie sind auch wohl
die schamlosesten.
Männer und Frauen Hegen nackt dicht an einander während der Nacht unter einem
Seehundsfelle; dem Gaste macht man Platz, indem man, wie Parry fand, nur ein wenig lu-
rückt. Auch bietet man dem Gastfreunde die Weiber zur Benutzung an.
Uebrigens können hier die Weiber auch verschenkt, verkauft oder verliehen
werden, und sie sind weit davon entfernt, dem Gatten die eheliche Treue zu halten.
Nach Parry prostituiren sie sich in der Abwesenheit ihrer Eheherren.
Uebrigens wird selbst aus Europa etwas Aehnliches berichtet. Mxirrer sagt:
»Es ist in dem Niderlandt der Bruch, so der Wyrt einen lieben Gast hat, dass er
ihm seine Frau zulegt auf guten Glauben."
Somit war dieser absonderliche Gebrauch also weiter verbreitet, als man
vermuthen sollte.
121. Die heilige Prostitution.
Man hat die Yerptiichtung der Frauen und Mädchen, sich im Tempel der
Gottheit an bestimmten hohen Festtagen entweder dem Priester oder den anderen
Festgenossen zu überlassen, mit dem Namen der religiösen oder heiligen
Prostitution bezeichnet.
Eine heilige Prostitution gab es bei mehreren Völkerschaften: in Babylon
trieb man die Prostitution in Form eines Cultus der Mylitta (einer der Venus
analogen Göttin); dort zwang das Gesetz jede Frau, einmal in ihrem Leben Aea
Tempel dieser Göttin zu besuchen, um sich in demselben einem Fremden preis-
121. Die heilige Prostitution. 467
zugeben. Dieser Cultus breitete sich über Cypem, Phönikien und andere
Länder Kleinasiens aus.
Bei den Armeniern mussten sich nach Sfrabo die Mädchen vor ihrer Ver-
heirathung längere Zeit der Anaitis weihen.
Die Griechen scheinen einen solchen Cultus für ihre Aphrodite in gleicher
Gestalt nicht gekannt zu haben; jedoch sind wir über die rituellen Gebräuche
der Aphrodite Pandemos zu wenig unterrichtet und wissen nicht, ob deren Hiero-
dulen ihren Dienst nur vorübergehend zu verrichten hatten, oder ob ihre Anstellung
eine dauernde war. In späterer Zeit scheint allerdings das Letztere der Fall ge-
wesen zu sein, und Lomlyroso schreibt hierüber:
y Hetären hatten manchmal die Stellen der Priesterinnen in den Fenii^-Tempeln inne
oder waren denselben beigegeben, um die Einkünfte des Heiligthums zu steigern; dem
Äphrodite'TQmi^QX zu Eorinth gehörten nach Strabo mehr als tausend Hetären, die den Tempel-
besuchom als geweiht galten. Sehr häufig weihte man in Griechenland der Aphrodite , um
ihre Gunst zu gewinnen, eine Anzahl ganz junger Mädchen; so versprach der Korinther
Xenophon vor den olympischen Spielen ihr fünfzig Hetären, falls er siegen würde, und erfQllte
sein Versprechen, wie das Pindar in der Ode zu Ehren seines Sieges schildert.*^
^0 Herrscherin von Cjprus, Xenophofi ftLhrt in deinen weiten Hain fünfzig reizende
Mädchen; ihr, o schöne Kinder, werdet die Pilger gastlich empfangen; ihr spendet, Prieste-
rinnen der Peit^w, im glänzenden Korint h duftenden Weihi*auch vor Aphrodites Bilde und
betet zur Mutter der Liebesfreuden, für euch spendet sie uns ihre himmlische Huld und
jässt uns auf wonnigem Pfühl die zarte Frucht eurer Schönheit pflücken. Stunden der Lust
gemessen. **
Heute noch treffen wir solche Institutionen bei den Tempeln in Indien an.
Shortt berichtet darüber:
Hindu -Mädchen jeder Kaste können Tempeln zum Tanzen geweiht werden.
Sie heirathen nicht, dürfen aber mit Leuten aus der gleichen oder aus höherer
Kaste sich prostituiren. Es giebt zwei Arten Prostituirter; 1. Thassee oder
einer Pagode attachirte Tanzmädchen; 2. Vashee oder Prostituirte. Die letzteren
leben in Bordellen in grossen Städten, oder in der Nähe von Aracschänken oder
kleinen Tempeln. Die ersteren werden als Kinder mit der Gottheit des Tempels
verehelicht, sie stammen nicht selten aus den vornehmsten Kasten, wenn ihr Vater
in Folge eines Gelübdes sie dem Tempel geweiht hat. Sie erhalten täglich zwei
Tanzstunden und zwei Gesangstunden. Je nach der Bedeutung des Tempels, dem
sie angehören, richtet sich die Höhe ihres Gehaltes. Der Unterricht beginnt mit
5 Jahren, und mit 7 bis 8 Jahren haben sie ausgelernt und tanzen bis zum 14.
oder 15. Jahre 6 mal täglich. Wenn sie auftreten, sind sie reich mit Gold und
Edelsteinen geschmückt. Sie bilden gleichsam eine eigene Kaste mit festen Ge-
setzen. Sie geniessen grosses Ansehen und sitzen bei Versammlungen bei den
vornehmsten Männern. Sobald das Mädchen ihre Reife erlangt hat, wird, wenn
sie nicht bereits von einem Brahminen deflorirt ist, ihre Jungfrauschaft einem
diese Ehre suchenden Fremden für eine entsprechende Summe überlassen, und von
da an führt sie ein Leben fortgesetzter Prostitution mit Fremden. Nicht selten
werden Kinder eigens von alten Weibern aufgefangen, um an weit von ihrer
Heimath abgelegene Tempel verkauft zu werden.
Ueber diese Prostituirten der indischen Tempel findet sich bei Warneck
das folgende Citat:
«Jeder Hindu-Tempel von einiger Bedeutung besitzt eine Anzahl Nautsches, d. h.
Tanzmädchen (Fig. 238), welche nächst den Opferem das höchste Ansehen im Tempelpersonal
geniessen. Es ist noch nicht lange her, dass diese Tempelmädchen fast die einzig einiger-
maassen gebildeten Frauen in Indien waren. Sie wurden nämlich in Gesang und Tanz
unterrichtet, auch besser gekleidet als ihre Geschlechtsgenossinnen ; und als die evangelische
Mission begann, Mädchenschulen zu errichten, so trat ihr das Yorurtheil entgegen, sie wollte
Tempelmädchen ausbilden. Diese von ihrer Kindheit her den Götzen vermählten Priesterinnen
müssen von Berufs wegen sich für jedermann aus jeder Kaste prostituiren, und diese Preis-
30*
468 XVII. Die Proßtitution.
gebung ist bo weit entfernt, als Schande zu gelten, dass selbst angesehene Familien ob Tiel-
mehr für eine Ehre achten, ihre Töchter dem Tempeldienste zu weihen. Allein in der Pzft-
sidentschaft Madras giebt es gegen 12000 dieser Tempelprostitoirten. Ihr Dienst boBehränkt
sich aber nicht auf den Tempel. Die Tanzmädchen sind auch häufig in den H&osem; bei
Hochzeiten, Weihungen oder sonstigen festlichen Gelegenheiten spielen sie eine grosse Rolle:
so ist es auch ziemlich allgemein Sitte, dass man sie einladet, wenn man Fremde zom Besuch
hat, ja Europäer oder Amerikaner laden sie selbst zu ihren Vergnügungen ein nnd be-
schenken »ie reichlich.*^
Fig. 239 führt solch ein Tanzmädchen in trunkenem Zastande ans Bom-
bay vor.
Hier wäre ferner noch zu sprechen von einer Art der heiligen Prostitution,
wie sie an ganz bestimmten Festen . von der gesammten weiblichen Bevölkerang
ausgeübt wurde. Ich spreche davon in einem späteren Abschnitt, in welchem
diese heiligen Orgien gemeinsam mit den erotischen Festen abgehandelt
werden sollen.
122. Die gewerbsmässige Prostitution in ihrer ethnographischen
Ausbreitung.
Es giebt wohl wenige Punkte auf der Erde, wo nicht die Vertreterinnen
des weiblichen Geschlechts gelegentlich auch einem nicht zu ihnen gehörigen
Manne die Freuden des geschlechtlichen Genusses bereitwilligst überlassen. Nicht
überall fordern sie dafür eine pecuniäre oder materielle Entschädigung. Aber bei
nicht wenigen Volksstämmen wird die Preisgebung des Körpers ganz ohne Scheu
benutzt, um sich einen Nebenerwerb zu verschaiSen. Manche fremde Völker haben
nun aber auch wirkliche Prostituirte in der Weise, wie wir sie in Europa an-
treffen, also Frauenzimmer, deren Lebensberuf es ist, sich ftir Bezahlung preis-
zugeben und sich auf diese Weise ihren Lebensunterhalt zu erwerben.
So gab es bei den alten Mexikanern öffentliche Mädchen, doch war
ihr Gewerbe allgemein verachtet; dasselbe war bei den alten Peruanern
der Fall.
In den halbcivilisirten Ländern der Neuzeit tritt die Prostitution in sehr
ungezügelter Form auf: Die Almehs in Aegypten, die Nautsch-Mädchen in In-
dien sind die Vertreterinnen der gemeinen Prostitution, wie bei rohen Völkern
die Puzen auf Java und die Sives in Polynesien.
Auch in Neu-Caledonien existirt nach Moncelon die Prostitution: .Elle
se produit par cas isoles. Elle est toleree, mais meprisee."
Ueber die Prostitution in Neu -Britannien spreche ich in einem spateren
Abschnitt.
Auf den Pelau-Inseln ist die Prostitution eine ganz gewöhnliche Erschei-
nung. Wenn das Mädchen 10 oder 12 Jahre alt ist und noch keinen Mann hat,
so geht sie als ^yArmengol** nach einem fremden Districte und tritt dort in ein
Baj ein, wo sie als bezahlte Maitresse eines Eingeborenen lebt, im Geheimen aber
auch flir Geld mit allen übrigen Männern des Bajs zu thun hat. Findet sie
keinen Mann, so geht sie in ein zweites Baj, ein drittes u. s. w., bis sie endlich
die Ehefrau eines Eingeborenen wird. Eine solche Ehe ist natürlich meist un-
fruchtbar; nach Kuhary ist letzteres bei drei Viertheil der Ehen der Fall. Der
Mann bat eine ebenso wilde Vergangenheit wie die Fiau.
In China ist das Prostitutionswesen sehr ausgebildet; besondere Gesetze
stören die Freudenmädchen nicht. Sie sind in Bordellen untergebracht, die fast
alle mit grossem Luxus ausgestattet sind. Wegen ihrer blauen Jalousien heissen
sie die blauen Häuser (Tsing Lao). In denjenigen Städten, welche wie k. B.
Canton, am Flusse liegen, werden auch eigens gebaute, festgeankerte Schiffe,
470
XVU. Die ProstitutiöD.
sogenannte ^BlumenBchiffe* (Hoa ThiBg), häufig als Bordelle beDot^t. ^Fig. 240J
Die daselbßt beherbergten Madchen siod Sclavinnen des Bordellbi
Zustand, sowie das ihnen meist bevorstehende Schicksal sind wahrli j,
werth. Sie werden gewöhnlich zu ihrem Gewerbe systematisch herangebildel iindj
ebenso systematisch vou ihren herzlosen Besitzern ausgebeutet. Im Alter vool
6 — 7 Jahren müssen sie die älteren Mädchen und ihre Besucher bedienen, in d^roj
Alter von 10 — 11 Jahren lernen sie singen und spielen, auch lesen , sclv "' ind
malen, allein bereits im Alter von 13 — 15 Jahren werden sie von ilu rm
gewinnbringend ausgenutzt, zunächst noch ausserhalb des Hauses, nachher aber
in dem Institute selbst. Bis dieses eintritt, vergehen 2 — 3 Jahre* Diese ms-
glücklichen Wesen verwelken früh; dann sieht man sie in allen Strassen der
grossen Städte sit/en, um vorübergehenden Soldaten und Tagelöhnern tje-
ringes Entgelt die zerrissenen Kleider auszubessern. Nach ofticieÜeii len
gab es im Jahre 18öl in Amoj, einer Seestadt mit 300000 Einwohnern,^
3650 Bordelle, welche 25 000 Mädchen beherbergten.
Flg. 340, OhineBlscheii Hltinietiichlff. (Naoh einem ebineiUobeD AqnsreU.)
In den alten Geschichten Chinas spielen diese , Blumenmädchen *, d. h, die!
Insassen der auf dem Wasser schwimmenden eBlumenböte*, ungefähr die gliTipbr»
Rolle, wie die vornehmen Hetären in Griechenland. Sie sind der Inbegriff |
aller Schönheit) guten Erziehung und Bildung, die die männliche Jugend anfmcht«
um die eigene Bildung zu vervoUstündigen. Auch heute noch besteht diese Kn»
richtung, und theils in den Blumenschiileu, theils in den blauen Häusern werden
Gäste empfangen. Arme Kinder werden gestohlen oder von ihren Eltern Ter- 1
kaatl, um hier lediglich zur Prostitution herangebildet zu werden. Aber das
Ideale, was frUher dieser Einrichtung einen veredelnden Anstrich gab, ist bmite,|
wenn wir CoIqnfioun*s Schilderungen Glauben schenken dürfen, vollst&iidir
loren gegangen. Er sagt:
,Von den Mildchoii haben miiDche r - rnohrao Züge und ein ' a,
»her aio Bind sUm tut bch im höchsten Grade u l und kÖTurcn wod«^r M* co,
gwichweig« denn Lieder iutproviBiren, wie nm in der ^uUsn all toüaiL
In) Norden findet tuun AlUrding«! wi« t'> lu?i^-t, auch beutikMii '.l:1;<m.
welche diese Kunst ven)t«ihon* Nur die nthche l
Familien ti^ he riÄ kann vefininrTii.n' T>fluio >► n Jii> Cr
t^: Dtä gew^^rbsmaisfgd FrosiiiutioD m ihrer otbnographiBcben AoaLreilüng. 471
en aufzusuchen, wo da« einfÄltigBte Spiel, da^ i» Italien gebräuchliche Morrai die einzige»
rech*laiig in den Gesäugen aud kindiachen Scheraen bildet,'
Pig. 241 zeif^k das Innere eines solchen Blumen bootes.
Ganz anders klingt es nun freilich, was uns der Militär-Attache der chine-
aiscfaen Gesandtschaft in Paris^ Herr Tscheng Ki Tong^ hierüber erzählt:
,Gowifi8e Reisende halben es sich in don Kopf gectetzt, jene mit dem Namen Bluiuen-
schiff beÄeichneten Fabrzeage, welche sich in der Nahe grosser Städte «eigen, ak Statten der
AuaschreituBg su scbildem, Das i&t durchaus unrichtig. Die Blumenachiffe verdienen diesen
Fig. 241. InnGt«« ein« c]iiii«siscbeD Bliim«aboat6B. (K»ob Seh/rgeL}
[Huf eVion80 wenig, wie die Concertaale Europas. Kb ist dies ein Lieblingsvergnügen der
chine4i*ichen Jugend. Man veranstaltet Wasserpartien hauptsächlich Abends in Gesellschaft.
IvoD Frauen^ welche die Einladung dazu annehmen. Diese Frauen sind aicht verheirathet ; sie
sind muaikaligch, und aus diesem Grun«le werden sie eingeladen. Will man eine Partie ver-
[anstalten, so findet man an Bord Einladungskarten, auf welchen man nur »einen eigenen
Namen und den der Künstlerin und die Zeit der Zusammenkunft aussufQllen braucht. Es
ist dies eine sehr angenehme Art, sich die langsam dahinschleichende Zeit %\x vertreiben. Man.
findet auf dem Schiffe Alles, was ein Feioscbn t>n kann, und die GeaelUcbaft
der Frauen, deren harmonit^che ^Stimmen in ^ u melodischen Tönen der In«
472
XVI L Die Prostitution,
stramente bei einer Toöde ¥cyiilicli daftenden Theea die Abendfrieclie beleben^ wird mehi a1»
eine n&ebtliche Anaschweifung betrachtet/
,I)ie Einladungen gelten nur für eine Stunde, Man kimn die Zeit jedoch aQsdfüioeit,
wenn die Frau nicht anderweitig engagirt ist; — natürlich masi das Honorar danss r^r-
doppelt werden. Diese Frauen werden in unserer Gesellschaft nicht in Bezug auf ihre Sliteti
beuriheilt: sie können in dieser Hinsicht sein, wie äie wollen; das ist ihre Sache. . . . Drr
Reiz ihrer Unterhaltung wird ebenso hoch geschätzt, ak ihre Kunst. Wann man
von diesen Zasammenkünften etwas anderes behauptet, so ist am einfach eine F&lBcliaag
der Wahrheit.*
Nachher wird aber zugegeben, dass der Platonismua, den uns dieser Cbine«e
glauben machen mochte, doch auch nicht Yon absolutem Bestände ist.
Die Hak-ka im südlichen China, bei denen, wie wir früher sahen, di«
Tödtung der neugeborenen Mädchen gewöhnlich ist, unternehmen, wie Eitel be-
richtet, Raubzöge über die
Grenze nach Tonkin hinetii«
um sich mit Weibern zu ver-
sorgen;
«Lea plus jolie« sont Tv4^nttm
aus maisona de profitituti»n de Oaii-
ton, et leor prix est de beauooup
fiup^riear a celni des auti^* Ob las
place encore comme eervaiites dmxm
lea nombreusee aaberges qui jmloQ*
nent lea grandee routes dt Chlni»
et 011 le vojageur peut tonjour», poiir
une somme dörisoire, 100 sap^qu««
environ, troaver de Teau ei da feit
pour faire cuire aon ris et pateer lii
nuit ä couvert, Le» propri^talrtie d««
aubergeB joignent i\ cotin indiMri«
peu Incrative eelle du proxtfo^Usm^«
et beaucoap de femmott voIm au
Tonkin v <nUjr leperMknaol
de ces eta s.'
Auch die Japaner b^
treiben die Prostitution '^"
4 rossen Stil :
.Man klagt aU ^ «tr
tichlimmon Verbreitung <j iii-
tion in Japan die grotae Loeknriimi
der Ehe, iniibeaondern das lUciit dm
^faniies an, leine Frau noch BeU»Uoii
zu rerlaesen« Wenn in Japan »in«
Fran von ihrem Manni* yfintocMii
w^rde, fro gebt si« unrettbar dem
Elende entgegen, aobald nie nicht
' •^':nht
Lh
Lrf»
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-•->1
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Flg. 243. CurUaMien von Yoddo In einer BArkc.
Z*iithnüng von Ji^f^kuHi /. {K»cli dm,»*
im HauBe ihrer Eltern «i
zM finden vnmiiLg. In
"greift sid zum letj^ten verzweifelten Mittel, um ilire Existenz zu fristen, sie v
Tochter uro einen niedrigen IVeia an eines der ProstitutionshÄuaer, die anter
Th ©ob Unser oder (innldrcii! unter dem Schutze der Regiemng stehen. Youhiwiir;
felder) nennt man in Jitprin die Htadtthoile und oft auch die einr.eln»n, m
niaftmäMiig AphrmliU gewidmet iind. Nach dem I «
welche die genau kenneu, erscheint \r\ Japtin r!
Fnwienadmmer n t» Stufe, wie in unseren gtv
werden die Bew ra« vom bei»fteren Theile dr
achtet, sondern doch, da*« «ie nicht au* eig«n«r Schuld w
ihrem niedrigen .. ^.„^ w;.Uem nach dem wriim, ihr.^r Fitom mUr t^
474
XVII. Die Prostitution.
von der einen heisst es: «Sie hat ihren Korper befleckt, aber nicht ihr Herz*
und sie wird als «der Lotus im Moraste ** bezeichnet. (Mihi Tei^chi.)
Fig. 242 zeigt uns Prostituirte vornehmeren Ranges aus Yeddo nach einer
Zeichnung von dem japanischen Maler Toyokuni L
Als einen der Namen, mit denen die Japaner ihre Gurtisanen zu bezeichnen
pflegen, führt Herr Dr. F, W, K. MüUer^ den Ausdruck Keisei an, welcher nadi
Sen-urier «citadelles deversantes ou fragiles'' bedeutet. Müller sagt: «Keisei ist
die japanische Aussprache der chinesischen Ideogranmie k*ing-6*^ng. Letz-
teres ist eine uralte Metapher der Chinesen zur Bezeichnung der Frauen-Schönheit
und der Gefährlichkeit dieser Schönheit.*
Selenha schreibt über die Prostitution
in Japan:
«Die Hässlichkeiten, welche in etlichen Thee-
bäusern der Hafenstädte gangbar geworden, sind
keineswegs national -jap an is ob and wurzeln nur
in der Gewinnsuebt einiger geldgieriger Unter-
nebmer. Dagegen ist die Scbaar der professionirten
Halbweltdamen in den Städten eine ständige Kaste,
sanctionirt durcb alte Sitte und Gewobnbeit, indem
unbemittelte Eltern ihre Töcbter an Häuser be-
denklieben Rufes verkaufen. Obne Murren fügen
sich die armen Mädchen in ibr Geschick, denn
die tiefgewurzelte confucianiscbe «Pietät gegen die
Eltern '^ macht die Kinder zu deren Sclaven. Die
grösseren Städte Japans besitzen meist besondere
Strassen mit glänzend eingerichteten Häusern, die
Yoshiwara, in deren Parterre die Halbwelt mit
bunten Kleidern angethan hinter Holzgittem den
männlichen Besuchern als Waare ausgesteUt ist.
Da diese Mädchen ein wenig Erziehung gemessen,
finden sie in der Regel einen Gatten, wenn auch
geringereu Standes, und gelten nach der Ver-
beirathung als ehrbare Frauen. Sind sie doch
selten an ihrer Lebensweise selber schuld. In
Kioto gewahrte ich eines Tages ein junges Mädchen
inmitten eines grossen Zuschauerkreises. Sie war
soeben „eingekleidet*, trug seidene, bunte Gewänder,
einen ganzen Heiligenschein von goldenen Nadeln
im Haar, und wurde in den Strassen umherge-
führt, um die Aufmerksamkeit der Männer auf sich
zu lenken. Die angehende Halbweltdame schien
mit ihrem Schicksale gar nicht unzufrieden zu sein *
Die soeben erwähnte ungeheure Zahl
von Haarnadeln macht in den japanischen
Fig. 244. Laterne, Schirm und , Wappen- einer Abbildungen fiir gewöhnlich die Prosti-
(Nach Ällpa nU^^H^z^hnitt.) tuirten kenntUch. Ausserdem pflegen sie aber
auch die eigentlich für das Hintertheil be-
stimmte grosse Schleife sich nach vorn auf den Leib zu schieben.
Eine berühmte japanische Gurtisane wird vielfach in japanischen
Büchern dargestellt. Fig. 243 zeigt sie uns nach Yoshitoshi aus einem japa-
nischen Farbendruckwerke vom Jahre 1892, welches sechs und dreissig wunder-
bare Begebenheiten behandelt. Sie wandert im Mondschein über das Feld, den
Kopf mit einem grossen Tuche verhüllt. Unter ihrem linken Arme trägt sie eine
aufgerollte Matte. Diese ist dazu bestimmt, ihr bei der Ausübung ihres Berufes
als geeignete Unterlage zu dienen. Angeblich verliess sie niemals ihr Haus, ohne
diese Matte mit sich zu führen.
128. Die tempor&re, gewerbsmässige Prostitution. 475
In den grösseren Städten ist an den Häusern der Prostituirten eine Laterne
aufgehängt, welche mit dem Wappen des betreffenden Mädchens geschmückt ist.
Es giebt besondere Bücher, in welchen diese Laternen, sowie die „ Wappen ** und
der Schirm, der der Prostituirten vorangetragen wird, nach Art eines Verzeich-
nisses abgebildet sind. Fig. 244 giebt eine Probe aus solchem Yerzeichniss für
die betreffenden Mädchen in Tokyo.
Eine gelegentliche Hurerei ist, wie gesagt, ausserordentlich verbreitet.
Alle Reisenden in Polynesien stimmen darin überein, dass den europäischen See-
leuten Mädchen und Weiber durch deren Brüder, Väter oder Gatten zum beliebigen Gebrauch
für geringen Entgelt angeboten werden. Die Weiber schwammen nackt zum Schifife und
stiegen an Bord, und ihre Väter oder Brüder instruirten sie über den Preis, für den sie ihre
Gunst hingeben sollten.
Elton sagte von den Salomons-Inseln: Von allen ihm bekannten Einge-
borenen sind diejenigen von Ugi und Ghristobal die faulsten, habgierigsten
und unmoralischsten. Alle jungen Weiber, von der Häuptlingstochter bis zur
Sclavin, prostituiren sich, und in Ugi ziehen die Männer für die Ehe ein Mäd-
chen vor, welches in dem Geschäfte gross geworden ist.
Auf den Haawu-Inseln im malayischen Archipel hat es nach RiedeV
für den Fremden keine Schwierigkeit, für ein Spielzeug oder ein Geschenk mit
einem noch unbefleckten Mädchen zu cohabitiren.
Die Männer der Haida-Indianer unternehmen mit ihren Frauen all-
sommerlich „Speculationsreisen nach Victoria, woselbst jeder von beiden auf
eigene Faust sein Glück macht, und sie dann gemeinsam wieder heimkehren. Die
traurigen Folgen äussern sich auch bei den Weibern in verderblichen Krankheiten.*^
(Jacohsen.)
Bei den Burjäten giebt es keine Frau und kein junges Mädchen, die nicht
bereit wäre, ihre Reize für klingende Münze preiszugeben. Eine Folge der ge-
schlechtlichen Ausschweifungen sind geheime Krankheiten, welche in den Jurten
der Kerschinsker Steppe grassiren, fast unheilbar sind und viele Opfer dahin-
raflFen. (Albin Kohn.)
Bei einigen Volksstämmen geht es so weit, dass die Weiber eigens von ihren
Männern des Erwerbes wegen zur Prostitution gezwuugen werden. So heirathen
z. B. nach Harrehomee im Lambongschen Distrikte auch viele Männer zweite
und dritte Frauen, um sie gegen Bezahlung auszuleihen.
Auch fast überall im äquatorialen Afrika betrachtet man das Weib als
lucrativen Besitz, dessen Reize noch mehr eintragen sollen, als die Arbeit des
Sclaven. Daher sind die Ehemänner gern bereit, ihre Gattinnen dem Ersten Besten
zu überlassen, ja sie ihm anzubieten; denn ist der Fremde reich, so wird er zahlen,
ist er aber arm, so wird er der Sclave des Gemahls. Sprödigkeit gegen einen
freigebigen Liebhaber würde der Gemahl seiner Gattin mit dem „Kassingo'' in der
Hand bald austreiben.
Wissmann schrieb aus dem Congo-Gebiete:
^Der schlaue Songo sendet oft sein Weib am Abend in das Lager eines Händlers und
wartet, in der N&he verborgen, bis der Verabredung gem&ss, wie um zu handeln, sich die
Schöne in die Hütte eines Tr&gers begeben hat. Dann erscheint er sofort, um den Träger
wegen Verführung seines Weibes anzuklagen und von ihm, je nachdem die Karawane gross
oder klein, friedlich oder dreist auftritt, Bezahlung für das ,Milong^* zu fordern.*
123. Die temporäre^ gewerbsmässige Prostitntion.
Ganz sonderbar muss es uns anmuthen, wenn wir von einigen Volksstämmen
erfahren, dass bei ihnen die gewerbsmässige Prostitution von den gesammten
Mädchen des Stammes ohne Annuilmie ausgeübt wird. Das dauert aber nur eine
476
XVll Die Profltitution.
bestimmte Zeit, und wenn sie genügenden Hurenlohn erworben, dann g^ben siel
diese scbmäbliche Bescbäftigung auf und kebren in das bürgerliche Leben surück,
um nun einen ehrbaren Wandel zu fübren:
Herodot erzählt schon von den L y d e r n :
tiEs hubeu die Ljder dieselben Gebräuche, wie die Hellen en« tiusfior dam M üum .
Töcbter Hurerei treiben lassen. Bei dem Volke der Lj der geben alle die Töchter Hieb prci«,
um eine Mitgift damit zu gewinnen, und sie thun dien, bia sie sieb verheirnthen^ indet;^ tje
sieb selbst ausstatten. Bewunderungswürdige Gegenstände zur Aufzeichnung, wie sie wohl »uch
in anderen Ländern vorkommen, enthalt das Lj die che Land gerade keine, auAgenomtnen
den Goldsand, der von dem Tmolua herabgeführt wird. Nur ein Werk findet sich datfilb^i.
bei Weitem das grosseste, mit Ausnahme der Aegyptischen und Babylonischen Wtsrke;
dort nämlich ist das Grabmal des Alifatk»^ des Vaters des Kröiewi, dessen Grundla^ i^ui
grossen Steinen besteht, der übrige Theü aber ist ein Aufwurf von Erde. Es hatten daoMlbe
Ptg. M5. JOdGheu »u
aufgeführt die Marktleu te^ die Sftolen standen noch bis auf mein« Zeit nben uuf dem Oiubanl
und war an denseJben In Schrift eingegraben» was Jegliche gearbeitet hutien an dam Bau.
Und wenn man es ausmaas», so erschien der Theil, den die Dirnen gearbeitet batlitp, aU
der grosseste/
Gauz ähnlich^ wie mit den Lydi sehen Mädchen, verhält es »«ich auch bmito
noch mit dem algerischen Stamm der Uled Kail, von deren Verir^teritioca
die Figuren 245 und 246 Beispiele vorführen. Der alte Seh riflst eller Vttleriuä
Maxinms betont die V ' des V^ ■ '^ua, dem die 1'T
all* Sicca Veneria b*
egetid b
Nach ibju
.st
Frauen aus guter Familie von allen Theilen der Provinz hierher zu begeben, um
hier durch Prostitution ihrer pr- - -rh eine ihrem Gatten zuzubringende Mitmft
za erwerben und ao das «ch e Gewerbe ala Mittel zu einem ebrUcoeii
Zwecke auszubeuten. Die alte btuüt :Si«'ca lag in dem Gebiet, v^»' ' *U
Goff oder Keff bezeichnet wird. Hier wohnen jelit die Uled N d
123» Die temporäre, gewerbsmllseige Prostitution.
477
sagt, dass sie dea bedeutendsten Araberstamm der Sahara bilden, and berichtet
von ihnen:
yLee Ould'NaTl Bont la plös convid^rable do cca tiibus. Ils 96 diviflent an deax grnndes
fraciions nommeee, h. caiiae de leur position, Cheraga ou de Test et Eeraba ou de Touest.
lU sollt industneux et commeryanta, bona et hofirpitaliers, mais de moeurs forte dissolues.
Leora filles, tr^t*r^put^e« pour leur beautt^, jouiisent du triste privilege d'etre Bacrifi6es, d^9
ieur tendree anneeä, ä la Venus banale. La Prostitution dans cette tribu est une v6ritable
institution. ChaquG fille, avant de se marier, ira, en coinpagiüe de aa m^re ou d'une eoeur
afnee, se livrer aux caresaes publique«. Apr^a avoir (jIus nn moina cauru, elles rentrent dona
la tribu, acb^tent un troupeau, et tost d^autaDt plus aures de trouver un mari que la aoninie
qu^elles ont ramasa^e est plus ronde. Cet eonrüaaneB de TAlg^rie «ant en m^me temps de«
danseuBea fort reput^ee.*
W
^4
f'^Ä«^
m
.<»krft (Algerlan). (Smeh FhatogrnphI«.)
Auch V. MaUzan hat diesen Stamm besucht und sagt von ihm:
, Dieter uralte Sitten zug dprNumidier lebt nocb beute bei den Stämmen der Sab ara
fort. Die Mädcben Yom Stamme der Ouhid KäjK Najrliya genannt, und auch solche Ton
anderen St3Lmmen. pflegen aicb in grosaer Anzahl in die vielfach von Fremden und Nomaden
beaucbten Oasen-Städte zu dem Zwecke zu begeben, um dort mehrere Jahre das Geschäft d
einer Alma (ursprJin glich Tänzerin) zu betreibeni bii sie eich so viel erworben haben, um alt {
vermögende Frauen in ihrer Heimatb einen angesehenen Gatten bekommen zu können; daa <
gelingt ihnen auch fast immer, da der Wüsten bewohn er nur auf die Gegenwart, nicht aber
auf die Antecedentien seiner Frau eifersüchtig zu sein pflegt.* i\ MalUayi kannte hochange- J
tehene algerische Stamm es- Häuptlinge, mit franiösi sehen Orden geschmücktT welche
aich gar nicht schämten, eine solche Frostituirte zu heirathen^ um aus dem von ihr so
schändlich erworbenen Gelde Yortheil zu ziehen.
Diese Erscheinungen sind so eigener Art, dasa sie eine besondere Mittheilung
verdienten.
Khodja Omer Ilaleby sagt hierüber:
,La K'ah'ba (la prostitution) e»i contxaire aux loia de VUlam et aux principe« moranx
'de pudeor qui doivent nous diriger dans nos relatious avec la femme. Aussi cette proatitutioo
478
XVil. Die Prostitution.
de la femme etait-elle inconnue pendant les premiers siäcles qui suivirent la pz^dieation de
Moliamed. Si donc on trouve aujourdliui , dans une tribn de TAfriqae sonmiae auz
Fran^ais, des filleR qui vont faire commerce de leur corps dans les grandes villes, pour
revenir apr^s se marier et s'installer dans lear pays, il faut ne voir dans ce fait qa*im ezemple
d^plorable de la profonde ignorance dans laquelle sont tomb^ plusieurs de not fr^res et de
nos soeurs.*
124. Zur Geschichte der gewerbsmässigen Prostitution in Europa.
Ueber die Geschichte der Prostitution hat Diifoiir ein Werk von sechs
Bänden verfasst. Der Leser wird daher nicht erwarten können, dass ihm in dieser
Beziehung hier bei dem so knapp bemessenen Räume etwas Erschöpfendes geboten
werden könne. Es ist nur eine flüchtige Skizze, welche ich zu geben im Stande
bin. Aber doch kommt sie vielleicht nicht unerwünscht. Denn gerade in den
civilisirten Ländern haben sich wohl auf keinem Gebiete die jeweilig herrschenden
Anschauungen so wesentlich geändert, als bei der gewerbsmässigen Prostitution.
Bald auf das Aeusserste geächtet und verfolgt, bald von den Fürsten, den
Magistraten und dem Clerus ganz besonders beschützt
und gefordert, dann wiederum nur eben geduldet
und durch strenge Polizeimaassregeln im Zaume ge-
halten, hat sie doch ihre zähe Lebenskraft bewiesen,
die sie bis heutigen Tages in Blüthe erhielt. Sie
spiegelt ein Stück Culturgeschichte wieder, wie es
wenige andere Dinge vermögen. Wer sich aber ge-
nauer zu unterrichten wünscht, dem werden ausser
dem bereits citirten Werke von Dufour auch noch
die Schriften von RabiUaux^ Didaure und Lombroso
befriedigende Belehrung bieten.
In Griechenland und speciell in Athen, ist es
Sohn gewesen, welcher die Prostitution einführte; und
auch das Hetärenwesen, von dem wir schon sprachen,
war doch im Grunde nichts anderes, als eine dem
Culturzustande des Volkes entsprechende verfeinerte
Prostitution. Wenigstens kann man Personen, wie
die Fhryne^ etwa als ein Analogon jetziger Zuhälte-
rinnen oder femmes entretenues auffassen, die nur so
lange einem angehören, als derselbe sie bezahlt. Und
daneben bestand bei den Hellenen in arger Weise
die gemeine Prostitution, wie aus mehreren Stellen
des Aristophanes hervorgeht. Von den öffentlichen
Dirnen und den Wollusthäusern wurden gesetzmässige
Steuern erhoben zum Besten von Tempeln u. s. w.
Wie in Griechenland, so trug auch in Rom der Venus-Cult nicht wenig
zur Ausbildung des Prostitutionswesens bei. Die Römer hatten öffentliche
Freudenhäuser (Lupanaria und Fomices), sowie selbständige Lustdirnen (Meretrices
und Prostibulae), und in ihren Bädern pflegten sich feile Frauen einzufinden, um
die Sinnlichkeit für ihr Gewerbe auszubeuten. Ein solches antikes Bordell ist in
Pom))eji wieder aufgedeckt worden. Man muss aber erstaunen über die ausser-
ordentliche Engigkeit und Kleinheit der Räume.
Der keusche Sinn, die Sittlichkeit und Ehrbarkeit, welche den Frauen und
Mädchen der alten Germanen in hohem Grade eigen waren, gingen zu einem
grossen Theile mit dem Eindringen römischer Cultur und in der Berührung mit
anderen Völkern verloren, und an der sich steigernden Entartung der Sitten im
Mittelalter nahm das weibliche Geschlecht einen hervorragenden AntheiL DJa
Prostitution nahm ausserordentlich überhand, trotzdem die christlichen Gesefe
Fig. 247. Italienische Curtisaue
aus der Zeit Papst Pitts K
(Nach Cfsar,: l'ccfiiio.)
12i. Zur Gefichichte der gewerbsmässigen Prostitution in Europa.
479
id Regenten dem Uebel anfangs energisch zu steuern suchten. So gab Karl
Grosse in seinen Capitularien das erste Beispiel eiserner Streng© gegen die
Lustdimen und diejenigen, welche sie Termietbeten. Friedrich L Barbarossa
rerbot in den auf seinem ersten Heeresznge nach Italien im Jahre 1158 er-
lassenen sogenannten PViedensgesetzen den Kriegsleuten bei strenger Strafe, Dirnen
bei sich im Quartier zu haben; den betroffenen Weibspersonen wurde die Nase
abgeschnitten. Aber trotz aller Maassregeln, mit welchen die Unzucht verfolgt
rurde, war doch nichts häufiger in allen Städten als liederliche Frauen und Frauen-
Häuser. Und hierzu trugen die Kreuzzüge wesentlich bei. Dann entstanden jene
igdalenenorden, von denen Sprengel
dass jedes Mädchen, die des sinnlichen
Genusses überdrüssig war, in einen solchen
)rden eintrat, um mit Geschmack und Aus-
rahl ihren Vergnügimgeo nachgehen zu
)unen* Im 12. und 13. Jahrhundert er-
lessen die Städte Regulative für die ofl'ent-
ichen lläuser, so Augsburg 1276 unter dem
Titel .Verordnung der fahrenden Fräulein*.
>ie coneesaionirten Wirthe solcher Häuser
zahlten grosse Abgaben; in Wien gab es
zwei Frauenhäuser als landesherrliche Lehen,
eren Insassinnen dem Kaiser bei seinem
Einzüge feierlich entgegenzogen.
Johanna J., Königin beider Sicilieo
und Gräfin von der Provence, stiftete ein W • '^ST^
lenirtige^ Mädchen kloster in Avignon. Sie
rar damals 23 Jahre alt. Die Statuten des-
elben sind noch erhalten und werden von
Yreudenherg wiedergegeben. Es heisst darin:
,1. Im Jabr@ 1347 d^n 8. August bat unsere
jte Königin Johanna erlaubt * ein Miidcben-
tlonter zum Vergnügen des PablikumB in Avig-
non tM errichten. Sie will nicht zugeben, dosa
ite Weibsloute aich in der ganxen Stadt
I. sondern äie befiehlt ihnen« sich in dem
»Hein aufzuhulten, und üe will, dosa sie,
m kenntlicb xu seyn, auf der linken Schulter einen
Dthea Ne«tel (Hiische) ü^en.
2, Wenn ©in Mädchen einmal schwach ge-
freiten ist und auiä Neue fortftibrt, scbwacb werden
vollen, so soll sie der Gericbtsdiener bei dem
krme nelimen and unter Trominclacblug, mit der
»then Masche auf der Schulter, durch die Stadt
Ibren und in daa Haus bringen, wo ihre küuf-
^en Gespielinnen vereamuielt aind. Er toll ihr
rbieten, sieb in der Stadt antreflen 56u laaien, bei
fife im ersten üebertretungsfall im Gebeimen gepeitschet, im zweiten aber dffentlicb mit
iitben gestrichen und des Landes verwiesen zu werden.
3, .... * Es soll eine Tbiir daran angebracht werden, durch welche Jedermann ein-
eben könne: nbrr sie soll verschlossen bleiben, das« keine Mannesperaon ohne ErlaubniÄS der
^ alle Jahr durch den Stadtrath neu zu erwählen ist, die genestelten
Die Aebtissin soll den Schlüssel in Verwahrung haben, und die jungen
keinen LUrmen su erheben« noch die Madchen zu qu&lea; denn bei
^. .^-. -.e erhobenen Klage müssen solche «ogleich in den Thurm zum Verhafl
4, r^*^* u*r^^,*u WlK^ ,5* <jt4^ an jedem Sonnabend die Äebtiaain und ein rom Rath
*>lhller ^ han untersuchen sollen i und wenn sich darunter eine Jindet,
Iv
'1./
Fig, '248. TrossweH».
(Nftoh elDcm anonymen Sttcb «tes IC. J»lirb )
(Nach //trik:)
480
XVII. Die PitMtitatioii.
die mit einem ani dem Beischlaf entspringenden üebel behaftet ist, so soll man ne Ton den
Uebrigen absondern und in ein besonderes Gemach thnn, damit eich Niemand ihr nfihere. mid
der Ansteckung der Jugend vorgebeogt werde* n. s. w.
Dieser letztere Paragraph ist von ganz besonders gprossem cnltargeschicht-
lichem Interesse.
Auch die hohe Geistlichkeit schente sich ebenfi&Us nicht, das Protectorat
über solche Franenhauser zu fibemehmen, gestützt auf einen Aussprach des hei-
ligen Thomas^ welcher sagt:
,Die Prostitation in den Städten gleicht der Kloake im Palast: schafft die Kloake ab,
und der Palast wird ein unreiner und stinkender Ort werden/
Der Erzbischof von Mainz beschwert sich 1422, die Stadt ihue ihm
durch Licenzen Eintrag in seinem Einkommen an den gemeinen Frauen und an
der Buhlerei.
Nach Schultz beginnt die «Ordnung der gemeinen weiber in den
frauenhäusern'', welche vom NQrnberger Rath im 15. Jahrhundert erlassen
wurde, mit den Worten:
.Wiewol ein erber rate diser stat nach loblichem irem herkomen mer genaigt ist ond
sein sol, erberkeit und gute sitten zu meren und zu hauffen, dann sünde und strefflich weeoi
bey ynen zu verhenngen, jedoch nachdem umb Termejdung willen merers Übels in der cristenn-
hait gemaine weyber von der heilichen kirchen geduldet
werden u. s. w.'
Bei besonderen Gelegenheiten, wie bei Reichs-
tagen und Concilien, stellten sich Tagirende Frauen
schaarenweise ein, und alle Kriegszüge der damaligen
Zeit waren immer von einem gewaltigen Trosa yon
fahrenden Weibern begleitet, deren Disdplin of&ciell
unter die Autorität eines Huren waibels (gestellt werden
musste. Bei der Beschreibung eines Heereszuges heisst
es im Farzival (I. 459):
Auch Frauen sah man da genug;
Manche den zwölften Schwertgurt trug
Zu Pfände für verkaufte Lust.
Nicht Königinnen waren es just:
Dieselben Buhlerinnen
Hiessen Marketenderinnen.
Das Concil zu Constanz (1414) lockte nicht
weniger als 700 feile Frauen herbei, und nach Schultz
waren im Heere KarVs des Kühnen vor Neuss 900
Pfaffen und 1600 Dirnen, und 1476 sind in dessen
Heeresgefolge sogar ge^en 2000 feile Weiber. Fig. 248
fuhrt uns ein solches Trossweib des 16. Jahrhunderts
nach dem Stiche eines unbekannten zeitgenossischen
deutschen Meisters vor.
Beim ersten Reichstage zu Worms, welchen Carl V. abhielt, waren alle
Strassen dieser Stadt mit schönen Frauen oder mit feilen Dirnen angeftlUt. Nicht
lange nachher folgten dem Heere, welches Herzog Alba nach den Niederlanden
führte, vierhundert Buhlerinnen zu Pferde und achthundert zu Fuss nach. J,f
Langwierige Reisen waren im Mittelalter mit grossen Beschwerden Ter-
bunden; daher konnten die Fürsten jener Zeit, wenn sie eine solche Reise unter-
nahmen, ihren Gemahlinnen und Töchtern nicht zumuthen, sie zu begleiten. Nor
öffentliche Weiber waren abgehärtet genug, um den Fürsten bei
Heereszügen zu Fuss oder zu Pferde folgen zu können; so wurden äa
ein nothwendiger Theil des fürstlichen Gefolges und im Kriege als i
behrlicher Theil des Trosses angesehen.
Fiff. 249. Prostitairte aas Bo
log na. 16. Jahrhandert.
(Nach Cetare Veceltio.)
124. Znr Getchichte der gewerbsm&Migen Proititution in Burop».
481
Mm
Leotihard Fronsperger hat in seinem Kriegsbuch vom Jahre 1578 von
den Pflichten des Huren weybela einen genauen Bericht entworfen:
,ltem wo ein aUrck Regiment o^er viel Hauffen aeind, da ist aach der Trogs nicht
klein, dazu gehört ein geechickter, ehrlicher» verstendiger Krieg^mann» wie oben auch ange-
zeigt worden, nerolich der viel Schlacht vnnd Siörm bat belffen thun* solcher Wejbel m\ von
dem Obersten darzu beatettigt werden. Es gebürt jm auch etwan äein eigen Leutenani vnd
^Tendericht wann der Trosg alao stark ist. So gebürt jm Hauptmanns Besoldung, seinen Leute-
isant vnd Fenderichen» wie ander zu entrichten » denn nicht wenig dem gantzen Hauffen daran
gelegen, derwegeu ein solcher Weybel wissens soll haben, solche Hauff'en zu regieren vnnd zu
fahren, gleich wie man ander rechte oder verlorne Hauffen, ordnen vnd faliren soll,'
Er mu88 dafür sorgen» daas sie nicht die Zöge der Eriegstruppen im Marsche behindern,
dase sie nicht vor diesen in das Lager kommen, wo sie den Kriegern alles Brauchlmre fort-
nehmen würden. Ausserdem aber mugs er darauf sehen, daas die Huren und Buben die
Pl&tse beim Lager reinigen, die für die Defakation vorgeschrieben sind, und ferner:
.dass sie ge treu wl ich auff ihre Herrn warten, sie nach notturfft vorsehen, die gemeinen
^Weiber mit kochen, fegen, waschen, sonderlich der Kranken damit zu warten, sich dess nicht
weigern, sonst wo man zu Feld vor oder in Besatzungen
ligt, mit beben digkeit lauffen, rennen, eynschenken, Fütte-
rung, essende vnd trinckende Spei^ zu holen, neben anderer
notturfft sich bescheidenlich wissen zu halten, auff der reyen
oder sonst nach Ordnung zn stehen, gelegener Mürckt sich ge^
brauchen vnd halten.*
Unter dem Huren weybel steht dann noch der Rumor*
Imeister, der ebenfalls Ordnung und Frieden stiften muss;
„Wo es aber nicht statt haben wollte, so hat er ein
|Ieicher, ist vngefehrlich eines Arms lang, damit hat er ge-
lt von jren Herrn, so jm zuvor vbergeben, sie zn straffen.
"fiblehe Büren vnd Buben werden als denn sonst auch one da»,
darneben für wol essen vnd trincken, mechtig vbel geschlagen,
ehe sie solches jhrea Ampts recht gewonen» der guttbaten sie
wenig geniessen, welche jhnen dem zuvor versprochen, man
muss aber dem Thuch also thun, es verleuret sonst die Färb,
würden der faulen Schwengel vnd Huren gar zu vieL"
Wir ersehen aus Fronspertjer^s Angaben, da8§
diese Weiber nicht einzig und allein des Geschlechti!»
genufises wegen mit dem Heere mitzogen, sondern das«
auf ihren Schultern auch noch viele andere Pflichten
lasteten.
Ludwiff der f ledige war der einzige König des
Mittelalters, der zwar Bordelle in seinem Reiche duldete,
sie jedoch auf seinem Krenzzuge streng untersagte.
Die anderen Fürsten vor und nach ihm trösteten sich
in den Annen von Buhleriunen Ober die Trennung vom
Hause: die vielen Hunderte von Dirnen, welche den Kriegsschaaren folgten, galten
ihnen als Harem, aus dem sie sich das Beste aussuchten. Die Schriftsteller jener
Zeit sahen in solchem Gebahren nichts Besonderes, nur das fanden sie tadelns-
werth, dass die Könige bisweilen die von ihnen geliebtjen Buhlerinnen wie Prin-
zessinnen herausputzten und in die Gesellschaft erlauchter und edler Frauen ein-
führten, so dass die eigenen Gattinnen in Gefahr kamen, öffentlichen Mädchen
den Kuss des Friedens bieten zu müssen.
In den Städten besuchte man die Bordelle ohne Scham und Scheu. Be-
dankt sich doch der Kaiser Sigismmid bei den Beruern »vor Fürsten und Herren*,
diktö der Ratb sein Gefolge drei Tage lang unentgeltlich in den Gäsalein der
schün»^n Frauen bewirthet habe; und als er einst in Ulm war, konnte er sich nicht
enthalten, selbst das Frauenhaus zu besuchen. Mit dieser Begünstigung käuflicher
Wollust verband sich ein schmählicher Menschenhandel; Rostocker Kaufleute
» 'Tnnze Ladungen fahrender W^ eiber zu den Häringstangern auf Schonen;
\ Dm Wflib. C. iLuA. I. 31
Fig 25<J, Prost ituirte von
Eli od OS. 16, J&brhunilert.
482
XVU. Die PnMiitiitioii.
schwäbische Dirnen worden nach Venedig, ylämische nach London gebndit
und galten dort als gute Waare.
Den feilen Weibern waren gewohnlich besondere Strassen zum Wohnen an-
gewiesen. Häufig lagen sie der Stadtmauer nahe oder dicht neben KlSafceni. Yen
vielen kann man nach den erhaltenen Urkunden ziemlich genau die Stelle angeben,
wo sie sich einstmals be£Emden. Diesen Stadttheil durften sie |{ew5hnlid[i nicht
verlassen, wo es ihnen aber erlaubt war, in der Stadt sich zu zeigen, muasten aie
sich durch eine besonders vorgeschriebene Tracht kenntlich machen. Das Ter-
hältniss zu ihrem Wirthe und dasjenige dieses Letzteren zum Uagistrat war durch
strenge Verordnungen geregelt.
Die von der Behörde vorgeschriebenen AnzQge dieser Weiber boten je nach
den Zeiten und Orten allerlei unterschiede dar. Man kann sie aber in zwei
Hauptgruppen theilen. Das eine Mal sollte der An-
zug so keusch und so veriiOllend wie möglich sein;
das andere Mal aber sollte er durch das AufCEÜlende
seiner Erscheinung sofort die Aufinerksamkeit der
Männer erregen. In dem berühmten Kostüm -Werk
des 16. Jahrhunderts von dem Venezianer Cesare
Vecellio sind uns aus beiden Ghruppen Beispiele er-
halten. Zu der Gruppe der «Verhüllten* gdiört die
Cnrtisane aus der Zeit des Papstes Pius V. (1565)
(Fig. 247) und die Prostituirte aus Bologna (Fig. 249);
der Gruppe der , Auffallenden '^ gehören die Prostituirte
von Rhodos (Fig. 250) und die Venezianische
Meretrix an, welche Fig. 251 wiedergiebt.
In einzelnen Städten wurde streng befohlen, keinem
Priester und keinem Ehemann den Eintritt in ein
Frauenhaus zu gestatten, und Juden durften unter
keinen Umstanden hinein. In der oben citirten Ver-
ordnung f&r Avignon lautet der letzte Paragraph:
.Femer ist es der Königin Wille, daas die Aebtinin
keinem Jadenden Eintritt in dieses Hans verstatte. Schleicht
sich dessen ungeachtet einer listigerweise ein, und macht sich
mit einer Elosterjungfer ku schaffen, so soll er in Verhaft ge-
nommen und sofort dorch alle Strassen der Stadt gepeitscht
werden.*
Die Insassinnen der Frauenhäuser bildeten eine
eigene Zunft, aber sie konnten es doch nicht vermeiden,
dass ihnen allerlei Goncurrentinnen erwuchsen. Nament-
lich waren es die Badehäuser, in welchen die weibliche
Bedienung sich den Gästen gefallig erzeigte. SchuUs
citirt den folgenden Vers:
«Und von dem foorstuck süll wir gann
Dann von zu dem bade.
Lade wir die h&bschen fräwlin dar swar,
Das sy reiben
Und Tertreiben
Uns die weil.
Njemant ejl
Von dannen vast:
Er rast
Damach als eine f&rste.
Sj, baderin
Nun besjnn
Und gewynn
Jedem nach ^« rOeches pelte
Fig. föl. Prostitairte aas
Venedig. 16. Jahrhundert.
rNach Cesare Veeetlio.)
lii. Zar Oeschicbte der gewerbsm&egigen Proatitution ia Europa.
483
Auch vornehme Damen entblödeten sich nicht, sich an aoleher Concurrenz
zu betheiligen, denn nach ÄVArrr'^ ,ist es urkundlich bezeugt, dasa ura 1476 zu
Lübeck vornehme Bürgerinnen, das Antlitz unter dichtem Schleier bergend,
Abends in die Weinkeller gingen, um an diesen Orten der Prostitution unerkannt
messaliniscbea Lüsten zu fröbnen/
Ganz besonders gefahrliche Concurrentbnen scheinen aber die Nonnen ab-
gegeben zu haben. Hans Rosenphlt singt;
«Die gemeynen weib clagen auch ir ordea,
Ir weyde §ey vil lu mager wordeo,
Die winke! wejb^r und die hansmejde,
Die fretzen tegÜch ab ir weide
Auch clagen sie über die closterfrawen,
Die können so hübschlich über die snur bauen,
Wenn eie 2U ad er la^en oder paden,
So haben «ie junkher Conradeti geladen,*
Uans Ilolbeins berühmter Tod teutanz führt uns diese Verhältnisse vor.
i Der Tod holt die Nonne ab, welche in ihrer Zelle betend vor dem Altare kniet«
' Sie wendet aber ihren Kopf einem jungen Manne
jxu, welcher auf ihrem Bette sitzt und ihr auf
jder Mandoline etwas vorspielt. (Fig. 252.)
SchtdtJSf welcher den obigen Vers citirt»
[fShrt dann fort: ^Ja die Obrigkeit erkannte ihr
fgutes Recht auch an und gestattete ihnen Re-
pressalien :
,loOO, Uem danach an selben tag* (November 26) i
erzählt Htinrich DHchaler, ,da kommen acht gemaine
waib hin aunifi dem gemaiaen fruweahaus zam bnrgor-
maieter, Matklhnrt Wendel und sagten» ee wer da unter
der vesten des Kolhenhauti ein taibor (Blockhaue) vollür
haimlicher burn, und die wirtin hi(?1t eemener in einer
ftuben und in einer andern jung gesellen tag und nacht
und Meas $ie puberei treiben, und paten iu^ er aolt in
geben, Bie wollten sie auiitünnen und wollen den
Eitaiber zubrechen und zerstören, er gab ia laub;
da stürmten sie das HauSf stieftsen die tür auf und
schlugen die Ofen ein, und »e zerpmchea die renster-
gleser und trug jede etwas mit ir davon, und die vogel
warn ausgetlogen, und aie schlugen die alte huritwirtin
gar greulichen.*
In manchen Bordellen herrschte im 17. Jahrhundert die Sitte, dass in dem
Empfangszimmer an den Wänden die Portraits der Insaüsinnen aufgehängt waren.
Nach dieser Musterkarte traf der CTast seine Wahl. Ein alter Stich (Fig. 253)
führt uns diese Scene vor. Es handelt sich um das berühmte Bordell, welches
damals in Brüssel unterhalten wurde und das den Namen Ia Schoon Majken
führte. Näheres darüber findet sich bei Ftancisfjue und Fournier in ihrer Histoire
[des Hotelleries u. 8* w,
Freiulenherg schreibt im Jahre 1790 ;
«Heutiges Tage^ ist in allen grossen europäiBchen Haaptfitädten, wo Bordelle ent-
privilegirt, oder atillachwei gen d geduldet werden^ ihre Einrichtung und die Aufsicht
dieselben äusserst mangelhaft. Wenigstens stehen tie nirgendei als in Berlin unter
einer besonderen gesetzlichen PoUzeieiariehtung* Diese bestand ehemali (daa war vor 1792)
aas folgenden Punkten:
1. Gesetzlich erlaubt ist diese Wirthschaft freilich nicht, sie wird aber aar als noth-
iwoadtgc« Uebel geduldet.
2. Jeder Wirth ist Torpäichtet, «obald ein H&dchea von ihm geht, e« dem VierteU
MffiuA tu melden. Ebeniao, wenn er ein neues erhIÜt
81 •
Ki«. 252. Die Noniit* an» Mi** ^.»^
484
XVIL Die Prostitution.
8. Kein Wirth darf mehrere MMcben in seineoi Ilaüäd halten, als in seinem SaBlimct«
sieben. . . .
4. Die Gesundbeit der SchwErmer sowohl, ala auch der Mädchen selbst su erkalti
musa in jedem Viertel alle 14 Tage ein daxu bestellter Chirurgus forensi« ftUe M&dcbiQ dti
Art in seinem Viertel visitiren n, s. w.*
Wie es in solchem Hause zuging, das schildert uns ein Gem»Ide i»t
Niederländers Jan Sanders, genannt Jan van HemtisscUf welches da« kg
Museum in Berlin besitzt Es trägt die Bezeichnung : eine Instige de*
Seilschaft. In Fig. 254 gebe ich eine Nachbildung desselben. Eine iibnlioh^
Darstellung besitzt die Krmigliche Gemälde-Galerie in Kopenhagen.
P,
IN.
^ / ^
Flg. 259. V9S Bordell l»8cbooti Mnjkeu iu Brliiiel (17, Jultrli ändert.)
Der anonyme Verfasser der „ Li t^ r 1 1 a i ü c h e n dächte" schildert Docb I
Jahre 1803 eine Festlichkeit »bei Einweihung der dritten neuen El]
in dem Uause der freiniüthigen Schwertern in der Fr, Strasse*.
Jetzt ist seit vielen Jahrzehnten in Berlin das Holten von Bordelleii
boten und auch in dem übrigen Deutschland herrecht seit ungefähr 20 Jahf
das gleiche Verbot. Aber trotz aller strengen üeberwachung hat «ich weder ial
Deutschland bisher» noch auch in den andern Staaten Europas die PfoüHhitioül
unterdrücken lassen, und neben den concessionirteu und von d»'r Sat zeif
tiberwachten Personen fristet dit* Winkelhurerei noch ungesrhiAürbt il
gefährliches Dasein.
125. Die Torhatuttg der Proitltittlon.
der Pai
^ da*« fr.
486 XVIL Die ProsUtotion.
durch YerbrennoDg festgesetzt war. (1. Moses 38.) Aber mit den Prostitiiirtai
der Nachbarstämme Hessen sich die Manner bisweilen wl In spüerai Zeiten
war aber auch bei den Juden die Hurerei nicht zu unterdrQcken, und die Priester
durften sogar für das Heiligthnm Geld oder andere Gteschenke annehmoi, welche
durch die Prostitution erworben waren.
Uneingedenk des oben citirten Ausspruches des heiligen Thomas ond trotz
des Ton dem Kirchenvater Augustinus angestellten Satzes:
«Hebt die Prostitution auf und ihr werdet üboull ünordnniig sehen*
haben in Europa im Mittelalter doch wiederholentlich weltliche und Kirchen-
fQrsten den Versuch gemacht, die Prostitution zu unterdrQcken. An raffinirter
Grausamkeit hat es dem damaligen Zeitgeiste entsprechend, wie man erwarten
kann, nicht gemangelt. Nicht selten wurden die Prostituirten öffentlich gepeitscht,
so unter Karl dem Grossen^ aber auch schon unter dem Westgothen- König
liecareth, welcher 300 Ruthenhiebe fQr sie festgesetzt hatte. In manch« Orten
wurden sie schmachToU durch die Stadt gef&hrt, bisweilen nackt und Terkehrt aof
einem Esel sitzend. In England bewarf man sie dabei mit Schmutz (oletnm
et stercusj.
Aus Toulouse berichtet, nach Rabutaux^ Jousse das Folgende über die
Behandlung der Prostituirten:
,Oii coDduit ä lliötel-de-ville celle qai est condamD^ poor ce crime; Texäciiteiir Ini
lie les mains, et la coiffe d'on bonnet fait en pain de sucre, om^ de plumes, arec an teiteaa
derriere le dos. Sar cet ^riteau on lisait la T^ritable qnalification de la conpable ....
Ensuite, eile est conduite, prei le pont, sor on rocher qui est an milien de la liTi^re; Ik on
la fait eotrer dans une eage de fer faite expr^ et on la plonge ä trois fois diflS^rentes, et on
la laisse pendant qaelque temps, de maniere cependant, qn*elle ne poisse ßtre soffoqa^, ee
qui fait an spectacle qui attira la coriosit^ de presque tons les habitants de cette rille.
Cela fait, od condait la femme on la fille k Thöpital, oü eile est condamn^ ä passer le reste
de ses joors dans le quartier de force.*
Ein ganz ähnliches Verfahren wurde auch in Bordeaux geQbt.
• Aber auch dort, wo die Mädchen geduldet wurden, Terfielen sie in Strafen,
wenn sie sich den Ober sie verhängten Bestimmungen und Verordnungen nicht
f>en. Schulte citirt in dieser Beziehung aus einem Fastnachtsspiele den folgen-
den Vers:
,Ich hab aber des auch nit Tergessen,
Dass du selb bist bj der laden gsessen
In gelben huomhus mee dann zehen jar,
Kempt von Strassborg nss der schwanzgass dar.
Du wärest gemeinlich die heerhuor genennt.
Man hat dich oueh z Strassburg geschwemmt,
Und bist euch fast kum worden erbätten;
Und wo sy dich möchtend betr&tten,
So wurdest du von inen ertrenkt.*
Man suchte dem Krebsschaden aber auch dadurch zu Leibe zu gehen, dass
man mit unerbittlicher Strenge auch gegen die Wirthe und Wirthinnen einschritt,
welche Prostituirte bei sich unterhielten. Stäupung, Brandmarkung mit dem
GlQheisen, Verbannung und Confiscation ihres Eigenthums spielen hierbei eine
grosse Rolle. Im Wiederbetretungsfalle wurde auch wohl die Hinrichtung ver-
fbgt. Auch Ludteig IX. von Frankreich machte sehr energische Versuche, durch
eine unnachsichtliche Strenge die Prostitution in seinem Lande auszurotten. Aber
Rahutaux bemerkt:
,Le Saint roi manqua son but, et le mal empira. L'ordonnance fiit ex^ntte avec
rigueur. La Prostitution clandestine succeda ä la prostitution jusqu^ä un ceiiain pqint sor»
veilld; eile n*en fnt ni moins active ni moins scandaleose; les femmr-
plus en süret^ dans des villes oü les filles pnbliques 4taient oblig^
se confondre avee elles, celles-ci d^ailleors, activement poorsuiviee, se
125. Die Yerbütung der Prostitation.
487
pagnes et lee corrompiretit, et apr^s deux ans d'esaai, il fallut tol^rer nn fl^aa qu*oii ne poo*
vait vaincre.*
Ludwig IX, sowohl als auch sein Nachfolger wurden trotz aller erneuten
Versuche dennoch der Prostitution nicht Herr und mussten sich schliesslich damit
begnUgen, sie durch scharfe Straf bestimmungen einzuhegen*
In den eivilisirten Staaten der Gegenwart hat man sich in immer erhöhtem
Grade um die Einschränkung der Prostitution bemüht. Aus zwei Motiven sah
sich der moderne Staat genothigt, dem Prostitutionswesen beschränkend entgegen
zvi treten: einestheils ans Gründen der öffentlichen Moral^ auderentheils aus
sanitären Rücksichten; das eine Mal wurden Sitten-Bureaux zu solchem
Zwecke angeordnet, das andere Mal hat die Medicinal-PoUzei den Auftrag
erhalten, die Prostitution als schlimmste Verbreiterin syphilitischer Erkrankungen
zu überwachen. Die legislatorische Praxis hat dabei verschiedene Wege einge-
schlagen. Im Allgemeinen beobachtet man zwei entgegengesetzte Systeme: auf
der einen Seite die , bedingte Toleranz*, auf der anderen Seite die gew^altigsten
Anstrengungen zur Unterdrückung der Prostitution. Man erkannte mehr und
mehr, dass die heimliche wie die offene Prostitution, die in allen grossen Ver-
kehrsplätzen auftritt^ das sociale Leben unbedingt als grosse sociale üebel
schädigen. Allein beide Arten der Prostitution wirken in verschiedenem Grade.
Wie überall die geheime FVostitution in umgekehrtem Verhältnis« zur öffentlichen
steht, so herrscht jene dort am zügellosesten und ausgebreitetsten» wo letztere
gar nicht besteht und die Abzugskanäle der Unlauterkeit fehlen. Sie steckt
Idann alle Gesellschaftsklassen an, und selbst das Familienleben wird von ihrem
Geist ergriffen.
Auf der anderen Seite wurde freilich dem Bordellwesen der Vorwurf ge-
macht, dass aus einem Bordell der Rücktritt eines reuigen Mädchens in eine ge*
ordnete Lebensweise schwer möglich ist. Und auch schon in dem Mittelalter be-
gegnen wir bestimmten Vorschriften und Verordnungen, welche es zum Zwecke
■iben, die Insasnen der offentliehen Häuser in pecuniärer Unabhängigkeit von
InTen Hurenwirthen zu halten, damit sie sich, wenn sie die Reue packt, der
Machtsphäre ihrer Arbeitgeber entziehen können.
Ein fernerer Vorwurf gegen das Bordellwesen liegt darin, dass die Unter-
halter dieser Häuser mit List und Gewalt und durch allerlei Intriguen unbeschol-
tene Mädchen in ihre Gewalt zu bringen suchen, denen dann die Verzweiflung und
die Scham den Rücktritt in geordnete Verhältnisse unmöglich machen.
Und was für Niederträchtigkeiten ausgeführt werden, um neuen Nachwuchs
für dieses unglückliche BordelUeben zu erhalten, da« haben zur Genüge und in
erschreckender Weise die Enthüllungen der Pall-Mall-Gaselte zu zeigen vermocht.
Auch hiergegen kämpfte man im Mittelalter an, wie sich aus vielen Straf-
androhungen ersehen läset Im Jahre 1357 w^urde z. B. eine gewisse
,^ Y^ahtlhy qui av&it vendu uno jeune fille 4 une cbanoine, apr^s avoir ^t^ ejcpo»ee «ur
uae dchelle, et lä tourment^e et bruKe avec utie torcbe ardetite, fut bannie de la terre ou
ella avaia commia son crirao.* fRalmUinxJ
Gerade in den letzten Jahren ist eine weitausgebreitete Strömung entstandent
welche unter dem Namen der Aböl itio nisten in einer zwar wohlgemeinten^
aber auf falschem Gebiete angewendeten Philanthropie gegen die polizeiliche Ein-
schreibung und Ueberwachung der Prostituirten energisch Front zu machen sucht.
Ich kann hier auf ihre durch eine fehlerhafte Statistik gestützten Erörterungen
nicht näher eingehen und ich muss auf die wichtige Arbeit Taniowsky^H' Über diesen
Punkt verweisen. Die unendlichen Gefahren, welche die Forderungen der Aboli-
tionisten in sich begreifen, denen unfehlbar eine Durchseuchung aller ciTilisirten
Nationen mit der Syphilis in einer bisher ganz ungeahnten Ausbreitung folgen
würde, findet man dort auseinandergesetzt. Die Prostitution, wie die Abolitio-
«ten dießes erwarten, würde aber darum nicht aus der Welt verschwinden*
488 XVII. Die Prostitution.
,Die Prostitution, sagt Tamotosky^f wird in dieser oder jener Gestalt weiter beeteheiiy
da unabhängig von Veränderung der socialen Verhältnisse hier noch eine ganze Reihe anderer
Factoren in Rechnung kommt — Einfluss des Klimas, der Rasse, der Erblichkeit, der Lebern-
weise, der Erziehung, des Beispiels der Eltern u. a. — , Factoren, die wir nur zum Theil und
meistens nicht genügend oder gar nicht kennen, krafb deren das geschlechtliche BedflrfiiiM der
Menschen in äusserst verschiedener Mächtigkeit und Intensität entwickelt ist, ebenso wie die
Befähigung zur Enthaltsamkeit, zum Unterdrücken leidenschaftlicher Impulse, zur Aneignniig
moralischer Principien u. s. w. Die Zeit der geschlechtlichen Reife, die Kraft und Intensität des
Geschlechtstriebes sind ebenso, wie die moralische und physische Individualität überhaupt, bei
verschiedenen Menschen äusserst mannigfaltig und lassen sich nicht einer sittlichen Theorie
zu Gefallen auf ein gemeinsames, unveränderliches Maass zurückführen. Geschlechtliche Ent-
haltung wird von Einem, dank angeborener Eigenschaften seines Organismus, gut yertrsgen,
während ein Anderer dadurch veranlasst wird, Befriedigung der ihn verzehrenden Glnth in
weiblicher Umarmung zu suchen, oder Sinnestäuschungen, wie diejenigen des heiligen AntoniuB,
oder dämonomanischen Hallucinationen unterliegt, oder endlich durch Onanismus unrettbar
zu Grunde geht.*
Uebrigens tritt Tamowsky^ auch der optimistischen Annahme entgegen,
dass die Prostituirten sich bessern würden. Er zeigt, Mrie ganz verschwindend
die Erfolge der sogenannten Magdalenenstifte selbst unter der menschenfreund-
lichsten Leitung sind, wie die Mädchen in die Bordelle zurückkehren und wie rae
selbst, wenn das Schicksal sie in eine glückliche, sorgenlose Ehe geführt hat,
dennoch nach einiger Zeit den Gatten verlassen und wiederum zu einer Bordell-
wirthin fliehen.
Es liegt nicht in dem Rahmen dieser Arbeit, zu untersuchen, welche Ge-
setze und Polizeiverordnungen die modernen Staaten in dieser Angelegenheit er-
lassen haben; das muss einer staatsrechtlichen Monographie über dieses hygienisch
so wichtige Thema überlassen bleiben. Wir müssen aber noch unsere Aufmerk-
samkeit auf gewisse Arten temporärer Prostitution hinlenken, welche in einem der
folgenden Abschnitte flüchtig skizzirt werden sollen.
Bemerken will ich aber noch, dass auch vereinzelte Naturvölker sehr
energisch gegen die Prostitution vorgehen. So steht z. B. bei den Eingeborenen
der westlichen Gruppe der Salomons-Inseln nv^h. Elton eine schwere Geldstrafe
darauf, bisweilen auch sogar der Tod. Prostituirte sind dort nur die kriegs-
gefangenen Weiber feindlicher Stämme. Auch auf der Insel Nias wird die Pro-
stitution mit dem Tode bestraft.
126. Die Anthropologie der Prostituirten.
Die neuere Anthropologie ist bestrebt gewesen, die so oft bestätigte That-
sache in befriedigender Weise zu erklären, dass gewerbsmässig sich prostituirende
Frauenzimmer fast immer zu ihrem lasterhaften Lebensberufe zurückzukehren be-
müht sind, wenn auch die Möglichkeit sich ihnen eröffnet hat, anstatt dieses Da-
seins voll Schande, Verfolgung, Sorge und Entbehrungen ein sorgenloses und ge-
regeltes Leben führen zu können. Ganz ähnlich, wie man bei dem Verbrecher
versucht hat, angeborene körperliche und geistige Abnormitäten als die Ursache
dafür anzusehen, dass er ein Verbrecher geworden ist, so hat man auch diesen
Prostituirten gewisse anthropologische Eigenthümlichkeiten zusprechen wollen,
welche die Veranlassung dazu werden sollten, dass sie das Gewerbe der Prostitu-
tion ergriffen. So ist die Anthropologie der Prostituirten nur ein Theil der so-
genannten Verbrecher-Anthropologie, und namentlich sind es auch hier Lombroso
und seine Schüler, aber auch die beiden Tarnotvsky, welche mit ganz besonderem
Eifer diese Theorie zu bekräftigen suchten.
Diese beiden Bevölkerungsgruppen haben nun ja in der That mannigfache
Berührungspunkte; denn einerseits giebt es viele Verbrecherinnen, welche sich
ausserdem auch prostituiren, und andererseits sind bei Prostituirten bestimmte
Verbrechen nicht ungewöhnlich. Unter diesen steht der Diebstahl obenan.
126» Die Änthropologio der Prostitoiirteii,
489
Die ersten grundlegenden BeobachtungeQ, welche man als die Anfange einer
Anthropologie der Prostituirten bezeichnen kann, finden sich schon im Jahre 1836
in dem berühmten Werke von Pareni-Duchatelet : ,De la Prostitation de la
ville de Paris**. Er hat dort zwei ausführliche Kapitel gegeben unter den
Titeln: »Physiologische Betrachtungen über Lustdirnen* und »Von dem
Einflüsse, welchen die Ausübung ihres Gewerbes auf die Gesundheit
der Lustdirnen überhaupt haben kann". Ihm liegt aber der Gedanke völlig
fem, dass diese anatomischen und funktionellen Absonderlichkeiten, welche er bei
den Prostituirten nachzuweisen vermochte, ursprönglich schon bestehende wären,
welche mit unwiderstehlicher Gewalt die Mädchen der Prostitution in die Arme
trieben. Er ist vielmehr keinen Augenblick darüber im Zweifel, daas alle diese
Veränderungen erst eine Folge des Lebenswandels sind, welchen die Lustdirnen
zu führen pflegen. Hierin unterscheidet er sich durchaus von den oben genannten
Gelehrten.
In erster Linie macht er auf die Wohlbeleibtheit aufmerksam, welche sich
bei vielen von ihnen findet. Diese pfiegt erst im Alt^r von 25 bis 30 Jahren
einzutreten und ist wahrscheinlich eine Folge der reichlichen Ernährung und des
Mangels an Arbeit und an k<}q}erlicher Bewegung- Allerdings hatte er aber auch
Gelegenheit, einige übermässig magere Prostituirte zu beobachten. Er macht dann
ferner auf die Veränderung der Stimme aufmerksam^ und äussert sich darüber:
,E8 giebt Madchön derart, die weh durch Schönheit und Mscbee Wesen, ausgeauchtei
Benehmen, elegante Haltung bemcrkenswerth machoDi bei denen man ihrer ganzen Kracheinong
nach die beste Ei-ziehung suchen iiollte, die mit einem Worte Alles haben, was gefallen und
verführen kann. Allein wie verändert gich Alles, wenn man ftie %\im Sprechen bringt! Da
i«t nicht mehr jener Klang der Stimme, welcher die ReiM eine« Weibe« so sehr erhöbt. Ka
gehen aus ihrem Munde nur ra.ühet widrig dift Ohren zerreissende Töne, welche man kaum
nachahmen kt^nnte. Sie findet bei den meisten, aber doch nicht bei allen statt; es giebt in
der Art 71 ele Ausnahmen. In der Hegel sieht man diese rauhe Stimme erst gegen das 25» Jahr
kommen, und am gewöhnlichsten beobachtet man sie bei Mädchen der niedrigsten Klasse,
bei solchen, die 7or den Schenken stehen^ die betrunken, su schreien und zw toben pflegen;
liei Mädchen, die aus der h5beren Klasse in die niedere herabstiegen und sich die ärgste
Völlerei und Verworfenheit aneigneten.*
Auch die Unbilden der Witterung, denen sich diese Personen auszusetzen
gezwungen sind, tragen hier einen Theil der Schuld. An den Geschlechtstheilen
haben die Untersuchungen keine charakteristischen Veränderungen auffinden lassen.
Weder waren die Vaginen wesentlich erweitert^ noch auch Hess sich an der Clitoris
irgend etwas Besonderes eotdecken. «Wie bei allen Frauenzimmern sind auch bei
ihnen manche Abweichungen derselben, aber diese zeigen nichts Auffallendes/
Ziemlich hiiufig soll die Entwickelung der kleinen Scharalippen eine ungewöhnliche
fewesen sein; aber auch dies hält Fartfit-Duchatelet nicht für etwas, das den
reudenmädchen allein zukäme. Auffallend ist aber in einer grossen Zahl der
Fälle die Seltenheit und Unregelmässigkeit der Menstruation, welche oft mehr-
monatliche Pausen macht. Die Fruchtbarkeit der Prostituirten ist ebenfalls be-
trächtlich herabgesetzt und Todtgeburten , sowie Abortus sind bei ihnen eine
häufige Erscheinung,
Dass die Prostitution auf die inneren Genitalien schädigend einwirkt, ist
aber eine seitdem den Aerzten ganz allgemein bekannte Thatsache, Und aucJi
för fremde Kassen gilt das Gleiche. Strats konnte in Batavia 1000 Javane-
ainnen untersuchen» welche zum gröseten Theil Prostituirte im Alter von IG hh
30 Jahren waren,
Nut 162 waren gesund; die übrigen 8^8 zeigten folgende Krankheiten:
Retroflexio uteri 605 = 60 %
Omrialtumoren 130 = 18 %
Myome 90 = 9 %
Salpingitis und Tubartumoren . 104 == 10 ^.ti
490 XVII. Die Prostitution.
Parametritia 25 = 2^0/^
Prolapsus 22 = 2 o/o
Uteri in der Entwickelung zurückgeblieben 24 = 2 0/0.
Die grosse Zahl der Retroflezionen, d. h. der Rückwärtsknickongen der Ge-
bärmutter, ist hier mit grosser Wahrscheinlichkeit absichtlich durch Massage er-
zeugt, um eine Empfangniss zu verhüten. Dieser Art der Massage sind Yermnth-
lich auch die vielen Eierstocksgeschwülste zuzuschreiben, weil sie in den breiten
Mutterbändem nassen und keinen deutlichen Stiel entwickelt hatten.
Im Gegensatz zu diesen erworbenen Processen hat nun Pauline Tamawsky^
bei den Prostituirten eine ganze Anzahl angeborener Abnormitäten feststellen
können. Daraus schliesst sie auf eine erbliche psychische Belastung und auf eine
fehlerhafte geistige Veranlagung, welche diese unglücklichen Wesen mit unwider-
stehlicher Gewalt in ihr lasterhaftes L^ben hineinzwingt. Sie formulirt die folgen-
den Sätze:
.Les prostituäes habituelles sont des §tres entacb^s d'ane h^r^ditc morbide plas oa moins
lourde, teile que: Talcoolismei la phtbisie, la Syphilis et les maladies nervenses et mentales
qu'elles comptent dans leur ascendance. Elles pr^sentent des signes de d^g^n^rescence phy-
sique et psychique incontestables, gräce auzquels lo plus grand nombre d'entre elles ne san-
rait dtre class^ parmi les individus sains et normauz. L'anomalie psychique des prostitnto
se Signale soit par une d^bilit^ de Tintelligence plus ou moins manifeste, soit par one Con-
stitution nevropatbique, soit par une absence notoire du sens moral. Elle est confirm^e en
outre par Tabus des fonctions gen^siques, ainsi que par Tattrait que les prostitu^es ^prouvent
pour leur mutier abject, auquel elles retoument volontairement apr^ en avoir ^t^ lib^r^es.'
Es mögen aber noch die ezacten That^achen hier zum Belege des Gesagten
ihre Stelle finden. 150 Gewohnheits-Prostituirte wurden mit 100 Landarbeiterinnen
und mit 50 intelligenten städtischen Weibern verglichen. Sie blieben hinter beiden
Gategorien und namentlich hinter den letzteren zurück in Bezug auf den üm&ng
und den Hauptdurchmesser ihrer Schädelkapsel, hingegen überragten sie sie in
den Dimensionen der Jochbögen und der Unterkiefer. Ihr Gesichtsschädel war
also auf Kosten der Gehimkapsel vergrössert. An körperlichen Anomalien wurden
an ihnen beobachtet Abnormitäten der Schädelentwickelung (Oxycephalie, Steno-
cephalie und Platjcephalie), des Gaumens (Sattelform und Spaltbildungen), der
Zähne (Atrophie, falsche Stellung u. s. w.), der Ohrmuscheln, des Gesichtes (Asym-
metrien) und der Extremitäten.
Es batten je 1 Anomalie 15 Prostituirte
.2 .34
f 3 ,35 ,
.4 .30
.5 .14
.6,6
.7.4
.8.1
Somit fanden sich unter den 150 Prostituirten bei nicht weniger ak 139
die sogenannten physischen Degenerationszeichen. Lässt man die ersten 15 ans
der Rechnung heraus, weil sie nur eine einzige Anomalie aufzuweisen haben, so
ergiebt sich immer noch ein Verhältniss von 82,64% der mit Degenerations-
zeichen Behafteten. Diesen stehen entsprechende Personen unter den Land-
mädchen im Verhältniss von 14% und unter den intelligenten Frauen von 2%
gegenüber. Scheinbar sprechen diese Zahlen ftir sich und bedürfen keinerlei
Erläuterung.
Ein begeisterter Vertheidiger der gleichen Anschauungen ist der Tamowshy
auch in Lonibroso erwachsen. Er kommt nach seinen Untersuchungen zu den
folgenden Ergebnissen:
Das Gewicht ist mit Rücksicht auf die Körperhöhe bei Prostituirten relativ höher (als
bei den Unbescholtenen); die Hand ist länger, die Wade st&rker entwickelt; der Fingeriheil
der Hand ist weniger entwickelt, als der Hohlhandtheil ; der Fuss ist kfiner. Nach Inhalt
126i Die Anthropologie der Prostiiuirten,
491
und Umfangr des Schädels bleiben sie unter der Norm zurück; die Sch&deldurchmefi&er sind
kleiner, die GesichUdurchmeaser, besonders des Unterkiefer!^ Bind grösser als in der Norm,
Behaarte Mutterraäler (Naevi pilosi) fand Lombrma bei 4P,o der Prostituirten, aber nur bei
14% der unbescholtenen Weiber. Den männlichen Typus der Schambebaarung fand er bei
4^/tj dieser Letzteren, aber bei 15% (234) der Proetituirten. /iftccarrfi giebt dieaes Verbaltnii»«
igar auf 16% an und beobachtete in 21*^/(i eine übennäasige Entwickelong der Schamhaare.
[e Genitalien zeigten in 16% eine Hypertrophie der Labia minora, darunter zweimal in
monstrÖBer Form, in 6 Fälleu neben Hypertrophie der CHtoris und der Labia niajora.
Auf die Veränderung der Stimnie bei den Freudenmädchen hatte schon, wie
wir oben sahen, Parent-Duchatdet hingewiesen. Lombroso fuhrt in dieser Be-
ziehang die Beobachtungen von Masini an:
,Von t50 Prostituirten hatten 15 mUnnlicbe Stimme bei dicken Stimmbändern und
weiter Kehl kopfbö hie; 21 hatten femer volle Basnst im men mit gelegentlich hoben Fistelti^nen.
Die Breitheit der Schildknorpelflögel und die Weite de» Schildknorpel winkeis waren sehr be-
merkenswerth; an den dicken Stimmbändern ist das Tuberculum vocale deutlich ausgßprfl^,
das ganze Organ gleicht dem des Mannes, wie Schädel und Gesicht der Prostituirten sich dem
m&nnlichen Typus nähern,"
Und 80 kommt Lombroso zu dem Schluss, dass iVist alle Anomalien bei
Prostituirten häufiger sind, oft viele Male häufiger, als bei Verbrecherinnen, jedoch
bieten beide Klassen social abnormer Weiber häufiger DegeneratioDszeichen dar,
als man sie in der Norm findet.
In einem ausgedehnten Kapitel bespricht Lombroso dann die „geborene
Prostituirte*, ein Analogon des von ihm vertheiditrten Typus des geborenen
Verbrechers. Auch bei Brsterer sollen allerlei kürperliche und seeUsche De-
fecte als die zwingende Ursache zu betrachten sein, welche sie auf die Bahn der
ünsittlichkeit trieb. Mangel des, Farn iliengeflihls und der Mutterliebe, welcher
in auffallendem Gegensatze steht zu der ausgeprägten Liebe zu Thieren und zo
der festen Anhänglichkeit an die sie quälenden und ausbeutenden Zuhälter, un-
regelmässige AnfSile von Gutmüthigkeit, BeligiosiUit, bei Verlogenheit, Trunk-
sucht, Habsucht und Neigung zum Verbrechen, Eitelkeit, Gefrassigkeit, Spiel-
öucht und Arbeitsscheu, das sind die Eigenschaften, die sie charakterisiren. Die
Intelligenz zeigt sich bei ihnen vielfach herabgesetzt, nicht selten selbst an Blöd-
sinn grenzend; einzelne Prostituirte aber zeigen auch eine fast an Genialität
streifende Begabung.
, Schon bei Erörterung der sexuellen Gefühle, sagt Iximbroso, ihi darauf hingewieaen
worden, daat bei Prostituirten geac hl echt liehe Frigidität vorherrscht und in V^erbindung und
anscheinend ira Gegensatze 2U einer gleichzeitigen bemerkenswerthen Frühreife besteht. So
findet »ich hier ein Gewirr von Gegenäätzen. Ein durchaus sexuelles Uewerbo, ^on Weibern
ansgeObt» denen ein eigentliche« Genchlocht^leben fast vOUig fehlt, die sieb mit kaum fnas-
barer Frbhreifet mit lnuen oder perversen Gedchlecbtsgefühlen in einem Alter, in dem tie rein
pbjTBbcb kaum ftihig zur Pa&rnng sind^ dem Laster in die Arme werfen. Welches ist nun die
Qene«e der Prostitution? Die psychologiitche Analyse wird uns zeigen, dass sie nicht in der
8innlichkoit, sondern in der ethischen Idiotie zu suchen ist.*
Lonthroso sagt dann später:
»Die geborene Prostituirte zeigt sich uns ohne MuttergefCIhl, ohne Liebe zu ihren An*
gehörigen, skrupellos nur auf die Befriedigung ihrer Gelüste bedacht, und zugleich als Ver-
brecherin auf dem Gebiete der kleinen Crimioalitilt; damit zeigt sie gan« den Typus der
Moral insanity» Der Mangel dea SchamgefahU ist das beinnhe pathognomische Zeichen
der Moral inaanity de« Weibes, Die ganze Kraft der Ent Wickelung auf ethisohöm Gebiete
hat beim W<!ibe darauf hingedrängt, das Schamgefühl zu scbatifen und zu krliRigen,
«nd 80 bedingt denn die üusBerste sittliche Entartnng, die Moral intanity, den Verlust dieses
Gefühls/ So ist also der Ursprung der Prostitution aus einem schweren aittlichen Defecte
abtitleiten.
Aber Lombroso erkennt doch an, dads nicht alle Prostituirten als , ethisch
bl5dsinnig* bezeichnet werden müssen, sondern dass es auch ^Gelegenheits-
Prostituirte* giebt Es wiederholt sich hier dasselbe, was wir bereits bei dem
aogenatinten Verbrecheptypiu sahen. Eine grosse Zahl der Anomalien ergaben
492 XVII. Die Prostdtution.
sich als solche, die überhaupt im Proletariate häufig sind, aber nicht nur bei
den Prostituirten und den Verbrechern, sondern auch bei unbescholtenen LeuteOt
welche niemals mit den Vorschriften der Moral und Sittsamkait in irgendwelche
Gollision gerathen sind. So wichtig wie Lombroso's Erörterungen sind, so wird
es doch auf diesem Oebiete noch vielfacher vergleichender Untersuchungen be-
dürfen, bis wir zu einer abschliessenden Erkenntniss dieser Processe gelangen werden.
127. Heilige Orgien und erotische Feste.
Bevor ich diese Besprechungen schliesse, muss ich von der gewerbs-
mässigen Prostitution noch einmal auf die Preisgebung der Weiber abschweifeut
wie sie bei nicht wenigen Völkern an bestimmten Festen gebräuchlich war. Nicht
selten waren es Feste der Oötter, welche dann mit heiligen Orgien verbunden
waren, in anderen Fällen aber waren es erotische Feste profaner Natur, bei
welchen ausnahmsweise die sonst bestehenden Schranken der Sitte und Ehrbarkeit
fielen und der sonst auf das strengste verpönte aussereheliche geschlechtliche Ver-
kehr geduldet und erlaubt, bisweilen sogar angeordnet wurde.
Bei den Festen der Isis^ der Pascht, fanden im alten Aegypten die er-
schrecklichsten Ausschweifungen statt. Das Oleiche galt in Byblos am Trauer-
feste des Adonis; ausserdem wurden hier denjenigen Weibern, welche die ein-
tägige Preisgebung in dem Tempel der Aphrodite verweigert hatten, zur Strafe
die Haare abgeschnitten.
Das Fest der Bona Dea in Rom wurde eigentlich nur von den Weibern
gefeiert. Es artete aber, wie Juvenalis schildert, in die ungezügeltsten Orgien
aus, bei welchen sich die vornehmen Damen nicht entblödeten, sich mit dem
niedersten Pöbel einzulassen.
Auch in anderen Centren der Gultur stossen wir auf ähnliche Dinge. So
berichtet StoU, dass an den Tagen der grossen Opfer bei den alten Eingeborenen
von Guatemala feierliche Qelage stattfanden.
,Die Schranken der Zucht hören auf, die Betrunkenen ergaben sich ohne Unterschied
der sexuellen Ausschweifung mit ihren Töchtern, Schwestern, Müttern und Kebsweibem, und
verschonten selbst Kinder von sechs und sieben Jahren nicht.*
Von den alten Peruanern erzählt v, Tschudi:
«Im Monat December, nämlich zur Zeit der herannahenden Reife der Frucht partaj
oder paTta, bereiteten sich die Theilnehmer an dem Feste durch fünftägiges Fasten, d« h.
Enthaltung von Salz, utsu (Beisspfeffor, Capsici spec.) und vom Beischlaf darauf vor. An
dem zum Anfange des Festes bezeichneten Tage versammelten sich M&nner und Weiber auf
einem bestimmten Platze zwischen den Obstgärten, alle splitternackt. Auf ein gegebenes
Zeichen begannen sie einen Wettlauf nach einem ziemlich entfernten Hügel. Ein jeder Mann,
der während des Wettlaufes ein Weib erreichte, übte auf der Stelle den Beischlaf mit ihr
aus. Dieses Fest dauerte sechs Tage und sechs Nächte.*
.Dieses nur vom Erzbischof von Lima Bon Pedro de ViUagomes in seiner ausser-
ordentlich seltenen Carta pastoral de exortacion e instruccion etc., Fol. 47, erwähnte Fest
hiess Akhataymita.*
Hier handelte es sich um heidnische Völker; aber auch das Ghristenthum
hat derartige Dinge hervorgebracht. Dahin gebort die im 4. Jahrhundert auf-
tauchende Secte der Nicolaiten, , welche das Aufgeben jeden Schamgef&hls in
geschlechtlichen Dingen zur religiösen Pflicht machte und jede Ausschweifung
für recht und heilig erklärte." (Lomhroso.) Aehnliche Anschauungen vertheidigten
die Anhänger des Karpohrates und Epiphanhis, sowie die Secten der Kanaiten«
der Adamiten und der Picarden, sowie am Ende des 14. Jahrhunderts die-
jenige der Turlupins. Man findet Näheres hierüber bei Lonibroso.
Aber bis in die Neuzeit hinein haben solche geschlechtliche Ausschweifungen,
welche angeblich zur Ehre Qottes stattfanden, ihre begeisterten Anhänger gefunden.
Das beweisen die von Dixan in seinen Seelenbrauten geschilderten Mucker»
127, Hdülge OrgieD und «rotiache Feste,
4d3
flecten, das beweisen die Gottesdieoste der Eva von BuHltr und ihrer Oeno&seD,
und das beweisen endlich die gerichtlichen Verhöre, welche in Rassland mit
den Mitgliedern der Skopzen-Secte angestellt worden sind.
Wie vorher schon angegeben wurde, sind es nicht allein religiöge Feste,
welche »ich mit solchen Orgien verbinden, soudera es wurden und werden noch
heute vielfach auch Feste profanen Charakters gefeiert, bei denen der geschlecht-
liche Verkehr zwischen Weib und Mann theils pantomimisch zur Darstellung ge-
bracht wird, theils aber auch wirklich in natura zur Ausführung gelangt.
So berichtet Müüer^ Folgendes über die Einwohner Australiens:
, Merkwürdig und an den thierischen Zuitand des Australierin erinnernd ist die That-
fittobej da63 die Yerbeinitbung und Begattung meiBtens während der warmen Jahreszeit, wo
die von der Natur dargebotene Nahrung in reicher Fülle vorbanden und der Körper zn wol-
tttfliigen Regungen ditiponlrt ist, zu goscbeben pfiegt, und letztere Bicb in vielen Füllen darauf
betcbrUnkt. Bei einigen SULmmen, wie %,B. bei den WatEcbandießi soll die Begattung in
der wiirmen JabresKoit mit einem eigenen Fest^e gefeiert werden, wolcbes sie Kaaro nennen.
Biosei beginnt nach dem ersten Neumonde, nachdem die Vams reif geworden sind, und wird
mit einem Freas- tind Saufgelage tou Seite der Milnner eröünet. Zu diesem Zwecke reiben
sich die Männer mit Asche und Wallabyfett ein« und fübren im Mondlicbte einen höcb^t ob*
to5nen Tanz um eine irnibe auf, welche mit Gebüsch umgeben ist. Grube und Gebüsch re-
prÜsentiren den Cunnus, dem sie !khnlicb gemacht werden; die von den Malnnem geschwungenen
Speere stellen die Mentulae vor. Die Männer springen mit höchst wilden und leideuschaft'
liehen Geberden, welche ihre erregte Wollust verrathen, umher, und ntosHen unter Abaingung
einOK Liedes ihre ^^peere in die Grube. Dieses Lied, angemessen dem ubscdnen Feste, lautete
Pulli nira, puUi nira,
pulll nira, wataka!
(non fossa, non fossa,
non fossa, »ed cunnus !)■
_ Die Kanaken auf Hawaii haben einen lasciven Tanz, der nach Buchner
unter allen polynesi sehen Tänzen der lascivste ist und Hula-Hula heisst. Der-
selbe wird folgendermaassen geschildert:
^Zuerst setzten sich die Tänzerinnen sowohl wie die Musikanten mit gekreuzten Lieinen
in zwei Reiben auf den Boden und erhoben einen Wecbselgesang, wobei sie bald laugsam,
bald rasch und leiden §cbafllich den Oberkörper und die Arme hin und her warfen und kleine
mit Steinen gefüllte Calabassen schüttelten, so dasa ein heilloser rasselnder Lärm entstand.
Die Melodie war vie) complicirter, al« die beim Haka der Maori und beim Meke Meke der
VitL Die zwei TSiizerinnen trugen eigenthümlichen Schmuck um die Knöchel, eine Art
Mieder und aufgeacbürzte Röcke; ehemals beschränkte sich das Costüm anf ein Röckchen, das
nur dazu diente, emporgeschnellt zu werden. Nach einiger Zeit sprangen sie auf und machten
unter wildem ächreieu und Haasein mit dem Decken höchst unzüchtige Bewegungen. Die
eingeborenen Zuschauer betheüigten sich höchst lebhaft an dem Vergnügen, lachten entzückt
und machten dieselben Uüftbeweguugen.*
Ueber die Belustigungen der Schwarzen im Rnango-Gebiete (West-
Afrika) berichtete der Stabsarzt Wolff'^:
pDer Tanz besteht hier überall zumeist aus möglichst schnellem seitlicbeu Hin- und
Herhewegen des Hinteren^ indem sich Manner und Weiber gegenübentehen^ dann mehrmals
anf einander zugehen nnd zurückweichen, endlich sich umfoaten. Hier sieben sie in dieser
Stellung ein Weücben still, nm dann wieder aus einander zu gehen und von vom anzufangon-
In manchen Dörfern in Madimba machen sie erst in dieser Umarmung die unzweideutigsten
Bewegungen, um dann danach, wie ermattet, noch in einander verschlungen ein Weilchen
stili zu verharren.*
i\ Spix und t\ Martius wohnten im nächtlichen Dunkel einem Tanze der
Puri in SQd-Amerika bei, in dessen zweiter Abtheilung die Weiber anfingen,
das Becken stark zu rotiren und abwechselnd nach vorn und hinten zu stosaen.
Auch die Männer machten Stos^bewegungen mit dem Mittelkurper, aber nur
nach vorn.
Dass derartige, die Sinne aufregende Tänze hei Volkern, ' h-
tmlt der jungen Mädchen nicht verlangen, <*^1ir haLl vur T)\ ird
494 XVII. Die Prostitution.
man wohl nicht wunderbar finden, und Kulischer glaubt, dass hierdurch eine Art
von Zuchtwahl ausgeübt werde. Er f&hrt eine Reihe von Beispielen an, welche
seine Annahme zu bestätigen geeignet sind. Es möge das Folgende hier noch
seine Stelle finden.
«Die Ausübung der Wahl seitens der Frauen und die Aufmerksamkeit, die sie der
äusseren Erscheinung der Männer widmen, kann aus einem Tanze der Raffern constatirt
werden. Bei demselben, erzählt Alberti, schaart sich eine beliebige Anzahl Männer, gewöhn-
lich ganz entkleidet, in gerader Linie dicht zusammen, wobei jeder seinen rechten, aufwärts
gerichteten Arm, einen Streitkolben in der Hand, mit dem linken seines Nebenmannes ver-
kettet. Dicht hinter den Männern steht eine Linie Frauen, deren Arme jedoch nicht verkettet
sind. Die Männer springen anhaltend und ohne alle Veränderung mit gleichen Füssen in die
Höhe, während man an den Frauen eine sich beinahe an dem g^zen Körper äussemde
krampfhafte Bewegung wahrnimmt, welche vorzüglich in Vor- und Zurückbeugen der Achseln
und einer damit in Verbindung stehenden Eopfbewegung besteht. Dabei machen diese von
Zeit zu Zeit, indem sie nach einer halben Wendung sich einander in sehr langsamem
Schritte folgen, einen Gang um die Linie der Männer und nehmen dann ihre erste
Stellung wieder ein. Bei diesem Allem wissen sie sich, vorzflglich durch Nieder-
schlagen der Augen, ein sehr sittsames Ansehen zu geben. Es ist klar, dass durch das
Niederschlagen der Augen der eigentliche Zweck der Umschau, die die Frauen über die Reihe
der Männer machen, deutlich angegeben wird.*
Aber auch in der Christenheit gab es Feste, bei denen die Sittlichkeit om
keine Spur grösser war, als bei diesen Heiden. Besonders waren es die Esels-
und Narrenfeste, aber auch Kirchweihen und Processionen, welche zu den scham-
losesten Ausschweifungen führten. Und auch gewisse Tänze erfreuten sich keines
sehr feinen Rufes. So schreibt Praetorius (1688) von dem Tanze Gallarda:
«Zudem dass solcher Wirbeltanz voller schändlicher unfläthiger Geberden und unzüch-
tiger Bewegungen ist.*
Und Spangenberg sagt in seinen Brautpredigten:
, Behüte Gott alle frommen Gesellen für solchen Jungfrauen, die da Lust zu den Abend-
tänzen haben und sich da gerne umbdrehen, unzüchtig küssen und begreifen lassen, es muss
freylich nichts gutes an ihnen sein; da reizet nur eins das ander zur Unzucht und fiddem
dem Teufel seine Bolze. An solchen Tänzen verleuret manch Weib ihre Ehre und gut Gerücht.
Maniche Jungfraw lernt allda, dass ihr besser wäre, sie hätte es nie erfahren. Summa, es
geschieht da nichts ehrliches, nichts göttliches.* (Kulischer,)
Zu den grössten Schamlosigkeiten gaben, wie gesagt, auch die Narren feste
Anlass. In Masken und in komischen Anzügen wurde in der Kirche eine paro-
distische Messe gehalten, gespielt, gewürfelt und getanzt und Zotenlieder an-
gestimmt.
,Apr^s la messe, nouveaux actes d'extravagance et d'impi^t^. Les prfttres, confondus
avec les habitants des deux sexes, couraient, dansaient dans T^glise, s'excitaient ä toutes les
actions licencieuses que leur inspirait une imagination effrenee. Plus de honte, plus de pu-
deur; aucune digue n'arretait le d^bordement de la folie et des passions. Au milieu du
tumulte, des blasphemes et des chants dissolus, on vojait les uns se depouiller enti^rement
de leurs habits, d'autres se livrer aux actes du plus honteux libertinage.' Dann ging der
Unfug auf der Strasse weiter. ,Les plus libertins d'entre les s^culiers se mßlaient parmi le
clerg^, et, sous des habits de meines ou de religieuses, ex^cutaient des mouvements lascifs,
prenaient toutes les postures de la d^bauche la plus effir^n^e.* (Dulaure,)
Ganz ähnliche Ungeheuerlichkeiten fanden auch bei den Eselsfesten statt.
Sie werfen ein sehr eigenthümliches Licht auf die sittlichen Anschauungen des
Mittelalters in Europa.
Bei den Neu-Britanniern werden nach Weisser die jungen Mädchen mit
Eifersucht gehütet, und ein freier Verkehr mit jungen Männern wird ihnen im
Dorfe nicht gestattet; allein zu gewissen Zeiten ertönt eine besonders hellklingende
Trommel des Abends aus dem Busch, worauf denselben erlaubt ist, sich dorthin
zu begeben, wo sie dann mit jungen Männern zusammentreffen.
Etwas anders lantet ein anderer Bericht, der von der gleichen Inselgruppe
handelt. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass Weisser ein MissveratSndninB
127. Heilige Orgien und erotische Feste. 495
begegnet ist. Der Bericht sagt, dass sich in Neu- Britannien jede Frau ohne
lebende Verwandte Preis geben könne, an wen sie wolle; wenn sie aber getödtet
wird, braucht ihr Stamm sie nicht zu rächen. Sollte ein Mann sie heirathen
wollen, so hat sie gleiche Rechte wie die übrigen Frauen. Lebt Vater und
Mutter noch, so ist zur Prostitution die elterliche Einwilligung nothwendig, die-
selbe wird aber oft gegeben. Anderenfalls läuft die Frau Gefahr, von irgend
einem ihrer Verwandten getödtet zu werden, da sie möglicherweise zum Weibe
eines hervorragenden Mannes bestimmt oder schon von einem Häuptlinge gekauft
worden ist. In gewissen Nächten wird eine Trommel geschlagen, alle Prostituirte
laufen in den Wald und werden dort von den jungen Männern gejagt. Dies
nennt man ,Lu-Lu*, ein Ausdruck, welcher sich auch auf die Frauen selbst oder
auf irgend etwas mit diesem Oebrauche zusammenhängendes bezieht.
Kreutzwald berichtet von den Ehsten:
,Im Anhange eines Reval-Ehstnischen Kalenders (1840) wird erzählt, dass vor
60 Jahren im Fellinschen bei einer alten Kirchenruine taasende von Menschen am Johannis-
abend zusammengeströmt, auf der Ruine ein Opferfeuer angezündet und Opfergaben ins Feuer
geworfen hätten. Unfruchtbare Weiber tanzten nackt um die Ruine, andere sassen beim
Essen und Trinken, während Jünglinge und Mädchen in den Wäldern sich verlustirten und
viel Unart ausübten.*
Vielleicht haben wir es als Nachklänge im ethnographischen Sinne aufzu-
fassen, wenn wir zwar nicht mehr den unbehinderten geschlechtlichen Verkehr
bei den jungen Leuten antreffen, wenn wir aber doch noch finden, dass bei aller
sonstigen Decenz und Keuschheit in den Worten doch bei gewissen Gelegenheiten
unsittUche und anstössige Dinge zwischen den Jünglingen und den jungen Mäd-
chen frei zu verhandeln erlaubt ist und dieses auf beiden Seiten die grösste
Heiterkeit verursacht.
Noch heutigen Tages bt diese Unsitte bei uns, namentlich auf dem Lande,
nicht ausgestorben, und für gewöhnlich ist es der Polterabend, der hierfür die
Gelegenheit abgiebt, während früher im Mittelalter selbst in den vornehmsten
Kreisen bei dem Öffentlichen Beilager des jungen Paares die ärgsten Zoten ohne
Scheu ausgesprochen wurden. Auch pflegten auf dem Lande die Spinnstuben
nicht immer eine absolute Sittenreinheit in den Reden darzubieten. Etwas Aehn-
liches finden wir auch bei einem der Türkenvölker im westlichen Asien, bei
den Kumücken.
,Zu den Spielen der Kumücken gehört unter andern das Süjdün-Tajak, d. h.
Liebesstock, welches meistens bei Hochzeiten und von Unverheiratheten gespielt wird, und
wobei die Verliebten, indem sie sich gegenseitig mit einem Stabe auf die Schulter schlagen,
Dialoge theils sarkastischen, theils erotischen Inhalts wechseln." fVambery.)
XVIIL Liebe und Liebeswerben.
128. Die Liebe.
Es wird wohl immer eine unentschiedene Frage bleiben, wo dasjenige, was
wir unter dem Begriff der Liebe zu dem anderen Geschlecht verstehen, in der
Stufenfolge der Völker seinen Anfang nimmt. Ob sie dem Menschen auf der
niedersten Stufe der Gulturentwickelung wohl ganzlich fehlt? Fast möchte es den
Anschein haben, als wenn sie bei manchen Völkern mr nicht existirte, wenn wir
das Weib fast schlechter und schmachvoller behandelt sehen, als die Haosthieie,
wenn wir sehen, wie nicht selten der geschlechtliche Verkehr durch Gewalt und
Misshandlung erzwungen wird. Und dennoch können wir nicht behaupten und
beweisen, dass trotz dieser Rohheiten nicht doch die Liebe zum anderen Geschlecht
in ihren Keimen schon Torhanden ist, wenn sie auch noch ab ein schwach glim-
mender, leicht Terlöschender und fftr einen andern Gegenstand wieder aufglühenda*
Funke ihr verborgenes Dasein fristet und noch nicht zu der hellen weitstrahlenden
Flamme geworden ist, als welche wir bei den civilisirten Völkern die Liebe kennen.
Es spricht gar manche Thatsache für die Existenz solcher Liebe, und man muas
in der Behauptung, dass dieselbe nicht existire, doch eine vorsichtige Zurück-
haltung üben. Wer wollte z. B. den Feuerländern die Liebe zu ihren Kindern
absprechen, weil einmal ein Vater sein Kind erschlug, weil es einen Korb mit
Muscheln verschüttete? (Darwin^.) Der Mann hatte nur nicht seine Stimmungen
in seiner Gewalt und liess unüberlegt auf einen Zomanfall sofort die That folgoi,
und hat vielleicht in seinem Herzen später den Verlust seines Kindes tief be-
trauert. So mag es auch mit der uns hier beschäfkigenden Liebe sein; oft mag
sie scheinbar durch augenblickliche Missstimmungen verdrängt und yemichtet
werden, und dennoch tritt sie später yielleicht wieder kräftig in ihre Rechte.
Die Mutterliebe allerdings scheint bei den meisten Völkern stärker zu sein,
als die Liebe zum Manne. Die Hingebung an den Mann ist bei der Paarung
entweder eine freiwillige oder eine gezwungene. Der Mann erwirbt sich seine
von ihm selbst nach eigenem Gutdünken oder durch Andere Erwählte in mannig-
fachster Weise und nach festgesetztem Brauche nicht immer durch Werbung,
sondern durch Kauf und durch Raub. Die Rolle, welche dabei das Weib spielt,
ist meistens eine untergeordnete; sie hat gar selten die freie Wahl. Aber das
Alles berechtigt uns nicht, diesen Völkern cUe Liebe gänzlich abzusprechen, und
wenn das geraubte oder gekaufte Weib auch vielleicht im Anfange dem Manne
mit Widerwillen und mit Widerstreben sich hingeben mag, warum soll sich nicht
später bei ihr die Liebe entwickeln? Sind nicht die geraubten Sabinerinnen
sehr treue Gattinnen geworden?
Aehnliches wird von Eitd über die Tonkinesen-Weiber berichtet,
von den Hak-ka in Süd-China geraubt wurden:
128» Dil» Liebe.
497
»P&nnl les femmes miGii captor^es, les plus laidee sont vendues &ux Ohinois qm les
fpoueent ; le prix moyen d*uiie femme qu^on ^powse eat de cent piastres. Lenr eort est suppor«
tiiblc« elloa dem luideni rarem eilt ä retounier an Tonkin, m^me quand dies ont laisse de«
enfantf dans leur famitle annamite.''
Nun kommt noch hinzu, dass^ wie wir sehen werden, bei vielen Stammen
ein solcher Raub oder Kauf gar nicht Yorkommen kann, wenn nicht schon ein
gewisses Ein verstand nies zwischen den beiden jangen Leuten herrscht, dass also
auch der Frau ein gewisser Grad der Selbstbestimmung erhalten bleibt. Solch
ein Scheinraub fand bei den Tasmaniern statt, und auch bei den Polynesiern
L L (Nftch BUtzlJclii-FtkotOKTophi«.}
auf Tukopia und bei einigen Polarvölkern kommt er vor. Aber auch bei
manchen anderen Nationen sind Anklänge hieran erhalten geblieben.
Einen nicht unwichtigen Factor der Erweckung der Liebe zum anderen
Geschlecht müssen wir bei einer grossen Zahl der Naturvolker in ihren Tänzen
I erkennen. Selten tanzen beide Geschlechter gemeinsam; meistens aber findet der
rTanz der Männer vor der Corona der Weiber statt, und wenn sie geendet haben,
dann beginnen die Weiber den Tanz und die Männer bilden die Zuschauerschaft,
Avif- — '^ra folgt das prüfende Auge den Bewegungen und Formen des anderen
'l#|4, D»» WeJli, «. Auil. i.
32
498 Xyni. Liebe und Liebeswerben.
Geschlechts, und unzweideutig drücken sehr häufig die Tänze erotische Motive
aus. Bei den Weibern sind Schwenkungen und Drehungen des Mitielkörpers
ganz gewohnlich. Das sind Bewegungen, die sich in der Südsee, sowie bei
afrikanischen Völkern finden.
Diese Schwingungen des Beckens machen einen eigenthümlichen Eindruck.
Fig. 255 giebt einen Begriff davon. Es handelt sich um eine photographiache
Aufnahme von drei Tänzerinnen aus Hawaii, welche mit Blitzlicht hergestellt
wurde. An dem Faltenwurf der Kleider und der Stellung der Hüften kann man
das Rotiren des Beckens erkennen. Sie tanzen den auf Seite 493 beschriebenen
Hula-Hula-Tanz.
Einen Beweis, dass die wilden Volker die Fähigkeit zu sanften Herzens-
regungen nicht besässen, suchte man auch darin zu finden, dass manchen derselben
ein Wort für Liebe gänzlich fehlt. Damit ist aber noch gar nichts bewiesen,
denn nicht immer hat ein Volk für dasjenige, was ihm zum Be¥ni88tsein kommt,
sofort auch eine Bezeichnung in seiner Sprache. Und für derartige abstracte
Begriffe werden die Worte am allerspätesten erfunden.
Ein Mangel des Begriffes Liebe kann auch dadurch vorgetäuscht werden,
dass der uncivilisirte Mensch es für unanständig und gegen seine Würde ver-
stossend ansieht, wenn er einen Anderen seine Gefühle und Empfindungen erkennen
oder ahnen lässt.
Der Arawake in Ouyana hält es nach Peschel für unverträglich mit seiner
Mannes würde, empfindsam gegen sein Weib zu erscheinen. Wenn er sich aber
unbemerkt glaubt, dann überhäuft er dasselbe mit feurigen Zärtlichkeiten.
Im Lande der Muskogee giebt es einen Lover's Leap, einen Felsen, von dem lich
zwei verfolgte unglücklich Liebende herabstürzten in den Fluss, und der Missiisippi hat
seinen Maiden's rock, an den sich eine ähnliche Sage knüpft. Dass sich M&dchen unter den
Indianern Nord-Amerikas in Folge von nngldcklicher Liebe erhingen, kam öfters vor;
und Hecketcseder sowie Tanner erzählen selbst Fälle von Selbstmord bei Männern der In-
dianer aus gleichem Grunde. Selbstmord, den manchmal schon ein geringer ehelicher Zwist
veranlasst, ist bei den In dianer -Weibern häufiger, als bei deren Männern, welche sich (nach
Keaiing) bisweilen aus Neid gegen den Ruhm eines Rivalen umbringen. In den Fällen dee
Mississippi von St. Anthony ertränkte sich einst ein Weib mit ihren Kindern, da ihr
Mann ein zweites nahm; und bei den Kuisteno opferte sich nicht selten ein Weib auf dem
Grabe ihres Mannes. Das berühmte Beispiel einer südamerikanischen Indianerin, die
sich auf dem Grabe ihres Geliebten umbrachte, um nicht in die Hand der Spanier zu fallen,
hat Guevara berichtet und später dd Barco Center a ausführlich besungen.
Von den Ilarar! im nordöstlichen Afrika ss^ PauHtsdike: .Die Neigung der beiden
Geschlechter zu einander ist in der Jugend eine ganz intensive und edle, und in einer ganzen
Reihe von Liebesliedern wird den Gefühlen des Herzens oft in überschwänglicher Weise Aus-
druck gegeben. *" Unter den Galla und ßantu kam es vor, dass erkaufte Weiber, welche
den aufgenöthigten Ehemännern nicht gut waren, sich lieber das Leben nahmen, als daas de
den für sie entehrenden Ehebund schlössen.
Polak stellt den Satz auf: Der Begriff von Liebe, den wir haben, ezistirt,
wie im ganzen Orient, auch in Persien nicht. Jedoch widersprechen dem doch
ganz entschieden die glühenden Schilderungen treuer Liebe, wie sie uns in Tausend
und einer Nacht gegeben werden.
Treue Liebe zu ihrem Gatten und zartes Liebeswerben unter den Unverhei-
ratheten treffen wir auch bei den Bewohnern der Südsee-Inseln an.
So berichtet uns auch Moncelon von den Neu-Caledoniern:
,.11 y a accouplement sans amour, absolument comme ailleurs; mais Tamonr existe et
j'ai vu des suicides par amour. Le baiser est connu: L'etait-il jadis? Aujourd*hni, il est
apprecie cbez les jeunes gens, qui sont avides du plus sensuel de tous: celui lar les l^vree.*
Und wo Lieder gesungen werden, wie das sogleich folgende, dm famn man
wohl an der Existenz von zarten Liebesempfindungen keinen Zwofiol bMin. DieMS
Lied fand Parkinson ebenfalls in der Südsee und zwar bei den fiilD6ffc^In«n«
lauern. Er theilt uns die folgende Uebersetzung mit:
129. Der Liebeszauber. 499
Man hat es gehört,
Es ist über ganz E*tnei (ein Dorf) verbreitet
Und macht viel Aufruhr in Arorai.
Soll ich es yerleugnen?
Es bricht mein Herz.
Sein Oel riecht so schön
Und er ist so schön und gut!
Ich hab ihn so sehr lieb,
Und er scheint mich wieder zu lieben.
Jetzt steht er unter jenem Baum,
Ich will ihn rufen. Ngo, Ngo, Ngo,
Ich muss hingehen, wo ich Ruhe finde.
Nach Norden über das tiefe Wasser.
Ngo, Ngo, Ngo (Weinen).
Jetzt sehe ich ihn am Strande stehen.
Er nimmt sein Canoe und segelt
Hinauf zwischen Tarawa und Apalang.
Dort wirft er Anker, er hat sie wiedergefunden,
0, dort kommt der Vogel te Eabane,
0 Kabane, 0 Eabane, 0 Kabane!
Man muss wahrscheinlich in demjenigen, was wir als Liebe zu bezeichnen
pflegen, verschiedene Grade and Abstufungen anerkennen; aber voraussichtlich giebt
es kein einziges Volk, dem die Liebe völlig fehle, wenn sie auch nur ein scheinbar
verstecktes und schwer zu bemerkendes Dasein fristet.
129. Der Liebeszauber.
Ist nun einmal die Liebe erwacht und hat sie nicht die erwünschte Gegen-
liebe gefunden, so hat sie von jeher nach übernatürlichen Mitteln gesucht, um
dieselbe dennoch zu erringen. Hat sie diese Gegenliebe aber erlangt, so schwebt
sie nicht selten in banger Furcht, sie wieder zu verlieren, und wiederum müssen
magische Processe hier die schützende Hülfe gewähren.
Der Glaube an dergleichen Mittel ist über sehr viele Volker verbreitet, und
die besonderen Maassnahmen wechseln je nach den Sitten und der Anschauung der
Nation, und wie in so vielen Formen des Volksaberglaubens, so lassen sich auch
auf diesem Gebiete manche Anklänge an altmythologische Anschauungen erkennen.
Bei der Anwendung des Liebeszaubers haben wir verschiedene Grade und
Methoden zu unterscheiden. Einestheils sind es rein sympathetische Mittel, welche
von fern her auf denjenigen wirken, dessen Namen der den Zauber Ausübende
nennt, oder es sind besondere geheimnissvolle Dinge, die man aber mit dem zu
Bezaubernden in directe Berührung bringen muss, oder endlich die Zaubermittel
müssen von demjenigen, auf den es abgesehen ist, in irgend einem Nahrungsmittel,
selbstverständlich ohne sein Wissen, genossen worden sein, sie müssen also wirk-
lich in seinen Körper eindringen.
Hier schliesst sich das Liebesorakel an, durch das man überhaupt erst
den Gegenstand kennen zu lernen ho£Ft, von welchem man einst geliebt werden
wird. Femer muss man eine schon gewonnene Liebe zu erhalten, eine verlorene
wieder zu erwerben und endlich die Fesseln einer lästigen Liebe wieder los zu
werden suchen.
Bis in das graue Alterthum sind wir im Stande, derartige magische Hand-
lungen nachzuweisen. So gab es schon im alten Indien einen Liebeszauber,
durch dessen Beihülfe das Mädchen auf das Herz ihres heiss Geliebten zu wirken
suchte. Ein Beispiel findet sich in einem Zauberspruch zur Fesselung eines Mannes
und zur Vertreibimg einer glücklichen Nebenbuhlerin (R Veda 10, 145):
.Dwte Pflama grabe loh aas, das kr&ftige Kraat, durch welches man die Nebenbuhlerin
verdringii daNk ««Um» man einen Gatten erlangt.
82*
500 XVIIl. Liebe and Liebetwerben.
Da mit den aasgebreiteten Bl&ttern, heilbringende, knflreiche, von den G^ttam
spendete, blase weit weg meine Nebenbahlerin, Tenchaffe mir einen eigenen Gatten.
Herrlicher bin ich, o herrliches Gewächs, herrlicher als die Herrlichen, aber
Nebenbuhlerin, die soll niedriger sein als die Niedrigen.
Nicht nehme ich ihren Namen in den Mand, nicht weile sie gerne bei diesem Stemme^
in weite Feme treiben wir die Nebenbahlerin.
Ich bio Qberwältigend, du bist siegreich, wir beide liegreich, wollen die Nebenbnhleria
bewältigen.
Dir legte ich die siegreiche zur Seite, dich belegte ich mit der siegreichen; mir lanfe
dein Streben nach wie die Eah dem Kalb, wie Wasser dem Wege entlang eile et.*
Eine ganze Reihe solcher Segen zur Entflammung ((uc) von liebe in dem
Herzen eines Mannes hat uns der Atharva-Veda aufbewahrt. (Zimmer.) Nach
GriWs Uebersetzung möge die folgende Probe hier Platz finden:
,Aus Honig dies Gewächs entstund. So red* ich sQss mit meiner Stimm*:
Mit Honig graben wir Dich aus, Wie Honig eitel will ich sein!
Der Honig ist^s, der Dich gezeugt. Ja mehr als Honig bin ich süss.
So mache uns denn honigsfiss. Hab' mehr als Süssholz Sflssigkeit:
An meiner Zang* yorn Honig klebt. So sei denn ich das Liebste Dir,
An ihrer Wurzel Honigseim: Gleich einem honigsQssen Zweig!
In meiner Macht nur sollst Du stehn. Ich wind* Geschling Ton Zackerrohr
Mir sollHt Da ganz zu Willen sein. Um Dich, dass es den Hasa vertreib.
Wie Honig ist mein Eingang sQsb, Dass Du ganz in mich seist verliebt.
Und honigHOsH mein Ausgang ist, Dass Du mir nicht abspenstig wirst.*
Die letzten Verse lassen vermutben, dass bei der Hersagung dieses Zauber-
spruchs irgend eine mystische Manipulation mit Zuckerrohrstengeln ausg^eAhrt
worden ist.
Einen Liebeszauber bei den alten Aegyptern hat Erman^ aus dem grossen
Pariser Zaubeq^apyrus nachgewiesen. Eine der Formeln lautet:
, Mein... zu legen an den Nabel des Leibes der N. N., es zu bringen (?) den... der
N. N. und dass sie gebe, was in ihrer Hand ist in meine Hand, was in ihrem Mond ist in
meinen Mund, was in ihrem Leib ist in meinen Leib, was in ihren weiblichen Gliedmaaien,
gleich, gleich, augenblicklich, augenblicklich/
Die alten Römer brauten Liebestränke, welchen man die Kraft zuschrieb,
Personen beiderlei Geschlechts, die sich früher ganz gleichgültig gewesen, in
einander verliebt zu machen, oder durch die man dem Gegenstande seiner An-
betung Gegenliebe einzuimpfen hoffte. LucuUus soll durch einen solchen den
Verstund und zuletzt das Leben eingebüsst haben. Der Dichter Lucretius nahm
sich das Leben im Liebeswahn, der ihm angeblich durch ein Philtrum — so
nannte man einen Liebfstrank — beigebracht wurde. Apulejus soll das Herz
der reichen Pudentilla durch ein Philtrum gewonnen haben, das aus Spargel.
Krebsschwänzen, Fischlaich, Taubenblut und der Zunge des fabelhaften Vogels
Jyop zusammengesetzt war.
Der Italiener Porta erzählt Wunderdinge von der Wirkung des Hippo-
manes, einer schwarzen Haut, die, von der Grösse einer getrockneten Feige, auf
der Stirn neugeborener Füllen wachsen soll und, von den Griechen zu Pulver
verbrannt, im Blute des Liebenden aufgelöst, als Philtrum gebraucht wurde.
Der Liebeszauber war auch unseren germanischen Vorfuhren nicht fremd:
Man suchte im skandinavischen Norden zur Erregung der Liebe die mystische
Wirkung der Kunen zu verwenden, wie Wcinhold darthut. Ausser in mehreren
nordischen Sagen, die von solcher Kraft der Runen Beispiele bringen, lernen
wir aus den Liedern von Siegfried dergleichen Liebesmittel kennen. In OdkMs
K u n e n 1 i e d in der Edda heisst es:
„Ein sechzehntos knnn ich, will ich 8ch5ner Maid
In Lieb* und Lust mich freuen;
Den Willen wandl' ich der Weissarmigen,
Dass gani ihr Sinn sich mir gesellt.
502 XVIII. Liebe und Liebeswerben.
Ein siebzehntes kann ich, dass schwerlich wieder
Die holde Maid mich meidet.
Dieser Lieder magst Du, Lodfafnir,
Lange ledig bleiben."
In der isländischen Egüs Saga, welche Asmundarson aufgezeichnet hat,
ist von solchen Zauberrunen die Rede. Ich verdanke den Hinweis und die üeber-
setzung dieser Stelle Fräulein Margarethe Lehtnann-Fühes. Ein Bauemsohn in
Norwegen warb um die Liebe eines Mädchens, und als dieses ihn nicht erhörte,
da schnitzte er ihr Runen, um sie zu bethoren; aber er verstand es nicht ordent-
lich, und da verfiel sie durch diesen Zauber in eine lange Krankheit. Egü^ der
das Gehöft ihres Vaters besuchte, sah sie dort elend im Bette liegen, und ihr
Vater berichtete ihm auf seine theilnehmende Frage: ,Sie hat eine lange Kraft-
losigkeit gehabt und das war eine harte Krankheit. Sie bekam keine Nadit ScUaf
und sie war ganz wie ausser sich, als sei ihre Haut gestohlen worden.*^ Effä
Hess die Kranke aus dem Bette heben und untersuchte dasselbe. Da fand er
einen Fischknochen, auf welchen die Zauberrunen geritzt worden waren. Er las
dieselben, schnitzte sie ab und schabte sie in das Feuer nieder. Darauf verbrannte
er den Fischknochen ganz und liess die Betttücher in den Wind tragen und die
Kranke auf reine Betttücher lagern. Als dieses geschehen, sprach Egü den Vers:
«Der Mensch soll nicht Ronen ritzen,
Ausser wenn er (sie) gut beherrschen kann!
Das geschieht manchem Manne,
Dass er im Dunklen den Stab (Buchstaben) verwirrt.
Ich sah auf einem geschnitzten Fischknochen
Zehn Geheimstäbe geritzt:
Das hat einer Frau Laukalind (Lauchlinde!)
Lange Trübsal verursacht."
Als dann Egü auf seiner Rückreise wiederum bei dem Bauern vorsprach,
fand er dessen Tochter auf den Füssen und von ihrem Leiden wiederhergestellt
Diese Geschichte ereignete sich im Jahre 951.
Als besonders kräftig galt auch ein Trunk, durch Zaubersprüche und Lieder
und Runen reich gesegnet, lieber diesen Aberglauben spricht Bruder Berthold:
«Pfui, glaubst du, dass du einem Manne sein Herz aus dem Leibe nehmen und ihm
Stroh dafür hineinstossen könntest?* Ein andermal ruft er: ,Es gehn manche mit bOsem
Zauberwerk um, dass sie wähnen, eines Bauern Sohn oder einen Knecht zu bezaubern. Pfui,
du rechte ThGrin! warum bezauberst du nicht einen Grafen oder einen König? dann würdest
du ja eine Königin werden.* Allein nicht bloss durch Ermahnungen in Predigten, sondern
noch mit viel kräftigeren Mitteln zog die Kirche gegen solchen Aberglauben zu Felde; und
Weinhold führt an: «Als die Hexenyerfolgungen blühten, brachte nicht selten vermeintlicher
Liebeszauber ein Weib auf den Scheiterhaufen, und manches Mädchen musste fftr seinen Lieb-
reiz mit dem Tode büssen."
Der europäische Volksaberglaube ist noch heute ungemein reich an Mitteln zur
Liebes-Erwerbung, die Welleicht aus sehr alter Zeit herstammen. Zuerst sind hier gewisse
Zaubersprüche zu erwähnen: Es giebt in der Oberpfalz einen solchen, in dem sich das
Mädchen mit ihren Bitten an die hülfreichen Gestirne wendet, sobald der Liebhaber lau wird;
doch ist nur bei zunehmendem Monde der Spruch von Erfolg:
«Grüss dich Gott, lieber Abendstem!
Ich seh dich heut und allzeit gern;
Scheint der Mond über^s Eck,
Meinem Herzallerliebsten auf's Bett:
Lass ihm nicht Rast, lass ihm nicht Ruh,
Dass er zu mir kommen mu (muss)!*
Die Ausübung eines Liebeszaubers ist in einem ^ ^d« der flandrisch^ i
dem 15. Jahrhundert dargestellt, das sich im Le Wim befindet o
besprochen wurde; dazu ist eine treffliche Copie ^hß): In der )
Kamin und reichlichem Hansgerftth versel «lit ein n»
129. Der Liebeszauber. 503
am Unterleibe nur mit einem dünnen Schleier bedeckt; neben ihr befindet sich auf einem
Schemel eine Trohe mit geöffnetem Deckel; in derselben erblickt man ein Herz, wahrschein-
lich ein Wachsbild. In der rechten Hand hält das Mädchen Feuerstein und Schwamm, in
der erhobenen Linken einen Stahl, mit dem sie aus dem Feuerstein Funken schlägt; diese
letzteren sprühen auf das Herz herunter, während auch von dem Schwamm auf dasselbe
Funken herabfallen. Durch eine im Hintergrunde sich öffnende Thür tritt ein junger Mann
in das Gemach.
üeber die Bedeutung dieser Scene kann man nicht lange zweifelhaft sein: Offenbar ist
hier die magische Handlung eines Liebeszaubers dargestellt, der in solcher Form namentlich
im Mittelalter verbreitet war. Sie bestand darin, dass man ein Bild aus Wachs oder anderem
Stoffe (in ganzer menschlicher Figur oder auch in Gestalt eines Herzens) mit dem Namen
dessen, auf den es abgesehen war, taufte und es dann glühen oder schmelzen machte. Durch
diese Wirkung galt nun Derjenige, dessen Namen das Bild trug, mit seinem Wesen als magisch
an dasselbe gebunden; er sollte, indem er Aehnliches erlitt, wie das Bild, in Liebe entzündet
werden. Jacob Grimm erwähnt folgende Stelle aus dem Gedicht eines fahrenden Schülers:
«Mit wunderlichen Sachen
13r ich sie denne machen
von wahs (Wachs) einen Kobold
wil si daz er ihr werde holt
und töufez in den brunnen
und leg in an die sunnen.*
In der Regel Hess man das Zauberbild (den „Atzmann*), statt es in die Sonne zu legen,
am Feuer ,bähen*.
Auch bei den Indianern in Nord -Amerika spielt ein Bild des Geliebten bei dem
Liebeszauber eine wichtige Rolle. Nach Ktating fertigen die Chippeway- Mädchen ein
solches Abbild des begehrten Mannes und streuen ihm ein gewisses Pulver auf die Herzgegend.
Bemerkenswerth ist hier, dass auch bei diesem uncivilisirten Volke der Sitz der Liebe in die
Herzgegend verlegt wird.
Aehnlich ist es nach v.Wlislocki^ hei den siebenbürgischen Zigeunern:
«Will eine Maid sich die Liebe eines bestimmten Burschen erzwingen, so formt sie aus
dem Teige, dem sie noch womöglich Haare, Speichel, Blut, Nägel u. s. w. des geliebten Mannes
beimischt, ein menschliches Gebilde, das sie mit dem Namen des Betreffenden belegt. Dann
vergräbt sie die Figur bei zunehmendem Mond auf einem Kreuzwege in die Erde, lässt ihr
Wasser auf die Stolle rinnen und spricht die Worte:
Peter, Peter, ich liebe Dich! Wenn verfault Dein Bildchen ist, sollst Du wie der
Hund der Hündin, also Liebster, mir nachlaufen!*
Ein eigen thümliches magisches Mittel ist der Sudzauber, auch Siedzauber, nordisch:
seidr genannt. Wird unter gewissen Sprüchen ein Stück gebrauchter Kleider oder Haar in
einem neuen Geschirr gesotten, so kommt Über die spröde Person plötzlich die Liebe mit
solcher Gewalt, dass sie dahinlaufen muss, wo die Liebe gesotten wird, und zwar um so
schneller, je stärker das Wasser im Topfe wallt; und kann sie es nicht erlaufen, so muss sie
sich zu Tode rennen; kein Hindemiss auf dem Wege ist so stark, dass es nicht Überwunden
werden wollte. Schönicerili berichtet von einigen Fällen, in welchen die Verliebten, wie sie
fest zu wissen glaubten, unter dem Banne solchen Zaubers gestanden haben.
Derartiger Zauber ist aber nicht allein auf die europäischen Völkerschaften
beschränkt. Das beweist eine Angabe von Riedel^:
, Sympathetische Mittel, Liebeswahn zu erregen, werden von den auf Djailolo und
Halmahera (Niederländisch-lndien) lebenden Galela und Tobelorcsen unter der
Bezeichnung «goleu laha* oft angewendet. Die ursprüngliche Galela weise ist die ßezauberung
mittelst Blumen. Man pflückt zu dem Zweck 3 Tage nach Neumond 4 Urunuru- und 4 Gabi-
Blumen, stellt sie in einen weissen Topf mit Wasser, setzt dieselben unter freiem Himmel
Tor sich hin und spricht, wenn die Sterne sich zeigen:
.Frau Sonne, du hell leuchtende Frau, ich glänze wie die Sonne, die aufspringt (auf-
geht), ich glänze wie der Mond, der sich zeigt, ich glänze wie der Stern am Himmel, ich
gl&nse wie das Feuer, das flammt, ich glänze wie die Sonnenblume, die sich öffnet, möge X
ndob lüben, an mich denken bei Tage, wie bei Nacht. '
iNaeh diesen Worten muss Gesicht und Körper dreimal mit dem Wasser gewaschen
•idmt in dam die BluMn legen.*
504 XYIIL Liebe und Liebefwerben.
Auf den Aaro- und T an em bar- Inseln (Niederländisch-Indion) wenden aodi Tiale
Männer sympathetische Zaabermittel an, om eine Frao in sich rerliebt sn ^»fhm\ CRitäid^,)
Ganz ähnlich ist es aof den Seranglao- and Gor ong -Inseln. Will hier eine Frau oder
ein Mann Jemanden in sich Terliebt machen, dann geht sie (oder er) nackt in das WaaMr,
setzt sich aof den Boden, streckt die H&nde in die Höhe nnd sagt:
,Im Namen des barmherzigen Gottes, Schein der Feoerfliege Mantara, sieh auf midi,
Vollmond sieh auf mich, Sonne sieh aof mich, der Segen daron es ist kein Gott, alt Gott, der
Segen von Mohammed, Gottes Abgesandten, N, N. sieh auf mich, die wie der Mond aeiieiBi,
sieh auf mich den Vollmond, sieh auf mich den Stern, sieh auf mich die Sonne, sieh anf mich
den Propheten Mohammed, den Abgesandten Gottes.*
Dann bläst man zweimal über beide H&nde und macht das Hanpt dreimal mit Warner nam.
Ausserordentlich mannigfaltig ist die zweite Art des Liebenaabera, bei
welchem das geliebte Wesen mit bestimmten absonderlichen Dingen berfihrt
werden muss.
Im Spreewalde, der bekanntlich eine wendische BeTölkemng beutst, sagt man an
einzelnen Orten, dass der junge Mann, um eines Mädchens Liebe su gewinnen, in einen
Ameisenhaufen einen lebenden Frosch hineinthun und so weit weggehen soll, dam er nichts
sieht und nichts hört; dann nach einigen Stunden muss er wiederkommen und eine «Hand*
des Frosches nehmen, darauf soll er dem Mädchen eine Hand geben nnd ihr dabei die Froscfa-
hand in ihre Hand drücken.
Auch sonst in Deutschland ist der Frosch ein wichtiges Hülfsmittel fdr den Liebes-
Zauber. In Schwaben, Böhmen, Hessen, Oldenburg thut der Bursch einen Laubfrosch in
einen neuen Topf und bindet ihn am Georgitage Tor Sonnenaufgang in einen Ameisenhanfen;
ist der Frosch dann von den Ameisen verzehrt, so nimmt man am folgenden Georgitage (also
nach Jahresfrist!) die Knöchelchen heraus und bestreicht mit einem solchen (dem Schenkel-
knochen) das Mädchen auf sich zu. In Ostpreussen sticht man zwei sich begattende
Frösche mit einer Nadel durch, und mit dieser Nadel heftet man dann einen Augenblick die
eigenen Kleider mit denen des Geliebten zusammen. (TöppenJ In der Oberpfals mnss der
Bursche die Hand des Mädchens mit den FOsschen eines am Lnkastage gefangenen Laub-
frosches blutig ritzen.
Dem Frosch schliesst sich die Fledermaus, die Eule und der Hahn an, also s&mmtlich
Thiere, welche in der Mythologie und in der schwarzen Kunst tou jeher eine wichtige Rolle
zu spielen bestimmt gewesen sind. In Ostpreussen berührt das Mädchen ihren Geliebten
heimlich mit einer Fledermaoskralle; sie muss dabei aber einen Zaubersegen murmeln. Im
Samlande heisst es: Man schiesse eine Eule und koche sie in der Mittemachtsstunde. Als-
dann suche man aus ihrem Kopfe zwei Knöchelchen, welche wie Hacke und Schaufel gestaltet
sind. Das Uebrige von der Eule vergrabe man unter die Traufe. Wflnscht man nun ein
Mädchen für sich zu gewinnen, so darf man sie nur heimlich mit der Hacke berühren: sie ist
«festgehackt*. Reisst man einem Hahn die Schwanzfedern aus und drückt sie dem begehrten
Mädchen heimlich in die Hand, so hat man ihre Liebe erobert (in Seh waben). In Böhmen
genügt es, mit diesen drei Federn aus dem Hahnenschwanzo den Hals des Mädchens zu be-
streichen, um seine Liebe zu erwerben.
Auch manche Pflanzen stehen in ganz besonderem Ansehen. In Franken trägt das
Mädchen Liebstöckelwurzel, im Spessart Liebstöckelblüthe im Rosmarinbüschel bei sich, um
den Geliebten an sich zu fesseln. Es kann, so heisst es in Posen, der Bursch von der reinen
Jungfrau dann nicht mehr lassen, wenn letztere in seinen Brustlatz die Spitze eines Rosmarins
einnäht Und wie in Neo-Griechenland, so ist auch in Ostpreussen und in der Ober-
pfalz das heimliche Zustecken von vierblättrigem Klee besonders in die Schuhe Ton treu-
machender Wirkung; anderwärts, z. B. in Böhmen, legt man Rosenäpfel dem Schatz ins
Bett. Bei den Süd-Slaven gräbt nach Krausa^ «das Mädchen die Erde aus, in welcher die
Fussspur des geliebten Burschen sich abgedrückt hat, giebt die Erde in einen Blumentopf und
pflanzt darin die Nevenblume (Calendula ofßcinalis). Das ist die Blume, die nicht welkt! So
wie die gelbe Blume wächst und blüht und nicht hinwelkt, so soll auch die Liebe des Burschen
zu dem Mädchen wachsen, blühen und nicht verwelken.*
In Italien giebt es für das Mädchen ein unfehlbares Mittel, tioh daii JUairliag geneigt
zu machen; sie muss ihm «das Pulver werfen*. .Da ist die Eidechse, Oalabrien
allgemein respectirtes Thierchen, denn es trägt ja Wasser in die H^
diesmal muss sie daran; die Liebe respectirt kein Gesetz. Das
Eidechse, ertränkt sie in Wein, dörrt sie an der Sonne und stöett <
129. Der Liebeszaaber. 505
Pulver nimmt sie eine Prise und bestäabt damit den Geliebten. Dies hält man für ein un-
fehlbares Liebeszwangsmittel, und davon stammt die Phrase: Sie hat mir das Pulver geworfen,
d. h. mich in sie verliebt gemacht* (Kaden.)
Etwas unbequemer ist das in der Provinz Bari in hohem Ansehen stehende Mittel, um
den Geliebten fest an sich zu fesseln, dass er sich nicht wieder von dem Mädchen trennt.
Die Liebende soll nach Karu9%&8 Angabe auf einem Begräbnissplatz den Knochen eines Todten
stehlen, der dann ohne Wissen des Bäckers in ein Brod eingebacken werden muss. Letzteres
muss puiverisirt und unter die heilige Steinplatte eines Altars gelegt werden, damit die Messe
darüber gelesen wird. Mit diesem Pulver soll man dann den Geliebten, ohne dass er es ge-
wahr wird, bestreuen.
Sympathetische Zaubermittel, um Männer und Frauen liebestoll zu machen, werden auf
Buru angewendet. Man benutzt dazu Sirih-Pinang, oder Tabak, die man, nachdem eine Be-
schwörungsformel über sie gesprochen ist, in die Sirih-Dose legt. Macht der Erwählte davon
Gebrauch, so muss er dauernd in Liebe der Beschwörerin folgen. Noch kräftiger wirkt es,
wenn man ein Stück zubereiteten Gember (Zingiber officinale) unter Segenssprüchen in die
Erde gräbt. Geht der Erwählte über diese Stelle fort, so tritt der Zauber in Kraft. (Riedel^ J
Auch in Mittel-Sumatra hat man, wie van Ha^selt erzählt, allerlei Zaubermittel zur
Erweckung der Liebe. Eines besonderen Rufes erfreut sich das Sperma des Elephanten, der
in dem Augenblick, wo er das Weibchen bespringen wollte, durch einen Menschen erschreckt
worden ist. Es ist dazu nöthig, dass es auf den Körper oder auf die Kleidung des Betreffenden
gebracht wird, dessen Liebe man zu erringen hofft.
Am Georgi-TsLge backen nach von Wli^locki die transsilvanischen Zelt-
Zigeunerinnen ein mit Kräutern gewürztes Brod, das sie unter Freund und
Feind vertheilen. , Diesem Kuchen werden auch geheimnissvolle Wirkungen zu-
geschrieben und namentlich soll seine Kraft in Liebesangelegenheiten unzweifel-
haft sein. Manche Maid raubt durch diesen Kuchen «das Herz und den Verstand **
des Burschen, der dann später in seliger Erinnerung singt:
Wohl kein Weib btlckt solches Brod,
Wie mein süsses Lieb es bot
In dem Wald beim Festgelag'
Mir am Sankt Georgi-Ta^,
Knetet Blumen von der Au*
In den Teig und frischen Thau,
Bäckt hinein die Liebe gross, —
Sclav* wird ihr, der es genoss.**
Ganz besonders wirksam und erfolgreich ist es nun aber, wenn man ent-
weder von dem Körper des geliebten Wesens etwas zu erlangen vermag, oder
wenn man ihm von dem eigenen Körper etwas heimlich anbringen kann. Das
letztere sind durchaus nicht immer sehr appetitliche Dinge. Das, was man sich
von dem begehrten Menschen zu scha£Fen sucht, sind besonders einige Haare.
Kann man vom Haupte des Mädchens, das man begehrt, drei Haare bekommen, so klemme
man diese in eine Baumspalte, so dass sie mit dem Baume verwachsen ; auch soll der Bursche
dem Mädchen, wenn es schläft, dreimal Haare hinten im Nacken abschneiden und sie in
der Westentasche tragen, dann ist er ihrer Liebe sicher.
Solchen Liebeszauber mit Haaren kennen auch die siebenbürgischen
Zigeuner. Darüber sagt v. Wlislocki^:
«Die Maid stiehlt vom Haupte des betreffenden Burschen einige Haupthaare, kocht sie
mit Quittenkemen und einigen Tropfen ihres Blutes, das sie aus ihrem linken kleineu Finger
gewinnt, zu einem Brei, den sie im Munde kaut und den Vollmond anblickend dreimal den
Spruch hersagt:
.Ich kaue Dein Haar,
Ich kaue mein Blut,
Aus Haar und Blut
Werde Liebe,
Werde neues Leben
Für uns.*
«Dann schmiert sie mit diesem Brei ein Kleidungsstück ihres Qeliebten ein , damit er
nizgendfl Buhe finde, nur bei ihr.*
506 XYIII. Liebe und Liebeiwerben.
F.'nter den Derivaten des eigenen Körpers, welche man dem Anderen nnbringcn man,
um in ihm die Gegenliebe zu entzflnden, spielt namentlich der Schweiss eine berromgende
Kolle. Ea ist eine bekannte Thatsache, dass der Gemch der Transpiration nicht immer der
gleiche ijtt und namf»ntlich bei geschlechtlichen Erregnngen einen reiAnderten Charakter mn-
nimmt; e-t ist aber femer auch nicht za leugnen, dass der Gemchssinn mit den geschleehtlicfaen
Empfindungen in einer sympathetischen Beziehung steht, und da ist es wohl nicht sa rer-
wundem, dasi) in dem Glauben des Volkes die Ausdünstung und der Duft des eigenen KOipers
eine Wirkung auf die Pfiyche eines Nebenmenschen auszuüben vermag, wohlventandea, wenn
er vom entgegengesetzten Geschlechte ist.
Man führt manche Beispiele als Beleg dafOr an, dass die nähere Bekanntschaft mit
der Transpiration eines Menschen der erste Anlass zu einer leidenschaftlichen Liebe gewordoi
Bei ; Heinrich II L ward plötzlich von der heftigen und bis zu seinem Tode andanemden Liebe
zu der PrinzeHsin Maria ton Ckve ergriffen, als er sich am Tage ihrer Yennfthlung mit dam
Prinzen von C'f/nde (18. August 1572) zufällig das Gesicht mit einem leinenen Tuche abtrocknete,
welcberi die vom Tanze erhitzte Prinzessin kurz vorher von ihrem schwitzenden KOrper ge-
nommen und im Nebenzimmer abgelegt hatte. Auch Heinrid^ IV. würde vielleicht nie eine
feurige I^eidenBchaft für die schöne Gabriele empfunden haben, hätte er nicht auf einem Balle
unmittelbar nach ihr mit ihrem Schnupftuch sich die Stirn getrocknet. Solche legendenhaften
Erzählungen gingen fort durch die gläubige Welt und galten als Beweismittel für die mate-
rielle Kraft magiM:hen Liebeszaubers.
•So reicht auch im Samlande das Mädchen dem jungen Manne, welchen sie zu fesseln
bestrebt int, wenn sie ihn antrifft, wie er sich die Hände wäscht, ihr Taschentuch oder auch
ihre Schürze zum Abtrocknen. In Hessen entwendet man dem Geliebten einen Schuh oder
Stiefel, trägt ihn acht Tage lang selbst und giebt ihn dann wieder zurück.
Nimmt man zu dem Abendmahle eine Blume mit und wischt mit dieser nach dem
GenuBHC des Weines den Mund, so erhält die Blume die Kraft, den Anderen dauernd in Liebe
zu fosfieln, wenn er die Blume annimmt.
Sehr leicht vermag ein Mädchen einem Manne Liebe zu erwecken, wenn sie ihren Urin
in seine Stiefel lässt.
Aber auch solch eine Sympathie erscheint vielen Leuten nicht sicher genug.
Sie halten den Zauber erst dann für vollgültig, wenn sie das Zaubermittel wirk-
lich dem zu Bezaubernden einverleibt haben, mit anderen Worten, wenn sie im
Stande gewesen sind, dasselbe seinem Trank oder seinen Speisen beizumischen.
Hier stehen obenan die sogenannten Liebestränke, die Philtra der alten Griechen
und Körner, von denen schon oben die Hede war, und wie bei allen Völkern, so spielen sie
auch unter den DeutHchen und den Süd-Slaven eine bevorzugte Rolle. Die alte Magie
kommt da zum Vorschein, und noch bis in die neueste Zeit giebt es Verblendete, die an ihre
Macht glauben. Eine Frau, die mit Liebestränken handelte, wurde im Jahre 1859 zu Berlin
verhaftet; Hie hatte täglich gute GoHchäfte gemacht. Von der Liebstöckel- Wurzel, deren
myHtische Kraft hochgeschätzt wurde, macht man in Franken einen Liebestrank; die
Höhiiieri aber tröpfeln zu gleichem Zweck Fledermaus-Hlut ins Bier; nicht ungefährlich mag
allerdings die Lieboswuth sein, welche die fränkischen Mädchen bei ihren Geliebten da-
durch erzeugen, dass sie denselben in Kaffee eine Abkochung von spanischen Fliegen reichen,
denen sie vorher den Kopf abgebissen haben; denn das in diesen Thierchen enthaltene
Cantharidin wirkt schwer schädigend auf die inneren Organe, namentlich auf die Nieren ein.
l' Oberhaupt waren die Liebestränke früher sehr gefürchtet, und nach dem Ausspruch
der alten Aorzte sollen Leute dadurch wahnsinnig geworden sein, ein Ausspruch, der sich
vielleicht auf die angeführten Beispiele von angeblichem Liebeswahn im alten Rom stützte.
Zacliias sagt: ^Focula amatoria hominem infatuunt et insaniam pariunt, ut nonnullorum ani-
nialiuni cerobra et Solanum furiosum.*
Kine meisterhafte Schilderung von der Wirkung eines solchen Liebestrankea
verdunk(fii wir bekanntlich Gottfried von Strassburg:
I)ie Königin bereitete ^r^^ ^^^^^ ^^^^ ^^^ ^^^ ^^ ^^
hrer WeiHieit gemdss ^.^ ^.^^^ ^^^ ^^^^ ^.^^
In einem Glangofilss *# x -u • j
v M, ,7 «j- Musst er ihn mmnen und mi
Linon rank dor M.nne. ^^^ j^„„ j^ ^„^ .^^ ^
Der mit ho feinem Sinne jj,^^ ^ ^„ ^^ ^od, Ein UW-
Und r rrwii^J'^lrach, =^" ^-^ ^ ^'"^ «^'-
508 XVIII. Liebe und Liebeswerben.
Wie beide blind auch vor Begier Zu begixmeii« aarafangen:
Sich einem Wunsche möchten nahn, Das barg ihr Wfinschen und Verlangen.
Zq schwer doch kam es ihnen an
Aber auch hier sehen wir bald wieder bei dem Landrolke die Sacht, von dem eigenen
Körper dem anderen etwas einzugeben. Im Spreewalde macht der Jfingling das Ifftdchen
in sich verliebt, wenn er sich in den kleinen Finger der linken Hand schneidet und das dabei
hervorr^uellende Blut dem Mädchen heimlich zu essen giebt. fr. Sdiuleidmrg.J Aadi in
Böhmen schneidet man sich in der letzten Stunde des Jahres in den Finger, mischt drei
Tropfen Blut in einen Trank und lässt ihn den oder die Geliebte trinken.
Ein Liebespulver fschätzt man in den Niederlanden. fWolf^.J Man nimmt eine
Hostie, die jedoch noch nicht geweiht sein darf, schreibt auf dieselbe einige Worte mit dem
Blute aus dem Ringfinger und lässt alsdann von einem Priester f&nf Messen darflber lesen*
Dann t heilt man die Hostie in zwei gleiche Theile, deren einen man selbst nimmt und den
anderen der Person giebt, deren Liebe man gewinnen will. Dadurch .ist schon viel Unheil
geschehen und manches keusche Mädchen verfahrt worden*.
Doch auch das gewöhnliche Blut genügte dem VorstellnngsvermÖgen des nngebildeten
Volkes nicht. Es mnsste noch etwas Besonderes dabei sein. Und so wählte man dann das
Menstruationsblut, um es fQr die Zauberspeise zu benutzen. Der bereits im 9. Jahrhondert
vorkommende Zauber, den Männern weibliches Menstmalblut in Speise und Trank zu mischen,
kommt in Deutschland vereinzelt noch vor, z. B. im Rheinlande. Bei JBMrdbarfl Ton
Worms heisst es: ^Fecisti quod quaedam mulieres facere solent? ToUnnt menstninm säum
Fanguinem: et immiscent cibo vel potui, et dant viris suis ad manducandum vel ad bibendon,
ut plus diligantur ab eis. Si fecisti, quinque annos per legitimas ferias poeniteas.*^
Auch heute noch wird in Unter-Italien in der Provinz Bari fest geglaobt, dass
ein mit BFenstrualblut befeuchtetes Gebäck, einem Mann zu essen gegeben, diesen unfehlbar
in Liebe an das Mädchen, welcher das Blut entstammt, zu fesseln vermöge. (Karusio.)
Ebenso sind die Zigeunerinnen in Siebenbürgen der Ansicht, ,dass Apfialkenie
zu Staub verbrannt und mit dem Menstruationsblut vermischt, einem Jüngling in die Speise
gemengt, diesen zu «toller Liebe* treiben soll.* Aber noch grössere Kraft besitzt dieses Blnt,
wenn es in der Nenjahrsnacht geflossen ist:
, Menstruationsblut des eigenen Leibes, in der Nei^ahrsnacht erlangt, ist f&r die
siebenbürgische Zigeuner- Maid ein unfehlbares Mittel, um Liebe zu entfachen. Wessen
Kleider sie damit besprengt, der kann von ihr schwer lassen. Im Jahre 1884 wnrde von
ihren Stammesgenossinnen Joane Gindare, eine Zigeuner- Maid des Stammes Leila, bei
der Polizeibehörde zu Mühlbach (Siebenbürgen) angeklagt, sie habe mit ihrem Men-
struationsblut, zu Neujahr erlangt, alle Männer des Stammes verrückt. Klägerinnen worden
mit ihrer Klage abgewiesen." Ct\ Wlislocki*.J
Die hervorragendste Rolle spielt hier jedoch ebenfalls wieder der Seh weiss. Man muss
Aepfel oder Semmel, welche der Andere essen soll, im Samlande mit dem Schweisse des
Körpers bethauen: in Schlesien, Böhmen und Oldenburg trägt man Obst, besonders
einen Apfel, oder Woissbrod, oder ein Stück Zucker so lange auf der blossen Haut anter dem
Arme, bis es von Schweiss durchdrungen ist, und giebt es dem Anderen zu essen. Ganz
«Heiches geschieht im Spreewalde. Wenn dort aber ein Mädchen die Liebe eines «Jungen*
liaben will, ho soll sie sich die Nacht Über ein Knäulchen Semmel oder Zwieback oder einen
A])fol zwiHchen die Beine auf die Pudenda legen, es da durchschwitzen lassen und dann dem
Jungen zu essen geben, so kann er nicht von ihr lassen. Auch ein durchgeschwitztes seidenes
HalHtuch, das zu Zunder verbrannt, pulverisirt und dem Essen beigemengt wird, giebt einen
wirknamon Lieboszauber ab.
In der südlichsten Provinz von Chile benutzten die Mädchen ebenfalls den Schweiss
als Mittel für Liobcszauber. Die junge Chilotin webt aus Fäden von gewisser Farbe Tücher,
die sie eine Zeit lang bei sich trägt; dann weiss sie sie dem geliebten Jüngling entweder
in die Kleidung zu bringen, oder sie kocht ihm ein Getränk und seiht dasselbe dnreh das
Zaubortucli. Nach dem Genüsse widersteht er ihrem Anblicke nicht.
Dan int aber alles den Leuten noch nicht unappetitlich genug. Man Usst in Böhmen
Ilaare uuh der Achselhöhle gepulvert in den Kuchen backen, und Capitftn Jaeobtem enlUi
mir, <laHH oh in Norwegen ein bekannter Liebeszauber sei, klein gehackte
gebacken dem Anderen zum Kssen zu geben. Anderwärts bestreicht man dar
Andere essen soll, mit Ohrenschmalz, Selbst das Semen virile wird, wie im ^
iilter CWofuierscMebenJ, noch jetzt in Böhmen der »«^ise oder dem Tranke
beigomiicht. (Grohmann.J Andere geniessen e^ v die dann wi
510 XYlIl. Liebe und Liebeswerben.
dorn Geliebten zum Genüsse heimlich beigebracht wird. Will Einer, dass Jemand sn ihm in
Liebe entbrenne, so muss er auf nüchternen Magen drei Pfefferkörner Terschlucken, späterhin,
nachdem er sich entleert, die Körner ans seinem Abgang heraussuchen, sie trocknen und sn
Pulver stossen Dieses PüWerchen wird in einen Kuchen verbacken und der Geliebten oder
dem Burschen zum Essen gegeben. (Gegend von Varazdin.) (Krausa^.)
In den Decreten des Bischofs Burchard von Worms finden wir: .Fecisti quod qaaedam
mulieres facere solent? prostemunt se in faciem, et discoopertis natibus, jubent ut tapra
nudas nates conficiatur panis, et, eo decocto tradunt maritis suis ad comedendum. Hoc ideo
faciunt, ut plus oxardescant in amorem illarum. Si fecisti, duos annos per legitimas feriat
poeniteas. Gustasti de semine viri tui ut propter tua diabolica facta, plus in amorem taum
exardesceret? Si fecisti septem annos per legitimas ferias poenitere debes. Fecisti qnod
quaedam mulieres facere solent? Tollunt piscem vivum et mittunt eum in puerperium sonm
et tamdiu ibi tenent, donec mortuus fuerit, et, decocto, pisce, vel assato, maritis snis ad
comondendum tradunt. Ideo faciunt hoc ut plus in amorem earum ezardescant. Si fecisti,
duos annos per legitimas annos poeniteas.*
In früher gebrauchten Liebestränken gab es folgende Ingredienzien: (Mark) Lorbeer-
zweige, das Gehirn eines Sperlings, die E^nochen von der linken Seite einer von Ameisen an-
gefressenen Kröte, das Blut und Herz von Tauben, die Testikel des Esels, Pferdes, Hahns,
und ganz besonders wieder das Menstrualblut. (Schwaben.)
In Marocco wird nach Quedenfeldt der Kopf eines Geiers und eines grossen Saorien
benutzt, um, gepulvert, heimlich dem Gatten beigebracht zu werden, damit seine der Fraa
verloren gegangene Liebe wiederkehre.
In Deutschland sind bestimmte Tage dem Liebeszwange besonders günstig; ee und
dies Johanni (24. Juni), Andreas (80. November) und Sylvester (31. December). An diesen
Tagen sind besondere Zaubersprüche von grosser Kraft. Aber auch Ostern reiht sich hier
an. So giebt die Verliebte in Tyrol ihrem Schatze Ostereier zn essen, welche sie am Oster-
sonntage auf einem geweihten Feuer gesotten hat.
In dem Samlande kann man den Geliebten zwingen, wenigstens an sein M&dchen
zu denken, wenn das Letztere da, wo es Niemand hört, dreimal laut den Namen des Schatzes
ruft. (Frischbier.J
Bei den Japanern sucht eine verlassene Braut sich an ihrem treulosen Geliebten
durch Zaubermittel zu rächen. ,Um 2 Uhr in der Nacht begiebt sich die Verlassene zn dem
Orte ihres Schutzpatrons in den Wald. In weissem Gewände, mit aufgelöstem Haar, drei
brennende Kerzen auf dem Haupte und mit einem Spiegel unter der Brust, nagelt sie das
Puppenbild des Entflohenen an den Stamm, unter Anrufung der Götter, den Verr&ther zu
strafen.* (Selenka.J Fig. 257 führt uns diese Scene nach dem Holzschnitt einer japanischen
Encyclopädie vor.
Dr. F, W. K. Müller theilt mir mit, dass diese Ceremonie den Namen Ushi no toki
mairi führt; das bedeutet, „zur Stunde des Stieres (um 2 Uhr Nachts) ehrfurchtsvoll besuchen.*
Den gleichen Gegenstand behandelt ein Holzschnitt des berühmten japanischen Malers
Hokusai, ungeßlhr vom Jahre 1820, den ich in Fig. 258 wiedergebe. Es geht dabei recht
gespenstisch zu, und der unglücklichen Braut mag wohl recht bange werden. Der mystische
Stier, nach welchem die Stunde benannt ist, windet sich zwischen den Bäumen durch und bat
mit seinem rüsselartig verlängerten Maule den Zipfel der Schärpe erfasst, mit welcher die
Braut umgürtet ist. Diese bemüht sich mit beiden Händen, sich von dem Stiere zu befreien.
Einen Pinsel, mit dem sie vielleicht das f^ild des ungetreuen Geliebten an den Stamm des
Baumes malen wollte, hat sie mit dem Munde gefasst, um ihre Hände gebrauchen zu können.
Ihr Oberkörper ist weit vorgebeugt; ihre Haare wehen und die Kerzen auf ihrem Haupte
flackern im Winde. An zwei Baumstämmen hält sich je ein Tengu, ein Waldgeist ange-
klammert, mit Sperlingsflügeln und phantastischem Vogelkopfe. P]iner derselben scheint mit
einem Fächer den Luftzug zu verursachen, welcher die Kerzen flackern macht.
Ein Liebeszauber Tvird nun aber nicht allein von solchen angewendet, welche
bereits ihr Auge auf einen ihrer Mitmenschen geworfen haben, sondern der Mensch
ist von jeher liebebedürftig, wenn er auch selber noch nicht weiss, wen er mit
seiner Liebe beglücken soll. Und da müssen wieder Zaubermittel helfen.
In Frankreich wird man den Damen unwiderstehlich, wenn man ein Scbwalbenhen
bei sich trägt. Die Eingeborenen des östlichen Neu-Guinea glauben nach Comrie feit an
einen Liebeszauber, der dem genannten Berichterstatter höchst geheimnissvoll mitgetiieili
wurde. Er besteht darin, dass man das Gesicht mit einem wohlriechenden Hane enmibt;
180. Die Liebes-Helfer. 511
das andere Geschlecht kann dem so beschmierten nicht widerstehen. Der einheimische Name
für diesen Zauber ist tübäl. Die E ei sar- Insulaner glauben dadurch Liebeswahn zu erzeugen,
(lass sie auf die Fussstapfen der Männer und Frauen geheime Mittel legen, oder auf die Stellen,
wo diese ihren Urin hingelassen haben, hintreten und ebenfalls dahin uriniren. (RiedelK)
Ein einfacheres Mittel giebt es für indische Männer; sie verschaffen sich einen ge-
wöhnlichen kleinen Hufeisenmagnet; weiss der Besitzer eines solchen dann noch gewisse kleine
Zauberformeln geschickt anzubringen, so ist kein weibliches Herz vor ihm sicher. (Martin^,)
Bei den Dajaken des südöstlichen Borneo ist es genügend, der glückliche Besitzer
eines Djawet, d. h. eines heiligen Topfes zu sein, um Glück in allen Dingen, namentlich aber
auch in der Liebe, zu haben. (Qrahovsski.)
130. Die Liebes-Helfer.
Zaubern ist nicht Jedermanns Sache und auch in den Liebesangelegenheiteu
wagen Viele nicht selber den Zauber zu treiben. Sie bedürfen der Hülfe geistes-
starker Naturen, die in der schwarzen Magie die nöthige Erfahrung besitzen.
Vielfach ist es ein altes Weib, „das mehr kann als Brod essen **, wie der Volks-
mund spricht, welche die nöthigeu Weisungen giebt. Auch den fahrenden Schüler
haben wir bereits als solchen Helfershelfer kennen gelernt. Der Wirkungskreis
der weisen Frau in dieser Beziehung liegt nicht nur in Europa. In Mittel-
Sumatra ist es die Doekoen, ein Mittelding zwischen Hebamme und Aerztln,
welche hier die nöthige Hülfe giebt. Nach van Hasselt verkaufen sie dort
Päkäsie genannte Geheimmittel, „die man zwischen Trank und Speise mischt,
für denjenigen, dessen Geneigtheit oder Liebe man sich versichern will. Der Leser
erlässt mir die Aufzählung ihres unreinlichen Inhalts.* Diese „ekelhaften
Schmutzereien '^ sind geeignet, dem Betreffenden Schaden zu bringen.
Bei den Indianer-Völkern Amerikas kommt solch eine Zauberkraft
einzig und allein den Medicin-Männern zu. Die alten Indianer in Peru hatten
nach von Tschudi eine besondere Art von Zauberern unter diesen, die sich damit
beschäftigten, Liebende zusammenzubringen.
,Sie verfertigten zu diesem Zwecke Talismane aus Wurzeln oder Federn, die in die
Kleider oder in die Lagerstätte derer, die man sich geneigt machen wollte, so viel wie möglich
verFteckt, hineingebracht wurden, oder von Haaren der Person, von der die oder der Be-
treffende geliebt sein wollte, oder von kleinen bunten Vögeln aus den Urwäldern oder bloss
von deren Federn. Sie verkauften den Verliebten auch einen sogenannten Kuyanarumi
(Stein, um geliebt zu werden), von dem sie behaupteten, er werde nur da gefunden, wo der
Blitz eingeschlagen habe (Donnerkeile). Es waren meist schwarze, weiss geäderte Achatstücke,
und wurden Sonko apatsinakux (gegenseitige Herzensträger) genannt. Diese Kunat-
Kinkiz (Menschenvereiniger) bereiteten auch unfehlbare und unwiderstehliche Liebestränke.*
Bei den Indianern Nord-Amerikas findet sich für alles Zauberwesen
eine weitverbreitete Ordensbrüderschaft, deren Mitglieder den Namen Mi de führen.
Nur die höchsten Grade derselben, zu denen man nur mühsam vorzudringen ver-
mag, sind zu dem mächtigsten Zauber befähigt. Sie bereiten auch ein Liebes-
pulver. Iloffmann macht uns darüber Mittheilung. Es war ein Midö der Ojibwa,
oder wie sie gewöhnlich genannt werden, der Ghippeway-Indianer, welcher
dieses Pulver verfertigte. Er hatte den vierten Grad erreicht, den höchsten, der
in der Genossenschaft zu erlangen war. , Dieses Liebespulver, '^ sagt Uoffmann^
, steht in hohen Ehren, und seine Zusammensetzung ist ein tiefes Geheimniss;
nur gegen eine hohe Bezahlimg wird es einem Änderen überlassen. Es besteht
aus folgenden Ingredienzien: Yermillon, gepulverte Schlangen wurzel (Polygala
Senega L.), eine Ueine Spur von dem Menstrualblute eines Madchens, das zum
ersten Male die Regel hat, und ein Stück Ginseng, das yor der Bifurkation der
Wurzel abgeschnitt«! und gepulvert ist. Das wird gemiflcht und in einen kleinen
Cattunbeutel getham Dass es gerade au dar Biforkation der Wurzel genommen
werden moss, darin Uegt woU vifc ^ nit wie fiberaatOrliohe
Beziehung za den Gemta?^ "^ifbrkation, d. h.
X*ilL lJuk0b "OA LbHiHVi
^T. <^r h^LfMr.Tju ^ Ekm& ikreii Siez liaÜKii. Die HenceilB&g
p-«:Tfrr% ^<t ;kr,^T r:>:i:i: so ;cu:z «icfahdi: <s gdbdrt daac m Opfer.
^^.u^^'^s. \z, ^K, K^^Uki ^aW%d/ß. ioA mit eiB«m Mide- ~
Tif,ux^. A*:T 7jk^\*AiTT\i^iA }>stid«it^ Mxc mo». Wild e
«^y rr,\.^ «iiitA^ ^ :;£.^!7 fSa* Lager ifA za BezMibentdat praktidzcm.
Diete Mide und «ine Ahozt dffwBw, &WmbeKO.
r^ben für ihre magiicbeii Gf ringe
ar.f deQJün hieroglTpheiiiliiilkhe Figuzcn
\}\«i9i0i ^Matik-Bretter* bilden eine UntersHitzBig fbr
da» ^iy&£ioXsam der Medicin- Männer. Jedes Bild
•i^ an die Beschworongsformd, die sie
^^1« jed« einzelne dieser "iM^mnkffSL hat ihre ganz
K^^^ Bedeataog. Aach der laebennaber kommt in
»'.;r ^>' ;,.<i'.««z*?'.4r ^hwoninffen ror. wahrschonlich im InteieaK
J'!. ^'^^ /*»'^'' ««'" zahlenden Clienten. ikhodarafl hat mehrere sokhe
<i^,t.Kt. o*v,L '.<h^^urm/t., Bretter Teronentlicbt ; aoch sie entstammten wahrscMni-
lieh den Chippewaj-Indianern. Auf einem derselben
findet ^\i\\ niiUif anderen Figuren «ein junger Mann in Liebes-Extase. mit Federn
auf vfjn^m Kopfe und mit einer Trommel und einem Trommelstock in den Händen*,
^f'jg. 2r/^; Kr giekt vor, die Maeht zu besitzen, dass er auf den Gegenstand
.Heiner WnnM;fae EinÜJXMH habe. Dazu gehört der Zaubergesang:
^Ut/rti r/.eine Trommel, obicbon Da am anderen
Knd« der Welt but, h^re meine Trommel!*
Auf einem anderen Brette findet sich die Darstellung einer Frau.
,hif9 ijkt 'iar^««tellt aU eine, 'lie die Anträge von vielen zorückgevieien haL Ein zn-
rOck^evrioitener Lieb basier bereitet myntijiche Medicin and applicirte sie ihr an den BritoteB
und fuMkohlen. 1)hh verietzt «ie in .Schlaf, während dewten er sie gefangen nimmt und sie
in den Wald bringt.*
Der dazu gehörige GeHang iht nicht angegeben.
In TheHhalien und KpiruH giebt e« Weiber, welche, wie die Xeu-
0 riech ff n glauben, mit Dämonen und Geistern in enger Verbindung stehen und
daraiih ein eintrügliches Gewerbe machen.
, Schon irn Ahnrihnui war die Bezeichnung Thessalierin gleichbedeutend mit Zauberin.
Kif) vi'.rni<i)uin <\'n'. IJobeiitrMnke, l'biltra der Alten, zu brauen, oder sie sind im Beiitz Ton
Wund^ffkrliijUirn, mit d«n«!n man die Geliebte oder den Geliebten nur zu berühren hat, om
MIO ganz willfährig zu machen.' fJ)OHBiuH.j
Auch in Monnien iht der Ghiube und (\vm Vertrauen auf gewisse alte Frauen sehr gross,
wolcho in dMin Rufe htehon, durch WoiNHagungen, Salben und andere Mittel Hexenmeisterei zu
treiben. Sie «ind oh auch, welche abergläubiHche Frauen in vielen Dingen, so auch in Sachen
der Liebe, um Kath und Hülfe befragen. Wird ein Mohammedaner seiner Gattin untren, so
darf di^rtelbe nicht dagegen murren, sie bleibt treu und schweigt — zu Hause. Sie sacht
dann aber die IKlIfe Holcher klugen Frau auf. Ist ihre Lage eine derartige, dass ein Gebet
allein noch nfU/.en kann, so wird die Quacksalberin befragt, welches Gebet und wie oft sie
AN taglich verrichten, welche Speisen sie ihrem Gatten kochen, wie sie das zum Ardea
(WaHchen) noth wendige ProHkir (Tuch) ntccken sollV Die Quacksalberin hört die Klagen ihrer
('lientin ho ruhig und gleichmäsHig an, wie dies bei uns die Advokaten zu thun pflegen. Ist
dann die ('lientin zu Kndo, ho tritt eine kleine Pause ein, nach welcher die Magierin die Taxe für
ihre l'rophe/.eihung feHtntellt und gleich auch einhebt und bei Seite legt, und dann erst sinnt
Hie (larnbnr nach, welche Mittel in diesem Falle angewendet werden sollen. Bei Treu- und
Khebruc.li werden von der Quacknalborin bei älteren Clienten BohnenkOmer, bei jOngeren
FlrbNenk^rner angewendet. Dif^so Körner tragen gewisse Püinschnitte; wenn nun die Clientin
ihr Keid geklagt, welchen in der Kegel darin bcHteht, dass ihr Mann in der Nachbarschaft
Mich ein iindereH Weib halt, und wenn sie dann die vereinbarte Taxe zuvor entrichtet hat,
dann ntreut die alte Hexe diese Bohnen* und £rbsenkömer mit einer eigenthümlichen Ge-
wandtheit auf die groHHC TtiMHe, welche sich auf dem Teppich befindet, prüft dann die Lag«
der KinHchnitte <ler Bohnen- oder KrbsenkOrner und liest aus denselben ihre von jeher alp
unfehlbar anerkannten Ansichten heraus. Sie erzählt dann, warum der Gatte treulos
181. Liebes-Abwehr. 513
wodurch die Rivalin ihn an sich fessele, was zu ihun sei, um dem Uebel abzuhelfen und
dergleichen mehr. Nie vergrisst sie aber, die Clientin auf einen späteren Tag wieder zu sich
zu bestellen, selbstverständlich mit Geschenken. (Strauss.)
Bei den Zigeunern mass die Zauberfrau auch noch nach ihrem Tode
den Liebenden helfen, v. Wlislocki^ schreibt:
„Stirbt ein Weib, das bei den siebenbürgischen Wander-Zigeunern im Rufe
stand, eine sogenannte Zauberfrau gewesen zu sein, so reiben die Maide das Brustbein (als
Sitz des Lebens) der Verstorbenen heimlich mit einem Tuchlappen, tragen denselben neun
Tage lang am blossen Leibe, lassen dann einige Tropfen Blut aus ihrer linken Hand auf den
Lappen rinnen und verbrennen denselben. Die übriggebliebene Asche mischen sie in die
Speisen und Getränke der betreffenden Personen, deren Liebe sie sich erzaubem wollen.*
Auch andere Todte können hülfreich werden, wie wir ebenfalls durch
r. Wlislocki^ erfahren:
„Serbische Zigeuner-Maide schneiden sich am Tage des heiligen Basilius (30. Ja-
nuar a. K.) mit einem Glasscherben in den linken Fuss und fangen das entströmende Blut zur
Zeit des Kirchen geläutes in einem neuen Napfe auf. Dieser Napf wird dann verschlossen und
sammt seinem Inhalte in den Grabhagel eines Mannes mit den Worten eingegraben:
„Alle Liebe, welche diesem Todten im Leben gewesen ist, komme in den N. N.; Blut,
lock' sie herbei, damit ich sie dem N. N. gebe! Liebt er mich dann nicht, so vertrockne
sein Leben, so wie dies, mein Blut, vertrocknet.
Nach neun Tagen wird der Topf herausgegraben, und in demselben fQr den betreffen-
den Burschen eine beliebige Speise gekocht. Daher die Redensart: Er hat Blut gegessen.*
131. Liebes-Abwehr.
Es geht den Verliebten, welche durch Zauberei Jemandem „den Nachlauf
angethan haben**, wie man in Schwaben sagt, nicht selten ähnlich, wie dem
bekannten Zauberlehrling. Sie sind des Segens überdrüssig und möchten die Liebe
des Anderen wieder mit guter Manier loswerden. Das geht natürlich nur durch
einen neuen Zauber.
Wer die oben erwähnte Eule geschossen und mit dem hakenförmigen Knochen sein
Mädchen festgehakt hat, der thut gut, auch den Schaufel knochen sorgfältig zu bewahren.
Denn wenn er das Mädchen wieder los sein will, so braucht er sie nur mit dieser Schaufel
zu berühren.
So wie man Liebe gewinnt, indem man Theile des eigenen Ich den anderen Menschen
an oder in den Leib bringt, ebenso kann man sich auch in analoger Weise wieder von ihr
befreien. Man verschafft sich zu diesem Zwecke umgekehrt Etwas von des Anderen Leibe,
und macht es im Lichte der Sonne oder in der Nacht des Rauches vertrocknen oder vergehen ;
damit schwindet die Liebe, nicht selten aber auch der Körper des einst geliebten Neben*
menschen. Was Liebe hervorbringt, kann sie unter anderen Verhältnissen auch aufhören
machen.
Hieran reiht sich noch die Bosheit, welche verschmähte Liebe oder gebrochene Treue
aus Rache ersinnt oder vollzieht. Ausser mehreren anderen Zaubermitteln, welche namentlich
die gegenseitige Liebe eines Brautpaares zu stören geeignet sein sollen, führt Schöntcerth aus
der Oberpfalz Folgendes an: Ein solches rachsüchtiges Wesen zündet um Mittemacht eine
Kerze an und steckt nach vorgängiger Beschwörung eine Anzahl Nadeln mit den Worten in
dieselbe: ,Ich stech das Licht, ich stech das Licht, ich stech das Herz, das ich liebe.* Wird
der Geliebte nun später untreu, so ist es sein Tod. Daher ist es wichtig, zu erfahren, dass
Allelujah-Klee , welcher gegen Ostern seine kleinen weissen Blüthen trägt, gegen Liebes-
tr&nke schützt.
Dem Volksgeschmack mehr zusagend ist ein Mittel, welches Paulini in seiner hejlsamen
Dreck-Apotheke anführt: .Wenn ein böses Weibsbild einem etwas sie zu lieben bejgebracht
hat, der befleisse sich nur, von ihrem Koth etwas zu bekommen, und lege es in seinen Schlich.
Sobald der Koth erwärmet, und ihme der Gestanck unter die Nasen gehet, so wird er einen
Abscheu vor ihr tragen.*
Ovid warnt vor solchem Zauberglaubeu:
»Drum, w«r immer Du bist, der an uiBere Kunst Du Dich wendest,
GlaaV KD Imaibmg&matg akbi und sn magischen Trank.*
Ploes-Bariele, Dm WA. a. Aü. L 33
514 XYIII. Liebe and Liebeswerben.
Doch ist zu seiner Zeit solch Aberglauben weit verbreitet gewesen:
,Seh' er's, wenn Jemand glaubt, dass H&monias schädliche Kräuter,
Oder die magische Kunst helfen ihm können dabei.
Zaubrischer Mittel Gebrauch ist alt; unschädliche Hülfe
Macht in heiligem Sang unser Apollo Euch kund.'
Ovid verzichtet auf solche Zaubermittel und er schlagt seinen Schfitzlingen
wirksamere Mittel vor, welche seine , Heilmittel der Liebe* entwickeln:
,Bin ich Führer, so wird sein Grab kein Schatten verlassen,
Nicht den Boden ein Weib spalten mit Zaubergesang,
Nicht von einem Gefild die Saat auf das andere gehen,
Noch wird bleich auf einmal werden die Scheibe des Sol.
Fliessen wird, wie gewohnt, in die Meereefluthen der Tiber;
Luna wird, wie gewohnt, fahren mit weissem Gespann.
Weder werden der Brust je weggesaubert die Sorgen,
Noch wird Liebe die Flucht nehmen von Schwefel besiegt!'
Seines Erfolges ist Ovid so sicher, dass er seinen Schülern und Schülerinnen
tu
.Fromm Gelübd' einst werdet Ihr thun für den heiligen Dichter,
Mann und Weib, die mein Sang Euch von der Liebe geheilt."
Aber von Alters her giebt es eine Menge gläubige Gemüther, und manches
schützende Amulet muss auch den Besitzer vor Liebeszauber bewahren. Bei den
Germanen ist solcher Glaube uralt. Wir begegnen ihm bereits in den Helden-
sagen der älteren Edda. Die aus dem Schlaf erweckte Walküre Sigurdrifa giebt
dem Sigurd den Rath:
.Aelrunen kenne, dass des Anderen Frau
Dich nicht trüge, wenn Du traust.
Auf das Hom ritze sie und den Rücken der Hand
Und mal ein N auf den Nagel.
Die Füllung segne, vor Gefahr Dich zu schützen
Und lege Lauch in den Trank.
So weiss ich wohl, wird Dir nimmerdar
Der Meth mit Wein gemischt."
Die Rune N, welche hier schützend wirkt, wird von Simrock als Noth
gedeutet.
132. Heirathsorakel und Ehestandsprognose.
Man wird nun wohl zugeben müssen, dass es eine ganz berechtigte Neugierde
ist, wenn die jungen Leute zu erfahren wünschen, wer ihnen denn eigentlich
seine Liebe entgegenbringt. Da müssen die Liebesorakel aushelfen, die man aber
nicht beliebig anwenden kann, sondern die nur an ganz besonders heiligen Tagen
oder Nächten die erwünschte Wirkung zu bringen vermögen.
Am Andreasahend stOsst man (in Königsberg) dreimal mit den Füssen an das untere
Ende des Bettes und spricht:
.Bettlad ich trete dich,
Heiliger Andreas^ ich bitte dich:
Lass mir im Traum erscheinen
Heute den Liebsten mein.*
Am Johannisabend streut man in der Gegend von Angerberg (nach Müllenhoff) einen
beliebigen Samen in die Erde und spricht dabei:
«Ich streue meinen Samen
In Abrahams Namen
Diese Nacht mein Feinslieb
Im Schlafe su erwarten,
Wie er geht und steht,
Wie er auf der Gasse geht!*
i. ÜvmÜaonkel und Ebeetandcprognoae.
51&
Fig. 2bt). L 1 e ■
»acht. Eine
lülKTgeben '*
den /
(D 0 u t s
«ieckt vom-
• ' 'ooh^ am
Bei den ZtgeaDern kt nach t?. W7iÄ?ocfet'* die heilige (rcor/ys-Nacht Ton
Wichtigkeit ;
,Wül öine M&id ihren inr noch unbekannten Gatten onchauen, so geht sie in der
SL Oeorg^}i acht auf einen Kreuzweg» kiimmt ihr Haar nach rtickwärt», «ticht sich dann mit
einer neuen Nadel in den kleinen Finger ihrer linken Hand und l&sst dann drei Tropfen Blut
auf die Erde fallen, wobei aie spricht:
• Mein Blut gebe ich meinem Liebsten;
Den ich sehe, dem soll ich angehören!*
^Dann soll den BluUtropfen die Gestalt des xukünftigen Gatten entsteigen und langsam
in der Luft xerÜiefisen. Das rergostiene Blut aber muss dann die \UilA ^Rnimt Staub und
Koth aufheben und in ein fliessendes Waaaer werfen,
sonet lecken die Nivaahi ( Wassergeister) die Bluts-
tropfen auf und die betretfende Maid findet aU Braut
ilen TchJ im Wasser.*
Besondere Zauberkraft besitzt auch die Christ-
nacht. Die Magyar in muas sich in derüelben nackend
vor einen Spiegel stellen, dann wird eie darin den
zukünftigen Gatten erblicken, (v. WJiHlocki'^J
Am wirksamsten ist aher die Zeit der
Jahreswende. In der Sylvesternacht stellt sich
in manchen Gegenden Deutschlands das
Mädchen um Mitternacht nackt auf den Feuer-
herd und sieht durch die Beine in den Schora-
' stein oder ins Ofenloch ; dort erblickt sie den
ihr bestimmten Bräutigam. Praeiorius erwähnt
dafi auch in seiner Hocken- Philosophie und bildt; w ^uf dem Titelkupfer ab,
(Fig. 260 und 261.) Auf dieee Scene beziehen sich die folgenden erklärenden Verse:
«Ihr (der alten Heie) folget nach nolcb MUgde-Yolk, die nackt ins finstre treten,
Und sanct AndreBen eiferig um einen Mann anbeten;
Auch die, die sich im Ofen Top{f mit ihrem Kopf Tersteoken,
Und unver^bämt den Fetzer bloss abscheulich hinaas recken.
Und wollen horchen, wsü hinfort ihr Liebster werde können.*
Bei den Stld*Slaven fangt das Mädchen eine Spinne^ steckt sie in ein
Rohr und stopft dasselbe an beiden Enden zu« Vor dem Schlafengehen gedenkt
sie aller Heiligen, macht dreimal das Kreuzeszeichen über das Kopfpolster und
spricht: ,0 du Spinne, du kletterst in die Höhen und in die Tiefen, suche meinen
mir vom Schicksal bestimmten Manu auf und ftlhre mir ihn als Traumbild vor.
Führst du ihn her, so lasse ich dich am Morgen wieder frei, dassi du weiterhin
durch die Welt ziehen kannst; wenn du ihn mir nicht herführst, so werde ich
dich zerdrücken.* (KranssK)
V, Wlishcki erzählt: ,Am Vorabend des Andreas- oder Sylvester -TB^ge»
gehen die siebenbtirgischen Zigeuner-Maide zu einem Baum, den sie einzeln
schütteln, während im Chor gesungen wird:
.E« fällt, es fUlt das Blatt herab,
Wo ist der, den lieb ich hab'?
Du weisser Hund, du belle, belle.
Mein Liebster komm zu mir gar schnelle!*
^ Bellt wahrend des Baumschatteins und des Gesänge« in der Ferne ein Hund, so heirathet
die betreifende Maid noch vor Jahreafri^**
In Neapel ist San Raffaelle^ der seine Kirche in einer der steilsten und
engsten Strassen hat, als Ehestifter von ganz besonderer Bedeutung. Am Fest-
tage des Heiligen ist die Kirche von der Frühmesse bis zum Ave Maria gedrängt
voll. Grösstentheils sind wohlgekleidete junge Mädchen die Besuchenden. Es
hat damit folgende Bewandtniss: San Raffaelle ist nach dem neapolitanischen
Volksglauben der Schutzpatron der jungen Mädchen und steht in dem Huf e^
33*
516 XYIII. Liebe und Liebeswerben.
dass er an seinem Namenstage deren fromme Gebete f&r einen Efaegemahl eriioitL
Die in die Kirche ein- und ausziehenden bunten Gruppen der Mädchen, die ein
sehr bescheidenes, fast yerschämtes Wesen zur Schau tragen, nehmen sich höchst
malerisch aus und werden Yon den an den Eirchenthüren wartenden jungen
Männern ohne Anstandsverletzung bewundert. Hier und da fallt wohl eine sar-
kastische Bemerkung beim Vorüberziehen einer Jungfrau, die sichtlich seit 30
Jahren vergeblich den beschwerlichen Weg zur San-Raffaelle-Kirche znrQckgelegk
hat. In der Nähe der Kirche ist ein vollstHndiger Jahrmarkt eingerichtet, wo
auf Bänken und in Buden Früchte aller Art, besonders Granatapfel, indische
Feigen, auch Spielwaren und Heiligenbilder feilgehalten werden. Heute endet dms
Fest mit dem Läuten der Vesperglocke; früher wurden die Strassen bei eintreten-
der Dunkelheit glänzend beleuchtet, und ein Musikchor spielte auf dem Kirch-
platze bis spät in die Nacht abwechselnd Tänze und neapolitanische Volk»-
melodien, zu denen sich die von San RaffaeUe erhörten und auf ihn glaabig
hoffenden Paare zahlreich einfanden.
Das auch in Deutschland bekannte Schuh-Orakel ist in dem Gebiete Ton
Belluno nach dem von Bastami citirten Soravia an die Sylvesternacht gebunden.
Wenn es Mitternacht schlägt, müssen die Eltern einen alten
Schuh aufs Gerathewohl zur Treppe hin werfen. Fallt er
so, dass die Schuhspitze die Treppe herab zeigt, dann hei-
rathet die Tochter noch im Laufe des Jahres. Die Madchen
lassen ebenfalls im Bellunesischen am ersten Januar ein
Band aus dem Fenster herausflattem, das schon 24 Standen
in ungebrauchter Lauge war. Wenn dann in dem Augen-
blick ein junger Mann vorbeigeht, so ist er der Zukünftige.
Wenn aber in Bari ein Mädchen sein Haus schlecht kehrt,
dann wird sie einen grindigen Mann bekommen. (Karusio,)
Fiß. 261. Liebes-Orakel Higj. gchliesst sich allerlei anderweitiger Abercrlaabe
in der ^»</rraf nacht. •*# i i • tt i i . \
Eine Jungfrau tritt nackt in »"• Man kann ersehen, wer von zwei Verlobten am sehn*
da« Dunkle, um den zukünf- liebsten die Heirath herbeiwünscht; man hat für die Hoch-
''oTeu^sITe^KupÄr* ^^^^ bestimmte Tage zu vermeiden; bestimmte Witterung
vom Jahre 1709.) am Hochzeitstage, bestimmte Begegnungen des Hochzeits-
zuges prognosticiren Glück oder Unglück für die künftige
Ehe, und endlich kann man durch bestimmte sympathetische Maassnahmen während
der priesterlichen Einsegnung sich die Herrschaft im zukünftigen Ehestande sdchenu
Wir geben hierfür nur wenige Beispiele. Bei Belluno fertigt man zwei Stroh-
puppen, welche die Neuverlobten vorstellen, und legt diese zum Feuer. Wessen
Puppe sich zuerst entzündet, der ist der auf die Heirath Begierigere. (Soravia.)
,N6 de Venere ne de Marto no se sposo e no se parte*,
sagt das Volk in Belluno und Treviso. (Bastanei,) Hingegen ist in den nicht
katholischen Th eilen Masurens nach Toq)pefi der Freitag gerade bevorzugt, nur
darf er nicht unter dem Zeichen des Krebses stehen. Regenwetter am Hochzeits-
tage bringt in der Provinz Bari den Ehegatten ein Leben voll Thränen (Karusio)^
und die Begegnung mit einem Leichenzuge prognosticirt in dem gleichen Landes-
theile dem Ehestande Trauer und Klagen.
Wahrend des Trauaktes muss in Soldau und Gilgenburg in Ostpreussen
die Braut dem Bräutigam auf den Fuss treten, oder auf seinen Rock knieen, oder
beim Zusammenlegen der Hände ihre Hand nach oben bringen, dann hat sie
während der Ehe das Regiment.
Die Buddhisten in Tibet halten es itir nothwendig, dass Brautleute durch
die Hülfe eines Astrologen in Erfahrung bringen, ob ihre Ehe eine gltteUiGhe
oder unglückliche werden wird. Das Orakel geben zwölf Thiere ab, nhme mid
wilde, und zwar durch die Art, wie sie sich einander begegnen, ob frenndUoh 0>
feindlich. Damit das Erstere stattfände, erhalt der Astrologe hohe BelH
1^. Die Brautwerbung and der Brautstand.
517
denn ein Wiederauseinandergehen von Brautleuten wird bei diesem Volke in
[höchstem Grade ungern gesehen. (Wernen)
In einem meiner japanischen Werke, dem Ehon kon-rei te-biki guya,
7Ai deutseh: lUustrirte Hochzeitsceremonien Handleitung (vom Jahre
1769), fand Herr Dr. jF, Tf. JT. J/tV/Ze/-»^ einen Abschnitt, der betitelt ist: Wörter,
welche in der Hochxeitanacht nicht gebraucht werden dQrfen. Es sind
das die Ausdrücke: zurückschicken, geschieden sein, zurückgeben, sich zurückziehen,
verlassen, sich ernüchtern, dünn, weggeben, senden, genug haben, zurückkehren,
hinausgeleiteo, wegsenden, trennen, nicht durchdringen, nicht gern mögen, ver-
abscheuen, Abschied, Wir sehen, dass es lauter Redewendungen mali ominis aind^
welche die Jungverraahltea zu vermeiden haben, damit sie nicht auf ihr junges
Glück das in diesen Worten liegende böse Schicksal heraufbeschwören.
Wer noch mehr dergleichen Dinge zu erfahren wünscht, den verweise ich auf die Abhänd*
Inngen von FrUchbieTf Krausn^f Wtätke, Toeppe^i ü. a. w., woselbst er der mannigfachsten Ge-
stultung des Ltebesomkela nnd de» Hochieitflaberglanbene nachgehen kann.
133. Die Brautwerbung und der IlrantHtsind,
Dasjenige, was wir unter der Brautwerbung verstehen, ist einer Keihe von
Völkern ein absolut unbekannter Begriff, Die Werbung ist der Raub, die Hoch-
[zeit ist Gewalt. Aber es giebt doch auch manche ziemlich tiefstehende Nationen,
bei welchen schon ein reguläres BemUhen nicht zu verkennen ist, sich auch der
Zuneigung imd Einwilligung der Auserwahlten zu versichern. Allerdings müssen
wir auch hier an die Verhältnisse mit einem gänzlich anderen Maassstabe heran-
treten, als wir ihn bei hochcivilisirten Völkern auszulegen gewohnt sind. Denn
gar nicht selten hat dieses Liebeswerben durchaus nicht den Zweck, eine eheliche
Verbindung für das Leben einzuleiten, sondern dasselbe wiU nur die Einwilligung
[tu einem regelmässigen geschlechtlichen Verkehre erlangen, welcher aber, wenn
er später wirklich zur Ehe führen sollte, noch eine Werbung in veränderter Form
nothwendig macht.
Sehr eigen thümlichen Gebräuchen begegnen wir auf diesem Gebiete, welche
sämmtlich zu verfolgen weit über den Rahmen dieses Buches hinausgehen würde.
Nur einige Beispiele sollen hier aufgeführt werden.
Anf den Tanembar* und Tiinorlao-lnBeln geht der Jüngling, der sich um die Gunnt
eine« Mädchens bewerben will» Nachts an ihr Uaus und klopft dort nn^ wo ihre Lagerstatt
ist Aus Anstand srücksiehten fragt sie, wer da iat, und wenn or »einen Namen genannt liat,
was er will. Er antwortet darauf: ,Ich habe keinen Pinang, ich bitte Dich nm getrockneten«
entzwei gespaltenen Pinang mit Sirih/ Ist ihm das Mädchen geneigt, dann tagt sie: ,Wart«
ein wenig, ich will sehen, ob er jetxt noch zu finden ist, und reicht ihm durch eine Oe&ung
den Sirih-Pinang, üni auf solche Eventualitäten vorbereitet ku sein, pflegen daher die jungen
Mädchen von dem Eintritt ihrer Keife an stets nur mit einem mit Sirih gefüllten Korbe neben
[fich zu schlafen. Das junge MTidchen kraut darauf durch die Oeffnung dem jungen Manne
die Haare, wahrend er ihren Busen betastet. Beides geschieht sonst niemals^ da beidos tabu
ist Die folgende Nacht bringen sie an einem stiUen Platze ausserhalb des Hauses zu und
treffen sich bei Tage im Busch, wo dos Mädchen Holz sammeln muss. Nach dem ersten
I Beischlaf nimmt das Mädchen ihrem Auserwahlten den Schamgürtel, die Ohrringe oder den
[Kamm fort, um ihn zu Kwingen, ihr treu zu sein und um bei eintretender Schwangerschaft
feinen Beweis in Hunden zu haben, wie sie sich au&drftcken» als Vergütung filr den gegebenen
Birih^Pinang. So leben sie einige Zeit mit einander, und wenn ihre Liebe 7on Bestand ist,
läist der Jüngling erst dann durch eine alte Frau der Form wegen bei dem Mädchen an-
fragen, ob sie ihn heirathen wolle* CRUdtl^.j
Will hei den Papuas der Astrolabe-Baj in Neu«Gninea ein junger Mann um ein
Mädchen werben, lo dreht er eine Cigarette, in welche er eines »einer Kopfhaare, seiner Achsel-
liaaro und seiner Sehanihaare einwickelt. Diese raucht er sar Eälfbe auf und giebt sie dann
Btter mit der Bitt^. dieselbe seiner Aaserwählten zu bringen« Baucht diese darauf
Btte £U Ende, so iet der Bewerber angenommen. Bagen^, welcher dieses berichtet,
st ä^ MeiAung, dftai hiar ein Liebe^aauber verborgen sei
516 XVIII. Liebe und Liebes werben.
dass er an seinem Namenstage deren fromme Gebete für einen Ehegemahl erhure.
Die in die Kirche ein- und ausziehenden bunten Gruppen der Mädchen, die ein
sehr bescheidenes, fast verschämtes Wesen zur Schau tragen, nehmen sich höchst
malerisch aus und werden von den an den Kirchenthüren wartenden jungen
Männern ohne Anstandsverletzung bewundert. Hier und da fallt wohl eine sar-
kastische Bemerkung beim Vorüberziehen einer Jungfrau, die sichtlich seit 30
Jahren vergeblich den beschwerlichen Weg zur San-Iia/faelle-Kirche zurückgelegt
hat. In der Nähe der Kirche ist ein vollständiger Jahrmarkt eingerichtet, wo
auf Bänken und in Buden Früchte aller Art, besonders Granatapfel, indische
Feigen, auch Spielwaren und Heiligenbilder feilgehalten werden. Heute endet das
Fest mit dem Läuten der Vesperglocke; früher wurden die Strassen bei eintreten-
der Dunkelheit glänzend beleuchtet, und ein Musikchor spielte auf dem Kirch-
platze bis spät in die Nacht abwechselnd Tänze und neapolitanische Volks-
melodien, zu denen sich die von San liaffaelU erhörten und auf ihn glaubig
hoffenden Paare zahlreich einfanden.
Das auch in Deutschland bekannte Schuh-Orakel ist in dem Gebiete tod
Belluno nach dem von Bastatizi citirten Soravia an die Sylvesternacht gebunden.
Wenn es Mittemacht schlägt, müssen die Eltern einen alten
Schuh aufs Gerathewohl zur Treppe hin werfen. FälU er
so, dass die Schuhspitze die Treppe herab zeigt, dann hei-
rathet die Tochter noch im Laufe des Jahres. Die Mädchen
lassen ebenfalls im Bellunesischen am ersten Janoar ein
Band aus dem Fenster herausflattem, das schon 24 Stunden
in ungebrauchter Lauge war. Wenn dann in dem Augen-
blick ein junger Mann vorbeigeht, so ist er der Zukünftige.
Wenn aber in Bari ein Mädchen sein Haus schlecht kdut
dann wird sie einen grindigen Mann bekommen. (Bdomsio)
Fig. L^i. Liebes-Orakel Hier schlicsst sich allerlei anderweitiirer Abenrlanbe
in der ^Wr^^j nacht. x/r i i • xr i t , ^ \
Eine Junpfrau tritt nackt in an. Man kann ersehen, wer von zwei Verlobten am sehn-
•Iah Dunkle, um den zukünf- liebsten die Heirath herbeiwünscht; man hat für die Hoch-
'lD"u?:lh'e.Ku,Äh"- '-eit bestimmte Tage zu vermeiden; bestimmte WitteroM
vom Jahre 17CK«.; am Hochzeitstage, bestimmte Begegnungen des Hochzeits-
zuges prognosticiren Glück oder Unglück für die künftige
Ehe, und endlich kann man durch bestimmte sympathetische Maasanahmen wahrend
der priesterlichen Eiuse^niung sich die Herrschaft im zukünftigen Ehestände sichern.
Wir geben hiertür nur wenige Beispiele. Bei Belluno fertigt man zwei Stroh-
jjuppen, welche die Xeuverlobten vorstellen, und legt diese znm Feuer. Wesse:
Puppe sich zuerst entzündet, der ist der auf die Heirath Begierigere. (Soraviti
^Ne de Vencre ne de Marte no se spose e no se parte*,
sagt das Volk in Belluno und Treviso. (Bastanei,) Hingegen ist in den ■
katholischen Tlieilen Masurens nach Toeppeii der Freitag gerade bevorzn.-
darf er nicht unter dem Zeichen des Krebses stehen. Begenwetter am Ho
tage bringt in der Provinz Bari den Ehegatten ein Leben voll Thranen i I<
und die Begegnung mit einem Leichenzuge prognosticirt in dem gleiche« =
theile dem Ehestande Trauer und Klagen.
Während des Tniuaktes muss in Soldau und Gilffenbarff in Ost;
die Braut dem Bräutigam auf den Fuss treten, oder auf seinen Bock k:'
beim Zutsammenlegen der Hände ihre Hand nach oben bringen, u^.
wälirend der Ehe das Regiment.
Die Buddhisten in Tibet halten es ftr nothwsr " * Bmni
die Hülfe eines Astrologen in Erfahrung bringen, ' pfn-»
oder unglückliche werden wird. Das Orakel gebf" il
wilde, und zwar durch die Art, wie sie sich air*
/'eindlich. Damit das Erstere stattfände, erbi i-H""*"^^
183. Die Brautwerbung und der Brautstand. 519
sich gegenüber, mit einer Bewegung und einem Athem. Immer rascher, immer leidenschaft-
licher, rasender. Ihre Körper scheinen zu blinken. . . . Die einzelnen Glieder sind beinahe
nicht zu erkennen Es ist ein Chaos, in welchem sich die beiden verstehen, ein Chaos, das
die ganze Versammlung in äusserstes Entzücken versetzt. Alle tanzen im Herzen mit. Alle
sind der Erde entrückt und vergessen die Sorgen des Lebens. Wilde Rufe: malie! malie!
lelei! lelei! (o süss, o hübsch) mit heftigem Händeklatschen untermengt, übertönen die Chöre
und der Tanz löst sich in allgemeinem Wirrwarr der Zufriedenheit und des Lobpreisens auf.*
,, Indessen ist die Zeit der Abendgebete und des Abendmahles herangerückt, und die
Kreise zerstreuen sich Von allen Seiten hallen in der Luft die Abschiedsgprüsse: Tofa!
tofa! kreuz und quer, und alle g^hen nach ihren Häusern.'
,Wer jedoch in der Nähe des sich zerstreuenden Kreises der Tänzer war, der konnte
zwischen den hingeworfenen Abschiedsgrüssen einige vielbedeutende Worte auffangen. «Tofa
inga*, ,tofa soifüa* sind mehr als gleichgültige Grüsse, und ein rasches ,töro' als Antwort
würde das Ohr des Horchers treffen.*
«Das geheimnissvolle Wort Töro bedeutet Zuckerrohr, und hier neben dem Wege sehen
wir ein damit bestelltes Feld. Aber was ist das? Ganz leise, kaum hörbar, ertönt der Ruf
der samoanischen Eule ... von einer anderen Richtung ereilt uns wieder ein Gekreisch,
wie es die kleine Gecko-Eidechse hervorbringt. . . . Nachts . . . auf dieser Stelle, das ist unge-
wöhnlich ! Plötzlich erschrecken wir beinahe. Unfern von uns sehen wir einen Kopf zwischen
den schwankenden Halmen versteckt. Wir erkennen unseren Tänzer. Nun, dann wird wohl
auch die schöne Eidechse nicht weit entfernt sein Und wirklich, bald gleitet an uns eine
Gestalt vorbei, rasch und leicht wie ein Traum. Die beiden Köpfe vereinigten sich, wankten,
sanken und verschwanden, und in der Feme erschallte dieses Mal wirklich der Ruf einer
samoanischen Eule (Strix delicutula Gld.).'
«Ein Zuckerrohrfeld ist des Nachts ein sicheres Versteck für zwei Liebende. Niemand
wird sie hier in der Zeit der Geister und Gespenster stören. Unser Pärchen weiss es, und
unbesorgt um einen Lauscher kann man sie sprechen hören.'
— ,Du weiest, JAlomajava^ dass meine Eltern dich hassen; uns bleibt nur die
.awenga* übrig.*
Die Awenga, die Flucht wird verabredet; in der dritten Nacht soll sie stattfinden.
«Am Strande des nachbarlichen Dorfes herrscht Stille, aber auf dem weissen Sande be-
wegen sich dunkle Gestalten. Ein Toumalua, das einheimische Reisecanoe, wird ins Wasser
hinuntergeschoben. Die dunklen Gestalten sind verschwunden, ein aufrechtes dreieckiges Segel
entfaltet sich, und dem Strande entlang gleitend entschwindet es dem Blicke. Erst aus weiter
Feme erreicht uns der gedämpfe Schall eines Tritonhomes, dieser Schall begleitet das glück-
liche Liebespaar der Küste entlang, den aus dem Schlafe gestörten Bewohnern etwas Beson-
deres anzeigend. Er eilt ihm voraus nach Palauli, wo die Liebenden den Zorn der Eltern
vorübergehen lassen wollen."
« Am nächsten Morgen Aufruhr in beiden Dörfem. Die Freunde des glücklichen Bräu-
tigams durchschreiten ihr Dorf und rafen aus: .Awängaü Awängaü Die schöne Tänetäsi
und der tapfere Lilomajava sind Aw&nga!I Awängaü* Die stolzen Eltern der Braut hören
mit verbissener Wuth die öffentliche Ausmfung, die das Schicksal ihrer Tochter besiegelt.
Während einiger Zeit böses Blut auf beiden Seiten. Die alten Väter vermeiden sich, die
jungen Männer betrachten ihre Keulen und Speere, die hauptsächlichste Rolle spielen aber
die Jungen.*
«Nach ein paar Wochen legt sich alles, und die Eltern schicken ihrer Tochter eine weisse
Matte als Zeichen der Verzeihung. Das Paar, das sich bis jetzt noch fremd blieb, kommt
zurück. Es wird die «feiaing^* vorgenommen, und die weisse Matte, mit Spuren der Würdig-
keit der Braut, wird gegen einen Theil der Aussteuer ausgetauscht. Der andere wird bei der
ersten Niederkunft ausgehändig^t.*
«Heirathet das Paar nicht aus Liebe, oder stehen keine Schwierigkeiten bevor, so wird
alles von den Verwandten geordnet. Früher war die «Awänga* (die Brautflucht) in Samoa
an der Tagesordnung.'
Die Brautwerbung der Hottentotten in der Umgebung von Angra Pequena ist
ebenfaUs originell. Der Liebhaber geht zu den Eltern seiner Auserwählten, setzt sich still-
8chweig6iid med«r und kocht ebenso wortlos Kaffee. Ist derselbe zubereitet, so giesst er
einen Beohor toU, um ihn der Braut hinzureichen ; trinkt diese ihn zur Hälfte aus und giebt
dem Brinftigu den Becher zurück, damit dieser die andere Hälfte trinke, so ist er ange-
iia Wort zu sagen, wird ihn das Mädchen leeren, wenn der Brautwerber ein
A ond die Eltern ihr Töchterchen hoch genug bezahlt bekommen. Dann
520 XVIII. Liebe und Liebes werben.
bedeutet das Leeren des Bechers: ja, ich will deine Frau werden. Lftwt lie das GMriLnk
stehen, so grämt sich der Liebhaber nicht sehr, vielmehr wandert er in eine andere Hfitte,
am dort nochmals sein Glück zu versachen. CSiegümund Israel.)
.Wenn Jemand von den It&lmenen heyrathen will, berichtet Steiler , so kann er auf
keine andere Art zu einer Frau kommen, als er muss sie dem Vater abdienen. Wo er dch
nun eine Jungfer ausgesehen, da gehet er hin, spricht nicht ein Wort, londem stellt nch ab
ob er noch so lange daselbst bekannt gewesen wäre. Fanget an alle Hauaarbeiten gemein-
ächaftlich mit vorzunehmen, und sich vor anderen durch Stärke und Leistung angenehmer und
schwerer Dienste den Schwiegereltern und seiner Braut ang^ehmer zu machen. Ob nnn
gleich in den ersten Tagen sowohl die Eltern als die Braut wahrnimmt, auf wen es abge-
sehen, dadurch weil er sich allezeit besonders um diejenige Person machet, mit allerlei Hand-
reichung bemühet, und sich des Nachts so nahe zu ihr schlafen legt, als er immer kann,
nichtsdestoweniger fraget ihn niemand, bis er nach ein-, zwei-, drei-, vieijfthrigen Knechti-
diensten soweit kommt, dass er nicht allein den Schwiegereltern, sondern auch der Braoi
gefallig werde. Gefället er nicht, so sind alle seine Dienste verloren und vergebensy und er
muss sich wieder ohne alle Bezahlung und Revanche wegpacken. Giebt ihm die letstere
Zeichen von ihrer Gunst, so spricht er den Vater alsdann erst um die Tochter an imd
erkläret die Absicht seiner Dienste, oder die Eltern sagen selbst zu ihm, nun du bist ein fertiger
und fleissiger Mensch, fahre also fort und sehe zu, wie du deine Braut bald betrflgeet und
überkommst. Der Vater entsaget ihm niemalen seine Tochter, thut aber auch nicht mehr,
als dass er spricht, gwatei, hasche, greife sie, alsdann gehet die Freyerey und Hochseit sogleich
an. Von der Zeit aber an, da der Bräutigam in der Wohnung arbeitet und dienet, hat er
allezeit das Recht, zu probiren seiner Braut auf den Dienst zu lauem, ob er ne nicht unver-
sehens ühomimpeln könne. Die Braut hingegen siebet sich allezeit für, dass sie nicht mit ihm
alleino in oder ausserhalb der Wohnung zusammenkomme, machet ihre Hosen fest so, und
verbindet dieselbe mit vielen starken Riemen, umwickelt sie mit Fischemetzen, nimmt er
aber seine Gelegenheit in Acht, so fallt er auf einmal über sie her, schneidet mit steinern
Messern die Fischemetze oder Riemen entzwei, auch wo er die Hosen nicht aufknfipfen kann,
zerschneidet er dieselbe; sobald die Passago offen, fährt er mit dem Mittelfinger in die Scham,
ziehet darauf sein Halsgehänge von dem Hals ab und steckt solches zum Zeichen der Er-
oberung in der Braut Hosen. So aber die andern solches sehen, oder das Geschrei der Braut,
welche sich zur Wehre stellet, hören, fielen sie alle über den Bestürmer der Jungfemechaft
her, schlugen ihn mit Fausten, zogen ihn von der Braut mit den Haaren ab, hielten ihm die
Arme, und musste er sich öfters bei dieser Bestürmung überaus zerschlagen lassen, bis er
nun stark genug war, und zum Einstecken des Fingers in die Scham kam, da hatte er ge-
wonnen. Die Braut selber verkündete sogleich die Uebergabe, und alle liefen weg, lieaaen
den Bräutigam bei seiner Braut; gelangte er aber nicht dazu, sondern sähe, datt der Storm
abgeschlagen war, so fing er wieder nach wie vorher an zu dienen; niemand aber sagte ihm
ein Wort, und er lauerte alle Tage und Stunden auf frische Gelegenheit. War die Braut
dem Bräutigam sehr gewogen, so ergab sie sich bald in seinen Willen, verschanzte sich nicht
so stark und gab ihm selbst Gelegenheit, dass er bald dazu käme, doch aber musste alleieit
eine Weigerung um die Ehre und Oekonomie willen simulirt werden.*
üebrigens ist es auch nicht immer der Jüngling, welcher um das Madchen,
sondern bisweilen umgekehrt das Mädchen, welches um den Jüngling wirbt.
So schickt auf der Insel Eotar im malayischon Archipel ein Mädchen, wenn sie
einem Manne gewogen ist, diesem eine mit Tabak gefüllte Dose aus geflochtenen Eoliblftttem,
welche symbolisch ihre Geschlechtstheile darstellen soll.
Um den berühmten Krieger dagegen warben auch bei den Osagen die Mädchen durch
Darbieten einer Maisruhre, ohne sich etwas dadurch zu vergeben, und die Ehe selbst wurde
meist nur dadurch geschlossen, dass bei einem Feste, das man veranstaltete, beide Theile
ihren Willen, als Mann und Frau zu leben, öffentlich erklärten: dann baute man ihnen mit
gemeinsamen Kriiften eine Hütte. rWaitz.J
Haben wir hier entweder den Jüngling oder ausnahmsweise auch wohl das
junge Mädchen in eigener Person als Werber auftreten sehen, so ist es doch bei
weitem gebräuchlicher, seine Werbung durch eine Mittelsperson anbringen xa
lassen. Während diese Freiwerber fast auf der ganzen Erde männlichen Geacnlechte
sind, und zwar entweder der Vater oder die Freunde des BräutigamB, so findisii
wir auf den Inseln des malayischen Archipels die Sitte, dass gende WsSl»«
dieses Werbegeschäft libemehmen müssen, und zwar müssen sie selber '
Idd. Die Braut wdrbQDg und der ßrautetand.
521
lind an Jahren bereits etwas vorgeschritten sein. Auch darf sich die Mutter des
jungen Mannes dieser Obliegenheit unterziehen.
Die sibirischen Tßrketi (Tataren) werdeü schon als Kinder mit einander verlobt.
Der Vater des Knaben reitet mit einigen Bekannten zum Vater des Mädchens, am da« er
anhalten will^ stellt sich und die Seinen vor, und nach der Begrüssnng aa^t der werbende
Vater xum Brautvater:
,Wenn die Flut vor Deinem Hause stürmt, so will ich gern ein scbfltaender Damm
Dir werden; wenn der Wind vor Deinem Hanse tobt, wiD ich gern eine bergende Mauer
werden; pfeifst Du mir, so will ich Dein Hund sein und berbeilaufen, und wenn Du mich
nicht auf den Kopf schl&gst^ so trete ich gern in Dein Haus und will Dein Anverwandter
werden,*
Dann nehmen die Werbenden die gestopften Pfeifen ans dem Munde und legen sie an
den Herd. Darauf verlassen sie das Haus und kehren nach kurzer Pause wieder. Sind die
Pfeifen nicht benutzt, ao ist die Werbung abgewiesen und sie reiten nach HauHe; 8ind die
Pfeifen aber angeraucht» so ist der Werber willkommen. Dann zieht der Vater des Bräuti-
gams eine Schale hervor und füllt sie mit Airamt einer seiner Begleiter stopft eine Pfeife,
ein anderer ergreift eine glimmende Kohle vom Herd. So stehen sie harrend. Nun giebt
der Vater des M&dchens seine Zustimmung. Er leert die Schale, nimmt die dargebotene
Pfeife an und l&sst sie sich durch die Kohle des Dritten antOnden. Dann folgt die Bewirthung
Fig. 202. Braat-ischnupttabR k»cto»ea der üftiiutlio. (S^ua- Afrika >
(Mtueiun fßr Völkerkunde in Berlin) (K»eli Photographlfi.)
und die BeiprechuDg des Kalym, d.h. des Brautpreises. Er wird bei Aermeren auf 5 bis 15
Rubel angegeben. «Der Verlobongsact endet damit, dass der Vater de» ßrlluiigarni den KUem
und den nächsten Anverwandten der Braut einige Geschenke macht* Der kleine BrlLutigam
hat dann, mit Geschenken versehen, wioderholentlich im Hause der Braut Beguche zu machen
und hält sich oft längere Zeit dort auf. ,Er wird dann in Spiel und Arbeit der Genoase
I seiner Braut* fVambery.J
Die Werbung bei den Basutho ist nach den interessanten Berichten des Missions*
[Superintendenten Griitzner eine sehr compUcirte Sache* «Zunächst sucht der Jüngling sich
\ meistens mit dem Mädchen ins Einvernehmen su setzen und von seinem Vater die Zustimmung zu
I erhalten. Dieser begiebt sich alsdann zum Vater des Mädchens. £^ wird zuerst über allerlei
1 Gleichgültiges gesprochen. Endlich rückt er mit dem eigentlichen Grunde seines Kommens heraus
[und sagt: «Ich bin gekommen, ein Hündchen von Euch zu erbitten.* Nach langer Pause und
[scheinbar tiefem Nachdenken antwortet der Angeredete: «Wir sind arm, wir haben kein Vieh;
[hast Du Vieh?* Nun klagt der Werbende über die schlechten Zeiten, aber endlich, nach langem
{Feilschen^ einigt er i^ich mit dem Anderen schlieselich über den zu zahlenden Kaufpreis in
^Yieh und kehrt nach Hause zurQck. Danach wird ein zweiter Abgesandter, der den Titel
,iiuaa ditsela*, «Mutter der Wege*» d. h. Wegebereiter, fUhrt, zum Kraale des Mädchens ge*
522 XVIII. Liebe und Liebeswerben.
schickt, der zu sagen hat: «Ich bin gekommen, Schnupftabak zu erbitten.' Die alten F*i
fangen nun an, Schnupftabak zu mahlen (derselbe bildet steinharte, brodfOrmige Kuchen), und
füllen eine als Schnupftabaksdose dienende Kalabasse damit, die dann durch einen besonderen
Boten dem Bräutigam aberbracht wird. Dieser ruft nun seine ganze Sippe zu der Feierlich-
keit des Schnupfens zusammen. Nur dem Hanne der ältesten Schwester des Bräutigams steht
es zu, die Dose zu öffnen. Er schnupft einen reichlichen Theelöffel von dem Tabak und giebt
die Dose weiter, die dann feierlich leer geschnupft wird. Tags darauf schickt man dem Vater
des Mädchens ein Angeld an Kleinvieh. Die Dose wandert mit und wird der Braut über-
geben; diese umwickelt sie zierlich mit Perlen und trägt sie immer, oder doch wenigstens
bei feierlichen Gelegenheiten, um den Hals. (Fig. 262.) Das ist ihr , Kind *", wie die Basntho
sagen, d. h. das Zeichen, dass sie eine «Gekaufte', oder nach unserer Bezeichnimg eine Braut ist
Die Dose wird erst abgelegt, nachdem die junge Frau ihr erstes Kind geboren hat; dann
löst sie die Perlen von ihr ab und hängt diese ihrem Kinde um. Die Boten, welche das
Vieh überbrachten, sagen, sie seien geschickt, um ein .Schöpfeimerchen* zu erbitten. Darauf
stossen die Frauen ein Freudengeschrei aus, welches klingt, «als wenn ein Dutzend Katsen
ihre Musik anheben". Dann wird gemeinsam Bier gezecht, und Nachts liegen die 3 — 4 Boten
mit 8 — 12 Mädchen in einem besonderen Hause. Zechen und Unzucht dauert 3 — 6 Tage.
Die zweite Rate Vieh bringt nach einiger Zeit der BiHutigam selber mit nur einem Begleiter,
ein Ehrenamt, zu dem sich Alle drängen. Sie bleiben dann 2 — 3 Monate dort, während
welcher Zeit ein ähnliches Leben geführt wird. Das Essen dürfen sie aber nicht selber ans
der Schüssel nehmen, sondern stets sitzen die Mädchen des Kraales neben ihnen, nehmen mit
Stäbchen den Brei aus der Schüssel, und nun erst, von dem Stäbchen weg, fassen die beiden
mit der Hand zu und führen den Brei zum Munde. So oft der Bräutigam von neuem Vieh
mitbringt, darf er wiederkommen. Die Heimholung der Braut und die eigentliche Hochseit
findet aber erst viel später statt. Wie himmelweit sind diese Leute von dem idealen Nimbas
entfernt, den bei civilisirten Völkern ein Brautpaar zu umgeben pflegt!*
In dem Glauben, oder besser gesagt in dem Aberglauben mancher Völker
nimmt die Braut den übrigen Menschen gegenüber eine ganz besondere Ausnahme-
stellung ein, und man sieht in dieser Beziehung bisweilen selbst bei noch ziem-
lich niedrig in der Gultur stehenden Nationen einen ersten Schimmer von Idealis-
mus zu Tage treten. Bei den Schlachtopfem der Tschuwassen wird das Fleisch
des Opferthieres gekocht, die Eingeweide werden yerbrannt und Kopf, Füsse and
Haut an den Bäumen aufgehängt. „Es legt nun jeder in die Höhlung eines
Baumes eine Oeldgabe, während die Frauen, die anwesend sind, auf den Zweigen
irgend eine Handarbeit aufhängen. Die Frauen dürfen aber bei dieser feier-
lichen Handlung kein Gebet sprechen, nur eine Braut ist von diesem Verbote
nicht betrofiTen. (Vamhery.)
In der deutschen Schweiz muss eine Braut sich wohl hüten, einem
Kinde ein unfreundliches Gesicht zu machen, weil sie sonst böse Kinder bekommt.
Wenn sie aber gar sich so weit vergüsse, einem Kinde etwas Böses anzu-
wünschen, dann würde sie in ihrem ersten Wochenbette ganz sicherlich ihren
Tod erleiden.
Die magyarische Braut muss vorsichtig aufpassen, dass ihr nicht
Jemand beim Gange zur Trauung Todtenhaare in den Zopf hineinpflicht; sie
wird sonst ihren Gatten bald satt bekommen und an andere Männer denken«
(v, Wlislocki^.)
Ich muss der Versuchung widerstehen, mich hier auf eine ausführliche Er-
örterung aller der Förmlichkeiten einzulassen, welche die althergebrachte Sitte
bei den verschiedenen Völkern unseres Erdballes für die Brautwerbung erfordert.
In gleicher Weise bin ich auch gezwungen, die mannigfachen Hochzeitsceremo-
nien zu übergehen, welche bei den einzelnen Volksstämmen gebräuchlich sind.
Das bei den verschiedenen Völkern der Erde in dieser Beziehung herrschende
Ceremoniell ist ein derartig ausgedehntes, dass eine auch nur oberflSfihliclie
Schilderung desselben viele Seiten in AnHi)ruch nehmen und weit film dfli
zulässigen Raum hinausgehen würde. Eh wäre das eben ein Weiic ftr
ich jedoch einer anderen Feder ühi»rla8Hon muss.
XIX. Die Ehe.
134. Die EntWickelung der Ehe.
Man pflegt gewöhnlich za sagen, der nächste und höchste Zweck der Ehe
ist die Erzeugung der Nachkommenschaft. Dass, um diesen Erfolg zu erzielen,
aber die Ehe nicht durchaus erforderlich ist, das bedarf wohl kaum einer weiteren
Erörterung. Viel schwerer ist die Frage zu entscheiden, wie entstand die Ehe,
und ist das, was man heutzutage Ehe nennt, schon im Urzustände der Mensch-
heit vorhanden gewesen? Mit dieser culturhistorisch wichtigen Frage haben
sich in neuerer Zeit viele Anthropologen beschäftigt. Die Idee, dass Weiber-
gemein Schaft und zwanglose Vermischung beider Geschlechter im Urzustände
der Menschheit geherrscht habe, ist nicht neu. Die alten Schriftsteller Plinius,
Herodot und Strabo berichteten von Völkern, die zu ihrer Zeit in einem solchen
oder einem ähnlichen Zustande lebten; daraufhin wurde von französischen
Philosophen des vorigen Jahrhunderts die Meinung ausgesprochen: „Die Vernunft
allein würde eher den gemeinschaftlichen Gebrauch, als den ausschliessenden
Besitz der Weiber anrathen." (Baue,) Zweifel erhoben sich allerdings gar bald
gegen diese Theorie: „Wenn diese vollkommene Gemeinschaft der Weiber und
Güter je bestanden hat, so konnte sie doch nur unter Volkshaufen bestehen, die
nach Art der Wilden bloss von den Wohlthaten der unbebauten Natur, d. h. in
sehr geringer Anzahl auf einer grossen Strecke Landes lebten. Wären die
Weiber gemeinschaftlich, welcher Mann würde sich mit dem Kinde belastigen,
bei welchem er mit vollem Rechte zweifeln könnte, ob er der Vater sei? Und
da sich die Frau für sich allein ausser Stande befände, ihr Kind zu ernähren«
so würde sich das Menschengeschlecht nicht erhalten können.* Mit diesen
Worten (Virey) und durch andere Einwürfe war die Angelegenheit keineswegs
abgeschlossen, vielmehr war es die Aufgabe der Culturgeschichte und der Anthro-
pologie, ihr ernstlich näher zu treten. Zunächst musste man eine Beantwortung
durch die bei vielen Urvölkem noch heute in ihrem Familienwesen wahrge-
nommenen Verhältnisse zu gewinnen hofien. Schon längst hatte man gefunden,
dass bei nicht wenig Völkern alle Familienrechte von der Mutter, nicht vom
Vater abgeleitet werden. Dahin gehört das Neffenerbrecht, d. i. das Recht, den
Bruder der Mutter mit Ausschluss von dessen Nachkommen zu beerben. Ans
dieser and ähnlichen Erscheinungen constatirte man ein sogenanntes Matriarchat,
welches, wie man annahm, dem Patriarchat, d. h. der Vaterherrschaft, voraus-
geganffen wfire.
Vor Allem aber war es Lubbock^, dann auch M'Lennan^ Lewis^ Morgan^
Posi^ V. HeBwäld und Wilken^ welche die Ansicht aufstellten, dass ursprünglich
keine eigODiliclien Ehen, daher auch keine Familien existirten, sondern nur Ge-
■cUachterrwUnde oder Oeschlechtsgenossenschaften, in denen eine Gemein-
524 XIX, Die Ehe.
schaftsehe (communal marriage) bestand. In dieser hätten sich alle za dieser
kleinen Gemeinschaft gehörenden Männer und Frauen als gleichmasrig unter
einander yerheirathet betrachtet. Diese eigenthümlichen Zustande bei den Horden
der Urmenschen bezeichnete Lübbock als Hetärismus.
Giraud'Teulon, KaÜenbrunner u. A. hielten folgende Formen der Ehe i&r
typisch: 1) Ungetheilte Familie (famille indivise) ist eine Gruppe von meift
blutsverwandten Personen, worin die Frauen und Kinder nicht einem bestinunten
Gatten oder Vater speciell, sondern mehr oder weniger allen zusammen gehören.
2) Segmentarische Familien: das Familienhaupt besitzt seine eigenen BVaaen,
die Brüder haben die ihrigen gemeinsam und die Schwestern gehören coUectir
denselben Gatten (Hindostan, Todas). 8) Die Individual-Familie, in der
es sich nicht mehr um CoUectivbesitz, sondern um persönliche Sondeirerbande
handelt; jeder Mann besitzt eine oder mehrere Frauen (Monogynie, Polygynie),
oder eine Frau besitzt mehrere Männer (Polyandrie).
Bachofen war bemüht, als Urtypus der primitiven Geschlechtsgenossenschaft
das Zusammenhalten einer Gruppe von Blutsverwandten durch dieselbe Stammes-
mutter zu vertheidigen. Nach Straho bezeichnete er dieses als Gynäkokratie,
und er brachte aus römischen und griechischen Schriftstellern Beispiele hier-
für zusammen. Auch bei den verschiedensten nord- und südamerikanischen
Indianerstämmen, bei zahlreichen Völkerschaften der Südsee, bei indischen
Urbevölkerungen, bei vielen afrikanischen Stämmen findet sich Aehnliches.
Ob aber jemals zu irgend einer Zeit diese Organisation allein auf der !Erde
die herrschende war, das wird wohl niemals bewiesen werden können. Wie
Schmidt bemerkt, kann aus dem regellosen Geschlechtsverkehr, der im Leben
einzelner sogenannter Naturvölker beobachtet wurde, nicht ohne weiteres g^
folgert werden, dass dieser Gebrauch aus der Urzeit der Menschheit stammt.
Solchem Hetärismus können örtliche Verirrungen und Sittenverwildemng zu
Grunde liegen.
Tscherntscheff sagt:
«Eine der hervorragenden Stellen unter den üeberbleibseln des ehelichen Gommnnismiia
gehört den Erscheinungen, in welchen der freie geschlechtliche Umgang der Mädchen mit dem
strengen Umgange der verheiratheten Frauen verbunden auftritt. Solche Erscheinungen
wurden bei vielen Völkern constatirt. Wir begegnen ihnen bei den Kaffern, in Guinea,
Mayumbe, bei den Bergstämmen Garos und Loatschai, in der Provinz Arakana, aaf
den Andamanen, auf den Poggi- und Nassau-Inseln, in Wadai und Darfur, auf
den Marianen, Carolinen- und Marshall-Inseln, bei den Chibchas in Neu-Granada,
den Rankelen, Patagoniern u. s. w."
Jetzt kann man diesem langen Register noch die Slaven anreihen, über
welche der arabische Geograph Al-BeJcri (11. Jahrh.) schreibt:
„Die Frauen der Slaven, nachdem sie in die Ehe getreten sind, brechen die Ehe
nicht. Liebt aber die Jungfrau Jemanden, so geht sie zu ihm und befriedigt bei ihm ihre
Leidenschaft. Und wenn der Mann heirathet und seine Braut jungfräulich findet, so sagt er
ihr: Wäre an Dir etwas Gutes, so hätten die Männer Dich geliebt und Du hättest Jemand
gewählt, der Dich Deiner Jungfräulichkeit beraubt hätte, dann verjagt er sie und sagt ihr ab.*
Lippert^ welcher nachzuweisen sucht, dass das Mutterrecht dem Vater-
recht vorausging, stützt seine Hypothese, dass die Frauenherrschaft die
culturgeschichtlich früheste Stufe war, auf eine Reihe von Erscheinungen im
Völkerleben, welche einen bestimmten Schluss auf ])rähistorische VerhätniBM*
namentlich auf allgemein herrschende Rechtszustände des Weibes kaum zulaaseii.
Die Wahrscheinlichkeit ist nicht abzuleugnen, dass, so lange sich feste Eheverlillt*
nisse noch nicht ausgebildet hatten, aber auch noch über diese Zeit hinaus, das
Mutterrecht in grosser Ausdehnung dem Vaterrechte vorausgegangen ist. Auch bei
vielen lebenden Völkern steht das Erstere noch unverändert in Kraft.
In ausgezeichneterweise äusserte Adolf Bastian in einem Vortrage
Berliner anthropologischen Gesellschaft seine Ansichten über die Enm«
134. Die Entwickelung der Ehe.
525
der verschiedenen Formen der Ehe nnd über das Mafcriarchat und Patriarchat
Es handelt sich bei dem Mutterrechte, bei dem Matriarchate nicht etwa um
eine Bevorzugung der Frau, sondern vielmehr um jene tiefste Verachtung, die
dem schwächeren Geschlechte unter dem Hechte des Stärkeren nicht erspart werden
kann* Man muss zunächst den Primärzustand primitiver Horden in Betracht
ziehen^ wo sich der Gegensatz der Geschlechter so entschieden ausspricht, dass sie
»ich feindlich gegenüberstehen. Nicht liberorum quaerendorum causa findet ge-
legentliches Zusammentrefien statt, sondern die Ursächlichkeit liegt in der Brunst
des Geschlechtstriebes, und hierbei vennögen die Frauen, als das passiv gewährende
Element, durch die zustehende Macht der Versagung eine Art Superiorität zu be-
wahren, 80 dasa bei den Papua z. B, jede Beiwohnung mit dem dort üblichen
Muschelgeld besonders bezahlt werden muss. Bei den Aschanti herrscht, wie
der König über die Männer, so seine Schwester über die Frauen.
Eine fernere Trennung in der primären Horde ist diejenige nach Alters-
klassen, wo in jeder einzehien und bei allen unter einander das Recht des Stärkeren
so recht zur Geltung gelangt, und aus diesem Rechte dee physisch Stärkeren ent-
steht durch fortschreitende Cultivirung das Recht des geistig Stärkeren : der bisher
dem Tode verfallene Alteraschwache wird fortgepflegt, um aus seinem durch lang-
jährige Erfahrung angesammelten Weisheitsschatze Vortheile zu ziehen. Hier
lassen sich schon culturelle Prädispositionen spüren^ während im Zustande wilder
Rohheit nur die Stärkeren herrschen« Diese also, von der im Thiere schon mäch-
tigsten Lust getrieben, werden sich zunächst die Frauen aneignen, und zwar die
anlockenden besonders, also die Jüngeren und Verführerischen, Die nächst tiefere
Altersklasse, die, obwohl körperlich vorläufig schwächer, den Geschlechtstrieb doch
feuriger noch gähren tühlt, kommt dadurch in eine missliche Lage, da, wenn
Frauen überhaupt, höclistens die Widerlichen und Abgelebten noch übrig sind,
Sie kommen daher dazu, sich aus einem Nachbarstamme Weiber zu rauben, was
von Seiten dieses zu entsprechenden IWheraubzügen führt. Die schUessliche
Losung pflegt in Herstellung einer Epigamie gefunden zu sein, und mit solchem
gegenseitigen Veratandniss über Connubium und Commercium taOt dann in die
Nacht roher Barbaren der erste Lichtstrahl künftiger Civilisation unter dem Schutz
|4NU9astrecht8 durch den Deus üdius. So wird es Braoch und Sitte, aus fremdem
fsiptoe zu heirathen; so folgt die Exogamie, die die Ueirathen zwischen Ge-
Qoaseo desselben Stammes, desselben Totems u, s. w. vollständig verbietet. Die
hennchende Kaste bleibt aber bisweilen bei der Endogamie, bei der Heirath unter
den Stammesgenossen, um das edle Blut un vermischt zu erhalten. Und das kann
f^ steigern, dass m selbst zu Heirathen zwischen Bruder und Schwester
war es in den Dynastien der Inca und der Achämeniden, so
finden wir es noch bei den Weddah in Ceylon, während die Beduinen sich
mit dem Anrecht auf die Cousine begnügen.
Für die aus dem anderen Stamme entnommene Frau ist nun diesem eine
Entschädigung oder mit anderen Worten ein Kaufpreis zu zahlen. Damit ist aber
bestenfalls nur die Frau selbst verkauft, wogegen der Stamm auf dasjenige, was
in ihr noch zeugungsiahig verschlossen liegt, sein Besitzrecht fortbewahrt, also
auf die Kinder. Diese gehören deshalb überall bei den Naturstämmen nicht dem
Vater, sondern der Mutter, und eraterer kann selbst zu einer Strafzahlung ange-
halten werden, wenn ihm ein Kind stirbt. Denn durch diesen Tod wird das Ver-
mögen des Stammes der Mutter geschmälert Deshalb wird bei den Dualla im
Voraas für die Kinder eine Zahlung geleistet^ welche bei etwaiger Kinderlosigkeit
wieder zurückgezalilt wird. So finden wir die Ehe durch Kauf als die am weitesten
verbreitete, und so lange die Kinder der Mutter angehören, sind sie auf den
Mnitarbruder als den natürlichen Beschützer hingewiesen. Mit dem Vater haben
^ii* K"ind*»r niobts weiter zu thim und ebensowenig mit dem Stamme, in welchem
I ja eben dem Stamme der Mutter angehören. Dnd so kann es
526 XrX. Die Ehe.
kommen, dass sie in Kriegszeiten mit dem letzteren gegen den Stamm za kämpfen
irezwungen sind, in welchem sie geboren wurden.
.£n Australie, lorsqu'une guerre edate entre deux peuplades, eile est dans cbaqiM
tril-u le ^ifmal du depart d'an grand nombro de jeunes gexu. qui Tont rejoindre la triba de
>ii» parents maternels, de sorte qu'il n^eat pas rare de voir le pere et le fils dane dea campe
-.jpostrs. " ' Giraud' Tcuion.)
Stevens fand das Matriarchat auch bei den Orang Laut in Malacca. Elr
t-rkennt darin aber nicht eine Bevorzugung des weiblichen Geschlechts; denn
gerade bei diesem Stamme werden die Weiber besonders schlecht behandelt.
^ Barieis', f
Auch bei den Wander-Zigeunern in Ungarn herrscht noch immer das
Mutterrecht, r. Wlislocki schreibt darüber:
,Iiri Uebrigen [abgesehen von Verwandtechaft mit Wojvo den -Familien] aber treten
die vemandtscbaft lieben Beziehungen väterlicheneiU ganz und gar in den Hintergrund. Diet
ist ein seltener. eigenthQ ml icher Umstand und findet seinen Grund darin, dasa der Zelt-
Zigeuner, sobald er sich beweibt, der Truppe resp. Sippe sich anscblieesen mnss, zu welcher
seine Gattin gehört ; femer, dass er bei der Sippe, zu der er durch Geburt gehört, nach seiner
Verheirathung wohl als Person, als Einheit mitgezählt wird, er aber und seine Nachkommen
nur der Sippe seiner Frau angehören. Wenn z. H. Peter der Sippe A die Maria der Sippe B
heirathet, so gehört er der Sippe B an. wird aber bis zu seinem Tode von der Sippe A als
Glied gezählt ; seine Kinder dagegen gehören der Sippe B an, werden von der Sippe A nicht
als nahe Verwandte betrachtet, und können in diese zurückheirathen, nur dürfen sie nicht die
Schwestern ihres Vaters zu Frauen nehmen. Wahrscheinlich ist der Grund für dies eigenthüm-
liche Verwandtschaftsvorh<niss in dem Umstände zu suchen, dass der junge £hemaiiD die
ganze Einrichtung eines zigeunerischen ^ Hauswesens* — Zelte, Wagen, Pferde, Werkxeuge
u. s. w. — von seiner Frau erhält, deren Anverwandte sorgsam wachen, dass deijenige, der in
ihre Sippe hineingeheirathet hat, das , Vermögen" seiner Frau nicht verschleudere. Er ist
demna<:h gezwungen, mit der Sippschaft seiner Frau zu wandern, und wenn es die Nothwen-
digkeit erheischt, sich sogar von seinen nächsten Geburt!* verwandten zu trennen, mit denen
er dann nur zuweilen in den gemeinsamen Winterquartieren — in den Orten, wo eben der
ganze Stamm überwintert — zusammentrifil.*
Für deu im Culturint^resse ]>eremptori8ch geforderten Uebergang von dem
Matriarchat zu dem Patriarchat ist es möglich geworden, einige Phasen in ethischer
Entwickelung zu belauschen. Das durchgreifende Motiv liegt in den in der Vater-
brust erwachenden Symi^athien fiir die Kinder seines eigenen Fleisches, wenn auch
nur deshalb, weil sie bei dem mit dem Sesshattwerden verknüpften Ackerbau in
dem Hause als Mitarbeiter geboren sind, da es unvortheilhaft wäre, sie daraus
wieder zu entlassen, und die deshalb lieber mit der Aussicht auf zustehende Erb-
folge an der heimischen Scholle festgehalten werden. Bisweilen giebt es dann
Competenzcontlicte mit dem Oheim, und bei den Navajo kommt es vor, dass der
Vater noch bei Lebzeiten den eigenen Kindern sein Vermögen schenkt, um die
Fremden, denen es rechtlich zustehen würde, danim zu betrügen. Auch in der
wunderlichen Sitte des Männerkindbett^s haben wir eine symbolische Form der
Ablösung des Mutterrecht^s durch den Vater zu erkennen. Ein Erobererstamm
jedoch, der sich aus den Unterworfenen seine Frauen gewaltsam entnimmt, wird
uhne Weiteres das Vaterrecht einfuhren. Und so gelangen wir zu der Tereinigten
Familie mit dem geheiligten häuslichen Herd und mit dem Vater als Patriarchen
an der Spitze.
Ausser der Endogamie und Exogamie, welche wir bereits kennen gelernt
haben, die erstere als Heirath aus dem gleichen, die letztere als Heirath mis
einem fremden Stamme, haben wir noch einiger andeier Bewichnungen so ge-
denken.
Polygamie heisst eigentlich Vielheirath, wird [fiwBhnlii li aber flir Viel-
weiberei (Polygynie), d. h. eheliche Verbindung i • " ~
Frauen, gebraucht In der Form der Violmftnneref ^) war *•
Polygamie weit seltener. Je nach der Zahl dff 1 ghe J
134. Die EntwickeluDg der Ehe. 527
Person des anderen Geschlechts ehelich yereinigt sind, heisst die Polygamie wieder
Bigamie, Trigamie u. s. w. Die Vielweiberei ist über ganz Afrika verbreitet
und bei fast allen asiatischen Völkern durch Sitte und Religion verstattet,
dagegen wird sie in Amerika unter den Indianervölkern selten angetroffen.
Schon bei den alten Hebräern kam nach dem Zeugniss einiger Bibelstellen Poly-
gamie vor, wie jedenfalls auch bei manchen anderen semitischen Völkern des
Alterthums ; den Mohammedanern erlaubt der Koran (Sure 4) ausdrücklich die Ehe
mit mehreren Weibern. In der Türkei ist Polygynie erlaubt, aber sie kommt
weit seltener vor, als man in Europa annimmt; nur Wohlbemittelte können dort
mehrere Frauen unterhalten, denn ein zahlreich bevölkerter Harem verursacht einen
grossen Kostenaufwand. Namentlich pflegen Beamte, welche Versetzungen an
einen anderen Ort ausgesetzt sind, selten in Polygamie zu leben, weil die Frauen
nicht gezwungen sind, dem Manne in seinen neuen Bestimmungsort zu folgen,
während andererseits der Mann auch die zurückbleibende Frau standesgemäss zu
unterhalten verpflichtet ist.
Der Perser darf gesetzlich nicht mehr als vier rechtmässige Frauen zu
gleicher Zeit haben, mit denen er eine auf die Dauer verbindliche Ehe geschlossen
hat. Vamhiry äussert sich in folgender Weise:
,In den mohammedanischen Ländern — ich schrecke vor der Kühnheit der Behauptung
nicht zurück — wird unter Tausenden von Familien höchstens eine einzige gefunden, in der
man die legale Krlaubniss der Vielweiberei in Anspruch nimmt. Beim türkischen, per-
sischen, afghanischon und tatarischen Volke (d. h. bei den unteren Ständen) ist sie
unerhört, ja undenkbar, da mehrere Frauen auch grösseren Aufwand bedingen. Ebenso selten
und ganz vereinzelt kommt sie bei den Mittelklassen vor. In den hohen und allerhöchsten
Kreisen freilich wuchert dieses sociale Uebel in erschreckender Weise."
Dagegen fand v. Maltzan in den Städten Arabiens in der Regel mehrere
Frauen in einem Hause, und von den Arabern Jerusalems haben auch die
allerärmsten wenigstens zwei.
Auch die Germanen hatten Polygynie. Adam von Bremen erzählt von
den Schweden, dass sie in allem Maass hielten, nur nicht in der Zahl ihrer
Weiber: Ein jeder nehme nach Verhältniss seines Vermögens zwei oder drei oder
noch mehr, die Reichen und die Fürsten ohne Beschränkung der Zahl, und es
seien dieses rechte Ehen, denn die Kinder daraus seien vollberechtigt. Ausser
bei den Skandinaviern kommt die Vielweiberei noch ziemlich spät bei den vor-
nehmen Franken vor: König Chlotar L nahm zwei Schwestern zu Gemahlinnen,
Chariber L hatte viele Frauen, Dagobert I. drei Frauen (und unzählige Kebse).
Es waren dies wirkliche, durch Brautkauf, Verlobung und HeimfUhrung geschlossene
Ehen, neben welchen bei den Germanen das Concubinat bestand, wo aber
die Kebse weder Rang noch Rechte der Ehefrau hatten.
Die Kebse war zwar nicht gekauft oder vermählt, sondern die gegenseitige
Neigung schloss ohne Förmlichkeit die Verbindung, welche der Frau nicht Rang
und Recht der Ehefrau, den Kindern nicht die Ansprüche ehelicher Nachkommen
gewährte. Allein die Kebse erhielt dann auch nach nordischen Gesetzen durch
Verjährung rechtliche Erhöhung: Das Gulathingsbuch bestimmte, dass nach
zwanzigjähriger öffentlicher Dauer des Concubinats die Kinder erbfähig seien.
Das Concubinat bestand während des ganzen Mittelalters bei den Reicheren
noch fort, ohne dass die öffentliche Meinung Anstoss daran nahm. Schliesslich
bestand auch unter den Slaven bis zur Einführung des Christenthums eine durch
kein Gesetz beschränkte Polygynie.
Wenn aber das indische Gesetz Monogamie vorschrieb, so galt dies nur
für die Sadras, die unterste Kaste, die armen Leute, deren Mittellosigkeit schon
TOD selbst SU dem Braache monogamischen Lebens geführt hatte; die Vaicja-
Kaste durfte eine bis zwei Frauen nehmen, die der Krieger zwei oder drei,
^ BrftliBMBaB wwana sogur Tier gestattet.
528 XIX. Die Ehe.
Das jüdische Recht setzte fest, dass eine Beischläferin, die Jemand drei
Jahre lang im Hause hatte, zur rechtmässigen Ehe- und Hausfrau werde.
Unter allen christlichen Völkern wird aber seit langer Zeit die Polygamie
durch Kirche und Staat verpönt; nur die Mormonen lassen die Vielweiberei
gesetzlich zu und halten sie sogar für eine Gott wohlgefällige Institntion. Aller-
dings traten auch in Deutschland zu manchen Zeiten Anhänger der Polygynie
auf (Wiedertäufer zu Münster 1588); auch suchten im 17. Jahrhundert Joh.
Lyser^ Lorenz; Berger u. a. durch ihre Schriften die Polygynie zu Tertheldigeii,
letztere insbesondere auf Anstiften des Kurfürsten von der Pfalz, der zwei
Frauen nahm. Allein allgemein ist unter den civilisirten Völkern anerkannt, dass
die sittliche Ordnung den polygamischen Ehen entschieden abhold sei, and das«
man, namentlich im Hinblick auf den Orient und auf die Geschichte der morgen-
ländischen Königshäuser, die Vielweiberei als schlinmies sociales Gebrechen be-
zeichnen müsse. Als Gründe för die Herrschaft der Polygynie bei vielen Völkern
werden angeführt: die schnelle Entwickelung und frühe HeirathsfiLhigkeit der
Mädchen und die ausdauernde Kräftigkeit der Männer. Allein die religiösen und
ethischen Anschauungen von der Ehe und von der Stellung der Frau in der
Familie verurtheilten bei allen gebildeten Nationen die Polygynie.
V. Nordenskiöld sagt von den Eskimos:
„Gewöhnlich haben die Eskimos nur eine Frau, selten zwei, drei oder vier. DaJager
kannte einen Mann, welcher elf Frauen hatte. Es gilt als ein Zeichen von Tüchtigkeit und
Rührigkeit, mehrere Frauen mit vielen Kindern ernähren zu können.*
Polyandrie (Vielmännerei) ist die Verbindung einer Frau mit mehreren
Männern. Sie ist am verbreitetsten unter den Völkern auf Ceylon, in Indien,
insbesondere bei den Toda, Cong, Nair und anderen Stämmen im Nilgiri-
gebirge, femer in Tibet, bei den Eskimo, Aleuten, Konjagen und Kol-
juschen; auch fand man diese Sitte unter den Ureinwohnern am Orinoco, so-
wie bei australischen, nukahiwischen und irokesischen Stämmen. Auf
Ceylon und bei den Völkerschaften am Fusse des Himalaya sind die gemein-
samen Gatten der Frau stets Brüder. Fast genau so hielten es die alten Briten
zu Cäsar s Zeit. Die Sitte der Polyandrie scheinen Sparsamkeitsrücksichten bei
mehreren der genannten Völker aufrecht zu erhalten; ebenso ist Armnth die
Veranlassung, dass unter den Herero in Süd-Afrika Polyandrie bisweilen
vorkommt.
V, Ujfalvy hat im Kululande im westlichen Himalaya Ehegenossenschaflen
angetroffen, wo 4 bis 6 Männer mit einer Frau lebten. Diese Männer waren
immer Brüder. Die Kinder sprechen von einem älteren und jüngeren Vater, und
sobald ein Gatte die Schuhe eines seiner Brüder vor dem Ehegemache erblickt,
so weiss er, dass er dasselbe nicht zu betreten hat.
Auch bei den Garros in Ladak und bei den Spiti im Himalaya ist die
Polyandrie gebräuchlich.
Von den Ladak is sagt v. Ujfalvy:
,Um der Zersplitterung des Grundbesitzes vorzubeugen und vielleicht auch aus Spar-
samkeitsracksichten ist es dort Sitte, dass einem Mädchen, das die Ehe mit einem Manne
eingegangen ist, es frei steht, sich noch eine beliebige Anzahl von anderen M&nnem zu Gatten
zu nehmen; jedoch bilden alle zusammen eine Familie. Meist sind indessen die sp&ter er-
wählten Gatten die Brüder des ersten, und man hört daher oft die Kinder von einem älteren
oder jüngeren Vater sprechen. Doch ist es den Frauen in Ladak gestattet, auch noch einen
weiteren fremden Gatten zu wfihlen, den sie, ohne Widerspruch befürchten zu müssen, in die
Ehogemeinschaft einführen dürfen. Indessen kommen auch Fälle von Vielweiberei vor; hin
und wieder ereignet sich auch, dass ein wohlhabendes Mädchen nur einem einzigen Manne
mich ihrer Wahl die Hand reicht.'
lieber die Polyandrie bei den Völkern des oberen Industhaies sagt
lionssckt:
,Die Ehe mehrerer Männer mit einer Frau ist wahrscheinlich der Typus der UtesisM
134. Die EntwickoluDg der Ehe.
529
I
soeialea OrganiBatioii der üryöUcer dea Indus and de« westlichen Hiinalaya. Für da« hohe
Alter diesor 8Hie äpricbt der Crnntand, dasa wir sie heute noch bei vorBcbiedenen 8t£.mmen
lierrachond finden, die durch weite, von Anhungern der Polygamie bevölkerte Gebiete von
einander geschieden sind. So sehen wir die Polyandrie bei den Nairs im S^ussersten Buden
Indiens, bei den UaTga in Gobwana» bei den Garros an der indisch-chineBischen
Grenze, und endlich im westlichen üimalaya, in Ladak, Rapechu und Eulu. . . Inder
Regel werden, wenn der ältei^e Brader heirathet, alle seine Bruder dadurch auch Gatten
Beiner Frau. Ihe Kinder, die aus dieser Verbindung hervorgehen, gehören nicht dem Einzelnen,
sondern geben den verschiedenen vereinten Gatten ihrer Mutter unterschiedjslos den Namen
Vater. So hat eine Frau biBweilen vier M&nner auf einmal; doch ist die Zahl keineswegs
beschränkt. Ausser dieser regelm&asigen Fortn der Polyandrie hat die Frau auch das Recht,
»ich noch einen oder mehrere Gatten (nicht Liebhaber) neben der Gruppe von BrÖdem zu
wählen. Das Eeeultat dieses merkwürdigen Brauche» ist, das« die Bevölkerung stationär bleibt;
indessen vermindert sie sich nicht. Unter den polyandrischen Kulus bildet die Frau das
Haupt der Gemeinschaft. Sie verwaltet das Besitzthum» das die Gatten bearbeiten und dessen
Betrag sie ihr übergeben. Sie allein stattet die Kinder aus und vermacht ihnen ihr Beaits«
thum als Erbtheil.'
Einst floh ein Mädchen des Daphla-Valkes (zwischen China und Britiscb-Indien)
auf indischen Boden und stellte sich unter englischen Schutz gegen ihren Vater, der sie
einem in polygamiflchor Ehe lebenden Nachbar hatte verheirathen wollen. Man verlieh ihr
das Niederlasflungarecht} »ofort schmückte ^ie sich und holte aus einem Versteck ihren Ent-
führer^ stellte diesem aber auch als ihre Gatten zwei Männer vor; es stellte sich heraus, dass
unter ihren Landsleuten Vielweiberei die Ausnahme , dagegen unter den Tibetern Viel-
männerei die Regel eeL Dabei besclir^kt !«ich die Polyandrie nicht, wie in Tibet« auf
Brüder, sondern erfolgt nach freier WahL (SchlaffintweitJ
Weon im südlichen Indien Eheu von einer Briiderzalil mit mehreren
Schwestern geschlossen werden, und wenn bei den Polynesiern der Hawaii-
Inseln unter dem Namen Pimula die Sitte herrschte, das» Brüder gemeinsam ihre
Frauen, Schwestern gemeinsam ihre Männer besassen, so bemerkt Fcschel hierzu
ganz richtige dass es sehr gewagt sein würde, diese vereLmcelten Bräuche als noth-
wendige Vorstufen zur strengen Ehe zu bezeichnen. Bei mancheu Polynesiern
gilt sogar als eigenthtiraliche Sitte die sogenannte Blutafreundschall, wonach zwei
Männer, nachdem sie mit einander eine auf einem gegenseitigen Schutz- und
Trutstbrtndniss beruhende Freundschaft geschlossen, zur Weib erge meinschaft
«ich verpflichten.
Nicht immer ist bei emem Volke nur eine bestimmte, einheitliche Form
der Eheschliessung gebräuchlicL Unter den Malayen zu Menangka-
bao auf Sumatra, bei denen sich die verwandtschaftlichen Beziehungen nach
der Frau bestimmen und das Vermögen der Frau durch sie vererbt wird, giebt es
eine dreifache Art der Ehe: die Heirath durch djudjur Ist ein vollständiger Kauf
der Frau; diese und die Kinder werden Eigenthum des Mannes und fallen nach
seinem Tode an seine Erben. Bei der Heirath durch s e m a n d o giebt der Mann
ein bestimmtes Geschenk, beide Ehegeuossen stehen auf dem Fusse der Gleichheit
und haben gleiche Rechte auf Kinder und errungenes Vermögen. Bei der durch
ambil anak geschlossenen Ehe zahlt der Mann nichts und tritt in eine unter-
geordnete Stellung zur Familie der Frau; er hat kein Recht auf die Kinder.
Neben diesen Hauptarten der Ehe giebt es noch mehrere Uebergangsformen. Um
nur noch ein Volk zu nennen, erwähne ich, dass in Persien die Ehe entweder
akdi ist, d.h. auf die Dauer verbindlich, so lange nicht ein Gnmd zur Scheidung
geltend gemacht werden kann, oder sighei, d. h. nur auf eine vertragsmässige
Zeit. Die Akdi entspricht ganz unserer Ehefrau, auch darf gesetzlich der Perser
deren nicht mehr ab eine zu gleicher Zeit haben. Sighe, d. h. die durch Vertrag
geheirathete Frau, wird gegen mn*:' '^ olt und gegen fe-' " 't-
schädigung bei eintretender Schwai athet; während -u
Zeit geniesst sie die vollen Rechte emer legalen Frau; nach Ablauf des Vertraga-
tarmins aber ist sie dem Manne if*-^*'i/V]r]i v^rnr^nf.
Pl0l9> BftTUIt, Ü«A W«ib. 6. Auf)
530 X^- ^ie Ehe.
Ich denke, die vorstehenden Auseinandersetzungen werden genügend sein,
um dem Leser ein ungeföhres Bild Yon der Vielseitigkeit der Formen zu geben,
unter welchen das Weib sich mit dem Manne zu einer mehr oder weniger dauern-
den Gemeinschaft verbindet, und für manche Gebrauche, welche im ersten Augen-
blick uns sinnlos und paradox erscheinen, ist hier auch wieder das genaue Studium
der vergleichenden EÜmologie die nothigen Erläuterungen und das volle Ver-
ständniss zu geben im Stande gewesen.
135. Die Probe-Ehe.
Es ist hier noch einer Form der Ehe zu gedenken, welche man mit dem
Namen der Probe-Ehe bezeichnen kann. Dieselbe besteht in der sonderbaren
Sitte, dass ein verlobtes Paar eine bestimmte Zeit hindurch, bisweilen selbst auf
mehrere Jahre hin, in regelmässiger geschlechtlicher Gemeinschaft lebt, dass aber
die Ehe nur dann definitv abgeschlossen wird, wenn während dieser Probezeit es
dem Bräutigam gelingt, bei seiner Verlobten eine Schwängerung zu erzielen.
Bleibt die Befruchtung aus, so wird angenommen, dass diese beiden Menschen
nicht zu einander passen, und sie gehen dann wieder aus einander. Nicht selten
findet sich für die unter solchen Umständen verlassene Braut sehr bald wiederum
ein neuer Bewerber, der willig eine neue Probezeit mit ihr durchlebt. Ein
Mädchen wieder zu verlassen, das man in einer solchen Probe-Ehe geschwängert
hat, gilt für eine ganz besondere Schändlichkeit und unterliegt der allgemeinen
Verachtung.
G. V, Bunsen berichtet, dass in mehreren Theilen von Yorkshire noch
die Ehe auf Probe besteht. Das Verlassen der Braut nach eingetretener
Schwängerung wird von der Nachbarschaft auf das Strengste geahndet. .Die
solennen Worte des Bräutigams beim Eingehen eines solchen Probeverhältnisses
lauten: If thee tak, I tak thee (wenn Du empfängst, nehme ich Dich).
Ganz ähnlich wurde mir im Jahre 1864 in Masuren (Ostpreussen) mit-
getheilt, dass dort das sogenannte Probejahr bei der Landbevölkerung ein ganz
allgemeiner Gebrauch wäre. Auch hier wird nur die Ehe später wirklich ge-
schlossen, wenn sich bei der Braut eine Schwangerschaft einstellt. Das Gleiche
erzählt auch Fischer^ aus dem Schwarzwalde, wo man eine Unterscheidung
zwischen den Kommnächten und den Probenächten macht Die ersteren
gehen den letzteren immer vorauf und die jungen Mädchen beginnen mit ihnen,
sobald sie eben erwachsen sind. „Die Landleute finden ihre Gewohnheit so un-
schuldig, dass es nicht selten geschieht, wenn der Geistliche im Orte einen Bauern
nach dem Wohlsein seiner Töchter fragt, dieser ihm zum Beweise, dass sie gut
heranwüchsen, mit aller Offenherzigkeit und mit einem väterlichen Wohlgefallen
erzählt, dass sie schon anfingen, ihre Kommnächte zu halten.*
Die Komnmächte sind nun allerdings noch ziemlich unschuldiger Natur.
Der jang^ Barsche darf nicht zur Thüre in das Haus hinein, sondern er muss den Weg
durch das Fenster in die Schlafkammer seiner Geliebten wählen, was bisweilen einige hals-
brecherische Turnübungen erforderlich macht. In der Kammer findet er das M&dcben toII-
ständig angekleidet im Bette liegen und alle seine Mühe und Anstrengung schafft ihm flin
Erste keinerlei andere Vortheile, als dass er einige Stunden mit seiner Geliebten plaudern
kann. «Sobald sie eingeschlafen ist, muss er sich plötzlich entfernen, und erst nach und nach
werden ihre Unterhaltungen lebhafter.* Nun gehen die Eommnächte allmählich in die Probe-
nächte über. ,In der Folge giebt die Dirne ihrem Buhlen unter allerlei ländlichen Scherxen
und Neckereien Gelegenheit, sich von ihren verborgenen Schönheiten eine Erkenntniss za er-
werben, lässt sich Überhaupt von ihm in einer leichten Kleidung überraschen und gestattet
ihm zuletzt alles, womit ein Frauenzimmer die Sinnlichkeit einer Mannsperson befriedigen
kann. Doch auch hier wird immer noch ein gewisses Stnfenmaass beobachtet. Sehr oft ver^
weigern die Mädchen ihrem Liebhaber die Gewährung seiner letzten Wünsche so lange, bis er
136. HmderuDgsgründe der ifl^^^^^^^^^^BF 581
ewalt braucht Diet geschieht allezeit, wenn ihnen wegen »einer Leibeestärke einige Zweife '
;urück Bind/
,Eiti Wiederauseinandergehen nach einigen Frobenächten findet nicht selten statt. Das
lülLdchen bat dabei keine Gefahr, in einen üblen Ruf su kommen^ denn ea zeigt sich bald
ein Anderer, der gern den Homan mit ihr von vorne anhebt. Nur dann ist ihr Name rwei-
deutigen Anmerkungen ausgesetzt, wenn sie mehrnaals die Probezeit vergebens gehalten Hat.
Das Drtrfpnblikum halt «ich auf diesen Fall schlechterdings für berechtigt, verborgene Ünvoll
kommecibeiten bei ihr zu argwöhnen/
Es ist in hohem Grade wahrscheinlich, dass auch noch in vielen anderen
Theilen Deutschlands unter der Landbevölkerung solche Probe-Ehen, wenn auch
vielleicht nicht ganz allgemein, so doch vielfach gebräuchlich sind. Das ge-
schwängerte Mädchen sucht sich später einen lukrativen Amuiendienst^ und nach
Ablauf ihrer Ammen zeit kehrt sie in ihre Heimath zurück und pflegt sich dann
bald definitiv zu verheirathen. Auch hier wird es gewöhnlich als ein grober
Treubruch angesehen, wenn der ehemalige Geliebte sich weigert, daa Mädchen jetzt
zum Altäre zu Tühren.
Von FiscJicr^ werden viele Beispiele herangezogen, aus denen ea sehr wahr-
scheinlich gemacht wird^ dass diese Sitte der geschlechtlichen Probe vor der Hoch-
zeit früher eine bei Hoch und Niedrig allgemein gebräuchliche gewesen eet Er
bringt hiermit den Gebrauch des feierlichen öffentlichen Beilagera vor der Hoch-
ixeit in Verbindung und sucht seine Behauptung dadurch zu stützen, dass auch
bei den Ehen per procuram der gekrönten Häupter deren bestellter Vertreter
mit der fürstlichen Braut das Beilager abhalten musste, allerdings geharnischt an
der rechten Körperhälfte. Papst Alexander IJL traf die Verordnung, dass von
Swei Bräuten diejenige die wahre Ehefrau bleiben solle, mit der der Verlobte
bereits den Beischlaf ausgeübt habe; und daa 52. Gesetz der Alemannen besagt,
dass wer mit einer Braut das Verhältniss abgebrochen hatte, schwören musste,
,dass er sie weder aus Argwohn irgend eines Gebrechens auf die Probe gestellt,
noch auch wirklich etwas dergleichen bei ihr entdeckt habe*.
Der Gebrauch der Probe-Ehe kann übrigens auf ein respektables Lebensalter
zurückblicken, denn er bestand schon, wie Ehtrs bezeugt, bei den alten Aegyptern;
ich werde später davon zu sprechen haben.
Dass auch bei niederen Völkerschaften mancherlei Anklang*^ an diese Sitten
herrschen, daa haben wir in früheren Abschnitten bereits ersehen können. Von den
Igorroten auf den Philippinen wird sie von Hans Meyer bezeugt. Er sagt:
«Haben arwei Verliebte die Zoatimtnnng der Eltern 2ur Heirath, bö findet ein Fentfichmau«
fltatti bei welchem gebratene Schweine oud Heisbasig die Hauptrolle spielen , und während
de« Schinauie« werden die beiden su Verheirathenden allein in eine Hütte gesperrt, wo sie
mit Speisen versorgt 4 — 5 Tag« bia lur Boendigung des Festes bleiben. Nach dieser Probe-
»eit steht es jeder der beiden Parteien frei, von der Heirath abzustehen. Tritt der Mann
zurück, so hat er das M&dchen mit einem Gewand, einem Feldspateo, einem Kochkessel, einem
Jkrmband und Ohrringen su beschenken und die Kosten des Festschmauseft £U tragen; tritt
das M&dchen surück, so fallen ihr die Kosten des SchmauseB zu. Wenn aber das MZldehen
Ton dieser Probeheirath schwanger wird, dann mnss ihr der Mann eine HCltte bauen und ihr
n Schwein nebst einem Paar Hühner schenken,*
laß, HiiifleruQgHgründe der Ehe.
Wir haben soeben kennen gelernt^ dass unter Umstanden die definitive
iessung der Ehe von dein Eintreten einer Befruchtung abhängig ist Wenn
letztere ausbleibt, so dürfen sich die jungen Leute nicht mit einander ver-
ieinithen, auch wenn sie selber den Wunsch dazu hätten. Wir begegnen hier
ilöo einem Hinderungsgrunde für die Ehe, deren e» nun bei den verschie*
lenen Volkern sehr verschiedene giebt. Sie zerfallen in solche, die eine Schliessung
Jer Ehe überhaupt von vornherein unmöglich machen, und in solche^ welche,
34 ♦
532 XK. Die Ehe.
wenn sie sicli herausstellen, die soeben geschlossene Ehe sofort wiedenun lösen. Sie
alle durchzusprechen, wQrde Qber den Rahmen dieses Buches weit hinaoi^ehen.
Dass bei fast allen Völkern Standesunterschiede existiren, welche anter um-
ständen einen Hinderungsgrund der Ehe abgeben können, das ist wohl in hin-
reichender Weise bekannt. Auch Qbergehe ich hier die HinderungsgrOnde, welche
in gewissen blutsverwandtschaftlichen Beziehungen ihre Begründung haben. Es
wird denselben ein besonderer Abschnitt gewidmet werden.
Vorwegnehmen will ich aber gleich einige Formen künstlicher Bluts-
verwandtschaft, wie man diese Verhältnisse bezeichnen könnte, welche es den
Betheiligten ebenfalls unmöglich machen, das Band der Ehe zu knüpfen. Dazu
gehört bei einigen Völkern die einstige Ernährung mit derselben Weiberbrast,
die Milchbruderschaft, z. B. bei den Armeniern, bei den Truchmenen
und in Dardestan, wo eine Ehe zwischen Milchgeschwistem als Blutschande
gilt. Bei anderen Völkern, namentlich bei den Süd-Slaven, aber auch bei den
Wanjamuesi in Afrika, ist es die Wahlbruderschaft, oder die Bluts-
bruderschaft; femer auch, und zwar weit über die Erde verbreitet, die Ange-
hörigkeit zu der gleichen Stammesgruppe, zu dem gleichen Totem, wie es bei
den Indianern heissen würde. Jeder auch noch so kleine Stamm zerfallt bei
derartigen Völkern in einzelne Gruppen, welche durch besondere Namen unter-
schieden werden. Ofb ist es der Name eines Thieres, welchen jede Gruppe tragt,
dieses Thier ist dann ihre schützende Gottheit und es darf von ihnen niemals
weder getödtet noch gegessen werden. Diese Thiere heissen bei den Indianern
der Totem der Gruppe. Ganz ähnliche Verhältnisse finden sich in Australien,
auf einigen Inseln der Südsee u. s. w. Niemals dürfen sich Angehörige des
gleichen Totem heirathen; stets muss der andere Theil einem anderen Totem
entsprossen sein. Es ist das ein Ueberlebsel der sogenannten Exogamie, das
seine Nachklänge auch selbst noch in Europa verspüren lässt. Derartiges
berichtet v. Wlislocki von den Zelt-Zigeunern Siebenbürgens, bei welchen
stets der Mann in die Sippe seiner Frau übertreten muss und wo die Kinder
dieser Sippe angehören, aber in des Vaters Sippe zurückheirathen dürfen« Von
welcher ausserordentlichen Unverletzlichkeit derartige Hinderungsgründe für die
Ehe sind, das zeigt recht deutlich eine uns von Dmiks über die Inselgruppen
Duke of York, Neu-Irland und N eu- Britannien berichtete Thatsadie. Hier
zerfallen die Eingeborenen in zwei Gruppen, welche dem geschilderten Gesetze
der Exogamie unterliegen, und wenn Jemand des Ehebruchs oder der Hurerei
mit einer Person angeklagt wird und er kann nachweisen, dass sie seiner Gruppe
angehört, so gilt allein durch diesen Umstand schon seine Unschuld als erwiesen.
Hinreichend bekannt ist es, dass die Verehelichuug mit gewissen , dem
Dienste der Gottheit oder das Königs geweihten Jungfrauen verboten ist, wie sie
sich bei sehr vielen Völkern vorfinden. Auch ist in Indien bekanntlich die Ehe
mit einer Wittwe unmöglich, selbst wenn sie noch in jungfräulichem Zustande
sich befindet. An der Loango-Küste müssen sich unter Umständen die Jüng-
linge gefallen lassen, dass ihnen die Heirath mit der Auserwählten untersagt wird,
weil eine Prinzessin sie zur Ehe begehrt. Da hilft kein Sträuben, sie müssen
sich dem allerhöchsten Willen fügen.
Unter denjenigen Dingen, welche als Ehebehinderung in dem Sinne auf-
treten, dass sie eine soeben geschlossene Ehe sofort wieder zu lösen und ungültig
zu machen vermögen, haben wir das Eine bereits in einem früheren Abschnitte
kennen gelernt, das ist der nachgewiesene Verlust des Jungfernhäutchens. Aber
auch körperliche Gebrechen aller Art gehören in diese Gruppe hinein, vor
Dingen aber die Im])otenz. Fost sagt über diesen Gegenstand:
„AIh stillscbweigender Inhalt des geschlechtsrechtlichen VeriobnogSYertragss gil^
m&Bsig, dass das Mädchen frei von körperlichen Mängeln sei. Verschweigt dar
solche Mängel, so kann er dadurch bnssfallig werden. Die Verlobangsfonnal «
1B7. Die £he swischen Blutsverw^andten. ^^^^F 5S3
iitehen Hechts gebt dahin, dasa der Verlober dem Bräaiigam die Bmut geBetsdich amm'-
äobt ohne körperliche Mängel, und nach indischem Recht mu8s der Vater der Braut dem
FBr&utigiim etwaige Mängel derselben anseigen^ sonst wird er bestraft und der Vertrag kann
rückgUngig gemacht werden» Nach birmanischem Rechte kann, wenn bei der Verlobung
wesentliche Mängel verschwiegen werden, dieselbe rückgängig gemacht werden.* Nacb süd-
alavischen Gewöhn heiterechten sind Impotenz ujid Bon«tige schwere, körperliche Gebrechen,
%. B, ein Brach, Blindheit, stinkender Äthem u. b. w. Ehehinderniase, Verstandesachw&che
dagegen nicht. (KraussJ
Etwas anders ist es in dem Rechte der Hindu. Hier kann die Impotenz
und das Auftreten von Geisteskrankheiten allerdings einen Grund abgeben, die
einmal versprochene Ehe nicht einzugehen; wenn jedoch die Ehe bereits ge-
P schlössen ist, dann kann sie aus diesen Gründen nicht wieder gelöst werden.
137. Die Ehe zwischen Blutsyerwaiidten.
Wir haben in dem vorigen Abschnitte bereits darauf hingewiesen, dass bei
vielen Völkern einer der wichtigsten Behinderungsgrlinde für das Eingehen einer
Ehe in der gegenseitigen Blutsverwandtschaft der Betheüigten begründet ist.
Wir werden jetzt die verschiedenartigen Anschauungen kennen lernen, welche
Ober diesen Punkt bei den einzelnen Völkern herrschend sind. Wenn wir uns
nun dasjenige in das Gedächtniss zurückrufen, was weiter oben Über die Ent-
] Wickelung der Ehe und über deren noch heute zu Recht bestehende verschiedene
|Arten gesagt worden ist, so werden wir es wolü verstehen, wenn wir auf der
einen Seite hei bestimmten Stämmen der Sitte begegnen, das» die allerengsten
|Verwandt8chaftsbande das Eingehen einer ehelichen Gemeinschaft nicht allein
licht zu hindern im Stunde sind, sontlern dasselbe eher sogar noch zu begünstigen
[scheinen, während wiederum andererseits bei anderen Stämmen auch nicht einmal
^lolche Verwandte eine Ehe mit einander achliessen dürfen, bei welchen nach
unseren modernen Anschauungen von einer Verwandtschaft eigentlich gar nicht
diehr die Kede sein kann* Das eine ist eben ein Auswuchs der Exo^mie,
Fwährend das eratere eine auf die Spitze getriebene Endogamie repräsentirt. Bei
uns ist 68 bekanntlich erlaubt, dass Geschwisterkinder mit einander sich verhei-
rathen, und zwar ist es hier ganz gleichgültig, ob die Vettern oder Basen von
Wer Seite des Vaters oder von derjenigen der Mutter herstammen. Bei den Katho-
liken hingegen gelten schon strengere Verordnungen. Den Dajaks auf Borneo
und den Bewoliuern von Ambon und den Uliase-Inseln ist dagegen die Ehe
zwischen Geschwisterkindern absolut verboten, wahrend man in Neu-Britannien
nur die Heirath mit mütterlichen Verwandten streng untersagt Auf den Aaru-
[Inseln in Niederländisch^Indien ist aber gerade die Ehe mit den Kindern
[eines Onkels verpönt, die Kinder einer Tante darf man dagegen heirathen. (Riedtf^ )
[Ganz ähnlich ist es nach Marnden auch in Sumatra.
Von den Gilbert-Insulanern berichtet Parkinson t dass streng daraui
sehen wird, dass zwischen den zu Verheirathenden auch nicht der weitläufigste
irad von Verwandtschaft bestehe, und auch von den Malayen sagt Midier:
yBlutsverwandtüchtift* seihst die entfernteste« bildet ein wichti^^-es B^hehindemif«. Die«6i
rird anf ein directes Verbot der Götter xuriickgü führt. Bei den Sit^ori auf Neu-Seeland
eijid nach dexriselben Autor Heirathen zwischen nahen Verwandten tmd aogar zwischen
Schwester wohl gestattet und kommen auch bisweilen vor.*
Jei den Wanjamuesi in Afr" m ^Jr bereits durch Reichard
^erfahren habeUf dass die Ehe mit d« mit den» Weibe eine^ Bluts-
bruders als Blutp^*"«ndA \jilt, wird auch die Ehe oder auch der geschlechtliche
Terkehr ^ idern* sow^* ' " • ... FUem und Kindern
dei dif tze wird ziemlich
534 XfT. Die Ehe.
Bei den Makusi-In dianern ist es dem Oheim TiteriicheraeifB anf dai
Btrengbte untersagt, seine \ichte zu heirathen. da dieses als der den GeBchwiateni
nächste Verwandtechaftsgrad angesehen und dieser Oheim gleich dem Vmter «Papa*
genannt wird. Es ist dagegen jedem erlaubt, sich mit der Tochter seiner Schwester,
mit der Frau seines Terstorbenen Bniders oder nach dem Tode seinea Vaters so-
gar mit meiner Stiefmutter zu rerheirathen.
Von den alten Einwohnern Guatemalas berichtet Stoff:
«Die Fraa trat durch die Heirath in dat chinamit ihr» llaones ein, und wurde dem-
helben to Tollftändig einrerleibt. dwu ihre Kinder weder ihre mfltterlichen Groneltem, nodi
die übrigen Verwandten ihrer Matter als Verwandte betrachteten. Diet hatte wieder snr
Folge, daw die Eingehang rechtsgültiger Ehen mit den Verwandten der Matter als dem
Princip der Exogamie nicht zuwiderlaufend gestattet war. So konnte der Sohn einer Fraa
lait seiner Halbschwester ans einer früheren Ehe einer Matter eine rechtigAltigttr Ehe ein-
gehen, da der Begriff der Verwandtschaft sich nur auf die m&nnliche Linie entreckte. Ja
es kam vor, dass ein Mann sich nicht nar mit einer Schwägerin, sondern eogar mit seiner
Stiefmutter rerheirathete.*
Nach Garcäasso hatten die Incas in Peru das Recht, ihre älteste
Schwester, welche nicht Ton derselben Mutter stanunte. zu ehelichen, um auf diese
Weise das Blut der Sonne rein zu erhalten.
Unter der Schin-Kaste in Indien treffen wir wieder das Verbot der
Vettern- und Basen-Ehe an. obgleich der mohammedanische Ritus gegen eine aolche
Ehe nichts einzuwenden hat; auch darf der Onkel nicht die Nichte und in Bnsch-
kar selbst nicht einmal die Tochter der Nichte heirathen. Es ist vielleicht nicht
unnöthig, daran zu erinnern, dass bei uns bis Tor Kurzem allerdings dem Onkd
die Nichte und auch dem Neffen die Tante zu ehelichen gestattet war; während
aber das Erstere unbeanstandet geschehen konnte, bedurfte eine eheliche Verbin«
düng zwischen dem Neffen und seiner Tante, gleichgültig ob es die Vaterschwester
oder die Mutterschwester ist, der landesherrlichen Genehmigung.
Die englische Kirche unterscheidet 30 Verwandtschaftsgrade, innerhalb
derer nicht geheirathet werden darf. Der Engländer, der eine diesen Gteaetzen
widersprechende Ehe eingehen wollte, fluchtete früher nach Dänemark, oder an
den Rhein nach Duisburg, um sich dort trauen zu lassen, denn nach heimischen
Gesetzen war eine so vollzogene Verbindung eine ,.voIIendete Thatsache^. Im
Juli 1895 hat aber das Oberhaus mit 142 gegen 104 Stimmen eine Bill ange-
nommen, wonach es einem Manne gestattet ist, die Schwester seiner verstorbenen
Frau zu heirathen.
Die Tungusen, Samojeden und Lappen verabscheuen eine Heirath in
der Blutsverwandtschaft. Den Hebräern waren nach mosaischem Gesetz die
Ehen verboten mit der Stiefmutter, Stieftochter, Schwiegermutter, Schwieger-
tochter, Tochter des Stiefsohns und der Stieftochter, des Bruders Frau und des
Vaterbruders Frau. Hatte dagegen der verstorbene Bruder mit seiner Frau keinen
Sohn erzrfijgt, so war den Hebräern (wie auch den Alt-Mexikanern und an«
deren Völkernj die Ehe mit seiner Wittwe nicht nur erlaubt, sondern sie waren zu der-
selben sogar verpflichtet. Bekanntlich bezeichnete man dieses als dieLevirats-Ehe.
Auch bei den Hörnern war die Ehe verboten zwischen Ascendenten and
Descendenten, sowie zwischen allen Personen, die, wenn auch nur bedingt, in
ein(*rn ähnliclien Verhältniss zu einander standen, nämlich zwischen Stiefeltern und
Stielkindorn, Schwiegereltern und Schwiegerkindern, zwischen Adoptiveltern und
Adoptivkindern. Dagegen durften in Athen und Sparta Halbgeschwister sich
ehelichen.
Aber selbst mit der rechten Schwester sehen wir manche Volker eheliche
Verbindungen eingehen (Perser, Phonikier, Araber, die Griechen zu Cimon*8
Zeit und andere), und zwar ist es hier wieder von besonderem Interesse, dass es
HJrh bei den Weddah auf Ceylon um die jüngere Schwester handelt, wahrend
sie die ältere nicht heirathen dürfen.
137. Die Ehe zwiaeheu Blutsverwandten.
535
I
Ueber diesen GegeDsiand sagt Virchow:
«Wdnn bcii dan Wedda« weder Polygamie noch Polyandrie beobacbiet ifit, so mag lich
diet aus der geringen Dichtigkeit des Volke» nnd ans der Vereinsamung der Familien er*
klären. Vielleicht darf man auf dieselbe Weise auch die andere» am meisten antf^llige Sitte
deuten« welche von verschiedenen Reisenden bezeugt ist, nämlich die Heirath mit der
Schwester, und zwar die Ueiratb mit einer jüngeren Schwester, während die mit der
älteren für unzüchtig gilt. Nach Hartshorne wQ.re sogar die Ehe mit einer Tochter znlässig,
indees wird es sich hier wahrscheinlich um thatfiächliche und nicht um rechtliche Verhältnisse
handeln. Knox erzählt auch von einem Könige von Kandy, der mit seiner Tochter ein Kind
hatte, aber keiner seiner Unterthanen scheint dies fQr ein zulässiges Verhältniss gehalten zu
haben. Bailetf ist geneigt^ in der Schwesterehe ein altes Ueberbleibael zu sehen. Er er-
innert daran, das« schon Wija^o, der Begr&nder der Sikala-DymiBtie^ aus einer Schwesterehe
in Indien hervorgegangen sei, ond dass hinwiederum der (23) Sohn JiwafiaUo, den er mit
einer FaX:^'^- Prinzessin in Ceylon erzeugt hatte, seine Schwester heirathete und der Ahn-
herr eines beeonderen Stammes» der Pu lind ah, wurde. Nachher sei dieser Gebrauch auch
in den sin ghal es i sehen Eönigsfamilien geübt worden. Man kann zugestehen, dass dieee
Ausfabrungen recht bemerkenswerth sind, aber schwerlich sind die alten Mythen als sichere
historifiche Tbatsachen anzusehen. Sie scheinen nur zu beweisen^ dass ein Gebrauch, der
auch in Persien and Aegypten bestand, in Ceylon frühzeitig zur Duldung gelangte; der
Grund wird überall derselbe gewesen sein« in den Königshäusern wie bei den nackten
Weddas: der Mangel an geeigneten Weibern oder an Weibern überhaupt Jedenfalls ist
es nicht Unkeuschbeit oder Zachtlosigkeit, welche die Weddas zu einem solchen Ehe-
bündnjÄS führt.»
Doch auch noch nähere VerwaQdtachafbgrade nach unserer Auffassung sind
bei gewisseu Stämmen kein Hindemlss fiir die Ehe. So durtle bei den PhÖ-
nikiern sowohl die Mutter den Sohn, als auch der Vater die Tochter heiratben,
und unier den alten Arabern sprach das Qe&etz dem Sohne die Yerpfiichtung,
die verwittwete Mutter zu ehelichen, sogar als ein besonderes Vorrecht zu. Bei
den Chinesen dagegen dürfen sich nicht einmal Leute des gleichen Namens
heiratlien, auch wenn sie gar nicht mit einander verwandt sind. {Mantegas^a*^»)
In den civilisirten Ländern hat man den Ehen zwischen Blutsverwandten
^pn dem Standj>unkte der Öesundheitsptlege aus in den letzten Jahren eine ganz
indere Aufmerksamkeit gewidmet, und zwar sind in allen Fällen damit die
Bhen zwischen Geschwisterkindern verstanden. Es wird wohl kaum einen be-
schäftigten Arzt oder einen aufmerksamen Laien geben, dem nicht derartige ehe-
liche Verbindungen bekannt geworden sind, aus denen schwächliche oder geradezu
kranke Kinder hervorgegangen waren, und viele Autoren haben sich eingehend
mit dieser Frage beschäftigt
Besonders sorgfältige Versuche, diese wichtige Angelegenheit ins Klare zu
bringen, hat George Danvin\ der Sohn dee grossen Naturforschers, angestellt.
Durch sehr mühevolle stiitistische Erhebungen kommt er zu dem Resultate, dass
die gefürchteten schädlichen Folgen für die Nachkommenschaft aus den Ehen
zi^-ischen Geschwisterkindern durch die gefundenen Zahlen nicht nachgewiesen
werden können. Er giebt aber selber zu, dass diese Zahlen noch nicht zuver-
lässige gewesen sind und dass, wenn es gelänge, eine unanfechtbare Statistik zu
bekommen, man sehr wohl statt dieser negativen eine positive Beantwortung
der Frage erhalten könnt«. Es stehen nun auch seinem verneinenden Befunde
recht gewichtige Aeuäserungen und Behauptungen erfahrener praktischer Aerzte
gegenüber, welche beobachtet hatten, dass Taubstummheit, Stumpfsinn und Blöd-
sinn oder sonstige Gebrechlichkeit in besonders grosser Häufigkeit bei den Nach-
men von Geschwisterkindern aufzutreten pflegen. Allerdings erkennen sie an,
diese unglücklichen Erkrankungen bei der Deecendenz nicht eine absolut
nothwendtge Folge solcher Eheschliessungen zu sein brauchten. Im Gegentheil,
es giebt eine ganze Reihe von Fällen, in denen die Kinder, welche aus diesen
Ehen entsprossen sind, durchaus gesund und in dem angegebenen Sinne intact
durch ihr ganzes Leben sich verhalten haben. Aber nicht selten sind dann die
536 ^^I^- I>ie Sbe.
erwähnten Gebrechen später bei ihren eigenen Kindern zur Beobachtang ge-
kommen, und diese haben so den Missgriff ihrer Orosseltem in der Ghttenwahl
zu büssen gehabt.
Es würde nun aber zu weit gegangen sein, wenn man die erwähnten Er^
krankungen im zweiten oder dritten Gliede als eine durchaus sichere and onmna-
bleibliche Gonsequenz einer Ehe zwischen Geschwisterkindern hinstellen wollte.
Sind diese letzteren besonders gesunde, kräftige Leute, und stammen sie Ton ganx
normalen Eltern ab, dann können sie trotz ihres nahen YerwandtschaftsgradeB
dennoch ganz gesunde Kinder erzeugen. Aber deswegen sind doch diejenigen
Fälle nicht fortzuleugnen, in welchen man die genannten Schäden zur Beobachtang
bekam. Und wenn Mitchell^ Mantegcusea^ und andere Autoren in den Irrenhäusern
und den Idiotenanstalten eine yerhältnissmässig grosse Zahl von Kranken fanden,
deren Eltern Geschwisterkinder gewesen sind; wenn nach Scott Htäton in der
Halifax -Taubstummenschule (Ganada) unter 110 taubstummen Kindern nicht
weniger als 56 aus Ehen zwischen Blutsverwandten entsprossen sind, dann wird
man sich den Worten George Darwin' s gewiss mit voller Ueberzeugung anschliessend
wenn er sagt: „Eine so allgemeine Uebereinstimmung in Bezug auf die üblen
Folgen der Geschwisterkinder-Ehen muss unzweifelhaft viel grosseres Gewicht
haben, als meine rein negativen Resultate.''
Die Widersprüche und entgegengesetzten Meinungen der Autoren, von denen
die einen immer Beispiele für die Schädlichkeit, die anderen solche fQr die Un-
schädlichkeit derartiger Ehen in das Feld führen, finden wohl ihre Losang in
folgenden Sätzen: Sind die sich mit einander verheirathenden Geschwisterkinder
ganz gesund und kräftig, dann können sie gesunde Kinder erzeugen, aber eine
Garantie hierfür besitzen sie nicht, und sollten ihre Kinder auch gesund sein, dann
können die besprochenen Degenerationsprocesse doch noch an deren Nachkommen-
schaft zur Erscheinung kommen. Ist aber von den Geschwisterkindern, welche
mit einander in die Ehe treten wollen, das eine nicht intact, oder bieten sie g^ar
alle beide krankhafte Zustände dar, dann werden diese mit um so grosserer Wahr-
scheinlichkeit bei ihren Nachkommen und zwar in gesteigertem Maasse auftreten.
Denn gewiss hat Crichton Browne das Richtige getroffen, wenn er sagt:
^Es hat mir immer geschienen, dass die grosse Gefahr, welche solche £hen begleitet,
in der Steigerung der krankhaften Eörperanlagen besteht, welche sie begünstigen. Erbliche
Krankheiten und Kachexien werden mit grösserer Wahrscheinlichkeit von Geschwisterkindern
getheilt, als von Personen, die auf keine Weise verwandt sind, und sie werden mit mehr als
doppelter Stärke yererbt, wenn sie beiden Eltern gemein sind. Sie scheinen das Quadrat
oder der Cubus des combinirten Volumens zu sein. Selbst gesunde Anlagen schlagen,
wenn sie beiden Eltern gemein sind, bei den Kindern oft in entschiedene
Kachexien um."
Als die bestbewiesenen schädlichen Folgen der Ehen zwischen Geschwister-
kindern stellt Mayitegazza*^ ausser den bereits genannten noch die folgenden auf:
Ausbleiben der Empfangniss, verkümmerte Empfängniss und Fehlgeburt, Miss-
geburten, Neigung zu nervösen Beschwerden, gehemmte Geistesentwickelung,
Anlage zu Skrofeln und Tuberkeln, verringerte Lebensfähigkeit, hohe Kindersterb-
lichkeit, Störungen der Menstruation, geringe Zeugungskraft und bestimmte Leiden
des Auges.
13S. Das Heirathsalter nnd die Erstgeburt bei den Culturvolkern.
Die sociale Stellung der Frauen, welche in innigstem Zusammenhange mit
der allgemeinen Gesittung eines jeden Volkes steht, ist sehr maassgebend für die
Höhe des Alters, in welchem die jungen Mädchen gewöhnlich heirathen und in
welchem die meisten Frauen gewöhnlich zum ersten Male Kinder gebären.
Das Klima und der je nach den klimatischen Verhältnissen mehr oder weniger
früh eintretende Geschlechtstrieb haben wohl auch in dieser Beziehung eine ganz
138, Das Heirathstilier aod die Erstgeburt bei den CaUurrölkern»
537
erhebliche bestimmende Kraft; jedoch die Sitieügesetxe sind nicht allein vom
Klima, mindestens nicht immer dirert von demselben, abhängig. Ja wir kennen
gewisse Völker» bei welchen die sextieUe Reife und der Geschlechtstrieb xwar von
einer heissen Sonne früh geweckt, aber von der kühlen Sitte mindestens in Bezug
luf das Heirathsalter beschränkt und im Zaum gehalten werden.
Im Allgemeinen kann man sagen, da^s das Heiratbsalter der Mädchen um
Bo niedriger ist, auf je tieferer Stufe socialer Cultur sich das betreffende Volk
'^befindet. Geläuterte Sitten heben die Achtung und den moralischen Werth der
Frau; die Gemeinschaft mit ihr wird dann mehr zum geistigen Bedürfniss des
■ Mannes; er wartet ihre psychische Reife ab und sucht sie erst später, als bei rohen
'Völkern, zur Ehe, Dazu kommt, dass unter unseren modernen Culturvölkern die
leider oft sehr spat erst eintretende Selbständigkeit des Mannes die Begründung
eines eigenen Hausstandes häufig genug gegen Wunsch und Willen verzögert, und
dass somit das von demselben zur Frau gewählte MäJchen oft mehrere Jahre lang
|bis zur Eheschliessung warten muss.
Dass man , sieben Jahre umsonst freien "" muss, ist ja eine allbekannte aber-
gläubische Drohung, welche den Unverheiratheten gewisse unschuldige Handlungen
iTerbietet (z. B. die Butter anzuschneiden, sich eine Kopfbedeckung des anderen
Geschlechts aufzusetzen o. s, w.). Mir war aber in Berlin ein Ehepaar be-
kannt, welches erst nach sechzehnjährigem Brautstande so weit gekommen war,
tsich heirathen zu können. Die junge Frau hatte dabei ein Älter von 32 Jahren
erreicht.
Allein auch der Staat und seine Gesetze geben bei den Culturvölkern eine
[Miniroal-Qrenze ft\r das Heirathsalter an. Die Anschauungen der Staatsmänner
und Gesetzgeber stimmen hierin aber nicht stets liberein, denn sie glauben bald
mehr die geistige, bald mehr die kör}*erlicbe Reife berücksichtigen zu müssen.
Das lässt es wünscheuswerth erscheinen, dass wir in einer ethnographischen Um-
schau über das Heirathsalter der Mädchen die verschiedenen Gewohnheiten zu
erforschen versuchen. Zuvor jedoch wollen wir uns mit demjenigen bekannt
machen, was in cultivirteu Staaten als das Gesetzliche betrachtet werden muss.
Wenn wir die »Hen und die neuen Cultur vcilker mit einander vergleichen, bo
Inden mr, dtti» mit der erhöhten Getiitung da« Reiratb«aUer der Müdchon wesentlich hinant*
gerückt wird.
Boi den alten Indern »oheinen die Mädchen früh in die Ehe gekommen xu sein,
nach dem Gesetze de» Manu paait für einen Mann von 24 Jahren ein Mädchen von 8,
fUr einen Mann von ^0 Jahren mn 12jfihrigefl Mädchen. (Vuncker.) Auch bei den alten
Medern^ Pereorn und Buktrern wurde fUr biildigc» Verheirnthen der Mildchen gesorgt.,
■doch sollten die Mädchen, wio es nach Vendidad XIV, «6 scheint, nicht vor dem 15. Jahre
»lur Ehe gegeben werden, Kheloiigkeit aus freien Stücken wurde bei den Madchnn, »ucb
wenn sie nur bis xum 18. Jahre dauerte, mit den längsten H^Uenstriifen bedroht, und es w^r
idon MUdchen vorgeschrieben, wenn sie das heirnths fähige Alter erreichten« von den Eltern
Biiien Mann r.ü fordern. Nach dem Gebote des Avesta gab es nur drei Unreinigkeiten, für
reiche eine Sühne und Heinigung eine UnmUgUcbkeit war, weder hier auf Enlen, noch auch
Aem jenseitigen Leben. Da^ wHr, wenn man von einem todten Hunde aas, wenn man den
(51 oh n am eines Menschen verspeiste, und endlich, wenn ein Mädchen bis in «ein 20stes Jahr
Sioch nicht in die Ehe getreten war.
Buhihriffk führt einige Sanskri tverse an^ welche sich auf diesen Gegenstand beciehen.
heisst in dem einen:
«In wessen Hause eine Tochter die Menses bekommt, ohne verbeirathet zu sein, deismi
sinken «ut BüUe, befüiulen <i%^ sir h auch in Folge ihrer Vorzüge im Himmel/
Ein anderer lautet:
»Sowohl die Matter, ai^ aucii qoi Vater und auch der älteste Bruder, alle drei fahren
sur Hö)le^ wenn sie ein Madchen die Menses erleben lassen (ehe sie verbeirathet ist).*
Aber auch das Mfidchen selber wird dadurch schwer geschädigt:
yVon einem Mädchen^ das im Hau^e »eines Vaters noch nngetrant seine Menses erblickt,
e«, das« es von da an die niedrigste i^töiii »ei« die man nicht mehr heirathen dürfe*
538 ^IX- ^'^^ ^^'
Dieses letztere findet aber eine Art Ton Einschränkung durch den folgenden Yen:
,Wenn aber ein Mädchen mannbar ist, so ist es ihr gestattet, nach eigenem WnnBche
sich einem Gatten hinzogeben. Darum soll man, wie Manu, der Sohn Scajämbhus, erklärt
hat, das Mädchen verheirathen, solange es noch unreif ist.*
Während bei den Griechen Lykurg den Janglingen vor dem 87. Jahre an heirathen
verbot, verlangte Plaio für die Heirath beim Manne das 80., bei dem Weibe das 20. Jahr. Bei
den Kömern worden die Mädchen zwischen dem 18. und 16. Jahre verheirathet Eine Frau,
die 20 Jahre alt geworden, ohne Mutter zu werden, verfiel schon den Strafen, die Auguahu
über Ehe- und Kinderlosigkeit verhängt hatte. (Eiaendecher.) Es war also das Alier Ton
19 Jahren die äusserste Grenze für die Schliessung der Ehe. Die römischen Juristen stellten
fQr Mädchen das 12. Jahr als das der Pubertät fest (Marquardt), und zum Schlieesen einer
gültigen Ehe wurde dasselbe Lebensjahr bestimmt, doch fiemden in späterer Zeit auch frflhere
Verheirathungen statt. Friedländer und Eossbach zeigen nach Leichensteinen, wie jung in der
Kegel Römerinnen gebaren. Bei ülpianus heisst es: .Justnm matrimonium est, si inter
eos qui nuptias contrahunt, connubium est, et tam masculus pnbes, quam femina poiens mt'
Dio Cassius erzählt vom Kaiser Aiigustus unter anderem: Weil auch einige sich mit Kindern
verlobten, nur um auf die Belohnung Verehelichter Anspruch machen zu können, ohne doch
den wahren Endzweck der Ehe zu befördern, so verordnet er, dass keine Verlobnng Kraft
haben sollte, auf die nicht wenigstens nach zwei Jahren die wirkliche Vollziehung der Ehe
erfolgen könnte, mithin die Braut wenigstens 10 Jahre alt sein müsste, wenn Einer jener Be-
lohnung fähig sein wollte, denn man rechnet das 12. Jahr für das reife Alter zur Voll-
ziehung der Ehe.
Die minder cultivirten Völker Europas, namentlich diejenigen in südlichen Gegenden,
haben auch heute noch den Brauch, die jungen Mädchen früh zu verheirathen. üeber die
Insel Minorca schreibt Cleghorn: .Die Mädchen werden zeitig mannbar und zeitig alt. Sie
heirathen in einem Alter von 14 Jahren.' Im südlichen Spanien finden Heirathen im Alter
von 12 Jahren statt. (Virey.) Bei den Mainoten, den Bewohnern der Halbinsel Maina
in Griechenland, heirathen die Mädchen schon mit dem 13. oder 14. Jahre, die Männer
vom 15. Jahre ab. In dem gleichen Alter heirathen die Mädchen der Walachen, wie Paget
berichtet, nach Czaphvics aber schon mit 12 Jahren, und bei den Zigeunern will derselbe
Autor 12jährige Mütter gesehen haben. Auch Schwicker bestätigt von den ungarischen
Zigeunern, dass bei ihnen Mütter mit 18 — 14 Jahren vorkommen. Die Moldauerinnen
heirathen auch sehr früh, und es ist nichts Seltenes, Mädchen von 15 Jahren schon mit
Kindern gesegnet zu sehen. .Aus dieser Thatsache,* sagt lieiss, .dürfte sich vielleicht die
geringe Zunahme der Bevölkerung erklären, da so viele nicht lebensfähige Kinder geboren
worden.* In Bosnien und der llercegovina werden ebenfalls Mädchen mit dem 18. oder
höchstens 15. Jahre, nach Milena Mrasovic im Alter von 13 bis 17 Jahren verheiratheL Ihre
körperlichen Reize nehmen rasch ab, und mit dem 35. Jahre zählen sie meist schon zu den
alten Frauen. (Raskiexcicz,) lieber die Süd-Slaven berichtet Krauss^: „Im Allgemeinen
heirathen Mädchen nach zurückgelegtem sechzehnten Lebensjahre, wann die Brüste zu schwellen
beginnen." Auf die Frage: Mit wieviel Jahren ist ein Mädchen heirathsfähig ? antwortete ein
nltos Mütterchen: „Sobald sie sich selbst einen Dorn aus der Ferse herauszuziehen vermag.*
Auch ältere Mädchen wurden oft mit ganz jungen Burschen verheirathet. Die Ruthenen in
Ungarn (CzaplovicsJ pflegen die Mädchen ebenfalls schon im 12. Jahre zu verheirathen, and
in früherer Zeit ging es damit noch viel ärger zu, denn nach Szirmay wurden Mädchen von
5—6 Jahren verlobt und in die Wohnung des ihnen zugedachten Knaben gebracht, wo sie
bei den künftigen Schwiegermüttern schliefen, bis sie heranreiften.
Anders schon ist es in dem Norden Europas. So heirathen beispielsweise die Ehstinnen
sehr selten in sehr jugendlichem Alter. In den Jahren 1834—59 wurden in der ehstni sehen
Stadtgemeinde nur 4,5 Proc, in der Ijandgemeinde 11,5 Proc. und in mehreren Kirchspielen
15,0 Proc. aller Heirathen vor beendigtem 20. Lebensjahre geschlossen. Wir finden hier ein
Verhältniss zwischen Land- und Stadtbewohnern, welches darauf hindeutet, dass die Beschäf-
tigungsweise auf das Heirathsalter von Einfluss ist; andere Arbeit, andere Kost und andere
Gesittung wirken in diflbrenter Weise bei einer und derselben Rasse und bei gleichen klima-
tinchen Verhältnissen.
Wappaeus berechnet als mittleres Heirathsalter aller Getrauten für die Frauen:
in Sardinien 24,42 in Norwegen 28,o5
„ England 25,9« , den Niederlanden. 28,88
, Frankreich .... 2ß^^ , Belgien 29,u.
188. Das Heirathsalter und die Erstgeburt bei den CuUurvOlkem.
Von 10000 getrauten Mädchen standen in einem Alter:
539
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9
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isaa
20SO
604
791
959
wün 20—25 . 1
5383
4009
3799
2962
2883
TOn 25— SO
2069
2229
3460
B550
3144
TOD 30—35 »
695
970
1406
1649
1614
Ton 35^0
282
422
475
636
760
Ton 40—45
135
(271
196
246
373
von 45—50
57
98
106
159
über 50
35
69
54
60
88
*) In den Niederlanden und Belgien unter 21 Jahren und von 21—25 Jahren.
FQr ganz Oesterreich und speciell für Stejermark fand Flosa: Es heiratheten von
je 10000:
Frauen
Oesterreich
Stejermark
1860
1865
1860-1865
unter 20 Jahren
1656
1873
761
von 20—24 ,
2584
2647
1908
von 24—80 ,
2995
2783
8180
von 80—40
3065
1770
2890
von 40—50
600
581
1038
über 50 .
150
166
228
In allen civilisirten Staaten ging die Oesetzgebung von dem gewiss nicht
unrichtigen Principe aus, dass einer das allgemeine Wohl der Bevölkerung schä-
digenden Willkür durch gesetzliche Bestimmungen vorgebeugt werden müsse.
Naturgemäss war es zuerst die Kirche, die sich in diese Heirathsangelegenheiten
mischte, und das kanonische Recht erklärte die Mädchen mit 12, die Knaben mit
14 Jahren für eheberechtigt. (Giteler.)
Die gleiche Altersgrenze finden wir im Mittelalter im longobardischen, dem frie-
sischen und dem sächsischen Rechte, und auch in dem Scbwabenspiegel findet sich
eine analoge Bestimmung. Auch das gemeioe Recht in Preussen bestimmte ebenfalls das
12. Jahr als noch zulässiges Heirathsalter für Mädchen, während nach dem Landrecbte der
braunschweigischen Kirchenordnung und Eheordnung für das Grossherzogthum Baden
Mädchen erst mit 14 und Männer mit 18 Jahren heirathen durften. Dagegen wird nunmehr
für das ganze Deutsche Reich für Männer 20, für Weiber 16 Jahre als Minimum des
Heirathsaltors festgestellt.
Einige Eronländer des Osterreichischen Staates bestimmen für Mädchen 15, für
Jünglinge 19 Jahre als das früheste Alter für die Verehelichung. (John.)
In Schweden existiren Verbote des Eingehens zu früher Ehen, wobei aber den
Lappenmädchen bereits im 17. Lebensjahre die Verheirathung entsprechend ihrer früheren
Pubertätsentwickelung gestattet ist.
Napoleon L verschob das Heirathsalter der Mädchen von 13 auf 15, das der jungen
Männer von 15 auf 18 Jahre, denn da nur für Einzelne eine Ehe im 13. oder 14. Jahre nicht
von überwiegend nachtheiligen Folgen begleitet sei, so sei es unpassend, durch ein Gesetz die
ganze Generation in diesen Jahren zur Eingehung von Ehen zu berechtigen. (MaletiUe.)
Im ganzen russischen Reiche giebt es ein Landesgesetz, welches die Ehe mit Mäd-
chen vor dem 16. Jahre verbietet, sogar bei Strafe der Verschickung nach Sibirien.
(Häntzacke,) Die russische Jungfrau in Astrachan heirathet mit 16^18 Jahren, die
Kalmückin nach Meyersohn mit 16 Jahren, unter den Chewsuren im Kaukasus wird
nach Angabe des Fürsten Eristow das Mädchen zwar schon in den Kinderjahren verlobt,
allein die Heirath findet erst im 20. Lebenqahre statt
Für gewöhnlich heirathen auch die Tatarinnen in Astrachan nBch. Meyersohn erst
mit dem 20. Jahre, die Männer mit 25 bis 80 Jahren. Allein manche arme Tataren, denen
540 XIX. Die Ehe.
es um den Brautpreis zu thun ist, yerheirathen ihre Töchter fast in der Kindheit, obgleidi
die Landesgesetze des russischen Reiches ihnen das firühe Heirathen verbieten.
In England ist ,the age for consent to the matrimony* 14 Jahre fftr das m&imlichey
12 Jahre für das weibliche Geschlecht. Jedoch ist eine unter diesem Lebensalter abge-
schlossene Ehe an sich nicht nichtig, vielmehr nur noch unvollständig (imperfect) in der
Weise, dass das zum Consens erforderliche Alter abzuwarten ist und dann, je nachdem der
Consens erfolgt oder nicht, die Ehe ohne weiteres gültig oder ungültig ist Dies gilt jedoch
nur für Ehen Solcher, die unter 7 Jahre alt sind. Die Ehen von Kindern bis za diesem
Lebensalter sind ohne Weiteres nichtig. Bis zum Jahre 1866 ist eine Aenderung dieses Rechts-
zustandes nicht erfolgt, und man scheint mit demselben bisher zufrieden gewesen zu sein.
Li London heiratheten während des Jahres 1861 35 Mädchen im Alter von 15 Jahren
(10 Knaben im Alter von 16 Jahren).
Roberton äussert über dieses Thema:
„In England, Deutschland und dem übrigen protestantischen Europa ist frühes
und vorzeitiges Heirathen selten. Frühes Heirathen waltet hingegen unter jenen uncivilisirten
Volksstämmen vor, welche in der arktischen Zone umherschweifen. Auch im europ&ischen
Russland ist ein besonders frühes Yerheirathen gebräuchlich. Insbesondere pflegt man in
allen Staaten Europas, in welchen Aberglaube und Unwissenheit herrschen, die M&dchen
früh zu yerheirathen, vorzugsweise ist bei der römisch-katholischen Bevölkerung Irlands
frühes Heirathen Sitte. So ist denn überhaupt das frühe Yerheirathen nur durch
die Rohheit der Bevölkerung und nicht durch das Klima bedingt. Auch in den
Gegenden des Orients, in welchen frühes Heirathen stattfindet, steht diese Sitte unter dem
Einfluss moralischer und politischer Zustände. Anstatt nun aber das frühe Heirathen, welches
in Asien heimisch ist, der vorzeitigen Pubertät zuschreiben zu wollen, sollte man mehr als
bisher durch moralische und gesetzliche Mittel gegen diese Gewohnheit einschreiten.*
Wir werden ihm nicht Unrecht geben können, wenn er den Qrund fÄr ein
frühes Heirathen weniger durch die Einwirkungen des Klimas, als durch sociale
Zustände zu erklären versucht.
139. Das Heirathsalter und die Erstgeburt bei den Natnryolkern.
Es ist schon davon die Rede gewesen, dass wir bei den niederen Völkern
ganz ausserordentlich junge Ehegattinnen antreflFen, und wie wir ebenfalls frülier
gesehen haben, scheint durch einen frühzeitigen Geschlechtsgenuss der Eintritt der
Reife beschleunigt zu werden. Aber es scheint dann auch gewöhnlich ein schnelles
Verblühen die Folge zu sein. Das bestätigt Schomburgk von den Warrau-
Indianerinnen in Britisch Guyana, wo die Mädchen schon im 10. Jahre in
die Ehe treten.
Schomburgk sah oft Mütter, die kaum 11 oder 12 Jahre alt sein konnten und doch
schon Kinder von 1 — 2 Jahren hesassen. Auch unter den Wapisiana-Indianerinnen in
Britisch Guyana fand er eine Dreizehnjährige, die schon zwei Kinder hatte. Auch in
Surinam ist nach Stedtmann 12 Jahre das Heirathsalter, und die Guarani -M&dchen heirathen
ebenfalls nach v, Aeara^ schon mit 10 — 12 Jahren.
Andere In dianer- Stämme in Paraguay haben ein relativ spätes Heirathsalter; so
verzögert sich bei den Guana die Eheschliesäung oft bis in das 19. Jahr, und bei den Abi-
ponern traf Dobrizlwffer selten ein Mädchen, das sich vor 19 bis 20 Jahren nach einem
Freier umgesehen hätte. Dagegen musste in Neu-Spanien im vorigen Jahrhundert der
Jesuitenpater Och nicht selten 13jährige Mädchen copuliren und zwar bisweilen mit alten
Männern von 50 bis 60 Jahren ; sie brachten im folgenden Jahre ein Kind zur Welt. (v. MurrJ
Auch die Cayapo- In dianer innen verheirathen sich früh (Kupfer) ^ und unter den Guatos-
Indianern am Einflüsse des Rio Sao Lourenzo in den Rio Paraguay fand i^Aode sogar
verheirathete Mädchen von 5 — 8 Jahren.
Die Smu-Indianerinnen im Mosquito-Gebiete heirathen mit 10—18 Jahren
(de ObignyJ, die Chayma-Mädchen nach v, Humboldt mit 12 Jahren, ebenso die Mädchen
in Buenos-Ayres nach Maniegasza, die Coroados-Indianerinnen nach Burmeister mit
14 Jahren. £r sieht hierin die Ursache, dass sie nicht zu Kräften gelangen. Long sah auf
Jamaica die Mädchen früher mannbar werden und schneller verwelken, als in den nördlichen
139, Pils Heirathaatter und die Eratgeburt bdi den NaturTölkern. 541
enden; sio verbeiralhen sieb tehr jung und werden im 12. Jahre Matter. Aehnüch ist ee
Trinidad nach Daitxwn TMvatfsst, und aucb auf Cuba werden viele Frauen im Älter
von 13 Jahrtm Mütter und fahren fort bia in das 50. Jahr zn gebllren.
In BraaUien fanden SpuE und mm Martim 20jährige Weiber^ die schon vier Kinder
hatten. Bei den alten Culturvölkern Amerikas »eigt eich gegenüber den heutigen Stiimnien
in den gleichen sÜdUchen üegenden ein erheblicher Unterschied in Be^ug auf die Festsetzung
de« Heirathialtera, Zur Zeit der Entdeckung Amerikas galt bei den Mexikanern beim
Manne da» Alter von 20—22, beim Weibe das von 16 und 18 Jahren für daa zur Verheirathang
geeignete. (Clavigero.) Im alten Inca-Reiche Perus musaten gesetzlich die Mädchen mit
dem 18.— 20, Jahre sich verheirathen. (Garcilassü,)
Ueber 65 Indianerinnen Nord-Amerikas gab lloberton die folgende Tabelle. Es
gebaren tum ersten Male:
im 10. Lebenijahrc 1
Auch Sehockraft giebt an: «Die Sioux- und Dacota-Indianerinnen geblLren schon
^jugendlichen Alter; sie selbst wissen selten, wie alt sie sind; die Beobachter ihrer Sitten
icbten aber, dm& sie schon im 13. bis jcum 15. Jahre niederkommen.* Bei den Dela-
waren und Irokesen werden die Mädchen meist mit 14 Jahren verheiratbet, (LoskUlJ
Unter den in den nördlichen Gegenden Amerikas wohnenden Indianern ereignet es sich
oft, dass der Mann von 35 Jahren ein 10- bis I2j Übriges M&dchen xur Frau nimmt; in Folge
des frühzeitigen Ueiratbens sind die Indianerinnen des Nordens minder fruchtbar und
können nicht so lange geb&ren, als in eüdlicben itegenden. (Samuel Hearnt,) John Franklin
sagt: »Die Indianer-Mudchen in den Fort«, vontflglich die Töchter der Canadier, dürfen
«ehr früh sich verbeimthen ; hUußg sieht man Frauen von 12 und Mütter von 14 Jahren."
Auch bei den Indianern der Nord Westküste Amerika« werden die Mädchen sehr früh,
oft bereite bald nach der Geburt verheiratbet, aber erst im 12. bis 14. Lebensjahre wird die
Ehe in Wirklichkeit geaoblosHen. £bem»o werden bei den Eskimos des Cumberland-
Sundes Knaben und Mftdchen schon in früher Kindheit füreinander bestimmt. Die Knaben
heirfttben ungefähr mit dem 17., dio Mädchen von 14 Jahren an. Die Ehen ertreuen sich
keines grossen Rindersegens« selten triüt man in der Familie mehr aln zwei Kinder. CAlihtJt,)
Von den Frauen der Fcuerllinder sagt öiacomo Boce: Dan Verlangen nach dem
Manne l&sst sieb bei ihnen früh schon fühlen und der Eingriff der Mission in diese Yerbtllt'
niaae wird als die gröbste Tyrannei der Civilisation angesehen; die Heiratheu der Feuer-
Kinder worden daher im Allgemeinen früh geschlossen; mit 12 bis 13 Jahren schon machen
die Mädchen Jagd auf einen Mann, doch erst mit 17 oder 18 Jahren werden sie Mütter; die
M&nncr heirathen twiachen 14 und 16 Jahren.
Frühe Ueirathen sind auch inOceanien gebrAuchlich; so verheiratben sich die Mtldohen
Eingeborenen Büd-Anstraliens mit 8 bia 12 Jahren und leben mit ihren Männern
Vom B. Jabre an pflegen sie den Beischlaf. Mit lÜ Jahren etwa werden sie
Mfllier; sie betrachten sich dann nicht mehr als Ötfentliches Eigenthum, sondern leben fried*
lieh mit ihren Mönnern zusammen. (Jlerstfoch.J Nach Wilhetmi aber bekommen die Weiber
in Neu -Ho Hand selten vor dem 18.— 19. Jahre Kinder, obgleich sie schon mit 10— 12 Jahren
mannbar werden.
Die Neu-Caledonierinnen sollen nach r. Iloehas erst mit 16 Jahren heirathen.
w&brend Knoblauch behauptet, dass sie dies bereits mit 13 Jahren thäten. Tuke meint, dass
die Maori-Mrtdchen auf Neu-Seeland oft im 1*2. und 13. Jahre heirathen und aller W^ahr-
st'heiulichkeit nacb schon in einer früheren Periode ihre Jungfernüchatl eingebüsst haben. An
einer anderen Stelle schreibt Tukt: .Die Periode der Fruchtbarkeit beginnt beim Maori-
Weibe früher^ als bei der weissen Frau; aber die Entwicklung der eingeborenen Mädchen
geschieht verbal tniasmiUsig später. Ea ist schwierig, das Alter einer Maori-Fran iQ be-
stimmen j von denjenigen, welche man für 40—55 Jahre alt bElt, erfilhrt man, dass de 25
oder 30 Jahre alt sind. Allein ich sweifle nichts daas die eingeborenen Weiber von Neu-
Seeland früher al» die Frauen unserer Roase auf hören Rinder xu bekommen.* Englische
542 ^I^- ^« ^^0*
Reisende behaupten, bei ihnen Mütter Ton 11 Jahren gesehen zu haben. Gewöhnlich war du
erste Frau eines jungen Häuptlings viel älter, als er selbst, dagegen sah man alte Hftopfliiigie
sehr junge Mädchen freien. (WüUersdorf-Urbair,) Auf den Gilbert-Inseln werden umA
Parkinson die Mädchen mit ungefähr 14 Jahren yerheirathet.
In Asien treffen wir eine frOhzeitige Eheschliessung keineswegs nur in den tropischen
Gegenden an. Bei den Samojeden werden yiele Frauen schon im 10. Jahre yerheiraihety nnd
im 11. oder 12. Jahre werden sie Mutter. Ebenso treten nach Georgi die Tunguten -Mftdchen
mit 12 Jahren in die Ehe. Auch die Frauen der Ostjaken heirathen bisweilen im 10. Jahre
und bringen oft schon im 15. Jahre Kinder zur Welt. Ganz anders die Wo tj&k innen,
die fast nie vor dem 22. oder 23. Jahre in die Ehe treten, denn das Mädchen mats dem
Manne in sein Haus folgen, und ihr Vater würde, wenn sie früher heirathete, sn früh eine
Arbeiterin verlieren; der junge Mann müsste dann auch einen sehr hohen ELanfschillin^ ent-
richten. (Buch,)
Das Heirathsalter der Chinesin ist nach v. Möllendorfdus 15. Jahr; bei den Japanern
wird nach Hureau de Villefieuve erwartet, dass das Weib bereits mit 15 Jahren Matter ist
In Cochinchina heirathen die Frauen der niederen Stände allerdings schon im 7^
oft aber auch erst im 20. Lebensjahre. (Cratofurd,) Mandiere^ sagt über die Einwolinerinnen
von Cochinchina: ,Sur 440 Annamites ayant accouch^, le premier enfant est venu 4 20
ans 6 mois; sur 15 Chinoises ayant accouch^, le premier enfant est venu ä 18 ans 10 mois;
sur 40 Minh-huong ayant accouch^, le premier enfant est venu ä 20 ans 9 mois; et snr
45 Cambodgiennes ayant accouche, le premier enfant est venu ä 22 ans 6 mois.*
Die meisten malayischen Mädchen an der Süd Westküste der malayischen Halb-
insel werden nach Isabella Bird im Alter von 14—15 Jahren verheirathet, die Javaninnen
mit 10—12 Jahren; Walbaum sagt: „Wenn auf Java ein Mädchen 7 oder 8 Jahre alt ist,
so kann sie alle Tage in den ehelichen Stand treten; und sind die Mädchen über diese Jahre
hinaus, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt geworden, so rechnet man sie schon unter die alten
Jungfern.*
Die Weiber der Banjanesen auf Borneo heirathen bereits im 8. oder 9. Jahre; im
20. aber hOren sie schon auf, Kinder zu zeugen; dass im 80. noch eine Frau schwanger ge-
worden wäre, ist ganz unerhört. (Finke,) Bei den Alfuren auf Gelebes geschieht die
Verheirathung der Mädchen in ihrem 14. Jahre oder selbst früher. Jagor berichtet, dass bei
den Bicolindiern (Philippinen) die Frauen selten vor dem 14. Jahre heirathen; 12 Jahre
ist der gesetzliche Termin. Er fand im Eirchenbuche von Polangui eine Traunng ver-
zeichnet, bei welcher die Frau bei Vollziehung der; Ehe nur 9 Jahre 10 Monate alt war. Die
Mincopie, d. h. die Eingeborenen der Andama neu- Inseln, scheinen ihre TOchter früh so
verheirathen. Einem Brahminen-Sträfling, welcher im Jahre 1858 zu ihnen entfloh nnd die
ersten Nachrichten von ihrer Lebensweise mit zurückbrachte, gab ein Andamane seine
Tochter von 20 Jahren und wiederum deren Tochter von 9 Jahren, seine Enkelin also, gleich-
zeitig zur Ehe. Mutter und Tochter fügten sich willig in ihre Pflichten.
Unter den jetzigen Parsi in Vorderasien, die noch immer die Lehren Zoroaster'g
und des Avesta befolgen, wird es mit der Verlobung und mit der Vollziehung des Bei-
schlafes in verschiedenen Theilen des Landes verschieden gehalten. In Guzurate, wo
indische Gewohnheiton maassgebend sind, verspricht man dreijährige Kinder mit einander,
behält sie aber bis zum 6. Jahre im Eltemhause und thut sie alsdann zusammen; indeesen
wird die Ehe nicht früher vollzogen, als bis beim Mädchen die monatliche Reinigung ein-
tritt. In Kirman verlobt man die Kinder im Alter von 9 Jahren, lässt aber die Ehe nicht
vor dem 12. Jahre vollziehen und übergiebt das Mädchen erst dann dem jungen Ehemanne,
wenn die Menstruation eingetreten ist; doch wenn die Tochter das 13. Lebenqahr zurflck-
gelegt hat, darf sie, gleichgültig ob menstruirt oder nicht, mit ihrem Manne leben. Ein
Mädchen vor dem 13. Jahre in das Ehebett zu schicken, gilt als schwere Sünde; doch noch eines
grösseren Verbrechens machen die Eltern sich schuldig, wenn sie dem Verlangen ihrer Tochter,
sich zu verheirathen, kein GehOr schenken. Denn die Parsen glauben, dass ein Mftdchen,
welches aus Vorsatz unverheirathet bleibt und nach zurückgelegtem 18. Jahre stirbt, der HOlle
verfallen ist. (Du Perron J
Auf Ceylon pflegt, wie Böbert Perdval im Anfang des Jahrhunderts berichtete, das
Mädchen schon im 12. Jahre in die Ehe zu treten, und dies frühzeitige Heirathen wird als
Grund des raschen Verblühens der Weiber betrachtet. Eine ausserordentlich frühe Verhei-
rathung findet nicht minder bei den Hindu statt. Dort wird nämlich die Ehe geschlossen,
wenn der Knabe 7—10 Jahre, das Mädchen nach Bocr 4—6 Jahre, nach Beierlein 8 Jahre
alt ist. Nach den Heirathsceremonien kehrt die Braut in das Hans ihrer Eltern zurflck;
139. Das Heirathsalter and die Erstgeburt bei den NatorrOlkem. 543
wenn nach einigen Jahren die Menstroation eintritt, wird das Mädchen unter Veranstaltung
einer öffentlichen Festlichkeit mit ihrem Knabengatten vereinigt. Sie wohnen alsdann im
Hause ihrer Eltern. So hat es denn, wie Boer Tersichert, Beispiele gegeben, wo in ein und
derselben Schule Vater und Sohn in verschiedenen Klassen sassen. Diese Angaben beziehen
sich auf Dekan. In Unter- Bengalen hingegen findet nach Boherton, wie wir später
sehen werden, die Begattung schon vor dem Menstruationseintritt statt. In Calcutta herrscht,
wie Allan Wehh berichtet, unter den Hindu allgemein die Sitte, die Kinder frühzeitig zu
verheirathen, und es wird dem Vater als ein dem Kindesmord analoges Verbrechen angerechnet,
wenn seine Tochter im elterlichen Hause menstruirt wird ; daher werden die Kinder im 8. bis
10. Jahre verheirathet, selten aber (unter 80 Fällen 28 mal) gebären die Frauen vor erreichtem
14. Jahre. In Madras ist es nach Best in der Kaste der Vornehmen herkömmlich, kein
Mädchen zu freien, welches älter ist als 14 Jahre; ist nun ein Mädchen 15 oder 16 Jahre alt
geworden, ohne dass sich ein Freier für sie gefunden hätte, so weiht sie sich dem Tempeldienst
der Kali oder heiligen Mutter CBhawaniJ, sie wird Mozli, weibliche Priesterin, und hier-
mit ist sie dann der heiligen Prostitution geweiht.
L'nter den Vedas (südindische Sclavenkaste) pflegen die Männer bei der Heirath
15 — 16 Jahre alt zu sein, die Mädchen 7 — 9 Jahre; sie cohabitiren aber mit ihren Männern
schon vor dem Eintritt der Geschlechtsreife. (Jagor.)
Die Afghanen pflegen die Mädchen im 15. oder 16. Jahre in die Ehe zu geben,
doch trifft man auch nicht gar selten 25jährige Jungfrauen. (Mountstuart-Elphinstone.) Da-
gegen heirathen bei den Durahnern, einem die Berge Afghanistans bewohnenden Stamme,
die Mädchen im 14. oder 16. Jahre. Bei den Kafir -Stämmen am Hindukush ist das
Heirathsalter der Mädchen zwischen 15 — 20 Jahren. Die wilden Bewohner Central-
Indiens (im Busthar) verheirathen ihre Töchter mit 15 — 17, die Söhne mit 14— 24 Jahren.
(Glasfurd.)
Nicht ohne Einfluss auf die Sitte des frühen Verheirathens im Orient mögen die reli-
giösen Institutionen gewesen sein, die in Gemeinschaft mit den klimatischen Einflüssen ihre
Wirkung äusserten. Die Heirath gehört (nach Si Khelil) unter die religiösen Pflichten der
Mohammedaner, und mit dem 10. Lebensjahre ist es allen Mohammedanerinnen erlaubt, die
Ehe einzugehen, d. h. mit etwa 9^/3 Jahren unserer Sonnenrechnung. Mohammedy welcher
um jeden Preis seine Anhänger schnell vermehren wollte, hat dabei vorerst nur an das
südliche Arabien gedacht; er wusste aber nicht, dass bei den Völkern der anderen Länder
die Geschlechtsreife später auftritt, als dort. Die Araberinnen reifen aber jedenfalls früher;
auch diejenigen, welche in Afrika leben. , Eine Araberin/ sagt ^rticf , «gebiert schon im
11. Jahre Kinder, hört aber auch schon im 20. Jahre wieder auf; ihre Zeit beträgt also nur
9 Jahre." Später setzt er hinzu, dass die Männer auf der afrikanischen Küste des
arabischen Meerbusens den schönen arabischen Frauen die abyssinischen Mädchen
vorziehen, die man um Geld kauft, weil diese länger Kinder gebären.
Das frühe Heirathen der Mädchen ist auch in Persien Brauch; Polack berichtet aus
eigener Wahrnehmung, dass in Teheran das Mädchen gewöhnlich schon im 13. bis 14. Lebens-
jahre, in Schiras sogar schon häufig mit dem 12. Jahre Mutter wird. Gesetzlich soll das
Mädchen erst heirathen, wenn die Menstruation sich bereits eingestellt hat und die Scham-
haare und Achselhaare zu keimen beginnen, also mit erlangter Pubertät; das ist der mosai-
schen Vorschrift ganz ähnlich. Man hält sich jedoch in den ärmeren Klassen nicht daran,
Hondern erkauft den Dispens von einem Priester. Es heirathen Mädchen mit noch unent-
wickelten Menstruen und ganz platter Brust, jedoch entwickelt sich beides in der Ehe rasch.
Aus Nord-Persien, insbesondere aus der Provinz Gilan, berichtet Häntzsclie: Wenn auch
mehr als die Hälfte der Mädchen zur Zeit der Pubertät, d. h. im 14. Jahre, heirathet,
so wird doch noch eine sehr grosse Menge Mädchen zwischen dem 10. und H. Jahre
verheirathet. Auch die Kurden- Mädchen heirathen früh, nach Wagner zwischen dem 10.
und 12. Jahre.
Die allgemeine Annahme, dass in Syrien die Reife der Mädchen früher auftritt, als
bei uns, wird von Bohson für einen Irrthnm erklärt; derselbe habe seinen Grund darin, dass
die Mädchen frühzeitiger heirathen; das geschieht aber schon vor dem Eintritt der Pubertät
und zwar von 10 Jahren aufwärts; 18 — 15 Jahre ist das gebräuchlichste Heirathsalter. Man
hält es dort bei der Jugend der Bräute für unwahrscheinlich, dass schon im ersten Jahre der
Ehe ein Kind geboren werde; gewöhnlich vergehen 2 — 4 Jahre, bis die junge Frau ein Kind
zur Welt bringt.
Oppenheim sagt von den Türkinnen: „Schon im 10. Jahre menstruirt, verheirathen
neh dieMlben im 12., werden rasch Mütter, sind sehr fruchtbar, verlieren im 20. Jahre ihre
544 XLX. Die Ehe.
Regeln, verblühen und altem früh/ Doch gilt auch Aehnliches Ton den Franen in Klein-
asien. lu Isaurien, wie überhaupt in der kleinasiatischen Türkei, wird sehr frtib
gehcirathet, die Knaben mit 18, die Mädchen mit 14 Jahren. Es ist besonders erwüUKht,
dass möglichst bald ein Sohn erzeugt werde, der, wenn er herangewachsen ist, den Vater e^
nähren muss. Ein junger Türke, den Sperling kennen lernte, war erst 83 Jahre alt, and
schon Gross vater. Die Schriftstellerin Friederike Bremer besuchte auf ihrer Heise im Orient
den Harem des Efendi Musa in Jerusalem, und sah ein achtjähriges Mädchen mit gnt-
müthigem Gesichte, aber ohne Zeichen Ton Leben und Frische der Jugend, sn ihren FflisMi
sitzend; sie erfuhr, dass das Kind schon mit einem alten Manne verheirathet war; e« wnrdei
ihr noch andere Frauen von 10— 12 Jahren gezeigt. Auch der Arzt Titus Tobler kannte eias
Frau in Palästina, welche im 13. Jahre geboren hatte, und eine andere, eine elQfthrig«
Jüdin, welche schon seit zwei Jahren menstruirt und seit IV2 Jfthren yerheirathet war. Bei
den Samaritanern pflegen sich die Knaben in ihrem 15. oder 16. Lebensjahre, die Mftdchea
im 12. oder noch früher zu verheirathen.
Aehnliche Gebräuche finden wir bei den Völkern Nord-Afrikas wieder. Die Aegyp-
torinnen heirathen nach Hartmann in einem Alter von 11 — 18 Jahren. Die Kopten rer-
eholichen ihre Kinder aber schon im 7. oder 8. Jahre, und man sieht bei ihnen oft Mütter,
die erst 12 Jahre alt sind. In Ober-Aegypten verheirathen sich nducAi Bruce die Mftdchea
selten nachdem IG. Jahre, und einige, die erschwangersah, waren ihrer Aussage nach kanm
11 Jahre alt; sie erschienen in ihrem 16. Jahre älter als manche Engländerinnen in ihrem
60. Jahre. Klunzinger berichtet, dass in Ober-Aegypten Knaben von 15 — 18 Jahren,
Mädchen von 12 — 14 Jahren heirathen, und fügt hinzu, dass solche in unseren Augen rer-
frühte Ehen (dort obendrein zu etwa zwei Dritttheilen zwischen Geschwisterkindern getchlossea)
doch in Bezug auf den Kindersegen keine üblen Wirkungen wahrnehmen lassen.
Die Weiber der Fezzaner haben nach Capitän Lyon im 12. und 18. Jahre Kinder
und gleichen im 15. und 16. Jahre alten Weibern. In Tunis findet nach Giovanni Ferrini
zu frühe und zu häufige Begattung statt, und ist dies unter anderen Einflüssen eine Ursache,
dass die Bevölkerung abnimmt. Auch die Beni Mezab in der Sahara liefern nach Dutef-
rier oft schon zwölfjährige Mütter, und bei den Kabilen werden die Mädchen im 6. Jahre
versprochen, und sie heirathen zwischen dem 10. und 12. Jahre. Die Mensa- Mädchen hei-
rathen nach Brehm sehr selten vor dem 14. Jahre.
Die Frau bei den Schangalla, welche angeblich mit 12 Jahren schon mehrere Kinder
geboren hat, wird nach dem 20. Jahre selten Mutter und hat mehr Runzeln als eine ÖOj&hrige
Europäerin. Unter den Agow, einem Volksstamme im Süden Abyssiniens, werden ^e
Mädchen Hchon im 9. Jahre mannbar, heirathen meist im 11. Jahre, hören aber schon im
30. Jahre auf, Kinder zu bekommen. Die Frauen der Abyssinier werden in der Regel un-
gemein jung verheirathet; liiippeU berichtet von einer 10jährigen Frau; das Alter des Mannei
kommt bei keiner Ehe in Berücksichtigung, und sehr alte Männer heirathen oft gans jange
Mädchen. In Keradif, das tief in Abyssinien liegt, fand einst der Missionar Stern eine
sonderbare Aufregung: es war plötzlich der Befehl erlassen worden, dass alle Knaben Über 14,
alle Mädchen über 9 Jahre alt binnen 14 Tagen heirathen sollten; die Uebertretung* dieses
Gesetzes sollte mit Geld, eventuell durch Peitschenhiebe bestraft werden; die ganze Bevölkerung
feierte demnach grosse Hochzeitsfeste, und überall sah man kleine Bräute und Bräutigams.
Nach Munzinger erfolgt bei den Beduy in den Habab- und Bogos- Ländern die Verhei-
rathung der Mädchen bisweilen im 12. Jahre, doch in der Regel später; in Massau a hei-
rathen die Mädchen im 12., die Jünglinge im 17. Jahre; die Sundanesinnen nach Brehm
mit 12—14 Jahren, die Mädchen der Abbadie in Nubien mit 10—12 Jahren, und auch
die Somali lassen ihre Töchter von dem 13. Jahre an in die Ehe treten.
An der Goldküste werden die Heirathen sehr frühzeitig geschlossen. CCruickshankj
Bei den M*Pongo an der Küste von Nord-Guinea pflegen die Mädchen zwischen dem
10. bis 12. Lebensjahre in die Ehe zu treten. (Hyacinth llecquard.) Von den Vey-
Ncgerinnen glaubt Büttiko/er, dass sie nicht vor dem 15. Jahre heirathen, und bei den
Egba in Yoruba finden nach Burton die Verheirathuiigen sogar selten vor dem 18. bis
'JO, Jahre ritatt.
An der Sierra-Leone-Küste bei den »Susu, Mandingo u. s. w. werden die Mäd-
chen schon vor ihrer Geburt verlobt, die Hochzeit wird jedoch nie vor dem 14. Jahre voll-
zogen; auch erinnert sich Winterbottom nicht, in diesem Theile von Afrika je eine schwangere
Frau gesehen zu haben, die nicht bereits dieses Alter erreicht hatte. Eine frühzeitige Ver-
lobung der Mädchen findet auch in Old-Calabar, namentlich bei den höheren Klassen,
statt, bisweilen schon wenige Tage nach der Geburt und zwar nicht selten mit einem Manne
140. Die Kinder-Ebe und Uue pbysiologfieche Beden
545
in den mittleren oder h^iberen Jahren, im 7* oder 8« Jahre wird das M&dehen zur To(r-
bereitQtig für die Ehe in einer von der 8 ladt entfernten Farm gemästet; dann lebt sie
noch ein Paar Jahre frei unter den Weibern ihres OemahJs. Du Chaiila fand, daa die
Aschira in West-Äfrika mit der Verheirathnng nicht erst abwarten« bis das Alter der
Pubertät eintritt.
Bei den Kaffern beginnt schon der 14 jährige Jtinge sich nach einer Dirne umsu-
ichauen, die er heiratben kann. Das junge Ama-Xosa- (Kaffer ')Mädchen wird bei dem
üin tritt ihrer Mannbarkeit feierlich fßr heirathsfübig erklärt. Bei dem hierbei begangenen
Pect geniesat sie das Vorrecht, mit einem von ihr erwählten Geführten, gewöhnlich 2 — 4 Tage,
zusammenzuleben.
Sobald bei den Basutho die Kinder das 14« Jahr erreicht haben, denken die Eltern
an eine Heirath. (CasalisJ Allein die Mädchen heiratben nicht so früh, als man ee von dem
Ijsüdlichen Klima erwarten sollte; erstens ist es in ihrem gebij^gen Lande nicht so warm wie
übrigen Afrika, anderenfalls snchen die Yilter ihre Töchter recht lange anzubieten, um
nen grösseren Preis zu erzielen. (Holländer,) Andere Betschuanen-M tidchen werden
benfaUs durch Ceremonien bei dem Eintritt der Menses für heirathsfUhig erklärt: ,12 oder
Jahre ist wohl ein gans gewöhnliches Alter für die Verheirathung/ doch läast sich diesem
Uter selten genau angeben. Bei den Ovaherero braucht das Mädchen zum Heiratben
nicht älter als 12 Jahre zu sein. Unter den Hottentotten werden schöne Mädchen nicht
gelten schon mit dem S. oder 9. Jahre verheirathet. (DambergerJ Die Mädchen der Busch-
männer sind vielfach schon im 7, Jahre verheirathet, und bisweilen mit 12, auch wohl
sogar schon mit 10 Jahren Mütter. (BurchdlJ Die Frauen der Boers in Süd-Afrika
heirathon gleichfalls sehr jung, zu einer Zeit, wo der Körper kaum Zeit gehabt hat, sich
_5U entwickeln, daher haben gie auch eine sehr kurze darchschnittliche Lebensdauer. (FriUth.j
Vwi Madagascar traten nach den Angaben des Hieronymm MtQÜcerus aus dem Jahre 1609
üe Mädchen der Eingeborenen im 10. Lebensgahre in die Ehe, und die jungen Männer eb^u-
Alls schon mit 10 bis 12 Jahren*
140. Die Kitider-EIiQ und ihre physiologische BiHleiitung.
Wir haben aus dem obigen Abschnitt ersehen können, wie ausserordentlich
weit verbreitet die Sitte ist — oder vieUeieht besser gesagt die Unsitte — , die
"Mädchen schon in sehr frühen liebensaltern in den Ehestund treten zu lasBen.
JekunntermaasseQ verloben einzelne Völker die Kinder bereite im Mtitterleibe, aber
lamit ist nicht gesagt, dass dann die £he auch frühzeitig geschlosgen würde.
iingegen finden sich auch Beispiele dafür, dass wirklich bei einigen Völkern Ehen
it ganx jungen Kindern in den ersten Lebensjahren eingegangen werden. Wir
iden das bei einigen Indianerstämmen; auch kommt es bei den Basutho m
• Afrika vor und ebenso in Old-Calabar. Hier hält mitunter ein Mann,
reicher bereits mehrere Weiber besitzt, einen Säugling im Alter von 2 — 3 Wochen
^ »einem Schoosse und herzt und küsst ihn als sein neues Weib. Gattinnen
4—6 Jahren fanden wir vereinzelt (in China, Ouzurate, Ceylon und in
l>rasilien)f von 7 — 9 Jahren sind sie schon nicht mehr selten, und 10 — ^12 Jabre
ist ein sehr weitverbreitetes Ueirathsalter.
Dasa ich in allen diesen Fällen von Kinder* Ehen spreche, das wird uns
niemand übel nehmen. Es wird aber wohl nicht unnütz sein, wenn ich es
lier besonders hervorhebe, dass mit einer solchen frühzeitigen Schliessung der
^he nun nicht in allen Fällen auch eine sofortige Eröffnung des geschlechtlichen
Verkehrs verbunden ist. Im Gegentheil, es wird bei manchen derartigen Angaben
besonders hervorgehoben, das« ftir die eheliche Beiwohnung der Eintritt der
blechtlichen Keife abgewartet wird. So kam es nach Krams zuweilen bei
len Süd-Slaven vor, daas mftQ ein zehnjähriges Mädchen heimf&hrte, doch sah
aan streng darauf, dass sie vor ihrer Reife mit ihrem Manne das Lager nicht
'*«ilte. Auch bei den Chinesen werden ot^, wenn das Mädchen erst 6 Jahre
' Heil abgeschlossen und die junge Ehegattin tritt
,jn d^. iL.., rrn ein. Aber wirklich vollständig wird die
Um W tii 35
546 ^l^- ^ie ^^0-
Ehe nicht eher, bevor nicht das Mädchen das 12. bis 13. Jahr erreicht hat, wo
sie dann auch vollständig entwickelt ist. Nach Morache wird in Peking die
junge Gattin nicht selten auch bis zu ihrer Geschlechtsreife im Hause ihrer Eltern
zurückgehalten. Auch bei den Malayen auf Java gestattet man nach Epp der
jungen Frau den Beischlaf nicht vor ihrem 10. bis 12. Lebensjahre.
ff Wurde einem Manne in Guatemala ein M&dchen angetraut, welche noch nicht reif
war, 80 gaben dessen Eltern für die Zeit bis zu ihrer Reife ihrem Schwiegersöhne eine Sclarin
als Stellvertreterin, deren Kinder aber nie den Rang ihres Vaters theilten, auch wenn nicht
gesagt ist, dass sie Sclaven blieben."
Ein zweiter Factor, welcher bei diesen Kinder-Ehen berücksichtigt werden
muss, ist der, dass bei vielen Yolksstämmen die Mädchen in einem mr unsere
Begriffe noch der späteren Kindheit angehörigen Lebensalter bereits ihre geschlecht-
liche Reife erlangt haben und eine Eheschliessung mit ihnen daher nicht so un-
geheuerlich ist, wie das nach unserem Empfinden den Anschein hat.
Allerdings ist es traurig zu hören, dass auch Europäer es nicht verschmäheii,
mit diesen kaum entwickelten Mädchen sich in geschlechtliche Verbindungen ein-
zulassen. Das findet beispielsweise auf Gelebes statt, wo sich die Europaer
12 — 13 Jahre alte Mädchen zu Goncubinen nehmen, und diese Sitte ist dort an-
geblich so allgemein, dass niemand daran etwas Anstossiges findet. Uebrigens
verbot auch bereits Justinianus den ehelosen Männern, sich Beischläferinnen su
halten, welche unter 12 Jahren alt waren. Es musste demnach damals wohl nicht
selten vorkommen, dass man sich so junger Goncubinen bediente.
Als Ursache der so auffallend frühen Schliessung der Ehe müssen wir in
einzelnen Fällen, z. B. bei den Tataren, pecuniäre Bedrängniss der Eltern er-
kennen. Sie werden auf diese Weise die Nahrungssorgen för ihre Tochter loa
und erhalten ausserdem noch von dem Gatten den Kaufpreis. Das mag auch der
Grund dafür sein, dass bei manchen Stämmen die Töchter der niederen Be-
völkerung früher heirathen, als diejenigen der Reichen. Von den Persern giebt
Folak an:
,In weniger bemittelten Familien trachtet man danach, die Tochter schon in ihrem
10. oder 11. Jahre zu verheirathen, ja mir sind Fälle bekannt, dass nach erkauftem Dispens
des Priesters die Vorheirathung schon im 7. Jahre stattfand. In guten Häusern jedoch werden
die Töchter erst im Alter von 12 — 18 Jahren ausgestattet."
Es kann nun leider nicht geleugnet werden, dass bei einigen Völkern der
geschlechtliche Verkehr mit den jungen Frauen in zweifellos kindlichem Lebens-
alter gebräuchlich ist. Wir besitzen hierüber directe Berichte. So werden nach
Äbbadic in Nubien die Mädchen schon lange, bevor ihre Menstruation einge«
treten ist, gekauft und zu dem Beischlafe benutzt, und von den Quatos-In-
dianern in Brasilien berichtet Rhode:
Es herrscht die Sitte, Mädchen von 5—8 Jahren zu heirathen, oder richtiger gesagt,
von den Eltern zu kaufen. Er sah in jedem Lagerplatze kleine Mädchen benutzen, und als
er einen Indianer, dessen acht- bis neunjährige Frau sehr elend aussah, fragte, wie es
möglich sei, mit einem solchen Kinde Unzucht zu treiben, antwortete er : «Ich thue der-
gleichen nicht, sie schläft i\ur bei mir, weil sie mein Eigenthum ist, und ich werde sie erst
dann als Frau benutzen, wenn sie doppelt so gross sein wird.' Der Kerl sprach aber nicht
die Wahrheit, denn Bhode sah denselben, als er trunken war, die gemeinste Unzucht mit dem
Kinde treiben.
Vire glaubt, dass die Kabylen-Weiber in Folge der frühen Verehelichung
in ihrem körperlichen Wachsthum gehemmt werden. Er sagt:
„Les femmes sont träs petites, quoique assez resistantes. Cela tient probablement ä la
coutume <le les marier entre huit et douze ans; elles n'ont pas le temps de se developper; je
n'ai pu en mesurer qu*une seule, qui peut passer pour une belle femme; sa taille n*est que
de Im. 51, et je ne crois gu^re que Ton puisse trouver des femmes au-dessus de Im- 55.'
Dass das frühzeitige Heirathen bei den Annamiten von den noch im
Kindesalter stehenden Weibern recht h&ufig schmerzlich empfunden wird, das
liO. Die Kinder-Ehe und ihre pbyiiologiBch© Bedeutung.
547
itäntien wir aus einem ihrer Lieder abuebmen, dessea Uebersetzung wir Villard
Kerdanken« Dasselbe lautet:
^Je g^mia sur tua trop grande jouneise:
Prendre un mari plus ilg« qiie moi.
Je ne pourrai supporter son ardeur;
J'aiiue mleuK retourner chez; mea parenU,
Et leur dire de rendre lea cadeaux de fianvaiUes/
Auf einige Beispiele werde ich noch zurückkommen.
Bei diesen Verbälinissen drängen sich uns eine ganze Reihe wichtiger
'physiologischer Fragen auf, ohne dass ich jedoch im Stande wäre, schon jetzt
ihre endgültige Beantwortung zu geben. Man nimmt fllr die civilisirten Bevölke-
rungen Europas an, dass die Gebännutter und die Eierstöcke im Durchschnitte
nicht vor dem 19, Lebensjahre ihren Wachsthumsprocess vollendet haben und daas
lerst von diesem Zeitpunkte ab eine kräftige Nachkommenschaft erzielt werden
^konne. Wenn nun auch Schwängerungen in etwas früherem Alter nicht ausge-
schlossen sind, so herrscht doch allgemein die Ansicht, dass hierzu mindestens
bereits die Menstruation sich gezeigt haben, die geschlechtliche Reife eingetreten
sein rauss. Sind nun bei den Völkern, von denen wir oben gesehen haben, dass
Kinder-Ehen bei ihnen gebräuchlich sind, Fälle bekannt geworden, wo die Em-
pfängniss und die Niederkunft vor dem ersten Eintreten der Menstruation sich
vollzogen hatte? Dass die jungen Ehegattinnen auch gar nicht selten schon sehr
Lfrühzeitig Mütter werden, dafür haben wir ja schon viele Beispiele kennen ge-
lernt, Dass aber auch die Schwangerschaft eintritt, bevor die erste Menstruation
Bich ge7,eigt hatte, das wurde Poiak in Persieu von glaubwürdiger Seite mit-
;(etheUt. Bei einigen anderen dieser jungen Mütter erscheint es wenigstens sehr
wahrscheinlich, das» ihre Befruchtung früher eingetreten ist., als ihre erste Men-
itruation sich zeigte.
Wir stehen hier vor einem physiologischen Probleme, dessen Erklärung
aber nicht unternehmen will. Ich gehe vielmehr zu anderen Fragen über,
Iche uns hier ohne Weiteres entgegentreten. Allerdings moas ich leider
Inf die meisten derselben die Antwort vollständig schuldig bleiben, und auch
3r diejenigen Probleme, für welche das bisher vorhandene Alaterial eine gewisse
Ürläuterung bietet, sind wir doch noch himmelweit von einer befriedigenden
Liösung entfernt.
Ueber den Verlauf der Schwangerschaflen bei diesen Kindern oder den kaum
reif gewordenen Jungfrauen sind wir gänzlich ohne Nachrichten, jedoch besitzen
wir einige, allerdings ziemlich spärliche und zum Theil einander widei^sprechende
Angaben über den Verlauf ihrer Entbindungen, Man konnte ja wohl von vorn-
herein vermuthen, dass das verfrühte Mutterwerden im Allgemeinen die Geburten
lehr erschwert. So wird von Ttoherion berichtet, da»ss das jugendliche Alter der
lütter in Hindustan gewöhnlich die Ursache schwerer Geburten sei. Und
ichon im Jahre 1798 schrieb Fra Faolino da San Barihototneo aus Ostindien:
I Viele indische Weiber büssen ihr Leben ein, wenn sie »um ersten Male in die
Tochen kommen.'' Der Missionar lieicrlem, welcher lange in der Provinz Madras
^thätig war, bestreitet das und behauptet, dass daselbst aUe Weiber, und sogar
anch die eingewanderten Frauen, die Geburten verhältnissmässig leichter überstehen,
l<als in Europa. Auf den Antillen heiratben die Mädchen der Colonisten auch
ßhr früh, wie Du Tertre im Jahre 1667 berichtete: derselbe sah dort eine 12 ^2-
JEhrige Frau, die schon geboren hatte, ihn aber versicherte, dass ihre Niederkunft
jicht länger als eine halbe Viertelstunde gedauert habe und wenig schmerzhaft
sen sei, Dass aber von den Frauen im abyssinischen Mensa 30^/u im
chenbett sterben, ist nach Hassensiein wohl zum Theil Folge der vor gehöriger
Snt Wickelung des Körpers eingegangenen Ehen.
Hier ist übrigens die Antwort auch nicht genügend präcisirt, und bei späteren
35«
548 XIX. Die Ehe.
Beobachtungen der Beisenden auf diesem Oebiete würde wohl scharf unterschieden
werden müssen, ob die jungen Weiber bereits vor, oder bald nach dem Einfareten
der Geschlechtsreife geschwängert worden waren.
Es wäre femer interessant zu wissen, wie sich bei diesen jungen Müttern
die Nachkommenschaft verhalten mag. Wie steht es mit der Lebensfähigkeit ihrer
Kinder und sind diese von normaler Grosse, oder bleiben ihre Ghrössen- und Ge-
wichtsverhältnisse erheblich hinter der Norm zurück? Da eine Anzahl von
Reisenden berichtet, dass sie solche Mütter mit ihren Kindern gesehen hätten, so
müssen diese Sprösslinge doch immerhin einen gewissen Grad von Lebensfähigkeit
besessen haben.
Ueber die Frage, inwieweit das Alter der Motter einen Einfloss auf die Entwickelnog
von Gewicht und Länge des Kindes äussert, hat Wemieh^ Untersuchungen angestellt. Er
fand: 1. Das Gewicht der Neugeborenen nimmt mit steigendem Alter der Mutter bis som 89.,
ihre Länge bis zum 44. Lebensjahre der Mutter constant zu. 2. Jedes Product einer spftteren
Schwangerschaft übertrifft an Gewicht und Länge die ihm vorausgegangenen. 8. Sowohl das
Alter der Mutter als die Zahl der Schwangerschaften bewirken die Gewichts- und Lftngeo-
zunahme, und zwar jeder dieser Factoren in einem progpressionsweise auszudrückenden Maaase.
Das Zusammentreffen einer bestimmten Schwangerschaft mit ihrem Durchschnittsjahre wirkt
auf die Entwickelung der Frucht besonders günstig. So ergiebt sich aus den Tabellen, dass
z. B. eine Frau in Bayern unter sonst gleichen umständen ihr erstes Kind im 24., ihr sweitos
im 27., ihr drittes um das 29. Lebensjahr am vollkommensten entwickelt gebären wird.
4. Erste Kinder, deren Mütter sehr spät menstruirt wurden, stehen an Gewicht den Kindern
anderer, besonders sehr früh menstruirter Mütter nach.
Ueber die Gewichtsverhältnisse, wie die Lebensfähigkeit und die Gesundheit
solcher Kinder, welche in den oben besprochenen Volksstämmen von sehr jungen
und nach unseren Begriffen noch ganz unreifen Weibern geboren worden sind,
fehlen uns leider noch alle genaueren Angaben, jedoch werden wir kaum fehl-
greifen, wenn wir uns unter diesen Erstgeburten nicht gerade Hünen- und Becken-
gestalten vorstellen.
Eine weitere Frage wäre dann wohl die, wie es sich mit den Geschlechts-
verhältnissen dieser Kindeskinder, wie man sie wohl mit vollem Rechte nennen
könnte, zu verhalten pflegt. Herrscht bei ihnen ein besonderes Geschlecht vor
imd lassen sich in dieser Beziehung Unterschiede constatiren, je nachdem die
Väter schon bejahrte, oder vollkräftige Erwachsene sind, oder sich selber noch
in einem halbkindlichen Alter befinden?
Wie steht es femer mit der Fruchtbarkeit dieser Mütter? Pflegt dieser
ersten Schwangerschaft in kurzer Zeit eine zweite sich anzuschliessen? Hierauf
müssen wir erwidern, dass bei den Schangalla nicht selten die Frauen in einem
Alter von 12 Jahren bereits mehrere Kinder geboren haben sollen. Es muss also
die Möglichkeit einer baldigen erneuten Befruchtung vorhanden sein.
Schon Genaueres vermag ich auszusagen über die Wirkungen, welchen ein
so frühzeitiger geschlechtlicher Verkehr auf den jungen weiblichen Organismus
ausübt, namentlich wenn derselbe auch noch eine Schwängerung zur Folge hat.
Da scheint es, wie wir in einem früheren Abschnitte bereits gesehen haben, in
erster Linie festzustehen, dass ein vorzeitiger geschlechtlicher Verkehr das erste
Auftreten der Menstruation zu beschleunigen im Stande ist. Auch deuten gewisse
Untersuchungen, welche Coste an Kaninchen angestellt hatte, darauf hin, dass
durch Reizungen an den Geschlechtstheilen die Reifung und die Loslösung der
Eier in den Eierstöcken beschleunigt werden könnte. Wie steht es nun aber
mit den Einflüssen und Rückwirkungen, welche diese künstlich und gewaltsam
herbeigeführte vorzeitige Entwickelung auf den jugendlichen Organismus ausübt?
Wir lassen hier wieder die Beobachter selber sprechen. Blyth sagt von den Viti-
Insulanerinnen:
«Wenn ein Mädchen heirathet, ohne vorher menstruirt zu sein, so ist der erste Coitns
unabänderlich von einer viel ernsteren und mehr andauernden Beunruhigung des Systems (of
141. Der Kampf gegen die Kinder-Ehe in Indien.
Üie System) gefolgt^ als wenn die Monstrualfiinolionen sicli reohizeitig entvriükelt haben. In
dieeen FlÜIen von verBpU^ietem Auftreten der Menses i^t nicht als Bülfsmittel die lanetionelle
Kühe versucht» sondern alles der Natur überlassen**
Öeber die Neu -Britannie rinnen berichtet Danis:
,Die Mftdchen werden in manchen Füllen in sehr frühem ilter verheirathet. Ich habe
gediehen, dasn ein xartes gesundes (fine healthy) MJldchen von nicht mehr aU 11 oder 12 Jahren
mit einem Manne von 25 oder 80 Jahren verheirathet wurde. Die Wirkung einer so früh-
zeitigen Ehe ist för das Mildchen schrecklich. Wenn man von ihrem Terilnderten Aussehen
auf ihre Leiden schliessen kann, »o mussten dieselben sehr gro^s sein.*
Bruce hebt bei den von ihm in Ober-Aegypten gesehenen Schwangeren
Ton 11 Jahren hervor, dass sie wie eine Leiche aussahen. Auch Mhode betont
das elende Aussehen der kleinen ßuato&*Indianeriu, von deren nicht zu be-
zweifelndem VerheirathetseiB er sich durch den Augenschein zu tiberzeugeu ver-
mochte, Auch fand er im Allgemeinen ^ wohl aus dem gleichen Grunde, die^
Weiber meist schwächlich und ihre Gesichtsfarbe krankhaft. Von Leake ist früher
bereits behauptet worden, dasa frühes Ueirathen bei dem weiblichen Geachlechte
nicht selten Lungenkrankheiten und namentlich die Disposition zu Phthisis im
Wochenbett herorriefe. Das vermag ich aus unserem Material nicht zu ersehen.
Aber ein vorzeitiges Altern und ein frühes Erloschen der Fruchtbarkeit
wird Von einer ziemliehen Anzahl von Autoreu als eine directe Folge der Kinder-
Ehen hervorgehoben. So berichtet SchiUbach von den Mainotinnen, dass sie
mit einigen 20 Jahren schon ganz alt aussehen. Auch die Coroados-India-
nerinnon werden nach Burmeistcr schnell alt und verlieren frühzeitig ihre Em-
pfSngnissfiihigkeit. Die weitverbreitete Unfruchtbarkeit der Guatos- India-
nerinnen wird übrigens von lihode auch auf Rechnung des frühen Heirathens
gesetzt. Auch die Neu -Caledo nierinnen altern aus gleichem Grunde nach
von Rochas früh, ebenso sind die Japanerinnen frühzeitig verwelkt DieJava-
Ininnen verlieren nach Kugel ihre Fortpflanzungstahigkeit schon 15 — 20 Jahre
früher» als die deutschen Mädchen, denn in der zweiten Hälfte der dreissiger
Jahre wird selten eine javanische Frau noch schwanger. Die Negerinnen
von Gabun smd bereits mit 20 Jahren alte Weiber. Als Wirkung des frühen
Heirathens bei den Maori in Neu-Seeland vermochte Tuke ebenfalls frühzeitige
Unfruchtbarkeit zu constatiren, aber auch ein hoher Grad von Sterblichkeit fiel
ihm auf, und in gleicher Weise w*ird von den Samojedinnen behauptet, dass
sie selten das 30. Jahr überleben.
Einige höchst bemerkenswerthe Tbatsachen über die traurigen Folgen der
vorzeitigen Verehelichung werden un» noch aus Indien berichtet. Wir wollen
dieselben in dem folgenden Abschnitte betrachten.
141. Der Kampf gegen die Kinder-Ehe in Indien.
Indien ist bekanntlich das Land, das man bei uns in Europa gewohnt
ist, als die klassische Heimath der Kinder-Ehen anzusprechen. Der Grund hierftir
ist wohl darin zu suchen, dass wir mit Indien eher bekannt wurden, als mit
vielen anderen Ländern der Erde, in welchen, wie der vorige Abschnitt lehrte,
nicht minder diese grosse Unsitte herrscht. Besitzen wir doch auch von keinem
Volke so uralte Bestätigungen über diesen Brauch, als gerade von den Indern,
Wir haben ja schon oben die Anschauungen kennen gelernt, welche in den San*
skrit-Versen ausgedrückt sind. So uralthergebrachte Institutionen über den Haafen
rennen zu wollen, das ist allerdings ein kühnes Unternehmen, und noch manches
Jahrzehnt wird vergehen, bis dieser philanthropische Ansturm von glücklichem
Erfolge gekrönt sein wird. Aber der Anfang ist bereits gemacht und verursachte
eine grosse Erregung in der indischen Tagespresse.
Man hatte nftmlieh nach X«ni' in der Sitzung des geaetzgebenden Rathea in Calcutia
550 XIX. Die Ehe.
einen Gesetzentwurf eingebracht, dass das Heirathsalter der Mädchen von 10 aaf 12 Jabr»
erhöht worden sollte. Die Veranlassung gab der Tod einer solchen jugendlichen Ehegattin,
welche in der Brautnacht an den erlittenen Zerreissungen der Geschlechtsorgane gestorbai
war. Lenz^ bemerkt hierzu:
^Es giebt zwei Arten von Einderheirathen in Indien; Denzil Ibbertsan sagt: üebar*
all, wo Kinderheirath Sitte ist, kommen Braut und Br&utigam erst dann zasammen, wenn
eine zweite Ceremonie, muklawa genannt, yorgenommen worden ist. Bis dahin lebt die Braat
als Jungfrau im väterlichen Hause. Diese Ceremonie ist von der wirklichen Hochseit dorch
einen Zeitraum von 3, 5, 7, 9 oder 11 Jahren getrennt, und die Eltern des Mftdcheiie be-
stimmen den Zeitpunkt für dieselbe. So kommt es oft vor, dass das eheliche Zusammenleben
um 80 später beginnt, je früher die Verheirathung stattfindet. In den östlichen Disiricten
z. B. heirathen die Jats gewöhnlich im Alter von 5 bis 7 Jahren, und die Rajput<in mit
15 oder 16 Jahren oder auch noch später; während aber bei diesen das junge Paar sofort
mit der geschlechtlichen Beiwohnung beginnt, so finden bei den Jats die Eltern das heran-
< wachsende Mädchen oft so nützlich in der Haushaltung, dass ein Druck auf sie ausgeflbt
werden muss, um sie zur Auslieferung desselben an den Gatten zu bewegen. Und so nimmt
hier das eheliche Zusammenleben meist später seinen Anfang als bei den Rajputen.*
Das klingt ja nun allerdings sehr tröstlich, und man wird fragen, wozu der
Lärm? Warum soll man versuchen, dass die Hindu solche unschuldigen Gebrauche
ändern? Aber Lenjs^^ berichtet dann weiter:
„Bereits in den nordwestlichen Provinzen darf bei den drei höchsten Kasten — der
Brahmanen-, Chattri- und Kayasth-Easte — die Braut unmittelbar nach der Hochieit
dem Gatten ins Haus gesandt werden, sie sei nun apta viro oder nicht; freilich sieht man
es gewöhnlich vor, bis zur Vornahme einer zweiten Ceremonie, gaunä genannt, zu warten,
welche 1, 3, 5 oder 7 Jahre nach der ersten stattfinden kann, und fOr welche der passende
Zeitpunkt nach der körperlichen Entwickeluog der Braut gewählt wird. In Bengalen ist
die Kegel, dass die Mädchen der besseren Elassea das eheliche Leben mit 9 Jahren beg^innen
und so frQh Mutter werden, als dies Oberhaupt für sie physisch möglich ist."
Len/g^ citirt noch einen Bericht von Risley^ in welchem es heisst:
„Es ist allgemein Sitte, dass Mann und Frau, ohne dazu nach den heiligen Schriften
der Hindus berechtigt zu sein, sofort nach ihrer Verehelichung mit der geschlechtlichen
Beiwohnung beginnen. Die Eltern leisten dem Gebrauch unbewusst Vorschub, ja sie mach«i
ihn zu einer Nothwendigkeit. .. . Am zweiten Tage nach der Hochzeit ist die Blumenbett-
ceremonie; Mann und Frau, ein Knabe und ein Mädchen, oder heutzutage gewöhnlich ein
junger Mann und ein Mädchen, müssen in dem Hochzeitsbett zusammenliegen. Innerhalb 8
Tagen nach ihrer Verheirathung muss die junge Frau in ihr väterliches Haus und dann wieder
zu ihrem Schwiegervater zurückkehren, oder sie darf die Thürschwelle ihres Gatten ein Jahr
lang nicht überschreiten. In den meisten Familien hält man den achttägigen Termin ans
Bequemlichkeit ein.*
Ein besonderes Werkchen hat über the little wives of India Brainerd
Ryder in Melbourne veröflFentlicht und darin eine Reihe wichtiger Angaben
aus den Schriften anderer Autoren gemacht. So führt er einen Ausspruch von
Lyall^ dem Commissionar of Chittagong-Division an, der nach ganz genauen
Informationen feststellen konnte, dass die Verheirathung mit unentwickelten Mäd-
chen (immature girls) zwar weniger verbreitet bei den Mohammedanern, aber all-
gemein in Chittagong, wie in Bengalen unter allen Kasten und Klassen der
Hindu sei. In einzelnen Districten und unter gewissen Klassen werden Hinda-
Knaben von 6, 7 oder 8 Jahren mit Mädchen von noch jüngerem Alter verhei-
rathet. Aber ein Vater verschachert auch seine 7- oder 8 jährige Tochter in der
Ueberlegung, dass er 20 Rupien den Monat erhält, an einen 4:7 jährigen Mann,
der allgemein dafür bekannt ist, dass er die Frau schlecht behandelt.
Die Folgen dieser vorzeitigen Ehen sind nun höchst erschreckende. Der
Bengal Medico-Legal Report berichtet von 205 Fällen von Beischlaf mit solchen
kindlichen Weibern; 5 von diesen endeten mit dem Tode, und 38 dieser kleinen
Geschöpfe trugen sehr schwere Verletzungen davon.
Ein weiblicher Arzt, Dr, Mansell, reichte eine Petition zum Schutze dieser
unglücklichen Mädchen ein, in welcher über folgende Fälle berichtet wird:
142. DnQ Jua primae nocti«.
551
L ZwlSlfjfthrige Fmu, kreieaendi dm Kind tu ussie we^n des unreifen Zastanddi ihres
Beokena ertttiiotomirt werden.
2. Elfjährige Frim, ist in Folge der graben Gewalt filr ihr Leben ein Krüppel; sie hat
die Gebräu oh sfahigk ei t ihrer Beine Terloren.
S« Zehnjährige Frau, «ie ist unfUhig zu stehen.
4* Zehnjährige Frau in buchst bedauerlichem Zustande. Am Tage nach ihzier Aufnahme
inrurde sie von ihrem Ehegatten wieder aua dem Hospitale herausgeholt, wie er sagte, „zu
^seinem gesetislichen Gebrauche^.
b, Zehivj&hrige Frau« auf ihren Knieen und H&nden zum Hospitale kriechend; sie war
aeit ihrer Yerheirathung nicht mehr im Stande gewesen aufrecht zu stehen.
6< Neunj&hrige Frau mit völlig gellLhmten ünterextremitäten.
7. Neunjährige Frau, am Tage nach der Ueiratb; das Becken ist aus seiner Form ge-
I drückt und der linke Oberachenkel rerrenkt.
8* Neunjtlhrige Frau; Dielocation dea Schambogens; sie ist unfähig tu stehen nnd einen
^Fosi vor den andern zu wetzen,
9. Eine siebenjährige, mit ihrem Gatten lebende Frau starb nach 3 Tagen an grosser
Kntkr&ftnng.
Diese Fälle sind wohl schon bezeichnend genug; aber auch einen Obductious-
befund theili R^der mit.
Kin elfjähriges» gut entwickeltes Mtldchen hatte einen 45jährigen Mann geheirathet
Sie starb an einer Blutung aus einem Scheidonrtas von 1 Zoll Lange und einem Zoll Breite^
welcher in die Bauchhöhle perforirte. Alle Unterleibsorgane waren klein und unentwickelt,
und die Eierstöcke zeigten keinerlei Spur von Ovulation.
,K5nntet Ihr sie sehen, ruft Ihjder aus, diese leidvollen Gesichter der kleinen Mädchen,
welche fast wie ein Taschenmesser zusammengezogen sind durch die von der brutalen Leiden-
schaft verursachten Contracturen ihres Becken^ welche nicht mehr im Stande sind, aufrecht
SU stehen; könntet Ihr die gelähmten Glieder betrachten, die nicht mehr willkOrlich be-
ws^ werden können; könntet Ihr die jammervollen Klagen der kleinen Dulderinnen hören,
welche mit ihren mageren Händchen zusammenschlagen und Euch bitten, daes Ihr sie hier
laterben lasst!*
Nun sterben freilich nicht alle diese kindlichen Weiber und auch nicht alle
^tragen so schwere Verletzungen davon. Aber die Beschreibungen auch dieeer
anderen klingen doch im höchsten Qrade betrüblich:
«Nie, sagt Ki/der, vermag ich den Herzenskummer zu schildern, welchen ich empfand.
. wenn ich tlieae halbentwickelten Frauen aah^ mit ihrem Ausdruck boifnungsloser Duldung,
' ihren skelettdürren Armen und Beinen, und sah, wie sie in dem vorgeschriebenen Abstände
hinter ihrem Gatten ein herschritten, niemals mit einem Lächeln auf ihrem Antlitze. Mit 16
Jahren sind diese Frauen nicht so gross, so kräftig und wohlentwickelt, als die meisten Mäd-
' cheu in Europa mit 10 und 11 Jahren. Ein Hindu -Mädchen von 10 Jahren gleicht unseren
f5* oder 6j&hrigen Kindern* Dieser Gebrauch der Kinder-Ehe lässt viele Hindu -Weiber mit
14 Jahren Mutt-er werden und ein Üntzend oder mehr unentwickelter kranker Kinder zur
.Welt bringen. Ein zwölfjähriges Sundra-Weib gebar Drillinge und starb mit diesen ö zarten
[Kindern wenige »stunden nach der Entbindung/
Wohl ruft auch der aufgeklärte Hindu Gopinath Saddshivjee Ildie Toni
Bombay Uigh Court seinen Landsleuten zu:
, Unsere Heirathsgebräuche enthalten UebelsULnde von grosser Bedeutung, welche
dringend eine Reform verlangen. Sie widersprechen der Moral und Vernunft und bilden eine
der mächtigsten Ursachen für don physischen Verfall unseres Volkes*
Jeder Menschenfreund kann nur wUnscben, dasa sein Mahnruf nicht unbe-
achtet verklingt, aber, wie ich schon oben sagte, eine lange Zeit wird wohl noch
vergehen, bis gesunde Vernunft und Ueberlegung über diesen Jahrhunderte alten
Unfug endlich den Sieg davontragen werden.
142. Das Jos primae noctis.
Wo eine bevorxugte Gesellschaft von Männern, wie dies bei einigen Völkern
rorkommt, sich Rechte auf die Töchter des Landes Tindicirt, sind diese zuw>^tl^n
552 XIX. Die Ehe.
gehalten, sich eine Zeit lang dem Hetärismus, der Prostitution hinzugeben. Man
hat die Vermuthung ausgesprochen, dass ein solches Vorrecht (Herrenrecht) der
Urtypus des Jus primae noctis gewesen sei, eines Brauches, dessen ThatsSch-
lichkeit neuere Forschungen in Frage zu stellen versucht haben.
Ganz allgemein hat man bis in die jüngste Zeit das Jus primae noctis,
wonach der Grundherr bei Hochzeiten seiner Untergebenen das Recht haben sollte,
den ersten Beischlaf mit der neuvermählten Jungfrau zu vollziehen, als geschichtlich
feststehende Thatsache betrachtet. Seit dem 16. Jahrhundert sagte man, der König
von Schottland Evenus IlL^ zur Zeit des Kaisers Augustus, habe dieses Recht
aufgebracht, das erst nach mehr als tausend Jahren durch König Malcolm wieder
abgeschafft worden sei. Namentlich viele französische Schriftsteller, darunter
die Encyclopädisten, hielten an dieser weit verbreiteten Meinung fest, obgleich
schon im 18. Jahrhundert Manche, darunter nicht wenige deutsche Gelehrte,
die Sache bezweifelten. Seit 1854 kam nun der Streit in Folge eines von 2>ttptii
in der Academie der Wissenschaften zu Paris gelieferten Berichtes zu grösserer
Lebhaftigkeit. Insbesondere behauptet Louis VeuiUot in mehreren Aufsätzen und
Schriften, dass das sogenannte Droit du seigneur in Wirklichkeit niemals be»
standen habe; auch gab eine Commission vor der Academie der Inschriften ihr
Gutachten in gleichem negirenden Sinne ab. In ebiem umfangreichen Werke
suchte Jules Delpit VeuiUofs Ansicht zu widerlegen; ihm reihten sich zahlreiche
Gelehrte aus verschiedenen Ländern an; von deutschen: Jacob Grimm^ Weinhold^
Scharr, v. Maurer, Liehrecht^ Bastian^ v, HeUwald u. A.
Vor wenig Jahren heX Karl Schmidt^ in Colmar sich eingehend mit dieser
Angelegenheit beschäftigt und alle Umstände, alle in der Literatur zerstrentsn
Angaben mit einer anzuerkennenden Schärfe beleuchtet; man muss wohl zugeben«
dass er allermindestens die Stützen, auf welche sich seine Gegner berufen könntaii
nicht unerheblich erschüttert hat.
Schmidt geht aufs genaaeste Alles durch, was wir angeblich Über die Einfahmng dsi
Jus primae noctis durch König Evenus HL von Schottland wissen; doch zeigt er auch,
dosB die Erzählung völlig in der Luft schwebt. Dann forscht er, auf welcher Grundlage sich
die im Mittelalter aufgetauchte Sage befindet, dass ein Häuptling der weissen Hannen,
Namens Skorhot, bei joder Heirath in der Stadt Harapa das Vorrecht des Ehemannes in Ab-
Spruch genommen habe; er findet, dass in der Quelle eigentlich nur von , Blutschande* die
Rede sei. Femer soll Marco Polo von einem Jus primae noctis in Cambodja gesprochea
haben; Schmidt findet, dass Marco nur sagte, der König wählte nach Belieben Mädchen filr
seinen Harem; nach der Entlassung aus demselben stattete er sie aus. Ebenso wenig und
ihm die Berichte über die Brahmanen in Ostindien zuverlässig.
Ganz unbestimmt sind die Nachrichten aus Deutschland, dass hier, wie lAebreM
behauptete, das Jus primae noctis einst bestanden habe. Wenn v. Hormayr sagt, die Herrea
von Peraan (Süd- Tirol), v. Bavenstein und Vatz (Schweiz) seien deshalb vertrieben worden,
so fehlt darüber die Quelle. Dergleichen Sagen von einem Privileg der Herren della Barere
in Italien, der Herren von Prelley und Parsanny in Piemont geht Schmidt in gleicher
Weise ganz vergeblich nach.
In Frankreich soll das Gewohnheitsrecht der Kanoniker zu Lyon bestanden haben,
ihnen die Bräute die erste Nacht zu überlassen für das Jus coxae locandae, und man beruft
sich auf eine Urkunde vom J. 1132, in der ein Verzicht auf dieses Recht ausgesprochen sei.
Doch beschränkt sich dieser Verzicht lediglich auf den Erlass einer Abgabe vom Hochzeits-
mahl; von Weiterem ist nicht die Rede.
Ferner gab es in Frankreich bis zum 17. Jahrhundert ein Droit de Braconnage,
z. B. bei den Herren von Mareuil in der Picardie, welche bei den Töchtern ihrer Herr-
schaft boi deren Verheiratbung das Lehnsrecht beanspruchten, sie zu ^hraconner". Schmidt
erklärt das Wort mit «umarmen*, also nicht gleichbedeutend mit defloror. So geht er alle
Behauptungen durch bezüglich der vermeintlichen Rechte der Aebte von St. Michel, des
Grafen Guido vofi ChatilhUf der Herren von Lariviere, Bourdet u. s. w. — überall vermiest
er den Nachweis. In Frankreich, z.B. in der Gascogne, existirte das sog. Droit de cnis-
tage oder jambage; das ist aber nicht das Jos primae noctis, sondern es war das Recht,
ein Bein in das Bett der Braut zu legen; ebenso gab es dort ein Recht des Lehnsherrn, Aber
142, Da« JuB pnjnae noctis.
553
das Bett der Braut hinwegzusteigen; docli Hält letzteres Schmidt nur fQr einen sebertbiiften
Brauch, keineswegs identiBch mit dem Jus primae noctis.
Völlig ungerecht fertij^t sei die Behituptutig Blnu's, diias die Urbewohner der canii-
riachen Inseln das Jüb primae noctis besessen hätten; die Berichterstatter sprechen nur davon^
doBs die Häuptlinge überhaupt die Jungfrauen deBorirteUf aber ein beBonderes Hecht aal
die HochzeiUnacht hattiin sie nicht. Mehr zu echaffen macht dem Autor die Angabe Var-
thema'St dass in Calicut (Ostindien) die Brabminen da? Recht gehabt, nicht nur allen
PtJioen nach Belieben beiwohnen tu dürfen, sondern auch der jungen Frau des Königs bei
dessen Verraäblung. In die«em Falle, wo auch noch andere Reisende Aehnliches benchten«
handelt es sich um eine Institution des Cultus.
Schliesslich weisst der Verfasser sämmtliche gerichtliche Entscheidungen ab, auf die man
sich Vorzug« weise beruft. Innbesondeve nennt or das im J, 1812 entdeckte angebliche Urtheil
^.'^^
^
Flg. M.
Ansbietnng des Jas ptimfte n
(N*cb i
iaer reif gewcrdsnen Lo»ngo->'e<erin.
des Grosaseneschalls der Gnyenne vom 13. Juli 1802 ein «tlUschJich angefertigtes Acteostück'.
Obwohl die Motive der FUlschung nicht feststehen, so bezeichnet Schmklt doch den Verdacht
als dringend, dass die Fälschung in unlauterer Absicht durch Vertheidiger der Irrlehre vom
Droit du seigneur des Mittelalters vorgenommen wurde.
Das einzige ürtheil, aus dem der Beweis eines Anspruchs auf das vermeintliche Jus
primae noctis mit einem gewissen Scheine von Berechtigung hergeleitet werden könnte» ist,
wie Schmidt sagt» das Schiedsurtheil de« Königs Ferdinand des Katholischen vom 21. April
1486. 'Daaatlbd beseitigt im 9. Artikel unter anderen Dingen einen Missbrauch, der darin
bestand, dass einige Grundherren (aus Herrschaften in Catalonien) bei Heirathen ihrer
Bauern den Anspruch erhoben, in der ersten Nacht mit der neuvermählten Frau zu schlafen,
oiler tum Zeich^i der Herrschaft über die Frau, nachdem sie eich zn Bett gelegt hatte.
554 XIX. Die Ehe.
hinüberzuschreiten. „Allein gerade dadurch, dass diese Urkunde g&nzUch vereinzelt dastehen
würde als Beweis f!lr das Jus primae nocÜB, scheint aus dem Zusammenhange der Urkonda
die Annahme gerechtfertigt zu sein, daes die in Anspruch genommene Berechtigung sich auf
die Vornahme einer Förmlichkeit beschränkte, die als symbolische Handlung die Abh&Dgigkeii
der Bauern von ihrem Grundherrn bezeichnen sollte.'
Es seien eben .Hochzeitsgebräuche', die im Geiste der Zeit lagen, wie wenn beispiels-
weise nach kirchlichem Herkommen die Einsegnung erst einen oder drei Tage nach dem Ab-
schluss der Ehe erfolgte; allein so ganz fremde Dinge dürfe man doch nicht mit angeblichen
Herrenrechten in Verbindung bringen. Nach germanischen Rechtsgnmds&tsen war be-
kanntlich das Beilager (vor den Hochzeitsgästen) die Form, in der die Ehen geschlossen
wurden. Auch diesen Brauch hat man zum Beweise eines Herrenrechtee der ersten Nacht ver-
werthet, indem es in einer Urkunde vom J. 1507 als Gewohnheitsrecht oder contame tob
Drucat heisst: «Wenn ein Unterthan oder eine ünterthanin des Ortes Drucat sich ver-
heirathet und das Hochzeitsfest stattfindet, so kann der junge Ehemann die erste Nacht mit
seiner Hochzeitsdame nur dann schlafen, wenn dazu die Erlaubniss des genannten Herrn er-
theilt wird, oder der genannte Herr mit der Hochzeitsdame geschlafen hat*
Schmidt legt diese Stelle so aus : dass es der Erlaubniss (die sonst unter Ueberreichnng einer
Ehrengabe vom Hochzeitsmahle nachzusuchen war) nicht bedurfte, wenn eine Person heirathete,
die mit dem Grundherrn unerlaubten Umgang gehabt hatte; von einem Herrenrechte der
ersten Nacht ist nach seiner Ansicht hier nicht die Rede. Alle weiteren Urkunden, die man
anführte, lehnt Schmidt in ihrer Bedeutung als Zeugnisse ab.
Wenn man nun auch Schmidt gerne zugeben wird, dass nicht aUe f&r die
einstmalige Existenz eines Jus primae noctis beigebrachten Beweise stichhaltig
sind, so wird man doch auch den Schlüssen beitreten müssen, welche Pfannen-'
Schmidt in der Kritik des iScAm /c^^'schen Werkes entwickelte. Wir stossen danach
auf Grund sicherer Zeugnisse zur Zeit des Mittelalters in Europa auf eigen-
thümliche Hochzeitsgebräuche, welche sich ftir diese Zeit zwar als symbolische
herausstellen, aber in früheren Zeiten nicht solche haben sein können. Vielmehr
deutet alles darauf hin, dass einst dasjenige thatsächlich geübt wurde, was später
nur noch sinnbildlich seinen Ausdruck fand und in alterthümlicher Redeweise
schriftlich fixirt wurde. Da aber mit den symbolischen Gebrauchen, wo sie sich
fanden, in historischen Zeiten sich leicht Missbrauche verbinden konnten mid
solche in der That auch vorkamen, so führte dies zu der irrthümlichen Annahme,
dass noch zu der Zeit, in welcher man diese Gebräuche aufzuzeichnen anfing, ein
sogenanntes Herrenrecht thatsächlich geherrscht habe.
Dass aber eine ganze Anzahl von Gebrauchen, wie wir sie in dem Ab-
schnitte über die Jungfrauschaft kennen gelernt haben, thatsächlich doch nichts
anderes sind, als ein Jus primae noctis, das je nach der Bevölkerung dem Könige,
dem Häuptlinge oder den Priestern zustand, das wird man doch trotz aUer auf-
gewandten Mühe und Gelehrsamkeit nicht wegzudisputiren vermögen, und die be-
trefienden Berichterstatter haben das Kind auch nicht selten bei dem richtigen
Namen genannt. So sagt noch neuerdings von Luschan:
„Es giebt übrigens unter den lykischen Tachtadschys Stämme, bei denen das
geiHtlicho Oberhaupt, der ,Dede", ein Jus primae noctis besitzt, wenn auch nicht regelmässig
ausübt, und andere, bei denen ihm das Recht zusteht, bei den jährlich abgehaltenen religiösen
Versammlungen eine beliebige Frau zu wählen, deren Gatte sich durch diese Auszeichnimg
wesentlich geehrt fühlen soll.*
Diese Stelle ist auch insofern lehrreich, als sie beweist, dass das Jus primae
noctis mit der Zeit von denjenigen, welchen es zusteht, nicht mehr mit Kegel-
mässigkeit ausgeübt wird. So kann man es wohl begreifen, wie es bei fort-
schreitender Cultur allmählich abgelöst werden, oder nur noch zu gleichsam
symbolischer Ausübung gelangen und schliesslich vollständig in Vergessenheit
gerathen konnte. Warum nicht etwas Aehnliches einstmals auch in Earopa
stattgehabt haben soll, das ist doch wohl nicht einzusehen.
Auch von der Loango-Küste wird die Ausübung des Jus primae noctia
bestätigt. Aber hier ist jedermann berechtigt, dieses Jus gegen BezaUuig aa «^
werben. Soyaux berichtet hierüber:
U9. Der Ebebrncb.
555
, Bevor eine mannbare Jungfraa Hieb Tersprochen hat, wird sie in lange Gewftnder ge^
hflllt, unter eigentbQmliclieQ Tänzen und Gesängen von Dorf tu Dorf gefUhrt, und, unbe-
schadet ihrer künftigen Verebelichung^ das Jus primae neciis zum Verkauf angeboten, eine
Robheit« die mit dem sonstigen Schamgefühl der M-fiöten im merkwürdigen Wider*
Spruch steht.*
Auch nach Falkenstein findet maii nichts dariu, .die heranreifende Jungfrau in
voller Verhüllung unter eigenen Tiinsten und Gesängen dem Publikum vorzuführen und das
Jus primae noctis gegen Vergütung »u überlassen. Kür die künftige Verehelich ung erwachst
kein Anstots daraus,"
Fig. 263 ftihrt uns ein solches Ausbieten des Jus primae noctis nach der
photographischen Aufnahme von Fdlketistein vor.
Man möge hierbei aber nicht vergessen, dass dieses sogenannte Recht in
alten Zeiten vielleicht vielmehr eine Pflicht gewesen sein mag. Die Frau musste
von ihren Angehörigen in brauchbarem Zustande dem Ehegatten übergeben werden,
und da der erste Coitus durch die mit ihm verbundene Blutung in Folge der
Zerreissung des Jungfernhäutchens verunreinigend oder giftig war, so mnssten
diejenigen ihn ausüben, welche in Folge ihres intimen Verhältnisses zu der herr-
schenden Gottheit durch eine solche Verunreinigung weniger geschädigt werden
konnten. Aus diesem Grunde sahen wir auch, dasa die Verwandten der Neu-
vermählten dem das Jus primae noctis ausübenden Priester oder Könige eine
besondere Entschädigung zu zahlen hatten. Aus dieser Pflicht mag dann all-
mählich das Recht hervorgegangen sein.
Eine ganz besondere Form des Jua primae noctis soll nach v, MiUucho*
Maclatj bei einem ganz primitiv lebenden melanesischen Volke, den Orang-
Sakai auf der malajischen Halbinsel, stattfinden; dort nimmt der Vater der
Braut ft\r sich das Recht des Jus primae noctis in Anspruch, eine Unsitte^ die
man auch auf Sumatra bei Battas und auf Celebes {District Tonsawang)
bei Alfuren wiederfindet Vielleicht liegt auch diesen Ungeheuerlichkeiten der
Gedanke zu Grunde, dass der Vater seine Tochter körperlich brauchbar in die
Ehe zu liefern hat.
148, Der Eliebnicli.
Es kann natUriicher Weise von Ehebruch bei solchen Völkern füglich nicht
die Rede sein, wo die eigenen Ehemänner ihre Weiber, sei es aus einem (iber-
triebenen Geflihle der Gastfreundschaft, «ei es aus Gründen schmutzigster Gewinn-
sucht, anderen Männern zu geschlechtlichem Verkehre überlassen; denn volenti
non fit injuria. Und das Unrecht, das dem Gatten geschieht, die Unterschlagung
und Beeintriicbtigung seinem ihm allein zustehenden Rechtes, ist es doch immer,
das vorliegen mua«, wenn wir von einem Bruche der Ehe sprechen sollen. Aber
auch wenn wir diesen Maassstab anlegen, so finden wir, dass die Anschauungen
über diesen Punkt bei verschiedenen Völkern ausserordentlich verschieden sind.
Ist es vielleicht auch nicht ohne Weiteres gestattet, den Schluss zu ziehen^ daas
bei denjenigen Nationen, wo wir die Weiber zum Ehebruche sehr leicht geneigt
finden, die Heiligkeit der Ehe in einem nur geringen Ansehen steht, so können
wir dieses letztere doch dort ganz sicher annehmen, wo w^ir für den Ehebruch
nur ganz unbedeutende und milde Strafen angesetzt finden. Denn hierin müssen
wir doch sicher von Seiten des Mannes eine Geringschätzung des ausschliesslichen
Besitzes seines W^eibes erkennen, während in dem ersteren Falle die Annahme
immer noch nicht abgewiesen werden konnte, dass die leicht erregbare Natur des
Weibes stärker gewesen war, als die heiligen Bande der Ehe*
üeber die Auflassung der Ehe von Seiten der Frauen der alten Dpiifsrhpo
macht TacÜMs eine sehr anerkennende Schilderung. Er sagt:
^Keinßti ThuÜ ihrer Sitten kannte mnn mehr loben; bei einem so zablrcicheu V gike
oo6 XIX* l^ie Ehe.
mius man die unter ihnen Torkommenden Ehebrüche selten nennen. So c
•jatten, sind mit ihm ein Körper und eine Seele, darüber geht kein Gedanke
keine Begierde führt sie weiter, und wenn sie ihren Ehemann nicht lieben, eo lieben sm dock
die Khe; mit ihrem Ehegemahl glauben sie leben und sterben m müssen, auch Tetmcbton sie
nicht ihre Rathschläge und beachten aufmerksam ihre Antworten.*
Eine sehr starke eheliche Treue finden wir aber auch bei manchen YöIkenL
welche dem Mädchen einen unbehinderten geschlechtlichen Yerkelir mit jungen
Leuten gestatten. Sobald das Mädchen in die Ehe getreten ist, so ist ein Ehe-
bruch etwas Unerhörtes. So treffen wir es namentlich auf einigen Inaeln de»
raalayischen Archipels. Die Frauen in der Mongolei allerdings aolloi ancfa
nach der Verheirathung das zügellose Leben fortsetzen, das sie ua "^s^rhwi zn
führen gewohnt gewesen sind.
t\ üjt'alvi erzählt, dass, wenn ein Siaposch die Untreue seiner Fma ent-
deckt, er ihr eine Tracht Prügel zukommen lässt und von seinem Nebenbuhler
irgend einen geringwerthigen Gegenstand als Entschädigung fordert. Auf Foi^
mosa ist der hintergangene Gatte berechtigt, die Scheidung zu Terhuigen, und
beiden Theilen ist danach eine Wiederverheirathung gestattet.
Wir haben bereits in dem Abschnitte über die Keuschheit des Weibes das
Gebiet der ehelichen Treue berühren müssen, und es sollen die dort angefllhrten
Beispiele hier nicht noch einmal vorgeführt werden.
Bei den Apache-Indianern verstösst der Mann die Ehebrecherin ans
seinem Hause, zuvor aber schneidet er ihr die Nase ab und lässt sich das An-
kaufsgeld wieder zurückzahlen. {Spring) Die Völker am Orinoeo dagegen be-
strafen den Ehebruch mit dem Tode; bisweilen allerdings findet die Frau Ver-
zeihung, niemals jedoch der Verführer. Wie leicht sich aber die Sioux-Indianer
über den Ehebruch hinwegsetzen, das haben wir oben gesehen. Verging sich in
dem alten Peru eine Frau mit einem anderen Manne, so wurden die Ehebrecherin
sowie ihr Verführer mit dem Tode bestraft; der Ehemann konnte eine mild^e
Strafe beantragen. (Acosta^ Garcilasso.) Ebenso wurde in Mexiko vor der An-
kunft der Spanier eheliche Untreue schwer bestraft.
In Bezug auf die Bestrafung des Ehebruchs haben sich auf den Inseln im
Südosten des malayischen Archipels die Anschauungen gegen früher sehr ge-
ändert. Während früher der Mann den Ehebrecher und sein ungetreues Weib
(oder dieses allein) sofort iödten durfte, führt die Sache jetzt meistens zur Schei-
dung, wobei gewöhnlich von den Eltern der Frau der Brautschatz zurückerstattet
werden muss, während auf Leti, Moa und Lakor der Ehebrecher dem betrogenen
Manne ausserdem noch eine Busse zu bezahlen verpflichtet ist. Die Keisar-
(Makisar-) Insulaner begnügen sich nur mit dieser Busszahlung und behalten
die Frau; übrigens ist bei ihnen Ehebruch eine grosse Seltenheit. Auf den
Babar-Inseln darf noch heute der Mann den Ehebrecher todtstechen. Thut er
dieses nicht, so zieht er mit seinen Blutsverwandten bewaffnet aus und tödtet
Schweine und anderes Vieh der Dorfbewohner, während die Angehörigen des
Ehebrechers sie zu besänftigen suchen und den Schaden ersetzen, um Krieg zu
vermeiden. Hat der Ehebrecher dann eine Buhho bezahlt, so ist die Frau frei und
kann ersteren, ohne dass er einen Brautsctiaiz zalilt, heirathen. In öffentlicher
Versammlung lässt sich der neue Gatte dann vnn dem alten einen Eid schwören,
dass er nicht mehr versuchen wird, mit seiner Frau geschlechtlich zu verkehren.
Das geschieht unter besonderer Cerenioni«*, worauf der erste Mann sich aus dem
Hause der Frau seine Sachen holt und die »S<*heidung als erfolgt betrachtet wird.
(Iiiedel\)
Auf den Marshalls-Inseln wird Ehelinirh am Manne gar nicht, an der fVan
aber nur durch Verstossung bestraft. Auf Sanioa, Tonga, den SaB' *nlt»>
und Marquesas-Inseln aber wird der Khcfbnirli Ntrong geahndet, und Av'
^Carolinen) wird er sogar häufig mit dittii Todu bcwtrafl..
143. Der Ehebruch.
557
I
Eine ungetreue Gattin schickt auf den Pe lau- Inseln der betrogene Ehe-
mann einfach fort {Kubart/); war aber auf den M ari an en- Inseln der letztere
ehebrüchig, so rotteten sich die Frauen zusammen und fielen über seine Habe her
imd zerstörten sie gründlich.
Die Strafe, welche bisweilen den Ehebrecher und die Ehebrecherin iu Neu-
Britannien triÖt, ist nach Danks ausaerordentlich schwer. Die Frau wird un-
mittelbar und ohne Bai-mherzigkeit geapieast. Der Mann jedoch fällt in einen
Hinterhalt, der ihm vom Ehegatten und dessen Freunden gelegt ist. Sie fallen
über ihn her, hauen ihn gewaltig mit dem Stock und würgen seinen Hals (twist
hia neck) so stark es ihnen nur möglich ist Sie lassen ihn dann tu furchtbarer
Agonie auf dem Wege liegen, wo ihm helten mag, wer da will. Er spricht nicht
mehr. Er schmachtet wenige Tage, während seine Zunge zu grosser Dicke an-
schwillt, und er stirbt eines schrecklichen Todes»
Die Weiber der Orang Belendas in Malacca haben nach Stevens eine
absonderliche Art, um ihre Männer vom Ehebruch abzuhalten. Sie befestigen
etwas Baumwolle an einem dünnen Stäbchen und fuhren sie post cohabitationem
in ihre Vagina ein, um das Semen virile aufzusaugen. Dann wird die Baumwolle
getrocknet und sorgfaltig aufgehoben, und solange sie trocken bleibt, vermag der
Mann mit keiner anderen Frau geschlechtlich zu verkehren. Macht die Gattin
sich nichts mehr aus ihrem Manne, so wirft sie die Baumwolle fort» und sowie
diese nass geworden ist, kehrt dem Manne wieder die Fähigkeit zum Umgange
mit anderen Weibern zurück.
Aber auch die Männer besitzen ein Mittel, dass ihre Gattin sich nicht darüber
aufregt, wenn sie sich mit anderen Frauen vergehen. Sie legen ein Stück einer
bestimmten Pflanze der Frau miter die Matte, wenn sie ihr beiwohnen ; dann
werden sie ihr so widerwärtig, dass ihr ein Ehebruch von Seiten des Mannes völlig
gleichgültig lileibt
Beging, was sehr selten vorkam, die Frau Ehebrach, so band ihr Mann sie
an Händen und Füssen und legte sie in einiger Entfern uug von der Hütte auf
die Erde, während er selber dch mit drei Bambusspeeren bewalFnet im Unterholze
verbarg. Die unglückliche Frau erhielt weder Speise noch Trank und musste
liegen bleiben, bis die Erschöpfung und die Bisse der Ameisen sie getödtet hatten.
Zuvor musst« aber der schuldige Mann den Versuch machen, ihre Bande zu durch-
schneiden und sie in das Haus ihres Gatten zurück zufiihren, Tödtete ihn dabei
einer der Speere des Gatten» so konnte dieser nach Belieben die Frau dort um-
kommen lassen, oder sie fortschicken» Gelang es dem Verführer, die Frau zu be-
freien, so konnte der betrogene Gatte gegen ihn nichts mehr unternehmen, aber
seine Frau durfte er fortjageo. Wenn der Liebhaber sich weigerte, diesen Ver-
such zu wagen, so musste er eine Strafe zahlen, die der Betrogene selber be-
sti mmte. (Bartels'^,)
Bei den Kalmücken wird Ehebruch mit 4 — 5 Stück Vieh gebüsst; bei den
Persern war Ehebruch ein Scheidungsgrund, jedoch durfte auch hier der Mann,
wenn es ihm gelang, die Untreue seiner Gattin durch Zeugen zu erhärten, seine
Frau tödten.
Sehr streng ist das Gesetz des Mohammed gegen die Ehebrecherin, Der
Koran befiehlt, das Weih, welches durch vier Zeugen des Ehebruchs Überführt
ist, im Hause einzukerkern, bis der Tod sie befreit oder Gott ihr ein Befreiungs-
mittel an die Hand giebt. Später lies« man dem Weibe die Wahl zwischen Ein-
kerkerung und Steinigung. Gemildert wird die Strenge des Gesetzes dadurch, dass
vier Zeugen erforderlich sind, um den Ehebruch zu beweisen. Wer ein Weib
dieses Verbrechens bezichtigt, ohne den Beweis dafür erbringen zu können, erhält
achtzig Peitschenhiebe. Der Ehemann kann die vier Zeugen durch einen fünf-
fachen Eid ersetzen, jedoch steht es der Frau frei, sich durch denselben Eid zu
n. imd wenn sie dies thut, ist die Ehe gelöst.
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k??t*9Kkbft. («sSBliclie Sismfe erleidei.
öu OmeM ia TnHilMiwiilwjiii in dv
rrnier u^cAkrtCB Form lebt. Ana»-
iei. läcÄBK FiDe. im ilpa— nur der Ehe-
i-TMur Medice Tizd. iteti langwierige
rz.iess9e£aBfCB baA sicli, da d«r n
«izxe-IxMs Filica mach voU gcitcht-
fficiifw TczdAcht berteht, daei dieFna
£i;r a1? IjMkTQpel beaatit vordea wi,
^r£ «» ££21 in dem hfwondeieu Falle
rirri -^^ BeMiafimg eiaei Biebrada,
i>:ri«:a zz Mozd nad Beranboag einei
Auch in Japan scheint es
frlher wenigstens gebraachlich ge-
vresec zn sein, da» da* Ehegatte sich
mi: dem Schwerte an dem Schander
seiner ehelichm Ehre rächte. Das
:«i in einer japanischen Encjklo-
p&die aus dem An&nge des rorigen
Jahrhunderts dargestellt, der ich
die Fiir.264 entnehme. Dieselbe ist
ohne Elriäatemng verständlich.
Auf offenkandigen Ehebruch
wurde bei den alten Israeliten
über die beiden Verbrecher das
Todesurtheil ausgesprochen, doch
ecTschiedec darüber die Gerichte,
i:ieht etwa der beleidigte Ehemann.
Schon der blosse Verdacht auf be-
eüQirer.e Untreue des Eheweibes
wurdr streng geahndet : leugnete die
Verdächtige, so erhielt sie einen
ekelhatten Probetrank: gestand sie,
so wurde sie gerichtlich geschieden
und ging der ihr zukommenden
M-Tgengabe verlustig. Dem mo-
saischen Gesetze, d^ der WillkQr
eines eifersüchtigen Ehemannes Thor
und Thür öffnet, wurden spater Ton
den Talmudisten Schranken ge-
f^i.'txt. \h'.r Ehemann konnte nur dann als Kläger auftreten, wenn er vor swei
Zeugf-n s«;in(:rri Weibe den Umgang mit einem gewissen Manne verboten, und sie
fJenrioch nach Aii.s.sage zweier Zeugen einen .solchen Umgang fortgesetzt hatte.
Für Ehebruch bestimmte ein angelsächsisches Gesetz, dass der Ver*
bre<:her da» Wehrgeld der Frau erlege und dem verletzten Gatten
Weib kaufe. In unseren Volksrechten herrscht aber wie bei der
-Upanife':K':r \i'>\3L*AYs,u\\\ vom Jahr- 1715.
143. Der Ehebruch.
559
einer Verlobten die fränkische Forderung der Rückgabe der entführten Frau
neben der zu leistenden Geldbusse,
Unter den heutigen Volkern Europas sind es namentlich zwei, deren Damen
sich in Bezug auf die eheliche Treue eines sehr weuig rühmlichen Leumundes
erfreuen. Das sind die Französinnen und die Italienerinnen. Wieviel bei
den ersteren die dramatische und Romanliteratur dazu beigetragen hat, sie in
einen solchen Ruf zu setzen, der vielleicht weit über das Thatsächliche hinaus-
;eht, das ist natürlich nicht möglich zu entscheiden. In Italien ist das soge-
nnte Cicisbeat so allgemein bekannt geworden, dass man sich, wahrscheinlich
r mit Unrecht, eine italienische Dame ohne einen solchen Begleiter gar nicht
recht vorzustellen vermag, und noch mehr hat man sich getäuscht, wenn man in
einem solchen VerhäUnis8e sofort einen Ehebruch witterte.
Wenn es in früherer Zeit zum guten Ton gehörte, dass sich die verheirathete
au von einem Cicisbeo bedienen und begleiten Hess, welcher morgens bei ihr
" ien, um sich Verhaltungsmaii ' i fßr den Tag ertheilen zu lassen, so lag
_ esem Verhältnisse nichts Vw , wie wir etwa bei einem , Hausfreund*
auch nur in besonderen Fällen anstüssige Beziehungen annehmen dürfen. Es war
dies ein dienender Ca valier, ein Vertrauter, bisweilen ein Geistlicher, andere Male
ein Milchbruder der Dame* Namentlich dieser letztere galt wie ein Verwandter;
denn die Milchbrnderschaft versetzt die beiden von einer Amme Ernährten bei
vielen Völkern in einen mystischen Rapport. Cicisbeo hat die Bedeutung Galan,
aber auch , Bandschleife*: wie eine solche hing der Betreffende an der Dame,
welcher er ergeben und zu Diensten war.
Ob dieses Verbal tuiss nun aber wirklich immer ein so unschuldiges ist, als
welches es erscheint, das möchte doch die Frage sein. Manteya^sa, welcher seine
Landsmänninnen doch wold kennen muss, sagt;
„Der Ehebruch ist eine so gewöhnliche Würze goworden, dass er in unsere Literatur,
in an««re Sitten eindringt und auf den Bühnen unserer Theater dÄrprestelU wird. Wahrend
uns Monogamen nennen, sind wir Polygamen und Poiyander zu gleicher Zeit, und in
en anscheinend glücklichen und moralischen Familien hat die Frau mehrere Geliebten und
ann ist der Geliebte anderer Frauen oder Weiber, welche die Liebe verkaufon. Der
ch \it.i daher die noth wendige und erste ConsequenZf weil Mäuner und Frauen der aaf-
iigen, freien» glühenden Liebe bedürfen, und wenn daher die Ehe dieselbe auflschliesst,
suchtin MUnner und Frauen sie andet^wo.^
Ein untrügliches Zeichen, dass die Frau es mit mehr als einem Manne ge-
lten hat, haben die Einwohner von Ambon und den Uliase- Inseln. Es ist
Gebrauch, dass eine Frau die Nachgebnrt schweigenden Mundes zum Strande
und in das Meer wirft. Treibt dieselbe auf dem Wasser, so ist die Frau
dichtet, es dem Ehegatten der Entbundenen mitzutheilen, der daran erkennt,
sein Weib ihm untreu war. (RiedeV,)
Wir haben oben schon durch i\ Brandt erfahren, dass bei den Chinesen
der beleidigte Ehegatte die beiden Ehebrecher tödten darf. Er erzählt dann weiter,
dass die Chinesen eine höchst absonderliche Maassnahme haben, um mit Sicher-
heit festzustellen, ob die Beiden denn mm auch in der That die Ehe wirkücii
gebrochen haben. Er berichtet!
,üm zu entdecken, ob die Getödteteii wirklich Ehebruch begiuigen bÄben. wird
manchmal, auch von Beamten, wie es scheint, ein höchst oigenthü ml icher Versuch angestellt.
Die abgeschnittenen Eöpfo der beiden Oetödteten werden in ein gross ea GefHa» mit Walser
gethnn und da« Letztere mittelst eines Stockes in heftige rotirende Bewegung vernetzt, Kommt
dilti Wa«fet(>r dann 7>um Stehen und die Köpfe berühren lich mit den Gesichtern, als wenn
nie sich kO^tpi'T^ wollten, so ut die Schuld der Get^Hlteteu erwiesen; sind die öeaicbter Ton
ander n f, ihre Unet-huld-*
All* US berichtet von einem abäonderlichen Ehebruchszeichen:
,In Afrika lebte nueb Afiaihardndca ein Xlhnliches Volk, die Psyller, m genannt
li ihrom Ki:if>M'*> />...//,... -i-^^^n Grabtsal «ich an der Seite der gröweren Syrte befindet.
KArfie«^ Mft ' iüangen todüichea Gift, durch de«»en Geruch die«e in Schlaf
560 XIX. Die Ehe.
versetzt würden. Bei ihnen herrschte die Sitte, die neugeborenen Kinder den gefUuüchiteB
Schlangen vorzuwerfen und auf diese Weise die Keuschheit ihrer Gattinnen £U prdfea: wenn
nämlich die Schlangen nicht vor den Kindern flohen, so waren diese im Ehebrüche enaogt'
Ueberhaupt ist die Zeit der Niederkunft, in welcher die Seele von Furcht
und Bangen erflillt ist, auch der rechte Augenblick, um das schuldbefleckte Ge-
wissen sich regen zu lassen. So fdhlt sich bei dem Beginne der Entbindang die
Samojedin veranlasst, einer alten Frau alle die einzelnen FSHe zu berichten, in
denen sie ihrem Manne die eheliche Treue brach, denn nur nach gewissenhafter
Beichte kann die Geburt ohne Störung von Statten gehen. Äehnlicnes findet sich
auch bei anderen Völkern. Aber auch selbst die Sünden der Yor&hren kommen
in dieser kritischen Zeit an das Tageslicht. Das beweist ein absonderlicher Glaube,
welcher auf den Luang-Sermata-Inseln herrscht. Man hält das lange Aus-
bleiben der Wehen bei einer Kreissenden für den sicheren Beweis, dass deren
Mutter früher unerlaubten Umgang gepflogen hat. {RiedeV.)
144. Die Ehescheidung.
Nicht jegliche Ehe entspricht dem Bilde, welches der Minnesänger Reinmar
von Zweier von dem Ehebunde entworfen hat:
«Ein Herz, ein Leib, ein Mund, ein Muth
Und eine Treue wohlbebut,
Wo Furcht entfleucht und Scham entweicht
Und Zwei sind Eins geworden ganz,
Wo Lieb' mit Lieb ist im Verein:
Da denk' ich nicht, dass Silber, Gold und Edelstein
Die Freuden Übergoldet, die da bietet lichter Augen Glanz.
Da, wo zwei Herzen, welche Minne bindet,
Man unter einer Decke findet.
Und wo sich Eins an*s Andre schliesset,
Da mag wohl sein des Glückes Dach/
Des „Glückes Dach" findet sich nicht überall; und wenn auch die Trauungs-
formel der evangelischen Kirche lautet: „Was Oott zusammengefügt, das soll der
Mensch nicht scheiden,'' so hat dennoch das bürgerliche Recht sich gezwungen
gesehen, eine Reihe von Fällen festzustellen, in denen der für das Leben ge-
schlossene eheliche Bund durch richterlichen Spruch vorzeitig wieder gelöst werden
kann. Und selbst die katholische Kirche, welcher die einmal geschlossene Ehe
als unauflöslich gilt, musste dennoch anerkennen, dass es Lebenslagen giebt, in
welchen das heilige Band doch durchaus wieder getrennt werden muss. Hierbei
ist es in meinen Augen ein rein äusserlicher Unterschied, dass hier nicht der
Richter, sondern der Pontifex maximus das erlösende Wort zu sprechen berechtigt
ist. Es ist nun nicht etwa meine Absicht, hier die Gesetzesparagraphen der civi-
lisirten Völker durchzusprechen, welche eine Ehescheidung für zulässig erklären,
sondern gerade die Zustände bei weniger hochstehenden Rassen sind es, welche
uns an dieser Stelle zu interessiren vermögen.
Wir haben weiter oben schon gesehen, dass bei den Persern, den nord-
afrikanischen Mohammedanern und auch bei einzelnen Völkern des südöstlichen
Afrikas der in der Brautnacht entdeckte Mangel des Jungfernhäutchens, also in
den Augen dieser Leute den Verlust der Jungfrauschaft vor dem Abschluss der
Ehe, diese letztere ohne weiteres wieder aufzulösen im Stande ist.
Der Mohammedaner kann aber auch sonst jeden Augenblick nach Belieben
ohne Angabe des Grundes die Scheidung aussprechen. Er muss seiner Frau dann
allerdings das Heirathsgut verabfolgen und ihr über die Iddahzeit, d. h. über die
dreimonatliche Frist, während welcher sie sich nicht wieder verheirathen darf,
oder bis zu ihrer Entbindung den Unterhalt gewähren. Allein diese schützende
144. Die Eheacbeidong.
561
V
Maassregel hat wenig zu bedeuten; denn wenn die Frau durch ungehorsam die
Scheidung verrinlasst hat, oder wenn der Mann ^die Gebote Gottes nicht erfüllen
zu können ^ fürchtet, falls er das Gut herausgiebt, so darf er einen Theil desselben
oder sogar das Ganze behalten.
Gänzlich fremd ist dem Koran der Gedanke, da^s die Frau auf Scheidung
dringen könnte. AUerdings hat das mosliminische Recht hierüber einige Bestim-
mungen getroffen; es kann das Weib bei gewissen Gebrechen des Mannes oder
bei hoffnungslosem ehelichem Zwist Scheidung verlangen, aber dann hat es den
Mann atu entschädigen oder auf das Heirathsgut zu verzichten. Die ausgesprochene
Scheidung gilt für unwiderruflich, wenn sie durch Zeugen beglaubigt ist; manche
Frau ist aus drückender Knechtschaft befreit worden, weil der Mann in der Hitze
des Zornes sein: »Du bist entlassen* sprach. Denn diese Erklärung genügt, um die
Ehe zu lösen. InAegypten muss diese Erklärung aber dreimal abgegeben werden.
Den Muselmännern ist es erlaubt, sich dreimal von ihrer Frau scheiden zu
lassen und sie nach der Scheidung wieder zu heirathen. Nach dem dritten Male
aber ist ihnen die Wiederheirath verboten, wenn nicht die Frau inzwischen mit
einem anderen Manne die Ehe eingegangen war, welche natürlicher Weise eben-
falls erst wieder getrennt sein muss.
Bei den Persern pflegt der Ehebruch zur Scheidung zu führen, aber in
der Regel erfolgt die Scheidung nur, wenn die Frau kinderlos bleibt und ihr die
Schuld davon beigemessen werden kann^ zweitens wenn sie liederlich ist und
dritteofl wenn der Mann glaubt, dass mit ihrem Eintritte in das Haus Unglück
über dasselbe kam; man hfilt sie dann fUr ein böses Omen. Auch der Perser
kann seine geschiedene Frau wieder ins Haus nehmen, nach der zweiten Scheidung
jedoch nur in dem Fhlle, wenn sie indessen an einen Anderen verheirathet war
und von diesem den Scheidebrief erhielt. Bei der Sighe, d. h, bei einer weih-
liehen Person, mit der er nur eine Ehe auf Zeit eingegangen ist, kommt die
Scheidung nicht in Frage, da der Vertrag mit ihr von selbst nach bestimmter
Zeit abläuft.
Bei den heutigen Abchasen darf eine unzufriedene Gattin ohne Weiteres
ihren Gemahl verlassen und zu ihrer Familie zurückkehren, ohne dass dieser das
Recht hätte, sich zu beschweren, fScrendJ Die Naya-Kurumbas im Nil-
ghiri^Gebirge halten die Ehe überhaupt nur so lange für bindend, als es ihnen
beliebt (JagorJ Bei den Samojeden ist das Band der Ehe sehr locker; ge-
ringfügige Ursachen können Scheidungen herbeiführen; dann geht der Manu des
Kaufpreises verlustig; lauft eine Frau fort, so sind ihre Eltern verpflichtet, den
Kaufpreis zurückzuerstatten.
Bei den Sumerern, den Vorfahren der alten A s s y r e r , die man früher
fälschlich als Akkader bezeichnete, durfte sich, wie glücklich erhaltene und
von Lenormani gelesene Keilschrifttäf eichen aussagen, wohl der Mann von der
Frau, aber nicht die Frau von dem Manne trennen:
, Rechtsspruch: Hat eine Frau ihren Eh«nianti beleidigt, hat sie ,du bist nicht «»ehr
mein Mann* «u ihm gesagt, «o soll aie in deu Fluas geworfen werden.* Ein VerBuch der Ebe-
Bcheidung von Seiten der Frau wnrde aJ»o mit dem Tode bestraft. Der Mann dagegen konnte
die Gattin ohne Weiteres verstoaaen, wenn er noch nicht in ehelichen Verkehr mit ihr getreten
war: Bat ein Mann ein Weib geehelicht, und aubigendo eam non conipreatit, so kann er eine
Andere wählen. War aber die Ehe in dieflem Sinne schon perfect geworden, bo stand es ihm
dennoch frei, mit Hinterlegung einer Geldbuäse die Ehe wieder rückgängig zu machen. , Rechts«
epmch: Hat etn Mann zxx seiner Ehefrau ,dü bist nicht mehr meine Frau* genagt, so aoll er
«ine halbe Silbormine »ahlen.* Bestimmt« Vergehen von Seiten der Frau, welche un« leider
nicht n^lher bezeichnet werden, gestatteten dem Manne die Verstoa^ung der Ehefrau in tehr
entehrender Form. E» lH^st sich vermuthen^ daae Ehebruch von ihrer Seite die Ursache hier*
für abgegebftn haben musä. «Ihre Verstossung hat er auf dem pasaur ausgesprochen« und eu
ihrem Vater hat er sie zurückkehren lassen. ... Er bat ihr seine Verstossungsurkunde über-
I geben, er hat dioselbe an ihren Rücken geheftet, und sie sodann aus dem Hause gejagt. In
Ploü-HurtoU, Das Weib. 6. Aufl. I. 36
562 ^I^- I>ie Sbe.
allen Fällen wird der Ehemann sein Kind bei sich überwachen d&rfen, doch darf er jime nickt
weiter belästigen. Hierauf, da sie zur Hure geworden, wird man sie auf dar Strasse anlgraiffls
und mit sich fortführen können. Wo es am besten ihr passend wird, darf sie ihr HureDgewsrbe
betreiben. Als Hure wird sie der Sohn der Strasse zu sich nehmen dürfen. Ihre Brost...
Ihr Vater und ihre Mutter sie nicht wieder anerkennen sollen.*
Der Vorgang der Scheidung war bei den alten Israeliten zur Zeit des noch
bestehenden Tempels sehr umständlich. Es gab verschiedene ScheiduDgegrfinde:
Der Mann konnte klagen, wenn die Frau Leibesfehler hatte, die den Beischlaf hindeitsn,
wenn sie in der Führung des Hauswesens oder sonst gegen die jüdischen Gesetse reratifiai,
wenn sie ein unsittliches Leben fahrte oder des Ehebruchs überfahrt wurde, wenn sie die
Schwiegereltern beschimpfte oder die ehelichen Pflichten verweigerte, endlich, wenn sie idm
Jahre kinderlo» blieb. Andererseits konnte die Frau klagen, wenn der Mann die ehelidisn
Pflichten versagte, wenn er sie tyrannisch behandelte, von widerlicher oder ansteckender
Krankheit befallen war, ein verachtetes Gewerbe erg^ffen hatte, wenn er eines Verbrechsn
wegen flüchtig geworden war, und schliesslich wenn er sich zur ehelichen Pflicht anf&hig zeigte.
Anders war es allerdings, wenn es sich um eine Ehefrau handelte, die bereits
als Unmündige verheirathet worden war. Hier heisst es in den Erläuterungen zn
dem Traktate Berakhöth des Babylonischen Talmud:
„Jedes unmündige Mädchen, welches ihren Vater früh verloren und durch die Mutter
verheirathet wurde, kann bei reiferem Alter sich weigern, bei diesem Manne zu bleiben, und
darf denselben verlassen und einen anderen heirathen, ohne dass er nGthig habe ihr einen
Scheidebrief zu geben, weil die Verheirathung, welche durch die Mutter entstanden, als un-
gültig betrachtet wird. Anders verhält es sich, wenn der Vater seine unmündig^ Tochter
verheirathet hat, dann ist im Weigerungsfalle ein Scheidebrief nöthig/ fPinner.J
Die chinesischen Bestimmungen über die Ehescheidung waren nach den
Vorschriften des Confudus folgende:
ungehorsam gegen die Eltern des Mannes, Unfruchtbarkeit, Ehebruch, Abneignng oder
Eifersucht, böse Krankheit, Schwatzhaftigkeit, Diebstahl an des Mannes Eigenthum. In drei
Fällen durfte der Mann die Frau nicht Verstössen: 1. wenn ihre Eltern, die zur Zeit der Ver-
heirathung noch lebten, gestorben sind, 2. wenn sie die dreijährige Trauer um des Mannet
Eltern getragen hat, 3. wenn sie erst arm und niedrig, jetzt aber reich und angesehen iit
Erst durch einen Erlass des Staatsrathes vom 5. Mai 1873, berichtet Hering^ hat die
Frau das Recht, unter Beistand des Vaters oder eines Verwandten vor dem Richter aut
Scheidung klagbar zu werden. .Nach der ofüciellen Statistik kamen im Jahre
1884 auf 100 Khcschliessungen 38,2, 1885 43,7, 1886 38,3 Ehescheidungen. Allerdings ist e«
möglich, dass die Zahlen der Statistik nicht ganz richtig sind. Aber sie scheinen uns eher
noch zu niedrig zu sein, da die Ehen gewöhnlich erst sehr spät angemeldet werden und daher
viele Ehen wieder geschieden werden, bevor sie als geschlossen angemeldet waren, also in
den statistischen Tabellen gar nicht berücksichtigt sind/
Der Japaner kann sich ohne besondere Gründe von seiner Frau trennen
und er darf sich danach so oft wieder verheirathen, als er will, nur nicht mit
der leiblichen Schwester der Frau oder mit der Schwester einer Yorigen Gattin.
Auf den Maria nen dauert die Ehe nur so lange, als beide Ghitten es
wollen. Ist der Mann nicht unterwürfig genug, so yerlässt ihn die Gattin und
geht zu ihren Eltern, die dann über des Mannes Eigenthum herzufallen pfl^en
und dasselbe zerstören. Will auf den Pelau-Iuseln sich der Mann von seiner
Frau trennen, so schickt er sie einfach fort. Ihr folgen die Kinder, die von der
Mutter den Stand erben. (Kubary.) Behandelt auf den Gilbert- Inseln der jange
Ehemann seine Frau schlecht, so kann der Adoptivvater derselben sie wieder zu-
rückverlangen und die Ehe ist dann aufgelöst. (Parkinson.)
Auf den südöstlichen Inseln des malayischen Archipels, von denen ans
der schon so oft citirte Riedel so vortreffliche Schilderungen geliefert hat, herr-
schen in Bezug auf die Ehescheidung sehr verschiedenartige Gebräuche. Auf Buru
findet eine Ehescheidung überhaupt nicht statt, und wenn die Frau den Mann
verlässt, so sind ihre Verwandten verpflichtet, sie ihm wieder zurückzubringen.
Auf den meisten anderen Inseln ist der hauptsächlichste Grund für eine Trennung
der Ehe Untreue von Seiten der Frau oder auch wohl von Seiten des Mannes
144. Die Ehescheidung. 563
(Serang). Nächstdem bildet Misshandlung der Frau einen Scheidungsgrund, und
zwar hat der Mann dann im Gegensätze zu der vorhergenannten Ursache keinen
Anspruch auf eine Rückerstattung des Brautschatzes. Im Oegentheil, er muss die
Geschenke wieder herausgeben, die er bei der Hochzeit von den Anverwandten
der Frau erhalten hat, er muss ihnen die Kosten zurückerstatten, welche die Hoch-
zeit verursacht hat (Ambon), und muss ihnen sogar eine Busse bezahlen (Leti,
Moa und La kor).
Auf den Tanembar- und Timorlao-Inseln darf die Frau auch dann alles
Gut an sich nehmen, was sie während der Ehe erworben hat, und die Kinder
verbleiben ihr, während auf den Aru- Inseln die Kinder bei Ehescheidung dem
V^ater folgen. Auch bei dauerndem häuslichem Unfrieden kann die Scheidung
ausgesprochen werden (Ambon, Leti, Moa, Lakor). Die Frauen auf Serang
oder Nusaina dürfen die Scheidung beantragen bei Impotenz des Mannes, oder
wenn letzterer mit seinen Schwiegereltern in dauerndem Streite lebt. Die Schei-
dung wird hier von den Aeltesten, auf Leti, Moa und Lakor von der Familie,
auf den Seranglao- und Gorong-Inseln von den Häuptern und Geistlichen aus-
gesprochen. Auf letzteren geben sie dann den Scheidebrief, vertheilen den Besitz
und die Kinder, lassen aber die Scheidung nicht zu, wenn die Gründe nicht sehr
gewichtig sind. Eine Wiederverheirathung einer geschiedenen Frau darf nicht
vor dem 135. Tage stattfinden, und bis zu diesem Termine gehört sie noch dem
Manne und muss von ihm unterhalten werden.
„Ehescheidungen sind in Java ohne grosse Schwierigkeit zu bewerkstelligen.
Eine geschiedene Frau darf sich jedoch erst nach drei Monaten und zehn Tagen
wieder verheirathen. Wollen zwei geschiedene Gatten sich später wieder ver-
einigen, so kann dies gesetzlich erst dann geschehen, wenn die Frau mittlerweile
sich einen anderen Mann genommen hat, von dem sie sich scheiden lassen muss.
Wird sie von diesem Manne schwanger, so muss sie zuerst ihre Niederkunft ab-
warten und kann erst nach dieser sich wieder verheirathen.* (Müller,)
Bei den Kaff er n ist die Ehescheidung überall üblich und wird oft wegen
geringfügiger Ursachen ins Werk gesetzt. [Merenshj.) Auch unter den Bet-
schuunen kann der Mann die Scheidung leicht ausführen, doch muss er für den
Unterhalt der Geschiedenen sorgen, falls diese nicht schuldig befunden wird. Bei
den Kassanga in Afrika wird die Scheidung durch eine einfache Mittheilung an
den ältesten Oheim der Frau bewirkt, der nun die letztere von neuem verkaufen
kann. Je öfter also eine Scheidung erfolgt, desto einträglicher erweist sich der
Besitz einer Nichte, denn der Kaufpreis wird dem sich scheidenden Gatten nicht
zurückerstattet. (Schute,) Es kann nach Reichard bei den Wanjamuesi die
Scheidung durch den Häuptling herbeigeführt werden, wenn genügende Gründe
für dieselbe vorhanden sind, z. B. wenn die Frau keine Kinder bekommt, wegen
Ehebruchs, wegen Syphilis, oder wenn sich beide Gatten nicht vertragen können,
oder wenn die Frau den Mann böswillig verlässt. In allen Fällen jedoch, sei der
Mann oder die junge Frau der schuldige Theil, muss das Brautgeld dem Manne
zurückerstattet werden.
Auch die Eskimo kennen die Ehescheidung. Darüber berichtet v. Norden-
shjöld:
, Zuweilen wird die Ehe ein halbes oder auch ein ganzes Jahr nach der Verheirathung
wieder gelöst. In solchem Falle entfernt sich der Mann Abends von der Frau ohne ihr ein
Wort zu sagen, worauf diese sich am folgenden Morgen dem Anschein nach heiter und bei
guter Laune wieder zu ihren Eltern zurflckbegiebt. Kommt der Mann nachher in ihren
Wohnort, so zeigt sie sich gern einige Augenblicke in voller Festkleidung. Auch die neuver-
beiratheie Frau verlässt ihren Mann bisweilen allen Ernstes, besonders wenn sie gegen eine
der Frauen seiner Umgebung einen Hass gefasst hat. Aber nachdem ein Kind geboren worden,
zumal wenn es ein Knabe ist, findet eine Trennung nicht mehr statt*
86*
XX. Das Weib im Zustande der Befruchtung.
145. Die Zeugung.
Es bedarf niclit erst einer besonderen Erwähnung, dass f&r die Erhaltimg
und die Fortpflanzung des menschlichen Geschlechts das Weib in ganz erheblicher
Weise mehr in Anspruch genommen wird als der Mann. Während der letzten
dem jungen Keime des neuen Individuums nur die Fähigkeit der Entwickelnn^ in
kurzem, einmaligem Acte überträgt, ist das Weib berufen, im Inneren ihres Leibes
ihm das schützende Nest zu gewähren, in welchem er wachsen und einen be-
stimmten Grad der Reife erreichen kann, von ihrem Blute ihm die Materialieo
zuzuführen, die er zu seinem Wachsthum nöthig hat, und wenn er endUch nach
monatelanger Verborgenheit das Licht der Welt erblickte, ihm mit dem wichtigsten
Produkte ihres Körpers, der Milch, noch lange Zeit hindurch die ausschliesaliche
Nahrung darzubieten. Alle diese wichtigen Functionen fallen in die Periode der
vollsten Körperkraft und der Höhe der Entwickelung des weiblichen Qeachlechts.
unter normalen Verhältnissen wenigstens, und fast zwei volle Jahre veretreicheiL
und gar nicht selten sogar noch mehr, um einem einzigen Keime das aUes lu
leisten, was ich soeben entwickelt habe. Hierbei ist es ja auch noch das Ge-
wöhnliche, dass, wenn die erwähnte Leistung für ein neues Individuum soeben
ihren Abschluss erreicht hat, bereits ein anderer frisch befruchteter Keim die
gleichen Ansprüche an die Mutter stellt. Es ist daher durchaus in der Ordnung,
dass ich in diesem von dem Weibe handelnden Werke den besprochenen Zu-
ständen und Thätigkeiten eine ganz ausführliche Berücksichtigung zu Theil
werden lasse.
Erst seit Swammerdam (f 1685) weiss man, dass zur Befruchtung der Contact
des Eies mit dem männlichen Samen nöthig ist, seit SpaUaneani (1768) kennt
man die Befruchtungskraft der Samenfaden, seit du Barry (1850) das Eindringen
derselben in das Ei, in dem dann eine Zellenbildung vor sich geht
Ganz neuerdings weiss man nun auch durch den wunderbaren Process der
Karyokinese, der Zellkernbewegung, wie auch der männliche Keim nicht
nur den weiblichen zur Zellenneubildung und zum Wachsthum veranlasst, sondern
wie er selber an diesen Wachsthumsprocessen einen ganz thätigen Antheil nimmt,
was besonders Waldoyer"^ und Hertwig sehr übersichtlich auseinandergesetzt haben.
Wir müssen in dieser Einverleibung von Formelementen des väterlichen Organismus
in diejenigen des Sprösslings ohne allen Zweifel die eigentliche organische Orond-
läge finden für die ja allgemein bekannte Thatsache, dass nicht allein die Eiflen-
schafteu der Mutter, sondern auch diejenigen des Vaters auf die Nachkommensäaft
übertragnen werden.
Wie die Zeugungslehre auch heute noch viele problematische Punkte
hält, so galt Zeugung von jeher bei allen Völkern als ein Mysterium,
145. Die Zeagung.
56Ö
Losung man kaam enträthselo kann. Welchen Antbeil nimmt der Mann, welchen
das Weib an der Erzeugung eines neuen Indinduums, und wie sind beide im
Stande^ körperliche und geistige Eigenschaften auf ihre Nachkommen zu übertragen,
das ist von jeher die Frage gewesen. Und überall dort, wo sich eine primitive
Wissenschaft, wo sieh die ersten Ansätze und Anfange der Philosophie und Natur-
lehre zu zeigen begannen, suchte man durcli Nachdenken and durch Aufteilung
einer Zeugungstheorie diesem Problem auf die Spur zu kommen. Dass dabei
manches Absonderliche zu Tage trat, das wird uns nicht überraschen können.
Nach der Anschauung der Talmudiaten sind es drei Faktoren, welche an
hHer Bildung des Embryo betheiligt sind:
^^" ,Der Vater liefert den weiasen Samen, aus welchem die Knochen, das Gehirn und
1 die weissen Theile des Auge«^ enUteheo; die Mutter giebt den rothen tarnen her enr Bildung
I von Haut, Fleiicb, Haaren und der Kegonbogenhaut; den Ätbem dagegen, das Fneunia, welches
I GeflichtÄausdnick, Gesicht, Gehör» Sprache, Bewegung, Verstand und Auffawangavermögen be-
I dingt, fögt dann die Gottheit selbst hinzu/ (Kazendmn.)
^^ Die Anacbauungen der alten Inder werden uns durch Susruia überliefert:
^^m «B^im Beuchlaf geht durch den Yaju (den Hauch) die Knergeia aus dem Körper,
^^ann ergieast sieh durch die Vereinigung der Energeia mit doiu Vayu der mannliche Samen
in die weiblichen Geschlecbts theile und vermischt sich mit dem monatlichen Geblüte; darauf
gelangt der werdondo Embr>'o durch die Verbindung des Agni (Gott des Feuere) mit dem
Sonia (die Mondgottheit als Zeugende) in den Uteruif. Zugleich mit dem £mbryo geht auch
die Seele in den Uterus, b«>gabt mit göttlichen und dämonischen Eigenschaften/ fVnUen.)
^- Aus den wissenschaftlichen Büchern der Tamulen lernen wir auch die
^^Physiologie (tatva-sastra geuannt) der Hindus kennen (Schafu); unter den fünf
^H)rganen der Thätigkeit gelten ihnen die letzten derselben^ die Qescblechtstheilef
^Blä Organf» der Absonderung und der Zeugung; nach ihrer mystischen Auflassung
' ^spiegelt sich Alles, was im Makrokosmus, d. k in der Welt^ sich vorfindet, auch
im Mikrokosmus, d. h. im menschlichen Leibe, ab; die mittlere Region des letzteren
wird als eine Lotosblume dargestellt und hei der Anbetung dreien von den weib-
Khen Energien (Saldis) zugeschrieben.
Nach des Uippokrates Ansicht geht die Befruchtung im Uterus vor sich
Igpli Vermischung des männlichen und weiblichen Samens^ ohne dass das Men-
Tiationsblut dabei betheiligt ist* Ist aber die Befruchtung geschehen, so treten
die Katamenien in den Uterus und zwar nicht monatlich, sondern jeden Tag und
werden %\x Fleisch, und so wächst das Kind.
Nach der Hippokratischen Theorie bildet das Weib ebensowohl Samen, als
der Mann. Der Keim enUteht beim Zusammentreffen männlichen Samens mit dem
weiblichen, und die Aehnlichkeit des erzeugten Geschöpfes mit den Erzeugern
rührt daher, dassi der Same, von allen Theilen des Körpers geliefert, eine Art von
repräsentativem Extract des letzteren darstellt. Diese jedenfalls schon vor Hippo*
. krates (nach Flutarch schon bei Pythagorm) geltende Theorie wurde namentlich
I Ton Aristoteles bekämpft; er selbst aber behauptete, dass das Männchen den An-
k^oss der Bewegung (do/q rij^ nivifjöeio^) giebt, das Weibchen aber den Stoff.
^HUs den Stoff beitrag, welchen das Weib an das Erzeugniss abgiebt» sieht Aristoteles
die Katamenien an. und es ist bekannt, wie er bereits die Menstruation des
menschlichen Weibes mit den Blut- und Schleimabgängen parallelisirt hat, welche
zur Zeit der Brunst bei Tbieren beobachtet werden. Die Zeugung vergleicht er
mit der Gerinnung der Milch durch Lab, bei welcher die Milch den Stoff, das Lab
aber das Princip der Gerinoung abgebe. Uippokrates meinte also, dass im Samen
gleich '^ j mische und dan " ' ^p enthalten sei; Aristoteles hin*
^gen vii, ihm nur das dyu (i/'V,>
Galentm bekämpft des AristateUs Ansicht, aber „das Durchlesen seiner Ab-
handlung/ aagt //i>, vbinterlässi trotz mancher vortrefflichen Beobachtungen und
5f3ß XX. Das Weib im Zustande der Befrachtung.
Bemerkungen den peinlichen Eindruck, den wir empfinden, wenn uns ein be-
deutendes thatsächliches Material in gekünstelter Verknüpfung vorgeftihrt wird.*
Die Aerzte der Araber gingen in ihrer Zeugungstheorie wieder auf ArisUh
fdffH zurück. Einer derselben, Averro'es^ welcher 1198 in Marokko starb, er-
klärt die Ovarien als die Hoden der Weiber; bei der Zeugung seien sie unbe-
theili^ und nie stellten verkümmerte Organe dar, ebenso wie bei den Männern
die Brüste. Der Embryo werde durch das Menstrualblut ausgebildeti seine Form
jedoch bedinge hauptsächlich der männliche Same durch seinen Luftgeist. Daher
bezweifelte er auch nicht, dass eine Frau in einem Bade geschwängert werden
könnte, worin vor Kurzem ein Mann eine Pollution gehabt habe. Diese letztere
Beliuuptung wurde noch in unserem Jahrhundert in England Gegenstand einer
gerichtsär/tlichcn Discussion.
Auch in den Gülten verschiedener Völker spielt die Zeugung eine
inyHtiHche Itolle. Ich führe einige Beispiele an. Bei den Schiwaiten, welche
die Hclireckliche lihavani verehrten (man vergleiche Fig. 103), gilt die Zengang
selbst als eine theilweise oder gänzliche Zerstörung; mit der Geburt ist der Tod
eng verbunden; daher ist die lihavani zugleich die Göttin der Wollust, der Zer*
Störung und des Todes. Im Lamaismus haben alle organischen Wesen eine
doppelte Seele; die eine derselben wird die denkende Seele, die andere das Leben
genannt, .lene hat keinen bestimmten Sitz, irrt durch alle Glieder und kommt
erst bei der Geliurt in den Menschen, das Leben aber schon bei der Empfangniss.
Dagegen liegen nach der Ansicht der Khond^s in Indien im Menschen Tier
Seelen: die erste ist die der Seligkeit fähige Seele, die zu Gott {JBoura) zurGck-
k<^hrt, die zweite gehört dem besonderen Stamme auf der Erde an und wird
innerhalb desselben wiedergeboren, weshalb der Priester bei der Geburt jedes
Kindes zu erklären hat, welches der Faniilienglieder in demselben zurückgekehrt
sei; die dritte hat die in Folge der Sünden als Strafe verhängten Leiden zu tragm,
die vierte ist die, welche mit der Auflösung des Körpers stirbt. {JBastian nach
Macpherson.)
Es ist ])ei ims auf dem Lande noch eine weit verbreitete Ansicht, dass zu
einer Schwängerung die beiderseitige Voluptas unumgänglich nothwendig sei, weil
nur auf diese Weise die männliche mit der weiblichen ,,Natur* zusammenzutreffen
vermöge, und wenn einem Manne Zwillinge geboren werden, so lässt er sich im
Gefühle seiner Mannestüchtigkeit gerne necken, dass er „ebenso tüchtig wie fleissig
gewesen". Je grösser die Aufregung, desto grösser ist nach dem Volksglauben
die Aussicht auf einen Buben. Das letztere hat nun allerdings gewisse That-
sachen ftlr sich, wenn nämlich die erwähnte Aufregung auf Seiten der Frau sich
befindet. Aber auch ohne Erregung der Frau kann eine Schwängerung zu Stande
kommen; das wird durch eine Anzahl von Nothzüchtigungsföllen bewiesen, welche
an Bewusstlosen vorgenommen waren.
Dass zu der Zeugung das Eindringen des männlichen Sperma in den Genital-
apparat der Frau ein nothwendiges Erfordemiss ist, das wissen auch die wilden
Völker ganz genau, und manche von diesen, die sogar noch auf sehr niederer
Culturstufe sich befinden, wissen hiernach ihre Vorkehrungen zu treffen. Dahin
gehört z. B. die Mika-Operation, welche bestimmte Stämme Australiens an ihren
jungen Leuten ausführen und welche darin besteht, dass sie mit einem Messer aus
Feuerstein ihnen die Harnröhre von der Eichelspitze bis zum Hodensack aufspalten
und die Wiedervereinigung zu verhindern wissen. Bei der geschlechtlichen Ver-
einigung kommt dann der Ausfluss des Samens ausserhalb der weiblichen Ge-
schlechtstheile zu Stande. Bei den oben erwähnten Orgien, welche bei Braut-
werbungen der Basutho die zu diesem Zwecke abgesandten jungen Manner mit
den Freundinnen der Braut zu veranstalten pflegen, spricht das sich hingebenis
Mädchen dem «lünglinge immer nur die Bitte aus: „Verdirb mich nicht,* d.li« va*
hüte eine Schwängerung; und von den Jünglingen der Massai, welche i
146. Die EnipfängnUs.
567
blädcben freien Verkehr haben, bei denen aber eine Schwangerschaft die unab-
Fwendbare Tödtung des Mädchen zur Folge haben wUrde, berichtet Thompson,
Idass sie ante ejacuhitioneni den Penis extrahiren.
14G« Die Empfäugniss.
Durch den Physiologen Bisehoff wurde in unserem Jahrhundert die Lehre
Indet, dasg bei Jeder Menstruation ein reifes Ei aus dem platzenden Follikel
Eierstockefl eich loslöst und durch die Muttertrompete in die Hohle der
■Gebärmutter gelangt. Und aus diesem Grunde sei auch die Empfanguiss, die
»Conception, um so sicherer zu erwarten, wenn der Beischlaf zu der Zeit erfolgt,
wo die Menstruation herannaht, oder wo sie noch nicht lange vorüber ist. Reichert r
KtwfJrat, EfKjeltnann und Ahlfeld waren nicht der gleichen Meinung, sondern sie
behaupteten, dass das Ei nur befruchtet werden könne, welches sich lost kurz
ivor der Zeit, wo die Blutung wiederkehren sollte. Ist die Befruchtung einge-
treten, dann bleibt die Blutung aus, weil die gelockerte Gebännuttersehleitnhaut^
die Decidua menstrualis nun zur Schwangerscbafts-Decidua sich ausbildet. Manche
Erscheinungen sprechen für diese Einwürfe* So vermochte Leopold nachzuweisen,
dass die Loslösung der Eier vom Eierstocke auch in der menstruationsfreien Zeit
vor sich gehen kdnne; demnach knüpfe sich die Befruchtung nicht au den Zeit-
punkt der Menstruation, Jieigel imd Andere hatten dieses auch schon behauptet
und sie stützten sich auf die Thatsache, dass die orthodoxen Jüdinnen sehr
ifruchtbar sind, obgleich ihnen (nach Mosen 3, 15. 18. 19.) bei der Menstruation
peizu wohnen verboten ist, und obgleich ihnen als Todsünde (nach Mischna, Tractai
lidila 7) angerechnet wird, in kür/.erer Frist, als nach sieben reinen Tagen nach
Aufhören des Blutflusses, mit ihrem Manne Umgang zu pflegen.
Auf die Erörterung dieser Streitfrage kann ich mich hier nicht weiter ein-
en, aber ich werde in Folgendem zeigen, welche Anschauungen hierüber in
alter und neuer Zeit bei den Völkern zu Tage treten.
Einige alt-indische Aerzte rechneten den Beginn der Schwangerschaft von
der letzten Menstniation an; sie rathen, um eine Conception herbeizuführen:
«Mau nbe don IJeischliif immer niich Ablauf der Mooaet aat, wenn der Ta^ vorüber
iflt uad der Lotus sieh schliefst.*
SuSruta dagegen behauptete:
„Die Zeit der Zeugung ut die zwölfte Nacbt nach dem Erscheinen der Menses.*
Die Aerzte der Griechen und Römer knüpften die Empfangniss gleichfalU
an den Zeitpunkt der Menses. HippoJcraies (De geoitura) sagt:
^tlao nenipc poH inenstTuam pargationem ntero concipiont/ AfUMtUä: .Pleratque
poat mensium fluxum, oaüntillas vera fluentibus adhuc menstruis.* Galenui: ,Uoc aatetn
oncepüonis teiDpua est vel incipientibu» vol cessantibus meoetrais.*
Sorantis sagt, dass die Zeit nach der Menstruation die geeignetste fßr die
Smpfangnisfi sei, denn kurz vorher ist der Uterus von dem Menstrualblute zu
erschwert; er leugnet aber nicht, dass die Frauen auch zu anderer Zeit con-
Bipiren können.
Der Talmud (Israels} vertritt schon die Ansicht, dass, wenn der Zu- ' ' r
venitalien oder auch die Beschafi'enheit des Samens eine Ejaculation ui u
:iachen, der Coitus in Rücksicht auf eine Empfangniss als erfolglos betrachtet
rerden inuss. Ein Beischlaf mit gewöhnlicher Erection könne aber befruchtend
rirkeu, selbst wenn eine Immissio penis in die Vagina nicht stattgefunden habe.
Luch sei e» ^., dass weibliche Individuen, auch ohne den Coitus ausgeübt
tu httbeü, tJ' ?chwanf:rpr werden könnten, wenn sich in einem Bade, das sie
^ehmen, Kufullig frisch ; '»^rter Same eines männlichen Individuums befindet,
erste r-^n^ fiinc. ^..^a ist aber nach dem Talmud niemals von einer
5()8 ^X. Das Weib im Zastande der Befrachtang.
Schwangerschaft gefolgt. Einer ganz analogen Anschauung sind wir bei den
Viti-Insulanern begegnet.
Die Möglichkeit der Schwängerung durch einen Goitus w&hrend der Hen-
struation wird von den Talmudisten anerkannt; die Gonception findet am 1^ 2.
oder H. Tage nach dem Coitus statt, und gewöhnlich kurz vor dem Eintritt oder
bald nach dem Ablauf der Menstruation. Dass ein im Stehen ausgeübter Coitns
für unfruchtbar gehalten wurde, haben wir oben bereits gesehen. (Wunderbar.)
Für die Empfangniss gilt bei den Nayers in Malabar der 4. Tag der
Menstruation als besonders günstig; in vielen Hindu-Kasten muss der Mann an
diesem Tage mit seiner Frau cohabitiren, und er begeht eine Sünde, wenn er es
unterlässt. {Jagor,)
Nach der Annahme des japanischen Arztes Kangawa ist die Frau wahrend
der ersten xelui Tage nach den Menses befruchtungsfahig, nachher ist aber diese
Möglichkeit vorbei. (Miyake,)
Die chinesischen Aerzte sagen, dass der Same, welchen sie tsir nennen,
in das Behältniss der Kinder eindringe. Letzteres, tse kong genannt, ist wahr-
scheinlicli der Eierstock, denn hier kommt das Sperma mit Bl&schen zusammen,
welche als die Keime zu betrachten sind. Einer dieser Keime wird von tsir be-
rührt und befruchtet und beginnt nun sich zu entwickeln. {Hureau.)
In verschiedenen Gegenden Deutschlands imd so auch im Franken-
walde glaubt man, dass fiir das Zustandekommen einer Empfangpaiss eine starke
Erregung nothwendig sei, die aber bei beiden Theilen gleichzeitig eintreten mfisse;
und je nachdem die Erregung rasch und kräftig oder langsam und schwach er-
folgt, unterscheidet man hitzige und kalte Naturen und sagt, sie passen nicht zu
einander. Auch weiss man hier, wie fast überall, recht wohl, dass die Unter-
brechung des Coitus vor der Ejaculation vor Befruchtung sicher stelle. Besorgte
Mädchen im Frankenwalde halten oft wiederholten Aderlass für ein Mittel gegen
die Schwangerschaft, sowohl gegen befürchtete, als auch gegen eine wirklich vor-
handene. Auch glaubt man daselbst noch häufig, dass der Beischlaf wahrend
des Monatsflusses wie während der Säugungsperiode nicht schwängere, und nur
die Ansicht, dass ein Beiwohnen während der Periode dem Manne schädlich sei,
hindere eine häufigere Enttäuschung. {Flügel.)
147. Der Einfluss der Jahreszeiten und der socialen Zustände aaf die
Empfilngniss.
Die Physiologie hat in dem Vorgange, welcher sich im weiblichen Körper
durch die Menstruation, durch die Ovulation, d. h. durch die Lösung eines reifen
Eichens vom Eierstocke, und durch die Gonception, die Empfangniss kundgiebt,
80 grosse Aehnlichkeit mit dem bei Thieren auftretenden Processe gefunden, den
man als Brunst zu bezeichnen pflegt, dass sie meist für identisch gehalten werden.
Allein schon in der regelmässigen, von der «lahreszeit abhängigen Wieder-
kehr der Brunst schien ein Moment zu liegen, durch welches ein wesentlicher
Unterschied derselben von der ziemlich gleichmässig allmonatlich auftretenden
Menstruation des Weibes bedingt ist. Es wird daher von einigem Werthe sein,
an der Hand der Statistik zu prüfen, ob sich auch bei der Empfiingniss der Ein-
fluss der Jahreszeiten bemerklich macht. Hierbei wird aber zu berücksichtigm
sein, dass der Wechsel der Jahreszeiten nicht nur auf den weiblichen Organismns
einwirken wird, sondern auch auf den männlichen, und dass der Letztere ui Folge
dessen einen grösseren oder geringeren Appetitus coeundi zeigen wird. Und so»
mit muss die Steigerung oder Verminderung der Gonceptionen je nach den Jahres-
zeiten mindestens zu einem grossen Theile durch die sexuelle Erregung des
liehen Theiles der Bevölkerung ihre Erklärung finden.
147. Der Einfluss der Jahreszeiten und der socialen Zust&nde auf die Empfängniss. 569
Im vorigen Jahrhundert war Wargentih mit der Bearbeitung einer BevGlkerungs-
Statistik von Schweden beauftragt worden. Er hat darin bereits auf die regelmässig all-
jährlich wiederkehrenden Monats-Mazima und Minima der Fruchtbarkeit hingewiesen. Später
wies dann Quetelet nach, dass meist ein Geburten- Maximum im Februar, ein Minimum un-
gefähr auf den Juli traf; seine Beobachtungen erstreckten sich besonders auf dio Nieder-
lande (1815 — 26) und auf Brüssel. Er zeigte auch, dass dieser Einfluss deutlicher bemerk-
bar ist auf dem Lande als in den Städten; das Maximum der Conception im Mai entspricht
nach ihm der Erhebung der Lebenskraft Dach der Winterkälte; auf dem Lande aber, so
meinte er, finde die Bevölkerung weniger Schutz vor den Unbilden der Witterung, wie in
den Städten.
Villerme fand ebenfalls, dass in Europa das Geburten-Maximum, entsprechend den
Conceptioncn im Mai und Juni, im Februar und März stattfindet, und dass diese Steigerung
jedenfalls dem Einflüsse des Frühlings zuzuschreiben sei. Um nun zu zeigen, dass die un-
gleiche Vertheilung der Geburten auf die verschiedenen Monate ganz überwiegend eine Folge
des Einflusses des jährlichen Laufes der Erde um die Sonne und der daraus hervorgehenden
grossen Temperaturveränderungen sei, beschränkte sich Ft72erfitc' nicht auf die europäischen
Staaten, sondern er dehnte seine statistischen Untersuchungen auch auf die südliche Hemi-
sphilre aus: in Buenos Ayres, wo die Jahreszeiten in derselben Ordnung wie im Norden,
nur zu entgegengesetzter Zeit sich folgen, erweisen sich dieselben Einflüsse auch auf die Ge-
burten-Frequenz wirksam.
Nach ViUerme haben die Zeiten, in welchen die Heirathen am häufigsten, und jene,
in welchen sie am seltensten sind, keinen sichtlichen Einfluss auf die Vertheilung der Ge-
burten nach Jahreszeiten. Dagegen zeigt sich ein Einfluss jener Jahreszeiten, die man als
Epoche der Ruhe und Arbeitserholung beobachtet, und jener, welche sich durch reichliche
Nahrungsmittel und erhöhtes gesellschaftliches Leben auszeichnen. Erniedrigend auf die
Häufigkeit der Geburten (resp. Conceptioncn) wirken die Zeiten der beschwerlichen Arbeit
(Erntezeit), der Lebensmitteltheuerung, die strenge Beobachtung der Fasten. Und Villerme
kommt dann zu folgendem Schluss:
,Die Umstände, welche uns kräftigen, erhöhen unsere Fruchtbarkeit, und diejenigen,
welche uns schwächen, und noch vielmehr die, weiche die Gesundheit untergraben, vermindern
sie, womit jedoch keineswegs gesagt ist, dass die Gesundheit allein die Fruchtbarkeit regelt.*
Wappäns hat durch seine Untersuchungen, die sich auf Sachsen, Belgien,
die Niederlande, Schweden, Sardinien und Chile erstreckten, folgendes
gefunden :
Das erste allgemein sich zeigende Steigen der Geburtenzahl in den Monaton Februar
und März, entsprechend der grösseren Zahl der Conceptioncn im Mai und Juni, ist der be-
lebenden Einwirkung der Jahreszeit zuzuschreiben. Diese physische Wirkung wird aber
bei den katholischen Bevölkerungen verstärkt durch die mit den Einrichtungen der Kirche
in Beziehung stehenden besonderen Sitten und Gebräuche. Von dem Maximum dieser
ernten Steigerung an sinkt die Zahl der monatlichen Geburten wieder schnell herab, bis sie
in den Monaton Juni, Juli und Augast ihr Minimum erreicht. Dieses Sinken hat ebenfalls
überwiegend einen physischen Grund; es wird bewirkt theils durch die mit der Höhe des
Sommers anfangende und allmählich zunehmende Erschlaffung der allgemeinen natürlichen
Productionskraft, theils durch die von der Sommerhitze vielfach erzeugten, mehr oder weniger
gefährlichen epidemischen Krankheiten. Verstärkt aber wird diese natürliche Einwirkung
besonders gegen das Ende dieser Periode durch den den Conceptionen ebenfalls nachtheiligen
Einfluss der sehr angestrengten und oft selbst wenig nächtliche Ruhe zulassenden Arbeit
der Erntezeit. Beide Ursachen zusammen bewirken, dass in allen Ländern die erste
Senkung der Curve die tiefste ist. Das Minimum tritt im Norden später ein, als im Süden,
theils weil im Süden die allgemeine Erschlaffung in der natürlichen Lebenskraft sich früher
einstellt, als im Norden, theils weil im Norden die anstrengenden Erntearbeiten später fallen,
als im Süden. Von der Mitte des Sommers an, oder in Schweden vom August an, steigt
die monatliche Zahl der Geburten aufs Neue und erreicht überall ihr zweites Maximum im
Monat September. Die Ursachen dieses iweiten Steigens sind entschieden nicht physischer,
sondern socialer Natur. Die tweite Erhebung ist im Süden und bei katholischen Be-
völkerungen im VerhäUniM lur ersten nur gering, im Norden dagegen übertrifft sie die erste,
so dass in Schweden der Monat September dai absolute Maximum der Geburten darbietet.
Der Qrund dieser merkwttidigen Encheiiiiiiig ist darin su suchen, dass im Norden die die
Beprodnetioii begttMtigflBdeB Kige&tMmUehkeiteii des Lebens im Winter viel entschiedener
570
XX. Das Weib im Zustande der Befruchtung.
hervortreten, als im Süden, vielleicht dass tiusserdem auch die Btrengere Beobachtung d«
kirchlichen Vorschriften für die Adventszeit bei den katholischen Bev5lkertingeii des Sfidvi
die Fruchtbarkeit des Monats December beschr&nkt. Nach dieser sweiten Steigening erfolgt
nun wieder ein zweites Fallen bis zum November oder December, jedoch nicht ao tief, m
das erste im Sommer, und im protestantischen Norden weniger tief, als im katholitehn
Süden. Die allgemein wirkende Ursache dieses Fallens ist wohl ohne Zweifel in den überall
auf die Gesundheit mehr oder weniger ungünstig wirkenden üebergftngen dee Winters mm
Frühling zu suchen, welche ungünstige physbche Einwirkung auf die Coneeptionen in
Februar und März im katholischen Süden durch die in demselben Sinne wirkenden auf-
gelassenen Vergnügungen des Carnevals und die strenge Beobachtung der Fasteuzeit
verstärkt wird.
,VVie Sachsen den übrigen europäischen Staaten gegenüber gewiner maaaMn sich
verhält wie eine städtische, industrielle Bevölkerung gegenüber einer ackerbauenden, so drückt
sich in der die Verhältnisse Chiles darstellenden Curve noch potenzirt der Charakter nnienr
ackerbauenden Bevölkerung aus.*^
Sormani hat diese Verhältnisse für Italien studirt:
Die Anschwellung der Empfängnisszahl tritt im Süden Italiens frühzeitig^, im Norden
dagegen erst später im Jahre ein, so zwar, dass sie in den südlichsten Gegenden schon anf
den April trifft und mehr und mehr sich bis in den Mai und Juni verspätet, je mehr man
sich dem Norden nähert, bis sie schliesslich im nördlichsten Theile der Halbinsel auf den Jnli
fUllt. In den südlichsten Landstrichen von Italien ist nur ein Maximum und Minimum
vorhanden, während in den nördlichsten Landestheilen zwei auftreten. Das Minimum, welches
der heissen Jahreszeit folgt, hat eine entschiedene Neigung um so erheblicher su werden, je
mehr man sich dem Süden nähert, während das Minimum, welches sich an die Winterkftlt«
knüpft, mit dem Norden zunimmt, bis in den nördlichsten Theilen das nachwinterliche Mini-
mum grösser wird, als das herbstliche. Im Allgemeinen sind die Schwankungen in den Gurren
der Empfängnisse um so stärker, je mehr man sich nach Süden wendet
Am besten Yeranschaulicht eine Tabelle, welche Mayr aufstellte, die Grenzen.
innerhalb welcher sich die Geburten und die Empfangnisse nach Monaten bewegen:
Tagesbetrag der Geburten (mit Einschluss der Todtgeborenen).
Deutsches
Reich
, Jahre 1872-187:>
Bayern
Jahre 1872-1875
Italien
Jahre 1863-1871
!
Frankreich
Jahre 188S— 1871
Januar
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September. . .
Oc tober
November . . .
December . . .
Kalenderjahr
4889
4997
4913
4739
4605
4497
4582
4691
5029
4770
4756
4710
4763
578
603
594
582
575
566
566
552
582
5(34
566
553
573
2848
3025
2928
2805
2533
2371
2419
2496
2663
2605
2624
2587
2656
I
2887
8060
8018
2911
2742
2610
2625
2620
2661
2608
2749
Beiikemann zerlegte das deutsche Reich in vier verschiedene Gruppen für
die Jahre 1873—1877:
1. Der Nordosten: Provinz Preussen, Pommern, Grossherzog^um Mecklen-
burg-Schwerin. 2. Der Nordwesten: Provinz Hannover, Schleswig-Holstein, Ham-
burg, Bremen, Reg.-Bez. Münster. 3. Der Südosten resp. die Mitte: Provinz Schi et ien,
Sachsen, Königreich Sachsen. 4. Der Südwesten: Königreich Bayern, Württem-
berg, Grosshorzogthum Baden, und Elsass-Lothringen.
.ledcs Jahr hatte den Typus des Gcsammtreichs, obgleich gewisse Abweichungen im
Einzelnen vorkamen. Die beiden Jahresmaxima der Geburten fallen im Reiche auf Fabnur
und September, und so verhält es sich auch in den einzelnen Jahren, mit Anmahmo dfli
Jahres 1877, wo das erste Maximum auf den März fällt. Das erste Minimum gehOct i
147. Dor EiDÜu8» der Jähredseiteti und der socialen Zasiande auf die Empfl^ngniss. 57 1
Juni an, nur im Jahre 1875 tritt es bereite im April und Mai ein» das zweite Minimam im
December oder November. In drei Jahren ist das Winter- Maximum daa bedeotenderet in
zweien füllt dasBelbe auf den SepU^mber, Es ist noch herTor^ubeben, dasa zuweilen ein
drittea Maximum und Minimum am Knde des Jahres auftritt^ nämlich ein Maximum im No*
vember, ein Minimum im October.
In der 1. Gruppe (Nordosten) eröffnet der Monat Januar den jährlichen Geburtentag
yoü einem hohen Yerhfiltniss, dat jedoch zum Februar noch steift und damit das erstem daa
nannte FrÜhjahrs-Maxirnnm erzeu|^^ Vom Februar nü.mlich sinken die Geburten ununtor-
ben bis stum Juni, dem Monat des absoluten Minimums, nach welchem sogleich ein Steigen
erfolgt, plötzlicher und stärker als das vorangegangene Fallen. Im September wird dann das
zweit« und höchste Maximum erreicht; doch bereits im folgenden Monat October »eigt sich
I das zweite Minimum^ das Über dem Durchschnitt bleibt.
Die hohe Zahl der ConcepUonen von April bis Juni rQhrt von dem Einflusa dea FrQb-
lings her, welcher den Conceptionen besonders günstig ist. Die starke Abnahme der Con-
''Ceptionen von Juli bis September und der noch niedrigere Stand im October sind weniger
dem physischen KinÜusse der heissen Jahreszeit «uxuschreiben, sondern atehen hauptsIlchUch
mit dem wirthi?chaftl)chen Leben der Bevölkerung in innigem Zusammenhange: ein Über-
wiegender Theil deriselben ist im Ackerbau thUtig, deshalb auch im Sp^t^ommer bei der Ernte
und Bestellung der Winterfrüchte physisch so sehr in Anspruch geuommen^ daj» aueh die
I Conceptionen darunter leiden. Die Zeit, welche hier im Nordosten stur Feldbestellung frei
I bleibt, ist bereits um etwa einen Monat kurier, als im Westen; ein Theil der mUnnlichen
iBevölkertmg ist in der warmen Jahresxeit auf See. Nachdem aber die Ernte vollendet,
[leichtere Arbeit und Erholung eingetreten, dann beginnt ein bedeutender Aufschwung der
I Conceptionen, der im protestantischen Norden durch die Weihnivcbtszeit befördert wird.
[Doch darauf tritt im Januar ein natürlicher Riickichlag ein, und in den Monaten Februar
Innd MB.rs scheinen die wirthachaftlichen und socialen Factoren wieder Anlaiis zu einer
[Bteigening ku geben.
Die »weite Gnippe, der Nordwesten, welcher im Wesentlichen auf denselben wirth-
[•chaftlichen Grundlagen beruht^ wie der Osten, und noch manches andere mit ihm gemein hat,
auch im Allgemeinen einen lihnlichen Typus der Vertheilung der Geburten. Das Mini-
im Juni tritt nicht ganx so stark* auf« wie im Nordosten; das Minimum der Geborten
im Winter dagegen Hlllt tiefer und spILter Einmal werden die grossen Städte Hamburg
und Bremen das Element des Handels und der Gewerbe mehr asur Geltung bringen als die
Seestädte der Ostsee, andererseits wird, namentlich in Bezug auf das sweile Minimum, die
Kirche von Einfluss sein, indem der Nordwesten ein gr&eseres YerhaUnisa der katholischen
Bevölkerung aufweist als dt^r Nordosten, wodurch sich der Unterschied begründen lässt.
Beihen wir die dritte Gruppe (den äQdostun) hier an, so treten uds, insbesondere
wenn dieselbe auf dasi Königreich Sacbson boechrUnkt wird, gewichtige Differenzen ent*
gegen. Dai Vorherrschen der Industrie^ alno die Beschüftigung der Bevölkerung , scheint
I hier für die Vertheilung der Gebarten maasfgebend ku sein, was sich in den Hommermonateii
I geltend macht. Da die industrielle Beschäftigung gemeiniglich in allen Jahreszeiten dieselbe
! Anstrengung verlangt und insofern also die Vertheilung der Geburten nicht beeinHuBnen
I wird, so müssen es einmal die klimatischen und socialen Verhllltnisse, andererseits die wirth-
I •chaftlichen Wechsel und Conjuncturen sein, welche die Schwankungen der Geburten nach
[Monaten bestimmen.
Hieran ächliesst sich die vierte Gruppe (der Südwesten) sowohl dem Gebiete nach,
der Aehnlicbkeit der betreffenden VerbMtnisse gemlLss. Die Vertheilung der Geburten
^ in der That manches mit der dritten Gruppe gemein» vor allem die schwachen Extreme.
1t Eigenthrimlichkeiten sind hervorzuheben, dass in Süd-Deutschland das Frühjahra-
maximum der Conceptionen dasjenige im Herbst regelmässig übertrifft, während es in den
LHbrigen Gruppen gewöhnlich übertroffen wird, femer dass in der vierten Gruppe das Moment
Ider katholischen Kirche am mächtigsten wird. Hier gehört bekanntlich die Mehrzahl dieser
lEirche an, während im Übrigen Deutechland die protestantische Kirche vorherrscht. Die
katholische Kirche erzeugt im ganzen Winter eine Erniedrigung der Conceptionen, dabei
wird aber im Februar gewöhnlich ein Maximum und im folgenden März ein Minimum gebildet.
Da Ostern aber nicht auf dasselbe Datum fQllt, sondern in den Grenzen eines Monats schwanlrt,
»o kommt es in vielen Jahren natürlich vor, dasä die letztgenannte Beeinflussung sich zxtweilen
|irerd«ckt, ohne dass aossergewöhnliche Beeinflussungen eintreten.
Auch in Eussland giebt es, wie fast überall » zwei Geburten-Maxima; allein hier fallen
feie auf den Januar und October; die relative Mehrzahl der ConceptioDen Hndet demnach im
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D?: i^L EiTi/lTTT. -•- iir Irintz^ MrÄ-i* "»^iti« rr7»"-Ty. SooLiMr. Herbst: bei da
HtlrUr:. JrL' "r. i*:=^rr. EsröK. 'S'iiT«: le. f-si r'r:«Rizs^: FraUin^, Winter.
v,':iii.?r. E TT :■•':- .lie ÄiTr-ii-Eiif "^«rLirJrir iar C.:3l^Ktä^l«l ^mA den JahiVBieiSBB.
rie ri» E^-ftl <.*£ L-iiv»^':. - u^ fcj r*£r-:iT'fcrLLT?<a: Ji^^t^tSJhi . ,iss bediagt durch die
iiiklwi.i^ --i i-iT?!^* Jftr:*z.:^i: :~ Trül-zj s*:-*-!* i=":i =i* «K-deBden Feldarbeiten in
V. =.:!*?.■'. Iz. Z-rÄn.— TiJiLi^T i-fmi": ncii Ai:ii ü* i-svicciec^i c?<TiHere a»»^1i1 ^^,| pi».
!<:ili*'if:ir.?rr. 1=1 Hrr":-* i^i "K'n.-.-s: ü i=. S:'L=;er ^ii Früjfatff. «ae EnebeiBtii^, welche
tizi. Tl.*:. i-r:i i.r ^rr'uiz.'.'rz. 7r**LiEi r:zi Tiril i:=-:i üe N:--±ve&iSigkeit d«s Abwwtm
c*r y.zzJ\-^ cr'tlLn "■"^ri-rz. ili-.-.'
A"-*r in irr- Siai:^- r*-fs".ä-i? vxniiilei tili, ü* CosceptioaeB andez«. als auf
ikzz. Lüir. iiez. iä.- 2»-äi:~-:L i-: i*- Hert-r. illl:: i*:*i&rr f:üg«ti: Winter. Sommer and
rrtLlii-iv "K-ie Ali z:^z^z.Lr:Z ZäHt=. r- -rrt^iTr. isi:
Kr-iLlin^ ITT,-.? 1552^
y>mE.er i^-:.?.^ 1333,$
HerUt 40M.? 4462.7
^V:::ter c>T?.5 4651.2.
W-Ai fi:e ::LrL^' ichen C-.nc-rTiiiren Ir. Kasflatd wirifFt. » änsseil ach bei ihnen
ihr tat'jrücLe tinf -=• ier -.■s-rschiei^r.« Jihreizeites ie::tl:cher als bei den ehelichen. Die
Nfaz:r£.& der ':r.-r>.f:!:icr:r. '.-.r.cepni.er. : allen ia den ire^ienropäischen Staaten aaf doi
KrrjhÜLy Mt'i S .::::.'. *rr. die Mir.ina auf den Herb?* :itd Wirier, wol-ei die Difleremi xviachen
it:r. Mazir.'.i^ :2r.'i MiE:rr.ir •.ede-:eci grTs^er i*:. al* fc-e: den ehelichen Conoeptionea. In
ft^ik-lund :'al!t dir Maii.v.i^. der «nehelichen Concep lionen auf den Winier und Frühling,
i a- hin/. II. : m a -j f den .S o s. l-. er - r. ■ : Her b ^t . Fol ge n de Zahl ea .znterrichten üb«' die Vert heilang
1 «T u n «j t* ". lieh e:i C oi. ';e j t i o r. en :
V.'inier :3161.4
Frühling oOTT.?
Herbrt 2s2^.b
.Somicer ■J42"2,3.
Auch ffir Deutschland and für Frankreich fand Beukemann^ daas die
\ HT\.\\*{\\nu^ der unehelichen Conceptionen von den sogenannten physischen Ean-
lij'^H"n Htärker hew«-^ wird, als die der ehelichen.
XXI. Die Unfruchtbarkeit des Weibes.
148. Warnm sind Frauen nnfrnchtbar !
Bevor wir uns auf eine genauere Untersuchung über die Fruchtbarkeit der
Weiber bei den verschiedenen Völkerschaften einlassen, wollen wir zu erfahren
suchen, was fttr Anschauungen bei ihnen in Bezug auf die Unfruchtbarkeit
herrschend sind, auf was für Ursachen sie dieselben zurückf&hren und welcher
Mittel sie sich bedienen, um sie zu bekämpfen und zu heilen. Es ist hierbei
allerdings nicht gut zu umgehen, auch des Vergleiches wegen die betreffenden
Ansichten über die Fruchtbarkeit mit heranzuziehen, jedoch will ich bemüht sein,
Wiederholungen nach besten Kräften zu vermeiden.
Die Unfruchtbarkeit wird bei den meisten Völkern als ein besonderes Un-
glück angesehen, als ein Fluch, welcher entweder auf beiden Eheleuten, oder,
und das ist bei Weitem das Häufigere, allein auf dem unglücklichen Weibe
lastet. Aber die Ursache dieses Unglücks wird nicht immer in den gleichen Um-
ständen gesucht.
Die Talmudisten waren der Meinung, dass die Fruchtbarkeit oder die
Unfruchtbarkeit der Weiber von dem Willen Gottes abhängig sei. In dem
Midrasch Debarim Rabba wird ein Ausspruch des Rabbi Jonathan angeiiihrt,
welcher lautet:
«Drei Schlüssel befinden sich in Gottes Hand, Ober welche kein Geschöpf verfügen
kann, weder ein Engel noch ein Seraph. Es sind der Schlüssel zur Todtenbelebung , der
Schlüssel für die Unfruchtbaren und der Schlüssel zum Regen.* fWünsche^.J
Die Mohammedaner zeigen auch hier ihre Ergebenheit in den Willen
ÄUahs, Seine FQgung ist es, welcher die Frau ihren Unsegen zuzuschreiben hat.
Dementsprechend steht auch im Koran:
Gott macht nach seinem Willen, dass eine Frau M&dchen, eine andere Knaben, eine
andere Kinder von beiderlei Geschlecht bekommt; er macht auch nach seinem Willen
die Frau unfruchtbar.
Bei den Slaveninlstrien gilt die Kinderlosigkeit für ein Zeichen von Gottes
Zorn; unfruchtbare Weiber heissen dort »Scirke* d. h. Zwitter, (v. Düringsfeld.)
Aber nicht Gott allein scha£Pt Unfruchtbarkeit, sondern auch Dämonen und
böse Zauberer. Wir hatten ja frOher bereits gesehen, dass in Bosnien und in
der Hercegoyina die Unfruchtbarkeit dadurch ihre Erklärung findet, dass man
behauptet, die Frau habe mit dem Bösen im geschlechtlichen Verkehre gestanden.
Allerdings wird auch anderweitige Bezauberung als die Ursache angesehen, und
dann muss der Geistliche über Johanniskraut (Gospina trava, Hypericonum) den
Segen sprechen. „Dieses Kraut ist dann zu kochen und einige Tage in der Frühe
zu trinken. Ausserdem aber soll die Frau diese Pflanze bei sich tragen.*^ (Glück,)
Die Zauberer oder Medicin-Männer in Süd-Australien werden von den
Weibern sehr geftirchtet, weil man fest von ihnen glaubt, dass sie die Macht be-
sitzen, sie unfruchtbar zu macheiL (Brough-Smüh.)
Doch Moh bei anderen Nationen hUt man es f&r möglich, dass böse Men-
schen doiüh ihre ZanbeikOnito die Befroehtang der Frauen zu verhindern ver-
mögen, 1 nl ad in Rvssland, aber auch bei den Ma-
574 XXI. Die Unfrachtbarkeit des Weibei.
f^yaren. Will man bei den Letzteren eine Frau unfhichtbar machen, «so reibe
man die Genitalien eines todten Mannes mit den Menses des betreflEenden Weiba
ein/ (V, Wlislocki^.) Ferner haben die Magyaren noch einen Zauber, welchen eben-
tall.s r. WUslocki^ berichtet. Wenn eine Frau einer anderen, während sie schlaft,
ihre Milch auf den Kopf spritzen lässt, so wird sie niemals ein Kind geb&ren.
Die Weiber der Bakhtyaren im westlichen Persien pflegen sich mit
Amiileten zu behängen, welche die Zauberkraft besitzen, ihre Rivalinnen un-
fruchtbar zu machen, während sie die Treue des Oatten gewährleisten nnd ihnen
selbst ein(; reiche Nachkommenschaft sichern. (HoussayT)
Auch durch Unvorsichtigkeiten in der Diät, oder in dem sonstigen Verhalten
kann l-nfruchtbarkeit hervorgerufen werden. Ist auf den Vi ti- Inseln eine Fraa
.stcriK so glaubt man, dass sie irgend einmal ,»das Wasser der Unfruchtbarkeit*
getrunken habe, (lilyth.)
Die Frauen der Kitsch-Neger und Adael im äquatorialen Afrika west-
lich vom weissen Nil verrichten ihre Abwaschungen nicht nodt Wasser, weil
sie davon Unfruchtbarkeit ft\rchten; sie nehmen dazu viel weniger unschuldige
Flüssigkeiten.
Unter den West-Australiern herrscht die Ansicht, dass die Mädchen un-
fruchtbar werden, wenn sie nach dem 11. und 12. Jahre Fleisch vom Beuteldachs
(Bandicut) geniessen.
Bei den vorher erwähnten Bakhtyaren ist es genügend, um eine Frau
unfruchtbar zu machen, dass sie, ohne es zu wissen, irgendwo Schweinefleisch
angerührt hat.
pDioser Abor^hiubo ist otibnbar sehr alt, jedenfalls älter als der Islam; denn seit Be-
kehrung der Stumme haben die Frauen ja gar keine Gelegenheit mehr, dieses Prodact ni
berühren.* Cllouasaij.J
lieber die Weiber in Liberia sagt liüttikofer:
n£igonthamlich ist der schon zu Dapper's Zeiten unter den Vey herrschende Aberglaube,
(losH eine Frau unfruchtbar werde, wenn sie zutUllig die Eier der auf der Erde brfltenden
Nachtächwulbe zertreten habe. Indessen weiss auch hier, wie überall, der buli kai, der Fetisch-
liricMtor, durch allerlei Mittel den vorgeblichen Zauber zu beschworen."
Bei den Magyaren bezeugt eine Kedensart, dass auch das Uriniren auf
einen Todten Sterilität zu erzeugen vermag; denn in dem Kalotaszeger Bezirk
sagt man von einem unfruchtbaren Weibe: sie hat auf einen Todten urinirL
(V. WlislocJci''.)
Bei den Chippeways und einigen anderen Indianer-Stämmen sieht man
die Unfruchtbarkeit der Weiber als einen Beweis der ehelichen Untreue und
künstlicher Fehlgeburten an. {de Lact- Ken fi)Uf.)
Bei manchen Negervölkern wird die Unfruchtbarkeit als eine Folge daTon
betrachtet, dass die Frau vor ihrer Verheirathung einen liederlichen Lebens-
wandel führte.
149. Physische Ursachen für die Unfruchtbarkeit.
Trotz aller derartigen mystischen Anschauungen dringt doch ziemlich früh-
zeitig die Erkenntniss durch, dass der Unfruchtbarkeit der Weiber auch noch
andere Ursachen zu Grunde liegen können, welche in Äbnonnitäten der körper-
lichen Entwickelung oder in ähnlichen physischen Eigenschaften der betrefiFenden
Frau bedingt sein mögen. So sagt auch bereits Mohammed:
y Ziehet oinc Frau vor, deren Haut braun ist. denn «ie ist fruchtbar gegenüber einar
Frau mit allzu Iicllcr Haut, die violloicht unfruchtbar ist."
In Bosnien und der liercegovina sucht man sich durch bestimmte Mittel
davon zu überzeugen, ob eine Frau im Stande ist, befruchtet zu werden.
diesem Zwecke giebt man ihr, ohne dass sie den Grund dafür
149. Phjiische Ursachen Air die rttfrucbibarkeit.
575
röh ein Glas warmes Wasser zu tritikeu, m welchem etwas Lab von einem Haseu
ifgeweicht wurde. Wenn sie darauf Schmerzen im Unterleib versiiürt, so wird
ie gebären, wenn aber diese Schmerzen sich nicht einstellen, so wird sie un-
fruchtbar bleibeiL (GUkfcj
Eine ähnliche Probe für die Conceptionsiahigkeit wird von HippokrcUes an-
jfegeben :
,Wenn du ein Weib bebandelst, um sie fähig /.ur Conception za machdn, achelnt «ie
Qägereinigt und der Matiermund in löblichem Zueiund tu sein, so bado sie^ reibe ibr dea
Kopf nb, aalbe sie aber in keiner Wei^e ein. Dann acblage ibr ein nicht riechendes, g^e-
ebenes Leinwandiuch um den Hala und binde eine rein gewaschene oder nicht riechende
baube diurQber, nacbüem du zuerst dtu leinene Tuch eingebunden hti^t, dann lege der
^ftu abj^ekochtes Mutterbarx, welches wxn Feuer und nicht un der Sonne erweicht worden,
^8 Mutterkranz ein und taas nie schlafen. Weun sie Hieb dann am anderen Morgen früh die
jletzhaube mit dem Leinwand tuche abgenommen bat, bö lasse sie jemand an ihrem Scheitel
echen; giebt ^ie einen Geruch von sich, ao steht ea mit der AuBreinigung gut, wenn nicht,
Ipblecbt. Das Weib thue dies aber nöchtern, Ist sie aber unfruchtbar, so wird sie weder
»reinigt, noch soufet einen Geruch verbreiten. E« wird aber auch nicht eo gut riechen, wenn
||} Jenes einer Schwangeren einlegst. Bei einem Weibe aber^ welches oft schwunger wird,
Weht concipirt und gesund ist, wird der Scheitel riechen, selbst wenn du ihr kein Mutter-
Ipfchen einleget und sie nicht ausreinigst: ausserdem aber wird er nicht riechen.*
Eine Vorstellung von den Ursachen der Sterilität und eine sich gegen die-
elben richtende Therapie besassen ohne Zweifel schon die alt griechischen
Aerzte. T^nch Hippolrates können folgende Zustände Sterili tut bedingen: l. Ver-
Jrehung und HciiiefHtellung der Gebärmutter; 2. ssu grosse Glätte der Innenwand
"erselben, bei der der Same nicht zurückgehalten wird; 3. Suppression der Menses
ind Obstructioü oberhalb des Mutternnmdes; 4. Ueberfiillung des Uterus luit
^hit und Obermässige Secretion des Menstrualblutes, welches das Sperma weg-
»ölt; 5. Gebärmuttervorfall» bei dem die Uterusmündung hart und callös wird.
fach PaiduH von Acffina wird die Sterilität zuweilen durch mangelhafte Ernah-
ruDg, zuweilen durch Plethora hervorgerufen. Demgemäss muss die allgemeine
»beusweise geregelt werden, Fette Weiber sind zur Zeugnng untauglich, w^eil
Ke nicht genug Samen haben, ebenso heruntergekommene. Die Weiber müssen
eine Kost zu t^ich nehmen, die den Monatsfluss befördert. In solchen Fallen, wo
die [ible Beschaffenheit (Intemperamentura) des Uterus die Sterilität bedingt und
pe sich durch Ausbleiben der Menses kennzeichnen, muss eine aromatische, stimu-
reude Nahrung gegeben werden, um die natürliche Wärme anzuregen; gleich-
Bitig soll der Unterleib frottirt werden, Ist der ganze Kdrper warmer als ge-
röbnlieh, die Mi ?on spärlicher als sonst und schmerzhaft, sind die Ge-
chlechtstheile g» j, so muse man hieraus schliessen, das» der Uterus ein
rarmes Intemperauient hat. Da ist eine kdhlende, feucht-e Kost angezeigt und
bhenso kühle Umschläge. Bei Sterilität, bedingt durch Feuchte des Uterus, «ind
die Menses dünn und profus; hier ist austrocknende Kost zu wählen. Bei grosser
Trockenheit der Gebärmutter heilt man die Sterilität mittelst Bäder uud Salben*
Behindert dicker ,, Humor* die Conception, so muss dieser lierausbelordert w^erden
durch Purgantien, Ist dagegen die Gebärmutter aufgebläht, so wende man Aro-
latica und F*essarien an. Einen verschlossenen Muttermund erööne man mittelst
pmatischer Injectionen, und gleichzeitig gebe man Terpentin, Nitrum, Elaterium,
Rssia und Theerwasser; hei klaflfendem Muttermunde hingegen Adatringentien.
iweilen ist die Befruchtung dadurch behindert, daas eine Distorsion des Uterus
esteht; hier ist der Coitus a posteriori jr ' res empfiehlt auch Ori-
usius^ der aber auch weiterhin sagt, n Muttermund erweitern,
um eine Schwangerschaft zu ermöglichen, vrährend in anderen Fällen mittelst
Adstringcntien die klaffenden MnttermundsUppen einander genähert werden
^püasien, um das Abtliessen de» Sperma zu verhüten, (Jenks.) So verworren
h diese Ideen und i{atfai«cbluge zu einem grossen Theile waren, so sind
576 2^- ^® Unfruchtbarkeit des Weibes.
sie doch immerhin die ersten ernsten Anlaufe zu einer rationellen Behandlung der
Sterilität.
Auch im Talmud ist von physischen Zeichen die Bede, an welchen man
eine imfruchtbare Frau zu erkennen vermöge. Man kann bei einem Weibe Ste-
rilität vermuthen, wenn sie bereits ihr zwanzigstes Jahr erreicht hat, ohne an
den Genitalien eine Behaarung zu besitzen. Femer galt dann eine Frau f&r sieril,
wenn die Brüste nicht ausgebildet waren, wenn eine Abnormität in der Bildung
des weiblichen Schoosses bestand, wenn die Frau Beschwerlichkeiten bei der Aus-
übung des Beischlafes hatte und wenn sie eine männliche Stimme besage.
(Wunderbar.) Es ist nun allerdings zu vermuthen, dass diese so geschilderten
Personen überhaupt gar keine Weiber, sondern missgebildete, mit Spaltbildongen
der Genitalien behaftete Männer gewesen sind.
Die Ideen iea Hippokrates haben sich lange Zeit in Europa erhalten. Noch
im Anfange des vorigen Jahrhunderts schlägt ,des getreuen Eckarth's Heb-
amme *" vor, auf folgende Weise zu probiren,
,ob eine Frau (in die ein Zweifel der Fruchtbarkeit gesetzt wird) fruchtbar tey oder
nicht. Ich nehme eine dergleichen Person, umhülle ihren gantzen Leib mit decken, da»
nichts heraus kommen kann, nachdem nehme ich eine Feuersorge, darein lege ich einige
glüende Kohlen und auf solche streue ich zerqvetschte Wacholder- oder Jochandel-Beeren
(baccae Juniperi), lasse den Dampft davon in die Mutterscheide gehen, wann man nach einer
Weile den Geruch aus den) Munde oder Nasenlöchern der Frauen empfindet, so ist die Penon
vor fruchtbar, wo aber das Zeichen nicht erfolget, vor unfruchtbar zu urtheilen.*
Diese Anschauung stösst aber bereits auf Widerspruch und es wird ihr
entgegengehalten :
,Ja wenn ein Mensch einem Trichter gleich w&re und in der Cavität des Leibes keioe
viscera und intestina entgegen stünden, damit der Broden durchgehen kOnnte, Hesse ich ei
(dass der Dampff die obem Theile berühre) noch passiren. Aber diejenigen Personen, die
den Geruch nicht empfinden vor unfruchtbar zu sprechen, wäre ein gar unbilliges ürtbeilt
und würden also fast die meisten Weibespersonen, die doch sonsten gute Eindermütter sejr.
vor unfruchtbar gehalten werden, mit dieser Probe werdet ihr vielleicht manche verdrieesliche
Ehe, und bey andern Erfolg euer Aussage euch eine böse Nachrede und Gelächter verursacht
haben.*
Im Jahre 1628 giebt der Dr. David Ilerlicius, Medicus zu Stargardt iü
Pommern, folgende Schilderung von den physischen Ursachen der weiblichen
Sterilität:
, Gleich wie ein Acker, der gar zu wol gedünget oder gemistet ist, Den Samen ersteckt,
ein mager aber vnd ßteinicbter jhn verbrennet, Dagegen einen der nicht zu fett, auch nicht
zu mager, gute Frucht bringet, wie solches Slrabus Gallus in seinen Gartenbuch vermeldet.
Also sind die gantz schweren vnnd sehr feisten Weiber unfruchtbar, wie Hippokrates dü^;
bezeugt. Dieweil sie wogen der grossen Fettigkeit den Männlichen Samen nicht wol behalten
können, wie auch gar magere Frawen selten empfahen, oder ja die empfangene Frucht nicht
herfür bringen, weil dieselbe von jhnen nicht gnug Nahrung haben mag, als dieses auch
Ävicenna bezeuget vnnd mit dem Hippokrate der meinung ist, dass allein die Weiber, so nicht
zu fett, vnnd auch nicht zu mager sind, fruchtbar werden können. Welche Frawen schwertzlich
von färben sindt, vbertreflfen die bleichen. [Man vergleiche hier den Ausspruch des Koran,
welcher oben citirt wurde.] Denn die bleichen werden sehr feuchter Natur geachtet, welche
feuchte den Samen weiniger an sich halten vnd ernehren kann. Welche vnordentlich Leben
helt in Essen und Trinken, Item die mit jhrer natürlichen Monats Reinigung nicht recht zu-
frieden ist, vnnd dieselbe entweder gar zu viel oder zu wenig hat, oder die mit andern
Mutter Krankheiten behafftet, als geschwellen der Mutter, entzündung, geschwer, erhartung.
verschliossung, grosse kälte, feuchtigkeit, auflfsteigen, sencken oder ausfallen, weiss gesuchte
oder Fluss, Krebs, Wind oder auffbiehung derselben, vnd dergleichen andern sind auch zur
ompfängnuss vngeschickt.*
Wusste man schon zu Aristoteles Zeit, dass Säufer, Kranke und Abgelebte
auch mit einem gesunden Weibe keine Kinder erzeugen könnten, so drang in den
letzten Jahrhunderten allmählich immer mehr die Erkenntniss durch, dass es nicht
immer die Gattin ist, welche fiir die Unfruchtbarkeit verantwortlich gemacht
150* Das Ansehen, iu welcbeui die ünfhtchibEirkelt steht.
S77
werden müsse. Herliaus führt schon Proben an, welche eniBcheiden solleDf wer
von den Ehegatten eigentlich der unfruchtbare sei. Eine denselben entnimmt er
dem »newen Wasserschatz*' des Jacohus Theodorus Tahernamontanus:
,Wiltu wiBsen, eo zwej Eheleute bey einander wohnen, vnnd keine Kinder miteinander
zielen, ob der Mann oder die Fraw vnfruchtbar &ey. So nimb xween Häfen oder Töpffe, vnd
thu in beyde Baffen, Klejen, vnd in den einen Haffon gie«s zu den Klejen des Mannes Harn,
%nn<l in dem andern des Weibes Harn: Vnd stell die bejde Haffen neun oder Zehn Tage
verdeckt hin. Ist die schiald der vnfnichtbarkeit desWeibee, so findest da die Kleyen in der
Frawen Haffen ?be) stinkend vnd viel Warm darin. Dergleichen anzeigen vnd »eichen findest
du in dem andern Haffen» so die schuld die vnfmchtbarkeit des Mannes wehre- Wann du
aber in keinem Haffen solche anzeigung befindest, so wird jhrer keins die schuld t der vnfnicht-
barkeit se^Ti, vnnd mögen derwegen jhneu durch mittel vnnd höW der Artxney helffen lassen,
darmit sie empfangen mögend t^
Daes an der Sterilität sehr wohl auch der Mann die Schuld tragen kann,
ist auch den chinesischen Aerzten bekannt. Als Ursachen der Unfruchtbarkeit
führen sie an beim Manne Excesse in der Liebe, den Gebrauch des die Fettbildung
ülierraäaaig fordenden Arseniks und des die Geschlechtsfunctionen zerstörenden
Quecksilbers, endlich auch die Ausübung des ^Cong-fu* (d, i, einer Manipulation,
um die Empündong durch Anspannung der Aufmerksamkeit herabzusetzen, ähnlich
dem Hypuotismue oder dem thierischen Magnetismus).
Beim Weibe entsteht die Unfruchtbarkeit ebenfalls durch Excesse in Yenere^
aber auch durch starke Fettent Wickelung, w^ eiche das Eindringen des Sperma in
die Genitalien verhindern soll. Aber auch ausserordentliche Magerkeit, ein Ueber-
maass der Gallenabsonderung, Anomalien in der Menstruation, Fluor albus und
Vorfall des Uterus werden von den chinesischen Aerzten als Ursachen der
Unfruchtbarkeit angesehen.
In allerjüngster Zeit nun ist die Lehre von der Sterilität in ein ganz neues
»tadium getreten und es ist wesentlich Fürhringers Verdienst, dass hier eine
"andelung eingetreten ist* Mikroskopische Untersuchungen ermöglichten es ihm,
den nicht zu bezweifelnden Nachweis zu liefern, dass die Schuld der Unfruchtbar-
keit viel häufiger dem männlichen Geschlechte als den Weibern zuzuschreiben
ist. Ich muss es mir versagen, auf dieses Thema an dieser SteUe näher ein-
zugehen.
150. Um Annehen, in welchem die Unfniehtkarkeit ^teht.
Bei den meisten Völkern der Erde ist ein reicher Kindersegen erwünscht
und die Fruchtbarkeit der Frau gilt als eine besondere Begnadigung und als ein
hohes eheliches Glück. Hingegen wird die Unfruchtbarkeit als eine Unvoll-
kommenheit des Weibes betrachtet und letzteres wird ab unfähig angeaehen,
seine ehelichen Aufgaben zu erfüllen. Kann das Uebel nicht gehoben werden,
will es trotz aller Mühe nicht gelingen, den auf dem Weibe lastenden Zauber zu
rechen, den Zorn der Gottheit zu besäntligen und zu sühnen, m wird gar <>n
ie Ehefrau Verstössen.
Diese Hochschätzung der Fruchtbarkeit ist aber nicht aUen Nationen gemein ;
bei manchen Völkerschailen betrachtet man sogar eine grössere Fruchtbarkeit als
etwas Verächtliches und Thierisches. Eine Frau bei den Grönländern hat
— 6 Kinder und gebiert alle 2 — ^3 Jahre; wenn daher die Grönländer von der
ruchtbarkeit anderer Nationen hören, so vergleichen sie dieselben mit ihren
In ähnlicher Weise verzogen die Indianerinnen in Britisch-Guyana
\i^, \\ den Mund, als sie von Schomburgh erfuhren, dass bei Europäerinnen
gsgeburten nichts weniger als selten sind; auch sieaagten: ^ Wir sind keine
Imnen, die einen ganzen Haufen Junge werfen/
So ist auch in Europa die Freude über ein schnell folgendes Gebären der
uen bei manchen Volksstammen recht gering. In Frankreich schUdert ein
P)ii«fB»ri(}|«» Dm WeiU. d, Anrt. 1. 37
Oi&
XXI. Ihe Tainicfaüiftzkät 6m Wcibei.
altes Volkslied die Ehe. welche mit zo vielem Eindenegen bedacht ist and desUh,
als eise Tinglückliehe betrachtet wird, in folgender
.Nach eiseiD Jahre ein Eiad. Ist da* eine Fxcnde!
Nach zwei .^ahrm zirei Eiader: da kommt Mhon die Sehwarinnth.
N&cL drei .^ahren dra £ind«r: es ist ein wahrer TeufelHpnk.
Pa$ eine s^hreii nach Brou das andere nach Suppe,
I'as drillt 'vril] ires^iült irerden. und die Broit iit neoh.
I>er Vfit«r iii in der Schenke nnd führt dn ■dilarhtei Leben,
l*':e Mutier is^T daDeim und veint nnd sra&t.* fUtaaietJ
iT&nz anders war es bei unseren germanischen Vorfiahran, welche trob
der relarlv dürftigen Verhaltnisse, unter denen äe lebten, dennoch die ehelidie
Fruchibarkei: und einen reichen Kindersegen als ein GlQck nnd einen Vonif
priesen. Nach ah deutschem R^^htsbrauch durfte der Mann flieh scheiden leaseo,
wenn die Fravi ihm keine Kinder gebar, aber auch sie konnte die Scheidung be-
ar.rrage::. wenn der Gatte aus Unvermögen oder aus iigend welchen endo«
Gründen keinen geschlechtlichen Verkehr mit ihr unterhielt. {(rrteuM.) Und nodi
heute gilt ja als ein rechtlicher Scheidungsgrund das Unvermögen, dien
Zweck der Ehe zi; e.rfrJlen.
Aber ai:ch dem Deutschen konnte zu grosser Kindoisegen drückend
und in dem bekannte:i Werke des Frii^cisrua Pftrardiah Von der Artiney
baydi-r Glück, des guten und widerwertigen ans dem 16. Jahihnndert
nnde: sich auch eir. Kaj-iiel: Von v:l md schwerer Pnrde der Kinder, n
welihen sich der Scbnunr. beklag: ;ind die Vernunfft ihn zu trCeten nicll
An eir er anderen 5:elie alvr ;;r.v.mer: der Schmertz von den vnfrachtbarei
Hausslrawen. und auch hür girb; :hm die Vernunfft tr5stliehai ZnpraeL
In einem drittvn Kavi:el is: es die Freude, welche jubebd ausruft: «Ich hab eis
fruchtj'ari weiK* AKt die Vernun:fi ;nr» ihr entg-egen nnd spridht:
fSv wyraT dir gr:>o:r ri'. «i.-rj:. v.I kr:iäri« Yxl unfmchiba» ehe we^b iit eine iijeju.
fii*er eis fruirbi^^&rs eLewevV i>; olr:^ v/.:V.iJ^ : .irir de^ hanssi. Offenhai« ist der apnefc
Sfn.:\/\ :cfc hÄi« eiE? wf\l ce^ic^sir.-.t-is. ira> ^4: irh al*.3c :ur armnt md trfibaftligk^jt ah
irwer-er. Vä die acier s.r,: :*: kisi" :.: v*»erk:r^:-..er.'
Ein be:gelug:or Holr.sci.n::: F:g. -(>o zeigi die Eltern in eifrigem Öe-
>;'räcbe. Dtr Vater st;:: ,icr aufn.trksau: ruhrrerden Mutter, wdcbe ein Kind
:»:: der Brust hat. etwas aus eiuauder. E:r.e halberwachsene Tochter spinnt; dn
Kind sitz: :m K::.»iers:.;hi. eiues sieb: :n: LautsTubl iwe: sitzen an der Erde nnd
essen aus e;ner C&sserollc ; eii: K::a':»e rei:<t au: dem Steckenpferd, ein MUcfaen
ba: ein KCrt^cben am Arme u::i v:ne> ha: sieb a:: den Vater augesckmi^L Im
Ganzen hat das Eh^n.paar also :.e;:n Ki::.ier :u ernähren. Da ist es wohl
begreiflich, dass die Vfn:un:^ zu weil eu trr^te:: r.:',:ss.
Bei den Rr-mvrr. hatte der K.vsir .-l....? •>•...': besondere Strafen fÄr Kinder-
lose festgesetzt.
I^ie alten Inder Ifgt«:: au: K.r.der>egcu i:no:: hoben Werth: Im Geeetz-
buche J/.2>i./>. weUhes etwa in: 4 .lahrbuu.itr: v. Chr. entstand, heisst es (Bach 9.
:s* Streune
»Weiii 2-41. keioe Kir.ier b:it. j^. i*v.r. :v.ur. .v.o c^» :::.*.'i.:t- Nacbk.-'sime&flcliaft doi^
ii- Verl'irduue »einer iär- er-ioructev. ».iün-.n .■..•.: .ii^r.: l-r.-..^-er .vier einem Verwaadlaa
erlang:..* l'nd d^s bierm:: er'an^e K.r..: «v.-.i :ir.ctv<»hri: . .-^U wart* es Ti?m wirkliehflB
•Thiten rixeuri: denn in der 140 Strj^ybe :e:s>: o> »o:i:r .IVr Samen und dia I^vdit ga-
:-T'ren tjh R^btsvegeL des: !>««:: r er »i-.-»* >\v.i«v •
Freilich war dabei ganz beso:^der> ro.ar.r.l.cb« N.-icbkommen»*^
und nach JJatfn's^ Gesetz durfte sogar o:r. \\e:b, i^elches nach r
nur Mädchen und noch keinen Knaben gt^bortui hatte. Ton i
Blossen werden. Nach CJfaln's Zvugn^.«$ giebi es in; Kulu-T
ganz ähnliche Gebräuche.
150. Da« Ansdien, in welchem die (Jofmohtbarkeit steht
579
unter den alten Persern galt ea, nach Herodot, für ehrenvoll^ viele Kinder
zu erzeugen, und Zoroaster sagte:
^Ich oenoe tloo FiiimUeDvaier vor dem Einderlüsen/
Auch den Israeliten galt Unfruchtbarkeit fttr ein grosses ÜDgUick, und die
Rabbiner des babylonischen Talmud that^n den Ausspruch:
«Der Arme, der Aui«jlt7agei der Blinde und der Kinderlose sind für nicht lebend
zu betraohten.*
Kinderlosigkeit gilt im Morgenlande für schmachvoll, und die Moslim sowohl
Is auch die orientalischen Juden machen die Unfruchtbarkeit zu einem
cheidungsgrund. Vom Araber wird sie im eigentlichen Sinne als Unsegeu,
den tVauen noch dazu als Schmach betrachtet. Ja, eine arabische Frau^
die nur Mädchen gebiert, sieht sogar sich schon als Yerflucht und mit einem Makel
behaftet an. (Sandrezcki,)
;.« n:..f
^^Lä%.
Fla« 365. Von dinein fhiohtbsres Hmiwsweyb. (Nftoh Fr^citcu* f^rarcM^.)
Das türkische Weib, das kinderlos ist, geniesst wenig Ansehen und wird
Ton ihrem Gatten vernacbläsaigt und in vielen Fällen auch Verstössen. Das ist
^ein grosses Unglück für sie, denn da die Türken die Unfruchtbarkeit für einen
Fehler in der Organisation der Frau betrachten, so wird sich ihr sehr selten die
''Gelegenheit bieten, dass sie eine neue Ehe eingehen kann. (Oppenheim.)
In Süd-Albanien sind bei den Türken unfruchtbare Weiber förmlich
irerachtet und daher, weil sie Fruchtbarkeit erlangen wollen, in steter Verbindung
lit alten Zigeunerinnen, welche Geheimmittel besitzen sollen, um eine schnelle
Emjifiingnisa herbeizufuhren. (Lehnert,)
Auch in mehreren anderen Provinzen Indiens gilt die Unfruchtbarkeit der
?rau als etwas Verächtliches und als ein grosses Unglück. Verfehlen in Madras
iie i * '■' 1, welche bei der Unfruchtbarkeit angewendet werden, ihre
Ml! der Mann seine Gattin Verstössen, weil sie ihm keine Hoff-
|iung auf Nachkommenschaft giebt. (Bestj
Wenn bei den Badagas am Nilgiri*Gebirge in Indien eine Frau keine
der bekommt, so nimmt sie ihre Schwester als ^zweite Frau* in das Haus, si*
bleibt aber darin die Herrin* Ist dies Auskunfismittel nicht ausfuhrbar, so
37 ♦
•^iri iir Fr^- n iLrer ElLem heJTr.gea^rlcki, cier s* tfcwfrmthK äueu AHwi, der
f-r-i* 7.-4-- .1:=. T.ili Z^i-5r. T:r fc"y~ Tit* >Ti=* s-*ftai:i. CiSKnäsi äHbt w^Km. die Eade
--_i^r -.-rr-iiT'iiJrr. Fri; ir.i LAilr*iii rlii iü^ ki:i Sff C'iss'. die däe JongieiHiUüif
.-.- 5T-^: ■^. z^rTZ'^ '-.-s-sti^— ^?=. jriiüiffit n:: yk=.*=. I t"»-* Bw&'tfft-ff.«« Bftc& madovi kt
'.-' Ni^r i-tsrr r:rLi4--: Ir-=-i fafc^-jis,;:* iiririzÄ z:=. >ae?K fe ür Ehebett la «r-
:-T*-- iz. --*:.: s-^:*::;!^? Iatt«:*!!:- *':•?=*: •«-.* früc :-si i*E Griicr^B dftc Svaadbild da
-'-•" :;»! -^i -«ri i^- 2l:-r=. ^er -*:.*=. iij Tir ir=. Sisze^fiTi F'C*' *^*«" JFnäL die ebew-
:-==:•=- ir:^- :*rz-_i •'- 1 *s illfi. 1=.. :: *i* liizrci ie: ICnsarfrTwäeK lä&Ibftäi^ vird. Kxmaxt
:.- zj-iir. in Lrfiinr^ irirr-rrL Iri? zr:»»« ELuriz^r » i*=. S^fcina» td« BataTia wird.
F!lr di* Frzi-en irr Chinesrz :?: eize z*Llre::ie Kirdsisduuir die gro»tt
Frr:ide. Dar:: ?:*i: iir. s^hreirzircE Wi.irr?rr::c*:: die P^Atsafhe. das chinesische
Elt-rm =i: kal:e=. Bl-tc iLre Kinier =::rirz. i-ier «ich icr Neogeboreoen durch
A'c-er üici: Ic-erill. *: -^r. üe Fr:i:i::cArke:: ^n jich hxhsckätzt. ist anch
•Bririli.L eheliche Fr-ohtiÄrkri: viriÄLdec, ä*:-. z. B. iz JapaE. Denn obgleich
-irr :er KLiier^^ei. ils t-ä-.i.ierr *t-.:i:5: ies HizLii.e:« irges«:h«: wird, toid dieser
A-fsÄ-ui.^ &-:•: das Sirlihwm: .bieirre Le^:* r:*t-rn ririe Kirder* Ansdnick
Z-^'j'^ Tini d'>ci. di-r niei«:*:: Firiilirn wrni^ i&iilr>ei:h und bilden dr>?i Kinder wohl
drL D::rcL5':i.::ir:: Lier ir: ;«>:•: k±iem;ri :i::i das Aass«tzec dorrkaos nicht
*o Lijrg. wie ii: CLiza.
A-i d^n kl^^inez Iz«i?I^n:pi«: iz: 5-:ii:*«:.rz des rualÄjischea Arrhipds ist
dir Ai.?icL: ^b^r die Fn:L:r«rie:: eine «enr Tersonieden&rtge- Während auf
den Aar-i- .ni auf dei Babar-Ins-rln die El:em sich t:*!* Kinder wünschoL
?«Len wir &.: :is: allen ien -":rlzen Inseln des al:nr:«:nen Meer» künstliche
Abtre:bi.ng?in.:tel an:n c«ei Terieiraibr-.er. Franen niun*: im Gebrauch, wmhrecd
aiderer-^iti ab-er a-cn wieder aller Lini Heilnieih r-ien i:e*rn absolcte Unfrncht-
varke!: aizewende: -werden. A-f Ke:?ar ?lni den Männern viele Kinder er-
•w^n^.n:. iie Yrwi-.z. -eii-fn ?:rren iarlr. dis« ?:r ni:h: mehr al« zwei bis drei
''.-rk.n.r.ri. Dir Wä — '-ela-In^ilanerinnen - iUen * j-^r nnr ein einziges Kind
oder Lxhrten? irren zwei bib-rn "ni V-e?e:::^eL emen:e >ch'nrin^er5chaftcn durch
Abvr.ivrLiv.ri. •K'-uV-..
A--: den V::i-In?el:: ?lni. wir i.\-'"i 'ericb-.e:. nnfr-.r.r'.&re Ehen hänäg.
*irw"bilicb w-:rd lier die Fran ' es'ib-Ji:^:: iber a;.:b FiUr v:n loipoteni der
MiiLrr sind 1a- V'. bekann: ^ew-iriei.
Un:r::':L:bÄrke:: is: h-e: den V'lkem A:rika> r\e':all> schindend für die
Frau und in manchen Nejzer-Läniem zil: >:r äI* ein Bewri? früherer grober
A:i^Khwr;f::r.g: cie k;::derl:-e Fri. ii Arirr'.a w-.ri il'.^tn.rin vrrspoltet. and
dtthalb mai:h: rir biiweileL d-r-ih >7l:?:m:rd ihren: L-f^tz nn Ende, Weiber
-id K:r.der ?ind die hocbsie^n «jiCter ie* Nejer* an de: L.-^aciiro- Küste; sie
bilden srlier. ReicLthum. rie mehre- -i:! te^r^en d:e F^imiüenl
rrnöhen -eir. AL~rhen und seinen Einnn«*: die ----.hiVÄre FrA.:
-terilr Wei'.- n-U^achtet. Ff^hufl^Lofr:}'^.. I'is>rlVr ^/.: nzter
O-iLea-K-ste. wo die Achtung, deren r n We:b <:ch -rTreu:.
Kiüder. r.^s^.r.der* der r'-jhne. steigt. J/ i Auch in »/^ber-
Daalla-Xegern gilt Kinderreichrhn: ^^noases Glück,
lort selten tof. da:^^ eine Frau mehr *r hat: bek
doch gar kei&e Kinder, «o fordert d ^fcomme n
151. Die VerhütuDg der Befruchtang. 581
Die Kamerun-Negerin, welche einmal geboren hat, ist stolz anf ihre
Mutterschaft; dagegen sind diejenigen Franen, welchen die Mutterireuden versagt
sind, weniger angesehen. (Pauli.) Aehnliches berichtet man von anderen Völkern
Afrikas. Einem unfruchtbaren Weibe begegnet in Kordofan der Ehemann mit
Verachtung, wenn er es auch früher geliebt hatte. {Igncus Pcdlme.) Bei den
G alias verhilft sogar die Grattin selbst ihrem Manne zu einer zweiten, dritten
oder vierten Frau, indem sie ihm «schone und fruchtbare Mädchen '^ vorschlägt
und zuführt. (Bruce,)
Unfruchtbarkeit der Weiber gilt bei manchen In dianer- Völkern als grosses
Unglück und hat gewöhnlich die Verstossung der Frau zur Folge. Die Indianer
des Gran Chaco in Süd- Amerika trennen sich nicht selten von ihrem Weibe
und nehmen einfach ein anderes, aber nur solange noch keine Kinder da sind.
Ist jedoch das erste Kind geboren, so gehören die Ehescheidungen zu den Aus-
nahmen. (Amelung,)
Nach slavischer Anschauung sind Kinder ein Segen Gottes; eine Ehe
ohne Kinder ist unglücklich und der Gattin wird die Schuld beigemessen. In
Böhmen wird die junge Frau, welche im ersten Jahre der Ehe ein Kind hat,
belobt und reich beschenkt. (Lumzow.)
Den Serben gereicht Kindersegen zur grössten Freude (Petrountsch), und
Krauss^ sagt:
„Das unfruchtbare Weib wird bemitleidet und geringgeschätzt. Ihre Stellang im Heim
des Mannes wird immer unhaltbarer. Der Mann sucht in Gemeinschaft mit seinem Weibe
durch zauberkräftige Mittel diesem üebelstande abzuhelfen. Im Sprücbworte heisst es: Ein
Weib ist kein Weib, ehe sie nicht gebärt'
151. Die Terhfitang der Befruchtung.
Wir werden in dem folgenden Kapitel sehen, wie erfindungsreich der mensch-
liche Geist in den Versuchen gewesen ist, dem unfruchtbaren Weibe die Mutter-
schaft zu ermöglichen. Es giebt aber andererseits auch eine Reihe von Situationen,
bei welchen die zeitliche oder die dauernde Uniruchtbarkeit als ganz besonders
wünschenswerth erscheint. Nicht immer ist dieses nur der illegitime geschlecht-
liche Verkehr zwischen Unverheiratheten, welcher hier in Frage kommt, sondern
auch in der Ehe finden sich Zeiten, wo ein fernerer Kindersegen unerwünscht
erscheint. Wird ja doch sogar von einem frommen Landpfarrer erzählt, den seine
Gattin mit Drillingen beschenkte, dass er bei dem Erscheinen des dritten Kindes
die Hände gefaltet und gerufen habe: «Herr, höre auf mit Deinem Segen!''
Absonderliche Sitten haben aber auch bei manchen Völkern eine Schwanger-
schaft vor dem Ablauf einer bestimmten Anzahl von Jahren nach der Ver-
ehelichung als unschicklich gebrandmarki In allen diesen Fällen ist man durch
allerhand Kunstgriffe bemüht gewesen, einer unliebsamen Befruchtung aus dem
Wege zu gehen.
Die jüdische Frau, welche ihre Schwangerschaft vereitelte, beging nach
Josephus ein todeswürdiges Verbrechen. Die Juden des alten Testaments
kannten ohne Zweifel Methoden, die Befruchtung zu verhüten. Eis wird wenigstens
von Onan berichtet, dass er den Actus in dem Augenblicke unterbrach, wo er
fruchtbildende Folgen desselben vermuthen durfte.
Bei den Talmudisten finden wir die Frage erörtert, ob eine Frau eine
Schwängerung vermeiden dürfe, und in der Thosaphta findet sich die von
Kazen^on citirie Stelle:
,Ib drei Fllkn isi den Weibern der Gebraach von Watte rar Yermeidimg der Gon-
oeption geiAaH«^« -* wann dM Weib jünger als 12 Jahre iat und eine Geburt lebens-
gelihriinh n ein tängendet Kind an der Brost hat, und endlich
dF^Pi SaMehmig eines SandalinmH zu befQrcbten ist.
. -..li"^ Mi^- ii* ÜL: '^-c z-j-itn t.ir.^Li,Ä=. ia:rf-
'^-r-r '^4..:- - .r:»sti;Lj:-:!i ▼-_! T:r sas. T-'..pTr>f^»wT Tf«
v^L-iij^ L/ni^r-i- -.•ütjijl'jK . •jfc'r in iiÄsi^r ^^TT.^firs V^s» Ag^m» Cmibs in
kiii-T^^^r-r^-r JLr^rl JrL-'^ irrrj:ri-::kr n rAiLiei- Xnci ä*r Lekr« der Sjm-
Arr- r«:^ -.«.#.; ri". i-s^rir- :-fi r^TJ:. i:-* Irkz »zIj». irsaz. fir «e2# Gcbnn
t^ir:.!---.! i-->^.-l:-;- r^r *•: r. I-^i-rZ': :*r ^;A::Lkr:c £-ri Aiuol »i säet baJtaL
IL.- '.•i. : Irr ri.i-*. =-* .7«-:*Lsk:i :-:-=t AT^rnii raaiisci,^ t-ftsSTSsÄ*^ nsjd «ärii
.Vi. 1 .--ir- lir^'Zr:^i.'.:z. zrZ^.r.crz. il? .lir :;'-:: :kr -i/i-rr:. ri-scji: der &si:is«
T— Z.V..-..::.- --•. r^z.-vitn Li_j;i::i . rÜTiTüiii.^ ^i A : fl i7::i::i*-:r ^Ufr Art.
:.*/.! i*- Hv.:.2A.: .- i.*. Wy.i*c zy- innr::. Iz^Ci'-'r-r O—äs
' W.^ ii r^^ir:^ i^ifr Kiri^r Li:ei, >: n^i: .- .^=. f-nri Äi
W«:i: ii': Fr*a fe ••erben will. *r Kiri« b
l&l. Die Verbat ung der Betruchtiuig.
soll sie mit den Beinen des Neugeborenen die HausihDre zunaacben. (Petrowitsek.)
Wenn bei den Süd-SlaTeo ein Kind stirbt, so darf der Sargdeckel zu Kopf und
Füssen der Leiche nicht vernagelt sein, weil sonst die Mutter unfruchtbar bliebe,
oder wenn es gut ginge» eine sehr schwere Entbindung bei der nächsten Nieder-
kunft zu bestehen hätte. Will ein Weib einige Jahre hindurch nicht mehr Kinder
zur Welt bringen, so braucht sie nur die Finger in das erste Badewaaser ihres
Kindes zu tauchen und dieselben dann abzulecken. Jeder eingetauchte Finger
entspricht einem Jahre, dass sie kinderlos bleibt. (Krams^,)
In Bosnien bedient sich nach Truhelka die Braut, die vor Kindern be-
wahrt sein will, folgenden Mittels:
«Wenn die Hochzeiter um ne kommen und sie im Begriffe ist. in den Sattel zusteigen,
soll sie ihre Hand unter die feetan gesogenen Bauchgurte schieben. Soviel Finger sie unter die
Baacbgurte schiebt, soviel Jahre bleibt sie unfruchtbar; und waren ee beide Hllnde, so wird
sie niemals gebaren/
GlUck berichtet noch einen anderen Zauber:
,Wio heb und theuer dem Bosnier auuh die Kinder sind, so ist man doch hier und
da« nt^m entlich unter den Städtern, wenn der Kindersegen zu rasch sunimmt^ oder wenn mun
gli&ubt» schon genug Kinder zu haben, bedacht, dem Zuwachs Einhalt zu thun. Will man
daher f?ir eine gewisse Reihe von Jahren keine Kinder hüben, no steckt man ein Messer zwischen
zwei Bretter der Zimmerdecke, und swar in einen Spalt, welcher durch eeine Lage zugleich
anseigt, durch wie viele Jahre man keine Kinder haben will. Beabsichtigt z. B. die Frau
durch drei Jahre nicht fruchtbar zu werden, so steckt sie das Messer in den dritten Spalt von
der Thüre oder vom Fenster gerechnet. Will man Qberhaupt keine Kinder mehr haben, so
verriegelt man die Zimmerthür mit einem Fusse des letztgeborenen Eindee/
In RuBsland trinkt man zur Verhütung der Schwangerschaft einen Aufguss
Ivon Lycopodiuni annotium, oder am Morgen nüchtern ein Glas warmes Wasser.
In Ehntland nehmen die Weiber Quecksilber ein und im Gouvernement
Kiew den wlUsrigen Aufgnss der Paeonia ofticinalia; auch der frische Saft des
BchöUkrautes (Cheltdonium majus) ist bernhmt, und die Tatarinnen benutzen
|en Thee von dem Adler- Farnkraut (Filix intis).
^ In Sibirien sollen die W^ eiber, wenn die Menses sich einstellen, ein be-
stimmtes Quantum Bleiweiss nehmen, wodurch diese angeblich unterdrückt und
bis zum nächsten Eintritte derselben die Euipfangniss verhütet werden soll; beim
Aussetzen des Mittels kehrt nach der im Volke herrschenden Meinung auch die
Möglichkeit der Empfangniss wieder zurück. (KrebdJ
Um nicht schwanger 20 werden, sollen nach Kbimnnger in Ober- Aegypten
die Weiber von dem Pulver der gebrannten Porzellanschnecken-Schale (Cypraea)
drei Mund voll nüchiem nehmen. Wenn in Algier eine Frau nicht sobald
wieder schwanger werden will, so trinkt sie einige Tage lang Wasser, in welchem
man die Blätter der Salsola und der Pfirsich eingeweicht hat, oder sie geniesst
den Saft der Frucht des Feigenbaums, auch braucht sie nur auf ihrem Kopfe ein
Amulet zu tragen, ein Papier, auf dem zwei Vierecke gezeichnet sind; an jeder
Ecke der letzteren sind die folgenden Zeichen i | t angebracht, um welche herum
rabische Worte stehen. | | |
Um sich vor unerwünschter Befrachtung zu schützen, tragen die Weiber in
Mekka eine Büchse mit Kaninchenkoth auf der Brust (Snouck Hurgronje,)
Von den Viti- Insulanerinnen berichtet Blyth:
«Wie die eingeborenen Hebammen es antemehtDen, Unfrncbtbarkeit su heilen, io nehmen
7M Präyentiv mittein ihre Zuflacht, die manchmaJ Erfolg haben, manchmal nicht.
nutzen ßie einen Aufguss der Blätter und der entrindeten, geeefaabtea Wonel des
oga-Uoliee und der Samalo. Hat Abends der BeiscbUf stattgefunden, 80 wird der Trank
^n Tuge gonomroen. Dieaes PrftrentiT mittel für eine Erstscbw&ngemng wird auch
genommen, welcbe keine Schwaagertchaft mehr wünschen, nachdem sie ein oder
rbet/aituhren^ gebraucht man auf den Neu-Hebriden
wticüc awj Weiber verspeisen. (Jamieson)
584 ^XI. Die Unfruchtbarkeit des Weibes.
Verschiedene rein mechanische Arten, sich vor der Befruchtung zu schätzen.
haben wir bereits bei Australierinnen und bei Bewohnerinnen des malayischen
Archipels kennen gelernt. Letztere verhalten sich nach Biedd^ bei dem Goitus
sehr indifferent, um nicht geschwängert zu werden; erstere verstehen es, durch
eine schlenkernde Bewegung der Beckenregion sich des eingedrungenen Sperma
zu entledigen. Auch kommen, wie wir gesehen haben, bei ihnen Madchen vor,
denen, um sie unfruchtbar zu machen, die Eierstöcke herausgeschnitten waren,
und das Gleiche fand sich in Ostindien. Ebenfalls in Indien, bei denMunda-
Kohls und in Niederländisch-Indien, verstehen sie es, eine Conception durch
absichtlich vorgenommene Lageveränderungen (Knickungen) der Gebärmatter zu
verhüten. So sind jedenfalls die Worte des Missionars JeUinghaus zu denten,
welcher erzählt, dass arme Weiber unter den Munda-Kohls in Indien sich
ohne Wissen der Männer die Gebärmutter verschieben und verdrQcken lassen, um
die Plage der Schwangerschaft los zu sein. Und aus Niederländisch-Indien
berichtet van der Burg:
,Der dort schon früh entwickelte Geschlechtstrieb der M&dchen wird amtandalos be-
friedigt, wobei man sich der Hülfe einer Doekoen, einer der zahlreich vertretenen heilkondigen
alten Franen bedient, um nicht zu concipiren. In der That scheinen diese Weiber sa ver-
stehen, durch äussere Manipulationen, durch Drücken, Reiben, Kneten durch die Baachdecken
hindurch, nicht von der Scheide aus, eine Lageverilnderung, Vor- oder RfickwartBknickung
der Gebärmutter zu Stande zu bringen, welche die Conception verhindert, und zwar ohne
dass weitere Beschwerden davon die Folge sind, als leichte Kreuz- und Leistenschmerzen und
ürinbeschwerden in den ersten Tagen der Procedur. Will ein derartiges Mädchen tpfttar
heirathen und Mutter werden, so wird die Gebärmutter wieder auf dieselbe Weise in Ordnung
gebracht.*
Wie wir oben durch Stratz erfahren haben, gelingt dieses aber nicht in
allen Fällen.
Dass auch bei den civilisirten Völkern Europas allerhand Vorkehrnngs-
maassnahmen eine weite Verbreitung besitzen, bedarf wohl an dieser Stelle keiner
besonderen Erörterung. Es sind die allbekannten Fisch- und Gummiblasen und
die Schwämrachen, und auf der gynäkologischen Klinik in Berlin entdeckte
E, Martin zu meiner Studienzeit in der Vagina einer Frau sogar einen kleinen
Borsdorfer Apfel.
Wer sich über die schädlichen Wirkungen unterrichten will, welche der
sogenannte Coitus interruptus auf den Genitalapparat und das Nervensystem
der Frau auszuüben pflegt, den muss ich auf die Abhandlung von Valenta
verweisen.
Ganz neuerdings ist ein neuer, sinnreich construirter Apparat, das Pessarium
occlusivum, zur Verhinderung der Empfangniss, von Dr. Mensinga in Flensburg
(unter dem Pseudonym Hasse) in die ärztliche Praxis eingeführt worden, welcher
für gewisse Fälle ganz unbestritten eine grosse Wichtigkeit und Berechtigung
besitzt. Dass vielleicht von einzelnen Leuten damit ein Missbrauch getrieben
werden wird, das werden die Aerzte nicht zu verhindern vermögen.
XXII. Die Therapie der Unfruchtbarkeit.
152. Die Terhfitang der Unfruchtbarkeit.
Wir kÖDnenes sehr wohl begreifea, dass namentlich bei solchen Völkern,
bei denen eine unfruchtbare Frau der Schande und Verachtung und allerlei Un-
bilden von Seiten des Gkitten und ihrer Angehörigen ausgesetzt ist, die Braut
und deren Freundschaft bange Sorgen bei der Schliessung der Ehe beschleichen,
ob nicht auch ihr solch ungünstiges Geschick beschieden sei. Und da erscheint
es uns denn ganz natürlich, dass man zu rechter Zeit auf allerlei vorbeugende
Mittel Bedacht genommen hat. Sollen solche Zaubermittel aber von rechter
Wirkung sein, so kommt es auch darauf an, dass man die richtige Stunde wählt,
um sie m Anwendung zu ziehen.
Da finden wir denn, dass man so früh wie möglich mit den sympathetischen
Maassnahmen vorgeht und dass man namentlich drei Zeitpunkte besonders bevorzugt
hat, nämlich den Hochzeitstag, die Hochzeitsnacht und den Morgen nach der
Hochzeit. Am Tage der Hochzeit kann der Zauber bereits in der Kirche während
der Trauung seinen Anfang nehmen, oder es wird der Augenblick gewählt, wo das
junge Paar zum ersten Mäe als Neuvermählte das neue Heim betritt. Aber auch
die Zeit des Festmahles ist noch für die vorbeugende Hülfe geeignet.
In Ungarn herrscht der Aberglaube, dass die junge Frau schon bei der
Trauung durch eine Art Zauberei die Zahl der Kinder bestimmen könne, welche
sie künftig bekommen wird: So viele Kinder sie haben will, auf so viele Finger
muss sie sich vor der Copulation in der Kirche setzen, (v. Csaplovics.)
Auch in Aegina pflegen die Trauzeugen, um der jungen Ehefrau die
Fruchtbarkeit zu sichern, dieselbe sofort nach erfolgter Einsegnung mit Erbsen
und Granatapfel-Kernen zu bewerfen.
Die Serbin hängt ihr Hemd umgekehrt an einen gepfropften Baum, so
dass die Aermel nach unten hängen. Unter das Hemd stellt sie ein Glas voll
Wasser. Den nächsten Morgen trinkt die Frau das Wasser aus und das Hemd
zieht sie an. Andere lassen sich von einer Schwangeren Sauerteig in den
Gürtel geben und schlafen mit demselben eine Nacht. Den nächsten Tag isst die
Frau den Sauerteig zum Frühstück auf.
Wenn bei den Serben die jungen Ehegatten ihr Haus betreten, dann muss
die Frau nach dem Dachbalken blicken. So vielen Söhnen wird sie das Leben
schenken, als sie in diesem Augenblicke Balken erblickt.
Die Zelt-Zigeuner in Siebenbürgen werfen nach v. Wlidocki^ den Neu-
vermählten, wenn diese ihr Zelt betreten, ,alte Stiefel, Schuhe und Bundschuhe
nach, wodurch die Fruchtbarkeit der Ehe gesteigert werden soll.*
586 ^^n. Die Therapie der Unfrnchtbarkeit.
An einigen Orten in Rassland wird schon bei Gelegenheit der Hochzeit
Rücksicht darauf genommen, dass der jungen Frau der Eindersegen nicht fehle;
in Nishni-Nowgorod z. B. werden die Neuvermählten so vom Hochzeitsiiach
geleitet, dass sie keinen Kreis zu beschreiben haben, sonst bleibt die Ehe un-
fruchtbar. (Sumzoio,)
Die Ehsten werfen bei Hochzeiten Geld und Bänder in den Brunnen und
ins Feuer „für die Wasser- und Feuermutter zur Sühne*', und noch am Ende des
vorigen Jahrhunderts wurden bei ihnen am Johannisabend Opfer in ein grosses
Feuer geworfen, um welches unfruchtbare Weiber nackt tanzten, während Opfer-
schmäuse gehalten und Unzucht getrieben wurde. (Bäder.)
Der Brauch, der Braut Kuchenstücke auf den Leib zu stossen, welcher sich
vereinzelt in Deutschland findet, bezieht sich wohl auch auf die künftige
Fruchtbarkeit im ehelichen Leben.
Bei den alten Preussen stellte man in der Hochzeitsnacht gebratene Bocks-
und Bären-Nieren unter das Brautbett; hierdurch wollte man Fruchtbarkeit her-
vorrufen. Auch durfte für das Hochzeitsmahl kein weibliches Vieh geschlachtet
werden, sondern es durften nur Böcke oder Bullen sein. Am anderen Morgen
kam die Hochzeitsgesellschaft wieder vor das Bett und der unter das Bett ge-
stellte , Brauthahn " wurde visitirt; war noch etwas übrig, so mussten es die
jungen Eheleute schnell aufessen.
Bei den Tataren ist es der Morgen nach der Hochzeit, welcher seine
mystische Kraft entfaltet. Bei ihnen war es früher Sitte, dass man am Morgen
nach der Hochzeitsnacht die Jungvermählten aus der Jurte zur Begrüssung der
neu aufgehenden Sonne herausführte. Man nimmt nicht mit Unredit an, dass
dieser Gebrauch aus der alt persischen Culturwelt stammt, denn in der That
ist dies noch heute in Iran und in Mittel-Asien gewöhnlich, ein üeberbleibsel
des alten Parsi-Cultus. Es liegt dieser Sitte der Glauben zu Grunde, dass die
Strahlen der aufgehenden Sonne das wirksamste Mittel zur Erlangung der Frucht-
barkeit bei den Neuvermählten seien.
Aber auch der Lingam- und Phallusdienst ist ja im Grunde genommen gar
nichts anderes, als eine Verehrung des befruchtenden Sonnenstrahls, wenn die
Götterbilder auch allmählich zum besseren Verständniss für die rohe Menge
menschliche Formen angenommen haben.
Bei den wandernden Zigeunern Siebenbürgens wird der Fruchtbarkeits-
zauber etwas hinausgeschoben. Aber auch sie lassen nur die allerersten Wochen
der jungen Ehe vorübergehen ; dann wird gleich zu folgendem zauberkräftigen
Mittel geschritten: Die Gattin sammelt die Fäden der Herbstspinne, welche als
sogenannte Sommeriaden oder Altweibersommer über die Felder fliegen, und ver-
zehrt dieselben in Gemeinschaft mit ihrem Ehemanne. Dabei müssen sie mit
leiser Stimme den folgenden Spruch hersagen:
,Ihr Kesclialyi (Schicksalsgöttinnen) spinnet, spinnt,
Bis noch Wasser in den Bilchen rinnt!
Euch zur Eindtaaf wir einladen.
Wenn die rothen Glückesfaden
Ihr gesponnen, ihr gesponnen
Für duH Kind, das wir gewonnen
Haben von Euer Gnad\ ihr Keschalyu" (v, Wlislocki^.J
153. Die Torhersage der Unfk*achtbarkeit.
Man sollte eigentlich erwarten können, dass bei der ungemeinen Wichtig-
keit, welche es bei vielen Völkern für das Weib besitzt, ob sie in der zukünftigen
Ehe fruchtbar sein werde, oder nicht, die Volksweisheit bemüht sein müsse, ge-
153. Di© Vorher«agö der ünfrachtbiirkeit.
wisse Zeichen und Merkmale ausfindig zu machen, um ihr dieses vorher anseheu
zu können. In dieser Beziehung aber lässt uns die Volkskunde fasst aller Stämme
der Erde im Stich. Allerdings müssen wir hier die schon im Alterthume herr-
schende Ansicht erwähnen, daas fettleibige Frauen för die Erzeugung von Kindern
untauglich sind.
Ein Volk ist es nun aber dach, welches auch in dieser Beziehung seine
besonderen Kennzeichen zu haben glaubt. Das sind die Japaner. In einer
„Encyklopädie der Wahrsagekunst**, welche 1856 inYeddo erschienen ist
(als Neudruck einer Ausgabe von 1842), sind zwei Frauen in halber Figur mit
entblösstera Körper dargestellt. Ich gebe in den Figuren 266 und 267 die Nach-
bildung dieser Abbildungen. Eine üebersetzung des Textes verdanke ich der
grossen Freundlichkeit des Herrn Dr. F. W. JT. 3IüUer, Directorial- Assistenten am
Kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin.
Die eine Figur (266) giebt die
Abbildung einer unfruchtbaren
Frau. In dem Texte heisst es dazu:
^Ob eine Frau Kinder haben werde,
ut au9 dem Gesichte schwer zu erkennen.
Trotzdem kann man wissen, dasa eine
Frau kinderlos aein wijd, nämlich wenn
die beiden Augen tief liegen, wenn da»
Philtnim der Naie (die senkrechte Rinne
in der Mitte der Oberlippe) oben offen
j(weit), unten aber fein, oder auch sehr
Oach ist. Femer, wenn das Philtram
ttnlen xwar breit ist, beim Lachen aber
! Querlinie zeigt, so ist die Vtetreffende
Frau unfruchtbar. Dieses ist eine Tradi*
tion der ÄBE-FAmüie."
,Auch wenn die Lippen wenig
roth, im Inneren aber bläulich erscheinen,
Ist die Frau nn fruchtbar* •
»Wenn der ganze Körper rund ist»
das Gewebe der Haat fein und von -^ohr
weisser Farbe ist, wenn die Haut und
das Fleisch wie gespannt erscheint, der
, Nabel klein und flach, der Bauch klein
and wie geglättet, die HüftknocJien ddnn,
3ach uod klein, das Geaäss rund und
klein, der Theil zwischen den Schultern
^nnd den Hüften rund erscheint und karz
ist, die Brustwarzen ein wenig flach uod
■ ein wenig schief oder gelb sind, so ist
■die Frau unfruchtbar. *
^-
^•^
^
.Wenn die ZS^hne von selbst sehr Piß- 2fl6. Eine Fr»u, w«lche keine lünder eneiigen wird.
Iweiss und scharf sind, so ist deren Be- (Aas einer jap^nUcheii EncyWopidie.)
•itf.erin unfruchtbar. Wenn der Bauch
klein uod in der Nabelgegend nach aussen hervorgewölbt ist, so ist die Frau unfruchtbar,
sehr iettes und gleichsam knochenloses Weib ist unfruchtbar. Dergleichen Kennzeichen
en sich noch manche anfuhren, doch müssen wir uns hier kurz fassen.*
Wir sehen, daas auch den Japanern die Thaisache nicht unbekannt ge-
^blieben ist, dass junge Weiber, bei denen es zn einer Übermassigen Fettbildimg
kommt, in der Mehrzahl der Fälle nicht schwanger werden.
Zum Vergleiche hat die ^Encyklopädie der Wahrsagekunst* nun
auch die Abbildung einer fruchtbaren Frau gegeben. (Fig. 267,) Hier werden
aber gleichzeitig die Anzeichen geschildert^ welche eine Vorherbestimraung des
Geschlechts ermöglichen.
588
XXII. Die Therapie der Unfruchtbarkeit.
,Eine Frau, welche beständig bescheiden ist^ und welche nichts von Bedeatong redet,
wird viele Mädchen zur Welt bringen. Wenn das linke Ohr einer Frau grOsser all das
rechte ist, so wird sie Knaben gebären, wenn aber das rechte Ohr grosser als das linke ift,
so wird sie Mädchen gebären.'
, Niederer Nasenrücken, Dfinno des
Kopfhaares und rothe Farbe leigen an,
dass eine Frau viele Mädchen, aber wenig
Knaben haben wird. Viele nnd lange
Querfalten am äusseren Augenwinkel und
schwarzes Haar zeigen an, dasi eine Frau
viel Knaben, aber wenig Mädchen haben
wird."
«Wenn auf dem Nasen - Philtmm
Male (Flecken) vorkommen, so wird die
betreffende Frau Zwillinge gebären. Bei
unfruchtbaren Frauen aber leigen Flecken
an dieser Stelle an, dass die betreffende
Person sehr woIlOstig ist.'
Ich habe diese Angaben hier
gleich angeschlossen, und sie nicht
dem Abschnitte über die Vorherbe-
stimmung des Geschlechts im Matter-
leibe eingefügt, weil es sich hier
doch um etwas Anderes handelt.
Dort soll nach eingetretener Be-
fruchtung festgestellt werden, ob die
Schwangere mit einem Knaben oder
mit einem Mädchen schwanger geht
Hier hingegen wird vorhergesagt,
welches Geschlecht erzeugt werden
wird, wenn die bisher noch nicht
befruchtete Frau den Geschlechtsact
vollzieht und wenn sie durch den-
selben geschwängert wird. Das junge
Datum der Publikation liefert uns
Fig. 267. Eine Frau, welche Kinder erzeugen wird.
(Am einer Japanischen Eucyklopädie.)
den klaren Beweis, dass in breiten Volksschichten Japans diese Anzeichen noch
für untrüglich gelten.
154. Arzneiliche and mechanische Mittel gegen die Unfruchtbarkeit.
Der den Menschen aller Kassen so natürliche Wunsch, Nachkommenschaft
zu erzeugen, und die grossen Nachtheile und Unliebsamkeiten, welche bei vielen
Völkern, wie wir gesehen haben, einer unfruchtbaren Frau zu erwachsen pflegen,
mussten natürlicher Weise zu Versuchen führen, den bis dahin erho£ften Kinder-
segen durch künstliche Hülfsmittel doch noch zu erzielen. Die für diesen End*
zweck eingeschlagenen Wege sind dreierlei Art, nämlich erstens das Anflehen des
göttlichen Beistandes, zweitens die Ausführung gewisser zauberischer, sympathetisch
wirkender Handlungen, und endlich die Anwendung mehr oder weniger zweck-
mässig gewählter, innerlich oder äusserlich zu gebrauchender Medicationen. Wir
wollen mit dieser dritten Gruppe unsere Betrachtungen beginnen.
In erster Linie waren es Producte aus dem Pflanzenreiche, welchen man die
arzneiliche Kraft zutraute, und die aus ihnen bereiteten Mittel gehören zweifellos
zum Theil wenigstens in das Gebiet der Liebestränke, d. h. der theik auch amnlich
aufregenden Medicamente, welche die wollüstige Empfindung des Weibes steigem
und es hiermit sexuell empfanglicher machen sollen.
154. Arxnetliche and mechaniAcbe Mittel geigen die ÜD&uchtbarkeit.
589
In diese Kategorie gehören nach Ansicht der Bibelausleger auch die Dudaim, welche
' Bt*hen während der Weizenernte auf dem Felde fand und seiner Mutter Leah brachte
(L Mo8* 30)» Auf Ttühtrit Bitten gab ihr Leah dieselben, wahrend sie dagegren der LeaJi für
die nächste Nacht den gemeinaamen Gatten überliess. Aber trotz der auf diese Weise er-
bandelten Dudaitn blieb Jiahtl noch auf Jahre hinaus unfruchtbar, während Leah auch ohne
dieselben schwanger wurde. Die Mehrzahl der Ausleger hält die Dudaim für idenitdch mit
|der Mandragora. Martin Luther gesteht aber offen ein« dass er nicht wi«fie, was es sei.
Anderen Stoffen schrieb man dagegen auch eine directe Einwirkung za,
theüs dass sie van innen her die Safte des Weibes reinigen und ihre Natur kräf-
tigen sollten, theils dass sie, ausserlich angewendet, d* h, in die Vagina eingelegt,
Jdie Bestiramung hatten, die , Mutter* zu erweichen und zu eröflnen. Aus der
[Medicin des Volkes entsprossen, in die Hände der alten Aerzte tibergegangen, war
ihr Schicksal, von Neuem in die Volkstnedicin zurückzusinken, wo sie auch
[heute noch in vielen Gegenden ihr ungeschwächtes Dasein friaten.
In dem grossen Wust dieser volksthi\ milchen Medicamente bat sich bisweilen
auch wohl etwas wirklicl» Brauchbares und Wirksames auffinden lassen. Ein in
Japan gebräuchliches Medicament gegen MensiruaÜonsstörungen und Unfrucht*
barkeit, kay-tu-sing genannt, wird von WtUiams empfohlen; es ist die Tinctur
aus den Blättern eines perennirenden Baumes aus der Claase der Ternstromacea ;
schon nach einigeu Stunden soll das Mittel sicher (I) auf die Menstruation wirken
und die Sterilität heben. In China und Japan wird es zur Zeit des VoUraondee
unter kabbalistischen Formeln genommen.
Unter jenen als heilkräftig betrachteten Pflanzen ist vor allen eine, im Alter-
thum bei den Baktrern, Medern und Persern in hohem Ansehen stehende zu
nennen. Das ist die im Zendavesta erwähnte Soma-Pflanze (Asclepias acida). Den
iSaft derselben nannten sie Homa und sie schrieben ihm göttliche Eigenschaften
Uu; auch hatte er die überaatttrliche kräftigende Wirkung, den unfruchtbaren
[Weibern schone Kinder und eine reine Nachkommenschaft zu gehen. (Duncket*.)
Die Rabbiner des Talmud gaben einige Heilmittel (Pocula sterilium)
en Unfruchtbarkeit an. Zumeist scheinen diese Mittel den Zweck zu haben,
iie etwa stockende Menstruation zu fördern, denn man hielt das Ausbleiben der
Regel ohne dass eine Schwangerschaft vorhanden ist, für die Ursache oder für
ein Zeichen der Ünffihigkeit, zu concipiren. Wir finden halb bewusst, halb un»
bewusst auch bei vielen anderen Völkern ganz ähnliche Anschauungen; denn auch
I ihre Mittel gegen die Unfruchtbarkeit zielen in erster Linie dahin ab, die Störungen
[in der monatlichen Reinigung wieder in Ordnung zu bringen.
Als die Geschlechtslust erregende und wahrscheinlich auch die Sterilität be-
seitigende Mittel dienen in Ober-Aegyten nach Kluminger besonders Ingwer,
das theure Ambra (eine fettwachsartige Substanz aus dem Darm und der Blatte
des Pottwals) und Honig oder Ziinmt und Karotten- oder Rettig-Samen mit Honig
gekocht ; ferner die Galle des Raben, die gebrannten Schalen der Tridacna-Muschel
mit Honig, auch der Blüthenstaub der Dattelpalme.
In Fezzan sucht man die Fruchtbarkeit der Frauen durch reichlichen
I Genuas getrockneter Eingeweide junger Häschen zu vermehren, die noch an der
[Mutter saugten, {NacJditjaL)
Wenn eine Frau in Algier schon ein Kind geboren hat, dann aber längere
fZeit nicht wieder concipirt, so muss sie Schafs-Ürin oder auch Wasser trinken»
in welchem man Ohrenschmalz eines Esels hat maceriren lassen. (Beriheramh)
Auch örtliche Curen sind im Orient im Gebrauch. Post in Beirut giebt an, dass
in Syrien unter den Frauen besonders Ulcerationen der Portio vaginalis vor-
I kommen, herbei geflihrt durch unsinnige Äpplicationen von reizenden Stoffen behufs
► Förderung der Conception. In Ober-Aegypten %vird nach Kboiringer ein kleines
Stückchen Opium fljr den ersten Tag der Cur in den Schooss eingelegt, und die
drei folgenden Tage ein Stückchen vom Wanst eines Wiederkäuers.
590 ^^n. Die Therapie der ünfrachtbarkeit.
Die Indianer in Peru sollen Aphrodisiaca besitzen, welche besonders aaf
das weibliche Geschlecht wirken; sie ftüiren den gemeinschaftlicben Namen Piri-
piri. (Mercurio.)
Auch auf den Luang- und Sermata-Inseln im malayischen Archipel
sind Aphrodisiaca bei beiden Geschlechtern stark in Gebrauch. Auf Amben und
den Uliase- Inseln müssen unfruchtbare Weiber bestimmte Medicamente einnehmen
und in besonders vorgeschriebener Weise baden. Ebenso giebt esauf Leti, Moa
und Lakor allerhand Arzneien gegen die Unfruchtbarkeit, aber hier müssen die
Männer ebenfalls diese Pocula sterilium trinken. Die Weiber der Galela auf
Djailolo (Niederländisch-Indieu) kennen ebenfalls Medicinen, welche ihnoi
die Schwängerung sichern. (Riedel.)
Als Mittel gegen die Unfruchtbarkeit muss auf den Viti-Inseln die Frau
in einem Flusse baden und darauf müssen beide Gatten einen Trank nehmen, der
aus einer Abkochung von der geschabten Wurzel der Mbokase, einer Art Brod-
baum, und von der Nuss der Rerega oder Cago (ausgesprochenen Thango), einer
Art Tumeric, hergestellt wird. Unmittelbar nach dem Geniessen dieses Trankes
wird der Coitus ausgeführt Eine Hebamme versicherte Blyth^ dass sie dieses
Verfahren in drei Fällen von Erfolg gekrönt gesehen hätte.
Unter den West -Australiern herrscht die Meinung, dass, wenn die
Frauen viel Känguru- Fleisch geniessen, ihre Fruchtbarkeit wesentlich gesteigert
wird. (Jtmh)
In Sibirien gebrauchen die Mädchen vor der Brautnacht die gekochten
Früchte der Iris sibirica. Die Weiber in Kamtschatka, welche gern Kinder
gebären wollen, essen Spinnen; einige Wöchnerinnen, die dort bald wieder
schwanger werden wollen, verzehren die Nabelschnur ihres neugeborenen Kindes.
(Kraschne7iinnikow.)
Hier finden wir also bereits bei selbst noch sehr tief stehenden Völkern die
Vorstellung, dass wenn eine Empfangniss nicht zu Stande kommt, etwas Krank-
haftes vorliegen müsse, und dass es nicht genügend sei, durch sympathetische
Maassnahmen hier Hülfe schaffen zu wollen, sondern dass durch eine Regelung
der Diät und durch therapeutische Verordnungen hier vorzugehen nothwendig sei.
Wo dann eine geordnete Heilkunde sich der Sache anzunehmen begann, da kam
es schon zu noch besserer Einsicht; und wenn die eingeschlagene Behandlungs-
weise auch noch eine recht primitive war, so war sie doch immerhin erheblich
zweckentsprechender, als in den früheren culturellen Stadien.
In den hippokratischen Schriften wird eine Menge solcher Mittel an-
gegeben, welche uns heute allerdings sinnlos erscheinen. Einige haben wir bereits
kennen gelernt. Es heisst dann dort auch unter Anderem:
,Wenn du willst, dass eine Frau schwanger werde, so musst du sie selbst und ihre
Gebärmutter ausroinigen, d. h. es niuss ein Mutterzäpfcben von feingeriebenem Natron, Krenz-
kümmel, Knoblauch und Feigen mit Honig bereitet in die Gebärmutter gelegt werden and
die Frau muss sich warm baden; nachdem dieselbe nüchtern Dill gegessen und echten Wein
nachgetrunken hat^ wird rothes Natron, Kümmel und Harz mit Honig angemacht und in
einem Stück Leinwand als Mutterzäpfchen eingelegt. Wenn nun Wasser abfliesst, so lege der
Frau schwarze erweichende Mutterkränze ein und rathe ihr den ehelichen Umgang an. Wenn
du willst, dass eine Frau schwanger werde, so reinige sie selbst und ihre Gebärmotter, und
lege dann ein abgetragenes, möglichst feines und trockenes Leinwandläppchen in die Oeb&r-
mutter ein und zwar tauche das Läppchen in Honig; forme ein Mutterzäpfchen daraus, tauche
es in Feigensaffc, lege es ein, bis sieb der Muttermund erweitert hat, und schiebe es dann noch
weiter hinein. Ist nun aber das Wasser abgezogen, so spüle sich die Frau mit Oel und Wein
aus, schlafe beim Manne, und trinke, wenn sie ehelichen Umgang geniessen will, Poley in
Kedros-Wein.*
Eine andere Stelle lautet:
.Wenn nun Alles dem Anscheine nach in löblichem Zustande ist, und das Weib rieh
mit dem Manne fleischlich vermischen soll, so muss das Weib nüchtern, der Mann aber nieht
155. Badekuren gegen die Unfruchtbarkeit. 591
berauscht sein, sich kalt gebadet und gemessene Speisen genossen haben. Merkt das Weib,
dass sie die Samenflüssigkeit bei sich behalten hat, so nähere sie sich dann dem Manne nicht,
sondern verhalte sich ruhig. Sie kann dies aber gewahr werden, wenn der Mann sagt, er
habe den Samen ejaculirt, und das Weib dies vor Trockenheit nicht bemerkt. Giebt aber
die Gebärmutter die Samenflüssigkeit in die äusseren Schamtheile zurück, wird das Weib
nass, so vermische sie sich wieder fleischlich, bis sie concipirt."
Ich lege dieses Verfahren so ausführlich dar, um zu zeigen, wie sehr die
Aerzte jener Zeit durch eine örtliche Behandlung zu helfen suchten, die zwar
nicht zum Ziele führen konnte, die aber ohne Zweifel noch lange Zeit Vertrauen
und Anwendung fand. Ausser dieser örtlichen Behandlung stand aber auch eine
innerliche bei den Alt-Griechen in grossem Ausehen. Frauen, welche sich
Kinder wünschten, rieth man zur Zeit des Hippokrates Silphium mit Wein zu
nehmen, jenes räthselhafte Mittel, welches die Alten so hoch schätzten, und das
vielleicht, wie Schroff meinte, in der Thapsia Silphium Vivian vor einiger Zeit
wieder aufgefunden worden ist.
In dem 17. Jahrhundert mussten die unfruchtbaren Weiber bei »kalter und
allzufeuchter Complexion' Tränke aus „Würznägelein" (Caryophyllen) mit Melissen-
kraut und Pomeranzenschalen zu sich nehmen. Auch Rosmarin mit Mastixkömem
war ein beliebtes Mittel. Noch heute wird inSteyermark nach Fasset Spargel-
samen mit Wein und die jungen Hopfensprossen als Salat zubereitet als Mittel
gegen die Unfruchtbarkeit angewendet. Auch soll die Frau zwei Monate den
ehelichen Verkehr meiden, sich dann die Ader schlagen lassen und am darauf-
folgenden Tage den Beischlaf ausüben. Im Frankenwalde geniesst der Kaffee
in dieser Beziehung ein besonderes Vertrauen. (Flügd,)
In Böhmen braucht die junge Frau einen Aufguss von Wachholderbeeren,
um Kinder zu bekommen. Die Wander-Zigeunerinnen der Donau-Länder
glauben ihre Unfruchtbarkeit heilen zu können, wenn sie das Blut einer Fleder-
maus mit Eselsmilch zusammen geniessen. Aber die Fledermaus hat nur diese
Heilkraft, wenn sie in der «grossen Woche**, d. h. in der Woche vor Weihnachten
geschossen worden war.
Die Russen gebrauchen unter anderen Volksmitteln auch eine Auf-
lösung von Salpeter, innerlich genommen, um den Weibern Fruchtbarkeit zu
verschaffen.
Die Volksmedicin in Bosnien und der Hercegovina kennt verschiedene
Medicamente gegen Unfruchtbarkeit. Glück hat über dieselben berichtet:
,Als befrachtungsbefördemd werden empfohlen: saure Milch, in die Blätter von Dillen-
kraut (Anaethum graveolens) eingeweicht wurden, und der Genuss des Diilenkrautes selbst.
Dieses Mittel ist durch mehrere Tage Früh und Abends zu nehmen. Vier Tage nach der
Menstruation darf kein Beischlaf geübt werden ; am Abend des fünften Tages soll die Frau
ein kleines Glas voll des aus finschem Königssalbei (Salvia hortensis) gewonnenen Saftes
trinken und eine Viertelstunde darauf coitiren. Wiederholt sie dies mehrmals nach einander,
so wird sie, wie versichert wird, Kinder haben. Nächst diesen dem Pflanzenreiche entnommenen
Mitteln werden als befruchtungsbefördemd noch empfohlen : eine Suppe von einem alten Hahn,
die getrocknete, gebackene und gepulverte Hoden eines Ebers enthält, oder gewöhnliches
Trinkwasser, in dem sich etwas Pulver von der gereinigten und getrockneten Gebärmutter
einer Häsin befinden. Beide Mittel sind durch längere Zeit zu gebrauchen.*
155. Badekuren gegen die Unfruchtbarkeit.
Heutzutage ist ein wichtiges Mittel zur Beseitigung der Sterilität der Frauen
der Gebrauch von Brunnen- und Badekuren, und eine wichtige Quelle in Ems
hat bekanntlich von dieser segensreichen Wirkung den Namen »Bubenquelle**
erhalten. Aber die Verordnung der Badekuren ist durchaus nicht eine Erfindung
592 ^^n. Die Therapie der Unfruchtbarkeit
der Neuzeit Schon im Jahre 1715 heisst es in des getreuen Eckarth^s un-
vorsichtiger Heb-Amme:
,68 würden nach verrichteter Cur die warmen Bäder, als das Garlsbad, Aacher,
Emser, Hirschberger, Landecker nnd anders berühmte Bäder nicht nndienlich seyn,
die die Kosten, an dergleichen örter zu reisen, nicht ertragen künnen, müssen mit denen
Kräutern und Lohe-Bädom vorlieb nehmen.''
An einer früheren Stelle wurde schon erwähnt, dass fast 300 Jahre zuvor
der Italiener Poggio von dem auch heute noch wichtigen Kurorte Baden bei
Zürich geäussert hatte:
,Nulla in orbe terrarum balnea ad foecunditatem mulierum magis sunt aocommodata.'
Auch in der deutschen Sage hat die Holda^ die Spenderin der Frucht-
barkeit und des Kindersegens, im Wasser des Brunnens ihren Wohnsitz, aus dem
ja auch die Neugeborenen abgeholt werden. Die Brunnen spielen aber auch in
den Mythen anderer Völker eine Rolle bezüglich der Fruchtbarkeit.
In Alt-Griechenland wurde der Fluss Elatus in Arkadien als heilsam
gegen Unfruchtbarkeit empfohlen; ebenso der thespische Quell am Helikon.
Nach Sonidas' und Photius* Bericht hat die Quelle zu Pyna auf dem Hymettos
in der Nähe des Tempels der Aphrodite die Eigenschaft, Frauen, deren Leib ver-
schlossen, zu Kindern und überdies zu leichter Geburt zu verhelfen. Plinius
erzählt von der Eigenschaft der Thermen Sinuessas, Fruchtbarkeit zu er-
zeugen. Bajae war in dieser Beziehung geradezu berüchtigt. So sagt Mariiäl
von einer Frau:
«Als Penelope kam sie nach Bajae, aber als Helena ging sie,
ihren Gemahl verlassend und einem JQnglinge folgend."
Auch in der indischen und chinesischen Mythologie haben die Bäder
eine Rolle gespielt. Die indische Gottin Pravati war im Bade, ohne mit einem
Manne zu thun gehabt zu haben, schwanger geworden; sie gebar den Genesa,
Die Mütter des chinesischen JFo, des Buddha^ des Zaroaster verdanken es
säramtlich dem Bade, dass ihre Unfruchtbarkeit von ihnen genommen wurde.
In Algerien, unweit Constantine, befindet sich ein ganz im Felsen ge-
legenes Bad mit der Quelle Burmal er Rabba, welches Jüdinnen und Maa-
rinnen seit uralter Zeit frequentiren , um bei Unfruchtbarkeit Hülfe zu suchen.
An mehreren Wochentagen kommen die eingeborenen Damen aus Constantine
herab nach Sidi-Mecid, schlachten vor der Thür der Grotte ein schwarzes Huhn,
opfern im Inneren noch eine Wachskerze und einen Honigkuchen, nehmen ein
Bad und sind dann sicher, dass ihre Wünsche bald in Erfüllung gehen. Der
Brauch ist jedenfalls altheidnisch, eine uralte Berber-Sitte; denn Thieropfer sind
dem Islam fremd. (KobeU.)
Bei den Negern in Yoruba an der Westküste von Afrika ist das Wasser
berühmt, das im Tempel der Naturgöttin aufbewahrt wird. Diese wird als
schwangere Frau dargestellt, und das Wasser, das ihr geheiligt ist, benutzt man
gegen Unfruchtbarkeit und schwere Entbindung.
In Grusien ist ein Kloster des heil. Davide welches einen Bach besitzt,
dessen Wasser im Gerüche steht, Frauen fruchtbar zu machen.
Einen sehr absonderlichen Wasserzauber zur Heilung der Unfruchtbarkeit
erzählt Petrowitsch von den Serben: Die unfruchtbare junge Ehegattin soll ein
Bohr abschneiden und dasselbe mit Wein füllen. Darauf näht sie es gemeinsam
mit einem alten Messer und mit einem Kuchen aus Weizenmehl in einen leinenen
Beutel ein. Diesen Beutel unter dem linken Arme haltend, muss dann die Frau
in ein fliessendes Gewässer waten, während am Ufer Jemand für sie betet: «Er-
fülle mein Gebet, o Gott, o Mutter Gottes'' u. s. w. (unter Anrufung aller Hei-
ligen). Bei diesem Gebet lässt die Frau den Beutel in das Wasser fallen und
setzt, nachdem sie aus dem Bach gewatet ist, ihre Füsse in zwei Kessel, ans
156. GOtüiche Hülfe gegen die Unfruchtbarkeit. 593
denen sie der Ehemann herausheben und sie nach Hause tragen muss. Wir finden
hier also ein ganz regelmässiges Trank- und Speiseopfer, welches der Gottheit
des Wassers dargebracht wird.
156. Gottliche Hülfe gegen die llnfruclitbarkeit.
Es ist ein weitverbreiteter Zug des menschlichen Geistes, nicht allein den
Medicamenten die Fähigkeit und Kraft zuzutrauen, dass sie die verlorene Gesund-
heit wiederzubringen vermöchten. Er ruft deswegen noch die Hülfe und den
Beistand der Gottheit oder diejenige von dämonischen Gewalten herbei und greift
ausserdem zu ganz absonderlichen Handlungen, welche durch Sympathie, ihm selbst
unerklärlich, aber um so gläubiger betrachtet, je abgeschmackter und sinnloser
dieselben sind, unfehlbar die ersehnte Heilung herbeiführen sollen. So begegnen
wir auch bei der Unfruchtbarkeit nicht selten, wie wir gesehen haben, der An-
schauung, dass sie ein Fluch sei, von den Göttern verhängt, eine Bezauberung
durch böse Geister oder mit diesen verbundene Menschen verursacht, und dass eine
Entsühnung oder eine Lösung und Ueberwältigung des Zaubers den „verschlossenen
Leib'' zu öffnen vermöge. Daher finden wir bei den Kelten die zu Staub ge-
riebene heilige Mistel als Mittel gegen die Unfruchtbarkeit.
Auch der Araber geht gegen die vermeintliche Verzauberung, die er ftlr
die Ursache der Unfruchtbarkeit hält, durch Entzauberung vor; er nimmt zum
Koran seine Zuflucht und zwar zur dritten Sure, welche die Ueberschrift flihrt:
„Die Familie (oder das Geschlecht) lmrdw'5*. Dieser ganze, aus 200 Versen be-
stehende Abschnitt muss mit Safran in ein kupfernes Becken geschrieben werden,
dann wird siedendes Wasser darauf gegossen, und von diesem Weihwasser muss die
hülfsbedürftige Frau einen Theil trinken, mit dem übrigen aber werden Gesicht,
Brust und Schooss der Frau besprengt. Die Wahl dieser Sure ist dadurch er-
klärlich, dass die Araber meinen, des Imrän Frau Namens Hanneh sei Anfangs
unfruchtbar gewesen, habe jedoch dann Gnade gefunden und sei noch in späten
Jahren die Mutter der Jungfrau Maria geworden. (SandreceTci,)
Im alten Rom wendete sich die unfruchtbare Frau mit Gebeten an die
Juno Febnialis (von februare, reinigen), also die Reinigende, Entsühnende. Die
Entsühnung geschah auch in den Luperealien, bei denen die Priester, Luperci
genannt, Ziegen opferten und dann mit Stückchen aus dem Felle derselben durch
die Strassen liefen und die ihnen begegnenden und für diesen Zweck nackend
umherlaufenden Frauen mit denselben schlugen; hierdurch sollte Fruchtbarkeit
erzielt werden. Man will eine ähnliche Procedur in dem Aufpeitschen wieder-
finden, welches am ersten Osterfeiertage die jungen Burschen im Voigtlande
und in anderen Theilen Deutschlands in der Frühe vornehmen, indem sie mit
frischen grünen Reisern die Mädchen aus dem Bette jagen. Ebenso erinnert
an die Luperealien das Niederlausitzer Zempern und das Budissiner
Semperlaufen.
Thomas BarihoUnus erinnert auch an die Luperealien bei den Römern,
aber ausserdem noch an die Verehrung, welche der Gott Mutinus genoss:
jfMutini Fascino insident feminae, ut concipiant. Lapercis quoque se oiferunt, et ferula
ceduntur caprina pelle corioque tecta. Gestant praeterea pixide Lyden, immonso prolis
desiderio qno Reipublicae aagendae causa, connubii retinendi et ob jus trium liberorum ardent"
Von Bali horten wir ganz Aehnliches.
In Griechenland galt die Demeter als die Vertreterin der Fruchtbarkeit;
sie stand in Beziehung zur Zeugung, Geburt und Kindespflege und war die eigent-
liche Göttin des weiblichen Lebens, insbesondere der Ehe. Man feierte ihr zu
Ehren die Thesmophorien; in Athen begingen die Frauen dieses Fest (die
Pyanepsia) unter Ausschluss der Männer im October; dabei riefen die Ehefrauen
die Göttin an: sie möge ebenso, wie sie dem Acker Gedeihen gegeben, auch der
PI088- Bartels, Daa Weib. 6. Aufl. I. 38
594 XXII. Die Therapie der Unfruchtbarkeit.
Ehe Frucht gewahren. Die Vorbereitung zu diesem Feste (Enthaltn^ der (Ge-
meinschaft mit dem Ehemanne) begann mit dem Neumonde des PyaDepaion
(October), mit der neunten Nacht vor dem Feste. Nach diesen Vorbereitongen
zogen die Ehefrauen aus allen Gemarkungen Attikas an das Meer z?rischen
Halimus und dem Vorgebirge Kolias, trauerten am Boden sitzend, hielten da-
nach aber Spiel und Tanz am Strande des Meeres ab, worauf sie im feierlichen
Zuge nach Athen zurückkehrten. In ihrer Mitte trugen Einige Behälter auf
dem Haupte, welche die „Satzungen" der Demeter (Ehesatzungen) bargen. In
Athen angelangt, vollzogen die Frauen im Thesmophorion unter der Burg ge-
wisse Gebräuche. Der letzte Tag der Feier gehörte der Demeter KaUigeneiü^
d. h. der Schönes, Ackerfrucht und Kinder erzeugenden Demeter. Der Zweck des
Festes, der Demeter Gunst für die Geburt schöner Kinder zu gewinnen, galt f&r
erreicht: man freute sich der neuerworbenen Huld der Göttin, des kommenden
Segens in Lust und Scherz. (Duncker.)
Noch jetzt giebt es in Neu-Griechenland Sitten, welche man mit jenen
Bräuchen in Verbindung bringen will. Noch bis vor Kurzem sah man Athe-
nienserinnen, wenn sie guter Hoffnung waren und die Gunst des Schicksals
fbr eine glückliche Entbindung herbeifuhren wollten, am nördlichen Abhang des
sogenannten Nymphenhügels, in der Nähe der hochalten Inschrift ÖQOg diög, an
einer durch vielfachen Gebrauch bereits geglätteten Stelle den Fels hinunter-
rutschen. Und nach Ponqueville existirt in Athen nicht bloss bei Schwangeren,
sondern auch bei solchen Frauen, die fruchtbar werden wollen, die Sitte, an einem
Felsen in der Nähe der Kallirrhoe sich zu reiben und dabei die Moiren anzu-
rufen, ihnen gnädig zu sein. Bernhard Schmidt glaubt, diese Sitte mit dem
antiken Cultus der Aphrodite Urania zusammenbringen zu müssen, die in dieser
Gegend (d. h. am rechten Ufer des Ilissos, aber ein Stück oberhalb der Kallir-
rhoe) als älteste der Moiren verehrt wurde. Dagegen kann sich Wctchsmuth von
der Richtigkeit dieser Annahme nicht überzeugen. Vielleicht dürfte das Reiben
der unteren Körpertheile am Fels darauf hindeuten, dass es die Demeter^ die
Erdmutter und Vertreterin der Fruchtbarkeit war, deren Einfluss als Demeter
Kalligeneia ehemals mit solchem Gebahren herbeigezaubert werden sollte, nun-
mehr aber durch die Nymphe der Kallirrhoe ersetzt wird.
Auch bei den Dayaken auf Borneo haben die Wassergötter, Djafa ge-
nannt, einen besonderen Einfluss auf die Unfruchtbarkeit, welche sie nach unnm*
schränktem Willen über die Weiber verhängen oder sie davon erlösen. So be-
richtet Hein:
, Wollen unfruchtbare Frauen (und auch Mfinner) Kindersegen erlangen, so veranstalten
die einem DJata ein grosKoa Fest, Buraramin genannt, bei welchem man in einem tchOn ge-
schmückten Boote nach einem Wohnsitze der Djatas fährt und dort Hühner (und anderes
Geflügel), deren Schnäbel mit Goldblech belegt sind, zum Opfer darbringt, indem man lie
entweder lebendig in das Wasser wirft, oder ihnen den Kopf abschneidet und bloss diesen
opfert, den Rumpf des Thicres aber verzehrt. In manchen Fällen scheint man sich jedoch
mit aus Holz geschnitzten Vogelfigurcn zu begnügen."
An der Sclavenktiste von Guinea unter den Otschi-Negern verschreibt
sich das kinderlose Weib einem Fetisch zum Eigenthum, falls er ihr Kinder geben
wolle; tritt dieser Fall ein, so ist das Kind ein Fetischkind und ist nun das
Eigenthum desselben.
In Abbeokuta wird von den unfruchtbaren Frauen auch zu der herm-
aphroditischen Form des Abhatdlla gebetet, die aus einer nackten Frau und einem
bekleideten Manne zusammengesetzt ist. (Bastian,)
Auf dem Wege von Malanga in West-Afrika ins Innere, über die Grenze
von Angola hinaus, fand Lux^ dass die unfruchtbaren Negerinnen als frucht-
bar machenden Fetisch zwei kleine, aus Elfenbein geschnitzte Figuren (die beiden
Geschlechter darstellend) an einer Schnur um den Leib tragen.
156. GötÜiclie Hülfe gegen die ünfriicbtbarkeit
S95
Sterile Frauen in Bombay (Indien) gehen, um fruchtbar zu werden, zu einem
Pgrofisen Lingam (dem Bilde eines männlichen Gliedea als religiöses Sjmbol), und
Ldreben sich um denselben im Kreise unter Gebeten (mündliche Mittheilung Jagor's).
unweit Bombay befindet sich, wie Haeckel berichtet, das heilige Brahminendorf
fWalkeschwar, wo die höchsten Hindu-Kasten (Brahminen) mit Ausschluss
tunreiner Kasten wohnen. Einen im Mittelpunkt des Dorfes liegenden viereckigen
|Teich umschliessen zahlreiche kleine Tempel, in deren Innerem ein heiliger Stier
iegt. Andere Gegenstände der Verehrung, gleich den Stieren mit Blumen ge-
Bchmückt, sind steinerne Symbole der Fruchtbarkeit, zum Theil von obscönster
^und grotesker Form (Lingam). Solche sind auch an vielen Stellen der Wege
innerhalb und ausserhalb der Stadt Bombay zerstreut und mit rother Farbe
bemalt« Sie werden namentlich von kinderlosen Eheleuten besucht und ihre
.rothen Theile werden mit Goldpapierchen beklebt und auch mit duftenden
Humen bedeckt, in der Hoßnung, durch diese Opferspenden mit Kindern ge-
jfnet zu werden.
In Puna, einem Hauptarte Ostindiens zwischen Bombay und Madras,
^besuchte Jollt/ das berühmte Heiligthum der Göttin Farvati, das auf einem steilen
Hügfl liegt. Vor einem heiligen Baume, einer Ficus indica, in der Mitte des
)orfes, durch welches er kam, war eine fromme Schar Hinduweiber beschäftigt,
ien LiDgani oder Phallus und andere aus Stein gearbeitete Symbole mit Spenden
ron Rosen zu ehren und mit rothem Farbstoft' zu bestreichen, den sie nachher
|jEnra Betupfen ihrer eigenen Stirn verwendeten. Das Stirojseichen wird jeden Morgen
nach dem Bade erneuert*
Bei den Badagas im Nilgiri-Gebirge pflegen Gatten, die in unfruchtbarer
She leben, einem Gotte einen kleinen silbernen Sonnenschirm oder hundert Cocos-
lüsse zu geloben, falls er ihnen ein Kind bescheert. Am Tage der Namengebung
r er den diene Gelübde abgetragen. Unf nicht bare Frauen wenden sich in ihrer
loth an MahalifUfa (Maha = gross, linga = phallus; ein Name Smas), der in
den Bergen an vielen Orten in Gesttilt eines aufrechten Steins verehrt wird. Eine
^wegen der ihnen zugemutheten wunderbaren Entstehung für besonders wirksam
rehaltene Klasse von Mahalitufas sind die beim Pflügen zuweilen im Boden ge-
bundenen Steinbeile, die für spontan der Erde entsprossen gelten und daher auch
iwagamphu (selbst entstanden) genannt werden Dies erinnert au die Wunder-
[kraft, die man auch in Deutschland den sogenannten Donnerkeilen, den auf-
^gefundenen Steinbeilen der Vorzeit beilegt.
Zwischen Tan j höre und Trieb in opoli sieht man viele Hunderte grosser
?ferde von gebranntem Thon aufgestellt, die dem Gotte Agamr von sterilen
[Weibeni dargebracht sind, damit er ihnen Kinder schenke. Auch er verdankt die
grosse Kundschaft seiner wunderbaren Geburt: denn Aganttrs Eltern, Siwa und
[Vishint^ sind beide männlich. Auch Hetie^ eine Specialgöttin der Badaga-
|üen, die in dem Nilgiri viele Tempel hat, wird häufig angerufen.
Auf Am hon und den Uliase-Inseln opfern die unfruchtbaren Weiber auf
einem heiligen Stein und beten nachher in dem TerapeL
Eine ähnliche Kraft und Bedeutung hat auf Java eine alte holländische
Kanone, die bei Batavia auf freiem Felde liegt. Auf ihr pflegen die Weiber in
ihren besten Kleidern, mit Blumen geschmückt, rittlings zu sitzen, manchmal zwei
«auf einmal ; dabei werden Opfergaben an Reis, Früchten u. s. w. niedergelegt, die
iaun natürlicher Weise von den Priestern eingesteckt werden. (KiehL)
Diese wunderwirkende Kanone führt die Fig. 268 vor, und wir sehen in ihrer
Im gebung allerlei Opfergaben niedergelegt; namentlich auch kleine Schirme,
welche bei den Völkern in Niederländisch Indien als Votivgabe eine grosse
^oUe spielen. Wenn wir die Kanone näher betrachten, so begreifen wir, wie sie
den Ruf als Fruchtbarkeit« bringerin gekommen ist* Der nach hinten den Ab-
chluss des Laufes bildende Knopf hat nämlich die Form einer menschlichen Hand,
3ö*
596
XXH. Die
Uoiracbtbarkcit.
deren Finger die sogenannte Fica bilden, d. h. sie sind zur Faust geb^t tind def
Daumen ist dabei zwischen dem Zeigefinger und dem Mittelfinger vorgesIreclctJ
Diese Fingerstellung wird aber allgemein für eine Allegorie des Coitus angesabi
damit hängt es sicherlich zusammen, dass diese Kanone, dem Glauben des Volkei|
gemäss, den Weibern Kindersegen zu verschaffen vennag.
Als Göttin des Kindersegens verehren die Chinesen nach Pander^ vieileicbl
schon aus vorbuddhistischen Zeiten her, die Kuan yin^ welche häufig mit einem
Kinde dargestellt wird, Ihre sehr schonen Porzellan-Statuetten haben eine ctoss*
Aehnlichkeit mit Madonnenbildern.
^^Biitmo,'' sagen die Japaner, »welche viele Jahre ohne Kinder in der Eh« g'-nnn
hatte, richtete ihr Gebet an die Götter, wurde erhört und gebar — fünfhundert Eier iH
sie befiirchteti), däjßs die Eier vieUeicbt Ungeheuer hervorbringen möchten, so päd '
in eine Schachtel und warf sie ina Wasser. Ein alter Fischer, der die Schachtel
die Eier in einem Ofen ftu#, welche fünfhundert Kinder hervorbrachten. Die Kiti4tjr wuiUtui,
1 V'^
Fig 2fiei
Alte& UotUuiliaeliea Kvüoueurobr bei BatftViii, d&e d«o Weibern El» i
(Nach PhotogTft|ihio.>
»ngc
mit gekochtem Reu und Beifuseb lüttem gefüttert, und da man sie endlich aich »elUw OImt*
lies«, io fingen &ie an, Htraaaenrüuber zu werden. Da sie von einem Mstnne hörton. ämr y^wt^ptm
seines grossen Reichthnms herühmt war» eo erxJlhlten sie ihre Geschichto vor dotMii TbOfv
und bettelten einige Spebe. Es fügte «ich, daaa dieses Hau« daa Haus ihrer Mutier ww
welche sie sogleich für ihre Kinder erkannte und ihren Freunden und Nachbarn *M*f> -^^^ti
grossea Gastmahl gab. Sie wurde nachher untor dem Namen Bensaita unter die U
versetzt. Ihre 500 Söhne wurden boatimmt, ihre beiiti^ndigGn Begleiter xu #ciD^ und
bU auf diesen Tag noch in Japan alu die GiHtin der Fruchtbarkeit und de« ßr:
verehrt/ (tlorjitj
Bei Kinderlosigkeit scheinen die Oroken,
Sachalin, die Ehe dadurch fruchtbar zu machen,
sonderbaren Götzen hängen, wie Poljak^w ben*-^^-*
niai,» ^%m
I
die
Urbewühner der
aii; Über das fielt
loiel
L>6. Göttliche Hälfe gegen die Unt'roehtbarkeit.
597
^Kb war eine Grappe, die eine Frau nnd einen Seehand, mit einer gemeinschaftlichen
Decke bedeckt, zuBaromen schlafend reprS,aentirte. Ich hatte schon früher erfahren, welche
wichtige materielle Bedeutujsg im Leben der Oroken und Giljaken der Seehund besitzt;
lieh Überzeugte mich indeg« auch von der religiösen Bedeutung, die diesem Thiere beigelegt
[wird, Bo dass ich auch diejenige dea Götzen unschwer erfassen konnte.* Poljakoic nahm das
[Götzenbild und hing es an seine Hütte. Der Orok bat, es ihm wiederzugeben, da er ee zum
Schutze gegen Magenschmerzen halte; diea war jedoch eine falsche Angabe.
Auf Serang betet der Priester, der nachher mit den Dorfgenossen dif
Opfergaben verspeist, mit der Frau:
«Herr Firmament, Herr Erde, Himmel, Erde, seid gnädig and gebt mir ein Kind.*
Die Fmuen der alten Peruaner, die sieh Kinder wtlDschien, [»flegten nach
H?. Tschudi
«irgend einen kleinen 8tein in ein Stück Zeug einzuwickeln und mit Wollläden zu
[umbinden; sie legten diesen eingewickelten Stein neben einen Feisblock und eraseigten dieeem
[ihre Verehrung durch kleine Opfergaben. Dieser WickeUtein hiess Wasit.*
Der germanische Gott Fro oder Frmjr war auch
'der Gott der Liebe und der Fruchtbarkeit; ihm scheint der
Johannistag geweiht gewesen zu ssin, denn diesen Tag
[bringt rnan noch heute mit Liebe, Beiehthum und Frucht-
Ibarkeit in abergläubische Beziehung, Die NüBse sind das
ISinnbild der Fruchtbarkeit, auch der geschlechtlichen.
\(Zingcrlc^.) Unrl nun heisst's im Volke: Wenn es den
l^anzen Johannistag nicht regnet^ so giebt*8 viele Küsse (in
[Schwaben, Schlesien und Thüringen), und am Lech
[giigt man: Wenn es an diesem Tage regnet, so werden
iie Nüsse wurmig und viele Mädchen schwanger. ( Wutike,)
In Tyrol sind unter Mirakelbildem auch sogenannte
Muettern aufgehängt. Es sind das kleine Kröten von
Wachs, welche die Gebärmutter darstellen sollen. Man
glaubt, die Weiber hätten ein solches krötenartiges Wesen
im Leibe, Manche Mütter legten sich nieder und hätten
während des Schlafes den Mund geöffnet, da kroch die
Muctter heraus und zum näclisten Wasser, wo sie sich
badete. Wenn nun das Weib inzwischen den Mund nicht
feachloasen hatte, kroch die zurückkehrende Muetter wieder hinein und die frühere
Tanke war wieder gesund; hatte das Weib aber inzwischen den Mund geschlossen,
[80 starb sie. Unfruchtbare Weiber opfern solche Wachsfiguren bei Bildern der
iGottesmutter und der heiligen Kümmernisa. (ZinfferleK)
Solch eine krötenförmige Wachsmutter, welche ich im Jahre 1890 in einem
Wachsziehergeschäft in Salzburg kaufte, zeigt die Figur 269, Dieselbe ist auf
.Seite 236 schon erwähnt worden.
In katholischen Ländern hält man zur Beseitigung der Unfruchtbarkeit
natürlicher Weise auch Gebete zu den Heiligen für hülfreich; so stehen in Steyer-
mark Wallfahrten zu wunderthätigen Gnadenbildem, namentlich nach Maria
[Zell, Maria Trost, Maria Lankowitz« Frauenberg bei Admont u, s, w.
in hohem Ansehen. (FosseL)
In der sUd italienischen Provinz Bari steht der heilige Francesco di
ißaoto in besonderem Rufe als Helfer bei Unfruchtbarkeit. (Kanmo,) Nach
IjJemic glaubt man im russischen Gouvernement Tscher nigoff, dass eine Wall-
fahrt nach der Lawra, dem berühmten Kloster in Kiew, und die Berührung der
[dort in den Katakomben aufgestellten Heiligen die Unfruchtbarkeit heile.
Kindersegen verschafft im Luxemburgischen die Muttergottes Maria im
Walde auf einer Eiche zwischen Alttrier und Hersberg wie früher auf dem
Helperberg, die heil. Ltteia dagegen im wallonischen Luxemburg. Ander
I südlichen Grenze dieses Landstrichs, nahe bei Verdun, sieht man noch in einem
Fig 269. V L» i i V - K r ö I « Att»
Wachs, (S»l2bQrg.)
(K&ch Photog^raphio.)
598 XXII. Die Therapie der Unfruchtbarkeit
Felsen den Lehnstuhl dieser Heiligen; diesen steinernen Sitz nehmen betend kinder-
lose Frauen ein und erwarten mit Zuversicht die Erf&llang ihrer Wttnsche. (de
la Fontaine.)
Auch die Französinnen riefen in der Noth der üiAmcfatbarkeit die Hülfe
der Heiligen an, aber hier waren es mannliche Heilige, welche das Wunder ver-
richteteu. Noch bis zu der Zeit der Revolution bestand in Brest eine Kapelle
des heiligen Guignolet^ der das Attribut des Priapus f&hrte.
^Lea femmes steriles ou qui craignaient de TStre allaient & cette statae, et, apres avoir
gratte ou racle ce quo je n'ose nommer, et bu cette poudre infos^e dans an verre d*eaa de
la füntaine, ces femmes s^en retoumaient avec Teapoir d*dtre fertiles.*
Sf, Guerlichon wird ähnlich verehrt und hat die gleichen Erfolge aafzu-
w eisen. {Harmand)
In den Pyrenäen bei Bourg-d'Oueil befindet sich eine steinerne männ-
liche Figur von 1^2 Meter Höhe, welche 6ra peyra d^ Peyrahita genannt
wird. An ihr reiben sich die unfruchtbaren Weiber and umarmen und
küssen sie.
Dass wir in diesen Dingen die Reminiscenzen eines alten Phalluscnltus
wiedererkennen müssen, das liegt wohl auf der Hand und es ist wohl nicht un-
wahrscheinlich, dass es hier ursprünglich phönicische Gottheiten sind, welche
im Laufe der Jahrhunderte allmählich die Wandlung in christliche Heilige durch-
gemacht haben.
157. Vebernatttrliche menschliche Hülfe zur Bekämpfting der
Unfruchtbarkeit.
Unter den Menschen, welche einem Weibe, das mit dem Flache der Un-
fruchtbarkeit behaftet ist, eine wirksame Hülfe zu leisten yermögen, stehen die
IMester obenan. So erzählt Büttikofer von den Vey-Negern in Liberia:
„Der unter den Eingeborenen allgemein herrschende Aberglaube ermöglicht den zahl-
reichen Fetischdoctoren, in der Vey spräche buli-kai genannt, eine lohnende Existenz, da
dieselben nicht allein durch das Anfertigen und Einsegnen von Grigris, sondern auch durch
Beschwörungen von Zauber u. dcrgl. viel Geld verdienen. Ein richtiger buli-kai weiss überall
Kath zu schauen. Bekommt z. B. eine Frau keine Kinder — was als eine grosse Schande
gilt — , so schreibt sie dies einem auf ihr lastenden Zauber zu und holt sich beim Fetisch-
doctor Rath, welcher sofort bereit ist, für eine geringe Entschädigung den Zauber zu lösen.
Kh müsson dann saras gelegt, oder auf andere Weise die bösen Geister günstig gestimmt
wonloii. Ott vorlangt der Doctor eine ganze Reihe von Gegenständen. Einige derselben
werden, nachdem die nöthigen Zauberformeln darüber gesprochen sind, begraben oder in den
Fluss geworfen, andere sind dazu bestimmt, um .verkauft* zu werden, worunter der Doctor
vorsteht, dass dieselben ihm übergeben worden müssen. Unter den letzteren sind ein gewisses
C^uiiiitum Reis oder ein weisses Huhn die gebräuchlichsten. Immer nennt der Zauberer genau
die Färbt» dieser Opfer, und wenn z. B. kein weisses Huhn herbeigeschafiFt werden kann, so
inuHH ein Stück weisses Baumwollzeug an «lessen l?telle treten. Weiss und Roth scheinen die
beiden Farben zu sein, welcho bei solchen Gegenständen allen anderen vorgezogen werden.
Dabei macht der Doctor seinen Clienten allerlei Vorschriften über das Vermeiden gewisser
Speisen. So findet man z. B. Personen, die kein Huhn, Andere die kein Aftenfleisch, und
wieder Andere, die kein Fleisch einer ihnon spocioll genannten Antilopenart essen dürfen.
Dieso Enthaltungsvorschriften gehen oft von Eltern auf Kinder und Enkel über. Als ich zu-
fällig oinmul einen meiner Diener fragte, warum er kein Artenfleisch essen wolle, antwortete
«r, weil moine Mutter es nicht essen darf."
Bei (lujrat im Punjab in Indien befindet sich der Tempel Sbadowla, in
wolchoiu seit dem 17. Jahrhundert mikroceplmle Priester, die Chua id. b. Ratten,
nach dtT Missbildimg ihres Schädels genannt), den Tempeldienst versehen.
-Dor Tempel wird heimlich von Weibern besucht, welche die Nacht darin subringoi.
und am Morgen nur einen Chua an ihrer Seite finden, was die Conception begünstigen nad
'^Vuas erzengen soll." {Jagor\)
X-LH l'rf Tian.::»* äs l r±i>hnr«LT^fiT-
'•Zltz. nczikTU welches sie in der linken
iL'f Irks^ Ton der Gestalt der soge-
: n Alpen gebriocUich sind. An
:-ri- w*l:lr kjeii.* Kisoer darstellen sollen. Wie
1 iei Frj:i:":*r£eai&rLber ansfiben. Termag ich
■?:i--TV>:!r. i:&i:£el: t« seh um ähnliche Manipola-
.: :t1 Bä*. är-LLj-rli: veT^^i^raLtei lif Wefticr. w«in ihnen der Kinder-
Tri^är: i^*. -ä.~ :ii.srrTi. Be^riffrz >rhr a'nsr'üderliche Maassnahmen:
t --::.ri. iLi^ i:^ Htl:* *iiier V. t ^ ws i=f- ifc t^m Kisd«r besitzt, damit er fSr sie
t:: : .:> Irr Eie^ä":-.* i?- Frfcz Vrzir: isrhzf ^-^— §ö ixsnge EalapafrÜchte zo-
^zL-z-ez.. -v-^rieDd öe ani rotfaem Kattun
eizff P=T-pe Tcz eznem halben Meter Länge
T «r: «niA Aa renbiedeten Tage kommt
i-rz ':*^irf5esde Mann in das Hans der
Tri.:, llsn das Ehepaar neben einander
iiii^z. -zz-i seixt tot sie einen Teller mit
Sirir-i irjuiz scd einer jungen Kaiapa-
frz jl: "-ii. r^abei büt die Fran die Pappe
'jz. Azzzi. als ob sie dieselbe s&ugte. Die
Fr:::h.T "^Ird j:e^Äet und mit dem darin
er:lAliezez Wasser Mann und Frau be-
»ire::^. I'äraaf nimmt der Helfer ein
H-r^ Tini hält dessen Fflsse gegen den
K.'t:" der Fra::. indem er dazu spricht:
.«.• OiifUro. mache Gebrauch tod
tiez: Huhn, laes &llen. lass hernieder-
>:<?:zeL einen Menschen, ich bitte dich, ich
iebe iicb an. einen Menschen lasa fallen.
*.Äj« ihn bemieder^teigen in meine Hände
uci d-f meinen Schoiws!*
S:fon fragt er dann die Frau: »Ist
diä Kind gekommen?* Worauf sie ant-
w.ne;: .»U. es sangt bereits.* Dann be-
rlhn or d.^s Uiupt des Mannes mit den
H::hnerfr:>sen und murmelt dazu einige
F:<r:-e'.n. Das Huhn wird danach durch
einen Schlag gegen den Hauspfotten ge-
iCKite:. dann wird es geöffnet und die
Ader Azn Herzen untersucht Es wird dar-
au: auf den Teller gelegt und aut den
Op:en'*atz in: Hause gestellt. Dann wird
im Dorfe verkfindigt. dass die Frau
»ch wanger wäre, und alles kommt und
l>eglückwjn<cht sie. Ihr Mann leiht eine
Schaukel wiege, in die sie die Puppe hinein-
legt und dieselbe sieben Tage lang wie
ein neug>?borenes Kind bebandelt. fRiedel^.i
In ;iliiiliclj«:r \V»rise wird d^rr unfruchtbaren Nischinam-Frau in Californien
von ilin^r i'n.'un'lin ein«f l^upyie aus Gms treschenkt. die sie dann, um ihre Un-
triirhtbarkfiit zu be:-eiti^en. NVin^enlieJer sinkend, an die Brust legt. {Power,)
Da« Ml IS»' um für Völkerkunde in lierlin besitzt aus Sumatra zwei Holz-
W^urf'.n. w«rlrh»r den Xanien Debata idu]» führen. Diese mU.^ssen von unfrucht-
lmr«rn W^rihern, w»iif lur Kinderstuben erbitten wollen, wie Kinder auf dem RQcken
^etra^ftn wffrfi'-n. ^'ut stellen in sehr rober Ausführung einen Mann und eine
l'riiu flar. b(;i'l>; vollständig nackt; es sind sicherlich erwachsene Leute, und man
könnt«; auf die Verniiithung kommen, dass hier der Gedanke von einem mystischen
CoitiiH (li<'s<?r Figuren zu Grunde liegt, deren befruchtender Erfolg dann auf die
y
M
! .: Volfc«:
li .»ik' r. grtrj^m. SumaTri.
it.:-, Berlin Nici. PL-v.'jrÄpLie.
158. Die Hülfe der Todten gegen die Unfruchtbarkeit. 601
Trägerin der Puppen übergehen soll. Beide Figuren haben die Hände über
ihren Genitalien gefaltet. Fig. 271 führt sie nach einer photographischen Auf-
nahme vor.
Eine übernatürliche Hülfe bei der Unfruchtbarkeit finden wir in einer hand-
schriftlichen Sammlung von Yolks-Heilmitteln aus Bosnien vom Jahre 1749,
welche Truhelka mittheilt. Es heisst darin:
, Welches Weib keine Kinder gebiert, suche eiue Frau, die sich in gesegneten Um-
ständen befindet, nehme gesäuertes Brod durch einen Zaun aus ihrem Mund in den eigenen
Mund, esse es auf, und sie wird ein Kind gebären."
158. Die Hülfe der Todten gegen die UnfrnchtbariLeit.
Eine sehr naive, aber echt menschliche Anschauung liegt einer Maassnahme
zu Grunde, welche nach Krauss von den Süd-Slaven in Anwendung gezogen
wird, wenn unfruchtbare Frauen sich Kindersegen verschaffen wollen. Solch un-
glückliches Weib begiebt sich dann zu dem Grabe einer Frau, welche während
der Schwangerschaft gestorben ist. Sie ruft diese bei Namen, heisst von dem
Grase, das auf dem Grabe wächst, etwas ab und wiederholt die Anrufungen, wo-
bei sie die Verstorbene beschwört, dass sie ihr ihre Leibesfrucht schenken möge.
Dann muss sie etwas von der Erde des Grabes nehmen und diese am Gürtel mit
sich herumtragen.
Ganz ähnlich muss auch bei den wandernden Zigeunern Siebenbürgens
die unfruchtbare Frau Gras von dem Grabe einer Wöchnerin essen, welche im
Kindbett gestorben ist; dieses hat aber bei zunehmendem Mond zu geschehen.
(v, JVlislocki^)
Bei den Nord-Basutho in Malakong im nördlichen Transvaal wird bei
Kinderlosigkeit nicht der Frau, sondern dem Manne die Schuld beigemessen, und
ihm kommt es daher auch zu, die Sühne zu versuchen, und nicht der Gattin.
Missionar Schloemann berichtet hierüber:
^Nachher kam unser (National-) Helfer Salomo und sagte, dass allerdings auch die
Heiden ein Bewusstsein dafür hätten, dass man durch Kränkungen seinen Nächsten tödte:
sie würden nach dem Tode eines an Gram gestorbenen Menschen oft durch ihr Gewissen von
ihrer Schuld überzeugt. Ihr Sprachgebrauch sagt geradezu: ,Er ist an Gram gestorben."
Das Gewissen eines solchen, der einen Gestorbenen viel gekränkt hat, erwacht oft bei etwa
eintretenden Unglücksfällen, als Sterblichkeit unter den Kindern, oder bei gänzlichem Mangel
derselben, Krankheit unter dem Vieh u. s. w. Der dadurch Betroifene trägt diese Schläge
zuerst mit dumpfer Ergebung, nimmt aber bald seine Zuflucht zu den Zauberern und lässt
es sich viel kosten, damit derselbe durch allerlei heilkräftiges Kraut und altüberlieferte Ge-
bete und Zauberformeln das Unglück von Haus und Hof vertreibe. Sieht er aber, dass den-
noch das Missgeschick nicht von ihm weicht, so giebt er sich gefangen, sein Gewissen er-
wacht und sagt: ,Es ist der Vater (oder sonst einer), den du zu Tode gekränkt hast, welcher
dir das Unglück zuschickt." Sein Plan ist dann schnell gefasst, der Todte muss versöhnt
werden, damit Glück und Frieden zurückkehrt. Er geht in die Wildniss, sucht dort das Grab
des Vaters auf, und bekennt an demselben im Gebete, was ihm Kummer macht. , Vater,
ich habe keine Kinder, denn ich habe an dir gesündigt. Lass ab von Deinem Zorn und kehre
mir Dein Herz wieder zu!" So fleht er und dabei ergreift er irgend einen Gegenstand beim
Grabe, etwa ein Steinchen oder einen Zweig, und nimmt ihn mit nach Hau8e. Dort wird
derselbe zu seinem Fetisch, welchen er als Amulet mit sich herumträgt oder in seinem Hof-
raum irgendwo unterbringt. Die nahe Beziehung, welche er niui mit dem von ihm verehrten
Gegenstande pflegt, soll die wiederhergestellte Gemeinschaft zwischen ihm und dem Ver-
storbenen andeuten, welchem dieser ganze Cultus gilt. Ein solcher Fetisch ist auch der Baum-
stamm, welcher als Eingangsschwelle zum gprossen Versammlungsplatze der Hauptstadt dient.
In ihm wird der verstorbene Häuptling Mancopane verehrt, zu dessen Versöhnung er dort
niedergelegt wurde."
Einen Orab-Gulhis finden wir auch bei einigen anderen Völkern wieder^
jedoch lasrt sieh derselbe noch wiedemm in zwei Onippen eintheilen, je nachdem
502 XXII. Die Therapie der Unfrachtbarkeit.
es sich um männliche oder um weibliche Begrabene handelt. Von der letzteren
Gruppe soll weiter unten geisprochen werden. Der ersten Gruppe, welcher ja auch
das soeben berichtete Beispiel angehört, können wir noch einige andere Thatsachen
hinzufügen. So berichtet Demic:
„Unfruchtbare Kirgisen- Weiber begeben sich zur Nachtzeit auf die Gr&ber hervor-
ragender Personen und opfern hier einen Widder und bringen dort die ganze Nacht bei
loderndem Feuer unter Gebeten zu.*
Um einen Sohn zu bekommen, treffen die Zeltbewohner in Marokko viele
abergläubische Vorkehrungen; sie pilgern während der Schwangerschaft ihrer Frau
nach der heiligen Stadt Nesan und suchen von dem Orossscherif derselben, Sidi,
das feste Versprechen zu erlangen, dass der Allerhöchste einen Sohn schenken
möchte; daflir nimmt der Grossscherif als Geschenk ein Pferd; um ganz sicher
zu gehen, pilgert der gläubige Mann wohl auch nach Fez zum Grabmal Mtdei
Edris^ und opfert den Schriftgelehrten des dortigen Gotteshauses eine Summe
Geldes. (RoMfs.)
Bei Eskischehir in Kleinasien liegt nach Dernhurg das Grab des heiligen Helden
Sidi Ghasi BattaL „In der Kibia, der gegen Mekka orientirten Nische (der Grabkapelle
des Heiligen), hängen Votiv- und Dankinschriften, wie wir sie auch bei uns in den katho-
lischen Kirchen als Dank fär die durch Heilige bewirkte Genesung aufgehängt sehen. Die
Wunder des Heiligen vollziehen sich noch immer an den Gläubigen. Unfruchtbare Weiber
erhielten hier Kindersegen durch Binden, die sie auf den Sarg des starken Helden auf-
gelegt hatten.*
Folgendes erzählt Riedel^ von den Watubela- und Aaru-Inseln, sowie
von den Inseln des Sula-Archipels:
Hier gehen unfruchtbare Weiber mit ihren Männern zu den Gräbern der Eltern, oder.
wenn sie Mohammedaner sind, Freitags nach der sogenannten Knb Karana, dem heiligen Grabe.
um im Verein mit einigen alten Frauen daselbst zu beten. Sie nehmen dabei mit eich einige
piga mena-mena, einen gefüllten Sirih-Kober, einen Bambus mit Wasser und eine lebende
Geis, die Heiden auch wohl ein junges Ferkel. Das Grab wird dann rein gekehrt, die piga
mena-mena mit dem dareingegossenen Wasser und der Sirih-pinang auf das Grab gelegt
wahrend die Geis oder das Schwein in der Nachbarschaft festgebunden wird. Nachdem sie
dies verrichtet haben, spricht der Mann flüsternd:
„(ich) theile mit dem Grabe meiner £ltern, wenn ich ein Kind kriege, dann will ich
eine Geis (Schwein) opfern oder dem Volke zu speisen geben, ich verlange nach Heilmitteln.
um ein Kind zu kriegen, Medicin, die ich trinken kann; wenn ein Kind mir gegeben ist.
komme ich zurück (um zu opfern)/
Die betrettende Medicin wird im Traume sowohl der F'rau, als dem Manne bekannt ge-
macht. Dann waschen sich die Ehegatten mit dem Wasser, das dadurch geweiht wurde, das«
es auf dem Grabe gestanden hat, und essen zusammen Sirih pinang. Ein Theil des letzteren
wird in einer Schüssel auf dem Grabe zurückgelassen. Darauf kehren sie nach ihrer Wohnung
zurück und nehmen die Geis oder das Schwein wieder mit. Wird die Frau schwanger, dann
wird das bewusste Thier geschlachtet und den Negari-Genossen gekocht vorgesetzt, damit sie
den Xiaua, den Geist des Vaters oder des Heiligen, dessen Grab besucht worden iat, loben
und preisen können.
Im Orient schreiten Frauen, die sich Nachkommenschaft wünschen, ohne
zu sprechen sieben Mal über den Körper eines Enthaupteten. Andere tauchen zu
dem.selben Zweck schweigend ein Stück Baumwolle in das Blut des Geköpften
und wenden dies in einer ganz besonderen Weise an.
Die wandernden Zigeuner in den Donau-Ländern haben noch den Ge-
brauch, Nägel von Särgen oder von Grabkreuzen in Wasser zu legen, und dieses
letztere müssen kinderlose Eheleute bei zunehmendem Monde trinken, um sich
Nachkommenschaft zu verschilften. Bei den türkischen Zigeunern wird die
Leiche eines Verstorbenen mit dem Blute eines schwarzen Huhnes besprengt.
Sind diese Blutstropfen am Körper des Todten getrocknet, so werden sie sorg-
laltig abgeschabt. Unfruchtbare Frauen mischen dann diesen Blutstaub mit Esels-
milch, die sie darauf aus einem Kürbisnapfe trinken. (i\ Wlislocki\)
1 59. Die Baumseele, d. Feuerftinken u. andere sy mpath. Hülfsmittel geg. d. Unfruchtbarkeit. 603
Wir müssen dieses ebenfalls als eine Hülfe ansehen, die der Todte der Unfrucht-
barkeit leistet; und dahin gehört auch das Folgende, was wiederum von den
Zigeunern gemacht wird. Sie fertigen die sogenannten «Todtenmänner'', kleine
Menschen- oder Thiergestalten aus einem Teig von Baumharz, das den Bäumen
eines Kirchhofs entnommen ist, femer aus den „gepulverten Haaren, Finger- und
Fussnägelstücken eines todten Kindes oder einer Jungfrau, und aus Aschentheilen,
welche man nach dem üblichen Verbrennen der Kleider eines Verstorbenen erhält.
Diese kleinen Figuren werden an der Sonne getrocknet und bei vorkommender
Gelegenheit zu Pulver gerieben. Wird von diesem so gewonnenen Pulver unfrucht-
baren VTeibern etwas in einen Hirsebrei gemischt, den sie bei zunehmendem Monde
verzehren, so wird die Conception befordert.* (t\ Wlislocki^.)
Der Grab-Cultus mit weiblichen Todten zur Erlangung der Fruchtbarkeit
wird im zweiten Bande besprochen werden.
159. Die Baumseele, der Fenerfanken und andere sympathetische HQlfs-
mittel gegen die Unfruchtbarkeit.
An eine sympathetische Verknüpfung zwischen der Seele bestimmter Bäume
und Pflanzen und den Lebensschicksalen der Menschen wird von vielen Nationen
geglaubt. Auch auf das Wichtigste im Leben des Weibes, auf die Erweckung
von Kindersegen, vermag die Baumseele Einfluss zu üben.
Die Weiber der Schins im Himalaya richten ihre Gebete um Kindersegen an den
Tschili-Haum. (v, Ujfalvy,) Bei den Enra-Kirgisen gelten ebenfalls Bäume, und zwar
vereinzelt stehende Apfelbäume, als Zufluchtsstätten für unfruchtbare Weiber. So heisst es in
einem ihrer Gedichte, das Kadloff übersetzt hat:
^Tachiritschi, des Aidar Tochter, Sind schon 14 Jahr verflossen.
Hatt' einst Jacyb Chan gefreit/ Nie ging sie zur heiFgon Stätte,
«Wenn auch Tschiritschi gefreit ich, Wälzt sich nicht beim Apfelbaume,
Eüsste ich doch nie ein Kind, Uebemachtet nie beim Heilquell,
Tschiritschi band nie ihre Haare auf, 0, erbarme Dich, mein Herrgott,
Gott um Hülfe flehend, schaut* sie mich MOg' im Leib der Tschiritschi
nicht an. Doch ein Knabe jetzt entstehen!
Fest nie band sie ihre Hüften, Könnt* ich binden ihre Hüften,
Und gebar mir keinen Knaben. Mir *nen Sohn gebären lassen u. s, w.*
Seit die 2'schiritschi gefreit ich (Vamhery,)
Von den Süd-Slaven erzählt uns Kr aussei
„Folgende zwei Zaubereien beruhen auf altem Glauben an die Baumseele, welche in
der Gestalt eines Holzwurmes in dem Baum ihren Aufenthalt hat. Das Weib nimmt eine
Holzschüsscl voll Wasser und stellt sie unter einen Dachbalken, wo aus dem wurmstichigen
Holze feiner Wurmfrass herabrieselt. Ihr Mann schlägt mit einem schweren Gegenstande auf
don Balken und schüttelt den Wurmstaub heraus. Glückt es dem Weibe, auch nur ein
Br(">cklein dos Wurmstaubes aufzufangen, so trinkt sie es sammt dem Wasser aus. Manches Weib
sucht im Knoten der Haselstaude nach einem Wurm und isst ihn auf, wenn sie ihn findet."
In dieselbe Anschauungsgruppe gehört auch folgender Zauber aus Bosnien.
Das Weib, das seine Fruchtbarkeit zu beseitigen wünscht, muss am ersten Sonn-
tage nach dem Neumonde aus einer Frucht der wilden Heckenrose drei Würmer
heraussuchen. Hat sie diese glücklich gefunden, so steigt sie auf einen Weidenbaum,
blickt gegen die Sonne und isst die Würmer auf. Dabei muss sie dreimal sprechen:
„Die Sonne ging hinter die Berge und ich werde in die Hoffnung kommen." (TruhelkaJ
Bei den Zigeunern sollen unfruchtbare Frauen sich bei zunehmendem Monde
von einer Zauberfrau von jedem Nagel an den Händen und Füssen und von den
Haaren auf ihrem Wirbel etwas abschneiden lassen. Das müssen sie dann in ein
Säckchen nähen \ind dieses in das Bohrloch eines Baumes schieben. Das Bohr-
loch wird mit Wachs verklebt, und sobald es mit frischer Rinde tiberwachsen ist,
kann sich die Frau als geheilt betrachten, (v, WlislocJci^.)
604
XXII. Die Therapie der Unfrachtbarkeit.
Die Miaotze, Ureinwohner in der Provinz Ganton, haben, wie Miasionar
Krosczyk berichtet, eigenthümliche Gebrauche, um Fruchtbarkeit za erzielen. Ist
bei ihnen eine Ehe kinderlos, so nimmt man einen Korb, legt weiaaes Papier
hinein und stellt einen Priester an, um dieses Papier anzubeten. Daaselbe stellt
numlich die Fa-hnig-mo vor. Die Fa-kung-mo^ BlumengrossTater and Blumen-
grossmutter, sind Geister, welche die Seele des Kindes in einem Garten zorQck-
halten. Der Priester bringt nun Opfer Ton Hühnern oder Schweinen diesen
Blumenahnen, um sie gunstig zu stimmen. £s hängt ja nar daron ab, dass des
Kindes Seele aus dem Garten entlassen werde, so muss das Kind selbstTerstfindlich
zum Vorschein kommen. Die Ceremonie nennt man Kaa-£^ d. h. Blamen anbeten.
Aus Bosnien lautet eine Vorschrift:
^Wenn ein Weib keine Kinder hat, suche sie im Miste einei imbekaimten Hensiies
ganze Gerstenkümcr und baue selbe an. Wenn aie keimen, soll sie drei Kömer aafeuen» und
sie wird ein Kind gebären.* (Truhelkaj
Truhelka fährt fort:
,Auch der Feuerfunke hat ähnliche Kraft, das Weib za befruchten. Das Weib hält eine
Holzschtbf^el voll Wasser neben dem Feuer auf dem Herde. Der Mann schlägt indeüen zwei
Feuerbrände an einander, dass die Funken sprühen. Nachdem einige Funken in die Schflssel
gefallen, trinkt das Weib das Wasser aus der Schüssel aus *
Fii;. lT^. Kruihtbiirkeits-Ziulw-T. i'Nach /VfrarcAa^ Trostspiegel.)
Mit der reini<(<.'nden und entsühnenden Kraft des Feuers hängen auch wohl
die folgenden üebriiuche zusammen:
B^'i den wanderndem Zigeunern in Siebenbürgen muss nach t\ Wlislocki-
das Weil), welclicfs befürchtet, unfruchtbar zu sein, Wasser trinken, in welches der
(luttu glühf'ndc Kohlen geworfen, oder noch besser, seinen Speichel hat rinnen
lassen, mit den Wort»*n: .Wo ich die Flamme bin, sei Du die Kohle, wo ich der
Keg<?n l)in, si*i Du das WaHs»;r.'
Einen eigen tlin ml ichen Fruchtbarkeitszauber, welcher sich am besten gleich
ansrhliesst, finden wir in Pctnirrhne Trostspiegel abgebildet. Eine Frau steht
mit aufgeht jbenen liilnden, wie anbetend, zwischen Buschwerk im Freien, während
aus ciiifiu starken Gewölk ein dichter Regen auf sie niederprasselt. Ihre Kleider
liat sie mit mehreren Stricken fest um den Leib zusanmiengebunden. Eine solche
Unmchnüriing liegt dicht n1)er dt>n Knöcheln, eine zweite um die Höhe der Waden
und eim^ dritte ist über die Kniee gebunden. Das ist also wohl ein ähnlicher
Zauber, wie derjenige, welchen die Kara- Kirgisin TschiritscJn unterlasBen
hatte: ,Fest nie l;an(l sie ihre Hüften **. Ob es sich hier um den Mairegen handelt.
1 59. Die Baumseele, d. Feuerfanken u. andere sympath. HOl&mittel geg. d. Unfruchtbarkeit. 605
oder um die befruchtende Gewitterwolke, das ist leider aus dem Text nicht zu
ersehen. Im Vordergründe kniet ein Mann, die Hände gegen den Himmel ge-
streckt, um aus den Händen Gottvaters, der in vollem Ornate aus dem Wolken-
fenster hervorschaut, ein nacktes Kindlein zu empfangen. Fig. 272 giebt eine
Nachbildung dieses Holzschnittes.
Unter dem übrigen sympathetischen Zauber, welchen wir die Unfruchtbaren
unternehmen sehen, spielen natürlicher Weise auch die Amulete ihre wichtige
Rolle. Wir trafen sie bereits bei den Weibern der Bakhtyaren in Persien an.
Auch die Sudanesinnen tragen nach Brehm Amulete gegen die Unfruchtbarkeit
unter ihrer Schürze.
Ebenso behängen sich die Weiber der Mauren in Marokko mit einem
Talisman oder einem Amulet, um sich gegen Unfruchtbarkeit zu schützen; be-
sonders beliebt soll unter ihnen zu diesem Zwecke der Fuss eines Stachelschweins
sein, welchem die Eigenschaft beigelegt wird, die Fruchtbarkeit zu erhöhen.
(Schlagintweit)
Bei den Mekkanerinnen ist das Tragen eines Zaubergürtels als Mittel,
Fruchtbarkeit zu verschaffen, sehr gebräuchlich. (Snouck Hurgronje,)
In Persien gilt die Alraunwurzel (Mandragora) als Amulet gegen die
Unfruchtbarkeit; sie heisst dort Mannskraut (merdum giäh) oder auch Liebeskraut
(mehr-e-giä).
Die Mandragora hat sich übrigens auch in verschiedenen Gauen Deutsch-
lands eines grossen Rufes erfreut, und manche Gelehrte wollen sie mit den Du-
daim der Bibel (1. Mos. 80, 16) indentificiren und sie haben geglaubt, dass ihr die
Lecih ihre Schwangerschaft zu danken habe. Ich vermag dieses aus der betreffen-
den Bibelstelle nicht zu entnehmen.
Die Zigeunerinnen der Donau-Länder tragen, wenn sie unfruchtbar
sind, „Schlangenpulver' in ein Kinderhäubchen eingewickelt auf ihrem blossen
Leibe. Tritt dann eine Schwangerschaft ein, so wird dieses Amulet in einen Fluss
geworfen, damit es die „Schlange auffange und dadurch zu Gift gelange*. Ueber-
haupt sehen wir hier wiederum die Schlange in directer Beziehung zur Frucht-
barkeit stehen, wie wir an früherer Stelle schon ihre Verbindungen mit der Men-
struation kennen gelernt haben. Wenn bei den Zigeunern nämlich eine Schlange
in der Oster- oder Pfingstwoche gefangen wurde, so ist es nach r. WUslocki^ ge-
nügend, dass ein unfruchtbares Weib sie berührt, um von ihrer Sterilität geheilt
zu werden. Dabei muss sie die Schlange aber dreimal anspeien und mit ihrem
Menstrualblute besprengen; auch hat sie folgende Beschwörung zu sprechen:
, Werde dick, du Schlange,
Damit ein Kind ich erlange!
Dann bin ich jetzt, so wie du,
Habe deshalb keine Ruh*!
Schlange, Schlange, gleite hin!
Wenn ich einmal schwanger bin,
Geb' ich eine Haube dir, eine alte,
Damit dein Zahn viel Gift erhalte!*
Das Letztere bezieht sich auf das vorher erwähnte Kinderhäubchen.
Die sympathetisch befruchtende Wirksamkeit männlicher Thiere oder deren
charakteristischer Körpertheile ist uns auch bereits begegnet Hier mögen noch
einige Beispiele folgen.
Die Masuren in Westpreussen wenden gegen Unfruchtbarkeit der Weiber
das Wasser an, welches vom Maule des Hengstes abläuft, nachdem er getrunken.
(Ko2)eniicki.)
In Bosnien heisst es nach TruheUca in einer alten Handschrift:
«Auch dagegen giebt es ein Mittel, wenn Mann und Weib nicht zusammen schlafen
können imd keine Kinder haben: Man nehme einen schwarzen Hahn, aus dessen Eanmie soll
6U6 XXII. Die Therapie der Unfniehtbarkeit
der Mann Blut saugen, w&hrend aus dem Lappen das Weib Blut saiigen mag, and dann laue
man den Hahn aus; man sagt, dass sie dann Kinder haben werden.*
Im Sa ml an de wird eine Frau erhört, deren Wunsch, gesegneten Leibes zn
werden, sich wegen Verhexuug nicht erflillt, wenn sie in der Sonnwendnacht drei
Stunden lang in einer Wagengabel, in welche eine trachtige Stute gespannt war,
steht, und während dieser Zeit ununterbrochen den Rosenkranz betet. {Spitzer,)
Einen Eierzauber haben die Zigeuner und die Keisar-Insulaner. Bei
den Zigeunern nimmt bisweilen der Gatte ein Ei, macht an beiden Enden des-
selben je ein kleines Loch und bläst dann den Inhalt des Eies in den Mund der
Gattin, die ihn hinabschluckt.
Unfruchtbare Frauen auf Keisar nehmen das erste Ei einer Henne, gehen
damit zu einem sachverständigen alten Manne und fragen ihn um Hülfe. Er
legt das Ei auf ein Nunu-Blatt (Ficus altimeraloo) und drückt damit die BrGste
der Frau unter dem Murmeln von Segenswünschen, kocht dann das Ei in einem
zusammengefalteten Koli-Blatt (Borassus flabelliformis), nimmt ein Stückchen da-
von, legt es wieder auf das Nunu-BIatt und lässt es die Frau essen. Darauf
drückt er mit dem Blatt die Nase und die Brüste der Frau aufs Neue und be-
streicht die rechte und linke Schulter von oben nach unten, wickelt darauf wieder
ein Stück von dem Ei in das Nunu-Blatt und lässt es in den Zweigen eines der
höchsten Bäume in der Nachbarschaft der Wohnung aufbewahren.
Bei Unfruchtbarkeit soll in Steyermark die Braut von ihrem Eheringe
Oold abschaben und gemessen (in Frohnleiten).
Die unfruchtbare Sächsin in Siebenbürgen soll sich am Johannistage
heimlich Wasser aus dem Taufbecken aneiffnen und sich dann damit waschen.
rt. WlislorkiKj
Auf Engano in Niederländisch-Indien begegnen wir einem Gebrauche,
dessen Analogien wir auch bei anderen Gelegenheiten noch antre£Fen werden.
\W<i\in auf Kn^ano eine Kho unfruchtbar bleibt, so nehmen manche, die sich Kinder
wfln-ohrm, don Naiiion einoi Thieres an, zumal den eines Hundes, welchen Thieren lie ebenso.
wie wir Kiirojiiior, Namen ^oljcn: ein Häuptling, den ton Rasenberg besuchte, hiets nach
Wir müssen liierin den Versuch erblicken, schädigende Dämonen irre zu
flHir<-n und ihn* Aul'merksairikeit von den verfolgten Menschen abzulenken.
XXUI. Die Fruchtbarkeit des Weibes.
160. Die Bassennnterschiede in der Fruchtbarkeit.
Es ist, wie Niemand wohl bezweifeln wird, von einem hohen anthropolo-
gischen Interesse, eine Untersuchung darüber anzustellen, ob bei den verschiedenen
Völkern der Erde die Fähigkeit, sich zu vermehren und ihren Stanmi fortzu-
pflanzen, in gleichmässiger Weise vorhanden ist, oder ob sich in dieser Beziehung
ethnologische Difierenzen nachweisen lassen. So mangelhaft nun auch das mir
zu Gebote stehende Material in dieser Beziehung bisher leider ist, so gelingt es
doch auch mit diesen geringen Mitteln schon, den sicheren Beweis zu liefern,
dass hier wirklich recht erhebliche Verschiedenheiten existiren, und bisweilen können
wir sogar auch einen Einblick in die Gründe gewinnen, durch welche dieselben
veranlasst werden.
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, wie die Statistik die weibliche
Fruchtbarkeit zu untersuchen hat. Zur Messung der Fruchtbarkeit einer Bevöl-
kerung dient in der Regel die allgemeine Geburtenziffer, welche lediglich die
Gesammtzahl der Geburten mit der Gesammtbevölkerung vergleicht. Ein Jahres-
betrag von weniger ab 30 Geburten auf 1000 Einwohner ist nach den inter-
nationalen statistischen Ermittelungen als gering, ein solcher von 30 bis gegen
40 als normal, ein Betrag von 40 und mehr Geburten auf 1000 Einwohner aber
als sehr hoch anzusehen. Allein mehrere Statistiker (unter Anderen Mayr) machen
darauf aufmerksam, dass diese allgemeine Geburtenziffer als richtiger Ausdruck
der Fruchtbarkeit der Bevölkerung nicht angesehen werden darf. Bei deren
Ermittelung wird nämlich die gesammte Bevölkerung in Rechnung gebracht,
während doch nur ein Bruchtheil der letzteren wirklich bei der Fortpflanzung
betheiligt und derselben fähig ist. „Wäre überall der Bestand an Greisen und
Kindern verhältnissmässig gleich, dann wäre die Folgerung minder unrichtig, weil
dann die Fruchtbarkeit sich wenigstens proportional den allgemeinen Geburten-
ziffern verhalten würde." Auch nicht etwa das Verhältniss der Gesammtzahl der
Weiber in einer Bevölkerung kann uns einen richtigen Aufschluss über die weib-
liche Fruchtbarkeit geben; denn die Frau ist eben nur eine gewisse Zeit lang
gebärfähig, und es müssten alle diejenigen weiblichen Personen von der Zählung
ausgeschlossen werden, welche theils noch nicht in die Periode der Gebärfahig-
keit eingetreten, theils aber durch Ueberschreiten dieser Periode bereits steril
geworden sind.
Wenn man nun bei zwei Völkern verschiedener Rasse verschiedene Grade
der Fruchtbarkeit vorfindet, so muss man sich wohl hüten, hierin ohne Weiteres
einen Rassenunterschied erkennen zu wollen. Denn es zeigt sich bei näherer
Untersuchung, dass die grössere oder geringere Fruchtbarkeit noch durch eine
Reihe anderer Factoren recht erheblich beeinflusst werden muss. Hierher gehört
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la^Lzi-r :rr-^J:»ci A^r li fri-iia. i-£»d£ -enn^ iZüajJEinKnsL ZngaBDÖtt x der Moimlitat
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?:^j: k*i? .n J- ;»~i»-a. H -»-;■: i.=i:.::-. :;w^ .:. >...»:: ^ . ■ -,* ;ua. ?i»kiii Df r Eibe
160. Die Raasenuiitenohiede in der Fruchtbarkeit. 609
und Klima, als vielmehr die mit historisch gegebenen Verhältnissen im Zusammen-
hang stehenden Culturzustande, sowie die hiervon wieder abhängige, die Sexual-
verhältnisse beherrschende Lebensweise maassgebend.
Daher kommt es, dass beispielsweise Volkerschaften im Orient, die unter
gleichen klimatischen Verhältnissen leben, grosse Differenzen in der Fruchtbarkeit
zeigen. So schrieb über die in Griechenland lebenden Volker Damian Georg,
dass die Juden und die Armenier daselbst sehr fruchtbar sind, die Griechen
aber weniger und am allerwenigsten die Türken.
Das die jüdische Bevölkerung überall eine grosse Fruchtbarkeit zeigt, ist
aber gewiss die Folge einer dieser Rasse besonders zukommenden Eigenschaft.
Auch die Süd-Slavinnen sind nach Krat4SS^ sehr fruchtbar.
Der Einfluss des Landes und des Klimas auf die Fruchtbarkeit ist von
manchen Seiten betont worden; aber er darf nicht überschätzt werden. So hatte
man die Behauptung aufgestellt, dass gegen den Norden zu die Fruchtbarkeit ab-
nehme, und dementsprechend sagte DaJd:
,Die Lappländer sind bekanntlich sehr unfruchtbar, so dass eine grosse Einderzahl in
einer Familie eine grosse Seltenheit ist.** Zahlen brachte freilich dieser Autor nicht bei.
Diesem Ausspruche aber steht eine Angabe du ChaiUu's entgegen:
«Ehe ich Lappland besuchte, war ich in dem Wahn befangen, dass der Einfluss des
langandauemden Tageslichts, wie umgekehrt dann wieder der kurzen, dunklen Tage und
langen N&chte nothwendiger Weise eine Entartung der menschlichen Rasse zur Folge haben
müsse; aber gerade das Gegentheil sollte sich finden: je weiter ich in Schweden wie in
Norwegen nach Norden vordrang, um so kr&ftiger und stärker schien mir der Menschen-
schlag, um 80 grösser waren die Familien und um so höher der Procentsatz der Ge-
burten im Verhältniss zur Zahl der Bevölkerung; betrug derselbe doch in Tromsö 34^/10
und in Finmarken gar 86^;io auf 1000 Personen jährlich. Es ist durchaus nichts Unge-
wöhnliches, in einer Familie und von einer Frau eine Zahl von 15 — 18 Kindern zu treffen,
und manchmal, obgleich dies seltener vorkommt, steigt sie wohl auch auf 20—24 Köpfe.
Allem Anschein nach zeigt sich die Fisch- und Milchdiät der Vermehrung der menschlichen
Rasse sehr förderlich.*
Uebrigens besitzen auch die Bevölkerungen von Ländern mit gleichem Klima
ganz differente Geburtenziffern.
Diese Ziffer betrügt nach Quetelet für Island 87, England 85, Cap der guten
Hoffnung 88,7, Frankreich 81,6, Schweden 37, Insel Bourbon 24,5, Sicilien 24,
Preussen 28,8, Venetien 22, Vereinigte Staaten 20; es zeigte sich somit keine Be-
ziehung zwischen diesen Zahlen und den Breitegraden. Wappäus führt femer folgende Ge-
burtenziffern an: Mexiko 17, Venezuela 21,9, Bolivische Provinzen Mozos und Chi-
quito8l7,7, Unter-Canada24,2, Ober-Canada29,l, Neu-Süd- Wales 28,6, Martinique
bei Weissen 89,1, Martinique bei Farbigen 25,9, Bourbon 28,5. Hier zeigt sich beispiels-
weise bei Martinique, wie gross an einem Orte die Unterschiede zwischen verschiedenen
BevölkerungRklassen sind.
Bei den Yankees will man bemerkt haben, dass ihre Frauen in der fünften
und sechsten Generation immer blasser, immer zarter und magerer werden. In
der That sinkt, wie das Bureau of Education in seiner Schrift über Vital
Statistics of America nachwies, die Zahl der Geburten in Amerika von Jahr
zu Jahr; dieser Rückgang findet sich in allen Staaten stetig und allgemein: in
Arkansas, Alabama, Massachusetts, Connecticut, Michigan, Indiana,
Pennsylvania und New York. Allerdings sind die XJeberschOsse der Geburten
bei den Einwanderern starker, immerhin aber geringer, als in irgend einem Lande
Europas, Frankreich in seinen trübsten Zeiten nicht ausgenommen. Die Ab-
neigung der Frauen in Amerika gegen die Mühen der Kindererziehung hat nicht
geringen Antheil an dieser Erscheinung.
Eine ganz erhebliche Abnahme der Fruchtbarkeit wird auch von verschie-
denen Autoren bei europäischen Familien behauptet, welche dauernd in die
Tropen übergesiedelt sind. „Die Fruchtbarkeit der Frau,'' sagt Virdiow^ in
Ploss-Bartels, Dms Wdb. 6. Aufl. I. 39
610 XXIII. Die Frachtbarkeit des Weibes.
seinem Vortrage über die Acclimatisation, «geht erfahrangsgemass in den Tropen
allmählich, aber doch sehr schnell, in wenigen Generationen zn Gmnda* und
selbst von Cuba, das immer als das Muster eines f&r die AcclimatiBation der
Europäer geeigneten Tropenlandes hingestellt worden ist, bestätigte jRamon de
la Sagra^ »was für andere Antillen, namentlich für die französischen, schon
seit längerer Zeit als ausgemachter Lehrsatz gilt, dass eine weisse Familie, eine
Creolenfamilie, die im Lände ansässig ist und nicht durch neues earopaisches
Blut wieder aufgefrischt wird, sich überhaupt über die dritte Oeneration hinaus
nicht mehr als fruchtbar erweist."
Es ist ferner zu berücksichtigen, dass überall bei den Völkern Europas
die zeitlichen Schwankungen in der ehelichen Fruchtbarkeit besonders von den
Preisen der wichtigste n Nahrungsmittel beherrscht werden, wie viele
Statistiker nachgewiesen haben. Ueberhaupt üben günstige LebensyerhSltnisse
wohl bei jeder Bevölkerung einen grossen Einfluss auf die Erzeugung der Nach-
kommenschaft aus. Dass aber zahlreiche Momente, wie Ueberlastung des
weiblichen Geschlechts und hierdurch bedingte Häufigkeit des Abortus, allzu
frühes Heirathen, die Verbreitung gewisser Krankheiten, entnervende Gewohn-
heiten des männlichen Geschlechts u. s. w. der Erzeugung von Kindern hinderlich
sind, wird wohl auch bei manchen Völkern als Grund der relativ geringen Frucht-
barkeit aufzufassen sein.
Eine besonders bei vielen wilden Völkern heimische Gewohnheit mag die
Fruchtbarkeit ebenfalls beschränken, nämlich das sehr lange, oft mehrere Jahre
andauernde Säugen der Kinder. Denn schon an sich ist es physiologisch,
dass für gewöhnlich, aber freilich nicht immer, die stillenden Frauen nicht con-
cipiren; ausserdem aber verbietet bei vielen Völkern die Sitte, bei anderen die
religiöse Vorschrift den sexuellen Umgang während der ganzen Saugungspeiiode:
in Folge dessen wird auch die Möglichkeit der Empfangniss während des Stillens
ausgeschlossen. Dass viele, namentlich auch wilde Völker das Stillen der Kinder
ausdrücklich deshalb jahrelang fortsetzen, um nicht so bald wieder schwanger zu
werden, davon wird noch die Rede sein.
Wir dürfen nicht unberücksichtigt lassen, dass die angebliche Unfrucht-
barkeit sehr wohl auch nur eine scheinbare sein kann. Denn bei manchen Völkern
haben wir den Grund, dass ihre Ehen arm an Kindern sind, in dem traurigen
Umstände zu suchen, dass bei ihnen die Fruchtabtreibung oder die Tödtung der
Neugeborenen in grösserem Umfange gebräuchlich ist.
Die Annahme, dass die Mischlinge aus verschiedenen Rassen meist wenig
fruchtbar seien, ist falsch; wenigstens hat sie durchaus keine allgemeine Gültigkeit.
So lebt in Süd-Amerika, namentlich in Brasilien, eine sehr zahlreiche Bastard-
bevölkerung von Negern und Portugiesen, in Chile eine solche aus Indianern
und Spaniern, in anderen Theilen dieses Continents kommen die complicirtesten
Kreuzungen zwischen Indianern, Negern und Weissen vor, doch gerade diese
dreifachen Kreuzungen bieten die schärfste Probe ft\r die wechselseitige Frucht-
barkeit der verschiedenen Stämme dar. Boas fand bei statistischen Untersuchungen
von nordamerikanischen Indianerinnen im Alter von 40 Jahren im Mittel
6 Kinder, während bei gleich alten Mischlingen dieser Stämme mit Weissen im
Mittel 8 Kinder vorhanden waren. Kinderlose Frauen traf er häufiger bei Voll-
blut-Indianern an. Von den Aleutinnen berichtet Ritter^ dass ihre Ehen mit
den Russen kinderreicher wären, als diejenigen mit ihren Stammesgenossen. Die
gemischte Rasse in Paraguay übertrifft sogar in der Fruchtbarkeit die beiden
Rassen, aus denen sie hervorgegangen. Insbesondere vermehren sich die in den
europäischen Colonien, sowie in den Staaten Süd -Amerikas verbreiteten
Mulatten, die Nachkömmlinge von Weissen und Negern. Le Vaülahi sagt:
,Die Hottentotten erhalten, wenn sie sich unter sich verheirathen, 3 oder 4
16L Die Fruchtbarkeit der asiatischen Völker,
611
Kinder; wenn sie sich mit Negern verbinden, verdreifachen sie diese Zahl, nnd
erhöhen sie noch mehr, wenn sie sich mit den Weissen vermischen.'
Als ein Hinderniss der Conception betrachtet man seit ältester Zeit Fett-
ftibigkeit; deshalb galten den Griechen die skytischen Frauen als un-
rn chtbar. (HaeserJ
Bei den Kaders in den Anamali j- Bergen (Indien) gilt es ab gutes
Reichen, wenn das erste Kind ein Mädchen ist, man glaubt dann auf viele Kinder
sehnen zu können; später werden Knaben vorgezogen, (Jagor^J
Wenn wir jetzt eine Umschau halten wollen, wie es bei den verschiedenen
Tölkern des Erdballs mit der Fruchtbarkeit beschaffen ist, so muss ich leider
schon im Voraus gestehen, dass die meisten Angaben, die ich herbeiziibringen
vermag, eines zahlenraassigen Beleges entbehren. Vor der strengen Kritik einer
wissenschaftlichen Statistik können sie daher nicht bestehen. Trotz aller Lücken-
iftigkeit mögen diese Thatsachen aber doch den einen Vortheil bringen, dass
Ke die Aufmerksamkeit derer, denen sich die glückliche Gelegenheit bietet, solche
Beobachtungen anzustellen, auf dasjenige lenken, was uns fehlt. Und vielleicht
auf die-se Weiaie nach und nach manche schmerzliche Lücke in unserem
m ausgefllllt.
161. Die Fruchtbarkeit der asiatlsclieu Yölkon
üntdr den transkaukasischen Völkern, inäbesondere den Grutiern und den gruei-
fiisebeii Armeniern, gehören kinderreiche Familien za den Seltenheiten; nicht mit Unrecht
wird, wie gesugt, die üraache dieser Erscheinung in dem ku frühen Abschlüsse dor Ehen ge-
sucht. (Koch,) Die Ehen der Chowsuren sind kinderarm. Es werden selten mehr als drei
Eünder in einer Familie gefanden. Diese Kinderarm ulh ist eine absichtliche. Zun&chst ist
es Braucht die Ehe bis znm 20. »Jahre des Mädchens zu versögern« Bei den verheiratheten
Chewenren gilt es aber ausserdem noch aU eine grosse Schande, wenn dem jungen Paare
vor dem Ablauf der ersten vier Jahre ein Kind geboren wird. Auch ffpS^ter darf er«t im
Verlaufe von abermals drei Jahren eine Niederkunft stattfinden. Die Leute meineUf daas bei der
rascheren Aufeinanderfolge der Kinder das jüngere dem Ulteren die nöthige Pflege rauben
würde. (UaddeJ
Die Beduinen -Weiber sind nach Xayar(i wenig fruchtbar; er glaubt, dass das 2 bis
8 Jahre lange Stillen daiu beitrügt.
In Persien empfangen nach Polak Franen, welche für ihre Kinder Ammen halten,
msch nach einander nnd gebUren fast jedes Jahr, wahrend in den ärmeren Klassen, wo dos
Kind bis zum dritten Jahre von der Mutter gesäugt wird, Empflngniss und Geburten sich
langsamer folgen. Doch geschieht es auch, dass Frauen wlLhren«i und trete der Lactation im
zweiten Jahre wieder menstruiren und empfangen. Durchschnittlich gebären die Perse-
rinnen 6 — 8 mal» Die unfruchtbare Frau wird in Peraien vom Manne fast immer Verstössen.
Frühe Heirathen, Missverh<niss des Alters zwischen den Eheleuten, Hysterie, MenstruationS'
anomalien und andere krankhafte Zustande des Uterinaystems, grosaentheils wohl erzeugt
durch dvk» widernatürliche Gebären, sind nach Häntinche als die Grande anzusehen, welche
die Weither in der persischen Pro¥inz Gilan am Kaspischen Meer lüs wenig fruchtbar
erscheinen losten.
Die S arten in Taschkent und Chokand sind sehr fruchtbar; es findet «^ich nicht
ilten, dass eine Familie 15 lebende Kinder aufweist. Besitzt der S arte aber mehrere Frauen,
begegnet man in seiner Familie wohl mehr als 3Q Seelen. (Rmsi^che Itevurj
Von den Völkern im äussersten Nordottten Asiens wissen wir im Gansten nur Weniges;
Die Ynit nennt Hall nicht fruchtbar. Die Tschnktschen scheinen kinderreicher «u sein;
Hoaper wenigsten!* rechnete bei ihnen 5 — 6 Kinder auf jedes Weib. Auch in den Tschukt-
schen-Dörfem am Eismeer giebt es nach den Berichten der Vega- Expedition «Kinder in
Menge*. ( Gerland J
Die «tibi ri sehe Bevölkerung seigt bedeutende Differenzen bezüglich der Fruchtbarkeit^
einem Berichte (JcfiisseiJ wird erwähnt, da«s daselbst die Fruchtbarkeit der Frauen ab-
amt^ je höher nach Norden »u das Volk wohnt. So sind die Ehen im Turuchan'schen
ebiete aulfallend weniger ergiebig, als e. B. im südlichen und östlichen Sibirien. Wenn
39*
612 XXni. Die Fruchtbarkeit des Weibes.
die Russin im südlichen Sibirien, aber auch noch unter dem 50.— 57.^ n. B., bis 24
Kinder gebären kann, so bringt es ihre Landsmännin nahe am Polarkreis etwa auf 10, 12,
selten 15, in der Gegend von Worogof selten bis 19 Kinder; die Ostjak in höchstens bis 8
oder 9, die Tun gusin im Maximum auf 8 — 10. Die letzteren (Tungusinnen und Ost-
jakinnen) gebären überhaupt nur bis zu 30 bis 85 Jahren, nie mehr mit 40 Jahren. Die
besten und jüngsten Jahre in den Ehen, gewöhnlich anderwärts durch grössere Frucht-
barkeit ausgezeichnet, sind bei den Familien der Eingewanderten in Turuchan durch Karg-
heit der Geburten bemerkbar. Die Ostjaken sind nicht sehr fruchtbar, selten trifft man
Familien mit 3 oder 4 Kindern; der Hauptgrund des Kindermangels scheint Jedoch in der
grossen Kindersterblichkeit zu liegen. (Alexandrow,) Auch Pallas äusserte ndi in ähnlicher
Weise. Er sagt:
«Von Eifersucht wissen die Ostjaken wenig. Ihre Ehen sind auch nicht sonderlich
fruchtbar, obgleich man von ihnen sagt, dass sie der thierischen Liebe sehr ergeben Bind.
Man findet wenig Väter, die mehr als drei, höchstens vier Kinder haben. Vielleicht ist
daran auch dieses schuld, dass viele Kinder wegen der groben Behandlung und Nahrung im
zarten Alter wegsterben, obgleich die Mütter selbige, solange sie nur selbst wollen, oft bis
ins fünfte Jahr säugen.*
Die Samojeden nehmen an Zahl ab, da ihre Ehen sehr unfruchtbar sind. Unter den
von Sograf untersuchten Individuen befanden sich 18 verheirathete Männer und 10 verhei-
rathete Frauen; auf diese 28 Personen kamen im Ganzen nur 25 lebende Kinder, gewiss eine
sehr kleine Zahl. Mit den verstorbenen Kindern betrug die Anzahl 47, welche sich auf 19
Ehen vertheilt, darunter waren 6 Ehen kinderlos. Diese geringe Kinderzahl ist wohl zu
einem Theil auf die erhebliche Schwächung des Körpers durch den Branntweingenuss zu
rechnen; andererseits scheint das überaus frühe Heirathen einen schlechten Einfluss zu üben.
Knaben von 16—17 Jahren werden mit Mädchen von 13 — 14 Jahren verheirathet. Auch die
Tungusen sind nicht sehr fruchtbar; die wenigsten Eltern sollen bei ihnen mehr als 4 Kinder
zeugen. (Georgi,)
Die Chinesen sind nach Scherzer ebenfalls wenig fruchtbar, da die Familie (d. h. der
Mann mit in der Regel 2—6 Frauen) durchschnittlich nicht mehr als 4 Kinder hat. Allein
Scherzer scheint die Ursache nicht in dem langdauemden Säugen zu finden, denn er setzt
noch hinzu: «Viele Frauen werden häufig nach einigen Jahren wieder schwanger, selbst wenn
sie noch säugen.*
Wernich giebt an, dass die Japanerinnen im Allgemeinen sehr fruchtbar sind; der
um die Häuser sich tummelnde Kindersegen würde, wie er sagt, noch bedeutender sein,
wenn nicht eine Beschränkung durch das lange Säugen und durch Abortus stattfände. Ob-
gleich in Japan wie in China die jungen Mädchen sich vor der Verheirathung ziemlich frei
prostituiren dürfen, so ist doch dies dem Wachsthum der Bevölkerungszahl nicht hinderlich.
CLetoumeau.J
Ueber die Fruchtbarkeit der Annamiten- Frauen Cochinchinas hat MondÜre Studien
gemacht. Die Menstruation tritt bei ihnen durchschnittlich spät (16 Jahre und 4 Mon.) ein:
nur 4 Procent der Frauen trat vor diesem Zeitpunkt in die Ehe, die grösste Mehrzahl (941
Individuen) waren älter als 17 Jahre bei ihrer Vereinigung mit dem Manne. Von diesen aber,
die bei geschlechtlichem Umgange Gelegenheit gehabt hätten, zu gebären, hatte noch nicht
die Hälfte (440) ein oder mehrere Kinder geboren. Das mittlere Alter, in welchem bei diesen
die erste Geburt stattfand, war 20i;2 Jahr. Die erste Geburt fällt also ziemlich spät; und
während 86 Procent schon vor dem Eintritt der Regeln den Coitus üben, sind 95 Procent
vier Jahre menstruirt, bevor sie ihr erstes Kind bekommen. Mondiere fand, dass 119 Frauen,
die im gebärfUbigen Alter standen, 545 Kinder hatten. Da das junge Mädchen hier meist erat
im Alter von 19 bis 20 Jahren in die Ehe tritt, wo sie am geeignetsten ist zur Zeugung, so
begünstigt die bis dahin den Sexualorganen gewährte Ruhe die Empfängniss, imd so werden
sie auch in diesem Lebensalter meistens schwanger.
Bei den Orang Utan in Malakka ist nach Stevens die Fruchtbarkeit eine günstige;
aber die Sterblichkeit der Kinder ist sehr gross. Eine B Sien das -Frau hatte 16 Kinder
(5 Knaben und 11 Mädchen), aber 7 starben schon im ersten Lebensjahre und noch 5, bevor
sie die Pubertät erreicht hatten. (BarteW^.)
Die Weiber der Nay er -Kaste in Indien bleiben bis zum 40., auch wohl bis sum
45. Jahre fruchtbar; Mütter mit 10 Kindern sind nicht sehr selten. Eine Frau in Calicut
soll 16, eine andere sogar 20 Kinder geboren haben, fjagorj
Ueber die Fruchtbarkeit der Todas hat Mar shall genaue Tabellen geliefert. Er fiuid,
dass 86 Frauen 167 Kinder geboren hatten. Von diesen hatten
162. Die Fruchtbarkeit der amerikanischen Völker. 813
1 Kind 8 Fraaen 6 Kinder 4 Frauen
2 Kinder 8 , 7,1,
3,8, 8,3,
4.3, 9.8,
5.6, 10 , 2 ,
Die Weiber hatten mit ungefähr 14 Jahren (im Durchschnitt mit 17^2 Jahren) ihr erstes
Kind und hörten durchschnittlich mit 37,4 Jahren auf, Kinder zu gebären. Das ist aber nur
die Mittelzahl, und in Wirklichkeit fanden sich 9 Frauen darunter, welche nach dem 40. Jahre
noch ein Kind geboren hatten; eine von diesen war 43 Jahre gewesen, eine 48 Jahre und eine
sogar 53 Jahre. Die Fruchtbarkeit dieses indischen Volksstammes lässt also nichts zu
wünschen übrig.
Zu Banka in Niederländisch-Indien sind nach J^pp die Frauen nicht sehr frucht-
bar; derselbe sucht die Ursachen in der schmalen Kost. Dagegen werden die Frauen auf
Amboina, welche meist von Fischen und Sago sich nähren, als ganz besonders fruchtbar
geschildert.
162. Die Fruchtbarkeit der amerikanisehen Tolker.
Bei den Aleuten im Nordwesten Amerikas ist eine Familie selten mit mehr als
2—3 Kindern gesegnet. (Bitter.) In Alaska findet man in den Ehen der Eingeborenen ge-
wöhnlich nur 1 — 3 Kinder; die höchste Zahl, welche Dali gefunden, betrug 6, und auffallend
viele Ehen sind ganz kinderlos.
Landsher g fand bei den Eskimos, dass 21 Frauen im Durchschnitt 6 Kinder hatten;
unter 66 Frauen waren nur 2, die kinderlos waren. (Boberton.J Dagegen berichtet Abbes,
dass die Ehen der Eskimos des Cumberl and -Sundes sich keines grossen Kindersegens
erfreuen; selten trifft man mehr als zwei Kinder; die Ursache vermuthet er darin, dass der
Mangel an passendem Ersatz für die Muttermilch die Frauen zwingt, ihre Kinder möglichst
lange an der Brust zu halten. Auch die grosse Sterblichkeit der Kinder ist hierbei in Rech-
nung zu ziehen.
Die nordamerikanischen Indianer scheinen weniger fruchtbar zu sein, als die
Weissen. Ueckewelder sah in indianischen Familien, die ehemals in Pennsylvanien
lebten, selten mehr als 4 — 5 Kinder. Auch LeBeau berichtet, dass die Frauen der Indianer
in Canada minder fruchtbar sind als die Weissen. Weid betrachtet die Preisgebung im
zarten Alter und das lange Säugen der Kinder, während dessen sie keinen Verkehr mit den
Männern unterhalten, als die Ursache der geringen Fruchtbarkeit. Gänzliche Unfruchtbarkeit
soll übrigens bei den Indianern selten sein, häufig dagegen künstliche Fehlgeburten bei
Verheiratheten und Unverheiratheten ; meist werden nicht mehr als 8—4 Kinder aufgezogen.
(Waitz,) Aehnlich lauten die Berichte aus dem tropischen Amerika. Die Frauen in Jalapa
(Mexiko) sind in der Regel fruchtbar und Beispiele von Sterilität findet man selten; allein
häufig vermeiden sie es, Mütter zu werden, und sie legen sich freiwillig eine strenge Enthalt-
samkeit auf, um nicht die häuslichen Sorgen zu vermehren. CÄnnales.J
Die Fruchtbarkeit der Frauen in Nicaragua ist sehr gross. Selbst eingewanderte
Frauen scheinen hier fruchtbarer zu werden, wenn Bernhard Recht hat, welcher sagt, dass es
nichts Seltenes sei, Frauen zu finden, die 15 — 20 Kinder geboren haben; eine Frau in Massy a,
die in der ersten Ehe kein Kind hatte, gebar in der zweiten Ehe 27 Kinder.
In den Städten im Inneren der Insel Cuba, in Trinidad, Santo -Espiritu und
Villa Clara sind nach Baman de la Sagra (Mayer- Ahrens^J die Ehen ausserordentlich frucht-
bar; viele derselben zählen 12, manche sogar 20—25 oder 26 Kinder. In Trinidad (im Jahre
1853 mit 14,463 Einw.) waren 1 Ehe mit 24 Kindern gesegnet, 2 Ehen mit 21, 1 Ehe mit 18,
1 mit 16 Kindern, 2 Ehen mit 15 Kindern, 10 Ehen mit 13 Kindern, also entstammen 260
Kinder aus 17 Ehen. Im Jahre 1853 zählte man zu Trinidad 123 Familien von Weissen,
welche je 8—10 lebende Kinder hatten. In Villa Clara gab es 12 Ehen mit 206 Kindern.
Zu Santiago soll die Fruchtbarkeit der Ehen noch grösser sein. Viele Cubanerinnen
gebären schon im 13. Jahre, andere sind bis zum 50. Jahre fruchtbar. Es ist bemerkenswertfa,
dass fast alle Frauen in den Städten der Insel Cuba ihre Kinder selbst stillen. Der Bericht-
erstatter setzt hinzu: «Die glücklichen Verbältnisse des Klimas, die gleichmäsaige Einförmig-
keit des ruhigen Lebens und das materielle Wohlbefinden, dessen sich die Familien erfreuen,
dies alles bringt die Frauen in die günstige Lage zur Erfüllung ihrer Mntterpflichten in reichem
Maasse.* Dem widerspricht die Angabe Virehaw's, welche wir oben kennen gelernt haben.
614 XXIII. Die Fruchtbarkeit des Weibes.
Dagegen ist in Cayenne und dem französischen Guyana die Fruchtbarkeit der
Frauen nicht so gross, w ie in den hier genannten Plätzen und selbst wie in k<eren Gegenden.
Bajon, welcher dies schon vor 100 Jahren berichtete, findet die Ursache theils in der* aus-
schweifenden Lebensweise der Männer, theils in der Unordnung der Menstruation der Frauen,
und in der Häufigkeit des unter letzteren herrschenden Fluor albus.
Die Indianerinnen Brasiliens sind nach v. Spixund v. Martins nicht sehr frucht-
bar; diese Reisenden sahen in einer Familie selten mehr als 4 Kinder. Dasselbe fand Kupfer
bei den Gay apo-Indianern in der Provinz Matto-Grosso: ,Drei bis vier Kinder in einer
Familie waren schon selten zu finden.*
Karl Ranke hB.t in Dörfern derTrumai- und Nahuqua-Indianer im 8chingu-Ge-
biete von Brasilien die Fruchtbarkeit der Weiber derjenigen in Deutschland ungefUir
gleich gefunden. Aber viele Kinder sterben bei diesen Stämmen schon im frühen Alter.
Die Fruchtbarkeit der Fi*auen in Columbia ist nicht unbedeutend. Pöscida-Avaf^o
schreibt, dass in Columbien arme wie reiche Frauen ihre Kinder selbst stillen, und daas in
der Regel dort die Kinder im Alter nur 18 Monate von einander entfernt sind. Im Staate
Antioquia ist jede Ehe gewöhnlich mit 10 bis 15 Kindern gesegnet. Eine Mutter weist
dort 84 lebende Kinder, darunter verschiedene Zwillingspaare auf. Ein Mann, der sich drei
Mal verheirathete, besitzt deren 51 ! Die Frauen heirathen dort im Alter von 13 — 16 Jahren.
Die Frauen der Feuerländer sind sehr fruchtbar; 7 oder 8 Kinder sind der Durch-
schnitt, doch findet man nicht selten junge Frauen, die schon deren 12—15 haben. (Bote.)
Auch Hyades und Deniker berichten: ,La st^rilit^ doit §tre tr^s rare chez les Fu^en-
nes: nous n'avons vu aucun cas de femme au-dessus de 25 ans sterile.*
163. Die Fruchtbarkeit der afrikanischen Yolker.
Lane und Frankl geben an, dass die Aegypterinnen einen hohen Grad von Frucht-
barkeit besitzen. Das Gleiche berichten auch die griechischen Schriftsteller von ihren
antiken Vorfahren. Dagegen bleiben die Europäerinnen, welche nach Aegypten Überge-
siedelt sind, auffallend häufig kinderlos. In Kairo rechnet man im Durchschnitt eine Geburt
auf 22 — 23 Individuen. Die Frauen sagen gewöhnlich, dass sie 8 bis 10 Mal geboren hätten,
aber mehr als 5 bis 6 Kinder bleiben bei ihnen selten am Leben.
Die Weiber im Sennaar und bei denDinka werden von Caüliaud als sehr fruchtbar
geschildert. Man sieht unter ihnen nicht selten Mütter, welche ein Kind säugen, 2—3 in
einer Art Tornister tragen «und von einem vierten gefolgt werden. Bei den Madi in Central-
Afrika scheint die Familie durchschnittlich 4 Kinder zu haben. (Felkin.)
Die Ehen der Abyssinier sind sehr wenig fruchtbar; Büppel erinnert sich nicht, eine
Abyssiniorin gesehen zu haben, die mehr als vier lebende Kinder hatte; man betrachtet
dort allgemein diese Zahl schon als eine Seltenheit. Dagegen sagte Bruce van Kinnaird:
„Die abyssini sehen Mädchen, die man für Geld kauft, werden sehr vorgezogen; unter
anderm auch deswegen, weil sie mehrere Jahre tüchtig sind, Kinder zu gebären; wenige
arabische Weiber bekommen nach 20 Jahren noch Kinder.*
Bei den Stämmen im Inneren Ost -Afrikas ist nach Hildehrandt die Fruchtbarkeit
anscheinend eine ziemlich grosse; die Mutter eines Kikuyu hatte 13 Kinder geboren. Der
Häuptling Mitu hatte mit 10 Frauen etwa 25 Söhne ; Töchter werden nicht gern aufgezählt.
.Die Küsten Völker Ost-Afrikas," sagt Hildehrandt, «sind als Mischlinge sehr heterogener
Rassen durch mancherlei Unsitten und Krankheiten, welche geschlechtlichen und klimatischen
Ursprungs sind, weniger kinderreich.*
Die Waswaheli im Inneren Ost-Afrikas haben wenig Kinder, wegen der grossen
Unsittlichkeit, die unter ihnen herrscht, und wegen des Gebrauches von Arzneimitteln, um Fehl-
geburten zu erzielen, da ihnen Kinder gewöhnlich als eine Last erscheinen. (TfiomsanJ
Nach Beichard bringen die Wanjamuesi- Weiber selten mehr als 4 Kinder zur Welt.
Pruner-Beif sagt von den Neger- Frauen, dass sie nicht übermässig fruchtbar sind
und häufig Fehlgeburten unterliegen; einzelne allerdings sollen bis 10 Kinder gebären.
Dagegen galten die Frauen der ehemaligen, jetzt ausgestorbenen Eingeborenen der
canarischen Inseln, der Guanchen, als sehr fruchtbar, (v. Minutoli.)
Auch bei den Negern der Westküste ist im Allgemeinen die Fruchtbarkeifc
gering; bei den Wol offen sogar nach de Bochehrune sehr gross. Wenn es in einem ~
heisst: „Die Negerin des Ewe-Gebietes ist selten mit mehr als 6 Kindern gotegae<
ein solcher Segen doch schon ein recht ansehnlicher. Bei den Fulbe- oder Fa*^'
164. Die Fruchtbarkeit der Australier und Oceanier. 615
ist der Einderreichthum dagegen viel ganger, denn man fand, dass eine Pullo- Frau selten
mehr als 3 — 4 Kinder hatte, während in den Familien anderer Neger stamme selten unter
6 — 8, oft aber 10 — 12 Kinder auf eine Mutter kommen. Eine geringere Fruchtbarkeit zeigen
die Loango-Negerinnen, da durchschnittlich bei ihnen ein Weib nur 2 oder 8 Kindern
das Leben schenkt. Pechtiel-Loesche vermuthet, dass hierfQr die Verlängerung der Lactations-
Periode von Einfluss ist. Auch Burton sagt von den Egba-Negerinnen, dass wegen des
lauge fortgesetzten Stillens ihre Ehen selten fruchtbar sind. Und von den Bewohnern der
Sierra-Leone-Küste, denBullamer, Susa u. s. w. B> Winterbottom ebenfalls^ dass an der
geringen Zunahme der Bevölkerung das lange fortgesetzte Nähren die Schuld trage, .denn
während dieser Zeit, welche gemeiniglich zwei Jahre oder wenigstens so lange dauert, bis
das Kind im Stande ist, seiner Mutter eine Kürbisflasche voll Wasser zu bringen, leben sie
von ihren Männern abgesondert. Es ist eben nichts Ungewöhnliches, dass eine Frau, die ein
stillendes Kind hat, ihrem Manne eine andere Frau verschafft, die so lange ihre Stelle ver-
tritt, bis das Kind entwöhnt ist. Weiber, die mehr als 3 — 4 Kinder zur Welt bringen, sind
in Afrika selten* Dies rührt jedoch keineswegs davon her, dass sie frühzeitig zu gebären
aufhören, vielmehr kannte Winterbottom Frauen, die 85 bis 40 Jahre alt waren und gleichwohl
noch Kinder gebaren. Er macht noch auf eine andere Ursache der Unfruchtbarkeit an der
Sierra-Leone-Küste aufmerksam: Solange eine Frau um eine verstorbene Freundin oder
eine Verwandte trauert, lebt sie vom Manne abgesondert. Schon Mungo Park glaubte die
Unfruchtbarkeit der Negerinnen so erklären zu können: ,Da die Mandingo-Negerinnen
lange, nicht selten auch 8 Jahre lang säugen, und da während dieser ganzen Zeit der Mann
seine Gunst den anderen Frauen zuwendet, so kommt es, dass seine Frau selten eine zahl-
reiche Familie hat, wenige haben mehr als 5 oder 6 Kinder.* Dagegen führt de Eochebrune
für die Kinderarm uth der von ihm beobachteten Neger noch die Häufigkeit des natürlichen
Abortus als Grund an.
Für das äquatoriale Afrika hält Winwood Beade die Polygamie für geboten, da es
trotz derselben dort weniger Kinder als Frauen gäbe.
Die Weiber der Guinea-Neger im Bis sago- Archipel sind ausserordentlich fruchtbar.
Barrow erklärt die Fruchtbarkeit bei den Hottentotten für sehr gering; es gingen
durchschnittlich aus den Ehen nicht mehr als 3 Kinder hervor. Anders soll es sich, wie ge-
sagt, verhalten, wenn Vermischung einer Hottentottin mit einem Europäer stattfindet;
dann nei die Fruchtbarkeit der Weiber weit grösser. Die Kaffern haben trotz der vielen
Frauen wenig Kinder. (Holländer,)
Auch Hendrik Muller sagt von den gemeinhin als Kaf fern bezeichneten Stämmen in
Gaza, Sofala und Mozambique: „Peut-etre bien u cause de la polygamie, partout pra-
tiquee par ceux qui sont assez riches pour acheter plusieurs femmes, nos noirs n*ont pas de
nombreuse progeniture.*
164. Die Fruchtbarkeit der Australier und Oceanier.
Die Weiber der Eingeborenen inNeu-Holland sind sehr fruchtbar; Qrey zählte 188
Kinder von 41 Frauen, einzelne Mütter hatten deren 7 ; unter 222 Geburten waren 93 Mädchen
und 129 Knaben. Dagegen sind die australischen Weiber der Golonie Victoria nicht
besonders kinderreich, im Jahre 1862 wurden nur 2 Kinder auf einem Flächenraum von
Tausenden von Quadratmeilen im Portland- Bay-District geboren. (Oberländer,) Ein Ehe-
paar der centralaustralischen Schwarzen am Finke-Creek hat, nach den Beobach-
tungen des Missionars Kempe^ ungefähr 3 Kinder; indessen wird man bei dem wohl nicht
seltenen Kindermord die Zahl der Geburten gewiss höher anzuschlagen haben.
Die Maoris auf Neu-Seeland sind dagegen sehr unfruchtbar und dem Aussterben
nahe. Fenton, von dem 1859 nach Scherzer'a Angabe in Auckland eine officielle Arbeit
gedruckt wurde, berechnete, dass bei ihnen eine Geburt auf 67,13 Personen trifit. Unter
Anderem liegt eine Ursache dieser verringerten Fruchtbarkeit wohl in zu früher Vollziehung
der Geschlechtsverrichtungen.
Die Papua der Humboldt-Baj in Neu-Guinea fand ran der Grab nur wenig
kinderreich; sie haben selber den Wunsch, nicht mehr als 2 Kinder zu besitzen.
Auf Neu-Caledonien bat selten eine Frau mehr als 4—5 Kinder; die Ursache dieser
massigen Fruchtbarkeit findet Lorsch in der rohen Behandlung, der die Weiber von Seiten
des Mannet augeMtat und«
Von N^r ^^^ ^««nolitot Ikmka: ,Eine beträchtliche Zeit vergeht zwischen den
Oebott*^ Tinniii ist ungeföhr 3 Jahre. Das eine Kind ist
616 XXm. Die Fruchtbarkeit des Weibes.
stets aus der Haiid (vell out of haut), bevor das andere erscheint. Ich habe dayon nur 2 bis
8 Ausuahmen kennen gelernt.*
Elton sagt von den Salomon-Insulanerinnen: Mit ung^föhr 45 Jahren hören die
Frauen auf, Kinder zu gebären. Mehr wie 5 Kinder in einer Familie (in 10 Jahren geboroi)
hat er nicht gesehen.
Ein sehr geringer Grad von Fruchtbarkeit wird durch Blyth auch von den Bewohne-
rinnen der Yiti-Inseln als die allgemeine Regel bestätigt. Ausnahmen kommen hier aber
vor, und es giebt vereinzelt Weiber, welche 10 bis 12 Kindes zur Welt gebracht haben.
Man hat behauptet, dass die Polynesierinnen nicht fruchtbar seien, ja man wollte
darin eine besondere Rasseneigenthümlichkeit finden. Allein Oerland wies nach, dasi diese
Annahme falsch sei. Cheeber und Forster kannten Beispiele grosser Fruchtbarkeit auf Hawaii
und Tahiti, l>te/fen2)ac^ auf Neu -Seeland, ebenso Andere auf Tonga, Tukopia, Samoa.
Jetzt, wo der Kiudermord imd die Ausschweifungen aufgehört haben, da werden aach die
Geburten und die Kinderzahl reichlicher.
Die Marquesas-Insulanerinnen sollen erst gebären, wenn sie alt und hAsslich
werden, weil sie fürchten, dass wenn sie kinderlos sind, sie von ihren Männern weggejagt
würden. Es handelt sich hier um Verhältnisse, welche ich später noch besprechen muss,
wenn von der absichtlichen Fehlg:eburt die Rede sein wird.
XXIV. Des Kindes Geschlecht.
165. Mädchen- und Knaben-Erzengang.
Wir haben in einem der früheren Abschnitte bereits erfahren, wie von vielen
Völkern die Geburt einer Tochter nicht nur als etwas Unerwünschtes, sondern
geradezu als eine Schande und ein Unglück angesehen wird, während wiederum
andere Nationen sich weniger über Söhne freuen, da sie durch den Besitz vieler
Töchter durch deren späteren Verkauf zu Reichthnm und Ansehen gelangen. Und
so können wir es dann wohl verstehen, dass man von Alters her bestrebt gewesen
ist, die Ursachen kennen zu lernen, warum in dem einen Fall ein Knabe und in
einem anderen ein Mädchen sich bildet, und die Mittel und Wege ausfindig zu
machen, um nach eigener Willkür das gewünschte Geschlecht zu erzeugen. Man
hat sich bisher noch nicht der Mühe unterzogen, geschichtlich diesen Bestrebungen
nachzugehen, obgleich sie doch gar sehr zur Charakteristik des culturellen Zn-
standes der einzelnen Nationen und zu der Kenntniss von ihren Vorstellungen
beizutragen vermögen. Und was die Gebildeten und Gelehrten halbcivilisirter
Völker als eine besondere Kunst auszubilden bestrebt waren, das brachte, wie wir
sehen werden, in der Mystik des Volksaberglaubens ganz wunderliche und originelle
Zaubermittel zu Tage.
In Susrtita^s Ayurvedas wird von dem altindischen Arzte eine Anweisung
zu der Kunst gegeben, willkürlich Knaben und Mädchen zu erzeugen. Drei Tage
nach der Menstruation soll, wenn man einen Knaben erzeugen will, sich die Frau
bei einer besonderen Diät und in einem von einer besonderen Pflanze bereiteten
Bette von ihrem Manne fem halten. Am vierten Tage soll sie, gewaschen, mit
neuen Kleidern geschmückt, sich unter mystisch-religiösen Ceremonien dem Manne
zeigen. Denn man glaubte, dass nach der Beschaffenheit desjenigen Mannes, den
sie zuerst nach ihrer Reinigung durch die Menstruation erblickt, sich die Qualität
des Sohnes richtet, den sie gebären wird. Sie selbst und ihr Gatte sind für einen
ganzen Monat dem Brahma geweiht, und erst nach dem Ablauf dieser Frist muss
der Beischlaf vollzogen werden. Der Mann aber muss sich zuvor mit gereinigter
Butter salben und Reis mit reiner Butter und Milch gekocht geniessen; die Frau
dagegen muss sich mit Sesamöl salben und Sesamöl mit einer bestimmten Bohnen-
art geniessen. Ebenso soll der Mann nach jedesmaligen Trostgebeten in der 4.,
6., 8., 10. und 12. Nacht den Coitus mit ihr vollziehen. Diese Tage sind die der
Knabenerzeugung günstigen. Wünschte sich aber der Mann eine Tochter, so
musste er den Beischlaf in der 5., 7., 9. und 11. Nacht ausüben. Nach den drei
der Menstruation folgenden Tagen der Vereinigung gab der Arzt der Frau, wenn
sie sich einen Knaben wünschte, 3 oder 4 Tropfen oiiiet IdkBm mm Qwmff^
marina, Lakschana, Ficus indica oder Hedyaanim iMOPod »^ *
bereitet in das rechte Nasenloch, doch durfte v
schneuzen. Die altindischea Aente bei
618 XXIV. Des Kindes Geschlecht.
entstehe, wenn des Mannes Zeugungsstoff in grösseren Mengen vorhanden sei, ein
Mädchen bei grösseren Mengen des weiblichen Zeugungsstoffes, aber ein Napnnsaka
(Androgynus, Neuter, Zwitter oder Geschlechtsloser) entstehe bei gleichen Theilen
männlichen und weiblichen Stoffes.
Die talmudischen Aerzte behaupten ebenfalls, dass der Mann nach
Belieben männliche oder weibliche Früchte zeugen könne; einer von ihnen, Rabbi
Jiechak^ Sohn Ilab Amis^ sagte:
^Wenn der Mann bringt Samen zuerst, dann gebiert sie ein Weibliches; wenn die Frau
Samen bringt zuerst, dann gebiert sie ein Männliches/ (Traktat Berachoth.)
Femer wird im Talmud (Nidda) der Grundsatz aufgestellt, dass, wenn
während des Goitus das Weib leidenschaftlicher betheiligt sei als der Mann, daraus
eine männliche Frucht erzielt werde, wogegen aber im umgekehrten Falle ein
Mägdlein geboren werde. Wir werden später sehen, dass dieser Anschauung
ganz richtige Thatsachen zu Gnmde liegen. Etwas bedenklicher aber ist es
mit folgender Behauptung des Talmud, die sich ebenfalls im Traktate Berachoth
findet:
»Denn es sagte Bah Chama, Sohn Chanina's, im Namen Bah JizdhaVs: Jeder, welcher
sein Bett setzt zwischen Mittemacht und Mittag, der bekommt Kinder männlichen Geschlechtes.
Denn es heisst (Psalm 17, U): Und mit Deinem Zaphun füllest Du ihren Leib; sie werden
Söhne die Fülle haben/
Dieses Zaphun übersetzt Luther mit Schatz.
Einer sehr absonderlichen Auffassung der alten Israeliten begegnen wir im
Midrasch Echa Rabbati. Es tritt uns hier der Glaube entgegen, dass die
Oertlichkeit, wo die Niederkunft erfolgt, bestimmend für das Geschlecht des Kindes
sei. Es heisst daselbst bei der Auslegung der Klagelieder Jeremiae (2. 1):
«Warum heisst es Kephar Dichrin? Weil jede Frau daselbst Knaben zur Welt
brachte, nnd jede Frau, welche Mädchen gebären wollte, zog von ihrem Orte weg, und ne
gebar ein Mädchen, und jede Frau, die einen Knaben haben wollte, begab sich dahin und sie
bekam einen Knaben. CWünsche^J
Noch merkwürdiger ist die im Midrasch Bereschit Rabba dargelegte
Anschauung, dass das Geschlecht des Kindes sich noch während der Niederkunft
verändern könne. Bei der Besprechung von Genesis (80. V. 21) wird gesagt:
«Es ist gelehrt worden: Wenn ein Mann, dessen Frau schwanger ist, betet: möchte doch
meine Frau einen Knaben gebären, so ist das Gebet ein vergebliches. Nach R, Janai handelt
die Misch na aber nur von einem Weibe, welche schon auf dem Gebärstuhle sitzt. Allein
nach B, Jehuda hen Pasi kann selbst dann noch eine Aenderung eintreten (vergl. Jerem. 18. 6.)
Sowie nämlich der Töpfer einen gefertigten Krug wieder zerbrechen und einen anderen daraus
bilden kann, so kann auch ich (spricht Gott) selbst dann noch eine Aenderung treffen, wenn
die Frau bereits auf dem Gebärstuhle sitzt. Es heisst doch aber hier er ist ein anderer.
Da antwortete er ihnen: Ursprünglich gehörte das Kind dem männlichen Geschlechte an,
durch das Gebet Bacheis aber, Gott möchte ihr einen andern Sohn geben, wurde es in ein
Mädchen verwandelt.* fWünscihe^J
Der griechische Dichter Alkmäon, welcher etwa 540 v. Chr. lebte, war
der Meinung, dass das Geschlecht des Fötus je nach dem Vorherrschen der männ-
lichen oder weiblichen Potenz bestimmt werde. Empedokles (etwa 472 v. Chr.)
erklärte die Geschlechtsverschiedenheit aus der wärmeren oder kälteren Temperatur,
aus dem Verhältniss der Quantität des Samens und der Wirkung der Einbildungs-
kraft. (Pltäarch,) Nach den Untersuchungen von Ilis nahmen die Aerzte in dem
alten Griechenland und Rom nicht an, dass es möglich sei, das Geschlecht
des Kindes willkürlich zu beeinflussen. Wohl ergeht sich das dem Hippokrates
(mit Unrecht) zugeschriebene Buch „Von der Zeugung** in der Ansicht, dass beide
Zeugende sowohl männlichen als weiblichen Samen enthalten und dass nur dann
männliche Kinder erzeugt werden, wenn der kräftigere Same überwiegt. Parme-
nides und Anaxagoras dagegen meinten, dass in dem rechten Eierstock die Kaiaben,
in dem linken die Mädchen entständen. Nach Aristoteles rührt die Entscheidung
165. Mädchen- und Enaben-£rzeagang. 619
darüber, welches Geschlecht die Kinder erhalten werden, lediglich von dem Manne
her. Gälenus sagt: Die ungleiche Temperatur beider Seiten des menschlichen
Körpers ist der Grund, weshalb die warme rechte Seite zur Bildung von männ-
lichen, die kalte linke Seite zu der von weiblichen Kindern dient.
Auch der arabische Arzt Avicenna (f 1036) hielt es für möglich, nach
Belieben Knaben oder Mädchen zu erzeugen.
üeber dieselbe Frage äussern sich auch mehrere deutsche Schriftsteller
vergangener Jahrhunderte. So sagt z. B. Eucharius Rösslin in seinem „Heb-
anmienbüchlein^ :
«Wann des Mannes Samen heiss und fein viel ist, so hat er' die Kraft, dass er ein
Knäblein giebt. Die andere Sache ist, wann des Mannes Same nach dem meisten Theil kompt
aus dem gerechten Zeuglin des Mannes, und genommen wird in der Mutter gerechte Seiten,
das ist darumb, dass die gerechte Seite hitziger ist, denn die linke, und der Same aus dem
gerechten Zeuglin kreftiger, dann aus dem linken. Darum soll sich die Frau auif die gerechte
Seite neigen zuband nach dem Werk, ob sie gern einen Knaben woll haben.*
Desgleichen sagt Rueff in seinem Buche: «Ein schön lustig Trostbüch-
lein etc.*:
«Die Knäblein werden mehr in der rechten Syten der B&rmutter empfangen und mehr
von dem Samen, der von dem gerechten Gemächt kommt. Aber die Mägdlein in der linken
Seite der Gebärmutter von dem linken Gemächt empfangen. Denn die rechte Seite von wegen
der Leber hitziger ist im Leib, und die linke Seite kälter. Aber fQmehmlich ist die grössere
Hitz des Samens ein Ursach der Knäblein. *"
Eine andere Ansicht findet sich in dem Werke: «Der aus seiner Asche sich
wieder schön verjüngende Phönix oder ganz neue Albertus Magnus von Casp.
Nigrino'^ ; dort heisst es:
.Wann aber ein Mann seiner Frauen in einem Monat nicht mehr, als 8 oder 4 malen
beiwohnt, so wäre der Samen bei einem wie dem andern viel durchkochtor, dicker und von
Geistern mehr angefüllt. Er hätte mehr Fähigkeit einen Knaben zu formiren, wenn man ihn
nicht so oft vergösse. Und daher geschieht es gewiss! ich aus dieser Ursachen, dass die Alten
bisweilen Söhne zeugen, denn gleichwie es an der natürlichen Hitze mangelt und ihr Samen
roh und schwach ist* u. s. w.
Nach den Berichten von vonMartius hat ein chinesischer Arzt folgenden
Ausspruch gethan:
„Ob ein Sohn oder eine Tochter geboren werde, dies hängt von dem Manne und nicht
von dem Weibe ab. Die tägliche Erfahrung lehrt, dass mehr Knaben als Mädchen geboren
werden. Wir sehen aber auch wieder häufig, dass in manchen Familien die Mutter lauter
Töchter zur Welt bringt."
Nach einer anderen Theorie der Chinesen, welche von Hur^au mitgetheilt
wird, soll die Geschlechtsentwickelung des Fötus von den Elementen Yang und
Yn entschieden werden. Wenn nämlich das starke Princip Yang beim Manne und
das schwache Princip Yn beim Weibe vorherrscht, so erzeugen sie einen Knaben;
im entgegengesetzten Falle wird es ein Mädchen.
Aus allen diesen verschiedenen Ansichten können wir drei sich entgegen-
stehende Meinungen formuliren. Die erste will nur dem Manne die Fähigkeit der
Einwirkung auf die Bildung des Geschlecht« zuweisen, und zwar erzeugt seine
rechte Seite, als die stärkere, heiligere und glücklichere, die Knaben, seine linke
Seite die Mädchen. Die beiden anderen Meinungen lassen auch dem Weibe Ge-
rechtigkeit widerfahren und weisen auch ihm £e Fähigkeit zu, die Entstehung
des Geschlechts zu beeinflussen. Aber sie weichen insofern diametral aus einander,
als die eine eine directe, die andere eine gekreuzte Vererbung des Geschlechts zu
vertheidigen sucht. Die eine behauptet, um es mit anderen Worten auszudrücken,
dass der in geschlechtlicher Beziehung Kräftigere der beiden Zeugenden dem Kinde
das eigene Geschlecht vererbe, während die andere ihn gerade das entgegengesetzte
Geschlecht in der Frucht hervorrufen lässt. Wir wollen sehen, wie sich die neuere
Wissenschaft über diese Punkte äussert.
620 XXIV. Des Kindes Geschlecht.
Zahlreiche Autoren haben den Versuch gemacht, auf dem Wege statistischer
Forschung festzustellen, welchen Einfluss das Alter der Zeugenden auf das Ge-
schlecht des Kindes ausübt. Hier sind namentlich Hofacker^ ScuUer, Hoss^ und
Schumann zu nennen. Nach Letzterem haben beide Erzeuger die Tendenz, ihr.
eigenes Geschlecht auf das werdende zu übertragen. Dem Grade nach ist aber
diese Einwirkung eine sehr ungleiche: in erster Linie ist es der Vater, welcher
die Geschlechtseutscheidung herbeiführt, wohingegen der Einfluss der Matter Ton
untergeordneter Bedeutung ist. Wenn das richtig wäre, so würden alle Hypo-
thesen fallen, welche der Mutter einen hervorragenden Antheil bei der Geschlechts-
bestimmung vindicireil. Ausserdem sollen Mann und Weib sowohl bezüglich ihres
absoluten, als auch ihres relativen Alters einen Einfluss auf die Geschlechtsver-
hältnisse der Nachkommenschaft besitzen.
Floss hatte die Meinung vertreten, dass die Emähnmg, welche die Matter
dem Fötus in den ersten Monaten gewährt, für das Geschlecht des Kindes maass-
gebend sei. Sehr bald aber überzeugte er sich von ihrer Unrichtigkeit, und er
hielt es für erwiesen, dass die Entscheidung des Geschlechts der Kinder schon im
BefruchtuDgsacte sich vollzieht und dass das Geschlecht durch Vererbung bestimmt
wird. Er schloss sich den Ansichten Schumanns an, dass je grosser die sexuelle
Befähigung der Erzeuger, desto grosser der Einfluss der letzteren ist, und dass
vorzugsweise der Mann als der maassgebende Theil betrachtet werden müsse. Auf
des Mannes Befähigung käme es in erster Linie an, und mit dem Grade derselben
wechsele auch der Knaben-Ueberschuss.
Die seit einiger Zeit vielfach discutirte Theorie von Schenck macht das
zukünftige Geschlecht des Kindes auch wesentlich von der Ernährung der Eltern
abhängig.
Zur Bestimmung des Geschlechts der Kinder vor der Geburt führt Dupuy,
gestützt auf mehr als 200 Familien und mehr als 1000 Kinder, die folgenden
Merkmale an. Er giebt den Männern, die bereits einen Sohn haben und nun sich
eine Tochter wünschen, den Rath, die Menstruationsperioden, die seit der Ent-
bindung ihrer Frau verstrichen sind, zu zählen, und den Goitus in einem paaren,
Monat, abo im 2., 4., 6. u. s. w. auszuüben. Will man noch einen Sohn haben,
so muss die Frau in einem unpaaren Monat geschwängert werden. Eine Aus-
nahme von dieser Regel bilden nur Zwillinge mit zwei Placenten und die Fälle,
wo das eine Kind von einem anderen Vater herrührt.
Fürst kommt zu dem Resultate, dass allerdings das Alter, die Ernährung,
die Jahreszeit und die klimatischen Verhältnisse für die Bildung des Geschlechts
nicht ohne Einfluss sind, dass man den wesentlichen Factor aber in dem Zeit-
punkte der menstruationsfreien Zeit zu suchen habe, in welcher die Befruchtung
stattfindet. Tritt die letztere in den ersten 4 bis 5 Tagen nach der Menstruation
ein, so würden gewöhnlich Knaben geboren, während eine Gonception in den
späteren Tagen überwiegend Mädchen entstehen Hesse.
Die meiste Berechtigung scheint die Ansicht von Heinrich Ja^ike zu haben,
die sich mit der vorher bereits erwähnten gekreuzten Vererbung insofern
deckt, als der geschlechtlich Mächtigere der beiden Erzeuger dem Kinde das ent*
gegengesetzte Geschlecht aufprägt, aber ihm seine Eigenschaften vererbt Er
findet eine gewichtige Stütze für seine Annahme in höchst interessanten Ver-
suchen, welche Fiquef, ein bedeutender Rindviehzüchter in Houston in Texas,
von denselben Annahmen ausgehend, bei seinen Heerden angestellt hatte. Es
war diesem Herrn gelungen, in mehr als 30 Fällen hinter einander ohne einen
einzigen Misserfolg bereits mehrere Wochen vor der Befruchtung das Geschlecht
willkürlich zu bestimmen, welches das später geworfene Kalb aufweisen sollte.
Wünschte er Bullenkälber zu haben, so liess er den Kühen eine sorgftUtige Pflege
angedeihen, den Deckstier dagegen bei schmaler Kost zum Bespringen einer Reihe
nicht für den Versuch bestimmter Kühe benutzen. Erst bei dem zweiten oder
166. Die willkürliche Yorherbestiminung des Geschlechts im Volksglauben. 621
dritten Rindern der Yersuchskuh wurde sie mit dem Bullen zusammengelassen,
der dann nur eine sehr geringe Neigung zum Bespringen an den Tag legte,
während die Kuh eine starke Qeschlechtslust bezeigte. Zu dem bestimmten Termine
warf dann die Kuh das erwartete Bullenkalb. Sollte aber die Yersuchskuh eine
Färse werfen, so wurde umgekehrt der Stier sehr gut und kräftig genährt und
aufmerksam verpflegt, während die Kuh sich auf magerer Weide mit einem frisch
verschnittenen Ochsen umhertreiben musste, der seine vergeblichen Deckversuche
anstellte. Wenn dann die Versuchsthiere später zusammengeführt wurden, so war
der Stier sehr springlustig, während die Kuh nur einen sehr massigen Trieb für
die Qeschlechtsbefriedigung an den Tag legte: und zum bestimmten Termine warf
sie ein Kuhkalb.
Wenn es auch nun im Allgemeinen richtig ist, dass man nicht alle Resul-
tate von Thierversuchen ohne Weiteres auf den Menschen zu übertragen vermag,
so wird der aufmerksame Beobachter doch viele Analogien für die soeben ge-
schilderten Verhältnisse auch bei den menschlichen Ehen erkennen, und manche
scheinbar paradoxe Erscheinung des täglichen Lebens findet hierdurch ihre be-
friedigende Aufklärung.
166. Die willkfirliehe Yorherbestimmuiig des Geschlechts im
Yolksglauben.
Im Volke ist vielfach der Qlaube vorhanden, dass man nach eigenem Be-
lieben das Qeschlecht des zukünftigen Kindes durch besondere Maassnahmen her-
vorrufen könne.
Bei den C z e c h e n schlagen am Hochzeitstage die Knaben die Braut mit
ihren Mützen, damit sie einen Sohn bekomme. Bei den Kassuben legt man
noch heute, während der jungen Frau der Kopf umhüllt wird, einen männlichen
Säugling auf ihre Kniee; ebenso in Serbien, in Oalizien, bei den südmace-
donischen Bulgaren und an vielen Orten in Russland. (Lumeow.)
Aus dem gleichen Qrunde giebt man in Bosnien der Braut, wenn sie das
Haus des Bräutigams besucht, einen Knaben in die Hände, den sie dreimal um
sich herumdreht, ihn dann auf die Stirn küsst und ihn hierauf beschenkt.
{Mrazovic)
Wir haben hier einen uralten Brauch, denn auch schon bei den alten
Indern wurde der Braut ein Knabe zugeführt; der Priester setzte den Knaben
der Braut auf den Schooss, diese beschenkte das Kind mit Süssigkeiten und ent-
liess es dann.
Will im Spessart der Mann einen Knaben erzeugen, so steckt er eine
Holzaxt zu sich in das Bett und spricht eine Formel mit dem Endreim: „Du
sollst hob* an Bub^; will er ein Mädchen, so setzt er sich die Mütze seiner Frau
auf und spricht eine Formel mit dem Endreim: ,Du sollst hob' an Mad**.
Bei Kaltenbruch bei Ellingen im bayerischen Franken steht, wie
Mayer berichtet, eine alte Buche, welche die Wunderbuche genannt wird. Ein
Absud von ihrem Holze, von schwangeren Weibern getrunken, bringt die Geburt
eines Knaben, dagegen ein Decoct der Rinde die eines Mädchens zu Stande.
Eine von Truhdka verofifentlichte alte Handschrift aus Bosnien enthält
ein Mittel, „wenn ein Weib nur Mädchen gebiert*. Es ist folgendes:
«Wenn sie die Menstruation hat, möge sie auf einem fremden Felde, wo geackert wird,
einen Pflag zur Hand nehmen, mit dem Pflug bergauf gehen und dreimal sprechen: Ein Ochs
nach dem anderen, ein Sohn nach dem anderen! und sie wird einen Sohn gebären.*
Auch Glück berichtet aus Bosnien und der Hercegovina:
, Zahlreich sind die Praktiken, welche angewendet werden, um von einer Frau, die schon
wiederholt Mädchen geboren hat, fernerhin m&nnliche Nachkommenschaft zu erhalten. Man
bettet die Wöchnerin gleich nach der Entbindung auf Heu, man wirft die Nachgeburt in
622 XXIV. Des Kindes Geschlecht
einem Strumpfe des Mannes ins Wasser, oder man zerreisst sie in vier Theile; man wickelt
das Neugeborene in die Unterhosen des Vaters ein; dem Pathen wird nach der Tanfe die
Kappe gewendet; den Gästen werden die Opanken so umgestellt, daaa die rechte ft&r den
linken Fuss und die linke für den rechten Fnss vorbereitet ist; oder man wecheelt die Pathen,
was bei den Orientalisch- Orthodoxen nur selten ohne triftigen Grund geschieht.*
Milena Mra^ovic sagt:
,Wenn aber die Frau (in Bosnien) nur Töchter geboren hat, so versucht sie vor allem
den ihr von einem Geistlichen, ohne Unterschie<l der Confession ertheilten Segen; hilft letzterer
nicht, dann begiebt sie sich auf eine Wiese, wobei sie ein fliessendee Wasser passiren man.
Auf der Wiese angelangt, benetzt sie ihren Unterleib mit dem Thau, nimmt etwas Gras, steckt
es in den Busen und sagt dabei folgenden Spruch :
«Wicslein sei, bei Gott, mir Schwesterlein (Wahlschwester),
Mein sei das Deine, Dein sei das Meine!*
Wir haben oben schon gesehen, dass im früheren Herzogthum Modena
uacli Eiccardi das Gleiche erzielt wird, wenn der Gatte bei dem Coitos seine
Ehefrau in die Ohren beisst, oder wenn er für diese Yerrichtung eine andere
Stellung wählt.
Zingerle sagt, wenn in Tyrol der Gatte einen Knaben zu erzeugen wünscht,
so muss er beim Beischlafe Stiefel anhaben. Auch giebt es dort eine sogenannte
„ Kunstzeugung ". Dieselbe besteht darin, dass sich der Vater, der einen Sohn
wünscht, ante actum den Penis mit Hasenblut einschmieren soll; wenn er
aber ein Mädchen erzeugen will, so muss er für diese Einsalbung Gänseschmalz
benutzen.
Wird bei der Nay er- Kaste in Indien ein Knabe gewünscht, so trinkt
die Frau einen Monat nach der Em])fangniss sieben Tage lang gewisse Krauter-
brtihen. Am Abend des 7. Tages wird das goldene oder silberne Bild eines
männlichen Kindes in einen Topf mit kochender Milch versenkt und nach einigen
Stunden herausgenommen. Die von einem Priester durch Gebete und Zauber-
formeln vorbereitete Frau trinkt dann die Milch in Gegenwart des Gatten. Dieser
zermalmt einige Tamarinden-Blätter und träufelt den Safb in das rechte Nasenloch
der Frau, falls ein Knabe, in das linke, falls ein Mädchen gewünscht wird. Dass
in diesen Maassnahmen alt-indische Reminiscenzen erkannt werden müssen, das
kann keinem Zweifel unterliegen. Da die Weiber sich zuweilen irrthümlich für
schwanger halten, so werden diese Ceremonien mitunter auch erst im 5. oder
7. Monat zugleich mit der Pulli-kuddi-Ceremonie (zum Schutz der Schwangeren
und des Embryo gegen den Teufel) vorgenommen. Am folgenden Morgen trinkt
die Schwangere den Saft in der Hand zerdrückter Tamarinden-Blätter mit Wasser
gemischt, \jagor.)
Aber es giebt nach dem Glauben des Volkes auch noch eine Reihe von
Zufälligkeiten, welche unabhängig von dem Willen der Erzeuger, doch bestimmend
auf das Geschlecht des Kindes einwirken. In der Hercegovina und in Bosnien
helsöt es, nach Gliick:
.iHt die erste Arbeit, die die Frau nach dem Wochenbette unternimmt, eine Frauen-
arbeit, 80 wird das nachfolgende Kind ein Mädchen sein: ist es aber zuftillig eine solche
Arbeit, die gewöhnlich nur Männer vorrichten, so bekommt sie einen Knaben.*
In Ungarn darf die junge Frau bei der Uebersiedelung in das Haus ihres
Mannes ihren Spinnrocken oder das Nähzeug nicht mitnehmen, weil sie sonst
lauter Mädchen zu gebären Gefahr läuft, (v. Csaplovics,)
Bei uns in Deutschland herrscht in manchen Gegenden der Aberglaube,
diiss, wenn es beim Coitus regnet, das Kind ein Mädchen wird, ist es aber
trockenes Wetter, so wird das Kind ein Knabe. (Praetorius.) Im Franken-
walde ist man der Meinung, dass der zunehmende Mond Knaben, der abnehmende
Mädchen bringe. {Flügel)
In dem heutigen Griechenland wünscht man keine Töchter, denn sie
sind eine Bürde des Hauses, und nicht selten und stets sehr gefBrchtefe isfc die
166. Die willkürliche Vorherbeetimmang des Geschlechts im Volksglauben. g23
VerwQnschuDg , dass eine Frau mit Mädchen niederkommen solle. Ein Zauber,
um dieses Unglück Jemandem zu bereiten, besteht darin, dass man vor der Thüre
des BetreflFenden eine Anzahl durchlöcherter Geldstücke vergrabt. {Wachsinuth.)
Sogar wenn die Schwangerschaft schon eingetreten ist, hält man es vielfach
doch noch für möglich, dass auf das Geschlecht des zukünftigen Weltbürgers ab-
sichtslos oder wohlüberlegt eine Einwirkung ausgeübt werden könnte. Bei den
Griechen muss z. B. nach Wachsmuth die Schwangere, um die Geburt einer
Tochter zu verhüten, das Kraut Arseniko-botanö geniessen.
Bei den Ehsten setzt sich die Frau während der Schwangerschaft nicht
auf einen Wassereimer, weil dann nur Töchter geboren werden. Ja selbst nur
der Traum von einem solchen Sitzen wird noch als einfiussreich für das ent-
stehende Geschlecht angesehen. Man deutet bei ihnen einen Traum von einem
Brunnen oder Quell dahin, dass ein Mädchen, dem von einem Messer oder Beil,
dass eine Knabe zu erwarten sei. (Krebel.)
Wenn unter den Alfuren auf der Insel Celebes eine junge Frau bemerkt,
dass sie schwanger ist, so dreht sie mit ihrem Gatten aus dem Baste eines ge-
wissen Baumes, Cola genannt, ein Ende Tau, Tali rarahum genannt. Hierauf
wird ein Priester gerufen. Während derselbe ein Huhn zum Opfer darbringt,
bittet er die Götter, den Wunsch der jungen Leute zu erfüllen. Wünschen sie
sich einen Sohn, dann müssen sie ihren Wunsch durch die Bitte um ein Schwert
kundgeben, wünschen sie sich eine Tochter, dann müssen sie um Korallen oder
Ohrgehänge bitten. Hierauf übergiebt der Priester obengenannte Gegenstände
nebst einem Sarong (Ueberwurf, Kleidungsstück) der schwangeren Frau zum Ge-
brauch. (Diederich.)
Solche Beeinflussung des Geschlechts ist nach dem Glauben einiger Völker
noch während der ganzen Schwangerschaft möglich und reicht sogar bis zu der
Entbindung hin. Auch hier liefern uns die Neu-Griechen wieder ein Beispiel:
bei ihnen muss, wie Wachsmuth berichtet, sich eine Schwangere sehr sorgfältig
hüten, einen weiblichen Namen zu nennen, weil sonst das Neugeborene ein
Mädchen wird.
XXV. Mehrfache Schwangerschaft.
167. Die lleberfrnchtuiig.
Die Besprechung der weiblichen Fruchtbarkeit möchte ich nicht zum Ab-
schlüsse bringen, ohne derjenigen Zustände zu gedenken, in welchen nicht nur
eins, sondern gleichzeitig mehrere Kinder im Mutterleibe zur Entwickelang ge-
langen. Man pflegt hier die Unterscheidung zu machen in die Fälle gewöhmicher
Mehrschwangerschafb (Zwillinge, Drillinge, Vierlinge u. s. w.}, und in dicgeniffen
der Ueberfruchtung. Die letztere, glaubt man, habe stattgefunden, wenn in den
Grössendimensionen der beiden Früchte ein erhebliches, in die Augen üallendeB
MissYerhältniss besteht, oder, wenn, wie das zuweilen vorkommt, zwischen der
Geburt der beiden Früchte ein Zeitraum von mehreren Tagen verstrichen ist
Manche niedere Yolksstämme betrachten allerdings jede Zwillingsschwangerschaft
als eine Ueberfruchtung, und zwar halten sie deren Zustandekommen nur dann
für möglich, wenn noch ein zweiter Mann sich an dem Zeugungsgeschfift be-
theiligt hat. So nur erklärt es sich, dass die Eingeborenen in Guinea, Guyana
und die Chibchas- und Salivas-Indianer Zwillingsgeburten f&r den aidbieren
Beweis des Ehebruchs der Frau ansehen und diese und die Kinder dementsprechend
behandeln.
Gebildetere Völker dachten sich die Ueberfruchtung auf verschiedene Weise,
aber immer doch durch die alleinige Beihülfe des Ehemannes entstanden. So
hatte Empedokles die Ansicht aufgestellt, dass eine doppelte SchwangA'schaft einer
Theilung des männlichen Samens ihren Ursprung verdanke. Erasistraios dagegen
(um 300 vor Christo) hielt eine doppelte Befruchtung für möglich.
Die talmudischen Aerzte hielten eine Ueberfruchtung in den ersten drei
Monaten für möglich, und eine solche von nicht mehr als 40 Tagen wurde f&r
die Kinder nicht als schadenbringend betrachtet. Dagegen sprechen sie sidi dahin
aus, dass die eine der Früchte als ein Saudalium zur Welt kommen könne. In
dem Traktate Berachoth heisst es:
ySo wie wir die Lehre haben, die drei orsten Tage bitte der Mensch die Bannhenig-
keit, dass er nicht verderbe; von drei bis vierzig bitte er die Barmherzigkeit, dass er sei
kein San dal, von drei Monaten bis sechs bitte er die Barmherzigkeit, dass er herausgehe
in Frieden.*
Zu dem Worte Sandal findet sich dann die Erklärung: „Name eines flachoi
Meerfisches, nämlich eine Missgeburt, die diesem ähnlich ist. Hier liegt o£Fenbar
die erste Beobachtung jener bisweilen vorkommenden Zwillingsgeburten vor,
bei denen das eine, schon vor mehreren Monaten abgestorbene Kind platt gedrückt,
eingeschrumpft und vertrocknet geboren wird, wobei aber an eine SuperfÖtation
nicht zu denken ist.
Nach Kaeendsmi musste das Antlitz des Sandalium an einen Menschen
erinnern, und trotzdem diese Missgeburt nicht lebensfähig ist, so g^hSrt sie in
ritueller Beziehung doch in die Klasse normal entwickelter FrQchte. Da man aber
167. Die Ueberfrnchtung.
625
über ibr Geschlecht keine Aussage machen konnte, so half sich die Mischna
dadurch, dass sie die Entbnndene ftbr unrein erklärte, als ob sie einen Knaben
und ein Mädchen geboren habe. Es heisst im Tractat Tosaphta:
yQaae ejecerit sandaüam vel secondiiULs, ea sedeat pro mascnlo et pro foemella.*
Kasetidson berichtet dann weiter:
, Einst wurde in einer Schule in einem Lehrhause die Frage aofgeworfen, wie g^ross
bei mehrfachen Gebarten die Zeitabst&nde zwischen der ersten und der zweiten Fracht wären.
Zar Beantwortung dieser Fage werden Fälle angefahrt, in welchen die Zwischenzeiten 10,
23, und sogar 34 Tage betragen. Unter Anderen macht auch Rabbi Menadtem aas Caper-
schearim eine Zwillingsgebart namhaft« bei welcher ein Kind 3 ganze Monate später ak
das Andere zur Welt kam, and wies dabei aaf die beiden anwesenden Söhne des Rabbi Chia
hin. üeber diese Thatsache entwickelte sich nun eine rege Debatte, in der einige in der-
selben einen Beweis f&r das Zastandekommen des Ueberfrachtangsproceeses suchen, während
andere sie dahin deuteten, dass «eine Zersplitterung des Tropfens* die Entwickeluag zweier
Embryonen zur Folge hatte, von denen einer dem Anderen um 3 Monate zuvorgekommen war.*
Die Möglichkeit einer Soperfotation nahm auch Aristoteles an. Flinius be-
richtet ebenfalls davon. Er äussert sich darüber folgendermaassen:
y Ausser dem Weibe dulden nur wenige Thiere, während sie trächtig sind, die Be-
gattung. Eins oder das Andere wird höchstens überfrachtet Man findet in den Schriften
der Aerzte und Anderer, die sich
die Erforschung solcher Dinge an-
gelegen sein liessen, dass durch
eine Fehlgeburt schon zwOlf Leibes-
früchte abgingen. Wenn aber
zwischen zwei Empfängnissen
einige Zeit verflossen ist, dann
kommen sie beide zur Reife, wie
dies beim Hercules und seinem
Brnder Iphicles der Fall war; des-
gleichen bei einer Frau, die
Zwillinge gebar, von denen der
eine ihrem Manne, der andere
aber dem Ehebrecher ähnlich sah.
Dasselbe geschah mit einer pro-
conesischen Magd, die nach
einem doppelten Beischlafe an
ein und demselben Tage mit einem
Kinde, was ihrem Herrn, und mit
einem zweiten, was dessen Ver-
walter ähnlich sah, niederkam.
Eine Andere gebar ein recht-
zeitiges Kind und ein 5 Monate
altes zugleich; noch eine Andere gebar nach 7 Monaten und bekam zwei Monate nachher
noch Zwillinge.'
Einer eigenthümlichen Vorstellung von der Ueberfruchtung begegnen wir
in der Pesikta des Rab Kdhana:
.Und der Ewigo schlug alles Erstgeborne im Lande Aegjpten.* (Ev. 12, 20.) d. i.
den Erstgebornen des Mannes, den Erstgebornen des Weibes, den Erstgebornen des Weib-
lichen. Wie so das? Ein Mann kam über zehn Weiber, und ' ebenso kamen 10 Männer
über ein Weib und sie gebar zehn Kinder von ihnen, folglich waren alle Erstgeborne der
Männer.« {Wünscht.)
Auch später noch hielten arabische Aerzte eine Superfotation f&r möglich.
Ävicenna erklärte sie für gefahrlich, und AbuUcasem meinte, dass das erste Kind
Yom zweiten leicht getödtet werde, dass aber auch das zweite Kind möglicher-
weise sterbe.
Die Superfotation oder, wie Scanjsoni sie zu nennen vorschlägt, Super-
föcundation, hat bis in die neuere Zeit ihre Verfechter gefunden. Im 17. Jahr-
hundert herrschten darüber sehr absonderliche Ansichten. Der anonyme Verfasser
Ploss-Bartels, Das Weib. 6. Aufl. I. 40
Fig. 273. Der zweite Embryo bei Ueberfirnchtasg.
(Nach RmjscAims^
626 ^^^- Mehrfache Schwangerschaft
von des getreuen EckartVs unvorsichtiger Hebamme erzählt, dass er selbst xwei
derartige Fälle beobachtet habe, einen im Jahre 1686, wo ein Intervall Ton zvrei
Monaten zwischen beiden Geburten bestand, und den anderen im Jahre 1677, wo
eine Dame zuerst von einem Sohne und 12 Wochen später von einer Tochter
entbunden worden war. Er sagt:
,Im Anfange und währenden 12 biss 20 Tagen kann dergleichen Nachschwftngeniiig nicht
geschehen, denn sie würde in zukommenden Saamen eine Yerwirrung machen und eins dai
andere verderben.*
Buy Schills^ der berühmte holländische Anatom des 17. Jahrhunderts, be-
richtet von einem Falle von Superfotation, welcher sich im Jahre 1686 bei der
Frau eines Chirurgen in Amsterdam ereignet hatte. Sie hatte ein kraftiges,
lebendes Kind geboren, und 6 Stunden später folgte noch ein kleiner Embryo Ton
der ungefähren Grösse einer Bohne, dessen verkleinerte Abbildung in Fig. 273
wiedergegeben ist. Die zu diesem Embryo gehörige Nachgeburt hak die Grösse
und Dicke, wie sie im dritten Monate der Schwangerschaft gewöhnlich ist. Der
Nabelstrang dieses kleinen Wesens liess eine Reihe von blasenartigen Auftreibungen
erkennen.
Auch der bekannte Gynäkologe Busch verfocht noch im Jahre 1849 die
Möglichkeit der Superfotation, und es sprachen hierfür scheinbar diejenigen Be-
obachtungen, wo Europäerinnen Zwillinge von zwei Rassen, ein weisses und
ein Mulatten -Kind, geboren, nachdem sie sich kurz nach einander mit einem
Europäer und einem Neger begattet hatten. Doch sind diese Fälle, auf deren
Berichte ich nicht näher eingehe, keineswegs sicher gestellt.
Wollte man eine solche Möglichkeit statuiren, so müsste der zweite frucht-
bare Coitus dem ersten in sehr kurzer Zeit nachfolgen und es mOssten zwei Ovula,
zur Befruchtung bereit, in der Gebärmutter sich befinden. Doch ist auch dieses
noch nicht einmal bewiesen. Wir werden daher Scaneoni and Wagner bei-
stimmen müssen, welche die Ueberfruchtung als eine physiologische Unmöglich-
keit hinstellen.
168. Paarlinge.
Es wird den Lesern ohne Zweifel schon seit langer Zeit aufgefallen sein,
dass unendlich viel häufiger Zwillinge von gleichem, als solche von verschiedenem
Geschlechte geboren werden. Nur die letzteren sind immer als Zwillinge im eigent-
lichen Sinne des Wortes anzusehen, d. h. als das Product zweier gleichzeitig ge-
reifter und durch denselben Coitus befruchteter Eier. Die Zwillinge gleichen Ge-
schlechts können allerdings ebenfalls auf die soeben geschilderte Weise sich ent-
wickelt haben. In einer grossen Reihe der Fälle sind sie aber ganz unzweifelhaft
nur einem einzigen Eichen entsprossen, dessen Bildungskeim sich verdoppelt hat.
FQr diese letztere Gattung der Doppelgeburten hatte der verstorbene Berliner
Anatom und Embryologe Karl Bogislaus Beichert die Bezeichnung Paarlinge
vorgeschlagen, während er den Namen Zwillinge f&r die erstere Gattung beibehielt.
Zu den Paarungen gehören nun unter allen Umständen die oft beschriebenen
und nicht selten fUr Geld gezeigten, mit einander verwachsenen Zwillinge. Ich
erinnere hier an die Gebrüder Tocci^ an die zweiköpfige Nachtigall und an
die siamesischen Zwillinge. Es handelt sich hierüberall durchaus nicht, wie
der Laie glauben könnte und wie auch die Gelehrten vergangener Jahrhunderte
wirklich angenommen haben, um einen Process der Verwachsung und Verschmelzung,
sondern um einen solchen der Verdoppelung. Die Keimanlage verdoppelt sich, und
zwar von einem oder von beiden Enden her. Geht nun diese die Verdoppelung
erzeugende Längstheilung nicht durch die ganze lÄnge des Keimes hindurch, dann
wird die eine Abtheilung desselben einfach bleiben, und an dieser Stelle scheineB
dann die Zwillinge verwachsen zu sein, während sie also eigentlich nur uhtoU-
628 XK.Y. Mehrfache Schwangerschaft
sind doch die Mittelkörper durch eine mehr oder weniger breite Brücke von
Weichtheilen mit einander yerbnnden. Solche Wesen waren die siamesiBchen
Zwillinge und die sogenannte zweiköpfige Nachtigall.
Fig. 274 flihrt ebenfalls solche unglückliche Wesen vor. ESs sind die ans
Orissa in Indien stammenden Schwestern Badika und Doodika^ welche im Jahre
1892 Deutschland durchzogen. Sie hatten damals ein Alter von 3^2 Jahren.
Auch bei ihnen ist die Trennung eine fast vollständige; nur in der Oberbauch-
region sind sie mit einander verschmolzen.
Ist die Langstheilung und Verdoppelung nun aber durch die ganze Lange
des Keimes zu Stande gekommen, dann entstehen zwei vollständig von einander
getrennte Kinder, jedes ftSr sich vollkommen entwickelt, aber immer in einer g^
meinsamen Eihülle steckend, immer gleichen Qeschlechts und gewöhnlich mit ge-
meinsamem oder unvollständig verdoppeltem Mutterkuchen. Das sind die Paarlii^.
Wenn wir uns nun eine Vorstellung machen wollen, um wieviel häufiger
solche Paarlinge als echte Zwillinge geboren werden, so zeigt uns das die Statirtik
von Berlin. In den 11 Jahren 1883^1893 kamen daselbst 532658 Einzelgebarten
und 5872 Zwillingsgeburten vor. Unter den letzteren waren aber nur 2094 un-
zweifelhafte Zwillingsgeburten uach unserer Nomenclatur, d. h. solche, wo ein
Knabe und ein Mädchen geboren war. Bei 3778 Geburten handelte es sich um
Kinder des gleichen Geschlechts, also um Paarlinge, und zwar waren hier 3934
Knaben und 3622 Mädchen geboren worden. Das männliche Geschlecht ist hier
also etwas in der Ueberzahl.
169. Zwillinge.
Soweit bis jetzt unsere Kenntnisse reichen, sind Zwillingsgeburten bei allen
Rassen der Erde beobachtet worden, aber das Verhältniss derselben gegenüber
den normalen Geburten ist, wie wir auch heute bereits zu behaupten vermögen,
ein sehr ungleichmässiges bei den verschiedenen Völkern. Rassenunterschiede
allein können hierfür keine befriedigende Erklärung abgeben. Denn oft sehen wir
unter Völkern der gleichen Abstammung und ganz nahe bei einander wohnend
bei dem einen Zwillingsgeburten als eine grosse Seltenheit, bei dem anderen da-
gegen mit einer auffallenden Häufigkeit auftreten. Es wäre in hohem Grade inter-
essant, wenn die Reisenden und die in den Colonien Angestellten diesem Gegen-
stande ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden sich entschliessen wollten.
So berichtet Mondiere über die Weiber in Cochinchina, dass bei ihnen
Zwillingsgeburten sehr selten vorzukommen pflegen; nach seiner Berechnung nicht
mehr als ein Fall auf 10211 Geburten. Jedoch fahrt er fort:
.Chose plus remarquable encore, un seul arrondissement, Bentr^, semble avoir le
privil^ge de ces naissances gemellaires; car sur les 15 qui ont eu lieu en 6 ans, Bentre
compte 9 ä lui seul.''
Wir finden auch auf den kleinen Inseln des malayischen Archipels in ver-
schiedener Häufigkeit Zwillingsgeburten auftreten. Auf den Watubela-Inseln
sind sie eine ganz ausserordentliche Rarität, auf Buru, Eetar und den Aaru-
Inseln sind sie auch noch selten, auf den Tanembar- und Timorlao-Inseln
werden sie schon etwas häufiger beobachtet. AufLeti, Moa und Lakor besitzen
die Eingeborenen sogar besondere Namen für die drei möglichen Geschlechts-
combinationen (zwei Knaben, zwei Mädchen oder Knabe und Mädchen), und ani
den Keei- oder Ew ab u- Inseln werden mit relativer Häufigkeit Zwillinge geboren.
Auch die Siamesinnen sollen nach Turpin und Schonten sehr fruchtbar and
Zwillinge bei ihnen nicht selten sein.
Von den Orang Belendas in Malacca sagt Stevens:
, Zwillinge sind bei ihnen fast unbekannt. Es kann das kaum ein Zufall sein, da« uk
169. Zwillinge.
629
keinen Fall hiervon anter ihnen gesehen habe, denn die Djäkun sagen mir, dass sie auch
keine gesehen hätten. ** (BarUW,)
Zwillingsgeburten sind unter den Fiji-Insulanern nach Blyth nicht un-
gewöhnlich. Auch auf den Salomon-Inseln kommen nach £tton Zwillinge vor,
sie sind aber selten und die Eingeborenen sind erstaunt, wenn sie hören, dass
sich das bei den Weissen öfters ereignet.
Bei den Wakimbus und Wanjamuesi am Ujiji-See in Central-Afrika
werden nach Burton und Speke Zwillingsgeburten viel seltener beobachtet, als bei
den Dinka-Negern und bei den Kaff er n. Jedoch sind sie auch unter den
letzteren bei den einzelnen Stämmen von wechselnder Häufigkeit. Calloway be-
richtet einen Fall, wo ein Mann, in dessen Familie wiederholt bereits Zwillings-
schwangerschaften vorgekommen waren, eine Frau aus einem anderen Stamme
heirathete, in welchem sie fast gar nicht vorkamen. Bei der ersten Entbindung
brachte diese Frau Zwillinge zur Welt. Hier würde also ein Einfiuss des Vaters
auf die Entstehung der Zwillingsschwangerschafb nicht zu verkennen sein. Nach
Reichard sind bei den Wanjamuesi Zwillingsgeburten verhältnissmässig häufig.
Aus Ha Tschewasse im nördlichen Transvaal schrieb mir Missionar
Beiister: „Ich bin zu der üeberzeugung gekommen, dass unter den schwarzen
Völkern, wenigstens unter dem Volke, wo ich mein Arbeitsfeld habe (Bawaenda,
eine Abtheilung der Basutho), viel mehr Zwillingsgeburten stattfinden, als daheim
in Europa. Unter etwa zwölf Frauen meiner Station fanden vor einigen Jahren
3 nach einander folgende Zwillingsgeburten statt. "^
Von den Aegypterinnen erzählt schon Aristoteles^ dass sie sehr häufig
mit Zwillingen niederkämen.
Im Jahre 1853 gab es in Trinidad bei einer Bevölkerungszahl von noch
nicht ganz 7000 Seelen mehr als 80 Fälle von Zwillingen unter den Erwachsenen,
und im Jahre 1856 wurden in Santo-Espiritu auf Cuba 6 Zwillingsgeburten
beobachtet. In Nicaragua bringen die eingeborenen Frauen sehr häufig Zwillinge
zur Welt.
Die Zwillingsschwangerschafben unter den europäischen Völkern hat in
neuerer Zeit besonders BertiUon zum Gegenstände seiner Studien gemacht. Er
stellt folgende Tabelle zusammen:
Land . Beob^htungs-
ZwiUinf^^sgebarten
pro lOOO
SchwangerscliAften
Unter 100 Zwi
eingesohlechtUch
Uingsgebnrten
zweigesohlechtlioh
Frankreich... . 1858—68
10,00
65,1
34,9
Italien
1868—70
10,36
12,50
64,3
35,7
Preussen
1859-67
62,5
37,5
Galizien
Oestorreich
1851-59
12,50
62,4
37,6
1851-70
11,90
62,0
38,0
Ungarn
1851-59
13,00
61,3
38,7
Es ist sehr beachtenswerth, dass hierin sich Preussen, Qalizien und
0 esterreich einerseits und Prankreich und Italien andererseits als zu-
sammenstehend ergeben, während Ungarn die höchste Stelle einnimmt. BertiUon
hält sich für berechtigt, hierin Differenzen zwischen der teutonischen und der
lateinischen Rasse zu erblicken.
Aus dieser Tabelle geht auch hervor, um wieviel häufiger die Zwillinge das
gleiche, als ein verschiedenes Qeschlecht aufeu weisen haben, und auch in diesen
Zahlen lässt sich ein Unterschied zwischen den beiden Rassen nicht ableugnen.
Die Zwillinge gleichen Qeschlechts sind Qbrigens in der überwiegenden Mehrzahl
der Pälle Mädchen. Das für die angegebenen Zeiträume im Ghmzen in der Tabelle
ausgesprochene procentuale Verhaltniss bleibt für Preussen und Frankreich
630 XXV. Mehrfache Sohwangenchaft.
ein unverändertes, auch wenn man Jahr für Jahr mit einander Tergleicht; die
Schwankungen betragen in maximo ^/lo Procent.
So wichtig diese Untersuchungen nun auch sind, so wurde doch bereits
vorhin der Beweis geliefert, dass nidit allein die Bassenunterschiede f&r diese
Frage den Ausschlag geben, und es wäre zur weiteren Klärung dieser Angelegen-
heit durchaus nothwendig, nicht die Zwillingsgeburten ganzer Lander, sondeni
einzelner eng umschriebener Bezirke mit einander in Vergleich zu ziehen. Erst
dann Hesse sich angeben, auf welche Punkte nun weiter noch Gewicht kq
legen wäre.
Bei den Süd-Slaven sind nach Krauss^ Zwillinge ein häufiges Vorkommniss.
Auch in Bosnien kommen nach Mrcusovic Zwillingsgeburten häufig vor.
Wir haben früher schon gesehen, dass die altgriechischen Aerzte zu der
Zeit des Hippokrates die menschliche Gebärmutter, welche sie sicherlich niemals
zu Gesicht bekommen hatten, sich genau so vorstellten, wie diejenige der ScUacht-
thiere, d. h. sie glaubten, dass auch das Weib einen zweigehömten Uterus beeässe.
Nun war natQrlicher Weise für sie das Verständniss der Zwillingsgeburten sehr
vereinfacht, denn für sie stand es fest, das in jedem der Homer eines der Kinder
sich entwickelt habe.
Die chinesischen Aerzte diagnosticiren eine Zwillingsschwangerschaft, wenn
der auf bestimmte Punkte der Arterie der Handwurzel aufgesetzte Finger an
beiden Korperseiten den Puls schlüpfend und strotzend findet.
Bei den Japanern ist durch Kangawa die Lehre von der Zwillingsschwangrer-
Schaft ausgebildet. Er stellte die folgenden Sätze auf:
Sind Zwillinge vorhanden, so hat regelrecht der linke den Kopf nach unten, der rechte
hat ihn nach oben. Jeder hat seine eigene Placenta; der linke kommt bei der Geburt znexst
Liegen dagegen beide Zwillinge mit dem Kopfe nach oben oder nach unten, so haben sie nur
eine gemeinschaftliche Placenta, und die Geburt ist stets mit grosser Gefahr verknfipft. Dm
Geschlecht beider Zwillinge kann verschieden sein. Zuweilen entwickelt sich ein Zwilling auf
Kosten des anderen: dann wird letzterer im 7. Monat mit dem Sack geboren.
Dass eine Frau sich mit Zwillingen trägt, erkennt man nach Kangawa daran,
dass ihr Leib in der Mittellinie eingesunken ist
170. Drillinge, Yierlinge^ Ffinflinge u. s. w.
Bekanntlich werden bisweilen aber auch nicht nur zwei, sondern sogar drei
und selbst noch mehr Kinder gleichzeitig im Mutterleibe zur Entwickelung ge-
bracht, und wenn wir die folgende ebenfalls von BertiUon herrührende Zusammen-
stellung betrachten, so werden wir uns nicht dem Eindrucke verschliessen können,
dass solche Drillingsgeburten viel häufiger vorkommen, als man von vorn-
herein erwarten sollte.
Zahl der jährlichen Drillingsgeburten.
Frankreich (1858—68) 120
Italien (1868—70) 130
Preussen (1858—67) 107
Ungarn (1851—59) 62,5
Oesterreich (1851—70) 125
Galizien (1841-59) 36.
Für Frankreich gestaltet sich das Yerhältniss so, dass eine Drillingsgeburt
auf 8570 normale Geburten, oder auf 86 Zwillingsgeburten triflPfc. Gerschun giebt
an, dass in Irland auf 4995, in Russland auf 4045 und in Württemberg auf
5464 normale Geburten je eine Drillingsgeburt beobachtet wurde.
Bei Drillingsgeburten sbd natürlicher Weise bei den Kindern Tiererlei Qe-
schlechts-Combinationen möglich: Es können 3 Knaben sein, oder 3 M«^^|y^
Mer 2 Mädchen und 1 Knabe, oder 2 Knaben und 1 Madchen.
170* Drillinge, Viorlinge, FitofUnge a, a. w.
Wie diese sich in Zahlen- VerbältDissen gestalten, zeigt die folgende Tabelle:
Drillingageb urteil.
Oestorreich.
(1851—70)
3 Enaben .
3 M&dchen. , . . . .
2 lUabdo, 1 Mädchen
I KjiAbe, 2 Madchen .
Preuisen.
(l82e-48) (1859—67)
45,1
1;?| ».»
48
52
3 Knahon
3 Mädchen. ,
2 Knaben, 1 M&dcbeu
.1
^8
25/
Frankreich.
(1858— eSO, 1866—68)
27,7)
»24 2)
1 Knabe, 2 Mädchen 24i7j ^'^
Hier ist oun gleich von vornherein eine höchst eigenthtimliche Thataache
2u conatatiren, welche die Ürillingsgeburten ganz scharf von den Zwillingsgeburten
abtrennt. Während bei den letzteren nämlich, wie wir gesehen haben, bei weitem
[häufiger Mädchen als Knaben geboren werden, finden wir hier bei den Drillingen
"gerade die Knaben in der Ueberzahl. Auch lässt sich hier wieder wie in den
früheren Tabellen erkennen, dass Frankreich eine besondere Stellung einnimmt
gegenüber von Prenssen und 0 est er reich.
In Berlin sind in den 11 Jahren 1883 — 1893, wie schon früher angegeben
wurde, 532658 Einzelgeburteu und 5872 Paarlings- und Zwillingsgeb arten vor-
gekommen. Dazu kommen 48 Drillingsgeburten* Vierlinge u, s. w. sind nicht
beobachtet worden.
Bei diesen Drillingsgeburten wuretj :
3 Knaben . . 12 Mal
2 Knaben und 1 Mädchen . . . 13 I^lai
2 Mudcben und 1 Knabe . . .11 Mal
8 Mädcbaa 12 Mab
Somit waren unter diesen Drillingskindern 67 Knaben und 71 Mädchen.
Wir sehen also, dass die beiden Geschlechter ziemlich gleichmässig vertreten sind,
lund ich vermag daher nicht zu constatiren, dase bei den Drillingsschwanger-
schaften die Neigung vorläge, eines der beiden Geschlechter vornehmlich zur Aus-
bildung zu bringen.
Auch in Bosnien kommen nach Mrasovtc Drillingsgeburten bisweilen vor
Von Drillingsgeburtcn aus anderen Welttheilen wird so gut wie nicht« be-
richtet In Cochinchina kommen sie nach Motidwre nicht vor, auf den Viti-
Inseln sind sie nach Blyth gänzlich unbekannt, und in Central- Afrika erklärt
sie Barth für etwas Unerhörtes, Auf Cuba aber ereigneten sich in einem Dorfe
Namens Bando im Jahre 1856 nicht weniger als 4 Drillingsgeburten. Auch auf
[Serang werden sie nach Riedel bisweilen beobachtet
Noch grösserer Kindersegen als drei auf einmal wird dem Menschen selten
^ lieschieden. Ueber die Geburt von Vierlingen haben sich im Verlaufe der letzten
Jahre mehrmals Nachrichten in den Zeitungen gefunden. Ich möchte hier aber auch
auf eine höchst interessante antike Fi^ur aufmerksam machen, welche sich in der
berühmten Ny Carlsberg Glyptothek des Herrn Carl Jacohsen bei Kopen-
hagen befindet Es ist eine auf einem Sessel sitzende junge Frau von ungefähr
75 cm Höhe, die sich in einer Nekropole in Capua gefunden hat. Das Gewand
[ist auf der rechten Schulter geknöpft; die linke Schulter und die linke Brust
Ifiind frei. Auf ihrem Schoosse nihen, von ihrem linken Vorderarme unterstützt,
[Tier Wickelkinder neben einander, welche die Frau mit ihrer rechten Hand auf
lihrem Schoosse festhält WahrBcheiaHdi ^ ^nmgs-
170. Drilling©^ Vierlinge, Fünflinge u, s, w.
633
Die neueren Beobachtungen haben das Vorkommen von Fünf lingen bestätigen
itissen, aber immerhio handelt es sich hier stets um so grosse Seltenheiten, dass
aan sie nur als Ciiriositäten zu betrachten hat. Wappaetis ist bemüht gewesen,
die statistischen Verhältnisse der mehrfachen Geburten festzustellen. Kr fand im
Jgemeinen auf 10 Millionen Geborene 9768334 Einzelgeborene, 227597 ZwU-
age, 3948 Drillinge, 118 Vierlinge und 3,5 Ftinflinge.
Der Berliner Gynäkologe Karl Schroeder äusserte sich dahin, dasa sicher
:>nBtatirte Beobachtungen von mehr als fünf gleichzeitig entwickelten Frlichten
ehlen. Um so interessanter ist daher ein Grabstein in Hameln, dessen Photo-
phie ich dem Regierungshaumeister Weisstein verdanke. Der Grabstein be-
sieh, wie ich später selber zu sehen Gelegenheit hatte, in die Aussenwand
eines Hauses eingefügt, welches neben
ainer der Kirchen steht. Auf dem
Grabstein ist folgende Inschrift deutlich
lenen:
AUhier ein Bürger Thkle Moemtr genannt
ine Hausfruu Anna Brctjer» woWbekiuinfc
M muD wählte 1600 J»hr
Den 9 JanunriuB des Morgena 3 Uhr wur
Von ihr zwei Kn&belein und fQnf Madelein
Auf eine Zeit geboren seyn
abcD auch die heilige Tauf erworben
*o1genda den 20t<fü 12 Uhr eeelig gestorben
■Oott wolle ihn geben die Selligkeit
Die allen Gläubigen ist bereit.*
Figur 275 führt diesen Grabstein
ohne die Inschrift) vor und xeigt die
"iltern und deren Angehörige unter dem
Irucifixe kuieend ; sechs Wickelkinder
egen auf der Erde in einem Kissen,
ährend der Vater das siebente dem
ekreuatigten entgegenhiilt.
In der Berliner anthropologi-
en Gesellschaft, wo ich diesen Fall
rochen habe, machte ich schon dar-
auf aufmerksam, dass wahrscheinlich als
,erTag der Geburt nicht der 9., sondern
er 19. Januar gemeint sein wird. Dann
litten die Kinder also nicht 1 1 Tage.
sondern nur 33 Stunden gelebt. Das er-
scheint glaubwürdiger, denn auch schon
i Drillinge haben bekanntermaassen nur
■ine sehr geringe Lebensfiihigkeit. Da
ban in der damaligen Zeit mit heiligen
Pingen keinen Spott zu treiben pflegte,
Eral
Fig. 2Tt>. Die ItaUenerin Z>^r rirt \\;ihreiid i1if*r
tieunfAcLrin oder eUfjkQhAti Sch'Aiiing'^i'äiehUt,
werden wir wohl mit Sicherheit annehmen dürfen, daas es sieh hier um eine
ahre Thatsache gehandelt hat.
Einen neuen Fall von Siebenlingen berichtete die römische Zeitong
Opinione vom 19. März 1899.
Einige Tage fraher ^U in Madrid die Fraa einoB Schxuiedefi toh einem dicken kräftigen
KnaVen entbunden sein. Eine halbe Stunde später b teilten sich wiederum Wehen ein und oj
irurden dmrauf twel todte Knaben geboren. Aber auch jetzt noch hielten die Wehen an und
dauerten des Tag über, die Nacht hindurch und noch den folgenden Tag bis zum Abend hin,
und darauf wurden in zweistfindigen Pausen noch ein vierter, ein fünfler, ein sechster und
sogar noch ein siebenter Sohn geboren: aber sie waren sämmtlich todt« jedoch volbtändig
ausgiebildei^ Die WlVcbnerin, eine sehr kräftige Frau» befand »ich danach vollkommen wohl.
684 ^^V*. Mehrfache SchwaDgerachaft.
In wie weit diese Zeitungsnotiz, welche die Redaktion einem Original-Tele-
gramm ihres Berichterstatters verdankt, in allen Punkten der Wahrheit entspricht,
vermag ich natürlich nicht zu entscheiden. Dass es sich um keine Unmöglichkeit
handelt, das beweisen die Siebenlinge von Hameln.
*" Anders ist das nun allerdings in einem Falle, welchen zuerst Francesco
Pico ddla Mirandola beschrieben hat und von dem dann Ambrtnse Pore be-
richtet. Es handelt sich um die Italienerin Dorothea^ welche in nur zwei
Niederkünften zwanzig Sohne zur Welt gebracht haben soll. Das erste Mal
kam sie mit nennen nieder, und das zweite .Mal soll sie dann gleichzeitig elf
Kinder geboren haben. Nach der Beschreibung war sie dermaassen dick in ihrer
Schwangerschaft, dass ihr der Bauch bis auf die Eniee herabhing, und um den-
selben tragen zu können, musste sie ihn mit einer Binde umsdilingen, die sie
dann über ihre Schultern und über ihr Qenick gelegt hatte. Die Abbildung,
welche Paraeus giebt, wird dem Leser in Fig. 276 vorgeführt.
Bei einigen der alten Rabbiner begegnen wir noch absonderlicheren An-
schauungen. Es heisst im Midrasch Schemot Rabba bei der Erläuterung der
Bibelstelle U. Mosis I, 7:
.Obgleich Joseph nnd seine Brüder todt waren, so war doch ihr Gott nicht todt,
sondern die Kinder Israels waren fruchtbar und wimmelten.* Oder: Jede gebar secha aaf
einmal (eig. in einem Leibe), wie es heisst: ,ünd die Kinder Israels waren frachtbar und
wimmelten.' Manche sagen, es wären gleich zwölf auf einmal zur Welt gekommen, weil ei
heisst: «sie waren fruchtbar ( )*, das sind zwei, «sie wimmelten ( )', das find zwei,
.sie wurden zahlreich ( )', das sind zwei, .sie wurden stark ( )*, das sind zwei, «gar
sehr ( )', das sind zwei, .und erfüllten das Land ( )', das sind zwei, siehe das sind
zusammen zwölf, .und sie wurden stark." Manche sagen, jede Frau gebar sechzig auf
einmal. Wundere dich nicht darüber, denn der Scorpion, welcher zu den Kriechenden gehört,
bringt 70 zur Welt.** (Wünsche^.)
Man sieht, was die gläubige Theologie fQr naturwissenschaftliche Lehrsätze
zu zeitigen vermag.
171. Das Schändende und Gefährliche der Zwillingsgebnrten.
Wir haben es schon in einem früheren Abschnitte gesehen, dass manche
Völker es nicht fQr möglich halten, dass eine Frau, welche ihrem Manne die
eheliche Treue gehalten hat, von Zwillingen entbunden würde. Eine solche
Zwillingsgeburt ist ihnen immer ein untrügliches Zeichen, dass sich die unglück-
liche Mutter einen Ehebruch hat zu Schulden kommen lassen, und die armen Neu-
geboreneu erwartet dann für gewöhnlich der Tod. Dem letzterwähnten Schick-
sale sind sie aber auch, ohne dass der Mutter ein Ehebruch zugemuthet wurde,
sehr häufig verfallen, und für diese Unsitte, die Zwillinge umzubringen, werden
von den betrefi'enden Stämmen sehr verschiedenartige Gründe angeführt Bei
vielen ist es nur das Unnatürliche, das Ungewöhnliche überhaupt, was sie als
etwas Unheilbringendes ansehen. Diesen Glauben finden wir in vielen Gegenden
des centralen und des südlichen Afrika verbreitet, und der unter den Bawaenda
in Nord-Transvaal wirkende Missionar JBet/^^er meldet im Jahre 1886 als einen
wichtigen Erfolg von der Aussenstation Mpafudi, dass er ein Zwillingspaar ge-
tauft habe, das erste, das nicht getödtet sei:
,So hat das Heiden thum einen neuen Stoss bekommen. Denn wenn man weiss, in wie
grosser Angst die Heiden in dieser Hinsicht befangen sind und wie sie sorgen, dass nicht
durch irgend welche Berührung mit solchen Zwillingskindem oder deren Eltern daatelbe
Unheil sich bei ihnen vollziehen möchte, dann muss man diesen Entschluss u. s. w. be-
wundem .... Wenn nämlich bei einem heidnischen Eltempaar ein solches Unglück eintritt,
so ist es das nächste, dass die Kinder baldigst umgebracht und fortgreschafft werden an einen
nassen Ort: meistens werden sie in Töpfen an den Ufern der Flüsse verscharrt. Dann wird
der Doctor gerufen, der mit allerlei Medizin für gute Bezahlung gegen die Wiederkehr de»-
selben Unglücks wirken soll. Alle Kleidung des Mannes und der Frau nimmt der Do^or ndt^
171t Pas SchlLndeode und GefUhrlicbe der ZwilUngsgeburteD.
635
weil diurm dar Sits «ein kannte fdr Wiederholung deflaelben Ueb^ls. M&n rerlftsti das Hau»
Diolit durch die Thür, sondern doroh eine gewaltaam gemachte ÖeSaxmg auf der hinteren
Gelte des Hause«/
Die Australier tödten die Zwillingskinder, weil die Mittel zu ihrer Er-
nährung nicht hinreichen. In Neu-Britannien lasst man, wie IJaftks berichtet,
Zwillinge gleichen Geschlechts am Leben. Wenn aber gleichzeitig ein Knabe und
ein Mädchen geboren wird, so werden sie getudtet, weil sie aus der gleichen Volke-
grnppe staramen und entgegengesetzten Geschlechts sind, und so wird angenommen,
daaa sie innerhalb der Gebärmutter eine Verbindung und eine Vereinigung ein-
gegangen sind^ welche als eine Verletzung der Ebegesetze angesehen werden muss.
Man kann es bereits ala eine Art von Fortschritt in der Culturentwickelung
bebrachten, wenn von neugeborenen Zwillingen nur das eine Kind sein Leben ver-
lieren muss. Auch hier sind die als Erklärung und Entschuldigung ftir den
Kindermord angeführten Gründe nicht überall die gleichen. Die Indianer Cali-
forniens tödten das eine Kind, weil das Aufziehen von zweien der Mutter zu
viel Last bereiten würde. Die alten Mexikaner fürchteten, dass eins der Zwillings-
kinder einstmals die Eltern umbringen wdrde, und diesem ünheile kamen sie
durch die Tödtung des einen Kindes zuvor. Die Campas* und Anti -Indianer
in Peru tödten nach Grandidier das zuletzt geborene Kind» weil sie nur das
erstgeborene als da^ legitime Kind des Ehegatten, das zweitgeborene aber für
einen Sprössling des Teufeb halten.
Von den alten Peruanern sagt v, Tschudi:
^ Eines der sonderbarsten Faaien war jenes, welches in manchen Provinzen abgehalten
ien musate, wenn ein Weib Zwillinge (Lsuti^u) gebar, was als etwas gunz Ungeheuerlicbea
Schändliches betruchtet wurde. Das Fasteu bestand bei dieser Gelegenheit gelindester
Form in der Enthallang von Salz» spanischem Pfefi'er und vom ßeischlaf in der Dauer bis
za sechs Monaten. In einigen Gegenden wurde e» aber derart verschärft, dass Vater und
Mutter im Hause eingeschlossen oder an einem anderen^ verborgenen Orte jedes sich auf die
eine Beite legte und den Fuss der entgegengesetzten Seite an sich zog; in die Kniebeuge
deeselbcD wurde eine Bohne gelegt und blieb an dieser Stelle, bis sie durch den Schweiss
und die Warme zu keimen begann, was in der Regel nach Hlnf Tagen geschah. Dann erst
durften die Fastenden ihre SteUnng Undem und mussten nun mit dem anderen Fuss ebenso
verfahren, bis wiederum am fünften Tage die zweite Bohne keimte. Nachdem diese Strafe
abgebüsst war, erlegten die Verwandton ein Keh, zogen ihm das Fell ab und machten aus
demsell>en eine Art TraghimmeU und unter dieeem mussten die schuldigen filtern mit eitiem
6trick um den Hall einherschreiten, den Strick aber, nachdem diese Ceremonie vorüber war«
noch viele Tage um den Hals trafen.*
Noch eine andere Sache erzählt t\ Tschudi ebenfalls von den alten Pe-
ruanern:
,ßei den grossen Kreisjagden der Gebirgs -Indianer wird er (derTarukkat cervus
antisiensis) häufig erlegt. Sein Fell spielte auch bei gewi^en Ceremonien der alten Peruaner
eine Rolle. Wenn nämlich nach der Geburt von Zwillingen die Eltern die vorgeschriebenen
strengen Fasten vollzogen hatten, jagten deren Verwandte einen Hirsch, zogen ihm die Haut
abf und machten eine Art Traghimmel, unter dem die Eltern der Zwillinge mit Stricken
oder Schnüren um den Hals einherschreiteti mussten. Diese Stricke mussten sie dann noch
mehrere Tage um den Hals behalten. Es ist daher ein Irrthum von Wiener, wenn er
glaubt, dasa die mit einem Strick um den Hals versehenen menschlichen Ton* oder Holz*
figuren, die man nicht sehr selten findet, Kriegsgefangene dantellten; diese Figuren wurden
vielmehr in die Gräber derjenigen Personen gegeben» die Zwillinge geseugt hatten. Der Strick
war, wie es scheint, ein Symbol der Todesstrafe durch ErwQrgen, denn Zwillinge in die Welt
zu setzen war nach indianischen Begriffen in mehreren Provinzen Perus eine schwer zo
sühnende Schuld."
Derjenige Vater in Nias, welcher ein Zwillingskind getödtet hat, stiftet,
[wie Modigliani erzählt, ein grosses Holzbild der Gottheit Adit Horo,
Zwillingsgebnrten gelten bei den Eingeborenen von Guyana und bei den
Salivas-Indianem in Brasilien als eine grosse Schande; solche Mütter werden
iTon den anderen Weibern verspottet, weil sie wie die Mäose gebären nnd mehrere
636 XXV. Mehrfache Schwangerschaft.
Junge auf einmal zur Welt bringen. Um dieser Unannehmlichkeit za entgehen,
pflegt die Mutter sofort das eine Zwillingskind zu tödten, was onvermerkt ge-
schehen kann, da hier die Weiber ganz allein und einsam im Walde ihre Nieder-
kunft abzumachen pflegen. Auch auf der Insel Bomang im alfurischen Meere
wird die Geburt von Zwillingen als eine Schande angesehen and eins der Kinder,
für gewöhnlich das schwächlichste, sofort nach der Geburt todt gedrückt. Aehn-
liche Anschauungen herrschen auf den Inseln Dama, Nila und Serna. Bei den
Makalaka in Süd- Afrika wird nach Mauch der eine Zwilling in einen Topf
gelegt und als Frass für die Hyänen ausgesetzt. Hier entscheidet das Loos,
welchen von den beiden Geschwistern dieses Schicksal trifft, und zwar wird mit
bestimmten Zauber-Wurfhölzem hierüber entschieden.
«Wenn eine Baiische Frau/ sagt Jacobs, „aus irgend einer Kaste von ZwiUingen
verschiedenen Geschlechts entbunden wird (man nennt dieses kSmbar boenljiiig, Braut-
Zwillinge), dann muss die Mutter unmittelbar nach der Entbindung nach dem Begrftbnin-
platze laufen, wohin ihr die beiden Kinder nachgetragen werden, und daselbst in einem in
der Eile errichteten Hüttchen drei fernere Monate verbleiben, w&hrend derer ihr das Essen
dorthin gebracht wird. Ihr Haus wird in Asche gelegt, so dass auch ihr Mann nnd die
übrigen Familienglieder ihr Unterkommen fortan wo anders suchen müssen; die dösa (Dorf),
worin die Wohnung stand, wird gereinigt; die Tempel der däsa, mit ein Paar Ausnahmen,
namentlich derjenigen, die dem Gedächtniss der Todten geweiht sind, werden 60 Tage lang
geschlossen ; fürchterlich viele Opfer werden dargebracht und die Dessa, sowie die Mutter und
die Kinder mit Weihwasser (toja tirta) besprengt, und dieses alles, um die Blutschande ab-
zuwaschen, die die Zwillinge in utero getrieben haben sollten. Die Frau des Forsten oder
eines Brahmanen ist hiervon allein ausgenommen. Man kann begreifen, dass auch diese
gottesdienstliche Gepflogenheit mehrmals Menschenopfer fordert.'
Die Ehsten glaubten, dass die Geburt von männlichen Zwillingen ein Jahr
der Kriegesnöthe prophezeihe. (Bäder.) Plinitis hält die Niederkunft mit Zwil-
lingen für die Mutter für gefahrlich. Er sagt:
„Bei Zwillingsgeburten geschieht es selten, dass entweder die Mutter oder beide Kinder
am Leben bleiben. Sind aber die Zwillinge verschiedenen Geschlechts, so ist die Bettung
beider, der Mutter und der Kinder, noch seltener."
Bei manchen Völkern sucht man sich ängstlich vor Zwillingsschwangerschaften
zu schützen. So glaubt auf Ambon und den Uliase-Inseln die Schwangere die
Entwickelung zweier Kinder dadurch verhindern zu können, dass sie vermeidet,
auf dem Rücken zu schlafen, oder zusammengewachsene Pinang- oder Pisang-
Früchte zu essen. In ganz ähnlicher Weise muss auch heutigen Tages noch in
manchen Theilen Deutschlands die Schwangere sorgfältig sich hüten, von zu-
sammengewachsenen Früchten oder Rüben etwas zu geniessen, wenn sie vermeiden
will, mit Zwillingen niederzukommen.
Auch die Sächsin in Siebenbürgen bekommt Zwillinge, wenn sie eine
zusammengewachsene Frucht isst, oder wenn sie „über Eck* bei Tische sitzt.
(V. WlislockiK)
172. Die Werthschätznng der Zwillingsgeburteiu
Aber bei anderen und nicht selten den im vorigen Abschnitte genamiten
nahe benachbarten Stämmen treten uns auch mildere Sitten entgegen. So sind
auf den Babar-lnseln Zwillinge zwar nicht erwünscht, aber sie werden doch
mit Sorgfalt aufgezogen, wobei der eine meistens anderen Dorfgenossen überlassen
wird. Auch in Keisar wird gut für die Zwillinge gesorgt. In E et ar betrachtet
man sie als ein Geschenk des grossen Geistes im Firmament. Auch in Leti,
Moa und La kor, auf den Luang- und Sermata-Inseln und auf Serang
gelten sie für ein Geschenk der Gottheit und werden dem entsprechend gat ge-
halten. Auf der letzteren Insel herrscht ebenfalls die Sitte, nur das eine Kind im
Eltemhause zu behalten; das andere wird einem Blutsverwandten zom Aofinehen
übergeben. Ebenso dürfen nach v. Siebold bei den Ainos die Zwillingagaicfaiwirter
172, Die WeitliBchMzuD^ der Zwillliig^BgeborieQ.
637
aicht in dem gleichen Hause erzogen werden, es würde dieses nach ihrer Meinung
unfehlbar den Tod de» einen Kindes zur Folge hiiben.
Wenn bei den Golden in Sibirien Zwillinge geboren werden, so fertigt
der Schamane ans Hok ein besonderes Amulet, Es besteht aus einer rohei
Menschenfignr und einer rohen Thierfignr, welche neben einander gelegt und an
ihrem unteren Ende mit einem Stück Zeug umwickelt werden. (Fig 277.) Zu
diesen Figürchen gehört ausserdem eine kleine doppelte Opferachale, welche in
der Form eines flachen, langen Doppel-Troges ebenfalls in Holz geschnitten ist.
|Herr ümlauff in Hamburg besitzt solche Stücke, und er erlaubte mir freundlichst,
^dieselben zu photographiren. Die Opferschale ist in Fig. 278 dargestellt.
Auf den Aaru-Inseln sind die Zwillingsgebnrten sehr eraehnt, weil die
Eltern dann viel Ferlmutterschalen als Geschenk erhalten. Wenn beiden Kamerun-
Negern eine Frau Zwillinge bekommt, so wird sie vom Manne hochgehalten,
denn die Frauen werden dort nach der Fruchtbarkeit geschätzt. (Rekhenou ^
Tig, 277, Amulat d«r Ooiaeii (SlbirUn) bei Zwmingtg«barteii. (K^ch Phot<»gripkile.)
Bei den Wanjamuesi in Central-Afrika werden die, wie schon erwähnt,
[nicht selten vorkommenden Zwilling« Mpassa genannt. Eckhard berichtet von
f ihnen Folgendes:
«Bei den Wanjamneai kommeD unverh^tniasmO^sig yie\& Zwillingsgebarieo vor, mehr
als bei anderen St&miiaeQ, wie man mir allgemein versicherte. ZwilUnge spielen denn auch
bei ihnen eine gproftae Holle, eie werden dort Mpassa genannt. Bei der Geburt dersdben
müisen die Eltern Abgaben an den Dorfältesten and an den Hänpiling de« Lande» stahlen,
meiat eine Oacke oder Kleinvieh. Alte Weiber ziehen dann im Dorfe und in den umliegenden
Ortschaften umher, Gaben für die Zwillinge sammelnd, Perlen, Tucbfetzen oder Getreide, hier
Innd da erhalten sie sogar ein Quhn. Sie ertcbeincn dabei mit einigen Ein den schachieldec Icein,
auf welche sie ebenso wie auf eine eiserne Hacke in langsamen Takten scUfagen und einen
638
XXV. Mehrfache Schwangerschaft.
greulichen Gesang, dessen Texte immer in der Verherrlichung der semellen Theile des Hannes
und Weibes gipfeln, also denkbar obscönster Natur sind, anstimmen. Man baut sofort iwei
kleine Fetischfaütten vor dem Hause der Wöchnerin fär die Zwillinge, und bei jeder pasaenden
oder unpassenden Gelegenheit opfert man darin fOr dieselben; besonders wenn Jemand krank
ist, oder auf Reisen ziehen will, oder in den Krieg. Wenn ein Zwilling Aber ein Wasser,
ßach, Fluss oder See hinüber will, so mnss er den Mund voll Wasser nehmen und dieeee Aber
die Wasserfläche zerstäuben, sodann sagen: ich bin ein Zwilling, ebenso wenn er s. B. auf
einem See in Sturm gerSth. Unterlässt er dies, so kann ihm sowohl wie den Begleitern leicht
Unheil widerfahren. Stirbt einer oder beide Zwillinge, so werden neben die kleine Fetisch-
hütte an der Geburtshütte zwei Aloe gepflanzt.*
Bei den Ovaherero in Süd-Afrika werden durch die Geburt von Zwillingen
die Eltern heilig.
Den Teton- oder Lakota-Indianern erscheinen Zwillinge als ein Mysterium
von übernatürlicher Herkunft. Sie kommen aus dem Zwillingslande, und da
sie nicht menschliche Wesen sind, so muss man sie mit ganz besonderer Vorsicht
FiK. '^"iS. Uulzerne Opferschale der Golden (Sibirien), bei ZwiUinet gebarten benuUt.
(Nach Photographie.)
und Zartheit behandeln, sonst werden sie beleidigt und kehren in das Zwillings-
land zurück. (Üorsey.)
Sehr complicirte Vorschriften bei Zwillingsgeburt^n haben nach den Be-
richten von Boas die Nootka-Indianer in Vancouver:
,Dio Eltern müuen eine kleine Hütte im Walde fem vom Dorfe errichten. Hierin
haben sie zwei Jahre zu hausen. Der Vater muss seine Reinigung durch Baden in einem
Weiher ein ganzes Jahr hindurch fortsetzen und muss sein Gesicht roth färben. Beim Baden
muss er bestimmte Ges&nge singen, welche nur für diese Gelegenheit im Gebranch und. Beide
Eltern müssen sich fem von den Stammesgenossen halten. Sie dürfen keine ftiBche Nahmi^v
172, Die Werth^chS^tzung der ZwillingegeburteD. ^^^^p g39
.mentticb keine Lachee, essen, oder aacli nur berühren, Höheme Bilder und Masken, Vögel
d Fiacbe darstellend, werden rund um die Hütte aufgeetellt, und andere* Fische darstellend^
,he dem Flusae, an der Stelle, wo die Hütte etand. Der Grund hiervon iet» alle V5gel und
Fische einzuladen, dass sie kommen, um die Zwillinge lu «eben und freundlich zu ihnen zu
sein. Sie eind dauernd in Gefahr, die Geister zu TerscbeucheD» und die Masken und Bilder,
oder vielmehr die durch dieselben dargestellten Thiere, eollen diese Gefahr abwenden,*
,Die Zwillinge werden aU in mancherlei Beziehungen zu den Lachsen stehend angesehen,
jedoch werden sie nicht als identisch mit ihnen betrachtet, wie bei den KwakiutL Der
Gesang, welchen der Vater anstimmt bei seinen Reinigungen, ist eine Einladung an die Lachse,
dass sie kommen mögen, und ist zu ihrem Preise gesungen- Wenn die Lachse den Gesang
vernehmen, und die Bilder und Masken erblicken, dann kommen sie in grossen Mengen, um
die Zwillinge zu sehen. Daher wird die Geburt von Zwillingen als ein Voneeichen fUr ein
gutes Lachsjahr angesehen. Wenn die Lachse ee aber imterlaseen, in grosser Zahl herbeiiu-
kommen, so wird das aL* ein Zeichen betrachtet, daes die Kinder getödtet werden sollen.
Zwillingen ist es verboten, Lachse zu fangen, auch dürfen sie frische Lachse weder essen noch
berühren. Sie dürfen nicht segeln, weil die Eobben sie angreifen würden. Sie besitzen die
Machte gute« und schlechtesi Wetter zu machen. Sie machen Regen dadurch, dass sie ihre
Gesichter mit schwarzer Farbe beschmieren und sie dann waschen, oder dass sie nur ihre
Köpfe schütteln. -
Bei den Lku'ügen oder Sonkish- Indianern besitzen „Zwillinge unmittelbar nach
ihrer Geburt üborniitQrliehe Kräfte. Sie werden zugleich in den Wald gebracht und in einem
Weiher gewaachon^ um ordentliche Männer zu werden. Sind die Zwillinge Mädchen, so ist
das ein Zeichen, dass ein reichlicher Zuzug von Fischen stattfinden wird. Wenn es Knaben
lind, so werden sie gute Krieger werden.* (Boas,)
Bei einem benachbarten Stamme müssen i^die Eltern von Zwillingen für 16 Tage nach
^^er Geburt der Kinder in einem Winkel des Hauses leben, ihre Gesichter roth bemalen und
^H^lglich ihr Haar mit Adlerdaunen bestreuen. Zwillinge, besonders solche gleichen Ge-
^Hpblechts, sind vor ihrer Geburt Lachse gewesen. Bei den Nak'o'mgjilisila tanzt der
^^■ater während vier Tagen nach der Geburt der Kinder mit einer grossen viereckigen KasseL
^Bl^enn die Kinder diese Rassel schwingen, können sie Krankheiten heilen und Wind und Wetter
^fviacbeii.« (Boas,)
.Wenn bei den Shushwap in Britisch Columbien Zwillinge geboren werden,
mnss die Mutter eine Schlafhütte in den Bergen oder am Rande einer Bucht errichten
und hier mit ihren Kindern leben^ bis sie zu laufen beginnen. Sie kann von ihrer Familie
oder von jedem, der sie zu sehen wünscht, besucht werden, aber sie darf nicht in daa Dorf
gehen, weil sonst ihre anderen Kinder sterben.'
.Zwillinge werden »junge Grizzly-Bären* genannt. Man glaubt, da«« ihnen für ihr
ganzes Leben übernatürliche Kräfte innewohnen- Sie können gutes und schlechtes Wetter
machen. Um Regen zu machen, füllen sie einen kloinen Korb voll Wasser und spritzen es in
die Luft. Um gutes Wetter zu machen, benutzen sie einen kleinen Stock, an dessen Ende
eine Schnur gebunden ist. Hieran wird ein Haches Stück Holz gebunden und dieses ge-
schwangen. Sturm wird dadurch bereitet, das« die Sprossen von Zweigen herabgestreut
werden. Solange sie Kinder sind, kann die Mutter an ihrem Spiel sehen, ob ihr Ehegatte,
wenn er zur Jagd gegangen iat, Erfolg gehabt hat oder nicht. Wenn die Zwillinge umher-
spielen und sie spielen, dass sie einander beissen, so ist er von Erfolg gekrönt, aber wenn sie
sich rahig halten, so wird er mit leeren Händen zurückkehren. Wenn ein Kind von dem
Zwillingspaare stirbt, so muss das andere sich in dem Scb witzhause reinigen, ,um das Blut
des Gestorbenen aus seinem Körper zu bringen* (BoasJ
Nach einem in Oldenburg herrschenden Glauben besitzt eine Frau^ welche
K*t Zwilligen niedergekommen ist, die Kraft, ein Segensband zu knüpfen.
In Bosnien wird eine Frau» die mit Zwillingen niederkommt, mebr geschätzt
d als ganz besonders gesegnet angesehen. (Mra^ovie,)
Bei den Magyaren darf eine Frau, welche ZwilltDge geboren hatte, die
sonst nur während der Wochen bettszeit erlaubten Pau totfei der Geburtsgöttin
Baldogasssonij für ihr ganzes Leben tragen. (i\ Wlishvki^j
Bei den Zigeunern wird mit dem präparirten Körper todtgeborener
ZwilUnge allerlei Zauber getrieben. Die Gegchlechtslust wird dadurch gefordert
und die Diebe werden unsichtbar gemacht. (i\ Wlislocki^,)
r- I -M*-fr-'ii r^-fiP^'
£^j
ämk
XXVI. Das physische Verhalten wahrend der
Schwangerschaft.
173. Die Erkenntniss der Schwangerschaft.
Wir stehen jetzt vor einem der allerwichtigsten Abschnitte in dem Leben
des Weibes. Die von ihrem Eierstocke gelieferte Keimzelle ist befrachtet worden
und in ihrer Gebärmutter beginnt das Wachsthum und die Ausbildung eines neuen
Individuums. Ein neues Leben ist geweckt: aber auch die Frau tritt durch diesen
für sie neuen Zustand gleichsam in ein neues Leben ein. Vieles hat sie zu thun,
und vieles zu meiden, bis es ihr nach erfolgter Entbindung und nach glücklich
überstandenem Wochenbett endlich gestattet ist, zu der gewohnten Lebensweise
ihrer Stammesgenossen zurückzukehren.
Wir werden erfahren, wie man zu den verschiedenen Zeiten und bei ver-
schiedenen Völkern bestrebt gewesen ist, untrügliche Zeichen für den Eintritt der
Schwangerschaft ausfindig zu machen, wie derselbe feierlich begrüsst wird und
durch bestimmte ceremonielle Handlungen seine Weihe erhält; wir werden sehen,
wie die Schwangere sich einer bestimmten Diät zu unterziehen, besondere manuelle
Behandlungsmethoden zu erdulden, sich in bestimmt vorgeschriebener Weise zu
verhalten hat, und auch die bei den Völkern herrschenden Ansichten über die
Schwangerschaftsdauer, sowie über die Kindeslage und schliesslich die Ursachen
des mehr oder weniger häufig vorkommenden natürlichen Abortus werden wir
kennen lernen. Das alles bietet ohne Zweifel wichtige Erscheinungen im coltureUen
Leben der verschiedenen Nationen dar.
Fast bei allen Völkern der Erde musste es aufgefallen sein, dass der Ge-
burt eines Kindes ein monatelanges Ausbleiben der regelmässigen Menstruations-
Ausscheidung vorhergegangen sein muss. Und daher ist das Ausbleiben der
Menstruation wohl überall als das erste und sicherste objective Merkmal der
Schwangerschaft betrachtet worden. (Upp.) Das Anschwellen des Leibes and
das Stärkerwerden der BrQste steht dann erst in zweiter Linie. Aber schon
Aristoteles (VII, 2) beobachtete, dass in seltenen Fällen auch die Menses wahrend
der Schwangerschaft flössen, und er war der Ansicht, dass hierbei die Fracht
schlecht gebildet werde.
Das Zurückbleiben des Samens beim Coitus wird als Zeichen der Empf&ngniSB
bei den alten Indern, den Griechen, den Römern imd den Deutschen a. s.w.
betrachtet. Stisruta (in den Ayurveda) führt als Zeichen, dass eine Frau con-
cipirt hat, Folgendes an:
«Müdigkeit, Erschöpfmig, Durst, Einfallen der Lenden, Zorfickbleiben des Samens imd
Blutes, und zitternde Bewegung der Vulva. Dahin gehOren auch die Bchwane Fftrbmig dar
Brustwarzen, das Zubergestehen der Haare und das Strotzen der Adern, das Sinken der AngM*
173. Die Erkenni&isa der Schwangerschaft.
641
lider, du ErbrecheDi die Furcht vor der Begattung, daa Fliess^n aus Mund und Na«« und tue
Ohnniach t . * ( V^tührnj
Das Ausbleiben der Menstruation wurde dadurch erklärt, dass der Mutter-
[inund nach erfolgter Empfangniss verschlossen sei.
Nach VuUers betrachten die alten Inder auch einen Ausflass aus Mund
und Nase als ein Scfawangerschaftssymptom. Dahingegen ist in He^sler's latei-
nischer Uebersetzung des Susrtäa überhaupt nur von einem Abträufeln oder
Abfliessen von Schleim die Rede^ ohne dass die Nase oder der Mund erwähnt wird,
so dass es danach ungewiss bleibt, aus welchem Organe dasselbe stattfindet, und dass
man auch an einen Ausfluss aus der Scheide denken konnte. Es ist jedoch sehr
wahrscheinlich, dass Vullers den Sinn der Stelle richtig verstanden hat.
Wie die alten Aeg ypter die Diagnose auf das Vorhandensein einer Schwanger-
schaft stellten, das erfahren wir aus einem Pap}Tus des königlichen Museums in
Berlin, der wahrscheinlich unter der 19. oder 20, D^Tiastie entstand und dem
XIV. Jahrhundert vor Christi Geburt zugeschrieben werden muss. Nächst dem
Papyrus Ebers ist er somit das älteste medicinische Werk, das wir besitzen. In
dem Papyrus findet sich die Anleitung zur Heilung verschiedener Krankheiten,
und die zahlreichen Receptformeln, welche die Schrift euthiilt, sowie das schon
ausgebildete System in der Methode, solche Recepte zu verschreiben, lassen uns
vermuthen, dass schon lauge zuvor die Heilkuust mit einem gewissen Grade von
rSorgfalt cultivirt worden war. Brugsch übersetzte eine Stelle, die die Schwanger-
{BchaftS'Diagnose behandelt, folgendermaassen:
,Man gebe der Frau das Kraut ßoudodou-k;^ mit Milch von einem Weibe, welche ein
^möjinliche« Kind geboren hat; wenn sich dann die Frau erbricht, so wird «ie gebären; wenn
sie aber Rorborygmen bekommt, au wird de nieruaU gebären. Dann wird dasselbe ßecept
noch einmal empfohlen mit dem einzigen Unterschiede, dass man davon eine Injection in die
K& (V) der Frau macht, Daitn folgt ein andere« Mittel zu gleichem Zwecke der Schwanger-
I BchafU- Diagnose nach Chahas' Uebersetzung: Wenn die Frau einen salzigen, trüben oder sedi-
[luetiti^Hen Urin hat» so wird sie gebären; findet man dies nicht« ao gebiert sie nicht. £ine
ere Frobe ist folgende: Die Frau muss sich hinlegen, und man reibt dann ihren Arm bis
Vorderarm kräftig mit frischeoi Oele ein; wenn man sie dann am anderen Morgen UDter-
[ sucht und ihre GefiUse sehr trocken findet, so beweist dtes, däss sie nicht gebären wird;
I findet man dieselben aber feucht, ebenso wie auch die Haut ihrer Glieder, so darf man ver-
muthen, dasji sie gebären wird*" Ein ferner beschriebene« Beweismittel wird von Brugsdi
als sehr obscön bezeichnet. Auch lehrt der Verfasser der Papyrus-Schrift, die Schwangerschaft
I aus der Beschaffenheit der Augen zu erkennen: ^ Wenn das eine ihrer Augen die (braune
Haut-) Farbe eines Amou (Asiaten) hat, das andere Auge aber die Farbe eines Negers,
so hti sie nicht schwanger; wenn aber beide Augen die gleiche Farbe haben, so ist sie
schwanger.* Zum Scbluss kommt ein noch sonderbareres BeweismitteL Weizen und Gerste
möge die Frau in zwei Säcken den Tag über in ihrem Urine einweichen« wenn sie keimen,
so ist sie schwanger, keimen sie aber nicht, so ist sie auch nicht schwanger. Ist es nur der
Weizen, welcher aufkeimt, ao wird sie einen Knaben gebären ; keimt hingegen die Gerste, no
r wird es ein Mädchen.
Aehnliches vermögen wir auch beiden griechischen Aerzten nachzuweisen.
So heissi es in dem pseudohippokratisehen Buche «de natura mulierum':
^Um es zu orfahrent ob die Frau empfangen wird, schabe (kocbe) einen KnobUuchskopf
I ftb und lege ihn (oder Netopon in Wolle gewickelt) in die Gebärmutter ein, am folgenden
bringe die Frau ihren Finger zur Untermchung ein« und gebe darauf Acht, ob sie aus
Munde riecht, denn dann steht es gut, wenn nicht, so lege man den Knoblauchskopf
Frieder ein**
«Wenn du ermitteln willst, ob eine Frau schwanger ist oder nicht, so bestreiche ihr
die Augen mit rothem Stein (Bolus?), dringt nun dos Mittel ein, so ist die Fran schwanger,
wenn nicht, so ist sie nicht schwanger."
Im Talmud werden für eine eingetretene Schwangerschaft die folgenden
Zeichen angegeben: Der Unterleib ist hoch aufgetrieben, namentlich wenn nach
dem CoituB bereits drei Monate Yergangen sind; die Brüste schwellen an. Und
wenn aus letzteren nun gar Milch ausfliegst, oder wenn die Füsse der Frau in
FVosa-Bittcli. Dm Weib, Ö, Aufl. L ^1
äm^M
642 XXVI. Das ^ihygische Verhalten während der Schwangerschaft.
lockerer Erde gewisse Spurzeichen zurücklassen, so ist an der Schwangersdiaft
nicht mehr zu zweifeln.
Aus der Fussspur diagnosticirt in einer buddhistischen ErzShlong, die
uns Schief ner zugänglich gemacht hat, ein Brahmanenarzt die GraTiditSt nicht
allein eines Weibes, sondern sogar einer Elephantin. Die Fassspur musste einem
Elephantenweibchen angehören, da sie länglich war, während die Spur der Mann-
chen eine runde ist, und trächtig musste das Thier gewesen sein, «weil sie beide
Füsse drückend gegangen war^. Mit einem Männchen aber musste sie trachtig
sein, »weil sie mit dem rechten Fusse mehr gedrückt hatte". Die Schwangerschaft
der Frau, die von dem Thiere gestiegen war, erkannte der Arzt, «weil der Absatz
des Fusses rechts tief eingedrückt hatte**.
Die Aerzte bei den Chinesen prüfen den Puls, wenn sie ermitteln wollen,
ob eine Frau schwanger ist. (du Halde,) Sie halten eine Frau für schwanger,
wenn sie bei allgemeiner Gesundheit und bei dem Ausbleiben der Menstruation
einen regelmässigen und stark anschlagenden Puls hat, namentlich an den SteUen
der Pulsader, welche tsuen, tsche und kuan genannt werden. (Hureau,)
Ddbry flihrt noch an, dass die Chinesen eine Schwangerschaft diagnosticiren,
wenn die Menstruation ausblieb und die Frau sich dabei im Allgemeinen wohl befindet,
während ihr Puls regelmässig, aber tief oder oberfifichlich ist. Um so sicherer liegt eine
SchwangerRchaft vor, wenn der Tsche-Puls hoch und heftiger als gewöhnlich ist, oder wenn
man bei einer zarten Frau beim festen Aufsetzen des Fingers auf den Puls im Ellenbog^-
gelenk Pulsschläge ohne Unterbrechung fühlt. Schwanger ist die Frau auch dann, wenn der
Tsuen-Puls klein, der Kuan- (Ellenbogen-) Puls gleitend, der Tsche-Puls beschleunigt ist. Im
ersten Monat ist der Puls bald langsam, bald beschleunigt; im zweiten und dritten Monat
gleitend und schwach oder massig langsam, oder bald langsam, bald beschleunigt; im vierten
Monat mllssig langsam, gleitend oder langsam und abwechselnd beschleunigt; im fünften
Monat kräftig anschlagend«
Die japanischen Aerzte gingen bereits rationeller vor. Sie verliessen sich
nicht nur auf den Puls, sondern sie befühlten die Brüste und sie betrachteten
den Unterleib. Bis vor einigen Jahrzehnten kannten sie aber die innerliche Unter-
suchung mit dem per vaginam eingeführten Finger nicht. Jetzt aber, da sie, wie
der japanische Arzt Mimazunza sagte, von „dieser hübschen Methode*" gehört
und ihren hohen Werth anerkannt haben, wird sie von vielen Aerzten geübt.
Einen Monat nach der Befruchtung zeigen sich nach der Ansicht des Ja-
paners Kangawa die ersten Symptome der Schwangerschaft. Wegen Behin-
derung der Regel treten leichte Kopfschmerzen, Unbehaglichkeit in der Magen-
gegend und Verdriesslichkeit ein. Bis zum 45. Tage steigern sich die Symptome,
es tritt Erbrechen hinzu, weil das Blut gegen den Magen stösst, dazu gesellen sich
Blutandrang zum Kopf, Frost, Fieber, Durst, zuweilen Leibschmerz und Durchfall:
nach dem 45. bis 50. Tage zeigt sich Mattigkeit, die Schwangere liegt lieber,
als dass sie sich aufsetzt; sie isst gern säuerliches Obst. (Miyake,) Kangawa sagt:
„Da nun alle oben genannten Symptome denen des Fiebers sehr ähnlich sind, so muss
man zur genauen Dia<;nose die Untersuchung der drei Orte vornehmen: 1. die Arterien
der vier Fingerspitzen; behufs dieser l'nterriuchung legt der Arzt seine Fingerspitzen gegen
diejenigen der Frau ; 2. die Arteria cruralis ; 3. die Artcria radialis. Ist Schwangerschaft vor-
handen, so schlagen die Arterien No. 1 und 2 stSjrker, als No. 3.* In einem sp&teren Buche
wird angefahrt , dass die Untersuchung der drei Arterien nicht immer genügend sei , da
während der heissen Jahreszeit auch ohne die Schwangerschaft die Fingerarterien stärker
schlagen als die radialis. Genügt diese Methode zur Feststellung der Diagnose im 2. und 3.
Monat nicht, so legt der Arzt seine rechte Hand auf Kiubi d. i. die Herzgrube, und palpirt
allm&hlich bi^ Tonsuh d. i. der Punkt ^o Zoll unter dem Nabel; mit der linken Hand geht
or von der Schambeingegend leicht drückend in der Mittellinie aufwärts bis nach den Tensuh
der anderen Seite. Er fühlt dann bei Schwangerschaft einen kugelf(>rmigen glatten Gegen-
stand von der Grösse einer Kastanie. Die Palpation muss mit leisem Druck geschehen. Ist
der Gcgcnntand, den man hier fühlt, hart, eckig, lang, so ist er als Kothmasse zn betrachten.
Sind dagegen mehrere Gegenstande zu fühlen, so ist es ein Blutklompen.
174. Uebernatürliche Schwangenchaftszeichen und der Sprachgebrauch. 643
Als weiteres Symptom der Schwangerschaft wird der dunkle Hof um die Brustwarze
angefahrt (der allerdings bei Japanerinnen ganz dunkelbraun, fast schwarz wird), doch
wird gleichzeitig ein Fall erwähnt, wo ohne vorhandene Schwangerschaft der Hof sich braun
zeigte und sogar etwas Flüssigkeit aus den Brustwarzen auszudrücken war.
Kommt die Frau im angeblich 4. oder 5. Monat der Schwangerschaft zum Arzt, so soll
dieser sie fragen, ob sie früher ihre Menses regelmässig und reichlich hatte; im Bejahungs-
falle liegt Schwangerschaft vor, im Vemeinungsfalle dagegen, namentlich wenn der Leib ver*
hältnissmässig klein ist, hat man es mit einem Blutklumpen zu thun. Im 6. oder 7. Monat
fühlt man in der Gegend des Nabels und etwas darunter einen weichen kugelförmigen Gegen-
stand, in welchem eine Pulsation mit der Hand wahrnehmbar ist. Fohlt dieses letztere
Symptom, so giebt das stärkere Pulsiren der Cruralarterie und eine Adhärenz und erschwerte
Verschiobbarkeit der Haut zwischen Nabel und Schambein Anhaltspunkte für die Diagnose
der Schwangerschaft.
Als eine besonders weise Fürsorge der Natur führt Kangaxca an, dass das weibliche
Kreuz breit und ausgebuchtet ist, das männliche dagegen gerade und schmal. Dieses Kreuz
ist die ideale Figur, welche auf dem Rücken durch die Verbindung der Hervorragungen und
Vertiefungen gebildet wird, die an den untersten Dornfortsätzen der Wirbel und an den
Hüftbeinkämmen sich zeigen.
Im Orient kennen die Hebammen auch heute noch nicht die innere Unter-
suchung. Er am berichtet:
,La conception d'une jeune femme est le plus souvent constat^e par les sages-femmes
en Orient. Du moment que la famille aper^oit une grosseur dans le ventre de la jeune
marieo eile fait appeler imm^diatement la sage- femme, qui juge la nature de la grosseur et
pose son diagnostic*
Natürlicher Weise bleiben hierbei diagnostische Irrthümer nicht aus, wie
auch Eram einen solchen berichtet.
Bei den Negern in Old-Calabar gilt als Schwangerschaftszeichen das
Ausbleiben der Menses, ein bleiches, aschfarbenes Aussehen des Gesichts und des
oberen Theiles der Brust mit zerstreuten gelblichen Flecken, und das Dunkler-
werden des Warzenhofes. Diese letztere Verfärbung gilt den Negern für ein
so untrügliches Zeichen, dass sich die Männer gegen den Versuch sträubten, eine
Kleidung einzuführen, welches dieses Zeichen verdeckt. (Hewan.)
Die Schwangerschaft ist bei den Fiji-Frauen nach Blyth nicht von den
bei Europäerinnen gewöhnlichen Erscheinungen begleitet. Die Menstruation
dauert bisweilen während der ganzen Gravidität an. Uebelbefinden am Morgen
kommt nicht vor, dagegen Anfälle von Erbrechen am Mittag. Während der
Schwangerschaft werden die Frauen häufig von Schwindel befallen, so dass sie
zu Boden stürzen. Dieser Schwindel und das plötzliche Hinfallen ist so allgemein,
dass es als ein charakteristisches Zeichen für das Bestehen einer Schwangerschaft
betrachtet wird, und wenn eine Frau plötzlich hinfallt, so sagt man, sie ist
schwanger. Andere Beschwerden haben die schwangeren Fiji-Frauen nicht.
Kindsbewegungen sollen nach Aussage der Fiji- Hebammen zwei Monate nach
dem Ausbleiben der Menses auftreten, da sie aber sehr unvollkommene Begriffe
vom Zeitmaasse haben, so ist hierauf um so weniger zu geben, als diese Angabe
sehr viel Unwahrscheinlichkeit enthält.
Unter dem niederen Volke Russlands gilt als Zeichen der Schwangerschaft
das plötzliche Erscheinen von Sommersprossen auf der Stirn oder auf den Wangen.
(Krebel)
174. üebernatürHche Schwangerschaftszeichen und der Sprachgebranch.
Waren die in dem vorigen Abschnitte angegebenen Erkennungszeichen der
Schwangerschaft sämmtlich in mehr oder weniger berechtigter Weise aus einer
Veränderung in dem physischen Verhalten der betreffenden Frauen hergeleitet, so
begegnen wir doch auch ab und zu dem Versuche, durch übernatürliche Mittel
zu erforschen, ob sich die Frau in geflegnetmi ümatSnden befindet. Aehnliches
41»
rj44 XXVI. Das phydlsche Verhalten w&hrend der SchwangeiMihaft.
haben wir schon kennen gelernt, als ich von den Maassnahmen sprach, welche
gebrauchlich sind, um festzustellen, welches Geschlecht der junge Erdenbürger
haben wird, der noch unter dem Herzen der Mutter ruht.
Wenn bei den Wander-Zigeunern der Donaa-LSnder ein Mädchen
im Frühjahr den ersten Storch erblickt und derselbe klappert, so wird sie Matter
werden, ohne geheirathet zu haben. Wenn ein Weib von einem Rinde geeckt
wird, so steht demselben eine Schwangerschaft bevor. Das Gleiche findet statt,
wenn ihr eine Cicade anspringt (r. Wlislocii\) Bei den Abyssiniern zeigt
eine Xachteule an, welche das Haus umflattert, dass bald eine Frau in demselben
niederkommen werde. {Hartmann) Bei den Wenden in der Lausitz herrscht
ein ganz ähnlicher Aberglaube. Welches Weib in dem Hanse durch dieses Orakel
gemeint ist, das wird wohl meistens f&r die Insassen des Hauses
ohne grosse Mühe zu enraihen sein.
Wenn die Zigeunerin in Siebenbürgen das früher er-
wähnte Experiment anstellt, aus welchem sie ersehen will, ob
sie einen Knaben oder ein Madchen tragt, dann kann sie
auch erfahren, ob sie in den Morgenstunden gebaren wird.
Letzteres findet statt, wenn sie am Abend Gänse oder Enten
Fi«. -/Ty. Apparat der Siegen sieht.
Zigeuner zur Bestim- Die W a n d c r - Zi g eu u e r i unou der Donauländer
laung .ler^^sr^wanger- bedienen sich eines besonderen Apparates, um zu er£EÜiren,
'Au» xcnir/is/ücki*.) ob sie schwanger sind. Es ist ein herzförmiges Täfelchen ans
Lindenholz (Fig. 279), auf dessen einer Seite verschiedene
Figuren eingebrannt sind. Dieselben stellen neun Sterne dar und den Vollmond,
sowie auch den zunehmenden Mond, welche alle von einer Schlange umzingelt
werden. Im oberen Theile befindet sich ein Loch (bei A), in das eine Haselnuss
eingezwängt wird, welche künstlich mit Haaren aus einem Eselsschwanz über-
spönnen ist. Wenn dann nach einiger Zeit diese Haselnuss aus dem Loche fallt,
so glaubt die junge Frau, dass nun eine Schwangerschaft eingetreten sei.
(v. Wlislocki\)
Ein höchst wunderliches Schwangerschaftszeichen haben die Serben:
Bekommt dort irgend Jemand ein Gerstenkorn, so bedeutet das, dass seine Tante
schwanger sei.
Kranss^ berichtet Folgendes:
„Kann bei den Süd-Slaven das Weib sich auf keine andere Weise die Gewistheit
verschaffen, dass sie in gesegneten Umständen sich befinde, so soll sie an drei auf einander
folgenden Abenden hinter der Thttr eine Axt nass machen und sie daselbst Aber Nacht
liegen lassen. Ist die Axt alle drei Mal am Morgen verrostet, so ist das Weib gewiss
auch schwanger."
Zur Erkennung der Schwangerschaft thut man in der Bheinpfalz eine
geistige Flüssigkeit, Apfel-, Bim- oder anderen Wein, in eine „Bell* (einen grossen,
runden, langstieligen Metalllöffel) und lässt sie über Nacht stehen; bricht nach dem
Geiiuss die Frau, dann ist es richtig. Wenn im Frankenwalde ein zeugnngs-
fiihiges Weib krank ist, so sagt die Nachbarschaft vermuthungsweise: «sie hebt
wohl an." {Flügel.)
Der Volksnmnd hat überhaupt sehr verschiedenartige Ausdrücke erfunden,
um zu bezeichnen, dass eine Frau „ein Kind unter dem Herzen trage*. Durch
ganz Deutschland sagt man ausserdem: „sie ist schwanger, sie ist in anderen,
in interessanten oder in gesegneten Umständen.*' In Oesterreich spricht man
davon, dass sie .punkert* sei. So heisst es in einem „Gsangl*:
Das Mädel ist punkert,
Das Madel ist dick;
Wer mag der Vater »ein,
Wer hat das Glück?
175. Die Schwangere in der bildenden Kunst,
645
Bei den Sachsen in Siebenbürgen herrschen aber auch noch verächiedene
Bezeichnungen^ welche diesen Zustand bildlich ausdrücken: «Sie ist wie die
Leute*; ^sie ist bleiben gehen*; »sie ist in Erwartung'; ^auf schwerem Fuss*:
,sie soll nach Rom reisen*; »sie ist des Herrn Magd*; ^sie ist so geschickt*;
,sie ist nicht allein* . In einzelnen Ortschaften des siebenburgischen
Sachsenlandes sind humoriatische derbe Redensarten gebräuchlich: »Sie hat den
Kalender verloren* (Eibesdorf); «sie hat eine neue Schürze erhalten* (Qer-
geschdorfi; ^sie hat sich gestossen, ist widergelaufen, daher ist sie geschwollen"
(Deutsch- Kreuz); ^sie bekommt einen Rain am Bauch* (daselbst); ^^sie hat eine
Bohne verschluckt und darauf Wasser getrunken, nun quillt dieselbe* (daselbst);
gjSie hat das Neunmonatswasser* (daselbst). (HiUner)
Wie Professor Gruhe mir mittheilte, bezeichnen die Chinesen eine
Schwangere als vi eräugig. Aber nicht nur sie allein, sondern auch ihr Mann
wird vier äugig genannt. Die Schwangerschaft wird auch die Betttrennung
genannt; ich komme darauf später noch zurück.
Die Zigeuner sagen von einem Weibe, das ohne verheirathet au sein,
schwanger wird: „Sie hat an der Blume des Mondes gerochen.* Es spielt dieses
auf einen Volksglauben an, nach welchen auf den sogenannten Mondbergen,
d. h» auf den dem Monde geheiligten Bergen, in einer Nacht eine weitliin leuch-
tende Pflanze wächst, von deren Geruch die Weiber ohne geschlechtlichen Umgang
schwanger werden können, (r. WUslockiK)
175* Die Schwangere In der bildenden Knust*
Der Anblick einer schwangeren Frau , besonders wenn sie sich bereits in
vorgeschrittenen Monaten der Gravidität befindet, gehört nicht gerade zu den
ästhetischen Genossen, und wir mtissen es daher begreiflich ünden« dass wir in
Werken der bildenden Kunst nur selten einer Schwangeren begegnen. Ganz
haben die Künstler es aber nicht vermieden, auch diesen Zustand des weiblichen
P$g« 28(X Daraunnng einer Ucgendeu St.bwmugiii-eii auf «iu6r RenulklefschftufeL
Geschlechts in den Bereich ihrer Thätigkeit zu ziehen, imd es bietet immerhin
ein cuiturgeschichtliches Interesse dar, diesen Kunstwerken nachzuspüren. Einige
Beispiele wollen wir hier betrachten.
Die unstreitig ältesten Darstellungen von schwangeren Frauen gehören noch
tder jüngeren Steinzeit an und haben sich in verschiedenen Theilen Frankreichs
646
XXYl. Das phyaisehd Verbalien während der Scbwangerftcbaft.
gefunden. In dem einen Falle handelt es steh um eine Oravirutig oder Einnt/nn^
auf der vSchaufel eines Rennthiers, die in Gemeinschaft mit anderen neolif
Gegenstunden in Lauge rie- Basse Mntr|.^rl,f wnrrlpn int i'Fi*r '^J^n '^ D;»-
nur im Bruchstück erhalten.
Die Schwangero Hegt auf dem Kücken mi der Kido; ihr Leib UaL beieiU eiue erUeb^
lieh© AuBdehnuiig angenommen; leider fehlt der Kopf, lieber sie fort schroitet ein bimclj
artige» Thier, von dem man aber nur die Hinterbeine sieht, WabrBcheinlieh soll es ein Henn-l
thier sein, da Hirsche in jener Zeit nicht mit dem Menschen zuBammenlebten.
Ebenfalls der neolithischen Zeit gehört der voll in Elfenbein geschnitzt
kleine Torao einer weiblichen Figur an, welche in der Grotte du Pape
Brassempouj im Departement des Landes mit mehreren anderen Figuren siel
fand. Hier fehlt der Kopf und die UnterschenkeL Nach den
von Pietie gegebenen Photographien scheint ea mir keinen
Zweifel zu unterliegen, dass der neolithidche Künstler ainf
Schwangere darstellen wollte. PieUe glaubt an dieser FigB
ausserdem noch eine Steatopygie und die nnzweifeUiafle An^
deutnng einer Hottentotten- Schürze nachweisen zu können
Auch in den
Kunstwerken eini-
ger wilder Volks*
stamme vermögen
wir die Darstellung
Schwangerer zu
entdecken. So hat
z. B* Paul Ehren-
reich von den Ka-
raya • Indianern
am RioÄragnaya
in Brasilien eine
Anzahl von kleinen
menschlichen , au^
Tbon und Wachs
gefertigten Figllr-
chen mitgebracht,
unter denen sich un-
verkennbar Seh wai i
gere befinden. Si
8ind jetzt im köni-
lieben Museum für
Völkerkunde in
Berlin. Beispiele
davon geben die Fi-
guren 281 und 282,
Eine besondere mystische Bedeuttmg scheinen rl
nicht zu besitzen, Ehrnirtich wurden sie von den
als Likokü bezeichnet; das bedeutet wahrscheinlich weiter nichts als Ki
Eine tiefere Bedeutung messen wir aber bei ein Paar Darsteil
nmthen, die wir aus West- Afrika und ans Sibirien kennen. Die
eine Zeichnung auf einem A mulet-Zettel aus Dahome; os ist hier '
in spaten Monaten in ganzer Figur mit stark überhangendem B
wnnlfTL Das andere Stück ist eine Hulzfigur der Golden, v
iuhrung deutlich eine Schwangere erkennen lä^st. Von beia
diu Abbildungen spateren Abschnitten eingi^fügt werden. Da»
Bedeutung dahintersteckt, kann gar keinem Zweifel unterliegen
Fl«, 281* TbonÖRürcheü
vt\r- -■'■-- -■■ r.fy.
If
■|: . nu
iVi\kavMm ititVulkorkuttd«
in llerUnj
(Nm^Ii Photogrftphi« )
Fig. 2»^ TbottftKutctieM
vou Aetk K b I
iMuseutEi
1 HcLvrjuijs' i*ik G^ifaitijfl
648
XXVI. Das physische Verhalten während der Schwangrerschafk.
gesetzt wird von eckiger, runder oder ovaler Form; oft ist in dieselbe ein Spiegel
eingelassen, meist aber sind Nägel hineingeschlagen, und da sich bei unzweifelhaft
männlichen Figuren wiederholentlich das Gleiche findet, so kann hiermit natürlicher
Weise nicht eine Schwangerschaft gemeint sein sollen.
Auch in den Bilderwerken der Japaner kommen mehrfach Darstellungen
Schwangerer vor. Es handelt sich dabei ftlr gewohnlich um die Anlegung der
Leibbinde, eine Ceremonie, von welcher ich später noch ganz ausfuhrlich zu sprechen
habe. Von den erwähnten Abbildungen werden dann auch einige YorgeftQirt werden.
Eine mehrfach nachgebildete Zeichnung des berühmten japanischen Malers
Hokusai zeigt uns eine völlig entkleidete Schwangere. Wir lernen sie in Fig. 283
kennen. Sie bezeugt uns wiederum die hervorragende Qabe für eine genaue Be-
obachtung der Natur bei den Japanern.
Es ist hier eines der öffentlichen Bäder dargestellt, von denen aof Seite 401 die Rede
war. Ein Kind hat sich auf die Stufen niedergelegt : die Matter trägt einen kleineren Bmder,
Fig. 284. Schwangere deutsche Patrizierin des 16. Jahrhunderts im Gespräch mit der Hebamme.
(Nach J'^coif Rueff.)
ihn hängend unter beiden Armen haltend, zu dem Wasser hinunter. Da sie beide H&nda
voll hat, 80 hält sie den Seiflappen mit dem Munde fest, während das Kindchen ein kleines
Holzgefäss zum Spielen in der Hand trägt. Eine Nonne mit gänzlich kahl g^eschorenem Schädel
kauert auf der Erde und ist bemüht, auch ihren Bartwuchs mit dem Scheermetser su entfernen.
Die für uns besonders interessante Person ist aber die ganz oben knieende
Frau, die sich wäscht. Dass sie sich in gesegneten Umständen befindet, das be-
weist ganz unzweifelhaft die um ihren Mittelkörper gelegte Leibbinde, das charak-
teristische Zeichen der Schwangeren in Japan. Aber auch die Configuration ihres
Körpers lässt uns über ihren Zustand nicht im Dunkeln, obgleich sie uns den
Rücken zudreht und von ihrem Leibe fast gar nichts zu sehen ist. Es ist ja be-
kannt, dass in der Schwangerschaft nicht allein der Bauch an Wölbung und Aus-
dehnung zunimmt, sondern dass auch die ganze Kreuzbeingegend und das Gesfiss
sich in ganz beträchtlichem Maasse verbreitern. Daher kommt es, dass man Tieleo
jungen Frauen die Schwangerschaft von hinten anzusehen vermaff. Und dM hat
nun Hokusai in vortrefflicher Weise zur Anschauung gebracht. &
175. Die Scbwangere in der bildenden Kunst.
049
Se er iwit wenigen Strichen diese beträchtliche Verbreiterung der Kreiubeinregion
äes Beckens in chÄrakteristischer Weise kenntlich gemacht hat.
Einige weitere Abbildungen Schwangerer, wie wir sie in japanischen
Werken finden, haben den ausgeprochenen Zweck, in bestimmter Weise belehrend
zu wirken. Wir sehen später einige Beispiele hierfür, deshalb gehe ich jetzt nicht
weiter darauf ein.
Eine Belehrung wird ebenfalls auch von einer Miniature des 15, Jahr-
hunderts bezweckt, die sich in einer belgischen Ga/f/i/^s-Handschrift in Dresden
befindet* Wir werden die Copie derselben in einem späteren Abschnitte sehen.
X .#..
-*iym
^^1
Ä.
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Fig. 38^. B^Uüli a«f
'tUfi^ bei der LiU^^tM. j^iederlÄudisdiea Oeroilde des W. JihthwmlertAj
«Eine v&llig entkleidete Schwangere steht hier vor einem sitf.enden Docenien« der sweieii
danebeoflteheßden Studenten über dieselbe eine Vorlesung hält.*
Hier schliessen sich auch die Abbildungen anatomischer und gynäkologischer
Lehrbücher des 16. bis 18. Jahrhunderts an, von denen wir manche kennen lernen
werden. Meistens erscheint auf diesen Bildern der Leib der Schwangeren eröffnet,
um die Lage der ausgedehnten Gebärmutter oder des Embryo in derselben zu
zeigen. Auch hiervon wird später einiges vorgeführt werden.
ICHnm noch zum Zwecke der Demonstration und Belehrung, sondern mehr
650
XXn. Das phjri^ische Verhalten wiLhrend der Seh«raDg«»ckftfl.
als Genrebild finden wir die Darstellung einer ScbTrangeren in dem Hcbi
buch des Jacob Jineff\ Die Schwangere, die hier völlig bekleidet jäI, erhalt
der vor ihr stehenden Hebamme den nöthigen Trost und Unterweisung, Fig;S
zeigt dieses Bild,
Aber auch die cbristliche Kunst hat sich unseres Gegenstandes bemachti
und von vielen berühmten Malern der verschiedensten Malerschulen sind vins eii|
sprechende Bilder erhalten w ordern Immer handelt es sieh hier uro den Bei»o€
der Maria bei der Elisabeth^ wie er von dem Evangelisten Lucas berichtet
Manche dieser Künstler haben sich mit ihrer schwierigen Aufgabe in der Weii
Fig. 2^. ikABcU fiel' vMrtrM n*^| i]n I -;.,*,,'- ii.. ni.il. t*' ►]« U4>i.%w.' f
Ac«t!amU (iKlla UeUe Arti iu Finrenz.
ibgefunden, dass sie es mit Geschick verstanden, den körfierlichea Zustand die
beiden heiligen Frauen nach Möglichkeit den Blicken zu entzieht^»' ^'^> ^**^i^'
sie in gegenseitiger Umarmung dar, so dass die dem Beschauer
ihm ihren Rücken pnisentirte, und sontit nicljt
auch den der anderen Fruu anf diese WeiKe m
haben geglaubt^ dass die von ihnen vorgeführte Ejusod«* für die iiajTpii üc
der frommen Gemeinde nicht die nüihige Deutlichkeit grAvr.iin*»
die »tarke Rundung der Leiber in völliger Natürlichkeit
Bei der berühmte» „Visitaziono* des Mahotio t/« mm^^
"nri Tua'ii
175. Die Schwangere in der bildenden Kunst.
651
der Uffizieu iu Florenz mildero noch die faltigen Mäntel einigermaiiasen die
ErsclieiDUDg. In dem Gemälde des Sienesen Giacomo Pacchiaröflo in der Aca-
demia delle belle Arfci in Florenz (Fig. 286) ist aber trotz der Kleider und
Mäntel der Zustand keineswegs mehr verborgen. Auch in einem Bild der nieder-
ländischen Schule des 16. Jahrhunderts (Fig. 285), das sich in dem Königlichen
Museum in Berlin befindet, ist die Schwangerschaft unverkennbar, und um die
Deutlichkeit noch weiter zu treiben, lässt der Maler die heiligen Frauen sich
gegenseitig den Leib betasten.
^'Ci(.
?^^
:^^
^5r ^ .
m-r
ic^ a
:l7..:i^^
Fig. *i87 Besncto der MtMria (Mti der £iis«ltth, fHolaactmitt von Ai^rvcAt Dä^igt-.)
In seinem Leben der Maria hat auch Albreeht l>ürer begreiflicher Weise
Eese Erzählung zur Darstellung gebracht, und er hat sich in Beziehung auf den
kön^'^rlithen Zustand der beiden heiligen Frauen der allergrössten Deutlichkeit
b> (Fig. 287,) Auch hat er bei der einen dei'selben, unter der wir uns
w;i . iilich die Elisabeth zu denken haben, auch die starke Rundung der Ge-
ÄtuHs^MKriid recht sichtbar gemacht, die als ein erhebliches Charakteristikum der
Schwangerschaft schon weiter oben erwähnt worden ist. Bei der anderen Fran,
654 XXVI. Das physische Verhalten während der Schwangerschaft.
hebt, so dass ihr schwangerer Leib sichtbar wird; denn das ihn noch bedeckende
zarte Hemd vermag ihn nicht mehr den Blicken zu verhüllen. Angst und Ver-
zweiflung malt sich auf dem Gesichte des armen, von Jupiter so schnöde über-
rumpelten Mädchens.
Derselbe Gegenstand in plastischer Ausführung wird den meisten Lesern
wohl aus eigenem Augenscheine bekannt sein. Er bildet eine der schönen Relief-
platten aus weissem Marmor in dem berühmten Marmorbade in derKarls-Au
von Gas sei. Diese in fast völliger Rundung der Figuren hergestellte BUdhauer-
arbeit wurde im Anfange des vorigen Jahrhunderts von Monnot ausgeführt.
(Fig. 289.)
Den gegebenen Raum Verhältnissen entsprechend ist hier die CaUisto stehend dargestellt.
Nur ein umgeschlagenes Tuch umhüllt ihre Hüften, während der hochschwangere Leib nackt
und unverhOllt den Blicken sich darbietet. Zwei Nymphen führen sie der Diana zq; eine
dritte kniet auf der Erde und zeigt, mit dem Kopf zur Diana gewendet, m^t der Hand auf
CaUisto'8 hervorgewölbten Bauch, der ihren Fehltritt unleugbar beweist. Diana, unter einem
Baume sitzend, weist mit einem strengen Ausdruck ihres Antlitzes die unglückliche Verführte
aus dem Bereiche ihrer jungfräulichen Nähe.
Von den Gruppen des Marmorbades ist diese eine der allerschönsten, vor-
trefflich gelungen im Bezug auf den Ausdruck der Gesichter und auf die Dar-
stellung der Formen der weiblichen Körper.
Für uns besitzt die in den vorigen Seiten besprochene Gruppe von Kunst-
werken ihre wichtige culturgeschichtliche Bedeutung, und wenn vielleicht die
eigenartige Wahl des Gegenstandes manchem unserer Leser absonderlich erscheinen
mag, so möchte ich nur daran erinnern, dass ja auch das Wochenbett vielfach
von Künstlern zum Vorwurf gewählt worden ist; wir lernen später mehrere Bei-
spiele davon kennen. Und selbst der geschlechtliche Verkehr hat ja seine künst-
lerischen Interpreten gefunden, und einige von diesen Kunstwerken gehören be-
kanntlich mit dem Schönsten an, das die bildende Kunst geliefert hat.. Es sei
hier nur an Correggio's Leda mit dem Schwan und Jupiter mit der Jo erinnert.
Aber auch des Giidio Romano Freskogemälde im Palazzo del Te in Mantna
verdient hier angeführt zu werden; anderer Beispiele nicht zu gedenken.
176. Aeltere Anschanungen über die Entwickelnng der Frucht.
Ueber die Entwickelnng der Frucht im Mutterleibe hatten sich bei den alten
Aerzten der Inder schon vor Susrtita erhebliche Meinungsverschiedenheiten ge-
zeigt; doch waren sie alle in dem einen Punkte einig, dass Saunaka den Kopf,
Kritaviryya das Herz, Farasaryya den Nabel, Malkandaya Hände und Füsse,
Suhhusi und Gautama den Rumpf für das erste Gebilde hielten. Dhavantara
endlich entschied sich dafür, dass alle Theile gleichzeitig entstehen und nur der
Zartheit des Embryo wegen noch nicht erkannt werden könnten; man finde ja
auch in der Frucht der Bambusa arundinacea und der Magnifica indica alle einzel-
nen Theile der künftigen Pflanze schon vorgebildet.
Susruta beschreibt das Wachsen des Fötus in den verschiedenen Schwanger-
schaftsmonaten auf folgende Weise:
„Im ersten Monat entsteht der Embryo; im zweiten bildet sich durch Kälte, Wärme
und Wind eine härtliche Masse von zeitig werdenden Grundelementen des Körpers ; im dritten
werden die fünf KlQmpchen der Extremitäten und des Kopfes ausgebildet, aber die grossen
und kleinen Glieder Hind noch sehr kleine Theilchen ; im vierten und den folgenden Monaten
werden die Abtheilungen aller grossen und kleinen Glieder schon fQhlbar. Im achten ist die
Lebenskraft noch schwach; im neunten, zehnten oder zwölften Monat endlich erfolgt die
Geburt.* (Vullers,) Auch im Einzelnen construirte sich Siisruta (HesslcrJ nach GutdOnken
eine eigenthümliche Kntwickelungsgeschichte des Embryo. Nach ihm entsteht Leber imd
Milz des £mbr}'0 aus dem Blute, die Lungen aus Blut und Schaum, der Unterleib am Blot
und Sekreten; dann bilden sich im Uterus die Eingeweide, der After und der Bauch durch
176. Aeltere Anschaaungen über die Entwickelung der Fracht. 355
Auftreibung der Luft, und es entsteht aus den fllementen des Blutes und Fleisches die Zunge,
aus der Vereinigung des Blutes und des Zellgewebes das Zwerchfell, aus der Vereinigung von
Fleisch, Blut, Schleim und Zellgewebe die Testikel, aus der Vereinigung von Blut und
Schleim das Herz und in dessen Nachbarschaft die Nerven als Träger der Lebenskraft.*
Susriäa wusste auch bereits, dass die Ernährung des Fötus vermittelst der
Nabelgefässe stattfindet.
„Ohne Zweifel," heisst es bei ihm, „ist in dem saftfQhrenden Kanäle (Placenta) der
Mutter das Nabelgef&ss des Fötus verschlossen. Dieses fährt die Quintessenz des Speisesaftes
der Mutter dem Fötus zu. Durch diese innige Verbindung der Mutter erhält der Fötus sein
Wachsthum, und die den ganzen Körper und die Glieder begleitenden saftfahrenden und ge-
krümmten Gefilsse beleben durch ihre innige Verbindung unter einander von der Zeit der
Empfängniss an die Abtheilungen der noch nicht gebildeten grossen und kleinen Glieder.*
Die Chinesen stellen sich die Entwickelungsgeschichte des Fötus nach der
Darstellung des Buches »Pao-tsam-ta-seng-Pien*' in folgender Weise vor:
„Im ersten Monat gleicht der befruchtete Keim oder das £i einem Wassertropfen; im
zweiten einer Rosenknospe; im dritten verlängert sich das £i und zeigt einen Kopf; im vierten
sieht man die vorzQglichsten Organe erscheinen; im fünften zeigen sich die Gliedmaassen ; im
sechsten kann man Augen und Mund unterscheiden ; im siebenten Monat hat es eine mensch-
liche Form und kann leben, doch verläset es in dieser Zeit nicht anders die Mutter, als wie
eine grüne Frucht, die, wenn sie abreisst, einen Theil des Astes mit fortnimmt, der sie trägt ;
während des achten Monats vervollkommnet sich das Kind so weit, dass es im neunten Monat
einer reifen Frucht gleicht, welche nur des Herabfallens gewärtig ist.* (Hureau.) Dieser
Vergleich des reifen Kindes mit der reifen Frucht scheint durch mehrere chinesische Werke
hindurchzugehen. Denn in der .Abhandlung über die Geburshülfe", welche v. Martiua aus
dem Chinesischen übersetzte, heisst es: «Der Arzt Dschuli sagt: Unreife Geburten sind
genüglich von den natürlichen verschieden. Denn die natürliche Geburt eines Kindes ist mit
einer reifen Kastanie zu vergleichen, die in der Periode ihrer Zeitigung von selbst sanft ab-
gilt. Eine unzeitige Geburt aber ähnelt einer unreifen Frucht, die vom Sturme gebrochen
beim Herabfallen die Zweige mit abreisst. **
Aristoteles^ führt an, dass der um 540 v. Christo lebende Alkmaeon be-
hauptet habe, der Kopf des Embryo bilde sich zuerst, weil er der Sitz der Seele
sei, und dass der Fötus zum Theile seine Ernährung durch die Haut erhalte.
IlippoTcrates empfahl, dass man bebrlitete Hühnereier untersuchen und
zwischen diesen und der menschlichen Frucht Vergleiche anstellen solle.
Auch von den indischen und talmudischen Aerzten ist es wahrscheinlich,
dass sie entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Vogeleiem angestellt haben.
Aber die Talmudisten benutzten auch noch ein anderes wichtiges Material für
ihre embryologischen Studien.
Kazenelson sagt:
„Die Entwickelungsgeschichte des menschlichen Embryo beschäftigte die talmudischen
Forscher nicht so sehr aus wissenschaftlichen Motiven, wie gerade deshalb, weil die Kenntnisa
der Embryologie für die Lösung mancher rituellen Fragen unentbehrlich war. Da aber ein
unbegründetes Pietätsgefühl, welches sie für ihre Todten hegten, Untersuchungen an mensch-
lichen Körpern verbot, so wandten sich die Talmudisten mit besonderer Vorliebe den
Untersuchungen von Fehlgeburten zu, bei denen das erwähnte Verbot wegzufallen schien.
Wie die Weisen des Talmud sich zu diesen Arbeiten verhielten, ersehen wir aus jener
Legende, die König David folgende Worte in den Mund legt:
,Bin ich nicht rechtschaffen? Während alle Herrscher des Ostens und des Westens in
ihrem ganzen Glänze, umgeben von ihren Höflingen, auf ihren Thronen sitzen, sitze ich mit
von Blute besudelten Händen und studire die Frühgeburten und ihre Häute.*
Wiederholen tlich begegnen wir in den Aufzeichnungen der Rabbiner allerlei
Betrachtungen und Erörterungen über die Entwickelung und das Verhalten des Em-
bryo im Mutterleibe. In dem Midrasch Wajikra Rabba sagt der Rabbi Ekasar:
,Wenn der Mensch im Heissen auch nur eine Stunde verweilt, wird er nicht um's
Leben kommen? Und das Innere des Weibes ist siedend, und das Kind liegt darin und Gott
behütet es, dass es nicht in eine Haut, oder in eine leblose Masse, oder in eine Sandale
übergehe.*
6oD XXVI. Das physische Verhalten während der Schwangenchaft.
Rabbi Tachlipha von Cäsarea sagte darauf:
,Wenn ein Mensch ein Stück nach dem andern ist, wird nicht das sweite das ente
verdrängen? Das Weib aber, wieviel Speise isst sie und wie viele Getränke trinkt sie» ohne
dass das Kind verdrängt wird.* (Wünscht.)
In demselben Midrasch wird dann ein Aussprach der Schale Schamais
berichtet :
«Nicht, wie die Bildung des Kindes in dieser Welt ist auch die Bildung in jener Welt
In dieser Welt beginnt die Bildung mit Haut und Fleisch und endet mit Sehnen und Knochen.
aber einst beginnt sie mit Sehnen und Knochen und endet mit der Haut*
Rabbi Abuhu sagte hierzu:
«Eine grosse Wohlthat thut Gott dem Weibe in dieser Welt, dass er die Bildung des
Kindes nicht gleich mit Sehnen und Knochen beginnen lässt, denn wenn das der Fall wftrp,
so würde es ihren Leib spalten und ans Licht treten.*
Die sogenannten Eihäute, das Chorion, welches den Fötus von allen Seiten um-
giebt, die Allantois, eine doppelte Membran, und das Amnion, eine zarte Membran,
werden von Soranus beschrieben; ihm folgt ziemlich treu Moschian; sie beide
heben namentlich die Bedeutung des Chorion hervor. Wir erfahren auch darch
Soranus die Ansichten einiger früheren Autoren über den Ursprung der Nabel-
geßsse; nach Empedokles geboren dieselben der Leber an, nach Phaedrtis dem
Herzen; nach Uerophilus gelangen die Venen zur Vena cava, die Arterien zur
Arteria trachea; Eudetnus endlich meinte, die im Nabel des Embryo verbundenen
Gefasse gehen von da in zwei Bögen unter dem Zwerchfell aus einander.
Ueber das Amnion waren die Autoren jener Zeit noch verschiedener An-
sicht; dessen Vorhandensein beim Menschen wurde von Einigen sogar geleugnet.
Die Cotyledonen werden von Soranus ausführlich besprochen (Pinoff); er vergleicht
diejenigen der Thierplacenta mit den kleineren Excrescenzen der Placenta beim
Menschen; durch sie wird der Fötus ernährt. Die in ihnen gebildeten Gefasse
verbinden sich zu zwei Venen und zwei Arterien, zu denen sich der ürachus ge-
sellt; diese f&nf Gefasse bilden den Nabelstrang; die zwei Venen vereinigen sich
und gehen zur Vena cava über, um dem Kinde das Blut der Mutter zur Emäh-
nmg zuzuführen, und auch die beiden Arterien werden zu einer einzigen, d. h. zur
grossen Arterie (Aorta) verschmolzen.
Galenus kennt auch das Chorion und lasst es aus dem ergossenen Blute
sich bilden; die Allantois zählt er ebenfalls den Eihäuten zu. Er sagt, dass An-
fangs der Fötus wegen seiner Kleinheit nicht zu erkennen sei, und dass sich
zuerst das Gehirn, das Herz und die Leber bilden; diese Organe senden dann die
Medulla spinalis, die Aorta und die Vena cava aus, worauf sich die Rückenwirbel,
der Schädel und der Brustkorb bilden.
Die arabischen Aerzte folgen fast ganz den Angaben der griechisch-
römischen Autoren.
Dass den Talmudisten auch die Eihäute nicht unbekannt waren, daf&r
finden wir wiederum in dem Midrasch Wajikra Rabba einen Beleg. Rabbi
Akika erläutert einige Bibelstellen folgen dermaassen:
,Al8 ich ihm Gewölk gab zum Gewand", darunter ist die Haut des Embryos su ver-
stehen, ,und Wolkonnacht zu seiner Windel" d. i. die dicke Fleischmasse; „als ich ihm leine
Grenzen bestimmte', das sind die ersten drei Monate; „und Riegel setzte und ThOren* d. s.
die mittleren drei Monate; «und sprach: bis hierher sollst du kommen und nicht weiter* d. t.
die letzten drei Monate; »hier sei ein Ziel gesetzt bei deiner Wogen Trotz.* (Wün^ckf^.)
Ueber die Entwickelung der Frucht waren die talmudischen Aerzte ge-
theilter Meinung. Einige glaubten, dass das Haupt und die ihm zunichst
liegenden Organe sich zuerst bildeten, Andere hingegen hielten dafür, dass der
Mittelpunkt des menschlichen Körpers und namentlich die den Nabel umgebenden
Theile zuerst gebildet werden. (Nidda.)
Erst etwa zu Ende des 3. Monats seien die Nasenlöcher deutlich Torb
"^atremitäten zeigen Finger- und Zehenbildung, auch könne *
176. Aeltere Anschaaungen über die EntWickelung der Frucht. 657
Geschlecht unterscheiden; um dieses besser bewerkstelligen zu können, empfiehlt
der Talmud die Sondirung mit einer hölzernen Sonde; doch liesse sich vor dem
41. Tag über das Geschlecht nichts entscheiden. Erst als sicheres Zeichen einer
fortgeschrittenen Ausbildung sei die Haarbildung zu betrachten.
Aba-Saul beschreibt den ,in den Häuten noch eingehüllten Embryo*
folgendermaassen :
«Der ganze Embryo ist so gross wie eine Grille, die Augen gleichen etwa zwei Punkten
Von Fliegengrösse, die in einiger Entfernung von einander sich befinden; die Nasenlöcher
ähneln auch solchen zwei Punkten, nur mit dem Unterschiede, dass sie in geringerer Ent-
fernung von einander localisirt sind; der Mund hat das Aussehen eines ausgezogenen Haares,
Hände und FUsse das von seidenen Schnüren, während das Geschlechtsorgan von der Grösse
einer Linse ist. Beim weiblichen Embryo aber sieht diese Stelle wie ein in der Mitte mit
einer Längsfurche versehenes Gerstenkorn aus. So heisst es denn auch im Buche Hiob: Hast
Du mich nicht wie Milch gemolken und wie Käse lassen gerinnen? Du hast mir Haut und
Fleisch angezogen, mit Beinen und Adern hast du mich zusammengefüget, Leben und Wohl-
that hast Du mir gethan und Dein Aufsehen bewahret meinen Odem.* (KazenelsonJ
Ganz ähnlich heisst es auch in dem Midrasch Wajikra Rabba:
«Es ist gelehrt worden, wie die Gestalt des Kindes (des Embryos) ist. Im Anfang seiner
p]ntstehung (Schöpfung) gleicht es einer Kammerheuschrecke, seine zwei Augen sind wie zwei
Tropfen der Fliege, seine beiden Nasenlöcher sind wie zwei Tropfen der Fliege, und seine
beiden Arme sind wie zwei glänzende Streifen, sein Mund gleicht dem Gerstenkorn, sein Leib
ist wie eine Linse, und die anderen Glieder sind zusammengerollt (gewickelt) und an ihm wie
eine ungeformte Masse. Darauf sagt David (Ps. 139, 16): .Meinen Klos haben Deine Augen
gesehen." Ist es aber ein weibliches Wesen, so ist es der Länge nach wie ein Gerstenkorn
gespalten. Hände und Füsse sind nicht an ihm ausgestreckt." (Wünsche^,)
Die Differenzirung des Geschlechts liessen die Talmud isten, wie gesagt,
erst mit 41 Tagen eintreten. Gleichzeitig sollten dann auch die Haut und die
Haare zur Ausbildung kommen.
Hier ist noch eine interessante Angabe aus dem Midrasch Kohelet an-
zuführen. Es heisst daselbst:
.Es ist gelehrt worden: In der Zeit, wo das Kind im Mutterleibe gebildet wird, wirken
drei (Factoron), Gott, der Vater und die Mutter zusammen. Der Vater giebt das Weisse, wo-
raus die Farbe, das Gehirn, die Nägel, das Weisse im Auge, die Knochen und die Sehnen
werden ; die Mutter giebt das Rothe, woraus das Blut, die Haut, das Fleisch und das Schwarze
im Auge werden; Gott aber giebt zehn Dinge; den Geist, die Seele, die Gesichtszüge, das
Gesicht, das Gehör, die Sprache, das Händeschwingen, den Gang, die Weisheit, die Vernunft,
die Einsicht, das Erkenntniss vermögen und die Stärke. Wenn die Scheidestunde des Menschen
kommt, nimmt Gott seinen Theil und lässt den Theil der Eltern liegen, weshalb diese weinen.
Da spricht Gott zu ihnen: Warum weinet ihr? ich habe nur das Meinige genommen. Herr
der Welt! entgegnen die Eltern, so lange Dein Theil mit dem unsrigen vereinigt war,
war unser llieil vor Moder und Gewürm bewahrt, jetzt aber, wo Du Deinen Theil zurückge-
nommen hast, liegt unser Theil hier, preisgegeben dem Moder und dem Gewürm.* (Wünsche^,)
Von VindicianiiSj der um 370 n. Chr. lebte, stammt die Lehre her, dass
das Geschlecht des Embryo im vierten Monate der Schwangerschaft zur Aus-
bildung käme, dass aber die Beseelung desselben schon im zweiten Monate statt-
finde. Diese Ansicht hat in der mittelalterlichen Gesetzgebung Geltung gewonnen
und wirkte strafverschärfend bei künstlichem Abortus, bei der Verletzung
Schwangerer und bei ähnlichen Umständen ein.
Der Aufschwung der neueren Embryologie ging im 16. Jahrhundert von
Italien aus. Nachdem bereits Fällopia und Arantius der Anatomie des Fötus
ihre Aufmerksamkeit zugewendet hatten, wurde vom Grafen Aldrovandi sowie
von Volcher Coiter zuerst wiederum die Entwickelung des Hühnchens im Ei zum
Gegenstande wissenschaftlicher Beobachtung gemacht, und bald trat Fdbricius ab
Aquapendente in deren Fusstapfen. Schliesslich hat aber Harvey^ welcher im
Jahre 1657 starb, für diese Angelegenheit durch seine mustergültige naturwissen-
schaftliche Methode grundlegend gewirkt.
PloiB-BarUU, Dm Wetb. 6. Anfl. L 42
658 XXVI. Das physische Verhalten während der Schwangerschaft.
Wir können hier weder die Geschichte der Embryologie, noch auch die
Entwickelung der Frucht im Mutterleibe durch alle ihre Phasen weiter verfolgen.
Wer über die letztere sich zu belehren wünscht, den verweise ich auf die vor-
treffliche Darstellung, welche in allgemeinverständlicher Weise Johanties Ranke^
von diesem Gegenstande gegeben hat. Dort wird er, durch Abbildungen reichlich
erläutert, dasjenige finden, was er sucht.
177. Die Schwangerschaftsdaner.
Ueber die Zeitdauer, welche normaler Weise der Embryo in dem Mutterleibe
sich aufhalten könne, herrschen bei einzelnen Völkern sehr absonderliche AnsichteD.
So steht in dem chinesischen Buche Dan-zi-nan-fan geschrieben:
,Die tägliche Erfahrung beweist es, dass eine Frau 7 — 10 Monate schwanger gehe.
Aber es giebt auch Frauen, deren Schwangerschaft 1 bis 2 Jahre währet. '^
Ein chinesischer Arzt in Peking theilte vor Kurzem Herrn Professor
Grube mit, dass sie die Dauer der normten Schwangerschaft auf S Monate und
10 Tage berechnen. Es sind damit Mondmonate gemeint.
Als sicherster Anhaltspunkt für die Schwangerschaftsberechnung gilt bei den
japanischen Frauen das Ausbleiben der Menstruation; früher war dieses Zeichen
bei der ofßciellen Eintheilung des Jahres in Mondmonate noch bequemer, indem
sie einfach vom ersten Ausbleiben der Regel 10 derartige Zeitabschnitte als zur
Vollendung der Schwangerschaft nöthig ansahen. Sonderbarer Weise setzte es
sie in Verlegenheit, wenn die letzte Menstruation aus den Schlusstagen des einen
(Kalender-)Monats bis in die ersten des nächsten hinüber reichte; es wurde dann
die Berechnung ungenau, da sie den angefangenen Monat noch als einen vollen
mitrechneten. Jetzt rechnen die Frauen 280 Tage, sie geben aber zu, dass sie
sich oft verzählen. (Wemich.)
Der japanische Arzt Kangawa nimmt in seinem Buche Sanrong an, dass
bei Erstgebärenden der Termin der Geburt 300 Tage, bei Mehrgebärenden 275
Tage nach der Empfängniss sei. (Miyake,)
Als normale Schwangerschaftsdauer galt den talmudischen Aerzten ein
Zeitraum von 271 oder 272, oder auch 273 Tagen. Doch konnte nach dem
Talmud ein Weib auch 12 Monate lang schwanger gehen. (Israels,)
Die buddhistische Legende berichtet, dass Buddha von seiner Mutter nach
Verlauf von 10 Monaten geboren worden sei.
Der Po towatomi- Häuptling Meta berichtete Keating, dass bei seinem
Stamme die Schwangerschaft 8 und 9 Monate zu dauern pflege.
Wenn bei den Omaha-Indianern die Frau nicht berechnen kann, wie
lange sie schwanger sein wird, so bittet sie ihren Gatten oder einen alten Mann,
es ihr zu sagen.
Die Dauer der Schwangerschaft berechnen die eingeborenen Hebammen der
Viti-Insulaner nach Blytlis Angabe auf 10 Mondmonate.
Die Hindu rechnen nach Kirttkar die Zeit der Schwangerschaft auf 261 Tage,
gleich neun Monaten nach der letzten Menstruation.
In Bezug auf die Dauer der Schwangerschaft hat, wie Karl Schroeder sagt,
die Erfahrung gezeigt, dass man etwa 270 — 280 Tage nach dem ersten Tage der
letzten Periode den Eintritt der Geburt erwarten kann. Fürst glaubt einen Unter-
schied in der Schwangerschaftsdauer zwischen solchen Frauen, die zum ersten
Male schwanger wurden, und solchen, die bereits mehrmals geboren hatten, fest-
stellen zu können, und zwar ist bei den letzteren die Zeit eine längere. Er
berechnet die Dauer der Gravidität bei Erstgebärenden vom Ende der letzten
Menstruation auf 278 Tage, vom Tage der Empfängniss an auf 268^2 Tage,
während bei Mehrgebärenden diese beiden Zeiträume 282 Tage beziehungsweise
271 Tage betragen haben.
178. Ungebührlich lange Dauer der Schwangerschaft. 659
Bei den Süd-Slaven herrscht nach Kraiiss^ ,im Bauemvolke der wunder-
bare Glaube, dass unter gewissen umständen das Weib in sechs Wochen ein yoll-
kommen ausgereiftes Kind austragen kann. Vielleicht ist dieser Glaube dadurch
hervorgerufen worden, dass manche junge Frau kurz nach ihrer Vermählung eines
Kindes genas. Zur Erklärung des Wunders wurde die Zeit der Schwangerschaft
so tief hinabgedrückt. "
178. Ungebührlich lange Dauer der Schwangerschaft.
Die Angaben über die Schwangerschafksdauer, wie wir sie bisher vernommen
haben, entsprechen im Grossen und Ganzen dem, was uns bei den Weibern unseres
Stammes die allgemeine Erfahrung lehrt. Es finden sich nun aber auch einige
bemerkenswerthe Ausnahmen von dieser Regel, von denen die einen der Leicht-
gläubigkeit des Volkes ihren Ursprung verdanken, während die anderen dagegen
auf pathologische Verhältnisse zu schieben sind.
Der ersten Gruppe haben wir schon Angaben hinzuzurechnen, wie wir sie
in den pseudo-hippokratischen Schriften und hei Aristoteles und Plinius an-
treffen. Die Alten waren sich aber noch nicht darüber klar, ob unter Umständen
eine Schwangerschaft den gewohnlichen Zeitraum von 9 Monaten um ein Beträcht-
liches überdauern könne. In dem pseudo-hippokratischen Werke De Diaeta
wird dieses für möglich gehalten, während der Verfasser des pseudo-hippo-
kratischen Werkes De natura pueri Zweifel in diese Angaben setzt. JlW-
stoteles berichtet, dass nach Einigen eine Schwangerschaft sich 11 Monate hinziehen
könne; aber er schenkt diesem keinen Glauben. Plinius dagegen erzählt einen
Fall, in welchem die Niederkunft angeblich erst nach 13 Monaten erfolgte.
Aber auch in unserer Zeit kommen solche Anschauungen vor. So berichtet
Quedenfeldt aus Marocco:
»Es giebt viele maurische Weiber, Geschiedene oder Wittwen, welche behaupten,
dass ihnen seit Jahren ein Kind im Leibe schlafe, was allgemein geglaubt und sogar als etwas
sehr Gewöhnliches angenommen wird. Bei der lockeren Moral der Wittwen und geschiedenen
Frauen ist en vielen sehr angenehm, ein schlafendes Kind vorräthig zu haben; denn gebären
sie zwei oder drei Jahre nach der Trennung von ihrem Gatten wieder einmal, nun so ist es
eben jenes wieder aufgewachte Kindlein. **
Auch das Multeka ül übbQr der Türken, das Gesetzbuch, welches die
Grundlage der religiösen, politischen und sittlichen Verfassung in dem türkischen
Reiche bildet, weicht in seinen Anschauungen erheblich von unseren Erfahrungen
ab. Nach ihm wird die Dauer der Schwangerschaft auf 6 bis 24 Monate fest-
gesetzt. Nach Oppefiheim^ der dieses berichtet, entscheiden die türkischen
Rechtsgelehrten folgendermaassen:
Wenn eine Frau, die zur zweiten Ehe schreitet, schwanger wird, ohne zuvor ihre Zurück-
gezogenheit erklärt zu haben, so wird ihr in den ersten 6 Monaten geborenes Kind dem ersten
Manne zugeschrieben (und dieser Umstand bewirkt zugleich die Auflösung der Ehe). Wenn
aber eine Frau erklärt, sie sei nicht schwanger, und wenn sie dann dennoch vor dem Ende
des 11. Monats nach dem Tode des Mannes niederkommt, so wird das Kind nichtsdesto-
weniger als ehelich und dem Verstorbenen angehörig betrachtet.
Hier möchte ich auch noch einmal auf den vorher citirten Glauben der
Chinesen an die 1- bis 2jährige Schwangerschaft; hinweisen.
Nun habe ich noch von der zweiten Gruppe zu sprechen, d. h. von der-
jenigen, in welcher die Schwangerschaft aus pathologischen Ursachen länger als
gewöhnlich anhält. Hier ist die Ueberschreitung des Termins dann aber stets
eine sehr bedeutende, und diese Fälle unterscheiden sich von den vorigen ganz
wesentlich, denn hier kommt dann die Schwangerschaft überhaupt nicht zum
normalen Abschluss, das Kind wird überhaupt nicht geboren. Dass die Frauen
aber wirklich schwanger waren, das bewies der Obduktionsbefund.
42»
g^O XXVI. Daä physische Verhalten während der Schwangerschaft.
Der BegrQnder des Berliner anatomischen Museums Johann Gottlieb
Walter berichtete im Jahre 1778 an die preussische Akademie der Wissen*
.^ehalten in Berlin die .Geschichte einer Frau, die in ihrem Unterleibe
ein verhärtetes Kind zwey und zwanzig Jahre getragen hat**. In Fig. 291
gebe ich eine verkleinerte ßeproduction einer seiner Abbildungen, welche Walter
seiner Arbeit beigefügt hat. Sie zeigt den geöffneten Leib der Frau und die Lage
des 22jährigen Embryo.
Die Kinder, welche so lange Zeit in dem Korper der Mutter verbleiben,
sind begreiflicher Weise nicht lebend, wie ein normaler Embryo im Mutterleibe,
sondern sie sind längst abgestorben. Aber sie unterli^en nicht der Fäulniss,
sondern in ihrem todten Körper gehen andere chemische Veränderungen Tor. Sie
verfallen der sogenannten fettigen Metamorphose, und ausserdem kommt es zur
Ablagerung von Kalksalzen sowohl in die Gewebe ihres Körpers, als auch in
die sie unischliessenden Eihüllen. Daher macht dann ein solches Kind den Ein-
druck, als wenn es versteinert wäre, und aus diesem Grunde hat man f&r derartige
Embryonen von Alters her den Namen Lithopaedion, zu Deutsch , Steinkind',
Fi^. 'J^-). I.ithopaedion, Steiukind, ilas 2*2 Jahre im Leibe iler Matter verblieben war.
(Nach 7. t'\ ir,i/ur.)
eingeführt. Das von Walter beobachtete Steinkind führt die Fig. 290 vor. Der
rechte, durch die Verkalkung unbewegliche Fuss liegt gerade so vor den Geni-
talit'n, dass man das Geschlecht des Kindes nicht zu bestimmen vermag. Dass
seine Länge derjenigen eines nüttelmässig grossen 9 monatlichen Embryos ent-
spricht, würde man, wie Walter angiebt, sehen können, wenn man das Kind
gerade strecken könnte.
^Allein dioscs ist unmöglich, ileiin einmal ist dieses Kind vom Kopf bis an den Hintern
mit einor in dem l-ntorleib au.sgedampften Feuchtigkeit überzogen, und sodann zweitens ist
dieses Kind in allen seinen Theilen durch eine steinartige Materie verhärtet, folglich ist ft
ein Lithopaedium incrustatum. Ich habe, wie dieses die dritte Figur (Fig. 290) zeiget,
diese überzogene Itinde (Incrustation) vom (lesicht, dem Halse und oberen Theile der Brurt
mit dem Stiel oincs anatomischen Messers abgeluHct, damit das linke Ohr, das Auge und die
Huaro des Kopfes deutlich gesehen wcrdon können. Die übrigen Muskeln des Gesichte sind
völlig steinhart, um den unbeweglichen Mund und die Nase hatte sich die in dem Unterleib
ausgedunstete Feuchtigkeit ho fost angeleget, dass es mit diesen Theilen des Gesichts unzer-
trennlich zusammonhing, und daher aus der gewöhnlichen Bildung des Gesichts ein monztrOt-
scheinendes Ansehen gemacht hatte.*
FJß, 29L Frau imcU ÄJlüiriecj Sc.Jiwaiig(?twJb»fl, mit einem SUinkiöilc im Leibe. fN»ch 7, G. *f*^#r
eiut es sich darum gehandelt tu haben, dass während der angestrengten Ge-
^"weheu die GebÄrmutter gerissen und das Kijid in die Bauchhöhle geglitten
652 XXVI. Das physische Verhalten während der Schwangerschaft
war, aus der es nun nicht mehr heraus konnte.* Hierher gehört mit grosser
Wahrscheinlichkeit der Fall von einer Frau in Toulouse, welche 26 Jahre
schwanger war, sowie auch der besonders berühmte von der Anna MuUer aus
Leinzell in Württemberg. Diese wurde mit 48 Jahren schwanger und konnte
trotz 7 Wochen anhaltender Wehen nicht gebären. Eine Badekur besserte ihre
Beschwerden, aber ihr Leib blieb dick. Trotzdem gebar sie noch zwei lebende
Kinder, und als sie mit 94 Jahren starb, fand man in ihr ein Lithopaedion, das
sie 46 Jahre getragen hatte.
Eine zweite Ursache, welche den Embryo im Leibe seiner Mutter zurück-
halten kann, vermag unter ganz besonderen Umstanden eine Extranterinschwanger-
schaft abzugeben. Von dieser letzteren spreche ich später noch and wir werden
daselbst sehen, dass wahrscheinlich schon den alten Indern eine solche Möglich-
keit nicht unbekannt war. Wenigstens spricht StisrtUa an einer Stelle des
Ayurvedas von einer Art des Fötus, den er Magodara nennt Das bedeutet
Brustharnisch, und wahrscheinlich ist hier ein Steinkind gemeint. Walter
glaubt von seinem Fall, dass er in diese Kategorie gehöre; aber auf seine Be-
weise hierfür vermag ich hier nicht näher einzugehen. Uebrigens gehören beide
Arten der Lithopaedien zu den allergrössten Seltenheiten.
XXVII. Normale und abnorme Schwangerschaft.
179. Die Lage und das Stürzen des Kindes im Matterleibe.
Durch den Mangel genauer geburtshülflicher Untersuchungen im Alterthum
und Mittelalter erklärt es sich, dass man lange Zeit über die normale Lage des
Kindes innerhalb der Gebärmutter im Unklaren blieb, aber höchst merkwürdig
ist die Uebereinstimmung scheinbar von einander ganz unabhängiger Völker in der
Vorstellung, dass das Kind während der Schwangerschaft ganz plötzlich seine
Lage im Mutterleibe ändere. Erst die neuesten klinischen Beobachtungen haben
über die letztere Thatsache das nöthige Licht verbreitet.
Ueber die Lage des Embryo im Uterus haben auch die Talmudisten
ihre Betrachtungen angestellt. In dem Midrasch Wajikra Rabba wird ein
Ausspruch des Rabbi Äbba bar Kahana berichtet:
«Gewöhnlich, wenn der Mensch einen Beutel mit Geld
mit der OefFnung herunterwärts kehrt, ftUt nicht da das Geld
heraus (wird es nicht verstreut?). Das Kind ist im Leibe seiner
Mutter und Gott behQtet es, dass es nicht herausfUllt und
stirbt; verdient er deshalb nicht Lob?*
Derselbe Rabbi fügte dann noch hinzu:
p Gewöhn! ich geht das Thicr gekrümmt und das Junge
beflndet sich in seinem Leibe, wie in einer Art Sack; das
Weib dagegen geht aufrecht, und das Kind befindet sich in
seinem Leibe und Gott behütet es, dass es nicht herausf&llt
und stirbt." {Wünsche^.)
In demselben Midrasch wird dann noch eine
Aeusserung des Rabbi Sinüai berichtet, welcher von
der Lage des Embryo folgende genauere Schilderung
macht :
„Wie liegt das Kind im Leibe seiner Mutter? Einge-
wickelt wie ein Buch, sein Kopf liegt zwischen seinen Knieen,
seine beiden Hände liegen an seinen beiden Seiten, seine beiden
Fersen an seinen beiden Hüften (Dicken der Hüfte), sein Mund ist geschlossen, sein Nabel
ist offen und es isst von dem, was seine Mutter isst, und trinkt von dem, i^as seine Mutter
trinkt, und giebt keinen Koth von sich, denn sonst würde es seine Mutter umbringen. Tritt
es dann an die Luft der Welt, so wird das Geschlossene geöffiiet und das Offene geschlossen.*
Bei Hippokrates finden wir zuerst den Satz aufgestellt, dass
»alle Kinder mit dem Kopfe nach oben erzeugt werden, an den Tag aber treten viele
auf dem Kopfe und werden viel sicherer frei, als welche auf die Füsse geboren werden."
So finden wir auch in Rueffs Hebammen -Buch das Kindlein in seinen Ei-
häuten sitzend mit dem Kopfe nach oben dargestellt. Ich gebe in Fig. 292 die
Abbildung der Ausgabe vom Jahre 1581 wieder.
Hippokrates nahm dann weiter an, dass sich die Gebart durch eine Zer-
Flg. 292. Die Lage des Embryo in
den Eihäuten. (Aus Rneff.)
XXVII. Normale und abnorme Schwangerschaft.
r^:-- .r.tr der Eihäute einleiten niQsse. Zuvor aber sei es unerlasslich, dass der
Körper de? Kindes sich in eine andere Lage wälze. Er sagt:
.In -ien letzten Tagen der Schwangerschaft tragen die Frauen ihre Bäuche am leich-
Trrtrr.. -A-cri! e.t dem Kinde gelungen ist, sich zu wenden.* Ein Aengstigen des Kindes,
s^'ivi-.*. 'rr. -itvre 'iessen selb-^tändige Wendung.
Lr. die=^em Irrthum des Uippokrafes^ der sich lange Zeit durch die ganze
Literat *r als Dogma erhielt, verfiel auch Aristoteles^ bei dem es heisst:
.Bei allen Tbicren befindet sich gleichmässig der Kopf im £ie oben, wenn sie aber ge-
"ä'.iirer. sind und schon auszutreten streben, bewegen sie sich abwärts.* Und in dem Buche
.L«; i^e&eratione aninialium" sagt er : ^ Der Kopf sucht deshalb bei der Geburt den Mutter-
jL-^r/:. 'A-ei! ein gp'jgserer Theil über, als unter dem Nabel liegt; das GrOssere aber mehr Ge-
wicht hat und daher wie das Ge-
hänge einer Wage dahin neigt,
wohin es gezogen wird.*
Aristoteles beschreibt die
Lage des Embryo beim Men-
schen so, dass er die Xase
zwischen den Knieen, die Äugen
auf denselben, die Ohren aber
ausser denselben hat. Anfangs
liegt der Kopf aufwärts, bei
weiterem Wachsthum und
Drange zur Geburt gelangt der
Kopf durch ein Umstürzen des
Embryo nach unten, indem
er durch sein Gewicht auf den
Muttermund sinkt.
Diese Umdrehung der
Frucht nannte man später das
Sttirzen des Embryo oder la
C u 1 b t* 1 1 e. Nach Susruta erfolgt
dasselbe kurz vor der Geburt.
Eine bildliche Darstellung
von dem Stürzen des Kindes
findet sich in dem anonymen
Werke des S, J. M. D.: ,Von
der Erzeugung der Menschen
und dem Kinder- Gebären-,
welches, aus dem Holländi-
schen übersetzt, im Jahre 1766
in Franckfurt am Mayn er-
schienen Lst. Auf der in Fig. 293
wiedergegebenen Tafel findet
sich die Bezeichnung: «Stellet
ein Kind dar, welches sich
herum zu drehen fertig und in
seinen natürlichen Stand ist"^.
Wir wissen, wie selir sich dieser Irrthimi durch alle Culturvolker hinzieht.
Jii selbst zu der Zeit, als man begann, Leichenöffnungen vorzunehmen, beherrschte
der Lehrsatz vom Stürzen noch lange die Anschauung. OhglexcYLArancioiArautins^,
ein Schüler VtsuVs und Professor in Bologna, seiner eigenen Aussage nach bei
Leichenöflnungen sehr häufig den Kopf des Fötus schon in der frühesten Zeit der
Schwangerschaft auf dem Muttermunde fand, so vertlieidigte er doch die Ansicht
vom Stürzen des Kindes auf den Kopf, verlegte aber die Zeit dieses Vorgangei
f den Beginn der Geburt. Nach ihm sitzt das Kind, wenn keine besonderen
h"\K. 'JiX\. Scl]»:inatiiii:hc DaisWUuDf; eiuer schwangeren Frau, deren
Kiml im Be^ritl Hteht, das Stürzen uuHZufUlircn. Nach einem
an>>nyni>:n Werke vom Jaliro 17H»].
179. Die Lage und dus Stürzen det Kindes im Muiierleibe.
665
Störungen eiDireten, bis zur Qeburt auf dem Muttermunde, da der Grund des
Iterus mehr Raum für den Kopf de^ Fötus darbiete, als der dem Mutt^rhalse
benachbarte Theil der Gebärtnutter.
In einer Abbildung (Fig. 294) des Grafen lUifsses Aldrovandi aus dem
L7, Jahrhundert tiudea wir etwas Aehnliches dargestellt* Wir sehen die präparirten
)rgane de^ Unterleibes und dabei den eröffneten, schwangeren Uterus. In diesem
bockt das Kind, mit dem Kopfe nach oben, mit dem Rücken nach vom. Seine
linterbacken ruhen auf seinen Fersen inid die Händchen hat es gegen die Ohren
erhoben.
Eine sehr genaue SchilderuDg von der Lage des Kindes im Mütterleibe giebt
Bciphne Mercuria im Jahre KiO-i, und zwar nach eigener Anschauung. Es
Ätte sich ihm hierzu im Jahre 1578 die Gelegenheit geboten, als sein Lehrer
rudio Cesare Arancio aus einer todten Schwangeren das lebende Kind heraus-
schneiden musste;
«Ks hielt diese Creatura bumana
den Kopf im oberen Theilo des Uterus in
«sen grr»8«erem Räume» die Arme in der
Teiae gebeugt , das« die Ellenbogen an
lie Flanken angelegt waren; die Hand-
Ichen lagen auf den Knie^n, die Beine
raren angezogen und gekreuzt, »o dass
Ise FaiSftohlen auf den Hinterbacken lagen;
lie Augen befanden sieb über den Knieeu,
lie Wangen berührten nacb aussen die
lande und die Na^o hing zwischen den
Lnieen.^
Auf diese Weise bildet das
Kind, wie Mtrcurio sich ausdrückt^
Meichsam eine Kretsform« (Laoreatura
lunque cohI raccolta forma di ^ quasi
aa tigura circoiare.) Das ist nun seiner
leinung nach von der Natur beab-
iichtigt, denn es ist die vollkom-
menste aller mathematischen Figuren,
ad in dieser Form kann sich die
,Creatura* mit jeglicher Leichtigkeit
bewegen, ohne irgend welchen Scha-
len durch die Bewegungen der Mutter
ZQ erleiden.
Diese Lage des Kindes zeigt
auch noch eine von WeUdi (1671)
gegebene Abbildung (Fig. 295), welche
ezeichnet ist; ^Das Kind in seiner rechten und natürlichen Stellung, wie es hn
lutter leibe heget**.
Nach der Ansicht des in seinem Jahrhundert so hochangesehenen Maurimut
indet diese plötzliche Lageveränderimg im siebenten Monat der Schwangerschaft
att, und man ,nius8 in Acht nehmen, wann das Kind sein erstes Lager durch
]{edachten Sturzbaum verändert und dieses letzten nicht gewohnt ist, ea sich
manchmal dermaasseu rühret und wälzet, dass die Schwangere meinet, sie müsse
abr Kind gleich haben wegen der Schmerzen, die aie dahier empfindet^ *"
Noch weniger darf es uns überraschen, wenn wir finden, dasa noch heute
Deutschland, vielleicht auch in Frankreich und in England, hier und da
Volk vom Stiirzen des Kindes im Mutterleibe spricht. Es war ja in den
ältesten Hebammeoböchem der Deutschen ebenfalls vom Stürzen des Kindes die
Rede, und jedenfalls trugen die Hebammen diese Sage in das Volk hinein.
Fig. 2M. nat^tcUting «Icr normalen KindeiUge.
666
XXVII. Normale und abnorme Schwangerschaft.
Die Gelehrten waren darüber uneinig, worin man den Grund dieser Lase-
veränderung des Embryo zu suchen habe, ob es sich hier um einen Instinct des
Kindes oder um rein mechanische Verhältnisse handele. Die erstere Ansicht ver-
trat Hippokrates^ die letztere Aristoteles.
Uebrigens glaubten auch die israelitischen Aerzte an das Stürzen, denn
es heisst in dem Talmud: „Wenn die Zeit der Geburt gekommen ist, so wendet
sich das Kind und geht heraus; und daraus entstehen die Schmerzen der Frau.*
{Israels)
Die Lehre von dem Stürzen des Kindes im Mutterleibe wurde zuerst von
einem Schüler VesaVs, dem Realdus Columhus bekämpft. In seinem Werke ,jde
re anatomica*^ (1559) verwirft er Alles, was bisher über diesen Gegenstand ge-
lehrt worden war, und er spottet darüber, dass die Embryonen „simiaruro instar
seu funambulorum et mimorom" in dem
Uterus sich herumdrehen sollten; denn die
Enge des Ortes gestatte schon diesen Wechsel
der Stellung nicht. Trotz dieses Einspruchs
verharrte man aber lange Zeit noch bei der
alten Ansicht, und erst später gelang es
Smellie^ Solayres de Renhac und Anderen,
diese Hypothese zu Falle zu bringen.
Als nun nach so langer Dauer und so
allgemeiner Anerkennung die Lehre von dem
Stürzen des Kindes gestürzt worden war,
horte man lange Zeit nichts mehr über diesen
einst so berühmten Gegenstand. Erst vor
wenigen Jalirzehnten wurden thatsachliche
Erscheinungen festgestellt, welche die höchste
Verwunderung erregen müssen. Wie konnte
es kommen, muss man sich fragen, dass so
zahlreiche tüchtige Geburtshelfer in unserem
Jahrhundert die Erscheinungen nicht fanden?
Warum entgingen ihnen dieselben? Haben
sie sie überhaupt nicht beobachtet? Die
Erklärung für dieses Problem liegt wahr-
scheinlich in folgendem Umstände. Unter
dem Drucke eines herrschenden Dogmas
stehend, vermieden es diejenigen, die solche
Beobachtungen machten, letztere an die
Oeffentlichkeit zu geben, weil sie fürchten
Fig. 'jo:,. i>arsteiiuiig «ler normalen Kindeslage mussten, verlacht oder für schlechte Be-
nach llWscA. (1671.) i i_i. i i- i. j
obachter erklart zu werden.
Onymus scheint der erste gewesen zu sein, der durch Untersuchungen an
Schwangeren, welche schon früher geboren hatten, durch den inneren Muttermund
hindurch das Vorkommen eines Wechsels in der Lage des Kindes constatireu
konnte. Er fand, dass unter 43 Schwangeren nur bei 27 die Fruchtlage bis zur
Geburt dieselbe blieb; er erklärte sowohl die normale Schädellage als auch die
verschiedenen Veränderungen der Fruchtlage aus den Gesetzen der Gravitation.
Seine Angaben haben jedoch nicht die genügende Beachtung gefunden.
Da aber so erfahrene Geburtshelfer, wie Justiis Heinrich Wigand und
Franz Carl Naegelc^ in ihren Werken die Lageveränderung der Frucht nicht er-
wähnen, so wird man wohl annehmen müssen, dass sich ihnen nie die Gelegenheit
geboten hatte, dieselbe zu beobachten.
Erst Taid Dubois und Scaneoni wagten es von Neuem, gegen den Autori-
tätenglauben anzukämpfen und für Lageveränderungen der Kinder im Mutterleibe
179. Die Lftge und das Stürzen des KindeB im Mutterleibe.
667
Binzutreten. Allein es waren keineswegs die Resultate wiederholter Untersuchungen
[giu Schwangeren, welche sie als Beleg für ihre Meinung anftihrten. Vielmehr be-
[riefen sie sich auf den statistischen Vergleich der Frühgeburten und der recht-
jxeitigen Niederkunft mit der relativen Zahl der Kopf-, Steiss- und Querkgen:
'Tsei Frlihgeburten kommt, so fand man, in den ersten Schwan gerschaftsmonaten
der Fötus unverhältnissmässig oft mit dem Steisse gegen den Hals des Uterus ge-
richtet, und die Häutigkeit dieser Lagen nimmt in eben dem Maasse ab, als sich
die Schwangerschaft ihrem Ende nähert. Gleichsam entschuldigend Ober seine
^AbtrUnnigkeit sagt v. Scanmni (1853):
„Man wird uns nun Torwerfen, duss wir g^g&n die Annicbt der ^Össten Autoritriten
die Lehre vom sogenannten Stürzen (Culbüie) des Fötas zu veriheidigen suchen. Wir nsü^en
^vj-
Wi
/^
Fi« U1*i Pie til'ün
lyo in der Oebännuttor. rs^ch Z>r/viW#r.)
jedoch bemerken, dass uns einestlieiU die von d&n Oeg-uem dieser Ansieht vorgeVtrachten Ein-
r würfe nicht stichhaltig und umlrrnniAi]- unsnro P»oaha^cbtungen im Verein i"U it^i'u>T:i Thtlxux
heweiakräftig erscheinen/
Scan^oni spricht hier nur von emem Vorgänge, der sich vor aun lerzien
pSchwangerschaftsöionaten ereignete, denn er sagt:
»Wir hegen die feste Ueber^engung, das« der Fötua in den ersten Schwangen'chafta-
nionaten, wenn nicht häufiger» »e doch gewiss ebenso oft mit dem Steissende nach abwärta
Igerichtet ist, als mit dem Kopfe, und dass eine nn vollkommen»? Umdrehung de««eJben nicht
Tjiiir niTn/lHh erscheint, ficndem gewiss auch in sehr rieten Füllen wirklich erfolgt.*
668 XXVII. Normale und abnorme Schwangerschaft.
Von einem Wechsel der Lagerung im Verlaufe der letzten Schwangerscliafl»-
periode sprach er damals noch nicht.
Die neueren Beobachtungen haben nun unzweifelhaft bewiesen, dass ein
Wechsel in der Lage des Embryo sehr häufig vorkommt und um so leichter ein*
tritt, je weniger weit die Schwangerschaft bereits vorgerückt ist. Auch ist der-
selbe bei Mehrgeschwängerten weit häufiger und selbst noch kurz vor der Geburt
nicht selten, während er bei Erstgeschwängerten in den drei letzten Schwanger-
schaftswochen nur sehr ausnahmsweise noch sich einstellt. Am häufigsten wandeln
sich Querlagen und Steisslagen in Schädellagen um, nächstdem Schädellagen in
(Querlagen und Steisslagen, aber Steisslagen gehen sehr selten in Querlagen Ober
und auch das Umgekehrte findet selten statt. (Schroeder,)
Der Kampf der Aristoteliker und Hippokratiker über die Ursache
der Lageveränderung des Embryo ist durch die neueren Forschungen dahin ent-
schieden worden, dass sie alle beide Recht haben. Denn einerseits b^Qnstigt die
Schwere des kindlichen Kopfes die Ausbildung der Schädellagen, andererseits aber
wirkt auch der Embryo selber durch refiectorische Bewegungen hierzu mit, da er
stets bemüht ist, dem Drucke der Gebärmutter auszuweichen.
Aus diesen Erörterungen geht schon
hervor, dass es unseren Vorfahren nicht un-
bekannt war, dass der Embryo im Mutterleibe
nicht unter allen Umstanden sich in derselben
Lage befände, sondern dass es ausser der
gewöhnlichen auch noch einige ungewöhn-
liche Lagen gäbe. Man ist dann bemüht
gewesen, sich darüber Rechenschaft zu geben,
welche Stellungen denn überhaupt die Frucht
im Uterus einnehmen könne, und in den Ana-
tomien und Hebammenbüchem finden sich
diese Lagen des Embryo in ausf&hrlicher
bildlicher Darstellung. Fig. 296 führt eine
solche Zusammenstellung nach Joanes Dryati"
Fi«. Lw. Die Lage des Embryo im Mntterieibe. der^s Artzeuci-Spiegel aus dem Jahre 1547
(Nach einem japanischen Holzschnitt.) ^^^ gj^ ^^^.^^ ^^ j^^ Kfi^üAl .Vnnatür-
lich geburt*^. Man sieht daraus, dass der
Autor vorführen wollte, was von der Natur abweicht. Wenn uns nun seine Ab-
bildungen auch recht phantastisch erscheinen mögen, so sind doch diejenigen
seiner Zeitgenossen um gar nichts besser oder naturwahrer. Erst die neuere Zeit
hat hier durch genaue Untersuchungen diese Verhältnisse in befriedigender Weise
klar gestellt.
180. Die Ansichten der aussereuropäischen Tölker über die Lage des
Embryo Im Matterleibe.
Die Anschauungen, dass der Embryo kurz vor der Qeburt seine Lage ändere,
welche er bisher im Mutterleibe eingenommen hatte, finden wir auch bei den
Chinesen und Japanern. In einer chinesischen Abhandlung wird gesagt,
dass sich das Kind im Mutterleibe drehe, bevor es geboren werde. Ein Aengstigen
des Kindes störe die Geburt. Aus einem anderen chinesischen Werke übersetzt
V, Martins:
^ Sowie nun das Kind sich umgewendet und nach unten hingekehrt hat, werden auch
alsbald die Geburtswehen bei der Mutter zunehmen*/ und es wird die Frage aufgeworfen:
, Wendet sich denn das Kind im Mutterleibe Kelbst?' worauf die Antwort erfolgt: «FVti-
lich wohl!**
Bei den Japanern war, wie gesagt, die gleiche Ansicht ebenfidls Te
180. Die Ansichten d. aussereurop&ischen Völker über d. Lage d. Embryo im Mutterleibe. 669
Kangawa^ der dort auf dem Gebiete der Geburtshülfe in vielfacher Beziehung re-
formatorisch wirkte, hat sich auch gegen diesen Glauben gewendet. Er sagt:
«Ein bedauerlicher Irrthum ist es, wenn man glaubt, dass vor der Geburt die Frucht
sich umdreht; man sieht dann nicht ein, dass die Querlage oder umgekehrte Lage von Anfang
der Schwangerschaft besteht und sich mehr von selbst einrichtet; es wird dadurch ein recht-
zeitiges Handeln der Hebammen oder des Geburtshelfers verhindert.*
In einem japanischen Werke, welches den Titel führt: ^Wie man bei
kranker Familie zu verfahren hat*, findet sich ein Embryo, in seinen Ei-
häuten liegend, abgebildet. Fig. 297 giebt diesen Holzschnitt wieder. Man er-
kennt die Placenta, den Nabelstrang und den kleinen Embryo, dessen zusammen-
gekauerte Haltung der Wahrheit schon sehr nahe kommt.
Die ebenfalls nach einem japanischen Holzschnitt gefertigte Fig. 298,
welche einige Lagen des Kindes im Mutterleibe veranschaulicht, lässt wohl schon
Fig. 298. Japaniiche DarsteUung der Kindeslagen im Matterleibe.
(Nach einem Japanischen Holzschnitt.)
die Einwirkung europäischer Lehren erkennen, jedoch sehen wir, dass nur bei
einer der Frauen der Kopf des Kindes nach unten gerichtet ist.
Hier muss auch ein Fächer Erwähnung finden, welchen Faul Ehrenreich
vor 3 Jahren in Tokio in einem Theehause als eine Art von Empfehlungskarte
erhielt. Auf demselben sehen wir in Farbendruck eine Anzahl von nackenden
Weibern in den absonderlichsten Stellungen. Ihre Bäuche sind geöflnet und man
erkennt darin den zusammengekauerten Embryo oder bei dreien auch die Nach-
geburt. Solcher Bäuche zählt man neun, aber Oberkörper und Köpfe finden sich
nur fünf auf dem Bilde, und in gleicher Weise sind auch nur fünf Unterkörper
und zehn Beine zu zählen. Die Figuren sind nämlich so geschickt gruppirt, dass
die Oberkörper mit den Unterkörpern sich in verschiedener Weise combiniren,
so dass der Oberkörper bald zu dem einen, bald zu dem anderen Unterkörper zu
^"^ tclieiiit Durch eine geschickte Einschaltung der Bäuche und unter Be-
XXYIL Nonnale und abnorme Schwangferscbatt
nutziiDg der erwähnten CombinatioDen lassen sich dann neun verschiedene Weiber^
herauszählen. Ein Knabe sitzt bei dieser reichbewegten Gruppe, aber er schenkt
ihr keine Aufmerksamkeit, sondeni er ist fast ganz verborgeu hinter einem auf*
geschlagenen Buche, Dieser interessante Fächer ist in Fig, 299 wiedergegeben.
» Axucichten d, ftusaerettrop&iachen Völker 11 ber cL Lagd d. Embryo im Muttörleibe. 671
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Im üebrigen sind uDsere Kenntnisse höchst spärlich ober die Vorstellungen,
welche sich fremde Völker von der Lage des Embryo innerhalb der Gebärmutter
machen.
Eine hölzerne Figur der Golden in Sibirien, deren Abbildung im zweiten
de gegeben wird, muas uns die Vermuthung nahe legen, dass dieses Volk das
d im Mutterleibe aufrecht mit gestreckten Beinen stehend sich vorstellt
Eiue bildliehe Darstelluog von dem Fötus im Mutterleibe liegt uns auch
ou den nordamerikanischen ludianern vor* (Fig. 301.) Dieselbe befindet
sich auf einem sogenannten Musikbrett der W ab eno- Brüderschaft, wie diese Leute
es gleichsam als hieroglyphisches Textbuch für ihre ceremoniellen Gesänge brauchen.
Die Erklärung, welche Schoolcraft giebt, lautet:
, Diese Figur atelH einen halbauagewachsenen Fötus im Mutterleibe dnv. Die VorEtellüng
seines Altera ist dadurch symboUäirt, dasa er nur einen Flügel bat/
Zu dem Bilde gehört der Gesanges-Text:
,Mein kleine» Kind, mein kleines Kind, du dauerst mich!*
Der Flügel, von welchem die Rede ist,
sitzt an der linken Hüfte. Auch dieses Kind
steht aufrecht, es hat aber beide Arme er-
hoben und nicht wie das vorhererwähnte Gol-
den-Kind die Arme an dem Körper, glatt
herabhängend, angelegt.
Aus dem niederländischen Neu-
uinea wurde eine uns hier interessireude Ab-
ildung von Clercq veröffentlicht Dieselbe be-
findet sich auf einer mit Zickzacklinien be-
malten Thür von gelbbraunem Holze und stellt
K'ne schwangere Frau vor, bei welcher viel-
icht die Entbindung nahe bevorsteht. (Fig.
)0.) Die Frau mit einem unförmlichen Kopfe
[id einem Rumpfe, der aus einem Oval ge-
ijildet wird, sitzt aufrecht da mit weit ge-
spreizten und in den Knieen gebeugten Beinen.
Die Arme mit gespreizten Fingern sind er-
hoben; die mit Haaren besetzte Vulva ist
deutlich markirt* Im Inneren ihres Leibes be-
merkt man einen auf der Schmalseite stehen-
den rechteckigen Raum, dessen oberer Schmal-
seite eine Art von mützentornngem Anhang
au%esetzt ist Dieses obere Ende reicht der
Frau bis hoch in die Herzgrube hinauf. Es
it der weit ausgedehnte Uterus; denn in ihm
blickt man den Embryo* Dieser «treckt die
Beine nach oben, während der Kopf nach
ten gerichtet ist Er beftndet sich also in
ädellage, und das ist gewiss ein Beweis, dass diese Art, das Licht der Welt zu
erblicken, auch bei den Papuas von Neu-Guinea die gewöhnliche ist Uebrigens
streckt der Embryo auch beide Arme aus und er ist ganz unverkennbar als ein
Knabe gekennzeichnet worden. Sogar auch von dem Nabelstrang ist eine An-
>utung gegeben worden, und der mUtzenförmige Aufeatz soU wahrscheinlich *\^n
'utterkuchen vorstellen.
ist die Behauptung aufgestellt worden, dass gewisse eigenthümlicue
^_^_^ der Leichenbestattung ihre Ursache in der Auffassung hätten, dass der
erstorbene der Mutter Erde zurückzugeben sei in derselben Stellung, die er im
eiKe seiner Mutter eingenonimen habe. Ob das aber richtii^ ist, muss doch sehr
[!m
^WH.
'fCtM
Fig. 3(i>. Bfimalt« Thür aas K e a • i J u 1 u •
die Lag« des Kii^dci im UuUeiicib« dar
tUllend. (Ana d!# C/^^vy.)
(572 XX VII. Normale und abnorme Schwangerschaft
dakiugestellt bleiben. Man hat die Beisetzung der Leichen bei den Basutlios
und bei den Peruanern in dieser Weise zu deuten versucht, und man münte
dann natürlich auch daraus den Schluss ziehen, dass diese Völker bereits eine
deutliche Vorstellung von der Lage der Frucht in der Oebärmutter beBfissen.
Bei den Wanjamuesi in Afrika griebt nach Ileiehard
eine abnorme Kindeslage die Veranlassung zu einer Namen-
gebung, z. B. Kasinde, die mit den Füssen zuerst Geborene.
Die Orang Belendas in Malacca bezeichnen ein Kind,
das in der Schädellage geboren wurde, nach Stevens mit BeMi
während sie ein Kind, das mit den Füssen zuerst kommt,
Jimyong nennen. {Bartels'^.)
So etwas war auch früher schon gebriuchlich und
Fit?. :$01. Embryo von FlhlhlS Sagt:
L^kbr"ett^er rVi'^.e- ^^^^ ^®^ ^®'" ^^^^""^ ^^® ^^^^ ^^^^ kommen, iit gegen die
way-Indiaiier. Natur, und daher hat man solche Kinder Agrippen d. h. Schwer-
(Nach Schooicraß.) geborene genannt. Auf diese Weise soll Marcus Ägrippa cor Welt
gekommen sein u. s. w/
Dass die Embryonen sich im Leibe bewegen können, ist durch das Eran-
gelium von der Begegnung der Maria und der Elisabeth allgemein bekannt. Die
Weiber der Annamiten fühlen diese Bewegungen gegen das Ende des dritten
Monats, häufiger aber erst noch im yierten Monat. Dann kündigen sie dies sofort
allen Nachbarinnen mit grösster Befriedigung an, indem sie bei jeder Bewegung
des Fötus sagen: „er amüsirt sich, indem er sich schaukelt.*^
ISl. Der Christus-Embryo in der bildenden Kunst.
Der reale Sinn unserer Altvorderen, denen es in ihren künstlerischen Dar-
stellungen darauf ankam, auch ft\r die Einfältigsten unter ihren Beschauern eine
nicht misszuverstehende Deutlichkeit darzubieten, hat sich auch die redlichste
Mühe gegeben, dem gläubigen Volke das höchste Mysterium, die Menschwerdung
des Gottessohnes, vor Augen zu ftihren. Dass die Jimgfrau Maria empfangen
hatte, dass sie schwanger war und dass sie in der Christnacht den Erlöser gebar,
das lehren verschiedene Stellen des Evangeliums. Wie das Alles geschehen ist,
darüber sind von den Theologen viele gelehrte Abhandlungen geschrieben, auf die
ich hier nicht näher eingehen kann. Es konnte aber weder bei Clerikem, noch
auch bei Laien darüber irgend ein Zweifel bestehen, dass Christus wirklich im
Leibe der gebenedeiten Jungfrau ein Leben als Embryo durchgemacht hat, und
somit musste er also auch in den Uterus der Gottesmutter in irgend einer Form
hineingelangt sein. Nur über die Art und Weise, und wann das geschehen, ent-
brannte der gelehrte Streit, in dessen Controversen wir nicht einzudringen brauchen.
Für unsere kulturhistorische Betrachtung ist es genügend, zu untersuchen, wie
sich die Künstler der früheren Jahrhunderte mit diesem schwierigen Gegenstande
abgefunden haben. Ihre Kunstwerke sollten ja nicht allein nur die Seele erbauen,
sondern sie sollten den Analphabeten zugleich auch als eine Bilderschrift, gleich-
sam als eine gemalte Predigt dienen.
In einigen sehr frühen Kunstwerken scheint es den Meistern allerdings
schon genügend gewesen zu sein, allein den das Heil verkündenden Engel vor
der tfungfrau Marin knieen zu lassen. So erledigt er sich der göttlichen Botschaft,
ohne dass der Ilinnnel dabei mit vorgeführt wird.
Diese ohne allen Zweifel bei Weitem edelste und geistigste Auflassung der
Scene war aber für den kindlichen Sinn der Gläubigen nicht hinreichend ver-
ständlich. Man musste es den Beschauern vor Augen führen, wie Gott selber
bei diesem Wunder betheiligt war. So wird dann Gott Vater, gewöhnlich als
Brustbild, aus einer Oeifnung des Himmels herausblickend, an die oberste Ab-
674 XXVn. Normale und abnorme SchwaDgenchaft.
tbeiluug des Kunstwerkes gesetzt, und nun vermögen wir auch hierbei wiederum
eine ganze Stufenleiter von dem Geistigen zum R^Ien zu verfolgen, ja beinahe
bis zum grob Sinnlichen hin.
Unterhalb der segnend ausgebreiteten Hände Oott Vaters erscheint nicht
selten auch noch der heilige Geist unter dem Bilde einer schwebenden, weissen
Taube. Um nun das Mysterium in sichtbarer Gestalt dem Beschauer vor Augen
zu fähren, fiigen viele Künstler goldene Strahlen hinzu, welche sich von dem
Körper Gott Vaters auf die knieende Maria niedersenken. In dem einen oder
anderen Kunstwerke nehmen diese Strahlen auch die Gestalt von goldenen Tropfen
an. Es besteht somit wohl kaum ein Zweifel, dass die Künstler hier den gött-
lichen Samen haben darstellen wollen.
Die höchste Stufe der Realität treffen wir auf einigen Kunstwerken an,
welche uns in verschiedenen Theilen Europas erhalten worden sind. Hier wird
der Jungfrau Maria der Gottessohn bereits als kleiner Embryo übermittelt. Auf
einem Oelgemälde der Kölner Schule, welches einem unbekannten Meister nm
das Jahr 1400 entstammt und das sich jetzt in dem erzbischöflichen Museum in
Utrecht befindet (Fig. 302), kniet der Erzengel mit einem Spruchbande in der
Hand vor der Maria. Diese sitzt vor einer geöffneten Truhe und hält ein auf-
geschlagenes Gebetbuch in den Händen, von dem sie aufblickt, um den Eng^el zu
betrachten. Von oben her senkt sich ein Strahlenbündel auf sie hernieder, das
in ihrem Heiligenscheine endet. In dem letzteren befindet sich die Taube, deren
Kopf ebenfalls ein Heiligenschein umschliesst. Sie fliegt mit dem Schnabel voima
nach abwärts und berührt mit demselben den Scheitel der Maria, Etwas höher
in dem Strahlenbündel erkennt man den kleinen, embryonalen Christus. Mit dem
Kopfe voran gleitet er in dem Strahlenbündel zu seiner Mutter hinunter; dieses
bietet ihm abo die übernatürliche Strasse, ganz in der gleichen Weise, wie wir
in den Gesängen des Homer die Götterbotin Iris auf dem Regenbogen zur Erde
hinabgleiten sehen. Der GÄm^M^-Embryo ist hier merkwürdiger Weise mit einem
Flügelpaare dargestellt; sein Köpfchen umgiebt ein Heiligenschein, die linke Hand
streckt er segnend seiner Mutter entgegen. Er ist vollständig unbekleidet. In
dem obersten Theile des Bildes halten zwei Engelgestalten einen horizontalen Quer-
balken gegen das Strahlenbündel, so dass auf die Weise eine sinnige Anspielung
auf das Kreuz und den Kreuzestod hervorgerufen wird.
Die Münchener alte Pinakothek besitzt eine Verkündigung aus dem
Ende des 15. Jahrhunderts, welche dem anonymen Meister der Lyversbergschen
Passion zugeschrieben wird. In dem oberen Theile desselben erscheint, umgeben
von 13 Engelsköpfen, Gott Vater mit hocherhobenen Händen, als ob er selber
über sein herrliches Wunder in das grösste Erstaunen geriethe. Unten sehen wir
den Erzengel Raphael und die Jungfrau Maria, an deren Heiligenschein heran mit
erhobenem Kopfe die Taube des heiligen Geistes schwebt. Zwischen Gott Vater
und der Taube ist in den Goldgrund des Gemäldes ein System von Strahlen ein-
gerissen, welche gegen die Madonna gerichtet sind. Auf ihnen schwebt der
nackte Christus-'EmhTyo hernieder, mit dem Kopfe voran, die Beine leicht in den
Knieen und in der Hüfte gebeugt. Er führt bereits sein Kreuz mit sich, das
man ebenfalls als embryonal bezeichnen könnte, denn es ist in seiner Grösse dem
kleinen Christ us-Fig^vchen angepasst. Dieses hat das kleine Kreuz wie ein G(e*
wehr über die Schulter genommen.
In dem Kreuzgange des Domes von Brixen im Eisackthale in Süd-
Tyrol findet sich ein Freskogemälde, das wahrscheinlich aus dem 15. Jahrhundert
stammt. Dasselbe behandelt ebenfalls unseren Gegenstand. Wieder sehen wir die
Taube dicht an dem Haupte der Maria. Gott Vater blickt aus der mandel-
förmigen Glorie. Er streckt seine Hände aus derselben heraus und entlässt aus
ihnen gerade eine kleine langgestreckte Wolke, welche den Christus-Embryo um-
hüllt. Der kleine Christus erscheint wieder unbekleidet, mit lang ausgestreckten
676 XXVII. Normale und abnorme Schwangerschaft.
Beinen und nach abwärts gerichtetem Kopfe, welchen der Heiligenschein unigiebt.
Die Hände sind wie zum Gebet erhoben. Zwischen seinem Kopfe und dem
Schwänze der Taube sieht man eine Anzalü unterbrochener Strahlen. Vielleicht
hat der Maler hiermit, wie schon oben gesagt, die Tropfen des göttlichen Samens
zur Anschauung bringen wollen.
Eine plastische Darstellung in dem Giebelfelde eines der Portale von der
Marienkapelle in Würzburg bietet eine noch originellere Darstellung. Ich
gebe sie in t'ig. 303 wieder. Die Kapelle wurde in den Jahren 1377 bis 1441
erbaut, und innerhalb dieses Zeitraumes haben wir auch die Herstellusg dieses
Keliefs anzunehmen. Gott Vater sitzt auf seinem Throne von der mandelformigeu
Gloria umgeben. In der linken Hand hat er die Weltkugel, während er mit der
Rechten sich einen Schlauch an seinen Mund hält. Dieser Schlauch hat einen
wechselnden Durchmesser und er verläuft in leichten Windungen nach unten
herab bis zu dem Hinterhaupte der Jungfrau Maria, welche unten vor dem Ter-
kündenden Erzengel kniet. Das untere Ende des Schlauches, das den Kopf der
Maria berührt, läuft in die Figur einer Taube aus, die den Schnabel an das
Ohr der Maria legt. Auf dem Schlauche gleitet, mit dem Kopfe voran, ein
kleiner ChristHS-Emhryo zu der Gottesmutter hernieder. Origineller Weise ist der-
selbe mit einem Kittel und mit Hosen bekleidet dargestellt. Hier hat der Rea-
lismus, wie wir zugeben müssen, seinen vollen Höhepunkt erreicht
Dass die Künstler auch die Schwangerschaft der Maria, von welcher die
Evangelien sprechen, zum Gegenstande ihrer Darstellungen gemacht haben, das
haben wir in dem Abschnitt gesehen, der die Schwangere in der bildenden Kunst
behandelt. Haben sie sich im Allgemeinen damit begnügt, die Vergrösserung des
Unterleibes anzudeuten, so sind doch einzelne Künstler auch hier noch um ein
erhebliches Maass weitergegangen. Ich verdanke Herrn Geheimen R^erungsrath
Friedcii8hur<i die interessante Mittheilung, dass es mittelalterliche Madonnen-
statuen giebt, welche das Jesuslcind im Mutterleibe zeigen. An der betreffenden
Stelle des Körpers ist dann die Gewandung durch ein kleines Glasfenster ersetzt.
Eine solche Statue aus dem 15. Jahrhundert, welche einer Kirche in Görlitz ent-
stammte, soll Professor von Saürt besessen haben. Mir selber ist bisher zu meinem
Bedauern ein solches Muttergottesstandbild noch nicht zu Gesicht gekommen.
Aber eine ganz ähnliche Auffassung findet sich auf einem Gemälde, das ein
Meister der Kölner Schule um das Jahr 1400 gemalt hat. Es befindet sich in
dem erzbischöflichen Museum in Utrecht (Fig. 304). Hier finden wir ebenfialk
den Christus 'Emhryo in dem schwangeren Leibe der Madc^nna dargestellt; im
Uebrigen i.st die Letztere völlig bekleidet. Der Gegenstand, welchen das Bild
uns vorführt, ist die sogenannte Visitazione, die Begegnung der Maria mit der
Klisahcth, und in ganz ähnlicher Weise, wie bei der ersteren den kleinen Christus^
>ieht man auch den embryonalen Johannes in dem Leibe seiner Mutter. Bei
})eiden Frauen erscheint der Embryo hi einem Ausschnitte ihres Gewandes, der
die Form einer mandelförmigen Gloria besitzt.
Wir dürfen in dieser Vorstelhing der beiden heiligen Embryonen im Mutter-
leibe nun aber nicht etwa einen untrüglichen Ausdruck und Beleg f&r die An-
schauung finden wollen, wie sich damals die gebildeten Laienkreise die Lage des
Fötus im Uterus vorstellten. Noch viel weniger können wir aber eine wissen-
schaftliche Abbildung, dem Zeitgeiste entsprechend, darin vermuthen. Weder die
Kenntnisse der Gelehrten, noch auch die Anschauungen der Gebildeten haben auf
den Künstler Einfluss gehabt. Sicherlicli liat er vielmehr gar nichts Anderes in
Absicht gehabt, als den Worten der heiligen Evangelien durch seinen Pinsel
Formen zu verleihen. Wir werden ihm die Anerkennung nicht versagen können,
dass dieses ilini auch glücklich gelungen ist, und wenn wir die Embironen ge-
nauer })etrachten, so finden wir einen kindlich naiven Zug, der ohne Zweifel auf
die Gemüther der Gläubigen seine ergreifende Wirkung nicht verfehlt hab«"
678 XXVII. Normale und abnorme Schwangerachaft.
Wir sehen den kleinen Christas '"Emhijo im schwangeren Leibe seiner
Mutter sitzend, das Antlitz der Elisabeth zugekehrt. Die Hände hat er, wie
betend, gegen das Kinn erhoben, vielleicht soll es auch eine Stellang des S^^ens
bedeuten. Damit man seine Heiligkeit nicht verkennt, ziert ihn auch im Uterus
ein Heiligenschein.
Das Verhalten des embryonalen Johannes ist ein anderes. Knieend sehen
wir ihn im Profil gegen den Messias hin gewendet. Beide Hände hat er im
Gebete erhoben, und auch er ist mit dem Heiligenscheine geziert. Selbst schon
im Mutterleibe bringt also der heilige Johannes dem Erlöser der Menschheit seine
Huldigung dar. Das ist der Gedanke, den der fromme Künstler ausdrücken wollte.
Diese eigenthümliche Gruppe von Werken der bildenden Kunst lässt uns
nun freilich, wie schon gesagt, keine naturwissenschaftlichen Darstellungen er-
kennen, wie sie dem medicinischen Wissen der damaligen Zeit entsprochen hatten.
Es hat auch den Künstlern sicherlich ferne gelegen, so etwas mit ihren Werken
prätendiren zu wollen. Die hier vorgeführten Erörterungen, welche von der
Empfangniss des Menschen und von dem Verhalten des Embryo im Matterleibe
handeln, haben nun aber auch nicht ausschliesslich den Zweck, streng wissen-
schaftliche Standpunkte vorzuführen. Auch die volksthümlichen Anschauungen
müssen hier ihre volle Berücksichtigung finden. Denn das vorliegende Werk ist
bestimmt, ein umgrenztes Stück Kulturgeschichte darzubieten. Dazu gehört es
aber, dass je nach den verschiedenen Zeitperioden und Ländern, das neben einander
gestellt wird, was die Wissenschaft lehrt, und das was im Volke als Dogma gilt,
und somit wäre es nicht berechtigt gewesen, diese Auffassungen der Künstler mit
Stillschweigen zu übergehen, die sicherlich auf eine sehr grosse Zahl der Gläubigen
ihre befruchtende Wirkung ausgeübt haben.
1S2. Die Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter.
Bei einigen Völkern finden wir mehr oder weniger deutliche Spuren davon,
dass ihnen das Vorkommen einer Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter
bekannt geworden ist. So scheint iSwsrM^a an einer Stelle des Ayurvedas, wenn
auch nur undeutlich, auf eine solche Schwangerschaft hinzuweisen:
.Das von Vayu beunruhigte und zum Leben gekommene Samenblut bl&ht den Leib
auf. Dieses wird dann bisweilen durch seinen eigenen Gang in Ruhe gebracht und auf dem
Wege der Speisen fortgeschaflft; bisweilen aber stirbt es ab und man nennt es dann Nago-
dara (Brustharnisch). In diesem Falle verfährt man wie beim todten Fötus.*
VuUers glaubt, dass hier von zwei Ausgängen der Extrauterinschwanger-
schaften die Rede ist; einmal handelt es sich um die Auflosung der Frucht und
deren stückweise Entleerung nach Aussen oder in den Mastdarm oder in die
Blase. Mit dem Brustharnisch ist^ wie ich früher schon sagte, wahrscheinlich
ein Lithopaedion gemeint.
Die Rabbiner des Talmud nannten «Jotze Dofan*^ ein Kind, welches
aus der Bauchseite der Mutter heraustritt. Ein Jotze Dofan kann nach ihrer
Ansicht lebend geboren werden; sie behaupteten, dass sowohl das Kind als auch
die Mutter in solchem Falle mit dem Leben davon kämen. (Israels.) Sie nannten
aber auch Jotze Dofan ein durch den Schnitt aus dem Leibe der Mutter ge-
schnittenes Kind.
Bei Soranus findet sich ein Kapitel, in welchem vielleicht von einer Ex-
trauterinschwangerschaft die Rede ist: „Wie erkennt man die, welche am Magen
empfangen haben (Bauchschwangerschaft?), ob sie nach der Art der Pica oder
nach dem vorliegenden Zustande leiden?*^ Doch ist das Kapitel so corrumpirt,
dass ein bestimmter Sinn nicht herauszufinden ist. {Emierins.)
Der <2kr2khishe Arzt Äbulkasem flihrt in einem Kapitel ,de extractione
foetus mortui*" die Beobachtung einer Extrauterinschwangerschaft au^ wo er
188. Falficbe Scbwangencbaften.
679
einen in der Nabelgegend der Mutter sich öffnenden Abscess Knochen des
?6tufi entfernte.
Eine abaonderliche Form von Schwangerschaft ausserhalb der Gebärmutter
treffen wir bei den Buddhisten an* Ihre Legende sagt, dass der Knabe Buddha
durch die rechte Seite oder die Achselhöhle seiner Mutter geboren worden sei.
[Koeppen,)
Hier konnte ich die Geburt der Athene aus dem Haupte des Zeus und
andere merkwürdige Dinge anfügen, aber das führte uns zu weit
Unsere Kenntniss von der Extrauterinschwangerschaft und ihren verschiedenen
Formen hat in dem letzten Jahrzehnt durch die ausserordentlichen Vervollkomm-
nungen der operativen Chirurgie sehr erhebliche Fortschritte gemacht^ und viele
Frauen sind gerettet worden, welche sonst an diesen durchaus nicht seltenen
Processen in elender Weise zu Grunde gegangen wären. Die grosse Gefahr,
welcher dieser abnorme Zustand för die Schwangere mit sich bringt, liegt darin,
daas die Fruchtblase leicht im Leibe platzen und hierdurch zu einer tödtlichen
Blutung, oder zu einer Bauch feilen tziindung und durch Zersetzung des Embryo
|U schweren septischen Processen führen kann^ wodurch entweder schon nach
öhr kurzer Zeit oder nach sehr langem, quälendem Siechthum der Tod erfolgt.
Ich kann dieses Thema hier nicht weiter verfolgen; es gehört in die Pathologie,
183. Falsche Schwangerschafteit.
nsere Besprechung der anatomischen VerhiLltnisse der Schwangerschaft
möchte ich nicht absehliessen, ohne noch mit wenigen Worten gewisser krank-
hafter Zustände zu gedenken, welche im Stande sind, für Andere oder sogar auch
r die von ihnen betroffene Frau selber die irrthümliche Vermuthung wach zu
fen, dass eine Schwangerschaft vorhanden sei. Es gehören hierher in erster
änie gewisse Arten von Geschwülsten des Unterleibes, Blasen würraer der Leber
und des grossen Netzes, Gebärmuttertumoren und namentlich aber Cysten-Bildungen
der Eierstöcke, die sogenannte Eierstockswassersucht. Da dieselben gar nicht selten
^jinverheirathete und oft sogar noch recht jagendliche Individuen befallen, und da
^^Besen ihr allmähüch dicker und dicker werdender Leib, wenn sie bekleidet sind,
^Hn bestreitbar das Aussehen einer Schwangeren giebt, so haben die armen Mädchen
^Btisser unter ihrer Krankheit gar häutig auch noch unter mancher spöttischen
^Rnd unliebsamen Bemerkung zu leiden.
^^ Die höheren Grade dieser unglücklichen Aifection laaaen den Bauch zu ganz
unglaublichen Dimensionen sich ausdehnen (Fig. 305), und nicht mit Unrecht hat
man gesagt, dass schliesslich der gesamrate Körper wie ein Anhängsel des Bauches
erscheine.
Gewisse Formen der freien Bauchwassersucht, welche den Leib ebenfalls
I ähnlich wie in der Schwangerschaft, auszudehnen vermögen, werden dennoch selten
kl Verwechselungen Veranlassung geben, weil sie fast ausschliesslich bei älteren
Personen sich finden, deren allgemeine Erscheinung keinerlei Zweifel über die
ichwere ihres Leidens aufkommen lässt.
Eine Affection, welche nicht nur die Umgebung der Frau, sondern auch
diese selbst irre zu führen vermag, ist zum Glück nicht sehr häufig: sie hat aber
nichtsdestoweniger in den früheren Jahrhunderten eine ganz hervorragende Rolle
gespielt. Es ist das die »falsche Schwängerung*, welche zu der Entstehung
der Mondkälber führt. Der Name Mondkalb» auch Mondkind, ungestaltet Fleisch,
L^ose Bürde genannt, stammt daher, dass man sich einbildete, dass der Mond eine
Hpnz direct^ Einwirkung auf die Entstehung dieser Dinge habe. Im Latei-
nischen heissen sie Mola, was angeblich von der durch sie verursachten Beschwerde
(molesl herkam tuen soll. Man hat hier zweierlei Zustände zusammengeworfen.
680
XXVII. Normale und abnorme SchwangerMhaft.
einerseits wahre Monstrositäten, die zu der Ghmppe der kopflosoi Missgeboiten
gehören, und andererseits krankhaft entartete Eier, welche aach als aogenaimte
Fleischmolen beschrieben worden sind. Die in dem üteras festgewachsenen Mond-
kalber, Ton denen bei einigen Schriftstellern die Bede ist, sind besonders grosse,
breit aufsitzende Gebärmutter-Polypen gewesen.
Plinius sagt:
^Das einzige GeschOpf, welches einen monatlichen Biotabgang hat, ifi das Weib:
daher kommen nur in ihrer Gebärmutter die sogenannten Mondkftlber vor. Dies ist ein im-
förmliches Stück Fleisch, ohne Leben, das dem Stiche und Schnitte des Eiwas widersteht.
Es bewegt sich und hemmt den Monatsfloss, gleich wie eine Leibesfrncht; bisweilen wird es
den Weibern tödtlich, bisweilen behalten sie es bis in ihr Alter, oder es geht bei schneUer
Eröffnung des Leibes ab/
Bei Mauriceau heisst es:
«Ein Mondkalb aber ist nichts anderes, als ein Fleisch-Klumpen, ohne Beine, ohne Grelenk
und ohne Unterschied der Gliedmaassen. Das hat keine Gestalt, noch ordentliche and aus-
gemachte Büdnns, und wird wider die Natur, in
der Beer -Mutter, nach dem Beischlaff von des
Manns und Weibs verdorbenen Samen gesenget.
Jedoch giebt es je zu Zeiten einige, die einen An-
fang einer entworffenen Gestalt haben. Gewiss
ist, dass die Weiber diese Grewftchse nicht zeugen,
sie haben denn beygeschlaffen, und werden so wol
beede Samen dazu erfordert, als zu einer rechten
Zeugung.*
,Die Mondk&lber erzeugen sich gemeiniglich,
wenn einer von den Samen, sowohl der von dem
Mann, als der von dem Weib, oder alle beede zu-
gleich schwach und verdorben sind, da die Beer-
Mutter sich nicht bemühet, um eine wahre Zeu-
gung, als vermittelst der Geister, deren die Samen
aller voll seyn müssen, aber um so viel desto
leichter, je mehr das wenige, das sich da befindet,
ausgeloschen, und gleichsam ersteckt und ertr&nkt
ist von der Menge grobes verdorbenen Monat-
Bluts, das da manchmal, bald nach der Empfbg-
nus zufleust, und der Natur nicht der Weil iSsst,
dasjenige, so sie mit grosser MQhe hat ange-
fangen, auszumachen, und indem sie also ihr Werck,
dasselbe alles durch einander und in eine Unord-
nung werffend, verwirret, so wird aus dem Samen
und diesem GeblQt ein rechter ungeschaffener
Klumpen, das wir ein Mondkalb nennen, und sich gemeiniglich anderswo nicht erzeuget, aU
nur in der Frauen ihrer Beer-Mutter, und sich nimmermehr oder doch gar selten, in allen
andern Thiere Beer-Mutter, weil diese keine Monat-Zeit haben, wie jene finden l&sset.*
Die Anzeichen, woran die Schwangerschaft mit einem solchen Mondkalbe za
erkennen sei, die Unterschiede, welche seine Bewegungen von denen eines wirk-
lichen Fötus darbieten, die medicamentösen imd die operativen Mittel, welche
nothwendig sind, um die Frau von dieser Mola zu befreien, finden in den älteren
geburtshQlflichen Werken ihre ausführliche Erörterung; ich kann sie aber an
dieser Stelle mit Stillschweigen übergehen.
Noch eine dritte Gattung der scheinbaren Schwangerschaft muss ich aber
einer kurzen Betrachtung unterziehen. Sie ist es, welche dem Volksmunde zu dem
Spottverse die Veranlassung gegeben hat:
.und wenn sie denkt, sie hat ein Kind,
Dann hat sie den ganzen Bauch voll Wind.*
Ein allgemein anerkannter deutscher Name existirt f&r diesen Zustaad
hi\ die Franzosen nennen ihn grosses se nerveuse, die Englfinder flufc
Fig. ;x»r>.
Siamesin mit Eierstockswassersacht.
vNach Photographie.)
183. Falsche Schwangerschaften. 681
weniger trefifender Bezeichnung spuriouspregnancy. Es handelt sich hierbei
um die volle, aber irrige Ueberzeugung von Seiten der Frau, dass sie schwanger
sei, und sie empfindet nach und nach wirklich alle subjectiven Erscheinungen der
Gravidität.
Von diesen Zustanden sagt Schroeder:
, Dieselben kommen ebenso hftofig vor bald nach der Heirath, als im Beginn des
klimakterischen Alters, am häufigsten, aber doch nicht ausschliesslich, bei verheiratheten
Frauen, besonders solchen, die sich dringend Kinder wünschen. Dabei schwillt das Abdomen
in Folge von Tympanitis und Fettablagerung in den Bauchdecken und im Netz oft zu einer
beträchtlichen Ausdehnung an, Linea alba und Warzenhof färben sich bräunlich, die Brust-
drüsen schwellen stark an und entleeren Colostrum. Ausserdem glauben die Frauen deutliche,
mitunter sogar häufige und lästige Fruchtbewegungen zu spüren; ja am berechneten Ende
der Schwangerschaft legen sie sich wohl ins Bett und klagen Über heftige Wehen.**
Wenn nun auch Schroeder sich dahin äussert, dass diese Fälle mehr „psycho-
logisch interessant als diagnostisch schwierig" sind, so giebt er doch selber zu,
dass nicht selten die sichere Entscheidung nur in der Ghloroformnarkose getroffen
werden kann, und die Erfahrung hat gelehrt, dass hier bisweilen sogar berühmte
Geburtshelfer sich haben irreführen lassen. Was für deprimirende Empfindungen,
wieviel getäuschte Hoffnungen mit der Erkenntniss dieser Grossesse nerveuse
für die arme Frau und ihre Umgebung verbunden sind, das bedarf wohl keiner
weiteren Auseinandersetzung. Wenn übrigens die Frauen die Ueberzeugung
erlangt haben, dass sie nicht schwanger waren, dann verschwinden alle die vorher
beschriebenen Symptome der Schwangerschaft sehr schnell) ohne ein weiteres
Zuthun des Arztes.
XXVin. Das sociale Verhalten während der
Schwangerschaft.
184. Ceremonien und religiöse Gebräuehe bei dem Eintreten der
Schwangerschaft.
Der Eintritt der Schwangerschaft giebt nicht wenigen Nationen die Ver-
anlassung, der Gottheit in religiösen Geföhlen den Dank za sagen und durch eine
besondere Weihung die in gesegneten Umstanden befindliche Frau, sowie das
keimende junge Leben, dem ferneren Schutze der Gottheit zu empfehlen. In diesem
Gebahren tritt schon, wie man zugeben wird, ein ziemlicher Grad Ton Gesittung
zu Tage.
Wenn in dem alten Mexiko sich bei einer jungen Ehefrau die ersten An-
zeichen einer Schwangerschaft fanden, so wurde das mit einem Feste gefeiert und
die dabei üblichen Reden warnten sie, das ihr bevorstehende Glück ihrem eigenen
Verdienste zuzuschreiben und sich nicht zum Stolze hinreissen zu lassen, denn
nur Gottes Gnade sei es, der sie es zu verdanken habe. Bei einem spateren Feste
wurde ihr unter ähnlichen Reden eine Hebamme bestellt, von der sie gebadet
wurde und mancherlei Rathschläge erhielt. (Waitz.)
Auch bei den alten Juden wurde während der Schwangerschaft ftir das
Kind gebetet, und es waren von den Talmudisten für die verschiedenen Perioden
der Schwangerschaft besondere Gebetformeln vorgeschrieben. Dieselben wurden
früher schon angeföhrt.
Die Griechinnen feierten in der Schwangerschaft Feste zu Ehren der
Aphrodite Genetyllis^ um eine glückliclie Entbindung zu erbitten. Ein Gebrauch
der heutigen Griechinnen zu dem gleichen Zwecke wurde schon erwähnt, nämlich
das Herabrutschen am Nymphenhügel bei Athen. Auch existirt bei ihnen die
Gewohnheit, am Ende der Schwangerschaft einen Hahn zu opfern. Manche
glauben, dass dieses zu dem Hahnopfer in Beziehung steht, welches in dem alten
Griechenland dem AsJUepios dargebracht wurde. {Wachsmuth,)
Die Römerinnen brachten zwei göttlichen Schwestern Opfer dar, der
Porrima oder Frosa und der Postverta. Die Erstere konnte es bewirken, dass
das Kind bei der Niederkunft in richtiger Weise und nicht verkehrt sich zur G^
burt einstelle, und die Letzte sorgte dafür, dess wenn doch unglücklicher Weise
das Kind solche verkehrte Lage angenommen hatte, dass dann doch noch die
Entbindung zu einem glücklichen Ende gelangte. Sie hatten nach Varro einen
gemeinsamen Altar in Rom. {Hederich.)
Von den Hindu in Madras berichtet schon Best im Jahre 1788, dass dort
die Männer bei der ersten Schwangerschaft ihrer Frauen ein Freudenfest sn Ter*
anstalten pflegten; im siebenten Monat bringt darauf die ganze Familia
Göttern Opfer dar.
184. Ceretnonien und religiöfi« Gebrilucbo bei dem Eintreten der SchwangerBcbaft. 5g3
Ist bei den Badagas im Nilgiri-Oebirge eise Frau im 7. Monat schwanger,
findet eine zweite Heirath als Confirination der ersten statt; Verwandte und
reimde versammeln sich; die Gäste sitzen an der einen Wand, die Qatten an der
anderen. Der Ehemann fragt seinen Schwiegervater: Soll ich diese Schnur um
den Hals eurer Tochter legen? Wird diese Frage bejaht, so wird die Schnur
umgebunden und nach wenigen Minuten wieder abgenommen. Vor dem Paare
stehen swei ScbOsseln, in welche die Verwandten Geldstücke ftir das Ehepaar legen;
alsdann findet ein Fest«chmaus statt, (Jagorj
Bei den Lamaiten in Tibet und der Mongolei ist es erlaubt dass Gebete
ftir die glückliche Entbindung der Schwangeren gehalten werden, aber es muss
dafür bezahlt werden. (Koeppen,)
Wir werden später sehen, daas in Japan die Schwangere einen Gürtel anlegt.
Das war früher mit zahlreichen Ceremouien verbunden, welche im vorigen Jahr-
hundert Kangawa in seinem Werke San-ron geschildert hat Miyake, der uns
mit dem Inhalte des Letzteren bekannt machte, imterlässt es aber leider, von
diesen Cereraonien genauer zu sprechen, da sie in den Palästen der Shiogune und
Daimios 8ehr verschieden sind nach Zeit ond Ort. In Japan verschlucken
hvvangere kurz vor ihrer Entbindung ein Stückchen Papier, auf welchem der
chutzpatron der Gebärenden abgebildet ist, in der Hoffnung, so einer leichteren
ntbindung entgegenzugehen.
Auf Java wird, wenn sich die Frau im dritten Monate der Gravidität be-
ndet, dies allen Verwandten und Freunden gemeldet und darauf werden ver-
hiedene Geschenke dargebracht. (NovaraJ Im siebenten Monate werden alle
Verwandten zu einem Festmahle geladen. Die Frau badet sich darauf in der
Milch einer unreifen Cocosnuss, welche der Ehemann geöflnet haben muss. Vor-
her werden auf der Schale derselben zwei schöne Figuren, eine männliche und
line weibliche, eingegraben, damit die Schwangere dieselbe betrachte und ein
' önes Kind zur Welt bringe. Sie zieht nun ein neues Kleid an und verschenkt
alte an eine ihrer Mitfrauen, welche ihr bei diesen Verrichtungen behülflich
'€8en ist Am Abend wird den Gästen ein Schattenspiel (Wayangspeel) ge-
geben, welches das Leben und die Abenteuer eines alten Helden zum Gegenstande
hat. (Maßes.)
Von der Ceremonie des Seildrehens der Alfuren auf Celebes bei etnge-
etener Schwangerschaft ist schon in einem früheren Abschnitte die Rede gewesen.
Fühlt sich auf den Seranglao- und Gorong -Inseln eine Frau schwanger,
dann muss sie ein Stück Gember zum Priester bringen, uju durch ihn geweiht
zu werden. Der Priester thut dieses, indem er sie dreimal anbläst und die 112. Sure
aus dem Koran betet. Den Gember bewahrt die Frau dauernd bei sich, um böse
^inflüsse abzuhalten; auch kaut sie Stückchen davon, und speit diese von sich,
uf Tanembar und Timoriao muss die Frau« wenn sie sich schwanger fühlt, ein
Opfer bringen und sich, wenn das nicht schon bei der Verheirathung geschehen
ist, die Zähne abfeilen lassen, Thut sie das nicht, dann wird sie verachtet als
eine^ die die mores majorum beschimpft. Auf den Inseln Komang, Dama,
Teun, Nila und Serua muss die Schwangere, sowie sie ihre Gravidität bemerkt,
ein Huhn schlachten und davon den Kopf, ein Stück von der Zunge und die
'eher an dem gewöhnlichen Opferplatze dem Upulero opfern; alle Monat muss
e dieses Opfer wiederholen. Auf den Keei-Inseln setzt man, wenn die ersten
nzeichen der Schwangerschaft sich bemerklich machen, die Blutsverwandten
avon in Kenntnisa, besondere Feste werden aber nicht gefeiert. [RiedeV,)
Tritt auf der Insel Rote die Frau in den 7. Monat der Schwangerschaft
so bringt nach Graaflami der Mann ein Opfer dar, welches aus einem rothen
in, einem HüMcbel Pisang, sieben Sirihfrüchten , einem Teller rohen Reis und
lit einem Zweige de^ Tuakbaumes besteht. Dies Opfer
nder Ki*kelat€ih\ um ihn zu bestimmen, tiass er der Frau
> verhelfe.
684 XXVIII. Das sociale Verhalten w&hrend der Schwangerschaft
Auf den Gilbert-Inseln lassen nach Parkinson schwangere Frauen ihr sonst
kahl abgeschorenes Kopfhaar wachsen und schneiden es erst wieder ab, wenn ihr
Kind ungefähr ein Jahr alt ist. Auch sonst haben sie, wie derselbe Autor be-
richtete, allerhand bemerkenswerthe Gebrauche:
Bei der ersten Schwangerschaft wird schon am Ende des zweiten Monats eine alte Fiao
gerufen, die später Hebammendienste verrichten soll. Diese lässt von den Hfilsen von ongefthr
50 Cocosnüssen eine Pjrramide errichten, in deren Spitze das Herzblatt einer Ccooipalme ein-
gesteckt wird. Die junge Frau setzt sich auf eine Matte daneben. Die Alte nimmt von einem
hierzu besonders bereiteten Brode aus geschabten Taroknollen und Gocosnnsskem ein nnge-
War einen Fuss langes, 2 Zoll breites und 1 Zoll dickes StQck, rollt es zwischen den H&nden
und berührt damit die junge Frau an verschiedenen Stellen des EOrpers. Dabei murmelt sie
ein Gebet an die Göttin der Schwangeren, Eihong, dass sie das Kind schOn und wohlgestaltet
mache, dass es, wenn es ein Knabe wird, sp&ter die Liebe und Zuneigung der jungen Mftdchen
gewinnen möge, und wenn es ein Mädchen wird, dass es eines reichen Mannes oder tapferen
Kriegers Liebe erringe. Dann bricht sie ein StQck von dem Gebäck ab, reicht es der jungen
Frau zum Essen, und den Rest verzehrt der Ehemann. Bis zum Morgen des vierten Tages
schläft die Alte mit der Schwangeren jede Nacht neben der Cocoshülsenpyramide. Jetzt
melden sich Adoptiveltern für das Kind, da es Sitte ist, dasselbe nach beendeter Säugezeit
anderen Eltern zu Qborgebon.
Am Ende des dritten Monats begiebt sich das Paar mit der Alten und allen Verwandten
an einen unbewohnten Ort. Speisen und Getränke werden unter einen Baum gestellt, welchen
der Adoptivvater des Mannes der Schwangeren mit dieser dreimal umgeht; darauf nehmen
Beide unter demselben Platz und werden von der alten Frau mit den besten Speisen versorgt.
Dann folgt ein allgemeines Gelage mit Tanz und Gesang. Am Schluss des vierten Monats
geht die Alte mit der Schwangeren und dem Adoptivvater von deren Mann zu einem Kreuz-
wege. Hier wird der jungen Frau ihre Bekleidung abgenommen und verbrannt. Der Schwieger-
vater hat jedoch eine neue Bekleidimg mitgebracht, die von der alten Frau um die Hüften
der jungen befestigt wird. Dabei wird ihr gesagt, dass sie von nun an zu den alten Frauen
gerechnet wird, dass sie mit dem alten Kleid auch ihre Kindheit abgelegt hat und von nun
an nur daran zu denken hat, wie sie ihrem Manne sich angenehm zeigen kann, und dass sie
vor allen Dingen demselben treu bleiben muss. Dann gehen sie nach Hause, wo die Yer-
wandtschafb sie schon zu einem Gelage erwartet.
In Afrika kommen ebenfalls bei manchen Völkerschaften charakteristische
Gebräuche vor: Hat bei den Massai in Ost-Afrika die Frau empfangen, so holt
der Mann einen grossen Topf mit Honig herbei, mischt andere Dinge hinzu und
rührt es um, bis die Masse ganz dünn ist; dann ruft er die Häuptlinge zusammen.
Mann und Weib setzen sich nieder, die Häuptlinge nehmen etwas von dem
Honig und spucken es über sie aus. Danach sprechen sie ein Gebet f&r das Wohl-
ergehen der Eltern und des zu erwartenden Kindes, und dann hält noch jeder eine
Rede, worauf der übrige Honig getrunken wird. (Last)
Die Irländer und die Skandinavier feierten bis vor Kurzem noch in
der Johannisnacht das Baalsfestj oder, wie es in Norwegen heisst, das
y,Balderf€st^\ indem sie in der Mitsommemacht auf den Anhohen ein Feuer an-
zündeten und dasselbe umtanzten. Hierbei lief man durch das Feuer, wenn man
einen besonderen Wunsch hegte; schwangere Frauen sah man hindurch gehen, um
eine glückliche Niederkunft zu erlangen. (Wild. Nilsofi.)
In Oesterreich ob der Enns kommt man am Falkenstein zu einer
Kapelle, in der sich angeblich der heilige Wolfgang verborgen hielt; hier befindet
sich ein Stein, durch welchen Schwangere kriechen, um glücklich entbunden zu
werden. (Panjser,) Solch ein Kriechen durch eine enge Oeffhung, oft unter
einem Altar hindurch, ist ein weit verbreiteter Brauch, um Segen oder Heilung
zu erlangen.
In Schwaben wallfahrten die Schwangeren zur heil. Margarethe mit dem
Drachen (z. B. nach Maria Schrei bei Pfullendorf), oder zum heiL Christo-
phorus (z. B. nach Laiz bei Sigmaringen), oder zu St.Bochus, in dessen KapeUflO
geweihte eiserne Kröten hängen als Symbole der Gebärmutter. (Bück.)
185. Die Abwehr biVaer Geister und D&monen während der Schwangerichaft. 685
1H5. Die Abwehr bÖser Geister und Datiioneu während der
8chwangerscbalt.
Der Glaube an die Macht der Dämonen tritt bei den meisten Naturvölkern
den verschiedensten Formen auf und er hat sich auch bei den civüisirten
fationen unter den minder gebildeten Klassen bis in unsere Tage erhalten. Die
(Gefahr und Noth, die Furcht, erzengt und erhält diesen Glauben; denn alles
chlinjme, welches dem Menscheu widerfährt, alle Krankheit und alles Ungemach
rird als von den Dämonen verursacht angesehen. Daher gilt es in Krankheits-
fjallcn, (iberhaupt hei allen abnormen Erscheinungen, die hosen Geister 7ai bannen
und zu beschwichtigen und ihren schadenbringenden Einfluss durch entsprechende
lilaassnabmen wirkungslos zu machen. Die hierzu in Anwendung gezogenen
IHittel sind ausserordentlich mannigfaltiger Natur. Amulete, Besprechungen und
iZaubermittel, aber auch Waftenlarm und Räucherungen spielen hierbei eine hervor-
[ragende Rolle.
Die Dämonologie gestaltete die Geister, welche sich um die Gebärende be-
lümmern, selir verschiedenartig. Nicht selten sind es Luftgeister, welche das Haus
der Schwangeren umgeben und sie unheilvoll bedrohen; dies ist z, B. bei den
Kalmücken, bei den Persern, aber auch bei einigen anderen Völkern der Fall.
Es existirt auf den Philippinen eine eigen thümliche Sage:
Man er^iUilt, der A»uang wäre ein Disag'a (Bewohner der ^wiechen Luxon und Hin-
tan ao befindlichen Inseln)« der mit dem Teufel einen Pact geschlosaen hat. Er betritt weder
iKirchen, noch andere heihge Orte. Unter
Ider Achse Igrnhe besitzt er eine Drüse voll
lOel. das ihm ermöglicht* Qherall hinsn-
[fliegen, wohin er will. Kr hat ferner Krallen
I tind eine unendlich lange Zunge von i^chwarzer
[Farhe, weich und ghinzend, Seine Haupt*
laufgftbe Vieateht durin, Schwangeren den
IFötui tinn dem Leibe zu reissen; die« ge-
ichieht^ indem er (mit der Zunge) den
»letzteren berührt. Hierdurch wird der Tod
|der Schwangeren veranla^^t^ «o dass der
istm^ig den Fötufl nun ruhig uufjtehren kann.
'Bin von den Tagalen Tictic genannter
Nachtvogel kündigt den Asunti^ an; wenn
Heuer singt, so weiss man, da^s lich dci
^^««m>i47 herumtreibt (OctaniaJ
Von den Dayaken auf Borneo
^sagt Hehl:
^Schwangere Frauen opfernden Djata
F(Wat0ergei9tern) und Panii klebe »balei
Ipanti* genannte Häubchen, welche entweder
f in einen Flusa versenkt oder in der NJihe
des Hauded in die Wipfel eines Baunioi gehüngt worden; denselben Zweck, böse Getgier Ton
dem Kj^rper der Schwangeren abzuhalten, versieht die hQttenartige «pasah kasgk&midk*,
in welcher den Hatitus Hühner geopfert werden/ (Fig. 306.)
Es heisst dann weiter: «Der Kammk ist ein tehr böswilliger Geist, dem die Gabe tn
fliegen eigen ist und der von schwangeren Frauen auf das Aenasemte gefürchtet wird, da er
Laich stets bcrtrebt, in den Körper derselben unsichtbar einzudringen und die Geburt des Kinder
^entweder zu erschweren oder ganz unmtSglich tu machen. Ihm wird in kleinen Häuschen in
IUhnlicher Weise wie den iJjat^ geopfert/
Nach Harddand sind die Kamiak oder Kanfjihamiak weibliche HanUttn^ welche während
d^ GebSi'ens gestorben Bind.
Ai» nitif*i iiriilorpTi Stplli* wird dann von Hein über die Hühneropfer berichtet, welche
von dM 'id werden oder von Andt?ren für diese. Das hat, wie er meint,
»m^fi% in : .-. -l^c> während des Gebtlrens sterbenden weiblichen iZönf ii^w
0m^i
^r>i "i
Fi;;, v^. l'Asali k in ^k siti i t k * Totiv-HEoscketi *li«r
Ol oh Nj^'ttdja aafllorneo, in denen Hiilinaropfftr «lÄr-
gcbrxkclii wenlt^D, axD die Scbvr&tisere vor den Dimonsn
Kamtkamimk icii «chütsen. (Kacb CrmS^unäy;^
o86 XXVIIL Das sociale Verhalten während der Schwaogonchaft.
:d böse Geister Kangkamiak oder Kamiak verwandelt werden, welche sameist in Gestalt
Hohnes in schwangere Frauen zu fahren suchen, um sie am Geb&ren sn hindern; aogar die
.Stimme eines solchen Kangkamiak fthnelt dem Geschrei einer Henne; Hühneropfer bringt man
daher auch den WassergOttem Djata, welche die Schwangeren vor den bösen Geistern be-
schützen und leicht gebären lassen.
Aber vollständig sicher scheint sich die.Dayakin doch trotzdem nicht za
fQhlen, denn nach t\ Kessel nimmt die junge Frau, sobald sie in gesegnetem Zu-
stande einmal das Haus verlässt, aus Furcht vor bösen Gteistem stets einen Talis-
man (Ejun oder Upuk) mit sich, d. i. ein Körbchen, das mit Blattern, Worzeln,
Holzstückchen, namentlich aber mit zahlreichen Scimeckenhausem behangen ist
Van HasseÜ berichtet aus Mittel- Sumatra:
„Manibang ist ein Djihin, der den schwangeren Frauen feindselig ist und in Leben g
Tindoeng genannt wird; er fährt in die Mutter, um das ungeborene Kind zn yenefaren.*
Bei den Alfuren in Limo lo Pahalaä im nordlichen Celebes moes die
Schwangere sich wohl hßten, mit flatternden Haaren umherzugehen. Wahrschein-
lich liegt diesem Verbote der Glaube zu Grunde, dass in diesen losen Haaren die
bösen Geister sich besonders leicht festsetzen können. In Böhmen und Mähren
muss die Schwangere ihre Haare sorgfaltig bedecken, weil sie sonst ein todtes
Kind zur Welt bringt. Wahrscheinlich ist auch f&r diese Anschauung ein ganz
ähnlicher Gedankengang die ursprtingliche Ursache gewesen.
Das schwangere Alfuren-Weib von Celebes darf nicht des Abends oder
wenn es regnet aus dem Hause gehen, damit nicht die Frucht durch den WäUuh
lati oder die an den dunkeln Plätzen anwesenden Teufel aufger^t oder gemiss-
handelt werde. (Riedel.)
Hieran erinnert ein Glaube der Wander-Zigeuner, dass eine Schwangere
ihre Leibesfrucht verliert, wenn sie bei Mondschein in das Freie geht. (v. Wlidocki.)
Nach Jacobs sieht die schwangere Frau in Bali in vielen sehr natürlichen
Dingen schlechte Vorzeichen für ihre Niederkunft.
„In ihren Gedanken bevölkert sie ihre Umgebung mit hunderten von Kala« (bOeen
Geistern), die es auf ihr und ihres Kindes Leben abgesehen haben und die ihre Schwänget^
Schaft erschweren wollen. Das Heulen eines Hundes, das Kr&chzen eines Vogels, das Arbeiten
eines Kraters u. s. w. jagt ihr Schrecken ein; ihre persönlichen Feinde, die Nachbarn, mit
denen sie auf nicht allzu freundlichem Fusse lebt, suchen sie auf alle Weise zu bezaubern,
um ihr Leben und das ihres Kindes in Gefahr zu bringen, imd in der Verzweiflung greift sie
zu einem der ihr bekannten Mittel, und opfert ihr neugeborenes Kind atff, um ihr eigenes
Loben zu retten.*^
Ganz ähnliche Ursachen sind es, welche auf den südöstlichen Inselgruppen
des malayischen Archipels das Ausgehen des Nachts und namentlich das
Passiren von Qräbem verbieten. Wenn die Schwangeren auf den Watubela-
Inseln bei Tage das Haus verlassen, so müssen sie stets ein Stück Eisen bei sich
führen, damit die bösen Geister nicht den Fötus quälen. Auch auf Ambon, den
U Hase- Inseln und auf Keisar und Nias dürfen die Schwangeren nur mit einem
Messer bewaffnet ausgehen. Ebenso müssen sie sich auf Serang durch allerhand
Mittel vor den bösen Geistern schützen.
Die Seranglao- Insulanerinnen tragen, abgesehen von dem bereits oben er-
wähnten Gember, nicht selten ein mit einem Koranspruche beschriebenes und in
Leinwand gewickeltes Stückchen Papier bei sich, um gegen die schädlichen Ein»
Wirkungen der bösen Geister gefeit zu sein.
Auf Nias bringen die Schwangeren dem Ädti Sawowo Opfer dar, um sich
vor Fehlgeburten zu schützen. Auch müssen sie stets mit einem Messer bewaffnet
gehen, um sich gegen die Bvchii matiana genannten Plagegeister zu vertheidigen.
Das sind die Seelen von Frauen, welche während der Entbindung gestorben sind
und welche sich nun bemühen, den Schwangeren die Leibesfirucht zu entreissen
und Abort bei ihnen zu verursachen. (Modigliani.)
Bei den Cambodjanern muss man sich wohl hüten, einen Oegaoil*
185. Die Abwehr bOser Geister und Dämonen während der Schwangerschaft. 6g7
Tamarindenholz in dem Hause eines yerbeiratheteu Mannes zu lassen, v^eil sonst
die Preaiy die Geister dieses Holzes, das Kind im Mutterleibe verschlingen und
in jeder Schwangerschaft einen Abortus herbeiführen würden. {Aymonier,)
Die Annamiten fürchten nach Landes ausserordentlich die Geister Con
Ranhj welche immer bestrebt sind, sich zu verkörpern. Zu diesem Zwecke suchen
sie sich den Körper eines Embryo im Mutterleibe aus. Wenn ihnen dieses aber
glücklich gelungen ist, so sind sie nicht im Stande, am Leben zu bleiben, sondern
die Mütter, in deren Leibe sie den gesuchten embryonalen Körper gefunden haben,
kommen mit einem todten Kinde nieder, und nun beginnt das Suchen der Con
Ranh von Neuem nach einem anderen Körper.
,Le d^mon, qui cause les morts pr^maturees, est appe16 par les Annamitos Me Con
üanh, la märe des Ranh. On pr^tend qu'on le voit dans les lieuz solitaires, sous la forme
d'une femme v§tue de blanc, pos^e sur les arbres, principalement sur le giii, et oceup^e ä
bercer ses enfants. C'ötait, dit-on, une femme qui perdit successivement cinq enfants et mourut
en couches du sixiäme.^
Ein abergläubischer Gebrauch, welcher wohl auch auf die Absicht, Dämonen
zu verscheuchen, hindeutet, besteht unter den Eingeborenen der australischen
Colonie Vi ctoria; dort sah Oberländer, wie ein Medicinmann an drei eingeborenen
Frauen, welche schwanger waren, eine sonderbare Geremonie vollzog: Sie standen
vor ihm und blickten ihm fest in die Augen. Darauf zog er sich murmelnd nach
einem Baumstumpfe zurück, schritt dann wieder auf die Frauen zu und blies auf
ihre Leiber. Dies alles sollte ohne Zweifel eine sichere und glückliche Entbindung
bewirken.
Wahrscheinlich haben wir in absonderlichen Gebräuchen in Afrika auch
eine Art von Dämonenaustreibung zu erblicken. Wenn an der Goldküste eine
Negerin zum ersten Male schwanger wird, so treibt man sie unter Kothwürfen
und Schimpfen in das Meer, wo sie untertauchen muss; nach Beendigung dieser
Geremonie lässt sie Jedermann unbehelligt, nur eine Fetischpriesterin macht mit
ihr allerhand Dinge, um sie nach dem Volksglauben vor der Einwirkung böser
Geister zu schützen. (Brodle Cruickshank.) Vornehme Frauen in Guinea werden
kurz vor ihrer Entbindung ganz nackend in zahlreicher Gesellschaft durch ihren
Ort geführt, wie Römer erzählt. Bosman bemerkt dasselbe, fügt aber hinzu, dass
sie auf diesem Wege von einer Anzahl junger Leute ebenfalls, wie an der Gold-
küste, mit Schmutz beworfen und dann am Seestrande gebadet werden. (Klemm.)
Nach Hutton weinen sie auf dem ganzen Wege.
Wenn bei den Ewe-Negern an der Sclavenküste eine Frau sich Mutter
liihlt, so bringt sie den Göttern ein Opfer und wird vom Priester mit einer Menge
von Zauberzeichen am Körper behängt.
Auch der Glaube an den helfenden Fetisch ist bei den Neger-Völkern
ein weitverbreiteter.
Bei den Malange tragen nach Liix schwangere Weiber stets eine kleine
Kalabasse (Kürbis), welche mit Erdnüssen und Palmöl gefüllt ist, bei sich, um
einer leichten Entbindung sicher zu sein. Bei den Negern, welche Buchner in
ihren Bräuchen beobachtete, spielte als Amulet das „Pemba* eine wichtige Rolle.
,Pemba ist ein feiner weisser, kaolinartiger Thon, der nicht überall zu finden ist und
deshalb oft weit hergeholt wird und einen Handelsartikel bildet. Seine Anwendung erinnert
vielfach an das Weihwasser der Katholiken, und der Ausdruck Pemba wird auch oft im Sinne
von Glück oder Segen gebraucht. Man sagt Pemba geben, indem man sich die angefeuchtete
Substanz gegenseitig auf die Arme oder auf die Brust streicht. Schwangere sowie Kranke
beschmieren sich häufig damit das ganze Gesicht.*
Bei den Negervölkern West-Afrikas behängt sich die Schwangere an
Hals, Arm und Fuss mit Zauberzeichen und Zauberschnüren, und sie bekommt
Ton einer Priesterin Manschetten aus Bast um Hände und Kniee gelegt, welche
ihr eine glüekliche Entbindung garantiren sollen.
688
XXVIII. Das sociale Verhalten w&hrend der Schwangendiaft.
AA/\AAAAAAAAAAA
WeoD eine eingeborene Frau in Algerien, nachdem sie schon eine schwere
Niederkunft erlitten hat, fürchtet, abermals einer solchen entgegenzugehen, so
tragt sie zur Erleichterung derselben während der Schwangerschaft in den Falten
ihres Haiks eine Mischung Ton Oel mit Asche von Eicheln (bellonth), oder sie
bindet sich auf den einen ihrer Schenkel einen Flintenstein auf, auch tragt sie
vielleicht noch auf ihrem rechten Schenkel ihren eigenen Haarkamm, auf welchem
die Worte aufgeschrieben sind:
, Derjenige, dessen Name in Wahrheit besteht, sei günitig
gesinnt dem Kinde, das in deinem Leibe ist. nnd alles wird gut
gehen. Heil sei der Mutter* (dasu der Name der letsteren).
Sehr interessant ist eine Entdeckung, welche
Vaiighan Stevens bei den Orang Semang in Malacca
gemacht hat und über welche Gränwedd^ berichtete.
Bei ihnen tragen die schwangeren Frauen unter dem
Oürtel versteckt ein Bambusstück, Tahong genannt,
in welches geometrische Muster eingeschnitten sind.
,Die Höhlung des Bambus wird, nachdem jede Seite mit
einem Stöpsel aus Holz oder Baumrinde verstopft ist, als Büchse
für Stein und Stahl zum Feueranmachen u. s. w. benutzt. Die
Zeichnung (Fig. 307) besteht in der Hauptsache aus zwei Theilen:
der obere^ aus herumlaufenden Zickzacklinien bestehende Theil
ist ein Zaubermittel gegenEkel und Erbrechen, welches Schwanger«
auszustehen haben; der untere Theil enth< eine Anzahl tod
ColonneD, von denen eine jede einen der Zustande darstellt
welche eine Schwangere vom Moment der EmpfUngniss bis zur
Geburt durchmachen muss. Es ist schwer, diese Stadien genaa
zu fixiren, da die Semang- Leute oft den Sitz des Unwohlseins
an eine andere Stelle versetzen, als es in Wirklichkeit der Fall
ist. Sicher ist Folgendes: Das kragenartige Zeichen an der
Spitze der einen der Golonnenlinien am Ende der schwarzen
zahnartigen Striche ist das Kind in der Gebärmutter. Die
schwarzen Zähne bilden den Zusammenhang zwischen Kind und
Mutter und gehen von der Seite des Kindes zu der der Mutter
hinunter, welcher Theil viel grösser dargestellt ist. Zur Rechten
dieser vertikalen Reihe von Zähnen ist die Colonne von scheibenartigen Figuren, welche blosi«
auf der Seite der Mutter dargestellt sind, die Abbildung des Blutverlustes durch Zerreissen
der Gefässe bei der Geburt.*
„Wie erwähnt, wird der Tahong von den Semang-Frauen unter dem Gürtel sorg-
fTiltig verborgen und darf keinem fremden Manne zu Gesicht kommen. Der Ehemann
schneidet das Muster, und eine schwangere Frau, welche ohne Tahong sich betreffen lässt.
wird von den anderen Semang -Weibern etwa ebenso angesehen, wie in Europa eine Mutter
ohne Trauring. Die Muster der Tahongs differiren unter sich nur unbedeutend, wie den
Männern eben das Eingraviren des allgemein anerkannten Musters gelingt. Der H&nptling
ist im Besitz des orthodoxen Musters und stet» im Stande, falls angefragt würde, die einzig
echte Zeichnung zu geben. *"
Aehnliche Bambusstücke mit anderen Mustern dienen zur Abwehr von allerlei
Krankheit; aber einzig nur die Tahongs dürfen kein Intemodium haben. Hier
klingt, wie ich glaube, der Gedankengang an, dass die Schwangere alles sorgfaltig
zu meiden hat, was von Natur verschlossen, verknotet oder verschlungen ist, weU
sie sonst eine schwere Entbindung zu gewärtigen hätte.
Fig. 307. Master anf einem Bambus-
Talisman der Orang Semang
(Malacca) zum Schutze der
Sckwangeren.
(Nach GrÜHtvedel.)
ISft. Schwaiigersohaft^-Dänionen in Europa und der Schutz Tor denselben.
Auch die europäischen Völker sind von dem Aberglauben an solche
Dämonen nicht frei. Im heutigen Griechenland hat man den Glauben, dass
die Neraiden eine schädigende Gewalt über die Schwangeren besitzen. Damm i
186, ScbwangerschafU'Dämonen in Europa und der Schutz vor denselben.
AI
Bö
,ch die LetztereQ durch Amulete zu sichern, unter denen namentlich der Jaspis eine
ervorragende Rolle spielt» Es ist ungliickbringend, wenn Jemand über ein schwangeres
"eib steigt; er öffnet damit den Ncraidcfi den Weg; jenem bösen Einfliiss varzu-
lengen, muas er nieder über dasselbe zurücksteigen. Auch darf sich die Schwangere
icht unter einem Platanen- oder Pappelbaum^ noch au Quellen oder sonstigen
essenden Wassern lagern, weil hier die Neraiden sich aufzuhalten pflegen.
Die schwangere Ehstin pflegt jede Woche die Schuhe zu wechseln, um den
Teufel, von dem man glaubt, dass er ihr stets nachfolgt, um baldigst den jungen
Weltbürger in seine Krallen zu bekommen, aus der Spur zu bringen.
In Russland ist der Glaube an den , bösen Blick*, den der Russe einfach
Qlas", das Auge^ nennt, sehr verbreitet; namentlich aber ängstigen sich vor ihm die
Frauen, wenn sie schwanger sind, denn dann fltrchten sie ihn für sich selber, wie
ftir die Frucht ihres Leibes, die sie dann unter grossen Schmerzeu gebären müssen.
Die schwangere SpagnioHn, d* h. die Jüdin in Bosnien und der Her-
cegovina, ist nach Glück mehr als andere Leute dem , Verschreien* ausgesetzt
Aber auch von den eigentlichen Bosniakinnen sagt Olück:
«Wenn der Mansch überhaupt von einer gani^n Scbaar von Feinden »eines eigenen
eschlecbU und von bSaen Geistern umgeben ist, die ihm das Dasein, wie and wo sie nur
Onnen, verbittern, so vermehrt sich dieselbe noch vielfach einer schwangeren Frau gegenüber.
Böse Weiber gönnen ihr nicht dae Glück und versuchen sie zu verzaubern oder zu verdchreion ;
feindhche Geister, wie die verschiedenen ViU oder Djins^ legen die versebiedenaten Binder*
nisse in den Weg, um ja nmr einen Abortus herbeizuführen. Nur der Satan verliert einer
Schwangeren gegenüber seine Macht, denn sie ist durch den Segen Gottes, welchen sie unter
dem Herzen tr>, geheiligt. Der ganze Schatz der SchutÄmaa^sregeln gegen das Verachreien,
das Verzaubern, den Geisterschlag wird nun in Form der verschiedensten Zierrate als Ab-
lenkungsmittel, als AnQu)ete und Talisman aufgewendet, um die Schwangere vor Schaden zu
schützen. In der Nacht darf eine Schwangere nie allein das Haus verlatsen; mutt sie es aber
I dennoch thun, m darf sie nicht vergessen, ein Stück Brod unter der rechten Achsel miUu-
Äehmen; sonst wird sie das Opfer eines bösen Zauberers.*
t Die Furcht der Schwangeren vor Dämonen findet «ich
nach v.Wlislocki^ auch bei deo wandernden Zigeunern in
piebenbOrgen. Wenn dort eine Frau, welche schwanger ist,
gähnt, so muss sie sofort ihre Hand vor den Mund halten, damit
nicht böse Geister in ihren Leib schlüpfen können, Sie muss
rothe Haare vom Barte oder vom Kopfe, in ein Säckchen ge-
näht^ am blossen Leibe tragen, ^ damit keine Qefahr ftlr Mutter
und Kind erwachse*. Auch pulverisirte Hirschkäfer und Krebs- jj*^»^* stick n
schalen muss die Schwangere bei sich tragen. Das hat Bezug ^ie die'schwulv
auf einen Dämou, der den Namen l\tdo^ der Dicke oder Fette, uuäioija*ii DjUnoaou
fahrt und der Sohn der Keshalyi- Königin Ana ist. Er ist ''^^ÄnuZU'"
verheirathet mit seiner Schwester T^aridyi ^ der Heissen, 8t«Ueü.i
Glühenden, und zeugte zahlreiche Kinder mit ihr, die aUe, ^^''* * /r/M/.-cA/*.)
gleich ihren Eltern, die Weiber namentlich in der Schwangerschaft quälen. Die
erbischen Zigeunerinnen opfern am Tage Mariae Emptangnis» mit Hülfe
ner Zauberfrau einen besonderen Eierkuchen, der in einen hohlen Baum ge-
orfen, und dieser darauf umtanzt wird. Die in der Mitte der tanzenden Weiher
tehende Zauberfrau spricht dazu das folgende Gebet:
,0 Ihr 8Ü8seti mächtigen Keshaltfi! Lebet £ure Königin, die gute Ana! Lobet tie
von Morgen bis Abend, von Abend bis Morgen I Lobet sie immerdar. lobet sie ewig! M5ge
sie lieb unserer erbarmen, Möge ^le den Tcuh und die T^aridy* von ana abwenden, M5ge
e ihre Enkel und Enkelkinder beschwichtigen, Damit sie uns nicbt peinigen! Diimit sie ansere
eibesfnicbt schonen t Unsere Manner sind die Steine am Wegel Jeder weicht ihnen ans,
Jeder tritt eie mit Föesenl Wir sind arme, achwarze Weiber, Jeder speit uns an^ Jeder höhnt
und spottet uns» Jeder schlägt nnd quilt nna. Wir haben gesQndigt, Und dftrfen um nicht
[ Wenn wir schwanger »ind, Wir arme schwarte Weiber, Dann kommen die Böaen und
lagen und quälen ans. Wir geben Euch Knchen, Wir geben Euch Alles, Was wir arme
FlQM« Bart«U, Dm Weib G AntL. l, 44
590 XXVIIL Das BOciaJe Verbalten w&hrend der Scbwangerscbaft.
Weiber beöitÄenl Scbonet unseren Leib! Schonet unsere Gliederl Unglück im Leben,
im Sterben. Diw ist das Schicksal der armen schwarzen Weiber! Erbarniet Eucb ausefer« \hf
gütigen Keshalt/ü*
, Schwangere Weiber pflegen sich auf die bauschigen Heuadärmel von der Achsel bia
tum Handgelenk herab Lein wandstreifen von ungefUhr 2 cm Breite aufzonähen, worauf die
Figuren der Traridyi und des Tgulo mit schwarzer Wolle gestickt sind. Je ein T^ulo wechselt
mit je einer T{'aridt/i den ganzen Leinwandstreifen entlang ab. Beim J\uto wird mit Wolle
ein erhabener Knoten genäht, an den dann die WollfUden angeheftet werden, die lose
hängen und die zahlreichen Stacheln des Ti^ulo andeuten sollen. Bei dar Darstellung
Traridyi wird eine wurm&hnliche Figur genäht» an welche viele dünne Fäden aogei
werden, die auch lose herabhängen imd die vielen Härchen am Leibe der l\aridyi ftodeutoi'
eollen. Solche Stickereien sieht miin auf den Hemdärmeln der Zigeunerinnen Serbiens
und Süd- Ungarns nicht selten. Diese gestickten Streifen sollen eben die genannten beiden
Krankheits-Dämonen oder deren Familienglieder für die betreii*ende schwangere Frau gOnstig
stimmeiu Solche Streifen heisscn P^arimakelyi, Schwangerachaftsieug.* fr. WlislockiK)
Figur 308 führt die Muster dieser Stickereien in natlirüeher Grosse Tor;
oben ist der Trulo, unten die Tf;aridyi.
Manche siebenbürgischeo Zelt-Zigeunerinnen tragen nach v. Wlishdfl
während der Schwangerschaft ein Täfelchen am Unterleibe, das aus dem Schult^r-
knochen eines Esels geachnitKt ist Dasselbe wird jedesmal bei abnehmenden]
Mond mit einigen Tropfen Kinderblut bespritstt; es ißt mit einem Schnürchen aus
den Schwanzhaaren des Esels am Leibe befestigt.
t Wolle
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fehdUfl
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I
1
187, Die Bedeutung des Gürtels in der Scliwaiigerseliaft.
Eine ganz eigentbiim liebe und gewissermaassen culturgeschichtliche RoTle
sehen wir bei verschiedenen Völkern den Gürtel in der Schwangerschaft spielen.
Da derselbe, wie wir sehr bald erfahren werden, nicht allein als ein mechanisch
wirkendes Werkzeug in Anw^endung gezogen wird, sondern da ihm auch vielfach
überirdische, nivstiache Beziehungen zugeschrieben werden, durch welche er im
Stande ist, von der Schwangeren sowohl» als auch von der Gebärenden allerlei
Unbilden und Fährlichkeifcen fern zu halten, so glaube ich seiner Besprechung
keine bessere Stelle anweisen zu köimeu, als im Anschlüsse an den vorigen Ab-
schnitt, welcher sich mit der Schilderung derjenigen Mtiassregeln beschäftigte^ durch
welche böse Geister und Dämonen von der Schwangeren abgewehrt werden können-
Der Gürtel, von welchem ich zu reden habe, ist nun uicht immer von der
gleichen Art. Das eine Mal ist es derjenige, welchen die Frau als ihr gewöhn-
liches Kleidungsstück vor dem Eintritt der Befruchtung getragen hatte, ein anderes
Mal ist es eine besondere Leibbinde, welche ihr gegeben wird, weil sie schwanger
geworden ist; wiederum in anderen Fallen sind es gürtelähnliche Dinge, welche
für gewöhnlich niemals Theile des weiblichen Anzuges ausmachen, und endlich
können es Gtirtel sein, welche zu der Schwangeren in gar keiner persönlichen,
sondern in einer rein mystischen Beziehung stehen.
Einem weiblichen Wesen die Zone oder das Lingulum, den Gürtel, zu lösen,
betrachtete man im klassischen Alterthum als gleichbedeutend mit der Ausübung
des Beischlafes- Man vermocht« sich das Eine ohue das Andere nicht zu denken.
Es ist wohl nicht unwahrscheinlich, dass hiermit der Brauch zusammenhängt,
welchen die alten Griechinnen übten* Wenn bei ihnen zum ersten Male eine
Schwangerschaft eingetreten w^ar, so lösten sie selber ihren Gürtel und weihten
ihn im Tempel der Artemis.
Bei den Römerinnen hatte sich die Sitte eingebürgert, von dem 8. Monate
der Schwangerschaft an den Leib mit einem Gürtel in Gestalt einer Leibbinde zu
umschliessen. Soranus von Ephesus empfahl ebenfalls das Tragen einer Leib-
binde während der Gravidität. Er will dieselbe aber nicht länger als bis zum
Beginne des achten Monats gestatten, damit das Gewicht des Kindes mitwirken
könne* um die herannahende Geburt zu beschleunigen. Da nun bei der beginnen*
^^In^i
I
692 XXVIII. Das sociale Verhalten während der Schwangenohaft.
Asiens. Der in dem vorliegenden Bache bereits mehrfiach dtirte chineBische
Arzt empfiehlt seinen Patientinnen ebenfalls, in der Schwangerschaft eine Leib-
binde zu tragen. Dieselbe soll eine Breite von 12 bis 14 Daumen besitzen.
Ueber den Nutzen, welchen solch ein Gürtel der Schwangeren schafft, fioasert er
sich folgendermaassen:
„Zuvörderst werden durch selbige die Lenden gest&rkt. Alsdann h< eine ■olche breite
Binde den Leib der Schwangeren zusammen^ und wenn man unmittelbar vor der Niederkonft
dieselbe losbindet, so wird alsdann der Bauch erweitert und der Frucht dadurch Raum ge-
schafft, sich umzukehren. **
Auch die Birmaninnen haben die Sitte, in der Schwangerschaft den Leib
mit einem Oürtel zu umschliessen. Sie legen diese Leibbinde erst nach dem Ab-
laufe des siebenten Monats an und schlingen dieselbe fest um den Leib in der
Absicht, das Aufsteigen der Gebärmutter zu verhindern. Denn sie sind der
Meinung, dass, je hoher die Frucht im Bauche steigt, einen um so längeren Weg
müsse sie beim Heruntersteigen zurückzulegen haben, und um so schmerzhafter
werde die Entbindung sein. (Engelmann.)
In Japan herrscht, vielleicht ursprünglich von China her beeinflusst, eben&Ils
der Gebrauch bei den Schwangeren, dass sie eine Leibbinde oder einen GKLrtel tragen,
und zwar stammt diese Gewohnheit ohne Zweifel schon aus einer sehr alten Zeit
Verrier hat über diesen Punkt die folgende Angabe in einem Berichte des
Guido GueÜeri über die Ankunft einer japanischen Gesandtschaft in Rom im
Jahre 1586 aufgefunden:
.Et avant qu'elles ne soient enceintes (les Japonaises), elles portent une ceinture
large et flottante; mais das qu'olles s'aper9oiYent de leur grosseese, ellee resserrent cette cein-
ture si fortement avec une bandelette qu'ü semble qu*elle8 vont diäter. MaJgrä cela, disent-
elles, nous savons par expörience que si nous ne nous serrions pas ainsi, il en r^tolterait pour
nous un tr^s mauvais accouchemont.*
Auf den japanischen Abbildungen wird der Gürtel nicht immer in der gleichen
Weise dargestellt. In Fig. 309 sehen wir eine knieende Schwangere, bei welcher
der Gürtel oben über den Leib nach Art eines breiten Tuches gelegt ist. Das
Bild entstammt einem japanischen Buche, welches den Titel führt: Wie man
bei kranker Familie zu verfahren hat. Von anderen japanischen Dar-
stellungen des Gürtels wird sogleich noch die Rede sein.
In seinen reformatorischen Bestrebungen hat Kangawa in Japan auch gegen
die Anlegung der Leibbinde angekämpft. Er sagt über die Herkunft dieses Gebrauches :
»In Japan ist es allgemein Sitte, dass die Frau vom fünften Monate an um ihren
Leib ein seidenes Tuch fest bindet; der Zweck, den man damit zu erreichen sucht, ist, den
fötalen Dunst (Geist, Lebenskraft) zu beruhigen, damit er nicht aufsteige. Man sagt, das»
diese Sitte aus der Zeit der Kaiserin Hjin-go-kogu stamme, die im Kriege geg^n Korea selbst
als Feldherrin einen Panzer trug, den sie, weil sie schwanger war, dadurch an ihren Leib
befestigte, dass sie ein zusammeogefaltetes seidenes Tuch um letzteren fest anlegte. Nach der
Eroberung von Korea gab sie einem Prinzen, dem nachmaligen 16. Kaiser O-djin (sp&ter zum
Gott des Krieges erhoben) glücklich das Leben. Der Kaiserin zu Ehren leg^n dann die
schwangeren Frauen ebenfalls die Binde an, in der Hoffnung, dadurch Friede und Wohlstand
zu verewigen.* (Miydke.)
Hiemach würde dieser Gebrauch ungeföhr 200 nach Christi Geburt ent-
standen sein. Das ist aber, wie Kangawa sagt, nicht richtig, sondern in den ge-
schichtlichen Quellen wird erst 1118 nach Christo die Leibbinde erwähnt, und
erst noch viel später wird davon gesprochen, dass die Gemahlin des Yoritomo in
ihrer Schwangerschaft mit besonderen Ceremonien die Leibbinde anlegte.
Aus dem japanischen Buche Schorei Hikki übersetzt Mitford:
.In dem fünften Monate der Schwangerschaft einer Frau wird ffir die Anlegung eines
Gürtels aus weisser und rother Seide, gefaltet und von acht Fuss Länge, ein glückrerheiasender
Tag bestimmt. Der Gatte zieht diesen Gürtel aus dem linken Aermel seines Kleides hervor
imd die Gattin empf&ngt ihn in dem rechten Aermel ihres Gewandes und legt ihn Eiun enUn
Male an. Diese Ceremonie hat nur einmal statt. Nach der Geburt des Kindes wird der
187, Dtd BedeatuDg des GürteU in der Schwangerschaft.
693
reisse Theil des Gürtela himmelblau gefärbt mit einer besonderen Marke darauf, nnd daraus
rird ein Kleid lUr das Kind gemacht. Dies sind aber nicht die ersten Kleider, welche das
(ind tnlgt. Dem Färber giebt man bei dieser Gelegenheit Wein nnd Kingemachtee, wenn
ihm der Gürtel anvertraut wird. Gewöhnlich erbittet man sich dazu den Gürtel, den eine
Frau, die sehr leicht entbunden wnrde, während ihrer Schwangerschaft getragen hat, und
äiese Frau wird die Görtelmutter genannt. 0er geliehene Gürtel wird mit dem^ welchen
er Gatte gab, «usammengebunden , und die Gürtelmutter giebt und empt^gt bei dieser
elegenheit ein Geschenk.*
Kangawa erklärt die Leibbinde ,nach einer vieljährigen Erfahrung fUr
chädlich*. Die Natur besitze vollständig die Kraft, alles Lebende wachsen und
"Tm^ 75r-
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Fig. Hlü. Schwangere JftpuDtirin, welch«r die LeibbindH &n^le^. wird.
(Naeb etnem jAii&niscb«ii Uolzaobnitt.)
lieh entwickeln zu lassen, die Leibbinde aber könne diese naturgemäflse Eni-
Wickelung nur henunen, ganz ebenso als wenn man einen Stein auf die Wurzel
einer Pflanze lege und letztere dadurch in ihrem Wachsthum behindere. Es
_brächten ja auch die Thiere ihre Jungen ohne die Hölfe einer Leibbinde zur
^elt. Die Leibbinde habe nur schädliche Wirkungen, denn sie störe den Blut-
lauf, sie erzeuge Schwindel und Blutungen, und sie verursache Schieflagen der
[Inder und allerlei andere Schädlichkeiten.
Kangawa schlieest dann seine Verwerfung der Leibbinde mit de» Worten:
«t#eider kann ich allein» oiu so kleiner Körf»er in der grossen WeH» meine M«il*o*
licht verbreiteo, ich hoflfe aber dennoch, das» eie allmähUch durchdringen
694 XXVIII. Das sociale Verhalten während der Schwanj^erschaft.
Mit allen solchen rationellen Neuerungen geht es wie überall, so aach in
Japan, ziemlich langsam. Zwar erklärte in den zwanziger Jahren unseres Jahr-
hunderts der japanische Arzt Mimaeunea:
, Früher trugen die Schwangeren vom fQnften Monat an die Leibbinde, jotst ist tie
durch den £influ88 des Kangawa-Gen-Uts abgeschafft.'
Dagegen war nach dem Ausspruche eines russischen Arztes diese Sitte
noch in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts in Japan verbreitet; er sagt:
«Schwangere schnüren sich im fünften Monat den Leib in der epigastriBchen Gegend
mit einem schmalen Gurt sehr fest in der Absicht, dass der Fötus nicht zu gross werde und
die Geburt nicht erschwere.*
Das Anlegen des Gürtels bei einer schwangeren Japanerin zeigt uns ein
Holzschnitt in einem der japanischen Werke, welche sich in dem Besitze des
kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin be&iden. Die Schwangere (Fig. 310)
kniet aufrecht auf dem Fussboden des Zimmers mit vom weit geoffiietem Kleide,
so dass ihre Brust und ihr Bauch gänzlich entblosst sind. Vor ihr kniet eine
andere weibliche Person, vielleicht eine Verwandte oder die Hebamme, und schlingt
ihr eben die Leibbinde um den Leib. Ein junges Mädchen sieht, eben&Us knieend,
dieser Handleistung zu.
In der Fig. 283 lernten wir bereits eine schwangere Japanerin nach der
Zeichnung von Uohusai kennen. Ich habe dort darauf aufmerksam gemacht, dass
der um ihren Leib geschlungene Gürtel als ein sicheres Zeichen angesehen werden
muss, dass die Frau sich wirklich in dem Zustande der Schwangerschaft befindet.
Christian weist in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Ossian darauf hin:
,que les anciens Geltes de laCaledonie attribuaient des vertus merveilleuses ä certaines
ceintures. Suivant une expression d* Ossian qu'ii cite, elles ^taient propres ä acc^lörer la
naissance des h^ros. Le m^me autenr ajoute <)u'il n*y a pas longtemps encore on conservait
dans le aord de TEcosse plusieurs de ces ceintures; on y yoyait trac^es des figures mysi«-
rienses, et on les ceignait autour des femmes avec des gestes et des paroles qui prouvaient
que cet usage venait originairement des dniides.*
BonnefUfve, welcher dieses citirt, wurde hierdurch veranlasst, der anthro-
pologischen Gesellschaft von Paris einen Gürtel vorzulegen, wie ihn auch heute
noch die Ursuliuerinnen von Quintin (Cötes-du-Nord) zu fertigen pflegen.
nCes religieuses tiennent une des principales maisons d'^ducation de la Bretagne.
Lorsque, apres sa sortie du couvent, une jenne fille qu*elle8 ont comptee au nombre de leun
Kleves 86 marie et qu'elle vient d Otre enceinte, les pieuses nonnes lui envoient un ruban
semblable u celui que j*ai Thonneur de vous presenter aujourd*hui. 11 est en soie blanche,
et rhabile pinceau de la meilleure calligraphe de la communaut^ Ta d^core d'une belle
inscription en lettres bleues. Avant de Texpedier on a eu g^rand soin de le faire toucher au
reliquaire de Feglise paroissiale dans lequel on conserve un pröcieux Fragment d*une ceinture
ayant appartenu ä la sainte Vierge. De nombreux parchemins garantissent Tauthenticite
de ce morceau d'ötofiPe. L'inscription peinte dont je vous ai parl^ est la suivante: ,yXotre
Dame de Velivrance, protegoz-nous.* La jeune femme qui regoit le ruban b^ni s'empresse de
se le mettre autour du corps afin que ses couches se passent heureosement.*
Es ist wohl nicht mit Sicherheit zu sagen, ob wir hierin ein üeberlebsel
interessanter Art aus dem Heidenthum anerkennen sollen, wenn auch dieser Ge-
danke unleugbar manches Bestechende hat. Aber wir finden auch innerhalb der
katholischen Christenheit in manchen anderen Ländern heilige Gürtel, namentlich
bei schwerer Niederkunft, eine ganz besonders wichtige Rolle spielen. So war
es in Frankreich nach Witkowski der Gürtel des Saint Oyan und der auch
jetzt noch käufliche Cordon de Saint Joseph, in England im Jahre 1159 der
Gürtel des Abtes jRofter/ von Newminster, und in Schwaben steht noch heute,
wie wir später sehen werden, der Gürtel der heiligen Margarethe in hohem Ansehen.
Ein mit besonderen Ornamenten gestickter Gürtel von ungefähr 10 cm Breite
spielt auch bei den Zigeunern der Donau-Länder eine Rolle, r. Wlislocki^
bildet diese als „Kreuz" oder , Glück* bezeichneten Stickereien ab und sagt,
188. Die rechtliche Stellung der Schwangeren. 695
dass solche Gürtel schwangere Weiber um den Leib geschlungen tragen. Die
Kreuze sind mit grüner, die Flächen mit rother oder gelber Wolle ausgenäht.
^Zu bemerken ist, dass die Leibgürtel der angarischen und siebenbürgischen
Zigeunerinnen gewöhnlich aus einem IV2 bis 2 Meter langen groben Leinwandstreifen
bestehen, selten aus weichgegerbtem Ealbleder. An diesen Gürtel werden auch einige Bären-
klauen und Einderzähne oder auch nur Hasenpfoten angehängt, damit das betrefiPende Weib
ein gesundes, starkes und flinkes, lebhaftes Kind zur Welt bringe.*
„Serbische und bosnische Zigeunerinnen tragen, sobald sie sich in anderen
Umständen fühlen, um den blossen Leib einen aus Eselschwanzhaaren gewirkten, ungefähr
5 Finger breiten Gürtel, in den fortlaufend je ein Stern, ein zunehmender und ein ab-
nehmender Mond mit rother Baumwolle gestickt ist. Durch das Tragen dieses Gürtels glauben
sie die ihnen bevorstehenden Geburtswehen zu erleichtem und die Erankheits-Dämonen von
ihrem Leibe ferne halten zu können. Mit Bärenklauen besetzte Gürtel, die über das Ober-
kleid geschlungen und nicht am blossen Leibe getragen werden, sollen dieselben Dienste
leisten." Cv. Wlislocki^.J
Die Bärenklauen beziehen sich auf eine zigeunerische Sage von einer
sehr starken Königin, welche Bären zur Welt brachte, {v. Wlishdci^.) Darum
heisst es in einem Volksliede der Zigeuner:
aJa! Ihr könnt mich wohl anschauen!
Mütterchen trug Bärenklauen;
Stark bin ich drum, wie die Eiche,
Teufeln selbst ich nicht ausweiche u. s. w.*
Ein Paar eigenthümliche Ausläufer dieser Anschauungen von der helfenden
Kraft des Gürtels in der Schwangerschaft und bei der Entbindung treffen wir
in der italienischen Provinz Bari und in der Mark Brandenburg an. In
Bari yermag man der Kreissenden eine glückliche Entbindung zu sichern, wenn
man um ihre Körpermitte einen Strick gürtet, welcher dazu gedient hatte, bei
der Schafschur die vier Füsse der Schafe zusammenzubinden (Kartisio\ und im
Brandenburgischen suchen sich die Schwangeren nach Engelien dadurch eine
leichte Niederkunft zu yerschaffen, dass sie um ihren Leib die üaut einer Schlange
binden, welche sie gefunden haben. Dass auch hier etwas Mystisches und zwar
Toraussichtlich aus dem Heidenthume her im Hintergninde steckt, das muss man
wohl mit Sicherheit annehmen.
188. Die rechtliche Stellung der Schwangeren.
Die meisten Völker lassen die Frauen während ihrer Schwangerschaft bis
zum Beginne der Niederkunft der Arbeit nachgehen. An sich ist dies allerdings
nicht schädlich, insoweit keine Ueberlastung damit verbunden ist. JRighy und
andere Geburtshelfer haben in der That auch gefunden, dass die Geburt dann am
leichtesten verläuft und die besten Resultate giebt, wenn das Weib bis zuletzt
ihre gewohnte Beschäftigung fortgesetzt hat. Diese Beobachtung wird wohl jeder
Arzt in seiner Praxis bestätigt finden. Dagegen sind die vornehmeren Damen,
welche ihre Körj)erkräfte kaum ausgiebig verwerthen, vielmehr jede Anstrengung
ängstlich vermeiden und namentlich während der Schwangerschaft ein möglichst
ruhiges Leben führen, wenig geeignet, die Geburtsarbeit leicht und ohne Hülfe
zu überstehen. Auch in Deutschland arbeiten fleissige Frauen aus dem Volke,
wenn sie guter Hoffnung sind, meist fort bis zur letzten Stunde vor der Nieder-
kunft; freilich mag dies wohl an manchen Plätzen übertrieben werden.
üeberall dort aber, wo die gesellschaftliche Stellung der Frau und Mutter
eine achtungsvolle, ihre Behandlung keine rohe ist, wird ihr in dem Zustande der
Schwangerschaft eine vermehrte Rücksicht entgegengebracht, während ihr bei den
rohesten Völkern dieselben Lasten aufgebürdet, dieselben Mühen zugemuthet werden,
die der Mann ihr auch sonst auferlegt, wo sie ein Kind nicht unter ihrem Herzen
trägt. Je cultivirter ein Volk ist, je mehr bei ihm sich der Familiensinn ausge-
bildet hat, um so vorsichtiger werden die Schwangeren behandelt.
696 XXVIII. Das sociale Verhalten w&hrend der Schwangerschaft.
Die Schonung, welche man der Schwangeren zu Theil werden ISsst, hfingt
vielfach von der Werthschätzung des zu erwsurtenden Kindes ab. Denn wo man
die Kinder als »Segen Gottes '^ betrachtet, wo man die Trägerin dieses zu erhoffenden
Segens als Eine bezeichnet, die „gesegneten Leibes ** ist, die sich in «guter Hoff-
nung' befindet, da ist es ja auch ganz natürlich, dass man ihr von allen Seiten
eine freundliche Fürsorge entgegenbringt.
Bei den Indianern in Süd-Amerika, welche Prinz Max zu Wied be-
suchte, werden die Weiber fast wie die Lastthiere behandelt. Dieses ändert sich
aber sofort, wenn eine Schwangerschaft eingetreten ist; dann wird ihr mühevolles
Leben erleichtert. Auch die Indios da Matte ersparen ihren schwangeren
Frauen die harte Arbeit.
Von den nordamerikanischen Indianern sagt Engdmann^ dass man
bei den umherziehenden Stämmen sich wenig oder nichts aus dem Zustande der
Schwangerschaft macht. Mehr Aufmerksamkeit erregt er schon bei der ansässigen
Bevölkerung, wie den Pueblo-Indianern oder den Eingeborenen Mexikos. Man
erlaubt der Schwangeren keine üeberanstrengung und lässt sie häufig warm baden.
Auf den Carolinen-Inseln verdoppelt der Mann, der jederzeit voll Auf-
merksamkeit für seine Frau ist, seine Rücksicht und Zärtlichkeit während ihrer
Schwangerschaft. Sobald er diesen Zustand bemerkt, arbeitet sie nicht mehr und
bleibt beinahe immer zu Hause in Matten eingehüllt; in dieser Zeit wird sie von
ihrem Ehemann bedient.
Auch auf den Pelau-Inseln wird die Schwangere von der schweren Arbeit
befreit und sie wird dabei von alten Weibern in Obhut genommen.
Best fand im Jahre 1788, dass in Madras nicht nur die Familie, sondern
auch alle Dorfgenossen der Schwangeren stets mit Achtung begegnen. Alles,
was ihr gefährlich werden kann, wird entfernt; Alles, was ihr Wohlsein fSrdem
kann, herbeigeschafft.
Die Frauen der Battaker in Sumatra unterbrechen während der Schwanger-
schaft ihre Feldarbeiten nicht; nur die Gattin des Häuptlings hat das Recht,
während der letzten zwei Monate zu Hause zu bleiben.
Nicht nur auf den Carolinen-, sondern auch auf den Marianen-, Mar-
shall- und Oilbert-Inseln im Stillen Ocean werden die schwangeren Frauen
gut geflegt, sind aber manchen religiösen Beschränkungen in Bezug auf die
Speisen, das Zusammensein mit den Männern u. s. w. unterworfen.
Die Annamiten-Frau in Cochinchina hält im Allgemeinen während der
Schwangerschaft eine besondere Lebensweise nicht für nothig (mit Ausnahme
einiger später zu erwähnenden Rücksichten auf die Kost), allein vom sechsten
oder siebenten Monat an will sie der Sorge für den Haushalt enthoben sein.
Abgesehen von diesen mehr in das äebiet der Gesundheitspflege gehörenden
Bestimmungen weisen die Gesetze mancher Völker der Schwangeren auch noch
in anderer Beziehung eine rücksichtsvolle Ausnahmestellung zu. So besteht bei
den Süd-Slaven die Zadruga, eine Familiengemeinschaft, welche unter be-
stimmten Umständen die Nahrungsmittel nach Köpfen zu vertheilen pflegt ; dabei
bekommt nach BogiUc im Kreise von Sabac in Serbien jede schwangere Frau
für das noch nicht geborene Kind so viel mehr, als sie im Rocke wegtr^en kann.
Bei den Römern genossen die Schwangeren insofern gewisse Vorrechte,
als sie nicht vor Gericht gezogen werden konnten, bevor sie ihre Entbindung
überstanden hatten. Das Gleiche berichtet Plutarch von den Griechen, aber
hier wurde es so weit ausgedehnt, dass selbst auch nur bei einem Verdachte, dass
eine Schwangerschaft bestehen könne, das Verfahren bis auf Weiteres ausgesetzt
wurde. Nacn seiner Angabe stammt das Gesetz bereits von den alten Aegyptern
her. Auch die altgermanischen Rechtsgebräuche nehmen auf die Schwanger-
schaft Rücksicht. Strafen wurden erst nach der Entbindung vollzogen; nur im
Hexenprocess kannte man keine Schonung. (Weinhald.)
189. Die Fernhftltuag der Schwangeren. ^^^^^BP 697
Begeht bei deu AnnaraiteD eine Frau ein VergeheD, das mit Stockschlägen
Bstraft wird, so darf der Richter diese Strafe nicht vollziehen lassen, solange die
i^rau in anderen Umständen ist; auch muss noch hundert Tage nach der Ent-
bindung mit der Strafe gewartet werden. Handelt der Richter dem zuwider und
tritt danach bei der Frau eine Fehlgeburt ein, so bekommt er selber hundert
Stockschläge und eine dreijährige Kettenstrafe. Auch mit der Todesstrafe wartet
man bei den Schwangeren, bis hundert Tage nach der Niederkunft Terflossen sind.
(Mondure,)
Fast über die gesammten Inselgruppen im Südosten des mala ji sehen
■Archipels finden wir die Bestimmung getroffen, dass eine schwangere Frau in
keiner Sache als Zeugin auftreten darf. Was der Grund für dieae Maassregel ist^
'fts hissi sich nicht so ohne Weiteres sagen. Vielleicht hatte man dabei die
lückwicht, der Schwangeren das bei solchen Gelegenheiten unvermeidliche Anhören
iron Zank und Streit zu ersparen, vielleicht aber war es die Sorge, dass durch
jmpathetischen Einfluss auf das Kind dieses sich später zu einem Menschen ent-
rickeln würde, der dauernd mit den Gerichten zu thun hatte. Dieses letztere ist
B. die Ursache, warum in Oldenburg die schwangere Frau nach dem Glauben
ies Volkes vor Gericht nicht schwören darf. Es könnte diesem Gesetze aber
fcuch Doch eine dritte Idee zu Grunde liegen, dass man nämlich der Schwangeren,
reiche durch ihren Leibeszustand mehr in sich gekehrt und mit sich selbst be-
chäftigt, dasjenige» was um sie her vorgeht, weniger beachtend, in ihren An-
"gaben nicht eine genügende Glaubwürdigkeit zutraute, und dass sie daher auch
als Zeugin nicht die für eine so wichtige Sache durchaus nothwendige Zuver-
Llaasigkeit besitzt. Vielleicht ist es nicht zu weit gegangen, wenn wir die in
'Europa so vielfach angetroffene Sitte, dass eine schwangere Frau nicht Gevatter
stehen darf, dass e« ihr also verboten ist, als Taufzeugin zu functioniren
(Ostpreussen, Pommern, Schlesien, Voigtland, Kleinrussland), ur-
q>rünglich aus einem ähnlichen Gedankengange zu erklären versuchen. Allerdings
giebt das Volk jetzt als Ursache dafür an, dass eine solche Pathenschaft entweder
lern Täufling oder dem zukünftigen Weltbürger unfehlbar den Tod bringen würde-
Ira birmanischen Reiche feiert man den ersten Tag des Jahres durch
rosse Feste, wobei Jedermann, der sich auf der Strasse blicken lässt, er mag
loch so hohen Rang haben, in das Wasser getaucht wird; nur schwangere Frauen
sind von dieser Ceremonie befreit, sie brauchen nur durch ein Zeichen anzudeuten,
^dass sie respectirt sein wollen, {Hureau,) Wir müssen auch bierin ein Äus-
Eiahmerecht der Frauen während der Gravidität erkennen.
Für glückbringend wird die Schwangere bei den nördlichen Slaven be-
trachtet. Die jungen slavischen Eheleute in Böhmen und Mähren sind buch
freut, wenn eine Schwangere sie besucht. Denn das bringt der jungen Gattin
ine günstige Fruchtbarkeit. (Grvhmann.)
189, Die Fernlialtuug der Schwangeren.
Es wurde in einem früheren Abschnitte bereits auf eine Bemerkung des
7fitttf^ aufmerksam gemacht, welcher sagt, dass «ausser dem Weibe* nur sehr
renige Thiere die Begattung ausluhren, wenn sie trächtig sind. Dieser Satz be-
irf sehr erheblicher Einschränkungen, denn es giebt eine grosse Anzahl von
Völkern in allen Theilen der bewohnten Erde, bei welchen der Beischlaf mit
iner Schwangeren auf das allerstrengste verboten ist. In den allermeisten Fällen
rird dieses Gebot auch nicht übertreten, sondern mit der grössten Peinlichkeit
und Strenge von dem Ehegatten emgebalten. Nicht immer ist es nur eine
Trennung vom Bett, sondern auch eine Trennung vom Tisch; denn ganz ähnlich,
rie tut Zeit der Menstruation, ist es dem Weibe häufig nicht gestattet, mit dem
oder selbst auch mit den übrigen Gliedern der Familie gemeinsam die
098 XXVIII. Das sociale Verhalten während der Schwangerschaft.
Mahlzeiten einzunehmen. Bisweilen darf sie nicht einmal unter dem gleichen Dache
mit ihnen weilen.
Diese Femhaltung hat nicht immer sofort im Anfange der Schwangerschaft
statt. Bei den Szuaheli in Ost-Afrika z. B. wird, wie Kersten angiebt, die
Frau bis zum sechsten Monate nach der Empfangniss von dem Manne geschlecht-
lich benutzt. Dann allerdings muss er Zurückhaltung üben, weil man annimmt,
dass sonst eine schwere Entbindung die Folge sein würde.
Bei den Parsen ist es gestattet, die eheliche Beiwohnung fortzusetzen, bis
seit den ersten Anzeichen der Schwangerschaft 4 Monate und 10 Tage Terstrichen
sind. Ein Beischlaf aber nach dieser Zeit gilt als ein todeswürdiges Verbrechen,
denn man glaubt nach du Perron^ dass dadurch das Kind im Mutterleibe Schaden
erlitte. Bei anderen Volksstämmen aber muss sich der Mann während der ganzen
Dauer der Schwangerschaft sorgfaltig seiner Frau enthalten. Solche Enthaltsam-
keit üben die Aschanti und nach Holländer auch die Basutho; das Gleiche
gilt von den Indianern Nord-Amerikas und von den Eingeborenen der An-
tillen. In Florida wird die Trennung sogar noch nach der Entbindung bis anf
einen Zeitraum von zwei Jahren ausgedehnt.
Auch auf den kleinen Inseln des malayischen Archipels ist die Enthaltung
vom Beischlaf während der Schwangerschaft eine allgemeine und streng durch-
geführte Vorschrift, und der Wunsch, dieses lästigen Verbotes überhoben zn sein,
giebt den Weibern bisweilen die Veranlassung zur künstlichen Fruchtabtreibung.
Der geschlechtliche Umgang mit einer Schwangeren war bei den alten
Iranern, den Baktrern, Medern und Persern durch religiöse Gesetze streng
verboten: wer eine solche beschlief, erhielt nach den Bestimmungen des Vendidad
2000 Schläge; ausserdem musste er zur Sühne seines Vergehens 1000 Ladungen
harten und ebenso viele weichen Holzes zum Feuer bringen, 1000 Stück Kleinrieh
opfern, 1000 Schlangen, 1000 Landeidechsen, 2000 Wassereidechsen, 3000 Ameisen
tödten, und 30 Stege über fliessendes Wasser legen. Der Keim des Lebens
durfte nicht verschwendet und das bereits vorhandene neue Leben nicht verletzt
werden. (Dnncker,)
Aehnlich stellten die Ilabbiner des Talmud die Lehre auf:
,In «Ion ersten drei Monaten nach der Empfangniss ist der Coitas sowohl für die
Schwangeren, als auch für die Frucht nehr nachtheilig; wer denselben am 90. Tage aasflbt
begeht eine Handlung, als wenn er ein Menschenleben vernichtet.* Der vorsichtige Rabbi
AhlHija fügt hinzu: ^Da man <lieKen Tag jedoch nicht immer genau wissen kann, so hütet
Gott die Einfältigen/
Und auch bei den Indern widerräth Susruta die Ausübung des Coitus
während der Schwangerschaft, und ebenso erklären die Aerzte der Chinesen ,,al8
erste und wichtigste Regel* während der Schwangerschaft die gänzliche Enthaltung
von physischer Liebe. (i\ Martins.)
Die schwangere Annami tin, die sich von ihrem Gatten trennt, sucht flir
ihn eine sogenannte Vö be, d. h. eine Gattin niederen Ranges, welche ihm in dieser
Zeit der Absonderung zugleich als Magd und als Beischläferin dient. (Mondirre.^
Wenn auf der Carolinen -Insel Yab ein Weib die ersten Zeichen der
Schwangerschaft ilihlt, so enthält sie sich des weiteren Verkehrs mit dem Manne
und })leibt ihm auch 8 — 10 Monate nach der Entbindung fern. Der Mann, der
zu seinem Club (bai-bai) gehört, hat dort eine oder mehrere Geliebte und fttgt
sich ohne Murren in diese Sitte. (Miklucho-Maclay.)
Man kann aus solchen Gebräuchen schon entnehmen, dass nach dem Glauben
der Völker die Schwangere in einem Zustande der Unreinheit sich befindet. Von
einigen Volksstämmen wird dieses auch besonders gesagt, so von den Siame-
s in n e n (Schomhurffk); von den Marianen-, Gilbert- und Marshall-Insu-
lanerinnen (Keate) und von den Neu-Caledonierinnen (de Eochas).
Eine Absonderung der Schwangeren aus dem gewöhnlichen Wohnhause
189. Die Fernhaltung der Schwangeren. gQQ
spricht auch schon dafür, dass man sie für unrein hält. Schutt sagt über die
West-Afrikaner:
^ Jeder Neger sieht die Frau, die demnächst gebären wird, als unrein an; drei Wochen
vor ihrer Entbindung muss sie das Dorf verlassen und darf keiner mit ihr verkehren; ohne
jegliche Hülfe sieht sie meistens der schweren Stunde entgegen.*^
In früheren Zeiten wurde auch in China die Frau während der letzten Zeit
ihrer Schwangerschaft abgesondert. Der Li-ki (im Cap. Nei-tse 12 fol. 73 v.) sagt:
«Wenn eine Frau ein Kind gebären soll, so bewohnt sie einen Monat ein Seitenhaus.
Der Mann schickt zweimal des Tages Jemanden nachzufragen und fragt auch selber nach;
seine Frau wagt ihn aber nicht zu sehen, sondern schickt die Mu, seine Anfrage zu beant-
worten, bis das Kind geboren ist."
Jetzt ist es, wie Herr Professor Grube mir mittheilt, in Peking gebräuch-
lich, dass die Frau, wenn sie empfindet, dass sie schwanger geworden ist, sich in
der Weise von ihrem Ehegatten trennt, dass sie in einem besonderen Bette schläft.
Hiemach wird von den Chinesen die Schwangerschaft auch als die Bett-
trennung bezeichnet.
Bei den Pschawen in Transkaukasien erstreckt sich die Unreinheit
während der Schwangerschaft nach einer Angabe des Fürsten Eristow in gewisser
Beziehung auch auf den Mann. Beide Eh^atten sind in dieser Zeit von allen
Festlichkeiten ausgeschlossen, und das ist der Grund, weshalb sie eine Schwanger-
schaft solange wie irgend möglich geheim zu halten suchen.
Im centralen Afrika lebt die Schwangere zurückgezogen. Barth äusserte
hierüber gegen Floss^ „es sei ihm auffallend, dass er sich nicht ein einziges Mal
erinnere, eine hochschwangere Frau gesehen zu haben, was doch bei der spärlichen
Bekleidung um so eher die Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss."" Er erklärt
sich diesen Umstand daraus, dass unter den zum Islam übergegangenen Völker-
schaften die Frau im höchsten Zustande der Schwangerschaft gar nicht mehr aus-
geht, was schon die enge ThOr vieler Wohnhütten gar nicht erlaube, und ein
gleiches scheine auch unter vielen heidnischen Stämmen üblich zu sein. Die Ent-
haltung vom Coitus besteht nach Barth auch hier, aber eine Unreinheit der
Schwangeren würde nicht angenommen.
Als einen Ausläufer des Unreinheitsglaubens werden wir es wohl zu be-
trachten haben, dass man in manchen Gegenden und unter bestimmten Verhält-
nissen die Schwangere als schadenbringend für ihre Mitmenschen betrachtet.
Das letztere sahen wir ja bereits bei dem Gevatterstehen, das dem Täufling
ein frühes Ende bereiten soll. Bei den Magyaren trifft dieser Schaden die eigene
Leibesfrucht der Gevatterin, denn wenn die Schwangere Gevatter steht, dann kommt
sie später mit einem todten Kinde nieder, (r. Wlislocki)
Bei den Süd-Slaven, wo im Allgemeinen die Sittenreinheit keine sehr
grosse ist, darf ein Mädchen, welches schwanger geworden ist, an dem allgemeinen
Reigentanze keinen Antheil nehmen. Dies besagt auch eines ihrer Lieder:
,0 Du Mädchen, gelbe Birne!
In Dir ist ein männlich Kind.
Geh heim und gebär es;
Dann komm und führ den Reigen an.* (Zeugung.)
In der Bezeichnung als gelbe Birne liegt eine Anspielung auf das schlechte,
gelbliche Aussehen der Schwangeren.
In Weiss-Russland darf aber auch eine Schwangere nicht zugegen sein,
wenn man der Braut die Haube aufsetzt, sonst ist die junge Frau das ganze Jahr
hindurch schläfrig. (Sumeow,)
Bei den Mosquito-Indianern werden bisweilen Kranke in besonderen
Hütten untergebracht. (Bartels^) Bei einer solchen Hütte darf nach Bancrofl^
wenn der Patient genesen soll, niemals eine Schwangere vorübergehen.
XXXI. Die Gesundheitspflege der Schwangerschaft
190. AerztHche Torschriften wfthrend der Schwangersehaft.
Die EnthaltsamkeitsYorschriften und die Oebräuche in Bezug auf die Ab-
sonderung der Schwangeren, wie wir sie im vorigen Kapitel besprochen, gehören
bereits dem Gebiete einer primitiven Gesundsheitspflege an, und ganz dem Stand-
punkte niederer Völker angemessen, werden derartige hygienische Yerordnungen
sehr bald durch unbeugsame Volkssitte fixirt und bisweilen auch durch rituelle
Vorschriften erweitert. Ausser den bereits besprochenen Dingen finden wir ftir
die Zeit der Schwangerschaft aber auch noch weitere Anordnungen im Gebrauch,
welche ebenfalls der Hygiene zuzuzählen sind, und wir können sie daher als arzt-
liche bezeichnen, selbst wenn sie nicht in allen Fällen dem Medicin-Manne ihre
Existenz zu danken haben. Bei einzelnen Völkern allerdings entstammen sie wirk-
lich den berufenen Vertretern der einheimischen ärztlichen Kunst.
Bei den alten Indern z. B. empfahlen die Aerzte den schwangeren Weibern,
mit ihrer Ernährung sehr vorsichtig zu sein. Susruta warnte sie vor Ueber-
müdung und Ueberanstrengung vor übermässigen Bewegungen und dem Tragen
von Lasten, vor dem Einsteigen in den Wagen, vor nächtlichem Wachen und vor
Schlafen am Tage, und absonderlicher Weise auch vor aufrechtem Sitzen. Auch
vor unzeitigem Aderlassen warnte er, sowie vor dem Fasten und dem Genuss von
trockenen, angebrannten oder verdorbenen Speisen. Ausserdem empfahl er ihnen,
reinlich am Körper und in der Kleidung zu sein. (Hessler, Vidlers.)
Die alten Chinesen hielten es für das Gedeihen des Kindes für sehr forder-
lich, dass sich die Schwangere körperlich und geistig möglichst ruhig verhielt.
Das Buch von den berühmten Frauen des Lietihiang im Siao-hio sagt:
„Einst unterstand eine schwangere Frau sich Nachts nicht auf die Seite zu legen, beim
Sitzen (auf der Matte) den Körper nicht zu biegen, nicht auf einem Fusse zu stehen, keine
ungesunde oder schlecht zerschnittene Speise zu geniessen, auf keiner schlecht gemachten Matt«
zu sitzen, keinen garstigen Gegenstand anzuschauen, noch üppige Töne zu hören. Abends
musste der Blinde (Musiker) die beiden ersten Oden des Tschen und Tschao nan im Lieder-
buche (die von der Hausordnung handeln) singen, und sie Hess sich anständige Geschichten
erzählen. So wurde ein auch geistig gut geartetes Kind geboren."
Der chinesische Arzt, welchen v, Martins citirt, stellte als Hauptregel für
die Schwangere hin: „eine massige Bewegung, die nicht allzusehr ermüdet.*
Wenn sich nach dem Verlaufe von 3 Monaten der Schwangerschaft bei
einer Chinesin Erbrechen einstellt, so wird, wie ich durch Herrn Professor CTnibr
erfahre, ein Arzt gerufen, welcher feststellen muss, ob der Puls normal ist, oder
nicht. Im nördlichen China nennt man diesen Arzt Tao-tai, d.h. Beschützer
der Leibesfrucht. Steigen und das Ausrecken der Arme wird der Schwangeren
von dem Arzte untersagt.
Die Japaner hatten früher den Gebrauch, dass eine Frau während der
Gravidität stets mit gekrümmten Beinen liegen musste, man hielt sogar während
IdO. AerEÜiche Yorschiiften während der Schwangerscliaft
701
des Schlafes die Beine der Schwangeren durch ein um die Knie und deo Nacken
gelegtes Band in einer gekriimmten Lage. Der Grund für diese Maasanahme lag
in der merkwürdigen Vorstellung, dass nian tUrchtete, das Kind könne in die aus-
gestreckten Beine der Mutter die eigenen Beine wie in eine Hose hineinstecken,
was natürlicher Weise die Entbindung sehr erschweren oder vielleicht gar nn-
raöglich machen würde* Kangawa kämpfte dagegen an, und er erklärte, daas
diese Sitte viel mehr schädlich als nützlich sei; denn durch die gekrümmten Schenkel
der Mutter würden die Beine des Embryo nach oben gedrängt, und auf diese
Weise könnten leicht Querlagen verursacht werden. Letztere konnten übrigens
auch durch zu reichliches Essen entstehen, (Miyake.)
Die mediciniache WiBsenachaft der Römer theilte nach dem Vorbilde des
Soranus von Ephesua die Zeit der Schwangerschaft in drei Perioden ein. Jede
derselben erforderte nach ihm ganz besondere ärztliche Maassnahmen«
In der ersten Zeit handelt ea sich um die Erhaltung der Fnicht, in der zweiten um
Milderung der mit der SclLwaDgdrficliiift verbundenen Erscheinungen, Geliläie u. s. w., in der
dritten und letzten Periode um die Vorbereitung einer günstigen Niederkunft. Die erste Periode
erfordert VertneiduDg aller körperlichen und geiatigen Erregung: Furcht, Schreck, plötzliche
heftige Freude u, s. w*, dann Husten, Nieaon, Fallen, ychwer-Tragen» Tanzen, Gebrauch der
AhfOhr mittel, Trunkenheit^ ErhrecheD^ Durchfall ti. a. w., kurz ÄUes, was Fehlgeburt bedingen
kann. Ruhiges Verhalten und miksige Bewegung inuäs die Frau gleichm&^sig wechseln lassen,
dagegen sich aller Reibung des Unterleibes enthalten. Sie darf deuäelhen nur mit frisch
auagepreastem Oei aus unreifen Oliven bestreichea. Während der ersten sieben Tage boU die
Frau nicht baden, auch nicht Wein trinken. Dann kann aie jedoch nicht alku fettes Fleisch
und Fiüche genieatien; scharfe Speisen und Gewünse sind ihr verboten.
Eine ganz ausführliche Besprechung der Diät in der Zeit, in welcher die sogenannten
Gelüste auftreten [etwa im zweiten Monat], finden wir in einem besonderen Ka{>itel seines
Baches; wir kommen noch darauf zurück.
Ist nun diese Periode vorüber, ao hat sich die Constitution der Frau bereits mehr ge*
kräftigt, und das sich entwickelnde Kind bedarf einer reichlicheren Nahrungszufuhr. Deshalb
braucht in Bezug auf das Essen und den Weingenuss, aber auch auf das Liegen, Schlafen
und Baden nicht mehr so vorsichtige Sorgfalt zu herrschen.
Doch vom siebenten Monat an wird wiederum die Enthaltung heftigerer Bewegung
empfohlen* wegen der Gefahr, dass sich die Frucht vom Uterus trenne, wenngleich die Er-
fahrung lehre, dass eine 7monatliche Frucht lebensfähig ist. Drücken der Brüate und Ein-
schnüren derselben wird als mögliche Ursache von Abacessen als schädlich verboten. Itn achten
Monatf den der Volksmund zu Soranus' Zeit als „leichten'^ beKoichnet«, der jedoch auch seine
Beschwerden hat, muas die Menge der Speisen wieder vermindert werden: Die Frau aoll nun
mehr liegen, wenig gehen, kalte Bäder, welche beim Volke jener Zeit sehr beliebt waren,
sind verboten. In den letzten Monaten hat die Frau den Unterleib, wenn derselbe zu sehr
überhä^ngt, mit einer Binde zn stützen und ihn mit Oel einzusalben ; nach Verlauf des achten
Monats aber soll diese Binde entfernt werden, und ea sind dann warme Bäder zu gebrauchen,
und es wird sogar Schwimmen in aüssem, warmem Wasser erlaubt, um die Körpertheile ge-
schmeidig zu machen; zu letzterem Zwecke dienen auch Bähungen, Sitzbäder mit Abkochungen
von Leinmehl, Malven u. s. w,^ Einspritzungen mit süssem Oel und Pessi aus Gänsefett.
HOchat bedenklich ist Soranus^ Anordnung für die Bebammen ^ dass sie bei Erst-
gebärenden, welche festes Muskelieisch und einen harten Cervix Uteri haben, mit dem Finger
den lUuttermund einaalben und erdfoen soUeD.
Im Mittelalter und bei den arabisclien Aerzten blieben die gleichen An-
sichten herrschend, und auch in den frühesten deutschen Hebammenbücheru
treten uns dieselben Lehren entgegen. Beispielsweise sagt Rtisslm in seinem „Der
Schwangeren Frawen Rosegarten*: Die Schwangere soll nicht faul und müssig
sein, sanft einhergehen, unmässiges Drücken und Springen unterlassen. Mao soll
sich hüten, sie auf die Schulter oder auf den Nacken zu schlagen. Wenn die
Entbindung nahe ist, so moU sie bisweilen mit ausgestreckten Schenkeln eine Stunde
lang sitzen» dann schoeü wieder aufstehen, hohe Stiegen auf und ab laufen, singen,
oder stark rufen. In dem unterweisenden Gedichte, welches Eösslin seinem Heb-
L
702 XXIX. Die Gesandheitspflege der Schwangenchaft.
ammenbüchlein angehängt hat, heisst es, nachdem die Diät der Schwangeren aua-
ftihrlich angegeben wurde:
,Wonn sich dann nahet ihre Zeit,
Dass sie der Fracht soll werden queit.
So sollen sie spacieren thon,
Die Treppen auf und nieder gohn.
Dardurch sie ring und fertig werden,
Zu geberen ohn all Beschwerden.*
Von den Yorschrifben des Stisruta unterscheidet sich dieses wesentlich darin,
dass hier gerade etwas anstrengendere Bewegungen verordnet werden, welche
in den Augen Eüsslins ohne Zweifel die Bedeutung gymnastischer Uebongen
besitzen.
Auch die Weiber der Mincopies auf den Andamanen haben, wie Man
berichtet, die Gewohnheit, während der Schwangerschaft körperliche üebungen vor-
zunehmen, weil sie glauben, dass hierdurch eine leichte Entbindung vorbereitet
werde.
191. Die Ernährung der Schwangeren nnd die Speiseverbote.
Vorschriften über die Ernährung der Schwangeren haben wir schon im
vorigen Abschnitt gestreift. Sie waren mehr allgemeiner Natur. Wir wollen
nun hier der Sitte gedenken, dass die Schwangerschaft bei manchen Völkern in
der Ernährungsweise der Frau ganz erhebliche Umwälzungen hervorruft, dass sie
ihre sonst täglich gewohnten Nahrungsmittel zu meiden hat und dass man ihr
an Stelle dieser solche Speisen zu geniesen vorschreibt, welche sie zu gewöhnlichen
Zeiten nie, oder nur ausnahmsweise zu essen pflegt.
Unbewusste Gesundheitspflege spielt auch hierbei eine Rolle. Häufig aber
sind es auch nur unbestimmte mystische Vorstellungen, welche zu solchen Be-
stimmungen fuhren. So haben wir ja oben schon gesehen, dass bei manchen
Volksstämmen die Schwangere sorgfältig vermeiden muss, zusammengewachsene
Früchte zu essen, weil sie sonst ohne allen Zweifel Zwillinge zur Welt befördern
würde. (Voigtland, Mecklenburg, Seranglao- und Gorong-Inseln u.8.w.)
Für derartige mystische Beziehungen zwischen bestimmten Nahrungsmitteln
und der Schwangeren lassen sich vielfache Beispiele bringen. Für gewöhnlich
trifft der Schaden nicht die Schwangere, sondern ihr Kind.
So darf die schwangere Serbin kein Schweinefleisch essen, weil sonst ihr Kind schielend
würde, und sie darf keine Fische essen, weil Honst ihr Kind lange stumm bleibt.
Auch der Zigeunerin Siebenbürgens ist der Genuss von Fischen während der
SchwangorHchaft aus dem gleichen Grunde untersagt, und sie darf auch keine Schnecken essen,
weil sonst ihr Kind schwer gehen lernen würde, (c. Wlislocki.J
In Bari in Unter-Italien muss die Schwangere vermeiden, Wolfsfleifch xu essen,
weil sie sonst ein heisshungriges Kind zur Welt bringen müsste. (Karusio.) In der Gegend
von Pola hat Naschhaftigkeit der Mutter einen ungünstigen Einfluss auf die KOrpereni-
wickelung des Embryo. (Mazzucdii,)
Auf Ambon und den Uli ase- Inseln gilt die Regel, dass die Frau in der Schwanger-
schaft überhaupt nicht zuviel essen soll, weil sonst ihr Kind gefrässig werden würde.
Die schwangere Japanerin verschmäht Kaninchen und Hasen zu essen, aus Furcht,
dass das Kind eine Hasenscharte bekomme.
Die Indianerinnen des Gran Chaco essen, wenn sie verheirathet sind, kein Schaf-
fleisch, weil sie meinen, dass die zu erwartenden Kinder dann stumpfnasig werden. Die
schwangere Negerin der Loango-Küste trinkt keinen Rum mehr, weil das Kind hierdurch
Muttermale bekommen könnte. Diesem Aberglauben wird jedoch nicht allgemein gehuldigt«
da von Pechuel-ljoeifche auch ein abweichendes Verhalten beobachtet wurde.
Bei vielen Völkern treffen wir ähnliche Speiseverbote, ohne dass uns der
Grund flir dieselben des Genaueren niitgetheilt wird.
Auf den Seranglao- und Gorong-Inseln dürfen die Schwangeren keine Kaiapa nnd
Kanari und nur wenig Sah und spanischen Pfeffer zu sich nehmen, nnd anf denWatnbela-
191. Die Kmäbrung der Schwangeren and die Speiseverbote.
703
Inseln fiind ihnen atiAa^rdem auch Yolvoli and Haspen verboten« Zu den verbotenen Speisen
l geboren auch Fische mit einem kleinen Schnabel und alles Fleisch von geschlachteten Thier^n,
sowie von den ßeuteh'atten.
Haitische und Aale sind für die schwangere Topantunnase-Frau in Celebes ver-
botene Speisen; ausaerdem darf sie aber auch keine Eier, kein Birschfleisch und kein Btlffel-
I fleisch ©Äsen, (Ricdct^K) Auch die Sulanesin hat unter den gleichen Umständen den Ge-
[tiuss von Hirschfleisch zu vermeiden.
Die Indianerinnen Brasiliens enthalton sich während der Schwangerschaft über-
lüpt des FleischgenuBses, und das Gleiche hüt in einigen Gegenden Japans statt.
Auf den Andamanen darf nach Man die Schwangere weder Honig noch Schweine»
, noch Farad oxurua, noch Eidechsen essen.
In Limo lo Pahalaa auf der nördlichen Landzunge von Celebea haben die AI füren*
iFrauen während der Schwangerschaft sich des Eaaene von stark riechenden Früchten zu
lenthalten, z. B. der Doerian^ Koeini, ferner auch der Krabben, der Heekrebse, der Aale u. n, w.
|Auf den Banks-Inseln im westlichen Theil des Stillen Oceans darf die Ftau niemals
riaohe essen, die mit der Schlinge, dem Netze oder in einer Falle gefangen sind. Es gilt
ledoch hier dieses Speiaeverbot nur für die erste Schwangerschaft. Aehnliche Gebräuche sind
lach von den Viti- Inseln bekannt. (Eckurdt.)
Die Carolinen-Insulanerin darf in der Schwangerschaft mehrere Arien von Cocos-
liüssen und Brodfrncbten nicht gemessen. {Merte^m,)
Der schwangeren Jädin werden in der Bibel (I. Buch der Richter 13, 7) Wein und
starke Getränke verboten.
In Deuts cht and nahmen im 16. Jahrhundert auf Anrutheu der Aerzte, t. B, RondifCft^
die Schwangeren gegen Endo der Schwangerschaft keine scharten Speisten zu sich.
Im Beginn der Schwangerschaft wird bei den Annamitinnen nichts in der LebeuB-
veise geändert. Nur von einigen furchtsamen Weibern wird eine besondere, von alten Frauen
[Torgcschriebene Diätetik befolgt: sie enthalten sich des Genusses von Ochsenfleisch und von
Papaya- Früchten; man glaubt nämlich, dasa jenes Fleisch über Nacht Abortus herbeiführt,
während man von diesen Frücht-en eine ähnliche Wirkung durch Erregung der Milch Abson-
l^terung fürchtet. Allein die grosse Mehrzahl bleibt bei der gewohnten Nahrung in der Kr-
rartung, da^js sich das Kind ruhig weiter entwickele.
Neben diesen Verboten finden wir aber auch ganz beatimmte Vorschriften
^m Bezag auf die zu wählende Nahrung.
So muBs auf den malayischen Inseln Romang, Daina» Teun« Nila and Serua
^die Schwangere täglich rohe Fische mit dem Safte von Citrus hystrix geniessen.
Auf den Carolinen-Inseln darf die Schwangere als Getränk nur die MUch ?on
Cocosnüssen zu sich nehmen. Deren bedarf sie dann eine grosse Menge.
Auf Java gemessen dl« Schwangeren vorzugswei.se gern eine dort sehr beliebte Speise,
iie man Hadja nennt und die aus verschiodenen unreifen Baumfrüchten bereitet wird; man
schält dieselben, schneidet sie in Stücke, zerstampft sie und dann isst man sie mit Sal» und
'reichlich mit spanischen Pfeilerschoten vermischt, (KttgelJ
Ein chinesischer Ainst berichtet: ^Da der Appetit in der 8chwangertchaft an sich
chwach ist, so geniesst die t'rau schon von selbst nicht viel; am besten geniesst sie Hühner-
|)rühe, in Scheiben geschnitt^^ne Früchte, niemals aber fette Speisen.*
Aus einer anderen mediciniscben Schrift der Chinesen ftihrt t\ Martins
^die folgende Stelle an:
Die Schwangere darf bloss süsse und frische, mehr vegetabilische als animalische,
iurchaus aber keine widrigen und schS.dlichen Dinge genieaten. Enthalten muss sie sich gana
rorzüglich aller fetten Speisen, aller bitteren, aller scharf geeialzeneuT sowie aller sehr heitsen
jonchte, Gartengewilchse vermehren die S&fle ihres Körpers und machen ein bnchtcs, fröh-
icbes Blut, V'^orzUglich empfchleuHwerth für Schwangere ist ein dünner Krbsenbrei , junger
EobI, nebst anderen leicht verdaulichen Erd- und Wumel fruchten. Von PUeischgattungen kann
dne Schwangere alles leicht Verdauliche und Zarte sum Genuss auswählen, namentlich nützten
hr Hühner, Knten, Tauben, junge üundo und magere Ferkel. Nur mues man alles so viel
Js möglich achmackhait zubereiten und den Schaum stuvor abnehmen. Ein gans vorxügliches
Nahrungsmittel für Schwangere sind Milchspeisen alUu" Art. Dugegon ist ihnen dt*r Genuas
(ron allerhand unverdaulichen und erhitzenden Speisen durchaus zu verbieten; hierunter ge-
hören Ingwer« Zittwer« Galgant, PfeÜer, Cardamom u, s. w. Nachtheilig fUr eine Schwanger*-
ftt ferner Hunde-, Esel*« Pferde- und Schweinefleisch^ sowie das Fleisch von wilden Thieren ]
704 XXIX. Die Gesundheitspflege der Schwangenchaft
ebenso das der Muscusthiere, Igel, Ratten, Mäuse, Schildkröten, Ottern, Frttoohe, Knbee.
Heuschrecken, Muscheln u. a. m.; desgleichen Schweineblut, Enteneier and endlich All«,
was in Butter gebraten ist. Trinken mag eine Schwangere Alles, was laicht und Mhinack-
haft ist und nicht trunken macht. Jedoch Wein, Bier oder gar Branntwein and Arte
sowie Überhaupt alle anderen erhitzenden Getr&nke, dürfen einer Schwangeren niemala ge-
stattet werden.
Herr Professor Grube berichtet mir, dass die Aerzte jetzt im nördlichen
China den Schwangeren den Qenuss von salzigen und gewürzten Speisen Terbieten.
Bei den Lappen tranken die Schwangeren vor ihrer Entbindung 8arakka-Wein und
sie assen nach derselben Sai-akka-Grütze. Die Sarakka war die eigentliche GebartigOttin der
Lappen, die alles Werdende, besonders aber die Leibesfrucht schfltite. Au lie richtete Bau
auch während der Schwangerschaft Qebete, und man errichtete ihr in der NShe ein Zelti ib
dem sie wohnte, bis die Stunde der Niederkunft gekommen war. C^astargeJ
Nach Le Bean essen die Indianer- Weiber in Ganada wenig, und die Gnarani-
Frauen unterwerfen sich sogar einem regulären Fasten. Auch die Pah- Uta- In dianer innen
in Nord-Amerika fasten wenigstens in den letzten Wochen vor der Niederkonft. Nach
Engelmann hat diese Gasteiung den Zweck, die Weichtheile der Gebartswege lam Schwinden
zu bringen und somit das Thor für den hindurchtretenden SprOasling weit so machen.
Ausserdem aber beabsichtigen sie auch dadurch die Frucht zu nOthigen, dan rie mflglickit
bald danach strebe, an dos Tageslicht zu treten, um sich an der Milch der Matter gfltlidi
zu thun.
Auch die Yolksmedicin in Deutschland ermangelt nicht beetinunter Speise-
vorschriften.
In Berlin und Potsdam soll die Frau in der Gravidität immer die Kanten vom Brode
essen, weil sie dann einen kriiftigen Jungen bekommt.
In der Rheinpfalz gestattet sich die Schwangere den Branntweingennae, um ein
schönes Kind zu erzielen; im Pongau in Oestcrreich dagegen trinken die Schwangeren
viel Branntwein und lassen zur Ader, in der Absicht, dass der Fotos klein bleibe nnd so die
Entbindung leichter wird. fScodaJ
Der alte Rösslin empfahl den Schwangeren nahrhafte Speisen und xnr Stftrknng einen
kräftigen wohlriechenden Wein, den Ciaret aus Ingwer, Nelken, Liebstöckel, Oalgant, WeiH-
kümmel und weissem Pfeifer.
In alter Zeit herrschte unter dem russischen Adel die Ueberzengnng, dan eine Frau
in anderen Umständen guten Appetit haben und ungehindert viel fettes und nahrhafte«
Essen zu sich nehmen müsse; um das zu erreichen, nahm man 40 Stück Brod von Bettlern
und das musste die Frau verzehren.
Die alten Inder hatten für jeden einzelnen Monat der Schwangerschaft ihre betondezen
Diät- Vorschriften. Im Allgemeinen galt bei ihnen die Kegel, dass die Schwangere bis tum
achton Monat nur solche Speisen geniessen solle, die zum Wachsthum des Embryo beitragen
könnten; von diesem Zeitpunkte an sollte sie dann aber eine Ernährung wählen, die auch
seine Kräftigung befördern könne.
In Susruta's Ayurvedas heisst es: ^Die Schwangere muss angenehm und süss achmeckende.
milde aromatische Speisen geniessen. Namentlich sei in den drei ersten Schwaogerschafti-
monaten die Speise süss und erfrischend, im dritten Monat Reis in Wasser gekocht, im vierten
in geronnener Milch, im fünften in Wasser, im sechsten mit gereinigter Butter gekocht. Die«
ist nach Piinigcn die Diät der Schwangeren."
Snsnda sagt daun ferner noch:
,1m vierten Monat darf sie Wasser mit frischer Butter gemischt und RebhQhnerfleiscfa
geniessen: im fünften eine mit Milch und Butter bereitete Speise; im sechsten eine EMeni
aus Butter mit Flacourtia cataphracta bereitet oder gegohrenes lieiswasser; im siebenten
Butter mit Heniionitis cordifoliu bereitet. Das alles soll zum Wachsthum der Fracht bei-
trugen. Von da an wird der Kuibryo gekräftigt, wenn die Frau im achten Monat Wasser
mit ZiziphiiK jujuba, Pavonia odorata, Sida cordifolia, Anethum sowo, Fleischbrühe, geronnene
Milch, Molkon, Sesaniöl, Seesalz, Früchte der Vangueria spinosa, Honig und gereinigte Butter
geniesst. Zulötet geniesse sie bis zur Niederkunft mildes Wasser mit gegohrenem Reis und
Kebhühner- (nach VuUers: Antilopen-) Brühe."
Bei den Atheniensern ass die Schwangere zum besseren Gedeihen des Kindes Kohl
(Athenaeüsjy Muscheln und Aepfelschalen, und sie erhielt ein Getränk aus Diptam bereitet
( Bartholinus.) Nach Kphipptis genoss sie den Kohl mit Oel und Käse:
7n6 XXIX. Die Gesundheitspflege der Schwangenchaft.
Aui Neujahrstage darf die schwangere Zigeunerin nur das Fleiich von einem Hohne
oder Hahne e^^-en. der zu Opfern benutzt worden ist, wie sie sich der übematfirlichen Ge-
Tchlechts-Diagnose anschliessen. A*. ^Vlislocki.J
Wir haben gehört, was und wie die schwangere Frau essen soll, wir
wollen aber auch noch einen ganz flQchtigen Einblick gewinnen, wo sie ihre
Nahrung zu sich nehmen und wo sie sie nicht zu sich nehmen soll.
Das.s eine Schwangere überall dort, wo sie für unrein güt^ an dem ge-
wohnlichen Speiseplatz nicht ihr Mahl verzehren darf, sondern dass sie gezwangen
i^t, sich ein abgesondertes Winkelchen aufzusuchen, das versteht sich Yon selbst.
Auf den Carolinen-Inseln ist den Männern streng untersagt, mit der schwajigervB
Frau zui*ammen zu essen, aber die kleinen Knaben, die noch keinen Gflrtel tragen, dürfen ec
und sie haben auch die Verpflichtung, sie reichlich mit Gocosnüssen zu venorgen. {MerUn^j
Die Schwangere auf Ambon und den U Hase -Inseln darf sich sam Essen nicht auf
die Treppe des Hauses setzen, weil sonst ihr Kind eine Hasenscharte bekäme, sie darf auf den
Seran^lao- und Gorong- Inseln nicht aus einer Wanne oder einem Siebe essen, und
dää Gleiche ist der Sulanesin verboten: sie darf im sächsischen Ober-Ersgebirge und
im Voigtland nicht bei der Mahlzeit vor dem Brodschranke stehen, sonst bekommt ihr
Kind die Mitesser, und nach der Ansicht der Leute in Fahrland bei Potsdam darf die
Schwangere nicht von der Kochkelle kosten, sonst bekommt sie eine schlimme Brost Wenn
die schwangere Wendin in Hannover direct aus der Flasche trinkt, so bekommt das Kind
Athembesch werden. fWendlayxd.)
Derartige Verbote Hessen sich noch in grosserer Anzahl hinzufügen.
1U2. Die Tracht der Schwangeren.
Bei den meisten der europäischen Völker hat sich, wenigstens in den
hr>heren Ständen, allmählich der Gebrauch herausgebildet, dass die Schwangeren
in der Art und Weise ihrer Bekleidung allerlei Abänderungen eintreten lassen,
gegen das, was sie sonst in dieser Beziehung gewohnt waren. Meistens haben
die Umformungen in der Toilette einen doppelten Zweck, einmal den Anzug für
die stetig zunehmende FQlle des Leibes, und später auch der Briiste, so bequem
wie möglich zu machen, andererseits erkennen wir auch den allerdings meistens
misslingenden Versuch, den veränderten Zustand der Frau nach Möglichkeit zu
Terhüllen und zu verbergen. In dem Proletariate ist es oft die Armuth, häufig
aber iiuch die Gleichgültigkeit, welche die Schwangeren dazu führt, ihre alltäg-
liche Kleidung ruhig weiter zu tragen. Dadurcli kommt dann die von Carricatur-
Malern und Dichtern so oft dargestellte Erscheinung zu Stande, mit dem Kleide,
was vom zu kurz und hinten zu lang ist. Als schön kann man dieselbe wohl
kaum bezeichnen, und auch schon die Rabbinen sagten im Midrasch Schir
Ha-Schirim:
^Donn solange daa Weib Bchwanger wird, wird sie hässlich und garstig.* (WikmchK'^.)
Jungt* Frauen machen nun bei der ersten Schwangerschaft leider gar nicht
selten den groben Fehler, dass sie ihren an Umfang zunehmenden Leib ganz be-
sonders stark einschnüren und einzwängen, ^damit man nichts merkt*^. Diese
falsche Scham liat schon viel Trauer und Unglück über die Familien gebracht.
Denn die beengende, einschnürende Kleidung behindert, wie man leicht begreifen
wird, die normale Entwickelung des Embryo und manche Formen angeborener
Monstrositäten haben in dieser Unsitte ihre Veranlassung.
Die Naturvölker, welclie gewohnt sind, ohne eigentliche Kleidung einher-
zugehen, sind in dieser Beziehung glücklicher daran. Denn auch während der
Schwangerschaft pflegen die Weiber ihren Leib nicht zu verhüllen. Als ein Bei-
spiel hierilir möge die Feuer länder in (Fig. 311) dienen, welche sich im siebenten
Monat ihrer Gravidität befindet. Ich entnahm sie dem Werke von Ilyades und
Denikrr, Auch sie, eine ungefähr 25 jährige Frau, ist zum ersten Male schwanger;
708 XXIX. Die Gesnndiieiüpfiege der Schwangenchaft.
Wir haben in einem früheren Abschnitte schon gesehen • dass die
Ne^er in Old-Calabar sich weigerten, ihren schwangeren Frauen das Anlegen
einer Kleidung za gestatten, weil sie sonst nicht im Stande waren« die an den
Bn'isten und am Leibe auftretenden Schwangerschafiszeichen zn erkennen. {Hewan,)
Aber auch solche Naturvölker, bei denen f&r die Weiber schon langst eine
Bekleidung gebräuchlich ist, scheuen es sehr Terstandiger Weise, dieser letzteren
einen beengenden Zuschnitt zu geben. Sie begreifen es sehr wohL. dass der Leib
der schwangeren Frau keinem Drucke ausgesetzt werden darf. Eine solche
lockere Bekleidung lässt uns Fig. 312 erkennen. Es handelt sich hier om eine
Javanin, eine Frau aus Buitenzorg, welche sich im achten Monate ihrer
Schwangerschaft befindet.
Das ist wiedenmi eine Gewohnheit und eine primitive Hygiene, an der
viele Frauen in Europa sich ein gntes Beispiel nehmen könnten.
193. Die Gelfiste der Schwangeren.
Von Alters her stehen die Schwangeren in dem Rufe, dass sie zeitweilig
von sogenannten GelQsten befallen werden, d. h. von der unüberwindlichen
Neigung, bestimmte Dinge zu essen und zu trinken, die entweder sehr schwer
verdaulich und ihnen eigentlich verboten oder unerreichbar sind, oder die selbst
gar nicht zu den essbaren Gegenständen gehören. Einem solchen Gelüste, dessen
Hauptzeit, wie wir gesehen haben, Soranus in den zweiten Monat der Schwanger-
schaft verlegt, die aber von anderen bis in den dritten Monat ausgedehnt wird,
darf man unter keinen Umständen nach der Meinung des Volkes entgegentreten,
weil sonst sowohl die Mutter als auch das im Werden begriffene Kind an Leib
und Leben Schaden zu nehmen vermöchte. Allermindestens würde das Kind , malig*
werden, während die Mutter dadurch, dass man es ihr abschlüge oder es ihr
nicht zu schaffen vermöchte, sich in för sie gefahrdrohender Weise erschrecken
und erregen würde. Die alten Aerzte nannten diese Gelüste gewöhnlich pica.
auch wohl citra oder malatia. Der alte David Herlicius aus Stargard
schreibt darüber 1628:
^Trpgt sich bisweilen za, das sie (gemeiniglich im 2. oder 3. Monat abscbewliche onU
ungebührliche dinge zu essen begehren, als Kreyde, Kolon, Gambrfihe, Pech, Flachü, Wagen-
schmiero, rohes Fleisch, rohe Fische und Krebs, viel Saltz und dergleichen. Dieses ist wohl
zn nielironiial ein einbilden und eitel fümehmen unartiger woiber.*
P> giebt dann den Tcrständigen Rath:
„Solchen frawen soll man dieselben dinge, derer sie gelüstet, weinig unter Augen
stellen, und auss den Sinn reden, wie man nur kan, in ihrer Gegenwart nicht gedenken,
und solche Sachen ich ihr mit Verachtung verleide, auch anzeige, was für grosser Schade und
gefalir daraus entstehe.*
Um nun aber die schädliche Wirkung einer solchen Verweigerung nicht
aufkommen zu lassen, muss man ihr einen Aufguss von jungen Weinblättem, die
im Mai gesammelt wurden, dreimal nach einander zu trinken geben.
Die Ursache dieser Gelüste ist, wie die Physiologie gelehrt hat, in Reizungs*
zuständen des sogenannten Sonnengeflechtes, d. h. der Verzweigungen des Bauch-
theih^s von dem sympathischen Nervensystem zu suchen, und es bedarf natürlicher
Weisi» weiter gar keinft Versicherung, dass eine willensstarke Frau dieselben ohne
Weiteres zu unterdrücken vermag.
Unter dem Volke, namentlich auf dem Lande, spielen die Gelüste der
Schwangeren aber auch heute noch eine grosse Rolle, und es geht dieses so weit,
dass z. R. im Schwarzwalde eine schwangere Frau, wenn sie von dem Gelüste
h«»fullen wird, ohne Weiteres Früchte aus einem fremden Garten zu nehmen be-
rechtigt ist, jedoch })e8teht dabei die Bedingung, dass sie dieselben dann auch so-
fort verzehren muss. Auch schon nach den Weisthümem durften, wie Orimm
193. Die Gelüste der SchwaDgeren. 709
berichtet, die. Schwangeren nach Belieben und ohne dass sie strafbar waren, ihr
Gelüste nach Wildpret, Obst und Gemüse befriedigen, selbst wenn es anderen
Leuten gehörte. Wenn in Brandenburg eine Schwangere ihre Gelüste unter-
drückt, so befurchtet man, dass ihr Kind niemals die betreffenden Speisen wird
essen können. In Schwaben glaubt man (Btick), dass eine Schwangere, deren
Sehnsucht nach einer gewissen Speise unerfüllt bleibt, ein Kind mit einem Mutter-
male gebären werde, dessen Form an die betreffende Speise erinnert.
Die Gelüste der Schwangeren, la voglia, kennt auch der Italiener sehr
wohl, und wer in der Provinz Bari ihnen eine Speise, nach der sie ihr krank-
haftes Begehren befällt, verweigerte, der würde ein Gerstenkorn am Auge be-
kommen. Denn wenn solch Gelüst unbefriedigt bleibt, so würde das Kind un-
fehlbar an seinem Körper hiervon irgend ein Mal oder ein Zeichen bekommen.
Ist nun aber das Gelüst absolut nicht zu befriedigen, dann soll die Schwangere
sich die Hinterbacken kratzen; hierdurch ist sie im Stande, die schädliche Ein-
wirkung von dem Kinde, dass sie unter ihrem Herzen trägt, abzuwenden. (Karusio,)
Bei Pola herrschen ähnliche Anschauungen, aber hier erstrecken sich die Ge-
lüste niemals auf Nahrungsmittel, welche nur käuflich in den Läden zu haben
sind. (Mazzucchi.)
Man darf aber nicht etwa denken, dass Gelüste nur bei Schwangeren höher
civilisirter Völkerschaften vorkommen; vielmehr werden auch die Frauen der Ur-
völker von ihnen geplagt, und auch bei ihnen herrscht die Meinung, dass es dem
Kinde schade, wenn man den Schwangeren die absonderlichen Genüsse versagt,
nach denen sie gelüstet. Wie die altindischen Aerzte schon meinten, die Ge-
lüste der Schwangeren müssen befriedigt werden, so stellten denselben Grundsatz
die jüdischen Aerzte des Talmud auf; im Falle der Nichtbefolgung derselben
hielten sie Leben und Gesundheit der Schwangeren oder ihrer Frucht für so sehr
gefährdet, dass man nöthigenfalls selbst den Versöhnungstag entweihen und die
Speisegesetze unberücksichtigt lassen durfte.
Auch bei den heute lebenden wilden Völkerschaften spielen die Gelüste eine
grosse Rolle. So werden nach dem Zeugnisse des Abtes CfjY/ die Indianerinnen
amOrinoco nicht wenig von Gelüsten geplagt, und von den Indianern, welche
ehemals Pennsylvanien bewohnten, erzählt Heckewelder:
„Wenn eine kranke oder schwangere Frau zu irgend einer Speise Lust hat, so mach^
der Ehemann sich gleich auf, sie zu besorgen. ** Er fQhrt Beispiele an, wo der Mann 40 bis
50 Meilen lief, um eine Schüssel Eranichbeeren oder ein Gericht Welschkom zu schaffen.
Eichhörnchen, Enten und dergleichen Leckerbissen sind die Dinge, wonach die Frauen im
Anfange der Schwangerschaft gewöhnlich gelüstet; der Mann spart keine MQhe, sie herbei-
zuholen.
Die Gelüste der Schwangeren erstrecken sich durchaus nicht immer auf
essbare Dinge, sondern es werden bisweilen die absonderlichsten Stoffe von den
Schwangeren als Nahrungsmittel begehrt. In den Nilländern, wo nach Robert
Hartmann diese Zustände nicht selten sind, werden sie mit dem Namen Tama
bezeichnet, und im Sudan sucht man derartigen pathologischen Begierden der
Schwangeren nach Möglichkeit Genüge zu leisten.
Während der Schwangerschaft pflegen die Frauen zu Lucknow in Indien
Erde zu essen, die sie in kleinen Knollen verzehren. In Bengalen dagegen ist
diese Erde in kleine Scheiben von zierlicher Form gebracht. Sie essen dieselben
in grossen Massen trotz des Verbotes ihrer Ehemänner. (Jagor.)
Auch in Persien verzehren die Schwangeren nach Polak während der
letzten Monate besonders viele Erde, Magnesia-Tabaschir. Ob wir hier Gelüste
zu erkennen haben, oder ob diese absonderlichen Nahrangsmittel nicht vielmehr
eine medicamentöse Bedeutung besiisen, lasse ich dahingeaiellt.
Sicherlich ist das Letsstere der Fall bei «pn«m q Steine, Namens
Tubaret homra, d. L rother ' ichtet, die
710 XXIX. Die Gesundheitspflege der Schwangerschaft.
schwangeren Damascenerinnen gepulvert der Gesandheit wegen verzehren:
allerdings soll auch der angenehme Geruch ein Grund daftir sein, dass das Pulver
gegessen wird.
Die Mincopie -Weiber auf den Ändamanen haben während der Schwanger-
schaft die Gewohnheit, ab und zu kleine Mengen eines weissen Thones zu knabbern,
den sie auch zum Bemalen ihres Korpers benutzen. Sie haben den Glauben, dass
dieses segenbringend für ihren Zustand sei.
Die Sulanesinnen bekommen in der Schwangerschaft bisweilen das Ge-
lüste, Baumharz zu essen.
Um echte Gelüste handelt es sich bei den Bewohnerinnen der kleinen Inseb
im Südosten des malayi sehen Archipels. Wir haben bereits oben einige Speise-
verbote kennen gelernt, die für diese Frauen während der Schwangerschaft Gdtung
haben. Sie werden aber sämmtlich hinfällig, sobald eine solche Frau von Ge-
lüsten befallen wird. Dann darf sie eben alles essen, z. 6. auf Serang auch
herbe und sauere Früchte, auf Ambon und den Üliase-Inseln ausser unreifen
Früchten selbst gebrannten Thon und Scherben von Töpfen und Pfannen. Streng
für die Schwangeren verpönt ist aber trotz aller sonstigen Nachsicht gegen die
Gelüste auf Keisar die Ananas, und auf den Inseln Leti, Moa und Lakor die
Erdmandel (Arachis hjpogaea), letztere weil sie angeblich Fieber verursacht.
194. Die Sorge für die psychische Stimmung der Schwangeren.
Während die auf niederer Cultur stehenden Völker ebenso wenig auf die
geistige wie auf die körperliche Ruhe der, wie bei uns der Yolksmund sagt^ ,io
guter Hoffnung* befindlichen Frau bedacht sind, beginnt man mit einiger Civili-
sation in dieser Hinsicht meistens rücksichtsvoller zu verfahren. Unter allen
Gulturvöikem denkt man schon daran, dass Heiterkeit des Gemüths, Reinlichkeit,
Massigkeit in allen Genüssen die besten Vorsichtsmaassregeln in dieser Beziehung
sind und dass insbesondere alle heftigen Afiecte vermieden werden müssen. Schon
die altindischen Aerzte beginnen ihre guten Rathschläge für Schwangere damit,
dass sie ihnen empfehlen, beständig heiter und guter Dinge zu sein; auch soUten
sie sich vor Furcht und Zorn und selbst vor lautem Reden hüten. (Ilessler,
Vullers.)
Die Autoren unserer ältesten Hebanmienbücher (aus dem 16. Jahrh.) sagen,
die Schwangere solle in , Freude und Wollust* leben. Jene rathen, Alles, was
übel riecht, zu vermeiden, und auch die Inder meinten, die Schwangere müsse dem
Gestank ausweichen. Der altindische Arzt Susruta warnt vor Grabstätten, und
ein chinesischer Arzt (r. Martius) sagt: „Eine Schwangere vermeide solche
Orte, wo man ein Grab bereitet, eine Leiche begräbt u. s. w.*
Das Verbot, sich bei Gräbern aufzuhalten und Leichen zu sehen, ist ein
weitverbreitetes. Wir begegnen ihm im malayischen Archipel auf Seranglao
undGorong, und ebenso auch in Schlesien, Pommern, Thüringen und dem
y oigtlande. Hier nimmt man übrigens auch an, dass der Besuch des Kirchhofes
dem entstehenden Kinde zeitlebens eine Leichenfarbe oder gar der Schwangeren
selber den Tod zu bringen vermöchte. Ganz ähnliche Beweggründe sind es wohl,
welche zu folgender, uns von Kat scher berichteten Sitte führen: In manchen
Gegenden Chinas erleidet, wenn Weiber der trauernden Familie schwanger sind,
das Leichenbegängniss einen Aufschub bis nach der Vollendung der erwarteten
Geburten. Die Grossmutter eines intimen Freundes Grays blieb mehrere Jahre
unbeerdigt, weil immer eine oder die andere Verwandte sich in gesegneten Um-
ständen befand.
Die schwangere Zigeunerin verliert ihre Leibesfrucht, wenn sie über den
Schatten von Grabkreuzen ihre Schritte setzt.
194. Die Sorge fQr die psychiRche Stimmang der Schwangeren. 711
Streit und Zank muss die Schwangere meiden, und sie darf vor allen Dingen
selbst nicht schelten oder gar jähzornig werden, weil sonst auch ihr Kind böse
werden würde (Ost-Preussen, Archangel, Luang- und Sermata-Inseln,
Seranglao und Gorong). Dass vielleicht die Sorge, der Schwangeren eine
ruhige und fröhliche Stimmung zu erhalten, die Ursache ist, dass sie bei so ver-
schiedenen Völkern nicht als Zeugin vor Gericht erscheinen darf, das wurde bereits
früher erwähnt. Auch das Verbot für die Schwangeren, Thiere zu tödten, muss
wohl mit hierher gerechnet werden. Wir finden dasselbe auf Seranglao und
Gorong und auch im bayerischen Franken. Hier darf sie keine jungen
Katzen oder Hunde ins Wasser werfen, um sie zu ersäufen; thut sie es dennoch,
so wird sie kein lebendes Kind zur Welt bringen. Auf Ambon imd den Ulia se-
insein darf sie nicht einmal rohes Fleisch schneiden.
Man war im klassischen Alterthum bekanntlich davon überzeugt, dass es
für die Schwangere segensreich sei, wenn ihr Auge auf schönen Gegenständen
ruhte. Das sollte bewirken, dass auch bei ihrem Kinde jsich schöne Körperformen
entwickelten. In dieser Beziehung ist eine Stelle des Talmud sehr charak-
teristisch, welche im Traktate Berachoth enthalten ist. Pinner übersetzte sie
folgendermaassen :
,22. Jochnanan war gewohnt zu gehen und sich zu setzen vor die Thore der B&der.
£r sagte: Wenn sie hinaufsteigen, die Töchter Jisraeh, und kommen aus dem Bade, so mögen
sie mich ansehen, damit sie Kinder bekommen, die so schön sind, wie ich bin. £^ sagten zu
ihm die Rabbinen: Ist nicht der Herr besorgt wegen eines bösen Auges? Er sagte zu
ihnen: Ich, von dem Stamme JoatpKa stamme ich ab, welchen nicht beherrschen kann ein
böses Auge.**
Andererseits aber scheinen die Rabbiner durchaus nicht davon durchdrungen
gewesen zu sein, dass die Stimmung der Schwangeren eine fröhliche sei. Denn
in dem Midrasch Schir Ha-Schirim heisst es zur Erklärung von 5. 6. des
Hohen Liedes Salomonis:
»Später aber war er gegen mich von Zorn erfüllt, wie ein schwangeres Weib.*
(Wünsche^.J
Zu der Fürsorge für die gute Stimmung der Schwangeren gehört es auch,
dass man ihr keinen ihrer Wünsche versagt. Bittet sie bei den weissrussischen
Bauern um Geld und man schlägt ihr diese Bitte ab, so werden Mäuse oder
Ratten dem Hartherzigen die Kleider zernagen. Wer die Bitte nicht erfiillen
kann, muss sofort der Frau ein kleines Kohlenstückchen, etwas Erde oder etwas
Schutt nachwerfen.
XXX. Die Gefahren und der Schutz der Schwangeren.
195. Das Versehen der Sehwangeren.
Der Glaube, dass das plötzliche Sehen von etwas Hässlichem oder gar Ver-
krüppeltem und Missgestaltetem, über das die Schwangere erschrickt, in sym-
pathetischer Weise dem Embryo Schaden bringe, so dass das Kind an irgend
einer Stelle seines Körpers eine an das Gesehene erinnernde Missbildong be-
komme, ist über ganz Deutschland verbreitet; er findet sich aber ebenfalls auch
bei manchen aussereuropäischen Völkern. Es ist noch nicht sehr lange her,
dass nicht allein das gebildete Publikum, sondern sogar die Äerzte jede Monstro-
sität, jede Missgeburt aus dem Versehen zu erklären sich bemühten, und natür-
licher Weise gefiel es einer jungen Mutter, welche ein missgebildetes Kind zur
Welt gebracht hatte, sich zu erinnern, dass sie innerhalb der neun Monate ihrer
Schwangerschaft einmal etwas Widerwärtiges gesehen oder sich über etwas er-
schreckt habe, dem sie dann bereitwilligst die Schuld an der Anomalie ihres
Kindes in die Schuhe schob.
So glaubt man allgemein in Deutschland, dass die Feuermäler entstehen,
wenn die Schwangere vor einem Feuer erschrickt, oder wenn sie einen Schreck
bekommt, weil sie plötzlich Jemanden bluten sieht. Immer soll dann das Feuer-
mal das Bild der blutüberströmten Stelle wiedergeben. Auch das Erschrecken
vor Thieren ist höchst gefahrlich, weil die Schwangere sich ebenfalls daran ver-
sieht und dann die Kinder je nach der Thiergattung mit behaarten Muttermälem,
mit Hasenscharten, mit Schweineschwänzen oder Ziegenklauen, und wenn das Thier,
welches den Schreck eingejagt hat, zufallig ein frischgeschlachtetes war, auch mit
offenem Bauche und vorliegenden Eingeweiden geboren werden. Wenn die Mutter
vor einem Hasen erschrickt und sich dabei in das Gesicht fasst, so bekommt das
Kind eine Hasenscharte; es kann aber auch einen Hasenkopf bekommen (Spree -
wald). Wenn die schwangere Serbin in das Blut eines frischgeschlachteten
Schweines tritt, so bekommt ihr Kind dadurch rothe Flecke.
An das Versehen der Schwangeren glaubt man auch in Klein-Russland,
wo man es ilir besonders gefahrlich hält, wenn sie ein brennendes Haus erblickt,
denn dann bekommt das Kind auf der Stirn einen schwarzen Strich oder einen
dunkelrothen Fleck am Leibe. Im Gouvernement Charkow vermeiden Schwangere
den Anblick sehr hässlicher Menschen, besonders solcher, welche Narben oder etwas
Aehnliches im Gesicht haben.
Vielleicht hatten auch die alten Inder den Glauben an das Versehen der
Schwangeren, denn SHsnda warnte Schwangere, schmutzige und «ungestaltete*
Dinge zu berühren. Der oben genannte chinesische Arzt sagt: Man hüte sich,
eine Schwangere Hasen, Mäuse, Igel Schildkröten, Ottern, Frösche, Kröten und
dergl. sehen zu lassen. Ebenso muss auf Ambon und den Uliase-Inseln die
schwangere Frau vorsichtig vermeiden, auf ihren Ausgängen Schlangen oder Affen
zu begegnen.
195. Das Versehen der Schwangeren. 713
Auch an Bildern und Bildwerken vermögen sich nach dem Glauben früherer
Jahrhunderte die Schwangeren zu versehen. So haben die Talmud isten im
Midrasch Bereschit Rabba folgende Geschichte niedergelegt:
,Es war einmal ein Mohr, der eine Mohrin goheirathet und mit ihr einen weissen Sohn
erzeugt hatte. Der Vater nahm den Sohn und kam zu Rabbi und sprach: Dass ist vielleicht
nicht mein Sohn. Da fragte er ihn: Hast Du Bilder in deinem Hause? Ja. Sind sie schwarz
oder weiss? Weiss? Daher, sagte hierauf Rabbi, hast Du den weissen Sohn/ CWänsche^.J
Auch im 13. Jahrhundert Hess der Papst Martin IV. aus seinem Hause
sämmtliche Darstellungen seines Wappen thieres, des Bären, entfernen, weil sich
eine Dame seines Hofstaates an demselben versehen hatte und mit einem gänzlich
behaarten Kinde niedergekommen war.
Auch unter den Urvölkern Amerikas ist der Glaube an das Versehen
heimisch, z. B. unter den Indianern am Orinoco. (Güli.)
Den V^akamba in Ost- Afrika ist nach Hüdebrandt das Versehen eben-
falls eine sehr bekannte Erscheinung. Empfindet die Frau rechtzeitig, dass sie
sich versehen hat, so muss sie die Arme nach hinten bewegen und dazu sprechen
„weggesagt*, dann wird das Versehen unschädlich.
In Altpreussen herrscht, um das Versehen zu verhüten, die Vorschrift,
dass die Frau, sobald sie einem Krüppel u. s. w. begegnet, nach dem Himmel
oder auf ihre Fingernägel schauen soll.
In Schässburg und in Unterwald in Siebenbürgen räth man der
Schwangeren, Dinge, vor denen sie erschrecken könnte, sich recht genau anzu-
sehen, oder den Blick sofort davon zu wenden. Fürchtet die Frau, sich an etwas
zu versehen, so soll sie sich sogleich an den Hinteren greifen und sich in Er-
innerung bringen, sich nicht versehen zu wollen, dann wird es keine Folge haben,
oder das Kind wird das „Mal* an diesem Körpertheil erhalten. Ein anderes Mittel
ist, auf den Thurm zu steigen und von dort herunter zu sehen.
Es steht ja nun natürlich ausser allem Zweifel, dass Schreck und Gemüths-
bewegungen einer schwangeren Frau auf deren Nervensystem und auf ihre Blut-
circulation eine alterirende Wirkung haben müssen, die sehr wohl zu Störungen
in dem Wachsthum des Embryo zu führen vermögen, und neuerdings verficht der
Leipziger Gynäkologe llennig die Schädlichkeit eines Erschreckens der Mutter
für das Kind im Uterus:
«Dagegen werde ich wieder zu einer schon früher in meinen Vorlesungen vertheidigten
Ansicht hingezogen, welche eine heftige, unvorbereitet die Schwangere treifendo Geiuflths-
bewegung, hier den Schreck, bei einer abergläubischen Person als primum anspricht. Meine
Theorie ist folgende: während der körperlichen Erschütterung, welche jeden Schreck begleitet,
trifft ausser dem bekannten präcardialen Irradiationsgefühle ein centrifugaler (Hirn-) Strom
die bei Frauen so leicht erregbaren Verbindungsstränge, welche aus dem Rückenmarko zum
Uterusgeflechte hinstreichen. Dass dieser psychische Reiz zunächst nicht den Plexus spermaticus
trifft, wird durch die Thatsache erhärtet, dass die von heftiger Gemüthsbewcgung betroffenen
Frauen meist nicht hypogastrische Schmerzen, sondern einen kurzen centrischen Schmerz oder
Krampf in der Gegend der Gebärmutter angeben, der gern reflectorisch die BeinumHkeln lähmt,
zunächst Yorübergehend. Sitzt nun im Uterus ein junges Ei, so stelle ich mir vor, dass die
vorzeitige Wehe eine Welle im Fruchtwasser erregt. Diese Welle stürzt gegen den Scheiden-
theil, drückt entweder die Frucht abwärts, oder stösst im Rückprall gegen den Grund des
Uterus, gelegentlich nochmals von oben abprallend. Hierbei werden die noch zarten Gebilde
des Embryo leicht gezerrt, Spalten um Verschlusse gehindert oder wieder gesprengt, die Haltung
der Gliedmaassen verschoben, ihr Wachsthum gestört.**
Was der Lehre von dem Versehen der Schwangeren in der Aligemeinheit,
wie man sie früher aufgestellt hatte, aber mit Recht den Boden entzogen hat,
das ist der Umstand, dass der von der Mutter mit aller Bestimmtheit angegebene
Schreck, der dem Kinde die Missbildung gebracht haben sollte, in den meisten
Fallen in den letzten Monaten der Schwangerschaft der Mutter begegnet war,
während die betreffenden Monstrositäten, wie die Entwickelungsgeschichte in un-
714 XXX. Die Gefahren und der Schutz der SchwmngereD.
bi^x reit barer Weiser darthat. bestimmten Stadien unserer Entwickelong im Matter-
UirA: entäprechen. welche in die allerersten Wochen des embryonalen Lebens fallen.
Dirr^e Sudien sind darch eine Hemmung der weiteren Ansbildoi^ in diesen Mon-
strositäten erhalten eeblieben.
1%. Aben^linbische Terbaltungsregeln wihrend der SehwftBgenekaft
Wir haben in den vorigen Abschnitten schon so rielerlei kennen gelernt.
wa? die Schwangere thon und was sie renneiden soll, dass man glauben mochte,
die Verhaltangsregeln seien nnn damit endlich erschöpft. Dem ist aber nicht so;
.rondem noch vor mancherlei Anderem hat sich die Schwangere sorgfiLltig zu
baten, wenn .sie nicht sich oder ihrem Kinde einen Schaden zufbgen wilL £r-
.scheinen nna nun auch manche von diesen Bestimmungen ganz absurd, so können
wir doch wieder bei anderen den Gedankengang ahnen« welcher die Leute zu
diesen Vorschriften veranlasst hat. Alles Knüpfen. Knoten und Verbinden Ter-
urnacht einen Verschluss und muss daher von der Schwangeren unterlassen werden,
wenn .sie nicht selbst verschlossen sein will oder mit anderen Worten, wenn sie
einer schweren Entbindung ausweichen mochte. Darum darf sie auch auf den
Luang- und Sermata- und den Babar- Inseln keine Stoffe weben und auf den
letzteren auch keine Matten flechten. In Franken darf die Schwangere aus
dem gleichen Grunde nicht Qber eine Pflugschleife hinwegschreiten, oder wenn
sie es aus Versehen dennoch gethan hat. so muss dieselbe wieder zusammen-
geharkt werden.
Darum wahrscheinlich legen die Songish-Indianerinnen in VancouTer
und eben.so die Weiber der Nootka-Indianer. wenn sie schwanger sind, alle
Armbänder, Beinringe und Halsketten ab. wie von Boas berichtet wird.
Alles Kriechen und Sichwinden macht dem Kinde Umschlingungen der
Nabelschnur, dlajer.j Deshalb vermeidet in der Pfalz die Frau, unter einer
Waschleine hindurchzuschlQpfen: auch darf sie weder spinnen, haspeln, noch
zwirnen. ^Fatdi,/ Im bayerischen Franken darf sie ebenfalls nicht unter einem
Seile oder einer Planke hindurchkriechen, und dieselbe Besorgniss ist bei den
Ehsten die Ursache, dass Schwangere beim Waschen und Abspulen der Kleidungs-
.stucke nicht kreisförmige Drehungen ausfuhren.
Von der Sächsin in Siebenbürgen sagt r. Wh'slocki'^:
.Kine ^chwangere darf keinen Zwirn um ihren Nacken wickeln oder Perlen am Halt«
tragen, sonst wickelt s>ich dem Kinde Ijei iler <ieburt die Nabelschnur um den Hals; dasselbe
geschieht, wenn sie über eine Wagendeichsel springt.*
J^etzteres gilt auch für Oldenburg, auch darf hier die Schwangere nicht
unter dem Halse des Pferdes hindurchkriechen, nicht über eine Egge schreiten und
nicht über eine Wagendeichsel kriechen.
Auch im Modenesischen darf nach Ä/rrrtrrf/ die Schwangere nicht unter
einer ausgespannten Leine oder unter einem Pferdekopf hindurchgehen, denn so
oft sie dieses thut, so oft würde sich die Nabelschnur um den Hals des Fötus
schlingen.
Ebenso durchsichtig ist die Ideenassociation, wenn wir hören, dass die
Siebenbürger Sächsin ein Kind .verkehrt* zur Welt bringen würde, wenn sie
rückwärts in dem Wagen fährt, oder die Ehstin und die Schwangere auf den
Luang- und Serniata-Inseln, wenn das Brennholz verkehrt oder gegen den
Ast in das Feuer geschoben wird. Schwerer ist es schon zu verstehen, warum
der Siebenbürger Sächsin das Gleiche widerfahrt, wenn sie beim Backen über
die Ofenbank schreitet, fv. Wlislocki^.j
Bei den Bulgaren fStrausjs) heisst es nur, dass die Schwangere eine
schwere Niederkunft haben würde, wenn sie über ein Holz hinwegschreitet Aber
^-'s gleiche Unglück begegnet ihr auch, wenn sie mit übergeschlagenen Beinen r'* *
196. Abergl&ubische Verhaltungsregeln während der Schwangerschaft. 715
Abgesehen von diesen Erscliwerungen der Niederkunft kann ein unvorsichtiges
Verhalten der Schwangeren auch noch allerlei bleibenden Schaden für das sich
bildende Kind verursachen. Die Magyarin würde z. B. ganz sicher ein ver-
krüppeltes Kind gebären, wenn unter ihrem Lager Mäuse nisten und sie nicht
ihren Koth oder Urin in deren Löcher prakticiren würde. Auf Ambon und den
Uliase-Inseln, auf den Seranglao- und Gorong-Inseln und aufden Watu-
bela-Inseln kommt ein verkrüppeltes Kind zur Welt, wenn die Schwangere
Krüppel verspottet.
Die schwangere Sächsin in Siebenbürgen darf man nicht mit Blumen
werfen, sonst bekommt ihr Kind an der Stelle, wo sie getrofTen ist, ein Mal. Sie
darf keine Bohnen in ihre Schürze schütten und auch nicht auf Hanfabfalle
uriniren, sonst bekommt das Kind einen Hautausschlag. Das Gleiche verursacht
die Zelt-Zigeunerin in Siebenbürgen, wenn sie Hirse, Hanfsamen, Perlen
oder sonstige kleinkörnige Gegenstände in ihrer Schürze trägt; und spritzt ihr
zufällig das Blut eines abgeschlachteten Thieres ins Gesicht, so treten bei ihrem
Kinde an derselben Stelle rothe Flecken hervor, wenn sie die angespritzte Stelle
ihres Gesichtes nicht bei abnehmendem Monde mit Salzwasser einigemale befeuchtet.
Das Kind der Wendin in Hannover bekommt Sommersprossen und
Muttermale, wenn sie in der Schwangerschaft etwas kocht, was spritzt, oder wenn
sie gelbe Rüben schabt. Die Krätze bekommt das Zigeuner-Kind, wenn die
Schwangere einer Kröte begegnet und wenn sie dieselbe anspeit. Aehnliche Be-
fürchtungen sind vielleicht der Grund, dass auf Ambon und den Uliase-Inseln
die Schwangere keine Aussätzigen oder Leute mit bösen Geschwüren hinter ihrem
Rücken vorbeigehen lassen darf.
Auf den Uliase-Inseln vermeidet die Frau, in der Schwangerschaft mit
dem Rücken gegen einen Kochtopf gekehrt zu sitzen, weil sonst das Kind schwarz
werden würde. Die Siebenbürger Sächsin darf kein Schwein mit dem Fusse
stossen, sonst bekommt das Kind Borsten auf dem Rücken; sie darf keinen Hund
und keine Katze schlagen, sonst wachsen dem Kinde Haare im Gesicht. Rothe
Haare bekommt das Kind im Spreewalde, wenn die Schwangere, um den Flachs
zu trocknen, in den Backofen kriecht.
Einen Wasserkopf bekommt das Kind, wenn die Mutter sich am Wasser
zu thun macht (Preussen). Damit das Kind nicht schielend werde, darf in
Preussen die Schwangere durch kein Ast- oder Schlüsselloch und in keine Flasche
sehen, in Serbien die Frau nicht über eine Heugabel schreiten (Pelrowitsch),
und auf der Insel Ambon und den Uliase-Inseln die Schwangere nicht auf
Riffen fischen.
Hält sich die Wendin in Hannover und im Spreewalde bei etwas
Uebelriechendem die Augen zu, so bekommt das Kind einen stinkenden Athem,
und zu einem Bettnässer macht die letztere ihr Kind, wenn sie ihr Wasser bei
einer laufenden Dachtraufe abschlägt.
Epileptisch wird das Kind, wenn die schwangere Serbin das Kreuz küsst;
an Engbrüstigkeit stirbt es, wenn die Siebenbürger Sächsin in der Schwanger-
schaft den Ofen putzt. Trinkt sie aus einer hölzernen Kanne oder aus einem
Schöpfeimer, so bekommt ihr Kind den Speichelfluss. Sieht die schwangere Zelt-
Zigeunerin in Siebenbürgen das aufgesperrte Maul eines verendenden Thieres,
so bekommt das Kind einen hässlichen Mund. Die Ehstin glaubt beim An-
schneiden eines Brodes ihren Kindern dadurch einen wohlgeformten Mund zu ver-
schaffen, dass sie zunächst nur ein kleines Stück abschneidet.
Die Zelt-Zigeunerin in Siebenbürgen soll während der Schwangerschaft
jede Schnecke, die sie erblickt, zertreten, weil sonst ihr Kind schwer gehen lernen
wird, und die Sächsin in dem gleichen Lande muss es vermeiden, in diesem
Zustande auf ein getödtetes Thier zu treten, weil ihr Kind sonst überhaupt nicht
'^n lemfln wOrde. Speit die erstere eine Kröte an, so wird ihr Kind schwer
716 XXX. Die Gefahren und der Schutz der Schwangeren.
sprechen lernen; und wenn sie bei dem Schrei einer Wiesenralle niclit schnell
ihren Mund mit der linken Hand bedeckt, so wird sie ein Kind gebären, das
Tag und Nacht weint.
Will die Frau auf Seranglao und Gorong gesunde und wohlgestaltete
Kinder zur Welt bringen, so darf' sie, wenn sie schwanger ist, nicht vor der Thüre
sitzen, kein Holz aufsammeln, nichts Stachliches fischen und nicht auf dem Rücken
liegen. Auf den Luang- und Sermata-Inseln darf nicht gekocht werden, wo
eine Schwangere im Hause ist. Katzen oder Hunde mit FUssen stossen, verursacht
in Böhmen und Mähren Fehlgeburt.
Auch auf die spätere Moral des Kindes vermag ein unvorsichtiges Verhalten
von Seiten der Schwangeren einzuwirken. Trägt sie bei den Siebenbtirger
Zelt -Zigeunern die Federn eines Raubvogels bei sich, so wird ihr Kind ein
grosser Dieb und es wird sein Leben einst im Kerker oder gar an dem Galgen
beschliessen. Wenn in Bayern die Schwangere einem armen SUnder auf seinem
letzten Gange folgt, so wird das Kind einst denselben Weg gehen. Sie darf nicht
Jemandem etwas fortnehmen oder heimlich essen, weil sonst ihr Kind die Neigung
zum Stehlen bekommt (Ost-Preussen); aus dem gleichen Grunde darf sie auf
Ambon imd den U Hase- Inseln nichts heimlich verbergen.
Während der Schwangerschaft soll die Zigeunerin mit keiner Katze
spielen, oder sie gar in den Schooss nehmen, weil sonst das Kind im Leben viele
Feinde bekommen würde. Im Gebiet von Modena muss der heiligen Liberata
eine Messe gelesen werden, wenn die Weiber von Beschwerden wahrend der
Schwangerschaft befallen werden, weil sonst das Kind später auf die Galeere oder
an den Galgen kommen würde. (Riccardi,)
Eine schwangere Magyarin darf den Blitz nicht sehen, weil sonst ihre
Kinder ruhelose Wanderer würden und zu ihr nie mehr zurückkehren. Und doch
sind bei ihnen Spähne von einem Baume, den der Blitz getroffen hatte, ein heil-
bringendes Amulet für eine glückliche Geburt.
Als ein sehr schweres Vergehen gilt es, wenn bei den Magyaren oder den
Siebenbürger Sachsen die Schwangere den Segen ihres Leibes ableugnen
wollte. Die Kinder lernen dann bei den Ersteren spät, kei den Letzteren aber
überhaupt nicht sprechen.
Auch die Bulgarinnen glauben, dass sie ein stummes Kind gebären, wenn
sie ihre Schwangerschaft ableugnen. (Strausz.)
Die Weiber der Orang P&nggang in Malacca legen während ihrer
Schwangerschaft, wie Stevens berichtet, Blumen an einem Baume nieder, der der
gleichen Species, wie ihr sogenannter Lebensbaum angehört. Auf diesem Baume
wartet die Seele des zukünftigen Kindes in der Gestalt eines Vogels, bis sie von
der Schwangeren gegessen wird.
„Der Vogel, welcher die Seele für das Kind der SchwaDgeren besitzt, bewohnt stets
dieselbe Art von Bäumen, wie der Geburtsbaum (Lebensbaum); er fliegt von dem einen zum
anderen und folgt dem noch ungeborenen Körper. Die Seelen der ersten Kinder sind stets
junge, aus den Eiern entwickelte Vögel, die Brut eines Vogels, der die Seele der betreftenden
Mutter besass. Die Vögel können die Placenta eines Knaben von der eines M&dchens unter-
scheiden. Die Seelen erhielten die Vögel von Keii (dem höchsten Gott).* (Grümcedel^.J
Weiber, die in ihrer Schwangerschaft es versäumen, den Seelenvogel zu
essen, bringen ein todtes Kind zur Welt, oder dasselbe stirbt bald nach der Geburt.
Eine Reihe anderweitiger schädlicher Einwirkungen auf den sich entwickeln-
den Embryo werden wir noch im folgenden Abschnitte kennen lernen.
197. Die Pflichten des Ehemannes während der Schwangerschaft.
Der Eintritt der Schwangerschaft legt nun aber nicht nur der Frau, sondern
bei manchen Völkern sogar auch dem Manne ganz bestimmte Verpflichtungen
197. Die Pflichten des Ehemannes während der Schwangerschaft. 717
auf, und zu diesen muss man ja eigentlich auch schon die bereits erwähnte Vor-
schrift rechnen, dass der Gatte während der Gravidität den Coitus und bisweilen
sogar jeglichen Umgang mit der Frau zu meiden hat. Bei den Pschawen
(Transkaukasien) geht die Unreinheit der Frau während der Schwangerschaft
auch auf den Mann mit über, der dann ebenso wie seine Gattin von allen Fest-
lichkeiten ausgeschlossen wird.
Bei mehreren südamerikanischen Indianerstämmen enthalten sich so-
wohl die Frau als auch der Mann während der Schwangerschaft des Genusses der
Fleischspeisen; bei den Guaranis geht der Mann nicht auf die Jagd, so lange
seine Frau schwanger ist. Bei anderen Stämmen, z. B. den Manhees (nach
v,Spix\ muss der Ehemann fasten und nur von Fischen und Früchten leben.
Schon die alten Peruaner im Inca-Reiche liessen den Mann fasten, um Zwillings-
oder Missgeburten zu verhüten. Am Amazonenstrom giebt es nach Chandless
Stämme, die den Ehemännern Schwangerer Fische, männliche Schildkröten und
Schildkröten eier zu speisen, ausserdem aber auch angestrengte Arbeit verbieten.
Besonders sind die Cariben, bei denen auch das Männerkindbett Sitte ist, in
dieser Hinsicht für das Wohl des zu erwartenden Kindes besorgt.
Der Arbeit muss sich der Ehemann auch in Grönland bis zur Niederkunft
enthalten, weil sonst das Kind sterben würde. Und in Kamtschatka machte man
den Gatten für die falsche Lage des Kindes bei der Geburt verantwortlich, weil er
zur Zeit der Niederkunft seiner Frau Holz über das Knie gebogen hatte. (Steiler.)
Auf den Andamanen-Inseln darf der Mann, ebenso wie seine Ehegattin,
während der Schwangerschaft der Letzteren keine Marder (Paradoxurus) und keine
Eidechsen (Inguaja) essen. (Man,)
Der wilde Land-Dajak auf Borneo darf vor der Geburt des Kindes nicht
mit scharfen Instrumenten arbeiten, kein Thier tödten und keine Flinte abfeuern.
Bei den Topantunuasu in Celebes ist es dem Manne, dessen Gattin
schwanger ist, „verboten, Thiere zu tödten. Köpfe zu schnellen, mit einem Worte,
Blut zu vergiessen; auch darf er bei einigen Stämmen nicht mit einer anderen
Frau den Beischlaf ausüben. (Riedel^^.)
Während der Schwangerschaft einer Frau der Kota im Nilghiri- Gebirge
läset sich ihr Ehegatte weder die Haare noch die Nägel schneiden. [Mantegazza,)
Ueber die Einwohner der Insel Nias besitzen wir von dem Missionar Thomas
die folgenden Angaben:
«Ist eine Niassor-Frau schwanger, so muss sie sowohl, als ihr Mann sich einer solchen
Menge Dinge enthalten, die an und für sich durchaus nicht böse sind, dass man meinen sollte,
sie mflssten in steter Angst leben während der ganzen Zeit der Schwangerschaft. Sie dürfen
nicht an solchen Orten vorübergehen, wo früher eine Ermordung eines Menschen oder
Schlachtung eines Karabau, oder Verbrennung eines Hundes (wie letzteres bei gewissen Ver-
flachnngen geschieht) stattfand, weil sich sonst bei dem zu erwartenden Kinde irgend etwas
finden wird von den Krümmungen und Windungen des sterbenden Menschen oder Thieres.
Aü8 demselben Grunde (und noch anderen) stechen sie kein zahmes oder wildes Schwein,
noch serschneiden sie sie, es sei denn, es hätte ein anderer vorgeschnitten, noch schlachten
sie ein Huhn. Und wenn sie dass Unglück haben, ein Hühnchen todtzutreten, dann ist das
natürlich etwas Böses und es muss der Fehltritt durch Opfern wieder gut gemacht werden so
wie jeder andere Fehltritt. Sie dürfen an keinem Hause zimmern, noch es decken, noch NSgel
einschlagen, sich in keine Thür und auf keine Leiter stellen, weder Tabak noch Sirih-Blatt
im Betel-Sack abbrechen, sondern dasselbe erst herausnehmen, das alles, weil sonst das Kind
nicht zur Welt geboren werden kann. Dennoch hatte ein freisinniger Niasser bei mir ge-
zimmert; als aber seine Frau nicht gebären konnte, kam und fragte er mich, ob er einen
Nagel ausziehen dürfe; er erhielt von mir angemessene Belehrung, aber auch die Freiheit,
nach seinem Glauben thun zu dürfen; er zog also einen Nagel aus und bald war er glücklicher
Vater. Sie gucken in keinen Spiegel und in kein Bambus-Kohr, weil sonst das Kind schielen
wird; sie essen keinen bujuwu (Art Vogel), denn sonst spricht das Kind nicht, sondern krächzt
gleich diesem Vogel. Sie packen keinen Affen an, weil sonst das Kind Augen und Stirn
bekommt wie ein Affe. Sie gehen nicht in das Haus, worin ein Todter liegt, weil sonst die
718 XXX. Die Gefahren und der Schutz der Schwangeren.
Frucht des Leibes stirbt; essen nichts von dem zu einer Beerdigung geschlachteten Seh weine,
weil sonst das Kind Krätze bekommt, pflanzen keine Pisang-Bäume, weil das Kind sonst Ge-
schwüre bekommen wird. Sie essen keinen era (Art Holzkäfer), weil sonst das Kind brüst-
leidend wird. Sie fassen keinen baiwa (gewisser Fisch) an, noch schlagen sie eine Schlange,
weil sonst das Kind magenkrank wird ; keltern auch kein Oel, denn sonst bekommt das Kind
Kopfschmerzen in Folge dieses Fressens. Auch kochen sie kein Oel, weil es sonst einen wehen
Kopf bekommt. Sie gehen an keinem Ort vorbei, wo früher der Blitz eingeschlagen hat,
weil sonst der Körper des Kindes schwarz sein wird. Sie stecken kein Feld in Brand, denn
dabei möchten Ratten und Mäuse verbrennen und das Kind krank werden. Sie treten nicht
über die ausgestreckten Beine eines andern, weil sonst das Kind nicht kann geboren werden.
Sie essen keine Eule, weil sonst das Kind ebenso schreien wird wie diese. Sie werfen kein
Salz in Schweinefutter, weil das Kind sonst krank werden wird; eben ans demselben Grande
essen sie kein Aas und schwören nicht. Aus dem Kochtopf essen sie nicht, weil sonst das
Kind an der Nachgeburt festhängen wird.*'
Wir finden hier vielfache BerQhrungspankte mit dem Aberglauben, der im
vorigen Abschnitte besprochen wurde. Trotzdem hat er hier seine Stelle ge-
funden, da eben auch der Ehemann verpflichtet ist, alle diese Schädlichkeiten
sorglich zu vermeiden.
Von den Orang hütan in Malacca berichtet Stevens:
«Ein Djäkun- Ehemann geht niemals, wenn er es irgend vermeiden kann, aas dem
Gesichtskreise seines Weibes, wenn dasselbe in gesegneten Umständen ist. Das machte mir
recht oft Schwierigkeiten, Männer als Träger oder Führer zu erhalten. Durch die Anwesen-
heit des Mannes soll gewissermaassen das Gedeihen des ungeborenen Kindes im Mutterleibe
gefördert werden.* (BarteW,)
Auf Neu- Britannien soll nach Powell der Ehemann einer Schwangeren
das Haus nicht verlassen dürfen.
Auf Ambon und den Uliase- Inseln darf er nicht im Mondenschein uriniren,
denn dadurch, dass er seine Scham entblösst, beleidigt er die auf dem Monde
befindlichen Frauen, was für seine Gattin eine schwere Entbindung zur Folge
haben würde.
In Massaua hütet sich der Mann, während der Schwangerschaft seiner Frau
ein Thier zu tödten, weil sie sonst das Kind leicht verlieren würde. (Brehm.)
Dies Alles sind abergläubische Vorstellungen, welche zeigen, wie zauberhaft
man sich die Wirkung und den Einfluss des Vaters und seiner Lebensweise auf
das Kind und sein Gedeihen denkt.
Es möchte mir aber auch hier scheinen, als wenn wenigstens hinter einem
Theil dieser abergläubischen Handlungen halb bewusst, halb unbewusst ein
tieferer Sinn verborgen läge. Es handelt sich hier mit grosser Wahrscheinlich-
keit um ganz ähnliche Verpflichtungen, wie wir sie in der Sitte des Männer-
kindbettes erkennen müssen, dass nämlich der Vater das Anrecht auf das Kind
dadurch zu erwerben bestrebt ist, dass er an den Leiden und Entbehrungen,
welche die Schwangerschaft und das Wochenbett der Frau auferlegen, in annähernd
gleicher Weise wie die Gattin Antheil nimmt. Von grossem Interesse ist es, dass
wir bei den Cariben diese Gebräuche neben dem Männerkindbette antreffen.
XXXI. Die Therapie und die Prognose der Schwanger-
schaft.
198. Mechanische Torkehrangen während der Schwangerschaft.
Wir haben gesehen, wie selbst bei vielen rohen Völkern die Einsicht sich
Bahn gebrochen hat, dass körperliche üeberanstrengungen während der Schwanger-
schaft der Matter sowohl, als auch ihrem Kinde zum Schaden gereichen. Aber
andererseits lässt sich auch nicht verkennen, dass eine zu grosse Verweichlichung
während der Gravidität die Entbindung zu erschweren pflegt. Der englische
Geburtshelfer Righy wies schon darauf hin, dass Schwangerschaft und Geburt
gerade dort am besten verlaufen, wo die Schwangeren ihre gewohnte Beschäftigung
bis zur Niederkunft fortsetzen; auch lehrt uns die tägliche Beobachtung, dass
unsere Arbeiterfrauen die Entbindung gemeinhin leichter tiberstehen, als die in
der Schwangerschaft sich möglichst ruhig verhaltenden vornehmen Damen. Auch
Martin^ sagt:
«Nul n^ignore que plus la femme se rapproche des conditions de la nature, plus aussi
la fonetion g^n^ratrice s'accomplit sans bruit, et eans ces troubles synergiques des fonctions
physiques et morales qui sont souvent pouss^s jusqu^ä, Texaltation chez la femme eivilisee.'
Immer aber sehen wir auch schon in den Anfangen der Cultur das Erdenken
von Schutzmaassregeln auftauchen, durch welche das Wohl der Schwangeren ge-
fordert werden soll.
Den altindischen Frauen
rieth Susruta^ sich in der Schwanger-
schaft als Lager eines mit Schranken
▼ersehenen Bettes zu bedienen, in
welchem sie in mehr sitzender
Stellung schlafen mussten. Ein chi-
nesischer Arzt (v. Martins) giebt
der Schwangeren den Rath, wechsel-
weise auf beiden Seiten zu liegen,
nie aber allein auf einer Seite zu
schlafen. Auf dem Rücken zu liegen
sei nachtheilig, auf dem Bauche aber
höchst schädlich.
In einem früheren Abschnitte
habe ich bereits von der Anwen-
dung der Leibbinde gesprochen, wie
sie namentlich bei den Japanerinnen in Gebrauch gewesen ist. Durch diese
wird auf den Unterleib der Schwangeren ein stetiger, ziemlich gleichmässiger Druck
ausgeQbt. Bei vielen anderen Völkern ist es Sitte, einen periodischen, unter-
brochenen Druck anzuwenden durch Manipulationen, welche in das Gebiet des
Fig. 313. Ma.ssage einer schwangeren Japanerin.
(Nach einem japanischen Holzschnitt.)
720
XXXI. Die Therapie und die Prognose der Schwangerschaft.
Knetens und des Massirens gehören. In den meisten Fällen ruht dieses Ge-
schäft in den Händen derjenigen Personen, welche gewerbsmässig der Gebärenden
später die nöthige Hülfe zu leisten pflegen. Gewohnlich handelt es sich um solche
Volksstämrae, bei welchen überhaupt die Knetungen des Körpers bei allen mög-
lichen Zuständen ein sehr beliebtes Verfahren abgeben. Nicht selten allerdings
liegt bei der uns an dieser Stelle interessirenden Massage die ausgesprochene
Absicht vor, dem Embryo im Mutterleibe eine günstige Lage zu erwirken.
In dem malayischen Archipel ist die Massage sehr verbreitet und sie
wird von den weiblichen Aerzten oder Hebammen auch während der Schwanger-
schaft in Anwendung gezogen. Auf Java heisst dieses Verfahren nach Kögel
Pitjak und nach Haaskarl Pitjed. Auf Celebes wird es, \7\q Riedel berichtet,
angewendet, um dem Kinde in dem Mutterleibe die richtige Lage zu verschaffen.
Auf Nias sind nach Modigliani die Schwangeren fest davon überzeugt, dass ihre
sachverständigen Dorfgenossinnen im Stande wären, ihnen zu sagen, ob das Kind
in ihrem Leibe sich in der richtigen Lage befinde, und dass sie, falls die Rindes-
lage eine fehlerhafte sein sollte, dieselbe in eine richtige umzuwandeln und
ihnen eine glückliche Niederkunft zu sichern verständen. Das Letztere geschieht
Fiß. MA. Massage eiuer schwangeren Japanerin.
(Nach einem japanischen Holzschnitt.)
durch Massiren des Leibes und durch Einreibungen desselben mit Cocos-Oel.
Vielleicht erklären sich hieraus die für diese Hebammen gebräuchlichen ein-
heimischen Namen salomo talu und sangamäi talu: denn talu bedeutet Bauch,
salomo heisst reiben und sangamäi heisst der Hersteller (fabbricatore).
Von einem ähnlichen Gebrauche der Hebammen in Mexiko berichtet
V. Vslar, Auch wird in der Republik Guatemala der Schwangeren von der
Hebamme allmonatlich der Unterleib gerieben und geschüttelt, „um der Frucht
die gehörige Jjage 7ai geben**. (Bernoidli.)
Den russischen Frauen in Astrachan wird ^im Falle einer zu frühen
Senkung des Fötus oder einer ungünstigen liage desselben" der Leib eingerichtet
(im Russischen heisst es „pravit*). Diese Operation verrichten alte Weiber,
indem sie mit der rechten Hand nach oben und mit der linken nach unten sanft
drücken und stossen. (Meyerson,)
In Japan ist die Massage ebenfalls bekannt und sie wird dort mit dem
Namen Am buk bezeichnet.
In einem Berichte (Eugelmann) heisst es:
199. Das Baden und das Einsalben während der Schwangerschaft. 721
«Dort bearbeitet der Heilgehülfe den Bauch der an seinem Nacken hängenden Schwangeren;
er stemmt seine Schultern an deren Brüste und seine Kniee zwischen ihre, so dass er sie fest
im Griff hat. Dann beginnt er von der Seite her mit den Händen zu kneten, reibt vom
siebenten Halswirbel an nach unten und vorne, auch die Hinterbacken und Hüften, mit seinen
Handflächen und wiederholt diese Behandlung nach dem fünften Monat jeden Morgen 60 bis
70 Male.«
Es lehren uns jedoch japanische Abbildungen, dass die Massage der
Schwangeren auch in hockender Stellung ausgeführt wird, wie es in den Figg. 313
und 314 dargestellt ist. In Fig. 313 wird die Massage von einem Manne gemacht,
und die Leibbinde der Schwangeren ist dabei nur etwas nach unten geschoben.
In Fig. 314 massirt eine Frau die vor ihr hockende Schwangere, welche Ihre
Leibbinde abgenommen und neben sich auf die Erde gelegt hat.
Man geht aber in der mechanischen Hülfeleistung, welche die glückliche
Entbindung vorbereiten soll, bei manchen Völkern noch viel weiter und leitet
sogar eine künstliche Erweiterung der Qeburtswege ein.
Schon die römischen Hebammen pflegten, wie wir oben gesehen haben,
während des neunten Monats Pessarien von Fett einzulegen und mechanische
Reizungen des Muttermundes vorzunehmen. Auf der Insel Yab (Carolinen) werden
den Schwangeren schon ungefähr einen Monat vor der Entbindung aufgerollte
Blätter einer nicht überall auf dieser Insel wachsenden Pflanze in den Muttermund
eingeführt imd immer gegen neue, dickere Rollen gewechselt. Dieselben sollen den
Zweck haben, den Muttermund zu erweitern, um die Niederkunft schmerzloser zu
machen, (v. MiMucho-Maclay,) Sie wirken also in ganz ähnlicher Weise wie die
Pressschwämme oder wie die Laminaria- oder Tupelo-Quellstifte in der modernen
Gynäkologie.
199. Das Baden und Einsalben während der Schwangerschaft.
Der öedanke, dass Bäder und Oeleinreibungen der Schwangeren förderlich
sein können, liegt sehr nahe und so finden wir dieselben auch vielfach in An-
wendung; namentlich sind sie während der letzten Zeit der Schwangerschaft bei
den Orientalen sehr gebräuchlich; doch auch viele andere Völker benutzen die-
selben. Wie noch jetzt in Indien, so wird auch wohl in der frühesten Zeit im
Lande des Ganges von diesen Mitteln Gebrauch gemacht worden sein. Doch
hielt nach VuUers Stisruta es für schädlich, wenn die Schwangeren sich selber ein-
salbten. Nicht nur bei den höheren Kasten Indiens ist das Baden in der
Schwangerschaft sehr beliebt, sondern auch die Na y er -Frau nimmt, wenn sie
schwanger ist, mehrfach Bäder und sorgt überhaupt für das gute Befinden des
Korpers.
Bäder und Einreibungen des Körpers mit Fett verordneten im neunten
Monate der Schwangerschaft auch die römischen Aerzte; die Araber aber unter
der Führung von Rhaees Hessen dieses nur in den letzten 14 Tagen zu.
Den schwangeren Japanerinnen wurde der Gebrauch warmer Bäder von
Kangawa empfohlen, und in China werden den Schwangeren Bäder von kaltem
Wasser und Seebäder angerathen; doch fürchtet man in anderen Gegenden, durch
das Baden den Schwangeren Schaden zu bringen.
Auch sehr uncultivirte Völkerschaften haben ganz ähnliche diätetische Ge-
bräuche. Auf den Tonga-Inseln reiben die Weiber den schwangeren Leib mit
einer Mischung von Oel und Gelbwurz ein, um sich vor Erkältung zu schützen.
(de Bienjsi.) Ebenso müssen die schwangeren Frauen auf Seranglao und Gorong,
sowie auf Ambon und den Uliase-Inseln sehr viel baden, und auf den letzteren
Inseln müssen sie ihren Körper täglich zweimal mit feingestampften Pinien- und
Warear-Blättern bestreichen.
Die schwangeren Sulanesinnen müssen nach Riedel^^ täglich baden und
den Korper mit Kalapa-Nuss waschen.
Ploss-Bartels, Das Weib. 6. Aufl. 1. 46
722 XXXI. Die Therapie und die Prognose der Schwangarschaft.
Bei den russischen Frauen in Astrachan besteht die PflMe der
Schwangeren hauptsachlich im Einreiben des Unterleibes mit Oel oder Butter.
(Meyerson.)
Bei den Zigeuuerinnen in Siebenbürgen ist das Waschen des Leibes
in der Schwangerschaft auf einem sogenannten ^ücklichen Berge mit dem Wasser
der dort entspringenden Quelle sehr beliebt, weil nach dem allgemein herrschen-
den Glauben hiemach starke und schone Kinder geboren werden.
Die französischen Geburtshelfer, und im 16. Jahrhundert schon AnibriMe
Pare^ empfahlen während der Schwangerschaft zur Erleichterung der Niederkunft
fette Stoffe in die Schenkel, die Schoossgegend, das Mittelfleisch und die Genitalien
einzureiben. In dem ältesten deutschen Hebanmienbuche von Rösslin finden
wir aber das Verbot: „Auch darf sie keine Schwitzbäder, Salbungen des Leibes
und Kopfes Yomehmen.'* Dagegen sind jetzt in Deutschland bei den wohl-
habenden Städterinnen laue Bäder am Ende der Schwangerschaft sehr beliebt,
um die Geburtstheile zu erschlaffen und die Spannung der Bauchhaut zu mindern.
Die Zigeunerinnen wenden Dunstbäder an, wenn in der Schwangerschaft
die Genitalien anschwellen. Sie nehmen dann ein Gefäss mit warmer Esels- oder
Stutenmilch, der etwas Menschenblut beigemischt ist, und setzen sich entkleidet
darüber, (v. Wlislocki.)
200. Die Blutentzlehungen während der Schwangerschaft.
Bekanntlich hat Jahrhunderte lang das Blutlassen bei den Gulturvölkem
eine ganz besondere Rolle gespielt; imd auch während der Schwangerschaft war
es noch bis vor gar nicht zu entfernter Zeit ein sehr beliebtes, vorbeugendes
Volksmittel. Aber auch bei rohen Völkern finden wir vereinzelte Spuren von
der Anschauung, dass der Aderlass nützlich in der Schwangerschaft sei. In
Brasilien bringen sich unter den Mauhee- Indianern aus diesem Grunde
manche schwangeren Frauen an den Armen und Beinen Wunden bei (v. Martins.)
Mitunter wird auch in China während der Schwangerschaft ein Aderlass
gemacht, eine Operation, welche erst durch Missionare in China eingeftihrt
wurde und deshalb ^düs Mittel der Fremden* genannt wird. Das Volk glaubt, dass
eine Schwangere sich nie von einem Manne die Ader offnen lassen dürfe, und die
Hebammen erhalten natürlich diesen Glauben zu ihrem eigenen Vortheil. (Hureau.)
Sehr beliebt ist das Aderlassen während der Schwangerschaft unter den
Dalmatinern. Dort müssen, wie Derblich berichtet, die schwangeren Weiber,
wenn die Entbindung ohne üble Zufalle vor sich gehen soll, zweimal sich die Ader
offnen und wenigstens einige Pfund Blut entziehen lassen. Das eine Mal geschieht
es, innerhalb der ersten fünf Monate, falls Erbrechen, Schwindel, Kreuz- oder
Brustschmerzen, Harndrang, Zahnweh u. dergl. sich einstellen. Zeigen sich aber
diese Zufalle nicht, oder nur in sehr geringem Grade, dann muss man erst recht
zum Aderlass seine Zuflucht nehmen, um diesen üblen Symptomen vorzubeugen.
Das zweite Mal findet dann das Blutlassen in den letzten Wochen der Schwanger-
schaft statt; man hält es für ein Präservativmittel gegen Krämpfe, Blutfluss und
Apoplexie, wenn die Schwangere mit der Aderlassbinde sich in das Wochenbett
begiebt.
Schon früh begann der Kampf der Aerzte gegen die Unsitte dieses Volks-
gebrauchs, und schon Susruta erklärt den Aderlass in der Schwangerschaft als
schadenbringend. Ob die nach ihm kommenden Brahmanen-Aerzte diesem Verbote
Folge geleistet haben, das wissen wir nicht. Wohl aber muss bis zu den Zeiten
des Arabers Rhazes diese Unsitte wieder einen grossen Umfang erreicht haben,
denn er muss von Neuem dag^en seine warnende Stimme erheben.
Der Aderlass ist auch heute noch bei manchen Völkern im Orients aalir
^^liebt, und namentlich bei den Persern wird er von dem weil "
I
201. Dia medicament^e BeHuudluDg der Schwangeren.
läufig angewendet. Auch während der Schwangerschaft wird zur Ader gelassen^
besondere im sechsten und im siebenten Monat. Ein Aderlass aber in den erfiten
3ehwangerschaftsmonaten, namentlich gegen das Ende des dritten, wird von den
Persern für schadenbringend angesehen.
Nach der Hebammen-Ordnung des Lotücerus zu Frankfurt a. M, (1573)
soll die Schwangere «in den ersten Tier Monaten nicht Blut lassen, auch nicht
Piirgiren, denn es sind in diesen Monaten die Bande der Frucht gar weich» zart
ad schwach. "
Im Anfange des 17. Jahrhunderfcs hat aber bereits Hippohjtus Guarinonius
seinem grossen Werke ror dem Schaden gewarnt, der ftir Mutter und Kind
va» dem Aderlass erwächst. Er betitelt das entsprechende Kapitel: Von dopelt
Tyrannischen, dopelt verwep^enen, aller gebür straffwürdigen Ader-
lass-Grewln der schwängern Weibern.
Trotzdem ist auch in Deutachland diese Unsitte noch nicht ausgerottet,
ind in den letzten Jahrzehnten glaubten die Frauen im Frankenwalde, während
der Schwangerschaft den wiederholten Aderlass nicht entbehren zu können; ganz
ähnlich wie die Dalmatinerinnen halten sie es för richtig, selbst noch kurz
vor der Entbindung sich einem Aderlass zu unterziehen, so dass sie noch mit
der Binde am Arm ihr Wochenbett beginnen, {Flügel,) Dasselbe berichtet Fanh
von der Pfalz; es wird dort von den Schwangeren auf dem Lande fast aus-
nahmslos der Aderlass vorgenommen.
Die schwangere Zigeunerin aber scheut den Blutverlust so, dass sie sogar
bei Nasenbluten das Blut mit einem Tuchlappen auöangt und diesen an ihren
Unterleib bindet, „um dem Kinde die Kraft nicht zu rauben*, {ü. Wlislocki)
^Pn<
201, Die medieamentlose Behandln ng der Scliwangereu«
In Deutschland hatten im 16. Jahrhundert die Hebammen einen reich-
haltigen Medieamenten - Apparat gegen die kleinen und grossen Leiden der
Schwangerschaft:
Wenn die Schwangere gefallen oder erschreckt ist, so dtiss man einen Arbortna fürchtet,
90 Boll sie nach der ÄDweisnng' alter HebammenbÜcher zur Verhütung desselben sich die Ge*
ffohlechtstheile beräuchf^m laaeen and den Leib vorn waschen mit W&Bser, in welchem Alaun,
Galläpfel, Schwarzwurz, Wein und Essig gesotten wurde. Frauen, welche gewöhnlich im frflh
niederkommen, sollen wübrend der Schwangerschaft tich alle Tage ein Fnssbad bereiten lassen
Odermennig» Camillenblumen , Dill, Steinbrech und Salz zu gleichen TheLlen, und darin
e Stunde vor dem Nachtessen und drei Stundtin nach demaelben die Schenkel erwärmen
und mit warmen Tüchern abtrocknen, auch etliche Tage nüchtern einen GoldgÜlden schwer
von der gedörrten inneren Haut des Hühnermagena mit Wein einnehmen* Bei Verstopfung
masste die Schwangere nnch Angtibe der Hebammenordnuiig de« Adam Lomeer ns ,ßiretach-
kr&utlein mit Butter oder LattichmÜElein* gebrauchen, n^ihigenfalls auch Stuhlzäpflein aus
Honig und Eidotter oder von Venetianischer Seife; wenn das nicht half, 80 wurde mit
Rath eines Medici eine Purgation aus Manna und Caeaia (Senna) gereicht. Wenn die Frau
viel Ohnmacht und Beschweniias nach der EmpfUngniBs empfindet, so »oll sie einen «Moret-
ik* oder einen Trank von Rosenwaaser, Ampferwaeaer , Zimmet und Manuchrigtiküchlein
im acht trinken. So sie «Unlust xur Speiae* hat, ioll sie dee Morgens ein Trünklein von
lianateneyrup, ZimmetrÖhren und Ampferwasser oder einen guten «Morettrank" gebrauchen,
Magenpflaster legen und die Herzgrube mit MaätixÖl, BalsamÖl, Wemiuth5U Quitten-
H u. 8, w. schmieren. So eine Frau ihre , gewöhnliche Blume* (die Menstruation) bekommt^
ioU sie folgenden Schwaden unten an sich geben lassen und davon schwitzen: von groasiem
'" egerich, Eichenlaub, ßrombeerlaub, Fünffinger kraut, Taubenmist. Bohnenstroh und Haber-
h von jedem gleich viel in Wasser gesotten; auch soll sie all ihre Kost mit Wasser be-
iten lattsen, darin ein Stahl gelöscht ist.
Jetzt kennt man in Deutschland unter dem Landvolk allerlei Mittel gegen
Beschwerden der Schwangeren. In der Pfalz rathen gegen das Erbrechen
iimnen gewöhnlich Chamillen*, Pfefferminz-, Zimmetthee, einen Löffel voll
46*
724 XXXI. Die Therapie und die Prognose der Schwangerschaft.
Malaga- Wein, auch aromatische Aufschlage Yon Lebkuchen, Branntwein, Nelken,
Zimmet, Muskatnuss oder Fliesspapier mit Kirschenwasser. Auch sympathetische
Mittel werden hier und da nicht verschmäht. Die in der letzten Zeit der Schwanger-
schaft bisweilen eintretende Verstopfung bekämpft man durch ein Olas Honig-
wasser, Abends vor dem Schlafengehen getrunken, oder durch Sennisblätter und
kleine Rosinen mit Zwetschenwassser infundirt, des Morgens getrunken; zuweilen
auch durch Bittersalz in Fleischbrühe; auch nimmt man zu Klystieren seine Zu-
flucht. Gegen XJrinbeschwerden brauchen die Schwangeren Dämpfe von Ghamillen,
Kleien und HoUunder in knieender Stellung, auch Einreibungen von weissem
Lilienöl, sowie Trinken von Mandelmilch. Bei varicösen Venen werden spirituöse
Einreibungen angewendet; bei Oedem der Schamlippen trockene aromatische
Fomentationen, auch örtliche Dampfbäder. Beim Herzklopfen Schwangerer
wenden die Hebammen ein Getränk von kaltem Wasser oder Zuckerwasser an.
(Pauli.)
Abführmittel zur „ Blutreinigung ^ waren überall in Deutschland bei den
Schwangeren sehr beliebt, und die Frankfurter Hebammenordnung musste
ernstlich davor warnen, und auch schon der altarabische Arzt Bhcuses warnte
vor dem Missbrauch der Purgantien gegen das Ende der Schwangerschaft hin.
Auch im Talmud, im Traktate Pasachim, wird auf die Abort erzeugende
Wirkung starker Abführmittel hingewiesen.
Bei den Römern genossen die schwangeren Frauen zur Vorbereitung auf
eine glückliche Geburt und um den zu frühen Abgang der Frucht zu verhindern,
Schnecken und einen Trank von Diptam und Granatapfelschalen; unter den aber-
gläubischen Mitteln befanden sich ferner Asche vom Ibis, Steine, die sich in Bäumen
befanden, das Auge eines Chamäleon, das einem Kinde zum ersten Male abge-
schnittene Haar, Harnsteine u. s. w.
Die heutigen Griechinnen haben in der Schwangerschaft eine solche Scheu
vor Medicamenten, dass sie selbst in Krankheitsfallen sich nicht von einem Arzte
behandeln lassen. Jede Medicin muss in ihren Augen unfehlbar einen Abortus
zur Folge haben. (Damian Georg,)
Die Japanerinnen trinken, wenn sie schwanger sind, eine Abkochung von
getrockneten und gepulverten Hirschkälbern, die noch nicht geboren waren.
Macht der Chinesin in der Schwangerschaft die Bewegung der Leibesfrucht
Ungelegenheiten, so geniesst sie eine Abkochung von Seekohl und der weissen
Bergdistel, und ausserdem rothe Mennige, welche ^ing kuen-tschi-pao-tan genannt
wird. {Schwarz.) Wenn in China eine Schwangere von einer Krankheit befallen
wird, so hQten sich die Aerzte, diejenigen Mittel zu verordnen, welche im normalen
Zustande Hülfe leisten ; denn sie glauben, durch die Schwangerschaft sei die Natur
der Frau völlig umgeändert. Sie verordnen dann besondere Arzneien, von denen
uns einige auch bekannt geworden sind. Ginseng gilt als Tonicum; Pfeffer und
Ingwer als eröffnendes Mittel; Rhabarber als Purgans. Das Erbrechen der
Schwangeren bekämpfen die Chinesen mit Erfolg, wie sie sagen, durch das
arsenigsaure Schwefeleisen, das sie auch als Abführmittel benutzen; ausserdem
geben sie, obgleich in kleinerer Gabe, die arsenige Säure, welche sie im Wechsel-
fieber höher schätzen als Chinin. Gegen den Medicamenten- Unfug während der
Schwangerschaft eifert ein chinesischer Arzt (v. Martius)\ am unschädlichsten
ist nach ihm noch die Arznei Dschah-wa-ru-rah. Hat die Schwangere Schmerzen
in der Gebärmutter oder in der Lendengegend, so wendet die Hebamme die Acu-
punctur an, wobei sie die Nadeln selbst bis in die Gebärmutterhöhle hineinstösst;
ja sie sucht sogar den zu lebhaften Fötus dadurch zu beruhigen, dass sie ihn an-
sticht. {Hureau.)
Bei den Naturvölkern wird nur selten, nach den Berichten der Reisendea,
in der Schwangerschaft von Arzneien Gebrauch gemacht. Doch smd einige Be-
^achtungen in dieser Hinsicht immerhin bemerkenswerth.
202. Die abergläubische Prognose der Schwangerschaft. 725
Wenn die Schwangere bei den Aschanti Schmerzen im Unterleibe hat, so
werden die Blätter eines Baumes, der Lee a Sambucina, abgekocht, und hiervon
muss sie jeden Morgen trinken. (Bowditch)
Einen sonderbaren Zweck verfolgen nach Hewan die Negerinnen in Old-
Galabar mit dem Einnehmen von Medicamenten während der Schwangerschaft.
Sie wollen nämlich dadurch die Art der Empfangniss prüfen.
Drei Arten von Schwangerschaft gelten ihnen als verhängnissvoll ; das ist diejenige mit
Zwillingen, die mit einer abgestorbenen Frucht und die mit einem bald nach der Geburt
wieder sterbenden Kinde. Die Medicamente sollen nun die Entwickelung solcher dem Unter-
gange geweihter Früchte stören, und man hat die Ueberseugung , dass eine diesen Arznei-
prflfungen widerstehende Frucht eine gesunde und kräftige sein müsse. Wird darauf das Ei
ausgestossen, so gilt es als unter die unglückliche Rubrik gehörig. Die Mittel werden zuerst
durch den Mund und den Mastdarm beigebracht, dann aber durch die Scheide, und in dem
Falle, dass den ersteren ein blutiger Abfluss nachfolgt, werden sie auf den Muttermund selbst
applicirt. Zu diesem Behufe bedienen sie sich dreier Kräuter: einer Leguminose, einer Wolfs-
milchart (Euphorbia) und eines Amomum. Der Stengel der Wolfsmilch wird, vom Safte
triefend, in die Scheide hinaufgeschoben; auf den Leguminosenstengel wird etwas gekauter
und eingespeichelter Guinea- Pfeffer gestrichen, und darauf erfolgt in wenigen Tagen die
Fehlgeburt. Die angewandten Mittel wirken nicht selten so heftig, dass allgemeines Uebel-
befinden, bisweilen sogar der Tod eintritt.
Es lässt sich nicht leugnen, dass diese Angaben nicht sehr wahrscheinlich
klingen. Es macht den Eindruck, als wenn das alles Maassnahmen sind, um
einen Abortus herbeizuführen, für den die eigentlichen Gründe dem Beisenden
nicht mitgetheilt worden sind.
202. Die aberglSnbische Prognose der Schwangerschaft.
Wir haben schon vielerlei kennen gelernt, was der Schwangeren eine ge-
wisse Garantie bieten kann, dass ihre Schwangerschaft ein glückliches Ende er-
reichen wird, und wenn sie die betreffenden Vorschriften verabsäumt, so hat
sie es sich nach dem Volksglauben selber zuzuschreiben, wenn sie ihr Kind nicht
austragen kann, wenn ihre Entbindung eine sehr schwere wird, oder wenn der
kleine Weltbürger mit Entstelltem oder verkrüppeltem Leibe zur Welt kommt.
Aber es giebt auch noch zufallige Vorzeichen, welche den Ausgang der Gravidität
ahnen lassen.
Namentlich von den wandernden Zigeunern der Donau-Länder sind uns
solche Orakel bekannt. Eine leichte und glückliche Geburt zeigt es an, wenn sie
während der Schwangerschaft einen Storch auffliegen sehen, oder wenn sie bei
Tage ein Pferd wiehern hören; aber unglücklich wird die Entbindung, wenn ein
n&chÜicher Raubvogel seinen Schrei ertönen lässt, und wenn die Schwangere eine
Schildkröte trifft, so wird sie grosse Geburtswehen erdulden; nur wenn sie auf
dieselbe speit, vermag sie den Schaden abzuwenden. Setzt sich auf sie ein
Schmetterling, so verunglückt sie bei der Niederkunft, wenn nicht die betreffende
Stelle ihres Leibes oder ihrer Kleider abgewaschen wird.
Hört eine schwangere Zigeunerin den Wachtelruf, so bringt sie ein todtes
Kind zur Welt, wenn sie versäumt, sofort auszuspeien. Das gleiche Unglück er-
eignet sich, wenn Schafe der Schwangeren nachlaufen. Aber auch hier giebt es
noch eine Rettung. Sie muss etwas Milch von diesen Thieren trinken, oder wenn
diese nicht zu erhalten ist, einige Haare von denselben neun Tage hinter einander
bei sich tragen, (v, Wlishcki^.)
Die Wander-Zigeunerinnen in Siebenbürgen und in Rumänien haben
noch ein anderes Orakel fiir die Prognose ihrer Entbindung. Am zweiten Oster-
feiertage feiern sie ihr eigentliches Frühlingsfest, das Fest des grüiien Georg. Am
Vorabend wird ein Weidenbäumchen geföllt und mit Kränzen und Laubgewinden
geschmückt.
726 XXXI. Die Therapie und die Prognose der Sohwangerschaft.
, Schwangere Weiber legen über Nacht eines ihrer Kleidungsstücke unter das B&umchen;
finden sie am nächsten Morgen vor Sonnenaofgang ein Bl&ttchen von dem Baume auf dem
Kleidungsstücke liegen, so wird die Geburt glücklich von Statten gehen, (v, Wlislocki^.J
Einen günstigen Ausgang der Schwangerschaft sollen vielfach die Amnlete
erwirken. Es war von ihnen bereits die Rede. Hier mögen noch ein paar Maaas-
nahmen ihre Stelle finden.
Die im bayerischen Franken wohnenden israelitischen Frauen pflegen in
der Schwangerschaft die Stiele der Paradiesäpfel abzubeissen, um eine leichte und
glückliche Entbindung zu erlangen. (Mayer.)
In Bayern schlafen die Schwangeren auf Oam, welches ein noch nicht
sieben Jahre altes Mädchen gesponnen hat, weil das glückbringend ist.
Wenn bei den Zigeunern eine Schwangere einer Schlange begegnet, so
soll sie umkehren, weil sie sonst Unglück haben wird.
Es verdient hier aber erwähnt zu werden, dass in den Gebieten von Treviso
und Belluno nach Bckstanjsi dem Jäger die Begegnung mit einer Schwangeren
ebenso unheilvoll ist, als diejenige mit einem alten Weibe, und in Bari glaubt
man, wie Karusio berichtet, dass wenn eine Schwangere eine trächtige Stute oder
Eselin besteigt, diese abortiren müsse.
Wenn die Djäkun-Weiber in Malacca, wie oben beschrieben wurde, in
der Nacht lauschend sitzen, um das Geschlecht ihres zukünftigen Kindes zu er-
forschen, so gilt es nach Stevens für ein Unglückszeichen, wenn der Ruf des
Orakelthieres nicht von einer oder der anderen Seite erschallt. Tönt er nämlich
von vorne her, so beweist das, dass das Kind nicht bis zu seiner Pubertät leben
bleiben würde. Aber noch schlimmer ist der Ruf von hinten, welcher vorhersagt,
dass das Kind todt geboren, oder bald nach der Geburt sterben wird. In diesem
Falle wecken die Anwesenden mit ihren Klagetonen den Mann, der nun schnell
aufstehen und das Thier derartig fortjagen muss, dass nun sein Rufen von der
Seite her erschallt. (Bartels'^.)
XXXII. Unzeitige Geburten und Fehlgeburten,
203. Die Arten der nnzeitigen Geburten.
Bekanntermaassen führt nicht jeder in normaler Weise ausgeführte Coitus zu
einer Empfangniss, aber ebensowenig fuhrt jegliche Empfangniss und Schwängerung
nun auch zu einer normalen Geburt. Wie die Früchte an dem Baume nicht alle
ihre vollständige Reife erreichen, sondern ein Theil derselben bereits vorzeitig
abzufallen pflegt, so kommt es auch verhältnissmässig nicht selten vor, dass die
menschliche Frucht bereits vor abgelaufener Reifungszeit aus dem Mutterleibe
ansgestossen wird.
Tritt dieses Ausstossen der unreifen Frucht in einem Stadium ein, wo die-
selbe unter ganz besonders günstigen Verhältnissen noch am Leben erhalten werden
kann, so spricht man von einer Frühgeburt. Eine Fehlgeburt (Abortus) da-
gegen nennt man das zu Tage treten des Kindes zu einer Zeit, in der es noch
ausser Stande ist, ausserhalb des Mutterleibes ein selbständiges Leben zu führen.
Man findet den Glauben sehr weit verbreitet, dass immer von aussen her
auf die Schwangere etwas Schädliches eingewirkt haben müsse, wenn sie nicht
im Stande war, ihr Kind bis zu der normalen Zeit auszutragen. Das ist nicht
richtig, denn sehr oft sind die Gründe für die unzeitige Geburt in dem Organismus
der Mutter oder selbst in demjenigen des Vaters zu suchen.
Aber beide Arten der vorzeitigen Geburt werden auch absichtlich hervor-
gerufen, theils aus verbrecherischer Absicht von den Müttern selber, theils, um
das Leben der letzteren zu erhalten, durch die ärztliche Kunst.
Wir müssen nun zuerst die Frage aufwerfen, wann ist denn eigentlich der
Fötus lebensfähig? Diese Frage soll in dem nächsten Abschnitte ihre Erörterung
finden und ich werde dann sogleich die Besprechung der Frühgeburten und der
Todtgeburten anschliessen. Den zufalligen und den absichtlichen Fehlgeburten,
bei denen eine grössere Reihe von Gesichtspunkten zu erörtern sind, sollen dann
die beiden folgenden Kapitel vorbehalten bleiben.
204. Wann ist die Frucht lebensfähig?
Es hat nicht unwesentlich zu der Entschuldigung der absichtlichen Fehl-
geburten mit beigetragen, dass man in der ersten Zeit der Schwangerschaft den
Embryo als einen unbelebten Gegenstand betrachtete. Lange Abhandlungen sind
darüber geschrieben worden, von wann an die Frucht als belebt anzusehen sei,
oder mit anderen Worten, zu welcher Zeit ihr die Seele gegeben würde. lAiigi
Bonaciolo (1639) ist der Meinung, dass der männliche und weibliche Same 45 Tage
gebraucht, um Saft, Blut, Fleisch und die übrigen Theile des Embryo zu bilden.
,Tunc anima rationalis a sablimi Deo creatur, creataque infanditur."
Diese Frage war von principieller Wichtigkeit in ritueller und forensischer
Beziehung. Sehr interessant für die Tragweite derselben in Bezug auf das sociale
Leben ist eine Erzählung des Talmud in dem Traktate Abodah Sarah:
728 XXXn. Unzeitige Geburten und Fehlgebarten.
,Wir wurden belehrt, dass Eab Jehuda sagte: einst hatte die Magd eines b(ysen Joden
zu Rimon eine anzeitige Gebart gehabt and solche in eine Grabe geworfen, da kam ein
gelehrter Priester and legte sich über die Grabe, am za sehen, ob die anzeitige Gebart mftnn-
lichen oder weiblichen Geschlecht« war, am dadarch die Zeit der Unreinheit f&r die Magd
za bestimmen. Allein er fand nichts in der Grabe, and als es vor die Weisen kam, so er-
klärten sie den Priester fQr rein, obschon er hätte unrein sein sollen, weil er über der Grabe
lag, in welcher ein todtes Kind war. Da aber der Priester nichts in der Grube sah, so sagten
die Weisen, vielleicht waren Ratten und Mäuse in der Grube und haben das Kind aufgezehrt
oder weggeschleppt. Hier ist es ja gewiss, dass die unzeitige Greburt in der Grube war, und
nur ungewiss, ob die Ratten und Mäuse solche aufgezehrt haben, und dennoch hebt \nw die
Ungewissheit die Gewissheit auf? Nein, das war nicht der Fall. Es war hier nicht ein Kind,
welches die Magd in die Grube warf, sondern eine Mutterblase, und dadarch wird der
Priester nicht verunreinigt.'
Das Kind war also noch nicht genügend geformt, und deshalb galt es noch
nicht für einen Todten, der den Priester hätte verunreinigen können. Ein bereits
geformtes Kind, das abgestorben war, verunreinigte aber, selbst wenn es sich noch
im Mutterleibe befand. So heisst es im Midrasch Bemidbar Rabba:
«Wenn einem Weibe das Kind in ihrem Leibe gestorben ist, und die Hebamme hat es
mit ihrer Hand berührt, so ist diese sieben Tage lang unrein und die Mutter ist solange rein,
bis das Kind heraus (aus dem Mutterleibe) ist.*^ fWünsche^^J
Uippokrates hatte den Satz aufgestellt, dass eine im 8. Monat geborene
Frucht (Foetus octimestris) nicht lebensfähig sei, eine siebenmonatliche dagegen
fortleben könne. Aristoteles fühlt sich in der Sache nicht ganz sicher; denn
obgleich er die Octimestres für lebensfähig erklart, so setzt er doch hinzu : zumal
in Aegypten, dagegen weniger in Griechenland. Galenus schliesst sich dieser
Ansicht an.
Plinius sagt:
.Vor dem siebenten Monate ist kein Kind lebensfähig. Im siebenten Monate ßndet eine
Geburt nicht anders als am Tage vor oder nach dem Vollmonde oder auch im Neumonde
statt. Bekanntlich erfolgen in Aegypten die Geburten im achten Monate, und selbst in
Italien sind solche Kinder lebensfähig, obgleich die Alten das Gegen theil behaupteten,
üebrigens gestalten sich derartige Ereignisse auf mannigfache Weise. Vestüia, die Gattin
des C. Herdicius, nachher des Pomponius, und dann des Orfitus, dreier berühmter Bfirger,
kam von diesen viermal im siebenten Monat nieder; darauf gebar sie im elften den Suilius
Rufus, im siebenten den Corbulo, welche beide Consuln waren, später im achten Caesaniaj
die Gemahlin des Kaisers Cajus. Alle in einem dieser Zeiträume Geborenen schweben bis
zum vierzigsten Tage in der grössten Gefahr, die Schwangeren aber im vierten und achten
Monate, in welchen unzeitige Geburten tödtlich sind.'
Diese Meinung über die Lebensunfahigkeit eines achtmonatlichen Kindes
theilten auch die Talmudisten. Da sich in der Erfahrung diese Theorie jedoch
nicht bewährte, so halfen sie sich in ihrer geschickten Dialektik aus der Ver-
legenheit, dass sie ein Kind, welches im 8. Monat lebend geboren wurde, f&r ein
nur siebenmonatliches erklärten, welches nur einen Monat zu lange im Uterus
verweilt habe.
Im Midrasch Bemidbar Rabba finden wir, dass aus diesen Anschauungen
höchst absonderliche Consequenzen gezogen sind. Die Stelle lautet:
,Es ist dort gelehrt worden: Bei einem Kinde, das im 8. Monat zur Welt kommt,
darf man seinetwegen den Sabbath nicht entheiligen, und man darf ihm seinen Nabel nicht
abschneiden und man darf es nicht einmal von einem Orte zum andern tragen, sondern seine
Mutter bücke sich zu ihm nieder und säuge es, und wer es am Sabbath von einem Ort sum
andern trägt, ist so anzusehen, als ob er einen Stein am Sabbath trQge. Dasselbe gilt auch,
wenn ein Zweifel herrscht, ob es im siebenten oder achten Monat geboren ist, man darf
seinetwegen nicht den Sabbath entweihen, ihm nicht seinen Nabel abschneiden, nicht seine
Nachgeburt verbergen und auch nicht von einem Ort zum andern tragen. Ist es aber gewiss,
dass es ein siebenmonatliches Kind ist, und es ist für lebensfähig anzusehen, so darf man
seinetwegen den Sabbath entweihen, ihm seinen Nabel abschneiden und seine Nachgeburt
verbergen, damit das Geborene nicht erfriere, und man darf es von einem Orte lum andern
204. Wann ist die Fracht lebeosf&hig? 729
tragen. Warum darf man wegen eines siebenmonatlichen Kindes den Sabbath entweihen?
Deshalb, weil es lebensföhig ist. Aber ein Kind, was im achten Monat geboren ist, hat seinen
(vollen) Monat nicht beendet (es ist nicht aasgetragen) and es ist nicht lebensföhig, deshalb
darf man seinetwegen nicht den Sabbath entweihen. Rabbi Abuhu wurde gefragt: Woher
l&Bst sich beweisen, dass ein im siebenten Monat geborenes Kind lebensfähig ist? Er ant-
wortete: Von dem Eurigen werde ich Euch einen Beweis führen: ii^ra, ^nza, tjt cc, oxra.
Woran kann man aber sehen, dass es ein achtmonatliches ist? Wenn seine Nägel und Haare
nicht vollendet (ausgebildet) sind. Rabbi Simeon ben Gandiel sagt: Ein Kind, was nicht
dreissig Tage lebt, hat seinen vollen Monat nicht beendet, sondern es ist eine Frühgeburt.
Worauf stützt sich die Meinung des Rabbi Simeon ben Gamliel? Auf die Thora, weil Gott
die Erstgeborenen zum Zwecke der Auslösung erst nach dreissig Tagen zu zählen befohlen
hat." (Wünsdhe^^O
Noch lange hielt man an der Lehre des Hippokrates fest. So finden wir
sie bei dem arabischen Arzte Avicenna wieder, obgleich er, ebenso wie Hippo-
krcUeSy für Aegjpten, ausserdem aber noch für Spanien zugiebt, dass hier die
Achtmonatskinder leben bleiben und sich wie die ausgetragenen entwickeln können.
Im übrigen Europa allerdings wären sie nicht lebensfähig.
Auch Bernard von Cordon zu Montpellier trug diesen Satz in seinem 1305
verfassten ,Lilium medicinae*^ vor und suchte ihn aus planetarischen Gründen
zu beweisen. Noch weiter aber in dem Glauben an den Einfluss der Gestirne
auf das Leben des Fötus in den verschiedenen Schwangerschaftsmonaten ging der
um 1400 als Lehrer zu Padua lebende Jacob von ForlL In seiner Expositio
zu Avicenna^s Kapitel de generatione embryonis meint er:
,Im 1. Monat herrscht Jupiter quasi juvans pater als Geber des Lebens; im 7. Monat
die Luna als Beförderin des Lebens durch ihre Feuchtigkeit und das von der Sonne empfangene
Licht; dagegen im 8. Monat Saturn^ der kalte und trockene, dessen Natur dem Leben mit
seinem feuchten und warmen Anfange entgegengesetzt ist; daher könnten die Geschöpfci
welche unter seiner Herrschaft geboren sind, nicht am Leben bleiben; im 9. Monat aber
regiere wieder der erhaltende Jupiter.
Gegen diese planetarischen Einflüsse kämpfte schon Pico deUa Mirandöla
an, sowie auch Rueff und Scipione Mermrio. Der Lehrsatz von der Lebensunfähig-
keit der Achtmonatskinder blieb aber bestehen und hielt sich bis in das 17. Jahr-
hundert; er findet sich bei Amhroise Pare und bei Sdpiofie Mermrio, Letzterer
suchte die Gründe dafür, dass in Aegypten und in Spanien diese Achtmonat-
lichen am Leben blieben, während sie in Italien stürben, in der geringeren Kraft
der italienischen Weiber und in der grösseren Kälte der Luft, welche dem
durch die Wärme im Mutterleibe verwöhnten Kinde in Italien gefahrlicher sei,
als in dem wärmeren Spanien und in Aegjpten.
Auch durch das Stürzen des Embryo im Mutterleibe suchte man die be-
treffende Controverse zu erklären. Mit sieben Monaten sollte dieses Stürzen er-
folgen und dann konnte das Kind sofort geboren werden und am Leben bleiben.
Wenn es aber nach dem Stürzen noch ferner im Mutterleibe verharrte, dann konnte
es sich von der Erschütterung im Laufe nur eines Monats noch nicht wieder so
weit erholt haben, um die Strapazen der Geburt überleben zu können; dazu waren
zwei volle Monate erforderlich.
Bei dem Volke in Philadelphia herrscht nach einer Angabe von Fhillips
auch heute noch die Ansicht, dass ein Siebenmonatskind lebensunfähig sei, während
dagegen ein Embryo von sechs Monaten am Leben bleiben könne.
Bei den Kabilen gilt die Frucht mit dem 7. Monat für lebensfähig.
Nach Karl Schroeder sieht man Kinder, welche vor der 29. Woche geboren
werden, ganz regelmässig zu Grunde gehen, aber auch die Mehrzahl der vor
der 32. Woche geborenen Kinder pflegen in den ersten Tagen nach der Geburt
schon wieder zu sterben. Später Geborene können jedoch am Leben bleiben,
wenn man ihnen eine ganz besonders sorgfältige und vorsichtige Pflege ange-
deihen lässt.
730 XXXII. ünzeitige Gebarien und Fehlgeburten.
205. Die kfinstliche Frühgeburt.
Die Aerzte haben ziemlich früh Abnormitäten an dem weiblichen Körper
kennen gelernt, welche die Frau in die höchste Lebensgefahr bringen massten,
wenn sie zu normaler Zeit einer Entbindung unterb'egen sollte. Daher scheaten
sie sich, und zwar mit vollem Rechte, nicht, in solchen Fällen den künstlichen
Abortus einzuleiten. Dieses schreibt auch bereits Moschion vor:
.Wenn die Schwangere einen festen Auswuchi oder sonst ein Hindemiss am Matter-
munde hat, so soll die Fehlgeburt erregt werden; denn die reife Frucht, die sie nicht
gebären könnte, müsste absterben, und sie selbst würde in die grösste Lebensgefahr ver-
setzt werden."
Nun war es natürlicher Weise nicht mehr femliegend, zu überlegen, ob
man nicht die Einleitung dieses künstlichen Abortus bis zu einem solchen Termin
hinausschieben könne, zu dem das Kind bereits lebensfähig sei So hat sich aus
dem künstlichen Abortus die künstliche Frühgeburt entwickelt. Ich kann nicht
umhin, auch ihrer hier mit wenig Worten zu gedenken. Liegt bei den Eindes-
abtreibungen, mit welchen wir uns nachher beschäftigen werden, fast immer die
bewusste Absicht vor, das Leben des sich bildenden Kindes zu vernichten, so ist
es der wesentliche Zweck der künstlichen Frühgeburt gerade, das Leben des Kindes
womöglich zu erhalten. Dieser operative Eingriff befindet sich daher auch nicht,
wie die Einleitung der absichtlichen Fehlgeburten, in den Händen gewissenloser
Geheimmittelkrämer, sondern ganz ausschliesslich in denjenigen der Aerzte. Stets
handelt es sich nur um solche Fälle, in denen die mechanischen Verhältnisse in
dem Körperbau der Schwangeren das Austreten eines ausgetra^enen Kindes un-
möglich machen und wo die Mutter daher unfehlbar bei der Entbindung zu Grunde
gehen würde.
Allerdings haben gewichtige ärztliche Stimmen noch im vorigen Jahrhundert
unter diesen Bedingungen den künstlichen Abortus vertheidigt. und auch jetzt
noch muss derselbe bei gewissen plötzlichen Erkrankungen des Kindes zur Lebens-
rettimg der Mutter eingeleitet werden. Aber für gewöhnlich macht man heute den
Versuch, ausser dem Leben der Mutter auch noch dasjenige des Kindes zu er-
halten. Und so lässt man der Schwangerschaft ungestört ihren Gang, bis die
Zeit herangekommen ist, in welcher man hoffen darf, dass das Kind schon seine
Lebensfähigkeit erreicht hat, wie wir gesehen haben, also nicht vor der zweiund-
dreissigsten Woche. Für die Ausführung sind verschiedene Methoden empfohlen,
die der operativen Geburtshülfe angehören und auf welche ich hier nicht näher
eingehen kann.
Die erste Empfehlung der künstlichen Frühgeburt ging um die Mitte des
vorigen Jahrhunderts von England aus, namentlich Yon Denman xmi Macauley ;
in Deutschland wurde sie im Jahre 1804 zum ersten Male von Menzel aus-
geführt. Ablehnend verhielten sich die Franzosen unter der Führung von
Baudelocque gegen die Operation, aber seit 1831, wo Stoltjs in Strassburg sie
zum ersten Male im Lande in Anwendung zog, ist sie auch allmählich dort zum
Gemeingut aller Gynäkologen geworden.
206. Die Todtgebnrten.
Obgleich in den folgenden Kapiteln über die todten Früchte gehandelt
werden soll, wie sie durch den natürlichen Abortus oder durch den willkürlich
hervorgerufenen geboren werden, so mag es doch nicht als überflüssig erscheinen,
wenn ich hier nun noch einmal auf die Todtgebnrten zu sprechen komme. Wenn
ich aber auch manches Aehnliche werde berühren müssen, so wird man doch wohl
sehr bald herausfühlen, dass diese Wiederholungen in Wirklichkeit dennoch nur
scheinbare sind.
206. Die Todtgebnrten. 731
Von einem Abortus im strengeren Sinne des Wortes pflegt man dem all-
gemeinen Sprachgebrauche gemäss nämlich nur in denjenigen FäUen zu sprechen,
in welchen der innerhalb des Mutterleibes abgestorbene und durch vorzeitige
Wehenthätigkeit aus der Gebärmutter ausgestossene und zu Tage geforderte
Embryo noch im Ganzen massige und geringe Eörperdimensionen darbietet, wo
derselbe also, um es mit anderen Worten auszudrücken, sich noch in einem relativ
jugendlichen Alter seiner Entwickelung innerhalb des mütterlichen Organismus
befunden hatte. Wenn nun aber die Frucht eine bedeutend längere Zeit im
Mutterleibe gelebt hatte, wenn sie bereits den Zeitpunkt erreichte, in welcher
normaler Weise der Fötus ausgetragen ist, oder wenn an diesem Termine nicht
viel mehr mangelte, oder wenn wenigstens diejenigen Monate der Schwangerschaft
bereits herangekommen waren, in welchen unter günstigen Umständen ein zwar
zu früh aber doch lebend geborenes Kind schon am Leben erhalten werden kann,
wenn also die körperliche Ausbildung und die Grössendimensionen des Embryo
schon einen ziemlich erheblichen Grad angenommen haben, dann pflegt man, wenn
die Frucht ohne Leben zu Tage gefordert wird, nicht mehr von einem Abortus
zu sprechen, sondern von einer Todtgeburt.
Jedes Kind also, was mit gänzlich oder fast vollständig vollendeter körper-
licher Entwickelung nicht lebend geboren wird, ist eine Todtgeburt. Naturgemäss
haben wir hier aber mancherlei Unterschiede und Abstufungen zu statuiren.
Denn es ist, wie wohl kaum erst für uns zu erwähnen nothwendig ist, eine recht
erhebliche Differenz, ob das sich entwickelnde Kindchen innerhalb des mütter-
lichen Organismus abstirbt und ob dann die kleine Leiche noch eine mehr oder
weniger lange Zeit von der Mutter getragen wird, oder ob der Fötus zwar lebend
und gesund den normalen Abschluss seiner intrauterinen Entwickelung erreichte,
dann aber durch das unglückliche Zusammentreffen besonderer unheilbringender
umstände noch während des Geburtsactes oder sogleich nach der Beendigung des-
selben sein junges Leben wieder einbüssen musste.
Sehr mit Unrecht haben bei manchen Völkern die Mütter oder die Hebammen als
Todtgebnrten diejenigen Geburtsfölle bezeichnet, wo sie das Neugeborene sogleich nach er-
folgter Entbindung umgebracht haben. Wir finden solche traurigen Verhältnisse bei gewissen
Indianerstämmen, aber auch bei den Hindu, auf den Philippinen und in gewissen
Gebieten Central-Afrikas. Eine besonders hochgradige Verbreitung hatte diese Form der
gewaltsamen Todtgebnrten angeblich im Anfange unseres Jahrhunderts in den Sclavenstaaten
des südlichen Nord-Amerika. Hier soll es in gewissen Districten lange Zeit als die Regel
gegolten haben, dass die schwarzen Hebammen die neugeborenen Kinder der Sclavinnen be-
reits während der Geburt durch einen Stich mit der Nadel in das Gehirn tödteten, um sie
Tor einem ähnlichen grausamen und unglücklichen Schicksale, wie dasjenige ihrer Erzeuger
war, zu behüten.
Ein Absterben eines lebenden und bis zu der Zeit der Reife und vollen Entwickelung
aasgetragenen Kindes während der Geburt kommt im Uebrigen immer nur bei schweren
Störungen des Geburtsmechanismus und ganz besonders durch lange Zeit hindurch fortge-
setite Gompression des Nabelstranges durch die Wandungen der Geburtswege zu Stande.
Hierdurch wird die Blutcirculation von dem Mutterkuchen aus in dem kindlichen Organismus
unterbrochen und auf diese Weise ein Stillstand seines Herzens und damit naturgemäss sein
Tod herbeigeführt.
Diese Gefahr war auch schon den alten Rabbinern nicht unbekannt. Darum
beisst es im Midrasch Schemot Rabba:
„Rabbi Jochanan sagt: Wer die Thora kennt, aber nicht danach handelt, für den
wäre es besser, er wäre nicht in die Welt herausgetreten, sondern es wäre die Nabelschnur
über sein Gesicht gekehrt worden." f Wünsche^.)
Dass auch bisweilen unglückliche Grössenverhältnisse des Fötus im Vergleiche zu der
Weite der Geburtswege der Mutter fQr die Aerzte die zwingende Veranlassung werden können,
das Kind, um seine Geburt zu ermöglichen und das bedrohte Leben der Mutter zu erhalten,
innerhalb des mütterlichen Leibes zu tödten, zu zerstückeln und zu zerkleinem, das werde
ich in einem späteren Abschnitt ausführlicher zu besprechen haben.
732 XXXII. Unzeitige Geburten und Fehlgeburten.
Die Ursachen nun, welche das Absterben eineB dem Zeitpunkte des Ansge-
tragenseins bereits nahen Fötus herbeizuführen yermogen, sind sehr mannigfacher
Art und decken sich im Grossen und Ganzen mit den Ursachen des natürlichen
Abortus. Vor Allem sind es starke Gewalteinwirkungen auf den mütterlichen
Organismus oder erhebliche psychische Erregungen und schwere acute Erkrankungen
der Mutter, aber auch gewisse constitutionelle Krankheiten, an welchen entw^er
die Schwangere oder auch ihr Ehegatte leidet.
Wenn der Embryo abgestorben ist, so hat natürlicherweise die Schwanger-
schaft, wenigstens in ihrer physiologischen Bedeutung, ihr Ende erreicht. Es ist
damit aber durchaus noch nicht gesagt, dass nun das todte Kind auch sogleich
durch die Kräfte der Natur aus dem Mutterleibe herausbefordert würde. Aller-
dings kann unter Umstanden die Ausstossung des abgestorbenen Fötus schon sehr
bald nach seinem Tode erfolgen; in ausserordentlich zahlreichen Fällen jedoch wird
er mehrere Wochen und selbst Monate hindurch in der mütterlichen Oebärmatter
zurückgehalten, und es kann sogar vorkommen, dass er einen beträchtlich langen
Zeitraum über die normale Schwangerschaftsdauer hinaus immer noch eine Stelle
innerhalb des Mutterleibes behauptet.
Man möchte nun glauben, dass dieses längere Verweilen der kleinen Leiche im Inneren
des Uterus bei ihr einen ganz erheblichen Fäulnissprocess hervorufen müsste. Das ist nun
aber keineswegs der Fall. Solch ein abgestorbenes Kind verbreitet, wenn es zu Tage gefördert
ist, nicht einen fauligen, sondern nur einen faden Geruch; es ist matschig weich und alle
seine Theile zeigen eine yoUkommene Durchtr&nkung mit einem röthlichen Blutwasser, w&hrend
die Oberhaut sich in Blasen oder in Fetzen abhebt. Man bezeichnet diesen Zustand als eine
Erweichung, als eine Maceration des Embryo. Ist der letztere sehr lange Zeit über die nor-
male Schwangerschafbsdauer hinaus im Inneren des mütterlichen Organismus zurückgehalten
worden, dann kann er durch einen bestimmten Modus der fettigen Degeneration oder durch
die Imprägnirung mit Ealksalzen ein wachsartiges oder selbst ein steinartig verb&rtetes An-
sehen darbieten, und wir haben dann ein Beispiel eines sogenannten Lithopädion, einet
Steinkindes vor uns. Von dieser letzteren Abnormität ist oben bereits die Rede ge-
wesen.
Es ist nun wohl ausserordentlich natürlich und begreiflich, dass, wenn einem
Weibe in den vorgerückten Monaten der Schwangerschaft irgend eine von den
weiter oben auseinandergesetzten Schädlichkeiten begegnet war, unter denen ihr
ganzer Organismus und namentlich ihr Nervensystem in erheblicher Weise ge-
litten hatte, sie selber sowohl als auch ihre Umgebung einige Sicherheit darüber
zu haben wünschten, ob der unter ihrem Herzen sich entwickelnde Sprössling
durch diese unglücklichen Zufalle getödtet wurde, oder ob er trotz derselben
noch am Leben geblieben sei. Bereits vor mehreren Jahrhunderten sind die Aerzte
bemüht gewesen, für ein solches Abgestorbensein der Kinder im Mutterleibe un-
trügliche Kennzeichen aufzustellen. Aber schon die grosse Anzahl dieser Merkmale,
die sie zusammengebracht haben, liefert uns den deutlichen Beweis von der ausser-
ordentlichen Schwierigkeit, diese Angelegenheit mit unumstösslicher Sicherheit
zu entscheiden. So finden wir in Boesslin's Rosengarten die folgenden Be-
merkungen :
.Durch zwölff zeichen hinunten beschrieben wird erkand ein tod Kind in Mutterleib.
Erstlich, so der Frawen brüste welk und weich werden. Das ander zeichen eines todten
Kindes, So sich das Kind nicht mehr reget in Mutter leib, und sich doch vorhin gereget bat.
Das dritte, Wenn das Kind im Mutterleib liegt, feit von einer seiten zur anderen, wie ein
stein, so sich die Frawe umbkeret. Das vierde zeichen. So der Frawen ihr leib erkaldet,
und der Nabel, und sind doch vorhin warm gewesen. Das fünfifte zeichen ist, So aus der
Bermutter geben böse stinkende Flüsse, und besonder, so die Frawe scbarpffe hitzige krank-
heit gehabt. Das sechste zeichen, Wenn den Frawen ihr äugen tieff stehen im Henbt, und
das weis braun wird, und ihre äugen starren, die Lefftzen werden bleifarb und tunckelblaw.
Das sibende zeichen eines todten Kindes inn Mutterleib, so die Fraw unterm Nabel and inn
den gemechten gros wee hat, ihr angesiebt gantz ungestalt und missfarbe. Das achte, So die
Fraw begierde hat, zu widerwertiger speii und trenck, so man nicht sonst pflegt so
206. Die Todtgeburten. 733
Pas neund, so sie nicht schlaffen mag. Das zehend, so die Frawe die hamwinde on unterlas
hat, begirde zu stuelgang mit drängen und nöten, schafft doch wenig oder gar nicht Das
eüffte zeichen, Der Frawen wird gewonlich ihr athem stincken und Übel riechen am andern
oder dritten tag, nach dem das Kind tod ist Das zwelffte zeichen, So mercket man, ob das
kind tod ist inn Mutter leib, wenn man ein Hand inn warmem wasser gewermet, und geleget
anff der Frawen leib, reget sich denn das Kind nicht, von der werme, so ist es Tod. Und
ihemehr der zeichen funden werden an einer Schwangor Frawen, je gewisser man ist, das das
kind im Mutter leib tod ist."
Die Trüglichkeit und XJnzuverlässigkeit von einem grossen Theile dieser
Zeichen wird auch wohl dem Nichtmediciner sofort einleuchtend sein, und die
heutigen Geburtshelfer sind sich über die erheblichen Schwierigkeiten wohl im
Klaren, hier einen absolut sicheren Entscheid zu treffen.
Noch im Jahre 1886 sagt Karl Schroeder: „Gewissheit von dem erfolgten
Tode geben nur die durch den etwa geöffneten Muttermund hindurch deutlich
gefühlten schlotternden Kopfknochen.''
Allerdings existirt ja nun eine Reihe von Vorkommnissen, welche den Ver-
dacht auf den erfolgten Tod der Frucht in hohem Grade zu erwecken im Stande
sind. Das ist namentlich das Aufhören der Kindesbewegungen und das Ver-
schwinden der Herztöne des Embryo.
Die Herztöne des Embryo sind von einem geschulten Geburtshelfer deutlich zu diagno-
BÜciren. Verschwinden dieselben gleichzeitig mit den Kindesbewegungen, nachdem sie soeben
noch mit Sicherheit nachweisbar waren, dann ist ein gegründeter Verdacht auf ein erfolgtes
AbBterben der Frucht vorhanden.
Die KindesbeweguDgen haben in der Meinung der Frauen eine ganz hervorragende Be-
deutung. Von ihrem ersten Auftreten an rechnen sie die Hälfte der Schwaugerschaft, sehr
mit Unrecht, denn Bmch erwähnt, dass die erste Bewegung bald schon in der zwölften Woche,
bald erst in dem siebenten Monat bemerkt wurde. Man glaubte auch, dass die Knaben sich
frOher bewegen, als die Mädchen.
Aus allen diesen Auseinandersetzungen wird der Leser die Ueberzeugung ge-
wonnen haben, dass eine absolut sichere Entscheidung, ob eine Frucht im Leibe
abgestorben sei oder nicht, durchaus keine leichte Sache ist, und dass nur ein
geschulter Geburtshelfer im Stande sein kann, hierüber ein endgültiges ürtheil
abgzugeben.
XXXIII. Die zufällige Fehlgeburt oder der natttrliche
Abortus.
207. Der natürliche Abortus In seinen Ursachen und seiner Yerbreitung.
Wenn wir uns nnter den Völkern des Erdballs umsehen, so finden wir bei
nicht wenigen derselben die natürlichen Fehlgeburten mit einer grossen Häufigkeit
auftreten, und gewiss haben wir sehr oft in diesem Umstände den Grund zu
suchen, warum bei manchen Stammen eine so geringe Zahl neugeboirener Kinder
beobachtet wird« Die Ursachen dieser häufigen Fehlgeburten geben in sehr vielen
Fällen unverständige Lebensgewohnheiten ab. Aber den Völkern fehlt meisten-
theils die Einsicht in die Gefahr. Bisweilen sucht man im volksthümlichen Glauben
auch wohl die Ursache des häufigen Vorkommens von Abortus in ganz falschen
Dingen. So deutet Patdus die Angabe von 2. Könige 2, 19. ff. dahin, dass die
Quelle in Jericho, welche Elisa durch Hineinschütten von Salz unschädlich
machte, bei den Weibern Abortus hervorgerufen habe. Allein es liegt doch nahe,
anzunehmen, dass nicht der Genuss dieses Wassers, sondern vielleicht das Tragen
der schwergefullten Wassergefässe die häufigen Fehlgeburten veranlasst habe.
Ebenso trägt auch ganz gewiss bei vielen Naturvölkern die Ueberlastung
der Weiber einen grossen Theil der Schuld an dem Abortus.
So ist an der auffallenden Unfruchtbarkeit in Neu- Seeland gewiss nicht
allein die dort herrschende Unsitte des Kindesmordes schuld, sondern wahrschein-
lich auch die auf die Frauen einwirkenden Mühseligkeiten ihres beständigen
Wanderlebens, die harte Arbeit und das Tragen schwerer Lasten. Das Alles ist,
wie TuJce bereits vermuthet, wohl der hauptsächlichste Grund für ihr häufiges
Abortiren. Während nach Mutet in Europa durchschnittlich von 487 nur 20
Frauen (1:24,25) unfruchtbar sind, stellte sich bei den Maori-Frauen das Ver-
hältniss wie 155:444 oder 1:2,86. (WUÜersdorf-ürbair,) Die Maori selber aber
beschuldigen nicht den Abort, sondern sie glauben, dass die Ursache der Unfrucht-
barkeit ihrer Weiber in dem gewohnheitsmässigen Genüsse eines gegohrenen Ge-
tränkes aus Mais gesucht werden müsse.
Auch in Australien sind nach Gerhfid in Folge der schlechten Behandlung,
welche dort die Weiber auch während der Schwangerschaft erdulden, Fehlgeburten
häufiger als bei uns. Bei den Weibern der Orang Belendas in Malacca
ist nach Stevens Abortus im 3. oder 4. Monat ziemlich gewöhnlich. {Bartels^)
Bei den Woloffen kommt nach de Rochehrune das Abortiren sehr häufig
vor, und nach seiner Ansicht hängen die Ursachen hierfür eng mit der Lebens-
weise der Weiber zusammen : in ihren häuslichen Geschäften steht das ermüdende,
stundenlange Zerstossen der Hirse obenan; auf der anderen Seite aber machen sie
Nächte lang Festlichkeiten mit, wobei sie unter Musik aufregende obscöne Tänze
ausfuhren, die mit Rotation der Beckengegend verbunden und den Schwangeren
gewiss gefahrlich sind.
207. Der naiürliche Aborioa in seinen ürBaohen und seiner Verbreitung.
733
Auch schon die Aerzte der alten Inder warnten die Schwangeren vor
solchen anstrengenden Dingen, denn Fehlgeburten könnten hervorgerufen werden
durch rohes Betragen, schlechten Gang, darch Fahren, Reiten, Wackeln, Fallen,
Quälen, Laufen, Schlagen, schiefes Liegen und Sitzen, durch Fasten, starke Stösse.
Iber auch durch allzu rauhe, scharfe und bittere Nahrungsmittel aus dem Pflanzen-
eiche, durch unverdauliche Kost, sowie durch Dysenterie, Durchfall und Er-
brechen, endlich noch durch zu viele Aetzmittel und durch die Abzehrung des
^Embryo wird dieser von seinen Banden gelöst, sowie die Frucht durch verschie-
iene Unfälle von den Fesseln des Stieles, Bis zum vierten Monat kann Abortus
attfinden, aber bei einem starken Fötus auch bis zum fünften und sechsten Monat,
Aber eine gewisse körperliche Prädisposition dieser Völker fiir Fehlgeburten
doch ausserdem noch vorausgesetzt werden. Denn von anderen Naturvolkern
sen wir, dass sie trotz nicht minder grosser Anstrengungen und schlechter Be»
bandlung während der Schwangerschaft dennoch höchst selten zu. abortiren pflegen.
Auch die unteren Klassen in China sprechen für eine solche Annahme;
|enn Weiber müssen dort auf den Flüssen häufig einen sehr anstrengenden Ruder-
"ienst versehen. Trotz dieser grossen Mühseligkeiten ist das Abortiren bei ihnen
icht häufig. Anders ist dieses allerdings bei den Frauen der höheren Stände;
ie reichen Chinesinnen haben in Folge ihrer Lebensweise eine Prädisposition
Enm Abort, denn die Verunstaltung ihrer Püsse zwingt sie zu einer überwiegend
sitzenden Lebensweise und zu grosser Verweichlichung, Daher giebt auch das
chinesische Lehrbuch über Geburtshülfe «Pao-tsan-ta, seng-Pieu* eine ganze
Reihe von Maassregeln an, um einen Abortus zu verhüten.
Bekanntlich werden auch die In dianer- Weiber Nord -Amerikas im All-
remeinen von ihren Männern mit Arbeit überlastet; allein trotzdem behauptet
lei^cA, dass bei den Indianer -Frauen Fehlgeburten sehr selten sind. Und James
fand das Gleiche.
Trotzdem in Persien die Weiber auch während der Schwangerscliaft nach
Lrt der Männer zu Pferde sitzen, kommt doch bei ihnen, wie Polak von der
liegend von Teheran und Uüntzsche von Gilan am kaspischen Meere be-
achtete, der natürliche Abortus selten vor. Ist er aber einmd aufgetreten, so
iederholt er sich in der nächsten Schwangerschaft, und Polak machte Fhss die
_ littheilung, dass er dort eine Frau gesehen habe, welche 12 mal hinter einander
ßbortirte.
Als Ursache für die Hervorrufung von Fehlgeburten müssen wir auch ge-
wisse manuelle Behandlungsmethoden beschuldigen, welchen bei manchen Völkern
ie schwangeren Frauen unterzogen werden. So sind z. B. Fehlgeburten und
Frühgeburten bei den Mexikanerinnen häufig, als deren Grund t\ (Mar iu
^ajaca (Mexiko) die Unsitte der Weiber anttihrt, dass sie sich im siebenten
lonate durch eine Hebamme am üuterleibe kneten lassen, um eine günstige Lage
des Kindes zu erzielen. Es ist von derartigen Manipulationen weiter oben bereits
die Rede gewesen. Es mag übrigens auch noch angeführt werden, dass in Java,
nach KugeVs Bericht, sehr viele Frauen unzeitige Leibesfrüchte gebären. Als Gnmd
hierfür betrachtet er das Pidjet, d. h. die dortige Methode des Massirens, wobei
an den Haaren und den Gliedmaassen gezogen und der Kopf und der Leib der
Schwangeren gedrückt wird.
Einen ferneren Grund aber muss man darin suchen, dass die Schwangeren
wegen der kleinen Leiden und Unbequemlichkeiten, welche mit der Gravidität
verbunden sind, von den alten Matronen allerhand Medicinen erhalten, die sie
zwar nicht von ihrer vermeintlichen Krankheit befreien, aber die Frucht zu
Schaden bringen.
Die Unsitte zu heisser Bäder muss man nach Ferrhi in Tunis und nach
Damian Georg in der Türkei als den Grund des häufig auftretenden Abortus
~ ßzeichnen. Es kommt aber hier noch der Missbrauch onregelmässiger Diät, das
^^m^^^gmuii
736 XXXIII. Die zuföllige Fehlgeburt oder der natürliche Abortas.
Fahren auf schlechten Wegen, das Aufhängen der Wäsche auf der Terrasse der
Häuser und das mehrere Stunden lang dauernde Bereiten des Confects hinzu.
Auch sollen nach anderer Angabe die Türkinnen sehr häufig in Folge des rohen
geburtshülflichen Verfahrens an gewissen Frauenkrankheiten leiden, welche wieder-
holte Schwangerschaft oder das Austragen gesunder Kinder nicht zulassen.
Auch in der Einwirkung eines ungewohnten Klimas haben wir eine Gelegen-
heitsursache für den Abortus zu erblicken, doch ist hierbei wohl der eigentliche
Grund weniger die hohe Temperatur, als vielmehr die in solchen lindern gewöhn-
lich nicht fehlende Malaria. Acclimatisirte sind dann minder gefährdet, als Ein-
wandernde. Bei den Eingeborenen in Cayenne und Guyana ist Abortus selten;
dagegen kommt derselbe bei Europäerinnen, die entweder schwanger dorthin
kommen, oder alsbald nach ihrer Ankunft schwanger werden, ehe sie das klimatische
Fieber überstanden haben, namentlich im 7. und 8. Monat, in Folge des sich dann
ge wohnlich einstellenden Fiebers häufiger vor. {Bajon) Auch in den Nilländern
treten bei Europäerinnen öfter Fehlgeburten auf. {Uartmann)
Ebenso abortiren die in Indien lebenden Europäerinnen nach dem Zeug-
niss von Johnson und Martin besonders in der heissen Jahreszeit ausserordentlich
häufig. Auch die allerdings seltenen Aborte in der persischen Provinz Gilan
werden von Häntzsche dem Sumpffieber zugeschrieben.
Ein von Kangatva bekämpfter Volksglaube der Japaner behauptet, dass
der Genuss von Süsswasserfischen Fehlgeburten hervorrufe. Es kann wohl keinem
Zweifel unterliegen, dass wenigstens ein Theil der absonderlichen Speisevorschriften,
denen bei vielen Völkern die schwangeren Frauen unterworfen sind, auf ähnlichen
Anschauungen beruhe.
Bei den Weibern der Hottentotten soll nach Scherzer Abortus im 2. und
3. Monate häufig sein. Die Negerinnen in Old-Calabar fürchten dagegen,
wie Uewan berichtet, ganz besonders den 7. Monat.
Auch in Jaffa ist nach Tobler der Abortus eine sehr häufige Erscheinung,
und bisweilen werden dabei die Hebammen zu Hülfe gerufen. Ebenso sind den
Fehlgeburten die Weiber in Cambodja vielfach unterworfen. Hingegen ist bei
den Ann am iten -Frauen der Abortus äusserst selten, und, wie wir oben gesehen
haben, bestehen dort besonders scharfe Gesetze, um eine Schwangere vor Strafen
zu schützen, welche etwa eine Fehlgeburt veranlassen könnten. Die Bestrafung
des betreffenden Richters tritt aber nur dann in ihrer ganzen Schwere ein, wenn
die Schwangerschaft bereits den dritten Monat überschritten hatte; innerhalb der
ersten drei Monate wird für solche Veranlassung einer Fehlgeburt nur das auf eine
einfache Verletzung stehende Strafmaass verhängt.
Auf den Viti- Inseln ist nach Blyth der natürliche Abortus eine sehr grosse
Ausnahme; ebenso nach Mac Gregor auf den can arischen Inseln und nach
Paulitschke bei den Somali.
Die niederen Volksschichten in Deutschland halten Fehlgeburten nicht
für etwas besonders Beachtenswerthes ; sie sprechen nur davon, dass es der Frau
„unrichtig gegangen*, dass sie „umgekippt* oder, wie es im Siebenbürger
Sachsenlande heisst, dass sie „verzettelt* oder „verschüttet* hat. Auf der Insel
Amrum wird die Fehlgeburt mit dem Worte „Maassgang* bezeichnet, das bedeutet
so viel wie ein Missgang, ein. vergeblicher Gang.
Die Ebstinnen kennen nach Holst (Dorpat) Abort und Frühgeburten
fast gar nicht, obgleich sie während der Schwangerschaft sich keinerlei Schonung
auferlegen.
Unter den Europäerinnen hat man namentlich von den Französinnen
angenommen, dass sie in hervorragender Weise zu Fehlgeburten geneigt sind.
Auch hier wollte man den Grund in dem reichlichen Gebrauche warmer Bäder
suchen, jedoch sollen auch gerade bei ihnen Anomalien an den GFenitalorganen
nicht selten sein.
208. Die MaasBregeln zur Verhütung von Fehlgeburten. 737
Plinitis stellte die merkwürdige Behauptung auf, dass das Niesen nach dem
Beischlafe einen Abortus hervorrufe, und er fahrt dann fort:
.Man wird mit Bedauern und Scham erfüllt, wenn man bedenkt, von welch' unbe-
deutenden Zufällen die Entstehung des Stolzesten unter den Geschöpfen abhängt, da sehr oft
schon der Geruch ausgelöschter Lampen die Ursache unzeitiger Geburten ist. Einen solchen
Anfang hat der Tyrann, einen solchen das blutdürstige Gemüth. Du, der Du auf die Kräfte
Deines Körpers pochst, der Du nach den Gaben des Glückes haschest und Dich nicht einmal
für den Pflegling, sondern für das Kind desselben hältst; Du, dessen Geist stets mit Siegen
umgeht, der Du, aufgeblasen durch irgend ein glückliches Ereigniss, Dich für einen Gott hältst,
Dich konnte ein so unbedeutender Umstand umbringen!**
Dass für die schwangeren Frauen in Deutschland der dritte und der sechste
Monat die für den Abortus geföhrlichsten sind, möge hier noch eine kurze Er-
wähnung finden.
208. Die Maassregeln zur YerhUtnng Ton Fehlgeburten.
Gewiss ist, wie wir schon oben andeuteten, ein Theil von alle den ver-
wickelten Vorschriften, denen die schwangeren Frauen nachleben sollen, aus dem
Gedanken hervorgegangen, das Eintreten von Fehlgeburten zu verhüten, und gewiss
muss wenigstens theilweise auch das Verbot, mit der schwangeren Frau den Bei-
schlaf auszuüben, hierher gerechnet werden. Aber wir begegnen auch bisweilen
ganz directen Angaben über die Sache. So muss sich die Frau in Old-Calabar
ganz besonders vor dem bösen Blicke zu schützen suchen; denn dieser ist es, der
üir den Abortus zuzuziehen vermag. Auch anderem Zauber und dem Lärmen und
den Aufregungen des Dorfes muss sie sich bei vorgerückter Schwangerschaft
entziehen, um nicht einer Fehlgeburt zu verfallen, und deshalb pflegt sie ihre
Wohnung in einer stillen Farm aufzuschlagen.
Unter den alten Romern herrschte die Sitte, dass die Schwangeren der
Juno zur Verhütung des Abortus im Hain am Esquilinischen Hügel Blumen
opferten, wobei sie keine Knoten in den Gewändern und in den Haaren haben
durften. Es ging in Rom die Sage, dass, als einst der Abortus häufig vorkam,
die Frauen die Jtmo in diesem Haine um Offenbarung eines Verhütungsmittels
baten. Die Göttin rief: „Der Bock muss die italischen Matronen bespringen ! **
Das erinnert an den oben erwähnten heiligen Bock zu Mendes, der die Frucht-
barkeit schaffen sollte.
Die Bulgaren begehen den 24. und den 25. September als besondere Feier-
tage ,zu Ehren der Wölfe und der Schwangeren, damit letztere keine Frühgeburt
haben/ (Strauss)
Wir müssen selbstverständlich zu diesen Verhütungsmaassregeln auch fast
alle diejenigen religiösen Ceremonien rechnen, welche mit den schwangeren Frauen
vorgenommen werden. Denn ihr ethischer Sinn ist ja doch im Wesentlichen nur
das Erflehen einer ungestörten und gesunden Schwangerschaft und einer leichten
und glücklichen Niederkunft. Zur Unterstützung dieser Gebete j)flegen, wie wir
oben gesehen haben, noch bisweilen gewisse Amulete in Gebrauch und Ansehen
zu stehen.
Ein solches Schutzmittel vor Abortus kommt schon im Talmud (Tr. Sabbath 66)
vor, der Aetites, der Adlerstein oder Klapperstein, welcher von der
Schwangeren getragen wurde. Auch Plinms erwähnt die Eigenschaft dieses Steines
als Präservativ gegen Frühgeburt. In demLiber lapidum seu de gemmis des
im 11. Jahrhundert lebenden Bischofs Marhodus heisst es von dem Aetites:
Creditur ergo potens praegnantibus auxiliari,
Ne vel abortivum faciant, partuve laborent;
Appensus laevo solito de more lacerto.
Die Hippokratiker Hessen zur Verhütung des Abortus viel Knoblauch
oder den Stempel von Silphium (Thapsia Silphium Viv.?) geniessen, denn der
PlOBB-BarteU, Das Weib. 6. Aufl. I. 47
738
XXX TTT. Die zafUUige Fehlgeburt oder der natürliche Abortus.
Saft dieser Pflanze galt als blähungerzeagend, und alles was blSht war ihrer
Meinung nach für die Schwangerschaft günstig.
Glaubten die Aerzte im aiten Indien, dass eine Fehlgeburt sich vorbereite,
so verordneten sie ölige und kühlende Mittel.
Gegen die Schmerzen Hessen sie Wrightia antidysenterica, Pbaseolns trilobos, Glycyrrhiza
glabra, Flacortia cataphracta und F. sapida im Getr&nk mit Zucker und Honig nehmen ; gegen
Unterdrückung des Urins gaben sie ein Getränk aus Asa foetida, Saurabala, AUium sativurn und
Acorus calamus bereitet. Bei heftiger Blutung wurde Pulver von Gostus arabicus, Andropogon
serratum, Domestica terra, Mimosa pudica, Blüthen von Grislea tomentosa, Jasminum arbo-
rescens u. s. w. gereicht, bei Schmerzen ohne Blutung gaben sie Milch mit Glycyrrhisa glabra,
Pinus Devadara und Asclepias rosea, auch Milch mit Oxalis, Asparagus racemosus und Asclepias
rosea, sowie verschiedene ähnliche Zusammensetzuugen. War trotzdem die Frucht abgegangen,
so gaben sie der Frau eine Speise aus Kuhmilch mit Ficus carica und Sälätü; war aber der
Embryo abgestorben, so erhielt die Frau eine Ptisane von Paspalus frnmentaceus.
In noch älterer Zeit aber nahm man in Indien auch bei drohender Fehl-
geburt zu Beschwörungsformeln seine Zuflucht. Ein solcher Zauberspruch ist uns
in dem Atharva-Veda erhalten. Er lautet nach der Uebersetzung von Grill:
,Die Göttin Prgniparni schuf
Uns Heil, Unheil der Nirfti,
Die Kanva reibt sich mächtig auf;
Ich nütze ihre Wunderkrafb,
Die Prgfiiparni hier ward gleich
Als mächtig wirkende erzeugt.
Verrufenen trenn' ich den Kopf
Mit ihr, wie einem Vogel ab!
Den Unhold, der das Blut aussaugt,
Und den, der das Gedeihen stört,
Den Kanva, der den Embryo frisst.
Scheuch Prgniparni und bezwing*!
Treib diese Kanva in den Berg!
Sie, die des Lebens Störer sind!
Wie Feuer folg', und brenn' sie auf,
Prgniparni j Du Göttliche I
Weit jage diese Kanva fort!
Sie, die des Lebens Störer sind!
Wohin die Finsternisse geh'n,
Da schick' ich die Fleischfresser hin.'
Es wurde in einem früheren Abschnitte schon gesagt, dass dieAnnamiten
den Abortus verursacht glauben durch • die Geister Con Banh^ welche in die
Körper der Embryonen fahren, um sich so zu einer Incamation zu verhelfen, die
dann aber niemals lebend geboren werden können. Ihre Zauberpriester, die
Thäy phap, veranstalten eine besondere Beschwörung, um die Frauen von den
Con Bank zu be&eien. Landes schildert dieselbe folgendermaassen. Man fertigt
aus Stroh zwei Puppen, welche die Mutter und das Kind darstellen sollen, und
zwar in einer Stellung des gewöhnlichen Lebens, z. B. die Mutter das Kind vriegend
oder ihm die Brust gebend. Dann wird ein Con Döng herbeigeholt, das heisst
eine Person, welche bei der Beschwörung als Medium fungirt, denn stets spielt
bei den Zaubermanipulationen der Thiiy phap, der Hypnotismus, eine hervor-
ragende Rolle.
Dieses Medium «est suppose anim6 par le demon des morts pr^matur^es. On ^prouve
quelquefois sa lucidite en lui faisant deviner quelque chose; ce que Von a cachä dans une
boite, par exemple. Le Thäy phap interpelle le dämon, Tadjure de s'engager ä ne plus
tourmenter la famille oü se pratique l'exorcisme et lui ordonne d'apposer, en signe de con-
sentement, sa signature, c'est-ä-dire la marque de ses phalanges sur une feuille de papier.
Quand le d^mon consent, le medium trempe sa main dans Tencre et l'imprime sur le papier.
S'il r^siste, on le menace, on fiche dans les joues du medium de longues aiguilles et le plus
souvent il finit par ceder. A la fin de la c^r^monie, od brüle les deux mannequins."
Sie haben aber auch noch ein anderes Mittel:
,Pour se d^barrasser de cette mal^diction, plusieurs pratiques sont miset en usage.
D'abord, par une espece de mesure preventive, on tue un jeune chien, on le coupe en trois
morceaux et on les enterre sous le lit oü accouchera la femme. Du sang de ce chien on ^crit
des caract^res magiques sur les amulettes qu*elle porte. Enfin, ä l'entree de la cbambre,
on grave une inscription dont le sens est: Quand tu vitrais, ton sang a teint le couteau
magique de HWng dao (et cependant) tu veux toujours rentrer du sein des femmes. Cef
pratiques sont destin^es ä rappeler au Con ranh le sort qui Tattend s'il oontinue ä tronbler
le repos de la famille."
209. Das Scbickaal dea Abortus.
739
Man glttubt tiamlicb, dags wenn die Con BanJt einmal von einer Frau Besitz
rgriffen haben, dass sie dann bei jeder erneuten Schwangerschaft derselben sofort
ier in den Embryo fahren, und die Änoamiten haben, wie Landes erzählt,
besondere Methode, um diese Annahme sicher zu stellen:
,Pour v^rifier cette opimon, on peut faire sur le corps du mort-n6, au front, au bra-p.
jdes marques qoi sont suppoae^s se reprodiiiro sur le corpg da saivftnt, dont rideotit«^ malfai-
ftnte est ainsi constatee.*
Eine Frau, welche das Unglück hat, von den Con Rank befallen zu sein,
kann dieselben aber auf eine andere Weibsperson überleiten. Für gewöhnlich
^pflegt man die für eine solche Frau und ihr Kind benutzten Betten, Kleidungs-
stücke und Geräthe an einen abgelegeneu Ort zu bringen und dieselben daselbst
"in verbrennen.
,Dea gens peu scrupuleuz pr^f^rent lea abandonner, afin que lea effet^ eiant rama^ae«
par des pauvrea, le con ranh sattachp a eui et passe daas lear famille '
Solch ein Verfahren wird allerdings als im höchsten
}rade unmoralisch angesehen und von der öffentlichen
leinung streng verurt heilt
Die Furcht vor der Berührung mit einer Frau,
reiche von den Con Ranh befallen wurde, ist bei den
i^nnamitinnen eine ganz ausserordentUch grosse:
«ÄUBsi nne nouvelle mariee ti'oserait-elle pos recevoir nne
bhiqoQ de b^tel d^une fem nie qui a de ja fait une ou pluBieur.'«
Biaases couches, porter un de aes habits, de ees cbapeaiix etc. Ort
p^'abatieDt meme de parier des Con ranh devant les femniea, d^'
peur que cette conversation ae leur porte malbeur et que ce>
pritfl ne s'attachent a elles.*
309. Das Hcliieksal des Abortus.
'"^f-
Die Beseitigung des Abortus bietet in den Cultur-
dern manche Schwierigkeiten dar. War die Schwanger-
aft noch nicht weit vorgeschritten, dann weiss isich die
Umgebung der Wöchnerin allerdings einfach Rath und
bereitet der abgegangeneu Leibesfrucht die letzte Ruhe-
ätte in der Senkgrube, Das ist aber mit Embryonen,
ie schon älter sind, nun nicht mehr ohne Weiteres zu
skiren; denn die findige Polizei konnte an diesem un-
rürdigen Orte die menschlichen Ueberrest^ entdecken, und
das würde im günstigsten Falle doch immer zu unlieb-
samen Nachforschungen führen. Wandert der Embryo nicht
in irgend eine anatomische Samralong, dann muss die Ge-
vatterin Hebamme für eine stille Art von christlichem
ßegräbniss sorgen.
Dass auch bei den Juden eine Fehlgeburt iu eine
Grube geworfen wurde, das ersehen wir aus der oben au-
fgeführten Geschichte aus dem Talmud, welche der Rab
JehmUt erzählt
Aber die Talmudisten waren, wie wir ebenfaihs schon
gesehen haben, auch bemüht, die durch den Abortus ausgestossene Frucht in ihre
Hände zu bekommen, um über den Grad ihrer Entwickelung, sowie über ihr Ge-
schlecht aus rituellen Rücksichten Untersuchungen anzustellen. Bei diesen Gelegen-
heiten wurden auch manche wichtige Beobachtungen für die Embryologie gemacht.
j Die Aerzte des 16, und 17. Jahrhunderts bemühten sich ebenfalls, für ihre embryo-
■^Dgischen Studien abgegangene Früchte zu erlangen. Die erste Abbildung eines
L:
Flg. 31&, »A.1h>i<u^ ^
,iismiitämemi^
740 XXXIII. Die zufällige Fehlgeburt oder der natfirliche Abortus.
solchen Abortus, und zwar eines solchen im dritten Monate der Schwangerschaft,
verdanken wir dem Grafen Ulysses Äldrovandi aus Bologna, dessen hochherzige
Geldopfer für die Naturwissenschaften ihn im Armenhause seiner Vaterstadt sem
Leben beschliessen Hessen. Unsere Fig. 315 zeigt eine verkleinerte Copie derselben.
Bei seinen Ausgrabungen in üissarlik fknd Heinridi SMiemann die Beste
dreier menschlicher Embryonen sorgfaltig in Urnen beigesetzt. Sie waren unver-
brannt und die Skelette Hessen sich fast vollständig wieder zusammensetzen. Sie
befinden sich jetzt im Museum för Völkerkunde in Berlin. Diese Embryonen
gehörten der sogenannten dritten Stadt an, der eine aber, ein sechsmonatlicher,
wurde sogar in der ersten Stadt gefunden und bezeugt damit das ausserordentlich
hohe Alter der merkwürdigen Sitte, zu einer Zeit, in welcher aller Wahrschein-
lichkeit nach die Leichenverbrennung gebräuchlich gewesen ist, solche Fehlgeburten
nicht zu verbrennen, sondern sie unverbrannt beizusetzen. Wir werden an einer
späteren Stelle sehen, dass man auch bei den Banianen in Bombay ungeborene
Kinder nicht verbrennt. Uebrigens findet sich auch bei Flinüis der Ausspruch:
, Einen Menschen zu verbrennen, bevor er die Zähne bekommen hat, ist bei keinem
Volke gebräuchlich."
Fig. 316. Thongefäss ans Hissarlik-Troja, in dem ein Embryo beigesetzt war.
(Aus Hfinrich Schliemann: Ilias.)
Ob mit einer solchen Anschauung der Gebrauch, die Embryonen beizusetzen,
in Verbindung gebracht werden kann, muss ich allerdings unentschieden lassen.
Das Thongefäss, in welchem sich der Embryo aus der ersten Stadt von
Hissarlik fand, ist in Fig. 316 abgebildet.
Wenn bei den Orang Belendas in Malacca ein Abortus stattgefunden
hat, so wird, wie Sfevais berichtet, das Ganze irgendwo ohne besondere Feier-
lichkeit begraben, nachdem ein einfaches Loch für diesen Zweck ausgehoben ist.
(Bartels^)
In einem handschriftlichen Bilderwerk des Kgl. Kupferstichkabinets in
Dresden findet sich bei dem Bilde einer Tapuya-Frau unter anderen folgende
Bemerkung:
„Das int aber dchröcklich undt für vieler Menschen obren grewlich, dass nemlich ein
Weib, wen sie ein todtes Kind zur Welt gebohren hat, dasselbe von stunden an zerreist
undt autt* so viel mahl ihr zu thun möglich, wiederumb hineinfrisst, vorgebende, es sej ihr
Kindt, auss ihrem Leibe gekommen, undt wehre nirgends besser als wieder in denselben ver-
wahrt." (Richter.)
Bastian^ sagt von den Siamesen:
«Da sich mit einem Abortus geföhrliche Zaubereien ausfahren lassen, so wird derselbe
sogleich einem zuverlässigen Magier übergeben, der ihn, einen blanken S&bel in der Hand,
210. Die Anzeichen des beginnenden Abortus. 741
in einem Topfe nach dem Flusse trägt und dort unter Verwünschungen ins Wasser wirft. —
Nach Finlayson werden in Siam die abgeschnittenen Hände und Füsse nebst dem Kopfe
eines der in der Schwangerschaft verstorbenen Mutter ausgeschnittenen Kindes an einen
Körper von Thon angefügt und als Zauber aufgestellt.**
Derartigen Zauber mit den Körpertheilen unausgetragener Kinder kennt
auch die Volks-Magie der europäischen Völker. So vergräbt man in einigen
ungarischen und rumänischen Gegenden Siebenbürgens den kleinen Finger
von der linken Hand eines todtgeborenen Kindes in den Orund des neuen Öe-
bäudes, um es vor dem Blitze zu schützen. Wer diesen Finger abschneidet, dem
leuchtet er in der Nacht und er v^ird von Niemandem gesehen werden. Auch
das Herz eines solchen Kindes, in eine gewöhnliche, brennende Kerze gesteckt,
oder ein Licht aus Talg, vermischt mit Blut des eigenen Leibes und dem Fleische
eines solchen Kindes, soll nach dem Glauben der Magyaren bewirken, dass man
Jeglichem unsichtbar bleibt, (v, Wlislocki\)
Die ungarischen Wander-Zigeuner benutzten das Blut solcher Fehl-
geburten zu der Herstellung einer Salbe, indem es zusammen mit dem Blute, das
der verunglückten Mutter entströmt, sowie mit den weiblichen und den männlichen
Geschlechtstheilen zweier krepirter Hunde in der Johannis- oder TAowas-Nacht
zu einem festen Brei gekocht wird.
,Geht man nun auf Diebstahl aus, so schmiert man seine Hände mit dieser Salbe ein
und spricht dabei die Formel:
.Des Kindes und der Mutter
Todtes Blut
Ist hier gebunden;
Todter Hund
Zur Hündin
Hier er kommt!
Wie die Thiere, wie das Blut
Hier ist gebunden,
So das, was ich wünsche,
Sei mir jetzt!
So dass, was ich will,
Kleben möge an meinen Händen!''
.Bevor ein nord-ungarischer Zigeuner auf ein gestohlenes Pferd steigt, so schmiert
er die innere Seite seiner nackten Beine mit dieser Salbe ein, ebenso die beiden Seiten des
Pferdes, und indem er nun auf das Pferd steigt, spricht er den oben mitgetheilten Spruch.'
Cv. WlislockiKj
Von den Annamiten berichtet Landes:
«Qnand une femme fait successivement plusieurs fausses couches ou perd plusieurs en-
fants en bas age avant que le suivant soit ne, on pense, que c'est le m6me esprit, qui
8*attache obstinement ä la famille, et y revient sans cesse.*
Diese Geister sind die Con Ranh, von denen schon wiederholt die Rede
war, und wir haben bereits gesehen, wie man sich von ihnen zu befreien sucht.
Der Olaube an dieselben bedingt aber auch, dass die durch einen Abortus ge-
borenen Kinder in ganz besonderer Weise beerdigt werden.
,0n coupe le corps du mort-nö en trois parts, jambes, tete et tronc, et on les enterre
t^par^ment, chacune ä un carrefour, de mani^re que Tesprit retrouve le moins possible le
chemin de la maison. Ici, si on ne d^coupe pas le corps, on T^nterre du moins, dans le
mdme but, k un carrefour."
210. Die Anzeichen des beginnenden Abortus.
Als Zeichen eines eintretenden Abortus ftihrt Hippokrates das Weichwerden
oder GoUabiren der Brüste an. Den Einfluss der Witterung auf den häufigen
Abortus kannte er sehr genau. Nach Diokles treten Kälteschauer und Schwere
in den Oliedem ein. Genauer ist schon Saranus aus Ephesus in der Semiotik
des Abortus: Nach ihm fliesst zuerst wässrige Flüssigkeit aus den Geschlechts-
742 XXXIII. Die zufällige Fehlgeburt oder der natttrliche Abortus.
theilen ab, dann folgt Blut, welches dem Fleischwasser ähnlich ist; ist der Embyro
gelost, so fliesst reines Blut ab, welches in der Hohle des Uterus angehäuft,
coagulirt und dann excemirt wird. Bei Frauen, welche Abortiva genommen, be-
steht Schwere und Schmerz in der Kreuzgegend, im ünterleibe, in den Weichen,
an den Augen, den Gliedern, Magenbeschwerden, Kälte der Glieder, Seh weiss,
Ohnmacht, Opisthotonus, Epilepsie, Schluchzen, Krampf und Schlaflosigkeit
(Pinoff,) Nach Moschion sind die Zeichen eines eintretenden Abortus: An-
schwellen der Brüste ohne bekannte Veranlassung, ein Gefühl von Kälte und
Schwere in der Nierengegend, ein Ausfliessen von verschiedenartiger Flüssigkeit
aus der Scheide; dann endlich erscheint die abgehende Frucht unter wiederholten
Horripilationen. Nach Hijypokrates^ sagt Soranus, erdulden die Frauen, welche einen
mittelmässigen Körper haben, einen zwei- oder dreimonatlichen Abortus; denn ihre
Gotjledonen seien von Schleim zu sehr erfdllt, wodurch der Fötus nicht in ihnen
festgehalten, sondern von ihnen getrennt wird. Es werden daher Mittel empfohlen,
welche den Schleim lösen, namentlich Pessi aus Goloquinthen bereitet, wärmende
und trocknende Nahrung, Frictionen u. s. w. Alles dieses sind offenbar Mittel,
um den Abortus zu beschleunigen.
Bei den Medicinem des Talmud bestand eine Meinungsverschiedenheit dar-
über, ob sich der Uterus beim Abortus ohne Blutverlust öffnen könne oder nicht,
und ob jedesmal der Abortus von Schmerzen begleitet sei. Sie glaubten, wie
Hippokrates, dass der Südwind grossen Einfluss auf die Entstehung des Abortus
habe. Der Rabbiner Jehoschuah sagt im babylonischen Talmud:
«Die meisten Frauen geb&ren regelmässig, die wenigsten erleiden einen Abortus, and
wenn dies der Fall, so sind es Kinder weiblichen Geschlecht«.*
Das entspricht nun nicht dem wahren Verhalten, denn es ist statistisch fest-
gestellt, dass unter den durch Abortus ausgestossenen Kindern das männliche
Oeschlecht noch weit mehr überwiegt, als unter den ausgetragenen Neugeborenen.
Diejenige Form der Fehlgeburt, welche die Talmudisten als Samenfluss aus dem
Uterus (ä/Quöeig des Aristoteles) erwähnen, wird von ihnen als eine Corruption
des mäunlichen Samens angesehen, welchen der Uterus drei Tage nach dem Coitus
wieder ausstösst. Sie nehmen auch einen Abortus secundinarum an. Vorschriften
zur Behandlung des Abortus führen die Rabbiner ausser dem vorerwähnten
Amulet nicht an.
Nach der Ansicht der chinesischen Aerzte droht bei einer Schwangeren
der Abortus, wenn die Frau in den ersten Monaten zitternd ist.
Schmerzen im Rücken und in den Seiten, Blutung, Hamretention, Hin-
und Herlaufen der Schwangeren, reissende Schmerzen im Uterus und in den
Unterleibseingeweiden galten den Arezten im alten Indien als die Zeichen einer
beginnenden Fehlgeburt.
In dem Frankenwalde ist nach Flügel bei einer drohenden Frühgeburt
der neunte Tag besonders gefürchtet; denn man glaubt, dass an diesem Tage die
Gefahr leicht wiederkehrt.
In Galizien suchen die Hebammen durch Schmieren des Unterleibes und
durch warme Kataplasmen so lange zu helfen, bis die Blutung aus der Gebär-
mutter entweder durch die Ausstossung des Embryo, oder durch den Tod der
Mutter ihren definitiven Stillstand erreicht.
In der Provinz Cayambe in Ecuador beobachtete Stübel^ wie ein Mann
einer abortirenden Peone-Frau zu Hülfe kam. Er ging mit der Hand in die
Scheide ein und zog, während die Frau vor ihm stend, die Frucht aus ihren
Genitalien heraus.
XXXIV. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung
der Leibesfrucht.
211. Die Bedentnng der Fmchtabtreibnng.
Eine Betrachtung der mit Absicht hervorgerufenen Fehlgeburten bietet von
verschiedenen Gesichtspunkten aus ein ganz erhebliches Interesse dar und zwar in
erster Linie ein culturgeschichtliches, dann aber auch ein staatliches oder recht-
liches, und schliesslich ein medicinisches.
Wir werden aus diesen Untersuchungen lernen, dass nicht, wie sehr häufig
behauptet wird, die Abtreibung der Leibesfrucht ein Ergebniss degenerirter
socialer Verhältnisse sei, wie sie die Schattenseiten der Cultur neben anderen
Uebelständen mit sich bringen. Wer die Ueberzeugung hegt, dass in dieser Be-
ziehung „die Wilden bessere Menschen sind**, der wird sich ernstlich enttäuscht
fohlen müssen. Denn nicht allein bei den halbcivilisirten, sondern auch bei den
in den primitivsten Zuständen lebenden Völkern finden wir den Gebrauch weit
verbreitet, die Schwangerschaft absichtlich zu unterbrechen. Jedenfalls ist dieser
Uebelstand älter als jegliche Civilisation.
Dass solch ein eigenmächtiger Eingriff als ein Unrecht zu betrachten sei,
diese Empfindung kommt erst ganz langsam und aUmählich zum Bewusstsein des
Volkes, und erst ziemlich spät treten religiöse und politische Gesetzgeber dieser
, Vernichtung keimenden Lebens* durch Verbote und Strafandrohungen entgegen.
Aber man soll nur ja nicht glauben, dass der Einfluss der Strafgesetzbücher
machtig genug gewesen ist, um die Abtreibung in Wahrheit zu beseitigen. Leider
lebt sie auch bei den Culturvölkem fort als eine Volkskrankbeit von grösserem
Umfang, als man sich selber gestehen mag. Zur Zeit wissen wir über die Ver-
breitung der betreffenden Unsitte bei zahlreichen fremden Völkern viel Genaueres
als über dasjenige, was sich bei uns selber zuträgt und nur deshalb verborgen
bleibt, weil, vielleicht in dem irrigen Glauben, dass sie sich doch nicht ausrotten
lasst, viel zu wenig in ernster Weise von den dazu berufenen Personen über die
Mittel nachgedacht ist, wie durch Aenderung der socialen Verhältnisse diesem
Uebel gesteuert werden könne.
212. Die Verbreitung der Fmchtabtreibnng nnter den jetzigen Völkern.
Es wurde bereits darauf aufmerksam gemacht, dass wir in der Frucht-
abtreibung durchaus nicht einen krankhaften Auswuchs der Civilisation zu erblicken
berechtigt sind, denn wenn wir uns unter den jetzigen Völkern des Erdballes
umsehen, so finden wir, dass nicht nur manche nur halbcivilisirte Nationen, son-
dern auch viele der allerrohesten die Abtreibung der Frucht sehr häufig ausüben.
744 XXXIV. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfimoht.
Hieraus geht hervor, dass sie einerseits den Werth eines noch nicht geborenen
Kindes sehr gering schätzen, und dass sie auch andererseits die Gefahren, welche
sie der Mutter durch die Äbtreibung bereiten, nicht gar zu hoch veranschlagen
können.
Die Bedingungen für die Sitte der Äbtreibung mögen im Allgemeinen die-
selben sein, wie die, welche den Kindermord veranlassen. Allein bei der Ab-
treibung fällt auch noch die schwache Schranke hinweg, welche wohl manchmal
die Mutter abhält, das Eigenerzeugte zu vertilgen, die Liebe zu dem ebengeborenen
lebenden Wesen und die Furcht vor der Schuld, ein Leben zu vernichten.
Unter den Naturvölkern stehen in der Civilisation die Oceanier und
Australier mit am tiefsten. In Australien will man bemerkt haben, dass
„wegen der Schwierigkeit, womit die Auferziehnng der Kinder verbunden ist*,
die eingeborenen Mütter oftmals Fehlgeburten herbeiführen. (Klemm^ Oberländer.)
Li Neu-Süd- Wales sterben nach v. Scherzer die Eingeborenen immer mehr aus,
weil dort die Äbtreibung überhand nimmt.
Auf Neu-Seeland war bis vor einiger Zeit das Abtreiben der Frucht
nicht minder gebräuchlich, als der Kindermord. TuJce berichtet, dass die Maori-
Frauen auf Neu-Seeland häufig abortiren; bei manchen derselben soll dies, wie
er sagt, 2 oder 3 mal, ja sogar 10 bis 12 mal geschehen sein. Er weiss zwar
nicht genau, ob der Abortus künstlich hervorgerufen wird oder zufällig ist, doch
glaubt man annehmen zu müssen, dass häufig das Erstere der Fall ist. Domeny de
Rienzi schildert in seinem Werke über Oceanien die Entbehrungen und Qualen,
welche den eingeborenen Frauen bei Schwangerschaft und Geburt von den Ihrigen
auferlegt werden, und fragt: Darf man sich wundem, dass manche dieser Frauen
dem Glücke entsagen, Mutter zu werden, und durch gewaltsame Mittel den Folgen
ihrer Fruchtbarkeit vorbeugen? Unter den Eingeborenen Neu-Caledoniens
huldigen nach den Berichten von Rochas nicht etwa bloss ledige Dirnen dem
Gebrauche des Abtreibens, sondern auch verheirathete Frauen, um der Mühe
des Säugens zu entgehen, und um gewisse Körperreize länger zu bewahren.
A}x<^ Moncelon bestätigt diese Angabe. Die Loyalitäts-Insulanerinnen trinken
nach Samuel Ella das Wasser einer heisseu Schwefelquelle, um sich die Leibes-
frucht abzutreiben.
Von den Einwohnerinnen von Neu-Caledonien, von Samoa, Tahiti
und Hawaii wird uns berichtet, dass sie die Kinder abtreiben, damit ihre Brüste
nicht schlaff und welk werden. Bei den D o r e s e n auf Neu-Guinea bringen
wegen der häuslichen Lasten die Weiber nicht mehr als zwei Kinder zur Welt
und treiben bei jeder folgenden Schwangerschaft die Frucht ab. Daher erklärt
sich die geringe Zunahme der Bevölkerung.
Auf den Gesellschafts-Inseln trat nach Bemet die Fruchtabtreibung
an die Stelle des früher gebräuchlichen Kindermordes. Auf der zu der Sa-
lomon-Gruppe gehörigen Insel Ugi rufen die Frauen oft Abort hervor. Eltons
Berichterstatter sind mehrere Fälle bekannt, wo bei Gravidität von 3 bis 7 Mo-
naten Abort verursacht wurde, aber er hat nicht erfahren können, was für ein
Mittel sie dazu benutzten. Er weiss, dass es ein Trank aus den Blättern eines
auf der Insel wachsenden Strauches ist; auch legen sie feste Bandagen um ihre
Taille. Es giebt nur wenige Frauen, welche das verstehen, und diese betreiben
damit ein einträgliches Geschäft.
Auf den Sandwichs-Inseln, auf denen der Kindermord früher sehr ge-
bräuchlich war, ist jetzt nach Angabe der Missionare nur die Hälfte der Ehen
fruchtbar. Andrew fand von 96 verheiratheten Sand wichs- Insulanerinnen 23
in kinderloser Ehe, also den vierten Theil. Nach Wilkes ist hier der freiwillige
Abortus sehr häufig. Auf den Viti-Inseln, sagt Wilkes^ giebt es sehr viele
Hebammen, die meistens auch mit dem Geschäfte der hier sehr häufig exercirten
Fruchtabtreibung sich befassen. Die eingeborenen Hebammen versicherten Blfth^
212. Die Yerbreitong der Fruchtabireibung unter den jetzigen Völkern. 745
das8 zufalliger Abort unter den Viti-Frauen vollständig unbekannt ist und dass,
wenn Abortus vorkommt, er ganz sicher ein absichtlicher sei. Für die Einleitung
des künstlichen Abortus scheinen mehrere Beweggründe maassgebend zu sein.
Die Viti-Frauen haben eine ausgesprochene Abneigung gegen eine zahlreiche
Familie und ftihlen sich beschämt, wenn sie zu häufig schwanger werden, da sie
glauben, dass eine Frau, welche eine grosse Zahl von Kindern zur Welt bringt,
zum Gespött der Gemeinde wird. So suchen sie durch den künstlichen Abort die
Zahl der Geburten zu verringern oder es zu vermeiden, dass einer Schwanger-
schaft zu bald eine andere folge. Auch fuhren sie häufig die absichtliche Fehl-
geburt herbei, um ihre Männer zu ärgern, wenn sie auf diese wegen vermeintlicher
Untreue eifersüchtig sind. Das Gleiche geschieht bei illegitimer Schwangerschaft,
um der Schande zu entgehen. Auf Samoa ist der Kindermord etwas ganz Un-
erhörtes, Abtreibung der Frucht dagegen, und zwar mit Anwendung mechanischer
Mittel, ist ausserordentlich in Uebung. Die Beweggründe dafür sind verschiedene;
theils geschieht es aus Scham, theils aus der Furcht vor zu frühem Altem, theils
ist aber auch die Scheu vor den Mühen der Kindererziehung als die Ursache
anzusehen.
Künstlicher Abortus war auf den Gilbert-Inseln wegen der Unfruchtbar-
keit des Bodens und der daraus erwachsenden Nahrungssorgen sehr gebräuchlich.
Es scheinen auch die Ulitaos auf den Maria neu diese Sitte geübt zu
haben, obwohl bestimmte Angaben darüber nicht vorliegen.
Auf Buru im malayischen Archipel sind Emmenagoga viel gebraucht,
um keine Kinder zu bekommen, und ebenso wird der künstliche Abortus allge-
mein geduldet und an Mädchen und Frauen vielfach ausgeübt. Die hierzu in
Anwendung gezogenen Geheimmittel scheinen dem Körper der Frau keinen blei-
benden Nachtheil zu verursachen. Auch auf Ambon und den Uliase- Inseln,
auf Babar, Keisar und den Watubela-Inseln werden Abortiva vielfach benutzt.
Auf Keisar thun es die Weiber gegen den Willen ihrer Männer, um nicht mehr
als höchstens zwei Kinder zu bekommen. Die Wat übel a- Insulanerinnen führen
in gleicher Weise das Zweikindersystem durch. Auf Babar greifen schwangere
Frauen zur künstlichen Fruchtabtreibung, um nicht vom Coitus ausgeschlossen zu
sein, der während der Gravidität auf das strengste verboten ist. Auch die
Eetar- Insulanerinnen bedienen sich der Abortiva, jedoch nur ganz im Geheimen.
Die Galela und Tobeloresen gebrauchen sie ebenfalls viel. {Riedel^,)
Von den Aaru -Inseln sagt Ribhe: „Selten findet man mehr als 3 Kinder
bei einem Ehepaare; wie in ganz Indien, so ist auch hier das Abtreiben der
Leibesfrucht etwas Erlaubtes und wohl auch einer der Hauptgründe, dass die Be-
völkerung sich von Jahr zu Jahr vermindert.**
Nach Stevens gab es bei den OrangLäut inMalacca keine Maassnahme,
sich vor Kindern zu schützen; solch eine Abscheulichkeit wurde nicht für mög-
lich gehalten. Den Weibern der Orang Djäkun auf der gleichen Halbinsel
war aber die absichtliche Abtreibung der Leibesfrucht wohlbekannt; sie fand statt,
um die Arbeit zu vermindern, welche mit dem Aufziehen des Kindes verbunden
war, sie wurde aber doch nur sehr selten ausgeübt; denn wenn sie bei einem
verheiratheten Weibe entdeckt wurde, so war es dem Ehemanne gestattet, seine
Frau mit einer Keule streng zu bestrafen; und wenn er sie bei dieser Gelegenheit
unabsichtlich tödtete, so wurde er daliir nicht zur Rechenschaft gezogen. Wenn
eine vorzeitige Geburt vorkam, so fand ein gerichtliches Verhör von Hebanmien
oder älteren Frauen statt, die von dem Ehemanne ausgewählt wurden, um fest-
zustellen, ob das Weib sich absichtlich die Frucht abgetrieben hatte. Wenn sie
fftr schuldig befunden wurde, so durfte^ wie gesagt, der Ehemann seine Frau be-
strafen. Er war aber dazu nicht verpflichtet, und that er es nicht, ging sie frei
aus. Wenn ein unverheirathetes Mädchen zur Fruchtabtreibung ihre Zuflucht ge-
nommen hatte, so verlor es jeden Platz und Halt im Stamm; es wurde von den
746 XXXIY. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der LeibeBfracht
anderen Weibem verachtet und von den Männern als Ehefiran verschmäht; auch
setzte es sich der Schande aus, von ihren Eltern gezüchtigt zu werden. {Bartds^)
Von den Einwohnerinnen der Philippinen glaubt Mmtano^ dass der Ge-
brauch von abtreibenden Mitteln bei ihnen nicht besteht.
In Brunei auf Borneo sind die Kindesmorde nur deswegen so selten, weil
man ihnen durch Abtreibung der Leibesfrucht zuvorkommt, worin die Einge-
borenen eine solche Meisterschaft haben, dass sie ihren Zweck ohne Gefahrdung
der Patientin zu erreichen wissen. Da die Vornehmen ihre Goncubinen nach der
ersten und zweiten Entbindung in den Ruhestand zu versetzen pflegen, so schrecken
die Weiber vor keinem Mittel zurück, um sich in ihrer begünstigten Stellung langer
zu behaupten. Femer bleibt die Hälfte der adeligen Tochter unvermählt; damit
sie in Folge des unerlaubten Umgangs nicht niederkommen, wird bei Zeiten vor-
gebeugt. (Spencer St. John.)
In Kroe und in Lampong auf Sumatra ist nach Helferich und Harre-
bomce die Hervorrufung des Abortus häufig. Dasselbe bestätigt Jacobs von Java,
und von Bali sagt er:
sAbortivmittel kennt jede Bali sehe Frau in Menge, und es unterliegrt keinem
Zweifel, dass vielfach davon Gebrauch gemacht wird. Daher kommt es auch, dass so wenig
aussereheliche Kinder geboren werden (obgleich die meisten Töchter dieses sehr woUfistigen
Volkes auch noch Prostitution treiben). Und nicht allein unverehelichte Frauen greifen zu
diesen Mitteln. Eine der Panjeroäns, d. h. der leibeigenen Weiber des Fürsten von
Badong auf Bali, machte Jacobs die Mittheilung, „dass sobald eine von ihnen schwanger
wird, sie sich bei dem Fürsten melden muss, der ihr dann sofort ein chinesisches Obat
(pänger^t genannt) giebt. Dieses „mixtum quid**, von schwarzer Farbe und herbem Ge-
schmack, verursacht nach dem Gebrauch ein GefQhl von Wärme und hat beinahe stets den
gewQnschten Erfolg. '^
Bei den Hindu beschäftigen sich sowohl die Hebanmien, als auch die Barbier-
frauen sehr viel mit Fruchtabtreibungen. (G, Smith,) In keinem Lande der Welt,
sagt Allan Webb in Calcutta, sind Kindesmord und künstlicher Abortus so
häufig, als in Indien, und wenn es auch der englischen Regierung gelungen
ist, die Tödtung der Neugeborenen zu verhindern, so kann sie doch nichts gegen
den Missbrauch der Äbortusbeforderung ausrichten, die schon so manche Mutter
mit ihrem Leben bezahlt hat; überall giebt es dort Leute, die sich gewerbsmässig
mit dem Abtreiben der Frucht beschäftigen.
Als besondere Ursache des häufigen Vorkommens von künstlichem Abortus
bei den Indern bezeichnet Huillet die Sitte, dass die Mädchen schon im zartesten
Alter verheirathet und hierdurch häufig schon früh zu Wittwen werden ; in diesem
Wittwenstaude ergeben sich viele der Prostitution, um nur ihren Lebensunterhalt
zu finden, schreiten dann aber nach eintretender Schwangerschaft zum Abortus,
um die Schande von sich selbst und von der Familie abzuwenden.
Bei den Munda- Kohls in Chota Nagpore kommt es nach Missionar
Jellinghaus vor, dass ärmere Ehefrauen, wenn ihnen die Schwangerschaften zu
rasch auf einander folgen, zu alten Weibem gehen und Abtreibungsmittel anwenden.
lieber den enormen Umfang, welchen in Indien die Abtreibung genommen
hat, berichtet Shortt, Sie wird aus religiösem Vorurtheil sowohl unter den
Hindus, die unter den englischen Präsidentschaften wohnen, als auch unter den
wilden Stämmen getrieben.
In Kutsch, einer Halbinsel nördlich von Bombay, fand Macwurdo die
Weiber sehr ausschweifend und den künstlichen Abortus allgemein. Eine Mutter
rühmte sich, dass sie sich fünfmal ihre Leibesfrucht abgetrieben habe.
Wenn bei den Kafir in Mittel-Asien eine Frau den Abortus vornehmen
will mit oder ohne Vorwissen des Mannes, so ist sie straflos, ebenso der Heil-
kOnstler, der den Abortus vollbringt. Das Tödten der Kinder nach der Geburt
jedoch gilt als ebenso strafbar wie ein Mord. (Maclean.)
212. Die Verbreitung der Fruchtabtreibung unter den jetzigen Völkern. 747
In Gochinchiua ist die Abtreibung ein sehr gewöhnliches und dort zu
Lande durchaus nicht als verbrecherisch betrachtetes Mittel, der Unannehmlichkeit
ausserehelicher Schwangerschaft rasch ein Ende zu machen. (Crawfurd.)
Auch die Chinesen haben Kenntniss von den Abortirmitteln und sie wenden
dieselben nicht selten an.
Abtreibungen der Frucht sind nach Rutherford Alcock in Japan unter
unverheiratheten Frauenspersonen sehr im Schwange. Wie wenig man dort sich
vor der Abtreibung scheut, geht aus der Angabe Wemich's hervor, welcher sagt:
«Der Fremde, wenn er eine Japanerin zur Concubine nimmt, erklärt in sehr vielen
F&llen von vornherein, dass er nicht Kinder wünsche; wie die Betreifende diesen Wunsch
erHÜlt, bleibt ihr überlassen/
Pölak leugnet, dass in Persien bei verheiratheten Weibern der absichtliche
Abortus vorkäme. Chardin aber versicherte, dass Frauen dann den Abortus zu
bewirken suchen, wenn sie bemerken, dass ihre Männer durch die Zurückhaltung,
welche sie dem persischen Brauche gemäss während ihrer Schwangerschaft be-
obachten müssen, bewogen werden, sich mit anderen Frauen einzulassen.
Ich schliesse hier gleich die Türken an, weil sie ja eigentlich vielmehr
als Asiaten, wie als Europäer betrachtet werden müssen. Bei der Leichtigkeit
und Straflosigkeit des künstlichen Abortus giebt es im Orient keine unehelichen
Kinder. Aber bei den besseren Ständen in Gonstantinopel kommt es auch
gar nicht selten vor, dass sich Verheirathete die Leibesfrucht abtreiben, wenn sie
bereits zwei lebende Kinder, und darunter einen Knaben, geboren haben. Nach
Eram beschäftigen sich dort vornehmlich die Hebammen mit diesem unsauberen
Handwerk, und ein englischer Arzt berichtet:
«Die Hälfte dieser Hebammen, dieser ungebildeten Frauen aus allen Nationen , welche
die unvernünftigsten Manipulationen mit der Gebärenden vornehmen, erstreckt sich nicht
bloss auf das Geschäft der Entbindung, sie werden vielmehr auch bei Frauen- und Kinder-
krankheiten zugezogen, verschreiben Mittel gegen Unfruchtbarkeit und erzeugen so manche
G^b&rmutterkrankheit. Aber ihr besonderer Beruf ist der künstliche Abortus. Die Türken
halten die Abtreibung des Kindes für nichts Schlechtes. Wenn eine Türkin ihre Nach-
kommenschaft nicht mehr anwachsen lassen will, oder wenn sie fürchtet, dEiss durch eine er-
neute Schwangerschaft das Stillen, das gewöhnlich bis in das dritte Jahr fortgesetzt wird,
unterbrochen werden könnte, so unterwirft sie sich mit der grössten Ruhe der Behandlung
einer Hebamme zur Einleitung einer Frühgeburt, bisweilen mit, andere Male aber auch ohne
Vorwissen des Ehemannes. Gefährliche Blutungen, Entzündungen und Verwundungen der
(}eb&rmutter sind die häufigen Folgen solchen Verfahrens. Diese Sitten herrschen in den
ännsten wie in den reichsten Häusern , und die Regierung schreitet nicht gegen sie ein. Im
Jahre 1859 brachte die medicinische Gesellschaft zu Gonstantinopel das Treiben eines übel-
berüchtigten Gesellen, der sich selbst Doctor nannte und Handel mit Abortivmitteln trieb,
zur Kenntniss des Grossveziers , doch ohne allen Erfolg. Dieser Gebrauch des Abtreibens ist
nach der Meinung des Berichterstatters Ursache des schnellen Abnehmens der türkischen
Bevölkerung."
Aehnlich äussert sich auch Oppenheim:
,In der Türkei wird der Abortus häufig versucht und ist bis zum 5. !Monat erlaubt,
weil nach der Meinung der Mohammedaner bis dahin noch kein Leben im Fötus ist. Es werden
häufig von verheiratheten Leuten Abortivmittel öffentlich und ohne Scheu verlangt, vom Manne,
um nicht zu viele Kinder zu ernähren, von der Frau mit Bewilligung ihres Gatten, aus Furcht,
ein Wochenbett möchte ihren Reizen Abbruch thun ; oft aber auch vom Manne, der mit einer
Sclavin Umgang hatte.*
In Gonstantinopel wurde auf Veranlassung von Prado eine amtliche
Untersuchung über diejenigen Abtreibungen angestellt, welche zu der Kenntniss
des Gerichtes gekommen waren. Es ergab sich, dass in zehn Monaten des Jahres
1872 dieses Verbrechen in mehr als 3000 Fällen zu criminellen Untersuchungen
Veranlassung gegeben hatte.
Die türkische Zeitung „Dscheride i-Havadis* vom Februar 1877 berichtet,
dass 95 Procent der Kinder und mehr als ^jz der Mütter diesem Verbrechen zum
Opfer fallen.
748 XXXIV. Die absichtliche Fohlgeburt oder die Abtreibung der Leibeefirachi.
,Zur Schande unseres Berufes/ sagt Prado, «müssen wir gestehen, dass es heute selbtt
noch unter unseren Collegen solche Elende giebt, welche trotz eines Diploms dieses strafbare
Handwerk ausüben ; allein ihre Zahl ist glücklicherweise in unseren Tagen eine sehr beschrftnkte
geworden. Dieses ehrlose Gewerbe wird heute beinahe ganz ausschliesslich von gefährlichen
Hebammen betrieben, von unwürdigen Lucinen, welche uns an die Abtreibungen alter Zeiten
erinnern, deren Thaten Plinius beschrieben hat, wie Olympias, die Thebanerin, Salpe and
Sotira^ und wenn wir Beispiele aus der Gegenwart anführen wollen, finden wir sie in den
geföhrlichen Giftmischerinuen von Marseille u. s. w. Die Zunft der Hebammen besteht mit
Ausnahme einzelner Persönlichkeiten, welche ihre Kunst rechtschafTen ausüben, im Allgemeinen
aus verrufenen und unwissenden Frauenzimmern, welche vorher die schamlosesten Handwerke
ausgeübt haben. Diese unheilvollen und schamlosen Frauenzimmer beflecken täglich die
Schwellen angesehener Häuser und entehren durch ihre Gegenwart die achtbarsten Familien,
indem sie diejenigen zum Verbrechen aufifordem, welche sie vorher zu Fehltritten verleitet
haben, und die dann in der Regel damit enden, gänzlich ihr Opfer zu werden."
Eine nicht geringe Anzahl der Volker Afrikas huldigt ebenfedls der Unsitte
des Abtreibens. Wir werden bei der Besprechung der gebräuchlichen Abortiv-
mittel auf mehrere dieser Völker zurückkommen. Hier erwähnen wir nur die
Aegypterinnen {Hartmann) und die Algerierinnen (Bertherand). In Algier
sieht man in Butiken an öffentlichen Plätzen Jüdinnen diese Praxis betreiben.
Auf den Ganarischen Inseln ist die Fruchtbarkeit der Weiber sehr gross,
und selbst Lustdirnen bringen oft Kinder zur Welt, wenn sie keine Mittel an-
wenden, einen Abortus zu bewirken. Man nimmt oft zu Abortivmitteln seine
Zuflucht, und dies ist um so leichter, da auf dem Lande die Pflanzen und Kräuter
nur zu gut bekannt sind, durch welche die Abtreibung bewirkt werden kann;
in den Städten ist kein Mangel an alten Weibern, die neben der Kuppelei dieses
abscheuliche Gewerbe ungestraft betreiben. (Mac Gregor.)
Auf Massaua im arabischen Meerbusen ist das Abtreiben der Frucht
sehr häufig, weil die Väter verpflichtet sind, ihre Töchter aufzuhängen, falls sie,
ohne verheirathet zu sein, schwanger werden. (Brehm.)
Die Szuaheli halten nach Kersten vom 2. bis zum 4. Schwangerschafls-
monat das Abtreiben der Leibesfrucht für möglich. Auch bei den Woloff-
Negern ist dieselbe häufig (de Rochebrune) , aber bei den Loango-Negern
kommt sie selten vor.
Von den Bafiote-Negern sagt Pechiel-Loesche :
,£s scheint, dass nur ledige Frauenzimmer, namentlich solche, welche längere Zeit ein
allzu freies Leben geführt haben und in reiferen Jahren sich vor der Entbindung fürchten,
im Geheimen den Abortus zu bewirken suchen, durch Kneten und Drücken des Leibes sowohl«
wie durch übermässigen Genuss von rothem Pfeifer."
Büttner ist der Ueberzeugung, dass auch bei den Her er o der künstliche
Abortus ausgeübt wird. Er kannte einen Fall, wo eine Frau, die allerdings von
ihrem Manne auf das schändlichste betrogen und Verstössen war, aus Ingrimm
das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, zu tödten versuchte.
Las Casas und Fetrt4S Martyr bestätigten schon die Fruchtabtreibung bei
den Eingeborenen Amerikas; die üeberbürdung mit Arbeit, welche die Spanier
ihnen auferlegten, sollen die Weiber dazu getrieben haben, weil sie ihre Kinder
nicht in ein gleiches Elend gerathen lassen wollten, v. Äjsara und Eschwege be-
stätigen von mehreren südamerikanischen Stämmen, dass die Familien nicht
mehr wie höchstens zwei, manche sogar nur ein einziges Kind aufzuziehen pflegen,
und dass sie fernere Schwangerschaften durch künstliche Mittel unterbrechen.
Dahin gehören auch die Lengua oder Shuiadsche, die Gujacurus am Parana,
und nach Dohriehoffer auch die Abiponer. Werden die 6 uya cum- Weiber
aber noch nach dem 30. Jahre schwanger, dann ziehen sie ihre Kinder auf. Als
wahrscheinlicher Grund für die Kindesabtreibung bei diesen Völkern wird das
Verbot angesehen, während der Zeit der Schwangerschaft und während der ganzen
langen Zeit des Säugens mit dem Manne Umgang haben zu dürfen.
Die Mbayas in Paraguay treiben deshalb die Kinder ab, weil die Frauen
213. Die Fruchtabtreibang unter den Völkern weisser Rasse. 749
fbrchten, durch das Austragen der Kinder frühzeitig zu altern, und weil ihnen
bei ihren Strapazen das Aufziehen der Kinder zu beschwerlich ist. Auch die bereits
auf 200 Seelen zusammengeschmolzenen Payaguas üben die Abtreibung fleissig.
Ein Theil der Indianerinnen am Orinoco glauben, wie der Abt Crüt
berichtet, dass durch Entbindung in sehr jugendlichem Älter am besten die weib-
liche Schönheit erhalten werde. Andere aber glauben dagegen, dass sie gerade
hierdurch schnell verblühen, und sie suchen sich daher ihrer Schwangerschaft zu
entledigen.
Während einige nordamerikanische Indianerstämme den künstlichen
Abortus verabscheuen, z. B. die Chippeways, sind viele andere Stämme wegen
der bei ihnen heimischen Sitte, die Kinder abzutreiben, dem Aussterben nahe.
Bei den Winipegs z. B. hatte im Jahre 1842 eine Frau durchschnittlich nur
ein Kind; im Oregon-Gebiete fanden sich deren meist nur zwei. Es ist nicht
unwahrscheinlich, dass an dieser scheinbaren Unfruchtbarkeit der natürliche und
künstliche Abortus ihre Schuld tragen. In einigen nordamerikanischen
Yolksstämmen pflegen nach Hiinter die Familien nur 3 bis 4 Kinder aufzuziehen,
die übrigen werden abgetrieben. Häufig ist das Abtreiben bei den Knistenaux
nach Mackensie, und bei den Indianern von Astoria im Oregon- Gebiete
nach Moses.
Die Weiber der Cadawba-Indianer üben nach Smith die Abtreibung
der Frucht sehr, besonders wenn sie ausserehelich geschwängert wurden. Es ist
begreiflich, dass solches widernatürliche Verhalten ihre Gesundheit zerstört, ihr
Geschlecht entnervt und viel Veranlassung zu Fehlgeburten gegeben hat. Dass
Smith selten Mütter fand, die mehr als 2 Kinder hatten, lässt sich hieraus mit
Leichtigkeit erklären.
Von den Dakotas berichtet Schoolcraft, dass sie als Abortivmittel mehrere
Pflanzen benutzen, die aber in manchen Fällen Mutter und Kind den Tod bringen.
Unehelich Geschwängerte üben regelmässig die Abtreibung, aber auch Verlieirathete
ihun das nicht selten.
Engelmann scheint also doch nicht im Rechte zu sein, wenn er die Unsitte
der Abtreibung der Berührung der Indianer mit der weissen Rasse zu-
schreiben will.
213. Die Frnchtabtreibiing unter den Tölkern weisser Basse.
Es ist bekannt, dass unter den Weissen Nord-Amerikas die Abtreibung
sehr üblich ist, und dass insbesondere in allen grossen Städten der Vereinigten
Staaten eigene Anstalten existiren, in denen Mädchen und Frauen eine frühzeitige
Entbindung bewerkstelligen, denn alle amerikanischen Zeitungen der Union
enthalten öffentliche Anzeigen solcher unlauteren Anstalten. Nicht selten sollen
Weiber mit Wissen ihrer Ehegatten diese Institute aufsuchen. Man findet darin
so wenig etwas Unmoralisches, dass, wie berichtet wird, Frauen ganz flüchtigen
Bekannten erzählen, dass sie keine Kinder zu haben wünschten und daher nach
St. Louis oder New Orleans gehen, um ihre Leibesfrucht abzutreiben. Diese
Sitte hat sich auch schnell in den Städten Californiens heimisch gemacht.
In New York schickt ein Quacksalber ein Circular umhor» welches ,To Ladies onceinto*
adreasirt ist und in welchem er den Ladies empfiehlt: „whosc hoalth will not Warrant their
incurring risks incident to maternitj , or the culmination of which threatens an unpleasant
denouement, a new and highly important scientific discoverj, recently made by a regularly
educated physician and surgeon of extensive experience.'
Auch in Europas grossen Städten scheint die Fruchtabtreibung über-
hand zu nehmen. Dies wird dadurch wahrscheinlich, dass, wie Tardieu in Paris
statistisch nachwies, sich die Untersuchungen gegen gewerbsmässige Fruchtab-
treibung mehren.
750 XXXIV. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfrucht.
In Paris wurden 1826 — 1830 nur 12 Personen wegen Abtreibung angeklagt, 1846^50
aber 48, und im Jahre 1853 sogar 111 Personen, von denen 58 verurtheilt wurden. Aber der
Verdacht der Zunahme der Fruchtabtreibung trifft nicht nur Paris, sondern auch andere
Städte. Nach Tardieu waren unter 1000 wegen dieses Verbrechens von 1854 bis 1861 Ab-
geurtheilten 87 Hebammen, 9 Aerzte, 1 Droguist, 2 Gharlatane u. s. w.
Nach der Ansicht aller Sachverständigen wird die Fruchtabtreibong in Paris
vollkommen handwerksmässig namentlich durch die Hebammen und in den Privat-
entbindungsanstalien betrieben, deren wahrer Zweck allgemein bekannt ist. Manche
führen darüber in fast unumwundenen Ausdrücken Buch, wie über andere geburts-
hülf liehe Verrichtungen, und machen ihre Operationen um eine geringe Belohnung.
Ausser den Hebammen sind es nur noch einzelne Aerzte, welche sich mechanischer
Mittel bedienen; die alten Weiber, die Pfuscher und die Schwangeren selbst be-
schränken sich gewöhnlich auf abtreibende Trankchen.
Eine ausführliche statistische Arbeit über die seit 1789 in Frankreich vorgekommenen
gerichtlichen Fälle von Fruchtabtreibung verdanken wir Gäüiot, nach dessen Berechnung sich
die zwischen 1831 und 1880 anhängig gemachten Fälle auf 1082 belaufen. Die Anklagen
vertheilen sich nach Perioden folgendermaassen :
im Jahre 1831—1835 zu 41 Fällen, im Jahre 1856—1860 zu 147 Fällen,
, , 1836-1840 , 67 ^ , , 1861—1865 , 118 .
, , 1841-1845 „ 91 , , , 1866—1870 , 84 ,
, , 1846-1850 , 113 , . , 1871—1875 , 99 ,
, , 1851-1855 , 172 , , ^ 1876—1880 , 100 ,
Auch Foley gab an, dass auf der Morgue in Paris die Zahl der unreif ausgestoesenen
Kinder in wachsender Zunahme begriifen ist. Im Jahre 1805 kam in Paris 1 Todtgeburt
auf 1612,12 Einwohner, 1840 dagegen 1 auf 340,90, was gewiss auch durch die steigende
Häufigkeit der Abtreibung bedingt ist.
Unter 683 in den Jahren 1846 — 50 in die Morgue eingelieferten unausgetragenen Kindern
stammten 519 aus den ersten 6 Monaten, und sicherlich war die Mehrzahl von ihnen abge-
trieben worden.
Die Statistik Galliofs weist aus, dass sich die Zahl derjenigen Hebammen, welche als
Abtreiborinnen unter Anklage gestellt sind, allmählich vergrössert hat, dass aber ihre Yer-
theilung auf Stadt und Land eine ganz besondere Bevorzugung der grossen St&dte zeigt.
Galliot schliesst seine Resultate mit den Worten: „On se plaint de tous cöt^s, en France,
de la decroissance de la population. On a fait recemment de nombreuses lois pour prot^ger
l'enfant; nous venons ä notre tour demander une protection pour le foetus.*
GaUiot fordert eine strenge staatliche Ueberwachung der Privatentbindungs-
anstalten, die ebenso nothwendig sei, wie diejenige der Privatirrenanstalten.
Der künstliche Abortus ist nach Galliot in bestimmten Monaten besonders
häufig, nämlich 4 bis 5 Monate nach denjenigen Monaten, in denen die meisten
Conceptionen vorkommen. Diese letzteren sind die Zeiten der Weinernte und
des Camevals. Uebrigens giebt es in Frankreich bestimmte Orte, welche im
besonderen Rufe stehen, dass Schwangeren dort geholfen wird: Paris wird häufig
deshalb von schwangeren Engländerinnen aufgesucht, und namentlich wird
Oivors von Lyonerinnen frequentirt, da dort ein Arzt, eine Hebamme und ein Oe-
Würzkrämer das betreffende Geschäft betrieben; letzterer, der die Operation mit einer
Stecknadel vollführte, gestand, seit mindestens 10 Jahren thätig gewesen zu sein.
Uausncr fand durch statistische Erhebungen, dass die Abtreibung der Leibes-
frucht entdeckt wurde
[n Oesterreich
in 7
Fällen jährlich,
, Grossbritannien
. 35
, Preussen
. 21
, Frankreich
, 20
„ Bayern
. 20
, Hannover
, 12
, Spanien
. 11
, Sachsen
, 8
, Württemberg
, 5
214. Die Beweggründe f&r die Abtreibung der Leibesfrucht. 751
Demnacli kamen solche Falle relativ am häufigsten zur Bevölkerungszahl in
Hannover, am seltensten in Frankreich vor. ÄÜeii) aus solchen Zahlen kann
man über die relative Verbreitung des Uebels durchaus nicht schliessen ; denn wir
wissen nicht, wie solche Fälle den Gerichten entgingen.
Von Steyermark sagt Fossel, dass dort Fruchtabtreibungen nicht seltener
sind als anderswo.
Die Städterinnen in Serbien sollen nach Valenta sehr häufig von Ab-
treibungsmitteln Gebrauch machen, um den Beschwerden der Entbindung aus dem
Wege zu gehen, und es vergeht kein Jahr, wo nicht junge Frauen diesen Unfug
mit dem Leben bezahlen.
,Wie Jukic^ bezeugt, sind Kindesmorde unter den slaviscben Türken und, wie er
zOgemd hinzusetzt, in Nachahmung der türkischen Dummheit auch unter Christen an der
Tagesordnung. Dasselbe ist auch in den slavonischen Niederungen der Fall, wo die Bäue-
rinnen noch häufiger ihre Leibesfrucht abtreiben. Vor zehn Jahren wurden die Weiber eines
ganzen Dorfes bei Pozega wegen Fruchtabtreibung in Untersuchung gezogen. Eine Mutter
hatte ihrer eigenen Tochter eine Spindel in den Leib gestossen, um eine Abortirung zu er-
zielen. Die Tochter starb an der inneren Verletzung. Der Mann führte Klage und so kam
die ganze Sache ans Tageslicht. Im Ganzen wurden etwa 30 Frauen angeklagt. Die Sache
verlief aber im Sande." (Krauss^J
Bei den SQdslaven zwingen manche gewissenlose Männer öfters ihre
schwangeren Frauen zu schweren Arbeiten, damit sie abortiren. Die Volksstimme
yerurtheilt indessen scharf ein solches Vorgehen und brandmarkt es mit Schimpf
und Schande. (Krauss.^)
Nach Maschka soll auch in Schweden die Kindesabtreibung gewerbsmässig
geübt werden.
In Italien kommt Fruchtabtreibung häufig vor. Ziino berichtet in seinem
Lehrbuche der gerichtlichen Medicin, dass es in Neapel bestimmte Häuser giebt,
in welchen dieselbe vorgenommen wird; als Keclame dient diesen Häusern ein
eleganter Glaskasten, in dem sich eine Sammlung von Alkohol- Präparaten conser-
virter Föten befindet. Ich habe . dort leider derartige Aushängekästen zu sehen
keine Gelegenheit gehabt.
Auch schon im alten Rom war die Fruchtabtreibung wohlbekannt; anfang-
lich waren die Sitten allerdings streng und die Ehe heilig; aber mit der mora-
ÜBchen Zerrüttung während der Kaiserzeit wurde auch dieses Verbrechen häufig,
80 dass Juvenah's sang:
Aber in reich vergoldetem Bett ist die Wöchnerin selten.
Dahin bringet es Kunst, dahin arzneiliche Hülfe.
Freue Dich, Unglückseliger, dess, und was immer es sein mag«
Reich' ihr selber den Trank, denn träfs, und würde sie Mutter,
Ein Aethiopier vielleicht erschiene Dein Söhnlein, es erbte
Sämmtliches Gut ein Brauner, vor welchem Du Morgens entfliehn musst.
Die Zauberinnen und Wahrsagerinnen in Rom, welche als Nebenbeschäf-
tigung und besondere Specialität die Fruchtabtreibungen ausübten, hiessen Sagae.
Man meint, dass hiervon das französische Sage- femme herzuleiten sei. {Galliot)
214. Die Beweggründe fär die Abtreibung der Leibesfrnclit.
Fast möchte es wohl überflüssig erscheinen, dass ich hier einen besonderen
Abschnitt den Beweggründen widme, welche die Frauen und Mädchen zu dem
gewaltsamen Mittel der Fruchtabtreibung zu veranlassen vermögen; aber wer die
vorhin zusammengestellten Angaben mit Aufmerksamkeit gelesen hat, dem wird
es längst schon aufgefallen sein, dass hier die treibende Ursache durchaus nicht
in allen Fällen die gleiche ist. „Es bedarf inuner mächtiger Motive, sagt iS/ncArer,
um die natürliche Zärtlichkeit der Mutter zu ihrem geborenen oder ungeborenen
Kinde in Zerstorungstrieb umzuwandeln. ** Auch diesem Satze stimmt unser
752 XXXIV. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfracht.
Material nicht zu. Selbst bei ziemlich hoch civillsirten Völkern ist woU die
Zärtlichkeit der Mutter gegen das noch ungeborene Kind im Allgemeinen keines-
wegs sehr tiefgehend. Recht charakteristisch sagen die Mädchen im Franken-
walde: «Das kann ja kein Mord sein, denn es hat ja kein Leben." und bei den
wilden Nationen genügt, wie wir sahen, oft ein kleiner ehelicher Zwist, um die
Frau zu dem künstlichen Aborte zu bewegen.
Allerdings ist die allerge wohnlichste und am weitesten Yerbreitete Ursache
der Fruchtabtreibung die Absicht, eine entehrende Schwangerschaft zu beseitigen,
sei es, dass es sich um die Schwängerung einer Unverehelichten handelt, sei es,
dass eine Ehefrau das Product eines Ehebruches zu vernichten gedenkt. Also die
Furcht vor der Schande oder vor der in solchen Fällen nicht selten sehr harten
Strafe lässt die Weiber zu den Abortivmitteln greifen. Nächstdem sind es die
Nahrungssorgen, welche der Fruchtabtreibung zu Grunde liegen, die gefürchtete
oder die reale Unmöglichkeit, f&r einen neuen Zuwachs der Familie den noth-
wendigen Lebensunterhalt zu erwerben. Doch spielt hier nicht selten auch die
Mode ihre Rolle; es ist bei manchen Stämmen nicht Sitte, in den ersten Jahren
der Ehe niederzukommen, oder es ist gebräuchlich, nicht mehr als ein oder zwei
Kinder zu besitzen, folglich werden alle übrigen Befruchtungen vorzeitig wieder
vernichtet. Auch die Scheu der Frau, sich den Mühen des Säugens zu unter-
ziehen, oder den Strapazen, die mit der Wartung eines jungen Kindes, namentlich
bei nomadisirenden Völkern, verbunden sind, kommen als Beweggrund in Betracht,
sowie das Bestreben, dem gestrengen Ehemanne die Unbequemlichkeiten einer Klein-
kinderstube zu ersparen. Die Eifersucht und die weibliche Eitelkeit sind auch
keineswegs ganz ohne Schuld. Die erstere veranlasst den künstlichen Abort, wenn
die Frau fürchtet, dass in Folge ihrer Schwangerschaft ihr Ehegemahl sich anderen
Weibern zuwenden möchte. Aus Eitelkeit abortiren die Weiber in der Hoffnung,
sich durch die Vermeidung einer Gravidität möglichst lange ihre Körperformen
jugendlich und mädchenhaft und namentlich ihre Brüste prall und rund zu er-
halten. Das unstillbare Verlangen nach geschlechtlichem Verkehr mit dem Gatten,
welcher der Frau während der Schwangerschaft vollständig fem bleiben muss,
giebt bei manchen Nationen eine wichtige Triebfeder für die absichtlichen Aborte
ab. Manche Frauen, die mehrere Jahre ihr Kind zu säugen pfl^en, unterbrechen
auch künstlich eine erneute Gravidität, um nicht durch dieselbe ihre Milch zu ver-
lieren. Dass auch bei einem vorübergehenden oder einem tieferen Groll gegen
den Ehemann manche Weiber den letzteren dadurch zu kränken suchen, dass sie
ihre Leibesfrucht abtreiben, das habe ich bereits gesagt.
Nur ein Beweggnmd ist noch zu erwähnen, und das ist gerade der einzige,
welcher vor der Moral zu bestehen vermag, nämlich die zärtliche Sorge für die
Gesundheit und das Leben der Mutter, welche durch die Entbindung zu normaler
Zeit in die höchste Gefahr gebracht werden würde. Dass auch Naturvölker solche
Rücksichten kennen, das beweist eine Angabe, welche Engelmann über die
Indianer der Vereinigten Staaten macht. Er sagt:
,6ei manchen unserer Indianer, namentlich bei denen, die durch die Berührang mit
der Civilisation laxere Moral haben, findet sich Abtreibung häufig. Einige Stämme haben
ein Recht hierzu, in Rücksicht auf die Gefahr, welche der Mutter durch die Geburt eines
Half-Hred-Kindes erwächst, das für gewöhnlich so gross ist, dass ein Durchtritt durch das
Bocken dor indianischen Mutter meist eine Unmöglichkeit ist.*
215. Die Abortivmittel im Alterthiini und Mittelalter.
Eine sehr grosse Zahl von Mitteln und Wegen haben die verschiedenen
Völker herausgefunden, um das in dem Mutterleibe keimende Leben noch vor
der Geburt wieder auszulöschen. Theils sind es Arzneien und Medicamente, die
sie zu diesem Zwecke in Anwendung bringen, theils sind es Manipulationen mecha-
215. Die Abortivmittel im Alterthum und Mittelalter. 753
Discher Natur. Je roher ein Volk ist, mit um so rücksichtsloseren Mittehi geht
es zu Werke. Viele der jetzt auch noch bei uns als Volksmittel benutzten
Arzneien wurden schon von den Aerzten der früheren Epochen als Abortivmittel
angewendet. Allein auch gewisse operative Eingriffe, deren sich die Aerzte bei
uns erst in der Neuzeit bedienen, sind schon seit sehr alter Zeit bei einzelnen
Volkerschaften in Gebrauch.
«Die altindischen Aerzte hatten Abortivmittel meist vegetabilischer Abstammung, die
sie gaben, wenn der Leib der Schwangeren sich krankhaft auftrieb; doch behaupteten schon
damals einige Aerzte, dass dieses Leiden bisweilen von selbst verschwindet. Für die einzelnen
Schwangerschaftsmonate hielten sie besondere Abtreibungsmittel für indicirt, so für den ersten
Monat: Glycjrrhiza glabra, Tectonae grandis semen, Asclepias rosea und Pinus D^vandaru;
für den zweiten Monat: Oxalis (asmantasa), Sesamum Orientale, Piper longum, Rubia man-
justa und Asparagus racemosus — und so fort bis zum 9. Monat: Glycyrrhiza glabra, Panicum
dactjlum, Asclepias rosea und Echites frutescens.
Auch den alten Juden waren Abortivmittel bekannt, ihr Gebrauch war aber auf das
strengste verboten.
Bei den Griechen war es zu Plato's Zeit den Hebammen erlaubt, Abortus hervorzubringen,
wo es ihnen nützlich schien. f^t\ Siebold.J Die Alten schieden die Abortiva in Phthöria und
Atökia; letztere verhindern die Gonception, das Phthörion zerstört die eingetretene Befruchtung.
Ein Abortivmittel rieth auch Hippokrates in dem Buche: ,De natura pueri' einer
Harfenspielerin, und obgleich er ausspricht, dass keiner Frau ein Phthörion gereicht werden
dürfe, weil es Sache der Heilkunst sei, das von der Natur Erzeugte zu schützen und zu er-
halten, so hat er in diesem Falle doch bewirkt, dass nach 7 maligem Springen eine angeblich
6 Tage alte Frucht abging, die er möglichst genau beschreibt.
Als Abortiva sollen bei den alten Griechen und Römern Mentha pelugium und Safran
(Crocus sativus) gebräuchlich gewesen sein.
Bei den Baktrern, Modern und Persern gab es ntich Duncker alte Weiber, welche
den geschwängerten Mädchen die Frucht mittelst „Baga* oder „Fra^pata*" oder anderer „auf-
lösender Baumarten abtrieben; welche das aber waren, ist nicht bekannt.
Bei den alten Römern erklärte Soranus jedes Abortiren für gefährlich, obgleich er
es bei einzelnen körperlichen Gebrechen doch auch selber in Anwendung zog. Er hielt es
für besser, die Conception zu verhindern, als dass man später genöthigt wurde, das Leben des
Embryo zu zerstören. Die Entfernung eines todten Kindes aus dem Uterus sollte nach Soranus
durch Einlegen trockener Schwämme, zuerst dünner, später dicker, oder durch Einlegen von
Papyrus in das Orificium bewirkt werden.
Für die Einleitung des Abortus empfahl sowohl er, als auch Aetius und Andere die
Compression des Unterleibes mit Binden, Conquassationen, Klystiere von Adstringentien,
Fei tauri und Absynthium; Frictionen der Schamtheile, Bäder, Adstringentien, zum inneren
Gebrauch, Pflaster aus Cyclamen, Elaterium, Artemisia, Absynthium, Coloquinthen , Goccus
cnidius, Nitrum, Opoponax u. s. w.; Brechmittel, Niesemittel; endlich legte man auch einen
Pessus aus Iris, Galbanum, Goccus cnidius, Terpenthin mit Rosen- und Cypemöl gemischt,
ein und brachte am anderen Morgen an die Genitalien Dämpfe mit einer Abkochung von
Foenu graecum und Artemisia. Ovid spricht auch von einem eigenen Instrumente für diesen
Zweck, dem Embryosphactes; seine Construction ist aber nicht bekannt.
Aderlass, Heben und Tragen von schweren Lasten, Hungern, Reiz des Muttermundes
durch Einbringen von zusammengerolltem Papier, einer Federspule, eines Stückchen Holz u. s. w.
benutzten die arabischen Aerzte zur Einleitung der künstlichen Fehlgeburt, namentlich
wenn die normale Entbindung der Schwangeren wegen ihrer Kleinheit gefährlich werden
konnte. Dabei war noch eine grosse Menge innerer Arzneimittel gebräuchlich. Namentlich
bei Ävicenna findet man diese Dinge aufgezählt; aber auch ein eigenthümliches langhalsiges
ylnstrumentum triangulatae extremitatis*" benutzte er, um den Muttermund damit zu eröffnen
und hierauf Stoffe zur Erregung des Abortus zu injiciren.
Abulkasenit der im Anfange des 12. Jahrhunderts in Spanien lebte, tritt in einem
Kapitel: ,De Cautela medici, quod non docipiatur a mulieribus in provocatione menstrui ne
destruatur conceptus'^, kräftig gegen den überall verbreiteten Gebrauch, sich das Kind abtreiben
zu lassen, auf. Sollte der künstliche Abortus nöthig erscheinen, so solle man eine geschickte
Hebamme zu Rathe ziehen.
Die Abtreibemittel der alt-arabischen Aerzte huLtPfaff zusammengestellt. Es sind:
Calendula ofücinales, Gummi ammoniac, Herb. Aleali, Epidemium alpin, Anagyris foetida,
Ploss-Bartels, Dm Weib. 6. Aafl. I. 48
754 XXXIV. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibnng der Leibeefiracht.
Juniperos Sabina, Iris florent. Cyclamen europaeum, Artemisia arborescens, Adianthum Ca-
pillos Yenerifl, Am^'ris Gileadensis, Lumbricus terrestris, Sopinus Termes, PanaceB Heraclion,
Daucus Garota, Gentiana lutea, Nux Abyssinica, Lepidinm satiynm. Cucomis ColocynthidiB
(in der Scheide getragen, tödtet die Frucht), Cheiranthus Cheiri, ArpaslathuB, Oleum Abro-
tani, Oleum irinum, Meloe vesicator, Aristolocbia rotunda, Crocus tativus, Gnaphalium sangai-
neum, Aspidium filix mas, Seseli tortuosum, Saponaria offic. StachiB germanica, Femla pezvica,
Laurus caseica, Angujum senecta, Sesamum Orientale, Alumen, Pinna Cedrus, Anchnsatinctor,
Nigella sativa, Strobili Pini, Imula, Laurus nobilis. Bryonia dioica, Marmbinm plicatum,
Rubia Tinctor. Mentha, Momordica elaterium, Gardamomum, Yeronica anagmllis, Costos
arabicus, Hedera helix, Glinopodium vulgare, Centaureum majus, Galbanom, Apium petrose-
linum, Bubon macedonicum, Daphne cnidium, Myrrha, Thymus Serpilli.
Diese Mittel wurden theils innerlich angewendet, Üieils als reiiende Pestarien in die
Scheide eingeführt, theils wurde Abortus erzeugt durch Einföhrung kleiner, mit reizenden
Pulvern bestreuter Wollbäusche in die Gebärmutter, nachdem vorher durch erweichende Pes-
sarien eine Oeffnung des Muttermundes bewerkstelligt war.
Die deutschen Aerzte des 16. Jahrhunderts nennen unter den arsneilichen Mitteln
zur Abtreibung des abgestorbenen Kindes den Rauch von Hufen und Eselsmist, von einem
Nattembalg, von Myrrhe, BibergeD, Schwefel, Galbanum, Opoponax, F&rberrOthe, Habicht-
und Taubenmist. Man gab der Frau Wein mit Asa foetida, Raute, Myrrhe oder mit Seven-
bäum, auch eine Abkochung von Feigen, Foenu graecum, Raute oder Doste, legte ihr einen
Zapfen von Baumwolle in die Scheide mit Gummi ammoniacum, Opoponax, Christwurs (Helle-
borus), Läusesamen (Staphysagria) , Osterlucey (Aristolocbia), Coloquinthen , Kuhgalle und
Rautensaft; auch bestrich man dieses Zäpfchen mit Rautensafb und Scammonium, mit Hohl-
würz, Sevenbaum, Gartenkresse u. s. w. Die Schwangere musste die Milch einer anderen
Frau trinken; femer Diptamsaft mit Wein; dann folgten Bäder mit Wasserminze, Gertwurx,
Beifuss, Judenpech u. s. w. Erst ziemlich spät kamen wirksamere Anneien cur Kenntnis«
der Aerzte. Nach Bichard ist das Mutterkorn erst seit dem Jahre 1747 in den
schaftlicben Arzneischatz der Geburtshelfer gekommen.
216. Die Abortiymittel der heutigen ansserenropUschen Yolker.
Wir gelangen nunmehr zu einer Uebersicht des Verfahrens bei den jetzigen
Völkerschaften, und zwar will ich mit den uncivilisirten beginnen.
Azara fragte einst die Mbaya-Frauen in Paraguay, durch welche Mittel
sie die Abtreibung bewerkstelligen? „Du sollst es gleich sehen/ gaben sie ihm
zur Antwort. Darauf legte sich eine der Frauen vollkommen nackt auf die Erde
nieder und zwei alte Weiber fingen an, ihr mit den Fäusten die heftigsten Schlage
auf den Unterleib zu versetzen, bis das Blut aus den Geschlechtstheilen heraus-
lief. Dies war für sie ein Zeichen, dass die Frucht im Abgehen begriffen sei,
und Azara erfuhr auch nach wenig Stunden, dass sie wirklich abgegangen war.
Zugleich berichtete man ihm aber auch, dass manche von diesen Weibern ftLr ihr
ganzes Leben die nachtheiligsten Folgen davon empfinden und dass viele sogar
theils während der Operation selbst, theils an den Folgen derselben sterben. Auch
Rengger sagt von den Payaguas in Paraguay:
,Hat eine Frau schon mehrere Kinder, so lässt sie sich bei der n&chsten Schwanger-
schaft den Leib mit Fäusten kneten, um eine frühzeitige Niederkunft herbeizuführen, ein Ver-
fahren, welches sog^ von weissen Mädchen in Paraguay nachgeahmt wurde.'
Bei den Queka-Indianern im hohen Nordwesten Amerikas hat Jacobsm
mit angesehen, wie die Medicinmänner auf den Magen von Mädchen und Weibern
knieen, um keimendes Leben zu ersticken.
Die Indianerinnen von Alaska lassen sich auch zuweilen im 4. Schwanger-
schaftsmonate die Abtreibung der Frucht hervorrufen. Das geschieht durch
Kneten und Gomprimiren des Uterus vermittelst der Hand durch die Bauchdecken.
Von den Eskimo-Weibern berichtet Bessds:
«Aehnlich wie sich im missionarisirten Grönland die Schwaagereii des 1g^miii»t^Vf
(ein Stück Hok zum Ausweiten der naion Fussbekleidung) zu diätem Zweeke b6di«BM^ so
216. Die Abortivmittel der heutigen ausBerearopäischen Völker. 755
benutzen die Itanerinnen des Smith -Sundes entweder den -Peitschenstiel oder einen
anderen Gegenstand und klopfen oder pressen sich damit gegen das Abdomen, welche Procedur
mehrmals des Tages wiederholt wird. Eine andere Art der Abtreibung der Leibesfrucht besteht
in der Perforation der Embryonalhüllen, eine Operation, die uns in gelindes Staunen versetzt.
Eine dünngeschnitzte Wallross- oder Seehundsrippe ist an ihrem einen Ende messerschneiden-
artig zugeschärft, während das entgegengesetzte Ende stumpf und abgerundet ist. Das erstere
trägt einen aus gegerbtem Seehundsfell genähten cylindrischen Ueberzug, der an beiden Enden
offen ist und dessen Länge derjenigen des schneidenden Theiles des Enochehstücks entspricht.
Sowohl an das obere, als an das untere Ende dieses Futterals ist ein etwa 15—18 Zoll langer
Faden aus Rennthiersehne befestigt. Wird diese Sonde in die Vagina eingeführt, so ist der
schneidende Theil durch den Lederüberzug gedeckt. Wenn die Operirende weit genug in die
Geschlechtsöffnung eingedrungen zu sein glaubt, so übt sie einen sanften Zug auf den an dem
unteren Ende des Futterals befestigten Faden aus. Hierdurch wird selbstverständlich die
Messerschneide blossgelegt, worauf eine halbe Umdrehung der Sonde vorgenommen wird, ver-
bunden mit einem Stosse nach oben und innen. Nachdem die Ruptur der Embryonalhüllen
erfolgt, zieht man das Instrument wieder zurück; zuvor aber wird ein Zug auf den oberen
Faden des Messerfutterals ausgeführt, um den scharfen Theil der Sonde zu bedecken und hier-
durch einer Verletzung des Geschlechtscanais vorzubeugen.'
Bessels erfuhr, dass diese Operation von den Schwangeren stets selbst aus-
gef&hrt wird.
Die Bewohner der nördlichen Hudsonsbay nöthigen ihre Weiber, sich
durch den Gebrauch eines gewissen, dort allgemein wachsenden Krautes ihre Frucht
abzutreiben, um sich von den Mühsalen der Eindererziehung zu befreien. (Ellis,)
Von den Irokesinnen in Ganada berichtet Frank das Gleiche.
Bei den Omaha-Indianern ist die Tödtung der Frucht im Mutterleibe
eine ganz ungewöhnliche Sache.
Vor einer Reihe von Jahren , wurde Standing HaicVs Frau schwanger. Er sagte zu ihr:
Es ist schlecht für Dich, ein Kind zu haben, tödte es. Sie fragte ihre Mutter nach Medicin.
Die Mutter bereitete sie und gab sie ihr. Das Kind wurde todt geboren. Die Tochter von
Waclca^'ma^'i\ii^ trieb sich, wenn sie schwanger war, jedesmal die Frucht ab. Das sind aber
Ausnahmefölle.'
Die Shastas-Indianer in Nord-Californien benutzten nach Bancroft a\3
Abtreibungsmittel grosse Mengen von der Wurzel einer parasitischen Farre, welche
auf der Spitze ihrer Fichtenbäume wächst.
Bei den Weissen in Amerika sollen nach Wait die gewerbsmässigen Ab-
treiber besonders Juniperus yirginiana gebrauchen. Geübtere Personen wenden
aber stets auch noch mechanische Mittel an.
Von den Eingeborenen Kamtschatkas berichtet Steuer:
«Man kann von den Itälmenen sagen, dass sie in der Ehe mehr Absicht auf die
Wollust, als auf Erzeugung der Sander haben, indem sie die Schwangerschaft mit allerlei
Arzneimitteln hintertreiben und die Geburt sowohl mit Kräutern, als mit violenten äusser-
lichen Unternehmungen abzutreiben suchen. Die Kinder abzutreiben haben sie verschiedene
Mittel, welche ich bis dato nur dem Namen nach weiss, aber noch nicht gesehen habe. Das
grausamste ist, dass sie die Kinder im Mutterleibe todt drücken und ihnen Arme und Beine
durch alte Weiber zerbrechen und zerquetschen lassen. Und abortiren sie nach diesen die
todte Frucht ganz, oder sie putrescirt und kommt in Stücken von ihnen, und geschieht es
öfters, dass auch die Mutter ihr Leben darüber lassen muss *
In Sibirien benutzen die Mädchen die Wurzel Yon Adonis Vernalis und
Adonis apennina zur Abtreibung. (Fratik.)
Bei den Kalmücken wird eine unliebsame Schwangerschaft durch alte
Weiber beseitigt, die durch lange fortgesetztes Reiben des Unterleibes, durch
Auflegen glühender, in eine alte Schuhsohle gewickelter Kohlen auf die Gegend
der Gebärmutter und durch andere hautreizende Manipulationen, welche die
Mädchen mit der grössten Geduld ertragen sollen, diesen Zweck zu erreichen
suchen. (Pallas.) Als Abortivmittel der Jakuten führt Dornte einen Thee von
Ledum palustre an.
48»
756 XXXIV. Die absichtliche Fehlgebart oder die Abtreibung der Leibesfrucht.
In Japan ist die künstliche Erregung des Abortus nicht gestattet; sie gilt
in den besseren Gesellschaftsklassen für eine grosse Schande. Dennoch wird die-
selbe bei unehelich Schwangeren und selbst bei yerheiratheten Frauen aus den
niederen Ständen sehr häufig ausgeführt von einer Art von Hebammen, die im
Uebrigen ganz unwissend sind.
Ihr Verfahren besteht darin, dass ein mehr als Fuss langes Stück der biegsamen, etwa
an Dicke einem Gänsekiel gleichenden Wurzel von ArchjanÜies aspera Thunberg zwischen
Uteruswand und Eihäute geschoben und daselbst 1 — 2 Tage liegen gelassen wird. Die Wnnel
wird vor dem Einführen, das mit Hülfe von zwei in die Vagina eingeschobenen Fingern
geschieht, mit Moschus bestrichen, ausserdem wird auch innerlich Moschus gegeben. Der
Erfolg hiervon soll ein sicherer sein. Auch Seidenfäden mit Moschus bestrichen werden in die
Gebärmutter eingeführt, und auch die rohe Methode des Einstossens Yon schwertförmig zu-
gespitzten Bambusstäben oder zugespitzten Zweigen einiger Sträucher in den Muttermund
kommt vor und führt nicht selten zum Tode. Als geeignetste Zeit zur Ausführung gilt der
4. und 5. Schwangerschaftsmonat
V, Martius übersetzt aus einem chinesischen Werke:
„Im Falle man vergewissert ist, dass die Frucht bereits im Leibe der Mutter abg^torben,
so muss man der Mutter die Arznei Fo-schu-san eingeben. Nach dieser wird die Frucht sehr
leicht und ohne Schmerzen abgehen. Sollte genanntes Mittel nicht die gewünschte Wirkung
hervorbringen, dann mische man einen Theil von der Arznei Pinwei-san mit drei Theilen von
der Arznei Pu-si-uh-jem zusammen und lasse diese Mischung die Mutter einnehmen. Diese
vortrefflichen Mittel haben uralte weise Männer zum Besten der Nachkommenschaft zusammen-
gesetzt. Das Mittel selbst zu bereiten ist eine sehr leichte Sache, es kann dies ein Jedes.
Mache daher ja von keiner anderen unbekannten oder ungewöhnlichen Medicin Gebrauch.*
Der Arzt hält diese Abortivmittel demnach nur beim Tode der Frucht für
indicirt. Das Volk in China wird sich aber wohl kaum allein auf diese Indication
beschränken.
Auf der Insel Formosa wird der Leib der Schwangeren mit Füssen ge-
treten, um Abortus zu bewirken. Von den Chinesen wird ausserdem hierzu,
nach Scherzer, vielfach wie in Japan, der Moschus (Shaheung) gebraucht.
In Siam existirt ein pflanzliches Abortivmittel, welches von den Einge-
borenen vielfach benutzt, aber geheim gehalten wird, wenigstens konnte Schomburgk
nichts Näheres darüber erfahren.
In Karikal, einer französischen Besitzung in Ost-Indien, wird unter
der Bezeichnung schwarzer Kümmel die Nigella sativa (eine Helleborus-Art) be-
nutzt, deren scharf ätherische Samen in kleineren Gaben (bis 15 Gran) als Em-
menagogum, in grösseren als Abortivum wirken sollen ; sie werden gepulvert und
mit Palmzucker als Paste genommen. (Canoüe,) Die dort wohnenden Mainaten
führen auch ein Stäbchen oder eine zugeschnittene Binse in den Uterus ein und
lassen sie darin liegen.
Auch in dem übrigen Indien ist die Abtreibung der Leibesfrucht sehr
gebräuchlich. Ueber die Mittel, welche hier angewendet werden, berichtet Shortt:
^Der Saft der frischen Blätter von Bambusa arundicea, der Milchsaft verschiedener
Euphorbiaceen (E. tirucalli, E. fortilis, E. Antiquorum und Calatrapis gigantea), auch Asa
foetida, vermischt mit verschiedenen wohlriechenden und gewürzhaften Substanzen, wird viel
benutzt. Als das wirksamste Mittel wird jedoch die Plumbago Zeylanica angesehen, deren
Wurzel gewöhnlich innerlich gereicht, aber auch local angewendet wird. Die Wuntel wird
dann zugespitzt und muss mit grosser Gewalt in den Uterus geschoben werden, da Shortt
die Wurzel in mehreren Fällen noch daselbst antraf, während die Frucht bereits auBgeetotsen
war. In der Leiche einer Frau, die abortirt hatte, ward der Fundus uteri an drei ver-
Bchiedenen Stellen perforirt gefunden. Solche Fälle sollen nicht selten sein, wie denn ander-
weitige (jiebärmutterkrankheit^n in Folge solcher Behandlung dort sehr häufig sind.*
Unter den Hindus in Galcutta giebt es Leute, die sich berufsmässig mit
dem Geschäft des Abortus befassen und sich dazu entweder des Eihautatiches
oder medicamentöser Tränke bedienen, in welchen Asa foetida eine grosse Bolle
zu spielen scheint. (Webb.)
216. Die Abortivinittel der heutigen aussereuropäischen Völker. 757
Nach einem älteren Berichte (Krünitss) sollen in Ost-Indien die lüderlichen
Frauenzimmer sich ihr Kind durch unreife Ananas abtreiben, und hiermit steht
es vielleicht im Zusammenhang, dass den Schwangeren auf K e i s a r , selbst wenn
sie an Gelüsten leiden, die Ananas zu essen verboten ist.
Um gleich bei dem malayischen Archipel zu bleiben, sei eine andere
Angabe von Riedel erwähnt, dass die Frauen auf Babar, um den Abortus ein-
zuleiten, einen Extract von spanischem Pfeflfer in Arac trinken. Ausserdem aber
tritt derjenige, der sie schwängerte, tl^lich im Hause oder im Walde vorsichtig
ihren Leib, um die Frucht zu entfernen. Bei den Galela und Tobeloresen auf
Djailolo sind Abortiva, aus Kalapa-Oel, Citronensaft und verschiedenen Baum-
wurzeln bereitet, vielfach im Gebrauch.
Die Weiber auf Bali gebrauchen nach Jacobs als abtreibendes Mittel unter
Anderem »einen kalten Auszug von kleingemachtem Bast des kepoh (Sterculia foetida L.);
ferner einen kalten Auszug von der Manga kawini (magnifera foetida). Auf Java (Ban-
joewangi) werden die unreifen Früchte von diesem Baume zu diesem Zwecke gehraucht.
Unter den mechanischen Mitteln ist vor allem das Reihen und Kneifen des Bauches hei ihnen
viel im Schwange; sie nennen dieses ugoe-oet (mal. oeroet)."
In K r 0 e auf Sumatra rufen nach Helferich die Hebammen dadurch Abortus
hervor, dass sie der Schwangeren mit Eidotter geschlagenen Arac oder Branntwein
zu trinken geben und ihr warme Asche oder einen warmen Stein auf den Bauch
l^en und den letzteren massiren.
Harrebomee sagt von Lampong in Sumatra:
,£in Mädchen hegieht sich zu einer Heilkilnstlerin (Doekoen), wenn sie schwanger zu
sein glauht, und hittet sie, einen Abortus zu veranlassen. Dann werden die Anfangsbuch-
staben ihres Namens in eine Gitrone geschnitten, und das Mädchen wird, unter dem Sprechen
von Gebeten, gebadet. Jedesmal, wenn die Doekoen durch Drücken der Gitrone einige Tropfen
aus dem Kopf der moeli niederfallen lässt, wird die Formel gebraucht:
„Kind, das Du noch nicht geboren, ja noch nicht eimal geformt bist,
Komm vor Deiner Zeit heraus, sonst bringst Du Schande über Deine Mutter."
An diese werden ekelhafte Tränke gegeben, welche zu bestimmten Zeiten, mit gegen
Osten gekehrtem Antlitz, eingenommen werden müssen. Die ausgepresste Gitrone muss dann
unter Geremonien, in einen hohlen Baum, in die rimba gestopft werden. Zuletzt thut
meistens das Pidjet (die Massage) die gewünschte Wirkung, wenn die stark adstringirenden
Tränke nicht schnell genug von Erfolg sind.*
Kindesabtreibung ist auch auf den Neu-Hebriden (Insel Vate) gebräuchlich,
und zwar wird dieselbe theils durch pflanzliche, theils durch mechanische Mittel
angestrebt. Für jede dieser beiden Arten haben sie einen besonderen Namen.
Die in Anwendung gezogene Pflanze ist nicht bekannt, sie heisst bei ihnen nur
Pflanze der Fruchtabtreibung (Pflanze des Saibirien). Die mechanische Art
besteht in Drücken und Kneten des Leibes durch die Hebammen, wodurch das
Kind getödtet wird. An dieser Behandlung geht ein Theil der Frauen zu Grunde.
(Jamieson.)
Von den Samoa-Inseln wird berichtet, dass man sich dort ,, mechanischer
Mittel* zum Abortiren unter den Eingeborenen bedient.
Eine grosse Fertigkeit in der Kunst des Abtreibens besitzen nach de Rochas*
Angabe die Papuas auf Neu-Galedonien; eine sehr gebräuchliche Art der Ab-
treibung nennen sie die „Bananen-Kur''. Scheinbar besteht dieselbe darin, dass
die Schwangere gekochte grüne Bananen siedend verschlingt. Da die Bananen
völlig unschädlich sind, so dienen sie, wie Rochas meint, nur zur Verschleierung
des wahren, bis jetzt noch nicht entdeckten Abortivmittels. Nicht selten horte
Rochas aus dem Munde der Eingeborenen: „Da geht auch eine, die Bananen ge-
nommen hat.** Auch Moncdon giebt an, dass ihre Mittel unbekannt, aber
vegetabilischer Natur wären. Er glaubt, dass gewisse Baumrinden dazu benutzt
werden.
758 XXXIV. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibang der Leibesfracht.
Von den Eingeborenen der australischen Golonie Victoria schreibt
Oberländer: «Abortion durch Druck kommt keineswegs selten Yor, besonders nach
einem Zanke zwischen Mann und Frau.*"
Auf Neu-Guinea treiben sich die Weiber selbst noch bei weit vorge-
schrittener Schwangerschaft die Leibesfrucht mit den Blattern eines Woninderoc
genannten Baumes ab, wenn sie keine Kinder mehr haben wollen. Auf der nahe-
gelegenen Insel Noefoor gebrauchen nach van Hassdt die Frauen zu gleichem
Zwecke einen Trank; aber sie lassen dazu sich auch ihren Leib mit einem Rohr-
bande fest zusammenschnüren und dann mit Füssen treten.
Ueber die Neu- Britannierinnen berichtet Danks das Folgende:
«Nach der Verehelichang werden von den Frauen Kinder nicht früher als nach Ablaaf
von 2 — 4 Jahren geboren. Ich habe erfahren, dass dieses der Ansflnss einer Abneigung des
Volkes ist, dass die Frauen so schnell Mutter werden, so dass diese verschiedene Arten der
Fruchtabtreibung und zwar mit Erfolg ausüben. Die bevorzugte Methode besteht darin, dass
sie den Leib zwischen Daumen und Fingern von beiden Seiten her schlagen und drücken
und die Finger gewaltsam in die Magengegend hineinpressen und diese comprimiren. Andere
führen einen scharf zugespitzten Stock in die Gebärmutter, wodurch sie den Fötus zerstören.
Die letztere Operation gebe ich nur nach Hörensagen. Aber es ist eine sehr zweckmässige
Art, um Abort herbeizuführen. Andere wilde Stämme haben dieselbe Gewohnheit'
„In einem Berichte des Rev. L. Fison theilte er mir mit, dass in Fiji dieselbe Sache
in der früheren heidnischen Zeit bestand, nur dass zwei Stöcke benutzt wurden. Einige sagen,
dass auch ein Kraut zu demselben Zweck angewendet würde. Dieser Gebrauch besteht eben-
falls in Fiji. Aber es ist schwer, genaue Auskunft über diesen Punkt zu erhalten, da die
Weiber sehr zurückhaltend in Bezug auf diese Angelegenheit sind, und die Männer sich nicht
darum bekümmern. Die Thatsache bleibt aber bestehen, dass ich in keiner heidnischen Ehe
gefunden habe, dass die Frau vor der oben angegebenen Zeit ein Kind bekommt. Sehr be-
zeichnend ist es nun, dass wenn ein Fiji-Lehrer eine christliche Frau in Neu -Britannien
heirathet, diese schwanger wird und ein Kind bekommt ganz zu der Zeit wie bei uns. Wenn
zwei christliche Eingeborene heirathen, so ist die Sache dieselbe. Wir tragen Sorge, sowohl
den Mann als auch die Frau, als Glieder der christlichen Kirche, zu belehren über das Ver-
derbliche und Sündige der Kindesabtreibung. Das Resultat, welches auf solche Belehrung
folgt, beweist, dass wir allgemeine Begriffe davon haben, wie die Fruchtabtreibung geübt
wird, und wir haben damit den Beweis, dass manche Frauen solch eine Praxis anwenden und
dass solcher Gebrauch existiren muss und allgemein ausgeübt wird."
Blyth erfuhr durch eingeborene Hebammen, dass auf den Fiji-Inseln die
Methode der Fruchtabtreibung einzig und allein im Genüsse von Pflanzenab-
kochungen besteht, welche angewendet werden, wenn zuerst das Leben empfunden
wird. Es werden dazu fünf Pflanzen benutzt, zwei Malvaceae (Kalakalauaisoni-
Hibiscus diversifolius und Wakiwaki-Hibiscus abelmoschus), eine Tiliacee (Siti-
Grewia prunifolia), eine Convolvulacee (Wa Wuti-Pharbitis insularis) und eine
Liliacee (Ti kula-Dracaena ferrea). Man benutzte den Saft und die Blatter und
von der Dritten und Fünften ausserdem auch noch die Oberfläche des Stammes.
Die Letzte wird für die wirksamste gehalten und angewendet, wenn die anderen
fehlschlugen.
Eine ganz absonderliche Erscheinung hat sich bei den Sandwichs-Insu-
lanerinnen gefunden, und soweit bis heute unsere Kenntnisse reichen, giebt es
bei keinem • der übrigen Völker hierzu irgend eine Analogie. Die Einwohnerinnen
von Hawaii besitzen nämlich ein besonderes Götterbild, welches den Fehlgeburten
vorsteht. Während wir nun aber bei anderen Volksstämmen gesehen haben, dass
bestimmte Gottheiten verehrt werden, um die Schwangeren vor einer Fehlgeburt
zu schützen, so ist es gerade die Bestimmung und die Function dieses Idoles, die
Fehlgeburten hervorzurufen, und zwar ist es die Gottheit und das Instrumentum
in einer Person. Dieses mit dem Namen Kapo bezeichnete Götterbild hat Aming
auf seinen Reisen in Hawaii erworben, und mit seiner reichen Sammlung ist
dasselbe in den Besitz des Museums ftlr Völkerkunde in Berlin Übergegangen.
216. Die Abortiymittel der heutigen aussereurop&ischen Völker.
759
Es ist in Fig. 317 nach einer von mir aufgenommenen Photographie dem Leser
Yorgef&hrt.
Der Kapo ist aus einem braunen Holze geschnitzt und hat an seinem oberen
Ende einen phantastischen Kopf mit einem hahnenkammähnlichen Aufsatze. Nach
unten zu bildet er einen abgerundeten» leicht konisch zulaufenden pfriemenförmigen
Stock von der ungefähren Dicke eines mittelstarken Zeigefingers. Seine ganze
Lange betragt jetzt 22 cm, jedoch ist das Instrument ursprünglich etwas länger
gewesen, oeine untere Spitze erscheint nämlich rauh, unregelmässig geformt und
stark abgenutzt, ein untrügliches Zeichen, das diese gefUirliche Gottheit sehr
fleissig ihres blutigen Amtes gewaltet hat. Es kann nämlich kein Zweifel darüber
bestehen, dass diese Spitze des Idoles direct ia die Gebärmutter
eingeführt wurde, um die Eihäute des Embryo zu zersprengen
und auf diese Weise den Abortus hervorzurufen. Wie ich
weiter oben bereits angegeben habe, diente dasselbe Idol aber
nicht nur dazu, um eine unerwünschte Fruchtbarkeit zu be-
seitigen, sondern auch eine dem armen Weibe versagte hervor-
zurufen und herbeizuschaffen. Man kann sich hiervon keine
andere Vorstellung machen, als dass man annimmt, das Idol habe
in derartigen Fällen dazu gedient, eine künstliche Erweiterung
des Muttermundes vorzunehmen, um das Sperma leichter ein*
dringen zu lassen.
In Persien lassen sich die Schwangeren, insbesondere die
Unverheiratheten, im 6. oder 7. Monat den Abortus dadurch her-
beiführen, dass die Hebamme mittelst eines Hakens die Eihäute
sprengt, was in Teheran von mehreren deshalb renommirten
Hebammen mit grosser Geschicklichkeit ausgeführt wird. Nur
einzelne Unglückliche wollen sich selbst helfen; sie setzen massen-
haft Blutegel an, machen Aderlässe an den Füssen, nehmen
Brechmittel aus Sulphas cupri, Drastica oder die Sprossen von
der Dattelkrone; und fruchten alle diese Mittel nicht, so lassen j-jg 317, av,
sie sich den Unterleib walken und treten. Viele gehen dadurch hölzernes Götter-
zu Grunde. {Polah.) In Gilan am caspischen Meere bewirkt ^'^teiches^thr'"'
man nach Hlbüzsche die Abtreibung durch Schläge, Stösse, gebarten hervorruft.
Druck u. s. w. auf den Bauch, und ausserdem innerlich durch ^^^'^ Photographie.)
drastische Purganzen.
Den türkischen Weibern sind nach Oppenheim der Safran und die Sabina
als Abortivmittel bekannt; ausserdem bedienen sie sich häufig der Folia auran-
tiorum mit der Jalappen- Wurzel, die sie mit kochendem Wasser infundireu und
als Thee trinken lassen, ein Mittel, das sie seiner Sicherheit wegen allen anderen
vorziehen, nur sollen seiner Anwendung lebensgefahrliche Blutungen folgen.
Nach Eram fahren die Hebammen den Schwangeren auch fremde Körper
in die Gebärmutter ein, z. B. Pfeifenspitzen.
Gerhard berichtet, dass in Alexandrien die Frauen, welche einen Abortus
sich wünschen, die Gebärmuttter mit Holzstücken reizen ; ausserdem aber benutzen
sie Pfeffer, Lorbeer und andere Mittel.
Die Hebammen der Araber in Algerien leiten nach Riqiie den künst-
lichen Abortus ein, indem sie die Punction der Eihäute ausführen.
Bique sah selbst bei einer auf solche Weise entbandenen Frau in der Nähe des Mutter-
mundes, den die ungeschickte Hand der Matrone verfehlt hatte, zwei bis drei Wunden, die
von einem spitzen Instrumente herrührten. Hält man das Kind fttr abgestorben, so muss die
Schwangere ein Getränk zu sich nehmen, bestehend aus Honig und warmer Milch, in welchem
Pulver von Vitriol Zdadj aufgelöst ist, dann soll das Kind abgehen; sollte letzteres aber noch
nicht ganz todt sein, so wird es sich auf die Seite wenden und dann bestimmt ausgetrieben
werden. (Bertherand.)
760 XXXIV. Die absichtliche Fehlgebort oder die Abtreibung der Leibesfiracht.
Als Abtreibemittel gelten dort auch die saure Milch einer HOndin, vermischt mit zer-
quetschten und geschälten Quitten getrunken, oder die Frau muss drei Tage lang eine Ab-
kochung der Spargelwurzel und der Färberröthe-(Erapp-)wurzel trinken. Wirksam ist es auch,
wenn ein Taleb auf den Boden einer Tasse zwei Worte aus dem Koran schreibt. Diese
werden dann abgewaschen imd zwar mit einer Mischung von Wasser, Oel, Kümmel, Raute
und Rettig; diese Substanzen muss die Frau selbst auf dem Boden der beschriebenen Tasse
zerquetschen und hin- und herreiben und dann drei Tage lang davon trinken; hierauf wird
das Kind in ihrem Leibe eine solche Lage bekommen, dass es leicht abgeht. Aich muss die
Schwangere 10 Tage lang fünfmal täglich eine Mischung von Milch und Salz trinken; ist das Kind
hiervon nicht herabgestiegen, so trinke sie süsse und saure Milch von zwei Kühen, gemischt
mit Essig; schon ein Schluck davon befreit sie vom Kinde. Sie mischen Spargel und Tafar-
farat (?) durch einander, setzen ein ^enig Mehl hinzu und kochen es mit etwas Wasser;
hiervon essen sie drei Tage lang, während derer sie gleichzeitig Wasser aus dieser Tasse
trinken, auf deren Boden die Worte geschrieben stehen:
,Mit Gott! Djbrahil! (Name eines Engels.) Mit Gott, mein Engel! (hier folgt der
Name des Engels der Frau). Mit Gott! Srafil! (Name eines Engels.) Mit Gott! Azrall!
(Name eines Engels.) Mit Gott! Mohammed! (der Prophet). Gruss sei ihm, zweimal Gruss!
Er ist es, welcher auferweckt, der durch seine Kraft vom Tode wieder erstehen l&sst.
Er hat gesagt: Er lebe! zu dir, die zum ersten Male empfangen hat: er hat es gesagt,
wenn sie trinkt während dreier Tage die Farbe, mit welcher in die Tasse geschrieben ist.*
(IBertherandJ
Vor der Einleitung des Abortus schreckt man nach Nachtigal auch in
Fezzan nicht zurück, denn kein Gesetz verbietet ihn; alte Weiber besorgen ihn
mittelst Kügelchen von Rauchtabak oder von Baumwolle, getränkt mit dem Safte
des Oschar (Colotropis precera); innerlich soll der Russ irdener Kochgeschirre und
eine Henna-Maceration dieselbe Wirkung haben. In Aethiopien wird Holz und
Harz der Geder und des Sadebaumes zur Hervorrufung des Abortus benutzt
{Hartmatin); in Massaua nach Brehm's Bericht die Abkochung von einer Thuja-
Art. Bei den Woloffen sind es bestimmte Fetisch-Männer, namentlich in der
Gegend von Gayor, welche sich in der Abtreibung der Kinder eines besonderen
Rufes erfreuen, (de Rochebrune,)
Die Negerinnen in Old-Calabar nehmen, wie wir oben gesehen haben,
im dritten Schwangerschaftsmonat Medicin, angeblich um zu prüfen, welchen
Werth die Empfangniss habe. Aber nicht selten kommt es vor, dass die Wirkung
eine zu starke war; später entwickeln sich constitutionelle Störungen und organische
Leiden, und es folgt der Tod. (Hewan.) Bei den Herero gilt PfefiFer als
Abtreibemittel.
217. Die in Enropa gebränchliclieii ArbortiTmitteL
Obgleich in allen Ländern Europas die vorsätzliche Abtreibung der
Leibesfrucht als ein strafwürdiges Verbrechen betrachtet und dem entsprechend
auch geahndet wird, so ist doch unter allen Nationen dieselbe immer noch im
Gebrauch.
Die Engländerinnen benutzen dazu nach Taylor Juniperus Sabina, oder
die Nadeln des Eibenbaumes, auch werden Eisensulphat und Eisenchlorid und in
seltenen Fällen wohl auch noch Canthariden angewendet.
In Russland sind als Abortivmittel nach KreheVs Angabe innerlich Sublimat
und Sabina gebräuchlich. In Ehstland nehmen die schwangeren Mädchen Mer-
curius vivus mit Fett gemischt; nach v, Luce immer vergeblich.
Nach Demic gebrauchen die Kleinrussinnen Juniperus sabina und Bryonia
alba, die Tatarinnen Menyantes trifoliata (Bitterklee) und Bernstein oder Bern-
stein wasser; die Volksärzte im Kaukasus geben den Aufguss von Eupatorium
carmalinum L., vier ganze Pflanzen auf eine Flasche Wein, oder Ruscus aculeatus L
oder Pulmonaria officinalis L., vier Wurzeln auf eine Flasche Wein, früh und
Abends ein Weinglas zu nehmen.
217. Die in Europa gebräuchlichen AbortiTmittei. 761
Ein Kurpfuscher in Schweden hatte nach Edling einer Schwangeren eine
Röhre gegeben, welche sie sich möglichst weit in den Leib einführen musste;
dann blies er durch dieselbe arsenige Säure in den Uterus, wie bei der Obduction
dieser Unglücklichen festgestellt werden konnte.
Damian Georg giebt von den Griechinnen an, dass es jetzt bei ihnen
üblich ist, wenn sie die Frucht abtreiben wollen, sich Opium oder Belladonna
gewaltsam in die Scheide einzufuhren; auch nehmen sie innerlich Ruta odorans,
Sabina oder Bernstein; seltener werden starke Aderlässe, und dann immer am
Fusse angewendet; weniger häufig findet man auch, dass diese Weiber in dem
Bade sich auf sehr heisse steinerne Becken setzen.
Zahlreich sind die Abtreibungsmittel, welche die Französinnen benutzen.
Tardieu und Gallard bezeichnen als solche Meerzwiebel, Sassaparille, Guajak,
Aloe, Melisse, Chamille, Artemisia, Safran, Absinth, Vanille, Wachholder, aber
auch Seeale cornutum, Jodpräparate und Aloe, Juniperus Sabina und dessen äthe-
risches Oel kamen ihnen vor. Durch letzteres, durch Cantharidenpulver mit
Magnesia sulphurica, und durch einen Trank, welcher aus Feldkelle, Rainfarrn,
Johanniskraut, Sadebaum und Russ bereitet ist, sahen sie mehr als die Hälfte der
Schwangeren zu Grunde gehen.
Bäder und Blutentziehungen, Ueberanstrengung, absichtliches Fallen und
Stösse und Schläge gegen den Leib werden ebenfalls in Anwendung gezogen;
auch die Elektricität war versucht worden, sowie das Einführen spitzer Gegen-
stande in die Gebärmutterhöhle, namentlich Stricknadeln und Häkelhaken.
Die Mortalität der zur Kenntniss der Behörden gekommenen Fälle betrug
60 Procent.
In Böhmen suchten sich nach Maschka schwangere Mädchen die Frucht
durch Bier mit Paeonia, durch Asarum europaeum, oder durch ein Decoct von
Ruta graveolens und Glaubersalzlösung abzutreiben. In Essegg fand Zechmeister ^
dass einige Weiber daraus ein Gewerbe machten, Schwangeren im 5. oder 6. Monat
eine Spindel durch den Muttermund einzuführen, um auf diese Weise die Eihäute
und den Kindskopf zu durchstechen. In einem Falle war dem Mädchen ein sechs
Zoll langer federkieldicker Zweig in die Scheide derartig eingestossen worden,
dass sein vorderes Ende im Muttermunde sich befand, während das andere rück-
wärts in der Masse des Kreuzbeines steckte.
Als Mittel, eine Fehlgeburt zu provociren, bezeichnet man nach Flügel im
Frankenwalde hohes und weites Hinauslangen mit den Armen, schweres Heben,
Tragen, Tanzen, Springen, Fahren auf holprigen Wegen, freiwilliges Fallen, Be-
lastung des Leibes, sich treten lassen u. s. w. Manche Weiber legen einen hohen
Werth auf das kräftige Auswinden von nasser Wäsche.
„Mutter kraut'' wird im Frankenwalde jedes Kraut genannt, von
dem man glaubt, dass es treibende, die Thätigkeit der Gebärmutter anregende
oder auch beruhigende Kräfte besitzt, so Melisse, Minze, Raute u. s. w. Fast
durchweg kennt man den Sadebaum, Segelsbaum, weit weniger aber das Mutter-
korn. Brechmittel und Laxantien, besonders Aloe, dann aber auch Kaö'ee, Zimmet
und Safran stehen in geringerem Ansehen; aber die „Mutterblätter'', Folia Sennae,
sollen die Gebärmutter reinigen. Essig trinken, viel Kochsalz essen, andauernd
hungern, viel Branntwein, überhaupt scharfe giftige Sachen zu sich zu nehmen,
gilt ebenfalls als Abortus bewirkend; auch der Stern- und Planetenbalsam (Peru-
balsam) erfreut sich eines guten Rufes; ebenso das Schiesspulver, von dem sie
sagen: „es macht offen, da müsse es zu einem Loche heraus." Das Einstossen
spitzer Gegenstände und ein Uebermaass im Aderlassen ist für den gleichen Zweck
auch im Frankenwalde nicht unbekannt und es soll bisweilen vorkommen, dass
ein Mädchen den Arzt direct um ein Mittel bittet, „welches die Nabelschnur
abfrisst".
Nach dem dort herrschenden Glauben des Volkes sollen „Buben leichter
762 XXXIV. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfrucht.
abzutreiben sein als Mädchen". Dieser Anschauung liegt wahrscheinlich die that-
sächliche Beobachtung zu Grunde, dass unter den unzeitig ausgestossenen Kindern
sich wirklich überwiegend Knaben befinden.
Pauli giebt an, dass, wenn in der Pfalz der Arzt von einem (ihn conaul-
-tirenden) Mädchen erföhrt, dass sie schon Seyenbaumthee getrunken habe, dann
könne man sicher sein, dass sie nur eine Krankheit vorschütze, um ein Abortivom
zu erhalten.
In Schwaben ist nach Bück der Sadebaum und der Beifuss in grossem
Ansehen, auch glaubt man dort, dass man die todte Frucht abtreiben kann, wenn
man die Frau mit Rossschmalz von unten hinauf räuchert.
Die Steyermärkerinnen benutzen nach Fossd als Abortiva scharfe Ab-
fährmittel, Mutterkorn, Juniperus Sabina, die Zweige und Blätter vom Rosmarin
und Aufgüsse von Theer.
In der Gegend von Ohrdruff (Thüringen) glaubt man im Volke, dass
die Schwangerschaft verschwinde, wenn eine Schwangere einen Tropfen Blut unter
gewissen Ceremonien in einen Baum bohrt.
In früherer Zeit scheint schwarze Seife als Abortivmittel gegolten zu haben,
denn schon Lindenstolpe nennt sie unter denselben: «famosus in Belgio
Sapo niger**.
Eine als Abtreiberin berühmte Frau iu Cappeln in Schleswig verordnete nach
Thotnsen zuerst Abkochungen von Hopfen und Brombeerblättem (Rubus fhicticosus) , dann
Thymian oder Quendel (Thymus serpyllum), Rosmarin und Chamillen; femer Geil (Spartium
scoparium), der aus einer entfernten Haidegegend herbeigeschafft werden musste. Half das
nicht, dann wurde Thuja occidentalis oder Juniperus Sabina versucht. Auch dae Kraut der
Artemisia vulgaris, Abkochungen der Paeonien-Bläthen und Brechmittel wurden in Anwendung
gezogen. Als Hauptmittel aber benutzte sie den Safran (Crocus sativus), von dem die
Schwangere etwa eine Drachme mit einer Flasche Wasser unter Zusatz von etwas St&rke ge-
kocht in zwei Portionen früh und Abends zu sich nehmen musste (die Folgen waren nach
^/2 Stunde Uebelkeit mit Würgen, Müdigkeit, Eingenommensein und Schmerzen des Kopfes,
und nach dreitägigem Gebrauche des Mittels Schmerzen im Leibe und Reissen in allen Glie-
dern). Wurde hierdurch nicht die erwünschte Wirkung erzielt, so nahm die Abtreiberin mit
Hülfe eines Mannes mechanische Manipulationen vor: Die Schwangere musste sich auf den
Rücken logen, worauf die Abtreiberin beide Fäuste auf deren Bauch stemmte und damit so
stark als letztere es aushalten konnte, vom Nabel abwärts ins Becken presste. Nun legte
sich der Gehülfe der Abtreiberin auf die Eniee zwischen die beiden ausgespreizten Beine der
Schwangeren hin, fuhr mit zwei Fingern in die Scheide und arbeitete darin so lange herum,
bis es ihm gelang, eine , dünne Haut* zu durchstossen. Diese Operation, welche als eine sehr
schmerzhafte bezeichnet wurde, hatte nicht jedesmal sogleich den gewünschten Erfolg, sondern
musste in mehrtägigen Zwischenräumen, in einem Falle sogar fünfmal, wiederholt werden, ehe
der Abortus wirklich eintrat.
218. Die Methoden der Fruchtabtreibnng.
Werfen wir noch einmal einen Blick zurück auf die Fülle der Abtreibe-
mittel, wie das Volk sie in den verschiedensten Theilen der Erde in Anwendung
zieht, so sind wir im Stande, sie in bestimmte grössere Kategorien zu ordnen.
Am spärlichsten vertreten finden wir die sympathetischen Mittel; sie konnten, wie
es den Anschein hat, in einer so wichtigen und beängstigenden Lebenslage sich
nicht das hinreichende Vertrauen erwerben. Und selbst die Gottheit auf den
Sandwichs-Inseln wird doch zum mechanischen Werkzeuge, nur dass ihm
nebenbei auch noch göttliche Verehrung zu Theil wird.
Unter den innerlich, meistens in der Form heisser Aufgüsse, also von Thee,
gebrauchten Medicamenten finden sich, unter vielen absolut wirkungslosen, starke
Aromatica, Brech- und Abfährmittel, reizende Stoffe, aber endlich auch solche,
219. Versuche zur Beschränkung der Fruchtabtreibung. 763
welche eine directe Einwirkung auf die Musculatur der Gebärmutter ausüben.
Dann folgen die Maassnahmen, welche man als die „nicht Verdacht erregenden"
bezeichnen konnte. Das sind in erster Linie die grossen Anstrengungen des
Körpers: übermüdendes Gehen und Tanzen, Lastenheben, V^äscheringen und ab-
sichtliches Fallen. Hier schliessen sich das gewaltsame Schütteln des Körpers,
sowie auch die heissen Bäder, die Aderlässe und das Hungern an. Den Ueber-
gang zu den örtlichen Mitteln bilden die medicamentösen Kly stiere, die Applica-
tion von reizenden Pflastern oder von glühenden, in eine Schuhsohle gehüllten
Kohlen auf den Leib gelegt, und endlich die heissen Räucherungen der Genitalien.
Die eigentlich local angewendeten Methoden der Fruchtabtreibung scheiden
sich wieder in solche, welche von aussen vom Bauche her die Gebärmutter treffen,
und solche, welche theils auf die Vulva, theils auf die Vagina mit dem Scheiden-
theile der Gebärmutter, theils endlich auf die Höhle des Uterus selbst direct ein-
zuwirken suchen.
Der Leib wird lange Zeit gerieben, geknetet, mit den Fäusten gepresst,
gewalkt und geschlagen, gestossen und mit den Füssen getreten. Auch kniet
man sich darauf. Bisweilen wird der Bauch vorher durch fest umgelegte Binden
oder durch ein Rohrband eingeschnürt. Die äussere Scham wird mit starken
Reibungen behandelt oder dicht mit Blutegeln besetzt. Li die Vagina legt man
irritirende Stoffe. Diese sind theils fest, theils in Pastenform, oder man imprägnirt
auch mit ihnen Pessarien oder Baumwollentampons. Der Scheidentheil des Uterus
wird mit Stöckchen gekitzelt. Der Muttermund wird durch Pressschwämme,
Papyrusröllchen, Federspuhlen , Stöckchen oder Pfeifenspitzen eröffnet, V^ieken
und V^attebäusche, mit Arzneistoffen imbibirt, werden hineingelegt, Einblasungen
und Einspritzungen werden ausgeführt. Endlich haben die Leute auch gelernt,
spitzige Instrumente zwischen die Frucht und die Gebärmutterwand zu schieben
oder die Eihäute zu perforiren, und die hierzu benutzten Gegenstände haben wir
von sehr verschiedenartiger Natur befunden.
Wenn nun auch von diesen letzteren Manipulationen manche nicht gerade
sehr geschickt ausgefallen war, so lassen sie doch bereits ein Verständniss und
eine Einsicht in das V7esen und in die anatomischen Verhältnisse der Schwanger-
schaft erkennen, wie man sie so tiefstehenden Schichten der Bevölkerung und so
wenig civilisirten Nationen durchaus nicht ohne Weiteres zugetraut hätte.
219. Yersuche zur Beschränkung der Fruchtabtreibung.
Schon in frühen Zeiten hat die Gesetzgebung der Fruchtabtreibung ihre Auf-
merksamkeit zugewendet. Denn bereits in dem alten Gesetzbuche der Perser,
„Vendidad**, welches die Rechtsgrundsätze Zoroasters enthält, lesen wir:
,Wenn ein Mann ein Mädchen geschwängert hat und zu dieser sagt: suche dich mit
einer alten Frau zu befreunden, und diese Frau bringt Bangha oder Fraypata oder eine andere
der auflösenden Baumarten, so sind das Mädchen, der Mann und die Alte gleich strafbar.
Jedes Mädchen, welches aus Scham vor den Menschen seiner Leibesfrucht einen Schaden bei-
fügt, muss für die Beschädigung des Kindes bQssen.* (Dunclcer,)
Auch die Med er und Baktrer bestraften die Abtreibung.
Das brahmänische Gesetzbuch des Manu^ welches die Lebensweise in den
Haupt- und Misch-Kasten der Hindu regelt, verbietet und bestraft ebenfalls die
Abtreibung.
Die Abtreibungsmittel waren bei den Juden streng verboten; eine An-
wendung derselben wurde als eine Abart des Kindesmordes betrachtet und nach
Flavius Josephus mit dem Tode bestraft.
Wichtig ist hier auch die Bestimmung von 2. Moses 21:
«Wenn Männer sich hadern und verletzen ein schwangeres Weib, dass ihr die Frucht
abgeht und ihr kein Schaden widerfährt, so soll man ihn um Geld strafen, wieviel des Weibee
764 XXXIV. Die absichtliche Fehlgeburt oder die Abtreibung der Leibesfrucht.
Mann ihm auferlegt, und soll es geben nach der Schiedsrichter Erkennen. Kommt ihr aber
ein Schaden daraus, so soll er lassen Seele um Seele, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand
um Hand, Fuss um Fuss, Brand um Brand, Wunde um Wunde, Beule um Beule.'
Dass die Griechen das Herbeifuhren einer Fehlgeburt nicht als ein Ver-
brechen betrachteten, das geht aus folgenden Worten des Aristoteles hervor:
„Wenn aber in der £he wider Erwarten Kinder erzeugt werden, so soll die Fracht,
bevor sie Empfindung und Leben empfangen hat, abgetrieben werden; was hierbei mit der
Heiligkeit der Gesetze übereinstimmt, was nicht, ist eben nach der Empfindung und dem
Leben der Frucht zu beurthoilen.*
Es scheint demnach die Absicht gewesen zu sein, die Eltern, welche keine
Kinder erzeugen wollten, zur Fruchtabtreibung zu berechtigen, damit nicht etwa
durch übermässige Belastung der wenig bemittelten Familie mit Kindersegen das
Gemeinwesen geschädigt werde; nur durfte das Kind noch nicht lebensfähig sein.
Aehnliche Ansichten sprach Plato aus; er gestattete* den Hebammen die Abtreibung
der Frucht vorzunehmen, denn er sagte: ,Sie können die Gebärende erleichtem oder auch
eine Fehlgeburt herbeiführen, wenn man eine solche beabsichtigt.* lAchtenstädt und SchUter-
macher betrachteten diese Beförderung der Frühgeburt durch Hebammen als ein auf den
Wunsch der Schwangeren veranstaltetes Abtreiben der Leibesfrucht.
In Rom herrschte dieselbe Sitte, selbst bei den Frauen der Vornehmen.
Seneca erwähnt dieses Laster als eine gewohnliche Sache.
«Nie/ sagt er zu seiner Mutter Helvia, .hast Du Dich Deiner Fruchtbarkeit geschämt,
als wäre es ein Vorwurf Deines Alters, nie hast Du gleich Anderen Deinen gesegneten Leib
als eine unanständige Last verborgen, nie Deine hoffnungsvolle Frucht in Deinen Eingeweiden
selbst getödtet.*
Wie stark verbreitet im damaligen Rom die Unsitte der Fruchtabtreibung
war, das haben wir bereits oben aus JuvenaVs Munde gehört. Es kam so weit,
dass der Mann für seine schwangere Frau einen sogenannten Bauchhüter anstellte.
Der Grund dieser Erscheinung, dass die civilisirten Völker des classischen
Alterthums das Abtreiben so gleichgültig ansahen, ist in der bei ihnen yerbreiieten
Meinung zu suchen, dass der Fötus noch kein Mensch, sondern nur ein Theil
der mütterlichen Eingeweide sei. Grosse Unterstützung gewährte einer solchen
Ansicht auch die stoische Schule. Die Geringschätzung eines kindlichen Lebens
ging ja unter den Griechen und Römern bekanntlich so weit, dass man ein
soeben zur Welt gekommenes Kind noch keineswegs für einen zum Fortleben
berechtigten Menschen hielt, so lange dasselbe noch nicht vom Vater durch die
Aufhebung (Sublatio) anerkannt und in die Familie aufgenommen wurde. Noch
rücksichtsloser durfte man wohl gegen ein noch nicht geborenes Kind verfahren.
Dennoch gab es Männer, wie Seneca, Juvetml^ Ovid^ die aufgeklärt genug waren,
die Abtreibung für eine verabscheuungswürdige Handlung zu erklären. Der
Letztere sagt:
Die zuerst es begann, sich die keimende Frucht zu entreissen,
Hätt* in der blutigen Tbat wahrlich zu sterben verdient.
Also allein, dass den Leib man nicht zeih' entstellender Runzeln,
Rüstest den Kampfplatz Du. zu entsetzlichem Werk?
Was durchwühlt ihr den eigenen Leib mit spitzigen Waffen?
Gebt entsetzliches Gift Kindern noch vor der Geburt?
Das hat die Tigerin nimmer gethan in Armeniens Bergschlucht,
Selber die Löwin hat nimmer die Jungen erwürgt!
Aber die zärtlichen Mädchen, sie thun*s — doch trifft sie die Strafe.
Oft, wer vernichtet die Frucht, tödtet sich selber dadurch;
Tödtet sich selbst und liegt mit entfesseltem Haar auf dem Holzstoss,
Und wer immer sie sieht, ruft: Ihr geschah nach Verdienst!
Im Einklänge mit den erwähnten allgemein herrschenden Anschaaungen war
denn auch die Kindesabtreibung nach den Gesetzen der Römer nicht verboten
219. Versuche zar Beschränkung der Fruchtabtreibung. 765
oder f&r strafbar erklärt. Es stand ja den Eltern frei, die Neugeborenen nach
Willkür aufzuziehen oder auszusetzen. Nur dann, wenn besondere, strafbare
Zwecke mit der Kindesabtreibung verbunden waren, wurde gegen die betreflPende
Person vorgegangen.
Die Müesia, deren Cicero erwähnt, Hess sich durch Geld bestechen, um mit dem Ab-
treiben ihrer Frucht gewissen Verwandten einen Dienst zu leisten; er behandelte in seiner
Oratio pro Cluentio den Fall der Abtreibung, wobei er die Verurtheilung der von Seitenerben
bestochenen Mutter lediglich vom Gesichtspunkte einer Eigenthumsbeschädigung des Vaters
motivirt. Die Kaiser Severus und Antonius haben, wie das Justinianische Rechtsbuch zeigt,
als eine ausserordentliche Strafe die Verbannung für eine Kindesab treiberin festgesetzt
bloss wegen des dem Ehemanne dadurch erwachsenen Schadens:
«Indignum enim videri potest, impune eam maritum liberis fraudasse.'
Allerdings hat derselbe Codex auch Strafen auf den gewerbsmässigen Verkauf von
Liebestränken und Abtreibemitteln gesetzt:
,Qui abortionis aut amatorium poculum dant, etsi dolo non faciant tamen, quia mali
exempli res est, humuliores in metallum, honestiores in insulam, amissa parte bonorum, rele-
gantur, quodsi eo mulier aut homo perierit, summo supplicio afficiantur.''
Allein diese Verfügung zeigt, dass man nur in diesem Handel ein eigentliches Delictum
sah; dagegen wird die abtreibende Schwangere dabei gar nicht erwähnt.
Von den Germanen hatte Tacitus zwar behauptet, dass sie die Zahl der
Kinder zu beschränken für verbrecherisch halten. Dagegen ist durch Grimm u. A.
nachgewiesen worden, dass bei ihnen einst allgemein die Sitte herrschte, die
Sander auszusetzen. So scheint es, dass Tacitus lediglich darauf hindeuten wollte,
dass die Germanen jenen römischen Brauch, durch künstliche Mittel Abortus
zu bewirken, nicht übten.
Dass jedoch auch diese Sitte der Fruchtabtreibung germanischen Völkern
bekannt. war, beweist das bajuvarische Gesetz (VII, 18) und das salische Gesetz
(XXI, 2). Andeutungen über die Anwendung von Abortivmitteln bei den Nord-
Germanen machen Hävan 26, Fiölsvinnsm. 23; vgl. Lex Rectitudines 89.
Bei den Friesen war nach der Lex. Frision. V, 1 die Abtreibung straflos.
(Weinhold,) Jedoch rechnet das friesische Gesetzbuch unter die Menschen, die
man, ohne Wehrgeld zu zahlen, tödten könne, auch solche, die ein Kind von der
Mutter abtreiben.
Die ältesten deutschen Gesetzbücher beschränken sich darauf, den durch
Kindesabtreibung angestellten Schaden darch Geldstrafe büssen zu lassen. Das
alemannische, vom Frankenkönig Dagobert (f 638) erneute Rechtsbuch be-
strafte lediglich den, der eine Schwangere abortiren machte (höher, wenn es eine
weibliche Frucht betraf, als wenn diese männlichen Geschlechts war oder letzteres
nicht erkannt wurde). Das salf ränkische und das ripuarische Recht straft
den Thäter um Geld, und zwar um so höher, wenn die Mutter dabei zu
Grunde ging.
Nach dem bavarischen Gesetze aus dem 7. Jahrhundert bestrafte man
Mitschuld an der Fruchtabtreibung mit 200 Geisseihieben, die Mutter aber mit
Sclaverei; starb die Mutter, so wurde die Mitschuldige mit dem Tode bestraft.
Auch die Sammlung von westgothischen Gesetzen von Chindaswind (f 652)
und seinem Sohne Receswind (f 672) enthält unter der Rubrik „Antiqua** Be-
stimmungen gegen die Abtreibung:
»Wer einen Ahtreihetrank einer Schwangeren giebt, wird hingerichtet; eine Sclavin,
die ein solches Mittel sich verschafft, erhält 200 Peitschenhiebe; eine freie Schuldige wird zur
Sclavin gemacht. Ein Freier, der durch Gewaltthat Abortus einer Frau herbeiführte, bezahlte
bei einem ausgebildeten Fötus 250 Solidi, bei einem nichtausgebildeten nur 100. Ging die
Mutter zu Grunde, so trat stets die Todesstrafe ein." {Spangeni>erg.)
Von den Kirchenvätern wurde die Fruchtabtreibung geradezu als Homici-
dium bezeichnet, und wenn auch einige Synodalbeschlüsse auf dieses Vergehen
nur eine Busse gesetzt hatten, bald von sechs, bald von zehn Jahren, so bezeichnete
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. ir v/< /jipri Kf'j riiri'/i vf/fi i-ificr H<f-.t rafiin^ d«:r kiin.st liehen Frühgeburt die Rede
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//« j' i.i r.UiiU'h iiijf di«'«:«H V'«T^<ih«;ri -setzten: letzterr? bestrafen sogar den mit-
'/Jii'« li'lili A»/l. (J'tHr/itlj
V'<fi rlf'fi \ fMti - Kliff (irn Hfi^t auch Kropf:
«Mif t/iMidkif hti((tiffi Ati'/rfim einer Klicfruii, mit oder ohne den Willen des Ehemanaei,
itUftt^u 4 lii« '1 trti kn Vii*)i )f«*xiihl( werden. Khenso ist «lerjeni^ strafbar, der die Medicin
219. Versuche zur Beschränkung der Fruchtabfcreibung. 767
dazu bereitet oder gegeben bat. Die Strafe geht an den Häuptling, weil ihm dadurch ein
Menschenleben verloren geht. Die Strafe der Frau kann vom Manne verlangt werden, wenn
er darum gewusst hat, oder von den Eltern, oder von dem Manne, dessen Frucht es war
(wenn es nicht der Ehemann war). Nichtsdestoweniger wird dieses Verbrechen unter allen
Klassen ausgeübt.*
Auch der chinesische Straf codex verbietet die Abtreibung der Leibes-
frucht und bedroht den üebertreter mit 100 Bambushieben und 3 Jahren Ver-
bannung. Trotzdem aber findet man in allen Städten, besonders in Peking, die
Wände an den Strassen mit Annoncen bedeckt, welche Mittel zur Herstellung der
Menstruation anbieten, unter denen man natürlich Abtreibemittel zu verstehen
hat. Martin sagt:
,Wenn dennoch einmal die Sache zur Untersuchung gelangt, so erkundigt sich der
Mandarine nicht nach der Thatsache des Abortus, sondern nach den persönlichen Verhält-
nissen, die das Verbrechen entschuldbar machen, und dieses bleibt dann imbestraft. Auch
soll die Magistratsperson durch eine Hebamme constatiren lassen, ob das, was aus der Scheide
abgegangen ist, ein Fötus oder ein Blutcoagulum sei.*
In dem Buche Si-Yuen-Lu findet sich auch angegeben, wie man erkennen
kann, ob eine Fruchtabtreibung stattgefunden hat: man soll in die Scheide Queck-
silber bringen; wird dessen Glanz matt, so fand Abtreibung statt.
Der türkische Strafcodex enthält zwar ebenfalls Sb^fbestimmungen über
die Fruchtabtreibung, aber in einer so undeutlichen Fassung, dass die Richter
nie genau ermitteln können, wer eigentlich zu bestrafen ist. Und von wie ge-
ringem Erfolge diese Gesetze in Wirklichkeit sind, das haben wir ja schon weiter
oben gesehen. Höchst bezeichnend für die Verhaltnisse in der Türkei ist der
folgende Bericht:
«Noch im December des Jahres 1875 erliess die Mutter des Sultans Abdul Asis eine
Verordnung, in welcher sie allen Insassen des grossftlrstlichen Palastes ein Gesetz einschärfte,
das in letzter Zeit ausser Gebrauch gekommen zu sein schien, n&mlich dass, so oft eine Be-
wohnerin des Palastes schwanger sei, dafür gesorgt werden müsse, dass sie abortire; gelinge
die Operation nicht, so dürfe bei der Geburt des Kindes die Nabelschnur nicht unterbunden
werden; diejenigen Kinder aber, die jetzt im Palaste wären, dürften niemals zum Vorschein
kommen. Zur Ausführung dieser Barbarei existirt eine eigene Klasse von Megären, welche
unter dem Namen Canlü ebe, «die blutigen Hebammen*, bekannt sind, und welche ihr
schauerliches Gewerbe in den Palästen der Grossen ungescheut treiben.*
Da das vorliegende Buch nicht juristischen Zwecken dient, so entgehe ich
der Versuchung, einen Vergleich zwischen den heute in den Culturstaaten über
die Fruchtabtreibung gültigen Gesetzen anzustellen, und ich überlasse es dem
Gesetzgeber, die Schattenseiten der bestehenden Verordnungen zu erkennen und
deren Verbesserung herbeizuführen. Für mich ist es genügend gewesen, die unge-
heuere Verbreitung zu zeigen, welche dieses Laster besitzt, und auf die Gefahren
hinzuweisen, welche dem einzelnen Individuum nicht allein, sondern dem ganzen
Volke daraus erwachsen. Denn manche Naturvölker verdanken ihr rapides Zu-
sammenschmelzen und ihr definitives Verschwinden von der Erde zum nicht ge-
ringen Theile dem Verbrechen der Fruchtabtreibung.
Ende des ersten Bandes.
Drnfik tob TIu HoAbimui üi G«m.
«•Barieil, Dm Weib.
Tafel I.
Afrikaner innen.
1.
Baschmann-FraQ,
2.
Xosa-Kaffer-Fraa«
3.
Sttd-Basatho-Frau.
Ga«NegeriD.
(Ooldkttste.)
Dahome-Weib.
Wmnjoro-Weib.
Bedaloen-Fraa«
(Tunis.)
Tlgre-Jungfraa«
(Colonia Eritrea.)
AegriptarlD.
Ebätln*
Ploi9'BftrUli^ Dma Waib.
Tafel IIL
Amerikanerinnen.
1.
Comanehe-lDdlaneriD.
Hajonishag-Indianerln,
(Peru.)
Eskimo-Fnia.
(Labrador.)
CoroadoB-IndianeriD.
(Braailieii.)
Siou-lBdlanerlii.
6.
Gnfana-IndiaDeiiD.
Feaerlftnderln,
Araneaiiieriii«
(Chile.)
Patagonieiin.
riaU, Bai Walb.
Ploii-Barteli, Bm W«ib.
Tafel IV.
Oceanierinnen.
Melanesierinnen
Aastrallen.
(Nord-Qneengland .)
Neu-Hebiiden«
Yitl. (Fidschi.)
Mikronesierinnen
von den
KiDgrs-Mill-lDseln.
Gilbert-Inseln.
Marianen-Inseln.
Polynesierinnen
von
Nen-Seeland.
(Maori.)
8.
HawaU.
(Kanakin.)
Tonga-Inseln.
Tafel V.
Asiatinnen I.
1. 2. 8.
Kara-KalmOeUn. Tatarin. Klrgrisln.
4. 5. 6.
Jakatln. Tangvslii. Uibekln.
7. ». 9.
Mandseharin. Goldin. »iljakliu
Flof