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RADCUFFE COLLEGE LIBRARYI
Schleskgfsr Library
WOMAN'S ARCHIVES
Sr.Jtille Bratm-fogelttein
DAS WEIB
IN DER
NATUR- UND VÖLKERKUNDE.
ANTHROPOLOGISCHE STUDIEN
VON
m H, PLOSS.
Fünfte umgearbeitete und stark vermehrte Auflage.
Nach dem Tode des Verfassers bearbeitet und herausgegeben
von
Dr. Max Bartels.
Mit 11 lithographiBohen Tafeln nnd 420 Abbildungen im Text.
Zweiter Band.
-»^♦^t-
Leipzlg.
Th. Grieben's Verlag (L. Fernau).
1897.
Das Recht der Uebersetzong wird vorbehalten!
Inhalt des zweiten Bandes.
Fortsetzung der zweiten Abtheilung:
Das lieben des ll^eibes.
Seite
XXXV. Die reohtseitige Gheburt 1
217. Die Gebart im Allgemeinen 1. — 218. Der sogenannte Instinct beim Gebären
nnd seine wissenschafUich-praKtische Yerwerthnng 4. — 219. Die Gebart in lin-
scher Hinsicht 7. — 220. Die Gebort in der Bilderschrift 8.
XXXVI. Die Qeburt im religiösen und Volks-Qlauben 9
221. Der Mystidsmos der Geburt 9. — 222. Die Gebärende gilt als unrein 10. —
228. Die Gebärende moss Rahe haben 18.
XXXVn. Die Mythologie der Gheburt 15
224. Die Entstehung mythologischer Anschauungen über die Geburtsyorgänge 15. —
225. Die Gottheiten der Geburt .bei den alten Gulturvölkem des Euphrat-Tigris-
Gebietes 15. — 226. Die Gottheiten der Geburt bei den phönioischen Völkern 17. —
227. Die Gottheiten der Geburt bei den alten Aegyptem 18. — 228. Die Gottheiten
der Geburt bei den iranischen Völkern 19. — 229. Die Gottheiten der Geburt bei
den Indem 21. — 230. Die Gottheiten der Geburt bei den Griechen 22. — 231. Die
Gottheiten der Geburt bei den Römern und Etruskem 23. — 232. Die Gottheiten
der Geburt bei den indogermanischen Völkern 24. — 238. Die Gottheiten der Geburt
bei den Lappen, Finnen, Magyaren, Mordwinen und Letten 26. — 284. Die Gott-
heiten der Geburt bei den Wotjäken, Chinesen, Japanern, Annamiten, Niassern und
Gilbert-Insulanern 28. — 285. Die Gottheiten der Geburt bei den alten Gulturvölkem
Amerikas 29. — 286. Die Gottheiten der Geburt bei den monotheistischen Völkern 29.
XXXVlll. Die Stätte der Niederkunft 31
237. Die Wahl des Ortes, an dem die Gebärende niederkommt 31. — 288. Das Allein-
Gebären im Freien 32. — 239. Das Gebären im Freien mit Hülfe Anderer 85. —
240. Die Geburts-Üeberraschung im Freien 86. — 241. Oeffentliche Entbindungen
37. — 242. Die Niederkunft im Wohnhause 39. — 243. Die Niederkunft in der
Badstube 41. — 244. Die Gebärhütten 43.
Xxxix Die gesundheitsgemässe Qeburt und ihre Bedingungen 49
245. Sind die Geburten leichter bei Gulturvölkem oder bei Naturvölkern? 49. —
246. Der Verlauf der Geburten in Australien und Oceanien 50. — 247. Der Verlauf
der Geburten in Asien 52. — 248. Der Verlauf der Geburten in Afrika 56. ^
249. Der Verlauf der Geburten in Amerika 57. — - 250. Der Verlauf der Geburten in
Europa 60. — 251. Die Ursachen und Bedingungen eines leichten Geburtsverlaufs
61. — 252. Der Verlauf der Mischlingsgeburten 62.
IV Inhalt des zweiten Bandes.
Seite
XL. Die Ersoheinimgen der gesundheitsgemässen Gheburt 64
258. Die Geburtsperioden 64. — 254. Die Wehen 66. — 255. Die inneren Zeichen
des GeburtsTorganges 68. — 256. Die active Betheüigong des Kindes und der Becken-
knochen bei der Geburt 69. — 257. Die normale Kindeslage 70.
XTiT. Die Helfer bei der Qeburtsarbeit 78
258. Die Entstehung der Geburtshfilfe 78. — 259. Die Lebensweise der Völker be-
einflusst die Entwickelung der Geburtshülfe 74. — 260. Die üebelstände der primi-
tiven Greburtshflife 76. — 261. Der Ehemann als Geburtshelfer 77. — 262. Primitive
Hebammen 78. — 268. Die ersten Anfänge einer gewerbsmässigen Geburtshfilfe
79. — 264. Degenerirte Geburtshfilfe 88. — 265. M&nnliche Geburtshelfer 84.
XIiII. Die Gheburtshülfls im Alterthnm und im Mihen Mittelalter .... 86
266. Allgemeiner Ueberblick fiber die Geschichte der Geburtshfilfe bei den euro-
päischen CulturvOlkem und deren Vorläufern 86. — 267. Die Geburtshfilfe bei den
Juden des Alterthums 88. — 268. Die Geburtshfilfe bei den alten Indem 89. —
269. Die Geburtshfilfe bei den alten Aegyptern 92. — 270. Die Geburtshfilfe bei
den Griechen des Alterthums 98. — 271. Die Geburtshfilfe bei den alten ROmem
95. — 272. Die Geburtshfilfe zur Zeit der arabischen Culturperiode 97.
•»T'TrT Die Entwiokelung der (Geburtshülfe in den modernen Cultur-
ländem Europas 98
278. Zur Geschichte der Geburtshfilfe in Italien 98. — 274. Die Entwickelung der
Geburtshfilfe in Deutschland und der Schweiz im Mittelalter 102. — /275. Die Ent-
wickelung der Geburtshfilfe in Deutschland und der Schweiz während des 16. Jahr-
hunderts 106. — 276. Die Geburtshfilfe in Deutschland und der Schweiz in der
Neuzeit 112. — 277. Zur Geschichte der Geburtshfilfe in Holland 118. — 278. Die
Entwickelung der Geburtshfilfe in England 119. — 279. Die Entwickelung der Ge-
burtshfilfe in Frankreich 121. «
XLIV. Die Entwickelung der Gheburtshülfe in dem übrigen modernen Europa 124
280. Zur Geschichte der Geburtshfilfe im europäischen Russland 124. ~ 281. Die
Geburtshfilfe in dem aussereuropäischen Russland 126. — 282. Die Geburtshfilfe in
Finland, Schweden und Ehstland 127. — 288. Die Geburtshfilfe bei den Sfid-Slaven
und Neu -Griechen 129.
XLV. Die Entwickelung der Gheburtshülfe bei den heutigen Culturvölkem
Asiens 181
284. Die Geburtshfilfe in der Tfirkei 131. — 285. Die Geburtshfilfe bei den Chinesen
188. — 286. Die Geburtshfilfe bei den Japanern 186.
XLVI. Die Hebamme im Volksmunde und im Volksglauben 141
287. Der Name und die Bezeichnung, die Bedeutung und der Einfluss der Hebammen
141. — 288. Die Hebamme im Aberglauben 144.
XLVn. Die nülüsmittel bei normaler Geburt 146
289. Der Ursprung der Hfilfsleistung 146. — 290. Die Körperhaltung und die Lage
bei der Niederkunft 147. — 291. üebersicht der gebräuchlichen Körperhaltungen
während der Niederkunft 150. — 292. Die Verbreitung der Geburtsstellungen fiber
die Erde 152. ~ 298. Die Hülfs- und Lagerungsapparate bei der Niederkunft 154. —
294. Der Gebärstuhl 156. — 295. Das Gebären auf dem Schoosse 161. — 296. Die
Anwendung von arzneilich wirkenden Mitteln bei normaler Niederkunft 164.
XLVm. Manuelle und meohanisohe Hülfbmittel bei der normalen Gheburt 166
297. Die Behandlung mit Salbungen, Bähungen und Waschungen bei normaler
Niederkunft 166. — 298. Das Mitpressen der Gebärenden 167. — 299. Mechanische
Hfilfeleistung bei normalem Geburtsverlauf durch Drficken und Kneten des Unter-
leibes 169. — 800. Die künstliche Erweiterung der Geschlechtstheile 170. — 801. Der
Schutz und die ünterstfitzung des Dammes 171. — 802 Das Ziehen an den vor-
liegenden Kindestheilen 178.
XIalX. Die Gtoburtsstellung im klassischen Alterthum 176
808. Die Entbindung bei den alten Aegyptem 176. ~ 804. Die Entbindung im alten
Griechenland 179. — 805. Die Entbindung im alten Rom 181.
Inhalt des zweiten Bandes. V
Seite
L. Die Trennung des Neugeborenen von der Mutter 183
806. Giebt es einen Instinct in der Behandlung der Nachgeburtsperiode? 183. —
307. Die Durchtrennung des Nabelstranges oder die Abnabelung des Kindes 184. —
308. Die Abnabelung bei den Oceaniem 184. — 309. Die Abnabelung in Asien
187. — 310. Die Abnabelung bei den Völkern Amerikas 190. — 311. Die Ab-
nabelung bei den afrikanischen Völkern 192. — 312. Die Abnabelung bei den alten
Oulturvölkem 194. — 313. üeberblick über die Methoden der Abnabelung 198.
IiL Die Gheburt8liülfe der Naohgeburtsperiode 200
314. Die Ausstossung der Nachgeburtstheile 200. — 315. Das Verhalten der Natur-
völker in der Nachgeburtsperiode 201. — 316. Die Verzögerungen bei der Aus-
stossung der Nachgeburtstheile 202. — 317. üebematflrliche und sympathetische
Mittel, um die Ausstossung der Nachgeburtstheile zu beschleunigen 204. — 318. Die
Nabelschnur als Handhabe zur Entfernung der Nachgeburt 204. — 819. Das Heraus-
drücken der Nachgeburtstheile 206. — 320. Die innerlichen Handgriffe zur Ent-
fernung der Nachgeburtstheile 208. — 321. Die Ausstossung der Nachgeburts*
theile bei den Japanern 209. — 322. Die Ausstossung und Entfernung der Nach-
geburtstheile bei den alten Oulturvölkem 211. — 323. Die Ausstossung und Ent-
fernung der Nachgeburtstheile bei den heutigen CulturvOlkern 212. — 824. Die
Entfernung der Nachgeburtstheile in der europäLschen Volks-Geburtshülfe 214.
LH. Die Ethnographie der Naohgeburtstheile 216
325. Die Benennungen der Nachgeburtstheile 216. — 326. Die Auffassung der
Nachgeburtstheile 217. — 327. Die Abnabelung im Glauben der Völker 218. —
328. Der Nabelschnuirest im Volksglauben 221. — 329. Die Nachgeburt im Volks-
glauben 222. — 830 Das Begraben der Nachgeburt 224. — 331. Anderweitige Be-
seitigung und Beisetzung der Nachgeburt 226. — 332. Die Eihäute im Volks-
glauben 228.
Lin. Die fehlerhafte Gheburt 230
333. Die Auffassung der Geburtsstörungen bei den Naturvölkern 230. — 334.
Historisches über die Schwergeburten 231. — 335. Die Ansichten der Chinesen
und Japaner über die Schwergeburten 283. — 336. Die fehlerhafte Geburt durch
die Eörperbeschaffenheit der Gebärenden 234. — 337. Die fehlerhafte Geburt auf
ungewöhnlichem Wege 237. — 338. Geburtsstörungen durch die Nachgeburtstheile 238.
LIV, Die Sohwergeburten im Volksglauben 240
339. Die übernatürliche Hülfe bei schweren Entbindungen 240. — 340. Die über-
natürlichen Geburtshülfsmittel bei den alten CulturvOlkern und ihren Epigonen
242. — 341. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei den Deutschen und ihren
Stammesgenossen 244. — 342. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei den
romanischen Völkern 248. — 348. Die übernatürlichen Greburtshülfsmittel bei den
Völkern Russlands und den Slaven 249. — 344. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel
bei den Magyaren , Zigeunern und Neu -Griechen 253. — 345. Die übernatür-
lichen Geburtshülfsmittel bei den Japanern und Chinesen 254. — 346. Die über-
natürlichen Geburtshülfsmittel bei den vorcolumbischen Bewohnern von Mexiko 255. -
847. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei den Indianern Amerikas 256. —
348. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei den afrikanischen Völkern 257. —
349. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei den Völkern Asiens 260. — 850. Die
übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei den Völkern Oceaniens 265.
LV. Die natOrUohen Hülfsmittel bei fehlerhafter Geburt 268
351. Die Arten der Hülfsleistung bei schweren Geburten 268. — 352. Die Dar-
reichung innerlicher Arzneien bei schweren Entbindungen unter den europäischen
Völkern 269. — 853. Die Darreichung innerlicher Arzneien bei schweren Entbindungen
unter den aussereuropäischen Völkern 271. — 854. Aeusserliche Arzneien bei
schweren Entbindungen 278. — 355. Die mechanisch wirkenden Hülfsmittel bei
schweren Entbindungen 274. — 356. Mechanische Hülfe bei schweren Entbindungen
in Japan 276. — 357. Die Anwendung des äusseren Druckes als Hülfsmittel bei
schweren Entbindungen 277. — 858. Das Belasten des Unterleibes als Hülfsmittel
bei schweren Entbindungen 280. — 859. Das umschnüren des Unterleibes als
Hülfsmittel bei schweren Entbindungen 281. — 360. Das Aufhängen und das
Schütteln der Ereissenden als Hülfsmittel bei schweren Entbindungen 283.
VI Inhalt des zweiten Bandes
Seite
LVI. Die Gheburt bei fehlerhafter KindeBlage und die hierbei gebräuoh-
liohen HandgrifDe und Operationen 286
361. Die Anschauungen über die Ursachen der fehlerhaften Kindeslagen 286. —
862. Die ErmOglichung der Geburt bei fehlerhafter Eindeslage durch ftusserliche
Handgriffe 287. — 868. Die ErmOgliohung der Geburt bei fehlerhafter Kindeslage
durch innerliche Handgriffe 289. — 864. Die T6dtung und Zerstückelung des Kindes
während der Geburt 290.
LVn. Der KaiserBOhnitt 292
865. Das Herausschneiden des lebenden Kindes nach dem Tode der Mutter 292. —
366. Das Herausschneiden des lebenden Kindes aus der lebenden Mutter 294. —
867. Der Kaiserschnitt an der Lebenden bei den Naturvölkern 299.
LVin. Die Physiologie und die Pathologie des Wochenbettes 302
868. Die physiologische Bedeutung des Wochenbettes 802. — 869. Die primftren €re-
fahren der Wochenbettsperiode 808. — 870. Die Blutflüsse im Wochenbett 804. —
871. Die Bek&mpfung der Blutflüsse im Wochenbett bei den Naturvölkern 806. —
872. Der Gebärmuttervorfall 307. — 873. Die Nachwehen 308. — 874. Das Kind-
bettfieber 809.
IiIX. Die Therapie des Wochenbettes 812
875. Das Zurechtlegen der Genitalien im Wochenbett 312. — 876. Die Räucherungen
im Wochenbett 813. — 377. Das Baden der Wöchnerin 817. — 878. Das Waschen und
das Schwitsen der Wöchnerin 818. — 879. Das Binden des Leibes bei der WOchnerin 820.
TiX. Das diätetische Verhalten im Wochenbett 823
880. Das Stehen und Sitsen im Wochenbett 828. — 881. Das Liegen im Wochen-
bett 326. — 882. Ernährung und Getränke im Wochenbett bei den VOlkem Europas
328. — 888. Ernährung und Getränke im Wochenbett bei den aussereuropäischen
Völkern 330. — 884. Mangelnde Wochenbettspflege 884. - 885. Die Dauer des
Wochenbettes 335.
IiXI. Das Ceremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes 388
386. Die Wochenstube 888. — 887. Die Wochenbesuche 340. — 888. Die Unreinheit
der Wöchnerin 847. — 889. Die Unreinheit der WOchnerin bei den CulturvOlkem
352. — 390. (^eschlechtsunterschiede in der Unreinheit der WOchnerin 858. —
391. Wochenbettsgebräuche 354. — 392. Der Aberglaube des Wochenbettes 356. —
398. Der feierliche Abschluss der Wochenbettszeit bei den Naturvölkern 360. —
894. Der feierliche Abschluss des Wochenbettes in Europa 862. — 395. Das Männer-
kindbett 364.
IiXn. Das Säugen 867
896. Physiologisches über die Mutterbrust 867. — 897. Die Milchsecretion in
ihrem Yerhältniss zu der Befruchtung und der Menstruation 872. — 398. Das
Säugen durch die Mutter 874. — 899. Die Dauer des Säugens 877. — 400. Die
Stellungen bei dem Säugen 379. — 401. Das Säugen durch Vertreterinnen und
durch Ammen 387.
LXTTT. Abnorme Säugammen 891
402. Das Säugen durch Thiere 891. — 408. Das Säugen durch die Grossmutter
892. — 404. Das Säugen durch den Vater 395.
LZrv. Die Mutterbrust im Brauche und Glauben der Volker 397
405. Die Mutterbrust in cnlturgeschichtlicher Beziehung 897. — 406. Die Diätetik der
Säugezeit 899. — 407. Vorschriften und Gebräuche beim Säugen 400. — 408. Die
Gefahren der Säugenden 401. — 409. Die Gefahren des Säuglings 402. — 410.
Milchmangel 408. — 411. Das Absetzen des Kindes 405.
LXV. Ungewöhnlioher Gebrauch der Frauenmilch 407
412. Die Frauenmilch als Medicin und Zaubermittel 407. — 413. Die Ernährung
Erwachsener mit Frauenmilch 408. — 414. Das Säugen von jungen Thieren an der
Frauenbrust 410.
Inhalt des zweiten Bandes. YII
Seite
LXVI. Die Booiale Stellung des primitiven Weibes 413
415. Die Entwickelang der socialen Stellung des Weibes aus Urzust&nden 413. —
416. Die Fran im Cultns 415. — 417. Die sociale Stellang des Weibes bei den
Oceaniem 416. — 418. Die sociale Stellung des Weibes bei den Völkern Amerikas
421. — 419. Die sociale Stellung des Weibes bei den afrikanischen Völkern 423. —
— 420. Die sociale Stellung des Weibes bei den Völkerschaften Asiens 430.
LXVn. Die Booiale Stellung des Weibes bei den alten Culturvölkem. . 439
421. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten CnlturTOlkem Asiens und ihren
Nachkommen 439. — 422. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten Aegyptem
443. — 423. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten Israeliten 444. —
424. Die sociale Stellung des Weibes im klassischen Griechenland 445. — 425. Die
sociale Stellung des Weibes im alten Rom 448.
LXVnL Der Einfluss der religiösen Bekenntnisse auf die sociale Stellung
des Weibes 451
426. Das Weib im Islam 451. — 427. Das Weib im Christenthume 454. — 428. Das
Weib im heidnischen Europa 458. — 429. Die sociale Stellung des Weibes im
mittelalterlichen Europa 462.
TiXTTC. Die sociale Stellung des Weibes bei den Culturvölkem der Neuzeit 469
430. Die sociale Stellung des Weibes bei den Deutschen der Neuzeit 469. — 431 . Die
sociale Stellung des Weibes bei den Engländern der Neuzeit 470. — 432. Die
sociale Stellung des Weibes bei den Spaniern und Italienern der Neuzeit 472. —
433. Die sociale Stellung des Weibes bei den Franzosen der Neuzeit 474. — 434. Die
sociale Stellung des Weibes bei den slavischen YOlkem der Neuzeit 476. — 435. Die
sociale Stellung des Weibes bei den russischen Völkern der Neuzeit 478.
LXX. Das Weib in seinem Verhältniss 2U der folgenden Generation . . 481
436. Das Weib als Mutter 481. — 437. Das Weib als Stief- und Pflegemutter 486.
TiTTXT. Das gesohleohtsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeit 491
438. Die eheverschmfthte Jungfrau 491. — 439. Die alte Jungfer in anthropologischer
Beziehung 492. — 440. Die Ethnographie der alten Jungfer 493. — 441. Die Gottes-
jungfrau 497. — 442. Die Amazonen im Alterthum 501. — 443. Die Amazonen im
Mittelalter 505. — 444. Die Amazonen der Neuzeit 506.
IiXXn. Die Wittwe 512
445. Die Wittwentrauer 512. — 446. Die WittwentOdtung 519. — 447. Heiraths-
verbot, Heirathszwang und Heirathserlaubniss der Wittwen 524. — 448. Die Wittwen-
rechte 528. — 449. Das Schein-Wittwenthum 532.
TiXTCTTT. Das Weib naoh dem Aufhören der Fortpflanzungsffthigkeit . . . 533
450. Die Wechseljahre des Weibes. (Das Klimakterium.) 538. ~ 451. Die Matrone
in anthropologischer Beziehung 534. — 452. Aeltere Anschauungen über die Anthro-
pologie der Matrone 541. — 453. Der Zeitpunkt des Klimakteriums bei ausser-
europäischen YOlkem 543. — 454. Die Grossmutter 544. — 455. Die Schwiegermutter
546. — 456. Des Mannes Schwiegermutter 549. — 457. Das Schwiegermutter-
Ceremoniell 550.
TiXTnv. Die Greisin im Volksglauben 553
458. Das alte Weib 553. — 459. Die Beseitigung der alten Weiber 554. — 460. Die
Werthschätzung der alten Weiber 555. — - 461. Die Hexe 558. — 462. Modemer
Hexenglaube 563. — 463. Die Zauberin, die Wahrsagerin und die kluge Frau 565.
LXXV. Das Weib im Greisenalter 570
464. Die Greisin in anthropologischer Beziehung 570. — 465. Die anthropologische
Bedeutung der Altersveränderungen des Weibes 573.
LXXVX Das Weib im Tode 576
466. Das Sterben des Weibes 576. — 467. Der unnatürliche Tod der Weiber 577. —
468. Der Tod des Weibes durch eigene Hand 580. — 469. Das Weiberbegr&bniss
586. — 470. Die todte Jungfrau 592. — 471. Die todte Schwangere 594. — 472. Die
todte Kreissende 595. — 473. Die Niederkunft der Todten 597. — 474. Die todte
Wöchnerin 599. — 475. Das Begräbniss der im Wochenbett Gestorbenen 600. —
yni Inhalt des zweiten Bandes.
Seite
476. Das Umgehen der todten Wöchnerin 601. — 477. Die s&ugende Matter im Tode
604. — 478. Der Tod der Mutter tödtet das Kind 605. — 479. Die wiedergekommene
Todte 606. — 480. Der geschlechtliche Verkehr mit der Todten 608. — 481. Die
Schw&ngening der Todten 610. — 482. Die Todtenhochzeit 611.
483 SohluBSWOPt 613
Anhang 1 615
Kurzer üeberblick Aber die Völker und Rassen unseres Erdballs.
Anhang 2 620
Uebersicht der abgebildeten Völker und der anthropologischen und ethnographischen
Gegenstände.
Anhang 3 625
Erklärung der Tafeln und der Text-Abbildungen.
AnTiftTig 4 664
Verzeichniss der benutzten Schriftsteller.
XXXV. Die rechtzeitige Geburt.
217. Die Geburt Im Allgemeinen.
In dem Leben der Frau spielt keine Function eine so bedeutende Bolle, wie
die Geburt des Kindes, das Mutterwerden. Erst dadurch, dass sie einem Spross-
linge das Leben giebt, erf&llt sie so recht die Au%abe, welche ihr in dem Haus-
halte der Natur zugewiesen ist. Damit sind für sie nicht unbedeutende Ausgaben
an Eörperkräften und Eörpersäften verbunden; aber es schliessen sich daran noch
andere höchst wichtige Anforderungen für ihre körperliche und geistige Thätigkeit.
Denn sie hat nun fernerhin die Pflege, die Ernährung und die Erziehung des
Kindes zu besorgen.
Der eigenÜiche Vorgang der Geburt ist für die Frau sowohl, als häufig
auch für deren Familie ein tief eingreifender und gewaltig aufregender. «Du
sollst mit Schmerzen Kinder gebären,* das wurde bereits der Eva verkündet, und
unter recht empfindlichen Schmerzen, welche wir mit dem Worte Wehen be-
zeichnen, und mit der Aufwendung nicht unerheblicher Kraftanstrengungen muss
das Weib dem Kinde in das Dasein verhelfen.
Haben wir es hier mit einem Vorgänge zu thun, der durchaus ein animaler
ist und bei dem MenschengescUechte unter ganz ähnlichen Bedingungen vor sich
geht, wie in den höheren Abtheilungen des Thierreiches, so ist es doch so recht
die Aufgabe der Anthropologie, zu untersuchen, wie sehr sich eine Menge von
umständen, die mit diesem Vorgange verbunden sind, als specifisch dem mensch-
lichen Geschlechte eigene darstellen. Auch müssen wir zu ergründen suchen, ob
und welche Verschiedenheiten sich bei den einzelnen Volksstänunen in Bezug auf
den Gebäract nachweisen lassen.
Gewisse körperliche Eigenschaften sind es zunächst, welche beim Weibe
den Geburtsprocess anders verlaufen lassen, als bei den höheren Thieren; der auf-
rechte Gang, der Bau des Beckens und der Gebärorgane stehen in dieser Be-
ziehung obenan. Dann tritt aber auch noch das psychische Element hinzu, welches
durch das regere Gefühl und durch den Intellect im Weibe den Gebäract ganz
anders zur Auffassung kommen lässt, als im Thierweibchen.
Eine Vergleichung des Geburtsactes bei den Thieren und dem Menschen
liegt nicht im Plane unserer Erörterungen. Unsere Aufgabe ist es, vom anthro-
pologischen und ethnographischen Standpunkte aus die Unterschiede zu beleuchten,
die sich in Bezug auf die Niederkunft bei den verschiedenen Rassen und Volks-
stämmen nachweisen lassen.
Ich möchte an dieser Stelle hervorheben, dass wir dem verstorbenen Ploss
das Verdienst zuerkennen müssen, die Aufmerksamkeit der Anthropologen und
der Gynäkologen auf diesen interessanten Gegenstand gelenkt zu haben. Er ist
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II. 1
2 XXXY. Die rechtxeiiige Geburt.
in verschiedenen wissenschaftlichen Abhandlungen*^) daf&r eingetreten und hat
als Erster aus der zerstreuten Literatur einschlägige Angaben zusammengesucht.
Ausserdem hat er aber auch auf eigene Kosten eine grosse Anzahl von ethno-
graphischen Fragebogen in die verschiedensten Lander an solche Männer gesendet,
welchen sich die öel^enheit zu genauen Beobachtungen dargeboten hatte.
Für die kritische Auswahl des Materials muss man vor Allem bedenken,
dass ims von Beisenden, Missionären u. s. w. oft nur die auffallenden Miss-
bräuche zugetragen werden, während ihnen das minder wichtig erscheinende,
allgemeine geburtshülfliche Verfahren, in welchem vielleicht manche Fingerzeige
ftir die naturgemässe Diätetik in der Geburt liegen können, entgangen ist oder
auch kaum der Mittheilung werth erschien. Dieser Hinweis ist nicht ungerecht-
fertigt. Ihm gegenüber möchten wir den Wunsch nach genauen Mittheilungen
äussern, um einst klarer darin sehen zu können, ob wirklich, wie behauptet wurde,
unsere geburtshülfliche Diätetik etwas aus derjenigen der Naturvölker gewinnen
kann, und ob bei den ürvölkem das diätetisch richtig Gewählte und Natur-
gemässe stärker und entschiedener heimisch ist, als die unzähligen Missgriffe,
welche bei vielen ürvölkem das vernünftigste und wirklich naturgemässe Verfahren
überwuchert haben. Zur Aufsuchung solcher Thatsachen dienen schwer zugäng-
liche und zerstreute Quellen, Reiseberichte in den verschiedensten Journalen und
aus allen Epochen. Leider waren meist die Beisenden in der Regel im geburts-
hülflichen Fache nicht genügend vorgebildet, um immer Nutzbares beobachten
und berichten zu können.
Man kann unter den Berichten über geburtshülfliche Gebräuche je nach
ihrer Zuverlässigkeit und sachgemässen Darstellung drei Arten von verschiedenem
Werthe unterscheiden. Die werth vollsten Nachrichten liefern natürlich die Aerzte,
welche längere oder kürzere Zeit unter dem betreffenden Volke prakticirten; dann
folgen Missionäre, welche zwar kein Verständniss der geburtshülflichen Angelegen-
keiten haben, aber doch Jahre lang Beobachtungen anstellen konnten; zuletzt
kommen solche Reisende, welche in geographischem oder naturwissenschaftlichem
Interesse unter den Völkern herumziehen. Wir dürfen die Berichte nicht ohne
Weiteres nehmen, wie sie sich bieten, sondern wir müssen auch wissen, wer der
Gewährsmann ist.
Es wäre im höchsten Grade erwünscht, dass die Missionäre, bevor sie unter
die zu bekehrenden Völkerschaften sich begeben, sich einige Kenntnisse auf natur-
wissenschaftlichem und medicinischem Gebiete anzueignen suchten, weil die Be-
nutzung derselben den besuchten Völkerschaften und ihrer Mission, aber durch eine
gesteigerte Uebung ihrer Beobachtungsgabe auch der Wissenschaft zu Gute konmien
würde. Derartige Unterweisung erhdten die Auszusendenden in der Berliner
Mission schon seit einer grossen Reihe von Jahren theils durch die Direction des
städtischen Krankenhauses im Friedrichshain (Berlin), theils durch den Heraus-
geber. In neuester Zeit haben es manche Missionäre selbst offen ausgesprochen,
dass es höchst wünschenswerth für sie sei, auch die Geburtshülfe praktisch
ausüben zu können. (Turner.) Die englische Mission bildet eigene Missions-
ärzte aus.
Die uns vorliegenden Berichte zeigen, dass bei den Naturvölkern nicht von
einem rein exspectativen Verfahren in der Geburtshülfe die Rede sein kann, und
dass, namentlich wenn sich aussergewöhnliche Erscheinungen bei der Geburt ein-
stellen, oder wenn diese zu zögern scheint, Hülfeleistungen angewendet werden,
welche in vielen Fällen nur als schädliche Eingriffe bezeichnet werden können.
Und doch werden uns bisweilen die Naturvölker ak nachahmungswerthe Beispiele
für die exspectative Geburtshülfe empfohlen!
So findet man in Handbüchern der Geburtshülfe den ganz richtigen Aus-
•) {PI088 4. 5. 6. 7. 8. 10. 12. 15. 18. 19.)
217. Die Greburt im Allgemeinen. 3
Spruch, dass die geeundheitsgemasse Geburt als ein naturgemässer physiologischer
Act durchaus keiner Hülfe von Seiten der Kunst bedarf. Man stützt aber diese
Ansicht «auf die Millionen von Geburten, welche alljährlich ohne Beistand der
Kunst bei uncultivirten Völkern glücklich und ungestört verlaufen'. Nach Maass-
gabe dieser Empirie beschrankt sich die ganze geburtshülfliche Leistung auf ein
zuwartendes Nichtsthun in Erwartung etwaiger Störungen. Man hat dabei auf
die Chinesen hingewiesen, welche, obgleich bekanntlich in medicinischen Dingen
sehr abergläubisch und beschränkt, ganz bezeichnend die Hebammen , Empfang-
oder Willkomm- Weiber" nennen, weU dieselben nach allgemeiner Ansicht nur die
Function haben, das Kind zu , empfangen*. Aber jener Hinweis auf die „Millionen
glücklich verlaufener Geburten'' bei Naturvölkern sollte doch verbunden sein mit
einer Berücksichtigung der gewiss auch überaus zahlreichen schädlichen Folgen,
welche die unzähligen Missbräuche bei wilden und namentlich auch bei halb-
civilisirten Völkerschaften mit sich bringen. Nach dieser Richtung hin sind die
Forschungen in der That noch nicht weit genug vorgedrungen. Es wäre die
Verfolgung dieser Angelegenheit die Aufgabe einer ganz neuen Wissenschaft, der
Ethnographie der Geburtshülfe, zu deren zukünftiger Begründung vorliegende
Arbeit manche mühsam aufgesammelten Beiträge liefert.
Die Geburt ist als ein physiologischer Act aufzufassen, welchen das Weib
unter normalen Verhältnissen ebenso gut und leicht vollzieht, wie jede andere
körperliche Function, und zu dem sie bei natürlichem Verlaufe irgend einer
Hülfe ebenso wenig bedarf, wie das weibliche Thier. Man darf wohl annehmen,
dass unter jenen Verhältnissen, die wir den Urzustand des menschlichen Ge-
schlechts nennen, in welchem der Mensch auch nur wenig verschieden vom höher
stehenden Thiere lebte, eine besondere Hülfeleistung der Gebärenden nur in aller-
beschränktester Weise gewährt worden ist. Mindestens könnten eine solche An-
nahme diejenigen nicht zurückweisen, welche entsprechend der modernen Vor-
stellung eine Entwickelung des Menschengeschlechts aus thierähnlicher Organisation
zugestäen.
Dass ein Gebären ohne Beihülfe recht wohl möglich ist, wird durch die
ungemein zahlreichen Fälle bewiesen, die noch heute unter unseren Gulturverhält-
nissen vorkommen. Es lässt sich wohl behaupten, dass durchschnittlich die Nieder-
kunft des Thieres leichter und schneller vor sich geht, als die des menschlichen
Weibes, welches unter unseren Givilisationsverhältnissen schon Manches von seinem
normalen Zustande eingebüsst hat. Allein ebenso muss man annehmen, dass die
natürlichen Kräfke zur Ausstossung der Frucht und zur üeberwindung der dieser
Ausstossung etwa hinderlichen Widerstände bei völlig normalem Bau und bei
sonst nicht ungünstigen Bedingungen fast ebenso wirk^im sind beim menschlichen,
wie bei dem Thier-Weibchen. Allerdings haben schon Denman und Osbom
Gründe dafür angegeben, dass das Thier leichter gebäre, und Stein sowie Hohl
führten ebenfalls diejenigen mechanischen und physischen Momente, an, welche
den Unterschied zwischen Mensch und Thier im Gebären bedingen. Jedermann
weiss jedoch, um wie viel leichter die Weiber der niederen Stände als die der
glücklicher situirten Klassen für gewöhnlich die Geburten überstehen. Sollte man
aus dieser Thatsache nicht schon einen Schluss ziehen auf den Geburtsverlauf
bei den mehr oder weniger cultivirten Völkern, zumal auch alle Berichterstatter
den raschen und leichten Geburtsverlauf bei den sogenannten wilden Völker-
schaften bezeugen? Wenn also bei uns eine Anzahl von Weibern ohne alle Bei-
hülfe niederkommt, obgleich sich unser Volk schon sehr von der naturgemässen
Lebensweise entfernt und manche körperliche Schädigung erworben hat, so
dürfen wir wohl kaum, wie Prochoumick^ Zweifel gegen die Angaben so vieler
Reisenden erheben, die davon sprechen, dass die Frauen Wilder nicht selten ganz
allein gebären.
4 XXXV. Die rechtzeitige Geburt.
218. Der sogenannte Instinct beim Ctobtren und seine wissenschaftlieh
praktische Yerwerthnng.
Wir müssen ans nun die Frage vorlegen, ob wir nicht auch durch Be-
trachtung der geburtshülfiichen Sitten, welche die Naturvölker befolgen, einen
praktischen Gewinn flLr uns selbst erzielen können, ob wir in dem Benehmen
derselben werthyolle Fingerzeige für ein besonderes naturgemässes Verfahren zu
finden hoffen dürfen? Zwar hat die freie Forschung auf dem Gebiete irgend einer
Wissenschaft niemals die Verpflichtung, im Voraus Rechenschaft über den prak-
tischen Werth ihrer künftig zu erwartenden Ergebnisse abzul^en. Doch ge-
winnt unsere Sache an Interesse, wenn wir aus dem klaren Erkennen der Folgen
geburtshülflicher Handlungen, die man bei verschiedenen Völkern beobachtet,
nicht nur für unser Wissen, sondern auch für unser Können in der Geburte-
hülfe manches Nutzbare zu schöpfen erwarten darf. Man muss insbesondere
wohl die Frage stellen, ob sich aus der Beobachtung der Lebensweise der
Naturmenschen Fingerzeige für eine naturgemässe Diätetik, ob sich aus ihrer
Behandlungsweise der Geburt Grundsatze iMv unser geburtshülfliches Verfahren
construiren lassen?
Wir haben uns ja offenbar in vieler Hinsicht von der naturgemässen Lebens-
weise entfernt, gewiss auch in Bezug auf die Lebensweise und die Behandlung
der Schwangeren, der Gebärenden und der Wöchnerinnen. Könnten wir nun nicht
durch Beobachtung der Naturvölker das uns verloren gegangene Verständniss für
die naturgemässe Diätetik dieser Zustande .wieder erlangen?
Gulturvölker schaffen sich durch möglichst genaues Beobachten des Geburts-
verlaufs und durch zweckmässige Verwerthung der aufgesammelten Erfahrungen
eine rationelle Geburtshülfe als Wissenschaft und Kunst. Die ürvölker hingegen
geben, wie man gewöhnlich glaubt, hinsichtlich ihres Verfahrens bei der Nieder-
kunft lediglich den Forderungen des zwingenden Bedürfnisses, der leitenden Macht
eines Instinctes nach, und je roher ein Volk ist, um so mehr wird bei ihm auch
der Act des Gebarens in ähnlicher Weise aufgefasst, wie die Niederkunft bei den
Thieren. (Stein.) Hier setzt sich kaum eine helfende Hand in Bewegung. Fast
alles wird der Natur und ihren unermessbaren Zufälligkeiten überlassen.
Aber sollte es denn keinen hygieinischen Instinct bei den Naturvölkern
geben, welcher zum unbewussten Ergreifen der zweckmässigsten Maassregeln auch
bei der Niederkunft führt? Sollte ein solcher Instinct die gebärende Frau nicht
zur Wahl des für den Verlauf der Geburt geeignetsten Benehmens, z. B. zur An-
nahme der zweckentsprechendsten Lage und Stellung, sollte er die helfenden
Personen nicht zur Anwendung der passendsten Manipulationen bei der Unter-
stützung der Gebärenden inspiriren?
Wenn wir etwas derartiges nachzuweisen im Stande wären, dann liegt es
auf der Hand, dass wir es auch nachzuahmen und für unsere moderne Geburts-
hülfe nutzbar zu machen die Verpflichtung hätten. In neuester Zeit hat nament-
lich Engelmann in St. Louis den Versuch gemacht, aus dem Verhalten uncivili-
sirter Stämme solche allgemein gültigen, den Instinct des menschlichen Weibes
beim Gebären beweisenden Maassnahmen herauszufinden. Er hat sich der danken s-
werthen Mühe unterzogen, einen höchst reichhaltigen Stoff zur Darstellung zu
bringen, welchen er unter Vermittelung des Bureau of Ethnology des Smith-
sonian Institution in Washington, durch die ärztlichen Beamten der Armee
der Vereinigten Staaten und die Aerzte der Indianer-Agenturen, sowie aus
anderen Bezugsquellen erhielt. In den Jahren 1881 und 1882 hat er schon in
einzelnen amerikanischen ärztlichen Zeitschriften hierüber einige Aufsätze ver-
öffentlicht, die er nunmehr in etwas erweiterter Gestalt in einer deutschen, von
dem Gynäkologen Hennig in Leipzig besorgten und mit Zusätzen vermehrten
Debersetzung erscheinen Hess.
1
218. Der sogen. Instmct beim Geb&ren u. seine wissensohafblich praktische Verwerthung. 5
Er stellt darin den folgenden Satz auf, welchen wir wohl als den Kern seiner
Anschauung zu betrachten haben: „Ein grosses Feld erofihet sich uns für die
Untersuchung der Lage, welche dem gebärenden Weibe entspricht, soweit es ihr
Beckenbau und die Stellung des Kinderkopfes erheischen. Die Urvolker haben
diese Aufgabe aus eigenem richtigem GefQhle gelöst.*
Allein es erscheint uns noch sehr fraglich, ob sich bei den sogenannten Ur-
Tolkem die gebärenden Frauen und die ihnen beistehenden Individuen in jeder
Beziehung wirklich naturgemässer als diejenigen bei den GulturYÖlkem benehmen?
Ich glaube es nicht oder mochte wenigstens die Bejahung dieser Frage sehr ein-
schränken. Mindestens wird man, wie sich aus unseren Untersuchungen ergeben
wird, nur mit äusserster Vorsicht das Benehmen der sogenannten Naturvölker als
Leitfaden f&r die Zwecke der praktischen Geburtshülfe benutzen dürfen.
Wir werden de Quatrefages Recht geben mOssen, wenn er sagt: .Der Mensch
ist anch nicht ohne Instinct; wenigstens den Oeselligkeitstrieb darf man dahin
zählen. Grosse Entwickelung dieser Triebe, wie bei manchen Thieren, sucht man
jedoch beim Menschen vergeblich; dieselben treten hier o£Fenbar zu Gunsten der
Intelligenz mehr zurück."
An die Stelle des blossen Instincts tritt beim Menschen schon frühzeitig ein
Handeln nach Wahl; und bei allen Völkern, auch bei den auf der niedersten
Gulturstufe stehenden, wird das Thun und Treiben nicht mehr von instinctiven
Vorstellungen, sondern von dem historisch entwickelten Brauche beherrscht.
,pWenn die entfernten VorfEihren des Menschen Instincte hatten, die, wie beim
Biber, durch die Structur des Gehirns bedingt werden, so sind dieselben schon
lange weggefallen und haben einer freieren und höheren Vernunft Platz gemacht.*
(TylorJ Diese Worte wird jeder Anthropologe unterschreiben. Denn selbst das
rohe Volk entfernt sich mehr oder weniger vom wahren Naturzustand, sobald es
einen gewissen Grad von geistigem Leben in sich aufgenommen hat. Und ist es
auch nur so weit in seiner geistigen Entwickelung fortgeschritten, dass es durch
einen nur einigermaassen complicirten Denkprocess zu einem kaum halben Ver-
ständnisse des physiologischen Lebens gelangt ist, so wird es auch auf eine mehr
oder minder rohe und fehlerhafte Weise den halb erkannten Nachtheilen zu ent-
gehen und vorzubeugen suchen, die das Wohlbefinden und das normale Leben zu
bedrohen scheinen. Und gerade der Geburtsact hat, wenn er zögert oder mit ab-
normen Störungen verbunden ist, für das Geftlhl und den Geist von Naturmenschen
etwas in so hohem Grade Geheimnissvolles und Aufregendes, dass unter diesen
Eindrücken die Wahl des Richtigen erheblich erschwert werden muss.
Die Cultur aber beßhigt erst zur Würdigung der wahren Bedingungen
physiologischer Processe und lehrt erst ein jedes Volk die allmählich zur Gewohn-
heit gewordenen diätetischen Verirrungen zu erkennen und abzulegen.
Wir werden in der That bei der Betrachtung der geburtshülflichen Gebräuche
der am mindesten civiüsirten Nationen auf Verfahrungsweisen der mannigfachsten
Art stossen, die bei nur geringem ruhigem Nachdenken als o£fenbare Verirrungen
von dem rechten Wege der Natur erkannt werden müssen. Und nur bei einer
ganz kleinen Anzahl von geburtshülflichen Gebräuchen bei den Naturvölkern
vermöchte man es zu versuchen, sie als Beweise oder Stützen für oder wider eine
bestimmte Ansicht zu benutzen.
Aber wir müssen uns auch die Frage vorlegen: Giebt es denn überhaupt
noch irgendwo auf der Erde vollkommen unberührte Natur- oder Urvölker, welche
vorzugsweise durch den thierischen Instinct geleitet werden? Das müssen wir
doch entschieden verneinen. „Den Menschen irgendwo noch jetzt im vnrklichen
Naturzustande anzutreffen, ist keine Hoffnung,*^ sagt WaÜB mit Recht, und auch
Bänke fragt:
,Wo bleibt nun (nach Betrachtung der yorausgehenden Rassenbilder) der wilde
Mensch? Wo bleibt der Wilde, der dem Affen ähnlicher ist, als dem Europäer, der in
g XXXY. Die rechtzeitige Geburt.
seineii yerschiedenen Erscheinungtformen Torbindende ZwiBchengUeder zwischen der Tollen
Menschenbildang und dem Affen danteilt?*
Yon ausschlaggebender Bedeutung f&r unsere Anschauung ist es nun, dass
gerade bei den Vo&em der allemiedrigsten Gulturstufe kein einheitliches Be-
nehmen der Weiber bezüglich der Wahl der Körperstellung für die Niederkunft
wahrgenommen wird. Selbst die zu einer Rasse gehörenden Völker, ja selbst
die zu einem Volke (Indianer Nord-Amerikas) gehörenden Stamme weichen,
wie aus Engdmann's Mittheilungen hervorgeht, so sehr von einander ab, dass
wir vielmehr schliessen müssen, es seien ganz andere als instinctive Bedingungen,
die hier die leitenden Motive abgeben.
Sobald nun aber noch irgend eine helfende Person der Gebärenden rathend,
unterstützend, anordnend oder sogar eingreifend an die Seite tritt, ist alles Ur-
sprüngliche ausgeschlossen. ELiermit beginnt die primitivste, aber immerhin schon
auf einen gewissen Kreis von Erfahrung und üeberlegung sich stützende Geburts-
hülfe. Diese ist zwar kerne Wissenschaft, doch jedenfalls ein stückweises Wissen,
ein Glauben an traditionelles, aus früheren zum Theil recht schlechten Beobach-
tungen geschöpftes Wissen; sie ist eine Kunst zwar nicht, doch immerhin ein mit
rohen künstlichen Mitteln vorgehendes Gewerbe. Wenn auch nur die Mutter in
vielen Fällen der Gebärenden beisteht, so glaubt diese Helfende doch stets aus
dem, was sie schon von Anderen über den Geburtsverlauf und die nothwendige
Assistenz gehört, sich eine Art Elegulativ för ihre niederkonmiende Tochter con*
struiren zu können. Da macht sich gar bald durch Hin- und Herreden, durch
die Autorität einer zu besonderem Ansehen gekonunenen Helferin ein maassgebender
Brauch in der Geburtshülfe heimisch.
Einen Gewinn für die praktische und wissenschaftliche Geburtshülfe können
wir von diesen Forschungen nur dann erwarten, wenn wir durch die genaueste
Beobachtung nicht nur der Behandlungsweise, sondern auch namentlich der
Folgen derselben für Mutter und Kind Nutzen und Schaden dieser Maassnahmen
völlig zu ermessen vermögen. Bisher waren wir zwar nur im Stande, die schäd-
lichen Wirkungen einzelner grober Verstösse gegen die Bedingungen der Natur
genauer zu beobachten; doch stellten sich uns ausserordentlich viele geburtshülf-
liche Gebräuche der Völker lediglich als Verirrungen des menschlichen Geistes dar,
deren verderbliche Folgen nicht ausbleiben können. Unsere weitere Erörterung
wird sich wie ein Verzeichniss einer langen Reihe von Irrthümem und der durch
sie herbeigeführten Nachtheile ausnehmen.
Hierin aber liegt der praktische Gewinn. Wir erfahren dabei weniger,
was wir zu thun, als vielmehr was wir zu unterlassen haben. So ist denn
der Vortheil, den wir durch die anthropologischen Forschungen auf dem von
uns eingeschlagenen Wege für die Geburtshülfe zu erwarten haben, vorzugsweise
ein negativer, den wir aber nicht gar zu gering veranschlagen dürfen.
Dass wir aber auch manchen positiven Nutzen haben können, das soll
vorläufig nur an Einem Beispiele dargelegt werden. Bis vor einiger Zeit stritten
sich die Gerichtsärzte über die Frage, ob eine Frau im Stehen gebären könne?
Hätte man beachtet, dass bei so manchen Völkerschaften die Frauen regelmässig
stehend gebären, so wäre die Streitfrage nicht aufgeworfen worden oder mindestens
schnell erledigt gewesen. Man sammelte um dieser Streitfrage willen einzelne
beglaubigte Beispiele, und hätte ganze Völkerschaften als Zeugen vorfuhren können.
So kann man durch die Erkenntniss dessen, was bei vielen Völkern vorkommt,
auf leichte Weise die Frage erledigen, ob ein ähnliches Vorkommniss auch bei
uns möglich oder unmöglich ist.
219. Die Gebart in lingnisüsclier Hinsicht. 7
219. Die Geburt in lingnistischer Hinsicht.
In den indogermanischen Sprachen zeigt es sich, dass das Stammwort fOr Gebären
ein einheitliches ist, dass sie also auch in dieser Beziehung zusammengehören. Das alt-
deutsche Yerbum bereu «- tragen kennen wir nur noch in .gebären", .Tragbahre' u. s. w.
Das alte birit ,er trägt* kann man zusammenstellen mit dem altslayischen blretY, lat.
fert, griech. tpigBi aus tpigszo, zend. baraiti, sanskrit. Vhärati.
Das Wort Geburt ist nach Gritnm's Wörterbuch zu finden im Althochdeutschen:
.kapurt", agipurt", und im Altsächsischen: .giburd", im Altnordischen: .burdr* (masc),
auch einfach ,burt" bis ins 16. Jahrhundert; wie englisch birth, dänisch byrd, schwedisch
bOrd. Das Gebären (ferre, parere, gignere) ist ein Wort, dem in seiner ältesten Bedeutung der
Begriff des Tragens, Bringens beiwohnt; es kommt im Gothischen als Gebarian, im Alt-
hochdeutschen als EipSran, GibSran, im Mittelhochdeutschen als Geboren vor.
Im Lateinischen heisst die Zeugerin, Gebärerin = generatriz, genero » zeugen und
generatio «» die Zeugung. Dies weist auf einen Ursprung aus dem Sanskrit hin. Die Silbe
gen bedeutet in slä. Geburt, Entstehung; daher das lateinische Wort ingenium. Allein die
Ethnologie lässt uns im Stich, wenn wir weiter fragen, warum gerade diese Bedeutung der
Wurzel gen gegeben wurde. (TylorO
Einen Versuch, ethnologisch zu erklären, wie sich die Wahl des hebräischen Wortes
für Gebären vollzogen hat, machte Proehovmick; er sagt: .Wie das Gebären, so tritt auch die
Hülfsbedürftigkeit beim Gebären zugleich mit dem Menschen in die Welt. . . Schon die Genesis
drückt dies in der gewiss nicht absichtslosen Zusammenstellung alles Anfangs von Culturarbeit
aus, wenn sie ftlr die Ackerbestellung des Mannes und das Gebären des Weibes dasselbe Wort:
^^3^, (dies ist genau das lateinische ,Labor') gebraucht, von Luther beim Manne mit
,Eummer', bei dem Weibe mit ,Sch merzen' in Ermangelung eines ,Labor* entsprechenden
deutschen Wortes wiedergegeben. Und da schon die Bibel das erste Gebären in die Paradies-
zeit nicht verlegt, da femer nach den neuesten Ergebnissen theologischer Forschung wahr-
scheinlich der ganze Schöpfungsabschnitt der Genesis eine mythische Darstellung aus später
(nachbabylonisch'er) Zeit ist (Wellhausen)^ so gewinnt die Darstellung als philosopÜsche
Anschauung der Rabbiner über den Culturanfang nur noch mehr an Bedeutung. Und bindet
sich das ,cum labore* => Gebären an das erste Auftreten der Gattung Mensch, so hat auch
die Schmerzfühlende Hülfe und Trost gesucht und irgend Jemand sie zu gewähren sich
bemüht. Diese, wenn wir so wollen, rein thierähnlichen Gefühle dürfen wir auch bei der
grössten Rohheit unserer Vorfahren voraussetzen, und damit ist der Anfang einer Geburtshülfe
eo ipso gegeben.*
Der Franzose hat mehrere Worte: .enfanter* » donner le jour k un enfant; die Ge-
burt = enfantement, sowie travaU; in dem letzteren kommt wieder die Bedeutung von Labor,
Arbeit, zum Vorschein. Ausserdem heisst die .Entbindung" = accouchement, d. h« also: Sich
niederlegen. Offenbar steckt hier eine Andeutung, dass das Liegen der Gebärenden als etwas
zum Gebären NOthiges betrachtet wurde.
lAUre sagt über die historische Abstammnng des Wortes: .On voit par Thistorique, que
accoucher, ou s*accoucher signifie proprement se coucher, s'aliter; ce n'est que peu ä peu qu'il
a pris le sens ezdusif de se mettre au lit pour enf anter. * Es ist dies ähnlich mit dem
deutschen Worte .Niederkommen", Niederkunft; auch hört man in Deutschland die Hoch-
schwangere oft sagen, dass sie nun bald .zum Liegen kommen würde*.
Auch in England heisst Geburt in erster Linie labour of a woman; femer ist .Ent-
binden" deHvery. So tritt dort wiedemm der Begriff Labor auf. Gebären heisst: to bear
a child; und Geburt ist gleichbedeutend mit birth. Allein auch hier kommt die Form vor
für: .Sie hat einen Knaben geboren": she has been brought to bed of a boy; demnach
wurde auch wohl schon früher das Bett als Geburtslager gewählt Das Entbinden aber hat
viele Synonyma: to unbind, to untie, to loose, to deliver, to disengage, to clear oder to
free from u. s. w.
In Tyrol sagt man nach Zingerle von einer Entbundenen .der Ofen ist eingefallen".
Vielleicht steht es hiermit in Verbindung, dass ein unfrachtbares Weib dort in einen Backofen
kriechen muss.
8 XXXV. Die rechtseiidge (Geburt.
220. Die Geburt in der BUderschrift.
In den ägyptischen Hieroglyphen findet nch nicht selten ein bildliches Zeichen,
welches die Geburt eines Kindes darstellt. Dasselbe ist überall da typisch, wo ein sich auf
Gebftren oder Geburt begehendes Wort vorkommt; es wird unmittelbar nach diesem Worte
angebracht, um ansudeuten, dass dasselbe etwas mit dem Gebftract Zusammenhängendes ent-
hält (Fig. 259). Die Hieroglyphe zeigt eine knieende oder siteende Frau, unter deren Schenkel
Kopf und Arme des Kindes su Tage treten.
Fig. 258. Aegyptisohes HieroglyphenMloheii,
den Oebirftct dantellend.
Auch auf Rapanui, der durch ihre merkwürdige prähistorische Gultur berühmten
Oster-Insel, finden sich Darstellungen, welche auf die Geburt gedeutet worden sind. Es
wiederholen sich dort sowohl auf den alten Steinhäusern des Banakao-Kraters, als auch auf
den an vielen Felsen befindlichen Sculpturen gar häufig die Figuren, welche ic^ in Fig. 260
wiedergebe.
Fig. 200. Reliefbild des Gottes Make- Make ^ eine Geburt bezeichnend.
Oetei-Insel (nach Geiseier),
Sie sollen dien Make-Make, den Gott der Seevogeleier personificiren. Bisweilen er-
scheinen die Beine erhoben, bisweilen horizontal gerichtet. Stets aber ist es eine Doppel-
Stellung, so dass zwei Bilder des Gottes sich gegenflbergestellt sind. Da nun der Make-Make
in diesen Stellungen das Weibliche und Männliche repräsentirt, auch alle Kinder ihm, dem
Urerzeuger, geweiht werden, so soll dies, wie aus den Andeutungen der Eingeborenen heraus-
zuhören war, die Geburt einer Person bezeichnen.
Diesen Zeichen gehen oft andere, welche die Vulva der Frau vorstellen sollen, voraus
oder folgen in nicht fernen Zwischenräumen. Sie sollen constatiren, dass die betreffende Geburt
einer ehelichen Verbindung entsprossen ist. (GeieeUr), Es wurde hiervon im 1. Bande in
Fig. 78 eine Abbildung gegeben.
Auch unter den bildlichen Darstellungen anderer schriftloser Völker kommen bisweilen
Geburtssoenen vor. Ich gehe auf dieselben hier nicht näher ein, da ich an einer späteren
Stelle auf sie zurückzukommen habe. Es können auch nur einzelne von ihnen allenfalls als
ein Ersatz für eine schriftliche Mittheilung au^efasst werden.
XXXVL Die Geburt im religiösen und Volks-Glauben.
221. Der Mysticismns der Geburt.
In der YorstellaDg ausserordentlich vieler Völker begegnen wir übersinn-
lichen Machten, welche mit der Geburt eines Kindes in unmittelbare Beziehung
gesetzt werden. Die einen gpreifen helfend und erleichternd ein, andere aber er-
weisen sich feindselig und behindernd. Je tiefer in der Cultur die Menschen
stehen, um so mehr wird der Glauben an die bösen Geister in den Vordergrund
treten, welche der gebärenden Frau Krankheit, Noth und Qefahr bereiten. Dann
liegt es nahe, nach Mitteln zu suchen, um solche Dämonen zu yertreiben und
unschädlich zu machen. Und nun schliesst sich das Vertrauen auf höhere Ge-
walten an, auf die Götter, deren mächtigen Schutz man sich durch Gebete und
Opfer verschaffen kann. Wir werden in einem der nächsten Kapitel ausführlich von
solchen Gottheiten sprechen. Hier soll aber noch auf einzelne Besonderheiten
hingewiesen werden, welche sich hier und da mit dem Geburtsacte verbinden.
Ernster Natur ist in dieser Beziehung eine Ansicht, welche Angas aus
Australien berichtet. In Queensland haben die Weiber den Glauben, dass die
Leibesfrucht ihnen einen grossen Theil ihrer Kraft entzieht, und dieser Anschauung
entsprechend soll es nicht selten vorkommen, dass eine Mutter ihr eigenes Kind
gleich nach der Geburt aufiPrisst, um auf solche Weise die ihr entzogene Kraft
in ihren Leib wieder zurückkehren zu lassen. (Ändree^.)
Einer eigenthümlichen Sage über die Entstehung der Geburt begegnen
wir bei den Dayaken im südlichen Borneo. Dieselben erzählten Hendrichs
Folgendes:
«Unsere ürgrossmatter hat Eier gelegt und durch Ausbrüten ihre Nachkommenschaft
vermelui». Als sie einmal vom Neste ging, sagte sie zu ihren bereits ausgebrüteten Kindern :
Geht nicht an das Nett! Diese aber nahmen die Eier heraus und kochten sie, und siehe da,
Menschenkinder waren darin. Als die Mutter zurückkehrte und das Geschehene sah, verfluchte
sie ihre Kinder, und fortan hörte die Vermehrung durch Brüten auf, und die Menschen
werden mit Schmerzen geboren."
Es sei hier noch eine abergläubische Ansicht erwähnt, welche bei der Be-
völkerung von Philadelphia herrscht.* Man glaubt dort, wie PhiUips berichtet,
dass die Frau mit jeglicher Entbindung einen Zahn lassen muss.
Im russischen Volke ist man, wie Demic berichtet, der Meinung, dass der
Zeitpunkt der Niederkunft geheim gehalten werden müsse. Das geht in den nord-
östlichen Theilen des Landes so weit, dass selbst die allernächsten Anverwandten
nichts davon erfahren dürfen. Denn es herrscht der Glaube, dass die Ereissende
für jeden Menschen, der von der Entbindung erfährt, leiden müsse, und ein böser
Mensch könne die Geburt sogar unmöglich machen.
10 XXXYI. Die Geburt im religiösen und Yolkg-Olauben.
Im Volksglauben der Indogermanen knüpfen sicli an die Gebart folgende
mythische Vorstellmigen, wie Sd^wartz andeutet.
Scbon nach delphischer Sage geht Geburt nnd Bogenkampf unter dem heiligen
Baume vor sich, auf De los aber umÜEwste die yerfolgt umherirrende Leto die heilige Pabne
halt- und hfllfesuchend bei der Geburt. Wie Mannhardt in seinem .Baumcultus*, so weist
auch Schwartg auf einen mit dieser Xeto-Sage vielleicht zusammenhängenden aberglftubischen
Gebrauch in Schweden hin: dort umfassen Schwangere in ihrer Noth den Värdträd beim
Hause, um eine leichte Entbindung zu erzielen. Mannhardt glaubt nftmlich, dass diesem
Brauche ursprünglich eine mythische Beziehung zu Grunde liegt, weil es in der Edda heisst:
«Mit seinen Früchten
Soll man feuern,
Wenn Weiber nicht wolln geb&ren.
Aus ihnen geht dann,
Was innen bliebe:
So mag er Menschen frommen.*^
Dazu kommt noch nach Sehwartty dass in der YOluspa der , Lichtbaum" geradezu
«Einderstamm* heisst, und dass es noch ähnliche mythologische Thatsachen giebt, in denen
Bäume bei der Geburt der Kinder als Substitute des himmlischen Lichtbaumes gelten kOnnen.
Doch wie sinnreich auch solche Auslegungen und Reflexionen sein mögen, so bleibt doch der
directe Zusammenhang nichts weiter als eine Hypothese. Denn schon jene Stelle der Edda
kann ja auch einfach auf einen Volksgebrauch zurückgeführt werden, der in der Vornahme
▼on Räucherungen (sei es mit Tannenzapfen oder mit anderen aromatischen Früchten) an
die Geschlechtstheile der Schwangeren besteht, um die Niederkunft vorzeitig einzuleiten;
ein gewöhnliches Abtreibe- oder Yolksmittel würde dann erst im Verlaufe der Zeit eine
mystische Bedeutung erhalten haben, ohne dass Reminiscenien aus alter mythischer Zeit im
Spiele sind.
Bei einigen Orang Djäkun in Malacca begegnen wir nach Stevens der
Anschauung, dass die leuchtenden Jelly-Fische herumirrende Seelen sind, welche
auf die Geburt eines Kindes warten, um in dieses hineinzufahren. Die Orang
Laut glauben Ton der fliegenden Eidechse, dass sie nach Geburten ausspähe, um
die junge, soeben auf der Erde ankommende Seele zu veranlassen, in dem Neu-
geborenen ihre Wohnung zu nehmen. Die fliegenden Eidechsen sind der mythischen
Eisenden Eidechse unterstellt, welche die Lebenssteine bewacht, die der Schöpfer
fUr diesen Zweck gemacht hat. Kein Orang Laut wird solches Thier todten,
denn die anderen würden das dadurch rächen, dass sie sich weigern würden,
der für ein neugeborenes Kind bei diesem Manne bestimmten Seele dieses zu
zeigen. (Bartels^,)
222. Die Gebärende gilt als unrein.
Wie an alle Sexualvorgänge des Weibes und namentlich an solche, die mit
einem Abgange von Blut aus den Genitalien verbunden sind, sich in der Vor-
stellung der Völker der BegriflF der Verunreinigung knüpft, so finden wir die
gleiche Anschauung auch in Bezug auf die Niederkunft: die gebärende Frau gilt
bei vielen wilden und halbcultivirten Völkern für unrein. Die Wilden Süd-
Amerikas stossen die Kreissende aus ihrer Hütte in den Wald, damit sie durch
ihre Anwesenheit nicht die Kraft der Waffen schwäche. Als Pater Och diesen
Gebrauch der Indianer Brasiliens abschaffen wollte und darauf bestand, dass
die Gebärenden in der Hütte bleiben, zogen sie fort aus jener Gegend; sie wollten
in keiner Hütte mehr wohnen, in der ein Weib geboren hatte. Bei einer Ent-
bindung tragen die Tschuktschen alle Gegenstände, welche zum Jagen oder
Fischen gebraucht werden, aus dem Hause, dann werden zwei grosse Blöcke Schnee
auf einander gelegt und in das äussere Haus gebracht. £i den oberen Block
werden kleine Steine kreisförmig eingesteckt, und es bleibt der Schnee dort in
einer Ecke liegen bis er schmilzt. Die Bedeutung dieser letzteren Maassregel ist
222. Die GebSxende gilt als unrein. 11
nicht recht zu verstehen. Auch die Tungasen in Asien und die Thlinkiten
und Eoloschen in Nord-Amerika halten das gebärende Weib f&r unrein, und
die Nahrung darf ihr nur von den nächsten weiblichen Verwandten gereicht
werden. (Krause,)
Nach KhUschack wird das Eskimo-Weib durch die Entbindung auf volle
4 Wochen in den Zustand der Unreinheit versetzt.
Colenson giebt an, dass die Maori-Frau auf Neu-Seeland nicht nur
selber durch die Geburt unrein wird, sondern auch Alles, was sie berührt, ver-
setzt sie in den Zustand der Unreinheit. Auf Hawaii gebären die Frauen in
Zurückgezogenheit, weil sie durch die Entbindung unrein werden. (Campbell.)
Die Au£fa8sung, dass durch die Niederkunft die Frau einer derartigen Ver-
unreinigung unterliegt, dass sie nur durch eine besondere Sühne und eine reinigende
Weihe, wieder f&r die menschliche Gesellschaft unschädlich gemacht werden kann,
müssen wir in folgender australischen Sitte vermuthen:
Eine eingeborene Frau in Australien, welche einem höheren Range angehörte, durfte
zwei Monate vor der Geburt und einen Monat lang nach derselben nicht mit ihrem
£hemaime zusammenschlafen; während dieser Zeit wurde sie sorgfältig von anderen Ein-
geborenen getrennt Sie lebte in eiuem geheiligten Hause, sie durfte nicht kochen, oder auch
nur mit ihren Händen Speise berühren; sie war umgeben von einem oder mehreren Priestern
(tolungas), welche fort und fort über sie beteten. Noch ein oder zwei Monate lang wurde
die Mutter mit ihrem Kinde isolirt gehalten und von einem tolunga ernährt. Die Geremonie
wurde noch weiter ausgedehnt, wenn das Kind ein Knabe war. (Staranke.)
Die Weiber der Hill Arrians in Travancore werden nach Painter für
die Niederkunft in eine besondere Hütte verwiesen, weil man sie in dieser Zeit
für unrein ansieht.
Auch bei den Niam-Niam in Afrika gilt höchst wahrscheinlich die Frau
während der Entbindung für unrein, denn sie muss dieselbe ausserhalb des Hauses
in einem nahen Walde abmachen. (Piaggia.)
«Jeder Neger, sagt Schutt^ sieht die Frau, die demnächst gebären wird, als unrein
an; drei Wochen vor ihrer Entbindung muss sie das Dorf verlassen und darf keiner mit
ihr verkehren; ohne jegliche Hülfe sieht sie meistens der schweren Stunde entgegen, und erst
nachdem sie geboren, kann sie wieder in ihre Hütte und in ihre gewohnte Umgebung zurück-
kehren." (Westküste Afrikas.)
Es würden sich für derartige Anschauungen unschwer noch vielfache Belege
namentlich aus Afrika beibringen lassen. Und selbst in Europa begegnen wir
ähnlichen Gebräuchen: In Serbien wird die Niederkunft ohne die nöthige Rück-
sicht auf die Jahreszeit im Freien vollzogen; still und geräuschlos entfernt sich
das Weib, um nach hergebrachter Anschauung das Haus nicht zu verunreinigen,
und sie kehrt nach dem Abgange der Nachgeburt mit dem Neugeborenen in der
Schürze in das Haus zurück. (Valenta.) Auch in Russland wird sowohl das
Kind als auch die Mutter als unrein betrachtet und man glaubt, dass sie leicht
dem Einflüsse schädlicher Kräfte ausgesetzt sind.
Ebenso waren im alten Athen die Kindbetterinnen nach dem Ritus der
Brauronischen Artemis unrein, so dass, wer sie mit der Hand anrührte, von
den Altären aasgeschlossen war, wie derjenige, der einen Mord begangen hat.
(Welcker.) In Epidaurus war von Antonin ftr die Angehörigen des grossen
Heiligthums ein Gebär- und Sterbehaus errichtet, um die Verunreinigung des
Bodens zu verhüten. Auch Ptfthagoras mied (nach Aleooander bei Diogenes (8, 83))
die Berührung der Todten und der Wöchnerinnen wie jede Befleckung; und nach
Porphyrius war in den Eleusinien dasselbe vorgeschrieben. Ein eigenes Qe-
burtsgemach hatten schon die alten Römer, welche das Weib nicht nur während
der Menstruation, sondern auch in der Entbindungszeit für unrein hielten.
Auch bei den Juden war die Gebärende unrein, und das Gleiche galt sogar
auch von der Hebamme, welche ihr Hülfe geleistet hatte. Als der Zeitpunkt,
12 XXXVI. Die Geburt im religiösen und Yolks-Glaaben.
von welchem ab das Haas der Ereissenden als unrein zu meiden war, wurde von
den Talmudisten angegeben, dass es diejenige Periode sei, zu welcher die Freun-
dinnen beginnen mOssten, die Gebärende unter den Armen zu stützen. Dieses hat
damit seinen Zusammenhang, dass die Tahnudisten der Meinung waren, in diese
Zeit falle die Eröffnung des Muttermundes.
Eine ganz eigenthümliche Absonderung der Gebärenden fand, wie Giäierre
Bicus de Gamee (1379 — 1449) angiebt, an den Loire -Mündungen statt:
Die Frauen durften auf den daselbst gelegenen Inseln nicht geb&ren, sondern sie
mussten sich, um niederzukommen, jedesmal auf das feste Land oder auf ein Schiff begeben.
,n y a lä une !le habit^, et dans laquelle les femmes ne peuvent accoucher. Quand airive
le moment de la d^livrance, on conduit la femme en terre ferme pour qu'elle y accouche,
QU bien on la met en mer dans une embarcation, et les couches faites, on la ramäne dans
rüe." LiebrecfU, welcher dieses Citat bespricht, sagt dazu: „Wir begegnen hier also deut-
lichen Spuren der Heiligkeit, in welcher zur Druidenzeit die an der Nordwestkfiste Galliens
befindlichen Inseln gehalten wurden, weshalb die ersten Heidenbekehrer auch gerade dort
ihre Wohnsitze aufschlugen." LiehreefU erinnert hier auch an die druidischen SamnitOn
gjnaikes, welche nach Strabo (I. lY.) gleichfalls auf einer an der Loire-Mflndung belegenen
Insel wohnten und, um mit Mftnnem Umgang zu pflegen, sich an das Festland begeben
mussten, wahrscheinlich der Heiligkeit der Insel wegen, so dass sich vermuthen l&sst, dass sie
aus dem nämlichen Grunde ihre Entbindung gleichfalls nicht auf derselben halten durften,
um sie nicht zu verunreinigen. Auf alle F&Ue zeigt aber auch diese Sitte , dass die Frauen
der dort wohnenden Kelten bei der Entbindung ftlr unrein galten.
Einen ganz analogen Vorgang kennen wir aus Alt-Oriechenland: Die
Athener (in der 88. Olympiade) reinigten die Insel Delos und verboten alsdann
auf Grund eines Orakels, dass auf derselben eine Niederkunft stattfinde; zu jener
Zeit war diese nunmehr wüste Insel bewohnt und eine berühmte Gultusstatte.
Man glaubte also auch hier, dass eine Entbindung den Boden der geheiligten
Insel verunreinigen könne.
Den Osseten genügt es nicht, die hochschwangere Frau aus dem Hause
zu entfernen; sie muss in ihre Heimath zurückkehren, um dort ihre Entbindung
abzumachen.
Dieses ist eine Sitte, welche wir aber auch bei einer Anzahl anderer Völker
finden. So wird z. B. von Kubary von den Einwohnerinnen der Karolinen-
Inseln berichtet, dass sie nicht nur für jede Entbindung, sondern auch bei allen
Erkrankungen in das Haus ihrer Eltern zurückkehren müssen.
Die soeben von den Ossetinnen und von den Bewohnern der Karolinen-
Inseln berichteten Gebräuche lassen aber, wie mir scheinen will, auch noch eine
anderweitige Deutung zu. Vielleicht haben diese Leute gar nicht die Au£Fassung,
dass die gebärende Frau das Haus des Ehemaimes verunreinigen würde. Möglicher
Weise müssen wir in dieser Rückkehr in das Elternhaus vielmehr noch alte Re-
miniscenzen an das einstige Bestehen eines Matriarchates erkennen. Nur die Frau
gehört dem Gatten; sie ist durch den Brautkauf in seinen Stamm übergetreten;
aber das Kind, welches sie gebiert, gehört wieder dem Stamme der Mutter an,
denn der Vater hat es nicht mitgekauft. Um es nun dem mütterlichen Stamme
zu sichern, muss von vornherein dafür Sorge getragen werden, dass es nicht unter
Fremden, d. h. in dem Stamme des Vaters, das Lidit der Welt erblickt. Nehmen
wir eine solche Auffassung als ursprünglichen Beweggrund an, dann würde die
besprochene Sitte ftir uns sehr gut verständlich werden.
In der Anschauung mancher Völker ist weniger die gebärende Frau unrein,
als vielmehr diejenigen Stoffe, welche bei der Entbindung aus ihren Geschlechts-
theilen austreten. So muss, wenn unter den Parsen bei einer Frau die Ent-
bindung naht, diese auf einem eisernen Bette hausen, da sie die anderen Arten
von Betten verunreinigen würde; in dem Zimmer, wo sie sich befindet, wird
mehrere Tage ein Feuer angezündet, um die bösen Geister zu bannen, (du Perron.)
Auch die Chinesin muss, da sie es für eine grosse Unreinlichkeit halten würden,
228. Die Gebärende muBs Ruhe haben. 13
dass die Gebärende mit ihrem Blute ein Zimmer oder Bett besudelte, sich, wenn
sie niederkommen will, mit ihrem Gebärstahle in eine Wanne setzen.
,In Japan ist das Gebnrtslager unmittelbar auf der Diele; dieses Lager
bleibt Ton Matten entblösst, um letztere rein zu erhalten; als Unterlage dient
etwas Baumwollenzeug.* Hierbei kommt wahrscheinlich auch wesentiich die
Scheu vor Verunreinigung in Betracht. Auch die Sitte, im Badehause die Ent-
bindung abzumachen, beruht wohl auf ähnlichen Anschauungen. Wir kommen
sxd dieselbe noch zurück.
228. Die Gebärende mnss Buhe haben.
Ganz zweifellos liegt der später noch zu besprechenden Sitte, dem kreissenden
Weibe f&r ihre Niederkunft eine eigene Gebärhütte anzuweisen, ursprünglich eben-
fdls die Anschauung zu Grunde, dass eine Entbindung im Wohnhause dieses
und seine Insassen yerunreinigen würde. Aber in einer gewiss nicht geringen
Reihe von Fällen ist dieser Begriff schon längst in Vergessenheit gerathen; der
"Gebrauch jedoch hatte auch femer Bestand, nun aber mit der ausgesprochenen
Absicht, dem Weibe in ihrer schweren Stunde einen möglichst ruhigen und un-
gestörten Aufenthaltsort zu schaffen. Hierdurch erklärt es sich denn auch gar
nicht selten, dass Niemandem ausser den helfenden Weibern der Zutritt zu der
•Gebärhtitte oder bei anderen Völkern zu dem Wohnhause, in welchem die Nieder-
kunft erfolgt, gestattet wurde. •
t Es ist nicht die Furcht vor der Verunreinigung, welche den Stammesgenossen,
und selbst den Verwandten und sogar recht häufig selbst dem Ehegatten verbietet,
den Gebärraum zu betreten, sondern man scheut ihre Anwesenheit, weil sie schä-
digend auf die KJreissende und störend und hemmend auf den Geburtsverlauf ein-
wirken würden. Abergläubische Furcht vor dem bösen Blick, vor magischen
Gesten und bezaubernden Worten spielt hierbei eine bedeutende Bolle. Darum
werden auf Ambon und den TJliase -Inseln sogar auch alle Leute fortgewiesen,
welche zufallig vor dem Wohnhause sich niedergelassen haben.
Dieses Verbot für den Ehemann, die Freunde und Verwandten, das Gebär-
zimmer zu betreten, findet sich, wie bereits angedeutet wurde, in weiter Ver-
breitung vor. Wir treffen es im malayis eben Archipel ausser auf Ambon und
den üliase- Inseln, wo namentlich der Schwager der Frau auch nicht einmal
das Haus, geschweige denn das betreffende Zimmer betreten darf, auch auf
Serang, Seranglao und Gorong, auf Leti, Moa und Lakor, auf Eeisar
und Eetar und auf den Aaru-Inseln. Das Gleiche gilt flir die Galela und
Tobeloresen auf Djailolo und auf den Sulah-Inseln. Auf Tanembar und
Timoriao wird das Haus als unbetretbare Stätte dadurch kenntlich gemacht,
dass der Ehemann an der Thür einen Zweig von dem Inaan-Strauche befestigt.
(Riedel.)
Vaughan Stevens sagt von den Orang-Djäkun in Malacca, dass sie an
einer in die Augen fallenden Stelle ein Bündel von Ejoo -Fasern (die Faserhülle
vom Blattstiele der Arenga-Palme) aufhängen, um den Vorübergehenden anzu-
zeigen, dass in der Hütte oder hinter der Schutzwand eine Frau sich in Kindes-
nöthen befinde. Bei dem Anblick jenes Zeichens wendet jeder Mann sofort um.
Von den Weibern werden solche Faserbündel von der Grösse eines Kinder^opfes
für diesen Zweck stets vorräthig gehalten. (Bartels^.)
Bei den Basuthos wird die Hütte, in welcher eine Gebärende sich be-
findet, durch ein über der Thür befestigtes Bündel Rohr der allgemeinen Rück-
sicht empfohlen. (Hamy.)
Auch bei den Topantunuasu, einem Volksstamme auf Selebes, darf, wie
Riedd^^ berichtet. Niemand das Zimmer betreten, in welchem die Entbindung
stattfindet. Erst wenn das Kind gebadet ist, darf der Vater hereinkommen und
es besichtigen.
14 XXXVI. Die Geburt im religiösen und YolkB-Glanben.
Bei den B adagas im Nilgiri-Gebirge (Indien) yerlassen die Manner so-
fort, wenn die Frau Geburtsschmerzen empfindet, das Hans (Jagor)\ ebenso sind
bei den Georgiern und Armeniern, wo sich die Frau vor der Niederkunft
am ganzen Leibe reinigt, die Manner bei diesem Vorgänge nicht gegenwärtig und
sehen selbst drei Wochen nach der Entbindung die Frau nicht. Der Hotten-
totte muss, sobald die Geburtshelferinnen, welche der Frau beistehen wollen, seine
Hütte betreten haben, dieselbe verlassen und sich wahrend der Niederkunft nicht
in derselben sehen lassen. Kommt er doch hinein, und es gelangt dies zur öffent-
lichen Kenntniss, so muss er seinen Freunden zwei Hammel zum Besten geben.
(Kölb.) Auch bei den Omaha-Indianern darf kein Mann Zeuge der Geburt
sein. Der Mann und die Kinder gehen während dieser Zeit in eine andere
Wohnung.
Bei manchen anderen Stammen hat sich dieses Verbot schon insoweit ab-
geschliffen, als im Allgemeinen allerdings ausser den direct helfenden Frauen
Niemand bei der Niederkunft zugegen sein darf, jedoch wird dem Ehegatten der
Zutritt gestattet. Das finden wir auf den Luang- und Sermata-Inseln und
auch in dem Haawu -Archipel, und auf den Babar-Inseln wird seine Anwesen-
heit sogar gefordert, da er an den Hülfeleistungen bei der Entbindung einen
thätigen Antheil nehmen muss, indem er der Kreissenden den Bauch massirt.
{Riedd.)
Aus Bosnien berichtet Glück:
„Das Bestreben, den Gebnrtsact wenigstens vor den Männern im Hause geheim zu
halten, tritt in Bosnien überall auf dem Lande za Tage. Sowie die Frau nur die Wehen
verspürt, werden die Männer unter allen möglichen Vorwänden aus dem Hanse entfernt. Der
Mann soll sich Oberhaupt in diese weibliche Angelegenheit nicht mischen."
Das sind also Nachklänge alter Sitten, deren ursprüngliche Beweggründe
dem Volke vermuthlich längst schon aus dem Gedächtniss entschwunden sind.
XXXVIL Die Mythologie der Geburt.
224. Die Entstehung mythologischer Anschannngen über die
GebnrtSTorg^nge.
In der Einleitang des Torigen Kapitels wurde bereits darauf hingewiesen,
wie der weit ausgedehnte Animismus, welchem wir bei den Naturvölkern begegnen,
die sie umgebende Nalur mit geföhrlichen Dämonen beyölkert, deren Gewalt sie
nur durch den Beistand überirdischer Mächte entgehen können. Immer mehr
und mehr nimmt dann eine solche schutzverleihende Macht den Charakter und
die Gestalt einer Gottheit an, deren Hülfe man sich durch Gebete und durch
Opfergaben versichern muss. Es wird uns daher auch wohl begreiflich, dass
gerade ein so aufregender Vorgang, v^e die Entbindung der Frau ihn bildet,
sehr häufig ganz besonderen Gottheiten unterstellt wird, welche meist weiblichen
Geschlechts, die Dienste ab Geburtshelferinnen übernehmen müssen.
Bei der Vielheit der guten Geister, die im steten Kampfe mit den Dämonen
leben, kommt es ja naturgemäss allmählich zu einer Theilung der Arbeit, und
schliesslich hat dann in der Weltregierung ein Jeder sein streng abgegrenztes
Gebiet. Hat sich aus dieser Vielheit der Götter der Monotheismus herausgebildet,
dann steht natürlich dem einheitlichen Gotte auch die alleinige Macht über das
Wunder zu, das sich in dem Acte des Gebarens vollzieht. Aber auch bei den
monotheistischen Völkern hat der einige Gott den Kampf mit dem bösen Geiste
auszufechten, wobei ihm gar nicht selten Hülfsgeister oder Heilige zur Seite
stehen.
Es ist eine bemerkenswerthe Erscheinung in dem geistigen Leben der Völker,
dass die Gottheit, welche nach ihrem Glauben der Geburt vorsteht, auch in der
Zeugung, diesem wundersamsten Naturprocess, sich kundgiebt.
Bei vielen Nationen, welche in dem sinnlichen Wesen ihren eigensten Ge-
fühlsausdruck finden, vnrd dann dieser Göttin der zeugenden Kraft die Verehrung
unter der Befriedignng des schamlosesten Sinnesgenusses dargebracht. Wir werden
in den folgenden Abschnitten derartige Gottheiten kennen lernen.
225. Die Gottheiten der Geburt bei den alten CnItnrYolkem des
Enphrat-Tigris-Gebietes.
laicht nur die Griechen und ROmer hatten eine die Gebortehülfe berührende Mytho-
logie, wie es fast scheinen möchte, wenn man in v, Siebold's Versuch einer Geschichte
der Gebnrtshülfe nur deren Mythe behandelt findet; vielmehr sind alle alten Völker des
Orients, d. h. ganz Vorder- und Süd-Asiens sowie Aegyptens, im Besitze einer geborts-
hülflichen Götterlehre. Ans neueren Forschungen geht sogar hervor, dass eine recht grosse
Zahl alter Völker den Schutz der Geburtshülfe einer und derselben Gottheit zuschrieben.
16 XXXYII. Die Mythologie der Gebort.
Ihre Geburtsgottheiten echeinen in vielen Fällen identisch za sein. Entweder hat somit ein
Volk Ton dem anderen die Verehnmg der GeburtsgOttin angenommen, oder die betreffenden
Völker kamen anabhängig von einander darauf, eine ähnliche göttliche Gebartehelferin in
ihren religiösen YorstellungskreiB aufzunehmen. Das erstere werden wir wohl als das wahr-
scheinlichere betrachten müssen.
Auf dem Gebiete Vorder- Asiens hausten in uralter Zeit zwei Rassen: eine mon-
golisch-turanische, die Sumerier, und eine semitische, die Chaldäer; beide hatten
ihren spedfischen Religionscult ausgebildet; doch die mongolisch-turanische Völkerschaft,
welche in frühester Zeit Babylon bewohnte, war in ihrer Cultur viel weiter vorgeschritten,
als zu gleicher Zeit die semitischen Völker. Die Sumerier hatten andere Götter als die
Chaldäer, Phönicier, Araber u. s. w. Als jedoch die semitischen Chaldäer in
Assyrien eindrangen und sich Babylon unterwarfen, da konnten sie als minder cultivirte,
obgleich herrschende Nation der mächtig auf sie einwirkenden Cultur des überwundenen
Volksstammes nicht widerstehen. Vielmehr nahmen sie einen grossen Theil des ihnen impo-
nirenden Cultus an. Die Istar wtrde als Herrin des Himmels, des Bodens, der Ebene u. s. w.
in besonderen Tempeln verehrt In der Sintiiuth- Legende jammert sie: «Ich gebäre die
Menschen nicht dazu, dass sie wie Fischbrut das Meer füllen.' (Sayce,) Sie wird von Jere-
miaa in der Bibel als AaüUheroih angeführt und erhielt dann bei den Babyloniern, Assy-
rem, Phöni eiern u. s. w. den Namen Astarie. Die phönicische Astarte, die Alles Ge-
bärende, hatte auch auf den Klein- Asien benachbarten Inseln (vor Allem auf Cypern) be-
rühmte Cultstätten, in deren Tempelruinen noch jetzt viele Weihgeschenke gefunden werden.
fPalma di Ceanola.J
Dass die Chaldäer schon frühzeitig auch den Mondcultus hatten, bezeugt das Alte
Testament, denn Abraham fand denselben in der alten Stadt Haran. Die Chaosgöttin der
Chaldäer hiess Thlalat, welche mit der Eikithyia identisch ist, und gilt (bei Berosus und
AhydenusJ gleichbedeutend mit Selene.
Die babylonische Astarte trat nicht nur als Göttin des Empfangens und Gebarens,
sondern auch als himmlische Jungfrau, Königin der Nacht, als Königin des
Himmels auf. Mit ihrem Namen verband man die Idee der feuchten, empfangenden, frucht-
baren Erde und des befruchteten und hinwieder befruchtenden Mondes. Als Göttin der
Fruchtbarkeit war sie die allgemeine Mutter, die AUgebärerin, und trug als Symbol den weib-
lichen Gürtel. In der Vorstellung der Griechen identificirte sich diese Göttin mit ihrer
Aphrodite; hierüber sagt Härtung: „Die Aphrodite oder die kyprische Göttin ist dem Namen
wie der That nach Eins mit der Aschera, Astarta^ Asteröth, Astarte. In der Gegend von
Troja wurde dieser Name in Adraste umgedreht."
Neben dem Bei oder Bil der Babylonier, dem Baal der Semiten (Phönicier)
stand die Aschera der Syrer, die Mylitta der Babylonier, welche die Göttin der Frucht-
barkeit, die gebärende Naturkraft war. Die Babylonier verehrten zuerst drei Götter:
Anul, Bil und Hea mit ihren drei Frauen Anat, Beltis oder Mylitta und Bavkina, Die Frau
des Bel^ die Mylitta, scheint noch angesehener gewesen zu sein, als er selbst; sie heisst die
grosse Göttin, auch die Mutter der Götter, und man findet ihre Tempel in Ur, Warka
und Nif f er. Ausserdem hatten die Babylonier noch drei Götter und drei Göttinnen, unter
denen die Sonnengöttin unter dem Namen Ananit angerufen wurde. (Spiegel.) Bemerkens-
werth ist bei dieser Ananit, dass nach Berosus' Angabe der Perser-König Artaxerxes den
-4nattw-Cult in Babylon einführte.
Zu Ehren der Mylitta fand in Babylon, wie Herodot als Augenzeuge berichtet, reli-
giöse Prostitution statt: Gesetzlich war jede eingeborene Frau gehalten, einmal in ihrem
Leben den Tempel dieser Göttin zu besuchen, um sich dort einem Fremden preiszugeben.
Viele der Damen, die vornehm und stolz waren, verschmähten es, sich mit den Frauen niederer
Herkunft zu vermischen: sie begaben sich in verdeckten Wagen in den Tempel, wo sie Platz
nahmen, eine grosse Anzahl Sclavinnen hinter sich, während die anderen Weiber, den Kopf
mit Kränzen von Schnüren geschmückt, auf dem abhängigen Erdreich vor dem Tempel sassen.
So bildeten diese gleichsam Alleen, welche durch ausgespannte Stricke getrennt waren, und
welche nun die Fremden durchwanderten, um nach Neigung zu wählen. Wenn eine Frau
dort Platz genommen, so durfte sie denselben nicht verlassen, bevor ihr nicht ein Fremder
Geld auf den Schooss geworfen, wobei er die Göttin Mylitta anrief; dann begab sie sich mit
ihrem Galan ausserhalb der geweihten Stätte, brachte mit ihrer Preisgebung das der Mylitta
schuldige Opfer und ging nach Hause. Der Prophet Baruch erzählt schon zwei Jahrhunderte
vor dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot von diesem schimpflichen Cult in denf
Briefe des Jeremias an die Juden, welche Nebukadnejsar in die Gefangenschaft geführt hatte.
226. Die Gottheiten der Geburt bei den phönicischen Völkern. 17
Und ein halbes Jahrtausend nach Herodot fand Strabo noch immer dieses der Göttin ge-
heiligte «Lager der Prostitution*, einen weiten, den Tempel umschliessenden Raum mit Zellen,
Laubg&ngen, Hecken und kleinen Gärten versehen.
Am unteren Euphrat und Tigris wohnt noch jetzt eine eigenthümliche , dem Dua-
lismus in der Religionslehre huldigende Secte, die Mand&er, von denen Petermann Näheres
berichtete; sie verehren die Rucha, die Mutter des weltgrossen Ungeheuers ür. Von dieser
jRueha, von der alle Zaubereien und bösen Lüste kommen sollen, lässt sich nichts Gutes aus-
sagen, ausser dass sie den Gebärenden Beistand leistet. So scheint denn diese Göttin, wie
Braun meint, gewissermaassen analog zu sein mit der babylonischen Urnachtgöttin,
der geburtshelfenden Ilidhya der Griechen u. s. w., die als LiUth, Lamia u. s. w. ebenfalls
zum bösen Schreckgespenst geworden ist.
226. Die Gottheiten der Geburt bei den pbonieischen Yolkem.
Die Verehrung der Aaiarte war von den Völkerschaften des Euphrat- und Tigris-
Gebietes auch auf die Phönicier übergegangen. Durch ganz Syrien war ihr mit religiöser
Prostitution verbundener Cultus verbreitet, doch meist huldigten ihr die Frauen, während die
Männer eine Gottheit, aus der sich später der Priapua entwickelte, verehrten« Die Ästarte
hatte ihre Tempel in den Hauptstädten Phöniciens, von welchen die zu Sidon, zu
Heliopolis in Syrien und zu Aphaca am Libanon die berühmtesten waren. Die nächt-
lichen Feste der Astarte, welche hier beide Geschlechter in sich vereinigte, feierten Männer
in Frauen-, Frauen in Männer-Kleidung. Die scheusslichsten Ausschweifungen fanden statt,
wobei eine Schaar von Priestern unter Musik die Geremonien regelte. Im vierten Jahrhundert
n. Chr. schaffte Constantin der Grosse diese Feste durch ein Gesetz ab und zerstörte den Tempel
der Ästarte (nach Eusebiw).
Durch die Phönicier wurden der Ästarte auch auf der Insel Cypern Altäre errichtet.
Homer erzählt, dass die aus dem Meere entsprungene Aphrodite, wie der glänzende Stern
üranta, den die chaldäi sehen Hirten in schönen Sommernächten daraus aufsteigen sahen,
zu ihrem irdischen Reiche die Insel Cypern gewählt habe, und dass die Götter bei ihrer
Geburt sie ihr zum Antheil angewiesen hätten. Ästarte trat nun, wie in Babylon als
Mylitta, hier als Aphrodite auf. Zwanzig Tempel errichtete man ihr auf der Insel; zu Paphos
und Amathus waren die berühmtesten, wo auch die Prostitution den höchsten Grad ihrer
Ausbildung erreichte; die Töchter Cyperns opferten zur Ehre Gottes ihre Keuschheit. Sie
spazierten Abends am Meeresufer und verkauften sich den Fremden, welche auf die Insel
kamen. Justinus erzählt, dass sie zu seiner Zeit allerdings noch diese Spaziergänge beibehalten
hatten, allein das Geld, das sie einnahmen, zu einer Mitgift für ihre Männer sparten, anstatt
es, wie noch zwei Jahrhunderte früher, auf dem Altar der Göttin niederzulegen.
Als cyprische Göttin trug die ^9^art6 auf dem Haupte, ähnlich der Isis, Kuhhömer,
die sie als Mondgöttin ankündigten« Es waren ihr die Granatäpfel geweiht als Sinnbild
der Fruchtbarkeit; auch Fische waren ihr Symbol und femer der Spinnrocken.
Wenn sich nun mehrere dieser Symbole, namentlich der Spinnrocken, sowie der Um-
stand, dass ihr die Tauben heilig waren, bei den Geburtsgottheiten anderer Völker wieder-
finden, so entsteht die Frage, in wie weit hier eine Uebertragung stattfand. Die Tauben er-
innern an das Reinigungsopfer der Juden, welches gleichfalls in Turteltauben dargebracht wurde.
In Kleinasien gab es zu Zela und Comana im Pontus, zu Corinth, wie zu
Susa und Ekbatana in Medien, auch bei den Parthern Tempel, in welchen Orgien
gefeiert wurden. In Lydien bedurfte es bald nicht mehr des Vorwandes eines religiösen
Festes, um den Mädchen alle Rücksichtslosigkeit zu gestatten, damit sie sich durch Pro-
stitution eine Mitgift verdienten.
In Phrygien verehrte man die Cybde, die verkörperte Erde, die von dem Phallw-
gotte, der Sonne, ihrem Manne, befruchtet wird; sie stellt zugleich mit dem Bilde des
Phallus die Naturgöttin dar: ihre Priester (GdlliJ entmannten sich und leg^n weibliche
Kleidung an; im Herbst und Frühjahr wurden diese Gottheiten in ausschweifender Weise
gefeiert Weil die Fruchtbarkeit dadurch entstanden sein sollte, dass die Samengefässe des
Sonnengottes auf die Erde gefallen waren, deshalb nahmen die Priester an sich selber die
Entmannung vor.
Die Sabäer und Jezdianen feierten eine der Venus ähnliche Gottheit, die Göttin
der Zeugung, der man mit Safran räucherte und deren Dienst Weiber besorgten. Ihre Mytho-
logie kennt man noch wenig.
Ploss-Bftrtels, Das Weib. 5. Anfl. IL 2
18 XXXVII. Die Mythologie der Gebart.
Von Babylon auf verbreitete sich der Astarte-CvltvLS zu mehreren semitischen
Völkern, welche zum Theil schon ihre eigenen Zeugungs- und Greburtsgottheiten hatten, diese
aber mehr oder weniger schnell und eng mit der Ästarte Temüschten. Von den PhOniciern
haben wir schon gesprochen; sie trugen die Verehrung dieser neben dem Baal, dem Gölte
des Befruchtens, stehenden Göttin flberall hin in ihre Colonien. und ebenso war neben
Jahtceh und Moloehf und neben dem am meisten verehrten B€ud in Alt -Israel, der Cultus der
Aschera zur Zeit des Salomon und der anderen polytheistischen Könige ganz populär. Die
gute Göttin Ascheray die Baalath des Baal, war im Grunde identisch mit Istar, mit der
ul«tatte der Babylonier, der Tanit oder Rübat-Tanit Garthagos, mit der syrischen
Göttin zu Hieropolis, der Baalak von Biblos, der Derketo zu Askalon und der assy-
rischen Mylitta (Büit). Diese Gattin des Beel (Bdit), die Mutter der grössten Götter, galt
nach Menant denAssyrern als die Göttin, die den Geburten vorsteht, und Herodot sagt
ausdrücklich, dass die Aphrodite der Assyrer Mylüta, und die der Araber ^2^tto seL Die
südcananäischen Völkerschaften scheinen diese Göttin nach Juda und Israel gebracht
zu haben, bei denen sie bis zur babylonischen Gefangenschaft verehrt wurde.
Die alten Araber beteten vor der Einführung des Mohamedanismus die Mondgöttin
Alilath, auch Alüta, arabisch al-llähat, als Göttin der Fruchtbarkeit und Geburt an. Nach
Herodot hatten sie zwei Gottheiten: Orotal und Alitat Herodot bemerkt, dass diese Gottheiten
mit dem Dionysos und der Urania identisch seien. An einer anderen Stelle nennt er die
Alilat auch Alitta, Krehl hat nun nachgewiesen, dass Orotal (auch Urotal) arabisch Nuräüa,
d. h. Licht Gottes, geheissen und die Sonne bedeutet habe, w&hrend Alilat (aUIldhatJ die
Göttin des Mondes war und nur deshalb mit der Urania, sowie mit der Mylitta (nach
Herodot die Venus der Assyrer) verglichen werden konnte. Krehl sagt: »Die an der Küste
des mittelländischen Meeres ansässigen Araber verehrten als Gottheiten die Sonne und
den Mond mit einem Cultus, dessen Formen von dem ursprünglich einfachen bereits verschieden
waren. Die anflLnglich als Sitze und Erscheinungsformen der Gottheit angesehenen Gestirne
des Tages und der Nacht verehrte man bereits als Götter, welchen man die Veränderungen des
Naturlebens, die Befruchtung und Erzeugung, Wachsthum und Blühen, Leben und
Sterben zuschrieb. Als spätere männliche Gottheit verehrte man die Sonne, welcher als
schwächeres weibliches (d.h. empfangendes und gebärendes) Princip der Mond gegen-
überstand, dessen Cultus, der ihm zu Grunde Hegenden Idee entsprechend, bereits Formen
angenommen haben mochte, welche denen der Culte desselben (weiblichen) Princips bei anderen
Völkern ähnlich waren.*
227. Die Gottheiten der Geburt bei den alten Aegyptem.
Die Kanaaniter, welche die Hyksos -Dynastie in Aegypten aufrichteten, brachten
die Mylitta als MoUdeth oder Jöledeth in das ägyptische Reich. Hier fand sie unter dem
Namen HUhyia in der Stadt gleichen Namens als Mond und Geburtsgöttin vorzugsweise
Verehrung*); sie wurde auch Soben genannt, indem sie ganz mit der Pacht oder Isis, der
einheimischen Geburts- oder Mondgöttin der Aegypter, sowie mit der Neith, der Göttin des
Weltstoffs der Nacht, als Geburtshelferin und als Ueberwacherin des Welt- und Menschen-
schicksals, identificirt wurde. Vier Götter, sagt Macrobitts, sind es, welche nach ägyptischer
Lehre der Geburt des Menschen beistehen: Dämon, Tyche, Eros, Ananke, Unter diesen sei
Dämon die Sonne und Tyehe sei der Mond — , sie, mit der die Körper unter dem Monde
wachsen und schwinden, und deren immer veränderlicher Lauf die vielförmigen Wechsel des
Menschen begleitet. Diese alt ägyptische Geburtsgöttin, die PmM oder Pascht, die Katzen-
göttin, die auch als Bitbastis bezeichnet wurde, hatte in Bubastis einen sehr schönen Tempel.
Sie war auch zugleich eine Liebesgöttin. Die jährlich von überallher in Bubastis zusammen-
strömenden Menschen feierten Feste, die an Ausgelassenheit die Nachtfeste der Venus über-
trafen. Die Frauen, welche in Booten mit Männern herbeikamen, drückten, wie es heisst,
ihre Freude durch Gesang und Geklapper aus, und wenn die Herbeischiffenden zu einer Stadt
gelangten, stiegen sie an das Land, hoben die Kleider auf und forderten auf diese Weise zur
Liebe heraus. Höchst wahrscheinlich wurde diese Pascht auch bei Geburten angerufen, denn
*) Nach der Ansicht Einiger stammt die ägyptische Bithyia von der Anahita der
Iranier her. Allein Heinse, Seiden (De Diis Syr. IL S. 161) und Voss (De Theologia gentili
U. S. 26) leiten die Bezeichnung der llithyia von dem Worte ibD^ die Geburt, her (der
Stamm von l?^).
228. Die Gottheiten der Geburt bei den iranischen Völkern. 19
die Isis (-FaM) war eine den Kranken and Leidenden heilbringende Gottheit und Herodot
nannte sie Artemis.
Wir können die Untersuchungen der Mythenforscher, welche bestrebt waren, den Zu-
sammenhang dieses GOtterkreises darzulegen, nicht unbeachtet lassen. Von der Ilithya sagt
Braun, welcher die ganze Sagenwelt der Mythologie auPAegypten als das Stammland
zurückfahren will, von wo sie dann über Babylon auf die anderen L&nder übergegangen
sei, dass sie eine der ältesten Gottheiten der Aegypter war. Auch er erkennt Ilithyia
als ihr Hanptheiligthum an. Ihr Name Joledeth oder Moledeth, d. h. die Gebärenmachende,
war aber nicht ägyptisch, sondern semitisch und ein Ueberrest aus den Zeiten kana-
anitischer Herrschaft, der Hyksoszeit, in welcher man in Iliihyia der GOttin des Ortes
Menschenopfer darbrachte. Diese Göttin war dargestellt als ein fliegender Greier und hiess
Mutter Gottes, Grosse Göttin und mit Eigennamen Soben, Sie hält Pfeil und Bogen,
die Sinnbilder der Geburtsschmerzen, in der Hand. Dass Soben nur ein ägyptischer Name
für Bithyia sei, dafür bürgt auch, wie Braun sagt, die Sorge, welche die Soben in ägyp-
tischen Wandsculpturen einer gebärenden Göttin oder Königin (zu Hermonthis der
Kleopatra) angedeihen lässt. Braun ist bemüht, die Einheit von den Göttinnen Ilithyia,
Sehen und Pac^t durchzuführen. Die Pacht-Ilithyia ist nach ihm die Urranmsgöttin; der
innenweltliche obere Raum heisst als Göttin Säte, d. i. die Hera der Griechen; die Unter-
welt aber ist Haihor (Nacht, Göttin Nyx), die ebenfalls nur ein Theil der Urraumsgöttin
Pacht'Bithyia sein soll. Die Hathor trägt um den Hals ein weites, nach vom wulstiges
Halsband und hebt dasselbe mit der einen Hand etwas auf. Braun glaubt darin einen Gurt
zu erkennen, welchen die Göttin als rettenden Halt für Gebärende und Versinkende anbietet,
denn es kehren Gürtel und Halsband bei den I Uthyiaf ormen Harmonia und Lettkothea wieder.
Die Hathor ist die Gemahlin des Sonnengottes, dem der Stier geheiligt ist, daher gebührt
ihr symbolisch die Kuh, auch wird sie in Kuhgestalt oder kuhköpfig dargestellt. Ein Ab-
zeichen der Urraumsgöttin Ilithyia war auch der Mond. In der Stadt Iliihyia verehrte
man, wie Eusebius berichtet, die geiergestaltige Göttin, und diese Geiergestalten haben die
Selene, die Erzeugerin der Seelen, bedeutet. Braun weist darauf hin, dass auch die chal-
däische Chaosgöttin TThalath (gleichfalls Ilithyia) bei Berosus und Abydenus als gleich-
bedeutend mit Selene gilt
Da Ilithyia ägyptisch auch Menhi heisst, so vergleicht Braun damit die babylonische
Meni, die von der Septuaginta mit Tyche übersetzt wird. Von dieser Meni-Tyche aber
stammt nach Braunes Ansicht der phrygische Mondgott Men, Er ist mannweiblich, wie
Ilithyia- Tyche, und konnte einerseits zur Mondgöttin Mena der Griechen, andererseits zum
Gott Mani und Mond der Germanen werden.
Von der Weltranms-G^ttin Pacht-Ilithyia ging Vieles auf die Isis Über, welche eben-
falls Tyche (Schicksal) genannt wurde. Namentlich ist auch die Geburtshülfe Sache der Isis.
(ApulJ Ovid ruft sie für eine Gebärende an, und in dem grossen auf Andres gefundenen
Hymnus nennt sie die Geburtshülfe als ihr Geschäft. Dem Namen Athor, Athyr weist man
der Isis zu (Plutarch), und beide konnten leicht Eins werden, da auch Isis als Herrin der
Unterwelt galt. Aus d&r Isis gingen für die Griechen die Hera, Persephone und Aphrodite
hervor; der I^ia-Tochter Anath (BubastisJ aber entspricht die Artemis,
228. Die Gottheiten der Geburt bei den iranischen Tolkem.
Bei den iranischen Völkern Asiens, den alten Persern, Modern und Baktrern,
wurde in der Religion Zoroaster's auch dem Monde eine Beziehung auf die Zeugung zu-
gewiesen; er soll den Samen des Viehs, den Samen des Stiers, d. h. des erstgeschaffenen Stiers
aufbewahren, er soll der Geburt vorstehen. fVendidadJ Allein die Mondgöttin dieser
Völker ist jedenfalls noch vorzarathustrisch und ihr Cult war, wie wir zeigen werden, in
frühesten Zeiten schon sehr verbreitet. Nach Herodot erklärten die Magier bei diesen Völkern
den Mond für ihr Gestirn. Sie riefen als wohlthätige Macht des Himmels den Mond an,
wenn sie bei gestörtem Geburtsverlauf oder bei Wochenbettsleiden die vermeintliche Wirkung
der Daeva oder Geister zu bannen gezwungen waren.
Die Anaitis, auch Anahita und Anaia, auch Aine, ist diese Mondgöttin der Perser,
der Cappadocier, der Armenier und Meder. Alle diese Völker verehren den Mond.
Die Armenier hatten einen Haupttempel dieser Göttin, welche auch als Göttin des
Wassers bezeichnet wird, zu Erznidschan und in Thiln. (Spiegel.) Diese Göttin wurde
im 11. und 12. Jahrhundert, sogar bis zum 15. Jahrhundert von der Secte der Sonnen-
2»
20 XXXYII. Die Mythologie der Qebort.
sOhne (Arevordi) in der Stadt Samosata und deren Umgegend yerehrt, einer Secte, die
wahrscheinlicli mit der heutigen der Schema ije identisch ist (800 Anhänger derselben wohnten
nach Dupre im AnfiEuig anseres Jahrhunderts in der Stadt Mar diu). Den Cnltns dieser
Gottin hat Windiscktnann zum Gegenstande seines besonderen Studiums gemacht und wir
beziehen uns hier auf die Ergebnisse seiner Arbeit.
Der älteste Zeuge über die Änahita ist Beroaus (um 260 v. CShr.), welcher im 8. Buche
seiner chaldftischen Geschichte berichtet, die Perser hätten menschengeetaltige GM^tter-
bilder, deren Verehrung ÄrtaxerxeSt des Darius Vater, eingeführt, indem derselbe der Aphro-
dite AnaiHs Standbilder zu Babylon, Susa und Ekbatana, zu Damaskus und Sardes
aufgestellt hätte. (ClemenaJ Femer erwähnt Polybius, der um 205—128 v. Chr. lebte, den
Tempel der Aine zu Ekbatana, der Metropole yon Medien. Von diesem spricht auch
IHdonu von Charax, der ausserdem als einen anderen Sitz des Anaüis^CvltuB die Stadt
Eonkabar im oberen Medien bezeichnet. Dass sich aber der ulna»(t9-Dienst der Perser
und Meder auf Armenien und Cappadocien ausgedehnt hatte, lehrt ;S^ra&o, der 60 Jahre
y. Chr. geboren wurde; er erzählt, man feiere bei der Stadt Zela in einem der Anaitis
errichteten Heiligthum alljährlich Feste, die Sakäen, zum Andenken an die Niederlage der
Saker, und .nach einigen soll schon Cyrua die Saker yemichtet und die Sakäen eingesetzt
haben*. Hiemach würde der Cultus der Anaitis noch in die Zeit yor Cyrus reichen. Femer
sagt Strabo, dass yorzugsweise die Armenier die Anaitis namentlich in Akilisene ver-
ehren und dass ihr die Angesehensten im Volke ihre TOchter zur Prostitution weihen. Wenn
diese Mädchen, die auf den Wunsch ihrer Eltern sich auf längere oder kürzere Zeit dem
Dienste der Göttin geweiht hatten, aus dem Tempel austraten, Hessen sie gewöhnlich auf den
Altären alles dasjenige zurück, was sie durch die Preisgebung ihres Körpers erworben hatten.
Dann waren aber auch immer Männer bereit, in den Tempeln Erkundigungen über die An-
tecedentien der jungen Priesterinnen einzuziehen, wobei gewöhnlich diejenigen, welche die
grOsste Zahl von Fremden angenommen hatten, für die Ehe die gesuchtesten waren.
Der zur Zeit C^mti lebende Diodorus yon Sicilien sagt, die Artemis werde besonders
von den Persern verehrt, und P^mitM nennt eine Religion Armeniens Anaitica und führt
einen Tempel der Diana zu Susa an, in welchem das goldene Bildniss der GOttin gestanden
habe. Ebenso gedenkt P2utorcA der persischen Diana und des Attributs derselben, der ge-
weihten Kühe. Tacitus führt den Cult der persischen Diana ebenso wie Strabo auf Cyrus
(wie es scheint, den Aelteren) zurück.
Paiuanias (180 v. Chr.) spricht von der t aurischen Artemis, welcher die Cappa-
docier und Lyder als Artemis Anaitis Heiligthümer errichtet hätten; er giebt auch eine
Andeutung darüber, dass griechische Götterbilder der Artemis durch die Perser kriege
nach Persien als Beute kamen. Höchst wahrscheinlich hat Artaxerxes zu jener Zeit als
Neuemng den Bilderdienst der Anaitis eingeführt. Auch erzählt Pausanias von einem der
Artemis geweihten Tempel der persischen Lyder zu Hierocäsarea, wo sich das Feuer
von selbst entzünde. Agathias bringt unter anderen Andeutungen über das altpersische
Religionssystem den Namen der Aphrodite Anaitis neben dem Gotte Belus und dem Herakles
Sandes zur Sprache, wobei er der Ansicht ist, dass der Cult dieser Götter ein dem zara-
thustrischen Wesen vorausgehender war. Eine wichtige Stelle findet sich bei Herodot,
wo es heisst: «Den genannten Göttern allein opfern die Perser von Alters her; sie haben
aber dazu gelernt, auch der Urania zu opfern, indem sie dies von den Assyrern gelernt
und den Arabern; es nennen aber die Assyrer die Aphrodite Mylitta, die Araber AKtta,
die Perser aber Mitral Es ist allerdings auffallend, dass Herodot hier nicht die Anaitis
erwähnt, sondern eine Göttin Mitra nennt. Dennoch wird die einheimische persische
Aphrodite wohl keine andere als die Anaitis gewesen sein, welche nur eine dem vorder-
asiatischen Cultus ähnliche Form angenommen haben mag, deren Gipfel dann ihr Bilder-
dienst unter Artaxerxes wurde.
Sämmtliche Zeugnisse des klassischen Alterthums ergeben nach Windischmann* s Ansicht
folgendes Resultat: Anaitis, von den Alten vorwiegend Artemis und zwar die persische
Artemis genannt, aber auch mit Aphrodite parallelisirt, hatte inmitten offenbar zarathustri-
6 eh er Institutionen und neben Wesen desselben Religionssystems (die Götter Omanos und
Anadatos) einen weitverbreiteten Cultus in Persien, Baktrien, Medien, Elymais,
Cappadocien, Pontus und Lydien. Ihre Tempel sind zu Babylon, Susa, Ekbatana,
Konkabar, zu Sardes, Hierocäsarea und Hypäpa, in Damaskus, in Zela, in
Akilisene, einer armenischen Provinz. Ihr Dienst wurde von Priestern und Hierodulen
versehen und war mit Mysterien, Festen und unzüchtigem Wesen verbunden ; die persischen
Feste, genannt die Sakäen, werden mit ihr verknüpft; heilige Kühe sind ihr gewidmet.
229. Die Gottheiten der Gebart bei den Indern. 21
Artaxerxea Mnemon stellte ihr zuerst Bildsäulen auf und führte dadurch den Bilderdienst in
Persien ein; ihre Statue zu Susa war von massivem Golde und diese wurde ein Menschen-
alter vor Christus im parthischen Kriege geraubt. Manche f&hrten ihren Cultus auf die
taurische Artemis zurück; Andere suchten ihn schon in den Zeiten des Cyrus, Jedenfalls
schliesst die Angabe: ^Ärtaxerxes habe zuerst ihr Bild aufgestellt'', einen bilderlosen Cultus
der Anaüis ebenso wenig aus wie bei den anderen Gottheiten. Die von Herodot bezeugte
Existenz einer Aphrodite bei den Persern lässt vielmehr das hohe Alter desselben nicht
bezweifeln.
Aber auch in den iranischen Traditionen findet sich die Anahita wieder, wie
Windisehtncmn gezeigt hat. Sie kommt in allen Theilen des Zendavesta unter diesem
Namen vor: als ardvi ^a Afiahita, als GOttin des überirdischen befruchtenden Wassers, des
alle Fruchtbarkeit der Gewächse, Thiere und Menschen bedingenden Urquells, von wo alles
irdische Gewäeuer entspringt. Im Zendavesta steigt sie zum Schutz, zur Erhaltung und
Beherrschung der Länder vom Schöpfer herab, von den Sternen, vom Berg Hukaira, und
fliesst zum See Vourukascha hin; es wird ihr Denken zugeschrieben, vier weisse Bosse
führen sie: Wind, Regen, Wolken und Blitz. Sie strOmt so gewaltig, wie alle Wässer der
Erde zusammen. Sie erscheint in der Gestalt einer schönen, rein geformten Jungfrau, erhaben,
mit buntem Glanz umgeben, an den Füssen in goldglänzende Schuhe geschnürt. Auch trägt
sie ein goldenes üebergewand, schweres Ohrgehäng und auf dem Kopfe goldenes Geschmeide;
sie ist umg^ürtet und ihr Gewand besteht ans kostbaren Biberfellen. Als eine besondere
Wirkung der Anahita wird ferner im Zendtexte angegeben, dass sie aller Männer Samen
reinigt, aller weiblichen Wesen Fötus reinigt zur Geburt und ihnen Muttermilch giebt. Die
jungen Mädchen rufen sie an um einen starken Hausherrn, die Schwangeren und Gebärenden
um glückliche Geburt. Nach Allem unterliegt es keinem Zweifel^ dass die Anahita der Zend-
Schriften mit der Anahit der Armenier und der Anaüis identisch ist. Und ihre Beziehung
auf Befruchtung und Geburt rechtfertigen ihre Parallelisirung mit Aphrcditef wie andererseits
ihre Reinigkeit und Kraft diejenige mit der Artemis,
229. Die Oottheiten der Geburt bei den Indern.
Dass auch die alten Inder Schutz- und Hülfsgottheiten für Gebärende hatten, geht
aus SitsnOa^s Ayurvedas hervor. Denn bei schwerer Geburt rief der Brahmanen-Arzt in
seiner Beschwörungsformel (Mantra) die Gottheiten an: Anala (Gott des Feuers), Pavana oder
Bhavani (Gott der Winde), die Sonne und Vasava (Indra), sowie die Götter, denen Salz
und Wasser gehört: .Ambrosia, Mond, Sonne und Indra's Pferde mögen, o schmerzens-
reiche Gebärende, in Deinem Hause wohnen 1* Die Bhavani, welche die Liebenden anrufen,
und welcher zu Ehren im Monat Phalguni (Mai) eine mit Blumen und Bändern gezierte Stange
aufgestellt wurde, galt den alten Indern als die BefÖrderin der Geburten. Dieselbe Göttin wird
als Mutter der Trimurti dargestellt, und die drei Glatter, obgleich ihre Söhne, vermischten
sich mit ihr. Die spinnende Maja wird sie in den Umarmungen Brahma's, die Indische
Venus, Läkschmif war sie von dem feuchten Wischnu befruchtet, und als Gemahlin des
brennenden Schitoa heisst sie Bhavani. Einmal hatte er des Stieres Gestalt, sie die der Kuh
angenommen, ein andermal wieder hatten sie auf einem Baume als Taubenpaar geheckt, um
die ausgestorbene Schöpfung wieder zu erneuern. Als Urheberin des Todes hiess sie Kali,
d. i. Schwarze.
Die Göttin Nari stellt in der brahmanischen Theologie der Hindu das reine Princip
der Göttlichkeit in doppelter Natur dar; dies ist der ewig fruchtbare und immer befruchtete
Keim, von dem Alles ausströmt, was ist; es ist der Ursprung allen Lebens; es ist Hyrouyag-
harba, die goldene Gebärmutter; es ist das Princip der allgemeinen Anziehung, welche
alle Wesen vereinig^, und die man die Liebe nennt; es ist die unsterbliche Göttin, die Frau
des Nara, der Geist, das weibliche Princip; es ist die Mutter Natur.
Allmählich erhielt Nari einen ganz metaphysischen Cult, der dann in der Epoche des
Verfalls der brahmanischen Macht auf das Büd der weiblichen Reproduction überging,
während Nara die männliche Zeugungskraft darstellte. Beide versinnlichten die materielle
Vereinigrung der Geschlechter. Nara wurde unter der Gestalt des Lingam, des männlichen
Zeugungsgliedes, Nari unter der des Nahm an, des weiblichen Zeugungsorganes verehrt. Die
Tempel (Pagoden), die dem Nara-Lingam geweiht waren, waren für die Männer, die der
Nari-Nahamam geweihten Tempel für die Frauen bestimmt. Hier wurden die schlimmsten
priesterlichen Orgien gefeiert. Hier erwarteten Priester und Priesterinnen, halb entkleidet,
22 XXXYII. Die Mythologie der Geburt.
mit Blumen bekrftnzt, von Wohlgeraohen duftend, in einer durch Räucherungen san duftenden
Atmosphäre die Vertreter der beiden Geschlechter, die su Opferungen kamen, um zu Ehren
des Gottes und der Göttin das Werk der Zeugung zu yoUbringen. In den Aequinoctien des
FrAl^Ahres und des Herbstee waren sämmtliche Einwohner nenn Tage lang im Tempel des
Nora und der Nari, der Fruchtbarkeit der Natur huldigend, in ungezügelter Lust gegen-
seitigen Umarmungen hingegeben. Alle trugen am Halse das Bild des Lingam in obscOner
Weise mit dem Nah am an yerbunden. (JacoUiot,) Dies war der primitive Cult des Lin-
gam, der später in Aegypten, Griechenland und Rom als Fhallus- und als Friapus-
Dienst auftrat.
Bei den jetzigen Hindus wendet man sich mit Gebeten und Opfern bei den Geburten
an den Gott 8Ub oder Sehivm (Qiva), Das ist eine buddhistische Gottheit, ein Gott der
fruchtbaren Natur, wie Visehnu, und sein Name bedeutet Glttck oder Wachsthum. Als zeugende
Kraft fahrte ^iva in seinem Banner den Stier als das ihm heilige Thier; er wurde aber später
sogar im Bilde des Phallus verehrt Der Buddhismus und mit ihm die Verehrung Visäm^s
und (^iva's hatte sich im Gegensatz zu dem von der Priesterkaste aufrecht erhaltenen Brah-
maismus als eine dem Volksbewusstsein mehr zusagende Religion verbreitet, und jene beiden
Gottheiten waren VolksgOtter geworden, gegen deren Verehrung sich die Brahmanen nach-
giebig zeigen mussten. Aber später schieden sich im Buddhismus zwei Secten, dieSchiwaiten
und Vischnuiten. Den Schiwaiten, welche vorzugsweise die schreckliche WMvani ver-
ehrten, gilt die Zeugung selbst als eine theil weise oder gänzliche Zerstörung; mit der Geburt
ist der Tod verbunden; daher ist für sie die Bhavani zugleich die Göttin der Wollust und
auch die Göttin der Zerstörung und des Todes.
Unter den Schiwaiten bildete sich bald ein zügelloser Phallus-Dienst aus. Während
die Vischnuiten mehr die weibliche Zeugungskraft (den Mond) verehren, beten die Schi-
waiten zur männlichen (Sonne). Anfangs war die Vorstellung von der Zeugung als der
göttlichen. Alles schaffenden Macht eine rein geistige; mit der Ausbildung des SchiworJÄenaiM
aber wurde sie eine sinnliche; und an den Festen von Sdiiwä's Gattin, der Bhavani oder
Parmtit ergriff die Zeugungslust die Gemüther epidemisch ; es wurden mit Hintansetzung aller
Kastenunterschiede der Zeugungs-Gottheit CSakti) Opfer gebracht; die Zeugungsglieder Lingam
oder Yoni stellte man bildlich dar. (Fig. 80.)
In Cambodja heisst es, wie Bastian sagt: Unter den Erzeugnissen des Milchmeeres
wird ausser der von dem Götterarzte Dhanvantara getragenen Amrita besonders die Geburt
der Schaumentsprossenen Lakshmi gefeiert; diese Sri Lakshmi wird als von bezaubernder
Schönheit geschildert. Das Fest dieser Göttin des Segens und Glücks ist noch jetzt weit
über den Continent Asiens verbreitet, und ihre Grenzen berühren sich mit den früheren
der grossen Naturgöttin des westlichen Asiens, die unter dem Namen der phrygischen
Mutter, der syrischen Göttin, Demeter, Ceres oder Isis bekannt war. Bei den Kal-
mücken werden beim Frühlingsfest der Göttin Mysterien begangen. Die Göttin verwandelt
sich auch in die grause Göttin Okkün Tengeri (Mutter und Jungfrau).
230. Die Oottheiten der Geburt bei den Orieehen.
Die älteste Göttin der Geburten bei den Griechen ist die Eileiihyia (nach alter
pelasgi scher Form Eletdho hei Pindar), Das war dieselbe Göttin, welche man in Medien
schon längst als Symbol der gebärenden und allemährenden Kraft verehrt hatte, und deren
Dienst dann über die asiatischen Küsten des Schwarzen Meeres her sich nicht nur
über Kleinasien, sondern auch nach Griechenland verbreitete. Herodot bezeugt, dass
die EHeithyienrYerehnmg von den Hyperboreern nach Delos gebracht worden sei; auch
gedenkt er eines Hymnos des Ölen, den auch PausaniM kennt, und letzterer führt an,
dass die Göttin in diesem Hymnos Eulinas genannt worden sei, gleichsam die Lebens-
spenderin. Pausanias sagt, dass die von den Hyperboreern kommende Eileithyia der
Leto auf Delos Hebammendienste geleistet habe; von dort aus sei ihr Cultus auf andere
Völker Übergegangen. Der Mond ist ihr Sinnbild am Himmel, denn er empfängt die Sonnen-
strahlen und fördert die Erzeugung und das Wachsthum auf Erden, die Kuh ist ihr sinnliches
Gegenbild auf der Erde. So ist sie wohl auch wiederum Eins mit der in Scythien ver-
ehrten Stiergöttin, die Taurische genannt. Ihr Hanptsitz war Ephesus, wo hyper-
boreische Mädchen in ihrem Dienste standen, und wo sie dann nachmals als Diana aus
Ephesus aufgefasst wurde.
Man stellte sich vor, dass die Eileiihyia nicht nur den Gebärenden beistand und die
281. Die Gottheiten der Geburt bei den ROmem and Etruskem. 23
Kinder zur Welt beförderte, sondern auch die Wehen selbst durch schmerzhafte Pfeile sendete.
Da man sie mit der Diana, der sp&teren Jagdgöttin, verwechselte, so glaubte man auch, dass
sie mit ihren Pfeilen yorzüglich die schwangeren M&dchen tödte, die ihre Jungfrau schaft
nicht bewahrt hatten. Es fürchteten nur die jungen Weiber, die zum ersten Male gebären,
ihren Zorn.
Schon in Homer's Ilias wird der EUeiihyia an einigen Stellen gedacht und ihr jedes-
mal das Geschäft als Grebxurtshelferin beigelegt Sie kommt sogar dort in mehrfacher Zahl
vor; dies deutet Battuä%&r dadurch, dass es vielleicht zwei Eüeühyien gab, eine günstige
(Epilyaamenkj lösende) und eine ungünstige (Mogostökos, nlKQug «S^ivac ix^vc«). Auch bei
Äristophanes kommt diese Göttin in der zweifachen Bedeutung als Geburts fördern de und
als Geburtszurflokhaltende vor. (Lysistratos.) Nach Theokrit wird sie die Gürtellösende
(Ivöl^mvog) genannt.
Die Mythologie der Griechen hatte aber auch noch andere Göttinnen der Geburts-
hülfe. Da ist in erster Linie die Artemis zu nennen, welche sich zuerst dem Schoosse der
Leto entwand und dann der noch kreissenden Mutter bei der Geburt des Apollo beistand.
Sie hat bei Homer noch keine Beziehung zu der Geburt^ sondern gilt ihm lediglich als Jagd-
göttin. Erst später wird sie Geburtshelferin und wird theils als Eileithyia, theils als Gehülfin
derselben bezeichnet. Die Here war die Göttin der Ehen, mithin auch die der Geburten;
ihre Töchter sind die geburtshelfenden Eileithyien; in Argos erhielt sie den Beinamen
JEileithyia, Schliesslich kommen auch noch die Göttinnen Oenetyllides als Vorsteherinnen der
Zeugung und der Geburt vor.
Hier darf aber auch die Retterin der Schiffbrüchigen, die Leukothea nicht vergessen
werden, denn nach Prdler lässt ihre Gleichstellung mit der EUeithyia und der Mater Matuta
vermuthen, dass sie gleichzeitig für die Frauen die Bedeutung einer Entbindungsgöttin hatte.
Uebrigens hat auch bei ihr die Herkunft aus phönicischen Ideenkreisen mancherlei Wahr-
scheinliches für sich.
231. Die Gottheiten der Geburt bei den Römern nnd Etrnskem.
Die Römer hatten ihre Hauptgottheiten den Griechen entlehnt, allein die Zahl der-
selben durch viele neue vermehrt. Sie nannten die Diana als Vorsteherin der Geburten
Lucina, wie Cicero den Timäus sagen lässt, mit den Beiwörtern lucifera, opifera,opi-
gena. Allein auch Juno galt ihnen als Geburtsgöttin und als Schutzpatronin des weiblichen
Geschlechts. Juno und Diana waren ihnen in dieser Beziehung ein und dieselbe Gottheit,
und so fallen diese, wie v. Siehold sagt, mit der griechischen Eileithyia zusammen. Die
Juno regelte oder schützte die Menstruation als Mena oder mit der Mena gemeinschaftlich;
als Lucina wurden ihr in einem Tempel und einem Haine am Esquilinischen Hügel Blumen
von den Schwangeren geopfert, welch letztere der guten Vorbedeutung wegen nicht anders
als ohne Knoten in den Gewändern und demüthig mit aufgelöstem Haar der Göttin nahten;
sie verhütete, wie man glaubte, den Abortus. Die Lueina wurde nicht nur bei den Ent-
bindungen angerufen, sondern man setzte ihr auch nach der glücklichen Geburt des Kindes
während der ersten Woche eine Mahlzeit hin, um sie für das Kind günstig zu stimmen. (KisaelJ
Ausserdem besassen die Römer noch mehrere Dii nixii, welche sie neben der Lucina
als Schutzgöttin anriefen. Nach Ovid sind dies drei Götter, welche der Gebärenden helfen.
Ihre Bilder standen auf dem Capitol vor dem Tempel der Minerva; sie wurden als auf den
Knieen liegend abgebildet. > ^Mi/iu« hatte sie ans Syrien dahin gebracht. Nach BötticKer
könnten sich in der Stelle des Ovid die Nixipares auf den Glauben beziehen, dass nur Wesen
von gleicher Zahl wirkten. Hederich giebt an, dass sie von einigen auch Nexi oder Nixi ge-
nannt werden, „weil sie die Glieder der Frauen, welche sich in der Geburt öffiien müssen,
wieder verbanden oder schlössen".
Femer schützten bei den Römern Pilumnm, Inier cidona und Deverra die Wöchnerin
mit dem Neugeborenen insbesondere gegen die nächtlichen Angriffe des Silvanua. Das Neu-
geborene hatte aber auch noch besondere Schutzgottheiten: Cama oder Cunia sorgt ftlr die
Kinder in der Wiege, Eumina steht dem Säugungsgeschäfte vor, Osaipaga dem Wachsthum,
Vaticanua und FdMinua dem Geschrei und dem Lallen des Kindes; Vitumnus gab ihm
Leben, Sentinus und Sentina Gefühl, Vagitanua das Athmen und Schreien.
Immer aber ist bei der Niederkunft selbst hülfreich die Lucina , die bald als Juno*),
*) Plautua, Aulul. IV. sc. VH. 11. Terent. Andria. IIT. sc. 1. 15. Adolph IlL sc. IV. 41.
Auch bei Propert. Lib. IV. eleg. I. 95. Cicero, De nat. deor. Lib. II. c, 27. Ovid. Fast. IV. 39.
Apulej. Metam. Lib. IV. u. s. w.
24 XXXVU. Die Mythologie der Geburt.
bald als Diana *^) vorkommt Ihren Namen leitet Cicero von Luna, Mond, ab. PUnius da-
gegen meint, derselbe rühre von einem schon in sehr früher Zeit (450 vor PHniits selbst) zu
Rom dieser Göttin geweihten Haine und Tempel her: ,ab eo luco Lucina nominatur*. Andere
aber bringen sie mit dem Monde in Verbindung. (Tlvtareh, Maerohius.) Hiermit würde sie
als Diana erscheinen; ihr war der Gürtel heil^; sie hiees als GürtellOsende Solvigona,
denn Ereissende mussten den Gürtel ablegen, (v, Siebold J
Eine glückliche Geburt bewirkten auch die Nascio oder Natio, die Numeria (yon
numero, augenblicklich). Femer waren die carmentischen Göttinnen mit bei den Geburten
th&tig: die Prosa (Prorsa), welche bei normal gelagerten Früchten Hülfe brachte, und die
Postverta, die bei fehlerhaiten (verkehrten) Eindeslagen half. Wenn Julius Beer **) annimmt,
dass den Römern sogar die verschiedenen Sch&deUagen bekannt gewesen seien, und dass die
Carmen tischen Göttinnen (als dritte die Anteverta) durch ihre Namen die Geburtslagen
personificiren sollen, so geht er in dieser Beziehung wohl zu weit. Er verweist auf eine Stelle
des Avius GeUius, der aber nicht Arzt war, in welcher die Fusslage geschildert wird. «Quando
igitur contra naturam forte conservi in pedes, brachiis plerumque diductis retineri solent,
aegriusque tunc mulieres enituntur. Hujus periculi deprivanti gratia arae statutae sunt Romae
duabus Carmentibus.** Aus dieser Stelle geht eben hervor, dass die Römer durch die car-
mentischen Göttinnen nicht die verschiedenen Schädellagen personificirten, welche sie be-
kanntlich überhaupt nicht kannten, sondern dass diese Göttinnen nur bei nach vom gekehrter
glücklicher), sowie bei verkehrter (unglücklicher) Lage angerafen wurden. Am Schluss der Stelle
heisst es nämlich: .Quarum altera Postverta nomina est, Prosa altera a recti perversique
partus et potestate et nomine." Beer Hess überhaupt seiner Phantasie allzu freien Lauf: Er
meinte, die Statue der Juno Lucina habe die rechte Hand in deijenigen Stellung, wie eine
Hebamme, welche den Damm stützt, um des Kindskopfs Durchtritt gefahrlos zu machen« Allein
es ist höchst unwahrscheinlich, dass der Künstler eine solche Andeutung hat machen wollen,
denn es spricht sehr viel dafür, dass die Alten die Unterstützung des Dammes überhaupt
noch gar nicht gekannt haben.
Auch die Etrusker hatten ihre besondere Geburtsgöttin. Dennis sagt darüber: „Cupra
war die etruskische Hera oder Juno und ihre vorzüglichsten Heiligthümer scheinen zu Veji,
Falerii und Perusia gewesen zu sein. Wie ihr Gegenstück bei den Griechen und
Römern scheint sie je nach ihren verschiedenen Attributen unter verschiedener Gestalt ver-
ehrt worden zu sein, wie als Feronia, TTwlna oder Tfiana, IlithyiarLeükothea, Den Namen
Cupra erfahren wir von Strahon, auf etruskischen Monumenten ist er nicht gefunden worden;
da wird die Göttin gemeiniglich Thalna genannt, doch Gerhard glaubt, dass dieser Name sie
als Göttin der Geburten und des Lichtes beschreibt. Ein berühmtes Heiligthum hatte sie in
Pyrgi, das einen grossen Theil seiner Wichtigkeit «seinem Tempel der Iliihyia oder Lucina,
der Göttin der Geburten* verdankt haben muss, «ein Heiligthum, so reich mit Gold und Silber
versehen und mit köstlichen Geschenken, den opima spolia der etruskischen Seeräuberei,
dass es die Habgier des Dionysios von Syrakus rege machte, welcher 884 vor Christo eine
Flotte von sechzig Schiffen mit drei Ruderbänken ausrüstete und Pyrgi angriff, angeblich,
um dessen Seeräuberei zu unterdrücken, in Wirklichkeit aber, um seine erschöpfte Schatz-
kammer wieder zu füllen. Er überraschte den Platz, der eine sehr schwache Besatzung hatte,
raubte dem Tempel nicht weniger als tausend Talente und nahm noch zum Belaufe von
fünfhunderten Beute mit, nachdem er die Männer von Caere, die es zu befreien kamen,
geschlagen und ihr Gebiet wüste gelegt hatte/
282. Die Gottheiten der Geburt bei den indogermanischen Tolkern.
Ausser den hier besprochenen Geburtsgöttinnen kommen bei verschiedenen Völkern
indogermanischen Stammes drei Schicksalsgöttinnen vor, welche ebenfalls bei der
Entbindung und namentlich fQr das Schicksal des Neugeborenen als dessen Schutzgeister thätig
♦) Horat Carm. saecular. 15, u. Lib. lU. carm. 22. CatuU. XXXIV. 13. Virgil, Bucol,
IV. 10. Apukjus, Met. Lib. XI.
*♦) Als Unterstützerin der ,Wehenthätigkeit* sollen nach Beer die Römer die Opa be-
trachtet haben, , welche sich," wie er sagt, , jedoch mehr der Selbstentwickelung der Kleinen
annahm, zumal damals die Wendungshandgriffe noch nicht bekannt waren." Dies ist falsch,
denn im Gegen theil war den Alten die Selbstentwickelung des Kindes nicht bekannt, wohl
aber kannten sie die Handgriffe zur Wendung auf Kopf und Füsse.
282. Die Gottheiteii der Gebart bei den mdogermaniscben Völkern. 25
sind. Jedenfalls deutet diese üebereinstimmnng daranf hin, dass die Völker von gemein-
schaftlicher Abkunft seit alter Zeit ihren mythischen Vorstellungen mit geringer Abweichung
treu geblieben sind. Dies sind die Mareien der Deutschen, die Bcjenice der Slovenen,
die Sudietzky der Czechen und die Mairen der Griechen. Die Nornen sind in der skan-
dinavischen Mythologie die Geburtsgöttinnen. Dabei ist jedoch zu bemerken, dass es drei
Arten von Nomen giebt, und dass nur die eine dieser Arten als Geburtsgöttinnen zu be-
trachten ist. Die erste Art sind die Haupt-Narnen, n&mlich Urd, das Vergangene, Verandij
dasWerdende, und Sküldj das Zukünftige, welche überhaupt das Schicksal der Menschen
bestimmen. Die zweiten, <Ue SchiUz-Narnenf sind diejenigen, welche die einzelnen Menschen
beschützen, ihre Handlungen lenken und schon bei der Geburt ihr künftiges Schicksal vor-
bereiten, und daher auch als Geburtsgöttinnen gelten. Die Zauber- Nomen endlich sind alles
Göttlichen entäussert und sind nichts als Wahrsagerinnen oder Hexen. Mon^s Ansicht über
das Wesen der Nomen ist Folgende: Der Urda-Brunnen (d. i. der Brunnen der Vergessenheit,
an welchem die Nomen wohnen) ist ein Bild des Werdens und der Geburt, und zwar der
organischen; zunächst der menschlichen Fortpflanzung. Geburt und Weib sind unzertrenn-
liche Gedanken, daher sind weibliche Wesen die Wächterinnen und Pflegerinnen des Geburts-
brunnens und der Fortpflanzung. Die Nomen sind ihrem Namen nach Nährweiber; Brunnen
und Brust, Wasser und Milch sind im Glauben unserer Voreltern verwandte Ideen. Die weisse
Farbe, die bei den Nomen so sehr bedeutend ist, mag sich, wie Mone meint, auf die Unschuld
der Neugeborenen beziehen; die weisse Eihaut deutet auf die Geburt (das Ei) und die Ent-
wickelungskreise, wodurch die Emanationen erscheinen.
Die alten Deutschen hatten eine besondere Geburtsgottheit nicht. In der Edda
ist Freyija eine Göttin der Liebe und der schönen Jahreszeit; als Göttin der Ehe, als
mütterliche Gottheit steht neben ihr Frigg (Simrock); sie ist Odhin's Gemahlin, die Göttin
der Hausfrauen (während Gefion die Göttin der Jungfrauen ist). Auch wird die Freia (Freyja)
als das, gebärende Naturprincip angesehen; wie alle Repräsentantinnen desselben in der
Mythologie anderer Völker (Artemie, Juno, Athene, Hekahe u. s. w.), so ist auch sie eine
Spinnerin. (Nork.) Es heisst auch, dass Oddrun bei schwerer Entbindung geholfen habe.
(Grimm.) Die JFVeia ist die Mondgöttin, und das feuchte Mondlicht gilt als gebärendes
Princip, weil es die Geburten erleichtem soll, was wieder an die Diana Ludna erinnert-
Die Freia, die Nachts am Horizonte dahinzieht, hat ein Eatzengespann, und die indische
Göttin Sakti (Bhavani, welche dieselben Functionen wie Freia hat) reitet auf Katzen und gilt
als Beschützerin der Kinder. (Ward.J
Bei den alten slavischen Völkern war Siwa oder Dziwa wahrscheinlich identisch
mit der Venus der Römer; sie war die schönhaarige Göttin der Liebe und des Genusses.
Nach Mone's Erklärung war die Siwa oder Dziwa (welchen Namen Frencel von dem pol-
nischen Zywie, ernähren; Zywy, lebendig, herleiten will) bei den Wenden die viel-
brüstige Mutter Natur, die gebärende und ernährende Erdkraft, und ihr Gemahl, Zibog,
der Gott des Lebens. Nach Nork ist lAbussa das weibliche Naturprincip der Slaven,
welches zugleich die Urheberin der Geburten wie des Todes ist. Als Urweib heisst sie Bäba
(Weib, an die indische Geburtsgöttin Bhanani und an Aphrodite Paphia erinnernd), jedoch
im Vollmond, der die Greburten erleichtert, ist sie Zlata Bäba (das goldene Weib), All-
mutter und Weltamme. Sie heisst dann auch Kraso Pani, d. i. schöne Frau, Bacivia: die
Gebärerin, Wesnd: Frühlingsgöttin, Prija: die Fruchtspenderin (Freia?)^ Zisa:
die Vielbrüstige, Siwa (Sif?): die Erntegöttin; in Polen auch Jawine genannt (von
jawai, das Getreide).
Die Göttin des Mondes ist bei slavischen Völkern auch die Beschützerin der Geburten.
In Klein-Russland gilt das Erscheinen des Mondes gleichzeitig mit einem Stern zur Zeit
einer Geburt ab glückbringend. Der Kasake, der zu dieser Zeit geboren wird, hat überall
Glück, besonders in der Liebe. Die Seele des Kindes steht in geheimnissvoller Verbindung
mit dem Stern. Ein fallender Stern bedeutet in Klein-Russland, dass ein Kind gestorben ist.
Bei den alten Slaven war der Morgenstern der Beschützer der verheiratheten Frauen; sie
glaubten auch an die mächtigen Schicksalsgöttinnen, welche die Fäden des menschlichen
Schicksals spinnen.
Die jetzigen slavischen Völker bezeichnen die Schicksalsgöttinnen als Geburts-
göttinnen; bei den Slovenen heissen dieselben Bojenice, Diese drei Göttinnen haben einen
leichten ätherischen Körper, kommen bei der Geburt eines Kindes zur Nachtzeit an das Fenster
oder in die Stube der Wöchnerin und verkünden den Neugeborenen ihr Schicksal. (Klun.)
Die Czechen in Böhmen und Mähren glauben an die drei Schicksalsgöttinnen oder
Richterinnen Sudiecky; dies sind drei weisse Frauen, die um Mittemacht in die Stube kommen.
26 XXXVn. Die Mythologie der Geburt.
wo ein Kind liegt, oder vor das Fenster, und über das Schicksal des Kindes berathschlagen ;
sie halten brennende Kerzen in der Hand, die sie verlöschen, sobald sie das Urtheil gesprochen
haben; wenn sie nahen, sinkt Alles in tiefen Schlaf, nur fromme Menschen haben die Gabe,
sie zu sehen. Wenn ein Kind geboren wird, stellt man Salz und Brod auf den Tisch, das
ist fdr die Sudiecky, Diese Schicksalsfrauen werden im Yolksmund auch bisweilen mit den
wilden Weibern identificirt. welche die Kinder gegen einen Wechselbalg vertauschen. (Groh-
mann.J Die Sorben-Wenden, die in Altenburg und im Voigtlande wohnten, glaubten
folgendes: Porenut wacht über das Kind im Mutterleibe; Zohta oder Slota-Baba ist die Ge-
burtshelferin; zu Schlotitz bei Plauen hatte sie einen Tempel oder heiligen Hain, Ziza'
beschützt die Säugenden und Siwa spinnt den Lebensfaden, bis die unerbittliche Marzana
ihn abschneidet. (lAmmer,)
üeber die Geburtsgottheiten der Süd-Slaven äussert sich Krauss^:
„Ursprünglich unterschied der Volksglaube wohl genau zwischen Geburtsfräulein,
den Beschützerinnen der schmerzhaften Geburtswehen und der glücklichen Niederkunft, und
den Schicksals fr äulein, den eigentlichen Schicksalsbestimmerinnen. Nachdem die Slaven
das Christenthum angenommen, verflüchtigte sich die eigentliche Bedeutung der Geburts-
dämonen, und sie gingen auf in den SchicksalsgOttinnen. Erhalten sind nur der Name und
der Opferbrauch geblieben. Bozdanica ist der alts lavische Name für die Patronin der
schwangeren Frauen. Die Bulgaren und Serben haben ihn in diesem Sinne schon ver-
gessen. Bei den Bulgaren im Rhodope- Gebirge nennt man die Wöchnerin BodeenicaftaJ,
Bei den Slovenen und Horvaten heissen aber die Schicksalsfrauen auch Bodjeniase oder
Bojenice. Nach einem Zeugniss aus dem 15. Jahrhundert, scheint es, haben die Bozdanieen
bei den Bussen eine Verehrung als Numina gentilicia genossen, denen man Lectistemien
darbrachte. Man opferte zu gleicher Zeit dem Bogu, Peruni, dem Bodu und den Bodzdanicen
auf dem Tische Brod, Käse und Honig. Der horva tische Landmann pflegt noch gegenwärtig
in der Geburtsnacht seines Kindes auf den Tisch im Zimmer, wo die kreissende Frau oder
Wöchnerin liegt, Wachskerzen, Brod und Salz für die Bojenicen hinzusetzen. Bei den Bul-
garen in Alt-Serbien erscheinen die Opfer den eigentlichen Schicksalsfruuen zugedacht.
Was die Gaben ehedem bedeutet haben, ist dem Volke abhanden gekommen. Man bringt die
Opfer dar, von jeder Gabe in Dreizahl, ursprünglich mit Hinblick auf die Dreizahl der Schick-
salsfräulein, meint aber, dass man dadurch die Hexen vom Kinde banne.''
233. Die Gottheiten der Geburt bei den Lappen, Finnen, Magyaren, Mord-
winen nnd Letten.
Die Lappen haben eine Geburtsgöttin, Sarakha genannt, eine der drei Töchter der
JKfader-Gottheit. Sie ist die eigentliche Beschützerin alles Werdenden, bis dasselbe das Licht
der Welt erblickt. Danach tritt dann UaaJca ein. Sarakka bestimmt und begünstigt das
Wachsthum der Frucht; sie beschützt auch die Mutter und leistet ihr bei der Geburt des
Kindes Beistand. Die Lappen meinen, dass Sarakka die Schmerzen der Kreissenden mit-
empfinde. .Diese Gottheit," sagt Jessen, „haben die Lappen stets im Munde und im Herzen,
an sie richten sie alle ihre Gebete, sie rufen sie in allen ihren Verrichtungen an und erachten
sie als ihren besten Trost, ihre sicherste Zuflucht. Man erbaute ihr wohl in der Nähe des
Zeltes eine eigene Wohnung, bis die Stunde der Mutter gekommen war. Für gewöhnlich
wohnte sie im Zelte selbst, bei der Feuerstelle, also dem Heiligsten des Hauses, wo sie von
Allem, was man genoss, ihren Theil als Opfer erhielt."
Wöchnerinnen tranken vor ihrer Entbindung Sarakka-Wein und assen nach derselben
Sarakka-Grütze. In die Grütze steckten sie drei Stöckchen, ein weisses, ein schwarzes und
eins mit drei Ringen, darauf legten sie dieselben auf zwei Tage unter die Thürschwelle.
War dann das weisse Stöckchen fort, so ging Alles gut, fehlte aber das schwarze, so musste
die Wöchnerin sterben. (Passarge.) Neben der Sarakka, welche als eigentliche Beschützerin
alles Werdenden galt, verehrten die Lappen als zweite Tochter der Macher-Gottheit die
Juksakka; diese verlieh dem Kinde das männliche Geschlecht und vermochte noch kurz vor
der Geburt ein Mädchen in einen Knaben zu verwandeln. Sie ist eine Art lappischer
Diana, aber der Runenbaum stellt sie als altes Weib mit einem Stabe statt des ursprüng-
lichen Bogens dar.
Bei den Finnen begegnen wir verschiedenen Gottheiten der Geburt. Nach Boeder war
die finnische Geburtsgöttin die Böugutaja, und auch nach Kreutzwald war das ZuhÜlferufen
derselben früher in Allen tacken, Wierland und Je r wen bei Kreissenden ziemlich ge-
288. Die Gottheiten der Gebart bei den Lappen, Finnen, Magyaren, Mordwinen n. Letten. 27
bräachlich. In der Werro sehen Gegend aber ist Bougtäaja unbekannt; für sie (oder fOr
ihn, denn vielleicht ist es ein m&nnlicher Gott) tritt hier aber die püha Marja ein, die heilige
Maria j welche um Hülfe gebeten wird.
In dem grossen Heldengedichte der Finnen, der Ealewala, tritt aber auch noch eine
andere GeburtsgOttin auf, eine der sogenannten Schöpfungstöchter, die Luonnatar, ein
Geist, der in den Lüften schwebt. Sie wird mit folgenden Worten angerufen:
.Schöne Alte, Schöpfungsjungfrau!
Schöne, Du, mit gold'nem Glänze.
Du, die älteste der Frauen,
Du, die früheste der Mütter!
Lauf vom Knie Du hin zum Meere,
Von dem Hüftblatt in die Fluthen!
Nimm vom Kaulbarsch Du den Geifer,
Nimm die Glätte von der Quappe!
Schmier* damit die Knochenhöhlung,
Streiche Du damit die Seiten!
Mach' die Jungfrau frei vom Drucke,
Von dem Leibesschmerz das Mädchen,
Von den gar zu harten Qualen,
Von den Wehen ihres Leibes!*
Aber auch der finnische Donnergott Ukko muss in besonders schwierigen Fällen als
geburtshelfende Gottheit in Thätigkeit treten, und so finden wir im unmittelbaren Anschluss
an die vorigen Verse die folgende Anrufung:
„ühko, Du, 0 Gott im Himmel!
Komme her! Du bist von Nöthen!
Eile her, wo man dich rufet!
Ist ein Mädchen hier in Wehen,
Ist ein Weib mit Leibesschmerzen
In dem Rauche einer Badstub',
In dem^Badehaus des Dorfes!
Nimm die goldbedeckte Keule
In die rechte Deiner Händel
Scheuche alle Hindemisse!
Schlage Du der Pforte Pfeiler!
Setz' des Schöpfers Schloss in Schwanken!
Mache, dass durch alle Riegel
Grosse gehen. Kleine gehen,
Dass der AUerldeinste wandre!'
Wir schliessen den Finnen gleich die Magyaren an, weil dieselben bekanntlich
stammverwandt sind. «Die Geburtsgöttin der heidnischen Magyaren, sagt van WlitHocki^,
die Nagya888ony oder Na^yboldogasaeany (grosse liebe Frau), lebt auch noch im heutigen
Volksglauben fort, obwohl sie in einigen Gegenden durch sl avischen Einflnss von der heiligen
Anna verdrängt wird. Der Dienstag ist ihr geheiligt. Die Boldogasszony (selige oder
liebe Frau) ist die Tochter der Nagyasazony und sie ist die Schutzgöttin der Wöchnerinnen
und der Kinder. Nur in Gegenden, wo die alles zersetzende Cultur den echten Volksglauben
untergräbt, wird die Boldogasszony mit der heiligen Maria vermengt, die als Beschützerin
der Weiber in den Vordergrund zu treten beginnt, indem ihr die Eigenschaften der heid-
nischen Schutzgöttin, der Boldogasszony, beigemessen werden. Der Samstag ist ihr geheiligt."
Höchst beachtenswerthe Analogien finden sich bei den Mordwinen wieder. Auch
diese haben eine besondere Göttin der Geburt, die Ange-Pat'äi oder Bulaman-Pat'äi , welche
unsichtbar der Gebärenden beisteht, ganz so wie die Nagyboldogassgony. Auch sie ist Mutter
und auch sie giebt nach der Entbindung die Pflege der Wöchnerin und des Kindes an ihr
untergebene Gottheiten ab, an die Ange-Ösaisz und die Niskände-Tewiär, Auch noch eine
andere Reihe gemeinsamer Züge lassen es sehr plausibel erscheinen, dass die Ange-Pat'äi und
die Nagyboldogasszony ursprünglich dieselbe Gottheit sind. (v. Wlisheki^.)
Von den Letten gieht Alksnis an, dass die Göttin des Glücks Xraima gleichzeitig auch
die Göttin der Geburtshülfe ist. „Da die Laima es ist, welche den Geburtsschmerz lindem
kann, welche es entscheidet, ob die Wöchnerin froh und munter ihr Bett verlassen, oder ob
28
XXXVn. Die Mythologie der Geburt
sie nie mehr das Tageslicht erblicken wird, so wird sie von den Franen ganz besonders ge-
ehrt, und man sucht sie sich auf verschiedene Weise geneigt zu machen. Anstatt eines harten
Stuhles setzen die Ehefrauen ihr einen Korb mit Wolle hin, damit sie da Platz nehme und
den Frauen leichte Tage beschere." In einem Liede heisst es von ihr:
yNicht Allen unterbreitet
Laima einen seidenen Laken;
Nur den Frauen thut sie es
In ihren schweren Tagen.'
Neben ihr wird auch die MaihHn oder die Mahra angerufen:
,Eomm', Makrin! ich bitte Dich,
Komm* mit kahlen (blossen) Fassen!
Wirst Du die Ffisse ankleiden, bleibst Du lange,
Leidet schwer meine Geliebte!"
,In einem anderen Liede heisst es, die (Gebärende sitze im Schooss der heiligen Mähfa^
weinend mit au^elöstem Haar. Soweit man nach den vorhandenen Quellen urtheilen kann,
ist zwischen Laima und Mahra (Mahrina) kein bestimmter unterschied. Der Name Mdhra^
gleich jSfaria, mag unter Einfluss des katholischen Glaubens in spftterer Zeit an die SteUe
der Laima getreten sein, denn die Besprechungsformeln lassen es ohne Weiteres erkennen
dass die lettische Gottheit Jxiifna in ihrem Handeln auffisdlend nahe kommt der segnenden
Mutter Christi: es lassen sich wenigstens ftlr Mahra keine besonderen Functionen auffinden,
welche nicht auch der Laima zugesprochen würden." {Alksnis.)
234. Die Gottheiten der Geburt bei den Woljäken, Chinesen, Japanern,
Annamiten, Niassern und Gilbert-Insulanern.
Die Wotjaken haben wahrscheinlich ursprünglich den Himmel, Jti, als Gott verehrt
und dann erst unter der Bezeichnung Inru das befruchtende, himmlische Regenwetter ver-
göttert. Weiterhin kommt bei ihnen auch ein Gott KylWin vor, und Btuh meint, dass dieser
Gott mit der Fruchtbarkeit des Weibes in Zusammenhang stehe; denn das Zeitwort kyldyng,
wovon kyldis abgeleitet ist, habe die verbreitete Bedeutung schwanger werden. Er sagt:
,Die von Byischko genannte Kaldyni mumas (mumi d. i. Mutter) dürfte mit KyWin zu-
sammenfallen, und von dieser berichtet er dürect, sie sei Umer's (Inmar's)
Mutter und werde von den wotjäkischen Weibern ihrer Fruchtbarkeit
und glücklichen Entbindung wegen angerufen und von den M&dchen um
glückliche Heirath. Ihr werden bei einem öffentlichen Feste von den
Weibern weisse Schafe geopfert."
Die Chinesen verehren nach Pander die Göttin Kaän-yin als die
Göttin des Eindersegens und nennen sie dann auch Süng'tsirwidng'mängf
d. h. die Söhne schenkende Jungfrau. Pander ist der Meinung, dass
die Chinesen bereits vor der Einführung des Buddhismus eine ähnliche
Göttin besessen h&tten, welche später mit der Kuän-yin verschmolzen
wurde. Von der letzteren haben die Chinesen schöne Statuetten in Por-
zellan angefertigt, in denen sie bald allein, bald mit einem Kinde dar-
gestellt ist. Die Figuren zeigen eine sehr grosse Aehnlichkeit mit Ma-
donnenbildem.
Bei den Japanern heisst diese den Weibern helfende Gottheit
Kojasi Kwannon. von Siebold hat eine figürliche Darstellung von ihr nach
München gelangen lassen. Dieselbe hat um den Kopf einen Heiligen-
schein, die linke Hand hält das von der Brust herabfallende OberMeid,
so dass die nackte Brust frei ist, die rechte Hand ist etwas erhoben und
hat irgend einen verloren gegangenen Gegenstand gehalten.
Die Annamiten haben nach Landes zwölf Göttinnen der Geburt,
die Müoi hai mu ha, welche sie während der Wehen anrufen.
Auf der Insel Nias ist es die Gottheit Ädii Fangöla oder Adil Ono cUdve, welche die
Gebärenden beschützt. Sie wird nach Modigliani von Thon gefertigt und in dem Zimmer der
Kreissenden aufgestellt. (Fig. 261.)
Auch die Gilbert-Insulaner haben nach Parkinson solche Göttin der Schwangeren,
welche den Kindersegen verleiht; dieselbe führt den Namen EHbong.
Pig.2ei. AditFan^
göla oder Adü Ono
aldve, die Gottheit
der Geburt auf der
Insel Nias.
(Nach Modigliani.)
236. Die Gottheiten der Gebart bei den monotheistischen Völkern. 29
Mdke-Mdke, den Gott der Seevogeleier bei den Osterinsulanern, haben wir als
Geburtsgottheit bereits kennen gelernt. (Fig. 78 und 260.)
Hier ist auch noch die schon früher erwähnte Gottheit der Neger inYoruba (West-
Afrika) zu nennen, die unter der Form einer schwangeren Frau verehrt wird. In ihrem
Tempel wird ein Wasser aufbewahrt, das gegen Unfruchtbarkeit und bei schweren Geburten
heilsam ist.
235. Die Gottheiten der Geburt bei den alten GultnrTolkern Amerikas.
Dass auch die alten Mexikaner unter ihren zweitausend Göttern (wie Gomara in
runder Summe schätzte) eine besondere Geburtsgottheit hatten, ist sehr wahrscheinlich, denn
bei ihnen stand jedes (Geschäft, wie Essen und Trinken, Heilen und Zaubern, unter einem be-
sonderen Schutzherm; sie hatten eine besondere Göttin der Unzucht und einen besonderen
Gott der Hochzeiten u. s. w. Thatsache ist, dass man die Frau, welche im ersten Wochenbett
starb, im Tempel einer bestimmten Göttin b^rub. Da wir nicht einmal die Namen aller
zwölf oder dreizehn oberen Götter der Mexikaner wissen, so dürfen wir uns auch nicht
wundem, dass uns der Name und die mythologische Bedeutung der mexikanischen Ge-
burtsgottheit entging. Tlaloe war der Sage nach der älteste Gott und zwar der Gott der
Fruchtbarkeit der Felder; allein er wurde auch, da er Wetter- und Wassergott war, und da
man die Krankheitsursache oft im Wetter fand, besonders in Krankheiten angerufen, die, wie
man glaubte, durch die Kälte bedingt waren. Bei dem ersten Bade des Neugeborenen sagte
die mexikanische Hebamme viele altherkömmliche ceremonielle Segenssprüche her; unter
Anderem wendete sie sich zum Kinde mit den Worten: Nimm dieses Wasser, denn die
Göttin Chäkhiuheurje ist Deine Mutter.* Die Chakhiuhcurje wird auch als Gröttin des Wassers
genannt
Nach den Aufzeichnungen des "Pater Söhagun erwlkhnt Seier eine Gottheit der Azteken
mit 'Nfkmeri AyopeckUi oder Ayapechcatlt d. h, die, welche auf der Schildkröte (oder
im Nebel) ihren Sitz hat. Sie scheint eine Geburtsgöttin zu sein, denn in einem an sie
gerichteten Hymnus heisst es: ,Im Haus der Ayopeehcatl wird das Kind geboren. '^
Seier sagt dann weiter: .Ohne Zweifel bezeichnet sie die Erdgöttin als die Gemahlin
des himmlischen Gottes, die Omeciuatl, die Gemahlin des OmetecutU, des Herrn der Zeugung,
die mit ihm im obersten zwölften Himmel residirt und von dort her die Kinder in die Welt
schickt'
Bancroft macht die Angabe: «Die Mutter-Göttin, unter der Form des Schlangenweibes
CioaooaU oder Ciuacoatl oder Cihucusoatl oder endlich QuilaztH, scheint für die Patronin
der Frauen im Kindbett und speciell für diejenigen, welche in demselben sterben, gehalten
zu -sein."
Bei den Chibchas, den Ureinwohnern von Neu-Granada, welche schon eine
höhere Cultur besassen, half der Regenbogen den Wöchnerinnen sowohl als auch den
Kranken. fWaiU.J
23tt. Die Gottheiten der Geburt bei den monotlieistiBclien Tolkem.
Fast mag es wie ein Widerspruch klingen, wenn wir bei Völkern, welche dem Mono-
theismus huldigen, von Gottheiten der Geburt sprechen, da sie ja doch nur einen einzigen
Gott verehren sollten. Aber wir werden sogleich erfahren, dass sie es wohl verstanden haben,
für die besondere Noth der Niederkunft besondere Untergottheiten in Wirksamkeit treten zu
lassen. Trotz aller Frömmigkeit ist bei ihnen der alte Götter- und Dämonenglaube doch
noch nicht vollkommen durch ihren scheinbaren Monotheismus vernichtet worden. So
sind es sowohl in dem Judenthum, als auch im Islam und im Christenthum schliesslich nur
neue Namen für einen alten Anschauungskreis, und wir haben bei der Besprechung der
Letten und Magyaren ja bereits Beispiele fOr diese Thatsachen kennen gelernt
Die Juden holten zur Beförderung der Geburt aus der Synagoge Männer herbei,
welche im Geburtszimmer laut beteten, weil man das Erscheinen der bösen lAlith sehr
fürchtete. Die Perser rufen bei solcher Gelegenheit von den Dächern oder Bethäusem herab
ihre Gebete, um die Frau von ihren Leiden zu befreien, und die Türken begehen irgend
einen kleinen Act der Wohlthätigkeit, um unter Anrufung des Propheten Gott für die Ge-
bärende günstig zu stimmen.
Bei christlichen Völkern wenden sich die Gebärenden mit ihren Gebeten um Hülfe
vorzugsweise gern an die Jungfrau Maria, die Mutter Gottes. Diese nimmt nunmehr ge-
30 XXXYIl. Die Mythologie der Geburt.
wissermaassen die Stelle der Juno Lttcina ein, und eigenthümlich ist, dass in Rom dort, wo
früher der dieser letzteren geweihte Tempel stand, jetzt sich die Kirche Sta. Maria Maggiore
befindet, in welcher unter den Reliquien die Wiege (oder Krippe) des Heilandes aufbewahrt
wird. In der römisch-katholischen Kirche wird von den Kreissenden als besondere Schütserin
die heilige Margaretha angerufen. (Blunt.J Diese Anrufung der heiligen Margarelha findet
beispielsweise noch in Prag statt. fQrohmann.J Die Russin hingegen wendet sich mit
ihrer Bitte um leichtes Geb&ren an die Mutter Grottes zu Theodore w, während man in
Russland, um fruchtbar zu werden, zu den Patronen Ip<Uiu8 (Hypatius) und JRoman fleht.
(H. Schmidt, J In verschiedenen Gegenden Deutschlands tritt die heilige Margarethe ganz
entschieden an die Stelle jener alten „gürtellOsenden' Geburtsgöttin. So gilt inScliwaben
die «heilige Margarethe mit dem Drachen*, welchen sie am Gürtel führt, als die Schützerin
der Gebärenden, welche sie in ihrer Angst um Hülfe anrufen: auch nimmt man bei der Nieder-
kunft dort die symbolische Handlung des Lösens des Gürtels unter Anrufung der heil. Margarethe
vor. Doch geht man in Schwaben ausserdem auch zur Erleichterung der Geburt nach
Maria Schein bei Pfullendorf. (Buek.) Ausserdem wallt man in Schwaben nicht
selten zu St. Christqphorue, um diesen um eine gute Niederkunft zu bitten, z. 6. nach Laitz
bei Sigmaringen; femer gilt daselbst St. Bachus, in dessen geweihter Kapelle Kröten yon
Eisen als Sinnbilder der Gebärmutter hängen, für einen Helfer, wenn nämlich Mutterkrank-
heiten Yorhanden sind, oder wenn das Kind „viereckig" liegt In Italien, in den Provinzen
Treviso und Belluno, treten als Helfer der Kreissenden die Heiligen Libero, Martino und
Vittorio in Wirksamkeit
XXXVni. Die Stätte der Niederkmift.
237. Die Wahl des Ortes^ an dem die Gebärende niederkommt.
Die Statte, an welcher das Weib den Gebartsact vollzieht, ist bei den ver-
schiedenen Völkern eine sehr wechselnde, und wir werden wiederholentlich inner-
halb desselben Stammes sehr verschiedenen Gebräuchen in dieser Beziehong be-
gegnen. Es ist daher nicht ohne Weiteres zulässig, aus solchen Gebräuchen einen
Rückschluss auf den Bildungsgrad der Bevölkerung zu machen. Allerdings sorgen
rohe Völker so wenig f&r einen nach unseren Begriffen passenden und den Be-
dürfhissen entsprechenden, auf alle Falle bequemen Aufenthaltsort, an welchem
die Ereissende sich unter mehr oder weniger anstrengender Geburtsarbeit ihres
Kindes entledigen kann, dass die Frau nur eben die Wahl zwischen Wald und
Wiese oder dem Meeresstrande hat, wenn sie sich fem von ihrer Wohnung eben
Bei der Arbeit oder auf der Wanderung befindet. Es lässt sich wohl annehmen,
dass in der Vorzeit die Frauen von Naturvölkern, die einst im Urzustände lebten,
den Act des Gebarens als einen solchen physiologischen Vorgang auffassten,
welcher ihnen keinesw^s ein besonderes diätetisches Verhalten nöthig machte;
sie liessen sich vielleicht völlig sorglos ebenso von der Geburt an irgend welchem
Orte, an dem sie gerade zufallig sich aufhielten, überraschen, wie etwa die in
Wald und Feld lebenden SäugeÜiiere, oder Weiber unserer niederen Bevölkerungs-
schichten, bei welchen sogenannte Gassengeburten nichts gar so Sdtenes sind.
Während die nestbauenden Vögel sich sorgfaltig unter der Leitung des Instincts
auf die Zeit des Eierlegens und Brütens präpariren, nehmen wir bei sehr rohen
Völkerschaften kaum irgend welche dem ähnliche unbewusste oder bewusste Vor-
kehrungen wahr. Die Natur gab ihnen eigentlich kaum ein anderes warnendes
Zeichen mit, als die sogenannten Vorwehen, eine verhaltnissmässig schwache An-
deutung von dem, was sie in baldiger Zeit zu erwarten haben und das sehr oft
als einfache Verdauungsstörung gedeutet wird. Es bemächtigt sich dann dieser
Frauen eine physische Unruhe; allein es fragt sich, ob das hiermit verknüpfte
Gef&hl ihnen deutlich genug sagt, was nun geschehen wird, und wie sie am besten
den Platz wählen, an dem sie ihrem Kinde das Leben schenken. Jetzt giebt es
keine im wirklichen Urzustände lebenden Völker; die jetzigen Naturvölker haben
sich in allen Dingen schon Sitte und Brauch geschaffen. Wir sind nur im Stande,
von diesen zu berichten.
Nehmen wir in den oben erwähnten Fallen an, dass die Geburt dort vor
sich geht, wo die wilde Frau sich gerade bei ihrer Arbeit befindet, so sehen wir
bei manchen Naturvölkern, dass die Schwangere, welche ihre Stunde heran-
nahen fühlt, gerade die vorher erwähnten abgelegenen Plätze absichtlich aufsucht,
um dort niederzukommen. Wir müssen hierbei die Frage aufwerfen, ob wir in
solchem Verhalten eine natürliche Schamhaftigkeit erblicken müssen, ob es eine
32 XXXVm. Die StäUe der Niederkunft.
instinctive Empfindung giebt, unter deren Einfluss das den B^inn der Nieder-
kunft ahnende Weib den Blicken ihrer Umgebung sich zu entziehen sucht.
Eine instinctive Schamhaftigkeit glaubt man allerdings schon bei den höher
stehenden Säugethieren bemerkt zu haben; bei vielen dieser Thierarten geht das
Weibchen bei Seite und verbirgt sich, sobald der Geburtsact herannaht. Die
Hündin wirft ihre Jungen möglichst im Dunkeln. Allein ist man denn auch hier
berechtigt, überhaupt von Instinct zu sprechen und diesen allezeit bereiten dunkeln
Begriff eines „zv^eckmässig leitenden* Naturtriebs herbeizuziehen? Nach unserer
Meinung ist dies hier nicht der Fall; es würde, wenn die Voraussetzung des
Schämens, dieses sittlichen Momentes, wegfallt, wohl nur die Frage übrig bleiben:
Folgt das gebärende Thier, wenn es abseits geht, einem «unbewussten* Triebe
oder einer wenn auch nur primitiven Ueberlegung? Ich möchte letzteres an-
nehmen. Das Mutterthier sucht sich, sobald es f&hlt, dass sich mit ihm ein dem
Krankhaften ähnlicher, d. h. mit Schmerz verbundener Zustand ereignet, ebenso
einen ruhigen und stillen Platz aus, wie wenn es sich überhaupt krank oder nur
unwohl fühlt. Kranke Thiere sind am liebsten allein und fliehen zumeist in das
Verborgene. Das ist jedoch ohne Zweifel ein Zug der Ueberlegung, ein Ergebniss
einfacher Reflection, die im Leben des Thieres ja so. häufig offenbar wird. Dazu
bedarf es nicht einer eingeborenen, unbewusst wirkenden und angeerbten Neigung ;
vielmehr ist sich das Thier gar wohl bewusst, was es thut und warum es gerade
dieses thut.
Wenn das Thierweibchen, sobald seine Stunde naht, sich zurückzieht, so
will es bei seinem Leiden ungest5rt sein. Und wenn nun etwas Aehnliches beim
Menschengeschlechte geschieht, wenn bei dem Gefühle sich allmählich steigernder
Schmerzen das Weib unter den Naturvölkern dem unheimlichen und ungemüth-
lichen Treiben der Fremden und Angehörigen aus dem Wege zu gehen sucht, so
geht sie von der ganz richtigen Vorausseteung aus, dass die Leute, wenn sie ihr
auch beistehen wollten, doch immerhin als unberufene ihr selbst und ihrem zu
erwartenden Kinde mehr schaden als nützen könnten. Es ist eine innere Stimme,
die sie forttreibt aus dem ihr plötzlich unangenehm erscheinenden Zusauunensein
mit anderen Menschen, die ihren Zustand nicht verstehen, und von denen sie sogar
ftlrchten muss, irgendwie bei ihrer Geburtsarbeit in ungeschickter Weise belästigt
zu werden. Allein diese innere Stimme ist doch nichts völlig ünbewusstes, sondern
sie beruht schon auf einer, wenn auch nicht ganz klaren Erwägung, und ist dem-
nach eine bewusste Wahl. Immerhin gehört noch das sichere und zuversichtliche
GeftLhl für die Frau dazu, dass sie ihre Geburtearbeit allein und ohne fremde
Hülfe bewältigen und dass sie ihrem Neugeborenen die allererste Pflege und Hand-
leistung selbständig angedeihen lassen wird.
Dass aber nicht alle Völker eine solche Schamhaftigkeit besitzen, werden
wir sehr bald kennen lernen. Im TJebrigen können wir die Völker gruppiren, je
nachdem sie unter freiem Himmel, in ihrer Behausung oder in einer besonderen
Gebärhütte niederkommen.
238. Das Alleln-Gebären im Freien.
Prochoumick hat den Versuch gemacht, ein solches Alleingebären, wie wir
es vorher geschildert haben, in den Bereich der Fabel zu verweisen; allein sehr
mit Unrecht. Denn wir besitzen hierüber Berichte von verschiedenen Reisenden,
deren Aussage zu bezweifeln uns durchaus nicht das Recht zusteht. Nach den
Angaben von Biedd^ gebären viele Frauen ganz allein und ohne jede Hülfe im
Wfdde oder am Meeresstrande auf den Inseln Buru und Serang, auf den Keei-,
Tanembar- und Timorlao-Inseln, ebenso im Babar-Archipel und auf den
Inseln Keisar, Eetar, Romang, Dama, Teun, Nila und Serua. Im Walde
wählen die Frauen gern die Nachbarschaft eines Baches, in welchem sie gleich
238. Das AUein-Geb&ren im Freien. . 33
nach der Niederkunft sich und ihr Kindchen baden; am Meereestrande schliessen
sie den Geburtsact mit einem entsprechenden Seebade ab. Auf den Tanembar-
und Timorlao-Inseln pflegen sie sogar gleich im Meere sitzend niederzukommen.
Auf allen diesen Inseln ist aber auch die Niederkunft im Hause und unter der
Beihülfe pflegender Frauen fast ebenso gebräuchlich oder selbst auch noch ge-
wöhnlicher.
Auch die Frauen der Maori auf Neu- Seeland gebären einsam am Bande
eines Baches in einem Gebüsch, wohin sie sich zurückziehen, um alsbald nach der
Niederkunft sich selbst und das Kind im Wasser d^ Baches waschen zu können.
(TuJce.) Das Gleiche berichtet de Rienzi^ jedoch ist das nicht für alle Falle
zutreffend.
Auch bei malayischen Völkern findet man dasselbe. Die Negritas und
die Montescas auf den Philippinen gebären nach MdUafs Bericht fast immer
,,ohne alle Hülfe*' und sind oft ganz allein, wenn die Wehen eintreten. Dann
stellen sie sich hin, den Unterleib auf ein Bambusrohr stützend und stark drückend.
Das Kind wird in warmer Asche aufgefangen, worauf sich die Mutter neben
dasselbe legt und selbst die Nabelschnur zerschneidet. Alsbald stürzt sich die
Entbundene mit dem Kinde in das Wasser, kommt dann nach Haus und bedeckt
sich mit Blättern. Andere Philippinen-Völker bedienen sich, wie wir später
zeigen werden, weiblicher Hülfeleistung.
Auch Pardo de Tavera berichtet von der wilden Bergbevölkerung von
Luzon:
«Das Weib bringt dort, wo es von den Wehen überfallen wird, ruhig das Kind snr Welt
und schneidet mit einem Mnschelscherben oder einem Bambussplitter die Nabelschnur so
geschickt ab, dass nicht ein Tropfen Blut verloren geht. Einige Stunden nach der Entbindung
nimmt das Weib das neugeborene Wesen auf den Rücken und marschirt mit ihm im glühenden
Sonnenbrande oder strömenden Regen weiter. '^
Die Frauen der AI füren auf den Molukken begeben sich zur Niederkunft
in eine entfernte Gabane und lassen sich von Niemand begleiten; es kommt auch
mehrfach vor, dass eine Frau ganz allein in einem Kahne befindlich niederkommt
und dann ruhig weiter rudert.
Bei den Nomaden der Wüste in der Levante geht die Entbindung
höchst einfach von statten: Die Gebärende, allein gelassen, besorgt das Zer-
schneiden der Nabelschnur und das Waschen und Einhüllen des Kindes selbst,
(v. Türk.)
Von den Weibern der nordamerikanischen Indianer gab man schon
in älteren Reisewerken Folgendes an: Es heisst bei Charlevoix^ sie gebären „saus
aucun secours". Unjsfer äussert: ^11 est ä remarquer: 1. quil ny a parmi elles
ni des femmes ni d'hommes, qui accouchent, 2. qu*elles accouchent toutes seules.*
Von den Frauen der Irokesen sagt der Missionär Lafttau: Wenn sie unterwegs
von den Geburtsschmerzen überfallen werden, so leisten sie sich selbst Hülfe (sonst
bedienen sie sich des Beistandes einiger anderer Weiber der Cabane), waschen ihre
Kinder im nächsten kalten Wasser und gehen in ihre Gabane, als ob nichts vor-
gefallen wäre. Später hat KecUing bezeugt: die Frauen der Sioux ziehen sich
allein in den Wald zurück, wenn ihre Zeit gekommen ist, um zu gebären, üeber
die Frauen der Dacotah- und Sioux-Indianer berichtet Schoolcraß ebenfalls,
dass sie ftlr gewöhnlich allein niederkommen.
Der Missionär Beierlein^ welcher viele Jahre unter den Ghippeways weilte,
theilte Ploss aus eigener Wahrnehmung mit:
„Bei ihnen begiebt sich die Frau, wenn sie Wehen yerspfirt, von ihrer Arbeit hinweg,
sammelt etwas Gras und Hea und geht ganz allein in den Wald, um zu gebären. Das
Gras und Heu benutzt sie dabei zur Beseitigong der Unreinigkeii Dann geht sie zum Wasser
und wäscht sich und das Kind, setzt aber alsdann ihre Arbeit fort*
Die Frauen der Apache-Indianer am Rio Colorado kommen nach
Schmüjg „ohne Hülfe" nieder. Ohne jeden Beistand gebären auch die Frauen
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Anfl. II. 3
34 XXXVm. Die Stftite der Niederkunft.
bei den Arrapahoes-Indianern, wobei sie sich in ein 6eh5k zurückziehen.
Engdmann berichtet auch, dass mehrere Aerzte {Faulkner^ ChoqueUe) erlebten,
wie Sioux- und Flachkopf-Indianerinnen mitten im Winter ganz allein ent-
fernt von den Hfltten auf dem Schnee ihr Kind zu Tage förderten. Scham-
hurgh sagt:
,Die Warran-Indianerin in British-Gnyana entfernt eich, sobald die Zeit ihrer
Niederkonft naht, ans dem Dorfe, das ihre M&nner nnd Verwandten bewohnen. Einsam in
einer Hütte im Walde erwartet sie den Dir sie gefahrlosen Moment» nnd kehrt dann mit dem
neugeborenen Kinde in den Ihrigen znrAck, ohne fremde Hülfe in Anspruch genommen eu
haben. Anf einer meiner Excursionen fimd ich selbst eine solche WOchnerin/ Ebenso begiebt
sich nach Schomburgk die Macusis-Indianerin zur Niederkunft in den Wald, in das Pro>
▼isionsfeld oder in eine einsame Hfitte, aber ihre Mutter oder ihre Schwester begleitet sie.
Recht poetisch deutet der amerikanische Dichter LongfeUow in seinem .Lied Ton
Hiawatha' auf den Brauch bei Ojibways und Dacotahs hin:
Unter Farren, unter Moosen,
Unter LDien aui der Wiese,
In dem Schein des Monds, der Sterne:
Da gebar Nokomis freudig
Eine wunderholde Tochter.
Ghmz Aehnliches findet man bei den Frauen einiger südamerikanischer
Indianer-St&mme: in Guatemala gebären nach de Lact die Weiber der In-
dianer oft ganz allein. Ebenso sagt er von den Frauen in Yirginien: Sie
begeben sich allein in das Gehölz, um sich von ihren Kindern zu entbinden.
Auch der Pater Och bezeugt Aehnliches. (v. Murr,)
Von den Frauen in Brasilien sagte Tiso: «Ubi peperint, secedunt in silvam.*
Von den Tupis und Tubinambis berichtete Thevet im Jahre 1575: «EUes sont
en ce travail sans etre aid^es ni secourues de quelque personne que ce soit.* Und
Pater GumiUa erzählt von den Indianerinnen am Orinoco:
.Bei ihnen besteht der Gebrauch des Mädchenmords; deshalb gehen sie heimlich, wenn
sie die ersten Schmerzen fühlen, an das Ufer des Flusses oder an den n&cbsten Bach und
gebären dort allein; kommt ein Knabe zur Welt, so wäscht sie sich und das Kind sorgftltig
und ist sehr yergnfigt, ohne andere Erholung und Räucherung genest sie v^on der Geburt;
kommt ein M&dchen hervor, so bricht sie ihm den Hais oder begräbt es lebendig, dann
wäscht sie sich sehr lange and geht zu ihrer Hütte, als ob nichts geschehen wäre.'
Von den Ureinwohnern Perus im untergegangenen Inca- Reiche erzahlte
Garcüasso de la Vega im Beginn des 17. Jahrhunderts:
,J*ajoute ä cela, qu'il n^y ayait personne, qui dans cette occasion aidät les femmes de
quelle qualit^ qu'elles fussent, et que si quelqu*une se m61oit de les assister dans Tenüante-
ment eile passoit plütot pour sorciäre, que pour sage-femme.*
Ebenso berichtet v. Äeara^ dass die Indianerinnen in Paraguay, wo er
sich in den Jahren 1781 — 1801 aufhielt, gebären, ohne dass ihnen dabei irgend
Jemand beisteht. Die Guana-Frau in Paraguay geht allein in den Wald oder
in das Feld, gebiert dort, macht ein Loch in die Erde und begräbt ihr Kind
lebendig^
Von mehreren Negervölkern wird Aehnliches berichtet: Ueber dieQuis-
sama-Neger (Angola) sagt Hamilton:
.Bei dem Herannahen der Entbindung verlässt die Frau, wie es bei manchen primitiven
Stämmen der Gebrauch ist, das Haus, da sie die Idee hat, dass weder Mann noch Weib sie
sehen soll. So geht sie unerkannt in den Wald, woselbst sie verbleibt, bis sie sich entbunden
hat. Kurz nach der Entbindung kehrt sie in die Hütte zurück, aber das Kind wird für eine
Weile verborgen gehalten; sie erzählt Niemandem davon und eine Zeit lang werden keine
Fragen gestellt. Sollte sie aber so unglücklich gewesen sein, eine missglückte Geburt gehabt
zu haben, und sollte das Kind todt sein, dann läuft sie vor Schreck weit weg von dem Schau-
platz, denn wenn sie entdeckt würde, dann wäre der Tod durch Gift ihr Schicksal.'
239. Das Geb&ren im Freien mit Hülfe Anderer. 35
Bei den Balanten, einem rohen Neger-Stamme in Senegambien, müssen
die Weiber auch im Walde gebären. (Marche.) Die Frauen der Neger am Se-
negal, welche es fiir eine Schande halten, Schmerzenslaute bei der Niederkunft
hören zu lassen, gebären nach Waldström ^^muthig und ohne alle Beihülfe*".
Bei den Maravis in Süd-Afrika geschieht es ofb, dass eine Frau bei der
Feldarbeit von der Geburt überrascht wird. Dann legt sie ihre Hacke bei Seite
und geht an irgend einen Ort, der gelten scheint, wo sie ohne irgend eine
Hülfe das Kind zur Welt bringt. Dann wäscht sie sich und das Kind, lässt es
saugen und geht wieder an ihre Arbeit auf das Feld oder, wenn es spät ist, in
das Dorf an ihre häusliche Verrichtung. (W. Peters.)
Die Wakimbu und die Wanyamwezi am Üjiji-See in Central-Afrika
hatten nach Speke und Burton ebenfalls die Sitte, dass, wenn daselbst eine Frau
bemerkt, dass ihre Niederkunft naht, sie ihre Hütte verlässt und sich in die
Dschungeln zurückzieht; nach einigen Stunden kehrt sie zurück, das Neugeborene
in einem Sacke auf dem Rücken tragend. Näheres über diese Völker und ihre
Nachbarn gab dann Hildebrandt an, der freilich hier zumeist weibliche Hülfe
erwähnt.
FeVcin berichtet von der Niederkunft der Schuli-
Negerinnen:
„Ein Holzklotz wird unmittelbar vor einen Baumstamm
gestellt; auf diesen mit Gras belegten und Fell überdeckten
31/2 Fuss hohen Klotz setzt sich die Frau. Etwa 2 Fuss von
dem Klotz und ebensoweit von einander entfernt sind zwei
Stangen in die Erde getrieben, von welchen jede in der Hohe
von 1^2 F118S von der Erde entfernt eine Sprosse hat, auf
welche beiderseits die Frau ihre Füsse stemmt, während sie
sich mit den Händen an den Stangen festhält. Nachdem sie
einmal Platz genommen hat, giebt sie es fast nie auf, bis das
Kind ans Licht gekommen ist." (Fig. 262.)
Von den Arabern giebt d'Ärvieux an:
,0n a soin des Princesses, qnand elles accouchent. II
n'y a point chez elles de sage-femmes en titre: toutes les femmes
savent ce möUer. Les femmes du commun n'ont point b esoin ^'«- ^\i^erkoi!men/*''° '
du secours de per sonne pour cela. Quelques moments (Nach Feikin.)
apräs qn*elles sont delivröes, elles tiennent le nombril de Ten-
fant, coupent ce qu'il y a de trop, et apr^ vont se laver avec lenr enfani ä la fontaine
ou riviäre la plus prochaine."
Auch in Europa haben wir noch ein Volk, welches die Weiber allein und
ohne Hülfe gebären lässt: Die Frauen in Montenegro bleiben nicht einmal in
ihrer armseligen Hütte, um ihre Niederkunft abzuwarten; sie gebären mitten auf
dem Felde oder in den Wäldern ohne irgend eine Hülfe, ohne einen Seufzer
oder eine Klage hören zu lassen ; sobald sie sich ein wenig erholt haben, nehmen
sie das Kind in ihre Schürze und waschen es im nächsten Bache. {Cotntesse
Bora d'Istria.)
239. Das Gebären im Freien mit Hülfe Anderer.
Aber nicht immer wird eine solche Entbindung im Walde ohne jede Bei-
hülfe vorgenommen, sondern bei manchen Völkerschaften, welche den Wald als
Geburtsplatz erwählen, wird die Schwangere von einer oder mehreren helfenden
Freundinnen dorthin begleitet. So bleiben z. B. die Frauen der Niam-Niam
in Central-Afrika, wenn die Niederkunft naht, nicht im Hause ihres Gatten,
sondern sie begeben sich in den benachbarten Wald, um hier unter dem Beistande
ihrer Gefährtinnen zu gebären. (Äntinori,)
3*
36 XXXVIII. Die Stätte der Niederkunft.
Von dem Bougo-District erfeihren wir durch Fdhin:
,da88 hier eine Stange e wischen zwei B&nmen auf deren Aeste horizontal gelegt wird,
80 dass die stehende Frau sie oben mit ihren Händen wie ein Reck erfassen kann. (Fig. 263.)
In den Wehenpausen geht sie in langsamer Bewegung auf und nieder, sobald aber die Wehe
auftritt, ergreift sie jedesmal die Stange, setzt die Füsse aus einander und drängt nach unten.
Die helfende Person kauert Tor ihr, um zu verhüten, dass das Kind zur Erde fällt. Jene
zwischen die Bäume gelegte Stange ist permanent und fttr jeden yorkommenden Geburtsfall
bereit. Sobald die Geburt beendet ist, baden Mutter
und Kind; ein Freundestrupp begleitet sie singend
und schreiend in das Wasser; die Plaoenta wird da-
bei Ton einer an der Spitze des Zuges tanzenden
Frau getragen und so weit als möglich in den Fluss
geworfen.*
Ueber die Indianer in Aeadien (damals
Provinz Neu-Frankreichs) sagt DierviUe:
„Wenn das Weib die Geburtswehen empfindet
und ihrer Niederkunft nahe zu sein glaubt, so geht
sie aus der Hütte und begiebt sich nebst einer Wilden,
die ihr beistehen soll, auf eine gewisse Weite in den
Wald, wo die Sache bald geschehen ist.' Nach
Engelmann .stiehlt sich bei den Sioux,Gomanchen,
Tonkawas, Nez-Perc^s, Apachen, Cheyennes
und mehreren anderen Indianer- Stämmen das Weib
hinweg in den Wald, um dort niederzukommen.
Allein oder begleitet von einer Verwandten oder be-
freundeten Frau verlässt das Weib das Dorf, sobald es bemerkt, dass die Entbindung naht;
sie sucht einen einsamen Platz und bevorzugt einen solchen in der Nähe fliessenden Wassers,
wo die junge Mutter sich selbst und das Kind baden kann, um dann, wenn alles vorQber ist,
gereinigt wieder in das Dorf zurückzukehren."
Die Frauen der Eingeborenen Australiens halten ihre Niederkunft an
einem vom Lager abgesonderten Platze im Busche, wohin ihnen nur Frauen
folgen dürfen. Auch MacgtU sagt: j,In Neu-Holland kommt die eingeborene
Frau in der Einsamkeit des Waldes nieder unter der Beihülfe eines ihr be-
kannten Weibes.*
Fig. 263. Bongo-Negerin, niederkommend,
(Nach />/^/«.)
240. Die Oebnrts-Ueberraschnng im Freien.
Von anderer Bedeutung sind natürlicher Weise die Geburten im Freien,
wenn die Schwangere mitten in ihrer Arbeitsthätigkeit unter freiem Hinmiel Ton
den Wehen überrascht wird. Die Häufigkeit jedoch, mit welcher sich die Frauen
mancher Völker von der Niederkunft überraschen lassen, hangt offenbar mit der
ganzen Lebensweise des Volkes und mit der culturellen Stellung des Weibes inner-
halb desselben zusammen.
Schon von einer Frau der alten Ligurier berichtete Strabo: Sie ging bei
ihrer Feldarbeit nur etwas auf die Seite, um zu gebären; dann nahm sie alsbald
wieder ihre Arbeit auf, um nicht den Lohn zu verlieren. De Charlevoix sagt
von den Indianern Amerikas:
nCe n*est jamais dans leurs propres cahanes, que les femmes fönt leurs couches; plu-
sieurs sont surprises et accouchent en travaUlant ou en voyage." Foiherius sagt: .Les sau-
vagesses sont d*un temp^rament si robuste, que si par hasard alles se trouvent obligäes de
faire leur couche dans le transport de leur cabanes , elles se reposent une heure ou deux et
enveloppent l'enfant dans une peau de castor et continuent leur vojage." Allein hier werden
die Indianer zu sehr generalisirt, denn, wie namentlich Engelmann gezeigt hat, sind die
Sitten bei den einzelnen Stämmen sehr verschieden.
Wir konnten dergleichen noch von zahlreichen anderen Völkerschaften be-
richten. Aus allem geht hervor, dass es vorzugsweise wandernde Völker sind,
deren Weiber eben nicht im Stande und deshalb auch kaum gewohnt sind, einen
241. OeffenÜiche Entbindungen. 37
besonderen Platz aufzusuchen, denn jeder scheint ihnen schliesslich gleich geeignet,
zum Gebären zu sein. Unter den in Asien nomadisirenden f&hren vnx beispiels-
weise die Ostjaken an; Müller sagt:
«Den Ostjaken -Frauen, welche die Geburt sehr wenig ästimiren, begegnet es oft, dass
sie im Winter yon einem Ort zum andern ziehen; wenn nun keine Jurte in der Nähe und die
Bequemlichkeit fflr die Gebärerin keineswegs zu finden, so verrichtet sie das Ihrige im Qehen,
verscharrt das Kind im Schnee, damit es hart wird etc."
Die Frauen der Araber, sagt d'Arvieux^ „accouchent par-tout oü elles se
trouvent, ä la campagne, comme ä la maison/ Die Kurdinnen gebären nach
Wagner oft im freien Felde. Die Beduinen-Weiber gebären, wie Layard
bezeugt, oft während des Marsches oder wenn sie vom Lager weit entfernt die
Heerden tränken.
Die Weiber der in Europa umherschweifenden Zigeuner kommen ge-
wöhnlich unter freiem Himmel nieder. (Qrellmann,) Auch von den Basken
sagt Cordter:
,Bei ihnen hat schon mehr als ein Neugeborenes seinen ersten Lebenstag unter dem
Schatten des Baumes verbracht, unter welchem es zuerst das Licht der Welt erblickte, wfthrend
die Mutter wieder ruhig an die Arbeit gegangen war."
Angeblich ertragen auch südslavische Bäuerinnen die Niederkunft mit
grossem Gleichmuth. Vrchne sagt:
.Es kam öfters vor, dass eine Schwangere, die ins Grebirg Holz lesen fortgegangen, im
Walde von den Wehen überrascht wurde und ohne umstände sich selbst Hebammendienste
leistete und das nackte Kind in ihrem Schurz nach Hause brachte; sie brachte dazu noch
eine Last Holz mit."
Aehnliche Fälle berichten Ilic und Jukic; doch Krat^ss meint, dass der-
gleichen doch zu den Ausnahmen gehören möge; er glaubt, dass JuMc die Bos-
niakinnen um jeden Preis zu Heldinnen stempeln will, denn im Allgemeinen
treffe man im südslavischen Bauernhause sorgfaltige Vorbereitungen.
241. Oeffentliche Entbindungen.
Während die Weiber der genannten Völker im Allgemeinen bei ihren Ent-
bindungen ein wenig abseits gehen, um sich den Blicken der Neugierigen zu ent-
ziehen, finden wir bei manchen anderen Stänmien einen voUstsändigen Mangel jeg-
licher Schamhaftigkeit. Eine Niederkunft gilt ihnen als ein Schauspiel, weichem
Jedermann, ja durchaus nicht selten selbst die Kinder beiwohnen dürfen, und ftir
gewöhnlich finden dieselben sogar auf offener Strasse statt. Wenn ganz neuer-
dings Winckel bemüht ist, die hierauf bezüglichen Beobachtungen als mehr zu-
fallige „ Gassengeburten '^ zu deuten, und Urnen die Bedeutung eines allgemein
üblichen Gebrauches abzusprechen, so geht er hierin zweifellos zu weit.
Vor aller Welt kommt unter Anderen die Kamtschadalin nieder.
Wenigstens berichtet der Naturforscher Steuer^ dem wir so viele gute Beobach-
tungen verdanken, dass in Kamtschatka zu seiner Zeit die Frau gewöhnlich
auf den Knieen liegend in Gegenwart aller Leute aus dem Dorfe ohne Unterschied
des Standes und Geschlechts gebar.
Nach Nichölas gebären die Neu-Seeländerinnen sogar ganz im Freien,
vor einer Versammlung von Personen beiderlei Geschlechts und ohne einen einzigen
Schrei auszustossen. Die Umstehenden beobachten den Augenblick, wo das Kind
zur Welt konunt, mit Aufmerksamkeit und schreien, wenn sie es sehen, Tane!
Tane! Die Mutter schneidet die Nabelschnur selbst ab und nimmt ihre gewöhn-
liche Thätigkeit wieder auf, als wenn nichts vorgefallen wäre. Diese Darstellung
stimmt nicht mit der von Tüke, nach welcher die Mao ri -Frauen einsam und
ganz allein im Busche niederkommen sollen.
38 XXXYin. Die Stätte der Niederkunft.
Ein öffentlicher Act, dem beiwohnt, wer gerade zugegen ist, soll die Nieder-
kunft auf den Sandwichs -Inseln sein.
Von der Minkopie-Frau auf den Andamanen-Inseln wird ebenfalls der
Mangel irgendwelcher Zurückhaltung angeführt, (de Eienjgi.)
Wijngaarden wohnte der Entbindung einer Hauptlingsfrau der Karau-
Bataks in dem Gebiete von Deli auf Sumatra bei. Sowie die Wehen ihren
Anfang nahmen, wurde die Kreissende aus dem Hause auf den dasselbe um-
gebenden unbedeckten Umgang (Toerei genannt) herausgebracht und auf zwei
Planken gelagert. Bei ihren lauten Schmerzensäusserungen machte ihr eine
andere Frau Vorwürfe: sie solle sich schämen, sie benähme sich ja, als ob sie
geschlagen würde.
Von den Aaru-Inseln berichtet von Rosenberg:
,Wexm eine Frau auf dem Pankt steht, niederzukommen, werden Freunde und Ver-
wandte zasammengerufen, um bei der Geburt des Kindes gegenwärtig zu sein. Die Gäste
machen während der Wehen, wobei die Frau auf eine schreckliche Weise misshandelt wird,
unter dem Vorwand, ihre Niederkunft zu befördern, einen höllischen Lärm durch Geschrei
und schlagen auf Gongs und Tiffiu (kleine Trommeln). Ist das Eind eine Tochter, so ent-
steht grosse Freude, weil, wenn sich dieselbe später yerheirathet, die Eltern einen Brautpreis
empfangen, von dem auch alle diejenigen, welche bei der Geburt anwesend, einen gewissen
Antheil bekommen. Man feiert dann ein Fest, wobei ein Schwein geschlachtet und eine un-
geheure Menge Arac getrunken wird. Die Geburt eines Sohnes wird mit Gleichgültigkeit
entgegengenommen. Die Gäste begeben sich dann traurig und enttäuscht nach Hause,
und der armen Mutter wird öfters noch vorgeworfen, dass sie keiner Tochter das Leben
geschenkt.'
In Niederländisch-Indien sehen häufig auch die Kinder bei Geburten
zu. (van der Burg.) Auch auf den Keei- Inseln hat während der Entbindung
Jedermann zu der Hütte Zutritt.
Bei den Wehen und der Geburt eines Kindes bleiben oft die eigenen und
selbst fremde grössere oder kleinere Kinder ruhig mit der Mutter unter den
Munda-Kolhs in Chota Nagpore (Indien) in einem Zimmer, bis das Kind
geboren ist; doch scheint, wie Jdlinghaus hinzusetzt, „diese uns roh erscheinende
Natürlichkeit keinen schlechten Einfluss auf die Sitten der Kinder auszuüben.''
Rohere Stämme Süd -Indiens gestatten weiblichen Verwandten und Be-
kannten, um die Kreissende zu sein.
In dem Brahminendorf Walkeschwar unweit Bombay sah Haeckel^ wie
eine Entbindung unter erschwerenden Umständen mit den sonderbarsten Instru-
menten auf offener Strasse ausgeführt wurde; ein Hindu- Konstabier oder „Police-
Man' hielt dabei die versammelten Zuschauer in Ordnung und erklärte Haeckel
gefallig die Bedeutxmg des Actes.
Ueber die Guinea- Neger berichtete Purchas (im Jahre 1625):
„Wenn ihre Niederkunft beginnt, so stehen Männer, Frauen, Mädchen, Jünglinge und
Kinder um sie her, vor deren aller Augen sie in schamlosester Weise das Kind zur Welt bringt."
In Central-Afrika fand FeOcin bei mehreren Negerstämmen (1879)
viele Zuschauer bei der Niederkunft, aber Kinder waren dabei nicht geduldet.
Bei den Stämmen der Wüste Algeriens wird die Frau, wenn sie von Ge-
burtswehen ergriffen wird, sogleich auf die Strasse gebettet, denn die Sitte duldet
nicht, dass die Geburt im Hause vor sich geht; höchst wahrscheinlich gilt die
Gebärende für unrein und muss deshalb auf offener Strasse niederkommen, wo sie
von einer in stumme Schaulust versunkenen Volksmenge umringt wird; v, MaUean
wohnte einer solchen Entbindung auf offener Strasse des kleinen Oasendorfes El
Kantarah bei
Auch in Amerika treffen wir Aehnliches, denn die Garipanas-Indianerin
am Madeira in Brasilien gebiert angesichts der Stammesgenossen. (Keller-
Lensinger,)
242. Die Niederkunft im Wohnhause. 39
Vollum wurde zu einem Umpqua-H&uptling gerufen. Er fand die Patientin in
einer Hütte liegend, die roh hergestellt war aus St&ben und Reiaigholz; der Raum war
bis zur Erstickung mit Weibern und Männern erfüllt; er selbst konnte wegen des schlechten
Geruchs, den die schwitzenden Körper ausströmten, verbunden mit dem Rauchen, kaum
länger als wenige Augenblicke in der Hütte verweilen. Die Versammelten schrieen in der
wildesten Art; man klagte über das Unglück der Leidenden. Nicht viel besser ging es
froher bei den halbcivilisirten Einwohnern Mexikos bei Monterey zu; allein in diesen
Fällen, wo die Oeffentlichkeit erlaubt war, sind sonst in der Regel die Männer ausgeschlossen.
(Engelmann.J
242. Die Niederkunft im Wohnhanse.
Verbleibt die Schwangere, um ihre Entbindung abzuwarten, in dem Wohn-
hause, so begegnen wir verschiedenartigen Gebräuchen, wie in demselben die
Wochenstube hergestellt wird. Ein zutre£Fendes Bild der Localitäten, in welchem
die Frauen der altklassischen Völker, die Griechen und Römer, ihre Ent-
bindung abwarteten, können wir nicht entwerfen. Denn jedenfalls war die Oert-
lichkeit und ihre Ausstattung eine ganz andere zu den Zeiten, da diese Völker
sich noch in den frühen Stadien ihrer Gulturentwickelung befanden, als dann, wo
sie schon ihre Blüthezeit gewonnen, oder wo sie Ton dieser wieder herabgestiegen
waren. Auch wird gewiss, wie bei allen Gulturvölkem, der Anblick eines Ge-
burtszinmiers in den verschiedenen Schichten der Bevölkerung ein wechselnder
gewesen sein. Die alten Autoren sprechen in der Regel nur von den besseren
Ständen. Griechinnen, die zu diesen gehörten, gebaren in ihren Gemächern,
im Gynäkeion, das ihnen als Aufenthaltsort zugewiesen war. Bei den Römern
verfügte sich die Gebärende in ein eigenes Gemach, wo kostbare Decken ausge-
breitet waren; sie wusch sich und umwand ihr Haupt mit einer Binde, legte
die Sandalen ab und legte sich, mit dem Pallium bedeckt, auf das zu ihrer
Niederkunft bestimmte I^ger nieder. Sorantis^ der ein Buch über Geburtshülfe
schrieb, giebt nun die diätetischen Vorbereitungen an, mit welchen man den
Raum ausstatten musste, wenn er allen Anforderungen in gesundheitlicher Hin-
sicht entsprechen sollte: »Die Gebärende muss im Winter in einem geräumigen
Zimmer mit gesunder Luft sich aufhalten; in dem Zimmer müssen die ver-
schiedenen Requisiten, ab Oel, Abkochung von Foenu graecum, flüssiges Wachs,
warmes Wasser, weiche Schwämme, Baumwolle, Binden, Kopfkissen, Biechmittel,
ein Gebärstuhl und zwei Betten bereit stehen.* Es lässt sich denken, dass bei
den niederen IQassen, sowie bei den Landbewohnern im römischen Gebiete
in dem Gebärzimmer keineswegs nur annähernd dergleichen Vorkehrungen ge-
troffen waren.
Es lassen sich ja auch die Einrichtungen des Zimmers, in welchem die Frau
niederkommt, in unseren heimischen Landen bei vornehmeren Städterinnen oder
auch nur bei den Bürgersfrauen in keiner Weise mit denjenigen bei Bauersfrauen,
namentlich in bestimmten Gegenden, vergleichen. Unter den höheren Klassen fand
Ploss im Wochenzimmer zu London einen Comfort, zu Paris einen Luxus, wie
bei uns kaum in fürstlichen Familien. In deutschen Bürgerhäusern wird meist
das Schla&immer passend und angemessen hergerichtet. Dagegen zeigen, wenigstens
in Deutschland, die Räume, in welchen die Kreissende und Wöchnerin kleiner
Bauern ganz gewohnheitsmässig verharrt, den vollständigsten Mangel an bequemen
Einrichtungen und gesundheitlichen Verhältnissen. Aus der bayerischen Ober-
pfalz berichtet jBrenner-Schäffer folgende, gewiss auch in anderen Gauen vor-
kommende, Thatsache:
.In den meisten Fällen birgt das Bauernhaus nur eine Stube; darin weilen Männer
und Weiber, Knechte und Mägde, Kinder und Nachbarn. Unter dem colossalen Oeconomie-
ofen, der Tag und Nacht gleiche Hitze, sei es Sommer oder Winter, ausstrahlt, in dem für
40 XXXVm. Die Stätte der Niederkunft.
Mensolien und Vieh Jahr aus, Jahr ein gekocht wird, unter diesem stattlichen Greb&ude, das
keiner Bauernstube fehlt, schnattern G&nse, krähen Hühner, grunzen Schweine; hier wird das
Futter des Rindviehs abgebrüht, dort Kartoffeln fQr die Schweine gestossen, ein immer
offener Wasserhafen, der sogenannte Höllhafen, entwickelt fortwährend qualmenden Wasser-
dunst, während aus dem Rohre der Geruch yerbrannten Schmalzes, bratender Kartoffeln und
tausend andere Gasarten das Zimmer durchziehen. In solcher Staffage erblickt das Kind das
Licht der Welt!«
Offenbar ist hiermit ein Bild entworfen, das uns zeigt, dass bei manchen
uncultivirten Völkern die Frauen in passenderen und besseren Localitäten gebären,
als bei vielen unserer Kleinbauern.
Bei dem grossstädtiscben Proletariate ist es nicht selten, dass die ganze
Familie nur eine kleine Küche als gemeinsamen Wohn- und Schlafraum benutzt,
während das einzige Zimmer der Wohnung an eine Anzahl unverheiratheter junger
Leute, sogenannter Schlafburschen (Arbeiter oder auch Soldaten), vermiethet ist.
In dieser Küche kommen dann natürlich auch die Kinder zur Welt.
Wo bei etwas besseren Familien der Armen nur eine Stube als gemeinsamer
Familienaufenthaltsort zur Verfügung steht, da weiss man sich bisweilen zu helfen,
indem man das Bett, die Lagerstätte der Gebärenden, in eine Art von Himmelbett
umwandelt. So verfahrt man beispielsweise in Istrien; dort geht die slavische
Frau, wenn sie ihre Entbindung herankommen fühlt, in die Kirche zum Gebet,
danach begiebt sie sich nach Hause, wo ihr Bett rings herum mit Betttüchern
und Decken verhangen ist. Denn da die Häuser, ausser denen sehr wohlhabender
Familien, meist nur ein grosses Zimmer enthalten, so stehen die darin befindlichen
Betten sehr dicht an einander und sind weder durch Vorhänge noch Gardinen
von einander abgetrennt; der Mann tritt in diesem Falle sein Lager der Wöchnerin
ab. (v. Reinsberg-Düringsfeld.)
Auch bei den Slovaken finden sich nach Hein ganz bestimmte Vorhänge
für das Geburts- und Wochenbett. Sie haben einen durchlaufenden Streifen,
welcher mit reicher Stickerei verziert ist. Als Motiv für diese letztere erscheinen
ausschliesslich grosse stilisirte Pfauen.
Aus Bosnien berichtet Glück:
,In manchen Gegenden des Occnpationsgebietes haben die Bäuerinnen die Gewohnheit,
gleich nachdem sie die ersten Wehen verspüren, sich in einen Winkel des Hauses zu ver-
kriechen und erst dann wieder zum Vorschein zu kommeui wenn sie entbunden sind und das
Kind selbst abgenabelt haben. **
In Ungarn geht die Entbindung nicht im Bette vor sich, sondern mitten
im Zimmer auf der Erde über etwas mit Leintuch zugedecktem Stroh, »weil auch
Christus auf Stroh geboren ward*, (v. Ssaplovics.)
V. Wlislocki^ beschreibt ausführlich die feierliche Aufstellung und Ausrüstung
des Bettes, in welchem die Magyar in ihre Wochen abhält. Es ist das jBoldo-
gasssfony-Bett, das Liebfrauenbett, von welchem wir später noch sprechen
müssen. Er sagt dann aber:
,Die Mutter bringt das Kind nicht in diesem Bette zur Welt und wird erst nach
überstandener Geburt in das Bddogasszony-Beii gelegt. Die Frau gebärt mit dem Gesicht
gegen das Fenster und mit den FQssen gegen die Stube, nicht gegen die Thüre zugekehrt,
während die Todten so aufgebahrt werden, dass die FOsse der Thüre zugekehrt sind, denn
man glaubt, dass dann mit dem Todten auch der Tod aus dem Hause weiche."
Die Lappländer weisen der Frau einen besonderen Platz in der Hütte an,
auf dem sie niederkommt und den während ihres Wochenbettes Niemand betreten
darf; er ist links vom Eingange gelegen.
Die Gurier bringen die Gebärende in ein Zimmer ohne Dielen, dessen Fuss-
boden mit Heu bestreut wird.
Zu ebener Erde kommen auch die Weiber der Parsis in Bombay nieder,
wie der Parsi Dosabhoy Fremjee berichtet.
243. Die Niederkunft in der Badstube. 41
Auf der Insel Serang gebären die Frauen in einem abgesonderten Räume
des Hauses; auf den Wat üb ela -Inseln wird der gewöhnliche Schlafraum als
Qeburtsstätte benutzt. Die Aaru-Insulaner bereiten der Frau fär die Entbindung
einen abgeschlossenen Raum im Hause, den sie durch umgestellte Matten her-
richten. (Eiedd\)
Viele Indianer benutzen als Lager f&r die Niederkunft nichts als den
blossen Erdboden, höchstens wird ein Büffelfeil oder ein altes Tuch über den
Estrich ausgebreitet, oder auch trockenes Gras oder Unkraut; jedenfalls stellen
sie, wie es eben kommt, ein weiches und angenehmes Lager auf dem Boden her.
Eine sehr gewöhnliche Methode ist es, die Gebärende auf eine Schicht von Erde
zu legen, die mit einem Büffelfell bedeckt ist. Die Rees, die Gros-Ventres und
Mandans legen ein breites Stück Fell auf den Boden, über welchen eine drei bis
vier Zoll dicke Schicht Erde aufgeschichtet wurde, und über diese wird dann das
Tuch oder das Fell gelegt, auf dem die Patientin kniet. (Engdmann.)
Gebiert die Xosa-Kaffer-Frau im Hause, »so hockt sie splitternackt auf
einem Haufen loser Erde, damit nicht ihre Kleider oder der Fussboden ihres
Hauses durch einen Blutstropfen verunreinigt werde.* (Kropf.)
Aehnlich wie das oben Ton den Guriern berichtet wurde, sollen auch die
Chinesen auf dem Fussboden eines Zimmers ohne Dielen auf untergeschüttetem
Heu gebären. Letzteres trifft jedoch ohne Zweifel nicht für alle Falle zu, denn
wir werden später noch eine chinesische Zeichnung kennen lernen, aus welcher
unzweifeKiaft hervorgeht, dass die Chinesinnen auch auf einem fussbankartigen
Stuhle sitzend niederkommen; auch sagte eine früher beigebrachte Angabe, dass
die Entbindung in einer Wanne stattfände.
Ueber den Gebärraum der Japanerin berichtete das alte Buch Schorei
Hikki. Dort heisst es nach Mitford' s Uebersetzung:
.Die Menblirong des Zimmers der Wöchnerin ist wie folgt: Zwei Zaber, am Unterrocke
hineinzulegen; zwei Zuber fOr die Nachgeburt; ein niedriger Armstuhl ohne Beine fOr die
Matter, um sich darauf zu stützen; ein Schemel, der von der Geburtshelferin, welche die
Lenden der zu entbindenden Frau umfasst, um sie zu unterstützen, gebraucht wird, und den
nachher die Hebamme beim Waschen des Kindes benutzt; mehrere Kissen von yerschiedener
Form und Grösse, damit die Wöchnerin ihren Kopf nach Gefallen stützen kann: Vierund-
zwanzig Kinderkleider, zwölf von Seide und zwölf von Baumwolle, müssen bereit gehalten
werden« Die S&ume dieser Kleider müssen sa&angelb gefärbt sein. Es muss auch eine
Schürze für die Hebamme vorhanden sein, damit diese das Kind, wenn es von hohem Range
ist, beim Waschen nicht gleich auf ihre eigenen Kniee legt. Diese Schürze sollte von einem
baumwollenen Schleiertuche gemacht sein. Mit einem solchen feinen, baumwollenen, nicht
gesäumten Schleiertuche sollte auch das Kind, wenn es aus dem warmen Wasser genommen
wird, abgetrocknet werden.'
Nicht wenige Völker gestatten den Frauen zwar nicht, im Wohnhause
niederzukommen, aber sie treiben sie auch nicht in das Freie hinaus, sondern
sie errichten ihnen eine besondere Hütte, oder ein Zelt, in welchem die Ent-
bindung vor sich geht. Wir werden dieselben in einem der folgenden Abschnitte
kennen lernen.
243. Die Niederkunft in der Badstnbe.
* Wir müssen es als eine besondere und ausschliessliche Eigenthümlichkeit
russischer Yolksstämme anerkennen, dass sie ihre Kreissenden weder im Wohn-
hause, noch auch in einer eigens für diesen Zweck errichteten Gebärhütte, sondern
in der Badstube niederkommen lassen. Das wird uns von den Weibern in Gross-
Russland, von den Frauen der Letten, der Ehsten und der Finnen, Ton
den Weibern im wyätkaschen Gouvernement und von den Wotjäkinnen be-
richtet. Die Badstube spielt überhaupt in der Cultur und in der Yolkshygieine
42 XXXYIU. Die Si&tto der Niederkunft.
jener Stamme eine ganz hervorragende Rolle. Sie ist nicht selten dem ganzen
Dorfe eigen; immer aber ist sie nicht ein Theil des Wohnhauses, ein von diesem
abgetrenntes Zimmer, wie man aus dem Namen »Stube* vielleicht schliessen
möchte, sondern sie ist ein freistehendes Häuschen ohne Fenster mit einem Ofen,
dessen Rauch nicht durch einen Schornstein, sondern durch kleine Oefhungen an
den Wänden ins Freie tritt.
Weiter oben wiesen wir schon darauf hin, dass dieser eigenthümlichen Sitte
vielleicht die Auffassung von einer Unreinheit der Gebärenden zu Grunde liegen
möchte. Sonderte man sie in der Stunde der Entbindung in der Badstube ab,
so wurde das Wohnhaus rein und unbefleckt erhalten, und nach erfolgter Nieder-
kunft konnte durch ein purificirendes Bad sogleich die Unreinheit von der Wöch-
nerin genommen werden. AJJcsnis hat eine andere Erklärung f&r den Gebrauch,
der, wie wir aus seinen Angaben ersehen, bei den Letten bereits im Aussterben
begrifien ist. Er sagt:
, Kündigt sich die herannahende Geburt durch Vorwehen an, so wird schleunigst eine
Hebamme geholt. Man sorgt für W&rme im Zimmer, und der Rücken der Frau wird oft an
einen warmen Ofen angelehnt, damit die Vorwehen weniger sie qu&len. Dieser Umstand,
dass Wärme den Wehenschmerz lindert,, wie auch derjenige, dass man die Geheimnisse der
Geburt nicht vor vielen und möglicherweise jungen Leuten sich yoUziehen lassen wollte, hat
es wohl bewirkt, dass früher die Schwangeren beim Herannahen der Geburt sich nach der
gut geheizten Badstube begaben, wo alle nöthigen Froceduren von den Hebammen leichter
bewerkstelligt werden konnten. Da war Wärme, da war warmes Badewasser sogleich zur
Hand, da war man weniger behindert durch störende Angehörige, hatte mehr freien Raum
zum Handeln u. s. w/
Alle diese Reflexionen sind ja gewiss ganz richtig und zutre£Fend, aber sie
brauchen durchaus nicht ursprüngliche, primäre zu sein. Sehr wohl kann der
Glaube, dass die Gebärende unrein sei und dass sie verunreinigend und unheil-
bringend auf das Wohnhaus und seine Insassen einwirke, ihre Verbannung in die
Badstube herTorgerufen haben, und erst hinterher können die Leute sich klar
gemacht haben, dass sie fttr die Kreissende einen ganz zweckmässigen Platz ge-
wählt hätten, und es werden ihnen dann sicher auch alle mit der Badstube ver-
bundenen Vorzüge nach und nach zum Bewusstsein gekommen sein. Trotzdem
ist bei den Letten jetzt die Badstube, wie wir durch Äücsnis erfahren, als Nieder-
kunftsraum ausser Mode gekommen und er hält es sogar für noth wendig, den
Beweis dafür anzutreten, dass man früher für diesen Zweck die Badstube auch
wirklich aufgesucht habe. Er führt als Beleg dafiir folgende Stelle aus einem
alten Volksliede an:
,In die Badstube eintretend, warf ich meinen goldenen Ring hin: nimm Laimin das
goldene Opfer! nimm nicht meine Seele!'
Die Bäuerinnen in Finland halten aber nach Banun ihre Niederkunft
und ihr Wochenbett bis auf den heutigen Tag auf einem Strohlager in der Bad-
stube ab. Er giebt die üebersetzung eines Verses aus einem sogenannten
Schaukelliede:
, Nicht gedacht und nicht gedeutet,
Nicht gemeint hat^s so die Mutter.
Auf dem Bette in der Badstub,
Als sie auf dem Stroh sich streckte,
Auf dem Eaff in EindesnOthen.*
Die Badstube als Stätte der Niederkunft wird auch in der finnischen
Kalewala mehrmals erwähnt. Die durch den Gennss einer Preisselbeere schwanger
gewordene Jungfrau Marjatta hat schon lange angefangen:
«ohne Schnür* zu gehen.
Ohne Gürtel sich zu kleiden,
In die Badestub* zu gehen.
In der Finstemiss zu weilen.*
244. Die Geb&rbütten. 43
Vergeblich bittet sie die Matter und den Vater:
„Gieb mir eine warme Stelle,
. Eine St&tte, die erwärmet,
Dass das Mädcben sich dort rein'ge,
Dort das Weib die Weben trage."
Aach im Dorfe wird sie, als eine aosserehelich Geschwängerte, mit den
Worten abgewiesen:
«unbesetzt sind nicht die Bäder,
Nicht die Stabe bei dem Schilfbacb!*
und die Arme muss dann im Tannenwalde niederkommen.
Eine andere Schwangere sucht im Nordlande Pohjola Hülfe und wird hier
heimlich in die Badstube gebracht:
,Eam die schwarze Tochter Tuoni's,
Sie, die garst'ge Jungfrau Mand's,
Hin zur Stube von Pohjola,
Zu der BadstuV Sariola's,
Ihre Kinder zu gebären,
Ihre Frucht dort zu erlangen.
Loühi, sie des Nordlands Wirthin,
Nofdlands Alte, arm an Zähnen,
Führt sie heimlich nach der Badstub',
Zu dem Bade in die Hütte,
Ohne dasB das Dorf es hörte,
Es ein Wort vernehmen konnte,
Heizte heimlich ihre Badstub*,
Sorgt fttr Alles voller Eile,
Sc&miert mit Bier der Badstub' Thüren,
Netzt mit Dünnbier ihre Riegel,
Dass die Thür nicht heulen möchte,
Nicht die Riegel laut ertönen.* (Schiefner.)
Sie steht dann auch der Gebärenden bei, es beschrankt sich jedoch ihre
Hülfe im Wesentlichen darauf, dass sie durch Beschworungen die Entbindung
befördert.
244. Die GebärhUtten.
Die Sitte, der Kreissenden für die Niederkunft ein eigenes, von dem Wohn-
platze abgesondertes Heim zu scha£Pen, ist eine sehr alte und weitverbreitete.
Bei den taten Indern begaben sich die Frauen aus den Kasten des Brahma,
Kshastrya, Yaisya und Sudra in das Entbindungshaus (Puerperarum domus),
woselbst unter dem Beistande von yier muthigen Frauen unter vielen Ceremonien
die Entbindung erfolgte.
In dieses Haus musste sich schon die Schwangere begeben, imd es wurde dazu ein
.glücklicher Mondtag* gew&hlt. Hier befand sie sich, nach Suaruta's Angabe, im .Geburts-
zimmer der Brahmanen*, das aus Aegle marmelos, Ficus indica, Diospyros glutinosa und
Semicarpus construirt war. Das Bett war aus Eameelhaaren gewebt, die Ritzen des Hauses
waren verstrichen. Gut unterrichtete Dienerinnen (Hebammen?) harrten ihrer. Die Thüren
des Gebnrtszimmers mussten nach Morgen oder Mittag gelegen sein. Dasselbe war acht Ellen
lang und vier Ellen breit, von W&ohtem umgeben. Brahmanen fül^rten die Aufsicht über das
ganze hygienische Verhalten und die Beobachtung der di&tetischen Vorschriften. Hier ver-
weilte die Wöchnerin noch einen halben Monat lang nach der Ankunft des Kindes.
Auch jetzt noch fuhrt man die gebärende Hindu- Frau in eine Gebärhütte,
doch wird sie hier nach Smith von ungeschickten Weibern durch Hitze und Rauch
fepeinigt. Diese Absonderung der Kreissenden besteht auch bei den Todas in
ndien: Wenn bei ihnen die Entbindung naht, so f&hrt der Mann seine Frau
44
XXXYIIL Die Stätte der Niederkunft.
in eine kleine Hütte, die im Walde erbaut ist, und bringt ihr dorthin täglich
ihre Nahrung. Dort lebt sie in völliger Zurückgezogenheit und unterhält nur
mit einigen Freundinnen Verkehr, welche ihr bei der Geburt des Kindes Beistand
leisten. Desgleichen enthält jedes Dorf der Badagas, die im Nilgiri-Gebirge
in Indien wohnen, eine besondere Hütte, in der die Wöchnerin nach der Gebiui
des Kindes 2 — 3 Tage zu yerweilen hat; während dieser Zeit wird sie von Frauen
bedient und Morgens und Abends gewaschen. (Jagor.) Aehnlich findet bei den
Kaders, einem Volke in den Anamally-Bergen, die Niederkunft in einer be-
sonderen, für diesen Zweck erbauten Hütte mit Hülfe verwandter und befreundeter
Weiber statt. (Jagor.) Auch bei den Hill Arrians in Travancore wird für
die Hochschwangere eine kleine Hütte in geringer Entfernung vom Hause er-
In dieser muss sie ihre Niederkunft abmachen und 16 Tage darin ver-
richtet,
weilen
(PaifUer,)
Fig. 264. Indische Gebärhütte. Nach
einem Wandgemälde eines Tempels in
Sikhim.
Auf einem als Lebensrad bezeichneten
Fresco-Gemälde eines Tempels in Sikhim be-
findet sich auch die Darstellung einer indi-
schen Gebärhütte (Fig. 264). Von der Insassin
ist aber nichts zu sehen.
Der Ort, an dem die Annamitin in
Gochinchina niederkommt, ist verschieden
je nach der socialen Stellung der Gebärenden;
im Hause jedoch kann sie dies unter keinen
Umständen bewerkstelligen.
Mondüre sab, wie unglückliche Mädchen, so-
bald ihre Stunde gekommen war, mitten auf der
Strasse, gleichsam coram populo lagen, indem ihnen
mittelst fünf durchlöcherter Matten und acht Bambus-
stäben ein Schutzdach bereitet worden war. So
mussten sie 2 bis 3 Tage liegen bleiben, wobei sie
sich an einem Feuer wärmten , das ihnen mitleidige
Nachbarn angezündet hatten ^und unter den 10 — 12
Latten unterhielten, die den Unglücklichen als Lagerstätten dienten. Den Frauen der Hand-
werker und Dienstleute gewährt man gewöhnlich einen kleinen Schmutzwinkel, den man je
nach Umständen ein wenig gereinigt hat. Wohlhabende Leute errichten für diesen Zweck
im Hofe, doch nahe der eigentlichen Wohnung, ein kleines Bambus-Häuschen, das nur eine
Thür und ein winziges Fenster hat. Auf vier Pfählen bereitet man hier der Frau ein Lager
von Bambus-Latten, und damit ist alles geschehen. Nach einem Monat, während dessen die
Frau in dieser Hütte verweilt, wird diese niedergerissen und oft verbrannt. Das Letztere ist
unzweifelhaft eine recht gute hygieinische Maassregel.
Die Alfuren-Frau auf Serang sucht sich, wenn sie ihre Entbindung er-
wartet, im Busche in der Nahe des Dorfes, in der Regel dicht bei fliessendem
Wasser, einen passenden Ort aus, wo die Geburt vor sich gehen kann. Dort
wird ein sogenannter paparissan, d. i. eine kleine, aus Stöcken und Blättern ver-
fertigte Hütte, oder besser gesagt, ein Schutzdach hergestellt, das vor B^en
schützen kann. Ein altes Weib bleibt bei ihr und verrichtet den Hebammendienst.
(Capitän Schulze.) Nach anderem Berichte errichtet der Ehemann bisweilen seiner
Frau eine besondere Niederkunftsstatte , welche sie nicht vor dem dritten Tage
verlässt; viele Frauen machen aber ihre Entbindung im Wohnhause ab. Bei den
auf derselben Insel wohnenden Patasiwa-maselo ist das letztere jedoch streng
verpönt. Diese benutzen dieselbe Hütte, in welche die Menstruirenden sich zurück-
ziehen müssen, auch als allgemeines Gebärhaus. Hier müssen die Frauen ebenfalls
noch drei Tage nach der Entbindung ausharren und dürfen erst in ihre Wohnung
zurückkehren, nachdem sie sich gebadet haben.
In den verschiedensten Gegenden von Neu- Guinea (in Andai, Dorei,
der K aim an i -Bucht u. s. w.) wird die Entbindung und das Wochenbett ebenfalls
244. Die Gebärhütten. 45
in einer eigens für diesen Zweck im Gesträuche aufgeschlagenen kleinen Hütte
abgemacht.
Ebenso kommen nach Moerenhout die Weiber auf Tahiti in einem beson-
deren Häuschen nieder. Das Gleiche gilt theilweise auch von den Australie-
rinnen. Ich werde in einem späteren Abschnitte darauf zurückkommen.
Auf Neu-Seeland herrscht unter den Eingeborenen eine ähnliche Abson-
derung der Gebärenden.
Dort wird schon während der Schwangerschaft die arme Frau für Tabu erklärt; sie
wird deswegen von der Verbindung mit anderen Personen abgeschnitten und unter ein ein-
faches, aus Zweigen und Blättern bestehendes Obdach verwiesen, das kaum gegen Regen,
Wind und Sonnenhitze schützt. Dort wird sie je nach ihrem Range von einer oder mehreren
Frauen, welche, wie sie, Tabu sind, bedient. Wie lange diese Art Quarantäne dauert und
welchen Förmlichkeiten die Frau sich dabei unterziehen muss, um wieder frei in der Gesell-
schaft auftreten zu kOnnen, ist unbekannt. Die Ausschliessung dauert noch mehrere Tage
nach der Geburt fort, und in dieser Zeit ist das neugeborene Kind aller Ungunst der
Witterung preisgegeben. Erst einige Tage nach ihrer Niederkunft darf sie die Hütte ver-
lassen, (de EienziJ Nach anderer Nachricht fNovaraJ befindet sich die Hütte, welche für
die gebärende Maori-Fran gebaut wird, nicht weit von der Wohnung der Familie und wird
für heilig gehalten.
Die Sandwichs-Insulaner baqen in der Nähe der Wohnung eine kleine
-Gebärhütte, welche Tabu, d. h. unbetretbar, unnahbar ist.
In dieser kommt die Frau, von einem Stück Zeug aus der Rinde eines Maulbeerbaumes
bedeckt und auf einem kleinen Stück Zeug auf der Erde liegend, nieder; und der Mann,
welcher sich in der Nähe der Entbindungshütte aufhält, tritt hinein, sobald er von der Ge-
burt des Kindes benachrichtigt wird, um selbst den Nabelstrang zu durchschneiden.
Eine besondere Wochenbettshütte haben für die Frau nach der Entbindung
während der ganzen Zeit ihrer Unreinheit die Bewohner der Insel Yap. (v. Mi-
MuchO'Maday.)
Bei den Pschawen wird die Frau beim Herannahen der Niederkunft aus
der Hütte gejagt, und sie begiebt sich in eine weit abseits vom Dorfe gelegene
Hütte, wo sie ganz allein und aller Hülfe bar ist. (Fürst Eristow.)
«Bei den Chewsuren verlässt die Schwangere, sobald die Zeit der Geburt gekommen
ist, das Dorf und begiebt sich in eine elende, mit Langstroh dürftig bedeckte Hütte, welche
am entlegenen Abhänge in 1 bis 2 Kilom . Entfernung vom Dorfe durch andere Weiber her-
gerichtet wurde; oft tragen drei an einan der gestützte Stämmchen nur die seitliche Stroh-
bedeckung. Diese Gebärhütten heissen «Satschechi". Die Mutter muss hier eigentlich ohne
Jede Hülfe niederkommen, doch gestatten einige Chewiuren jetzt die Hülfe irgend eines
anderen Weibes; ja es kommt vor, dass neuerdings ein eigener Winkel im Hause des Dorfes
zur Niederkunft hergerichtet wird. Derselbe ist aber so klein, dass er nur die Mutter allein
aufiiehmen kann. Nach den altüblichen Gebräuchen darf selbst der Mann seiner Frau nicht
helfen und auch nicht in ihre Nähe kommen.' (BaddeJ
Auch die Nord-Asiaten haben besondere Gebär-Zelte. Das „unreine Zelt*,
in welchem bei den Samo jeden die Frau niederkommen muss, heisst Samajma
oder Madiko. Steht bei den Ostjäken eine Geburt bevor, so zieht die Frau in
eine besondere Jurte und lebt hier, bis fünf Wochen nach der Geburt des Kindes
verstrichen sind. (Alexander.) Die Giliaken, welche am unteren Amur und
im nördlichen Sachalin wohnen, verweisen die Schwangere schon vor ihrer Ent-
bindung in^eine Hütte von Birkenrinde. Denicker berichtet:
.Chez les Ghiliaks la femme enceinte est entouröe de tous les soins possibles, mais
une dizaine de jours avant la parturition pr^sum^e, on la transporte de la maison dans une
<;abane en ^corce de bouleau ou Ton entretient un feu leger. Cet usage est strictement ob-
serve, memo pendant les temps les plus froids. Sa signification n*est pas bien daire; il ne
semble pas cependant indiquer qu'on considäre la femme en couche comme quelque chose
d*impur, car apr^s la parturition on ne la soumet ä aucune pratique purifiante. Pendant
tout son s^jour dans la cabane, la femme n*est soign^e que par les personnes de son sexe, qui
Tassistent pendant Taccouchement et baignent le nouveau-nö dans la mgme cabane souvent
par un froid de quarante degres centigrades au-dessus de z^ro.'
46
XXXVIU. Die St&tte der Niederkunft.
Gleichen Erscheinungen begegnen wir in Süd- Amerika. Barrere (1751)
erzählt: „Wenn die Frauen der Indianer in Guyana merken, dass sie bald nieder-
kommen, so verstecken sie sich in einem kleinen Walde oder in einer kleinen
Hütte/ Von den Campas- oder Antis-Indianern in Peru am Amazonen-
strome erfahren wir, dass sie beim Nahen ihrer Niederkunft ihre Wohnung ver-
lassen und sich in eine kleine, in der Nähe belegene Hütte begeben, wo sie allein,
ohne alle Hülfe niederkommen.
Die Wulwa (oder TJlua) an der Moskitoküste in Mittel- Amerika,
ein gutartiges, doch sehr niedrig stehendes Indianervolk, leben nicht in Dorf ern,
sondern zerstreut, und es bilden nur zwei bis drei Hütten eine Gruppe; eine Hütte
wird meist von drei oder vier Familien bewohnt, deren jede in einer der Ecken
ihr Feuer für sich hat, an welchem sie ihre eigenen Bananen kocht und um
welches sie sich plaudernd schaart, die Frauen in ihrer entschieden unvollstän-
digen Toilette. Geburten kommen jetzt nur äusserat selten vor, trotzdem wird
die Frau noch immer genöthigt, bei dem Eintritt der Wehen eine Hütte in Waldes-
abgelegenheit zu beziehen, wo sie von sich einander abwechselnden Frauen mit
Nahrung versehen und gepflegt wird. (Wickham,)
Fig. 265. Oebärhütte der Comanche-Indianer. Eine Comauche-Indianerin kreissend.
(Nach Engelmann.)
Bei den Indianern Nord-Amerikas sind die Gebräuche verschieden. Die
Weiber der Chippeways und Winnebagos z. B. kommen im Winter in einem
besonderen Zelte in der Nähe der Familienhütte nieder, während sie bei milderer
Witterung zu diesem Zwecke den Wald aufsuchen.
Einige Sioux -Stämme, die Blackfeet und die Uncpapas, pflegen eine
nur für den gelegentlichen Einzelfall bestimmte Hütte zu errichten ; dasselbe findet
bei den Klamaths, den Utes und Anderen statt. Die Comanchen bauen in
einer kleinen Entfernung von der Niederlassung und in der Nähe des Familien-
zeltes der Schwangeren für diese letztere zum Zweck ihrer Entbindung einen be-
sonderen Zufluchtsraum. (Fig. 265.)
«Derselbe ist aus Reisholz oder Busch hergestellt, sechs oder sieben Fuss hoch, mit
Stecken im festen Boden versehen; er hat die Form eines etwa acht Fuss im Durchmesser
haltenden, nicht geschlossenen Kreises, wobei der Eingang so gestaltet ist, dass eines der beiden
Enden der Wand etwas über das andere Ende übergreift. In einiger Entfernung vom Ein-
gange hat man drei Pföhle aus dünnen Bäumchen aufgerichtet, zehn Schritt von einander
entfernt und vier Fuss hoch. Innerhalb des Gebärraums sind zwei rechtwinkelige Aushöhlungen
im Boden ausgegraben, zehn bis achtzehn Zoll in der Weite, und ein Pfahl steht am Ende
einer jeden dieser Vertiefungen. In die eine derselben hat man einen heissen Stein gelegt,
in die andere ein wenig lose Erde, zur Aufnahme des Stuhls und Urins. Der übrige Fass-
boden ist mit Kräutern bestreut. Dies ist ihre Methode, einen Gebärraum anzufertigen, wenn
244. Die Gebärhütten. 47
sie in ihrem Lager sind; in einer Jahreszeit, wo Reisig und Laub ihnen fehlen, füllen sie
die Lficken mit Kleidungsstücken aus oder bedecken dieselben mit Häuten. Aber auf dem
Marsche suchen sie nur einen natürlichen Schutz für die Frau unter einem in der N&he be-
findlichen Baume." C^^c^^a^^-J
Die Indianer in der U in tah- Valley-Agentur haben einen ähnlichen
Brauch.
«Bei den ersten Anzeichen der nahenden Geburt verlässt die Kreissende die Hütte ihrer
Familie und sie errichtet für sich selbst in geringer Entfernung von letzterer ein kleines
,wick-e-up', in welchem sie w&hrend ihrer Niederkunft verbleibt; zuerst reinigt sie den Boden
und macht dann eine seichte Vertiefung, in welcher ein Feuer angezündet wird. Um dieses
werden Steine ringsum gelegt und erhitzt; auch ein Kessel mit Wasser wird heiss gemacht,
von dem sie h&ufig und reichlich trinkt. Dais .wick-e-up' wird so dicht als möglich her-
gestellt, um den Einfluss des Temperaturwechsels zu verhüten und um den Schweiss zu be-
fördern. Beistand leisten Weiber aus der Nachbarschaft." (EngelmannJ
Die Frauen mancher Indianerstämme Nord-Amerikas lassen sich^ wie
wir anführten, nicht selten bei der Arbeit oder auf der Reise Ton der Geburt
überraschen; „aax autres, dte qu'elles se sentent pres de leur terme, on dresse
une petita hutte hors du village et elles y restent quarante jours apres qu'elles
sont accouch^es;*^ diese Sitte findet aber, wie de Charlevoix hinzufügt, nur bei den
ersten Entbindungen statt; auch eine bei anderen Völkern vorkommende Gewohnheit.
Kommt unter den Indianerstammen im Westen der Hudsonsbay, den
Athapasken, den Hundsrippen- und Kupfer-Indianern ein Weib auf Reisen
in Kindesnöthe, so wird ihr auf der Stelle ein Zelt angeschlagen, und man
lässt sie, mit einigen Lebensmitteln versehen, und mit der Nachricht über
die Absicht und den Gang der weiten Reise, daselbst zurück, wo es dann ihr
selbst und ihrem Glücke überlassen wird, ob sie jemals wieder zu ihrer Horde
gelangen wird. Auch Heame meldet:
,Wenn unter den in den nördlichsten Gegenden Nord-Amerikas wohnenden Indianern
bei einer Frau die Geburt beginnt, so errichtet man für sie ein besonderes Zelt, welches
von den übrigen so weit entfernt ist, dass man das Geschrei der Ereissenden nicht ver-
nehmen kann; nur Frauen beaufsichtigen sie dabei, kein männliches Wesen darf in ihre
N&he kommen.'
Die Frau des Thlinkiten (Nord-Amerika) erwartet ihre Niederkunft in
einer kleinen Zweig- oder Schneehütte hinter dem Hause. (Krause.)
Bei den Bilqula im nordwestlichen Canada muss die Frau für ihre Ent-
bindung eine zu diesem Zweck errichtete kleine Hütte aufeucheru Sie wird dabei
begleitet von einer Hebamme Ton Beruf und nach erfolgter Geburt muss sie
10 Tage lang in der Hütte verbleiben. (Report)
Unter den östlichen Eskimo geschieht die Niederkunft beim ersten Kinde
in dem gewohnlichen Igloo (Hütte), bei allen späteren muss sie ein besonderes,
zu ihrem Gebrauch gebautes Igloo beziehen (HälT); der Mann darf bei der Nieder-
kunft nicht zugegen sein. Auch die in den westlichen Gegenden wohnenden
E s k i m o-Frauen müssen in einer kleinen Hütte gebären, in welche sie zusammen
mit dem Aas irgend eines Thieres, zumeist eines Himdes, eingeschlossen werden;
in dieser Hütte bleibt die Kreissende ganz allein und ohne Hülfe. Smith besuchte
mehrere dieser Hütten, welche eine Wöchnerin und ein Neugeborenes enthielten;
und in einer solchen Hütte von besonders kleinen Dimensionen fand er eine
Hündin und einen Wurf junger Hunde. Die Eskimo-Frau in dem von Klutschack
besuchten Gebiete wird schon vier Wochen vor ihrer Niederkunft von ihrem
Gatten getrennt und in eine separate Behausung gebracht, zu der nur Frauen
Zutritt haben.
Den Gebrauch einer besonderen Gebärhütte finden wir auch im südlichen
Afrika, wenn auch nur ganz vereinzelt, vor. Nach Damberger bestehen in jedem
Kafferndorfe besondere Hütten für gebärende Frauen; kein Mann darf den
Räumen sich nähern, und wenn eine Frau entbunden Wird, darf ihr Mann drei
Tage lang nicht in ihre Hütte kommen.
48 XXXYIII. Die Stätte der Niederkunft.
Auch in Europa ist schon im Alterthum dafür Sorge getragen worden,
dass hülflosen Ereissenden ein ruhiges Asyl för die Niederkunft bereitet werde.
Den Ursprung dieser Gebäranstalten haben wir im alten Griechenland zu
suchen. Es war in Epidaurus am Saronischen Meerbusen, der Ebfenstadt
von Argolis, wo bei dem Heiligthum des AsUepios die ersten dieser Zufluchts-
stätten errichtet wurden.
Patisani(i$ berichtet hierüber:
sQuumque Epidaurii fani accolae aegerrime ferrent, quod et feminae sub tecto non
parerent, et aegri sub dio animam agerent, Antonius, domo aedificata incommodum removit*
Fuit itaque in posterum et ad moriendum aegriB et ad pariendum mulieribus consecratus
religione locus/
Es ward also als ein Act der Religiosität betrachtet, dass man ebenso wie
für die Kranken, auch für die Gebärenden, wenn sie (als unrein) der Hülfe ent-
behrten, Pflegestätten herstellte. Die Inder hatten zu den Zeiten des StisnUa,
der wahrscheinlich erst nach Christi Geburt gelebt hat, ebenfalls besondere Gebär-
anstalten, in denen die Kreissenden Ton den Priesterärzten überwacht wurden. Es
wird später noch davon die Rede sein. Hiermit also beginnt die Geschichte der
Entbindungs-Institute, welche, wie es den Anschein hat, auch im Mittelalter in
Europa niemals aufhorten zu existiren. Allerdings haben sie erst in unserem
Jahrhundert sich einer allgemeinen Verbreitung und der staatlichen Unterstützungen
zu erfreuen.
XXXIX. Die gesnndheitsgemasse Oebnrt nnd ihre
Bedingungen.
245, Sind die Geburten leichter bei CnltnrToIkem oder bei Natnryolkem?
Der Satz hat gewiss seine volle Gültigkeit, dass die Gebarten bei jenen
Völkern in normalster Weise vor sich gehen, bei welchen die Frauen sich durch-
schnittlich eines normalen Körperbaues erfreuen, und wo auch in der Schwanger-
schaft allen physiologischen Forderungen Rechnung getragen wird. Von dieser
Voraussetzung ausgehend, lasst sich allerdings schon a priori annehmen, dass die
sogenannten Naturvölker, bei welchen die Weiber zwar eine harte, aber den
Körper festigende Lebensweise führen und daher sich dabei auch eine verhältniss-
mässig grosse Ausdauer erwerben, nur selten Störungen im Geburtsverlauf erleben.
Und da denn auch in den meisten Beisewerken angegeben wird, dass bei den
uncultivirten Völkerschaften die Frauen leicht gebären, so wird man sich nicht
verwundem, wenn es ganz allgemein heisst: Bei rohen Völkern kommen kaum
jemals Geburtsstörungen vor, die Cultur aber hat die civilisirten Völker so un-
günstig beinflusst, dass ihre Frauen häufig abnorme Geburten zu erleiden haben.
Schon im vorigen Jahrhundert wurden hierüber namentlich von Unzer Be-
trachtungen angestellt. Allein auch hier muss man vorsichtig untersuchen, auf
welchen Thatsachen man fest fiissen kann. Denn wenn auch aus allen Berichten
wohl zu schliessen ist, dass die Frauen der wenig civilisirten Völker zumeist
leicht gebären, und dass bei ihnen relativ selten Schwergeburten vorkonmien, so
würde es doch falsch sein, anzunehmen, dass nur die Ctdturvölker in Folge der
verweichlichenden, nicht physiologischen Lebensweise unter dem Gebäract durch
Abnormitäten zu leiden haben. Ausserdem kann man auch nicht allen Berichten
unbedingtes Vertrauen schenken. H. Fritsch sagt ganz richtig :
,Es ist ja klar, dass wenig mittheilsame Naturvölker den lästigen Fragen dadurch aus-
weichen werden, dass sie sagen, es sei bei den Geburten keine Hülfe nOthig. Eine ziemliche
Vertraulichkeit gehört schon dazQ, um hier auf wahrhafte Mittheilungen hoffen zu dürfen.
Nun gar eine Besichtigung, Untersuchung während dieses Actes dürfte überall unmöglich seinl
Ueberlegt man sich aber, weshalb bei solchen Völkern der Wahrscheinlichkeit nach schwere
Geburten nicht häufig sind, so muss man zunächst bedenken, dass sehr enge, absolut zu
enge Becken jedenfalls selten existiren. Theils kommen die Enochenkrankheiten (Rhachitis),
die zur Beckenverengung führen, gar nicht vor, theils sterben schlecht gebildete Individuen
wegen mangelnder Pflege. Existirt aber trotzdem ein yerkrflppeltes Individuum , so ist nicht
zu vergessen, dass die Frau vielfach ,Waare' ist; eine schlechte Waare wird bei grossem
Angebot schwerlich Absatz finden, zumal die Frau nicht am wenigsten geheirathet wird, um
zu arbeiten. Dann existiren auch vielfache Berichte, selbst Messungen nnd W&gungen, z. B.
von Wemich, die beweisen, dass die Elnder auffallend klein sind, dass sie ,ein wenig ausge-
bildetes Hinterhaupt haben', dass ,der Kopf sehr rund', ,die Knochen sehr schwach seien*. Aus
allen diesen Gründen lässt sich annehmen, dass schwere Geburten zu den Seltenheiten gehören.'
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II. 4
50 XXXIX. Die geBondheitsgemässe Gebart und ihre Bedingungen.
Yorzugsweise müssen wir uns natürlich in dieser Frage auf die Berichte
von Aerzten beziehen, welche Gelegenheit hatten, yielfach den Qebarten von
Frauen minder civilisirter Völkerschaften beizuwohnen und auch die Lebens-
gewohnheiten dieser Weiber genau kennen zu lernen. In dieser Beziehung
scheint mir unter Anderem dasjenige sehr wichtig zu sein, was schon vor längerer
Zeit HiUe Über seine Beobachtimgen bei Negersclaviitnen in Surinam
sagte, deren Geburtsverläufen er jahrelang seine Aufmerksamkeit widmen konnte :
.Sowie überhaupt in der ganzen Welt die Frauen der unteren ungebildeten Volksklassen,
deren Körper von der frühesten Jugend an durch keine verkehrten, beengenden und Ter*
drehenden Bekleidungen in seiner Entwickelung gestört wird, gewöhnlich leicht gebären, so
ist dieses auch bei den Negerinnen der Fall. Ihre ganze Kleidung ist, scheint es, im Gegen-
satze zu der der gebildeten Europäerinnen, darauf berechnet, der Entwickelung des Körpers
durchaus nichts in den Weg zu legen. Daher auch die Eingeweide, von dem wachsenden
Uterus zurückgedrängt, Platz finden, ohne den Uterus zu sehr zu drücken; letzterer kann sich
also ungestört erweitem und die bedingten Functionen zum Vortheil der Mutter and des
Kindes erfüllen. Dieses ist schon Grund genug für einen leichten normalen Geburtsact Die
Negerinnen haben aber auch noch von der Natur den grossen Vortheil eines weiten Beckens
und eines weit nach hinten ausgebogenen Kreuz- und Steissbeins erhalten , wodurch der Act
noch mehr erleichtert werden muss. Es ist hier höchst selten nöthig, dass ein Geburtshelfer
bei dem Gebären einer Negerin behülflich sein müsse. Hebammen, deren geburtshülfliche
Kenntnisse eben nicht gross sind, sind hinlänglich. Sie brauchen auch meist weiter nichts
zu thun, als die Nabelschnur zu unterbinden, da der Geburtsact sehr schnell und leicht
vor sich geht*
JEngdmann erfuhr von einem Arzte, der acht Jahre unter den canadischen
Indianern, und von einem anderen, welcher vier Jahre unter den Oregon-In-
dianern gelebt hatte, dass sie während dieser Zeit niemals von einem gestörten
Geburtsverlaufe oder gar von einem Todesfall im Wochenbett gehört hätten. Der
letztere Berichterstatter hatte höchstens die Sprengung der Eihäute vorzunehmen.
Engelmann sucht das günstige Resultat bei diesen Völkern dadurch zu erklären,
dass der Bau und die Entwickelung des Muskelsystems der Frauen kräftig, und
dass die Lage des Fötus bei der beständigen Bewegung der Frau den mütterlichen
Theilen normal angepasst ist. Auch weist er auf den Umstand hin, dass die
Weiber nur in ihrem Stamm oder in ihrer Basse heirathen, so dass der Kopf
des Kindes hinsichtlich seiner Grösse und seines Durchmessers dem mütterlichen
Becken, das er passiren muss, völlig entspricht.
Können wir nicht umhin, den Preis leichter Geburten den Naturvölkern zu-
zuerkennen, so werden wir in dieser Ansicht noch mehr bestärkt, wenn wir uns
einen Ueberblick über die einzelnen Völker zu verschaffen suchen. Immerhin
würden wir aber einem grossen Irrthum verfallen, wenn wir annehmen wollten,
dass bei den Naturvölkern schwere Störungen des Geburtsverlaufes Überhaupt
nicht vorkämen, wenn es auch wohl zweifellos zu weit gegangen ist, zu behaupten,
dass dieselben ebenso häufig oder sogar noch häufiger als bei den Culturvölkern
vorkämen. Allerdings muss man Winckel Recht geben, wenn er darauf aufmerksam
macht, dass allen Zeitangaben über die Dauer der Geburt nur ein sehr geringer
positiver Werth beigemessen werden könne, weil sehr häufig nicht die ganze
Dauer der Niederkunft, sondern oft nur diejenige der Austreibungsperiode ge-
rechnet worden sei. Immerhin kann aber eine relative Bedeutung auch solchen
Berichten nicht abgesprochen werden.
246. Der Verlauf der Geburten in Australien und Oeeanien.
Ueber die Geburtsvorgänge bei australischen Frauen sammelte Hooker
aus verschiedenen Gegenden dieses Erdtheils Berichte ein, die darin übereinstimmen,
dass die Geburt im Allgemeinen leicht und schnell (easy and quick) vor sich geht;
nur ausnahmsweise kommt eine schwierige Entbindung vor, bisweilen erstreckt sie
246. Der Verlauf der Geburten in Australien und Oceanien. 51
sich über zwei Tage (Seranke); nach anderen Aussagen varürt sie zwischen wenigen
Standen und fünf bis sechs Tagen (Parris); die Dauer der Geburtsarbeit ist kurz
und die Prostration der Kräfte ganz unbedeutend; der Tod wahrend der Entbin-
dung tritt nur selten ein (WiUiams); Marston giebt an, dass die Geburt 1 — 2
Tage, ein Anderer, dass sie ^/2 — 3 Stunden lang dauert; ein Dritter sagt, dass
Alles in der Zeit von 1 — 4 Stunden abgemacht ist und dass nur selten eine
12stündige Geburtsarbeit vorkommt. Die eingeborene Frau in der austra-
lischen Golonie Victoria, SB^gt *Oberländer^ der sich viele Jahre dort aufhielt,
bedarf nicht vieler Vorbereitungen zu ihrer schweren Stunde; sie hat keine langen
Qualen und auch keine Ruhe nach ihrer Entbindung. Am unteren Flinders-
River in Nord- Australien gebären die Weiber sehr leicht; Todesfalle aus
diesem Grunde sind selten. (Palmer.)
Bei den Maori auf Neu-Seeland dauert die Geburt selten länger als
15 Minuten; die Mutter selbst wäscht sowohl sich als das Kind mit Mschem
Wasser und geht nach einigen Stunden wieder ihren gewohnten Geschäften nach.
(Novara.)
«Der Geburtsvorgang bei den Eingeborenen in Neu-Seeland, sagt Tüke, ist nicht
eine so sclireckliche Prüfung, noch auch ein so quälender und gefahrvoller Vorgang, wie bei
civilisirten Nationen. Er ist nicht von solchen Schmerzen begleitet, noch so sehr mit allerlei
schweren Folgen für die Frau verknüpft. Die Abwesenheit aller Beengungen der Civilisation,
wie Schnürbrüste u. s. w., während der Schwangerschaft, die natürliche Lebensweise und die
grössere Weite des Beckens machen die Geburtsschmerzen kürzer und weniger peinvoll."
Von den Melanesiern haben wir Nachrichten über die Bewohner der Viti-
oder Fidschi- Inseln; hier geschehen die Geburten gleicht" (WiUiams und Cdlvert\
und die Frauen sterben sehr selten an der Niederkunft, (de Rienei.)
Auch die Papuas an der Westküste von Neu-Guinea gebären nach Otto
und Geissler leicht, und die Doresen nach von Rosenberg sogar «sehr leicht ''.
Bei den Polynesiern auf Samoa erfolgen nach Gräffiie Geburten grössten-
theils so leicht, dass man die Mutter bald nachher an den Fluss gehen sieht, um
ihr Kind und sich selbst zu baden; und auch nach WilJces geschehen auf dem
Samoa-Archipel die Geburten nicht nur ohne die geringste Ceremonie, sondern
auch «ohne Unbequemlichkeit fftr die Mutter*. Äehnliche Nachrichten erhielten
wir von den Sandwichs-Inseln: Auf Hawaii gebären die eingeborenen Frauen
ohne Schmerz, ausgenommen in ganz besonderen Fallen; als sie die Frauen der
Missionäre mit Schmerzen gebären sahen, wunderten sie sich über diese Leiden
und lachten darüber, denn sie meinten, dass das Schreien der Frauen der weissen
Rasse nur eine Sitte oder ein Gebrauch derselben sei. Auf Nukahiva soll nach
Langsdorff das Geburtsgeschäft «leicht und in einer halben Stunde beendigt sein**;
doch kommen nach seiner Angabe auch zuweilen schwere Geburten vor, die in
widernatürlicher Lage des Kindes oder in Vorfallen irgend eines Theiles der Extre-
mitäten bestehen.
Auf mehreren Inseln Mikronesiens, z. B. auf dem Carolinen-Archipel,
konnten die Berichterstatter und Reisenden (z. B. Mertens) nie etwas von einer
unglücklichen Niederkunft bei den eingeborenen Weibern in Erfahrung bringen;
störende Zufälle scheinen hier, wie sie sagen, völlig unbekannt zu sein.
Aehnliches erfährt man von den malayischen Bewohnern der Inseln der
Südsee: Die Frauen der Negritos (Etas) auf den Philippinen gehären leicht
und schnell; auch geht bei den Tinguinanen, einem Malayenstamme der
Philippinen, die Geburt ungemein leicht von statten. (Schadehberg,) Die
Alfuren auf den Molukken liefern einzelne merkwürdige Beispiele, wie wenig
belästigend für ihre Weiber das Geburtsgeschäft ist. So liest man unter Anderem :
«Eine Frau, die allein in einem Kahne aus dem SchloBse abgegangen war, um sich auf
die andere Seite des Meerbusens zu begeben, wurde eine gute Seemeile davon mitten auf
dem Wege von der Geburtsarbeit überfallen. Sie kam nieder, und fuhr noch fort zu rudern
4*
52 XXXIX. Die gesundhditsgem&BBe Grebart und ihre Bedingungen.
bis an das jenseitige Ufer. Daselbst wusch sie ihr Kind und kam noch an demselben Tage
wieder in das Schloss. Ein andermal taufte der Missionftr ein Kind, dessen Mutter mitten
auf dem Flusse, wo sie allein war, davon entbunden worden.* Der Berichterstatter setit
hinzu: «Man darf nicht denken, dass diese Weiber st&rker und frischer sind als andere.
Die meisten sind vielmehr klein und zart; sie haben aber diese Vortheile der Geschmeidig-
keit ihrer Gliedmaassen zu danken, welche durch die Wärme der Himmelsgegend ausgedehnt
sind.* CHistorie.J
Auf ähnliche Ansichten stossen wir allerdings hier und da, doch dürfen
wir wohl schwerlich der Wärme des Klimas solchen Einfluss zuschreiben.
Auf Engano im malayischen Archipel geht das Gebären fast immer leicht
von statten, {v, Bosenberg.) Die Weiber bei den Mincopies auf den Anda-
manen leiden selten durch Wehen in der Entbindung; in der That sind bei ihnen
selten schwere Entbindungen bekannt geworden. (Man,)
Die Einwohner von Ambon und den Uliase-Inseln sowie von Eetar
kennen zwar, wie wir später sehen werden, Mittel, um die Geburt zu beschleunigen,
sie wenden aber, wie Riedel^ berichtet, dieselben nur sehr selten an, weil die
Entbindungen sehr schnell und leicht (zeer spoedig en gemakkelijk) vor sich
gehen. Auf Serang kommen schwere Entbindungen selten vor, und auch auf
den Aaru-Inseln sind nur wenige Beispiele davon bekannt. Auf Leti, Moa
und Lakor sowie auf Seranglao gehen die Geburten leicht von statten, und
ein Todesfall im Wochenbett kommt selten vor. Auf Romang, Dama, Teun,
Nila und Serua, sowie auf den Eeei- und den Watubela-Inseln kommen
allerdings viele Frauen allein, ohne Hülfe nieder, aber es sind bei den Eingeborenen
auch verschiedenartige Hülfsmittel im Gebrauch, um schwere Geburten zu Ende
zu fuhren. (Riedd\)
247. Der Terlauf der Geburten in Asien.
Die Entbindungen in Java verlaufen gewöhnlich wunderbar schnell und
glücklich; häufig sieht man die junge Mutter mit dem Kinde eine halbe Stunde
nach der Geburt nach dem Flusse gehen, um sich und ihre Kleider zu reinigen.
(Met^fger.)
Auch bei den Niasserinnen sind nach Modigliani für gewöhnlich die
Entbindungen glücklich, weil die Frauen, obgleich sie nur klein sind, doch ein
breites und wohlproportionirtes Becken besitzen. Aber auch hier können üble
Zufalle sich ereignen.
Bei den Singhaies en auf Ceylon gehen nach Schmarda die Geburten
leicht von statten. Wenn bei den Frauen der Hindu in Ost-Indien der Ge-
burtsverlauf zu zögern beginnt, so werden sie von den ungebildeten Hebammen
sehr oft in unnatürlicher Weise behandelt, so dass der Process mehr gestört als
gefordert wird. Lautes Schreien zur Zeit der Entbindung ist in Indien den
Kerala-(Malabar-)Weibem gestattet. (Jagor,)
In Siam gehen die Geburten im Allgemeinen leicht vor sich; die Frauen
sind in der Regel gut gewachsen und tragen keine den Körper beengende Kleidung,
die Brüste bleiben unbedeckt, und es wird nur ein Gürtel um die Magengegend
gewunden. Wenn jedoch in Ausnahmefallen die Entbindung schwer war, so rief
man Kemble, den Arzt bei der englischen Gesandtschaft, zu Hülfe. {SchomhurgVs
mündliche Mittheilung.)
Die Annamiten-Frau in Cochinchina ist bezüglich der bei der Geburt
betheiligten Organe anders gebaut, als die Europäerin, und das Kind tritt wie
durch ein in eine Platte gemachtes Loch zu Tage. Mondiere setzt hinzu:
„On dirait qu'ä Tint^rieur Tut^rus vient s^invaguier jusque pr^s de la Symphyse
pubienne et qu*il n'y a qu'un seul temps, douloureux pour la m§re, le franchissement de
Tanneau vulvaire."
247. Der Verlauf der Geborten in Asien.
53
In China mag der Geburtsverlauf je nach den Ständen und Provinzen
unter dem Einflüsse der diflEerenten Lebensweise sehr verschieden sein. Die vor-
nehmeren Chinesinnen, die durch ihre künstliche Fussverkleinerung zu fast
stetem Sitzen verurtheilt und auch ausserdem verweichlicht sind, scheinen die
Geburtsarbeit minder leicht zu überstehen, als die Arbeiterinnen. Schon Epp fand,
dass bei Chinesinnen auf Java ebenso wie bei jenen Malayinnen und Java-
nesinnen, die eine vorzugsweise sitzende Lebensweise führen, das Geburtsgeschäft
meist schwierig von statten geht, „weil das Becken enger ist, während wegen des
günstigen Baues des Beckens im Allgemeinen die raalayischen und javanischen
Frauen leicht gebären.* Chinesinnen der unteren Stände gebären, wie wir aus
mehreren Beispielen wissen, rasch und leicht. Die Niederkunft einer Farmersfrau
zu Shanghai sah der Maler Hüdebrand;
sie genas eines gesunden Knäbleins ohne
Unterstützung einer Wehemutter; gutmüthige
Nachbarn hatten ihr ein Bündel Reisstroh
unter den Kopf geschoben, ein junges Mäd-
chen brachte eine Schüssel Reis mit Curry,
die Wöchnerin richtete sich auf und ver-
tilgte die ansehnliche Quantität bis auf das
letzte Körnchen; dann wickelte sie das Kind,
welches bis dahin in der scharfen December-
luft auf den Fliesen nackt dagelegen hatte,
in ihre Lumpen und machte sich davon. Die
Frage, warum bei den Frauen aus niederen
Ständen, z. B. Bäuerinnen und Dienerinnen,
die Geburten viel leichter vor sich gehen,
ds bei vornehmen Frauen, beantwortete
ein chinesischer Arzt folgendermaassen
(Martins):
,Weil jene Personen von Jugend auf bis in
ihr spätes Alter fleissig und emsig mit irgend etwas
sich beschäftigen, und darum auch nicht Zeit haben,
an die Leidenschaft der Liebe so viel zu denken.
Ihr Blut kommt durch Arbeit und Bewegung in
gehörigen und leichten Umlauf, ihre innere Natur
bleibt naturgem&ss und unverdorben, und sie ge-
bären darum leicht und bringen gesunde und starke
Kinder zur Welt. Deshalb findet man auch in
den höheren Ständen und unter den vornehmen
Frauen so viele schwere und unglückliche Ent-
bindungen, weil diese ihr Leben im Müssiggange
verbringen und es für schimpflich halten, Hände
und Füsse zu bewegen."
Dass in Japan der Verlauf der Geburten durchaus nicht immer ein leichter
und glücklicher ist, das werden wir aus späteren Abschnitten dieses Buches noch
deutlich ersehen. Auch sprechen dafür schon die an früheren Stellen aufgeführten
Vorschriften für das Benehmen der Frauen während der Schwangerschaft. Denn
wenn man nicht häufig üble Erfahrungen gemacht hätte, dann würden diese
strengen Anordnungen wohl kaum getroffen worden sein. Nun ist es natürlicher
Weise aber auch sehr wünschenswerth^ bereits vor der Niederkunft darüber einige
Sicherheit zu besitzen, ob man bei der Schwangeren auf eine leichte Entbin-
dung rechnen kann, oder ob man erwarten muss, dass dieselbe eine schwierige
werden wird.
In dieser Beziehung hat der im vorigen Jahrhundert lebende japanische
Maler Maruyama Ohio seinen Zeitgenossen in seinen Aquarellen entsprechende
Fig. 266. Schwangere, welche eine
schwere Entbindung haben wird.
AqnareU des japanischen Malers Mamyama
Ohio. (18. Jahrhundert.) (Nach Photographie.)
54
XXXIX. Die gesundheitsgem&sse Geburt und ihre Beding^ungen.
Beispiele vor Augen geführt, aus denen sich dieselben über diese Frage unter-
richten konnten. Diese Bilder, jetzt im Besitze des kgL Museums für Völker-
kunde in Berlin, befinden sich in einer Sammlung von Folio-Zeichnungen, welche
der Maler als ,,physiognomische Studien'^ bezeichnet hat, und welche den
Zweck haben, dass aus ihnen das Schicksal vorhergesagt werden kann. Auf
unseren Gegenstand beziehen sich drei dieser Aquarelle. Zwei von ihnen stellen
eine Schwangere dar, , welche eine schwere Entbindung haben wird' (Fig. 266),
und eins fuburt eine Schwangere vor, „welche eine gute Entbindung haben wird'
(Kg. 267).
Die Schwangeren sind fast vollständig nackend auf der Erde knieend abge-
bildet; aber die Leibbinde umgiebt ihren Bauch und ihre Enden sind vom auf
demselben verschlungen. Die Schwangere, welcher eine leichte Entbindung be-
vorsteht, hat frische Farben, glatte Haut
und ein fröhliches, gesundes Aussehen. Die
Schwangeren dagegen, denen eine schwere
Entbindung droht, sehen cyanotisch und ge-
dunsen aus und auf den Brüsten zeigen sich
eine Reihe von erweiterten Blutgefässen.
Man ersieht übrigens aus diesen Bildern auch,
dass die Epilation der Achselhaare in Japan
nicht gebräuchlich ist.
Nach Scheube erfolgen bei den Ainos
die Entbindungen leicht und ohne irgend-
welche Kunsthülfe, und Todesfalle im Wochen-
bett kommen bei ihnen nach v. Siehold
selten vor.
Die Frauen in Kamtschatka sollen
sehr leicht gebären. Steiler war bei einer
Niederkunft gegenwärtig; die Frau stieg aus
der Hütte, als wenn sie ihre gewöhnlichen
Geschäfte verrichten wollte, und kam nach
einer Viertelstunde wieder mit ihrem Kinde
im Arme, ohne ihre Gesichtsfarbe im min-
desten verändert zu haben.
Die Tungusinnen gebären nach
Georgi leicht.
Von den Frauen der Ostjaken si^te
MüUer:
«Die Zeit der Geburt ästimiren sie gar nicht,
und scheint es, als geb&ren sie ohne alle Schmerzen.''
Die Ostjaken -Frauen, so heisst es an anderer Stelle (Frevost) ^ imter-
brechen kaum ihre Arbeit oder Reise, um zu gebären. Die Samojedinnen
sollen, wie Pallas angab, sehr leicht gebären; und im Memoire sur les Samo-
jedes vom Jahre 1762 heisst es: ,,Die Frauen der Samojeden gebären fast immer
ohne Schmerz." Von den Baschkiren-Weibern liest man: „Les femmes basch-
kires forteraent constituees comme elles le sont et avec leur rüde genre de vie,
n'ont que bien rarement de couches laborieuses." (Russie.) Bei den Tschuden
(Wessen), einem finnischen Volksstamme am Flusse Ojat, geht die Geburt
ebenfalls „leicht von statten*. (Mainow,)
Bei den Kalmücken in Astrachan kommen schwere regelwidrige Geburten
höchst selten vor, weil, wie Meyerson sagt, „sie grösstentheils ein gehörig offenes
und bewegliches Becken haben und zwar aus folgenden Gründen: Erstlich werden
die Kalmücken in der Kindheit auf dem Rücken getragen; zweitens lernen sie
frühzeitig die Reitkunst, und drittens haben sie vom zartesten Alter an die Ge-
Fig. 267. Schwangere, welche eine
leichte Entbindung haben wird.
Aqnarell des japanischen Malers Maruyama
Ohio. (18. Jahrhundert.) (Nach Photographie.)
247. Der Verlauf der •Geburten in Asien. 55
wohnheit, wie die Schneider zu sitzen, wobei die Beckenknochen geneigt sind,
durch die Last des Oberkörpers aus einander zu weichen. *" Es mag immerhin
fraglich sein, ob hier Meyerson die richtige Ursache der Leichtigkeit der Kal-
mücken-Geburten fand. Von den Frauen der Tataren in Astrachan sagt er:
sie ertragen die Geburtswehen mit einer ausserordentlichen Geduld.
In Persien ist, wie Polak^ der ehemalige Leibarzt des Schah, an Ploss
berichtete, der Geburtsact fast immer ein normaler, weil der Körper nicht durch
Schnürbrüste eingeengt wird und weil die Weiber auch die Kleider nicht an dem
Bauche, sondern an dem Hüftbeinkamm gebunden tragen. Die Frauen sind im
Becken breit gebaut, gerade gewachsen und mittelgross. Sie reiten dort häufig
und zwar nach Männerart. Schon Chardin sagte, dass in Persien, wie im Orient
überhaupt, die Geburten meist leicht von statten gehen. Und Morier gab von
den Perserinnen an: «Sie sind oft bereits entbunden, bevor die Hebammen an-
kommen, und die unteren Klassen entbinden sich selbst.^
Von der persischen Provinz Gilan am Kaspischen Meere sagt
Häntesche:
.Nach Allem, was ich in Erfahrung bringen konnte, bin ich der Wahrheit wohl nicht
fem, wenn ich annehme, dass abnorme Geburten dort ebenso häufig sein dürften, als bei uns,
und dass ein grosser Theil der Frauenkrankheiten dort, wie bei uns, in ungeschickten Ent-
bindungen (die nur dort stets vorkommen, da die dortigen sogenannten Hebammen nicht
einmal wissen, was eine Untersuchung ist) seinen Grund hat. Fälle, die bei uns durch die
Kunst noch ilieilweise wenigstens glücklich zu Ende geführt werden können, enden dort
stets tödtlich/
Bei den georgischen und armenischen Frauen erfolgt nach Krebd die
Niederkunft ,in der Regel leicht*'. Dagegen giebt Meyerson nach eigenen, in
Astrachan angestellten Beobachtungen an: „Verwöhnt und verweichlicht ertragen
die Armenierinnen die Geburtswehen sehr schwer, schreien und lamentiren
dabei zum Weglaufen/ Nach Krebd haben die Frauen der Nogayer, wie es
heisst, ein zähes Leben und gebaren «in der Regel leicht". Die Tscherkessinnen
sind nach Stücker „sehr wenig verwöhnt oder sehr von der Natur begünstigt bei
ihren Entbindungen ''.
Ueber Syrien sagt der irische Missionär Bobson^ welcher in Damaskus
20 Jahre lang weilte, dass die Geburten daselbst etwas, doch nicht viel, leichter
verlaufen, als in Irland. Ueber die Frauen in Aleppo in Syrien äusserte Bu^sd^
dass ihre Entbindungen viel leichter als diejenigen in England sind.
Die Beduinen -Frauen gebären nach Layard sehr leicht und leiden bei der
Entbindung nur wenig. Yon den Araberinnen, welche gewöhnlich ohne alle
Hülfe dort niederkommen, wo sie sich eben befinden, sagt Chevalier d*Arvteux:
,Soit qu*elles ne ressentissent pas tant de douleurs, que Celles, qni ont 6t6 61ev6es d^i-
catement, soit, qu'elles ajent plus de courage et de patience, on ne les entend point crier."
In der Levante überhaupt gehen nach v. Türk die Geburten mit grosser
Leichtigkeit vor sich, so dass die Hülfe der Kunst fast nie in Anspruch genommen
wird; er setzt hinzu:
.Manche wollen den Grand hiervon nicht allein im EQima, sondern auch in der Sitte
finden, dass die Frauen von Kindheit an gewohnt sind, auf den Enieen mit über einander
geschlagenen Beinen und aus einander gebreiteten Enieen zu sitzen; dazu kommt der Ge-
brauch der Dampfbäder und dass die weibliche Kleidung stets nur ganz lose anliegt.'
In seiner Reise nach Palästina sagt Hasselquist (Rostock 1762):
«Die Frauenzimmer hier im Lande gebären ganz leicht, und selten hört man, dass eine
Frau eine schwere Geburt gehabt, viel weniger, dass sie ihr Leben dabei zugesetzt hätte ; und
dies gilt besonders von türkischen Frauen.*^ Dies bestätigt Oppen?ietm: , Die Entbindungen
der Frauen sind, da üebercultur und Mode den Körper nicht entstellt und verstümmelt, nicht
mit den Schwierigkeiten und Beschwerden verbunden, wie häufig im cultivirten Europa; sie
gehen oft bei den türkischen Weibern so leicht von statten, dass sie davon überrascht
werden, ehe die Hebamme dazu kommt.'
56 XXXIX. Die gesnncUieitsgemftne Geburt and ihre Bedingnogen.
Wenn Bigler dagegen die Bemerkung gemacht hat, dass die Türkinnen
und Armenierinnen unverhaltnissmässig häufiger als die Europäerinnen
unregelmässige Oeburten erleiden, so bezieht sich dies T^ohl hauptsächlich auf die
Frauen in Constantinopel und anderen grossen Städten der Türkei, wo aller-
dings nicht nur die von ihm beschuldigte Rhachitis und Beckendeformität häufig
sein mag, sondern auch vielleicht durch schlechte Hebammen Störungen der Nieder-
kunft herbeigeführt werden. Auch macht wohl mit Recht Eram auf die Ver-
schiedenheit des Geburtsverlaufe in den Städten der europäischen Türkei und
unter den wilden Yolksstämmen in der asiatischen Türkei aufmerksam.
248. Der Terlanf der Geburten in Afrika.
Unter den Hottentotten waren Roser im Verlaufe einer fast sieben-
jährigen Praxis bei jährlich 120 — 130 Geburten nur zwei Fälle vorgekommen,
wo die Mutter während der Niederkunft starb. Auch die Gelehrten der Novara-
Reise schrieben auch noch auf andere Berichte gestützt: „Die Hottentottin
gebiert in der Regel mit grosser Leichtigkeit/ Schon Le VaiUant sagte:
,Bei den Hottentotten sind die Geburten beständig sehr glücklich; weder Kaiser-
schnitt noch Schambeintrennung sind ihnen bekannt, auch entsteht bei ihnen niemals die
streitige Frage, ob das Leben des Kindes mit Gefahr der Mutter zu erhalten sei oder nicht.
Sollte indess, was fast ohne Beispiel ist, der Fall sich zutragen, so würde man sich nicht
lange mit spitzfindigen Distinctionen aufhalten , und das Kind würde unstreitig zur Erhaltung
der Mutter aufgeopfert werden."
Bei den Nama-Hottentotten hielt sich lange der unter ihnen geborene
und erzogene Theophüus Hahn auf; derselbe schrieb Ploss auf seine Frage:
«Die Hottentottinnen gebären ausserordentlich leicht; es kommt oft vor, dass eine
Frau sich selbst entbindet und kurz nach der Entbindung ihre Arbeit wieder yerrichtet, als
wenn nichts vorgefallen wäre.*" Und weiterhin schrieb dieser Berichterstatter: , Unter den
Nama-Hottentotten zeigt das weibliche Geschlecht bei Entbindungen eine bewunderns-
würdige Zähigkeit. Eine Frau kam einst in Kindesnöthe und war ohne jeglichen Beistand
allein zu Hause. Sie jagte einfach eine zurückgebliebene Kuh von der Lagerstätte auf, legte
sich in die warme Vertiefung und entband sich dort selbst. Am Abend sass sie, als ob nichts
vorgefallen wäre, rauchend und schwatzend am Feuer. Eine andere, noch sehr junge
schwangere Frau zieht morgens mit dem Vieh zu dem einige Stunden entfernten Weidenfelde
hinaus; des Abends kommt die Schäferin und trägt einen jungen Schäfer, von dem sie des
Tags über genesen war, auf dem Rücken.*
Die Frauen der Betschuanen gebären, wie G. Fritsch mittheilt, leicht,
und es finden bei ihrer Niederkunft nur selten Störungen statt. Es kommt auch
hier vor, dass die Personen noch bis zum letzten Augenblicke im Felde arbeiten,
von der Geburt überrascht ohne alle Hülfe das Kind zur Welt bringen und mit
demselben nach dem Dorfe zurückkehren. Geburtsstörungen erscheinen den Bet-
schuanen wegen der grossen Seltenheit des Vorkommens als etwas ganz Unge-
heuerliches und bringen sie völlig ausser Fassung.
Auch bei den Xosa-Eaffern geht die Geburt nach Kropf durchschnittlich
leicht von statten, es kommen aber bisweilen auch Störungen vor und dann wird
die Frau fOr behext gehalten und von allen verlassen.
Selbst die Frauen der Golonisten am Gap der guten Hoffnung sollen,
wie es heisst, mit weit weniger Schmerzen und mit geringerer Gefahr gebären,
als die Europäerinnen in der Heimath, ihre Entbindung soll schneUer vor
sich gehen. Kolhe^ welcher dies im vorigen Jahrhundert berichtete, hörte während
der zehn Jahre, wo er am Cap weilte, von keinem Falle, wo eine Frau während
der Entbindung gestorben sei.
Ueber den leichten Geburts Vorgang bei den Frauen der Neger-Völker
erhielten wir schon in früher Zeit Mittheilungen. Wie Bosman im Anfange des
249. Der Verlauf der Geborten in Amerika. 57
18. Jahrhunderts beobachtete, bringen die Guinea-Negerinnen die Kinder leicht
und schnell zur Welt. Er sagt:
,Le8 accoachementa sont ici fort commodes pour les hommes; car ce n^est nnllemenfc
la coutume que les femmes gardent longtemps le lit, ou que Ton fasse aucune d^pense soit
pour des repas on autrement. Je me trouvai un jour par hasard aupr^ d'un lieu oü la
femme d'un N^gre ^tait en travail d'enfant; on ne lui entendit point faire de plainte, mdme
au plus fort de la douleur, qui ne dura tout au plus qu'un quart d'heure, et je la vis le
m§me jour sur le bord de la mer oü eile allait se laver sans penser plus k son accouchement.
11 arrive bien quelquefois, qu'elles sont oblig^es de garder le lit quelques jonrs, et qu'elles
sont fort malades, mais cela est tres-rare.*^
Diesen im Widerspruch mit den Angaben Denamefs stehenden Bericht be-
stätigte der an der Goldküste von 1725 — 1727 weilende Pater Jean Baptiste
Labat. Dann schrieb auch über die Negerinnen der Sierra-Leone-KOste der
englische Of&cier Matthews ▼. J. 1786, dass die Beschwerden der Gebärenden
gar nicht bedeutend sind. Ebenso gehen nach Birkmeyer an der Goldküste
die Geburten »leicht und schnell* von statten.
In neuerer Zeit erhielten wir in dieser Beziehung besonders über die Sene-
gal-Negerinnen Bericht. Von ihnen sagt Murion d'Ärcenant:
»Elles accouchent h peu präs comme les animauz, et au bont de deux ou trois jours
au plus, elles sont sur pied."
Die Woloff-Negerin lässt wahrend der Geburtsweheij (Vasin va genannt)
kein Jammern hören; sie würde sich solcher Schmerzensäusserungen schämen, (de
Bochebrune.) Bei den Negerinnen der Loango-Küste ist nach dem Zeugnisse
Pechuel-Loesche's der Act des Gebarens kein besonders schwieriger.
Von den Neger-Völkern in Central-Afrika schrieb Bloss auf seine An-
frage der verstorbene Barth, dass bei ihnen die Geburten „in jeder Hinsicht leicht''
sind. Bei den Galla in Ost-Afrika gebären die Weiber ebenfalls leicht. (Bruce.)
Unter den Somali gilt es nach Haggenmacher für eine Schande, wenn die Frau
bei der Geburt ihren Schmerzen Ausdruck giebt.
Die Negerinnen im Gebiete der Nilländer scheinen nach Hartmann leicht
zu gebären, da sie nicht selten im freien Felde niederkommen und bald danach
ruhig weiter arbeiten; allein sehr junge, vernäht gewesene Sclavinnen sollen durch
das Gebären stark mitgenommen werden. Ueberhaupt aber, sagt Hartmann, gehen
bei solchen Afrikanerinnen, welche die Kinderjahre hinter sich haben, die Ge-
burten meist leicht und ohne schlimme Zufalle vor sich.
In Aegypten freilich leiden besonders verweichlichte Städterinnen oftmals
heftig unter den Geburtswehen und bedürfen der Kunsthülfe, erliegen auch selbst
öfters während des Actes. Diese Dystokien der Aegypterinnen sind jeden-
falls nur deshalb nicht selten, weil sie zu jung, d. h. im Alter von 11 — 13 Jahren,
sich verheirathen.
Von den eingeborenen Frauen Algiers sagt Bertherand:
„Les Arabes supportent les douleurs de la parturition avec un courage vraiment ez-
traordinaire: elles affectent mgme de ne pas souffrir et de ne prof6rer aucune plainte.'
In Fezzan verlaufen nach Nacktigal die Geburten meist leicht und ohne
Kunsthülfe. Auf den Canarischen Inseln gehen nach Mac Gregor die Geburten
ebenfalls „sehr leicht* von statten.
249. Der Verlauf der Geburten in Amerika«
Bei den Feuerländerinnen soll nach Giacomo Bove die geringe Grösse
der Neugeborenen die Ursache sein, dass diese Frauen ohne Anstrengung nieder-
konmien. Wenn bei ihnen die Zeit gekommen ist, verlassen sie in Begleitung
ihrer Freundinnen die Hütte und gehen zum nächsten Gebüsch, um dort, fem vom
Anblick der Neugierigen, das Kind zur Welt zu bringen.
58 XXXIX. Die geiundheitsgem&ase Geburt und ihre Bedingungen.
Die Patagonier strengen nach Guinnard's Bericht, der drei Jahre lang
in Gefiuigenschaft unter ihnen lebte, ihre Frauen während der Schwangerschaft
mit harter Arbeit an; ,daf&r entschädigt die Natur dieselben mit einer leichten
Entbindung^.
Dagegen gebären nach der Angabe des Abtes Dobrijghoffer die Abipone-
rinnen in Paraguay schwer und mit grossen Schmerzen, und Dohriehoffer meint,
dass dies bei allen Weibern der berittenen Nationen der Fall sei Das ist jedoch
ein Irrthum, da die Patagonierinnen sämmtlich beritten sind und nach Gruin-
nard u. A. wenig bei der Geburt leiden. In Corrientes (am Paranä) gebären
die Frauen nach Bengger leicht.
Männer und Frauen, die in Brasilien viel mit Indianern verkehrten,
versicherten Phss, dass sich deren Frauen, wenn sich der Trupp auf der Wander-
schaft befand, nur etwas abseits begaben, um zu gebären, und nach kurzer Zeit
sich wieder mit dem Neugeborenen ohne Weiteres dem Zuge anschlössen.
Yon den brasilianischen Indianerinnen sagte schon v. Liebstad^ dass
sie ausserordentlich leicht gebären. Und um dieselbe Zeit äusserte Thevet über
die Tupis:
,Les femmes des Toupinambaux, quand le temps d'enfanter est venu, jettent quel-
ques cris. Elles sont en ce travail environ demi-jours (les unes plus, les autres moins)."
Doch scheint wenigstens in einem Geburtsfalle, welchen Lery bei einer
Indianerin in Brasilien zu beobachten Gelegenheit hatte, die Sache
nicht ohne bedeutende Schmerzen und grosses WehUagen abgelaufen zu sein,
denn er schreibt:
„Ein anderer Franzose und ich schliefen in einem Dorfe, als wir ungefähr um
Mittemacht ein Weib schreien hOrten, dass wir dachten^ es wäre ein wildes Thier, das es
verschlingen wollte. Als wir dann plötzlich hinzueilten, so fanden wir, dass es das nicht
war, sondern dass die Arbeit, in der sie sich befand, ein Kind zur Welt zu bringen, sie also
schreien liess.*^
üebrigens sind auch nach vielen Berichten gerade unter den Wilden in
Brasilien ganz barbarische Entbindungs-Methoden in Gebrauch (Aufhängen der
Frauen zwischen Bäume u. s. w.), so dass man doch annehmen muss, dass die
Geburten nicht gar selten schwierig und unter Anwendung sinnloser Kunsthülfe
vor sich gehen.
Die eingeborenen Frauen in Gayenue und Guyana haben nach Bajon
gewöhnlich eine glückliche Niederkunft. Diese älteren Nachrichten werden von
neueren Reisenden, wie Pritus v, Wied und v. Martins hinsichtlich Brasiliens,
und von Schomburgk hinsichtlich Britisch- Guyanas bestätigt. Das leichte Ge-
bären der Indianerfrauen unter den Parcottes in Guyana bezeugt auch L(iet;
dasselbe berichtet er von den Frauen in Guatemala, in Peru und Gumana, so-
wie in der brasilianischen Provinz Gran Chaco. „Die Indianerinnen in
Guyana sind sehr wenig mit der Hebammenkunst vertraut,* B>e Bancroft i. J.
1749, „allein die Natur hat solche zum Glück unnöthig gemacht, da sie kaum
jemals von einer schweren Geburt etwas wissen.* Bei den Weibern am Orinoco
gehen die Entbindungen nach Gilt in kürzester Zeit vor sich. Nach Veigl ge-
bären die Indianerinnen in der Provinz Maynas (Ecuador) ungemein leicht.
In Mittel-Amerika scheinen überhaupt die Entbindungen leicht zu ver-
laufen, denn Du Tertre sagte von den Indianerfrauen auf den Antillen: „Les
femmes enfantent avec peu de douleurs;" und von den Negerfrauen daselbst
heisst es: „Elles accouchent avec beaucoup de facilitö.* Ueber die Frauen der
dortigen Golonisten fügt er hinzu: „Elles ont des enfants de bonne heure et elles
accouchent sans beaucoup de douleurs.* Zu Jalapa in Mexiko gehen die Ge-
burten nach Poyet glücklich von statten; eine schwierige Geburt ist höchst selten.
Aus Nicaragua erfuhren wir durch Bernhard, dass dort die Frauen gut gebaut
sind und ein weites Becken haben, „deshalb sind die Geburten daselbst meist
249. Der Verlauf der Gebarten in Amerika. 59
leicht und regelmässig/ Doch kommen dort auch, wie wir später sehen werden,
«chwere Geburten vor.
Matt äussert in drastischer Weise:
«Entbindungen habe ich unter den Indianer flauen gesehen, während die WOchnerin
auf den Knieen lag, eine Cigarre rauchte und dabei den Rosenkranz durch die Finger
gleiten liess."
Er rühmt das „enorme Hüftbecken " dieser Weiber.
Die nordamerikanischen Indianer sind bekanntlich einer grossen Aus-
dauer in der Ertragung von Strapazen fähig. Für den zu Tode Gemarterten ist
es ein Ehrenpunkt, nicht den geringsten Schmerzenslaut hören zu lassen. Diese
Selbstbeherrschung geht auch auf die Frauen über; denn die Weiber ertragen,
um keinen Feigling zu gebären, die Wehen mit derselben Standhafbigkeit. In
dieser Beziehung stimmen fast alle älteren und neueren Nachrichten überein.
Unter vielen Anderen berichtete schon de Bacquevüle de la Potherie von den
Frauen der Irokesen:
„Les jeunes mariees parmi les Iroquais fönt gloire de ne pae crier en accouchement.
Comme c*est une injure parmi les guerriers de dire: tu as fui, de m§me c^est une injure parmi
les femmes, de dire: tu aa cri6 quand tu ^tais en travail d'enfant.'
Die Tinne- Indianerinnen sind sehr fruchtbar und bringen ihre Kinder
leicht und ohne Hülfe zur Welt.
Morton sagt von den Indianern Nord-Amerikas:
„Selbst von den Frauen verlangt man, dass sie die Geburtswehen, so lange und so
schmerzhaft sie auch sein mOgen (die meisten Geburten sind bei ihnen freilich von leichterer
Art, als bei uns), ohne Stöhnen oder Geschrei ertragen. Zeigt die Frau eine solche Schwäche,
so gilt sie für unwerth Mutter zu sein, und ihre Kinder hält man für Feiglinge."
Nach Bush ist die Geburtsarbeit der nordamerikanischen Indiane-
rinnen „kurz und mit wenig Schmerzen verbunden". Auch nach Jame^, welcher
eine Expedition nach den Rocky Mountains begleitete, geht ebenfalls dort
der Geburtsact leicht von statten. Die Athapasken-Frau im Osten der
Felsengebirge bringt ihr Kind leicht und ohne Hülfe zur Welt und arbeitet
bis zum letzten Augenblicke der Niederkunft, (v. HeUwäld.) Abbe Domenech
schreibt:
„Les Peaux-Rouges viennent au monde sans trop de peine et sans trop de soins. . . .
Les douleurs de Tenfantement sont rarement longues; rarement elles interrompent les occu-
pations de la femme en travail."
Auch von den Indianer -Weibern in G an ad a sagt le Beau^ dass sie leicht
gebären, und der Jesuiten-Missionär Baegert, welcher 17 Jahre unter den ca li-
fo mischen Indianern lebte, berichtet, dass deren Weiber ohne Schwierigkeit
und ohne Beistand und Hülfe niederkommen.
Die Leichtigkeit, mit welcher In dianer- Weiber den Geburtsact überstehen,
schildert Engelmann nach den ihm zugegangenen Berichten:
^Faulkner^ der mehrere Jahre bei den Siouz-Stämmen lebte, kannte eine Frau, die
mitten im Winter in den Wald ging, um Holz zu holen; dabei bekam sie ein Kind, während
sie ging; sie wickelte es ein, legte es auf das Holz und brachte beides, Kind und Holz, in
das mehrere Meilen entfernte Lager ohne weiteren Nachtheil. Choquette erzählt, dass einst
ein Indianertrupp von Flat-Heads und Eootenais, bestehend aus Männern, Weibern
und Kindern, sich auf einen Jagdzug begab; an einem streng-kalten Wintertage verliess eines
der Weiber den Trupp, stieg vom Pferde, breitete ein Baffelfell auf den Schnee aus und gab
einem Kinde das Leben, dessen Ankunft sofort von der Placenta gefolgt wurde. Dabei hatte
sie, so gut es eben ging, ihre Aufmerksamkeit auf alle Umstände gerichtet; dann aber raffte
sie das in ein Tuch gewickelte Kind auf, bestieg ihr Ross wiederum und holte ihren Trupp
ein, bevor derselbe noch ihre Abwesenheit gewahr geworden war.'
Die Eskimo-Frauen kommen leicht nieder und sterben im Wochen-
bett nur selten; sie gebären leicht, weil sie ein breites und tiefes Becken haben.
60 XXXIX. Die gesQiidheitsgem&sse Gebart und ihre Bedingungen.
(Smith.) Die Grönländerinnen sind nach älteren Berichten (Baumgarten)
von so harter Natnr, dass man sie weder vor noch nach der Entbindung über
Schmerzen klagen hört. De Charlevoix sagt, dass sie „leicht^^ gebären.
250. Der Terlanf der Geburten in Europa.
In Europa sind es verhältnissmässig nur wenige Volker, und zwar nach
übereinstimmenden Nachrichten vorzugsweise die minder cultivirten, deren Weiber
sich im Allgemeinen durchgängig eines besonders leichten Geburtsverlaufes erfreuen.
Hier beginnen wir mit dem Norden: Die Isländerinnen « entledigen sich
der Geburt bald*', yrie Baumgarten sich ausdrückt. In Lappland kommen die
Frauen ebenfalls leicht nieder. (Historie.) Von den Frauen in Ehstland be-
richtete Krebel dasselbe; und nach genauer Beobachtung sagt Holst:
„Die Geburten nehmen bei den £hstinnen im Allgemeinen einen günstigen Verlauf.
Der Kopf steht wegen der geringen Beckenneigung und der weiten Beckenmaasse oft schon
am Ende der Schwangerschafb tief im Becken, und schreitet auch die ErOffhungsperiode ofb
langsam vorwärts, so pflegt der Verlauf der Geburt nach Beendigung dieser Periode meist
ein rascher zu sein, weil der Becken ausgang normal ist und die Weichtheile des Becken-
bodens selten ein Hindemiss abgeben.' Dagegen sagt HoUt über die Dauer der Geburt:
,Bei den Ehstinnen sind die Wehen in der Regel normal und kräftig, doch ftJrdem sie
die Geburt nicht in auffallend rascher Weise; die Geburtsdauer war bei Erstgebärenden
durchschnittlich 20 Stunden, bei Mehrgebärenden 6,8 Stunden. Sehr selten kommt Wehen-
schwäche vor."
Dass die irischen Frauen verhältnissmässig leicht gebären und dass nur
eine geringe Zahl von ihnen während der Geburt stirbt, berichtete schon im 17.
Jahrhundert Graunt.
Die Sicilianerinnen sollen sich nach Finke ebenfalls durch leichte
Entbindungen auszeichnen.
Die Weiber in Minorca gebären nach Cleghom leicht. Die Frauen der
Basken nehmen an der Feldarbeit kräftig Antbeil, und bei ihrer körperlichen
Kraft bringen sie ihre Kinder mit grosster Leichtigkeit zur Welt.
Aus dem französischen Dep. de la Creuse berichtet Legros^ dass
bei den Frauen auf dem Lande die Geburten ,,ordinairement facile et prompte'
vor sich gehen.
Die Frauen von Dalmatien gebären leicht, selbst wenn sie auf einer Reise
ganz allein sind. (Finke.)
Die Montenegrinerin kommt im Felde oder Walde „ohne irgend-
welche Hülfe, ohne einen Seufzer oder eine Klage hören zu lassen", nieder.
(Gräfin Bora d'Istria.)
Glück sagt von den Weibern in Bosnien und der Hercegovina:
„Dass die einheimischen Frauen in der Regel leicht gebären, ist eine allgemein be-
kannte Thatsache. Wenn aber trotzdem die TodesföUe im Wochenbett recht häufig sind,
so kann man dies zum grossen Theile dem umstände zuschreiben, dass sich die Wöchne-
rinnen in diätetischer Beziehung absolut nicht schonen."
Auch Milena Mraeovic sagt, dass die Entbindungen in Bosnien im All-
gemeinen leicht verlaufen.
Boscieunce hatte schon von diesen Frauen gesagt, dass wenigstens die Mo-
hamedanerinnen fast niemals fremde Hülfe bei der Entbindung in Anspruch
nehmen, Aerzte dürfen hierbei nie htilfreich auftreten, und nur vornehmere
Familien nehmen die Kenntnisse und die Geschicklichkeit von Hebammen in An-
spruch. Die Zigeunerinnen bringen ihre Kinder gewöhnlich mit leichter Mtthe
zur Welt. (GreUmann.)
In Istrien laufen die Entbindungen „fast immer glücklich" ab. (v. Beins-
berg-Düringsfeld.)
251. Die Ursachen und Bedingungen eines leichten Geburtsverlaofs. gl
Im jetzigen Griechenland ist, nach den Floss vom verstorbenen Damian
Georg in Athen zugegangenen Mittheilungen, die leichte Geburt viel häufiger,
als in dem nördlichen Europa.
Um zu beurtheilen, wie sich die Entbindungen in dem civilisirten Europa
verhalten, steht uns als Hülfsmittel die Statistik zu Gebote, welche Ploss^- ^ in
mehreren Arbeiten zu verwerthen gesucht hat. Er kam zu dem Resultate:
.Das Unternehmen, bestimmte Schlüsse aus der Operationsfrequenz auf die relative
EörperbeschafTenheit der Bevölkerung ziehen zu wollen, würde meiner Ansicht nach sehr ge-
wagt sein, obgleich es eben nicht unmöglich, ja sogar wahrscheinlich ist, dass neben
anderen Einflüssen auch der Einfluss der Eörperconstitution bis zu einem gewissen Grade
in der Ziffer der operativen Geburtsfiälle zur Geltung kommt. Da aber schon längst mit
Hülfe der Statistik bewiesen wurde, dass Leben, Kraft und Gesundheit einer Bevölkerung
überhaupt vorzugsweise von der Art ihrer Arbeit und Beschäftigungsweise, sowie von dem
Grad ihres Wohlstandes abhängig sind, so wird sich auch bei ferneren Untersuchungen der
Einfluss dieser socialen Zustände auf den Gebäract und auf die bei demselben nöthige
operative Hülfe mehr und mehr herausstellen. Die Differenz in der Operationsfrequenz von
Stadt und Land scheint zum Theil mit von solchen Einflüssen herzurühren." Er fand näm-
lich, dass bei der städtischen Bevölkerung relativ häufiger operirt wird, als bei der ländlichen;
hierzu bemerkte er: .Die Entstehung dieser Differenz lässt sich am besten durch den in-
direoten Einfluss des Wohlstandes, der Beschäftigungs weise und des aUgemeinen Gultur-
zustandes der Bevölkerung erklären."
Jedenfalls kommt aber hinzu, dass in den Städten die Hülfe weit eher zu
erlangen ist, als auf dem Lande.
Es ist bekannt, dass auch in Deutschland viele Frauen der arbeitenden,
kräftigeren Klassen, insbesondere die der ländlichen Bevölkerung, sehr leichtfertig
ohne Hülfe niederkommen. So schreibt Flügel:
,Im Frankenwalde macht die Niederkunft in vielen Fällen allzu wenig zu schaffen,
indem nicht nur viele Arme, sondern auch Bemittelte der Ersparmss wegen die Hebammen
umgehen und für sich niederkommen. Ich habe in den letzten Jahren durch solche Sparsam-
keit mehrmals den Tod der Gebärenden erfolgen sehen.*
Nach Flügel lässt der Beckenbau der Weiber im Franken walde selten
einen Tadel zu; Wehenschwäche ist aber ziemlich häufig. Dagegen sind in
manchen Gegenden Deutschlands Rhachitis und Osteomalacie (Winckel, Breishy)
sehr gewöhnlich und geben dort vorzugsweise Veranlassung zu Störungen des Ge-
burtsverlaufes, während sie in anderen Theilen des Landes selten sind. Im Kreise
Querfurt sind nach Schraube die für die Geburt in Betracht kommenden Theile
des weiblichen Körpers im Allgemeinen wohlgebaut; es kommen daher auch nur
selten unregelmässige Geburten aus Verengerungen des Beckens vor, die Geburts-
zange wird nur höchst selten gebraucht und es werden Wendungen nur wegen
Querhkgen, die aber nicht durch abnorme Beckenverhältnisse hervorgerufen sind,
nothwendig.
In Ostpreussen sind nach £t7(2e;&ran<2^ Beckenanomalien sehr selten; aber
Störungen der Geburt, welche durch Wehenschwäche bedingt sind, gehören nicht
zu den Seltenheiten.
251. Die Trsache und Bedingungen eines leichten Geburtsverlanfs.
Werfen wir nun noch einmal einen Blick auf die von uns gesammelten zahl-
reichen Angaben über den Verlauf der Entbindungen, so müssen wir zunächst zu
dem Schlüsse kommen, dass das Klima einen nur ganz geringen, oder gar keinen
Einfluss auf dieselben ausüben kann.
Um vieles wichtiger ist in dieser Beziehung die Lebensweise, unter welcher
die Entwickelung des Körpers und namentlich des Beckens und der von ihm um-
schlossenen Organe mehr oder weniger naturgemäss vor sich geht. Hierin liegt
eine üauptbedingung fQr den günstigen Ablauf des Geburtsvorganges.
62 XXXIX. Die gesondheitsgemässe Geburt und ihre Bedingungen.
Der normale Bau des weiblichen Körpers und die Energie der Muskelkraft
sind wahrscheinlich bei den Frauen der roheren Völker durchschnittlich häufiger
zu finden, als bei den durch verkehrte Lebensweise und Verweichlichung minder
gut organisirten civilisirten Nationen. Dazu kommt die geringere Empfönglich-
keit roher Frauen für die Einwirkung der Schmerzen bei der Geburt.
Fasst man die Niederkunft als einen rein physiologischen Vorgang auf^
dessen Verlauf einzig und allein von dem mehr oder weniger normalen Verhalten
der gebärenden Frau abhängig ist, so wird ohne Zweifel nur dort die Mehrzahl
der Geburtsfalle einen normalen Verlauf haben, wo in der Regel dem weiblichen
Geschlechte es vergönnt ist, sich in physiologischer richtiger Weise zu entwickeln.
Dass dies bei Völkerschaften, deren Gulturzustand die Entwickelung des weiblichen
Körpers wenig oder gar nicht beeinträchtigt, weit mehr der Fall ist, als bei den
Völkern, deren Sitten und Bräuche schon von Jugend auf das Weib in falsche
Bahnen leiten, das ist wohl ohne Weiteres zuzugestehen. In den Zuständen, die
unsere moderne Civilisation vielfach herbeigeführt hat, liegt der Grund der ge-
ringen Fähigkeiten, die Geburten leicht und gut zu überwinden. Vielleicht wunle
in den gymnastischen Uebungen der Schulmädchen, sowie in dem immer gebräuch-
licher werdenden Schwimmen der Damen ein Weg der Besserung angebahnt.
Was aber das jetzt so moderne R^idfahren anbetriffb, so sind von demselben
wohl eher schädliche als günstige Einwirkungen zu erwarten. Denn die schnellen
Tretbewegungen führen zu Beizungen des Genitalapparates; und wie bei den
Arbeiterinnen an der Nähmaschine Störungen der Menstruation und entzündliche
Reizungen der Gebärmutter und der Eierstöcke sehr häufige Vorkommnisse sind,
so werden wir auch bei den Radlerinnen bald ähnliche Zustände sich entwickeln
sehen.
In der Lebensweise hat schon Aristoteles vorzugsweise den Grund gesucht,
warum die Niederkunft mehr oder weniger leicht vor sich geht. Im vierten Buche
seines Werkes von der Zeugung und Entwickelung der Thiere sagt er:
.Bei sitzender Lebensweise geht wegen Mangels an Thätigkeit die Reinigung nicht vor
sich und die Wehen bei der Gebart sind dann schwer. Durch die Arbeit aber wird der Athem
geübt, so dass er angehalten werden kann, und darauf beruht es, ob das Gebären leicht oder
schwer ist.'
Das weiter oben über die Chinesinnen Gesagte muss hierf&r als eine Be-
stätigung angesehen werden.
In wie weit für die grössere oder geringere Leichtigkeit des Geburtsactes
die Verschiedenheiten der Rasse eine Rolle spielen, ist noch nicht hinreichend studirt.
Sehr wahrscheinlich ist es aber weniger die Rasse an sich, welche die grossen
Unterschiede im Geburtsverlaufe bedingt, als vielmehr die höheren oder geringeren
Grade der Rassenentartung in Folge der verschiedenen Sitten, Gebräuche und
Lebensgewohnheiten .
252. Der Yerlanf der Mischlingsgeburten.
Bei allen den Geburten, von denen ich in den vorigen Abschnitten ge-
sprochen habe, hatten wir stillschweigend vorausgesetzt, dass beide Erzeuger
der gleichen Rasse angehört haben. Wir müssen nun aber die Frage aufwerfen,
ob die Verhältnisse des Geburtsverlaufes verändert werden, wenn die Eltern des
zukünftigen Weltbürgers Repräsentanten verschiedener Rassen sind.
Man hat öfters die Behauptung ausgesprochen, dass die Geburten solcher
Mischlingskinder im Allgemeinen schwerer verlaufen, als die Entbindungen, bei
welchen sowohl der Vater als auch die Mutter derselben Rasse entstammen.
Aber das bedarf noch mehr der sachlichen Bestätigung und ist mit allergrösster
Wahrscheinlichkeit nur ftir bestimmte Verhältnisse der Rassenkreuzung zutreffend.
252. Der Verlauf der Mischlingsgebnrten. 63
Wenn nämlich die Rasse des männlichen Erzeugers gegenüber derjenigen
der weiblichen Erzeugerin die kleinere und zierlicher gebaute ist, dann ist doch
nicht einzusehen, warum das Kind, wenn es dem Vater in seinen körperlichen
Verhältnissen ähnlich ist, die Geburtswege der Mutter nicht sogar noch leichter
und bequemer passiren sollte, als wenn es von reiner (mütterlicher) Rasse wäre.
Hat es aber, was wir doch hier als den ungünstigsten Fall betrachten müssen,
die RasseneigenthümUchkeit der Mutter ererbt, dann wird es doch die gleichen
Aussichten für eine günstige Geburt besitzen, wie alle Vollblutkinder der mütter-
lichen Rasse.
Ganz anders gestaltet sich allerdings die Sache, wenn der Vater der grösseren
Rasse angehört. Dann kann man sich wohl vorstellen, dass das Kind, wenn
es dem Vater gleicht, wirklich in einem Grössenmissverhältnisse zu den Geburts-
wegen der Mutter steht. Und hierfür sind wir in der Lage, ganz positive Be-
weise beizubringen.
So konnte WiUiams beobachten, dass die Menomonee-Indianerinnen
bei ihren Entbindungen viel häufiger unter störenden Zufällen zu leiden haben,
als die Pawnee-Indianer. Er suchte allerdings den Grund hierfür in dem Um-
stände, dass erstere nicht wie die Pawnee- Frauen in hockender Stellung nieder-
kommen. Allein Engelmann erblickt gewiss mit vollem Rechte die Ursache darin,
dass die Menomonee-Weiber, ganz abgesehen davon, dass sie ein viel weniger
actives Leben führen als die Frauen der Pawnee, auch bedeutend häufiger ge-
schlechtlichen Umgang mit den Weissen ausüben als die letzteren. Von den
Umpqua-Indianerinnen konnte Engelmann berichten, dass sie sehr oft bei der
Geburt eines halbblütigen, von einem weissen Vater stammenden Kindes sterben,
da bei solchen Mestizen die viel grösseren Köpfe den Durchtritt durch das
mütterliche Becken erschweren oder auch gänzlich unmöglich machen, während
sie Vollblutkinder leicht und ohne Schwierigkeit zur Welt bringen. Wir haben
früher bereits gesehen, dass vielen Indianerfrauen sehr wohl die Gefahren zum
Bewusstsein gekommen sind, welche ihnen bevorstehen, wenn sie sich von einem
Blassgesicht haben schwängeren lassen, und dass sie, um diesen Gefahren zu ent-
gehen, es vorziehen, zu rechter Zeit noch den Versuch zu machen, durch ab-
treibende Mittel die Folgen dieser Rassenkreuzung zu beseitigen.
SttMmann berichtet von den Alür in Ost-Afrika, dass schwere Geburten
nur bei Mischehen zur Beobachtung kommen.
Aber selbst, wenn der Vater der grösseren und stärker gebauten Rasse an-
gehört, braucht deshalb doch nicht in aUen Fällen die Geburt des Mischlings eine
besonders erschwerte zu sein. Denn wenn der letztere nur die Grössenverhältnisse
der mütterlichen Rasse ererbt hat, dann bieten sich für seine Geburt natürlicher
Weise dieselben Aussichten dar, wie für alle die übrigen Kinder seines mütterlichen
Stammes. Und hier ist eine Beobachtung des Gynäkologen Dohm in Königs-
berg von nicht geringer Bedeutung, welcher gefunden hat, dass die Neugeborenen
(allerdings innerhalb derselben, der kaukasischen, Rasse) in Bezug auf ihre
Grössenverhältnisse, und ganz besonders hinsichtlich der für den Geburtsmechanismus
so wichtigen Dimensionen des Kopfes, viel häufiger der Mutter als dem Vater
gleichen. Wir ersehen hieraus, wie die Natur bemüht ist, für die besprochenen
Gefahren ein wichtiges Gorrigens zu bieten.
XL. Die Erscheinungen der gesnndheitsgemässen Geburt.
253. Die Gebartsperioden.
Wenn die yorliegende Schrift auch nicht ein Lehrbuch der Geburtshülfe
zu werden beabsichtigt, so muss ich doch in kurzen Worten ftir die Nicht-
mediciner unter meinen Lesern eine flüchtige Skizze von dem physiologischen Ver-
laufe des Geburtsactes entwickehi, um ihnen das Yerstandniss der später zu be-
sprechenden Abnormitäten und Störungen dieses Vorganges soviel als möglich zu
erleichtem.
In dem Verlaufe der normalen Geburt unterscheiden die Aerzte drei haupt-
sächliche Abschnitte, die Eröffnungsperiode, die Austreibungsperiode und
die Nachgeburtsperiode. Die Eröffhungsperiode zieht sich nicht selten über
eine grössere Reihe von Tagen hin, indem leichte Zusammenziehungen der Gebär-
muttermusculatur, welche mit leichten ziehenden Schmerzen im Leibe verbunden
sind, besonders bei Ersi^ebärenden der civilisirten Völker nicht selten schon vor
dem eigentlichen Beginn der Entbindung in unregelmässigen Intervallen eintreten.
Diesen umstand bezeichnet man als die vorhersagenden Wehen oder die Vor-
wehen. Ihnen folgt die Eröffnungsperiode im eigentlichen Sinne des Wortes.
Sie hat ihren Namen davon, dass unter heftigen Gontractionen der Gebärmutter-
muskeln der Muttermund allmählich eröffnet wird. Während der Schwangerschaft
war derselbe verschlossen; der Halstheil der Gebärmutter ragte zapfenartig in die
Scheide hinab. Nun ziehen die genannten Gontractionen allmählich den untersten
Theil der Gebärmutterwand und damit gleichzeitig den Hals der Gebärmutter an
dem Kinde soweit in die Höhe, bis der äussere Muttermund immer weiter und
weiter aus einander weicht, so dass dem Kinde der Durchtritt ermöglicht
wird. Dabei verschwindet der Halstheil der Gebärmutter gänzlich für den unter-
suchenden Finger, da er ja an dem Kinde in die Höhe gezogen wird; er ver-
streicht, wie der Kunstausdruck lautet. Die Zusammenziehungen der Gebärmutter
sind, wie gesagt, von Schmerzen begleitet, und werden daher als die Wehen
bezeichnet. Während der allmählich zunehmenden Eröffnung des Muttermundes
wird die mit Fruchtwasser gefüllte Eihaut, von welcher das Kind umschlossen
wird, vor diesem als Blase durch letzteren hindurch hervorgetrieben. Das Be-
nehmen der Gebärenden nennt man in dieser Periode das Kreissen, was richtiger
Kreisen geschrieben werden müsste; denn sie geht unruhig im Kreise hin und her,
sucht eine Stütze für ihr Kreuz, lehnt sich an, setzt sich, oder sie legt sich auch
abwechselnd nieder. Bei Mehrgebärenden oder bei kräftigen Frauen roher Völker
wird diese Periode kaum beachtet. Es bedarf aber nicht erst der Erwähnung,
dass der gewöhnliche Sprachgebrauch mit dem Ausdrucke Kreissen den gesammten
Geburtsvorgang im Ganzen zu bezeichnen pflegt.
253. Die Greburtsperioden. 65
Nnnmehr drangen sich die prall gespannten Eihäate gegen den Mattermnnd
an und sie .springen dann entzwei, sie zerreissen und platzen, und das Fruchtwasser
fliesst aus ihnen heraus und geht durch die Schamtheile der Frau nach aussen. Das
bezeichnet man ab den Blasensprung. Nur mitunter tritt dieser Blasensprung nicht
ein; dann wird in solchem Falle das Kind mit den unzerrissenen, über den Kopf ge-
spannten Eihäuten geboren: das nennt man im Volksmunde die Glückshaube.
Bei der Austreibungsperiode nehmen die Gontractionen der Oebärmutter-
musculatur ihren Fortgang, und zwar tritt die Zusammenziehung der Gebärmutter-
muskeln nicht in der ganzen Masse derselben gleichzeitig ein, sondern immer nur
in einer ringförmigen Zone; und während diese dann wieder erschlafft, zieht sich
die zunächst darüber liegende Abtheilung der Muskeln zusammen.
Auf diese Weise bildet also die Zone der Muskelcontraction immer eine
horizontale ringförmige Figur, den Contractionsring, welcher immer höher an
der Gebärmutter in die Höhe steigt. Dabei wird die untere Abtheilung des Uterus
gemeinsam mit der Vagina zu einem schlaffen Sacke, durch welchen das Kind
theils durch die treibende Kf&ft der rhythmisch wirkenden Uteruscontractionen,
theÜB durch die Mitarbeit der sogenannten Bauchpresse hindurchgetrieben wird.
Die letztere ist es ganz allein, welche den vorliegenden Kindskopf gegen den Damm
(das Mittelfleisch zwischen dem After und der Schamspalte) andrängt, den letzteren
auf diese Weise kugelig hervorwölbt, das Steissbein gerade streckt und die Scham-
spalte klaffend erweitert. Dabei wird ein Theil des Köpfchens bereits sichtbar:
der Kopf kommt zum «Einschneiden'*.
Bei diesem und dem folgenden Acte, in welchem der Kopf unter dem Ein-
flüsse kräftiger Treibwehen schliesslich ganz durch die Schamspalte vordringt,
zum „Durchschneiden'' kommt, hat die Gebärende eine nicht unerhebliche
körperliche Arbeit zu leisten. Das in Thätigkeit-Setzen der Bauchpresse ist für
sie mit einer ausserordentlichen Krafbanstrengung verbunden, wobei sie die Zahne
zusammenpresst, die Blutgefässe des Kopfes sich strotzend anfüllen und ihr die
Augen weit aus den Höhlen treten. Dichte Schweissperlen bedecken ihr Gesicht;
die mit den Wehen verbundenen Schmerzen im Kreuz und in der Steissgegend
pressen ihr Schmerzenstöne aus, welche mit den Wehen rhythmisch einsetzen und
bei den zusammengepressten Zähnen einen grunzenden Beiklang haben. Die nächst-
folgenden Wehen treiben auch den Rumpf des Kindes durch, und es fliesst der
Rest des mit Blut gemischten Fruchtwassers ab. Diese Periode ist mit bedeutender
allgemeiner Aufregung verbunden, nur bei den indolenten Frauen roher Völker
ist diese hochgesteigerte Unruhe, Angst und Schmerzensäusserung gar nicht oder
nur wenig vorhanden. Nachdem sich die Gebärmutter des Kindes entledigt hat,
zieht sie sich in Gestalt einer Halbkugel in IQndskopf-Grösse zusammen; die
Mutter geniesst einige Zeit der Ruhe.
Allein die noch in der Gebärmutter befindlichen Fruchttheile, die Eihäute
und der Mutterkuchen, müssen noch durch erneute Wehen ausgestossen werden.
Das pflegt nach kurzer Zeit zu geschehen, meist schon ^/4 — ^/^ Stunde nach der
eigentlichen Geburt; und dieses bezeichnet man als die Nachgeburtsperiode.
Die Gontractionen des Uterus pressen die Nachgeburt unter der Mitwirkung der
Mutterscheide und der Bauchmuskeln nach längstens wenigen Stunden heraus.
Hiermit ist die Niederkunft beendet und das Wochenbett beginnt.
Mögen nun uncivilisirte Völker gegen Schmerzen auch noch so unempfindlich
sein, so musste sich doch der Eintritt der Wehen mit der denselben begleitenden
physischen Unruhe den schwangeren Weibern recht deutlich bemerkbar machen,
und der Austritt von Schleim und Blut aus den Genitalien, sowie das zu Tage
treten des jungen Weltbürgers und der Nachgeburt musste sie über die Bedeutung,
über die Zusanamengehörigkeit und über die normale Reihenfolge aller dieser Er-
scheinungen um so mehr aufklären, als es ihnen an analogen Beobachtungen bei
ihren Hausthieren nicht fehlen konnte.
PlosB-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II. 5
66 XL. Die Encheinungen der geenndheitsgemäsaen Gebart.
Allein sowohl über die Gefahren, die bei allen diesen Einzelprocessen drohen,
als auch über die Hül&mittel, die man bei normaler und abnormer Niederkunft
anzuwenden hat, fanden allerlei Irrthümer Eingang. Die Störungen und Unregel-
mässigkeiten, die ja selten vorkommen, werden für Wirkungen übernatürlicher
böser Kräfte gehalten, weil die Naturmenschen sich nicht denken können, das« Ab-
weichungen von der normalen Geburt in pathologischen Zustanden der Kreissenden
ihre erl&rende Ursache finden»
Aber auch schon bei vorgeschrittener Cultur war die genauere Auffassung
der GeburtsYorgänge doch immer noch eine sehr unvollkommene. Hierfür werden
die folgenden Abschnitte uns hinreichende Belege liefern.
254. Die Wehen.
Wir haben die physiologische Bedeutung und das Wesen der Wehen in
dem vorigen Abschnitte bereits kennen gelernt. Hier soll nur noch hervorgehoben
werden, dass, wie überhaupt die Empfindlichkeit, das Geftihl für körperliche
Schmerzen, individuell ausserordentlich verschieden ist, so auch die Empfänglich-
keit für den Wehenschmerz unter die Frauen der verschiedenen Rassen und
Völker sich in recht ungleicher Weise vertheilt. Härtere Naturen ertragen die
Pein viel leichter, sie sind indolenter, als die zarter disponirten Constitutionen.
Die Französin reagirt auf die mit der Geburt verbundenen Schmerzen meist
durch lautere Aeusserungen als die deutsche Frau; diese aber stösst beim Ein-
setzen der Wehen wieder andere Klagetöne aus als eine Indianerin, welche
(nach Engelmann) bei ihrem stoischeren Charakter mehr ein tiefer klingendes
«Wimmern'' oder „Wehelaute^ hören lässt. Jüdinnen hingegen erheben häufig
ein klägliches Geschrei; und schon in der Bibel (1. Sam. IV. 19) heisst es von der
kreissenden Hebräerin: „sie krümmte sich, als ihr die Wehe ankam,'' und dann
schreit sie laut auf und sagt, indem sie die Hände ausbreitet: „Wehe über mich,
denn meine Seele erliegt den Mördern.'' {Kotdmann)
Dass auch die Frauen der alten Sumerer die Aeusserungen ihrer Geburts-
schmerzen durchaus nicht zu unterdrücken gewohnt waren, das erfahren wir aus
einem der berühmten Thontäfelchen, welche die Bibliothek des Assurhanhabal
in dem Königspalaste in Ninive zusammensetzten. Es heisst darin bei der
Schilderung der Verwirrung, welche der Ausbruch der Sintfluth unter den Göttern
hervorrief, von der Göttin Istar: „Istar schreit wie eine Gebärerin.* (Sayce,)
In einem finnischen Volksliede heisst es:
Süss ist der Empf&ngniss Stunde,
Bitter ist die Zeit der Wehen. (AUmann.)
Die Schmerzenslaute, welche bei den Wehen ausgestossen werden, rufen das
Mitgefiihl der Umgebung wach, und bei den Her er o heisst das Wort Ozongama
gleichzeitig Geburtswehen, aber auch MiÜeiden, Zuneigung. {Viehe)
Vielleicht ist bei den Frauen der Naturvölker die Periode der Wehen rascher
verlaufend, als bei den Frauen in civilisirten Ländern ; aber fehlen thut sie gewiss
auch hier niemals. Allerdings gilt es oft für eine Schande, Schmerzenslaute hören
zu lassen, und aus diesem Grunde mag es manchem Beobachter so erschienen
sein, als ob die Wehenschmerzen überhaupt nicht vorhanden gewesen wären.
Der Jesuit LaßaUj welcher bei den Irokesen Missionär war, äussert sich
über die Geburtsschmerzen folgendermaassen:
„Es scheint nicht, als ob die Frauen hierbei etwas ausstehen, oder krank seien. In-
dessen mOssen sie doch ebensowohl wie andere Weiber ihr Theil dabei empfinden, ja oft
sterben auch einige davon. Den Schmerz aber wissen sie mit einer bewunderungswürdigen
Standhaftigkeit zu erdulden und zwingen sich, so viel sie können, damit sie nichts davon
merken lassen. Bei unseren Missionen hatte sich eine Frau ihre Empfindlichkeit zu sehr
merken lassen; daher wenige Zeit hernach einer von den Aeltesten mit vieler Ernsthaftigkeit
254. Die Wehen.
67
folgendermaassen urtheilte, dass es nicht gut wäre, wenn diese Frau mehrere Kinder bekommen
sollte, indem sie doch nur lauter verzagte Leute zur Welt bringen würde. (Baumgarten,)
Auf den Tonga-Inseln, wo schwere Entbindungen selten sind, sah Mariner
einmal eine Gebärende, welcher die Schmerzen den Kopf verwirrt hatten, sich von
ihren Dienerinnen losreissen und ins Freie laufen. Letztere machten keinen Yer*>
such, ihr beizuspringen, sondern begnügten sich, mit lauter Stimme die Götter
anzurufen, der Leidenden eine schnelle und glückliche Entbindung zu yerleihen;
allein, als sie erschöpft niedersank, brachten sie sie nach Hause, wo sie nach drei
Tagen niederkam, {de Bienei)
Die Golden in Sibirien besitzen einen beson-
deren Talisman, welcher die Schmerzen bei den Ge-
burtswehen erleichtert. Es kann wohl keine schlagen-
dere Bestätigung dafür geben, dass ihre Weiber diese
Schmerzen sehr peinigend empfinden. Dieses Götzen-
bild heisst Teaun. Adrian Jacobsen hat es für das
Museum für Völkerkunde in Berlin aus Ghaba-
rowka-Troizkoje mitgebracht. Das Idol ist eine in
Holz geschnitzte Figur von 39 cm Höhe, welche in
höchst roher Weise eine hochschwangere Frau dar-
stellt. (Fig. 268.)
Auch die Hindus haben nach Gerdon ein Hülfs-
mittel, um die Wehen zu erleichtem. Das ist der
Genuss von dem Fleische des grossen Hornvogels
Meniceros bicornis. Derselbe nistet in Baumlöchem,
wobei das Weibchen vom Männchen förmlich einge-
mauert und während der ganzen Brutzeit durch einen
kleinen Spalt hindurch geföttert wird. Das Weibchen
muss demnach ein eigenthümliches Wochenbett abhalten.
Den Frauen der Orang Bfilendas in Malacca Q^f^\^^[y^'^\^l^^^^^^^l.
sind die Wehen ebenfalls, nach Stevens^ nicht unbekannt. °rimg der Gebw^Mbrneraen.
Sie haben dafür die Bezeichnung Tran, was wohl deut- im Besitz« des kgi. Musennui für
lieh beweist, dass sie dieselben stark genug empfinden, um ^^^^h'^Phoul^pwll^
sie mit einem besonderen Namen zu belegen. (Bartels'^.)
Ausdrücklich bemerkt unter Anderen Htüe^ dass bei den Negerinnen in
Surinam die vorbereitenden Wehen fast niemals fehlen, sie halten zuweilen selbst
länger an, als die wahren Geburtswehen. Diesem schreibt HiUe die Erscheinung
zu, dass er bei diesen Frauen ein unwillkürliches, plötzliches Fallenlassen von
Kindern, d.h. sogenannte Sturzgeburten, nie zu beobachten Gelegenheit hatte.
In zahlreichen Fällen kann man beobachten, dass bisweilen schon sechs
Wochen vor der Geburt Vorwehen (Dolores praesagientes) die Schwangere in
Unruhe versetzen. Die Aerzte des Talmud haben das bereits gewusst. B^bbi
Meir sagt, dass schwierige Geburten 40 und 50 Tage dauern; Rabbi Jehuda
spricht von einem Monat; Rabbi Schimeon hingegen meint, dass keine schwierige
Geburt länger als zwei Wochen dauere; in der Gemara selbst aber wird gelehrt,
dass nur bei Krankheit Dolores praesagientes 40 oder 50 Tage vor der Ent-
bindung eintreten.
Ein chinesischer Arzt (t;. Jfar^tW) äussert, dass die gewöhnlichste Ur-
sache der Vorwehen die Bewegungen der Frucht im Mutterleibe sind, doch ent-
stehen sie nach seiner Annahme auch durch grosse innerliche Hitze, langes Stehen
oder Sitzen, einen falschen Tritt oder einen Stoss auf den Unterleib; bei der-
gleichen Vorgängen fange sich auch die Frucht stärker zu bewegen an. Diese
Bewegungen des Kindes oder diese Vorwehen finden meist 5 — 10 mal vor der
Entbindung statt, sie stellen sich gewöhnlich einige Tage vor der wirklichen
Entbindung ein und sind in der Regel denjenigen Vorwehen gleich, welche zwei
68 ^* I^io Eracheinangen der gesundheitsgemftasen Geburt.
Monate früher die Schwangere befielen. Dass dies keine wirklichen Wehen sind,
erkennt der chinesische Arzt daran, dass sie stündlich an Heftigkeit abnehmen ;
ob die Vorwehen durch Diätfehler entstanden, sagt ihm der Puls; wenn sie yom
Schreck entstanden sind, so ist der Schmerz über dem Nabel; ist aber Erkaltung
die Ursache, so ist der Sitz des Schmerzes unter demselben.
Da hier yon einer Erk<ung als Ursache .falscher* Wehen die Rede ist, so scheint
es, dass der chinesische Arzt anf den Rheumatismus uteri hinweist. Der erste Ge-
burtshelfer, welcher den entzündlichen Schmerz von dem der Wehen unterschied, ist Moschion^
der Kap. 45 sagt: ,Quod dolor ab inflammatione ortus cum strictura et siccitate orificii uteri
reperiatur.* Auch Soranus schrieb ein Kapitel über den Rheumatismus uteri, welches aber
verloren ist. Vigand, Gautier und Meissner haben in unserer Zeit diese Krankheit genauer
besprochen.
255. Die inneren Zeichen des GeburtSTorganges.
Die inneren Zeichen des Geburtsvorganges bestehen im Wesentlichen in dem
oben bereits geschilderten Kürzerwerden und dem allmählichen Verstreichen des
Scheidentheiles der Gebärmutter und in der Eröffiiung des Gebärmuttermundes.
Nur durch die innere Untersuchung kann selbstverständlich Beginn und Fort-
schritt dieser Processe erkannt und festgestellt werden. Das Unterlassen dieses
diagnotischen Mittels ist nicht nur bei rohen, sondern auch bei' solchen Völkern
zu notiren, die zwar Äerzte besitzen, denselben aber aus einem falschen Scham-
gefUhle die genaue Exploration der Weiber nicht gestatten. Ueber die Indianer-
Völker erfuhr Engelmann nach vielfältiger Erkundigung, dass kaum bei irgend
einem derselben die Hand in die Scheide eingeführt wird; er besitzt genaue An-
gaben hierüber von den Umpquas, den Pueblos und den Eingeborenen Mexikos;
dabei sagt er:
.Das Einbringen der Hand in die Scheide oder in die Gebärmutter zu einem bestimmten
Zwecke ist auch anderen Stämmen etwas Unbekanntes. Höchstens berichtet man in Bezng
auf einige wenige Beispiele von dieser Leistung, nämlich behufs Ausdehnung des Mittelfleisches
oder zum Herausholen der vom Uterus zurückgehaltenen Placenta.'^
Dass sich mit der eintretenden Geburt der Muttermund eröffnete,
wussten bereits die israelitischen Äerzte des Talmud. Es war aber ein Streit-
punkt unter ihnen, von welcher Zeit an diese Eröffnung stattfinde. Rabbi Abbaje
sagte: „von der Stunde an, in der sie auf den Stuhl kommt''; Rabbi Huna: „von
der Zeit an, wo Blut zu fliessen beginnt^ ; Andere: ,zu der Zeit,, wo die Gebärende
von ihren Freundinnen unter den Armen unterstützt wird*. Die Frage, wie lange
die Eröffnung dauern könne, beantworten die Talmudisten ebenfalls verschieden,
sie geben 3 Tage (Rabbi Abbaje), 7 Tage (Rabbi Rabba\ auch 30 Tage daf&r
an. Die Entscheidung der Frage über die Dauer der Geburt war den talmudischen
Aerzten insofern wichtig, ab bei einer Verzögerung der Niederkunft durch die
Arbeit der Hülfeleistenden ein von der Geburtszeit etwa mit eingeschlossener
Sabbath entheiligt werden konnte. Doch wurde für die nöthige Hülfeleistung am
Sabbath Absolution ertheilt.
Als Zeichen der eintretenden Geburt wurde unter Anderem von alt-
römischen Aerzten das Aufgehen und Feuchtwerden des Muttermundes ange-
geben, in welchem man später die Kindestheile fahle. Es wurde von ihnen also
auch fär diesen Zweck die Vaginalexploration gekannt und geschätzt. Bei anderen
Völkern sind die Äerzte mit dieser Untersuchungsmethode nicht bekannt. Die
altindischen Äerzte z. B. führen unter den Merkmalen der Geburt die Ergeb-
nisse der inneren Untersuchung nicht mit auf, obgleich bei ihnen die Eindes-
lagen per vaginam untersucht wurden; sie führen als Geburtszeichen an: dass die
Frucht sich erweitert, dass das Band des Herzens im Unterleibe gelöst wird, und
dass sich in der Lumbaigegend Schmerzen einstellen; dann tritt bei der Nieder-
256. Die acüve Betheiligung des Kindes und der Beckenknochen bei der Gebort. 69
kunft in der Krenzgegend ein Schmerz auf, es wird Stuhl heryorgedrängt und
XJrin und Schleim (Phlegma) aus der Scheide vergossen. {SusnUa.)
Soranus charakterisirt die Zeichen einer normalen Geburt in folgender
Weise :
Um den 7., 9. oder 10. Schwangerschaftsmonat fühlen die Frauen eine Schwere im
Hypogastrium und Epigastrium, ein Brennen in den Genitalien, einen Schmerz in der Lumbal-
und Cozalgegend und in allen den Tbeilen, welche unterhalb des Uterus liegen. Der Uterus
steigt zum Theil abw&rts, so dass die Hebamme ihn leicht erreichen kann. Der Muttermund
öffiiet sich. Wenn sich*s aber zur Geburt einstellt, schwellen die Genitalien an, es tritt
Tenesmus urinae ein, es fliesst meist Blut aus den Geschlechtstheilen , indem die feinen Ge-
fasse des Ghorium bersten. Wenn man den Finger einbringt, so begegnet man einer um-
schriebenen Geschwulst, die einem Ei ähnlich ist. fPinoff.J
Die japanischen Aerzte kannten bis vor einiger Zeit die innere Unter-
suchung nicht und hielten sich demnach hinsichtlich der Diagnose des Geburts-
eintritts an ähnliche Erscheinungen wie die alten Inder. Erst Kangawa scheint
innerlich explorirt zu haben. Dies geht aus den Mittheilungen hervor, welche
V. Siebold durch seinen Schüler Mimaeuma in Nagasaki erhielt. Dahingegen
sagt Hureau de ViUeneuve^ dass bei der gelben Rasse (unter welcher er die
Chinesen, Japaner und Mongolen versteht) die Geburtshelferinnen durch innere
Untersuchung recht wohl die Erscheinungen der eintretenden Geburt erkennen;
Hureau meint aber wohl vorzugsweise die Hebammen der Chinesen; sie unter-
suchen wie wir die Verdünnung, Verkürzung und Weichheit des Gebärmutter-
halses, aber sie nehmen auch die phantastischen Zeichen des Pulses zu Hülfe.
Ueber diese Zeichen aus dem Pulse erfahren wir Näheres durch v. Martius:
.Bei dem Eintreten der Geburt glaubt nämlich als Zeichen dieses Eintrittes der chine-
sische Arzt ein starkes Klopfen an der Wurzel des Fingers wahrzunehmen, und die Frage,
warum man eben aus dem Pulse des Mittelfingers sehen kann, dass der Zeitpunkt der Geburt
gekommen sei, beantwortet er ganz einfach durch die Worte: «Weil der dritte und mittelste
Theil der rechten Hand der Frau mit dem dritten und mittelsten Theile des Körpers, nämlich
der Geburtstheile, in genauestem Einklänge harmonirt*
Aber auch die deutschen Aerzte des 16. Jahrhunderts nennen als Zeichen
des Geburtseintritts ausser dem Schmerz nur die Empfindung von Aufblähen und
Feuchtigkeit in der Gebärmutter (Rösslin); sie hatten eben&Us also keine innere
Untersuchung.
Das sogenannte „Zeichnen^S d. h. das diagnostische Merkmal des Abfliessens
von ein wenig Blut in Folge der Einrisse in den Muttermund, wird, wie wir
sahen, nur erst von Soranus erwähnt und von anderen Schriftsteilem des Alter-
thums mit Stillschweigen übergangen. Die Rabbiner des Talmud sprechen von
Geburtsfällen, die ohne Blutverlust verliefen, und nannten solche Entbindungen
.trockene Geburten".
n
256. Die active Betheillgimg des Kindes und der Beckenknochen
bei der Gebart
Bei sehr vielen Völkerschaften finden wir die Anschauung, dass zum Eintritt
der Geburt die Bewegungen des Kindes mitwirken müssen. Schon Hippökrates
und Aristoteles sprachen diese Ansicht aus, indem sie meinten, die Bewegungen
des Kindes zerrissen die Eihäute, so dass das Wasser abfliesst. Man dachte sich
also den Vorgang ähnlich, wie sich das Hühnchen aus dem Ei be&eit. Daran
aber glaubten nicht nur die Aerzte der alten Griechen, sondern auch die Tal-
mudisten, und ebenso die Aerzte bei den alten Indern, denn Susruta sagt in
dem Ayurveda: Beim Eintritt der Geburt „erweitert sich die Frucht". Nicht
minder huldigten die altrömischen Aerzte dieser Theorie; so äusserte sich unter
Anderem Aetius (nach Fhilumenos)^ dass die Schwäche des Fötus diesen selbst
hindere, die nöthigen Bewegungen auszuführen, und somit zu einer Gteburts-
70 ^L* ^io Erscheinungen der gesundheitsgem&saen Geburt.
Störung Veranlassung gebe: „com saltibus et motibus suis matrem adjuvare non
potest foetus."
Eine ganz ähnliche Anschauungsweise entdecken wir bei den chinesischen
Aerzten, welche die Mithülfe des Kindes als einen Theil der die Geburt be-
wirkenden Kräfte betrachten. In der von v, Martins übersetzten chinesischen
Abhandlung heisst es:
.Mich dankt irgendwo gehOrt zu haben, dass sogar die Alten behauptet h&tten, die
Frucht sei nicht im Stande, aus eigenen Kräften und durch sich selbst zur Welt zu kommen.'
„Die Mutter muss das Herauskommen ganz allein dem Kinde überlassen.*
Wir begegnen analogen Auffassungen in Ni^derländisch-Indien,
in Aegypten und in Persien, und wir werden an anderer Stelle auf die-
selben zurückkommen.
Ein ebenso allgemein verbreiteter Glaube ist der, dass die harten und
knöchernen Theile bei der Geburt gleichsam von selbst aufgeschlossen
werden. So sagt der oft citirte Chinese:
,Wenn die 6eb&rerin fühlt, dass das Kind sich bewegt, und sobald die Knochen der-
selben von einander gehen, dann muss sie sich schleunigst auf ihr Lager begeben."
Der auch unter den Aerzten in Europa ron alter Zeit her verbreiteten
Meinung, dass die Becken- Symphyse aus einander weiche, d. h. die Lehre „von
der Eröffnung der Geburtsschlösser'S trat erst in der Mitte des vorigen Jahr-
hunderts in ihrer „königlich preussischen und churbrandenburgiscnen Hof-
Wehemutter^^ die berühmte Hebamme Justine Siegemundin kräftig entgegen.
257. Die normale Kindeslage.
Es ist bereits in einem früheren Abschnitte von der Lage der Frucht im
Mutterleibe die Rede gewesen, welche, wie wir gesehen haben, gewissen Ver-
änderungen unterworfen war. An dieser Stelle interessirt uns nur die definitive
Lage, welche das Kind bei der Geburt in der Gebärmutter einnimmt. Die Aerzte
haben dafür die folgenden Bezeichnungen, welche dem zuerst hervortretenden
Körpertheile ihren Namen verdanken.
C 1. Schadellage.
\ a. Kopflagen < 2. Gesichtslage.
1. Längslagen > 13. Stimlage.
jb. Beckenendelagen.
2. Schieflagen oder 'Querlagen.
Dass unter den Kindeslagen die Kopflage nicht nur die häufigste ist,
sondern dass sie auch den Austritt des Kindes verhältnissmässig am leichtesten
gestattet, wird von allen Nationen anerkannt. Da man aber bei den verschiedensten
Völkern und dort, wo die Geburtshülfe auf niederer Stufe steht, auch jetzt wohl
noch die Geburt in der Kopflage des Kindes für die einzig regelmässige hielt, so
gerieth man zu einer Reihe von eigenthümlichen Ansichten, die zu sehr vielen
falschen geburtshülf liehen Handlungen Veranlassung gaben. Man glaubte, dass
in Fällen von unrichtiger Lage stets die Kunst helfend einschreiten müsse, denn
alle übrigen Lagen des Kindes, besonders auch die Beckenendelagen, wurden ja
nun für falsche Lagen erklärt, welche die Geburt erschweren müssten. Es ist gar
nicht leicht gewesen, sich nach und nach von diesen Anschauungen zu befreien.
Auf diese Anschauungen haben wir auch die früher besprochenen Knetungen des
Unterleibes während der Schwangerschaft zurückzuführen.
Zu der Zeit des Hippokrates wurde nur die Kopflage ftlr die normale ge-
halten, die Fuss- und Seitenlage hielt man aber für diejenigen Lagen, bei denen
die Geburt für Mutter und Kind eine schwierige ist. Deshalb behandelte man
alle Geburten, bei welchen das Kind nicht mit dem Kopfe vorlag, unter Anwen-
dung von unsinnigen Mitteln mit der Absicht, jeden ausser dem Kopfe voran-
257. Die normale Eindeslage. 71
tretenden Kindestheil znm Zurücktreten zu bringen. Denn man wollte keine Ge-
burt mit den Beinen oder dem Steisse voran dulden; man suchte yielmehr in
diesem Falle immer eine Wendung des Sandes auf den Kopf herbeizuführen.
GelstiS, der um Christi Geburt in Rom lebte und von dem wir nicht ein-
mal wissen, ob er ausübender Arzt war, hatte sich entweder auf Grund eigener
Beobachtung oder yielleicht nur im Anschluss an die Ansichten der vor ihm zu
Rom lebenden ärztlichen Schriftsteller ÄsMepiades und Themison von jener Lehre
des Hippökrates losgesagt, denn er schrieb, dass auch Fussgeburten ohne Schwierig-
keiten Tor sich gehen. Der etwa um das Jahr 70 n. Chr. lebende Flinius schliesst
sich wiederum der Ansicht des Hippohraies an.
Der Geburtshelfer Soranus aus Ephesus aber, welcher etwa im Jahre 100
n. Chr. zu Rom wirkte, fand die Fussgeburt nicht so schwierig, wie die anderen
als unregelmässig anzunehmenden Kindeislagen; er sagt, dass bei einer normalen
Geburt, d. i. wenn der Kopf oder die Füsse Torliegen, ein geburtshülfliches Ein-
schreiten nicht nöthig sei. Und dem Soranus schliesst sich der weit später lebende
Moschion an. Galenus aber kehrte wieder zu der hippokratischen Ansicht
zurück.
Die talmudischen Aerzte sagten, dass diejenige Kopflage die normale
sei, bei welcher der grösste Theil des Kopfes sich zuerst zur Geburt einstellt.
Für diesen grössten Theil des Kopfes erklärten einige (Nidda) die Stirn, Andere
(Rabbi Jose) die Schläfe, noch Andere (Raschid) die Homer des Kopfes, d. i. die
Tubera desselben. Israels meint, dass die letztere Ansicht wohl als die richtigere
betrachtet werden müsse, da man unter den „Hörnern des Kopfes^^ wohl das
Hinterhaupt yerstehen müsse, welches bekanntlich bei regelmässigen Schädelgeburten
zuerst erblickt wird. Israels schliesst auch aus diesen von den talmudischen
Aerzten g^ebenen Bemerkungen, dass zu jener Zeit bisweilen Männer bei der
regelmässigen Geburt assistirt haben müssten.
Die altarabischen Aerzte Shaaes^ Äli^ Ävicenna^ Abtdkasem u. s. w. be-
zeichneten auch die Kopflage als die einzig normale; die deutschen Aerzte des
16. Jahrhunderts, Rösslinj Rueff u. s. w., desgleichen.
In der chinesischen Abhandlung heisst es:
, Sobald aich das Kind mit dem Kopfe nach unten gewendet hat, und der Moment seiner
Gebart gekommen ist, so wird dasselbe auch gani bestimmt auf die natürliche Weise zum
Vorschein kommen.*
Die chinesischen Aerzte halten denmach die nach der freiwilligen Wendung
eingetretene Kopflage des Kindes für die regelmässige; dieselbe wird nach ihrer
Ansicht gestört oder eine unordentliche, wenn die Mutter zu der Zeit, in welcher
sich das Kind umwendet, ihre Kräfte gewaltsam anstrengt, ebenso, wenn das Kind
durch Betasten und Drücken des Leibes der Gebärenden geängstigt wird.
Auch die Aerzte und Hebanmien in Japan halten die Kopflage des Kindes
für die regelmässige, denn um diese herbeizuführen, wird von Urnen eine mecha-
nische Vorbereitung während der Schwangerschaft angeordnet, nämlich das Am-
poekoe (Ambuk), d. i. ein „Reiben imd vorsichtiges leises Drücken oder besser
Betasten des Unterleibes, wie wenn man knetet, nach den sicheren Regeln, welche
der berühmte Geburtshelfer Kangawa-Gen-Ets aufgestellt hat*\
Nach den Lehrsätzen dieses schon oft genannten Mannes, welcher in Japan
ein grosses Ansehen hatte, gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Geburts-
helfers, bei der Annäherung des regelmässigen Geburtstermins genau zu erforschen,
ob die Frucht gerade, d. h. mit dem Kopfe nach unten, oder umgekehrt, d. h.
mit den Füssen, nicht mit dem Steiss, nach unten liegt. Die Kindeslage scheint
man in Japan als die normale zu betrachten. Zu dieser Erkenntniss giebt JSTan-
gawa Folgendes an:
.Fühlt man auf dem Leibe eine begrenzte Anschwellung, welche oben breit ist und
unten spitz zuläuft, so bedeutet dieses eine gerade Schwangerschaft; man fOhlt dann den
72 ^L* ^io Eracheinungen der gesundheitsgem&ssen Gebart.
Kopf innerhalb des Qnerbeins. Ist die Anschwellung aber im Gegentheil oben schmal and
unten breit, so ist die Schwangerschaft umgekehrt; dabei ist der Zwischenraum zwischen
der Frucht und dem Querbeine so locker, dass man zwei Finger dazwischen schieben kann.*
Diese und die folgenden Angaben 9ind offenbar höchst ungenau und keines-
wegs den natürlichen Verhältnissen entsprechend, doch finden sie sich ganz ebenso
in dem japanischen Originale.
«Fühlt man dagegen,' sagt Kangawa, «den Kopf in einem der beiden Schenkel (der
Schenkel wird von der Crista ilei an gerechnet), so liegt die Frucht so schr&ge, dass ohne
künstliche Einrichtung auf jeden B'all eine Querlage eintreten würde. "^
Dann eifert Kangawa gegen die irrthümliche Ansicht, dass die Frucht im Mutterleibe
sich umdrehe. Denn wollte man diese Ansicht festhalten, so würde man zum grOssten Nach-
theü für die Gebftrende und für das Kind sich der Hoffhang hingeben, dass die Querlage oder
die umgekehrte Lage sich vor Ablauf der Schwangerschaft von selbst einrichtet. In Folge
dieses Irrthums würde die Hebamme oder der Geburtshelfer ein rechtzeitiges Handeln unter-
lassen; die nOthigen Kunstgriffe würden dann zu früh oder zu sp&t angewendet werden. Er
fährt dann fort: «Tritt bei einer umgekehrten Geburt zuerst ein Bein ein, so ist Hülfe mög-
lich. Hat dagegen die Frucht in Folge von Einschnürung durch Leibbinden eine ganz schiefe
Stellung eingenommen, und kommt in Folge dessen zuerst eine Hand zum Vorschein, so muss
der Arzt durch schnelles Kneten die Theile in ihre richtige Lage zurückbringen, sonst muss
das Kind unbedingt sterben und nach ihm die Mutter ebenfalls; w&re also die Reposition
durch Kneten nicht gelungen, so bliebe nichts übrig, als die ganze traurige Ausschneidung
des Kindes.* Schliesslich versichert Kangawa: «Männliche und weibliche Früchte haben im
Mutterleibe ganz gleiche Lage mit dem Gesicht nach hinten, mag im übrigen die Lage eine
gerade oder umgekehrte sein.*
Da die mexikanischen Hebammen ebenfalls den Unterleib der Schwangeren
(vom 7. Monat an) kneten, „um im Falle einer Schieflage das Kind in eine ge-
hörige Lage zu bringen", so scheinen auch sie ähnliche Ansichten von der nor-
malen Kiudeslage zu haben.
Bei den Bewohnern Unyoros (Central-Afrika) gilt es für günstig, wenn
das Kind mit dem Kopfe austritt ; Austritt der Füsse kündet Unheil för die ganze
Familie an. (Emin Bey.)
Von den Viti-Inseln berichtet Blyth: Es kommen fast immer Kopflagen
vor. Eine Hebamme versicherte ihm, dass niemals eine andere Kindeslage von
ihr beobachtet worden sei, und nach ihrem Alter musste sie eine reiche Erfahrung
besitzen; aber sie hatte auch von Fusslagen erzählen hören.
Die bessere Einsicht in diese Verhältnisse entwickelte sich in Europa erst
durch die rechte Benutzung der klinischen Beobachtung und der numerischen
Methode. Erst vor 100 Jahren gelangte man durch Bo'er^ Merriman^ Batide-
locgue, sowie durch die genau registrirenden Uebersichten zahlreicher Geburten von
ClarJce und CoUins (Dublin) zu einem grundlegenden Material, auf dem dann
klinisch und statistisch weiter geforscht wurde.
Die Statistik ergab, dass die Frequenz dieser Lagen nach den Ergebnissen der deut-
schen Gebftranstalten folgende ist; es kommen auf 100 Geburten circa 95 Schädellagen und
3 Beckenendelagen, etwas über 1/2 (1 : 180) Querlagen und uugeföhr 0,6 (nach WinckeVs Zu-
sammenstellung 1 : 158) Gesichtslagen. Legt man aber der Berechnung grossere Zahlen aus
allen Bevölkerungskreisen in Deutschland zu Grunde, so ergaben sich (nach Spiegdberg):
97,8% Schädellagen, OyS% Gesichtslagen, l,590/o Beckenendelagen, 0,78O/o Querlagen. Nach
Joulin ist in Europa das Verhältniss folgendes: 970/o Schädel-, 0,50/o Gesichts-, 2,90/o Becken-
endelagen, 0,40/0 Querlagen.
XLI. Die Helfer bei der Geburtsarbeit
258. Die Entstehung der Oebartshfllfe.
Es ist noch keine lange Zeit, dass man zam ersten Male die Frage auf-
geworfen hat, wie sich denn die heutige GeburtshQlfe der civilisirten Völker aus
den Uranfangen heraus entwickelt hat, und was die angestrengte Forschung bisher
auf diesem Gebiete zusammenzubringen vermochte, ist noch sehr weit davon ent-
fernt, uns bereits ein vollständiges und in sich' abgeschlossenes Bild darbieten zu
können. Jedoch ist es immerhm schon etwas, und bei weiterer Aufmerksamkeit
auf diesen Gegenstand wird es auch hier wohl gelingen, unsere Kenntnisse all-
mählich immer mehr und mehr zu vervollständigen. Sind doch gerade die Unter-
suchungen über die Sitten und Gebräuche, sowie über die Handgriffe und Hülfe-
leistungen bei der Geburt von einem ganz hervorragenden culturgeschichtlichen
Interesse. Allerdings sind auf dem uns hier interessirenden Gebiete nrgeschichtliche
Funde fast gar nicht gemacht worden, und die zu Gebote stehenden alten Urkunden
sind höchst spärlich und nur weniges daraus ist für uns zu verwerthen. Es würde
aber auch nicht die richtige Methode sein, wenn wir die geburtshülfliche Ge-
schichtsforschung erst mit der Benutzung der frühesten schrifklichen Denkmale
beginnen lassen wollten, obgleich den letzteren natürlicher Weise auch ihre be-
deutungsvolle Stelle eingeräumt werden muss: unsere Forschung muss vielmehr
ihre Augen auf eine Yergleichung der geburtshülflichen Sitten und Gebräuche
der noch jetzt auf dem Erdball ld[>enden Völker richten. Denn wir dürfen wohl
annehmen, dass schon, bevor jene ältesten Schriften entstanden sind, die Geburts-
hülfe eine Reihe von Entwickelungsphasen erlebte, über die uns allerdings
eine unumstössliche Auskunft mangelt, dass aber mancherlei als ein Ueberlebsel
aus den alleraltesten, Zeiten, als ein Rest aus früheren Tagen sich in den Sitten
und Gebräuchen hier mid da erhalten hat. Ganz besonders werthvoll muss uns
auch hier wiederum die Beobachtung der jetzigen Naturvölker sein, wenn wir
auch nicht vergessen dürfen, dass sie uns nicht in allen ihren Gebräuchen ein
treues Spiegelbild des Urzustandes der Menschheit geben.
Schon längst vor dem Aufblühen der Geburt^ülfe als Kunst und Wissen-
scbaft wurden bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett Sitten und Gebräuche
gehandhabt, welche allerdings wohl noch jetzt bei manchen auf der Erde lebenden
Völkerschaften heimisch sind ; wie sich aber diese Sitten aus den allerersten An-
fängen geburtshülflichen Thuns entwickelten, bleibt doch noch zu ergründen.
„Den Menschen irgendwo noch jetzt im Naturzustande anzutreffen, ist keine
Hofbung.'' Wir können, wie gesagt, diesem von Waite ausgesprochenen Satze
nur völlig beistimmen. Allein er setzt auch hinzu : , Was der Mensch von Natur
ist, wird sich aus der empirischen Beobachtung der sogenannten wilden Völker
•^■
74 ^I* I>ie Helfer bei der Geburtsarbeit
ergeben, deren Leben zwar nicht den eigentlichen Naturzustand selbst darstellt,
aber doch diesem mehr oder weniger nahe kommt/ Die Völker diffe-
renzirten sich, kaum aus dem Urzustände erhoben, je nach der eingeschlagenen
Richtung ihrer Lebensweise, in recht erheblicher Weise in Sitten und Gebräuchen.
So sonderten sich auch schon die rohesten Stamme in ihrem geburtshülflichen
Handeln; und zweifellos musste schon bei der Mehrzahl der jetzt lebenden Ur-
Yölker die fortschreitende Befähigung zu immer höheren Graden geburtshülf lieber
Erkenntniss führen. Dies geschah aber nicht gleichmässig; auch ist an keinem
Brauche specifisch erkennbar, ob er sich aus uralter Zeit erhielt, oder ob er erst im
Laufe der Zeiten erworben wurde. Dabei werden schliesslich indiriduelle Gharakter-
eigenthümlichkeiten, noch mehr aber die Berührung mit höher cultivirten
Nationen, die gesammte Geburtshülfe eines jeden sogenannten üryolkes nicht
unwesentlich zu modificiren vermögen.
Allerdings muss wohl schon sehr früh eine Hülfe beim Gebären aufgetreten
sein, da die Hülfsbedürftigkeit der Kreissenden bei ihren, wenn auch nicht inmier
lauten Schmerzensäusserungen das Mitgefühl bei selbst recht rohen Völkern wach-
ruft. Anderentheils mögen auch diese Völker, wie Prochawnick richtig bemerkt,
durch die Länge der Zeit aus sich selbst heraus zu einer Reihe .von Schlüssen
und Beobachtungen gelangt sein, welche einen Vergleich der die primitive ge-
burtshülfliche Technik ausübenden jetzigen Naturvölker mit den Uranfängen des
Menschengeschlechts kaum noch gestatten.
.Von der Geburtshülfe, die in einem rohen, rein mechanischen Thun besteht, bis zum
Nachdenken über den Vorgang, bis znm erfahningsgemaasen Helfen bei reg^ären oder gar
irregulären Geburten, kurz bis zur Geburtshülfe und gar endlich bis zur berufsmässigen Aus-
übung einer solchen von eigens damit betrauten Personen, das sind so grosse Culturfortschritte,
dass sie dreist mit dem Riesensprunge vom rohesten Steinmenschen bis zum Eisenarbeiter,
vom Höhlenbewohner bis zum Ackerbauer in Vergleich gezogen werden dürfen.*
Die Beobachtung des natürlichen Geburtsvorganges und die hiermit ge-
sammelte Erfahrung bestimmen die Summe des Wissens und Könnens, welche
sich die Bevölkerung auf dem Gebiete der Geburtshülfe dadurch erwirbt, dass
theils beim Thiere, theils am menschlichen Weibe ein kleiner Kreis rein äusser-
licher Erscheinungen zunächst nur ziemlich oberflächlich wahrgenommen wird.
Mit diesen Wahrnehmungen ausgerüstet, macht bei Naturvölkern das junge Weib
sich selbst zum eigenen Nutzen für ihr Thun und Lassen in der Stunde der Noth
ein sehr einfaches Schema für ihr Verhalten zurecht; und dieses Verhalten wird
später noch durch den Bath erfahrener Frauen zu regeln gesucht.
259. Die Lebensweise der Volker beeinflasst die Entwickelang der
Gebartshfllfe.
Die Lebensweise der Völker bildet die erste Bedingung zur Erreichung einer
gewissen Culturstufe auch in geburtshülflicher Hinsicht. Gewiss ist es sehr
wesentlich in dieser Beziehung, ob ein Volk von der Jagd oder von der
Fischerei lebt, ob es nomadisirt oder feste Plätze bewohnt, ob es endlich Acker-
bau oder Industrie und Handel treibt. Ein Volk, das in einem an Vegetabilien
armen Lande wohnt, wird zum Jägerleben hingeführt: ein solches Leben zieht
eine Zersplitterung der Bevölkerung in kleine Haufen nach sich, und die Ver-
anlassung zum Ersinnen und Beschaffen besserer Werkzeuge als einfacher Jagd-
geräthe ist nicht vorhanden: der Tauschhandel mit den Nachbarstämmen bringt
solche Jagdvölker in nur kurze, flüchtige Berührung mit einer anders ge-
arteten Cultur. Eine Anzahl wilder Völker Nord- und Süd-Amerikas, die
Schwarzen im Inneren Australiens und einige Völker Afrikas gehören hierher;
sie stehen auf der niedrigsten Stufe auch in geburtshülflicher Hinsicht. Ihr
259. Die Lebensweise der Völker beeinflusst die Entwickelong der Geburtehülfe. 75
Wissen über den Mechanismus der Gebart und über die zu leistende Hülfe ist ein
ganz unbedeutendes.
Das Fiscberleben befähigt im Allgemeinen die Völker zu einer etwas höheren
Culturstufe, als das reine Jägerleben. Die Geräthe der vorzugsweise Fischerei
treibenden Stamme müssen etwas kunstvoller sein, und auch ihre nautischen
Hül&mittel wecken bei ihnen die Kunstfertigkeit ; sie sind mehr auf die Beobach-
tungen der Naturerscheinungen hingewiesen; ihre Schiffe und Kähne bringen sie
leichter in Verkehr mit Fremden, und so erweitert sich ihr geistiger Gesichtskreis,
üeberhaupt hat man die Beobachtung gemacht, dass bei wilden Fischervölkem
und Wurzelgräbern die Frauen besser gestellt sind, als bei Jägerhorden. Und es
unterliegt wohl kaum einem Zweifel, dass dort, wo das Leben der Frau einen
grösseren Werth hat und ihre sociale Stellung eine günstigere ist, im Allgemeinen
auch eine grössere Sorge für ihre hygienische Pflege entfaltet wird.
Die nomadisirenden Völkerschaften, die mit ihrer beweglichen Habe in
grösseren oder kleineren Trupps meist auf Viehzucht angewiesen sind, stehen in
geburtshülflicher Hinsicht noch gewöhnlich auf einer sehr niedrigen Stufe; sie
bürden den Frauen, die bei ihnen meist in sehr geringer Achtung stehen, schwere
Arbeit auf und verfahren auch beim Geburtsact auf recht rohe Weise mit ihnen.
Das ist eigentlich zu verwundem; denn die Beobachtungen, welche sie an ihren
Hausthieren zu machen die Gelegenheit haben, und die Erfahrungen, welche die bei
den Geburten Hülfe leistenden Frauen einzusammeln im Stande sind, sollte ihnen
eigentlich einen wohl etwas tieferen Einblick in den Mechanismus der Geburt
eröffnet haben. Bisweilen tritt uns allerdings auch eine etwas höhere Erkenntniss
entgegen.
Ackerbautreibende Völker hingegen mit festen Wohnsitzen und einer ruhigen
beschaulichen Lebensweise schätzen die Frau und ihr Leben in der Regel etwas
mehr ; sie gönnen ihr Ruhe und Erholung von der Arbeit und gehen etwas sorg-
faltiger beim Geburtsvorgange zu Werke. Sie beobachten den Geburts-Mecha-
nismus genauer; insbesondere aber suchen sie der Gebärenden und dem Neu-
geborenen so viel als möglich Schutz und Hülfe angedeihen zu lassen. Auf der
untersten Stufe stehen hier jedenfalls die Völker, welche Halbnomaden sind; dann
folgen diejenigen, welche bereits zur Cultivirung des Bodens hingeführt wurden.
So könnten wir die Stufenleiter fortführen.
Höher stehen auf der geburtshülf liehen Scala im Durchschnitt solche Nationen,
die sich mit Handel und Industrie beschäftigen : ihre geistigen Fähigkeiten sind mehr
feweckt, ihre Gesittung ist grösser. Desl^lb ist auch bei ihnen die Stellung der
ranen eine bessere; und mit der erhöhten allgemeinen Gultur geht ihre Einsicht in
den Geburtsvorgang sowie ihre Geschicklichkeit in der geburtshülfUchen Assistenz
Hand in Hand. Die alten Inder, deren Priesterkaste, die Brahmanen, die ärztliche
und geburtshülf liehe Praxis ausübten, gehören hierhin, wie auch die Chinesen und
die Japaner.
Weiterhin kommt aber eine HüKe zu Stande, deren Verfahren sich auf einen
etwas grösseren Kreis von Erfahrung stützt. Von da an kann man je nach der
Entwicklung des Wissens über den Geburtsvorgang und der zweckmässig ange-
wandten Kunsthülfe mehrere Epochen unterscheiden. So wird man vielleicht auch
einst in der Lage sein, die Völker nach verschiedenen Graden ihrer geburtshülf liehen
Bildung ordnen zu können. Aus der UnvoUkommenheit ihrer geburtshülflichen
Handlungen und Leistungen können wir auf den Grad ihrer ungenügenden Er-
kenntniss und Würdigung der einzelnen Geburtserscheinungen schliessen. Des-
halb sind auch die geburtehülf liehen Handlungen und Leistungen, also die uns
beschäftigenden Sitten und Gebräuche bei der Geburt, ein Maassstab für den Grad
der geburtshülflichen Kenntniss und Einsicht eines Volkes überhaupt.
76 XLI. Die Helfer bei der Gebortsarbeit.
260. Die UebelstSnde der prlmitiTen Gebortslifllfe.
Es ist gewiss ein verdienstliches unternehmen, möglichst genau and nachdrück-
lich darauf hinzuweisen, wie traurige, bemitleidenswerthe Yerh^tnisse in geburtshfilf-
licher Beziehung nicht bloss bei uncivilisirten, sondern noch immer auch bei solchen
Völkern herrschen, die schon einen gewissen Grad von Cultur erworben haben.
Und darum ist folgende ethnologische Studie eine ideale Aufgabe, indem sie durch
eine realistische Darstellung der geburtshülf liehen Assistenz bei den yerschiedenen
Völkern ein so wahres und treues Bild entwerfen soll, dass Herz und Verstand
des intelligenten und humanen Lesers f&r das Wohl und Wehe des weiblichen Ge-
schlechts erwärmt und interessirt werden mögen. In den Stunden, in welchen das
Weib ihrem Kinde das Leben schenkt, tritt häufig die Hülfeleistung in so unroll-
kommener, oft in so sinnloser Weise an ihre Seite, dass ihr die Qualen nicht
nur nicht gelindert, sondern im Gegentheil sogar nicht unerheblich gesteigert
werden.
Es ist auch nöthig mitzutheilen, wie sich erst recht wenige Völker im Verlaufe
der geschichtlichen Entwickelung bessere Zustände auf dem Gebiete der Geburts-
hülfe dadurch schufen, dass das der Gebärenden beistehende Personal eine ihren
Aufgaben entsprechende Ausbildung erhielt.
Wenn wir nun die Frage aufwerfen, wie kann so ungemein grosses Leiden,
welches durch widersinnige Assistenz den Kreissenden bereitet wird, möglichst ver-
hütet werden? so ist dieselbe nicht leicht zu beantworten. Denn alle Neuerungen,
die man hier einzuführen sich bemüht, werden oft nicht im Stande sein, die alt-
hergebrachten Gewohnheiten des Volkes aus dem Felde zu schlagen.
Der Gedanke taucht nicht zum ersten Male auf, der Mission auch Aerzte
beizugeben, und hier und da ist er schon verwirklicht worden. Wohl aber ist
es auch ernstlich zu überlegen, ob nicht die Gattinnen der Missionare, bevor sie
in die uncivilisirten Länder hinausziehen, eine, allerdings nicht zu oberflächliche,
geburtshülfliche Ausbildung erwerben sollten. Nichts würde wohl den Lehren
der Glaubensboten die Herzen der Naturvölker schneller entgegenführen, als solche
Hülfe in der Stunde der Notb.
Aber auch in den civilisirten Ländern ist noch sehr vieles der Verbesse-
rung würdig. Die private Wohlthätigkeit für solche Zwecke hat bisher verhältniss-
mässig wenig geleistet, und doch sind die Stunden der Noth, in welcher sich das ge-
bärende Weib befindet, gewiss nicht geringer anzuschlagen, als diejenigen der
Kranken, welchen durch Zuführung von freiwilligen Gaben an Hospitäler fast
allein Unterstützung zugewiesen wird. Ein seltenes, hervorragendes Beispiel
opferfreudiger Wohlthätigkeit ist das von einer Dame in Leipzig (Frau Trier)
gegründete Gebärhaus, in welchem Hebammen und junge Aerzte klinisch ausge-
bildet werden.
Im November 1884 wurde in Bombay der Grundst.ein zu einer für Heb-
ammenlehrzwecke bestimmten Entbindungsanstalt gelegt. Dieselbe ward mit einem
Aufwände von 30000 Pfund Sterling durch die humane Freigebigkeit des Parsen
Pestonjee Hcfrmusje Cama erbaut, welcher längere Zeit in London gelebt hatte.
Mögen andere Wohlthäter nachfolgen! In Indien wurde im Jahre 1870 eine
Hebammenschule errichtet. Im Hospital des ärztlichen Gollegiums zu Calcutta
besteht eine Klasse von zwölf, im Mitford-Hospital eine solche von drei zu
Hebammen sich ausbildenden Frauen. Ausserdem, dass die Regierung die weib-
lichen Zöglinge bezahlt, ist sie auch auf den neuen Gedanken verfallen, weib-
liche Patienten durch ein tägliches Stipendium zum Besuch der Hospitäler auf-
zumuntern.
261. Der Ehemann als Geburtslielfer. 77
261. Der Ehemann als Geburtshelfer.
Einen wichidgen Maassstab ftir den Qrad der culturellen Entwickelung, auf
welchem sich eine Völkerschaft befindet, bieten diejenigen Individaen dar, deren
Händen die geburtshülfliche Unterstützung der Gebärenden anvertraut ist. Einst
sagte der gelehrte PlQtner: „Der erste Geburtshelfer war Adam^ denn er musste
der Eva bei der Geburt assistiren. ^ So absonderlich dieser oft citirte Satz auch
klingen m^, so liegt doch auch ein Stückchen Wahrheit in ihm. Es zeigt sich
nämlich, wie wir sehen werden, dass bei manchen Yolkerschaflen, unter denen die
Familien zerstreut und in grossen Entfernungen von einander getrennt leben, der
Mann die geburtshüKlichen Geschäfte besorgt. Wir müssen uns das Leben der
Menschen in den ältesten Zeiten der FamilienbUdung ungefähr so beschaffen denken,
wie wir es jetzt bei den rohesten Völkern vorfinden.
Allein im allerrohesten Zustande assistirt auch nicht einmal der Mann seiner
Ehegattin. Vielmehr bleibt sie allein und hilft sich selbst, so gut sie dieses eben
vermag. Tausende und Abertausende von Kindern werden auf solche Weise zur
Welt gebracht von Weibern, die nicht etwa unversehens von der Geburt über-
rascht werden, sondern welche nimmermehr glauben, dass es überhaupt nöthig sei,
anders als allein niederzukommen. Der Ehemann und alle Angehörigen freuen
sich bei diesen Völkerstämmen allerdings meistens über die Ankunft eines Kindes,
zumal wenn es ein Knabe ist; allein in Bezug auf die gebärende Frau verhalten
sie sich oft gänzlich gleichgültig, solange die Entbindung eine normale ist. Sie
betrachten das Geschäft des Gebarens als ein unbedeutendes und sie sorgen sogar
dafür, dass sich die Frau während desselben von ihnen abgesondert halten muss.
Wir müssen es daher bereits als einen nicht unwichtigen culturellen Fort^
schritt betrachten, wenn der Ehemann die kreissende Gattin in der Stunde der Noth
nicht verlässt, sondern ihr so gut oder so schlecht er es eben versteht, helfend
und sie unterstützend zur Seite bleibt. So berichtet schon im Jahre 1640 Jean
de Laet über die brasilianischen Wilden:
,Le8 femmes da Brasil accouchent ^tendues an terra et la p^re ou un ami läve
renfant de la terra;'
und von denselben Indianern schreibt Lery:
«Ich sah also dergestalt selbst, dass der Vater, nachdem er sein Kind in seine Arme
genommen, ihm erstlich die Nabalschnnr band und sie dann mit seinen Z&hnen abbiss. Zum
Anderen, so drfickte er mit dem Daumen, da er stets Habammandienste vertrat, seinem Sohne
die Nase ein, welches bei allen Kindern geschieht. Nach diesem mahlete er es mit rother
und schwarzer Farbe und legte es, ohne es einzuwindeln, in ein kleines baumwollenes Bett.'
Von den Karay a-Indianern am Rio Äraguya in Brasilien sagt
Ehrenreich:
,Daa Weib kniet dabei auf den Hacken, mit den Händen einen Pfosten umfassend,
während der Mann sie von hinten mit starkem Druck um den Leib packt.'
Bei den nordamerikanischen Indianerstämmen ist ebenfalls bisweilen
nur der Ehemann um seine Frau beschäftigt; beispielsweise führte, wie Schoolcraft
erzählt, ein Ghippeway an seiner Frau den Kaiserschnitt aus.
Nach Bosenberg hilft in Mangonus auf Neu-Seeland der Ehegatte der
gebärenden Frau, nur im NothfaU vertritt ihn irgend ein Weib aus dem Stanmie.
unter den Marquesas-Insulanern auf Nukahiva besorgt der Mann das Durch-
schneiden des Nabelstranges mittelst eines scharfen Steines, (v. Langsdorff.) Auch
die Weiber der Gorngay und Tungu auf den zu der Aaru-Gruppe gehörigen
Inseln Kola und Kobroor wurden bei der Niederkunft von ihren Ehegatten
unterstützt. Ebenso kommt es bei den Lappländern vor, dass der Mann die
Hebammendienste verrichtet; denn Lermius^ welcher Priester bei ihnen war, be-
richtet: „Munere obstetricis ipse maritus haud raro defungitur.^
78 ^I* 1^10 Helfer bei der Geburtsarbeii.
Von den Frauen auf den Antillen in Mittel-Amerika berichtet lAgofiy.
dass, wenn die Frau das Nahen ihrer Niederknnft f&hlt und sich auf ihr Bett legt^
der Mann sein Bett in einen anderen Baum trägt und einen Nachbar herbeiruft,
der seiner Frau ein wenig helfen soll (nach TJ^vser).
Als eine Hülfe bei der Geburt von Seiten des Ehegatten, wenn auch in sehr
geringer Weise, kann man es betrachten, wenn dieser der Frau eine besondere
Gfebärhütte errichtet oder ihr am Dachbalken über ihrer Lagerstatte ein Tau be-
festigt, das sie während der Entbindung erfassen kann, um besser die Pressbe-
wegungen des Unterleibes ausüben zu können.
262. PrimltiTe Hebammen.
Die Niederkunft ist aber bei vielen Yölkem so recht eine ausschliessliche,
vor profanen Männerblicken zu verbergende Angelegenheit des weiblichen Ge-
schlechts, dass es uns nicht Wunder nehmen kann, dass wir, wenn überhaupt
der Kreissenden Hülfe geleistet wird, diese gewöhnlich von weiblicher Hand dar-
geboten sehen. Meist sind es eine oder einige Freundinnen, welche der Ge-
bärenden zur Seite stehen, und als allgemein menschlich müssen wir es betrachten,,
dass diese in der Regel in etwas reiferem Alter sein müssen, unstreitig deshalb,,
weil man ihnen so eine grössere Lebenserfahrung zutrauen kann. Hierf&r haben
wir früher bereits eine Reihe von Beispielen kennen gelernt.
Auf einigen der kleinen Inseln im malayischen Archipel (Aaru -Inseln,
Leti, Moa und Lakor) erheischt die Sitte, dass diese helfenden Frauen ältere
Anverwandte der Familie sind, welche auf die Bitten der Schwangeren oder von
deren Ehemann schon während der Gravidität f&r diese kritische Stunde ihre Hülfa
zugesagt haben. Bisweilen muss auch die Mutter die Hebammendienste verrichten,
wie bei den Ewe-Negerinnen in West- Afrika, femer auf den Schiffer-
Inseln und in Ost-Turkestan. Auch bei einigen Malayen herrscht die
gleiche Sitte.
Der Maori-Frau in Neu-Seeland steht bei der Geburt des ersten Kindes
die Grossmutter von mütterlicher Seite, oder wenn diese verhindert ist, diejenige
von väterlicher Seite bei, und auf den Tanembar- und Timoriao -Inseln, so-
wie bei der Pulayer-Kaste in Malabar muss die Schwiegermutter die
Kreissende entbinden.
Einen neuen Fortschritt auf unserem Gebiete haben wir zu verzeichnen,,
wenn wir als Helferinnen bei der Niederkunft nicht einfach Freundinnen oder
weibliche Verwandte, sondern erfahrene Frauen angegeben finden. So sind bei
der Entbindung der Dayak-Weiber auf Borneo »erfahrene Frauen* des Dorfes
behülflich, welche f&r diesen Beistand Geschenke erhalten, {v, Kiessd) In Madras
in Indien sind nach dem Berichte von Beierlein Hebammen nicht vorhanden.
Auch die Aleutinnen im 'russischen Amerika behelfen sich bei der Nieder-
kunft mit „weisen Frauen^^ aus ihrer Mitte, und schwere Geburten fallen oft un-
glücklich aus. (Ritter.)
Bei den Kabilen helfen bei der Geburt erfahrene Frauen, deren Hülfe man
schon vorher erbeten hat; Hebammen von Beruf giebt es dort nicht. (Ledere.)
Auch bei den Sudanesen stehen nach Brehm's mündlichen Mittheilungen eben«
falls «erfahrene^ Frauen bei, und das Gleiche gilt nach Mayeux von den Be-
duinen in Arabien.
In Abyssinien giebt es keine Hebammen; jede alte Frau wird für eine
Sachverständige in diesem Handwerke gehalten, doch brüsten sich manche der-
selben mit dem Titel Hebamme. (Blanc.) Auch nach Beinisch wird dort die
Gebärende „von alten, kundigen^ Weibern unterstützt.
In Massau a helfen die Nachbarfrauen den Kreissenden.
263. Die ersten Anfänge einer gewerbsmässigen Gebnrtshülfe. 79
In Guatemala kommen nach BemouUi sehr häufig chronische Krankheiten
der TJnterleibsorgane nach den Entbindungen Yor. Er sucht den Grund hierfür
in dem Umstände, dass es dort an geschulten Hebammen fehlt und jedes be-
schäftigungslose alte Weib diese Fum^tionen zu übernehmen pflegt.
Wie wenig vortheilhaft die wohlgemeinte Hülfe solcher sogenannten ep-
fahrenen Frauen für die arme Gebärende sein kann, erfahren wir unter Anderem
durch MofUano über die Eingeborenen der Philippinen. Er sagt:
,Bien qne rimpröyoyance des indig^nes s'oppose certainement aux pratiqnes qni, dans
d'autres pays, limitent la f^ondit^, les familles sont gän^ralement peu nombreuses. Les
d^placements de rnt^ms et les m^trites chroniques, consequences de pratiqnee violentes qui
sont employ^es par les matrones du pajs pour peu qua raccouchement soit laborieuz, et
aussi du peu de repos que prennent les nouvelles accouchöes rendent celles-ci steriles de
bonne heure."
268. Die ersten Anfftnge einer gewerbsmässigen Geburtshftlfe.
Bei einigen Yolksstänmien finden wir aber auch schon die ersten Anfange
eines geregelten Hebammeuwesens. Wir müssen dieses bereits anerkennen, wenn
wir für diejenigen erfahrenen Weiber, welche den Frauen in Eindesnöthen zur
Seite stehen, einen besonderen Namen vorfinden, der diese ihre Talente und
Fähigkeiten zum Ausdruck bringt. Solche besondere Titulaturen treffen wir auf
der £isel Serang (Ahinatukaan), auf den Tanembar- und Timorlao-Inseln
(Wata sitong), auf den Viti-Inseln (Alewa vuku) und bei den Basutho
(Babele Xisi); wir lernen später noch mehrere kennen. Auf den Philippinen
gelangen manche Frauen zu dem Rufe einer Mabutin gilot (guten Hebamme),
besonders wenn sie in der Praxis alt geworden sind; man wendet sich in der
frühesten Periode der Schwangerschaft an ihren Bath, allerdings nur zur Be-
stimmung des Geschlechts des ICindes. In geburtshülf lieber Beziehung werden sie
uns als noch sehr unwissend geschildert.
Aus solchen Stadien konnte sich dann allmählich eine gewerbsmässige Ge-
bnrtshülfe herausbilden. Theils wird die Mutter ibr Können und Wissen plan-
massig der Tochter beigebracht haben, theils haben aber auch wohl die älteren
und geübteren Hebammen, wenn ihre Verpflichtungen sich ausbreiteten, jüngere
Gehülfinnen nöthig, welche von ihnen ausgebildet werden, die dann später aber
selbständig prakticiren werden.
Oder es kommt wohl auch vor, dass die Person, welche die Gebnrtshülfe
ausübt, ihr Verfahren gelegentlich einer anderen erfahreneren Geburtshelferin Yon
Profession abgesehen und abgelauscht hat. Auch im letzteren Falle pflanzen sich
von Hebamme zu Hebamme, wenn auch nicht durch systematischen Unterricht,
so docb durch eine oft langdauemde Tradition, die geburtshülflichen Gebräuche
ziemlich unverändert Jahrhunderte lang hinter einander fort.
Die Hülfe, welche die gebärenden Frauen der Stämme in der Wüste
Algeriens von den Hebammen erbalten, beschränkt sich darauf, dass die
Hebamme das Kind packt, wenn es halbwegs dem Mutterleibe entrückt ist; mit
beiden Händen halt, oder drückt sie es dann wohl eine Viertelstunde in der be-
sagten Stellung fest: das arme Weib erhalt so einen Zuwachs Ton Qualen, welche
die Natur ihr nicht bestimmt hatte, sondern den ein barbarisches Vorurtheil
dieser Wüsten-Araber ihr auferlegt, v. MaÜean^ welcher einem solchen Vor-
gange beiwohnte, meint, dass die Absicht dieses Gebrauchs entweder eine falsch-
▼erstandene hygienische Maassregel sei, oder dass er eine mystische Bedeutung
habe, indem der Mensch an der Schwelle seines Daseins noch zwischen Geboren-
sein und Nichtgeborensein gehalten werde.
Nach Bertherand aber sollen die Hebammen in Algerien sich sogar auf
die Wendung des Kindes einlassen.
80 XLI. Die Helfer bei der Gebnrtsarbeit.
In Marokko liegt, wie Quedenfeldt berichtet, die Geburtshülfe ansschliess-
lich in den Händen von Hebammen (käbla oder gäbla) und wird in der primi-
tivsten Weise ausgeübt. Zuweilen wird eine Hebamme auch mit dem Ausdrucke
t^blba bezeichnet, obschon dies nicht ganz correct ist. Teblba bedeutet Aerztin,
weiblicher Arzt, und es giebt im Lande genug alte Weiber, welche nicht nur bei
specifischen Frauenkrankheiten, sondern in allen Krankheitsfällen ihren Geschlechts-
genossinnen, denen kein fremder Mann nahen darf, quacksalberische Hülfe leisten.
Uteruskrankheiten, welche sich von einer Entbindung herschreiben, sind daher
häufig, namentlich chronische Entzündungen und Knickungen der Gebärmutter.
Die Hebammen in Aegypten sind meist sehr unwissende Weiber, für deren
'Ausbildung bis in die neuere Zeit wenig oder gar nichts gethan wurde. Die
Manipulationen derselben, das Drücken und Kneten des Bauches der Kreissenden,
das Anlegen der Finger beim Extrahiren sollen auf höchst rohe Art ausgeführt
werden. Gegenwärtig freilich bemüht man sich, diese Hebammen durch euro-
päische, ordentlich geschulte unterrichten und mit den Anforderungen eines
kunstgerechten Dienstes vertraut machen zu lassen. {Hartmann) Noch bis vor
Kurzem, vielleicht noch heute, bringt die Hebamme nach Lane^s Bericht jedesmal
ihren Geburtsstuhl mit. Bei schwierigen Geburten verlangen die Aegypte-
rinnen häufig eine Kunsthülfe, die ihnen von Weibern, niemals von Männern, in
der rohesten Weise gewährt wird; sie erliegen auch manchmal während des
Actes. (Hartmann.)
Bei der Besprechung der erst in den dreissiger Jahren unseres Jahrhunderts
gegründeten Hebammenschule zu Abu-Zabel sagt Clot-Bey:
,Hier werden hundert M&dchen und Frauen zu Hebammen gebildet, um die Unwissen-
heit und den Aberglauben der gegenwärtigen Hebammen zu ersetzen. Letztere liessen nach
vergeblicher Anwendung der Beschwörungen und der lächerlichsten und gefährlichsten Mittel
ein Eänd zwischen den Füssen der Ereissenden hüpfen, um den Fötus zur Nachahmung zu
reizen. Die Geheimmittel dieser Matronen gegen Unfruchtbarkeit und gegen Schwangerschaft
werden auf gewissenlose und leider wirksame Weise gebraucht; die Schwangere glaubt, weder
Gott noch der Gesellschaft f&r ihre Frucht verant wortlich zu sein.''
Obgleich in Massaua, wie wir oben gesehen haben, sehr oft die Nach-
barinnen der Gebärenden beistehen, so finden sich, wie Brehm an Ploss be-
richtete, doch ausserdem auch noch eigentliche Hebammen. Sie pflegen das
Kind am Kopfe hervorzuziehen, aber sie sollen sogar im Stande sein, eine falsche
Lage des Kindes zu erkennen und dieselbe durch eine Umdrehung der Frucht
zu verbessern.
Bei den Suaheli giebt es nsLch Kersten^s mündlichen Berichten Hebammen,
deren Lohn in 1 — IY2 Thalem und in den Kleidern der Schwangeren besteht;
sie beschränken sich auf Kneten des Leibes, Abnabeln des Kindes u. s. w., be-
treiben jedoch ihre Sache geschäftsmässig.
Bei den Bombe fand Buchta ebenfalls Hebammen von Beruf, und das
Gleiche berichtet Hewan von den Negern in Old-Galabar.
Unter den Basutho helfen nach Angabe des Missionär Grütener alte weise
Frauen, welche Babele Xisi genannt werden, der Gebärenden und dem Kinde.
Auch schon der alte Kolb erwähnt die Hebammen bei den Hottentotten.
Auch die nordamerikanischen Indianer haben nach Engdmann theil-
weise ihre besonderen Hebammen, so die Klamath, die Mandan-Indianer, die
Gros-Yentres, die Nez-Perces, die Bees, die Glatsops, die Fueblos, die
Navajos in Arizona und die Indianer der Quapaw-Agency in Mexiko.
Die Hülfe dieser Hebammen beschränkt sich fast gänzlich auf äussere Mani-
pulationen, verbunden mit Compression des Unterleibes zur Auspressung des
Kindes ; dazu kommen Incantationen und Beschwörungen durch den Medicinmann.
Nur wenige von diesen primitiven Völkern sind es, d. h. die Umpquas, die
Fueblos, die Eingeborenen Mexikos und der Facific- Küste, welche immer
268. Die ersten Anfänge einer gewerbsmässigen Gebnrtshülfe. 81
auch Manipulationen innerhalb der Scheide Yomehmen. Die EinftLhrung der Hand
in die Vagina oder in den Uterus ist den übrigen Stämmen etwas iJnbekanntes.
Die Ausdehiiung des Ferinaeum oder die Beseitigung der Placenta von der Scheide
aus kommen kaum je vor; die Nachgeburt muss, wenn Betention eintritt, in dem
Uterus zurückbleiben. Die Hebamme, oder die älteste helfende Frau beschränkt
sich gewohnheitsgemäss auf das Empfangen des Kindes. Jüngere Weiber stützen
den Kopf, die Schultern, das Becken oder die Beine der Gebärenden; auch com-
primiren sie den Unterleib derselben, um das Austreten des Kindes zu befördern.
Die Hebammen in Mexiko bearbeiten bereits im siebenten Monate der
Schwangerschaft den Bauch und den Rücken der Schwangeren oft eine halbe
Stunde lang mit ihren Fäusten, so dass das arme Weib sich oft unter den
Schmerzen windet.
Dieser Bericht des Dr. v. Uslar^ welchen v. Siebold in seiner Geschichte
der Geburtshülfe zuerst veröfifentlichte, wurde Pinoff durch eine deutsche Frau
bestätigt, die in Mexiko gelebt hat und dort in ihrem 7. Schwangerschaftsmonat
von einer Hebamme das Anerbieten erhielt, sich nach der herrschenden Sitte be-
handeln zu lassen. Nur vornehme Frauen und die Ausländerinnen folgen nicht
diesem allgemeinen Gebrauche. Das häufige Vorkommen von Abortus wird diesem
Verfahren zugeschrieben, welches dem Kinde eine gute Lage geben solL Kommt
bei der Entbindung eine Schieflage vor, so fassen die Hebammen die Gebärende
bei den Beinen und schütteln sie, damit das Kind eine Kopflage einnehmen soll.
Wir haben noch die Verhältnisse in Asien zu betrachten, und hier erkennen
wir sogleich, wie sehr es die im Volke herrschende Lebensweise ist, welche auch
die Praxis der Geburtshülfe beeinflusst; denn bei einigen Völkern, die zumTheil
nomadisiren, zum anderen Theil feste Sitze einnehmen, differiren diese beiden Ab-
theilungen hinsichtlich des Hebammenwesens ganz erheblich. So giebt es bei den
Steppen-Tungusen Hebammen, wogegen die Weiber der Wald-Tungusen
einander gegenseitig beistehen und der Hebammen nicht bedürfen. {Geargi.)
Freilich kommen bei solchen Hülfeleistungen noch recht bedenkliche Eingriffe vor.
Auch bei der Niederkunft der Burätin ist eine Hebamme gegenwärtig, deren
ganze Hülfeleistung aber in der Unterbindung der Nabelschnur besteht. (Kaschin.)
Die Aino in Japan nehmen bei der Geburt meistentheils die Hülfe einer
Hebamme (Ikawo bushi) in Anspruch, (v. Siebold.) Dies ist in der Regel ein
älteres Weib, welches mehrere Male geboren, aber keinen Unterricht genossen
hat, noch auch besondere Geschicklichkeit besitzt. Von Zeit zu Zeit suchen auch
andere Weiber die Hütte der Gebärenden auf, ohne sich aber helfend einzumengen.
Ueber die Verhältnisse bei den Japanern und in China werde ich an
einer späteren Stelle sprechen.
Wenn in Slam eine Frau von Wehen befallen wird, so lässt sie die Ge-
burtsfrau holen und mehrere ihr bekannte Weiber; diese unterstützen die Kreissende
auf mannigfache Weise. (Hutchinson,) Nach Schoniburgk sind in den grossen
Städten die Hebanmien schon so weit civilisirt, dass sie in schweren FäUen, deren
sie nicht Meister werden können, bereits europäische Aerzte zur Hülfe
herbeirufen.
Den Weibern der Orang Belendas in Malacca steht bei der Niederkunft
die Hebamme und eine Gehülfin, oder an Stelle der letzteren der Ehemann bei.
(Bartels'^.)
Auch in Laos existiren nach Aymonier wirkliche Hebanamen von Beruf,
welche man bereits bei dem ersten Auftreten der Geburtswehen konmien lässt
Die Hebammen bei den Annamiten in Gochinchina schildert Mondiere
als äusserst hässliche Weiber: alt, mager, mit grauem oder weissem Haar, das oft
*rasirt ist; sie gleichen den Hexen aus MacbefhS Gewöhnlich besuchen sie die
Schwangere schon einen Monat vor der zu erwartenden Niederkunft alle zwei
bis drei Tage, zuletzt auch täglich, um ihr irgend welche Nahrungsmittel zu ver-
PloBB-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II. 6
g2 XLI. Die Helfer bei der Gebortsarbeit.
ordnen, hauptsächlich Aufgüsse von Blättern der Carica Papaya und einer Art
Mentha. Allein sie berühren und untersuchen die Frau nicht, höchstens palpiren
sie den Unterleib, falls die Schwangere über ein besonderes Leiden klagt, das
nach ihrer Meinung die Entbindung erschweren könnte. Erstgebärende werden
unter solchen Umständen von Angst und Furcht erfüllt; Mondiere sah zwei der-
selben während der Niederkunft ohne Blutung oder Eklampsie sterben.
Auf Nias giebt es nach Modigliani bestimmte Weiber, welche Hebammen-
dienste verrichten. Ebenso haben nach Jacobs die Einwohner von Bali, nach
Riedel die Sulanesen ihre besonderen Hebammen. Die Letzteren werden aber
nur zu Erstgebärenden gerufen.
In den bekannteren Theilen von Niederländisch-Indien wird die Heb-
amme mit dem auch für den BegrifP «Arzt*" gebräuchlichen Namen Doekoen
(gesprochen Dukun) bezeichnet; jedoch wird hier in schweren Fällen nicht selten
auch von den Eingeborenen die Hülfe europäischer Hebammen requirirt.
Bei den Mohamedanern in Bagdad ist der Einfluss, welchen die Heb-
ammen in den Familien besitzen, ein ausserordentlich grosser; auch werden ihre
HüKsleistungen im Ganzen recht erheblich bezahlt. Von Wohlhabenden erhalten
sie meist ein Honorar von 50 — 100 Gulden; sie begnügen sich aber damit keines-
wegs, sondern sie erheben jedesmal einen Tribut, wenn das Kind zu zahnen, zu
gehen und zu sprechen anfängt. In den Krankheiten, denen es unterworfen ist,
werden nur sie consultirt, und sie verordnen gewöhnlich ein aus bitteren und ad-
stringirenden Ingredienzien zusammengesetztes Universalpulver. Ihr Gewerbe ist,
wenn sie Ruf haben, ein sehr einträgliches, so dass sie bald ein Vermögen sammeln.
Bei den Tscherkessen beschränkt sich die Hebamme in ihrer Dienst-
leistung darauf, der in knieender Stellung Gebärenden durch Streichen des Leibes
die Entbindung zu befördern. (Stücker.) Aehnlich ist das Verfahren bei den
Kalmücken, bei den Georgiern und bei den Armeniern. (Krehel.) Die
Karagassen haben gleichfalls besondere Hebammen, und von den Baschkiren
heisst es:
„Ce 8ont toujoars de vieilles Fe mm es, qui assistent auz accoochements ; elles ne
possMent naturellement qne de connaissances pratiques. üne femme enceinte pröf^re moarir
en couches plutöt que de recourir d. un m^decin, lors-m&me que celai-ci lui donnerait gratui-
tement ses soins."
Die Hebammen in Persien sind nach Häntzsche gewöhnlich ohne jede
eigentliche Vorbildung. Meist ist es eine alte Frau, gewöhnlich eine Wittwe,
welche ihr Geschäft als yMämä** d. h. als Hebamme eröffiiet. Bisweilen sind
sogar drei solche Hebammen zugleich anwesend.
In Palästina zu Jaffa findet man nach TobUr Hebammen, die nur dadurch
Unterricht erhalten haben, dass durch Tradition eine Mutter ihrer Tochter einige
Lehren beibringt. Jedoch behauptet der Missionar Robson von den Hebammen
in Damascus, dass eine solche Vererbung der Kenntnisse wohl niemals bei ihnen
vorkommt und dass sie ungeheuer unwissend sind.
Günstigeres wird von den Hebammen der Eingeborenen auf den Carolinen-
Inseln im Stillen Ocean berichtet; sie werden als geschickt bezeichnet, und es
sollen dort nur wenig unglückliche Fälle durch ungeschickte Geburtshülfe vor-
kommen. Die pflegenden Frauen erheben während der Wehen ein Geschrei oder
einen Gesang, damit der Gatte die Klagelaute seiner Frau nicht höre.
Auch auf den Neu-Hebriden existiren besondere Hebammen.
Von den Viti-Inseln berichtet Blyth: Die Fiji-Insulaner haben seit
alter Zeit einheimische Hebammen, welche alewa vuku, , weise Frau" genannt
werden. Sie halten ihre Kunst geheim und umgeben sie mit mystischen Ge-
bräuchen ; nur kurze Zeit, bevof sie sich von ihrem Berufe zurückzuziehen gedenken,
unterrichten sie eine Nachfolgerin in ihrer Kunst. In entlegenen Gegenden leisten
sie auch den europäischen Frauen Hülfe.
264. Degenerirte Geburtehülfe.
83
.264. Degenerirte Oebiirtsliülfe.
Es ist in hohem Qrade wahrscheinlich, dass bei vielen Völkern, wo wir eine
derartige geburtshülf liehe Praxis jetzt vorfinden, diese aus einer Epoche herstammt,
in welcher bei dem betreffenden Volke zugleich mit einer höheren Gultur auch
eine bessere Geburtshülfe heimisch war, dass aber mit dem Verfalle der ersteren
allmählich auch die Geburtshülfe verfiel. Dann werden sich mehr oder weniger
deutliche Merkmale des früher ausgebildeteren Zustandes der Geburtshülfe in dem
Verhalten der Hebammen wiedererkennen lassen. Darauf deuten nach Epp die
geburtshülf liehen Verhältnisse bei den Völkern des ostindischen Archipels,
wo die geburtshülflichen Kenntnisse der Javanen, Malayen und der ihnen ver-
wandten Stämme von der Zeit datiren, da die Inder über jene Stämme herrschten;
weder mohamedanische noch christliche Einflüsse vermochten verändernd einzu-
wirken. Die eingeborenen Hebammen wenden von Alters her die verschiedensten
Verfahrungsweisen an, deren Richtigkeit von der abendländischen Kunst erst all-
mählich anerkannt wurde; in der Hauptsache aber sind sie voll von Aberglauben
und üben allerhand Gebräuche, welche nicht zum Wesen der Geburtshülfe gehören
und zum Theil sogar schädlich sind. Epp sagt:
„Die Ergebnisse der schändlichen Behandlung Gebärender in Ostindien zeigen sich
zunächst darin, dass so viele Kinder scheintodt znr Welt kommen und manche Frauen nur
zu frühe den Tod finden."
Während nach dem Berichte des Missionär Beierlein in Madras das Volk
keine besonderen Hebammen hat, giebt es in Hyderabad mid Delhi Weiber,
welche als Hebammen bezeichnet werden. Diese gehören, wie Smith aus Hydera-
bad berichtet, gewöhnlich dem Telegu- Stamme an; ihre Unwissenheit ist ausser-
ordentlich gross, und das Resultat dieser Ignoranz ist eine ungeheure Sterblichkeit
unter den Gebärenden ; auch Eoberton u. A. erzählen von der colossalen Mortalität
unter den Wöchnerinnen bei den Hindus. Glaubt die ostindische Hebamme
chirurgische Hülfe nothwendig zu haben, so schickt sie, wie Smith sagt, nach einer
ßarbiersfrau, welche die Extraction und Embryotomie verrichtet; beide Arten von
Weibern üben auch die Abtreibung aus ; und die Hebammen peinigen die Wöch-
nerin in der Wochenbettshütte durch Hitze, Rauch, Durst und reizende Arzneien
(Pfeffer, Ingwer u. s. w.). Aerztliche Hülfe wird
von den Hindus nach Roherton nur im höchsten
Nothfalle in Anspruch genommen. Die Thätigkeit
der Hebamme in Sikhim und ihrer Gehülfunnen
zeigt uns ein Theil eines grossen Teropelbildes,
welches als das Lebensrad bezeichnet ist. Fig.
269 giebt diese Darstellung wieder.
In Süd-Indien fand Shortt^ dass man auch
dort zum Beistand für die Gebärende nach einer
Hebamme schickt; diese Frau hilft der Gebärenden
durch Einreibungen mit Oel und durch Waschungen, pig, 269. Hebammen und ihre Gehüi-
Als Belohnung für ihre Bemühungen erhält sie hier finnen, eine Niederkommende unter-
jeden Morgen bis zum zwölften Tage Oel und '^^^'^'^^aus^s^thfrcTnÄ^
Betelnüsse, und ausserdem zwei Pfund Reis und
andere Speisen, alte Kleider und eine Rupie. Die Hebamme übernimmt also hier
auch die Abwartung im Wochenbett und bekommt dafür regelmässig Speisung
und Lohn.
Als ein Beispiel, wie sich aus früherer Zeit bei einem Volke, das sich von
der heimischen Cultur losgelöst hat, die altheimische Volksgeburtshülfe noch tra-
ditionell fortsetzt, dienen die Boers in Süd-Afrika, welche bekanntermaassen
von holländischer Abkunft sind, üeber das Hebammen- Wesen in den nordöst-
lichen Districten des Caplandes giebt Holländer Auskunft:
84 XLI. Die Helfer bei der Gebiirtsarbeit.
I
.Die Hebamme in den Ortschaften der Boers ist die älteste Einwohnerin der Um-
gegend. Sie kennt die ganze Geschichte der Gegend von Beginn an und kennt alle reich
gewordenen Eauflente und viele Frauen aus langyerschwundener Zeit. Aber sie ist unter
Arbeit, Umsicht und Verschwiegenheit alt geworden. Sie hat mehr Frauen entbunden, als
mancher Professor der Geburtshftlfe in Europa. Und* hat auch manche Frau unter ihren
H&nden, schneller als nOthig, das bessere Jenseits erreicht, die Todten sind stunmi und ihren
Ruhm und ihre Geschicklichkeit kOnnen nur die Lebenden verkünden. Ein Arzt, welcher
nicht von ihr protegirt wird, kann nie reussiren, aber glücklich ist jener Doctor, der ihre
Gunst erlangt hat. Ihre Kunst ist zwar nicht auf der Hochschule erlernt, aber sie hat un-
endlich viel erfahren, Vieles beobachtet und mit Aufmerksamkeit sich umgesehen. Vielleicht
hat sie sich in den letzten Jahren ein altes holländisches Hebammenbuch vom Jahre 1749
mit grossen Buchstaben gekauft, das sie von jetzt an täglich liest, und weiss auch alle die
wunderthätigen Zaubertränke und Heilsalben dieses Buches aufs beste zu verwerthen. Ihr
Wissen ist autoritativ. Unter allen Frauen des Dorfes gilt sie als Meisterin, und nicht kann
sich ihrem Einfluss die junge, erst kürzlich aus Schottland eingewanderte Dame entziehen,
die in ihrem Heimathlande entsetzt gewesen wäre, wenn die Sage-femme unseres Städtchens
sich ihrem Bette genähert hätte. In der That haben die meisten dieser Hebammen im Laufe
der Zeit sich ganz ansehnliche Kenntnisse erworben, und wenn sie ausserdem, was sehr häufig
der Fall ist, sorgsam und behutsam sind, so schaffen sie in der Regel auch viel Gutes und
nützen durch ihre Geduld einer armen Gebärenden oft mehr, als ein junger, gelehrter Doctor,
den sein heisses Blut und sein Drang, von sich sprechen zu machen und sich auszuzeichnen,
leicht zu Uebereilungen hinreisst. Nebenbei verkauft aber auch die Hebamme noch ver-
schiedene Gemüse, Weintrauben u. s. w., die sie in ihrem Gärtchen zieht, und wird so zur
wohlhabenden Frau.**
Auch die Hebammen in Aegypten mögen noch manche Traditionen aus
cultivirteren Zeiten besitzen. Nach den oben angeführten Berichten ist aber nicht
viel hiervon zu bemerken.
265. Männliclie Geburtshelfer.
Wir haben in einem früheren Abschnitte den Ehemann der Kreissenden
beistehen sehen, so gut, oder besser vielleicht so schlecht die Noth des Augen-
blicks es ihm eingab. Bei manchen Yolksstämmen hat der Gatte nun nicht die
eigentliche Leitung und Ueberwachung des Geburtsvorganges, sondern ihm fallt
nur eine unterstützende Bolle dabei zu, während eine Hebamme die Entbindung
ausföhrt. So berichtet ilfan von den Mincopies auf den Andamanen-Inseln:
.Wenn die Entbindung herannaht, so ist es Sitte, dass der Gatte und eine Freundin
der Frau sie unterstützen. Sie wird in eine sitzende Stellung gebracht, das linke Bein aus-
gestreckt, das rechte Knie angezogen, so dass sie es mit ihren Armen umfangen kann. Der
Gatte stützt ihren Rücken und drückt sie, wenn es gewünscht wird, während die Freundinnen
einen Blätterschirm über den unteren Theil ihres EOrpers halten und ihr beistehen nach
besten Fähigkeiten in der Entbindung und in der Entfernung der Nachgeburt."
Auf den Philippinen Überträgt man diese Function einem besonderen
Manne, welcher entsprechend seiner Verrichtung als der Teneador bezeichnet
wird. Er umfasst die Gebärende von hinten her und hält sie, während er gleich-
zeitig ihren Unterleib drückt, besonders den Fundus uteri. Nicht selten liegt hier
aber auch die Gebärende auf einer Matte. Dann steht der Teneador ihr zu Häupten
und presst von hier aus den Muttergrund.
Etwas AehnUches wird von den Kalmücken geschildert.
Aber wir finden auch bei manchen Völkerschaften Männer als reguläre Ge-
burtshelfer, so z.B. auf Honolulu auf den Sandwichs-Inseln. Ebenso haben
FeOcin und Andere bei vielen Neger- Völkern (Bari, Madi, Moru, Bongo,
Unyoro), namentlich in schwierigen Fallen, Männer als Geburtshelfer angetroffen.
Von den Koibalen berichtete Fattas:
„Sie sollen auf den Enieen gebären und sich dabej yon einer Mannsperson unter-
stützen lassen;*
265. Männliche Geburtshelfer. 85
und von den Kalmücken sagt er:
,Sie haben bei der Gebart nicht nur Wehemütter, sondern es giebt auch männliche
Geburtshelfer, welche das Kind fangen und abwaschen."
Bei den Soongaren, einem mongolischen Yolksstamme unter chinesi-
scher Botmässigkeit, wird von Männern berichtet, welche es verstehen, das fidnd
im Mutterleibe mit Messerchen zu zerstückeln (Klemm) ^ und die lesghischen
Hirten in den Gebirgsthalem Transkaukasiens sollen ihre Schafe sehr geschickt
entbinden können und fuhren dazu selbst Zangen mit sich; sie sollen auch als
geschickte Entbindungskünstler bei schwerer Niederkunft der Frauen zuge-
zogen werden.
Als männliche Geburtshelfer sehen wir auch bei vielen Volksstämmen die
Zauberer, die Priester und die Medicinmänner fungiren. Meistens handelt es sich
hier um Schwergeburten oder um anderweitige Verzögerungen des gewöhnlichen
Geburtsverlaufes. Die Hülfe, welche diese Leute den armen Ereissenden zu
bringen versuchen, ist keine Geburtshülfe in unserem Sinne, sondern entsprechend
ihrem Berufe eine übernatürliche und mystische. Ihre Manipulationen und Ver-
richtungen müssen wir in einem späteren Abschnitte einer eingehenden Betrach-
tung unterziehen.
XLII. Die Gebnrtshülfe im Alterthum nnd im frühen
Mittelalter.
266. Allgemeiner Ueberblick über die GescMcbte der Geburtshflife bei
den enropSischen Gnltnryolkern nnd deren Yorlänfem.
Wir haben bisher einen XJeberbKck darüber zu gewinnen gesucht, wie sich
das Hebammenwesen bei solchen Völkerschaften gestaltet hat, welche auch heutiges
Tages noch auf einer mehr oder weniger niederen Stufe der Culturentwickelung
sich befinden. Bei ihnen wird es uns nicht überraschen, wenn wir sie nicht in
dem Besitze einer systematisch ausgearbeiteten Gebnrtshülfe finden. Aber wir
dürfen nicht zu stolz den Kopf erheben. Denn auch bei den Gulturvölkem
Europas trefiPen wir trotz der gesetzlich eingef&hrten Ausbildung und der Yon
einer staatlichen Prüfung abhängigen Concessionirung der Hebammen doch noch
bei diesen letzteren vielfache Missbräuche, welche sich traditionell erhalten haben.
Aber glücklicherweise kommen derartige Beminiscenzen an eine rohere Gultur-
periode im Gegensatze zu den vorher besprochenen Volksstämmen doch nicht in
zu grosser Häufigkeit vor, und durch die immer mehr zunehmende Aufklärung
werden diese Uebelstände auch fernerhin noch immer seltener werden.
Wir wollen nun die geschichtliche Entwickelung der Hebammenkunst kennen
lernen, wie diese sich bei den heutigen Culturvölkern Europas gestaltet hat.
Hier können wir aber nur zu der gewünschten Klarheit kommen, wenn wir zu-
gleich auch einen Blick auf die Hebammenpraxis derjenigen im Laufe der Jahr-
hunderte untergegangenen Völkerschaften werfen, auf deren Wissen und Können
die moderne Gultur Europas und seiner Tochterstaaten sich aufgebaut hat.
Wir werden dabei auf ganz ähnliche Zustände stossen, wie wir sie in dem vorigen
Kapitel bei den sogenannten Wilden gefunden haben. Aber aus diesen primitiven
Verhältnissen haben sie sich glücklich herausgearbeitet.
Bei einigen alten Völkerschaften hat vielleicht eine günstige Einwirkung
von aussen her von Seiten eines höher cultivirten Volkes die Entwickelung des
Hebammen Wesens erheblich gefordert. So hat sich beispielsweise die römische
Hebammenkunst unter dem Einflüsse der griechischen entwickelt, und auch
später haben die Araber einen grossen Theil ihres geburtshülf liehen Wissens aus
griechischen Quellen geschöpft. Auf ihren Lehren baute sich dann wieder die
wissenschaftliche Gebnrtshülfe des mittelalterlichen Europa auf.
Von dem Entwickelungsgange dieser Kenntnisse entwirft Prochownich fol-
gende Schilderung:
„Aus dem stagnirenden Zustande der Gebärhülfe, über den alle uncultivirten Völker
und auch eine Reibe Culturvölker nicht hinausgekommen sind, tbat eine Reibe sessbafter,
böbere Entwickelung erstrebender Volker den nächsten Schritt weiter. Vermehrte Beobachtung,
266. Allgem. üeberblick üb. d. Geschichte d. Geburtshülfe b. d. europSischen Caltaryölkem. 87
zunächst natürlich immer nur auf pathologische Vorgänge gerichtet, führte zu bestimmten
Gebräuchen, Maassnahmen, selbst zu gesetzlichen Vorschriften, namentlich wo streitige Rechts-
verhältnisse in Frage kamen {Moses, die Rabbinen); damit war der üebergang zur Geburts-
hülfe im engeren Wortsinne gegeben. Die .Geburt' stellt sich dabei als Ausdruck von etwas
typisch Beobachtetem und schliesslich in seinen Einzelphasen Bekanntem dem , Gebären* als
einfach sinnlicher Wahrnehmung gegenüber. Sich mit einem physiologischen Vorgange näher
bekannt zu machen, über denselben zu denken, konnte aber a priori nur Sache Solcher sein,
welche sich überhaupt mit den. Zuständen, Leiden und Gebrechen des Menschen befassten
(d. h. der Aerzte, resp. Wundärzte), und an diesem Punkte setzt dann die männliche Ein-
mischung in das Fach der Geburtshülfe an, zugleich aber der Kampf ohne Ende, welchen
dieser männlich -ärztliche Cultur- und Veredelungstrieb unserer Kunst mit seinen zwei eng
verbündeten Gegnern, den weiblichen Helferinnen und der weiblichen Schamhaftigkeit,
allzeit zu bestehen hatte und noch zu bestehen hat. . . . Für unsere Kunst ist die weibliche
Pudicitia ein mehr als tausendjähriges Hindemiss gewesen, und erst einer überaus fortge-
schrittenen Zeit bei einigen hochbegabten Völkern ist es vorbehalten geblieben, wahre Scham-
haftigkeit von falscher, Decenz von Prüderie zu trennen, und selbst unter diesen ist diese
Errungenschaft eigentlich nur ein Gut der wahrhaft Gebildeten! War es nun eine natur-
gemässe Consequenz, wenn durch die Schamhaftigkeit des menschlichen Weibes die Geburts-
hülfe lediglich in weibliche Hände gerieth, so war es wieder eine logische Folge daraus, dass
diese Kunst auch als eine Domäne des weiblichen Geschlechts in Anspruch genommen und
vertheidigt wird/
«Das Alterthum kannte eine Geburtshülfe anderer Art als die weibliche wenig. Die
gesammte Handhabung derselben lag (hier ist jetzt nur von antiken Gulturvölkem die Rede)
bei den Hebammen, welche überall aus Gewohnheitshebammen zu Berufshebammen wurden.
Einzelne derselben bildeten sich durch Begabung und Erfahrungen zu recht tüchtigen Ver-
treterinnen ihres Faches aus, und die gesammte Zunft stand bei den meisten, auf Kindersegen
besonders Werth legenden alten Völkern in hohem Ansehen. . . . Wann und wie nun die
Aerzte des Alterthums mit der Geburtshülfe in Berührung kamen, lässt sich mehr vermuthen
als beweisen. So recht wahrscheinlich wird es gewesen sein, wie so oft noch heute. Wo
Hebammen-Weisheit zu Ende war, sah man sich nach fernerer Hülfe um, und es waren natur-
gemäss solche Aerzte, welche als Chirurgen in gutem Rufe standen, die citirt wurden.*
Auf zwei Eigenthümlichkeiten in späteren Culturepochen macht Prochotonick aufmerk-
sam: Einmal war es die Zeit höchster Machtentfaltung griechischer Culturblüthe, in welcher
es den vorzüglichen Aerzten und Aerzteschulen gelang, einen Theil der Geburtshülfe und ein
beträchtliches Stück der Frauenheilkunde für sich zu erobern. Zweitens regte auch mit der
Höhe der Cultur, mit der grösseren Freiheit, welche dem Weibe gegeben wird, das zarte
Geschlecht mächtig die Schwingen des Geistes. Es traten Dichterinnen, Philosophinnen und
ganz zuerst solche Frauen auf, welche trachteten, Aerzte zu werden. Und wo dies angeht,
da nehmen sie in erster Linie das Gebiet unserer Kunst für sich in Anspruch. Wo aber der
Staat das Gesetz, dass weder Sclaven noch Frauen Aerzte sein durften, nicht aufhob, da
blieben die Frauen zwar formell .Hebammen*', aber sie studirten die Werke der Aerzte, sie
schrieben selbst Bücher über ihr Fach. Mit dem politischen und geistigen Rückgange ver-
schwinden diese Anläufe, in Rom wiederholen sie sich zur Blüthe des Kaiserthums noch ein-
mal, um dann bis zum Jahrhundert der Intelligenz, in dem wir leben, bis auf geringe Aus-
nahmen zu verschwinden.
„Und wie die Griechen," sa^gt Prochoumickj „so die Römer, so die Byzantiner, so
noch in erhöhtem Maasse die Araber. Alles, was geburtshülf lieh geleistet wird, ist entweder
Chirurgisches oder Hebammenbelehrung. Einen Zeitraum von weit mehr als tausend Jahren
von der BlÜthezeit römischer, richtiger romanisirter Griechen -Cultur, nahezu 600 Jahre
von der Blüthezeit arabischer Medicin müssen wir überschlagen, um in eine Zeit zu gelangen,
welche allenfalls der vorhippokratischen für unser Fach ähnlich genannt werden kann."
Bis zum 16. Jahrhundert befand sich die Geburtshülfe bei fast allen Völkern
Europas fast gänzlich in den Händen der Hebanunen, von denen dieselbe mehr
oder weniger empirisch gehandhabt wurde. Wenn ihnen ausnahmsweise Aerzte
beistanden, so fiel denselben doch mehr oder weniger nur eine nebensächliche
Bolle zu. Nur die alten Inder gestatteten den Aerzten eine Theilnahme an der
geburtshülf liehen Assistenz. In seltenen Fällen thaten dieses allerdings auch die
Griechen und die Römer.
gg XLII. Die GeburtBhfllfe im Alterihum nnd im frühen Mittelalter.
Auf diese Weise wurden bereits nicht zu unterschätzende Grundlagen fUr
eine wissenschaftliche Geburtshülfe geschaffen. Im Mittelalter gewann dieselbe
aber nur wenig an Ausbildung. Erst im 16. Jahrhundert nahmen sich die Aerzte
und Chirurgen ihrer energisch an, und seitdem wuchs sie nach und nach zu einem
schonen wissenschaftlichen Gebäude empor, welches namentlich in unserem Jahr-
hundert einen ganz bedeutenden Ausbau erfahren hat. Wir wollen uns jetzt der
Betrachtung des geburtshQlflichen Könnens bei den Culturvölkem des Alterthums
zuwenden.
267. Die GeburtsMIfe bei den Juden des Alterthums.
Bereits aus den älteren Theilen der Bibel erfahren wir, dass die Juden des
alten Testamentes einen eigenen Stand von Hebammen besassen. Bei der schweren
Entbindung der Bahely an deren Folgen sie nach kurzer Zeit starb, wird aller-
dings nur von Tröstungen erzählt, welche die Hebamme der Gebärenden ertheilte.
Bei der Zwillingsgeburt der Thamar legte die Hebamme dem Kinde, das zuerst
seine Hand aus dem Mutterleibe herausstreckte, einen rothen Faden um dieselbe,
um später über die Erstgeburt ein sicheres XTrtheil abgeben zu können. Der
Rahdj der Thamar und der Phincha haben bei ihren schweren Geburten aber
nur Hebammen Hülfe geleistet; Aerzte hatte man damals nicht zu Rathe gezogen.
Auch als die Juden in Aegypten wohnten, hatten sie Hebammen; denn Pharao
wendet sich an zwei derselben, an die Siphra und Pua, und befiehlt ihnen, alle
männlichen Kinder der Juden zu tödten. Auf die bekannte Streitfrage, ob die
jüdischen Hebanmien jener Zeit einen Gebärstuhl hatten, kommen wir an anderer
Stelle zurück. Die Leistungen der Hebammen beschränkten sich hinsichtlich der
Pflege des Neugeborenen darauf, ihm den Nabelstrang zu durchschneiden, dasselbe
zu baden, seinen Körper mit Salz abzureiben und es in Windeln zu wickeln.
Zu der Zeit, wo der Talmud niedergeschrieben wurde, waren es auch
wesentlich Frauen, welche den Gebärenden beistanden und für competent in Bezug
auf die Beurtheilung einer legitimen Geburt oder einer Erstgeburt gehalten wurden.
Diese Frauen heissen im Talmud n^sDn, d. i. Femina sapiens, oder auch nrii d. i.
Femina vivida; und aus „Kidduschin'^ ersehen wir, dass die jüdischen Heb-
ammen in nicht geringem Ansehen standen und erfahrene Frauen gewesen sein
müssen. Aber bei diagnostisch schwierigen Fällen wurden auch Aerzte hinzuge-
zogen, lieber die Entbindungs-Kunst und -Gebräuche dieser talmudischen Heb-
ammen werden wir später im Einzelnen berichten. Wir führen hier nur an, dass
sie einen besonderen Geburtsstuhl benutzten; die Untersuchung der Geschlechts-
theile mit dem Finger war ihnen bekannt; auch diejenige mit der ganzen Hand
wurde bisweilen ausgeübt, jedoch wird dieselbe widerrathen. Von den abnormen
Kindeslagen scheinen sie nur geringe Kenntnisse besessen zu haben. In ihren
geburtshülf Heben Handleistungen wurden sie vielfach von den Aerzten, welche
immer Rabbiner waren, überwacht und beaufsichtigt.
Israels fuhrt eine Stelle aus „Kidduschin" an, aus welcher hervor-
geht, dass ein Mann bei einer Wendung sich betheiligt hat. Auch verweist er
darauf, dass bei schweren Entbindungen Aerzte untersucht haben; man sei dem-
nach gezwungen, anzunehmen, dass sie, wenn sie explorirten, überhaupt auch bei
Geburten thätig waren.
Da bei den Juden des Talmud auch häufig die Untersuchung der Genitalien
von Männern vorgenommen wurde, so sagt Israels, „dass sie sich in dieser Be-
ziehung von allen Völkern des Alterthums unterscheiden, denn bei diesen wurde
das Geschäft stets nur Hebammen übertragen." Diese Meinung Israels ist eine
irrige; er hat die Geburtshülfe der alten Inder nicht berücksichtigt.
268. Die Gebnrtehfllfe bei den alten Indern. 89
268. Die Geburtshülfe bei den alten Indern.
Die erste EenntniBS, welche wir über das cultarelle Leben der alten Inder
besitzen, stammt aus den heiligen Büchern derselben, aus den Y eden, deren erste
Entstehongszeit auf ungefähr 1500 vor Christus angenommen wird. Schon da-
mals besassen die Inder gewisse Kenntnisse in der Heilkunde und sie hatten auch
einen besonderen Stand der Aerzte, wie aus dem Rig-Veda hervorgeht. Aller-
dings war ihre Behandlung der Krankheiten noch vielfach mit Hymnen und Be-
schwörungsformeln untermischt.
In einer etwas späteren Zeitperiode treffen wir die Priester-Kaste der Brah-
minen mit einem ganz erheblichen Schatze medicinischen Wissens ausgestattet;
auch besassen sie schon eine bedeutende Kunstfertigkeit auf chirurgischem und
geburtshülflichem Gebiete. Diese Kaste war eine hochgeehrte; ihre Schüler
wurden ganz regelmässig, theils praktisch, theils aus Lehrbüchern unterrichtet
von Lehrern, welche die nöthigen wissenschaftlichen, technischen und sittlichen
Eigenschaften besassen. Neben denselben gab es HeUdiener für die niedere
Chirurgie, sowie auch Hebanmien.
Aus den alten Lehrbüchern dieser Friesterärzte , von denen einige uns er-
halten sind, bekommen mi Aufschluss über ihr Wissen und über ihre Thätigkeit.
Das älteste derselben ist Chardka^ das nur zu einem kleinen Theil von Roth über-
setzt ist und nichts, wie es schebt, vom Verhalten am Geburtsbette enthält. Da-
gegen macht uns das von Susruta verfasste, die Vorträge des Dhanvantare ent-
haltende Buch Ayur-vedas (»Buch des Lebens '') nicht nur mit der altindischen
Medicin, sondern auch mit einer schon recht weit ausgebildeten Geburtshülfe be-
kannt, welche nach Häser's Ausspruch derjenigen der Hippokratiker völlig eben-
bürtig ist, obgleich die griechischen Aerzte über den Bau des menschlichen
Körpers weit besser unterrichtet waren, als die indischen. Da die lateinische
Uebersetzung dieses merkwürdigen Buches, die Hessler besorgt hat, ziemlich un-
vollkommen ist, so erscheint es sehr dankenswerth, dass der Sanskritforscher
Vtdlers sich der Mühe unterzog, noch in verhältnissmässig hohem Alter Medicin
zu studiren, um den geburtshülflichen Theil aus Susruta's Ayur-vedas in das
Deutsche zu übertragen.
Die Epoche, aus der das Werk des Susruta stammt, ist lange von Vielen aJIzu früh
angesetzt worden (von Lassen 600 Jahre, von Hessler sogar 1000 Jahre vor Christus), wo-
gegen die vorsichtigen Vertreter der indischen Alterthnmskunde die Entstehung dieser
wichtigen Quelle in die nachchristliche Zeit versetzen. Stenzler in Breslau {HenscheVs Janus
1846. I. Heft 8) sucht zu beweisen, dass man nicht im Stande sei, auch nur vermuthungs-
weise ein Jahrhundert auszusprechen; er zweifelt nicht daxan, 6&as Susruta's Werk ehereinige
Jahrhunderte nach Christi Geburt geschrieben sein könne, als im 10. Jahrhundert vor Christi
Geburt, und giebt zu bedenken, dass die Inder selbst dem Werke eine verhältnissmassig späte
Stelle in der medicinischen Literatur einräumen. Es würde ihn nicht überraschen, wenn sich
herausstellen sollte, dass das System der Medicin, welches im Susruta vorgetragen ist, Manches
von den Griechen entlehnt habe.
Die ungefähre Feststellung der Entstehungszeit ist wichtig für die Ent-
scheidung der Frage, in wie weit andere Völker in ihren medicinischen Anschau-
ungen aus dieser Quelle geschöpft haben können.
V. Siebold hat in seinem ^Versuch zur Geschichte der Geburtshülfe*'
gesagt, „dass man im ganzen Alterthume die Hülfe bei Geburten nur weiblichen
Händen überliess**. Das ist nicht richtig, denn SkXis SusnUa^s Schriften geht her-
vor, dass die Inder bei Entbindungen die Hülfe der Aerzte in Anspruch n^men.
VüUers glaubt, dass die regelmässig verlaufenden Geburten allein von Hebammen
geleitet worden sind, dass aber die Aerzte bei abnormen Entbindungen gerufen
wurden, um die hierbei nöthigen Operationen vorzunehmen. Auch das trifft nicht
zu, denn wir ersehen aus Hesslers Uebersetzung, dass die Leistung der Hebammen
eine weit eingeschränktere war, und dass die Aerzte sogar auch die regelmässigen
90 XLII. Die Gebartshulfe im Alterthnm und im frühen Mittelalter.
Entbindungen besorgt zu haben scheinen. Denn überall ist auch bei der Aus-
führung kleinerer Geschäfte während der normalen Geburt nur von einem Arzte
die Bede, z. B.: «Tum parturientis telum intemum medicus inungaf In diesem
und in ähnlichen Fällen übersetzt Vidlers statt medicus stets Hebamme. Die
weibliche Hülfe bei der Niederkunft beschränkt sich nach Hessler's Uebersetzung
lediglich darauf, dass vier Frauen, welche partui habiles, d. h. beherzt und alters-
reif, und deren Nägel beschnitten sind, die Kreissende umgeben (parturientem
circumgrediantur), und dass eine alte Frau (nach Vuüers „eine von jenen Vieren")
die Ereissende zum Pressen antreibt. Vuüers nennt die vier Frauen Hebammen
und lässt „eine von diesen" und nicht den Arzt (wie Hessler) die Einsalbung
der Geburtstheile bei der Gebärenden besorgen. Während nun femer Vuüers
den helfenden Arzt erst bei gestörtem Geburtsverlauf eintreten lässt, wird nach
Hessler vom Geburtshelfer in diesem Falle ein „Oberarzt" zur Consultation hin-
zugerufen :
^Idcirco protomedicam consnlendo et snmmam operam dando rem peragat." Hessler
sag^ zur Erklärong: nVocabnlnm ad'faipati superiorem (ad'fai) dominum (pati) denotat. Quis
vero in medendi arte summus sit dominus, facile est intellectu. Mihi quidem nemo alius,
nisi protomedicus esse videtur. Alibi ad'bipati est princeps, penes quem est summa pro-
testas; immo vero et summus Dens ipse. Si quis igitur Ad'hipatim hoc loco summum
De um CBrahmaJ esse mavult, qui sit invocandus, equidem hanc sententiam non prorsus im-
pugnabo." Man sieht also, dass Hessler selbst eine ganz bestimmte Ansicht in der Sache nicht
hat. Dass hier aber von einem Protomedicus die Rede sein kann, ist deshalb wohl möglich,
weil es in der That bei den alten Indern eine höhere und eine niedere Rangordnung unter
den Aerzten gab. Hessler sagt in b. Comment. Fase. U. S. 4: „Quamquam antiquissimorum
Inder um medendi ars habebatur religionis pars, et medici religiöse inaugurabantur, attamen
non soli Brahmanae, sed etiam homines inferioris ordinis (Eshattriya, Vaisya, Sudra)
mysterüs medicinae initiari licebat, in quibus animi corporisque indoles egregia quae-
dam et praeclara, et ad hanc artem exercendam apta erat conspicuo. Quisque autem e su-
periori ordine quemque ex inferiori inaugurare potuif Dass diese untergeordneten Aerzte
auch bei Geburten beschäftigt waren, geht daraus hervor, dass Susruta das Geburtshaus Con-
clave Brahmanarum, Kshattriyarum, Vaisyarum et Sudrarum nennt. Wir wissen
auch durch Susruta, dass die Inauguration der Aerzte unter einem besonderen Ritus stattfand.
Wollen wir also Hessler^s TJebertragung folgen, so wurden alle Geburten
von Aerzten geleitet. Das ist auch nicht ganz unwahrscheinlich. Denn die Brah-
minen, welche, wie gesagt, zugleich Priester und Aerzte waren, hatten ja, was
VuUers nicht mit erwähnt, ein besonderes „Conclave obstetriciale Brahmanarum,
Kshattriyarum, Vaisyarum et Sudrarum*, in das sie schon im 9. Monat die
Schwangere aufnahmen. Es ist anzunehmen, dass dieses in ganz besonderer Weise
eingerichtete Gebärhaus, welches „custodüs et faustitate praeditum", also gewisser-
maassen geweiht war, nur den Zweck hatte, dass die Frauen bei der Geburt und
im Wochenbett abgeschlossen von der Welt und frei von allen diätetischen Stö-
rungen in ihrer Lebensweise, von den Brahmanenärzten speciell beaufsichtigt, ent-
bunden und behandelt werden konnten. Diese Einrichtung war offenbar eine
religiöse, an deren stricter Beobachtung die Priesterkaste, wie aus SusrtUa's Dar-
stellung hervorgeht, festhielt.
Die Priesterärzte leiteten also, wie es scheint, persönlich den Geburtsact
und das ganze Wochenbett ebenso, wie den an einem Mondtage stattfindenden
Act der Einweihung der Amme des Sprösslings. Die Einweihung der Amme mit
den erforderlichen Segenssprüchen ist mitten im Texte des Susruta ebenso an-
geführt, wie alle übrigen Handlungen des Arztes, während er ausdrücklich die
Namengebung des Kindes dem Vater und der Mutter derselben zuweist. VuUers^
der bis dahin nur Hebammen agiren lässt, schreibt, ohne anzugeben, warum er
nun mit den Personen wechselt, über die Handlung der Ammenweihe: „Man setze
an einem glücklichen Mondtage die Amme^^ u. s. w., so dass es nach seiner Dar-
stellung nicht klar wird, wer die Einweihung eigentlich vorgenommen hat. Der
268. Die Geburtshülfe bei den alten Indem. 91
Grund, warum Susrtda diesen Act so ausführlich ftir seine GoUegen beschrieb,
kann doch nur der gewesen sein, dass er auch zu ihren Functionen gehörte.
Die Maassnahmen für die bevorstehende Entbindung begannen schon im nennten Monate
der Schwangerschaft. Die Frauen, wenigstens diejenigen der höheren Kasten, wurden in die
für die Entbindung hergerichtete Hütte gebracht, wo sie durch Waschungen und durch
Salbungen für den Geburtsact vorbereitet wurden. In dieser Zeit mussten sie sehr viel Hafer-
echleim gemessen, um durch dessen Druck die Austreibung der Frucht zu befördern. Die
Entbindung erfolgte unter dem Beistande von vier Frauen auf dem Geburtsbette. Der Nabel-
strang wird acht Querfinger breit vom Unterleibe abgebunden, getrennt und am Halse des
Kindes befestigt; die zögernde Nachgeburt wird durch äusseren Druck und dadurch entfernt,
dass eine starke Person den Körper der Kreissenden schüttelt. Denselben Zweck versuchte
man durch Kitzeln des Schlundes zu erreichen.
Nach der Entbindung werden Mutter und Kind gewaschen ; die erste Muttermilch hielt
man für imbrauchbar. Die Wöchnerin wurde nach anderthalb Monaten (nach Anderen mit
Wiedereintritt der Menstruation) ,frei von der Unreinheit, welche während des Wochenbettes
an ihr hafbet', entlassen. Bei Schwergeburten wurden zuerst Räucherungen von übelriechenden
Dingen, von der Haut der schwarzen Schlange und Aehnlichem angewendet.
Als störend für den Geburtsverlauf betrachtete man gewisse nervöse Zufälle, Zusammen-
ziehung der Geburtstheile, Ohnmächten, durch Blutverluste bedingt, bei welchen sie auch die
Tamponade erwähnen, femer Krankheiten der Scheide und ihrer Nachbarorgane.
Unmöglich wird die Geburt durch dreierlei Ursachen: durch Verunstaltung des Kopfes
bei dem Kinde, durch Verunstaltung des Beckens der Gebärenden und durch eine falsche Lage
des Kindes. Als abnorme Lagen bezeichnet Su^ruta die Knie-, Steiss-, Schulter-, Brust-,
Rücken-, Seitenlage, und die Vorlage zweier Arme oder Füsse. Das Hauptmittel zur Ver-
besserung aller dieser Lagen ist die Wendung auf die Füsse oder (z. B. bei Seiten- und
Schulterlage) auf den Kopf. Auf den Kopf soll auch bei Vorlage der Arme gewendet werden;
zuweilen jedoch gelinget die Wendung auf die Füsse leichter. Todte Kinder, welche nicht
auf normale Weise geboren werden, sollen, je nach dem vorliegenden Theile, mittelst scharfer
Instrumente zerstückelt werden. Sie werden als eine fremde Substanz betrachtet, welche
aus dem Körper entfernt werden muss, und Susruta bezeichnet sie mit dem Worte Sagitta
oder Pfeil.
Susruta erwähnt folgende Operationen, auf welche wir später nochmals
zurückkommen :
bei der Fusslage die Extraction; bei Vorlage eines Fusses das Herabführen des zweiten
und die Extraction; bei Steisslage die Wendung auf die Füsse und die Extraction; bei Quer-
lage, wie es scheint, die Wendung auf den Kopf. Schulterlage (Einkeilung der Schulter) und
Vorlage beider Schultern werden für unheilbar erklärt. Indess soll der Arzt versuchen, die
vorgelagerten Theile zu reponiren und die Kopflage herbeizuführen. Im schlimmsten Falle
soll das Absterben des Kindes abgewartet und dann dasselbe durch Abschneiden der Arme,
durch Enthimung u. s. w. entfernt werden. Bei dem plötzlichen Tode einer in der letzten
Schwangerschafts-Periode Verstorbenen soll der Kaiserschnitt zur Anwendung kommen.
Es gab also, wie man sieht, für den indischen Arzt eine Reihe von Aufgaben, die
nur auf Grund einer reichen Erfahrung gestellt und gelöst werden konnten; jedenfalls war
letztere dadurch gewonnen worden, dass es den Priesterärzten vergönnt jvar, eine grosse An-
zahl von Geburten in ihrem Verlaufe zu controliren und die Erfolge ihrer überlegten Anord-
nimgen und Handlungen als Fingerzeige zu benutzen und zur Grundlage ihrer ferneren Be-
handlungsweise zu machen.
Da diese Aerzte der Priesterkaste angehörten, so wird es uns nicht ver-
wunderlich erscheinen, dass rituell vorgeschriebene Hymnen und Gebete ihre
ärztlichen Eingriffe begleiteten.
Die Inder selbst verlegten den Ursprung ihrer Heilkunde in eine mythische Periode.
Das erste medicinische Werk soll ihr Gott Brahma geschrieben haben, dann folgten Däksha,
Äsvins und der Gott Indra, von denen einer dem anderen die Heilkunde mittheilte. Von
letzterem erhielt sie zuerst ein Mensch Atreya, und sie pflanzte sich von ihm fort auf Agni-
vesa, Ckaraka, Dhanvantare und SiisnUa; die medicinischen Werke (Sanita) des Ätreya,
Agnivesa, Charaka existiren noch jetzt in London, sind aber noch nicht übersetzt. Nur
^Sttsnita's Werk liegt uns vollständig vor. Man sieht, dass die Sage den ältesten Lehrern der
Medicin einen göttlichen Namen verlieh, dass sich deren ursprüngliche Lehrsätze von Schüler
92 XLII. Die Geburtshülfe im Alterthum und im frühen Mittelalter.
zu Schüler fortpflanzten, dass aber auch diese Schüler wahrscheinlich selbständig Neues hin-
znfQgten. Immerhin ist anzunehmen, dass die Brahmanenkaste, der diese Schüler angehörten,
im Allgemeinen auf die Befolgung gewisser geburtshülf lich-praktischer Gebräuche hielt, und
dass namentlich der beiden Aerzte Dhanvantare^8 und Suaruta's Lehren gprosse Verbreitung
bei den Indern hatten.
Noch zu jener Zeit, in welcher Susnda's Ayurvedas geschrieben warde,
befand sich die Geburtshülfe der Inder im Stadium der Ent Wickelung, denn wir
finden, dass Sasruta oder sein Meister Dhanvantare an einigen hergebrachten
geburtshülf liehen Dogmen, wie z. B. denjenigen über die Kindeslagen, rütteln und
selbständige, bessere Meinungen aufstellen. Wir blicken hier auf eine vor alters-
grauer Zeit fortgeschrittene und noch immer im Fortschreiten begriffene geburts-
hülfliche Wissenschaft. Susruta liefert aber nicht nur eine ziemlich ausföhrliche
Diätetik der Schwangeren, der Gebärenden und der Wöchnerinnen, sowie eine
Pathologie und Therapie ftlr deren Erkrankungen, sondern er giebt auch die
erforderlichen Handgriffe zur Vollendung der Geburt bei verschiedenen fehler-
haften Kindeslagen und zweckmässige Vorschriften für die Perforation und Ent-
fernung an, ja er kennt, wie wir sehen werden, auch schon den Kaiserschnitt
nach dem Tode.
In schroffstem Gegensatze zu diesem Können der alten Inder steht, wie
wir gesehen haben, die Ausübung der Geburtshülfe bei den jetzigen Hindus.
Noch jetzt finden wir bei diesen die Anrufungen von Göttern während der Ent-
bindung, eine äusserst strenge Diät und die Darreichung ähnlicher Gewürze wie
früher im Wochenbette. Aber das Gebärhaus der Brahmanen ist jetzt in eine
elende Wochenbettshütte umgewandelt, und an die Stelle der erfahrenen Aerzte
sind unwissende Weiber mit ihren unüberlegten und für die Kreissenden nicht
selten recht verhängnissvollen Eingriffen getreten.
Mit dem in Indien eindringenden Buddhismus verlor sich allmählich der
Einfluss der gelehrten Brahmanen; aber noch die alte Legende der Buddhisten
sagt, dass Brahma und Indra bei der Geburt des Buddha Hebammendienste ver-
richtet haben. Hier kliugt wohl noch die Erinnerung nach, dass einst es Männer
gewesen sind, welche den Gebärenden Hülfe leisteten.
Die Geburtshftlfe bei den alten Aegyptern.
Ueber den Stand der Geburtshülfe im alten Aegypten sind unsere Kennt-
nisse sehr gering. Dass aber schon in sehr früher Zeit die Hülfe von Hebammen
in Anspruch genommen wurde, das erfahren wir bereits aus der Bibel, wo es
(2. Moses 1, 19) heisst:
„Die hebräischen Weiber sind nicht wie die ägyptischen, denn sie sind
harte Weiber; ehe die Wehemutter zu ihnen konmit, haben sie geboren." Dem-
nach mögen die Geburten der zarteren Aegypterinnen minder leicht verlaufen
sein, als die der Jüdinnen. Das erscheint uns wohl begreiflich, wenn wir auf
alt-ägyptischen Wandmalereien und Sculpturen die beängstigend schmalen Hüften
erblicken, mit denen die Weiber dargestellt sind.
Ob die die Heilkunde ausübenden Priester sich auch mit Geburtshülfe be-
schäftigt haben, darüber ist nichts Genaues bekannt. Banz hält dieses für sehr
wahrscheinlich, aber er stützt seine Meinung nur durch die Thatsache, dass Cdsus
und Oalenus ägyptische Chirurgen, wie Phüoxenm, Ämmonüis ÄlexandrinuSy
Sostratus, Georgias u. s. w. erw^nen, dass die Chirurgen gleichzeitig auch viel-
leicht Geburtshülfe ausübten, und dass Hermes Trismegistus und Cleopatra Bücher
über Frauenkrankheiten geschrieben haben.
Die gesammte Heilkunde lag in den Händen der Priester, deren jeder eine
besondere Specialität ausübte. Mit dem Brande der grossen Bibliothek zu
Alexandria ging für die wissenschaftliche Welt ein grosser Theil der ärztlichen
270. Die Geburtshftlfe bei den Griechen des Alterthams. 93
Quellen und Urkunden verloren. Von ihren literarischen Werken ist uns aber
Einiges doch erbalten (Papyrus in Berlin, Leipzig, Paris, Leiden); der inter-
essanteste derselben ist der zu Leipzig in der üniyersitätsbibliotliek befindliche
Papyrus Jßbers, den man aus der Mitte des 17. Jahrhunderts y. Chr. datirt
und der viele Arzneiverordnungen, unter Anderen auch gegen Frauenkrank-
heiten, enthält.
Gälenus hat über die geburtshülf liehen Kenntnisse der Aegypter kein sehr
günstiges Urtheil gefallt.
Es sind uns leider keinerlei schriftliclie Aufzeichnungen erhalten, wie bei
den übrigen alten Gulturvölkem des Orients, bei den Assyrern und Babyloniern
sowie bei den Phöniciern, die Oeburtshülfe gebandhabt worden ist. Dass die
letzteren bei ihren weiten Seefahrten und ihren vielfachen Golonisirungen auch in
dieser Beziehung manche Gebrauche fremder Völkerschaften kennen gelernt haben
werden, das muss wohl als sehr wahrscheinlich betrachtet werden. Ob hierdurch
aber mit der Zeit ihre eigene vaterländische Oeburtshülfe beeinflusst worden ist,
darüber vermögen wir natürlicher Weise nichts anzugeben.
270. Die Geburtshülfe bei den Griechen des Alterthums.
Der Archäologe Welker ist bemüht gewesen, einiges Licht über die Maass-
nahmen zu verbreiten, welche auf geburtshülflichem Gebiete in dem alten Griechen-
land gebräuchlich waren. Was sich in den griechischen Mythen und Sagen
-findet, hat er dazu herbeigezogen. Da es sich um mythische Angaben handelt, so
haben wir natürlicher Weise keine Sicherheit, dass in dem gewohnlichen Leben
Alles ganz ebenso gehandhabt wurde. Einzelnes davon besprechen wir später noch.
Auch V. Siehold hat Einiges zusammengebracht.
Zu Flaton's Zeit (geb. 429 v. Chr.) fungirten als Hebammen solche Frauen,
welche über die Zeit des Gebarens hinaus waren; sie mussten aber selber Kinder
geboren haben. Ohne Zweifel also nahm man an, dass etwaige Beobachtungen
an anderen Weibern nicht genügend wären, um sie für den Hebammenberuf zu
qualificiren; die Erfahrung am eigenen Körper wurde noch für nothwendig erachtet.
Es finden sich bei den griechischen Schriftstellern zwei verschiedene Be-
zeichnungen für die Hebammen. Das scheint dafür zu sprechen, dass zwei ver-
schiedene Klassen dieser Frauen existirten. Die eine würde dann die Maiai um-
fassen, die gewöhnlichen Hebammen, deren Geschäft es unter Anderem auch war,
zu entscheiden, ob denn überhaupt eine Schwangerschaft bestehe. Die höhere
Klasse bilden die Jatromaiai, was wörtlich Arzt-Hebammen heisst. Sie hatten
die Befugniss, gleich den Aerzten pharmaceu tische Mittel in Anwendung zu
ziehen; auch gaben sie unter Umständen Medicamente ein, um einen Abortus
oder eine Frühgeburt einzuleiten. Daneben war es ihre Function, zur Beförderung
der Geburt beschwörende Gesänge anzustimmen. Bei der Entbindung wurden die
Göttinnen angerufen, denen das Wohl der Gebärenden anvertraut war {Eüeithyia^
Artemis^ Uere).
Die Jatromaiai mussten auch feststellen, ob die durch einen Geburtsactus
zu Tage geförderten Wesen nun auch wirklich Kinder wären oder nicht (Alethinä
oder Eidola). Aber auch noch ein anderes Recht stand ihnen zu, welches von
nicht geringer Bedeutung war. Sie hatten nämlich zu bestimmen, welches Mädchen
für einen jungen Mann die geeignetste Gattin sei, um ihm die beste Nachkommen-
schaft zu gewährleisten. Somit wurden sie die Heirathsstifterinnen.
Hippokrates führt noch ein paar andere Bezeichnungen für die Hebammen
an, Akestrides, Tamusai, Omphalotomai, welche sich auf ihr Geschäft beziehen, den
Nabelstrang des Neugeborenen zu durchschneiden. Nach der Angabe des Plato
war Sokrates der Sohn einer Hebamme, die er „generosa^^ Phaenarate nennt.
94 XLII. Die Geburtshfllfe im Alterihum und im frühen Mittelalter.
Ein besonderer theoretischer Unterricht für die Hebammen hat im alten
Griechenland höchst wahrscheinlich nicht stattgefunden. In der Praxis und
durch die üebung erlangten sie ihre Oeschickli<£keit. Der für die Hebamme
gebräuchliche Ausdruck Maia bedeutet nach Hermann ursprünglich jede altere
Frau oder Dienerin des Hauses. Oslander f&hrt an, dass die Hebammen der alten
Griechen der Gebärenden ein Tuch um den Leib banden und diesen damit com-
primirten. Die Lacedämonierinnen sollen auf einem Schilde niedergekommen
sein. In späterer Zeit benutzte man sicher in Griechenland ausser dem Bett
wenigstens bei gewissen Fällen einen Geburtsstuhl. Das neugeborene Kind wickelte
die Hebamme, nachdem sie es feierlich um den Hausaltar getragen und unter
religiösen Ceremonien gewaschen hatte, in Windeln und Tücher; doch verschmähten
die abgehärteten Spartaner dieses Einhüllen des Kindes.
Unsere Kenntniss über die Geburtshülfe aus der Zeit der Blüthe Griechen-
lands entstammt zerstreuten Angaben in den Werken des Hippdkrates (500 bis
400 Y. Christus), v, Siebold hat dieselben gesammelt. Danach scheint aber nur
in sehr seltenen Fällen die Hülfe der Aerzte bei den Entbindungen in Anspruch
genommen zu sein. Deshalb konnten dieselben auch nicht viel zu der wahrhaften
Förderung der Geburtskunde beitragen.
„Die wenigen geburtshülflichen Vorschriften in den unechten Schriften
des Hippdkrates beziehen sich nur auf ein ungeregeltes, rohes Verfahren, welches
wohl schon einer früheren Zeit angehören mochte, worüber aber unser Hippdkrates
in seine Schriften nichts aufgenommen hat." (v. Siebold,)
Zu der Zeit des Hippokrates wurden zum Ersätze der fehlenden Eindesbewegungen
Erschütterungen der Gebärenden vorgenommen; ebenso suchte man durch die Lage der Ge-
bärenden, die man auf dem Bette fest band und so mit dem Kopf nach unten, mit den Beinen
nach oben kehrte, bei zögernden Geburten das Kind aus dem Mutterleibe herauszuschütteln.
Bei falscher Lage des Kindes vollzogen die Aerzte die Wendung auf den Kopf und zer-
schnitten das Kind, wenn diese Operation nicht gelang. Das Kind wurde erst nach dem
Austritt der Nachgeburt abgenabelt; und wenn der Abgang der Nachgeburt sich verzögerte,
gab man Niesemittel oder band Gewichte an die Nabelschnur, oder Hess durch die eigene
Schwere des Kindes einen Zug auf die Nachgeburt ausüben.
Einer etwas späteren Zeit gehört Herophilus aus Chalcedon in Klein-
asien an (etwa 335 bis 280 v. Chr.), welcher später als Lehrer in Älexandrien
glänzte. Dass er ein praktisch viel beschäftigter Geburtshelfer war, geht aus den
Thatsachen hervor, dass er aus der Beschaffenheit des Muttermundes die Schwanger-
schaft zu diagnosticiren verstand, seine Aufmerksamkeit der Lehre von den Kindes-
bewegungen widmete, die Frage über die Tödtung des Fötus aufstellte u. s. w.
Er ist (wenn auch vielleicht nur der Sage nach) unwillkürlich der erste Heb-
ammenlehrer, denn es schlich sich, wie es heisst, Ägnodike^ ein junges Mädchen,
in Mannskleidem in seine Vorlesungen und leistete dann so trefflichen Beistand
bei Geburten, dass sich die Aerzte, als sie nicht mehr zu Frauen gerufen wurden,
beim Areopag über sie beklagten. Hierdurch gab die Agnodike die Veranlassung
zur Emancipation der bis dahin vom geburtshülflichen Unterricht ausgeschlossenen
Frauen; denn das ältere attische Gesetz verbot, Sclaven und Frauen in der Heil-
kunde zu unterrichten, dann aber wurde dasselbe dahin abgeändert, dass auch ver-
ständige Frauen die Medicin erlernen durften. {Scheffer)
Von den Päoniern, die in Macedonien lebten, schreibt Aelianus:
,eoruni uxores a partu statim e lecto surgunt ad obeunda domestica munia."
Alexander der Grosse^ welcher von Griechenland aus seine ausgedehnten
Kriegszüge unternahm, brachte Europa mit den Völkern Asiens in innigere
Berührung. Bis nach Indien erstreckte sich sein grosser Heereszug. Allein das
reichte doch nicht aus, um das Wissen und Können dieses grossen Culturvolkes
in geburtshülflicher Beziehung in den geistigen Besitz der europäischen Völker
überzuführen. Auch in umgekehrtem Sinne lässt sich keinerlei Beeinflussung der
271. Die Geburtshülfe bei den alten Römern. 95
ßeburtskunde bei den tonangebenden Nationen Asiens, bei den Indern, den
Chinesen und den Japanern durch die Eroberungszüge der Griechen nach-
weisen.
271. Die OebartsMIfe bei den alten Bomern.
Die Romer haben ihre Cultur bekanntermaassen den Griechen zu danken.
Das gilt auch für ihre Kenntnisse in der 6eburtsbülfe, und noch in späterer Zeit
sind häufig Griechinnen als Geburtshelferinnen nach Rom gekommen. Sie
bildeten einen eigenen Stand, die Nobilitas obste tricum. Sie behandelten auch
die Frauenkrankheiten, fungirten in Rechtsfallen als Sachverständige und sie hatten
wahrscheinlich ganz allein die geburtshülf liehe Assistenz in Händen. Zu der Zeit
des Cdsus aber zogen sie wenigstens fßr besonders schwierige Falle auch er-
fahrene Aerzte zu Rathe.
Moschions Hebammenbuch definirt die Hebamme in folgender Weise:
„Mulier omnia, quae ad feminas spectant edocta, immo ei artis ipsias medendi perita;
ita ut illarum onmiuxn morbos commode curare valeat.*
Nach Soranus muss eine Frau, welche Hebamme werden will, ein gutes
Gedächtniss haben, um das Gegebene festzuhalten, arbeitsam und ausdauernd sein,
sittlich, um ihr Vertrauen schenken zu können, mit gesunden Sinnen begabt und
von kräftiger Constitution sein, endlich muss sie lange und zarte Finger mit kurz
abgeschnittenen Nägeln haben. Um aber eine gute Hebamme, eine dQlotTj juata
zu sein, dazu gehören nach Soranus noch andere Vorzüge. Eine solche muss
sowohl theoretisch als praktisch gebildet, in allen Theilen der Heilkunst erfahren
sein, um sowohl diätetische als chirurgische und pharmaceutische Verordnungen
geben, um das Beobachtete richtig beurtheilen und den Zusammenhang der einzelnen
Erscheinungen der Kunst gehörig würdigen zu können. Sie muss die Leidende
durch Zureden aufmuntern, ihr theilnehmend beistehen, unerschrocken in allen
Gefahren sein, um bei Ertheilung des Rathes nicht ausser Fassung zu kommen.
Sie muss femer schon geboren haben und nicht zu jung sein. Sie muss anständig
und immer besonnen sein, sehr verschwiegen, da sie Antheil hat an vielen Ge-
heimnissen des Lebens, nicht geldgierig, damit sie nicht um Lohn schimp^ich Ver-
derben bringe, nicht abergläubisch, um nicht das Wahre vor dem Falschen zu
übersehen. Sie muss ferner dafür sorgen, dass ihre Hände zart und weich sind,
und sie muss sich nicht Arbeiten hingeben, die diese hart machen. Sollten sie
aber von Natur nicht so weich sein, so müssen sie auf künstlichem Wege durch
erweichende Salben dazu gebracht werden.
Wie bei den Griechen, so wurden auch bei den Römern während der
Entbindung bestinunte Gottheiten um Beistand gebeten, in Rom die Lucina^ die
Postverta, die Mena u. s. w. Es ist oben von ihnen schon die Rede gewesen.
Die Hebammen, wenigstens in der spät-römischen Zeit,' hielten es für
nöthig, den Muttermund zu erweitem und bei längerem Stande der Blase die künst-
liche Sprengung derselben vorzunehmen. Das geht aus den Werken des Moschion
hervor, welche genauere Anweisungen für alle diese Manipulationen ertheilen.
Ebenso lehrt derselbe, dass die Gehülfinnen der Hebammen dadurch den
Austritt des Kindes befördern sollen, dass sie den Bauch der Gebärenden nach
unten drücken. Das Kind wurde erst abgenabelt, nachdem die Nachgeburt zu
Tage gefördert worden war. Zur Durchschneidung des Nabelstranges bediente
man sich in früherer Zeit eines Stückes Holz, eines Glasscherbens, eines scharfen
Rohres oder einer harten Brodrinde. Die Anwendung der Scheere und die Unter-
bindung der Nabelschnur stammen aus einer späteren Periode.
Die Hebammen kannten die Untersuchung mit der eingeführten Hand. Zur
Entfernung der Nachgeburt scheinen sie Niesemittel in Anwendung gezogen zu
haben, auch hingen sie zu dem gleichen Zwecke Gewichte an den Nabelstrang.
Moschion trat gegen diese Maassnahmen auf. Erschien die Entfernung der Nach-
96 XLn. Die GeburtshOlfe im AUerthom und im frühen Mittelalter.
gebart auch mittelst der eingeftihrten Hand nicht möglich, so liess man sie liegen
und abfaulen.
Früher noch als Moschion hat Soranf4S von Bphesus ein besonderes Werk
über die Krankheiten der Frauen verfasst. Es werden von ihm noch eine Anzahl
von geburtshülf liehen Schriftstellern angeführt, deren Werke aber verloren ge-
gangen sind.**") Durch seine Schriften hat er die ßeburtshülfe ganz wesentlich
gefordert. Er kannte und beurtheilte die ßeburtshindemisse in vieler Beziehung
richtig, beschrieb die Diätetik der Schwangeren, Gebärenden und Wöchnerinnen
nach guten Grundsätzen und benutzte bei normaler und abnormer Geburt einen
Geburtsstuhl, den er ausführlich und als einen längst bekannten Apparat beschreibt.
In Bezug auf die Betentionen der Nachgeburt und auf die Störungen im Geburts-
verlaufe spricht sich in seinen Werken eine grosse Erfahrung aus. Mit den ver-
schiedenen Kindeslagen ist er vertraut; er kennt die Reposition von vorgefallenen
Kindestheilen, die Wendung auf die Füsse, die Erweiterung des Muttermundes
und die Zerstückelung des Kindes. Er verlangt, dass ausser der Hebamme noch
drei andere Weiber der Gebärenden Beistand leisten, zwei an beiden Seiten, die
dritte hinter dem Rücken, damit die Gebärende von der regelrechten Lage nicht
abweiche, zugleich müssen sie ihr zureden, dass sie die Schmerzen ertrage.
Auf diesen Erfahrungen und Lehrsätzen fiissen die späteren geburtshülf liehen
Schriftsteller; Galenus (130 bia 200 n. Chr.), Phäumenus, die Aspasia^ Aetius
(500 n. Chr.) u. A. schlössen sich an und trugen zur Verbesserung der Geburtshülfe
nur noch Weniges bei. Die Thätigkeit dieser Männer ist um so anerkennenswerther,
als ihr praktischer Wirkungskreis ein beschränkter war, und als sie fast nur zu
solchen Entbindungen zugezogen wurden, bei denen sie die Natur in ihrem regel-
mässigen Gange nicht mehr beobachten konnten; von den Schriften der Aspasta^
einer gebildeten Hebamme, ist uns leider nur Einzelnes aufbewahrt geblieben.
Die Schriften des schon erwähnten Moschion sind von Valentin Böse heraus-
gegeben worden.
Durch Bose'a Untersuchungen ist es erwiesen worden, dass dieser scheinhare Grieche
Moschion ursprünglich der Lateiner MtMcio gewesen ist, welcher zwei für die Hehammen
hestimmte Bücher geschrieben hat, denen die Werke des Soranus zu Grunde liegen.
In dem ersten, das von der Empf&ngniss und von der Geburt handelt, bezog er sich
auf die dem Sorantis entlehnten Respousiones des Caelius Aureltanus, im zweiten, welches
die Erkrankungen der Frauen bespricht, benutzte er das gynäkologische Hauptwerk des
SorantM und die betreffenden Abschnitte eines unbekannten, 30 Bücher umfassenden Werkes
(Triacontas) über die ganze Medicin. Die Eatechismusform des ersten Theils findet sich
im zweiten nur bei dem Kapitel über die Dystokien. Muscio war wahrscheinlich ein Afri-
kaner und hat vermuthlich erst nach dem 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gelebt.
Erst im 15. Jahrhundert wurde sein ursprünglich lateinisch geschriebenes Werk in
das Griechische übersetzt; seitdem hielt man fälschlich diese üebersetzung für die Original-
schrift eines Griechen Moschion. Die in der Gessner -Wol/fschen Ausgabe des Moschion
befindlichen Zeichnungen, die dann auch in andere Ausgaben übergingen, die Abbildungen
des Uterus und seiner Anhänge, sind lediglich Zugaben des späteren Abschreibers und kOnnen
daher nur als Zeugnisse für die Yorstellungsweise dieses letzteren aufgefasst werden. (Haeser.J
Wir müssen zum Schlüsse noch den FavAusyon der Insel Äegina erwähnen,
welcher zwischen 625 und 690 nach Christus gelebt hat. Er überragte durch
seine wissenschaftlichen Kenntnisse sehr erheblich seine Zeitgenossen. Er war in
Alezandrien ausgebildet und brachte den grössten Theil seines Lebens in
Aegypten und Kleinasien zu. Sewohl die Griechen als auch die Saracenen,
die ihn vorzugsweise «den Geburtshelfer, Al-cawa-beli*^ nannten, schätzten
ihn ausserordentlich hoch, und die Hebammen kamen aus fernen ^Gegenden zu ihm,
um seines Rathes und seiner Belehrung in schwierigen Fällen theilhaftig zu werden.
Er benutzte bereits den Mutterspiegel zur Diagnose der Gebärmutterkrankheiten.
*) Vergl. Pinoff in HenscheVs Janus 1847. II. S. 735, sowie die Ausgaben von Soranus'
Buch durch Ermerius und durch F. Böse.
Tafel in.
Amerikanerinnen.
Comanelie-ljidiABeriii.
Esklmo-Fraii.
(LalmdoT.)
3.
Sioux-Iiidi ABeriii •
MayonisliM-IndiaBeriii«
(Peru.)
Coroftdos-Indlaneiiii«
(Brasilieii.)
Gnyanft-IndiaBerlD«
Fenerlftiideriii.
Araneaiiieriii.
(Chile.)
Patagonleiiii.
Tafel III.
AxiierilEaxLerixinezi .
272. Die Geburtshülfe zur Zeit der arabischen Goltorperiode. 97
272. Die Oebnrtslifilfe zur Zeit der arabischen Gnltnrperiode.
Mit dem Zerfall der römischen Weltherrschaft ging vieles Wissen und
Können in dem Abendlande verloren. Ein neues Aufblühen der Künste und
Wissenschaften nahm dann aber von Arabien seinen Ausgang. Und als der
Islam allmählich seine Herrschaft über weite Oebiete Europas ausdehnte, da
breitete sich auch der Einfiuss arabischer Gelehrsamkeit und Gesittung in fast
allen damals bekannten Landern aus und wurde für die ganze Gulturentwickelung
in allerhöchstem Grade bedeutsam. Die wissenschaftliche Geburtshülfe aber hatte
an diesem Aufschwünge keinen Antheil. Denn die arabischen gelehrten Aerzte
entbehrten ja selber aller Einsicht in den Geburtsvorgang, weil ihnen die moha-
medanische Sitte eine Selbstbelehrung durch persönliche Gontrole und Beobachtung
des Geburtsvorganges nicht gestattete.
Die Entbindungen waren vollständig, dem mohamedanischen Sittengeeetz
entsprechend, den Hebammen überlassen, deren Kenntnisse sehr geringe waren.
Nach AU Ben Abbas (gestorben 994 n. Chr.), welcher Leibarzt des Königs von
Buita war und ein die ganze Medicin umfassendes Werk geschrieben hat, machten
diese Frauen selbst die tdlerschwierigsten Operationen. Zwar gaben ihnen Aerzte
in besonders complicirten Fällen eine Anleitung, auch verordneten dieselben Arz-
neimittel, aber sie durften nie thätig eingreifen. Erst in der alleräussersten Noth
wendete man sich an Chirurgen, welche, wie die Schriften des Abtdkasemj f ^^^^i
und anderer Araber bezeugen, ebenso unbekannt mit der Ausübung der Geburts-
hülfe waren. Mit mächtigen Instrumenten und Apparaten nahmen sie dann die
Extraction oder die Zerstückelung des Kindes vor.
Nur Abfd Hasan Garib ben Said scheint sich vor seinen Zeitgenossen durch
besondere Pflege der Geburtshülfe ausgezeichnet zu haben. Sein um 970 n. Chr.
geschriebener Tractatus de foetus generatione ac paerperanim infantiumque regimine liegt
aber leider noch ungedruckt im Escurial.
Lange noch hat die arabische Cultur in Europa ihre Nachwirkung ge*
habt, als bereits das Mönchsthum die Geister beherrschte. Für die Geburtshülfe
brachen auch jetzt immer noch nicht bessere Zeiten an. Ungebildeten Weibern
war dieselbe überlassen. Zauberformeln und abergläubische Mittel wurden viel-
fach von ihnen in Anwendung gezogen. Aerzte wurden nicht hinzugerufen;
höchstens bat man sie um eine Arznei, deren Formel dann aber lediglich aus
einem arabischen Schriftsteller stammte. Die Schriften des Albertus Magnus,
welcher im 13. Jahrhundert gelebt hat, geben hierfür ein hervorragendes Beispiel.
. So be8cha£fen war damals die Geburtshülfe überall in Europa. Denn wenn
die helfenden Frauen ganz ohne Instruction und Unterricht blieben, wenn kein
Buch ihnen eine Anleitung für ihr Verfahren gab, wenn sie völlig auf ihre
eigenen geringen Erfahrungen angewiesen waren, so handelten sie voUstandig im
Geiste ihrer Zeit, indem sie in schwierigen Fällen Beschwörungen und Besprechungen
anwendeten; denn die Ursache des Hindernisses suchten sie wohl inuner in einer
Einwirkung des Teufels, der Hexen und böser Zauberkräfte.
Diese traurigen Nachwirkungen der arabischen Gulturperiode wurden zum
ersten Male unterbrochen durch ein epochemachendes Ereigniss. Mondini, ein
Professor der Medicin in Bologna, hatte es im Jahre 1306 zum ersten Male
und 1315 zum zweiten Male gewagt, einen weiblichen Leichnam in öffentlicher
Vorlesung zu zergliedern. Hiermit war der naturwissenschaftlichen Beobachtung
die Bahn gebrochen, welche allmählich, aber sicher und unaufhaltsam das Licht
der Wahrheit herbeigeführt hat.
Ploss-BartelB, Du Weib. 5. Aufl. II.
XLIII. Die Entwickelung der Gebnrtslittlfe in den
modernen Cnltnrländem Europas.
278. Zur Oeschiclite der OeburtshUlfe in Italien.
Wenn wir in unseren Betrachtungen über die historische Entwickelung der
Geburtshülfe jetzt auf die Neuzeit übergehen wollen, so mögen die Verhältnisse
Yorangestellt werden, wie sie sich in Italien entwickelt haben. War es doch
gerade Italien gewesen, wo sich die wichtigste Orundlage für den wissenschaft-
lichen Fortschritt vollzogen hatte. Denn hier war es ja, wo zum. ersten Male die
anatomische Untersuchung an der menschlichen Leiche in den Apparat der medi-
cinischen Wissenschaft eingefügt wurde. Wir haben diese von Mondini in Bo-
logna im Anfange des 14. Jahrhunderts vorgenommenen Leichenöffiiungen im
vorigen Kapitel bereits erwähnt. Aber auch schon einige Zeit vorher war Manches
auf italienischem Gebiete geschehen, was die Geburtskunde günstig beinfiusst
hatte. Hier hatte Salerno in Mittel- Italien das Gentrum der Entwickelung
abgegeben.
Aus der salernitanischen Schule waren mehrere Aerztinnen hervorge-
gangen. Unter ihnen steht für uns obenan die berühmte Trotvia^ welche ftlr
die Verfasserin der Schrift ,De mi;ilierum passionibus ante, in et post partam* gehalten
wird. Sie lebte ungefähr um die Mitte des 11. Jahrhunderts; ihr Werk über die
Krankheiten der Frauen kennen wir aber nur aus einem im 13. Jahrhundert her-
gestellten Auszuge. Dasselbe zeugt dafür, dass sich die Kenntniss jener Zeit in dem
ebiete der Heilkunde auf etwas mehr, ab auf die Wirksamkeit von Hausmitteln
ausdehnte, und dass man namentlich bestrebt gewesen ist, die Lehre von den Frauen-
krankheiten und auch die Geburtshülfe zu fordern und zu entwickeln, wenn auch
die Art und Weise, wie dieses gelang, im Anfange noch etwas unvollkommen ge-
wesen war. (de Rienssi.)
Die vollständigste Uebersicht der gynäkologischen und geburtshülflichen
Kenntnisse des Mittelalters gewähren zwei italienische, rein compilatorische
Arbeiten: das Werk von Francesco di Piedimonte (in seinem Gomplementum
Mestme\ welches fast ganz auf HippohrcUes^ OoLenus, Äristotdes und Serapion
beruht, und die Sermones des Nicolo Falcucci. (Haeser.) Diese Schriften, ebenso
wie die des Italieners Savoncurola^ wurden am Ausgange des 15. Jahrhunderts
zu Venedig gedruckt.
Wir müssen auch noch eines absonderlichen Werkes gedenken, welches der
Aretiner AemüitAS Vezositis in Hexametern verfasst hatte. Es fuhrt den Titel:
Gynaecyeseos sive de muliernm conceptui gestatione, ac partu. Im Jahre 1598
wurde es von dem ebenfalls aus Arezzo stammenden Antonius Blondias^ der
wohl eigentlich Antonio Biondi hiess, in Venedig „cum licentia Superiorum*
278. Zur Geschichte der Geburtshfilfe in Italien.
99
mit Argumenten herausgegeben. Einen grossen Nutzen werden die Hebanmien
aus demselben wohl kaum haben ziehen können, da es ausserordentlich schwülstig
geschrieben ist Vielfach wird darin an die antiken Götter und gleichzeitig an
ChristiiS, Maria und die Heiligen appellirt.
Einen besonderen Einfiuss auch auf die Oeburtshülfe anderer Länder gewann
Italien im 17. Jahrhundert durch Veröffentlichungen, welche zur Belehrung der
Hebammen dienten. Dieselben wurden bald darauf in andere Sprachen übersetzt
und konnten so auch bei anderen Völkern für die Aerzte und Hebammen maass-
Fig. 270.
Italienische Hebamme des 17. Jahrhunderts vor einer Ereissenden, in der Oeburtsstellong,
welche sehr Dicke einnehmen sollen. (Aus Scipione Mercurio.)
gebend werden. Hier ist namentlich das Werk des Scipione Mercurio zu nennen,
welches unt^r dem Tit^l, die goldsammelnde Hebamme, La Gommare
oriccoglitrice, im Jahre 1621 in Venedig erschien. Dasselbe wurde von
Welsch in das Deutsche übersetzt und erlangte in Deutschland auf lange
Zeit eine hervorragende Autorität. In seinen Abbildungen über die Eindeslagen
hat Mercurio noch sehr viel künstlich Gonstruirtes und Phantastisches. Auch
sind seine Darstellungen, wie man die Kreissende bei schweren Entbindungen
lagern solle, in hohem Orade absonderlich. So müssen nach seiner Vorschrift
7*
100 XLin. Die Entwickelong der Geburtshülfe in den modernen Gnlturlandem Europas.
solche Frauen, welche sehr fett sind, sich auf den Fassboden hinknieen und sich
so weit nach hintenüber legen, dass ihre Schultern und ihr Kopf auf einem unter-
geschobenen Kissen ruhen, während die Ellenbogen dem Fussboden aufliegen und
den Körper unterstützen helfen. Wir lernen auf diesem Bilde auch die italie-
nische Hebamme der damaligen Zeit kennen. Sie steht anordnend Tor der Kreissen-
den, in ausgeschnittenem Kleide, mit einer grossen Halskette geschmückt. (Fig. 270.)
Für eingehendere Studien über die ÖeburtshüKe in Italien müssen wir auf
das ausführliche Werk von Corradi verweisen. Aber wir wollen an dieser Stelle
noch einiger Abbildungen Erwähnung thun, welche sich auf unseren Gegenstand
beziehen.
Eine italienische Hebamme aus dem 16. Jahrhundert führt uns ein Bild
des Giulio Romano (Fig. 271) vor. Es ist eine alte Person, welche um die
Fig. 271. Italienische Oeburtsscene (16. Jahrb.).
(Nach Gtu/to Romano.) (AUB P/o**^0,)
Kreissende beschäftigt ist, dieselbe aufmerksam betrachtet und ihren Puls fühlt.
Die sorgfältig vorbereitete Wiege steht neben dem Geburtslager, um den zu er-
wartenden jungen Erdenbürger aufzunehmen. Zur Seite der Hebamme befindet
sich eine jüngere Frau. {Ploss nach d'Arco.)
Aber auch noch durch andere bildliche Darstellungen werden wir über die
Art der Geburtshülfe in Italien aufgeklärt. Im 16. Jahrhundert herrschte in
Italien die Sitte, den Wöchnerinnen in besonderen Majolica-Schalen stärkende
Nahrung zu bringen. Diese Gefösse führten den Namen Puerpera oder Sco-
delle per le donne (Frauenschalen). Nach Po^^m wurde die becherartige Schale
mit Fleischbrühe gefüllt und in den Deckel Eier gethan. Sie sind mit bildlichen
273. Zur Geschichte der Geburtshülfe in Italien.
101
Darstellangen geschmückt, welche sich meistens auf die Pflege des Kindes beziehen:
Frauen haben ein kleines Kind auf dem Schoosse oder sie wickeln ein solches in
Binden ein. Bisweilen aber finden sich im Inneren der Schalen Entbindungs-
scenen dargestellt. Zwei derartige Schalen aus Urbino in der Art des Oratio
Fontana gemalt und ungefähr aus der Zeit von 1530 — 1540 stammend, besitzt das
königliche Kunstgewerbe-Museum in Berlin.
Die eine Schale (Fig. 272), auf der Aussenseite mit liegenden nackten Eänder-
gestalten geschmückt, und mit abgebrochenem Fusse, zeigt im Inneren die Dar-
stellung eines Zimmers, durch dessen Fenster der blaue Himmel blickt. Links
vom Beschauer kniet eine Frau vor einem Kamin, um das bereits hell brennende
Feuer noch mehr zu schüren; daneben sitzt ein kleiner Hund. Im Hintergrunde
Fig. 272. Entbindung im Stehen, dargesteUt auf einer Franenschale, MaJoUca, des 16. Jahrhunderts
aus Urbino. Im Besitze des kgl. Kunstgewerbe-Museums in Berlin. (Nach Photographie.)
rechts wird von einer Frau das Bett zurecht gemacht. In der Mitte des Bildes
steht eine Frau, die Kreissende, in vollem Anzüge, aber mit blossen Füssen auf-
recht, die Hände halb erhoben. Sie wird von hinten her von zwei ebenfalls
stehenden Frauen unter den Armen gestützt. Vor ihr sitzt auf einem Stuhle, dem
Beschauer den Kücken kehrend, eine Frau, welche die Hebanunendienste verrichtet
und ihre Hände unter den Kleidern der stehenden Kreissenden hat. Eine siebente
Frau endlich streckt der Kreissenden von rechts her die Hände entgegen. Hier
ist eine Entbindung im Stehen dargestellt.
Die zweite Schale (Fig. 273) ist becherförmig, mit ziemlich hohem Fuss;
sie ist aussen mit grotesken Thiergestalten im Geschmacke der italienischen
102 XLIII. Die Entwickelung der Geburtshülfe in den modernen Culturländem Europas.
Renaissance geschmückt, zwischen denen sich kleine Medaillonbilder befinden. Das
Innere der Schale zeigt nun ebenfalls eine Entbindangsscene, jedoch in etwas
roherer Zeichnung, als die Torige. Eine Dame sitzt auf einem Klappstuhl mit
geschweiften Seitenlehnen, ohne Bücklehne. Sie ist wie die vorige Kreissende
vollständig bekleidet. Von hinten her stützt sie unter den Armen, die Hände
seitlich auf ihre Brüste legend, ein hinter ihr stehender Page. Neben diesem,
linker Hand von der Frau, stehen zwei junge Frauen und links von diesen sieht
man ein aufgeschlagenes Bett. Gkknz im Vordergründe links vom Beschauer, rechts
von den Frauen hockt ein nacktes Kind auf der Erde und spielt mit einem Hunde.
Vor der sitzenden Frau kniet auf dem linken Knie, während das rechte aufgerichtet
ist, eine junge Weibsperson, welche, die Dienste der Hebamme verrichtend, ihre
Hände unter den Kleidern der Frau verborgen hat.
Diese Abbildungen sind für uns sowohl in medicinischer, als auch in cultur-
geschichtlicher Beziehung in hohem Grade lehrreich. In ersterer Hinsicht zeigen
sie, dass in damaliger Zeit in Ita-
lien nicht immer die gleiche Posi-
tion für die Kreissende gebräuchlich
war, sondern dass verschiedene Stel-
lungen in Anwendung gezogen wur-
den. Die Entbindung auf dem Stuhle
hatte, wie uns Abbildungen aus
etwas späterer Zeit lehren, auch in
dem übrigen civilisirten Europa
eine weite Verbreitung. Aber wir
sehen in unserer Schale doch einen
recht erheblichen Unterschied. Die
genannten Abbildungen führen uns
nämlich, ganz wie die Zeichnung
der ersten Schale, die Hebamme vor
der Kreissenden auf einem Stuhle
sitzend vor, während auf dem Bilde
der zweiten Schale sie auf der Erde
knieend ihre Hantirungen ausführt.
Fig. 273. Entbindung im Sitzen, dargesteUt auf einer Das ist etwas gänzlich NeueS, WO-
Frauenschale, Majolica, des 16. Jahrhunderts aus Ur- xs« • i^ • j anderpn Vollrpm
bino. Im Besitze des kgl. Kunstgewerbe -Museums in t^^ ^^^ "®^ ^®f anaeren VOlKem
Berlin. (Nach Photographie.) Jjjuropas gar keme Analogien be-
sitzen.
Gulturgeschichtlich lehrt uns die erste Schale, dass eine grosse ßesellschaft
von Weibern sich um die Kreissende zu schaffen machte; ganz ähnlich sehen wir
dieses auch in den ungefähr gleichzeitigen Darstellungen von Wochenstuben. Aber
wie wenig in der damaligen Zeit die Entbindungen das Licht der OeffentUchkeit
zu scheuen pflegten, das erkennen wir aus dem Bilde der zweiten Schale, wo der
Scene einerseits ein spielendes Kind beiwohnt und andererseits ein junger Page
sogar mit einem höchst wichtigen Assistentenposten betraut ist. Aeholiche Schalen
sollen sich in dem South Kensington Museum in London befinden, jedoch
sind dem Herausgeber Beproductionen derselben nicht bekannt.
274. Die EntwickelnDg der Oebartshfllfe in Deutschland and der Schweiz
im Mittelalter.
Wenn wir in diesem Abschnitte die Entwickelung der Geburtshülfe in der
Schweiz gemeinschaftlich mit derjenigen in Deutschland betrachten, so hat
das seinen Grund darin, dass namentlich in dem späteren Mittelalter und in dem
274. Die Entwickeliing der Geburtshülfe in Deutechland u. d. Schweiz im Mittelalter. 103
15. bis 17. Jahrhundert die culturelle Entwickelang dieser beiden benachbarten
Länder in medicinischer Beziehung eine grosse Uebereinstimmung zeigte.
Was die Vorzeit des deutschen Volkes anbetrifft, so entzieht sich das
damalige Hebanunenwesen unserer Eenntniss, nur thun wir wohl nicht unrecht,
wenn wir annehn^en, dass die uns von Tacitus und anderen romischen Schrift-
stellern gerühmte kräftige Körperbeschaffenheit der deutschen Frauen keine be-
sonderen HQifsleistungen bei dem ßeburtsacte nothwendig gemacht habe. Der
Dienst und die Hülfe bei den Geburten hat sich von den Leistungen der helfen-
den Weiber bei den jetzt lebenden Naturvölkern wohl nur wenig unterschieden. Die
Geburt stand,, wie man glaubte, in der Hand der Göttin Freya; die weisen, des
Zaubers kundigen Frauen beschworen und besprachen die allzu grossen Schmerzen
der Kreissenden; schliesslich beschränkte sich die ^lechanische Hülfe gewiss nur
auf das „Heben'' oder Empfangen, auf das Abnabeln und die weitere Behandlung
des Kindes.
In den alten Dichtungen der germanischen Völker kommt nur wenig
hierauf Bezügliches vor. Wir treffen aber in der Edda als ein übernatürliches
Mittel zur Beförderung der Entbindung Mimes Baum, den weder Feuer noch
Schwert schädigt. Es heisst dort:
„Non, Vielgetoandt, was ich Dich fragen wollte,
Ich wünschte zu wissen:
Was wirkt der Berühmte, wenn weder Feuer
Noch Schwert ihn schädigt?"
Die Antwort lautet:
«Vor Weibern bring', die gebären wollen,
Seine Frucht ins Feuer:
Was drinnen sonst bliebe, drängt sich hervor;
So mehrt er die Menschen.*
Aus einem anderen Qesange der Edda geht deutlich hervor, was für eine
Rolle in der damaligen Zeit die Frauen spielten, welche sich auf die Hebammen-
kunst verstanden. Das ist „Oddrun's Klage*"; Wühelm Jordan übersetzt diese
folgendermaassen:
Ich hörte melden in alten Mären,
Wie eine Maid gen Morgenland kommen.
Niemand im Staube hienieden verstand es.
Hebend zu helfen der Tochter Haderich^s.
Oddrun erfuhr es, EtzeVs Schwester,
Dass die Jungfrau jammre in jähen GeburtsweVn.
Da zog sie rasch den gezäumten Rappen
Hervor aus dem Stall und stieg in den Sattel.
Auf stäubender Strasse, gestreckten Laufes
Kam sie zur herrlich ragenden Halle,
Und hastig den hungrigen Hengst entsattelnd
Durchschritt sie des Saals unabsehbare Länge,
Und das war der Ausruf, mit dem sie anhub: ^
Was ist hier im Reiche am meisten ruchbar
Und lustig zu hOren im Lande der Hunnen?
Borgny sprach:
Borgny liegt hier in schweren Geburtsweh'n :
Dich, Oddrun, bittet die Freundin um Beistand.
Oddrun:
Welcher der Fürsten war Dein Verführer?
Weswegen liegt Borgny in bittem Weh'n?
104 XLIII. Die Entwickelung der GeburtshOlfe in den modernen Galturländem Europas.
Borgny:
Wilmud heisst der den Falknern liold ist,
Warm gebettet hat er die Buhle
Der Winter ftnf ohne Wissen des Vaters.
Nicht mochten sie, mein' ich, mehr noch sprechen.
Milden Gemüths vor des Mädchens Enieen
Setzte sich Oddrun, und nun sang Oddrun
Wirksame Weisen, gewaltige Weisen
Der gebärenden Borgny zum Beistande zu.
Laufen alsbald, dass der Boden erbebte,
Konnten die Kinder, Knaben wie Mädchen u. s. w.
Nach YoUbrachter Entbindung dankt Borgny fflr die geleisteten Dienste:
So mOgen Dir helfen huldreiche Mächte,
Frigg und Freya und andere Äsen,
Wie Du mir den Leib vom Verderben erlöset.
Oddrun:
Fürwahr, nicht dieweü Du dessen würdig,
Neigt* ich mich nieder, aus Noth Dir zu helfen,
Nur mein Gelübde hab* ich geleistet.
Das ich anderwärts aussprach: allerorten
Beistand zu bieten (gebärenden Frauen),
Als hier das Erbe die Edlinge theilten.
Jordan meint, dass der Eingang dieses Liedes ein Rest von einem ger-
manischen Mythus sei, der urverwandt und im Kern identisch ist mit dem
griechischen von der Leto und ihren beiden Zwillingskindem ApöUon und
Artemis. Er setzt die Oddrun gleich der Eüeithyia als Geburtshelferin; den
Namen Oddrun setzt er mit dem Wort Oddr^ Speer, Dolch, scharfe Spitze
in Beziehung als Ausdruck der heftigen Gemüths- und Eorperschmerzen, welche
die Kreissenden erleiden ; auch könnte man vielleicht Oddrun fttr den entsprechen-
den Namen der Gemahlin des Odin halten. Auch erinnert er daran, dass Borgny
ebenso wie Leto „verborgen" bedeute.
Uns interessirt es nun hauptsächlich, dass das Lied manche Aufschlüsse über
das Hebammen wesen der Alten giebt. Zunächst geht aus demselben hervor, dass
die germanischen Völker, welcheu das Lied angehört, wussten, wie sehr es in
dem Lande der Hunnen, das hier Morgenland genannt wird, an verständigen
Hebammen fehlte. Hiermit ist jedoch nicht das Hunnenreich an der Donau
gemeint, sondern das echtdeutsche Hunen-Land, das am Nieder-Bhein lag,
in der Nähe des Franken- Landes; ftir dieses letztere lag es gegen Morgen,
ebenso, wie fflr das Burgunder- Land. In dier Edda und in der W'öUunga-^s^Q
ist Sigurd^s deutsche Heimath als Huna-Land bezeichnet. Die zufallige Aehn-
lichkeit der Namen veranlasste die Verwechselung mit dem Hunnen-Reiche.
Also spielt jene Scene, die das Lied schildert, mitten in Deutschland.
Aus weiter Feme muss dort eine befreundete Frau, die mit der Sache Be-
scheid weiss, und sich derselben geweiht hat, reitend zu der Gebärenden eilen.
Hier angekommen, orientirt sie sich mit zwei Fragen über den Sachverhalt und
geht dann, ohne Weiteres zu sprechen, zu der Leistung des Beistandes über: sie
setzt sich vor die Kniee der Kreissenden und singt Weisen, welche die Wirkung
haben, dass sie die Geburt befördern.
Interessant fflr den Geburtshelfer ist femer, dass das Lied die damals übliche
Körperstellung andeutet, welche die Hebammen wahrend der Entbindung ein-
nahmen. Sie setzte sich vor des Mädchens Kniee: und später neigt sie sich zu
ihr nieder. Die wirksamen Weisen, welche sie der Gebärenden zum Beistande
singt, sind jedenfalls Beschwörungs- und Zauberformeln gewesen.
.,Bre-
274. Die Entwickelung der Geburtshülfe in Deutschland u. d. Schweiz im Mittelalter. 105
Wie schon au einer früheren Stelle erwähnt wurde, studirten die Aerzie
im Mittelalter auch in Deutschland ausser den medicinischen Werken des Alter-
thums namentlich diejenigen der arabischen Schriftsteller. Einen erheblichen
Nutzen für die Geburtskunde werden sie wohl kaum daraus gezogen haben, da
ihnen ja auch die Hauptsache dazu fehlte, nämlich die Gelegenheit zu der prak-
tischen Ausübung der geburtshülf liehen Handgriffe. Dabei herrschte, wie auf
allen Gebieten, so auch in der Medicin ein crasser Aberglaube, der sich in den
Schriften der damaligen Zeit in den verschiedensten Formen widerspiegelt. Dahin
gehört unter anderen das in Hexametern verfasste Receptbuch des Quintas Sere-
nus Samonicus. Eine sehr grosse Bedeutung gewann das Werk des Dominikaners
Albert von BoUstädt: „De secretis mulierum". Bekannt ist der aus Schwaben
stammende Verfasser unter dem Namen Albertus Magnus (1193 — 1280). Sein
Werk ist eine Compilation aus Aristoteles y Avicenna und Anderen; es wurde in
das Deutsche übersetzt und gewann eine ausserordentlich grosse Verbreitung.
Auch heute noch ist in dem deutschen Landvolke dasselbe immer noch in
hohem Ansehen.
Aus der Feder des Arnold von Viüanova (1235 — 1812) erschien ein
viarium^S das schon sehr verständige Angaben
über geburtshülfliche Verhältnisse enthielt, nament-
lich über die falschen Kindeslagen und ihre Be-
seitigung durch die Wendung auf den Kopf oder
auf die Füsse, über die Gefahren bei dem Zurück-
bleiben der Nachgeburt und über die Ausziehung
des abgestorbenen Kindes. Er trat auch sehr
energisch gegen den Missbrauch der abergläubi-
schen Mittel, der Incantatoria oder Beschwörungen
auf, welche er als gottlos bezeichnete. Bei der
damals noch herrschenden Geistesrichtung ist er
natürlicher Weise nicht im Stande gewesen, die-
selben erfolgreich zu bekämpfen. Der Prämon-
stratenser Thomas aus Breslau und Andere be-
kannten sich als eifrige Anhänger des Arnold
auf medicinischem Gebiete.
Auch die oben erwähnten Schriften der
Italiener JFrancesco di Fiedimonte, Niccoh
Foicucci und Savonarola waren nicht ohne Ein-
fluss auf die Aerzte in Deutschland. So lehnte
sich das Wissen und Können der deutschen
Aerzte auf diesem Gebiete an Ausländisches an.
Die geburtshülfliche^ Praxis lag in jenen
Händen der Hebammen. ~" "
Fig. 274. Unterricht in der Geburtshülfe.
Miniature aus dem 15. Jahrhundert.
(Nach Choulant.)
Zeiten aber nicht allein in den
Dieselben hatten vielmehr das Vertrauen, welches sie in
dem Volke genossen, auch noch mit anderen höchst fragwürdigen Elementen zu
theilen. So musste noch im Jahre 1580 der Herzog Ludwig von Württemberg
durch eigenen Erlass den Schäfern und Hirten das Entbinden verbieten.
Die Grossen und Vornehmen verschrieben im 16. Jahrhundert für ihre
Frauen sogar gute Hebammen aus weiter Feme. Der letzte Hochmeister des
Deutsch ritt er- Ordens, der nachherige Herzog Alhrecht von Freussen^ bezog aus
Nürnberg für seine Gemahlin eine Hebamme. (Voigt.)
„Vorurtheile," sagt v. Siehold ^ „welche gegen die von Männern ausgeübte
Geburtshülfe stattfanden, trugen wohl das Ihrige mit dazu bei, das Fach auf einer
niederen Stufe zu erhalten, indem dadurch den Aerzten und Chirurgen die Ge-
legenheit genommen wurde, auf dem Felde der Erfahrung Bereicherungen fttr die
Geburtshülfe zu sammeln. Wurden sie in Fällen, welche die Hebammen nicht
beseitigen konnten, hinzugerufen, so waren solche wenig zu der Anwendung
106 XLIII. Die Entwickelimg der Geburiehülfe in den modernen Cultarlftndem Europas.
humaner Hülfe geeignet, sondern forderten gewiss nur zu den rohesten, Kinder
zerstörenden Operationen auf/^ Die Aerzte waren aber selber daran schuld, denn
nicht Wenige hielten es unter ihrer Würde, an dem Geburtsbette handgreifliche
Hülfe zu leisten.
Ein Arzt, der ein gelehrtes Werk über Gjn&kologie und Geburtshülfe schrieb,
der Portugiese Bod, a Castro in Hamburg (1594), sagt in seinem Buche mit
dürren Worten: „Haec ars viros dedecet/^ und schon kurz zuTor hatte in Frank-
reich Le Bon^ welcher ebenfalls ohne praktische Erfahrung ein Buch über die
Geburtshülfe yerfasste, die Forderung gestellt, dass die Hebamme, wenn ihre
Weisheit zu Ende sei, nicht den Arzt, sondern einen Chirurgen zuziehen solle.
So befand sich denn eigentlich die praktische Geburtshülfe nur in den Händen
der Hebammen und jener Wundärzte, deren Kunst und Wissenschaft häufig eine
noch äusserst geringe war.
Es muss jedoch ein geburtshülflicher Unterricht schon früher stattgefanden
haben. Wir ersehen dieses aus den mit Miniaturen geschmückten Initialen einer
Pergamenthandschrift des Gcdenus der königlichen Bibliothek zu Dresden, welche
Choulant besprochen hat. Dieselbe ist in Belgien und zwar wahrscheinlich in
Brüssel im Anfange des 15. Jahrhunderts geschrieben. Eine dieser Miniaturen
(Fig. 274) stellt einen auf einem Stuhle sitzenden Lehrer und zwei zur Seite
stehende Schüler dar. Aaf den Lehrer schreitet eine vollständig nackte hoch-
schwangere Frau mit langherabhängenden goldblonden Haaren zu, über welche
der Lehrer, wie aus der Haltung seiner Hände ersichtlich ist, unstreitig einen
wissenschaftlich demonstratiren Vortrag hält.
275. Die Entwlckelung der Geburtshülfe In Deutschland und der Schweiz
während des 16. Jahrhunderts.
Von dem 16. Jahrhundert an vermögen wir eine recht günstige Wendung
zum Besseren zu erkennen. Schon erfahren wir von Geburtshelfern, welche von
der Bevölkerung hochgeschätzt wurden und welche dort erfolgreich eingriffen, wo
die Hülfe der Hebammen nicht ausreichen wollte. Ein bedeutisames Beispiel hier-
für trug sich im Jahre 1516 in Freiburg in der Schweiz zu: Der aus Württem-
berg stammende Arzt Alexander Zite (auch Seite ^ Sye, Seie geschrieben) hatte
in Baden (Canton Aargau) prakticirt, sich aber durch die „Verläumdung^' der
Eidgenossen beim Herzog Ulrich von Württemberg bei der R^erung von
Freiburg missliebig gemacht. Diese wies ihn daher aus der Eidgenossenschaft
durch Verbannung aus. Allein in der ersten halben Stunde nach seiner Ver-
haftung kam eine Kreissende in Baden nieder, und zwar war dieser Geburtsfall
ein so schwieriger, dass die anwesenden Frauen nicht glaubten, dass die Kreissende
mit dem Leben davon kommen würde. Sie wendeten sich daher an den Land-
voigt mit der Bitte, den oft bewährten Geburtshelfer freizulassen, damit er helfend
eingreifen hönne, und dieses wurde ihnen dann auch bewilligt. Zitz wurde also
zurückgerufen und führte die Entbindung glücklich zu Ende. Nunmehr thaten
sich die Damen von Baden zusammen und richteten eine Eingabe an die Re-
gierung mit der Bitte, den kunsterfahrenen Mann aus der Schweiz nicht weg-
ziehen zu lassen, sondern ihm wenigstens zu erlauben, sich zu verantworten und
ihm auch in dem Falle zu verzeihen, dass er wirklich etwas Strafbares begangen
habe. (Meyer-Ahrens.)
Auch in Bezug auf das Gewerbe der Hebammen haben wir mit dem Be-
ginne der Neuzeit ein Paar wichtige Verbesserungen zu verzeichnen. Die eine
derselben besteht darin, dass allmäUich für sie Besoldungen aus dem öffentlichen
Säckel zur Verfügung gestellt werden; die andere bildet die Ausarbeitung be-
sonderer Hebammen-Ordnungen und die Bestimmung, dass die zur Niederlasisung
275. Die Entwickelung der Geburtahfllfe in Deutschland u. d. Schweiz im 16. Jahrhundert. ] 07
sich meldenden Frauen einer wissenschaftlichen Prüfung sich unterziehen müssen,
und dass bestimmte Aerzte beauftragt werden, ihnen den nothwendigen Unterricht
zu ertheilen. In der Mitte des 15. Jahrhunderts vermachte in Frankfurt am
Main Johann Leidemann seiner Vaterstadt ein Legat, aus dessen Ertragnissen
Hebammen entschädigt werden sollten, damit sie den Weibern der Armen bei der
Entbindung unentgeltliche Hülfe leisteten. In Folge dieses Legates wurde 1456
zum ersten Male eine Hebamme angestellt und mit 4 Gulden jährlich besoldet.
Diese Maassnahme scheint sich bewährt zu haben, denn schon im Jahre 1463
erfolgte die Anstellung einer zweiten Hebamme ; im Jahre 1479 waren deren schon
vier, welche mit je 2 Gulden besoldet wurden, und im Jahre 1488 war ihre Zahl
auf 5 gestiegen. Diese Hebammen waren damals sämmtlich in der Altstadt; sie
wurden „Stadt- Ammen' oder «des Rathes Ammen" genannt. Ausser ihnen gab
es nun aber natürlicher Weise auch noch andere Hebammen in der Stadt. Diese
bedurften für ihre Niederlassung einer beim Bathe einzuholenden Erlaubniss, wobei
ihnen mitunter auch gestattet wurde, dass sie sich vom Stadtpfarrer über die
Kanzel verkünden liessen. (Kriegk.)
Diese Einrichtung muss auch in anderen Städten Nachahmung gefunden
haben, denn wir treflfen im Jahre 1485 in Freiburg in der Schweiz schon vier
Stadt-Hebammen an, deren jeder ein Stadtviertel zugewiesen war. Sie erhielten
eine Besoldung von 49 Sons für das Jahr. Da man dort nicht immer die hin-
längliche Zahl geeigneter Individuen fand, und beispielsweise im Jahre 1491 nur
zwei besoldete Hebammen daselbst hatte, so scheint man als Erforderniss für den
Beruf schon damals eine besondere Qualität der Gandidatinnen verlangt zu haben.
Um das Jahr 1496 existirte in Basel ein Gomit^ von Frauen, welches die Heb-
ammen beaufsichtigte. Hierin lag schon der erste Keim zu einer erfreulichen
Besserung. (Meyer-Ahrens^.)
Eine Hebammen-Ordnimg hatte schon im Jahre 1451 die Stadtverwaltung
von Begensburg erlassen; auch ist darin bereits eine öffentliche Prüfung der
Bewerberinnen vorgeschrieben. Sie müssen sich unter Anderem verpflichten,
sogleich zu erscheinen, wenn sie gerufen werden. Die Oberau&icht über diese
Personen war auch hier „ehrbaren Frauen" übertragen.
In Frankfurt am Main wird eine Prüfung der Stadt- Hebammen durch
die Stadtärzte im Jahre 1491 erwähnt; die Prüfung der übrigen Hebammen be-
gann aber erst im Jahre 1499. (Kriegk) Eine solche Frankfurter Hebamme,
allerdings aus ein wenig späterer Zeit, haben wir in Fig. 236 kennen gelernt.
Auf dem Reichstage in Begensburg im Jahre 1532 gab Kaiser Karl V.
die Halsgerichtsordnung Carolina. In derselben heisst es Art. 35:
,Da dann die hebamm all ir vorbereitne Rüstung darzu dienlich, nützlich und gut,
bereit sol haben als den Kindstuhl, sch&rli, schwanun, nadlen und faden. **
Als eine günstige Folge der Aufsicht und Aufinerksamkeit, welche den Heb-
ammen jetzt von Seiten der städtischen Behörden zu Theil wurde, müssen wir es
betrachten, dass Aerzte dazu veranlasst wurden, geburtshülf liehe Lehrbücher für
die Hebammen zu verfassen. Auch wurde in einigen Städten sehr bald ein regel-
mässiger Hebammenunterricht eingeführt.
Die erste Instruction für die Hebammen datirt vom Jahre 1480 aus
Würzburg. Im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhimderts veranlasste Ccdharina
geborene Prinzessin von Sachsen und Wittwe des Herzogs Siegmund von
Oesterreich, später Qemahlin Erich' s /., Herzogs zu Braun schweig und Lüne-
burg, welche 1524 zu Qöttingen starb, den Dr. Eucharius Rösslin in Worms
(später in Frankfurt am Main), ein Lehrbuch für Hebammen zu verfassen.
Dasselbe wurde 1513 zu Worms gedruckt und es erlangte in kurzer Zeit eine
ausserordentlich weite Verbreitung. Das Buch bildet eine Zusammenstellung der
Lehren des Hippokrates, GdlenuSy Aetius^ Avicenna^ Albertus Magnus u. s. w. In
seiner Widmung an die Prinzessin Caiharina spricht der Verfasser die Bitte aus,
108 XLIII. Die EntwickelnBg der Geburtshülfe in den modernen Galiorlftndem Europas.
dass diese das Buch unter die ehrsamen schwangeren Frauen und Hebammen aus-
theilen lassen möchte.
Eucharius Boesdin's: «Schwangere Frawen und Hebammen Rosen-
garten' hat eine grosse Zahl Ton Auflagen erlebt. Der Verfasser suchte darin
auch die Unkenntniss und Fahrlässigkeit der Hebammen zu bekämpfen. Er schreibt:
Ich meyn die Hebammen alle sampt,
Die also gar kein wyssen handt.
Darzu durch yr Hynlessigkeit
Kynd verderben weit und breit.
Und handt so schlechten Fleiss gethon
Dass sie mit Ampt eyn Mort begon u. s. w.
— Hab ich mjr das zu Hertzen genommen
Gott zu Lob und uns zu frommen
Den armen Selen auch zu trost
Die damit werden hie erlost
Und nit so vil Mort wurd geschehen
Als oft und dick ichs hab gesehen u« s. w.
Das Beispiel der Prinzessin Catharina fand Nachahmung. Zwei Vorsteher
der obersten Ghirurgengesellschaft in Zürich, die Meister Joerg Müller und
Rudolf CloteTj veranlassten den Steinschneider Jacob Euff oder Rueff^ mit dem
gemeinsam ihnen der Unterricht und die Prüfung der Hebammen übertragen
war, einen populären Leitfaden für Hebammen, Schwangere und Wöchnerinnen
auszuarbeiten. iZti^/f vollendete diesen im Jahre 1554 und ersuchte den Bürgermeister,
das Buch sämmtlichen Hebammen und pflegenden Frauen in der Stadt und auf
der Landschaft zu schicken. (Meyer-Ähren^.) In Rueff's Buch ist Manches für
die damalige Zeit klarer und deutlicher dargestellt, als in Bösslin's „Rosengarten^^
doch fehlt es in demselben, das ebenfalls viele Ausgaben erlebte, keineswegs an
Absurditäten und Aberglauben.
Diese Verfasser nämlich und die ihnen nachschreibenden Autoren von Heb-
ammenbüchern hatten selbst keine genügenden Erfahrungen am Geburtsbette
sammeln können. Es blieb ihnen daher, wie v. Siebold bemerkt, nichts anderes
übrig, als sich theils nach den Aussagen der Hebammen und der Darstellung
ihrer Vorgänger, welche aus denselben Quellen geschöpft hatten, zu richten, theils
nach eigenen Erfindungen diese Bücher auszuschmücken. Danach kann man den
geringen wissenschaftlichen Werth eines solchen Buches ermessen. Immerhin sind
trotz ihrer Schwächen diese Werke von nicht geringer Bedeutung für die Ent-
wicklung des deutschen Hebammenwesens. Denn in praktischer Hinsicht wurde
Rösslin's Werk von einem sehr weittragenden Einfluss, und zu der theoretischen
Belehrung und Aufklärung der deutschen Hebammen hat es nicht unerheblich
beigetragen.
Mit dem Erscheinen dieser Bücher beginnt in Deutschland die Einmischung
der Aerzte in das Geschäft der Geburtshülfe. Für uns sind sie die Quellen zur
Erkenntniss der Anschauungs- und Behandlungsweise, welche unter den Hebammen
Deutschlands zu jener Zeit herrschte. Eine wirkliche Verbesserung des Heb-
ammenwesens in Deutschland konnte freilich erst durch den weiteren Ausbau
der Hebammenordnungen und vor Allem durch die Errichtung guter Heb-
ammenanstalten in befriedigender Weise erreicht werden.
Es zeugt aber schon von einem erheblichen Fortschritte, wenn Walter Ry/f *)
im Jahre 1545 davon spricht, dass den Hebammen von erfahrenen Aerzten der
*) Eeiff, auch Byff, Bivius, Riif, Biffus darf nicht mit Jacob Bueff verwechselt werden.
Nach HäUer und Gessner wurde er wegen schlechter Streiche aus verschiedenen Städten aus-
gewiesen. In seinem «Frawen Rosengarten* erscheint er als Plagiator. Julius Beer
(Das Hebammenwesen im Mittelalter im Reflex des Alterthums und unserer Zeit, Deutsche
Klinik 1862, No. 84, S. 880) schreibt ihn ßüschlich „Buff".
275. Die Entwickeloiig der Geburtshülfe in Deutschland u. d. Schweiz im 16. Jahrhundert 1 09
Unterricht ertheilt werde und wenn er fbr die Städte die Anstellung yon ge-
schworenen Hebammen befürwortet. Dahingegen erklärte wie gesagt der Leibarzt
des Königs Karl IX., Joh. Le Bon^ in seinem Büchlein »Therapia gravidarum' 1577
die Ausübung der Geburtshülfe für ein den Mann schändendes Geschäft.
Auch in Ulm, Nürnberg u. s. w. finden wir schon im 16. Jahrhundert
ein geordnetes Hebammen wesen: In Ulm wurden die Hebammen nach erhaltenem
Unterricht vom Physikus geprüft und dann erst zugelassen, auch lag ihnen dort,
wie an anderen Orten, die gesnndheitspolizeiliche Aufsicht über die Frauen (Pro-
stituirte) in den Frauenhäusem (Bordellen) ob.
In Zürich hatte bis zum Jahre 1554 Jacob Sueff die Aufgabe, jährlich
einige Male mit noch einigen anderen Herren die Hebammen zu „verhören^^ Jetzt
aber erhielt der Stadtarzt Conrad Gessner^ der berühmte Naturforscher, in einer
Pflichtordnung, welche ihm für die Besorgung der Stadtarztschule ertheUt wurde,
den Befehl, die Unterweisung und Prüfung der Hebammen zu übernehmen: „Des-
gleichen sol Er ouch die Hebammen zu allen Fronfasten, wanü die Verordneten
Ihn berüfiPend ald gebietend, Sie zu behören (prüfen), examiniren und underrichten
nach seinem besten Vermögen/^ Die Befähigung Gessner's zum Hebanunenunter-
richt war gewiss eine sehr geringe, denn ihm selbst fehlte die Erfahrung in der
Geburtshülfe. Dieser Unterricht bestand darin, dass der Inhalt eines Hebammen-
katechismus Yon den Hebammen hergesagt werden musste, der, wie es scheint,
schon um das Jahr 1536 benutzt worden war; er findet sich abgedruckt in
Johannes Muralfs
„Kinder-Büchlein oder Wohlbegründeter Unterricht, Wie sich die Wehe Mattem und
Wartherinnen gegen schwangeren Weibern in der Geburt, gegen denen Jungen Kindern und
Säuglingen aber nach der Gebührt zu verhalten haben/ (Zürich 1689.)
Ausser diesem Katechismus benutzten die Züricher Hebammen noch Rueff's
Hebammenbuch, wurden auch über ein Kapitel dieses Werkes geprüft und waren
verpflichtet, bei jeder Geburt womöglich das dritte Buch desselben während der
ersten Qeburtsperiode durch eine wohlbelesene Frau vorlesen zu lassen. {Meyer-
Ährens^.)
Wir wollen als Beispiel aus diesem Katechismus wenigstens eine Frage und
Antwort vorfuhren. Der Stadt-Arzt oder Doctor fragt:
,So aber die Wasser gangen vnd gebrochen von den Frawen rünnend oder fliessend
vnd das Kind mit dem Häutlein vnd seinem mund gespührt vnd gemerckt wird, welches
natürlich vnd recht ist, was ist dann £uwer Amt und Handtwürckung?*^
Die Hebanmie antwortet:
„So ich die gewüsse Zeiit vnd rechte Kindswehe gemerckt, gespührt vnd erlehmet hab,
so tröst ich die Frauw mit gelehrten und geschickten werten vnd ermannen Sie zu der Arbeit
trostlich vnd tapfer zu sein, Ich thun auch solches gegen den andern Frauwen, was Ihr amt
vnd arbeit sein solle, demnach heiss Ich die Frauwen allesammen Nider Kneuen, vnd Gott
den allmächtigen bäten vnd anruffen, so es die Zeit erleiden mag mit einem andächtigen
Vatervnser, damit er vns geben wolle vnd mittheilen Hilff trost vnd gnad mit einer glück-
hafftigen stund, vnd wie bald wir gebättet band vnd aufgestanden, heiss Ich im nammen
Gottes die Fraaw auf den Kindsstuhl sitzen, der vns dazu verordnet ist worden, vnd so sie
ordentlich vnd geschicklich gesetzt ist, zu meinem vortheil vnd die schwanger Fraw willig
ist, so ordnen Ich eine Frauw binden zu der Frauwen mit Ihren armen Schlagen vnd um-
geben vnd höfflich mit den bänden zu der Zeit, den Kinds vnd durchschneidenden Wehen
nach nid sich streichen vnd sänffbiglich trucken, dass Ich Sie dann als zu lehren schuldig vnd
Pflichtig bin, demnach ordnen Ich noch zwo Frauwen eine zur lingken, die ander zu der
rechten selten, die der Frauwen zusprächend, vnd Sie freundlich zu der arbeith ermahnend,
damit wo Ich Ihren bedörffe, Sie auch helffen können, vnd so Ich die Schwangeren Frauwen,
ordentlich und wol mit weibem versehen vnd versorget, so salb ich meine händ mit weissem
gilgenöl vnd suess Mandelöl gleich undereinanderen vermischt ouch Hünerschmaltz, demnach
greiff Ich mit meinen Fingern zu der Frauwen, vnd erfahr, wie das Kindlein geschieben liege,
auch wie der inner weg der Bärmutter gegen den vorderen Leib gericht, vnd bereit seige,
wo sich das Kind ansetzen werde, damit Ich in der g^edi nach im durchschneiden des Kindes
110 XLin. Die Entwickelung der Gebartshülfe in den modernen Goltarlftndern EnropaB.
leichtlich zu dem aussgang helffen möge mit böfflicbem Streichen, vnd umbgriffen dess Kindes
vnd so mir dass Eindlein also werden mag, so empfach leb dass also vnd lass es also mit
der Hilflf Gottes werden* u. s. w.
In Frankfurt am Main veröffentlichte im Jahre 1573 Adam Lonicerus die
erste üebammenordnung fBr diese Stadt:
, Reformation oder Ordnung für die Hebammen, Allen guten Polizeyen dienlicb.
Gestellt an einen Erbaren Rath des Heiligen Reichs Statt Frankfurt^ amMayn, durch
Adamum Lonieerumj Medicum Physikum daselbst. 1578 Gedruckt zu Frankfurt a/M.
bei Christian Egenolff's Erben, in Verlegung Doct Ad, Lanioeri, M. Joan. Knipy und
P. Steinmeyer^
Als ein Beispiel ihres Stiles möge hier das erste Kapitel folgen:
«Von erwehlung der Person der Ammen."
«Dieweil wir alle durch den schmerzen, von wegen des ersten falls und auferlegten
«Fluchs geboren werden, und nicht weniger unraths (Unheils) in der Geburt, nicht allein der
, Mutter, sondern auch der Frucht, durch Ungeschicklichkeit und Zuweilen auch durch bossheit
«etlicher Ammen wiederfahren kann. Soll man billich zur erwehlung der Ammen fleissig
«achtung und auffsehens haben, Als nehmlich: Es soll diejenige, welche zu einer Ammen auf-
«genommen wird, eine Erbare Gottesfürchtige Fraw seyn, eines ehrlichen Lebens, guter sitten
«und geberden, nüchtern, erbarer Grestalt von angesicht, glidm&Asiges Leibs, sonderlich gerade
«gelenck Hende haben, damit sie fertig und geschicklich mit der Geburt umbgehen möge.
«Nicht hassig, nicht zänkisch, nicht neidisch, nicht frech, nicht hofferdig, nicht trotzig oder
«bollerig und mürrisch mit Worten, Sondern freundlich, sanfftmüthig, tröstlich Sol auch ge-
«herzt und kurzweiliges gespreches sein, dass sie den verzagten und kleinmüthigen nach not-
«turfft köndte zureden, ünnd sie lustig und geherzt zur arbeit machen, unndt im Fall der
«not trOsten möge. Sie soll auch eine Zeit lang sich za andern Ammen gehalten haben, dass
«Bie in allen zuföllen, so sich bei den geberenden zutragen mögen, guten Bericht und erfahrung
«habe, unnd schnellen rath in gef&hrlichen Fällen zu geben wisse.*
Wir erfahren hieraus, wie man sich zu jener Zeit das Ideal einer Weibs-
person vorstellte, welche ftir den Hebammendienst geeignet sein sollte. Wir sehen
aber anch, dass man es damals zu der praktischen und wissenschaftlichen Aus-
bildung einer Hebamme fftr genügend hielt, dass sie sich eine Zeit lang zu anderen
Hebammen gehalten habe. Im üebrigen ist die Hebammen-Ordnung des Lonicerus
im zweiten Theile eine Art Lehrbuch für Hebanmien und unterscheidet sich in
den Lehrsätzen über die Pflege in der Schwangerschaft, der Geburt und dem
Wochenbett nur wenig von BössUn's, Bueff's u. s. w. Hebammenbüchem. Im
fünften Kapitel enthält das Buch verschiedene „Fragstück^^ an die Ammen: „Wie
sie thun, wann das Kind widersinnig zur Geburt kompt"; „So das Kind Überzwerg
und über ein seit liegt" u. s. w. Die Prüfungen der Hebammen wurden vor der
„verordneten Matronen^^ abgelegt, und alle schweren geburtshülflichen Falle waren
den Hebammen oder einem Concilium derselben überlassen.
Der Vollständigkeit wegen führen wir noch an, dass in Hamburg eine
Rathshebamme zum ersten Male im Jahre 1534 erwähnt wird. Sie wohnte nach
Ausweis der Stadtrechnungen gratis in dem Keller unter der Bathsapotheke.
(Gemet.)
Die Hebammen-Ordnung von Passau 1547 bestimmt schon eine Prüfung
durch den Physikus. {Frank^ Seit dieser Zeit wurde die Abhängigkeit der An-
stellung als Hebamme von der Ablegung einer Prüfung vor den Stadtärzten in
Deutschland und der Schweiz immer allgemeiner.
Dagegen war noch im Jahre 1653 zu Leipzig üblich, dass die Gattin des
Bürgermeisters die Wahl und Prüfung vornahm; denn es heisst in dem Werke
des Leipziger Professors Welsch:
„Meins wenigen Eracbtens aber ist bei dergleichen Wahl und Examen zweierlei zu be-
achten: erstlich wem dasselbe aufzutragen, und zum andern, wie und auf was Weise es an-
gestellet, und was darbei vorgenommen werden soll? Was das erste belangt, so ist*s auch
bei dieser Löblichen Stadt wohl hergebracht, dass solche Wahl und Examen der Eindermfitter
275. Die Entwickelang der Gebortshülfe in Deatschland u. d. Schweiz im 16. Jahrhundert. 1 1 1
denen Bürgermeisters Weibern heimgegeben und aufgetragen wird. Wie nun ein jedweder
guter Bflrgermeister allezeit dahin bemühet ist, dass Er, als allgemeiner Stadt-Vater, die
Wohlfahrt seiner Bürger, Vermögens nach, sucht und beobachtet; also wird billig deroselben
Weibern die Vorsorge vor gute Kindermütter, weil einer ganzen Stadt merklich daran ge-
legen, aufgetragen, und ihnen freigestellt, ob sie solches vor sich, oder mit Zuziehung noch
anderer Erbaren, verständigen Weibern werkstellig machen wollen Und haben dieselben
hierbey dieses absonderlich zu bedenken, dass sie in Erwehlung einer Eindermutter ja mehr
auf Gottesfurcht, Verstand und Geschicklichkeit, als auf Gunst, und dass eine oder die andere
etwa bei ihnen gedient, oder sich sonst angeschmiegt, sehen; und ihnen hemachmals, wenn
Fig. 275. Deutsche Hebamme des 16. Jahrhunderts, einer Kreissenden beistehend.
(Ans Jacob Rueff,)
durch Verwahrlosung der unerfahrenen Kindermutter unglück geschiehet, keine Verantwortung
in ihrem Gewissen zuwachsen möge. Und weil diese Wahl kein Kinderspiel ist, und vieler
Ehrlichen Eheleute Freude und Leyd, Glück und Unglück darauf beruhet, so wäre es in
Wahrheit nicht zu widerrathen, dass zu dergleichen Wahl und Examen ein Medicus gezogen
und sein Rath und Gutachten von der Frau, so Kindermutter werden will, vernommen würde.*
Ein fernerer Fortschritt in der Entwickelung der Geburtshülfe vollzog sich
gegen Ende des 16. Jahrhunderts in München. Um den nöthigen Unterricht in
der Hebammenknnst zu ertheilen, wurde hier zum ersten Male in Deutschland
im Jahre 1589 eine 6ebärstube eingerichtet. Das geschah im Heiligen-Geist-
Spitale. (Hofier.)
112 XLIII. Die Entwickelung der Geburtshülfe in den modernen Goltarländem Europas.
Bildliche Darstellungen von Hebammen des 16. Jahrhunderts finden sich mehr-
fach in den Druckwerken der damaligen Zeit. Fig. 275 ist Rueffs Hebammen-
Buch vom Jahre 1581 entnommen, und wahrscheinlich ist diese Zeichnimg von
Hans Burgkmair entworfen worden. Die Hebanune sitzt auf einem niedrigen
Schemel vor der auf dem Gebärstuhle befindlichen Ereissenden, welche von zwei
Nachbarinnen unterstützt wird. Alles ist ftir den Empfang des Kindes vorbereitet.
Die Bütte zum Baden und die Wasserkanne stehen am Boden dicht neben den
Frauen; die Scheere zum Abnabeln und der £näuel zur Unterbindung sind auf
einem Tische zur Hand gelegt. Im Hintergrunde am Fenster sitzen zwei Männer,
welche den Mond und die Sterne betrachten und mit astrologischen Instrumenten
beschäftigt sind, dem neuen Weltbürger das Horoscop zu stellen. Die Hebamme
hat eine grosse Tasche und ihre geburtshülflichen Instrumente an einem Gürtel
um den Leib befestigt, aber sie sind vollständig auf das Gesäss geschoben, damit
sie bei der Entbindung nicht hinderlich sind. Eine kurze ärmellose Jacke hat
die Hebamme über ihr Kleid gezogen, dessen Aermel in die Höhe gestreift sind.
Auf dem Kopfe trägt sie eine absonderliche Haube, die an ein colossales Barett
erinnert.
Die obrigkeitliche Belehrung der Hebammen erstreckte sich nicht allein auf
die technischen Fertigkeiten, sondern sie hatte das ernstliche Bestreben, auch dem
gerade in diesem Stande noch tiefwurzelnden Aberglauben entgegenzutreten. So
heisst es beispielsweise in der Gothaischen Landesordnung (Beifügung Part 3 No. 32)
vom Aberglauben und Unterricht der Hebammen:
,Sie sollen Gottes Wort fleissig hören, das hoch würdige Abendmahl fleissig brauchen
und was sie gefasst und gelernt, zum Glauben und christlichen Leben anwenden. Hingegen
soll aber Aberglauben und Missbrauch Gottes Namens und Wortes (so wider das erste und
andere Gebot läuft), als da ist Segensprechen, Charakteren oder Buchstaben-Zeichen, sonder-
liche Geberden und Kreuzmachen, Ablösen des Näbeleins mit gewissen Fragen und Antworten,
Anhängen etlicher sonderbaren Dinge wider das abergläubische Berufen der Kinder, bespritzen
vor oder nach dem Bade, und dergleichen, nicht alleine an ihnen selbst gänzlich verboten
sein, sondern auch, wenn sie dergleichen unchristliches und tadelhafbes Beginnen an andern
Leuten vermerken, sollen sie dieselben ernstlich abmahnen, auch ebenfalls dem Pfarrer oder
Obrigkeit anzeigen.*
Auch die Augsburger Hebammen-Ordnung verbietet alles „Segensprechen,
unnütze Gewohnheiten und Sprüchlein, sündliche Gebräuche''. Sie fährt 4 lernende
und 9 besoldete geschworene Hebammen an. Dazu kamen die für die auswärts
wohnenden und die fürs „Bl^^^i^haus'' angestellte Hebamme und 4 „Fürerinnen^^;
auch gab es eine „Stadthebamme^^ Die Hebammen mussten ein „Hebammen-
schild^^ an ihrem Wohnhause aushängen; die „lemenden^^ durften jedoch das Stadt-
wappen nicht darauf anbringen. Der Hebammeneid war bei dem loblichen Bau-
amt zu leisten. (Birlinger.)
276. Die OeburtshUlfe in Deutschland und der Schweiz In der Neuzelt.
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erschien ein neues Hebammen-
lehrbuch aus der Feder der für ihre Zeit hochbedeutenden churfürstlich branden-
burgischen „Hof- Wehe-Mutter" Justine Siegemundin, Sie war die Tochter des
Pfarrers Elias Dittrich in Schlesien und sie hat nicht nur am Hofe des Ghur-
fürsten Friedrich Wühehn in Berlin, sondern auch an anderen Höfen durch
ihren Beistand gewirkt. Ihr Werk wurde der medicinischen Facultät zu Frank-
furt a. 0. zur üensur vorgelegt und erhielt am 28. März 1689 die Approbation;
dasselbe ist in Gesprächsform abgefasst und enthält bei aller Unzulänglichkeit
doch immerhin sehr verständige, auf guter Beobachtung beruhende Lehren. Ein
anderes, minder tüchtiges ünterrichtsbuch verfasste die Braunschweiger Stadt-
hebamme Anna Elisabeth Horenburgin (1700).
276. Die GeburUhülfe in DeaUchland und der Schweiz in der Neuzeit.
113
Der schon wiederholeDÜich erwähnte Medicin^r, welcher unter dem Pseudonym
des getreuen Eckarth eine Anzahl von Lehrbüchern in der Form eines Romanes
geschrieben hat, betheiligte sich K -nr^ "tTV _/r r/* —
auch in dieser Weise nicht un- \{^U ^XtyS^X\x(l^t
wesentlich an dem geburtshülflichen
Unterrichte in Deutschland. Er
veröfifentlichte im Jahre 1715 in
Leipzig:
.Des Getreuen EckarWs Un-
Torsicbtige Heb-Amme, In welcher
Wie eine Heb -Amme oder Kinder-
Mutter, die ihr Gewissen wohl in acht
nehmen will, beschaffen seyn, und wie
eie nebst dem erforderten Medice so-
wohl denen ünverheuratheten als Ver-
beuratheten und Kindern, in ihren Krank-
heiten und Zufällen getreulich beistehen
und helfen soll' u. s. w.
Der allgemeine Zustand des
Hebammenwesens in unserem deut-
schen Vaterlande wird auch hier
als noch ziemlich tiefstehend be-
zeichnet, und das Titelbild (Figur
276) führt eine Hebamme Tor,
welche irgend einen ausgerissenen
Körpertheil in der Hand hält. Zu
ihrer Seite steht ein Tisch, auf
welchem zwei nfeugeborene Kinder
liegen; dem einen ist ein Arm und
ein Bein, dem anderen sogar der
Kopf abgerissen. Ln Hintergrunde
des Zimmers sieht man ein Himmel-
bett und neben diesem hat eine
hochschwangere Frau auf einem
plumpen Gebärstuhle Platz ge-
nommen. Das dieses Titelkupfer
erklärende Gedicht beginnt mit den
Versen:
Fig. 276. Deutsche Volks-Hebamme ans dem Anfang
des 18. Jahrhunderts. Titelknpfer von des getreuen Eckarth^ $
unvorsichtiger Heb-Amme. 1715.
Schaut, Unvorsicbtigkeit muss hier den kürtzem ziehen,
Die Kinder-Mutter wird zur Kinder-Mörderin,
Dies Weib ist g^usamer als Strigen und Harpyen,
und giebt der Hecathe viel hundert Opffer hin.
Sie reist der schwängern Frau ein Stücke von der Mutter,
Von denen Kindern gar Haupt, Fuss und Armen ab.
Es qvält die Kreisenden der lAUth ünterfutter
Auf ihren Marter-Stuhl, und schicket sie ins Grab.
Ihre Gottlosigkeit wird aber nicht straflos bleiben, denn:
Das Auge Gottes hat die frevle That gesehen,
Obgleich mit Erde sind die Cörper zugedeckt,
Es wird ein schwer Gericht an ihr gewiss geschehen,
Das ihren frechen Geist mit Angst und Jammer schreckt
Aber es giebt doch glücklicher Weise auch Ausnahmen, denn:
Die Wehe-Mütter, so vor Gottes Zorn sich scheuen,
Thun alles mit Bedacht und mit Vorsichtigkeit,
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II.
114 XLIII. Die Entwickelang der Geburtahfllfe in den modernen Caltorl&ndem Europas.
Denn giebt zu ihrer Pflicht der HOchste sein Gedeyen,
Und ist mit Rath und That zu helffen stets bereit
Die so wie S^ra thun und Pua sich verhalten,
Und denen Kreisenden recht wissen beyzustehn,
Auch mit Nachsichtigkeit ihr schweres Amt verwalten,
Die werden Seegens voll von ihrer Arbeit gehn,
Gott wird Belohner sejn und ihnen Häuser bauen,
Und sie nach dieser Zeit mit tausend Lust erfrenn,
Wann jene noch allhier ihr Elend werden schauen,
Und dorten Ach und Weh aus vollem Halse schreyn.
Das Buch ist ebenso wie die verwandten Werke desselben Verfassers eine
reiche Fundgrube für die Gulturgeschichte und ein Spiegelbild von dem damaligen
Standpunkte des medicinischen Wissens und Könnens. Wir werden noch wieder-
holenÜich auf dasselbe zurückzukommen haben.
Den Zustand der Oeburtshdlfe in Deutschland während der Jahre 1710 bi»
1720 schildert Heister in der Vorrede zu seiner Chirurgie mit folgenden Worten:
,In den schweren Geburten der Frauen hatte man damals auch noch meistens Heb-
ammen, welche die Kinder, die natürlich und gut kommen, zu holen oder zu empfangen
wussten ; in schweren Fällen aber und unnatürlichen Lagen waren die meisten nicht nur von
diesen Frauen, sondern auch der Wundärzte in Wendung und Herausziehimg sehr schlecht
erfahren; wenn diese je was thun sollten oder thäten, so kamen sie mit Haken, und zerrissen
auf eine erbärmliche und erschreckliche Weise die Kinder im Mutterleibe in viele Stücken, die
sie, wenn sie behörige Wissenschaft daran gehabt hätten, noch sehr oft mit blossen Händen
wohl hätten bekommen können: und dadurch verhindern, dass nicht oft, wie geschehen, die
Gebärmutter der unglücklichen Frauen mit ihren Haken nebst den Kindern zugleich wären
zerrissen und ums Leben gebracht worden.*
Die ersten Anfange eines praktischen Unterrichtes in der Geburtshülfe haben
wir oben schon kennen gelernt. In grösserem Maassstabe wurde derselbe vom
Jahre 1728 ab in Strassburg ausgetibt, wo auch die erste geburtshülf liehe Klinik
begründet wurde.
Dann begann auf Anregung einsichtsvoller Aerzte sich der Staat um die
Verbesserung der Geburtshülfe zu bekümmern, während bis dahin fast nur die
Stadtgemeinden hierfür Sorge getragen hatten. In Oesterreich wurde die Heb-
ammenausbildung durch van Swieten 1748 eingeführt; 1774 wurde eine Pro-
fessur für theoretische Geburtshülfe in Wien gegründet; in Berlin datirt seit
1751, in Kopenhagen ebenfalls seit 1751, in Brüssel seit 1754 dieser
geburtshülfliche Unterricht.
Auf Grundlage der Ton Joseph Peter Frank in seinem «System einer voll-
ständigen medicinischen Polizei' (1784—1819; Suppl. 1823) aufgestellten Theorie eines
guten Hebammenwesens entstand die Gesetzgebung und das öffentliche Recht des
Hebammenwesens, ausgehend von den GoUegiis medicis.
Trotz dieser Fortschritte sah es zu Ende des vorigen Jahrhunderts in den
meisten Gegenden Deutschlands mit der geburtshülfiichen Praxis immer noch
seiir trübselig aus. Beispielsweise führen wir den Ausspruch eines westfälischen
Praktikers, des Dr. FinJce an:
,Zam Erstaunen gross ist die Abneigung unserer Frauen gegen einen Hebammen-
Meister. Man lässt es allezeit bis aufs Aeasserste kommen. Wird man noch in den ersten
24 Stunden gerufen, so heisst dies viel: gemeiniglich sind 36 Stunden wenigstens passirt.
Nun soll man denn auch gleich Wander thun. Ti'itt der Fall ein, dass man sich wegen Er-
müdung oder weil es unsere Kräfte übersteigt, einen Gehülfen ausbittet, so ist es schier, die
Sache gehe noch so gut ab, als sie wolle, mit unserem Credit aus; man sagt nicht: mensch-
liche Kräfte sind endlich, sind nicht die eines Stiers, sondern man sagt: wenn ich den
letzteren nur gleich hätte holen lassen, so wäre ersterer nicht nöthig gewesen : er muss das
Werk nicht verstehen. Hier zu Lande vereinigt sich Alles, was diese wohlthätige Kunst
bei denen, die sie ausüben, unangenehm und widerwärtig machen muss. Schnöder Undank,
schiefe Beurtheilung unwissender Menschen und Verläumdungen sind oft die einzigen Be-
276. Die Geburtshülfe in Deutschland und der Schweiz in der Neuzeit. 115
lohnungen för eine Eunstanwendung. die jeder Vernünftige schätzt, und die ich meinerseits
längst würde haben liegen lassen, wenn ich darüber mit meinem Gewissen nicht in einen
Streit gerathen wäre.'
Bis in das erste Jahrzehnt des laufenden Jahrhunderts besassen die Uni-
versitäten Leipzig und Wittenberg, wie das ganze Fürstenthum Sachsen,
noch keinen staatlich geordneten theoretischen und praktischen Hebammenunter-
richt. Nur einzelne incorporirte Landestheile, die Niederlausitz zuLübben und
das Domstift Merseburg, unterhielten lediglich für ihre Kreise kleine und mangel-
hafte Bildungsanstalten ftir Hebammen. Die Frauen, welche in Leipzig damals
sich dem Hebammendienst widmen wollten, hatten eine Zeit lang im städtischen
Krankenhause (Jacobshospitale) Pflegerinnendienste bei den dort vorkommenden
Geburten und Wochenbetten zu leisten; dabei genossen sie wöchentlich zwei Mal
eine Unterrichtsstunde beim „Stadthebearzt^^ und wurden dann nach erfolgter
Approbation durch denselben als „Beiweiber^^ zunächst den älteren Hebammen
zur Unterstützung und eventuellen Vertretung zugeordnet. Der Stadthebearzt
aber, dem der operative Beistand bei schweren Geburten, der Unterricht der
künftigen Hebammen, die Unterweisung der Wundärzte und Barbiergehülfen in
den gewohnlichen geburtshülflichen Verrichtungen oblag, hatte in Wien oder
Paris, in Holland oder England sich die erforderlichen Kenntnisse und Ge-
schicklichkeiten aneignen müssen, da ausserdem genügende Unterrichtsanstalten
fehlten. (Meissner.)
Aber bis in die neuere Zeit hinein vertrauen in vielen Gegenden Deutsch-
lands die niederen und ungebildeten Klassen das Wohl ihrer Frauen und Kinder
noch immer mit Vorliebe ungebildeten Frauenspersonen an. Die Thätigkeit solcher
Pfuscherinnen entzieht sich dem beobachtenden Auge der Aerzte. So bekennt
Goldschmidt^ welcher eine kleine Schrift: aDieVolksmedicin im nordwestlichen Deutsch-
land* verfasste und hierbei namentlich über die Sitten in Oldenburg berichtete,
dass er über die dort heimische Geburtshülfe und über die Behandlung des Weibes
so gut wie gar nichts weiss; er sagt:
.Die Badmooder oder die Hebammschen, die allein den Scepter fahren, wenn eine
Frau in Eraam (Wochenbett, Misskraam, Misswochen) kommt^ halten es für gerathener,
den Arzt keinen Blick in die Art ihrer Behandlung thun zu lassen» und sie haben meist eine
solche Gewalt über die Wöchnerinnen und deren Umgebung, dass auch diese über die Mittel,
die, um die Geburt zu beschleunigen und die Wochenbettsfunctionen zu regeln, angewandt
sind, ein tiefes Schweigen beobachten.*^ An einer anderen Stelle sagt Goldschmidt: „In den
letzten Decennien scheinen die «klugen Frauen', welche sich im Volke vorzugsweise mit
Eunren befassten, etwas seltener zu werden; die Hebammen mit ihren Ely stierspritzen und
dem bunten Gemische 7on Wissen aus der wissenschaftlichen und der Yolksmedicin ersetzen
häufig ihre Stelle; sie treten dem Wirken des vorurtheilsfreien Arztes, und zwar nicht bloss
in den Eindbettstuben, oft eben so hindernd in den Weg, als die weisen Frauen."
Ein Bild von dem Umfange der Thätigkeit der Hebammen vor kaum zwei
Jahrzehnten entwarf Max Boehr in Berlin in der dortigen Gesellschaft f£Lr Ge-
burtshülfe im Jahre 1868.:
.Bei der im Verwaltungswege geregelten und somit immerhin relativ beschränkten
Zahl von Hebammen ergiebt es sich in grösseren Ortschaften bekanntlich als Regel , dass
einige besonders bekannte und beliebte Hebammen übermässig viel, andere verhältnissm&ssig
wenig zu thun haben; in kleineren Orten und auf dem Lande sind die vorhandenen Heb-
ammen gegen jede Goncurrenz geschützt. Eine Hebamme, die durchschnittlich 500 Entbin*
düngen im Jahre macht (wie es in Berlin bei beschäftigten Hebammen vorkommt), hat mehr
zu thun, als sie gewissenhafter Weise in ihrer subalternen Stellung leisten kann. Vor etwa
20 Jahren gab es in Berlin zahlreiche , Wickelfrauen*, welche anstatt der Hebammen be-
scheidene und gehorsame Gehülfinnen der Geburtshelfer waren, die ohne Hebammen die Ent-
bindungen leiteten, sich aber der Dienste ungebildeter «Wickelfrauen' bedienten. Zwar nahm
sich, als man diesem Unwesen steuern und den Klagen der unbeschäftigten ordentlichen Heb-
ammen gerecht werden musste, noch vor 20 Jahren die Gesellschaft für Geburtshülfe der dienst-
fertigen, doch nur geburtshülfliche Medicinpfnscherei treibenden Wickelfrauen den Behörden
8'
116 XLin. Die EntwickeloBg der Geburtshülfe in den modernen Culturl&ndem Europas.
gegenüber an, allein die alte Routine haben die Geburtshelfer doch selbst allm&hlich yerlassen
und empfehlen jetzt selbst in der Praxis den Gebärenden, Hebammen zu Hülfe zu rufen, welche
gut ausgebildet, zugleich aber auch gegen den Arzt bescheiden und gehorsam sind."
üeber den neueren Zustand des Hebammenwesens in gewissen Theilen
Preussens giebt auch Starke einen wenig erfreulichen Bericht:
«Wer in ländlichen Distrikten thätig gewesen ist, wird Gelegenheit gehabt haben,
über die Unwissenheit der Hebammen Erfahrungen zu sammeln. Nach den gesetzlichen Be-
stimmungen müssen die Hebammen Berichte über ihre Thätigkeit abstatten und die Kreis-
phjsiker sollen an dieselben Fragen richten, um sich zu überzeugen, ob die Hebammen sich
auch weiter mit ihrem Buche beschäftigen; ich weiss aber aus eigener Erfahrung, wie weni^
die Hebammen ihr Handbuch zur Hand nehmen, und wie sie gegen die wichtigsten Regeln
der Kunst Verstössen."
Starke fordert, dass der Staat andere Ansprüche an die Hebammen stellen
soll, als bisher, und dass sich mehr Tochter aus gebildeten Standen dem Gewerbe
widmen möchten, was unstreitig mit Freude zu begrüssen wäre, in Berlin aber
schon in jüngster Zeit einen erfreulichen Anfang genommen hat.
Für die Provinz Ost-Preussen hat Dohm kürzlich interessante Unter-
suchungen über die wilde Geburtshülfe angestellt.
Er macht von der Differenz zwischen den Geburtenanmeldungen der Hebammen und
dex^enigen bei den Standesämtern einen Rückschluss auf die grosse Zahl der ohne sachver-
ständige Hülfe, d. h. also durch Pfuscher Entbundenen. Im Jahre 1883 waren im Regierungs-
bezirk Königsberg von 48169 Gebärenden nur 24298 von Hebammen behandelt; also gegen
50% waren ohne sachverständige Hülfe geblieben. ,In den günstigsten Kreisen des Regierungs-
bezirks beträgt die letztere Ziffer 10 — 80%, in den ungünstigsten, Neidenburg und Orteis-
bürg, steigt sie auf 88 bezw. 89%. In dem Regierungsbezirk Gumbinnen verliefen im
Jahre 1881 von 29588 Geburten 11989 = 40% ohne Hülfe der Hebammen, in dem Jahre
1882 von 32284 Geburten 19694 == ßl%,* Auch dort steigt im Kreise Johannisburg die
letztere Ziffer auf 89%. Diese traurigen Verhältnisse stehen, wie Dohm nachweist, in directer
Beziehung zu dem Mangel an geschulten Hebammen.
Die Bedeutung, welche die Hebammen in jetziger Zeit im Gegensatze zu
früher einnehmen, kennzeichnet Walter ganz richtig:
«Die Ansichten über die Functionen der Hebammen haben im Laufe der Zeit wesent-
liche Aenderungen erfahren. Während die früheren Hebammenlehrbücher die Hebammen so
gut wie zu vollständigen Geburtshelfern ausbilden wollten, hat unser Jahrhundert entsprechend
den immer wachsenden Ansprüchen der fortschreitenden Kunst den wenig gebildeten Hebammen
eine immer bescheidenere Stellung am Kreissbette zugewiesen. Immerhin wurde noch bis vor
etwa 15 Jahren das ganze Hauptgewicht des Unterrichts auf die rein technische Seite der
Geburtshülfe gelegt, und die Diagnostik sowie die manuellen Hülfeleistungen mit Einschluss
einzelner geburtshülflicher Operationen (Wendung, Placentalösung) als wesentlichste Leistung
einer Hebamme angesehen. Mit Erkenntniss des infectiösen Charakters der meisten Puerperal-
erkrankungen und mit dem Zunehmen der Erfahrung über die Mittel zur Verhütung derselben
trat die erste medicinische Regel, dass die medicinische Hülfe vor AUem nicht schaden darf,
auch beim Unterricht der Hebammen noch viel mehr in den Vordergrund. Die Uebung des
Desinfectionsverfahrens wurde zu einer vollen Hälfte aller Functionen der Hebamme. Die
Hebamme ist danach nicht mehr wie früher als Geburtshelfer, auch nicht zweiter Klasse mit
beschränkter facultativer Berechtigung zur Ausfährung geburtshülflicher Operationen zu be-
trachten, sondern gewissermaassen nur als Wächter über den Verlauf der Geburt mit der Ver-
pflichtung, bei jeder Abweichung von der Norm ärztliche Hülfe zu fordern.*
In der Schweiz bestehen noch heute sehr merkwürdige Zustande: Eine
Wahlversammlung von Frauen fand 1866 in Oberstrass bei Zürich statt; es
waren ihrer 300 versammelt, welche die Verhandlungen (Wahl zweier Hebammen)
mit parlamentarischer Würde vornahmen. Die Versammlung wählte eine Präsi-
dentin, bestellte das Bureau und nahm dann die Wahl in geheimer Abstimmung
vor. Nach der Verhandlung fand ein einfaches Bankett statt, das Gedeck zu
1 Fr. 50 flapp., wozu der Gemeinderath drei Saum Wein gespendet hatte. Da
aber die Frauen dieses Quantum nicht allein bewältigen konnten, so riefen sie
ihre Männer zu Hülfe, und ein fröhlicher Tanz beschloss dann die Sitzung der
276. Die Gebnrtshülfe in Deutschland und der Schweiz in der Neuzeit. 117
Frauen. Solche Frauengenieinden finden überall im Kanton statt und beschranken
sich auf die Wahl der Hebammen, aber Ledige dürfen daran keinen Antheil
nehmen.
Im deutschen Reiche geniesst in unseren Tagen das Hebammenwesen
eine ganz besondere Ausnahmestellung. Denn während die deutsche Gewerbe-
ordnung das ärztliche Gewerbe im Allgemeinen für Jedermann frei giebt, be-
schränkt sie nach §§ 30, 40 und 53 die Ausübung des Hebammenberufe auf die-
jenigen weiblichen Personen, welche ein Prüfungszeugniss von der nach den
Landesgesetzen zustandigen Behörde erworben haben. Dagegen hat die Reichs-
gesetzgebung unterlassen, weitere Bestimmungen zu trefiPen, oder sonstwie einen
einheitlichen Zustand fbr das Hebammenwesen zu schaffen; yielmehr ist die
Ausübung des Hebammengewerbes gänzlich den Bestimmungen der Landesgesetze
in den einzelnen Bundesstaaten überlassen. In neuerer Zeit werden die dem Heb-
ammenstande sich widmenden Frauen in staatlichen Hebammenschulen ausgebildet,
und zur Unterstützung in dem theoretischen Unterricht erhalten sie ein besonderes
Lehrbuch, ein Hebammenbuch. Nach vollendetem Lehrcursus werden sie von ihrem
Lehrer geprüft und von dem Medicinalbeamten auf die Dienstleistung in irgend
einem District in Pflicht genonunen. Die angestellte Hebamme aber steht unter
der Disciplinarau&icht des Bezirksarztes, dem sie auch über ihre Thätigkeit Bericht
zu erstatten hat. Den Hebammen wurde die Freizügigkeit im deutschen Reiche
versagt, damit die Landesbehorden dafür sorgen können, dass sich die Hebammen
auch auf die minder volksreichen Gegenden angemessen vertheilen.
Mag es nun auch nützlich sein, den einzelnen Landesregierungen die Ver-
theilnng der Hebammen und die Bestimmung ihres Niederlassungsortes zu über-
lassen, so wäre doch eine gleichmässige Ausbildung im Reiche und die GKiltig-
keit des Prüfungszeugnisses für die sämmtlichen llinzelstaaten wünschenswerth,
damit es den Landesregierungen möglich wäre, bei etwaigem Bedarf für die minder
volksreichen Gegenden Hebammen aus anderen Ländern ohne nochmalige Prüfung
zu verwenden.
Auch andere Reform- Vorschläge sind sehr zu beachten: längere Dauer der
Ausbildungszeit, freie Goncurrenz um erledigte Bezirkshebammenstellen, Errichtung
grösserer Provinzial-Hebammen-Lehranstalten, bessere Dotirung der Hebanmien-
lehrer, Verbesserungen im Gehalt, jährliche Gratificationen an strebsame Heb-
ammen, unentgeltliche Lieferung des Instrumentariums und des Desinfections-
Materials, strengere Vorschriften bezüglich der Anzeigen von Puerperalerkran-
kungen, Abhaltung wiederholter Fortbildungs-Gurse für schon angestellte Heb-
ammen, und endlich die Errichtung von Pensions- und Invalidenkassen mit Staats-
Unterstützung.
So vortrefflich sich das jetzige Hebammenwesen in deutschen Landen
während der letzten Jahrzehnte gegen früher in vieler Hinsicht gestaltet hat, so
bedarf es doch in den hier angeführten Punkten noch vielfältiger Verbesserung.
Insbesondere ist im Interesse des Allgemeinwohls zu beklagen, dass noch immer
verhältnissmässig wenig Frauen, die mit besserer Vorbildung ausgestattet sind,
sich dem schönen, wenn auch schweren Berufe widmen. Diejenigen, welche sich
dazu drängen, „Aerztinnen'' zu werden, könnten recht wohl als Geburtshelferinnen
sich dem weiblichen Geschlechte zu Gebote stellen, ohne vor der landläufigen
Bezeichnimg «Hebamme* zurückzuschrecken. Die innere und äussere Bildung der
Vertreterinnen dieses Berufe würde in kürzester Frist das Ansehen des Standes
im Volke heben, auch würden die wissenschaftlichen und praktischen Leistungen
in der Geburtshülfe an Bedeutung ungemein gewinnen.
11g XLin. Die Entwickelang der Gebortshülfe in den modernen Galtorl&ndem Earopas.
277. Zur Geschichte der Geburtshfilfe in Holland.
Eine interessante Schilderung des Zustandes, in welchem sich das Hebammen-
wesen Hollands im 17. Jahrhundert befand, liefert uns Cornelius Solingen^ Arzt
im Haag, in seinem Werke:
«Handgriffe der Wnnd-Artzung, nebst Ampt und Pflicht der Weh-Mütter* u. s. w. Aus
dem Holländischen übersetzt. Frankfurt a. 0. 1693:
«Ist derohalben kein Wunder, dass manche reputirliche Frauens was vorsichtig seynd,
und sich bedenken, ehe sie Hebammen nehmen, und solches umb desto mehr, weilen die
tägliche Erfahrung klar lehret, dass dergleichen gefunden werden» die weder lesen noch
schreiben können, und etliche, die, nachdem sie ganz in Armuth gerathen, alsdann erstlich
ein so hochwichtiges Amt, so oben hin bey eine oder die andere erfahrene Hebamme umb
Fig. 277. Holländischer Geburtshelfer des 17. Jahrhunderts, unter einem Laken eine Frau entbindend.
(Nach Samuel yanson.)
nichts, oder umb das wenige so sie noch haben können zusammen schrapen, lernen; Und
wann sie vermeynen, dass sie halb voll gelernet seyn, so wollen sie gleich selbst den Meister
spielen; Sonderlich wenn sie nur zwey oder drey Bürgerfrauen, oder eine andere, deren Mann
von der Kunst ist, und nicht umb Gewinnst halber erlöset haben, da alsdann ihr die Nasen-
löcher von Schnarchen, Pochen und Blasen noch einmal so weit werden: Die aber so alsdann
noch etwas lesen können, die bekommen zuweilen noch wohl schriftlich, wie sie sich ver-
halten sollen, auf ein halb Fell oder Pergament mit wenig Buchstaben beschrieben, welche
so nett an einander gefQget, und jedwede so trefflich an ihren gehörigen Ort gesetzet, nach
ihrer Gewohnheit, so dass es eine Lust ist zu lesen. Dieses sage ich dessfalls, weilen der-
gleichen Instructiones nicht aus f&nf und zwantzig Reihen bestehen, mit dergleichen £x-
pressiones, dass man sich schämen muss, wie ich dergleichen noch bei mir in Verwahrung
habe, und alsdann gehen sie mit dem Winde darauf zu seegel, gleich als ob sie den Wind
278. Die Entwickelang der Geburtshülfe in England. 119
▼on den Lappländern und Finnen in einen Tuch geknüpft, gekaufft hätten. So gehet es
auf dem Lande zu, allwo sie öfters keinen bequemen Stuhl oder andere Nothwendigkeiten
haben, wie ich darvon, und von ihren Thun und Lassen in meinen historischen Anmerkungen,
in so vielen Jahren, in welchen ich diese Kunst getrieben habe, viel und unterschiedliches
erfahren und angezeichnet habe. Jedoch werden auch brave und verständige Hebammen ge-
funden, mit welchen ich wohl practiciret habe und noch gern practicire ; Allein das seynd von
den alten Gästen, die was erfahren haben. Damit man aber vorkommen möge, dass die neuen
Hebammen, so bald zu der Bedienung eines solchen Amptes nicht möchten zugelassen werden,
so haben einige Städte allbereit eine gewisse Zeit gesetzet, in welcher sie sich sollen bequem
machen und unterweisen lassen. Und wann sie nun einige Wissenschaft erlanget haben, so
haben sie geordnet, dass sie noch eine gewisse Zeit unter einer klugen und erfahrenen Heb-
amme müssen practiciren, wie auch Ursachen geben und Medicamente ordnen, so viel als
ihnen zugelassen ist, nehmlich dass sie, weilen sie keine Medicin verstehen, keine inner-
lichen Medicamente sollen geben, wo sie sich nicht erstlich mit einem Medice berathschlagt
haben' u. s. w.
Mit diesen Worten leitet C. Solingen sein Buch: ^Yon dem Ampte und
Pflicht der Hebammen'' ein; er will unter den geschilderten Verhältnissen in diesem
„kurtzen und kleinen Tractaf den Hebammen einen guten Unterricht ertheilen.
Noch zu jener Zeit, wo man schon begann, Aerzte als Geburtshelfer zuzu-
lassen, wurde denselben das Geschäft gar sehr erschwert. So giebt der hollän-
dische Geburtshelfer Samuel Janson in seiner 1681 erschienenen Schrift eine
Abbildung (Fig. 277;, auf der man Geburtshelfer und Kreissende sich gegenüber
sitzen sieht; zwischen ihnen ist ein grosses Bettlaken auf der einen Seite dem
Operateur um den Hals, auf der anderen der Frau um die Korpermitte gebunden,
und unter diesem Laken, dessen Seiten von zwei Frauen etwas gelüftet werden,
wird die Entbindung vorgenommen.
278. Die Entwiekelung der Geburtshülfe In England.
Aus den alten Zeiten des britischen Inselreiches haben wir an einer
früheren Stelle bereits Proben von übeniatürlicher Geburtshülfe kennen gelernt.
Es handelte sich um Gürtel, denen die Zauberkraft innewohnt, die Entbindungen
zu erleichtem. Schon Ossian berichtet Ton ihnen. Solche Gürtel wurden mit
grosser Sorgfalt noch lange von manchen Familien in den Hochlanden Schott-
lands aufbewahrt. Sie waren mit mystischen Figuren und Zeichen bedeckt, und
die Anlegung um den Leib der Frauen geschah unter Ceremonien und Gebräuchen,
die auf ein hohes Alterthum hindeuteten. In einer alten Dichtung: Pierce of
Ploughman's Grede, werden die Mönche beschuldigt:
„To maken wymmen to wenen
That the lace of oure ladye smok lighteth hem of children.'
In den Acten einer Untersuchung vom Jahre 1559 kommt folgende Fragestellung vor:
.Whether jou knowe anye that doe use charmes, sorcery, enchanntments, invocations, circles,
witchcrafts, soathsayings, or any like crafU or imaginations invented by the Devyl, and in
the tyme of women^s travayle.*
In John BaWa Comedye concernynge the Lawes vom Jahre 1538 spricht der
, Götzendienst' Folgendes:
„Yes, but now ych am a she,
And a good mydwyfe perde;
Yonge chyldren can I charme,
With whysperynges and whysahynges,
With crossyngee and with loyssynges,
With basynges and with blessynges,
That Sprites do them no harmes.'
In einem Unterauchungs-ProtokoUe der Provinz Canterbury aus dem 16. Jahrhundert
findet sich folgende Frage: .Whether any nse charmes or unlawfiü prayers, or invocations,
in latin or otherwise, and namely, midwivee in the time of womans travail with child?*
120 XLIU. Die Entwickelung der GebortahQlfe in den modernen Caltorl&ndem Europas.
.Whether parsons, vicars, or curates be diligent in teaching the midwives how to Christen
children in time of necessity according to the canons of the church or no?*
Demnach hat schon in dieser frühen Zeit die Kirche in England die
Missbräuche des Hebammenwesens gerügt. Schon im 7. Jahrhundert war es den
Hebammen gestattet, die ' Nothtaufe vorzunehmen, doch nur unter dringenden
Verhältnissen.
Nach den Untersuchungen von Aveling scheinen in der Mitte des 16. Jahr-
hunderts die Frauen in England mit ihren ungebildeten Hebammen ziemlich
unzufrieden gewesen zu sein; man sah ein, dass sie eines besseren Unterrichtes be-
durften. Da unternahm es ein Mann (wahrscheinlich Jonas) im Jahre 1587, eine
Uebersetzung von des deutschen Arztes Rösslin Hebammenbuch zu besorgen;
dieselbe wurde dann von Raynalde unter dem Titel The woman's Booke veröffent-
licht. In der zweiten Auflage des Werkes vom Jahre 1540 spricht sich der
Herausgeber sehr befriedigt über den Erfolg desselben und über den Beifall aus,
den es unter den Frauen gefunden. Rösslin*s Schrift blieb lange die einzige
Quelle, aus der englische Hebammen ihre Weisheit schöpften.
Viel scheinen dieselben nicht gelernt zu haben, denn noch in den letzten
Zeiten des 16. Jahrhunderts schreibt Andrew Boorde in seinem Brevary of Health
über die unerfahrenen Hebammen Folgendes:
«In my tyme, as well here in Englande as well in other regions, and of olde anti-
quitie, everj midwife shnlde be presented with honest women of great gravitee to the Byshop,
and that they shulde testify for her that they do preaent, shulde be a sadde woman, wyse
and discrete, havynge experience, and worthy to have the office of a midwife. Then the
Byshoppe, with the consent of a doctor of physick, ought to ezamine her, and to instmcte
her in that thynge that she is ignorant; and thns proved and admitted, is a laudable thynge;
for and this were used in Englande there shulde not hälfe so many women myseary, nor
so many chyldren perish in every place in Engl an de as there be. The Byshop ought to
loke on this matter."
Diese Stelle ist deshalb merkwürdig, weil sie in England zum ersten Male
auf die Nothwendigkeit hinweist, dass den Hebammen Unterricht gegeben werde,
damit das Publikum eine gewisse Garantie für deren Befähigung erhalte.
Aus alten Quellen z&hlt Aveling eine Reihe von Hebammen auf, die am königlichen
Hofe fungirten und einen Jahrgehalt erhielten: Margaret Cohbe im Jahre 1469, Äliee Massy
1503, Eliz, Gaynaforde 1523, Jdh, Hamulden, Jane Scarisbrycke 1530.
Im Anfang des 17. Jahrhunderts prakticirte Peter Chatnberlen in London
als der erste und zwar sehr angesehene Geburtshelfer; er erkannte den schlimmen
Zustand des damaligen Hebammenwesens und machte dem Konig im Jahre 1616
den humanen und verständigen Vorschlag: „That some order may be settled by
the State for the instruction and civil govemment of midwives.** Wäre man auf
diesen wohlgemeinten Vorschlag eingegangen, so würde England die Ehre ge-
messen, zuerst unter allen anderen Staaten das Hebammenwesen geordnet zu haben,
und es würde die Bevölkerung dieses Landes 1 — 2 Jahrhunderte früher, als es
wirklich geschah, unterrichtete und controlirte Hebammen besessen haben. Chatn-
berlen s Sohn erwarb sich ebenfalls treffliche geburtshülfliche Kenntnisse und
eine ausserordentliche Praxis in London; er schrieb im Jahre 1646 ein berühmtes
kleines Buch: ,A Yoice in Rhama, or the Grie of Women and Children echoed forth in
the CompassionB of Peter Chamberlen^; hier beklagte er aufs tiefste, dass man auf
seines Vaters Rathschläge nicht eingegangen, und die Noth, die durch die unge«
bildeten Hebammen herbeigeführt wurde, schildert er in überzeugender Weise.
Von einem unbekannten Schriftsteller wurde im Jahre 1637 Rueff's Buch: ,De Con-
ceptione et Generatione Hominia* ins Englische übersetzt unter dem Titel: ,The expert
Midwife". Das Yorurtheil gegen diese Klasse von Werken in der Muttersprache war jedoch
in England noch immer recht gross; und der Autor musste sich in der Vorrede zu dieser
Uebersetzung entschuldigen, dass er das Werk unternommen. Als interessantes Document
zur Geschichte des englischen Hebammenwesens existirt im British Museum ein Pam-
279. Die Entwickeluog der Gebnrtehülfe in Frankreich. 121
phlet vem Jahre 1646: ,The midwiyes jnst complaint, and divers other wel-affected gentle-
women both in dty and country, shewing to ihe whole Christian world the just cause of
their long-sufferings in theee distracted times for want of trading, and their great fear of
the continuance of it/
Wie in der Heilkunde überhaupt, so brach auch in der Geschichte des
englischen Hebammenwesens eine neue, bessere Epoche mit Harvey an, welchen
Aveling den Vater der englischen Geburtshülfe nennt. Seine in lateinischer
Sprache verfassten Schriften wurden im Jahre 1653 von seinem Freunde George
EfU in das Englische übersetzt; der wohlthätige Einfluss dieser Arbeiten auf
die geburtshülfliche Praxis des Königreiches war ein ganz bedeutender. Unter
Anderem zeigte sich derselbe auch in dem Werke eines anderen herTorragenden
,man-midwife* (wie Aveling sich ausdrückt), des Dr. Percivcd WiUughby, eines
Zeitgenossen und Freundes von Harvey,
Letzterer beklagt sich, dass die jüngeren Hebammen immer noch die aus-
treibenden Kräfte der Kreissenden in unverständiger Weise zu steigern suchen,
dass sie die Gebärenden vor der Zeit sich auf den dreibeinigen Gebärstuhl setzen
lassen und dass sie die armen Weiber auf diese Weise in die höchste Lebens-
gefahr versetzen. Diese unsinnige Behandlung veranlasste auch noch einen anderen
ausgezeichneten Geburtshelfer jener Epoche, WiUiam Sermon, ein aufklärendes
Lehrbuch zu verfassen.
Wie ganz anders klingen da die ungerechtfertigten Lobeserhebungen, welche
der Charlatan Nicholas Ctdpeper noch kurz zuvor in einem Werke den eng-
lischen Hebammen darbrachte: «Werthe Matronen; ihr seid unter denen, die
meine Seele liebt, und die ich in meine täglichen Gebete einschliesse'' u. s. w.
Ctdpq^er hat freilich nichts zur Beform der Geburtshülfe in England gethan.
Allmählich wurde es in England Sitte, bei Entbindungen Aerzte als Ge-
burtshelfer herbeizuziehen; das geschah aber erst in ausgiebigerem Maasse um die
Mitte des 18. Jahrhunderts, wo zu der Zeit Smeüie's und Hunter' s zwischen ihnen
und den Hebammen ein hitziger Kampf in Streitschriften geführt wurde.
Nach Gusserow befand sich noch im Jahre 1864 der Hebammenunterricht in
Grossbritannien in sehr schlechten Verhältnissen. Da die Geburtshülfe in den
besseren Ständen fast gänzlich in den Händen der Aerzte ruhte, so waren wenig ge-
bildete Frauen als Hebammen in den untersten Schichten der Bevölkerung beschäftigt.
In Dublin hat allerdings die Gebäranstalt «wölf Plätze fQr Hebammen-
Schülerinnen; aber es nahmen niemals so viele an dem Unterrichte Theil. Den
letzteren hatten die Schülerinnen gemeinsam mit den Studirenden; sie erhielten
jedoch auch ausserdem noch Anweisung. von den Assistenten der Anstalt. Wenn
sie sechs Monate in letzterer waren, so erhielten sie die Erlaubniss zur Praxis.
In London dagegen werden nur ausserordentlich wenige Hebammen für
ihr Geschäft vorgebildet. Diesem Uebelstande gegenüber hat die geburtshülfliche
Gesellschaft Londons seit einigen Jahren durch eine Gommission Hebammen
unterrichtet und deren Qualification durch eine Prüfung festgestellt. Trotz des
privaten Charakters dieser Institution erfreut sich dieselbe einer von Jahr zu
Jahr sich steigernden Anerkennung; binnen drei Jahren stieg die Zahl der sich
bei der Gesellschaft zur Prüfung meldenden Hebammen von 12 auf 44. Da jedoch
die geburtshülfliche Gesellschaft diese Angelegenheit nicht als ihre Hauptaufgabe
betrachtet, so wurde von ihr beim Parlament ein Antrag gestellt, wonach es bei
Strafe verboten sein solle, sich Hebamme zu nennen, ohne vorher eine staat-
liche Prüfung bestanden zu haben.
279. Die Entwiekelnng der Geburtshülfe in Frankreich.
Es wird uns wohl kaum überraschen, dass die Zustände der Geburtshülfe
im mittelalterlichen Frankreich sich wenig von denen des übrigen Europa
unterschieden.
122 XLIII. Die Entwickelang der Gebartshülfe in den modernen Culturländem Europas.
Die Art, wie noch die Wundärzte des 14. Jahrhunderts die Oeburtshülfe
auffassten und abhandelten, ist am besten aus Guy von Chatdiacs Schriften er-
sichtlich. Seine geburtshülflichen Mittheilungen beschränken sich auf die zwei
Kapitel über die Ausziehung des Fötus und über diejenige der Nachgeburt; alles
Uebrige bleibt den Hebammen überlassen.
Eine bedeutende Wendung zum Besseren vollzog sich in dem 16. Jahrhundert
durch den grossen Kriegschirurgen Amhroise Pare (geb. 1510), welcher dem ärzt-
lichen Beistande in der Geburtshülfe die Anerkennung zu verschaffen bestrebt
war. Auf die grosse Masse der Hebammen scheinen die reformatorischen Lehren
von Pare nur langsam eingewirkt zu haben, denn noch im Jahre 1587 veröffent-
liohte in Paris Gervais de la Touche ein Buch unter dem Titel:
.La träs-haute et tr^s-soaveraine science de Tart et de Pindustrie naturelle d*enfanter
contre la maudite et perverse ,imp^ritie des femnies^ que Ton nomme sages-femmes ou belles-
märes, lesquelles par leur ignoronce fönt joumellement p^rir une infinite de femmes et d'en-
fants ä Tenfantement* etc. (Paris 1587.)
Fig. 278. Entbindung auf dem lit de misöre im 17. Jahrhundert.
(Nach Abraham Bosse.)
Dass Pare*s Bemühungen aber nicht wirkungslos waren, beweist die Louise
Bourgeois^ genannt Boursier (geb, 1564), die in Pares Hebammenschule im
Hotel Dieu gebildet war. Sie schrieb ein Hebammenbuch, welches Zeugniss
für ihre Kenntnisse ablegt und dessen erste Ausgabe im Jahre 1609, die zweite
im Jahre 1626, die dritte im Jahre 1642 erschien. Dieses Buch hat noch weiter-
hin auf das Wissen und Können der Hebammen in Frankreich höchst günstig
gewirkt; es führt den Titel „Observations diverses sur la st^rilit^, perte de fruit, foecon-
dit^, aecouchements et nialadies des femmes* etc. Es wurde erst in ziemlich später
Zeit (1644, also 35 Jahre nach seinem Erscheinen in französischer Sprache) in
das Deutsche übersetzt von Matthäus Merian und hierdurch in Deutschland
allgemeiner bekannt.
Die Aerzte als Geburtshelfer kamen in Frankreich erst zu Ansehen, s^it
Juies Clement die La Voliere im Jahre 1663 entbunden hatte und dafür von
Ludwig XIV. mit Ehren überhäuft worden war. Von da an nannten sich die
Chirurgen, welche Geburtshülfe trieben, „accoucheur*, und die männliche Geburts-
279. Die Entwickelung der Geburtshülfe in Frankreich. 123
hülfe wurde Modesache. An den übrigen europäischen Höfen gehörte es dann
zum guten Ton, sich von einem Arzte entbinden zu lassen; man schickte auch
Wundärzte zum geburtshülflicheu Unterricht nach Paris, oder man liess sich
Pariser Geburtshelfer kommen; so war Clement dreimal in Madrid, um die
Gemahlin Phäipp's V. zu entbinden.
Eine Entbindung im 17. Jahrhundert führt uns ein interessanter Kupfer-
stich von der Hand des Abraham Bosse vor. (Fig. 278 ) Er führt uns in das
wohleingerichtete Zimmer einer vornehmen Ereissenden, deren Bett für ihre Auf-
nahme vorbereitet ist. Sie selber hat man neben dem helllodemden Kamine auf
einer Art von Operationstisch gelagert, welcher mit einer Matratze bedeckt ist.
Das ist das sogenannte lit de misere, welches Mauriceau vorschreibt:
,ein Bettlein von Gürten, wol nieder; das setze man nahe zum Ofen, wanns die Jahr-
Zeit erfordert; nm welches Bett kein gross Gedreng sei, dergestalt, dass man allenthalben
drum herumgehen, damit man der Erancken desto handsamer, wo sie es vonnöthen hat,
helffen könne. **
Zu Häupten und bei den Armen der Kreissenden stehen vier helfende
Weiber und ein Mann im Wamms, mit der Mütze auf dem Kopfe. Man würde
ihn für den im Nothfalle helfenden Chirurgus halten, denn ihm zur Hand steht
auf einem Stuhle ein grosser geöffiieter Kasten mit allerlei Verbandmaterial. Aber
eine Unterschrift auf einer Ausgabe dieses Stiches bezeichnet ihn als den Ehe-
mann (Le mary). Am Fussende des Bettes sehen wir die Hebamme, welche mit
ihrer rechten Hand den Danmi der Kreissenden stützt und das sich soeben voll-
ziehende Durchschneiden des Kindskopfes überwacht. Die Entbindung erfolgt in
der Rückenlage, wobei die Frau die Beine, gespreizt und mit leicht gekrümmten
Knieen, ein wenig an den Leib herangezogen hat.
Das Ansehen der Aerzte in der Geburtshülfe war in Frankreich auch noch
im 18. Jahrhundert grösser als in Deutschland. Auf die Frage, ob in zweifel-
haften Fällen das Urtheil der Aerzte oder das der Hebammen ein grösseres Ge-
wicht besitze, entschied sich der Gommentator der Carolina, der peinlichen Ge-
richtsordnung KarVs F"., JT. P. Kress, im Jahre 1721 für das letztere, indem er
sagte: „Les Accoucheurs apud Gallos quidem, non apud nos celebrantur.*'
Wie es aber nach Angaben Puejacs den Anschein hat, herrschen in manchen
Provinzen Frankreichs unter den Hebammen im Volke doch noch mancherlei
Uebelstände (Bearbeitung des Unterleibs zur Verstärkung der Wehen, schleunige
Ausziehung der Placenta u. s. w.), und trotz der früheren Entwickelung einer
praktischen und wissenschaftlichen Geburtshülfe würden die französischen Heb-
ammen gegen die meisten ihrer deutschen Berufsgenossinnen zurückstehen müssen.
In der Bretagne galten noch vor einigen Jahrzehnten die Hebanunen als
Zauberinnen, d. h. im guten Sinne; sie übten ihr Geschäft in der rohesten Weise
mit abergläubischen Gebräuchen aus. (Perrin,) Seit 10 vent. an IX. erhält die
Hebamme nach 6 Monaten Dienst und nach der Ablegung einer Prüfung das
Recht auf Praxis.
XLIV. Die Entwickelnng der Geburtshülfe in dem übrigen
modernen Europa.
280. Znr GesM^hichte der Oebnrtshfllfe im europäischen Bnssland.
Wenden wir uns jetzt den noch übrigen Ländern Europas zu, so wollen
wir mit der Betrachtung der Verhältnisse in Russland den Anfang machen.
Hier befindet sich meistens noch das Hebammengeschäft in den Händen ganz un-
geschulter und nur autodidaktisch ausgebildeter Weiber. In dieser Beziehung
lesen wir im „Ausland^:
«Hebammen sind Seltenheiten in kleinen Städten, auf den Dörfern existiren dergleichen
weibliche Geburtshelfer gar nicht, und die Bauersfrauen helfen sich nach Gutdünken und auf
Erfahrungen gestützt selbst aus, und ein Arzt wird, wenn sich nicht gerade zuf&llig einer im
Orte befindet, selbst in bedenklichen Fällen nicht zu Hülfe gerufen. In den kleineren Städten,
wo Hebammen existiren, sind dieselben gewöhnlich alte Weiber, die sich auf dieses Geschäft
gelegt haben, und vielleicht ebenso viel verstehen, wie die Bauemweiber selbst wissen; denn
diejenigen, welche dieses Amt betreiben, brauchen nicht geprüfte Hebammen zu sein, da ein
£xamen über ihr Wissen und ihre Brauchbarkeit nicht abgenommen wird» sich die Regierung
überhaupt gar nicht um das Geburts- und Hebammenwesen in den einzelnen Gouvernements
kümmert und immer nur die Städte in solcher Hinsicht einer Beachtung würdigt, die in un-
mittelbarer Berührung mit dem Kaiser und seiner Familie stehen oder durch ihre Grösse als
Perlen des Reichs angesehen werden."
Krehel schreibt im Jahre 1858 über das Verfahren, welches bei Entbin-
dungen eingeschlagen wird:
,Die Gebäreude hängt sich an eine nach Art einer Schaukel über ihr schwebende Quer-
stange und erwartet in dieser halb liegenden und sitzenden Stellung die Niederkunft, hilft
auch wohl durch Sprünge nach oder sucht das Kind gleichsam aus sich auszuschütteln. Das
Kind fällt dann oft heraus, ehe es die Hebamme auffangen kann, die Nabelschnur reisst bis-
weilen ab oder der Uterus wird herab und nach aussen gezogen. Diese üblen Zufälle ereignen
sich auch, wenn die Hebamme zu gewaltsam an der Nabelschnur zieht, um die Nachgeburt
zu entfernen. Ist auf solche Weise der Uterus hervorgezogen, so bringt man die arme Frau
in die Badestube, legt sie auf ein Brett und dieses auf die Stufen zur Dampfbank so, dass
sich die Füsse höher als der Kopf befinden, und hebt dann das Brett mit der Unglücklichen
schnell mehrere Male, um durch Schütteln ihres Körpers die Gebärmutter wieder in den Leib
hineinzuschüttein. Das Kind kommt nach den Begriffen des Volkes gleichsam zerknillt zur
Welt, deshalb wird es von der Hebamme gerade gereckt; sie reibt und schlägt es am zweiten
oder dritten Tage mit Birkenzweigbündeln, drückt den Kopf von allen Seiten, reckt die Glied-
maassen und fasst zuletzt den armen Schelmen an den Füssen, so dass der Kopf herabhängt,
und schüttelt ihn stark und schnell mehrere Male hinter einander, um die Eingeweide in die
rechte Lage zu bringen.*^
Diese Angaben sind von Demic bestätigt worden; sie werfen ein sehr un-
günstiges Licht auf den Zustand der Geburtshülfe in Russland.
280. Zar GeBchichte der GeborUhülfe im europäischen Ruasland. 125
Es ist allerdings der Versuch gemacht worden, dass bessere Verhältnisse
herbeigeführt werden. Schon im Anfange des 18. Jahrhunderts wurde zum ersten
Male eine deutsche Hebamme an den russischen Hof berufen. Später bezog
man die Hebammen aus Holland, weshalb auch noch lange daselbst eine „kluge
Holländerin* so viel bedeutete, als eine erfahrene Hebamme. (Heine.)
Die Kaiserin KcUharina IL ordnete einen Hebammenunterricht in St. Peters-
burg an. Im Jahre 1782 wurde das erste russische Hebammenbuch heraus-
gegeben. Eine zweite Hebammenanstalt errichtete man 1839 bei dem grossen
Erziehungshause in St. Petersburg, v. Siebold erzählt in den von ihm hinter-
lassenen geburtshülf liehen Briefen, dass er schon im Jahre 1844 Gelegenheit hatte,
in Gottingen eine russische Hebamme zu examiniren, über deren Kenntnisse
«r in Erstaunen gerieth. Aber so schöne Erfolge nun auch schon durch diese
Institute erzielt worden sein mögen, so steht doch hier der Bildungsgrad des
grossen Haufens noch auf so niederer Stufe, dass die besser gebildeten Hebammen
nur einen beschränkten Einfluss auf die Sitten und Gebräuche bei den Geburten
im gemeinen Volke ausüben können. Es kann ja auch das so weit ausgedehnte
Russische Reich kaum gleichmässig mit tüchtigen Hebammen besetzt werden.
Nach der Angabe des russischen Staatskalenders wurden im Jahre 1850
im Hebammen -Institute zu Moskau 29 und in dem zu St. Petersburg 15
Schülerinnen und ebenso viele im Jahre 1851 ausgebildet. Das europäische
Russland hatte zu jener Zeit 60 Millionen Einwohner. Hierüber schreibt Ucke:
„Die russische Regierung stellt in jeder Stadt eine Hebamme an, und in einer
Oouvemementsstadt zwei, deren Wirkungskreis sich fast nur auf die höheren Stände erstreckt;
das Volk nimmt von ihnen keine Notiz, doch kennen wenigstens viele aus demselben sie
dem Namen und ihrer Thätigkeit nach. Die höheren Klassen in der Stadt Samara suchen
immer eine Hebamme von Ruf und Glück, scheuen den Accoucheur nicht und rufen ihn,
wenn anders die Hebamme keinen Fehler macht, zur rechten Zeit. Dagegen die Bauern,
Bflrger und meisten Eaufleute sich nngelehrter alter Weiber bei Geburten bedienen, welche
4ie alierungehobeltsten Begriffe vom Geburtsgange und den Mitteln^ die befördernd auf ihn
wirken, haben."
Je weiter die einzelnen Theile des grossen Reiches von Petersburg und
Moskau abgelegen sind, um so dünner sind natürlich die tüchtigen Hebammen
gesät. Und dem entsprechend ist dann auch die geburtshülfliche Behandlung.
Weber in St. Petersburg schildert dieselben mit folgenden Worten:
.Es wird der Administration nicht selten vorgeworfen, dass Personen geduldet werden,
die gewerbsmässig die Hebammenkonst ausüben, ohne die geringsten Fachkenntnisse zu be-
sitzen, ohne irgend einen Lehrcursus durchgemacht zu haben. Dagegen l&sst sich sagen, dass
alle möglichen Maassregeln, alle möglichen Bestrafungen gegen Personen dieser Art in An-
wendung gekommen sind, ohne auch nur den geringsten Einfluss auf die Decimirung dieser
'Gewerbsklasse auszuüben. Daraus erhellt, dass diese Weiber ein unumgängliches Uebel und
dennoch dabei ein Bedürfniss der einfachen Yolksklasse geworden sind, so dass ein Weib aus
dem Volke ihre Powitucha einer geschulten Hebamme vorzieht, selbst wenn letztere ihren
Beistand unentgeltlich anbietet und sie der Kurpfuscherin direct oder indirect doch ihren
Batzen zu entrichten hat. Die Ursachen dieser abnormen Verhältnisse sind in der Thätigkeit
dieser Weiber im Hause der Ereissenden und Wöchnerinnen zu suchen. Sobald das Weib aus
dem Volke, die Tagelöhnerfrau, die selbst schwere Tagelöhnerdienste verrichtet, dabei noch
Kinder im Hause hat, zu kreissen beginnt, so schickt sie sofort nach ihrer Powitucha oder
Babka, die sich selbst bei der Kreissenden häuslich niederlässt und nicht nur die Geburt
leitet, sondern auch sämmtliche Hausarbeiten übernimmt; sie besorgt die ganze Wirthschaft,
kocht für Mann und Kinder, scheuert, plättet und rührt sich den ganzen Tag und verlässt
die Wöchnerin erst dann, wenn dieselbe nach ihrem Gutachten im Stande ist, die Pflichten
4er Hausfrau selbst zu übernehmen. Dabei hat das Honorar für all* diese Arbeit und Mühe
nicht etwa die Kreissende selbst zu tragen, sondern die Powitucha begnügt sich meist mit
-dem Taufertrage, wobei sie womöglich selbst die Kosten des Tractements trägt. Die Tauf-
eltern, sowie die Tanfgäste und Zeugen legen dabei ihr Scherf lein unter die letzte ihnen ser-
virte Theetasse, auch werden einige Münzen in den Waschtrog versenkt, der dem Neugeborenen
als Badewanne dient. Diesen Personen ist gesetzlich schwer beizukommen, da sie ja für ihre
126 XLIV. Die Entwickelang der Geburtshülfe in dem übrigen modernen Europa.
Mühe keine Bezahlung yerlangen und das Gesetz sogar jeder Frau die moralische Verpflichtung
auferlegt, einer Ereissenden beizustehen, wenn keine pririlegirte Hebamme bei der Hand ist.
Alle, selbst die strengsten administrativen Maassregeln werden deshalb nicht im Stande sein,
dieses Uebel auszurotten."
In dem russischen Polen besteben nach Sturm in Kaiisch zwei Klassen
Yon Hebammen, deren erste sich ans unterrichteten Frauen zusammensetzt. Sie sind
zwei Jahre hindurch in einer Hebammenschule ausgebildet worden und haben auch
die gewöhnlichsten geburtshülflichen Operationen kennen gelernt, die sie ebenso wie
die Geburtshelfer ausführen dürfen. Ja diese Hebammen besitzen in technischer
Hinsicht im Operiren oft ein weit grösseres Geschick, als selbst viele Geburts-
helfer. Die zweite Klasse von Hebammen hingegen, die Babka genannt werden,
sind nur soweit unterrichtet, um die gewöhnlichen Wärterinnendienste bei nor-
malen Geburten leisten zu können; sie können und dürfen nicht operiren und
sind darauf angewiesen, in solchen Fallen, welche unregelmässig verlaufen und
operative Hülfe erfordern, eine Hebamme erster Klasse oder einen Geburtshelfer
herbeizurufen.
lieber das jetzige Hebammenwesen in Russland wurde im Jahre 1875 von
der Section für Geburtshülfe und Gynäkologie des allgem. Vereins St. Peters-
burger Aerzte discutirt.
Hierbei fahrten einige Aerzte ans, dass es praktisch nöthig erscheine, zwei verschiedene
Kategorien von Hebammen auszubilden, solche für die grossen Städte und andere für das
Land, und zwar mit dem unterschiede, dass den letzteren eine bessere Ausbildung insofern
zu Theil werde, als sie auch zur Ausführung von Operationen geschickt gemacht würden.
Von anderer Seite wurde ausgeführt, dass es in Russland schon jetzt drei verschiedene
Kategorien von Hebammen giebt: 1. einfache B&uerinnen, ausgezeichnete praktische Heb-
ammen, welche, ohne auf irgend welche gelehrte Bildung Anspruch zu machen, sehr gut das
kennen, was sie kennen müssen, und sich mit dem nicht abgeben, was sie nicht wissen;
2. halbgelehrte, welche ein gewisses bescheidenes Maass theoretischer Kenntnisse besitzen, die
sie nur unvollkommen und oft genug zum Schaden ihrer Pflegebefohlenen zu verwerthen
wissen, und 3. diejenigen, welche in den letzten Jahren in der Akademie ausgebildet werden,
über deren praktischen Werth noch keine genauere Erfahrung vorliegt. Ein anderer Arzt
meinte, dass es in Russland nicht nur drei, sondern noch mehr verschiedene Kategorien von
Hebammen giebt, da diese in den verschiedenen Unterrichtsanstalten sich ein sehr ungleiches
Maass von Kenntnissen erwerben; noch neue Kategorien zu den schon jetzt bestehenden hin-
zuzufQgen, dürfte sich schwerlich empfehlen. Schliesslich wurde von dem Vereine beschlossen,
ein Memorandum auszuarbeiten, worin dem Medicinalrath die Noth wendigkeit eines obliga-
torisch eingeführten Hebammenbuches vorgeführt wird. Es ist demnach Thatsache, dass es
bis 1875 noch kein Hebammenbuch gab, das, wie in anderen Staaten Europas, den Heb-
ammen Vorschriften für ihr Thun und Lassen gab.
Die Verhältnisse, welche hier geschildert wurden, werden an vielen Orten
Busslands wohl noch längere Zeit fortdauern.
Die russische Regierung ist aber ernstlich bemüht, noch fortdauernd für
Verbesserungen zu sorgen. So wird vom Jahre 1884 an von den Hebammen der
ersten Kategorie eine tüchtige Vorbildung verlangt, denn sie müssen, um zum
Hebammen-Cursus zugelassen zu werden, ein Zeugniss über die bestandene Prüfung
auf einem Progymnasium (mit vier Klassen) beibringen.
Es ist das ein erfreulicher Versuch, die Frauen der gebildeterem Stände zum
Hebammenberufe heranzuziehen.
281. Die Geburtshülfe in dem auaserenropäisclien Bassland.
Wir wollen noch einige kurze Bemerkungen über die geburtshülflichen Zu-
stände in dem aussereuropäischen Russland machen. Die in dem vorigen
Abschnitte noch nicht in Betracht gezogenen Ehsten und Finnen sollen später
noch berücksichtigt werden. An dieser Stelle soll natürlicher Weise nur von der
civilisirten Geburtehülfe die Rede sein.
282. Die Geburtshülfe in Finland, Schweden und Ehstland. 127
In den ehemaligen russischen Provinzen des nordwestlichen Amerika,
in Neu-Archangelsk und Eadiak wurden vor 25 Jahren besondere Hebammen
angestellt, deren Hülfe aber im allgemeinen nur den dort lebenden Bussinnen
und den Greolinnen zu 6ute kam. Die Eingeborenen hingegen mussten sich
mit weisen Frauen aus ihrer Mitte behelfen. Räter, welcher dies berichtet, sagt:
.Man sollte einige Aleutinnen in dieser Kunst unterrichten, damit sie nach und
nach gemeinnütziger würde und den alten ungeschickten Aberglauben verdrängt. **
Die Russinnen der niederen Stände halten sich aber, ganz wie die Aleu-
tinnen, nicht gern an den Rath der , gelehrten^ Frauen.
Den russischen Weibern in Astrachan stehen alte Weiber bei, die in
der Schwangerschaft bei dem Verdacht einer ungünstigen Lage des Kindes durch
Drücken (prawit) den Leib einzurichten suchen. Die Kreissende führen sie un-
unterbrochen in der Runde umher und ihre Hülfe beim Durchtritt des Kindes
beschranken sie nur auf die Unterstützung des Dammes; alsbald aber nach der
Entbindung bringen sie die Mutter und das Kind nach der Badstube.
.Der Geburtshelfer," a> Meyerson, .ist für die Astrachansche Frau schlimmer, als
der Teufel; selbst bei Frauen der höheren Klassen darf der Accoucheur wohl Medicin ver-
schreiben, aber durchaus nicht selber Hand anlegen. Bei einem unregelm&ssigen Hergange
des Geburtsyerlaufes aberlässt man Mutter und Kind dem lieben Gott.*
Dass aber die Fortschritte, welche in Russland sich in der Ausbildung der
Hebammen vollzogen haben, doch ihre günstigen Wirkungen auch über die euro-
päischen Gouvernements hinaus ausüben, das beweist der folgende Vorgang.
Ungefähr um 1860 hatten sich mehrere kirgisische Stämme an die Re-
gierung zu St. Petersburg mit der Bitte gewendet, ihnen einige mit der Oe-
burtshülfe vertraute Frauen zuzusenden. Ihr Gesuch wurde bewilligt und die
Regierung liess auf ihre Kosten eigens eine Anzahl Frauen für diesen Zweck aus-
bilden. Nach einiger Zeit ging einer dieser kirgisischen Stämme in seinen
Forderungen noch weiter und petitionirte, man möchte ihm Frauen senden, welche
nicht nur Geburtshülfe verstehen, sondern auch in anderen Zweigen der Arznei-
wissenschaften erfahren wären. Eine Frau, welche bereits dem Studium der Ge-
burtshülfe oblag, liess die Kirgisen wissen, sie sei geneigt, gründlich die Medicin
zu studiren und dann als Aerztin zu ihnen zu kommen, wenn sie ihr die Er-
laubniss verschaffen könnten, die Akademie zu St. Petersburg zu besuchen,
unter dem Einfluss eines russischen Generals wurde die Erlaubniss ertheilt;
sofort sandten die Kirgisen die Mittel für den Unterricht; von Zeit zu Zeit
holten sie Berichte über die Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Aerztin ein,
und als sie im Sommer 1868 erfuhren, sie sei nicht wohl, so Hessen sie besondere
Mittel anweisen, um etwas für ihre Gesundheit zu thun.
282. Die tiebnrtehfllfe in Finland^ Scliweden nnd Elistland.
In Finland giebt es auf dem Lande selten examinirte Hebanmien. Die
Geburtshülfe liegt auch hier hauptsächlich in den Händen alter Weiber, welche
beinahe nichts davon verstehen. Die finnischen Bäuerinnen sind aber mit ihrem
Beistande sehr zufrieden. Sobald eine Schwangere Wehen fühlt, lässt sie die
Badestube heizen und Stroh auf den Fussboden legen, um sich dort das Lager
zu bereiten. Daselbst in Rauch, Zugwind und Hitze wird das Kind geboren.
Die Regierung ist aber bemüht gewesen, auch hier bessere Zustände herbeizu-
fuhren, und zu diesem Zwecke ist im Jahre 1878 eine grosse Hebammen- Lehr-
anstalt in Helsingfors errichtet worden.
Ganz ähnlich hat in Schweden nach Ekdund das Volk mehr Vertrauen
zu alten Weibern als zu Hebammen, die es nur im Falle der höchsten Noth zu
Hülfe ruft, und viele Gemeinden weigern sich sogar, die zur Erhaltung der Heb-
ammen nothwendigen Geldmittel zu bewilligen.
128 XLIV. Die Entwickeltmg der Geburtshülfe in dem übrigen modernen Europa.
Auch Yon den Ehsten berichtet Holst, dass bei ihnen eine aus alter Zeit
stammende Yolks-Geburtshtilfe heimisch sei. Das rohe mid ungebildete Volk
wendet sich auch dann, wenn es Hebammen haben könnte, doch nicht an diese,
sondern an ungeschulte alte Weiber, welche bei ihnen als Hebammen fangiren.
Die gewöhnlichen Hülfsleistungen sollen dieselben allerdings nicht ganz ohne Ge-
schick verrichten; aber bei einem abweichenden Geburtsverlaufe finden sie sich
gar nicht zurecht, und sie misshandeln dann das Kind und die Mutter auf das
Entsetzlichste. Dabei haben sie eine grosse Gewandtheit, durch Einschüchterung
der Angehörigen die Herbeirufung des Arztes hinauszuschieben.
Manche ihrer unverständigen Maassnahmen werden wir später noch kennen
lernen; hier sollen nur einige angeführt werden, so das Aufhängen an den Armen,
das Herauf- und Herunterzerren über ein treppenartiges Lager, das Quetschen des
Leibes, das vorzeitige Sprengen der Blase.
„Bei Gesichtslage quetschen sie die Augen aus ihren Hohlen, zerbrechen den Unter-
kiefer, zerreissen den Unterkiefer, und bei Querlagen reissen sie den Arm ab, reissen Bauch-
uud Brusthohle auf u. s. w.*
Auch Krehel bestätigt, dass die Yolks-Hebammen der Ehsten bei schweren
Entbindungen durch Zusammenschnüren des Leibes, durch ein Halten in der Schwebe
und durch Schütteln der Ereissenden den Geburtsvorgang zu fordern suchen.
Aus allerjüngster Zeit liegen uns über den Zustand der Geburtshülfe bei
den Ehsten eingehende Nachrichten von Alksnis vor. Es war nicht leicht, die
Angaben zu sammeln, da „die Hebammen über dieses ihr heiliges Amt ungern
mit Männern sprechen''.
,So habe ich denn," fährt Alksnia fort, „einige geburtshülf liehe Thatsachen den Aus-
sagen von Frauen, welche selbst geboren hatten, entnommen: sie berichteten mir das bei
ihnen von ungelehrten Hebammen Ausgerichtete. Andere Notizen verdanke ich direct einer
■ vielbeschäftigten, ungelehrien Hebamme, welche gerne die gelehrten Hebammen und die Aerzte
kritisirte, wobei sie sich selbstverständlich Mühe gab, ihre eigenen Kenntnisse ins beste Licht
zu stellen.'
Auf die äusserliche Untersuchung legen die ehstnischen Hebammen einen
geringen Werth; die innere Untersuchung der Gebärenden üben sie aber fleissig
und sie bestimmen danach, ob das Kind mit dem Kopfe oder mit dem Steisse
voranliegt, oder ob es sich um eine Querlage handelt. Die letztere fiirchten sie
ausserordentlich. Bei der Untersuchung kommen nicht selten Irrthümer vor. Die
Scheide wird kurz vor und nach der Entbindung mit einer Mischung von Seifen-
wasser und Branntwein ausgespült.
„Vor der Geburt wird gewöhnlich den Frauen ein Tuch in der Gegend des Hypo-
cardiums um den Leib geschlungen, was das Gebären erleichtere. Die Geburt läset man in
den verschiedensten Positionen erfolgen. — Nicht selten werden bei schweren Geburten die
Beine aber auch mit Gewalt aus einander gezerrt, wobei die Vulva aus einander gerissen werden
kann, was den Gebärenden furchtbare Schmerzen bereite, von ihnen aber geduldig ertragen
werden müsse. Die Hebamme steht vor der Gebärenden, zwischen ihren Enieen, und thut
das üurige. Erfolgt die Geburt sehr schwierig, so wird zur Anregung der Wehen der Uterus
gedrückt; man lässt aber auch die Frau, bei ausgespreizten Beinen, sich abwechselnd auf
das eine und das andere Bein stellen und sich dabei etwas schütteln, damit das Kind desto
leichter herauskomme/
AVcsnis erwähnt dann noch eine Angabe des Dr. Blau, «dass die ungelehrten
Hebammen auch Versuche machten, mit den Händen den Geburtskanal zu dehnen,
wobei Verwundungen vorkämen; darunter sind wohl Bupturen des Dammes und
des Muttermundes zu verstehen/
Auch Beschwörungen spielen noch eine grosse Bolle und mehrere von ihnen
führt Alksnis an.
Eine Zangenoperation wird auch jetzt noch ,als ein unnützer, roher Eingriff gekenn-
zeichnet^ da doch das Kind meist so wie so absterbe'. «Bei Steisslagen wird mit den Zeige-
fingern in die Hüftbeuge eiugefasst und nachgeholfen. Bei Fusslagen wird an den Füssen
283. Die Gebnrtshülfe bei den Süd-Slaven and Nen-Griechen. 129
gezogen, wobei man sich hüten müsse, anstatt eines Fosses eine Hand zu ergreifen. An einer
Hand dürfe nie and nimmer gezogen wef den; präsentirt sich dieselbe, oder ist sie yorgefkllen,
so müsse man sie zorückschieben."
So erastlich diese Hebammen nun audi bemülit sind, den Arzt von der
Ereissenden fernzuhalten, so giebt es dennoch eine Situation, in welcher dessen
Hülfe ihnen sehr erwünscht ist. Das sind die Querlagen. In solchen Fällen,
sagte Alksnis' Gewahrsmännin , wisse sie nichts zu ihun, und sie wüsste auch
nicht, dass andere Hebammen sich hierbei irgendwie zu helfen verständen; sie
schicke dann einfach nach dem Arzt, um der Verantwortlichkeit zu entgehen.
283. Die Geburtshttife bei den Sfid-Slayen und Nen-Orieclien.
Bei den südslavischen Völkerschaften ist ebenfalls die Fürsorge des Staates
bisher noch nicht im Stande gewesen, die althergebrachte Volks-Geburtshülfe sieg-
reich aus dem Felde zu schlagen.
In Galizien giebt es viele Tausende von Naturwehemüttem, alte Weiber,
deren man im Dorfe zwei, drei und mehr findet, und die in Ermangelung einer
anderen Beschäftigung sich als Hebamme gebärden, doch auch jun^e Weiber,
deren Mütter als Hebammen galten und auf die daher die Kunst sidi vererbte.
Diese Frauen, deren ganze Kunstfertigkeit kaum weiter reicht, als dass sie die
Nabelschnur zu unterbinden vermögen, wissen, dass bei der normalen ^eburt der
Kopf des Kindes vorangehen soll. Daher halten sie alles fKr den Kopf, was ihnen
zuerst entg^entritt. Gleich im Anfange der Entbindung schmieren sie der
Kreissenden den Unterleib mit einer Mischung von Branntwein und Fett; dann
kneten sie denselben und beräuchem ihn. Ausserdem lassen sie die Gebärende
bis zur Erschöpfung ihrer Kräfte pressen. Ist bei einer Querlage ein Arm vor-
gefallen, so versuchen sie an diesem das Kind zu extrahiren. um eine zurück-
bleibende Nachgeburt kümmern sie sich nicht; sie lassen dieselbe ruhig in Fäul-
niss übergehen.
Bei den Slaven in Istrien stehen nach v. Düringsfdd bejahrte Frauen
den Kreissenden bei, welche die Kunst, zu entbinden, bereits von ihrer Mutter
erlernt haben. Trotzdem laufen hier die Entbindungen f&r gewöhnlich sehr glück-
lich ab und höchst selten soll eine Frau im Wochenbette das Leben verlieren.
Ueber Serbien berichtet Valenta^ dass dort ein vollständiger ^Mangel an
Hebammen herrscht, welche von der Regierung approbirt wären. Die Bäuerin
in Serbien kommt im Freien nieder und bedarf überhaupt keiner Hebamme.
Wahrend der ersten Tage des Wochenbettes steht ihr eine ältere Frau zur Seite,
Wittwen sind aber zu dieser Function nicht zugelassen.
Auch' in Bosnien und der Hercegovina fehlt es an eigentlichen Heb-
anunen. Aeltere Frauen helfen der Kreissenden und eine Menge abergläubischer
Mittel werden dabei in Anwendung gezogen. Wir werden einigen derselben noch
später begegnen. Glück sagt:
.Liegend gebären meines Wissens in Bosnien und der Hercegovina nur die Spa-
niolinnen (das sind die Jüdinnen). Das als Hebamme fimgirende Weib hält die Hände,
um das Kind vor dem Fall zu schützen, und entfernt es gegen vorne von der Mutter."
Massage des Unterleibes und der Ereuzgegend wird auch hier bei zögerndem
Geburtsverlaufe ausgeübt, ausserdem aber wickelt man die Krebsende in eine
Decke und schüttelt sie mehrmals nach einander tüchtig, um das Kind in die
richtige Lage zu bringen. Um die Nachgeburt kümmern sich die Frauen nicht;
sie warten, bis sie von selber abgeht.
In Dalmatien und zwar in Zara wurde schon im Jahre 1821 eine Heb-
ammen-Schule eingerichtet. Der Unterricht erstreckte sich auf ein Jahr und
wurde in italienischer und illyrischer Sprache ertheilt. Durchschnittlich
waren 12 Schülerinnen dort. Bei der geringen Bevölkerung Dalmatiens würde
PI 08B- Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II. 9
130 XLIY. Die Entwickelong der GeburUhülfe in dem übrigen modernen Europa.
diese Zahl hinreichen, wenn die Hebammen besser vertheilt, mehr überwacht und
in gehörigen Schranken gehalten würden. Ihre Behandlung der Schwangeren und
der Kinder hat Derblich als eine ziemlich barbarische geschildert.
Im Banat versieht nach v. Bajacsich gewohnlich ein altes Weib die Heb-
ammendienste.
lieber die Zustande in der Geburtshülfe in Griechenland besitzen wir
Ton Eton Nachrichten, welche freilich schon aus dem Anfange unseres Jahr-
hunderts stammen:
.Die Hebamme war eine sehr alte Frau, deren Kenntnisse und Erfahrungen gerühmt
wurden. Sie brachte noch eine Gehülfin mit, die fast eben so alt war, wie sie selbst Auch
brachte sie eine Art von Dreifuss mit, auf welchen sich die Gebärende setzen musste; sie
selbst sass vor der Gebfixenden und empfing das Kind, w&hrend die Gehülfin die Geb&rende
von hinten um den Leib mit ihren Armen umfasst hielt.*
Neuere Nachrichten hat dann Ploss durch Damian Georg in Athen er-
halten. Nach diesen giebt es in Griechenland fas£ in allen Städten unterrichtete
Hebammen, welche in der schon vor vielen Jahren in Athen errichteten Heb-
ammen-Schule ihre Ausbildung erhalten haben. Auf dem Lande dagegen üben
die Geburtshülfe praktische Hebammen aus, welche einen systematischen Unter-
richt nicht gemessen. Letztere entbinden die Frauen, während diese liegen oder
knieen, führen bei der Entbindung die Hände in die Scheide ein, drücken die
Schamlippen nach hinten und reissen das Perinaeum ein. Bei zögerndem Geburts-
verlaufe wenden sie nur Yolksmittel an; sie wissen von falscher Kindeslage nichts
und üben keine instrumentale Hülfe aus. Bleiben bei einem erschwerten Geburts-
verlaufe die Maassnahmen dieser Weiber ohne Erfolg, dann werden häufig Schaf-
hirten zu Hülfe gerufen.
XLV, Die Entwickelung der Geburtshttlfe bei den heutigen
Culturvölkem Asiens.
284. Die Geburtshfilfe in der TflrkeL
Der Leser wird es mir nicht verübeln, wenn ich die Türken nicht in
Europa abhandele, sondern wenn ich sie den Cultnryolkem Asiens zuzähle,
obgleich die Nachrichten, welche wir über ihre geburtshülflichen Verhältnisse be-
sitzen, fast lediglich aus Constantinopel stammen. Wir werden eben, was hier
geschieht, als ein annäherndes Abbild desjenigen ansehen können, was auch bei
den asiatischen Türken gebräuchlich ist, mit der einzigen Einschränkung aller-
dings, dass die grossstädtischen Verhältnisse in Constantinopel immer noch
als die besseren betrachtet werden müssen.
Die Geburtshülfe liegt hier, wie in der ganzen Türkei, ausschliesslich in
den Händen der Hebammen, da die Frauen der Türken ja bekanntermaassen von
emem Arzte nicht entschleiert gesehen und niemals an den Genitalien berührt
werden dürfen.
Schon Haaselquist schrieb in seiner «Reise nach Palästina" im Jahre 1762: , Wehe-
mütter findet man sowohl bei den Türken als Griechen, die aber ihre Kunst bloss aus der
Er&hrung wissen, ohne von Jemand Unterricht genossen zu haben. ** Oppenheim berichtete
im Jahre 1833 sehr Trauriges Über die Moral und die Intelligenz dieser ^b^-caden genannten
Hebammen. In Constantinopel begann zwar schon im Jahre 1844 ein theoretischer Unter-
richt für Hebammen.
Dennoch schildert in neuerer Zeit Uram den Zustand des heutigen Heb-
ammenwesens im Orient noch als höchst ungenügend. Unterrichtete Hebammen
g'ebt es nur in den Städten. Die Mehrzahl dieser Weiber hat ein unehrbares
»ben hinter sich, bevor sie sich ihrem neuen Berufe zuwenden, so dass ein Sprüch-
wort schon besagt: ,Jede Frau, die mit der Prostitution begonnen, endigt mit
dem Stande der Hebamme." Nebenbei treiben sie noch Kupplergeschäfte, indem
sie sich sehr geschickt in der Schliessung von Ehebündnissen zeigen. Sie gehen,
eine grosse Ehrbarkeit heuchelnd, stets eiligen Schrittes, schwarz gekleidet und
mit einem silberbeknopften Stocke auf der Strasse einher. Die meisten von ihnen
sind echte Türkinnen; aber auch Griechinnen und Armenierinnen erfreuen
sich beim Volke eines grossen Ansehens.
Eram schreibt:
,La sage-femme insiste pour Stre accompagn^e de la mere oa de la grande-m^re de
Taccouchäe, pour rejeter snr elles ime partie de la responsabilit^ en cas d'accident, et, au
besoin, pour utiliser leur exp^rience, sachant bien qa*ayant accouchä elles-mSmes et souvent
assiste ä des accouchements, lear concours poorra quelquefois la tirer d*embarras. C^est un
moyen comme un autre de masquer son ignorance.*
9*
132 XLV. Die Entwickelung der Geburtehülfe bei den heutigen Culturvölkem ABiens.
Begreiflicher Weise ist es ihm niemals gelungen, Zeuge einer derartigen
Entbindung zu sein. Er konnte nur aus den vielen Fallen schwerer Frauenkrank-
heiten, welche ihm in dem Hospitale in Gonstantinopel zur Beobachbrng kamen
und die fast sämmÜich als üble Folgen der Entbindung betrachtet werden mussten^
einen Rückschluss machen auf die Rohheit, mit welcher die den Gebärenden bei-
stehenden Weiber dort zu Werke zu gehen pfl^en. Während Oppenheim be-
richtete: «So ungeschickt die Geburtshelferinnen sind, so finden im Ghuizen doch
wenig Unglücksfalle statt,* kennt hingegen Er am zahlreiche traurige Folgen der
ungeschickten Hülfeleistung: in schweren Fallen Tod des Fötus, Riss der Gebär-
mutter, acute Peritonitis, Eiterinfection u. s. w.
Wenn irgend ein Geburtshindemiss die Entbindung verzögert, so wartet die Hebamme
geduldig, unbekannt mit den Mysterien des Geburtsmechanismus und den Ursachen der
Dystokie. Wenn dann die Geduld der Familie der Gebärenden aufhört, so wird nach einer
anderen oder auch gleichzeitig nach mehreren Hebammen geschickt; in solchen Ffillen hat
die Niederkommende viel Glück, wenn sie mit dem Leben davonkommt. Aber es giebt im
Orient auch Familien, insbesondere christliche, welche schon bei einer einfachen Geburtsver-
zögerung entweder der Hebamme das Vertrauen ganz entziehen oder sie auffordern, mit einem
Arzte über den Fall zu sprechen; dann wendet sich die Hebamme entweder an einen unwissen-
den Charlatan, oder der Bericht, den sie einem Arzt über den Zustand der Gebärenden bringt,
ist so verworren und unklar, dass sich der Arzt eine richtige Vorstellung zu machen nicht im
Stande ist. Fragt der Arzt nach der Gebärmutter, so antwortet die Hebamme, sie sei gross;
fragt er dann, ob sie die Gebärende untersucht habe, so referirt sie, dass sie den Unterleib
sehr hart gefunden habe. Wenn nun der Arzt verlangt, dass sie nun auch eine innere Unter-
suchung vornehmen und sich über den Zustand des Muttermundes unterrichten soll, so läuft
sie eilig zurück, steckt in gewaltsamer Weise ihren Finger in die Scheide der Gebärenden und
bringt dem Arzte hierauf einen Bericht über den Muttermund, indem sie denselben mit einer
Menge von Dingen vergleicht. Aber der Arzt will auch etwas über die Blase der Eihäute
wissen, welche man im Muttermund fühlen könne ; die Hebamme läuft abermals zurück, unter-
sucht und findet in der That die Blase — oder die Geburt ist schon weiter fortgeschritten,
vielleicht sogar beendet.
Ein anderer Berichterstatter sagt:
Die Hülfe der Hebammen, dieser ungebildeten Frauen aus allen Nationen, welche die
unvemQnftigsten Manipulationen mit den Gebärenden vornehmen, erstreckt sich nicht nur auf
das Geschäft der Entbindung, sie werden vielmehr auch bei Frauen- und Kinderkrankheiten
zugezogen, verschreiben Mittel gegen Unfruchtbarkeit und erzeugen so manche Gebärmutter-
krankheit. Aber ihr besonderer Beruf ist der künstliche Abortus.
.Die Zunft der Hebammen in Gonstantinopel," sagt Prado, der in dieser Stadt
prakticirte, «besteht mit Ausnahme einiger Persönlichkeiten, welche ihre Kunst rechtschaffen
ausüben, im Allgemeinen aus verrufenen und unwissenden Frauenzimmern, welche vorher die
schamlosesten Gewerbe ausgeübt haben und endlich sich mit dem Titel Mamy (Hebamme)
bedecken, um dieselben (reschäfte raffinirter und ungestörter auszuüben, oder um deren noch
schändlichere zu unternehmen mit der Grewissheit der Unbestraftheit, welche ihnen die An-
eignung des Hebammen- Titels zusichert. Diese unheilvollen und schamlosen Frauenzimmer
beflecken täglich die Schwellen angesehener Häuser und entehren durch ihre Gegenwart die
achtbarsten Familien, indem sie diejenigen zum Verbrechen auffordern, welche sie vorher zu
Fehltritten verleitet haben, und die dann in der Regel damit enden, gänzlich ihr Opfer zu
werden! Alle diese Vergehen geschehen sozusagen vor den Augen aller Leute, und die Frauen-
zimmer der genannten Art sind nicht nur keiner Ueberwachung unterworfen, sondern trotzen
selbst den Anordnungen der bestgesinnten medicinischen Autoritäten.*^
Prado sagt über die geburtshülfliche Praxis jener sogenannten Hebammen:
.Man muss, wie wir, diese Megären bei der Arbeit gesehen haben, vrie sie in Ermange-
lung von Abtreibungsgeschäften es wagen, die zartesten und schwierigsten geburtshülf liehen
Verrichtungen mit jener schrecklichen Kühnheit zu unternehmen, welche sie ohne Zweifel nur
aus Unwissenheit und in dem Gefühle zu unternehmen wagen, dass sie sich ihrer Straflosig-
keit für alle Fälle im Voraus bewusst sind. Man kann annehmen, dass das ganze Monopol
des Abtreibungsgeschäftes sowie der Geburtshülfe sich meistens in solchen Händen concentrirt
findet. Ein tiefes Geheimniss herrscht hier über der Ausübung der Geburtshülfe, und es ist
sehr selten, dass man hier die Hülfe eines Geburtshelfers in Anspruch nimmt.'
285. Die Geburtshülfe bei den ChineseiL 133
285. Die Oebnrtslifilfe bei den Chinesen.
üeber die Zoatande, wie sie bei den Chinesen in der ersten Hälfte unseres
Jahrhunderts herrschend waren, sind wir durch Schriften unterrichtet worden,
welche aus der Feder chinesischer Aerzte zur Belehrung der Frauen über die
öeburt und das Verhalten bei derselben stammten. Die eine derselben ist 1810
von Behmann^ die andere 1820 von v. Martius in das Deutsche übersetzt worden,
Wir ersehen aus diesen Büchern, dass auch in China die intelligenten Aerzte in
ganz analoger Weise mit den unverständigen Yorurtheilen der Hebammen einen
Kampf zu bestehen hatten.
Die meisten populären Lehrbücher über Geburtshülfe gehen aus der kaiser-
lichen Druckerei in Peking hervor. Eins derselben betitelt sich: Pao-tsan-ta-
seng-pien, wie Rwreau de ViUeneuve schreibt, oder Boo-tschan-da-schenn-
bian, wie Rehmann schreibt. Der erstere Titel heisst nach PatUhier's Ueber-
Setzung: Proteger, produit, sortie, vivant, livre; d. i. das Buch, bestimmt
zu schützen das Leben des Kindes bei der Geburt. Sein Motto ist: »Die
Unwissenheit der Hebammen kann den Tod ihrer Pflegebefohlenen herbeiführen."
Dasselbe Buch, das Hureau de ViUeneuve vielleicht nur aus den Auszügen des
Arztes Hegewald zu Philadelphia kennt, ist jedenfalls das Original, von dem
Behmann die erwähnte deutsche üebertragung besorgte.
Letzterer bekam das Buch in die Hände, als er eine russische Gesandt-
schaft nach Irkutsk begleitete. Es war in mandschurischer Sprache ge-
schrieben, aus welcher es der Gesandtschafts-Dolmetscher in das Russische und
hiernach Rehmann dann in das Deutsche übertrug. Es ist eine Anleitung für
Schwangere und Wärterinnen, aber nicht ein eigentliches Hebammenlehrbuch,
wofQr es Hureau de Vitteneuve hält. Auch diejenige populäre chinesische Ab-
handlung über Geburtshülfe, welche v. Martius im Jahre 1820 herausgab, ist ur-
sprünglich in mandschurischer (d. h. der chinesischen Hof-) Sprache ge-
schrieben, und gleicht bis auf die katechetische Form in manchen Punkten so
sehr dem Pao-tsan-ta-seng-pien, dass der Verdacht entsteht, der eine chine-
sische Schriftsteller habe hierbei den anderen stark benutzt. Auch von dieser
Abhandlung glaubt v. Martius^ dass dieselbe weniger für Aerzte und Hebammen
bestimmt, sondern eher eine Art von populärem diätetischem Handbuche oder eine
Instruction für Wärterinnen sei.
Etwas Anderes sind die eigentlichen Hebammenbücher in China, v. Mar^
Uus sagt:
.Die Frauen, welche die Gebnrtsliülfe ausüben, erlernen ihre Kunst ans besonderen
hebärztlichen Büchern, deren es ohnstreitig mehrere giebt; denn man hat daselbst, so viel
hierüber dem Auslande bekannt geworden, kein eigentlich kanonisches Werk. Die Lehren
in dergleichen hebärztlichen Büchern sind gewöhnlich in Form eines Katechismus, d. h. in
Frage und Antwort, abgefasst und zu mehrer Fasslichkeit durch höchst plumpe Abbildungen
erl&ntert. Sehr wahrscheinlich sind die dortigen Hebammen nicht im Stande, jene Lehrbücher
selbst zu lesen, sondern sie prägen sich ohnmaassgeblich nach öfterem Vorlesen derselben
ihren Inhalt in das Ged&chtniss und halten sich bei ihrer Praxis an die dabei befindlichen
Abbildungen.*
In dem chinesischen Buche, welches Rehmann übersetzte, heisst es bei
der Frage, ob bei der Entbindung eine Hebamme nothig ist:
.Man kann sie bei sich haben, aber ihr keine Macht Über die Geb&rende einräumen;
denn der grösste Theil der Hebammen ist dumm und unwissend. Sobald die Hebamme nur
Über die Schwelle des Hauses tritt, ohne zu wissen, ob die Zeit der Entbindung da ist oder
nicht, fj&ngt sie gleich an, Heu auf die Diele auszustreuen, und sagt: Strenge deine Kräfte
an, der Kopf des Kindes ist schon da! Oder sie reibt das Kreuz, streichelt den Bauch, oder
steckt die Hand hinein, um Versuche anzustellen, und um dadurch ihre Mühe und Fürsorge
zu zeigen, und dass sie nicht müssig, ohne etwas zu thun, da sei. Gern möchte ich hier an-
zeigen, allein Mitleiden hält mich zurück, all das heillose Unglück, welches verschmitzte und
verschlagene alte Weiber anrichten, bloss aus eigenem Interesse, indem sie ihre Geschicklich-
134 XLY. Die Entwickelung der Geburtshülfe bei den heutigen Gultarrölkem Asiens.
keit beweisen wollen. Schon die Benennung ,H6bamme' zeigt, an, dass sie ein altes Weib
ist, welches Erfahrung besitzt, ein Kind bei der Geburt zu empfangen und auf das Bett zu
legen, aber nicht, dass sie die Kunst besitzen sollte, mit den Händen etwas zu bewerkstelligen
oder sonst mit der Gebärenden umzugehen. In manchen reicheren Häusern hält man dieselbe
schon lange vor der Geburt bei sich. Wenn aber bei dem Vorgänge etwas Unangenehmes
sich ereignet, so holt man deren viele, und sie machen sich nur etwas ünnOthiges zu thun
und laufen hin und her.*
Wir erbalten hiermit aus der Feder des chinesischen Arztes eine klassische
Beschreibung von dem Oebahren dieser Frauen.
Solch eine Hebamme lernen wir auf einer chinesischen Aquarell -Malerei
(Fig. 279) kennen. Sie kniet auf einem erhöhten Podium, die Kleidung durch
eine Art Schürze geschützt, und hält das bereits fertig bekleidete Neugeborene
in den Armen. Die Waschschüssel, in der es gereinigt wurde, steht noch daneben.
Auf dem gleichen Podium sitzt auch die Wöchnerin, aufgerichtet und durch
Kissen unterstützt. Drei Kinder, wahrscheinlich die Geschwister des neuen Erden-
bürgers des himmlischen Reiches, das eine noch auf dem Arm getragen, besuchen
die Entbundene; drei erwachsene Frauen, die eine rauchend, machen ebenfalls ihre
Visite. Eine vierte Frau mit einem geschlossenen Sonnenschirm trägt das eine der
Kinder auf dem Arme. Die Hebamme ist als alte weisshaarige Matrone dargestellt.
Die von v. Martins übersetzte Abhandlung spricht ebenfalls davon, dass „un-
vernünftige Hebammen^^ die Gebärende antreiben, ihre Kräfte anzustrengen.
„Noch schlimmer ist es, wenn ein solches Weib durch Betasten und Drflcken des Efeuzes
und des Bauches der Ereissenden das Kind im Matterleibe ängstigt, welches Alles von der-
gleichen Weibern nur in der Absicht unternommen wird, um Versuche anzustellen, oder die
Wichtigkeit ihres Hierseins zu bekunden." Femer heisst es dort: , Es ist wohl immer gut,
eine solche Person in der NShe zu haben, allein man darf derselben über die Ereissende
durchaus keine Gewalt einräumen, weil dergleichen Weiber gewöhnlich sehr uner-
fahren sind und ganz ohne Ursache, bloss um sich wichtig zu machen oder nicht müssig
zu scheinen, oder um ihre Erfahrung zu zeigen und ihre grosse Fürsorge für die Gebärende
zu beweisen, durch unnöthigen Lärm dieselbe ängstigen.** Und schliesslich lesen wir: «Da-
durch sterben alljährlich so viele Wöchnerinnen, besonders Erstgebärende, dass sie sich so
unbedingt auf die Erzählungen der Hebefrauen verlassen und ihnen erlauben, Hand anzu-
legen und die Natur in Unordnung zu bringen."
Die chinesischen Hebammen sollen allerdings, wie v, Martins in China
hörte, Yon einzelnen sich mit dem Entbindungsgeschäft befassenden Aerzten an
beweglichen Phantomen ftir ihr Fach abgerichtet werden. Sehr ausgedehnt werden
aber wohl die Kenntnisse dieser Aerzte auch nicht gerade sein. Denn nach
Hureau de VtUeneuve darf kein Mann, selbst nicht der Ehemann oder der ge-
wöhnliche Hausarzt, bei Lebensgefahr in das Zimmer der Gebärenden treten. Auch
Staunton berichtete im Jahre 1797, dass es keinem Arzte gestattet sei, Gebärende
zu beobachten oder Oeburtshülfe auszuüben.
Von dieser strengen Verordnung müssen aber doch auch bisweilen Ab-
weichungen möglich gewesen sein. Denn v. Martins' Arzt erzählt:
,Ich habe in meinem Leben, so lange ich Arzt bin, mir die Lehren des grossen Manlaa
zur unveränderlichen Richtschnur gesetzt, ,und so vielen Geburten ich auch beigewohnt
habe*, so bin ich dabei immer den natürlichen Gesetzen der Natur gefolgt. Bei genauer Be-
obachtung derselben hatte ich niemals nöthig, den natürlichen Gang der Geburt zu stören
oder gar Arzneien zu verordnen. Weil ich meine Methode gern allgemein zu machen wünsche,
80 habe ich dieselbe drucken lassen. Die erste und vorzüglichste Regel, um die leichte Geburt
eines Kindes zu f^^rdem, ist Ruhe, Geduld und Enthaltung von Arzneien.*
Nach den viel jüngeren Berichten von Hureau de VtUenenve sind jedoch
die chinesischen Hebammen nicht unerfahren in der inneren Untersuchung; sie
können aus der Beschaffenheit des Gebärmutterhalses den Eintritt der Geburt er-
kennen; allein sie glauben auch gewisse Zeichen aus dem Pulse immer noch als
Merkmale für die Prognose und Diagnose des Schwangerschafts- und Geburts-
verlaufs benutzen zu können.
285. Die Geburtshülfe bei den Chinesen.
135
Wenn die Geburt ihren Anfang nimmt, so konmit die gerufene Hebamme
mit einer Gehülfin, und mehrere Freundinnen der Familie stellen sich ihr dann
zur Vertagung. Die Hebamme ordnet zunächst an, dass die Leute im Hause
keinen Lärm machen. Während sie Stillschweigen gebietet, breitet sie auf einem
Möbel die zahlreichen Arzneimittel aus, welche sie gewohnlich bei sich führt.
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Dann bestimmt sie die Lage und Stellang des Kindes, stellt aus dem Aussehen
des Gesichts der Gebärenden die Prognose für die Entbindung, lässt die Kreissende
erst umhergehen, dann aufrecht mit erhobenen Armen stehen und beim stärkeren
Eintritt der Wehen in die Stellung bringen, die in China beim Gebäract ge-
bräuchlich ist.
136 XLV. Die Entwickelang der Geburtshülfe bei den heutigen CultnrvOlkern Asiens.
In den Hebammenbüchem der Chinesen werden folgende fUnf Kindeslagen
unterschieden: die Kopflage nnd Steisslage, die Armlage und die Fusslage, und
endlich die Rumpf läge.
Da die chinesischen Hebammen die Kindeslage mit Vorlage des Kopfes
oder beider Füsse fQr die günstigste halten, so suchen sie, wenn ein Fuss oder
eine Hand vorliegt, oder wenn es sich um eine Querlage handelt, jene günstige
Lage herbeizuführen. Dieses versuchen sie durch Lagerung der Gebärenden und
durch (nicht naher angegebene) Handgriffe zu bewerkstelligen. Bleibt hierbei das
Verfahren erfolglos, so weiss der darüber schreibende chinesische Arzt ,»8elb8t
kein Mittel anzugeben ''. Zwar heisst es, dass die Hebamme dann, wenn das Kind
in solchen Fällen abgestorben ist, zur Ausziehung mittelst eines Hakens und zur
Zerstückelung des Kindes, d. h. zur Ablösung der Gliedmaassen und zum Zer-
brechen der Knochen schreitet; doch ist auch über dieses Verfahren nichts Näheres
bekannt, und es ist kaum anzunehmen, dass die Hebammen wirklich selber zu der
Vornahme dieser bedeutenden Eingriffe schreiten. Nach den Berichten von Kerr
ist überhaupt bei der praktischen Geburtshülfe der Hebammen in Ca n ton von
manueller Hülfe nicht die Rede. Amulete aber spielen bei der Niederkunft eine
grosse Rolle; so muss die Gebärende Strümpfe anziehen, welche vom Dalai Lama
zuvor geweiht wurden u. s. w. Bei verzögertem Abgange der Nachgeburt reizt
die Hebamme den Gaumen der Frau mit einer Feder, um Brechbewegungen her-
beizuführen. In der v. Martius^^i^ea Abhandlung wird gesagt, dass die Verzögerung
des Abgangs davon herrühre, dass die Gebärende zu früh auf den Stuhl kam;
die Sache sei nicht gefahrlich, nur bedenklich, erheische keine Medicamente,
sondern man solle nur die Nabelschnur umwickeln, dann umbiegen, hierauf noch-
mals fest zubinden und mit der Scheere abschneiden. Hierauf werde in 3 — 5
Tagen die Nabelschnur vertrocknen und ebenso die Nachgeburt vertrocknen und
herausfallen.
Zu den Functionen der Hebammen in China scheint auch die Beaufsich-
tigung und üeberwachung des Wochenbettes, sowie die Behandlung der in dem-
selben vorkommenden Krankheiten zu gehören. Denn in den erwähnten chine-
sischen Schriften ist mehrfach von diesen Dingen die Rede.
286. Die Oebnrtshülfe bei den Japanern.
Während die Gultur des Mikado -Reiches im Allgemeinen ein Abkömmling
chinesischer Bildung ist, scheint dagegen die Geburtshülfe in Japan eine
autochthone Entwickelung durchgemacht zu haben. Dies geht schon aus v. Sie"
bold's Bericht über die Aussagen seines Schülers Jlftma^tmje^a, Arzt zu Nagasaki,
ziemlich deutlich hervor. Die Geburtshelfer Japans werden von keiner Behörde
examinirt und concessionirt, während andere Aerzte eine Art von Approbation
erhalten; erstere haben, wie Mimcumnea sagte, «sich theoretisch und praktisch
mit Geburtshülfe beschäftigt und werden bei unregelmässigem Geburtsirerlaufe
hinzugezogen.*^
Bis etwa vor 100 Jahren war die Geburtshülfe in Japan fast ausschliess-
lich in den Händen von bestimmten Weibern, welche durch Tradition ihre Kennt-
nisse fortpflanzten. Ihr ganzes Handeln entbehrte jeglicher wissenschaftlicher
Grundlage; es beschränkte sich übrigens auch auf die aUergewÖhnlichsten Dienst-
leistungen, Abschneiden der Nabelschnur, Entfernung der Placenta, Baden des
Kindes u. s. w.
Die Geburtshülfe wurde damals nur als ein Theil der inneren Medicin be-
trachtet. Es wurden aber nur aligemeine Theorien über die Lage und Entwicke-
lung des Embryo gelehrt, ohne dass man von den Functionen des Uterus
oder von dessen Vorhandensein irgend welche Vorstellung hatte. Das ganze Wirken
286. Die GebartshOlfe bei den Japanern. 137
der Aerzte bestand in der Verordnung einer Anzahl von schmerz- und krampf-
stillenden Mitteln.
Erst im Jahre 1765 legte ein in der Provinz Omi ansässiger Arzt, Sigen
Kangawüy die Lehren seiner Wissenschaft und Erfahrung in einem Buche nieder,
das den Titel Sang-ron oder San-ron fuhrt, d. h. «Beschreibung der Ge-
burt*. Wir haben es schon mehrfach angef&hrt. Kangawa hatte früher die
Acupunctur betrieben, und seine Lehre stützte sich weniger auf anatomische Kennt-
nisse, als auf die Berücksichtigung der bei der Acupunctur in Betracht kommen-
den Punkte.
Er hat auch das Am buk für die Geburtshülfe benutzt, eine seit Alters her in Japan
gebräuchliche Massage, die gegen verschiedene Krankheiten helfen soll. Er führte es als ein
methodisches, vorsichtiges und leises Drücken oder Betasten des Unterleibes, zur Diagnostik
der Schwangerschaft ein, sowie zur Beförderung der Geburt und zur Beseitigung verschie-
dener Leiden der Schwangeren. Femer trat Kangawa mit Erfolg gegen den Gebrauch des
Geburtsstuhls und gegen die üble Gewohnheit auf, dass man die Wöchnerin noch eine ganze
Woch(9 auf diesem Stuhle ohne Schlaf verharren liess; er Hess die Frau in ein bequemes Bett,
d. h. auf wattirte Decken oder Matratzen legen und empfahl auch, dass das Wohnzimmer
besser als bisher gelüftet werde u. s. w. Unter den geburtshülflichen Operationen üben seit
Kangawa die japanischen Aerzte die Wendung von aussen (Seitai) aus, welche durch eine
Art Ambuk vollbracht wird; sie eztrahiren nöthigenfalls das Kind mit der Hand oder wenden
die Zerstückelung mit dem Messer oder mit dem Haken an.
Das Ambuk oder Amboekoe wird von den Hebammen ausgeführt, und
Mimaeunea sagt:
.Zur Beschleunigung der Geburt drückt man zuweilen den Leib mit grösster Vorsicht
und unter Befolgung der beim Amboekoe und Seitai anzuwendenden Regeln und Handgriffe.'
Die Hebammen mögen eben den Geburtshelfern Manches abgesehen haben.
Ein anderer Berichterstatter, ein russischer Arzt in Hakodade, schreibt
1862: „Die japanische Geburtshülfe liegt in den Händen alter, roher Weiber,
und geburtshülf liehe Operationen kommen natürlich nicht vor;'' allein er erzählt
auch, dass die Hebammen die Wendung durch Streichen des Unterleibs machen.
Er schiebt hauptsächlich dem Binden des Unterleibs in der Schwangerschaft (um
das Kind möglichst klein zu erhalten) und im Wochenbett (um Gongestionen vom
Uterus aus nach dem Kopfe zu verhüten), sowie dem üblen und zu kühlen Lager
der Wöchnerinnen das häufige Vorkommen von Wochenbettkrankheiten zu, während
dagegen Scheube diesen auch noch 5 Wochen nach der Entbindung fortgesetzten
Gebrauch der Leibbinde ftir sehr zweckmässig erklärt.
Der Nabelstran^ wird nach Mimaeunea' s Angabe in Japan wie bei uns
abgeschnitten, doch schreibt man dem Gebrauche des Eisens im Volke einen schäd-
lichen Einfluss zu und benutzt deshalb scharfe Geräthe aus Bambus, Holz und
Porzellanscherben, bei Reichen aber Instrumente von edlen Metallen. Das An-
binden der Nabelschnur an die Hüften der Gebärenden, damit die Nachgeburt
nicht zurücktreten soll, ist sicher ein altes Hebammenverfahren. Mimaeunea
Bchliesst seine interessante Abhandlung mit den Worten:
,Wie sehr auch seit der aufgeklärten Zeit die Zahl der unglücklichen und geßlhrlichen
Geburten durch die YerbeBserungen in der Geburtshülfe und Lebensweise während der
Schwangerschaft abgenommen hat, was man mehr als einem berühmten Geburtshelfer zu
danken hat, so kommen doch während und nach der Geburt Unglücksfälle vor, wobei die
Wöchnerinnen mit genauer Noth oder gar nicht aus der Gefahr gerettet werden können,
zumal an solchen Orten, wo kein verständiger Geburtshelfer oder Hebamme gerufen
werden kann.'
Nach Mittheilungen Scheube's^ welcher in Japan als Arzt thätig war, wird
in etwa fünf Procent der geburtshülflichen Fälle operative Hülfe nSthig. In wie
vielen Fallen die Operationen glücklich für Mutter und Kind ablaufen, bleibt
leider aber unbekannt. Er berichtet, dass auch das PuerperaLQeber dort vorkonunt.
Dagegen sind nach der Aussage des Dr. Kauda in Tokio die japanischen
138 XLV. Die EntwickeluDg der Geburtshülfe bei den heutigen Cultarvölkern Asiens.
Frauen so gesund, gut gebaut und schön entwickelt, dass die Geburt meist ohne
weitere Hülfe vor sich geht.
Aehnliches berichtet Vedder, welcher Leibarzt des Prinzen von Nagato und
Suwo war. Die Geburtshülfe ist, wie er sagt, in Japan grosstentheUs in den
Händen von Frauen, und nur die Ausfuhrung grösserer Operationen (Wendung,
Kephalotomie u. s. w.) bleibt Männern überlassen. Bei der Entbindung kniet ge-
wöhnlich in Japan die Kreissende auf Matten, die mit Oelpapier und altem Zeuge
bedeckt sind, und stützt die Arme auf eine Unterlage. Die Hebamme drückt mit
beiden Händen gegen die Kreuzbeingegend. Später stützt sie, um einen Vorfall
des Afters zu verhüten, diesen mit der Hand. Sie fühlt mit den Fingern in die
Scheide, ob der Kopf kommt, und drückt beim Durchtritt des Kopfes zur Ver-
meidung von Dammrissen das Perinaeum nach vorn.
Dass die Japanerinnen aber auch im Liegen niederkommen, das wurde
oben schon gesagt, und solch eine japanische Entbindungsscene führt uns ein
Holzschnitt aus einem japanischen Buche vor, das sich in dem kgl. Museum
für Völkerkunde in Berlin befindet. Er ist in Fig. 280 wiedergegeben. Hinter
einem Schirme, der das Bett nur theilweise verdeckt, sehen wir die Kreissende
Fig. 280. Kreissende Japanerin, von zwei Frauen unterstützt.
(Nach einem japanischen Holzschnitt.)
auf ihrem Lager, mit dem uns eine spätere Abbildung noch näher bekannt
machen wird. Zu jeder Seite des Bettes kniet eine helfende Frau, deren eine
ihre Hände unter die Decke der Kreissenden geschoben zu haben scheint und hier
in ihrer Beckengegend irgend welche Manipulationen vornimmt. Die Kreissende
befindet sich in der Seitenlage, und zwar ist ihre rechte Seite nach unten gekehrt.
Eine Verbesserung der geburtshülf liehen Verhältnisse in Japan ist, wie
gesagt, bereits von Sigen Kangawa angebahnt worden; seine Nachkommen haben
dann in demselben Sinne weiter gearbeitet. Die Lehren des Kangawa^ die er im
San-ron giebt, sind noch frei von europäischem oder chinesischem Einfluss;
sie sind der Ausfluss rein japanischer Cultur. Richtige anatomische Anschau-
ungen können wir bei ihm natürlich nicht erwarten.
Er nennt seine Beschreibung des Geburtsverlaufes und die Behandlung desselben „ Aus-
wahl des Bettes*; er unterscheidet ganz richtig die verschiedenen Eindeslagen und hat für
die verschiedenen Zufälle und Störungen bei der Geburt fünf verschiedene „Manipulationen*
angegeben, die besonders in einer den Umständen nach zu wählenden Lage und Stellung
der Frau, sowie in gewissen Hantierungen des Geburtshelfers (äussere Wendung u. s. w.)
bestehen.
286. Die Geburtshülfe bei den Japanern. 139
Ueber das Können seiner ärztlichen Zeitgenossen verdanken wir Kangawa
folgende Schilderung:
„Die meisten Aerzte unterlassen alles active Handeln, z. B. die Anordnung des ^Sitzens
auf der Matte', das ürtheil über die Lage, das Leben oder Abgestorbensein der Fmcht nnd
das dabei nötbige Eingreifen der Hebammen, und kflmmern sich nicht darum; begegnen sie
dann einmal einem schwierigen Fall, so wissen sie nicht, was sie thun sollen, und müssen
Matter und Kind sterben sehen; das ist aber nicht die Aufgabe unseres schmerzlindernden
Berufes. Die Hebammen, welche gebraucht werden, sind meist ganz unwissende Wittwen, die
nur das Abwischen und Waschen kennen, aber absolut unfähig sind, zur Lebensrettung etwas
beizutragen. Deswegen ist es dringend noth wendig, dass die Aerzte die bei der Schwangeren
zu leistende Hülfe und die Behandlungsweise kennen. Am dringendsten' sind beide aber während
des Geburtsactes; hier kann der Geburtshelfer wirklich etwas leisten, aber nur zwei Zehntel
der Hülfe bestehen in medicamentöser Behandlung, in acht Zehnteln der Fälle dagegen ist
mechanische und manuelle Hülfe nothwendig, während die Aerzte fast ausschliesslich der
medicamentüsen Behandlung, die doch nichts leisten kann, ihre Aufmerksamkeit zuwenden.'
Kangawa scheint operativ eingegriffen zu haben, wenn bis zum dritten Tage
nicht die Entbindung zum Abschluss gekommen war. Dann war wohl aber in
der Regel das Kind schon abgestorben.
Seine sogenannten «fünf Manipulationen" sind: 1. .Das Sitzen auf der Matte', d. h.
die bei normaler Sch&dellage anzuwendende hockende Stellung der Frau unter Unterstützung
derselben seitens des Geburtshelfers durch Dammschutz, Heben des Körpers der Frau und An-
regung der Wehen mittelst Reibungen; 2. die Extraction des Kindes bei Beckenendelage;
3. die Wendung des Kindes durch äussere Handgriffe bei Querlage desselben; 4. die Behand-
lung der Zwillingsgeburt durch Einleitung des zunächstliegenden Kopfes mittelst Druck vom
Bauche aus; 5. die Anwendung des Hakens (wie es scheint des scharfen und stumpfen, also
des Doppelhakens) bei Querlage des Kindes mit Vorfall der Arme oder der Schultern. Diese
letztere Manipulation wurde noch als Geheimniss betrachtet, mindestens von Kangawa nicht
genauer beschrieben. Allein sie wurde seitdem, wie es scheint, auch schon den Hebammen
bekannt. Miyake wenigstens berichtet, dass diese den Haken benutzen.
In Japan ist es Sitte, dass der Beruf von dem Vater auf den Sohn über-
geht; die erste Unterweisung erhalten die Sohne aber oft nicht von ihrem Vater,
sondern von Freunden des letzteren. Es giebt Familien, in denen schon seit
Jahrhunderten eine bestimmte Berufsart sich fortgeerbt hat und welche daher
wegen ihrer in derselben erlangten Tüchtigkeit in grossem Rufe stehen. Durch
die in Japan überhaupt sehr gebräuchliche Adoption wird dem Erlöschen einer
Kunst vorgebeugt. Wie berühmte Maler- und Aerztefamilien , so giebt es auch
berühmte Geburtshelferfamilien. Von diesen geniesst diejenige ^eiA Kangatca
das grösste Ansehen. Seine Nachkommen bildeten bis jetzt die japanische
Geburtshülfe weiter aus. In der Genealogie folgen auf einander: 1. Sigen Kangawa
(nach Scheube Kangawa Sighen\ Verfasser des San-ron; 2. Kengo Kangawa (nach
Scheute Kangawa Gentekiy Adoptivsohn des Vorigen), Verfasser eines Nachtrags
zum San-ron; 3. Mä/susadu Kangawa, Erfinder der Fischbeinschlinge; 4. Mitjsfu-
taka Kangawa^ Erfinder der Anwendung des Tuches; 5. MitßUrnori Ka'hgawa,
der jetzige. Einer dieser Nachkommen ist zum , Hof-Geburtshelfer* befördert
worden.
Diese Nachfolger des Kangawa, welche aus seiner Schule in Kioto hervor-
gingen, legten zum Theil ihre eigenen Erfahrungen und Erfindungen in beson-
deren Veröffentlichungen nieder.
So schrieb schon der Erste derselben eine Vervollständigung des San-ron, ein zwei-
bändiges Werk, unter dem Titel San-ron-yoku.
Der San-ron ist in 4 Bacher eingeiheilt:
1. Von der Entwickelung des Embiyo, Theorie und Praxis während der Schwanger-
schaft;
2. Ueber die Wahl des Gebnrtszimmers und den zu beobachtenden Sitz;
3. Behandlung nach der Geburt;
4. Ueber den nach der Geburt zu benutzenden Stuhl und die Leibbinde.
140 XLV. Die Entwickelüng der Geburtshülfe bei den heutigen GultnirOlkern Asiens.
Der San-ron-yoku oder joko enth< in 2 Bfichem nnd 24 Kapiteln Vorschriften
über die Diagnose der Schwangerschaft, die Untersuchung der Gebärmutter, über die Diagnose
des Absterbens' der Frucht, über normale Milch, die Diagnose der Eindeslage, eventuelle
Reposition fehlerhafter Lage, Diagnose von Zwillingen, femer das Bauchkneten, Wasserent-
leerung u. s. w.
Es bildeten sich auch daneben noch andere Geburtshelferfamilien aus, bei
denen ebenfalls das Wissen und Können vom Vater auf den Sohn oder auch auf
einen von jenem adoptirten jüngeren Verwandten forterbte. So besitzt Scheube
ein zwölf bändiges interessantes Werk über Geburtshülfe, welches Müeuhara im
Jahre 1849 unter dem Titel San-iku-zen-sho (Buch der gesammten Qe-
burtshülfe) herausgab.
Zahlreiche Abbildungen erl&utem in demselben das operative Verfahren: die Geburts-
stellung bei zögerndem Geburtsverlaufe , bei welchem der Geburtshelfer die Expression übt»
die mannigfachen Handgriffe des Ambuk bei Querlage des Kindes, die Art der Nachgeburts-
entwickelung und auch einen merkwürdigen Zugapparat, bei welchem der Geburtshelfer das
mit der Schlinge im Uterus umschlungene Kind mittelst eines um eine Kurbel gewundenen
Seiles herausbefördert. Auf alles dieses kommen wir sp&ter zurück.
In neuerer Zeit hat sich immer mehr der Verkehr mit den Europäern ver*
grössert. Hiermit begann die Bekanntschaft einiger japanischer Aerzte mit
unserer Heilkunde und auch mit der Anwendung der Zange.
Gegenwärtig giebt es in Tokio eine Schule zur Belehrung der Hebammen:
auch können Lernbegierige fbr diesen Beruf an allen Schulen bei den daselbst
angestellten medicinischen Beamten Unterricht erhalten. Das Landes-Unterrichts-
gesetz vom 9. Jahre des Maiji (1876) sagt Art. 2:
.Wer (Geburtshelfer, Augen- oder Zahnarzt werden will, kann ein Erlaubnisspatent er-
halten, nachdem er (sie) eine Prüfung in allgem. Anatomie oder Physiologie, endlich in der
Pathologie derjenigen Theile genügend bestanden, welche er (sie) zu behandeln hat.*
Dagegen behauptet Scheube:
.Die Geburtshelfer nehmen auch dem Staate gegenüber insofern eine Sonderstellung
ein, als sie nicht, wie das neuerdings Aerzte und Apotheker thun müssen, zur Erlangung der
Approbation Examina abzulegen haben. Dasselbe gilt von den Hebammen. .Geburtshelfer
und Hebammen werden nicht auf öffentlichen oder privaten Lehranstalten ausgebildet, son-
dern gehen bei älteren Geburtshelfern resp. Hebammen in die Lehre. Die Schüler begleiten
ihre Meister auf die Praxis und suchen ihnen dabei ihre Kunst möglichst abzugucken; ausser-
dem Studiren sie fleissig die kanonischen Bücher."
Demnach ist die Erwerbung einer Approbation als Geburtshelfer noch heute
nur facultativ; sie wird auch nicht auf Ghrund einer Prüfung in einer geburts-
hülflichen Klinik erworben.
Das Studium der Heilkunde in Japan wird immer mehr und mehr nach
deutschem Muster eingerichtet, und schon giebt es in diesem Lande eine grössere
Anzahl von tüchtig durchgebildeten Aerzten, die mit denjenigen Europas in volle
Concurrenz zu treten vermögen. Somit wird auch wohl die Zeit nicht mehr fem
sein, wo auch die Ausbildung und Instruction der Hebammen in ähnlicher Weise
wie bei uns stattfinden wird.
XL VI. Die Hebammen im Volksmunde und im Volks-
glanben.
^87. Der Name und die Bezeichnung^ die Bedeutung und der Einfluss
der Hebammen.
In allen Ländern, wo es Hebammen -giebt, die ihr Gewerbe geschäftsmässig
betreiben, sind diese Franen nicht ohne einen beträchtlichen Einfluss auf das all-
:gemeine Volksleben. Nicht allein, dass sie in der Stunde der Gefahr den Ereissen-
den als Retterinnen zur Seite waren, sie bleiben auch femer in enger Beziehung
2u denjenigen Familien, in welchen sie die Kinder zur Welt befördert haben.
Hier gelten sie, und vielfach auch sonst noch im Volke, als unbestrittene Autori-
täten und Rathgeberinnen bei gefährdeter Gesundheit überhaupt. Durch ihren
langjährigen vertraulichen Verkehr in den Familien, durch ihre stetige Antheil-
nahme an jeglichem Familienereignisse, durch einen gewissen Grad von Menschen-
kenntniss, durch eine keinen Widerspruch duldende Energie und Bestimmtheit im
7)ersonlichen Benehmen, welche sie sich nach und nach durch Erfahrung und
UebuDg anzueignen wissen, verschaffen sie sich auch in moralischer Hinsicht ein
nicht geringes Ansehen, eine überlegene Stellung und einen Einfluss auf die ge-
dämmte Bevölkerung. Das Gewerbe der Hebamme wird somit zu einem hoch-
vnchtigen socialen Elemente.
Schon im Talmud heisst die Hebamme Majalledeth, .die weise Frau". Die
weise Frau soll in allen F&llen von Noth und Krankheit Rath wissen; sie zeigt sich auch
bereit, solchen zu ertheilen, und zwar keineswegs bloss da, wo es sich um Frauen- und
Einderkrankheiten oder irgend ein Stück der Hebammenkunst handelt, sondern auch in allen
möglichen schwierigen und verfönglichen Lebenslagen.
Die Bezeichnung fQr die Hebamme, „weise Frau*, ist bekanntermaassen auch bei uns
gebräuchlich, und der Franzose nennt sie Sage-femme. Jedoch muss hier daran erinnert
werden, dass nach der Ansicht Einiger das Wort Sage-femme von dem alten rOmischen
Worte Sagae, den Zauberinnen, hergeleitet werden muss, welche namentlich durch ihre Ab-
treibungskünste berüchtigt waren. (Galliot)
Ein chinesischer Arzt sagt: «Das Wort Hebamme zeigt schon an, dass sie ein altes
Weib ist, welches Erfahrung besitzt, ein Kind bei der Geburt zu empfangen und auf das Bett
zu legen. * Hingegen wird von anderer Seite berichtet, dass der chinesische Name für
Hebamme soviel bedeutet, wie Empfangsweib.
In Cochinchina sagt man zur Hebamme Bä-mu, Bä ist der Ehrenname für Frauen
und mu heissen alte Frauen. Die Japaner nennen sie Samba-san, das heisst ein verarmtes
Frauenzimmer.
Die Hebammen bei den alten Aegyptern wurden nach Baas Meschenu genannt.
Die Griechen hatten, wie wir früher schon sahen, die Maiai oder die Jatromaiai, die
auch Akestrides, Tamusai oder Omphalotömoi genannt wurden; die Hebammen der
Römer hiessen Obstetrices oder auch ganz allgemein Matronae. Ueber das Wort Ob-
stetriz und seine ursprüngliche Bedeutung ist gestritten worden. Manche behaupten, es
komme her von obstare, d. h. gegenüberstehen; allein hiermit ist ja der Begriff von „ Ver-
hindern * verbunden, also gerade das Gegentheil von „Helfen". Man meint auf der anderen
Seite, dass aus dem alten .ad* (in Adstatrix, d. i. Beisteherin) ein ,ob' geworden sei; auf
142 XL VI. Die Hebammen im Yolksmunde und im Volksglauben.
Inschriften findet sich anch Opstetriz. Hier liegt also eine noch streitige philologische Frage
Tor. Man darf aber nicht vergessen, dass die Hebammen bei vielen Völkern der Ereissenden
wirklich gegenüberstehen.
Bei manchen anderen Völkern sind wir der Bezeichnnng für Hebamme bereits begegnet.
So nennen die Türken dieselbe Ebe-caden oder auch Mamy, die Perser Mama, die
algerischen Araber Qabela, die Tscherkessen Betia, die heutigen Aegypter Dayeh,
die Basutho Babele Xisi. Auf den Philippinen heisst die Hebamme Mabutin gilot
(gute Hebamme), bei den Alfuren in Nord-Celebes Talohoelanga, auf der Insel S er an g
Ahinatukaan, auf den Tanembar- und Tim orlao -Inseln Wata sitong, auf Nias
Salomo talu Bauchreiber oder Sangamoi talu, Bauchhersteller, und bei den Ainos
Ikawobushi, auf den Viti-Inseln Alewa vuku, bei den Siamesen Yi und Mohrak-
sah-eran oder auch Mo -Tarn d. h. Nessel&rzte.
BcLstian schreibt in seiner Reise in Siam:
«Hebammen heissen Mo-Tam (Nesselärzte), entweder weil sie beständig auf dem
Sprunge sein müssen und auch Nachts hierhin und dorthin gerufen werden können, oder weil
ihre Hände Dinge berühren, bei denen andere nicht wissen würden, wie sie anzugreifen seien.
Auch scheint die Anwendung der ürticatio als Stimulans nicht fremd.'
Bei den Orang Laut in Malacca giebt es nach Stevens^ in jeder Familiengruppe eine
oder mehrere alte Frauen, welche eines Rufes als Hebamme geniessen und anderen vorgezogen
werden. Die Hebammen der Orang BSlendas haben eine besondere Hütte, welche un-
mittelbar auf dem Boden errichtet ist und nicht, wie alle übrigen Hütten, erhöht auf Bambus-
pfählen ruht. Kein Mann der Orang hü tan betritt dieselbe, und für gewöhnlich dürfen
auch die Kinder nicht hinein, damit sie darin keinen Unfug treiben. Die Frauen haben aber
Zutritt. Die Thür ist besonders klein und niedrig, damit man nicht hineinsehen kann. Wenn
die Hebamme verheirathet ist, so bewohnt sie mit ihrem Manne gemeinsam eine gewöhnliche
Hütte; sie hat aber ausserdem auch noch eine Hebammenhütte von der beschriebenen Con-
struction. Als Grund für diese besondere Bauart gaben einige an, das Haua stehe so niedrig,
weil die Hebamme alt und schwach sei, andere, damit die Hantu^ die Gespenster, nicht
unter dieselbe schlüpfen könnten, noch andere aber, und das hat vielleicht die allermeiste
Wahrscheinlichkeit für sich, dass das Haus leicht kenntlich sei und nicht aus Versehen von
Unberufenen betreten werde. In diesem Hause kommen gleichzeitig auch die Weiber des
Stammes nieder und machen darin ein Wochenbett von vierzehntägiger Dauer durch.
Die Hebamme der Orang hütan nimmt insofern eine bevorzugte Sonderstellung ein,
als sie von allen gemeinsam von den Weibern der Ansiedelung zu leistenden Arbeiten befreit
ist. Sind das nun aber Arbeiten, wie Rotang binden, Wurzeln suchen u. s. w., bei welchen
die Frauen aus dem Dorfe hinaus müssen, dann ist die Hebamme verpflichtet, alle Kinder des
Dorfes unter ihre Obhut zu nehmen. Aber auch einzelne Frauen, welche Lasten holen müssen,
bringen ihr die Kinder für diese Zeit zur Beaufsichtigung in die Hütte. (BarteW^.)
Unter den Völkern romanischer Zunge nennt man die Hebamme bei den Spaniern
und Portugiesen Gomadre (vom lateinischen Cummater), bei den Italienern laCom-
mare, auch Levatrice. Die Franzosen haben ihre Sage-femme, auch Accoucheuse,
die Unterbretagner ihre Amiegaise. In einem 1587 zu Paris von Gervais dela Touche
verfassten Werke wird auf dem Titel die Hebamme ,belle m^re' genannt. In den mexi-
kanischen Provinzen heisst sie Partessa.
Die Russen nannten die Hebamme die kluge Holländerin, weil wie gesagt die
ersten gelernten Hebammen nach Petersburg aus Holland kamen; jetzt aber heisst die
Hebamme in Russland Powitucha oder Babka.
Babka wird sie auch von den Polen genannt, während die Wenden sie Baba nennen.
Die Engländerin nennt ihre Hebamme Midwife.
In Holland wird die Hebamme als Vroedvrouw bezeichnet. Im Schwedischen
und Dänischen heisst sie Jordgumma, Jordemoder, wörtlich £rdmutter, wie Grimm
vermuthet deshalb, weil sie das Kind auf die Erde legte und es dann, wenn es der Vater
nicht aussetzen, sondern anerkennen wollte, auf dessen Geheiss von der Erde aufhob. Weigandt
glaubt, dass von einem gleichen Gebrauch der deutsche Name Hebamme abzuleiten sei.
Im Althochdeutschen hiess die Hebamme hefianna oder hevannüm, wenn es
mehrere waren; dies deckt sich nach Grimmas Wörterbuch mit Hebemutter. Hierüber
äussert sich Max Höfler: ,Die Umdeutung des althochdeutschen hefianna, Hebemutter,
in hefamm begann schon sehr früh und setzte sich im Mittelhochdeutschen fest; im
12. Jahrhundert kommen bereits hevammen in Deutschland vor. Das Wort amma ist
287. Der Name und die Bezeichnung, die Bedeutung und der Einfluss der Hebammen. 143
nach Weigand durch Einwirkung des Romanischen auch im Hochdeutschen um 600
üblich geworden. Die Hebamme soll nach Chrimm nach der Geburt das Kind auf Befehl des
Vaters gehoben haben, womit dieser kraft seines ältesten väterlichen Rechtes erklärte, dass
er es leben lassen will.'
Es finden sich die Formen: hebam, hebamme, höbamme. Schon in der Carolina
art. 85 heisst es, dass die «hebamm'* all ihre Rüstung gut bereit sol haben.
Statt des Wortes Hebamme sagte man auch im Augsburgischen früher .Hef-
amme'. CBirlingerJ
In späterer Zeit haben sich dann in yerschiedenen Theilen Deutschlands auch noch
andere Bezeichnungen für die Hebamme eingebürgert, ernstgemeinte und scherzhafte. So hat
die Hebamme im Niederdeutschen den Spitznamen «Mutter Griepsch'; im Vogelge-
birge heisst sie die .Born Eller', im Steyrischen Oberlande das Hetschenwaberl,
in der bayrischen Oberpfalz das Erücklersweib. Wehmutter, auch wohl Bade-
mooder, heisst sie in Oldenburg. Wehfrau nach iSpte^s im sächsischen Erzgebirge,
im Fränkisch-Hennebergischen nennt man sie die Ammefrau, im Siebenbürger
Sachsenlande nach Fronius die Amtfrau.
Kilitm führt noch die Synonyma an: £indermutter, Püppelmutter, weise
Mutter, Hebemutter; nl. hevemoeder, hevelmoeder.
Für gewöhnlich stehen der Hebamme noch eine Anzahl dienende Geister zur Seite, die
ihres Winkes gew&rtig sind und das Ansehen ihrer Meisterin zu erhalten und zu vermehren
wissen. Das sind die sogenannten Wickelfrauen, Wochenfrauen, Badefrauen, Bei-
frauen, Eindsfrauen u. s. w. HerliciM in Stargardt in Pommern erwähnt im Jahre
1628 neben der .Kindermutter* auch noch die Weise müne. Ihnen gegenüber wird in einigen
Theilen Deutschlands die Hebamme auch als die Grossfrau bezeichnet. Sie ersetzen und
unterstützen bekanntermaassen die Hebamme in der Behandlung der Wöchnerin und des
Kindes. In der neuesten Zeit schliessen sich ihnen die geschulten Wochenpflegerinnen an,
oder sie schlagen erstere sogar aus dem Felde. Sie vermögen durch sorgsame Achtsamkeit
ernste Gefahren des Wochenbettes zu verhüten.
Die Bedeutung der Hebammen ist cultarhistorisch durchaus nicht zu gering
anzuschlagen. So lange die primitive Geburtshülfe allein in ihren Händen ruhte,
so lange sich nicht die beru&mässigen Vertreter der Heilkunst, die Aerzte per-
sönlich dem Fache der Geburtshülfe zuwandten, so lange ruhte naturgemäss das
Wohl und Wehe der Schwangeren und Ereissenden und das Schicksal der
kommenden Generation einzig und allein in ihren Händen. Diese Machtstellung
gaben sie nicht gutwillig auf, als endlich die Geburtshülfe zur Wissenschaft
wurde. Es entspann sich ein harter und schwieriger Kampf, welchen die Aerzte
und die Chirurgen mit den Hebammen auszufechten hatten. Letzteren stand
aber ausserdem noch ein mächtiger Bundesgenosse zur Seite, das war die weib-
liche Schamhaftigkeit.
In dieser Beziehung sagt Prochownick:
,Nur so, nur dann ist dieser ewige Kampf überhaupt zu begreifen, wenn man die
natürliche, naturgemässe Verschwisterung dieser beiden Factoren im Auge behält, nur dann
ist Manches, was an unseren heutigen Zuständen noch recht beklagenswerth erscheint, ver-
ständlich, wenn man das Culturmoment der weiblichen Pudicitia als die Endursache des Streites
erkennt. Und wahrlich, man kann diese Eigenschaft des Weibes, die sich in den ältesten
Mythen der meisten Völker kundgiebt, die in den ältesten Gultururkunden verzeichnet steht,
die noch heute bei den rohesten, entartetsten Völkern doch in irgend einer Weise nachweis-
bar ist, mit vollstem Rechte ein wichtiges Culturmoment in der Entwickelung der Menschheit
nennen. Ihr Einfluss hat überall auf die sociale Stellung des Weibes, auf die fortschreitende
Achtung desselben, auf die sittliche Gestaltung der Ehe und Familie gewirkt."
Wie schwierig dieser Kampf gewesen ist, das ersieht man daraus, dass selbst
Gelehrte sich auf die Seite der Hebammen stellten. Gab doch noch im Jahre 1744
Philipp Hecquet in Paris ein Buch heraus, das den bezeichnenden Titel führt:
„De l'ind^cence aux hommes d'accoucher les femmes".
Die weibliche Hülfe wird zwar immerdar am Geburtsbett unschätzbar sein
und bleiben. Allein sie hat doch ihre Grenzen und sie muss sich dort nur in
zweite Linie stellen, wo Rath und That des ärztlich gebildeten Mannes mit seinen
144 XLVI. Die Hebammen im YolkBrnunde und im Volksglauben.
tieferen Kenntnissen und seinem umsichtigeren Handeln dem leidenden Weibe
allein die richtige Hülfe gewähren kann, und so sind wohl alle civilisirten
Nationen darin einig, dass sich die geburtshülf liehe Kunst nicht mehr auf die
Hebammen allein beschränken darf, welche so lange Zeit das Geburts- und Wochen-
bett als ihre ausschliessliche Domäne mit Hartnäckigkeit in Anspruch ge-
nommen haben.
288. Die Hebamme im Aberglauben.
Die Ausnahmestellung, welche die Hebammen in der menschlichen Gesell-
schaft unbestritten einnehmen, ihre reifere Erfahrung, ihr höheres Wissen in
allerlei Nothen des Leibes und der Seele, haben vielfach dem Aberglauben Nahrung
gegeben, dass sie in dem Besitze der Kenntniss von übernatürlichen Naturkräften
sind und dass ihnen eine besondere Befähigung innewohnt, durch allerlei Geheim-
mittel Krankheiten zu heilen. Sie scUiessen sich in dieser Beziehung den Schäfern,
Schmieden, Jägern und Scharfrichtern an. Namentlich auf dem Lande betreiben
manche von ihnen eine ausgedehnte Kurpfuscherei. ,
Aber auch noch einen anderen Glauben finden wir mit den Hebammen ver-
bunden. Sie sind es ja, welche den Erdenbürger aus dem unbekannten Aufent-
haltsorte der XJngeborenen in das irdische Dasein befördern. Ihnen muss daher
dieser Ort zugänglich sein, welchen andere Sterbliche nicht zu betreten vermögen.
Gewöhnlich ist es irgend ein Teich, aus dem die Hebamme die jungen Kinder
schöpfen muss. Im Vogelgebirge wird sie von diesem Geschäfte als die Born-
Eller bezeichnet.
Von grossem Interesse ist in dieser Beziehung ein Glaube, wie er nach der
Zeitschrift «Am ürdsbrunnen'^ bei der Bevölkerung auf der Insel Amrum
herrscht:
„Aus Gunskölk (Gänsewasser) und Meerham holen die Amrummer Franen, von
der Hebamme begleitet, die zarten Kinder. Die Kinderfrau aber, die das Wasser mit den
darin lebenden Kindern beherrscht, will die letzteren nicht fahren lassen und schlftgt mit der
Sense um sich, wenn die Frauen herbeikommen, sich ein Kind zu holen. Es gelingt den
Frauen jedoch gewöhnlich, ein Kindlein zu erwischen, aber die holende Frau muss sich's ge-
fallen lassen, von der Hüterin der vielen im Wasser schwimmenden Kinder, die mit ihrer
Sense weit ausholt, am Bein verwundet zu werden/
Einen absonderlichen Aberglauben berichtet Riccardi aus dem Modene-
sischen:
„Um die Hebamme zu rufen, müssen stets zwei gehen, oder wenn nur eine gehen kann,
muss sie zwei Brode bei sich tragen, um ,1a gprazia di Dio'' bei sich zu führen, sonst bringt
der Teufel den Weg in Unordnung und verzögert dadurch die Ankunft der Hebamme.'
Eine Hebamme, welche ein Kind getödtet hat, muss nach einer in Wolf-
ratshausen in Bayern herrschenden Sage nach ihrem Tode als Markt-O'schlärf
in schweren Pantoffeln umgehen. Das ist ein Gespenst, das sich so gross machen
kann, als es will, und nicht selten schaut es den Leuten zu ihrem Entsetzen im
ersten Stocke zum Fenster hinein. (Höfler,)
Oanz allgemein ist in Deutschland noch heute die Sage verbreitet, dass
einst Zwerge oder Unterirdische, auch Nixen- oder Nickelmänner, Hebammen zur
Entbindung ihrer Frauen holten. So heisst es z. B. in Thüringen: Ein Nix
holte eine menschliche Hebamme zur Nixfrau, die entbunden sein wollte; er be-
schenkte sie dann mit einer scheinbar geringfügigen Sache, die sich aber später
in Gold verwandelte. Weigert sich die Hebamme, mitzugehen, so wird sie, wie
die Sage geht, mit Gewalt geholt, und man findet dann ihre Leiche auf dem
Wasser schwimmen. (Wucke.)
Schon Grimm hat diesem Sagenstoffe seine Aufmerksamkeit gewidmet. In
einer dieser Sagen warnt die entbundene Nixfrau die herbeigerufene Hebamme,
288. Die Hebamme im Aberglauben. 145
von ihrem Manne, dem Nix, mehr Geld anzunehmen, als ihr gebühre; auch theilte
sie ihr mit, dass ihr Mann gewohnlich das Kind am dritten Tage ermorde. In
Oesterreichisch-Schlesien heisst es, dass die Hebamme als Lohn von der Nixe
Kehricht erhielt, der sich in der Schürze in Gold verwandelte. (Peter,) Im
Badischen erhielt die Hebamme, welche im Mummelsee eine Frau entband,
als Lohn ein Strohbündel, das sie verächtlich in das Wasser zurückwarf; als sie
jedoch nach Hause kam, hatte sich ein in ihrer Schürze zurückgebliebener Stroh-
halm in Gold verwandelt. (Klüber,)
Diese Sagen haben wahrscheinlich einen thatsächlichen EUntergrund: Jene
Zwerge, Kobolde und Nixen sind vielleicht die Ureinwohner, welche die einwan-
dernden Deutschen vorfanden und unterwarfen: ein friedliches ansässiges Volk,
das sich viel mit Bergbau und Erzarbeit abgab. Sie hatten sich vor den feind-
lichen Eindringlingen in schwer zugängliche Schlupfwinkel zurückgezogen, und
sie werden ihre Bedränger wohl nicht selten durch Diebstähle be&tigt haben.
Wenn sie aber in Noth geriethen, so mussten sie ihre Hülfe suchen, und so wahr-
scheinlich auch die Hülfe der Hebammen, wo sie selber keine unter sich hatten.
Jene in sehr vielen Gauen Deutschlands verbreitete Sage, dass Nickel-
männer eine Hebamme zur Nickelfrau geholt haben, damit sie bei der Entbindung
helfe, taucht unter den Feengeschichten in Schottland wieder auf. Auch hier
wird zur Nachtzeit eine Hebamme in die glänzend erleuchtete unterirdische Halle
geholt, wo eine Fee in Wehen liegt. (FoOc-Lore.)
Solche Erzählungen sind aber nicht allein auf europäisches Gebiet
beschränkt.
Landes berichtet uns hierfür eine interessante Sage der Annamiten:
«Es war einmal ein Tiger, dessen Weibchen sich in Kindesnöthen befand und nicht
entbunden werden konnte. Da lief der Tiger zu dem Hause einer Hebamme, erspähte den
Augenblick, wo sie zu der ThÜre heraustrat, und trug sie zu der Stelle hin, wo sich die Tigerin
befand. Dort machte er der Hebamme durch Zeichen verständlich, dass man ihrer Hülfe be-
dürfe. Diese verstand, dass er sie aufgesucht habe, damit sie sein Weibchen entbinden solle.
Sie sagte zu ihm: „Sieh nach der Seite, denn Dein Blick setzt mich in Schrecken.'' Der
Tiger kehrte sich zur Seite und die Hebamme schritt zur Entbindung. Als alles beendet war,
trug er sie wieder nach Hause. Am Tage darauf raubte er ein Schwein und brachte es der
Hebamme, um ihr seine Dankbarkeit zu erweisen."
PlosB-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. JI. 10
XL VII. Die Hülfsmittel bei normaler Gebnrt.
289, Der Ursprung der Hülfsleistung.
Es ist wohl keineswegs zu verwundern, dass eine derartig aufregende Scene,
wie der Geburtsvorgang sie bildet, die Umgebung der leidenden Frau in die
grösste Unruhe versetzt, zumal wenn die Entbindung sich ungewöhnlich in die
I^nge zieht Da werden die Umstehenden naturgemäss veranlasst, in irgend einer
Weise ihre Hülfe anzubieten und alles Mögliche zu versuchen, um der Leidenden
beizustehen und den Process zu schnellem Ende zu bringen. Zuerst wird das
Mitgefühl in den Herzen dieser Weiber rege, und dann schliesst sich sofort die
Frage an, wie man wohl Hülfe zu bringen vermöchte. Wo immer aber Weiber
angreifen, rathen und anordnen, da pflegt man nicht selten die folgerichtige Ueber-
legung zu vermissen, besonders wenn gleichzeitig das Gefühl mitspricht. Die
Einen werden sich vielleicht mit einer freundlichen Zuspräche begnügen, die
Anderen aber — gewiss die Allermeisten — werden mit möglichster Yielgeschäffcig-
keit, aber mit höchst geringem Yerständniss , sich durch Rath und That nützlich
zu machen suchen.
Manche wird aus früherer Erinnerung irgend ein Hülfsmittel in Vorschlag
bringen, das angeblich sich schon mehrmals bewährte. Ist dasselbe wiederum von
Erfolg, so g^t es um so mehr als probat, und diese von Neuem gemachte Er-
fahrung lasst seine Anwendung dann in immer weitere Kreise dringen, wo dann
die hier benutzte Methode laut gepriesen und weiter empfohlen wird. So ent-
wickelt sich erst bei einer Familie, sehr bald aber danach bei dem ganzen Stamme
ein feststehendes, übereinstimmendes Verfahren, eine wirkliche Volks-Ge-
burtshülfe.
Nicht der Instinct ist es also, wie wir bereits weiter oben entwickelt haben,
welcher die uns hier interessirenden Methoden schuf, sondern der Nachahmungs-
trieb hat zufallig Gewähltes befestigt und stabil gemacht.
Die allererste Hülfe besteht naturgemäss darin, dass man der Gebärenden
eine Lagerung bereitet, welche allerdings je nach den herrschenden Anschauungen
und nach den Lebensgewohnheiten des Volkes ausserordentlich verschieden aus-
fallt. Zu dieser althergebrachten Lagerung oder Stellung gesellt sich dann eine
entsprechende Stütze, welche durch die dargebotenen Hände oder durch besondere
Handhaben geboten wird.
Nun schliessen sich die Methoden an, welche den Austritt des Kindes be-
fördern sollen. Drücken und Kneten des Unterleibs, Umschnürungen desselben
u. s. w. spielen hierbei eine grosse Rolle; aber auch Gebete und Beschwörungen,
um die Hülfe der Gottheit zu erlangen und die Dämonen zu beschwichtigen, zu
erschrecken oder zu verjagen, werden reichlich in Benutzung gezogen. Man ver-
fallt sogar auf den Gedanken, durch ein Schütteln der Kreissenden das Heraus-
290. Die Eörperhaltuxig und die Lage bei der Niederkunft. 147
kommen des Kindes ennöglichen zu wollen, und wo man glaubt, dass der Embryo
selbst an seiner Befreiung aus dem Mutterleibe mitarbeite, sucht man ihn durch
sympathetische und reale Lockmittel zu einem schleunigen Austreten zu bewegen.
Man will aber auch die Körpertheile, durch welche das Kind hindurchschlüpfen
muss, hinreichend weich und elastisch machen; deshalb werden Bähungen, Salbungen
und Bäder angewendet. Auch ist man wohl zum Schaden der Kreissenden bemüht,
gewaltsam ,,die Thore weit^ zu machen.
Eine Hülfeleistung bedenklicher Art ist auch das Ziehen an den Theilen
des Kindes, welche zufallig zuerst sichtbar werden.
Ist die Niederkunft erfolgt, dann nimmt die Sorge um das Neugeborene,
die Abnabelung und die Entfernung der Nachgeburt, sowie die fernere Pflege der
Wöchnerin die helfenden Hände noch längere Zeit in Anspruch. Wir werden in
den folgenden Abschnitten uns eingehend mit diesen Dingen zu beschäftigen haben.
290. Die Körperhaltung and die Lage bei der Niederkunft,
Wenn man die Bathschläge der Geburtshelfer moderner Zeiten erwagt, wie
sich die Kreissende zu bewegen und zu lagern hat, so findet man eine grosse
Uebereinstimmang darin, dass sie in der sogenannten Eroffnungsperiode besondere
Vorschriften nicht zu befolgen habe, dass aber noch vor der Beendigung dieser
Periode die Lagerung in das Bett empfohlen wird. Nun heisst es aUerdings, dass
da, wo die Widerstände des Geburtscanais sich nicht auffallend geltend machen
und nicht verzögernd wirken, die Art dieser Lagerung ziemlich gleichgültig sei;
man könne es der Gebärenden überlassen, wie sie liegen will {Spiegelberg u. A.);
meist werde es sich nur um die Seiten- oder Rückenlage handeln. Allein man
wird doch auch gut thun, solche Lagen zu wählen, in welchen das Becken mög-
lichst fixirt und so gestellt wird, dass der vorliegende Kindestheil in der Becken-
achse leicht vorschreiten kann, dass aber auch einestheUs die unwillkürlichen Trieb-
kräfte der Natur, namentlich die Contractionen der Gebärmutter, völlig frei wirken
können, anderentheils das willkürliche Mitpressen der Gebärenden in ergiebiger
Weise erleichtert wird. Deshalb wird von vielen Geburtshelfern für die Eröffnungs-
periode die Rückenlage mit möglichst stark erhöhtem Oberkörper empfohlen. Die
Kreissende muss namentlich in der Austreibungsperiode die Wehen , verarbeiten '^
können. Da heisst es denn, dass beim Austritte des Kindes die Lendenwirbelsäule
einen möglichst stumpfen Winkel mit dem Beckeneingange bilden, also stark ge-
streckt werden soll. Mögen nun die Geburtshelfer über manche Punkte nicht
ganz einig sein (Schatz, Lahs u. A.), mögen auch manche nationale Eigenheiten
dabei zum Vorschein kommen (z. B. die Seitenlage bei den Engländern), so ist
doch immerhin unter den deutschen Aerzten darüber kaum noch eine Meinungs-
verschiedenheit, dass man nach Maassgabe des Fortschreitens der Geburt mit der
Lagerung je nach Bedürfniss in zwecbnässiger Weise wechseln soll.
Auch bei fast allen Völkern findet man, dass die Frauen im Verlaufe der Nieder-
kunft die Stellung und Haltung wechseln; in der Periode der Vorbereitung
kann man bei der Frau fast überall das unruhige Gebaren nachweisen, welches
wir, wie schon gesagt, mit dem volksthümlichen Ausdruck ^Kreissen* bezeichnen.
Schon die englischen Geburtshelfer White und Bighy beschrieben das
Benehmen der Kreissenden.
Der letztere sagte, dass eine sich selbst Überlassene Frau allein und auf dem Felde
von der Geburt überrascht, erst einige Zeit umhergehen, dann sich bald niedersetzen, bald
aber wieder aufstehen und von neuem umhergehen und damit so lange fortfahren wird, bis
sie zu ihrer eigenen Erleichterung und zur Sicherheit ihres Kindes es nöthig finden würde,
sich wieder niederzulegen; so werde die Geburt vor sich gehen, und erst nach Vollendung
derselben werde sie sich aufsetzen und das Kind anlegen.
10*
148 XLYII. Die Hül&mittel bei normaler Gebart
Dann haben Nägele und Hohl in ihren Kliniken entsprechende Beobachtungen
gemacht, und Schütz und Cohen von Baeren in Posen suchten dadurch die
, natürliche' Haltung der Gebärenden beim Durchtritt des Kindes nachzuweisen,
dass sie Fälle sammelten, in welchen unglückliche Mädchen im Geheimen oder
Verborgenen niederkamen.
Bei einem Yergleiche dieser Alleingeburten wies Bicb aua» dass von 100 F&llen, die
Cohen auffand, 50 in ungewöhnlichen Stellungen gebaren: 80 stehend, 18 kauernd oder auf
allen Vieren liegend, 2 knieend. Unter den von Schütz aufgezählten Beispielen hatten 82,
d. h. mehr als die Hälfte, aasserge wohnliche Stellungen gewählt: 14 gebaren stehend, 16
hockend oder kriechend, 2 knieend.
Hier verdient eine Notiz von Höfler angefügt zu werden, welche angiebt,
dass noch vor ungefähr 50 Jahren die Jachenauerinnen in Ober -Bayern in
hockend-kauernder Stellung gebaren, und dass es dort für eine Schande galt, im
Bett oder auf dem Gebärstuhle niederzukommen.
Wenn die Indianerfrau an der Küste des Stillen Oceans im Oregon-
gebiet zu kreissen beginnt, so benimmt sie sich nach Field's Beschreibung
(Engelmann) ganz ähnlich, wie ihre weisse Schwester, allein sie stöhnt nicht bei
jeder Wehe, wie diese, sondern sie stösst ein tiefes Klagegeschrei, ein Winseln
oder Weinen aus. Legt sie sich aber dabei nieder, so lehnt sie sich hinten an,
und während sie die Oberschenkel gegen den Rumpf beugt, zieht sie auch die
Unterschenkel an sich. Hierauf sucht sie die Rückenlage mit hochgelagertem
Kopfe einzunehmen. Ihr Lager ist auf dem Boden bereitet, bei kaltem Wetter
nahe dem Feuer. Sie liegt, wie gesagt, mit angezogenen Beinen, und ihre Kniee
und Füsse werden jederseits von einer Gehülfin festgehalten; sie selbst drückt ihre
Hände fest auf die Oberschenkel und bei heftigen Wehen gegen den Grund der
Gebärmutter. Die helfende Frau lässt sich zu den Füssen der Gebärenden nieder
und stemmt ihre Hände gegen die Hinterbacken, den Damm, die Scham oder den
Unterleib, je nachdem es ihr die Verhältnisse eingeben. Bei fortschreitender Ge-
burt wird der obere Theil der Gebärmutter von einer der Beistehenden zusammen-
gedrückt. Zögert die Entbindung, so wird ein Verfahren eingeschlagen, welches
wir später schildern werden.
Auch die Cheyennen, die Kiowas, die Gomanchen und die ostlichen
Apachen scheinen die Frauen in der Rückenlage niederkommen zu lassen, wie
wenigstens in einem Falle Major Forwood sah. Dagegen berichtet ein Wundarzt
von den Brules, einem kleinen Stamme der Sioux-Indianer, dass die Kreissende
im Anfange sitzt oder sich niederlegt; aber während der Austreibungsperiode
steht sie voUständig oder nahezu aufrecht, wobei sie sich mit ihren Armen an
einem starken Manne festhält. Dies ist aber derselbe Stamm, bei denen die Weiber
auch gewohnheitsgemäss stehen, wenn sie Wasser lassen, und sich setzen, um den
Darm zu entleeren, während dies bei den Männern umgekehrt der Fall ist; dem-
nach scheint es, als ob diese Indianer überhaupt ziemlich abweichende Sitten
von denjenigen anderer Stämme befolgen. (Engdmann.)
Wenn man dem Umstände Rechnung trägt, dass gerade die ihrer eigenen
Gewohnheit folgenden Völker einen verhältnissmässig günstigen Geburtsverlauf
aufweisen, ist die Frage wohl berechtigt, ob sich die Frau der civiUsirten Na-
tionen, welchen angeblich das Naturgefuhl verloren gegangen ist, das ursprüng-
liche Benehmen dieser Naturmenschen zum Muster nehmen darf und muss? Allein
überall stossen wir doch bei den sogenannten Naturvölkern auf Verhältnisse,
welche denjenigen nicht gleichen, unter denen unsere Frauen leben.
Die natürlichen Geberden und freiwilligen Bewegungen der kreissenden Frau
scheinen aUerdings darauf hinzuweisen, dass in der That die verschiedenen Perioden
des Gebäractes ein verschiedenes Verhalten hinsichtlich der Lage und Stellung
erfordern. Leider findet man nicht immer in den Reiseberichten genauer ange-
geben, ob bei den Völkern in ganz bestimmten Geburtsperioden gewisse Haltungen
und Stellungen des Körpers angenommen werden.
290. Die Körperhaltung und die Lage bei der Niederkunft.
149
Sobald in einem Volke das Streben zum Vorschein kommt, der Gebärenden
eine Stellung anzuweisen, wird sich die Vorliebe bald für die eine, bald für eine
andere Stellung entscheiden. In China lässt die Hebammenpraxis, wie es scheint,
die Gebärende sich so zeitig als möglich auf einen Stuhl setzen und mitpressen;
denn wenn das nicht allgemein dort wäre, so würden nicht die chinesischen
Aerzte in dem von v. Martius und Rehmann herausgegebenen populär-geburts-
hülflichen Schriftchen mit so grossem Eifer dagegen auftreten. Anstatt dieser
Methode empfiehlt der chinesische Arzt in der Martius^Qchen Abhandlung die
Rückenlage mit erhöhtem Kreuz und dabei soll die Frau ruhen und schlafen.
Wenn es ihr aber nicht möglich sein sollte, zu liegen und zu ruhen, so erlaubt
er ihr, sich ganz so zu benehmen, wie es eben eine jede Ereissende thut. Das
Kreissen beschreibt er folgendermaassen. Sie kann sich ein wenig in die Höhe
richten und niedersetzen; es steht ihr auch frei, in der Stube umher zu gehen;
Fig. 281. Lagerang der Kreissenden bei schwerer Gebart.
(Nach ScipioHe Mercnrio und WeUch^
oder sie kann sich vor einen Tisch oder Sessel stellen und sich an selbigem fest-
halten. Erst in einer späteren Geburtsperiode soll sich die Frau legen und da-
nach erst soll sie sich auf den Stuhl setzen.
In ähnlicher Weise glaubt die Hebamme Bourgeois in ihrem im Anfange
des 17. Jahrhunderts erschienenen „ Hebammenbuche *" dem Bedürfiiisse der kreis-
senden Frau am besten dadurch Rechnung zu tragen, dass sie diese ihrem eigenen
Willen und Instincte völlig überlässt. Sie beklagt, dass man die Gebärende so
oft nicht recht und bequem lagere; man solle sie, so lange sie wolle, auf und
ab spazieren lassen, dann würde schon die rechte Zeit kommen, wo sie sich legen
müsse; bei diesem Auf- und Abgehen mögen die Gebärende zwei starke Personen
unter den Armen unterstützen und führen, damit sie, wenn die Schmerzen ein-
treten, aufrecht erhalten werde; auch könne sich die Frau auf einen niederen
Stuhl vor einen Tisch setzen, damit sie sich beim Eintritt der Schmerzen auf die
150
XL VII. Die Hülfismittel bei normaler Gebart.
Kniee (mit den Ellenbogen?) stemmen, mit dem Oberleib aber auf den mit einem
Kissen belegten Tisch lehnen kann, danach aber dürfe sie wiederum auf und ab
gehen; manche Frauen jedoch beliebten es, sich bald auf das Bett zu legen, und
dieses findet die Bourgeois besser, als jene Art zu kreissen, da im Liegen gewöhn-
lich die Geburt nicht so lange dauert. Das Bett befiehlt sie so zu machen, dass
der Kopf und der Oberkörper hoch liegen.
In Welsch's Uebersetzung von Scipione Mercurio's Hebammenbuch finden
wir die Kreissende im Bette in der Rückenlage mit hochgelagertem Kreuz und
tieferliegendem Kopfe. Sie hält sich an einem Pflocke fest, welcher an dem Bett-
rande angebracht ist. Die Hebamme steht daneben. (Fig. 281.) Das soll aber
nicht für alle Fälle die zu wählende Lagerung sein, sondern es ist «der Abriss
der Stellung und des Lagers einer schwangeren Frau in einer lasterhaften und
unnatürlichen Geburt*.
Es würde seine grosse Schwierigkeit haben, die Völker nach den bei ihnen
gebräuchlichen Geburt^tellungen gruppiren zu wollen. Dieses hätte auch nur
dann einen Zweck, wenn wir mit Sicherheit angeben könnten, dass die letzteren
das Resultat Yon bestimmten körperlichen Bildungen seien. Abgesehen dayoti
Fig. 2S2. Japanerin auf dem Oeburtslager. (Nach einem Japanischen Holzschnitt.)
aber, dass dieses an und für sich imwahrscheinlich ist, dürfen wir nicht ver-
gessen, dass sehr ofb bei ganz nahe verwandten Stämmen ganz verschiedene,
andererseits aber auch bei demselben Stamme nicht nur eine, sondern mehrere
Geburtsstellungen gebräuchlich sind.
Immerhin ist auch auf diesem Gebiete der Forschung insofern der Weg
gebahnt, als bereits mehrere Aerzte bemüht gewesen sind, die hauptsächlichsten
Stellungen, welche bei den verschiedenen Völkern beobachtet werden konnten, in
entsprechender Weise zu analysiren und zusammenzustellen. Den Anfang machte
Floss^^; ihm folgte im Jahre 1884 Engelmann in seinem grösseren, von Hennig
übersetzten Werke, und ein Jahr darauf publicirte Felkin seine bekannte Schrift.
Alle drei Autoren haben durch zahlreiche Abbildungen die betreflfenden Verhält-
nisse erläutert. Die Stellungen, welche aus den von ihnen benutzten, aber auch
aus neueren Angaben zu entnehmen sind, lassen sich in die folgenden Gruppen
ordnen, wobei man aber nicht vergessen darf, dass hier auch manche verhält-
nissmässig selten vorkommenden Positionen ebenfalls ihre Berücksichtigung ge-
funden haben.
291. llebersicht der gebränehlicheii Körperhaltungen während der
Niederkunft.
Wenn ich in Kürze eine Uebersicht geben soll von den Körperhaltungen
und Positionen, welche auf unserem Erdball die Frauen bei dem Geburtsacte ein-
zunehmen pflegen, so muss ich acht Hauptarten aufstellen, welche dann, jede
291. Uebersicht der gebräuchlichen Körperhaltungen während der Niederkunft. 151
für sich, wieder in eine Reihe von ünterabtheilungen zerfallen. Ich ftihre diese
verschiedenen Arten der Kürze wegen tabellarisch auf:
I. Liegend:
1. wagerechte Rückenlage (im Bett oder auf der Erde);
2. Rückenlage (auf dem Tisch) mit herabhängenden Beinen;
3. Rückenlage mit erhöhtem Gesäas und üefer liegendem Eopf und Schultern;
4. wagerechte Seitenlage;
5. wagerechte Bauchlage.
II. Halbliegend oder hintenübergelehnt sitzend:
1. im Bett, mit schräger Rückenstütze (Kissen, umgedrehter Stuhl);
2. auf der Erde , « » « *
8. auf einem Sessel, in den Armen einer dabei sitzenden Person;
4. , , , zwischen den Schenkeln einer auf demselben Stuhle sitzenden
Person;
5. auf dem Geburtsstuhl (mit schi*äger Lehne);
6. auf dem Schoosse einer anderen Person sitzend und in deren Armen liegend;
7. auf der Erde, zwischen den Schenkeln einer Person, in deren Armen liegend;
8. auf einem Steine, sich an zwei Pfosten im Gleichgewicht haltend.
Fig. 283. Afrikanerin von der Goldküste, im Hocken niederkommend. Gravimng auf einer Kalebasse
im Königlichen ethnographischen Mosenm in München. (Nach einer Darohpausnng.)
lU. Sitzend:
1. im Bett;
2.. auf der strickartig zusammengedrehten Hängematte (wie in einer Schaukel);
3. auf einem Sessel, oder einem der Kissen
a) frei,
b) angelehnt,
^) g^gOQ oiiie dahinterstehende Person gelehnt;
4. auf der Erde
a) frei,
b) an den Rücken einer anderen Person angelehnt und mit dieser die Arme
yerschränkend;
5. auf dem Geburtsstuhl.
152
XLYII. Die Hülfsmittel bei normaler Geburt.
IV. Hockend oder kauernd:
1. frei, wie bei der Darmentleerang;
2. frei, aber von einer dahinter stehenden Person am Kopfe gehalten;
3. frei, aber mit den H&nden sich an einem verticalen Stricke haltend;
4. frei, aber die Hände auf .die Schultern einer vor ihr sitzenden Person gelegt ',
5. gegen den Rücken einer anderen Person gestützt.
V. Knieend:
1. mit aufrechtem Oberkörper
a) frei,
b) mit den Händen an einer verticalen Handhabe (Strick, Stab),
c) unter den Armen von einer anderen Frau gestützt;
2. mit hintenübergelegtem Oberkörper
a) eine wagerechte Handhabe haltend,
b) gestützt gegen die Brust einer an-
deren Person;
8. mit wagerecht hintenübergelegtem Ober-
körper;
4. mit vorwärts geneigtem Oberkörper auf
einer Stütze, einem Holzklotze oder
einem Stuhle ruhend;
5. in Knie-Hand-Lage;
6. in Knie- Ellenbogen-Lage;
7. in Knie-Brust-Lage.
VI. Stehend:
1. gerade aufrecht und breitbeinig
a) frei,
b) von anderen Personen gestützt;
2. vornübergebeugt;
3. hintenübergelehnt, mit dem Rücken
g^gen einen Baum gestützt.
VII. Hängend:
1. an einer wagerechten Handhabe oder
einem Baumast mit den Händen den
Körper wie an einem Reck in die Höhe
ziehend;
2. sich an einer grösseren stehenden
Person, diese umhalsend, in die Höhe
ziehend.
VHI. Schwebend:
1. in Rückenlage, die Schultern durch
Kissen unterstützt; an einem imter dem
Gesäss hindurchgezogenen Tuche wird
von zwei neben dem Bett stehenden
Gehülfen der Mittelkörper schwebend
erhalten ;
2. in senkrechter Stellung in einer unter den Armen hindurchgezogenen Siprick-
schlinge hängend;
8. mit den erhöhten Armen an einen Baum gebunden halb hängend, so dass die
Fussspitzen noch die Erde berühren.
Der nächste Abschnitt soll in gleicher Kürze zeigen, wie diese Körper-
haltungen bei der Entbindung über die Erde yerbreitet sind.
Fig. 284. öeschnltzte Gruppe aus Uitscha
am Niger (West-Afrika). Unten eine
knieend niederkommende Frau. Im
Besitze des Musöe d'Ethnographie in Paris.
(Nach mtkowski.)
292. Die Yerbreitung der Geburtsstellnngen über die Erde.
Ein Blick auf die Yorstehende Zusammenstellung wird es dem Leser klar
machen, dass es weit über den Rahmen des Yorliegenden Buches hinaus gehen
292. Die Verbreitung der Geburtsstellangen über die Erde.
153
würde, wenn ich eine Analyse aller Völker der Erde in Bezug auf die bei ihnen
üblichen Geburtsstellangen geben wollte, um so mehr, da gar nicht selten, wie
bereits gesagt wurde, derselbe Stamm unter Umständen mehrere Stellungen zu
benutzen pflegt
Um aber wenigstens einen Begriff davon zu geben, wie wenig Regelmässig-
keit sich in diesen Gebräuchen nachweisen lässt, so soll noch in einer kurzen
Uebersicht gezeigt werden, wie die vorher angeführten acht Hauptpositionen sich
über die verschiedenen Nationen vertheilen:
Die Frauen kommen nieder:
1. Liegend in:
Europa: Deutschland, Frankreich, Italien, England, Schottland, Schweden,
Norwegen, Bosnien und Hereegovina (aber nur die Spaniolinnen);
Afirika: Uganda, Massaua, Congo (Fig. 285);
Fig. 285. Gongo-Negerin in der Banohlage niederkommend. Nach einer geschnitzten Dantellimg anf
einem Elfenbeinzahne im Besitze des Mnsöe d'Ethnographie in Paris. (Nach IVitkowski,)
Asien: Indien, Birma, Siam, China, Sumatra, Keisar, Luang-, Sermata-Inseln;
Oeeanien: Australien (Eingeborene und engl. Ansiedler), Hawaii;
Amerika: Brasilien, Antillen, Oregon-Gebiet, Cheyennen, Comanchen, Kiowas,
Ost-Apachen.
2. Halbliegend oder hintenübergelehnt
sitzend in:
Europa: Deutschland, Italien, Grossbritannien,
Irland, Russland, Spanien, Griechenland,
Türkei, Cypern;
Afrika: Aegypten, Abyssinien, Massaua-, Bari-t
Madi-, Kidj-, Moru-, Schuli-Negerinnen»
Old-Calabar;
Asien: Palästina, Syrien, Arabien, Süd-Indien,
China, Japan (Fig. 280 und 282);
Ooeanien: Hawaii, Andamanen, Carolinen;
Amerika: Chile, Peru (altes und neues), Venezuela,
Mexiko (Indianer und Mestizen), Californien,
Vereinigte Staaten (Weisse und Indianer),
Canada (französische Ansiedler).
3. Sitzend in:
Europa: Spanien, früher, in Deutschland.
Afrika: Aegypten, Abyssinien, Ost-Afrika, Madi (Fig. 289), Niam-Niam, Schuli
(Fig. 261), Kerrie, Old-Calabar, Canarische Inseln.
Asien: Palästina, Arabien, Indien, China, Ambon- und Uliase -Inseln, Serang,
Seranglao, Gorong, Eeei-Inseln, Aaru-Inseln, Luang-Inseln, Sermata-Inseln,
Keisar, Romang, Dama, Teun, Nila, Serua, Astrachan;
Ooeanien: Australien;
Amerika: Guatemala.
Fig. 286. Indierin aus Sikhim, im
Stehen niederkommend. (Nach einem
indischen Tempelfresco.)
154
XLYII. Die HülfiBiuittel bei nonnaler Grebnrt.
4. Hockend oder kauernd in:
Europa: Grossbritannien, Russland;
AfWka: Ost- Afrika, KafferD, Wazegua, Goldküste (Fig. 283);
Asien: Arabien, Persien (Fig. 292), Nias, Buru, Ambon und die Uliase -Inseln,
Seranglao, Gorong, Aaru-Inseln, Tanembar- und Timoriao -Inseln, Leti, Moa,
Lakor, Eetar;
Oceanien: Mikronesien, eigentliches Polynesien;
Amerika: Guatemala, Mexiko, alte (Fig. 287) und heutige Indianer (und Mestizen),
Neger, Indianer der Vereinigten Staaten.
5. Knieend in:
Europa: Grossbritannien, Italien, Spanien, Griechenland, Russland;
Afrika: Aethiopien, Abyssinien, Niger (Fig.
284);
Asien: Georgien, Armenien, Persien, Kam-
tsckatka, Mongolei, Japan, Watubela-,
B ab ar- Inseln;
Oceanien: Neu-Seeland;
Amerika: Nicaragua, Mexiko (Indianer und
Mestizen), Vereinigte Staaten (Weisse,
Neger imd fast alle Indianer).
6. Stehend in:
Europa: Deutschland, Italien;
Afrika: Aethiopien, Darfur, Somali, Wakam-
ba, Bongo (Fig. 262), Hottentotten;
Asien: Indien, Sikhim (Fig. 269 und Fig. 286),
Serang (Fig. 288);
Oceanien: Philippinen, Neu-Britannien;
Amerika: Mexiko (Indianer und Mestizen),
Vereinigte Staaten (Weisse und In-
dianer.
7. Hängend in:
Europa: Grossbritannien, Italien, Russland;
Amerika: Indianer, Apachen, Irokesen.
8. Schwebend in:
Europa: Deutschland;
Asien: Siam, Ceram;
Amerika: Venezuela, Indianer, Neger.
Wir werden einige Geburtsgebräuche noch in den folgenden Abschnitten
näher kennen lernen.
Fig. 287. Mexikanische Thonfigur,
eine hockend niederkommende Fraa darsteUend.
Im Besitze des Herrn Damour in Paris.
(Nach IVitkoviski.)
293. Die Hfilfs- und Lagemngsapparate bei der Niederkunft
Wir haben in der vorhin gegebenen Zusammenstellung der bei der Geburt
gebräuchlichen Positionen in Kürze eigentlich schon fast alle die Hülfs- und
Lagerungsapparate kennen gelernt, auf welche der Erfindungsgeist der Völker ver-
fallen ist, um die Geburtsarbeit zu erleichtern und zu vereinfachen; doch wollen
wir hier noch einmal einen flüchtigen Blick auf dieselben werfen. Im Wesent-
lichen können sie eingetheilt werden in Fixirungsvorrichtungen für den ganzen
Körper, in Handhaben, in Fussstützen und in ünterstützungsgegenstände för das
Gesäss, die Kniee oder den Rücken, und bei Bauchlagen flir die Brust.
Als Fixirungsvorrichtungen flir den ganzen Körper müssen wir vor Allem
die in Serang gebräuchliche Methode bezeichnen, die Kreissende mit den über
dem Kopfe gekreuzten Armen an einen Ast zu binden (Fig. 288) oder ihr einen
Strick schlingenartig unter den herabhängenden Armen hindurchzuziehen, an dem
sie hängt, wie in Siam, oder über einen Baumast in die Höhe gezogen wird.
293. Die Halfs- und Lagerangsapparate bei der Niederkunft.
155
wie bei den Coyotero-Apachen. Nächstdem sind die bei aufrechtem
Oberkörper den Bücken stützenden Bäume, Pfahle imd Hauswände hierher zu
rechnen (die Longo und Schuli, Fig. 261, die Kaffern und die Bewohner von
Dar für in Afrika). Bei den HandObaben müssen wir die horizontalen von den
yerticalen trennen. Die letzteren sind Stricke, welche von den Dachsparren der
Hütte, wie auf den Inseln Serang und Keisar, den Watubela-, Tanembar-
und Timoriao -Inseln und im B ab ar- Archipel, oder von einem schrägen
Pfahl, wie in Mexiko, herabhängen,
oder es sind senkrecht in die Erde ge-
steckte Pfähle (bei den Schuli [Fig. 261]
und in ünyoro in Afrika, bei den
Gomanchen und den Schwarzfuss-
Indianern), oder die Stützpfosten der
Hütte (im Kerrie am weissen Nil),
oder endlich ein schräg gegen einen gabe-
ligen Baum gestellter fester Stock (bei
dem Longo-Stamm in Afrika).
Die horizontalen Handhaben sind
über der Kopf höhe angebracht (ein Baum-
ast bei den Negerinnen der amerika-
nischen Südstaaten, ein auf zwei Baum- ''^_
äste gelegter Querstab, wie eine Beck- :rr-
Stange, im Bongo-District in Afrika, z::rz-
Fig. 262), oder sie sind für die horizontal
ausgestreckten Arme greifbar (z. B. die
ausgestreckten Hände gegenübersitzender
Gehülfinnen in Virginien, oder die
Ellenbogen einer Gehülfin, welche Rücken
an Rücken mit der Kreissenden sitzt,
welch letztere ihre Arme durch diejenigen der Gehülfin gesteckt hat [Fig. 289]
[Madi, Afrika], oder Stricke, die am Fussende des Bettes befestigt sind, in
Deutschland und' Virginien, oder endlich eine wagerechte dicke Stange, die
auf erhöhten Uüterrai^en liegt und durch zwei auf ihren Enden sitzenden Personen
in dieser Lage fixirt 'wird, bei den Chippeway-Indianern).
Die Fussstützen bilden bei den meisten im Bette niederkommenden Nationen
die Rückwände, der Bettstellen, oder es sind die Stühle, auf denen die die Kreis-
sende unterstützenden Personen dieser gegen-
über Platz genommen haben, z. B. in Vir-
ginien, oder es sind besondere in die Erde
getriebene Holzpflöcke, wie bei den Madi
und in Kerrie am weissen Nil, während
bei den Schuli die Fussstützen gleich an
den als Handhaben dienenden senkrechten
Stangen angebracht sind (Fig. 261).
Die Ünterstützungsgegenstände für die
Kniee, den Rücken oder die Brust und das
Gesäss sind Steine, Holzklötze, Stühle, Wannen,
Töpfe, Kissen u. s. w., oder das oben erwähnte,
unter dem Gesäss durchgezogene Tuch (in der Gegend Yon Meerane in Sachsen).
Man hat auch ganz besondere Gebärstühle construirt, von denen später noch aus-
führlich die Rede sein soll.
Ein besonderes Gestell für die Niederkunft war nach dem Berichte Yon
Kauda noch vor 50 Jahren in Japan gebräuchlich. (Engdmann.) Es macht
den Eindruck wie ein grosser, flacher, yiereckiger Karton mit senkrecht auf-
Pig. 288.
Serang-Insulanerin, niederkommend.
(Nach Engelmann,)
Fig. 289. Madi-Negerin (Gentral-Afrika),
bei der Entbindung von einer anderen Frau
unterstützt. (Nach Feikin.)
156
XL VII. Die Hfilfsmittel bei normaler Geburt.
gerichtetem Deckel Letzterer bildete die Rückenlehne für die Gebärende. Jetzt
werden hierftir eine Anzahl Yon Bettstücken auf einander gethürmt, über welche
sich die Unterlage der £j*ei8senden hinüberschlfigt.
In einem populären Werke über Gesundheitspflege, welches sich unter den
japanischen Werken des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin befindet
und das den Titel führt: ^^MVie man bei kranker Familie zu yerfahren haV\ sind
ebenfalls die Requisiten zu dem Geburtslager der Japanerin abgebildet. Es sind
allerlei Matratzen und Kissen. Eine andere Abbildung desselben Werkes führt
uns aber die Frau auf dem Lager liegend vor. Dieses Lager ist vollständig anders
als das gewöhnliche Nachtlager der gesunden Japanerin. Wir finden hier aber
die Frau nicht sitzend, wie in der weiter oben erwähnten Abbildung, sondern
wirklich liegend und zwar mit stark erhöhtem Oberkörper (Fig. 282).
294. Der OebärstnhL
Wir können bei unseren Besprechungen nicht umhin, auf ein Unterstützungs-
geräth etwas näher einzugehen, das yon sehr alter Zeit her bei den Culturvölkem
in der Geburtshülfe eine sehr wichtige Rolle gespielt hat: das ist der Gebär-
stuhl, dessen Benutzung in vielen Ländern noch in Blüthe steht; imd auch in
manchem deutschen Gau fristet er noch
versteckt sein Dasein. Die älteren Schrift-
steller bringen für ihn verschiedenartige
Bezeichnungen. Oft vrird er kurzweg
„der Stuel" genannt. „Der Wehe-
stuel* heisst er bei Welsch^ »der
Kinds stul* bei Jacob Rueff; die Namen
„Gebärstuhl* und „Geburtsstuhl*
finden sich ebenfalls.
Der Gebärstuhl in Deutschland
war ursprünglich ein niedriger vier-
beiniger Sessel mit rückwärts geneigter
medriger Lehne, dessen Sitzfläche von
vorne her einen so grossen und tiefen
ovalen Ausschnitt enthält, dass von ihr
überhaupt nur noch ein schmaler Rand
stehen geblieben ist, „kaum 3, wann 's
gar breit ist, 4 quere Finger breit*.
(EckartVs Hebanune.) Im Laufe der
Zeit hat er mehrfach in seinen Formen
gewechselt.
Jacob Rueff bildet ihn ab (Fig. 290) und beschreibt ihn f olgendermaassen :
„Er 8ol haben vier Beyn oder Fass, mit einem Rückbrett hindersich gehöldet, mit einem
schwartzen wüllenen Thuch vmhencket, damit die Fraw bedeckt, vnd vnden henimb ver-
borgen bleiben möge, vnd die andern Weiber, wo es nöten würde seyn, auch helffen köndten,
binden, fernen, vnd zu beyden seiten, wie das am geschicksten seyn möcht. Der sitz dess
Stuls sol allenthalben an den enden mit linden thüchlein vmbbunden vnd versorget seyn,
damit die Fraw lind sitze, au£f dass das Kindt nicht verletzt werde von den Ecken, sch&rpfPe
vnd härte dess Stuls, ob sich die Frauw zur zeit der noth zücken würde, als viel geschieht,
nicht on grossen schaden.*
Die Niederkunft auf dem Gebärstuhle führen mehrere Abbildungen vor.
Wir sehen dieselbe in den Figuren 275, 276 und 291.
Nach der Ansicht verschiedener Gelehrter haben sich bereits die alten Juden
in Aegypten eines Geburtsstuhles bedient. So deuten sie den Befehl des Pharao
an die hebräischen Hebanmien (2. Mosis 1, 16):
Fig. 290. Deutscher Gebärstahl des 16. Jahr-
hunderts. (Nach yacffi R'ueff.)
294. Der GebäratuhL
157
,Wenn ihr den ebräischen Weibern helfet und auf dem Stul (efnoim) sehet, dass es
ein Sohn ist, so tödtet ihn; ist es aber eine Tochter, so lasset sie leben.*
Diese Efnoim, die nur noch einmal in der Bibel als Bezeichnung der
Topferscheibe Yorkommen, werden von den meisten Bibelauslegem und Sprach-
forschem als Geburtsstuhl erklart, wShrenA Redslob der Meinung ist, dass man
nicht übersetzen müsse, ^wenn ihr auf dem Efnoim sehet, '^ sondern „wenn ihr an
den Efnoim sehet, dass es ein Sohn ist,*" und das bedeute, wenn ihr an den Steinen,
d. h. an den Hoden sehet, dass es ein Sohn ist. Wir können natürlicher Weise
in dieser Meinungsdifferenz nicht die Entscheidung treffen. Als feststehend muss
es aber betrachtet werden, dass mindestens schon 100 Jahre vor Christi Geburt
bei den Israeliten ein Geburtsstuhl nicht nur bei schweren, sondern auch bei
ganz normalen Entbindungen im Gebrauch gewesen ist. Die Talmudisten nannten
ihn Maschbar (d. h. Fractor, a vires feminae frangendo).
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Fig. 291. Niederkunft einer dentsohen Fran anf dem Gebnrtastiüil.
Anonymer Holzschnitt vom Jahre 1513.
(Ans Rösslin : Der swangeren Franen nnd Hebammen Rosegarten. Nach Hirtk.)
Ueber die Worte Efnoim oder Abnoim, mit dem sich die Bibelkritik be-
schäftigt hat, kann Folgendes noch Aufschluss geben. Der Araber nennt Stein
Ghadchar, doch auch Eben, Abnaim (d. h. Plural); auch die Juden in Jeru-
salem bezeichnen Steine mit dem Worte Abnaim („behauene*" Steine). Viel-
leicht muss daher die zweifelhafte Bibelstelle übersetzt werden, wenn ihr auf
den Steinen sehet u. s. w. Und hierfür ist es gewiss von grosser Bedeutung,
dass auch noch bis in die neuere Zeit semitische Völkerschaften gebärende
Frauen auf Steine sich setzen lassen. Nach der Beobachtung des französischen
Stabsarztes Goguel ist dies bei den arabischen Grenzbewohnern Tunesiens
der Fall.
Derselbe wurde im Jahre 1858 zu der Frau eines Scheich gerufen, die seit 40 Stunden
litt; von ferne schon hörte er das IQagegeschrei, welches die assistirenden Weiber bei jeder
Wehe erhoben. Neben der Stange, welche in der Mitte das Zelt wie der Stiel eines Regen-
158
XLVII. Die HülfiBmittel bei nonnaler Gebart.
Schirms hält, lagen in einer Entfernung von 15 cm von einander zwei flache Steine, auf
welche die Gebärende ihre Hinterbacken stützte; an die Stange war ein Strick gebunden,
den sie wie einen Glockenzug hielt; zwei Weiber hatten sie unter die Achsel gefasst; bei
jeder Wehe hoben dieselben die Leidende und Hessen sie dann fallen, wie ein Müller den Sack
schüttelt, wenn er Mehl hinein schüttet. Goguel entband die Frau von einem todten Kinde,
wobei er narbige Verwachsungen trennen mnsste. Er meint, dass jene beiden Steine wohl
nicht ohne Bedeutung für die fragliche Bibelstelle sind; denn die Juden hätten in alten
Zeiten gleich den Arabern unter Zelten gelebt.
Wichtiger jedoch ist die schon von Ploss^^ angeftlhrte Thatsache, dass ihm
der preussische Consul JBosen berichtete: »Die Hebammen in Jerusalem ge-
brauchen noch jetzt den Geburtsstuhl wie sonst; die Bauern hingegen lassen die
Gebärenden sich auf ein Kissen oder einen Stein setzen.*" Der Consul Gerhard
gab ihm die Auskunft, dass auf Massaua im Rothen Meer die Frauen aus
niederen Ständen bei der Geburt ebenfalls auf einem Steine sitzen. So darf man
wohl annehmen, dass auch die Jüdinnen während der Gefangenschaft in Aegypten
zur Entbindung auf Steine gebracht wurden und zwar auf zwei Steine, ähnlich
wie noch heute die Kalmückinnen nach Meyerson^s Angabe sich beim Kreissen
zwischen zwei Koffer setzen.
Fig. 292. Perserin niederkommend. {Ans PUss^.)
Auch müssen wir hier der Perserinnen gedenken, die nach Poldk's und
Häntzsche^s Berichten bei der Niederkunft die Kniee und Hände auf je 3 Ziegel-
steine stützen, welche in einem geringen Abstände von einander aufgethürmt sind
(Fig. 292). Es ist doch nicht ohne Weiteres Yon der Hand zu weisen, dass nicht
auch die alten Jüdinnen in Aegypten auf die gleiche Art ihre Entbindungen
abgehalten haben können.
Auch bei den alten griechischen Schriftstellern (Hippokrates)^siormetL wir
den Gebärstuhl auffinden, und von hier eroberte er sich die antike und mittel-
alterliche wissenschaftliche Welt. Soramis beschreibt ihn folgendermaassen:
,In -der Mitte muss ein halbmondförmiger, verhältnissmässig weiter Raum ausgeschnitten
sein, der weder zu gross, noch zu klein sein darf, so dass man bis zu den Hüften hineinsinken
kann. Ist er zu eng, so wird die weibliche Scham gequetscht, und das ist schlimmer, als
wenn die Oe£fnung zu weit ist, denn diese kann man mit Lappen ausitOlen, die man daneben
steckt. Die ganze Breite des Stuhles sei hinreichend, dass auch wohlbeleibte Frauen darauf
Platz haben. Verh<nissmässig sei auch die Höhe, denn bei kleinen Frauen füllt eine unter-
gesetzte Fussbank den fehlenden Raum aus. Die Seitenwände des Stuhls seien mit Brettchen
bedeckt, die vordere und hintere Wand aber sei für den Gebrauch bei Entbindungen offen.
Hinten aber sei eine Lehne, so dass Hüften und Weichen einen Gegenstand haben, denn wenn
294. Der Geb&rstohl. I59
auch eine Frau hinten steht, so kann doch leicht durch eine widernatürliche Lage der Ge-
bärenden die glückliche Greburt des Kindes verhindert werden.'
Der Gebärstahl warde im alten Rom benatzt and Yon den alt-arabischen
Aerzten ttbemommen. Darch diese kam er za den enropäischen Völkern, 'bei
denen er bis in nnser Jahrhandert hinein sein Wesen trieb und hier und da auch
heute noch sein verborgenes Dasein fristet. Die hohe Wichtigkeit, welche ihm
damals zugeschrieben wurde, ersehen wir daraus, dass viele geistreiche Aerzte
bemüht gewesen sind, Veränderungen, welche sie fiir Verbesserungen hielten, an
ihm anzubringen, und Küian konnte nicht weniger als 32 verschiedene Oeburts-
stühle und 8 Geburtsstuhl-Betten beschreiben, und doch hatte bereits im 17. Jahr-
hundert sich die Opposition gegen dieses Marterwerkzeug geregt.
.Wenn man die Gestalt des Wehestuhles betrachtet, heisst es in des getreuen Eckßrth's
unvorsichtiger Hebamme, so ist er wohl ein rechter Wehestuhl und Folter-Gerüst. Wo die
Mühselige ihre beste Ruhe haben soll, ist kaum 3, wanns gar breit ist 4 quere finger breit;
es wäre kein Wunder, dass diese armen Leute den Rücken und Lenden in Stücken zerbrechen,
und vor GrOsse der Schmerzen vergingen. 0 verdammte Invention, ich spreche, die höllische
Proserpina hat diesen Stuhl erfunden. **
Aber er ist, wie schon gesagt, auch in Deutschland noch nicht völlig
ausgestorben.
Ein Arzt aus Huelva im südlichen Spanien hat Simpson in Edinburg
ein grosses Thongeschirr geschickt, wie es noch jetzt in Spanien bei Entbin-
dungen gebraucht und in „China-Läden^ verkauft wird. Es hat die Form eines
hohen, steilen Topfes, mit breitem, flach umgeschlagenem Rande. Aus dem Rande
sowohl, als auch aus der vorderen Wand dieses Topfes ist eine grosse Stelle aus-
geschnitten, welche ungeföhr 2/3 der Topf hohe
ausmacht. Simpson macht von diesem Oeräthe
folgende Beschreibung:
,Das Gef&ss ist aus starkglasirter Irdenwaare ge.
macht und gleicht vollkommen dem Kasten eines Nacht-
stuhls, abgesehen von dem Ausschnitt an einer Seite,
durch welchen die Hand zu dem Kinde geführt werden
kann. Es ist 11^/2 Zoll tief im Inneren und ß^/g Zoll
am Boden weit. Am Rande misst es 10 Zoll im Durch-
messer und 151/2 Zoll am äusseren Rande der Ausladung}
auf welcher die Patientin sitzt, und welche 2^/4 Zoll
breit ist. Der Ausschnitt an dieser Ausladung ist 51/4 Zoll pig. 293. Topf als Gebäretuhl dienend,
breit. Es wird von den Eingeborenen gewöhnlich als (Spanien.) (Nach Simpson.)
6a ein bezeichnet, derselbe Ausdruck, der auch einem
weiten Geschirr gegeben wird, das als Nachtstuhl oder Spüleimer dient. Manchmal wird es
Recado genannt, Gerftth oder Werkzeug oder Parideras."
Der Einsender, der zu einer Entbindung gerufen wurde, fand die Kreissende
auf diesem Geschirre sitzen mit weit gespreizten Beinen, und vor ihr auf einem
niederen Stuhle eine Hebamme, welche sie durch die Oeffnung in dem Topfe ex-
plorirte. Das Fruchtwasser, das Blut u. s. w. hatte sich am Boden des Oeräthes
gesammelt.
Das erinnert übrigens an die Angabe, dass die Chinesin in einer Wanne
niederkommen müsse. Hureau de ViUeneuve sagt allerdings, dass die Chinesinnen
in knieender Stellung gebären; es ist aber nicht ganz zweifellos, ob er hier wirk-
lich Chinesinnen meint. Kerr in Canton erwähnt die Wanne, aber er sagt, dass
in dieselbe ein Stuhl gestellt sei, den die Frau für ihre Niederkunft benutze, und
auch in der chinesischen Abhandlung von v. Martins ist von einem Stuhle
die Rede.
Dafür, dass ein besonderer Qebärstuhl benutzt wird, spricht auch ein chi-
nesisches Aquarell, dass ich in Fig. 294 wiedergebe. Allerdings sieht man hier
nichts von einer Wanne. Der Stuhl, oder besser gesagt, die kurze Bank, auf
160
XLVIL Die Hülfsmittel bei normaler Geburt.
welcher die eben Entbundene sitzt, macht den Eindruck, als wenn sie, ähnlich
wie die europäischen Gebärstühle, für den Mittelkörper einen Ausschnitt
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Ausser in China wird heutigen Tages der Gebärstuhl in Syrien, Aegypten,
der Türkei, Cypern und Griechenland benutzt. Es ist gewiss beachtenswerth,
dass es sich hier fast ausschliesslich um Völkerschaften handelt, bei welchen im
gewöhnlichen Leben das Sitzen auf Stühlen etwas durchaus Ungebräuchliches ist.
295. Das Gebären auf dem Schoosse.
161
295. Das Gebären auf dem Schoosse.
Es ist die Ansicht ausgesprochen worden, dass die absonderliche Sitte, auf
dem Schoosse einer anderen Person niederzukommen , die erste Veranlassung zu
der Erfindung des Oeburtsstuhles abgegeben habe. Das ist in hohem Grade wahr-
scheinlich, und wir besitzen sogar einen positiven Beweis, dass wirklich einmal
der menschliche Geist in dieser Weise thätig gewesen ist. In Thüringen stand
im Anfange dieses Jahrhunderts ein Zimmermann in dem besonderen Rufe, dass
man auf seinem Schoosse sitzend sich leichter Entbindungen zu erfreuen hätte.
Er wurde in Folge dessen häufig in Anspruch genommen. Da ihm dieses endlich
lästig wurde und er fand, „dass er viel zu thun hätte, wenn er jedem Narren
sitzen mOsste, der auf ihm kälbern möchte", so kam er auf die geniale Idee, einen
Geburtsstuhl zu construiren, obgleich er niemals ein derartiges Gerath in seinem
Leben gesehen oder davon gehört hatte. (Metzler,) In gleicher Weise mag man
auch wohl früher zu der Erfindung gekommen sein.
Der Gebrauch, den Schooss eines Anderen gleichsam als Geburtsstuhl zu be-
nutzen, ist auch heute noch, wenigstens räumlich, sehr verbreitet und reicht bis
in die graue Vorzeit zurück. Schon
in der Bibel finden wir Andeutungen
dafür. So sagt Rahel zu Jacob
(1. Mosis 30, 8):
«Siehe da ist meine Magd BiXha;
lege dich zu ihr, dass sie auf meinem
Schoosse geb&re und ich durch sie erbauet
werde.*
Allerdings ist hier nicht von
der Hand zu weisen, dass es sich hier
um eine Geburt per procuram
handeln sollte, dass auf diese Weise
das Kind der Büha gleichsam zum
Kinde der bisher unfruchtbaren Rahel
gemacht wurde.
Dass auch die Damen im alten
Peru die gleiche Position für die
Niederkunft gewählt haben, das ist
uns durch Engelmann bewiesen. In
den alten peruanischen Gräbern
wurde vor einiger Zeit ein irdener
Topf aufgefunden, auf welchem der
Geburtsact dargestellt ist. Engel-
mann, der diese «Bestattungsurne'
(Fig. 295) im Jahre 1877 erhielt,
beschreibt dieselbe folgendermaassen:
,Die Frau sitzt im Schoosse eines
Helfenden. Ich kann nicht bestimmen,
ob dies der Gatte oder eine Wärterin, ob
es eine m&nnliche oder weibliche Person
ist; jedenfalls sitzt sie im Schoosse einer Person, deren Arme den Brustkorb umschlingen,
wobei die H&nde fest auf den Fundus uteri drücken. Die Hebamme sitzt auf einem niederen
Sessel zwischen den gespreizten Schenkeln der Gebärenden und ist eben im BegrifP, den Kopf
des Neugeborenen zu empfangen. Dieses Huaco genannte Gef&ss vergegenwärtigt eine Ge-
burtsscene genau so, wie sie bis auf den heutigen Tag unter den Abkömmlingen der Incas
zum Austrag kommt, und Dr. Coates versichert mir, dass er während seines Aufenthaltes in
Peru nicht selten als Geburtsarzt zu thun hatte, wobei stets der Gatte hinter der dergestalt
gelagerten Frau stand.'
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Anfl. II 11
Fig. 295. Alt-peruanischei GrabgefaoB, eine Nieder-
kunft darsteUend. (Nach EngeimoHn.)
162
XLVn. Die Hülfsmittel bei normaler Gebart.
Ebenso pflegen die Frauen in Chile und die Indianerinnen und Mestizen
in Mexiko niederzukommen, obgleich bei den letzteren auch noch andere Stellungen
gebrauchlich sind.
Auch bei den alten Römern wurde in dieser Weise die Niederkunft ab-
gemacht, aber nur als Nothbehelf. So äussert sich Moschion darüber und ihm
folgen später die Italiener Scipione Mercurio und Savonarola und der Deutsche
Welsch, während der Franzose de la Motte sie wieder warm vertheidigte. So
lässt sich also f&r diese drei Nationen in Bezug auf diese Sitte der directe An-
schluss an das klassische Alterthum nachweisen.
um nun gleich noch bei den antiken Völkern zu verweilen, so mOssen wir
erwähnen, dass auch die alten Einwohner Cyperns den gleichen Gebrauch ge-
kannt und geQbt haben. Das beweist eine im Louvre zu Paris befindliche,
Yon Ploss im Jahre 1878 daselbst gefundene, vorher noch nicht beschriebene
kleine Gruppe von Thonfiguren aus Cypern. Sie ist in einem Saale des Louvre,
im Musee Campana (Museum Napoleon Bonaparte) aufgestellt und ist be-
zeichnet: M. N. B. 118. Ile de Chypre. Dargestellt sind drei menschliche Figuren,
von denen die Eine die Andere auf ihrem Schoosse hält, sie von hinten um-
fassend, während die Dritte, die einen cylindrischen Gegenstand im Arme hat,
vor beiden hockt. Die Aufstellung im Glasschrank liess zunächst keine ganz
genaue Betrachtung, nur eine einseitige Ansicht zu; allein Ploss glaubte doch
an den flüchtigen, fast roh gearbeiteten Figuren 'zu erkennen , dass es sich bei
denselben mit grösster Wahrscheinlichkeit um eine Geburtsscene handele, und dass
die Figur der Frau, die er für die Gebärende halten musste, auf dem Schoosse
einer anderen Person sitzt. Es musste hier eine Votivgabe ftir eine glückliche
Entbindung vermuthet werden. Da die Zeit fehlte, in Paris länger zu verweilen,
um die Sache genauer zu erörtern, so bat Floss Herrn Prof. Emä Schmidt in
Leipzig, den bekannten Anthropologen, die Gruppe aufzusuchen und genauer zu
beschreiben. Eine von Fhss aufgenommene
Skizze der Gruppe leitete ihn endlich bei
seinem späteren Besuch des Louvre im Jahre
1879 zur Auffindung derselben; auch gelang
es ihm, sie näher zu betrachten und von
mehreren Seiten abzeichnen zu dürfen. Ihm
verdanken wir schliesslich sowohl die bei-
folgende Zeichnung (Fig. 296) als auch die
ausführliche Beschreibung. letztere ist um
so werthvoUer, als im Katalog des Musee
Campana alle wissenschaftlichen Angaben,
insbesondere Nachweise über den Finder,
den Fundort, die Fundzeit u. s. w. fehlen.
Schmidt schrieb als Ergebniss seiner
Untersuchung:
«Die Gruppe selbst ist bis zum Kopf der
höchsten Figur 10 Ctm. hoch, ihre Länge (an
der Basis) betr> 10,5 Ctm., ihre Breite durch-
schnittlich 4 — 5 Ctm. Sie ist durchweg ganz
ausserordentlich nachlässig gearbeitet, so dass
selbst die gröbsten Dinge (Beine) oft gar nicht
zu erkennen sind, noch sind auch die Gesichter
gut geformt Sie besteht aus drei Figuren, von denen zwei (A und B) in einem Sessel sitzen
und zwar so, dass A die Figur B vor sich auf dem Schooss hält; die dritte Figur C kniet
vor beiden, mit dem Gesicht ihnen zugewendet. Bei allen drei Figuren sind die Hinterseiten
gar nicht ausgearbeitet; sie sehen aus, als wenn sie mit dem Messer quer von oben nach
unten durchschnitten wären und als ob nur die vordere Hälfte stehen geblieben wäre. Alle
drei Gesichter haben etwas Weiches, fast Liebliches, Augen, Nase und Mund sind bei Allen
Fig. 296. Antike Terracotta^Gmppe aus Gy p ern ,
eine Niederknnft darstellend.
(Im Mosöe Campana des Louvre in Parii.)
(Nach einer Zeichnung des Dr. £mii Schmidt in
Leipzig.)
295. Das Gebären auf dem Schoosse. 163
gut angedeutet, von Bart ist keine Spur zu bemerken. A und B sind bis zum Leib herab
noch leidlich gearbeitet, weiter unten aber flieset Alles in eine kurze, dünne, breite, nach
unten unregelmässig gestaltete und allmählich in die Unterlage (Sessel) übergehende Masse
zusammen. A hat B der ganzen Länge nach vor sich sitzen; mit der rechten Hand greift A
unter dem rechten Arm von B durch auf den Leib von B; der linke Arm von A liegt der
ganzen Länge nach unter dem linken Arm von B. In der Stellung von A ist ein gewisses
Sichanstrengen ausgedrückt, während B wie ohnmächtig den Eopf nach links heruntersinken
lässt. G ist ebenfalls bis zum Becken herab noch ziemlich leidlich gearbeitet; unterhalb aber
geht die Figur ohne Weiteres in die Basis über; sie scheint auf dem Boden selbst zu sitzen.
In den Armen h< sie einen »oylindrischen Gegenstands der etwa bis zur linken Schulter
hinauf, nach unten aber nicht unter den rechten Arm hinabreicht. Derselbe ist oben ziemlich
scharf abgeschnitten, ziemlich regelmässig geformt, und zeigt insbesondere keine Spur einer
Einschnürung, die man etwa als Hals deuten konnte. Das seitliche Profil von C, das auf
der Hinteransicht besonders gut zu erkennen ist, zeigt eine schmale Brust, eine fein einge-
schnittene Taille und breit ausladende Hüften. Die Unterlage von A und 6 ist ein Sessel,
was man bei der Vorderansicht allein nicht erkennen kann. Die Beine desselben sind rechts
und links je mit einander verbunden, vom und hinten aber von einander getrennt. Die Ge-
stalt des Sessels geht aus der Zeichnung deutlich hervor. Die Figuren sind röthlich bemalt
und zeigen Spuren von schwarzer Zeichnung (an den Augen) sowie einen Strich, der bei B
von Schulter zu Schulter vom über die Brust läuft."
.Wenn ich eine Ansicht über die Bedeutung der Gmppe aussprechen soll,' — so fährt
Schmidt in seinem Briefe fort — ,so muss ich gestehen, dass ich glaube, dass sich bei der
so sehr nachlässigen Ausführung der Grappe kaum etwas Sicheres, Unanfechtbares darüber
sagen lässt. Man muss sich mit Wahrscheinlichkeiten begnügen. Zunächst scheint mir die
Gmppe sehr wahrscheinlich drei Frauen darzustellen. Zwar fehlen alle Andeutungen von
Mammae, doch spricht die weiche Form der Gesichter, das Fehlen von Bart, besonders aber
die Rumpfform von G dafür. Auch sehen die breiten, flachen unteren Partien von A und B
mehr aus wie Weiberröcke, denn wie Männerbeine. Es fragt sich, was bedeutet der cylin-
drische Gegenstand, den C im Arme h<? Der proportionellen Grösse nach würde er einem
neugeborenen Kinde ganz entsprechen, auch stimmt damit die Haltung; dass nichts vom
Kopfe oder Gliedem zu erkennen ist, spricht nicht dagegen, dass ein Kind dargestellt sein
soll; es lässt sich leiclit annehmen, dass solches Detail bei der übrigen groben AusfÜhmng
zu fein war und deshalb ganz vernachlässigt wurde. (Man könnte an einen Phallus denken,
doch würde dieser mit der ganzen übrigen Darstellung sich schwer in Einklang bringen
lassen, auch würde ein solcher wohl kaum so zärtlich im Arm gehalten werden, wie ein
kleines Kind.) Handelt es sich hier um ein kleines Eond, so dürfte die Grappe kaum eine
andere Deutung zulassen, denn als Geburtsscene; die auf den Leib von B gelegte rechte Hand
von A, die den Leib zu reiben scheint, die augenscheinliche Erschöpfung von B würde dazu
trefPlich stimmen. Für mich scheint die Erklärung die wahrscheinlichste zu sein, dass es
sich hier um ein Dankgeschenk an die Geburtsgöttin für Hülfe bei einer schweren Geburt
handelt. Solche Dankesgaben für Genesungen von Krankheiten finden sich häufig : das Museo
nazionale in Neapel besitzt, ich möchte sagen Hunderte von Brüsten, Fingern, Händen,
Füssen, Augen u. s. w., die diese Bedeutung haben.*
Kehren wir nun za den modernen Völkern zurück, so haben wir die uns
beschäftigende Sitte bereits in Italien, Frankreich und Deutschland ange-
troffen, und noch in diesem Jahrhundert fand sie sich in Thüringen, imVoigt-
lande und in Holstein. In Holland hatte man im 17. Jahrhundert sogenannte
Shott-Steers, d. h. Weiber, welche ihren Schooss für derartige Entbindungen
herzugeben pflegten, (van Solingen.) Auch in England und Russland kommen
solche Entbindungen vor. Von den Letten sagt Älksnis:
,Oft lässt man den Ehemann die Gebärende auf seinen Schooss nehmen, die Beine
werden genügend von einander entfernt und eventuell von zwei Personen an den Knieen in
dieser ausgebreiteten Lage gehalten.*
In Amerika sind sie, ausser in den bereits genannten Ländern, auch noch
in Pennsylvanien, in Ohio und Virginien gebräuchlich. In Asien finden
wir diesen Gebrauch bei den Beduinen und Kalmücken. Auch die Anda-
manesen und in Afrika die Madi-Neger haben analoge Sitten. Nicht immer
sind es Frauen, welche der Kreissenden diesen liebescUenst erweisen. In der
11*
^f^mm
164 ILYIl. Die Hfilfismittel bei normaler Gebart
Mehrzahl der Fälle sogar müssen hierf&r Männer sich bereit finden lassen. In
erster Linie sind es allerdings die Ehegatten, aber auch der Vater der Gebärenden
oder Freunde des Mannes können für diesen eintreten. Bisweilen sind es fremde
Männer, deren Schooss in dem Rufe steht, die Entbindung zu erleichtem. Das
scheint auch bei den Kalmücken der Fall zu sein, bei welchen dieser lebendige
Oeburtsstuhl zuvor von dem Gatten reichlich bewirthet werden muss.
296. Die Anwendung Yon arzneilieh wirkenden Mitteln bei normaler
Niederkunft.
Wir finden die Ansicht weit verbreitet, dass von dem Augenblicke an, in
welchem die ersten Anzeichen der beginnenden Geburt sich bemerklich machen,
die Kreissende eine ganz besondere Diät einzuhalten hat, sei es, dass sie die Auf-
nahme von Nahrung oder von Getränken überhaupt gänzlich meiden muss, sei es,
dass ihr besondere, angeblich die Geburt beschleunigende Medicamente dargereicht
werden. So durfte im 17. Jahrhundert in Deutschland die arme Frau, solange
sie auf dem Geburtsstuhle zubringen musste, absolut nichts zu sich nehmen, und
in EckartWs unvorsichtiger Hebamme wird von einem Fall erzählt, wo die
Kreissende bereits 14 Stunden auf diesem Stuhle hatte zubringen müssen, und
obgleich sie schon von der ümgebimg aufgegeben war, so gestattete man ihr
doch nicht, einen Schluck Wein zu trinken, um den sie inständig flehte, bis ihr
Mann trotz aller Gegenrede willfahrete und hierdurch die Weheuschwäche be-
seitigte und die Geburt vollendete. In ähnlicher Weise muss nach Shortt im
südlichen Indien die Frau während der Entbindung fasten.
Die Negerinnen im Moru-Districte in Central-Afrika dagegen sucht
man dadurch leistungsfähig zu erhalten, dass man, wie Fdkin erzählt, neben das
Geburtslager einen Topf stellt, der mit einheimischem, aus gemahlenem Samen
bereitetem Bier gefüllt ist; auf letzteres werden Blätter gelegt imd nun kann die
Frau mittelst eines Trinkrohres nach Gefallen daraus saugen, um sich zu er-
quicken. Sobald auf den canarischen Inseln die Geburt begonnen hat, wird
der Gebärenden ein volles Glas Branntwein zur Stärkung gereicht, aber auch die
Hebanmie und die Gevatterinnen leeren dabei das ihrige. (Mac Gregor.)
Dagegen werden bei einzelnen Völkern manche der in einem späteren Ab-
schnitt anzuführenden medicamentösen Hülfsmittel bei schwerer Geburt von
den Hülfeleistenden, auch ziemlich regelmässig bei normalem Geburtsverlauf in
Anwendung gebracht, weil man glaubt, auch bei letzterem durch innere Mittel
fordernd Hülfe leisten zu müssen. So ist die Anwendung eines Pfeffertrankes in
der Präsidentschaft Madras in Indien fast bei jeder Entbindung im Gebrauch.
Auch auf der Insel Buru macht eine alte Frau der Kreissenden sofort eine Me-
dicin zurecht, welche das Extract von der Kaempferia galanga enthält, damit ihre
Entbindung glücklich von Statten gehe. Die Kreissende auf Ambon und den
U Hase -Inseln muss den ausgepressten Saft der rohen Blätter von Hibiscus elatus
und Hibiscus rosa sinensis mit geweihtem Wasser trinken, worüber eine dessen
kundige Person folgendes Gebet an die Gottheit gesprochen hat:
,LasB die Kanari-Frucht fallen, lasa die Krankheit ans dem Körper verschwinden, alle
Krankheiten wegfliessen, auf dass der Körper meiner Tochter gesund bleibe, auf dass ihr
Körper erleichtert werde."
Andere trinken ein Infuso-Decoct von den Blättern der Carica papaya oder
des Dendrolobium cephalotes. (Riedel^) Die Sandwichs-Insulanerin trinkt
vor der Entbindung reichlich von einem aus dem Baste des Halo oder Hibbcus-
Baumes bereiteten Schleim.
Wenn bei den Orang Belendas-Frauen in Malacca die ersten Wehen
eintreten, so werden drei Pflanzen, welche nach Stevens Mirian heissen, mit
296. Die Anwendung von arzneilicli wirkenden Mitteln bei normaler Niederkunft. 1 65
heissem Wasser übergössen, und von diesem Aufgoss muss die Kreissende reich-
lich trinken. (Bartels''.)
Bei den rassischen Frauen in Astrachan wird die Gebart durch Dar-
reichen von Zimmtwasser befördert. (Meyersan.) In Guatemala reicht die
Hebamme der Gebärenden heisse Kräuterabkochungen und dazwischen ab und zu
einen Schluck Branntwein.
In Nord-Amerika trinken die Indianerinnen des Uintathal-
Districtes während der Entbindung eine Menge heisses Wasser, die Krähen-
Indianerinnen von Montana verschiedenen Wurzel- und Blätterthee (Engel-
mann); am beliebtesten ist der Thee von der E-say-Warzel, welche einer dem
Tabak ähnlichen Pflanze angehören soU. Häufig wird auch dort Branntwein in
kleinen Mengen verabreicht. Die Winnebagos und Ghippeways geben der
Gebärenden kurz vor dem Austritt des Kindes einen aus einer Wurzel bereiteten
Trank ein, der in dem Rufe steht, die Fasern zu erschlaffen und die Niederkunft
zu erleichtem. Die Skokomisch-Districts-Indianer glauben, dass ein Thee
von den Blättern der Bärentraube die Triebkraft der Wehen fordere. Im alten
Mexiko gab man die Abkochung einer Wurzel von der Pflanze Givapacthi,
welche etwas treibende Kraft besass; wurden jedoch die Wehen zu heftig, so
musste ein kleines, sorgfältig mit Wasser abgeriebenes Stück vom Schwänze eines
Opossum genommen werden.
Ausserdem spielen Ekel erregende und Brechmittel bei sehr vielen Völkern
eine grosse Rolle. Das mit dem Würgen verbundene Zusammenziehen der Unter-
leibs- und der Zwerchfellmuskeln soU die Austreibung befördern. Ekelmittel
wenden die Doekoen in Niederländisch- Indien an: sie lassen die älteste bei
der Geburt anwesende Frau ihre Füsse in kaltem Wasser waschen und geben dies
oder noch weniger appetitliche Flüssigkeiten (Urin) der Kreissenden zu trinken.
(van der Burg,) In Siam gab ein Hofarzt einer hochgestellten Dame bei ihrer
Niederkunft folgende Verordnung: „Reibe zusammen Späne des Sapan-Holzes,
Nashomblut, Tigermilch (frisch gesammelt als Fund auf bestimmten Blättern im
Walde) und die von einer Spinne zurückgelassene Haut.* (Engdmann.) Andere
Medicamente werden wir später kennen lernen, wenn von den Störungen des
Geburtsverlaufes die. Rede sein wird.
XL VIII. Manuelle und mechanische Hülfsmittel bei der
nonnalen Geburt.
297. Die Behandlung mit Salbungen, Bähungen und Waschungen bei
normaler Niederkunft.
Der Gedanke ist eigentlicli ein sehr naheliegender, dass die Gehurtswege dem
andrängenden Kinde um so bequemer den Durchtritt ermöglichen müssen, um so
weicher, nachgiebiger und schlüpfriger sie sind. So erscheint es denn sehr be-
greiflich, dass viele Völker darauf verfallen sind, die Geschlechtstheile der Ge-
bärenden einzusalben und einzufetten. Schon Susruta schreibt:
«Eine Hebamme salbe die inneren und äusseren Geschlechtstheile der Ereissenden ge-
hörig ein."
Auch Hippokrates empfiehlt das Einölen der Scheide. Ebenso liess Soranus
warmes Oel einreiben; ferner auch Moschion, Äetius, Pmdus Aegineta und Ävicenna.
Ihre Lehren gingen dann auch auf die deutschen Aerzte des Mittelalters
über. So lesen wir bei Bueff:
«Zum letzten sol die Hebamme für die Frawen niedersitzen, vnd der Frawen jhren
fordern Leib wol salben vnd bestreichen^ mit weiss Gilgenöl, süss Mandelöl, vnnd Hüner-
schmaltz ynter einander vermischt, das denn trefflich wol dienet denen Weibern, die feisst
sind, vnnd einen engen Leib haben, auch denen zu den ersten Kindern, auch denen, die einen
trocknen Leib haben.*
Solche Gebrauche haben sich noch erhalten und Älksnis erwähnt einen Fall,
wo die lettische Hebamme der Kreissenden die Geschlechtstheile mit saurer
Sahne eingesalbt hatte.
Bei manchen Völkern glaubt man auch, dass die Entbindung erleichtert
werde, wenn der Bauch der Gebärenden solchen Einsalbungen unterzogen wird.
Li Guatemala benutzt man hierzu Oel, im nördlichen Mexiko wird der Unter-
leib durch die Hebamme mit dem Infusum eines adstringirenden Krautes einge-
rieben. Auf den Babar-Liseln wird der Leib der Kreissenden mit Kaiapamilch
bestrichen. Die Hebammen in Galizien führen solche Einreibungen mit einem
Gemisch von Fett und Branntwein aus.
Einen IJebergang zu den Bähungen können wir in den Waschungen und
Uebergiessungen mit verschieden temperirtem Wasser erkennen. Um die Ent-
bindung zu erleichtem und zu fordern, reichen bei den Campas- oder Antis-
Indianern in Peru die helfenden Frauen der Gebärenden heisses Wasser, mit
dem sich dieselbe wäscht. (Grandidier.) In Australien hingegen giesst eine
Frau der Gebärenden kaltes Wasser auf den Unterleib. (Klemm.) Auch die
kreissenden Papua-Frauen werden nach Midier mit Wasser begossen.
298. Das Mitpressen der Geb&renden. 167
Die Anwendang der Bähangen finden wir in sehr weit von einander abge-
legenen Theilen der Erde. In Ost-Preussen sind nach Hüdebrand Camillenthee-
Bähungen gebrauchlich. Die Gebärende wird dabei auf einen Stuhl gesetzt und
man stellt dann einen Topf mit heissem Camülenthee zwischen ihren Schenkeln
aufl Am weissen Nil unter den Kerrie-Negern ist es Brauch, der Kreissenden
ein ortliches Dampfbad in der Weise zu machen, dass man eine Vertiefung in
den Erdboden grabt, in welcher man ein Feuer anzündet; auf letzteres wird ein
Topf gestellt, welcher ein^ Krauterabkochung enthalt. Hierüber hockt sich dann
die Frau und lässt sich die Dämpfe gegen den Unterleib gehen. Dieses Mittel
steht in dem Buf, die Entbindung ganz erheblich zu erleichtem. Auch von den
Schuli-Negern wird es angewendet. (Felkin.)
Der Gebrauch der Dampfbäder ist bei den Völkern Busslands sehr ge-
bräuchlich. Es wurde ja weiter oben schon von der Niederkunft in der Bad-
stube gesprochen. Auch die Chinesinnen wenden fast bei jeder Entbindung
eine Art von Dampfbad an. Die Frau muss sich dabei auf ihre Kniee nieder-
lassen, welche auf einer Matte ruhen. Zwischen ihre Beine wird darauf ein Ziegel-
stein gelegt, welcher in einem Ofen erhitzt wurde, derselbe liegt aber weit genug
nach hinten, um nicht die Hantierungen der Hebamme zu behindern. Die Waden
der Kreissenden sind vor der strahlenden Hitze durch kleine angelegte Brettchen
geschützt. Dann giesst die Gehülfin der Hebamme auf den heissen Ziegelstein
reines oder mit aromatischen Substanzen vermischtes Wasser; die Wasserdämpfe,
die hierbei entwickelt werden, steigen an die Vulva, indem sie der Bichtung der
angelehnten Brettchen folgen. Ausserdem verbreitet man durch mehrere ange-
zündete Feuer rings um die Gebärende eine Atmosphäre heissen Dampfes. Das
Costüm der Frau, aus Camisol und einem offenen Kleide bestehend, erlaubt ihr
hierbei völlig bekleidet zu bleiben. (Hureau.) In Cochinchina wird in grosser
Nähe der Kreissenden ein Feuer unterhalten. Auch im Nordwesten Amerikas
bei den Kenai-Völkem bringt man die Kreissende in eine Schwitzhütte, in der
ein Mann durch heisse Steine eine hohe Wärme unterhält.
S. Das Mitpressen der Oebftrenden.
Das durch die Schmerzhaftigkeit der Wehen bei der Kreissenden hervor-
gerufene Stöhnen ist naturgemäss stets mit einem Pressen verbunden. Aber das
Pressen und Anstrengen der Gebärenden darf nur mit Maass geschehen, wenn es
nicht schädlich wirken, sondern wenn die Geburt in richtiger Weise gefördert
werden soll. Dies sahen unter anderen schon die altindischen Aerzte ein. So
giebt schon Susruia an, in welchen Perioden der Geburt man der Niederkommen-
den zureden soll, mehr oder weniger zu pressen:
.Nachdem man die inneren und äusseren Qeburtstheile der Gebärenden gesalbt hat,
spreche man zu ihr: ,0 Glückliche, strenge Dich an, Du hast die Geburtswehen
noch nicht fiberstanden, strenge Dich an!" Und wenn das Band der Nabelschnur
gelost ist: „Arbeite nur langsam mit den schmerzhaften Lenden, den Scham-
theilen und dem Blasenhalse;' und wenn der Fötus herausgeht: , Arbeite mehr!*
endlich, wenn der Fötus zum Scheidenausgang gelangt ist: „Arbeite immer mehr, bis
zur gänzlichen Entbindung!*
Nach dieser Uebertragung VuUer's beschränkt SusnUa die Anstrengung der
Gebärenden auf die eigentlichen Geburtswehen und schreibt zugleich, je nach dem
Vorrücken des Kindes aus den Geburtstheilen, ein stärkeres oder schwächeres
Pressen zur Unterstützung der Wehen vor. Ein zu frühes Pressen erklärt er für
schädlich, denn er sagt:
„Durch unzeitige Anstrengung gebiert die Ereissende ein taubes, stummes, mit ver-
kehrt stehenden Kinnbacken versehenes, am Kopfe beschädigtes, an Husten, Respiration und
Schwindsucht leidendes, buckliges oder monströses Kind.*
Igg XLVni. Manuelle und meclianisclie Httlfsmitiel bei der normalen Geburt.
Auch die römischen Aerzte wussten, dass das Pressen der Gebärenden nicht
ohne eine gewisse Vorsicht geschehen muss. Soranus und Aetius schreiben vor,
,da88 die Ereissenden den Athem, so lange die Wehen dauern, nach den unteren
Theilen des Körpers pressen und nicht im Halse zurückhalten sollen, denn in diesem Falle
entstehe ein unheilbares üebel, die Bronchocele/
Bösslin schreibt in seinem Hebammenbuch:
«Auch soll die Frau ihren Athem anhalten und unter sich drücken.*
Auch Pare warnt vor einem unzeitigen Verarbeiten der Wehen.
Bei den rohesten Völkern beschranken sich die Hülfeleistenden darauf, die
Gebärende durch Zureden zum Pressen anzutreiben. So wenden in Massaua die
helfenden Weiber keine geburtsfordemden Mittel an, sondern gebieten nur den
Niederkommenden, sich selbst anzustrengen und mit Macht zu drücken, um die
Niederkunft zu beschleunigen. (Brehm.) Bei den Hottentotten aber schlägt
der Ehemann die niederkommende Frau, um sie zum Pressen anzutreiben. Aus
dem gleichen Gründe erschreckt bei den Chewsuren der Gatte die Gebärende
durch unerwartet abgefeuerte Flintenschüsse.
Die Stellungen und Lagerungen, welche bei den verschiedenen Völkern für
die Gebärenden ^s die gewohnheitsgemässen sich eingebürgert haben, scheinen
besonders deshalb gewählt worden zu sein, weil man der Meinung war, dass so
das Pressen, welches die Ereissende ausführt, ganz besonders erfolgreich sein
würde. Auch alle die weiter oben geschilderten Handhaben, die Stricke, die
Querstangen, die Pfosten u. s. w. dienen sämmtlich ebenfalls diesem Zweck.
Bei manchen Völkern ist der gebärenden Frau das Schreien auf das Strengste
untersagt, und wenn diese Nationen bei ihrem Verbote höchst wahrscheinlich von
ganz anderen Beweggründen geleitet worden waren, so hatten sie doch hierdurch
eine nicht unerhebliche Steigerung des Fressens erreicht, denn der unterdrückte
Schmerzenslaut ist mit einer starken Pressbewegung verbunden. In Nicaragua
darf die Gebärende nicht jammern und schreien, sie muss mit Gewalt die Schmerzens-
äusserungen unterdrücken, um ihre Mitwirkung zur Ausstossung des Kindes nicht
zu stören. {Bernhard.) Wir sahen ja oben schon, dass bei den Karau-Batta-
kern in Deli auf Sumatra eine Kreissende von ihren Freundinnen gescholten
wurde, weil sie Schmerzenslaute hören liess.
Da bei den Guinea-Negern die hülfeleistenden Weiber das Schreien und
Stöhnen Gebärender für schändlich ansehen, so halten sie, um dem vorzubeugen,
den armen Geschöpfen den Mund zu. (Monrad.) Auch bei den Kalmücken
verstopft man bisweilen der Kreissenden Mund und Nase mit einem Tuche und
erwartet, dass die Anstrengung, welche die dem Ersticken nahe Frau macht, die
Geburt beschleunige. (Krebel) Ebenso suchen die nordamerikanischen In-
dianer dadurch in schweren Fällen die Geburt zu befordern, dass sie den Weibern
Mund und Nase zuhalten. {Busch,) Dasselbe Mittel kennt Hippohrates zur Be-
schleunigung des Abganges der Nachgeburt.
Die galizischen Hebammen lassen es an der wiederholten Aufforderung
nicht fehlen, dass die Kreissenden bei geschlossenem Munde kräftig drängen und
pressen möchten, und so konmit es denn nicht selten vor, dass die armen Weiber
schon völlig erschöpft sind, bevor noch die Blase gesprungen ist.
Auch in China wird in dieser Beziehung vielfach fehlerhaft vorgegangen.
Denn der chinesische Ar;st sagt in der von v. Martius herausgegebenen , Ab-
handlung über Geburtshülfe'':
a Leider geschieht es nur allzu häufig, dass dumme Hebammen der Kreissenden zurufen:
, Strenge Deine Kräfte an!* „Die Mutter muss das Herauskommen ganz allein dem Kinde
überlassen; denn strengt diese ihre KrSfte an, während das Kind sich umwendet, so wird die
Lage desselben unordentlich; nur in dem Fall, wo das Kind beim Umwenden seine Kräfte zu
sehr angestrengt haben sollte, so dass es zu sehr geschwächt ist und stecken bleibt, ist es
der Frau gestattet, um dem Kinde zu helfen, einige Male ihre Kräfte anzustrengen. Nur be-
nehme sie sich ja hierbei höchst vorsichtig und behutsam, sonst richtet sie Schaden an."
299. Mechanische Halfeleistang bei normalem Geburtsverlauf. 169
Die japanischen Oeburtshelfer lehren:
^Das willkOrliche Drängen von Seiten der Ereissenden ist nutzlos und soll daher nicht
besonders empfohlen werden; vielmehr muss das Drängen ganz Yo sein und es wird von
selbst stärker und schnell, indem das T0 sich oberhalb der Frucht sammelt* Zum Verständ-
niss dieser dunkeln Stelle ffigt der üebersetzer derselben hinzu: «Bei allen Naturerscheinungen
unterscheidet man Yo das männliche, active, und In das weibliche passive Princip. Hier also
ist gemeint, dass die active, austreibende Kraft sich oberhalb der Frucht sammeln muss, um
dieselbe auszustossen/
299. Mechanische Hülfeleistnng bei normalem Oeburtsyerlauf darch
Drficken und Kneten des Unterleibes.
Es wurde oben schon von der Yielgeschäftigkeit gesprochen, welche die un-
gesclinlte Gebnrtshülfe sehr häufig auf die Gebärende einwirken lässt. Der An-
schauung, „dass etwas geschehen mttsse*^, dass man nicht müssig dabeistehen
dürfe, haben eine Reihe von Manipulationen ihre Entstehung zu verdanken, welchen
wir an dem Geburtslager begegnen. Hier ist in erster Linie zu nennen das Reiben
und das Streichen der unteren Körperhalfte. Es liegt hierbei die Absicht vor,
das Kind aus dem Leibe herauszustreichen. Sehr bald aber musste sich die Er-
fahrung herausbilden, dass solche Frictionen des Unterleibes in einer Reihe von
Fällen wirklich yortheilhaft sind, da sie Gontractionen des Uterus auslösen. Da
ist es nicht zu verwundern, dass sehr gern die helfenden Frauen zu diesem Mittel
greifen, das in ihren Augen noch den Vorzug der vollständigen Unschädlichkeit
besitzt. Ausserdem leisten sie auch noch durch dasselbe der psychischen Be-
ruhigung der Gebärenden einen Dienst, welche schnell von ihren Leiden befreit
zu werden hofil, da sie sieht und ftlhlt, dass man überhaupt ihr zu helfen sucht,
und dass mit ihr etwas vorgenommen wird.
So berichtet Puejac, der seine Beobachtungen in kleinen Städten Frank-
reichs machte, über den dortigen Hebammenbrauch:
,Mes cHentes exigeaient que je les aidasse pendant lenrs donlenrs, c'est-ä-dire que
par de nombreux attouchements et de vigoureuses pressions sur le p^rin^e, je sollicitasse une
Sorte d*exacerbation de la part des contractions musculaires du plancher du bassin, assurant
par ces moyens Stre d^liyr^es plutöt.*
Auf dem Babar-Archipel wird während der ganzen Dauer der Entbindung
der Gebärenden von der einen helfenden Frau der Bauch, von einer anderen der
Rücken mit Kalapa-Milch bestrichen.
Aber auch noch kräftigere Manipulationen lässt man auf die Gebärende ein-
wirken; unter diesen hat das Zusammendrücken des Unterleibes, bevor noch irgend
ein Theil des Kindes herausgetreten ist, eine ganz besonders weite Verbreitung.
Wir haben weiter oben schon Falle erwähnt, wo der Gatte oder ein anderer Mann
den Leib der Kreissenden umfassen und denselben drücken muss. Auch der um-
gelegte Gürtel muss einem ähnlichen Zwecke dienen.
In Old-Galabar hockt die Hebamme vor der auf niedrigem Holzblock
sitzenden Gebärenden und übt mit den beölten Händen einen steten sanften Druck
auf die Seiten des Unterleibes von oben nach unten und vom aus, damit, wie sie
sagt, das Kind seinen Weg nach abwärts fijide.
Die Neger, die Indianer Californiens, die Malayen auf den Philip-
pinen, die Kalmücken, die Tataren und Ehsten bedienen sich verschiedener
Hül&mittel, deren Besprechung wir auf die Erörterungen über die Schwergeburten
verschieben wollen.
Die Papua-Frauen, welche in der Niederkunft begriffen sind, werden
von den ihnen beistehenden Frauen mit den Fäusten über der Brust geknetet.
(MiiUer.)
Den kreissenden Frauen der Orang Belendas in Malacca wird nach
Stevens' Bericht in der Höhe der falschen Rippen ein Tuch ziemlich fest um den
170 XLYIII. Manuelle und mechamsche Hülfsmittel bei der normalen Geburt.
Leib gebunden. Die Frau, welche zur Rechten der Ereissenden hockt, drQckt von
oben nach unten auf den Unterleib und streicht mit der Hand das Tuch vom
Nabel abwärts. Dieses «Tampoo* genannte Herunterdrücken wird in der Weise
ausgef&hrt, dass der den Handgelenken zunächst liegende Theil beider Hände ge-
braucht und die Finger nach aussen zurückgebogen werden. Diese Manipulationen
werden mit nicht sehr grosser Kraft mehrere Male in geringen Zwischenräumen
wiederholt; sie sind sehr wirkungsvolL (Bartels'^,)
Susrtäa erwähnt eine Compression des Leibes bei dem normalen Geburts-
Yorgange nicht. Aber die Hebammen der Griechen comprimirten der Gebären-
den den Leib durch Tücher, welche sie um dieselben schlangen.
Moschion lehrt den römischen Hebammen, dass ihre Gehülfinnen den Aus-
tritt des Kindes dadurch fördern sollen, dass sie den Bauch der Gebärenden nach
unten drücken. Auch noch Rösslin sagt in seinem Hebammenbuche: «Die
Hebamme soll den Bauch über Nabel und Hüfte gemächlich drücken;" und
Rodericus a Castro empfiehlt das Drücken des Bauches „ut infans ad inferiora
depellatur*'.
Wir werden in einem späteren, von den schweren Geburten handelnden Ab-
schnitte noch genauer auf diese Manipulationen zurückkommen. Wir dürfen aber
nicht vergessen, dass in den Augen der Yolks-Hebammen bekanntlich jede nur
einigermaassen zögernde Geburt zu einer schweren wird, welche ihrer Meinung
nach eine Nachhülfe erfordert Man greift deshalb zu dem Mittel, eine Vis a
tergo anzubringen. Und so kommen fast alle in dem bezeichneten Abschnitte zu
erwähnenden Yerfahrungsweisen auch bei sonst normalem Verlaufe sehr häufig,
bei einigen Völkern sogar ganz regelmässig zur Anwendung.
800. Die künstliche Erweiterung der Oesclileclitstheile«
Wir sprachen oben bereits davon, dass man durch Einsalben u. s. w. die
Geburtswege nachgiebiger zu machen bestrebt ist. Da ist dann der Schritt nicht
sehr weit bis zu der Auffassung, dass eine mechanische Erweiterung dieser Theile
von einer ganz besonders günstigen Einwirkung sein müsse. So hatten schon
die römischen Hebammen die Gewohnheit, den Muttermund mit der Hand zu
erweitern, indess die Gehülfinnen den Leib der Kreissenden nach unten drückten.
Soranus aber hält diese künstliche Erweiterung nur dann für angebracht, wenn
die Wehen ohne Erfolg bleiben, nicht aber, wenn der Uterus contrahirt ist.
Celstis beschreibt die Operation genauer:
,£x intervallo vero paulum dehiscit. Hac occasione usus medicus, unetae manus in-
dicem digitnm primum debet inserere atque tibi continere, donec itenim id ob aperiatur,
rursusque alteram digitum demittere debebit et per easdem occasiones alios, donec tota esse
intus manns possit.*
Moschion spricht ebenfalls von dieser Operation:
«Digito manus sinistrae oleo inuncto uteri orificium sensim dilatans aperiet.*
Paulus von Aegina und TertuUian erwähnen besondere Instrumente, um
die Geburtstheile zu erweitem. Diese Dilatatoria waren wie ein Mutterspiegel
geformt und man konnte sie aus einander schrauben.
Die ganze Listrumentalhülfe der römischen Aerzte beschränkte sich auf
die Anwendung dieses Speculum vaginae {öiöJctQä), welches dazu diente, die
Scheide zu erweitern, wenn sie durch Geschwülste für das Durchtreten des Kindes
zu eng war. Dieses Instrument ist in mehreren Exemplaren in Pompeji auf-
gefunden worden. (Guhl^ Overbeck.)
Die arabischen Aerzte besassen ein dem jetzigen Kranioklast ähnliches
Instrument, von dem es bei Äbulkasis heisst:
301. Der Schutz und die ünterstatzung des Dammes. 171
«Forma oontnsoriB, quo caput foetus contunditur." Es wird auch abgebildet in zwei
verscbiedenen Grössen; von der l&ngeren Form sagt ÄbuUcasis: ,Et quandoque conficitur
longns, sicut vides.'
Dieses Werkzeug war nicht nur bei den Arabern, sondern auch bei den
europäischen Völkern im Mittelalter sehr verbreitet. Ävicenna sagt:
,Et fortasse, quandoque indigebis, ut aperias vulvam ejus cum instrumento os matricis
ejus et aperiatur.'
In Frankreich beschrieb zuerst Pare mehrere hierher gehörende Instru-
mente. De la Motte sagt, dass zu seiner Zeit die Hebammen zum grossen Nach-
theil der Gebärenden solche Beförderungsmittel der Geburt anwendeten. In
Deutschland empfahl RiAcff dergleichen Werkzeuge. Auch liess er »der Ge-
bärenden Leib Yon einander theilen und streifen', oder wie Rösslin es nennt:
»das Schloss der Gebärenden mit den Händen erweitern*^. Rueff und Rösslin
liessen diese Manipulationen auch bei normaler Geburt ausfiihren.
Solche den Muttermund erweiternde Mutterspiegel waren von da an bis auf
Mauriceau im Armamentarium der Geburtshelfer sehr gebräuchlich.
Noch jetzt kommen unter den Völkern ähnliche Manipulationen gewiss nicht
selten vor, ohne dass wir davon besondere Kenntniss erhalten haben. In Guate-
mala wird von der Hebamme, welche während der Wehen ihre Eniee gegen das
Kreuz der auf dem Boden sitzenden Gebärenden stemmt, in den Wehenpausen mit
den Händen und Fingernägeln die Scheide und der Muttermund gewaltsam er-
weitert. Auch in Gochinchina bedienen sich, wie i(fon(2tere berichtet, die Heb-
ammen eines ganz ähnlichen Verfahrens.
Bei den Indianern Nord- Amerikas gehen die helfenden Weiber (nach
Engdmann) gewöhnlich nicht mit der Hand in die Scheide ein; «höchstens be-
richtet man in Bezug auf einige wenige Beispiele von dieser Leistung, nämlich
behu& der Ausdehnung des Mittelfleisches oder zum Herausholen der vom
Uterus zurückgehaltenen Placenta.*'
Im jetzigen Griechenla.nd fuhren die helfenden Frauen die Hände in
die Scheide ein, drücken die Schamlippen nach hinten^ reissen das Perinaeum
u. s. w. (Damian Georg.)
Von den diesbezüglichen Leistungen der lettischen Hebammen haben
wir oben bereits ausführlich gesprochen, wir brauchen ihre rohen und gewalt-
samen Manipulationen daher hier nicht noch einmal vorzuführen.
301« Der Schatz und die Unterstützung des Dammes.
Von einer Unterstützung des Mittelfleisches durch die Helferinnen bei der
Geburt wird von den Beobachtern der volksthümlichen Entbindungskunst im Ganzen
nur selten etwas berichtet. Eine desto grössere Wichtigkeit besitzen daher die
positiven Nachrichten, welche zu unserer Kenntniss gelangen. So theilt Tohler
ans Palästina mit:
«Die Hebamme unterstfitzt sorgfältig das Mittelfleisch mit der rechten Hand dergestalt,
dass diese den ganzen Anus bedeckt, um dem Einreissen des Dammes vorzubeugen.*
Die Hebammen, welche den russischen Frauen in Astrachan bei der
Geburt beistehen, unterstützen ebenfalls den Damm. (Meyerson,)
Auf den kleinen Inseln des östlichen Indonesiens ist die Gefahr des
Dammrisses wohl bekannt, und die dort so häufig angewendete hockende oder
knieende Stellung bei der Entbindung hat den ausgesprochenen Zweck, das Mittel-
fleisch vor dem Zerreissen zu schützen. Aber auf Ambon und den üliase-
Inseln muss ausserdem noch eine der helfenden Frauen darüber wachen. Auf
Seranglao und Gorong drückt die vor der Gebärenden sitzende Frau mit ihren
Füssen gegen beide Seiten der Partes genitales. Nach einer vom Missionär Beier-
172 XL VIII. Manuelle und mechanische Hfilfsmittel bei der normalen Geburt.
lein zu Madras gemachten Mittheilung stecken an der Ostküste Ost-Indiens
die helfenden Weiber der Gebärenden eine Menge Lampen und Lappen ,in den
After". Dieses Verfahren erinnert an die Methode der Trottda; die letztere sagt:
.Praeparetur pannus in modum pilae oblongae, et ponatur in ano, ad hoc ut in
quolibet conatu ejiciendi puerum, illnd firmiter ano imprimatnr, ne fiat hujusmodi continui-
tatis Bolutio.*
Vielleicht aber hat Beierlein die Sache nicht richtig aufgefasst, und es
handelt sich hier nur um eine Unterstützung des Perinaeum. Shortt sagt nämlich:
,In Süd-Indien legt die Hebamme Tor dem Springen der Eihäute einen mit Asche
gefällten Sack unter den Damm der Gebärenden als Unterstützungsmittel und um zu ver-
hüten, dass die Kleidung der Frau beschmutzt werde."
Die meisten Völker scheinen solche Vorsichtsmaassregeln gar nicht zu
kennen. Li China ^machen sich die Hebammen nur Unnöthiges zu thun und
laufen hin und her^, wie ein chinesischer Arzt berichtet; und auch in seinen
mehrfach schon erwähnten populären Abhandlungen wird die Unterstützung des
Dammes gar nicht erwähnt.
Ebensowenig unterstützen nach Polak die persischen Hebammen das
Perinaeum der in hockender Stellung Gebärenden.
Auch in Nicaragua kennt man nach Bernhard die ünterstützang des
Dammes nicht; dennoch sah derselbe in diesem Lande, wo er lange Zeit prakti-
cirte, niemals einen Dammriss. Dagegen kommen nach Pechuel-Loesche bei den
Negerinnen der Loango- Küste öfters Einrisse des Dammes vor. Ebenso
wenig mögen die altindischen, die römischen und die deutschen Aerzte
des MittelsJters mit dieser Manipulation bekannt gewesen sein, denn in ihren
Werken findet sich keine Angabe über diese Hülfeleistung.
Bei den Letten kennt man zwar nach Äücsnis eine Art des Dammschutzes,
9 indem man die flache Hand auf den Damm presst*. In sehr wirksamer Weise
scheint dieses aber nicht ausgeführt zu werden; denn es heisst nachher:
«Dammrisse werden durchaus nicht gewürdigt, geschweige denn vernäht: sie b&tten
nichts zu bedeuten. Vielleicht schwebt hier noch der Gedanke vor, dass sie die nächste Ge-
burt erleichtem, so dass sie auch als günstig angesehen werden könnten.*
Der Dammriss war den alten Israeliten wohlbekannt und er wird schon
im 1. Buch Mosis erwähnt (38, 28):
,I7nd als sie (Thamar) gebar, that sich eine Hand heraus. Da nahm die Wehemutter
und band einen rothen Faden darum, und sprach, der wird der erste herauskommen. Da aber
der seine Hand wieder hineinzog, kam sein Bruder heraus und sie sprach: , Warum hast Du
Deinetwillen solchen Riss gerissen? Und man hiess ihn Feresi.*^
Es ist bemerkenswerth, dass es so lange den Geburtshelfern Europas ent-
gehen konnte, wie häufig bei ganz regelmässigem Verlaufe der Geburt der Damm
mehr oder weniger einreisst, und dass man sich wenig um diese Eventualität
bekümmerte. Ist doch der im Jahre 1731 gestorbene Giffard der erste, der
einen FaU beschreibt, in welchem er ,die Unterstützung des Dammes zur Ver-
meidung des Einreissens anwandte; zunächst erwuchsen ihm jedoch noch keine
Nachfo^er.
Der erste Schriftsteller, welcher sodann einen leichten Druck an den Damm von hinten
nach vom gegen das Schambein hin vorschlug, um das Andringen des Kopfes gegen den-
selben zu verhindern und hierdurch Dammrissen vorzubeugen, war Puzos (gest. 1753).^ Diese
Unterstützung des Dammes wurde darauf auch von Lewret eifrig befilrwortet; seiner Em-
pfehlung verdankt diese Methode im Jahre 1794 in Frankreich Eingang, w&hrend in
Deutschland Oaiander und Stein 1785, in England Smellie und Osbame für dieselbe
eintraten.
Doch traten auch einige Gegner {Wiegand, Mende u. A.) auf. Leishman wirft ein,
dass der auf den Damm ausgeübte Druck Girculationsstörungen zur Folge habe, und dass
durch den auf die mittleren und hinteren Theile beschränkten Druck die seitlichen Partien
des Dammes behindert werden, ihren schuldigen Antheil zu der durch den andringenden Kopf
302. Das Ziehen an den vorliegenden Eindeatbeilen. 173
bewirkten Dehnong desselben beizutragen. Frau Lachapelle meint, dass durch Berührung des
Dammes Reflexcontractionen des Uterus ausgelöst werden, die man ja gerade zu yermeiden
sucht, um nur den allmählichen Durchtritt des Kopfes zu bewirken; auch erwähnt Dentnan^
dass er die ausgedehntesten Zerreissungen eintreten sah, wenn die Ereissende beim unruhigen
Hin- und Herwerfen sich zeitweise dem Druck der Hände entzog. Femer erklärt Goodall
(Philadelphia) die Ablieben Methoden zur Erhaltung des Dammes fQr unnöthig, ja sogar
für nachtheilig: er schlägt dagegen eine neue vor; Hurt stimmt ihm in vieler Beziehung bei.
Während sich noch die Geburtshelfer Europas über diese Angelegenheit
stritten, wurde schon in Japan der Dammschutz geübt, üeber den Geburts-
mechanismus beim Austritt des Kindes haben die japanischen Geburtshelfer
folgende Anschauung:
Im Moment der Expulsion dreht der Uterus seinen Mund nach hinten um, das Ver-
einigungsbein öffnet sich, das Schamfleiech (Labia majora) verschwindet, E-in (das ist das
Perinaeum) dehnt sich nach oben wegen der hockenden, vom übergebeugten Stellung der
Frau, der Afber wird nach hinten herausgepresst. Wenn nun das Kind aus dem Uterus tritt,
so wird sein Scheitel gerade auf dem Perinaeum stehen; durch gewaltsames Umdrehen und
Hervortreten befreit es sich vom Geburtsausgang. Ein Dammriss ist nach Kangawa, dem
berühmten japanischen Geburtshelfer, stets die Schuld der Hebamme: sie hat dann den
Damm nicht gehörig unterstützt; die Hebamme muss, wie er fordert, während sie hinter der
vornübergebeugten, hockenden Gebärenden sitzt, das Kind nach unten (d. h. nach unserem
Begriff nach vom) hebeu, nicht nach oben (d. h. hinten), wo sich weiches Fleisch befindet,
das bei der Berührung mit dem Knie leicht bersten kann. Hat ein Dammriss stattgefunden,
so wendet Kangawa ein , hautergänzendes'' Pulver an, bestehend aus Allium sativum ustum,
Galomel und Illicium religiosum ustum, mit Leinöl gemischt, aufzuschlagen. Diese Salbe wirkt
offenbar antiseptisch.
Hier muss daran erinnert werden, dass die Japanerin in hockender Stellung
mit Yornübergebeugtem Körper niederkommt. In dieser Position gleitet der vor-
Uegende Eindeskopf am leichtesten unter der Symphyse durch, ohne zu sehr
gegen den Damm zu drängen.
Am unzweckmässigsten von allen den verschiedenartigen Stellungen, welche
bei dem Oebäracte in Anwendung gezogen werden, muss jedenfalls das Stehen
bei der Entbindung bezeichnet werden. Denn bei ihr ist am ersten auf eine
Verletzung des Dammes zu rechnen.
302« Das Ziehen an den vorliegenden Kindestheilen.
Eine andere Manipulation, welche leider bei den Yolksstämmen mit einer
noch unvollkommen entwickelten Geburtshülfe sehr gebräuchlich ist, besteht in
dem Ziehen an den vorliegenden Kindestheilen. Dass dieses Verfahren in einer
grossen Reihe von Fällen nicht allein dem Kinde, sondern auch der Mutter nicht
unerhebliche Gefahren bringt, das bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung.
Namentlich sind es die bei fehlerhaften Kindeslagen in erster Linie zu Tage ge-
tretenen, die „ vorgefallenen ** Theile des Kindes, welche bei der hiermit verbundenen
Langsamkeit oder dem absoluten Stillstande des Geburtsverlaufes die helfenden
Frauen zu heftigen Tractionen veranlassen, in der Hoffnung, dass sie hierdurch
die Entbindung zu beschleunigen und zu Ende zu f&hren vermöchten.
Bei den Ehsten kommt es vielfach vor, dass die Hebammen an dem Kindes-
theile, welcher vorliegt, auf äusserst gewaltsame Weise ziehen und zerren. So
fand Uolst^ wie oben gesagt, bei Gesichtslagen die Augen aus den Höhlen heraus-
gequetscht, den Unterkiefer in der Mitte zerbrochen, den Mund zerrissen, bei
Querlagen den Arm abgerissen, ebenso die Nabelschnur von ihrer Insertion los-
getrennt, und sogar die Bauch- und Brusthöhle aufgerissen.
Die Hebammen der Letten haben die Regel, bei Fusslagen an den Füssen
zu ziehen; man müsse aber vorsichtig sein, dass man nicht etwa eine Hand er-
greift, denn an dieser dürfe niemals gezogen werden. (Älhsnis,)
174
XLVIII. Manuelle nnd mecbanuche Hülfemittel bei der normalen Geburt
Gharakteristiscli f&r die Rohbeit der alten Franen, welche beim niederen
Volke ßusslands den Gebärenden beistehen, ist folgende Beschreibung aus dem
Gouvernement Samara:
«Liegt ein anderer Eindestheil vor, als der Kopf, und sie können ibn erreichen, so
zerren und ziehen sie daran nach Möglichkeit; es sind darum vorgefallene Arme häufiger als
sonst wo zu beobachten, ja es ist mir ein Beispiel bekannt, wo auf diese Weise ein Arm
abgerissen wurde." (Ucke.J
Auch bei den Wotjäken ist es nicht ungebräuchlich, in unsinniger Weise
an den vorgefallenen Kindestheilen zu ziehen, selbst wenn es sich um Querlagen
handelt. Das Gleiche geschieht nach Ledere bei den Kabylen.
Ebenso ziehen die Ainos auf Yezo an den bei falscher Lage vorgefallenen
Kindestheilen; aber sie bedienen sich dabei eines umgeschlungenen Biemens oder
Strickes, und sobald sich ein Arm oder ein Bein zur Geburt stellt, so wird daran
gezogen, bis das Kind ganz oder stückweise herausbefordert ist. (Engelmann,)
Wir begegnen aber auch diesem Herausziehen des Kindes bei ganz normalen
Kindeslagen, und hier wird es bisweilen in ganz durchdachter und schonender
Weise ausgeftLhrt.
Fig. 297. Hebamme, das Kind herausziehend. (Nach 7. v. Sckwartxenberg.)
Während die chinesischen Aerzte rathen, das Kind von selbst austreten
zu lassen, da es hervorkomme, wie «eine reife Gurke', wird in Japan nach
Mimazuma!s Aussage auch bei regelmässigem Geburtsverlaufe dadurch geholfen,
dass man am Kinde mit der Hand zieht. In Persien besteht die Hülfe nach
Pclak darin, dass die Hebamme jeden Theil, der ihr entgegenkommt, anzieht.
Auch schreibt Häntesche von der persischen Provinz Gilan am Kaspischen
Meere: „Die helfenden Frauen ziehen am Kinde und fangen es in einem Lappen
auf, wie es kommt. '^ Ebenso macht es die Hebamme in Massaua; sie sucht
das Kind sobald wie möglich an dem Kopfe aus der Mutter herauszuziehen.
(Brehm.) Bei den Römern zog die Hebamme, wenn das Kind in normaler Weise
kam, wie Soranus sagt, „mithelfend beim Vortreten einfach an^S Im Mittelalter
verfuhren die Hebammen ähnlich; aber Rösslin empfiehlt, sie sollen nicht eher
an dem Kinde ziehen, als bis es aussen sichtbar sei; und Rueff sagt:
,Wo sich das Kind ansetzen und stellen wolle, soll die Hebamme dasselbe der Gerade
nach weisen und fördern.*
302. Das Ziehen an den vorliegenden Eindestheilen. 175
Im südlichen Indien unterstützt nacli Shortt die Hebamme den Kopf des
Kindes, wenn sicli dieser einstellt, mit den Händen. Ein gleiches Verfahren wird
wohl auch anderwärts geübt, namentlich wird dies aus Gochinchina von üfon-
düre gemeldet. In Monterey in Galifornien zieht gewöhnlich die Hebamme
mit einer, oder, wenn sie kann, mit beiden Händen an dem Kinde. Sie führt,
wie King berichtet, zu diesem Zwecke die Hände in die Vagina der Kreis-
senden ein.
Dass auch in Deutschland früher die Hebammen nicht selten recht roh
und gewaltsam zu Werke gegangen sind, das scheint aus der Schilderung hervor-
zugehen, welche uns der Verfasser von des getreuen Eckarth's unvorsichtiger
Hebamme entworfen hat. Es ist auf Seite 113 davon die Rede gewesen und
Fig. 276 führt die Ergebnisse ihrer unheilvollen Thätigkeit vor.
Man darf diese Manipulationen aber nicht verwechseln mit dem ganz un-
schuldigen Ziehen an dem Kinde, wenn dessen Kopf und Schultern bereits den
mütterlichen Körper verlassen haben. Dann befördert es die Entbindung erheb-
lich, wenn durch einen leichten Zug am oberen Theile des kindlichen Rumpfes
dessen untere Hälfte aus der Scheide der Mutter herausgeleitet vnrd. Das wird
von fast allen Hebammen gemacht, und es ist, mit der nöthigen Vorsicht und
Schonung ausgeübt, ein vollständig schadloses Verfahren. Auch im 16. Jahr-
hundert muss es gebräuchlich gewesen sein, wie ein Holzschnitt vom Jahre 1535
lehrt (Fig. 297), der sich in dem Werke „Der Teutsch Cicero^^ von Johann
Freiherr von Schwarteenberg findet. Die* Kreissende, von zwei Frauen unterstützt,
sitzt auf dem Gebärstuhle; die Hebamme, auf einem niederen Schemel vor ihr
sitzend, ist damit beschäftigt, das Kind herauszuziehen. Von dem letzteren sieht
man den Kopf, das rechte Aermchen und die Brust, welche auf der linken Hand
der Hebamme aufliegt. IJebrigens ist dieser junge Erdenbürger Niemand anderes
als Cicero selber, dessen Geburt sich der Maler, wahrscheinlich Hans Burgkmair,
in dieser Weise vorgestellt hat.
XLIX. Die Gebnrtsstellnng im klassischen Alterthnin.
803. Die Entbindung bei den alten Aegyptern.
Wir wollen unsere Besprechungen über die normale Geburt nicht zum Ab-
BcUusse bringen, ohne auch noch über die Art und Weise einige Auskunft ge-
geben zu haben, wie bei den Völkern des klassischen Alterthums die Entbindungen
gehandhabt worden sind. Einzelheiten* darüber wurden schon früher erwähnt.
Hier wollen wir noch einige Aufklärung bringen nach antiken künstlerischen
Darstellungen, die sich glücklicherweise bis auf unsere Tage erhalten haben.
Diese Kunstdenkmäler gehören den drei wichtigsten Völkern des klassischen Alter-
thums an, den Aegyptern, den Griechen und den Römern, und wenn ihre
Zahl auch nur eine geringe ist, so fördern sie unsere Kenntnisse auf diesem
culturgeschichtlich so bedeutungsvollen Gebiete dennoch gar nicht unerheblich.
Wir haben hier in erster Linie den bildnerischen Schmuck und die In-
schriften zu nennen, wie sie sich in gewissen Tempelräumen des alten Aegyptens
finden. Die ägyptischen Tempel besitzen nämlich nicht selten besondere Neben-
tempel, Typhonieu, wie man sie früher irrthümlich nannte, oder Mammisi,
wie ihr eigentlicher Name ist. In diesen Mammisi finden sich allerlei Darstellungen
an den Wänden, die sich auf die Geburt der Gottheit beziehen, welcher der Haupt-
tempel geweiht worden war. Nach der Beschreibung Champoüions sind die Wand-
gemälde dieser Tempelnebenräume für die Geburtshülfe sowohl als auch ftir die
Gulturgeschichte des Wochenbetts und der Kindespflege hochinteressant. Leider
aber haben die Aegyptologen es bisher noch unterlassen, uns mit diesen merk-
würdigen Resten in genügender Weise bekannt zu machen. Aber aus den dürftigen
Nachrichten lassen sich schon einige Bückschlüsse machen.
Den Herrschern und Herrscherinnen Aegyptens gab die Herstellung
dieser auf ihre Kosten und Anordnung errichteten Mammisi die beste Gelegen-
heit zur eigenen persönlichen Verherrlichung, indem sie ihre Geburt mit den
Göttern des Tempels in Verbindung und zur Anschauung brachten. Einen
solchen kleinen Nebentempel hat unter Anderen auch der Tempel zu Luxor;
an den Wänden desselben findet man mehrere Basreliefs mit Darstellungen, wie
die Königin Tmauhemwa, die Gattin des Thutmosis IV,^ ihre Schwangerschaft,
ihre Niederkunft und ihr Wochenbett abhält; und in dem Mammisi, dem be-
sonderen Gebärzimmer, sieht man im Bilde, wie diese Königin, auf einem
Bette liegend, den König Amenophis zur Welt bringt. Hiemach mag es scheinen,
als ob wenigstens in den Ejreisen höherer Stände in Alt-Aegypten die Frauen
im Liegen geboren haben.
Dieser Tempel zu Luxor ist eines der ältesten Bauwerke Aegyptens;
ähnliche Mammisi giebt es aber auch als kleine Nebengebäude bei den Tempeln
Tafel K.
Das Weib im Kindesalter.
1.
llgerierhi*
DahoBie-NegeriB* BrnteknaaM-MUeke«.
OnyaiiA-IndianeriB.
IrftoeAnlerin«
(CUle.)
FenerlinderlA.
Beggar-MidelieB.
(Indien.)
H«Srit>.
Brahminen-MUelieii.
(FUlippinen.)
(lUlabar.)
Tafel IX.
*Da.s Weib im. Kindesalter.
Ilo:^ -Bartels. ..'X/-/'^ My/^!
303. Die Entbindung bei den alten Aegjptem.
177
zu Hermonthis, Denderah, Philä und Ombi, und es scheint jeder grosse
Tempel einen solchen Neben-Tempel f&r die mythologische Geschichte der Trias
von Gottheiten besessen zu haben, die man darin anbetete. Zu Hermonthis
z. B. diente der unter der Regierung der letzten Cleopatra, der Tochter des
Ptolamäus ÄtUetes^ errichtete Mammisi zum feierlichen Gedächtniss an die
Schwangerschaft dieser Königin und an ihre glückliche Entbindung von Ptotomäus
Cäsariofii dem Sohne des JuliiiS Cäsar.
Von dem Mammisi zu Hermonthis giebt ChampoUton-Figeac die
folgende Schilderung:
«Die Zelle dee Tempels ist in zwei Theile getheüt, in ein grosses Hanptgemach und
in ein ganz kleines, welches das eigentliche Heiligthum war; in letzteres Gemach gelang^
man durch eine kleine Thür. Gegen den rechten Flügel wird die ganze hintere Mauerwand
dieses kleinen Gemaches (in der hieroglyphischen Inschrift der i^Entbindungsort* genannt)
von einem Basrelief eingenommen, welches die Göttin B^ho, die Frau des Gottes MandiAj
darstellt, wie sie mit dem Gotte Harphre niederkommt. Die Gebärende wird unterstfitzt
und bedient von verschiedenen Göttinnen ersten Ranges; die göttliche Hebamme holt das
Kind aus dem Leibe der Mutter, die göttliche S&ugamme streckt die Hände aus, um es unter
dem Beistande einer zum Wiegen des Kindes bestimmten Wartefrau entgegen zu nehmen.
Gegenwärtig ist Amman (Ammon-BaJ, der Vater aller Götter, begleitet von der Göttin Saven,
der Bithya, ägyptischen Ludna, Beschützerin der Gebärenden. Es wird auch angenommen,
die Königin Cleopatra sei gegenwärtig, deren Wochenbett nur fOr eine Nachahmung des
göttlichen galt. Die andere Wand des Entbindungszimmers stellt dar, wie der neugeborene
junge Gott gestillt und erzogen wird, und auf den Seitenwänden sind die zwölf Stunden des
Tages und die zwölf Stunden der Nacht unter der Gestalt von Frauen, welche auf dem Kopf
eine Stemscheibe tragen, abgebildet. Das astronomische Gemälde der Decke dürfte den Stand
der Gestirne im Augenblick der Geburt dieses Harphre, oder richtiger des Caesarion oder
neuen Harphre, angeben.''
Fig. 298. Altägyptisclie EntbindungSBoene aus der Pioltmäer -Z^ii, Niederkunft der
Göttin Ritko. Basrelief aus dem Mammisi des Tempels von Hermonthis ^Esneh).
(Nach mtkowski.)
Es findet sich eine Gopie dieses Reliefs in dem Werke von Witkowski^
welche in Fig. 298 wiedergegeben ist. Die Ereissende liegt auf beiden Knieen
und ruht mit dem Gesässe auf ihren Hacken. Hinter ihr steht eine weibliche
Gestalt, sich leicht über sie neigend und ihre linke Hand an ihre linke Seite
legend, während sie mit der rechten Hand den erhobenen rechten Arm der Kreis-
senden am Handgelenke umfasst hält Der ebenfalls erhobene linke Arm der
Kreissenden berührt mit der Hand den Nacken der helfenden Frau. Hinter dieser
Letzteren steht noch eine Frau, noch weiter als sie sich vorbeugend und beide
Arme vorstreckend, zum Zufassen bereit, wenn es nöthig werden sollte. Dahinter
steht gerade und aufrecht eine menschenköpfige Göttin, welche in jeder Hand einen
sogenannten Nilschlüssel hält Vor der Kreissenden knieen hinter einander zwei
Weiber, deren hinten Befindliche beide Arme wie bewundernd halb erhebt, während
die unmittelbar vor der Kreissenden Knieende das Kind bei den Schultern gefasst
und soeben aus dem Leibe der Mutter herausgezogen hat.
Bei Witkowski findet sich noch eine zweite Abbildung, welche angeblich
von Maspero stammt und ein Basrelief des Tempels von Luxor wiedergiebt, das
Floss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II.
12
178 XLIX. Die Geburtestellung im klassischen Alterthum.
die Niederkunft der Königin Mut-em-wat, der Gemahlin TahtUmes IV.^ vorftthrt.
Diese Darstellung ist nicht identisch mit der oben bereits erwähnten, denn wahrend
dort die Königin auf einem Bette liegend beschrieben wird, sitzt sie hier auf
einem Stuhle mit niederer Lehne. Eine vor ihr knieende Frau halt ihr mit beiden
Händen den vorgestreckten linken Arm. Hinter dieser kniet eine zweite Frau,
welche einer wieder hinter ihr Knieenden ein auf ihrer Hand sitzendes Kind über-
reicht. Hinter dieser Frau kniet eine Vierte, welche die Hände ausstreckt, als
ob sie ihrer Nachbarin das Kind abnehmen wollte. Hinter der Entbundenen kniet
in gleicher Stellung wie die Frau unmittelbar Yor der Letzteren, d. h. nur mit
einem Knie die Erde berührend, eine Frau, welche den rechten Arm der Ent-
bundenen mit ihren beiden Armen stützt. Ihr schliessen sich vier hinter einander
stehende Frauen an. In einem unter dieser Darstellung angebrachten Bildstreifen
knieen jederseits fünf einander zugekehrte Göttergestalten. Die beiden Mittleren
halten beide Hände gen Himmel; die acht übrigen halten mit der einen Hand
einen Nilschlüssel hoch, während die andere, ebenfaUs einen Nilschlüssel haltende
Hand auf ihrem Schoosse ruht.
Der Herausgeber verdankt der Freundlichkeit des Herrn Professor Steindorff
die Mittheilung einer altägyptischen Entbindungsscene (sovrie auch die Er-
laubniss, diesdbe hier zu veröffentlichen), welche, wenn sie auch mythisch ist,
dennoch ebenfalls einen deutlichen Begriff davon ' giebt , vrie sich in damaliger
Zeit die bei der Geburt helfenden Frauen aufzustellen pflegten. Es handelt sich
um die Geburt der Begründer der fünften Dynastie, der drei Pharaonen UsrJcaf^
Sahure und Kekuiy welche in dem Papyrus Westcar des Berliner Museums,
der aus der Periode von 1800 — 1600 vor Chr. Geburt stammt, beschrieben ist:
Die Frau eines Priesters wird von Geburtswehen befallen. Verstört verlässt der
Priester sein Haus und begegnet auf der Strasse den drei Göttinnen Isis^ Nqphthys
und Hegt. Diese firagen ihn, warum er so traurig wäre. Er klagt ihnen sein
Leid, und darauf hin begeben sie sich mit ihm in seine Wohnung und verschliessen
die Thür. Dann treten sie zu der Kreissenden; Nephthys stellt sich hinter ihren
Kopf (es ist nicht gesagt, ob sie sie unter den Armen stützt), Isis stellt sich
ihr gegenüber (wobei wir wieder an die obstetrix denken müssen), und die
Hegt entbindet die Priesterfrau. Da spricht Isis zu dieser: „Sei nicht stark in
ihrem Leibe, so wahr du Starke heissf Darauf kam das Kind hervor auf ihren
Armen, als ein Kind, eine Elle lang; dann vnichsen ihm die Knochen. Nachdem
wuschen sie das Kind und dann schnitten sie seinen Nabelstrang ab und legten
es auf ein Lager. Es erschien darauf eine Schicksalsgöttin und sprach eine Weis-
sagung für das Kind. Die drei Göttinnen begaben sich danach von neuem zum
Lager der Kreissenden, stellten sich ebenso auf, und unter derselben Beschwörungs-
formel der Isis wurde ein zweiter Knabe geboren, mit welchem ebenfalls so ver-
fahren wurde, wie mit seinem Bruder, und in gleicher Weise wurde dann noch
gleich der dritte Bruder zur Welt gebracht.
Die eigentliche Geburtsgöttin, die Entbinderin, ist also die Heqt^ eine
Göttin, welche mit einem Frosch- oder Krötenkopfe dargestellt vrird. Ob sich
hier ein Berührungspunkt enthüllt zu den oben besprochenen Beziehungen, welche
auch heute noch nach dem Glauben des Volkes zwischen der Kröte und der Ge-
bärmutter bestehen, das muss weiteren Forschungen überlassen bleiben.
Es wird dem Leser schon aufgefallen sein, dass die Stellungen bei der Ent-
bindung, soweit wir es aus diesen Darstellungen ersehen, nicht inmier die gleichen
gewesen sind. Wir begegnen der Kreissenden, wie sie auf dem Stuhle sitzend
niederkommt, vrir treffen die Niederkunft auf dem Bette, und hier gesellt sich
noch die Hieroglyphe hinzu, welche, wie wir oben sahen, die Geburt zu be-
zeichnen hat; diese stellt die Kreissende hockend dar, während das Kind geboren
wird. Entweder müssen wir nun also annehmen, dass mit der Zeit der Gebrauch
hier wechselte, dass also in verschiedenen Jahrhunderten verschiedene Methoden
804. Die Entbindnng im alten Griechenland.
179
gebräuchlich waren; oder man könnte sich auch vorstellen, dass in den vornehmsten
und edelsten Geschlechtem in dieser Beziehung andere Sitten herrschten, als bei
dem gemeinen, niedrigen Volke. Vornehme Damen liess man vielleicht auf ihrem
Prunkbette niederkommen oder auf dem Stuhl, ganz wie sie selber es wünschen
mochten. Bei dem Volke aber im Allgemeinen, dessen Lagerstätten auch gewiss
ziemlich dürftige waren, wird wohl die Niederkunft in hockender Stellung stets
die gebräuchlichste gewesen sein. So würde es sich dann auch einfach erklären,
dass gerade eine Gebärende in dieser Stellung als Hieroglyphe für die Geburt
gewählt worden ist.
304. Die Entbindung Im alten Oriecbenland.
Künstlerische Darstellungen der Niederkunft aus der Zeit des antiken
Griechenlands und Boms sind, soweit des Verfassers und des Herausgebers
Kenntnisse reichen, in ausserordentlich geringer Anzahl auf uns gekommen. Wir
haben vorher schon eine plastische Gruppe aus Cypern wiedergegeben; ich glaube
aber nicht, dass dieselbe griechischen Ursprunges ist. Sie ist ihrer ganzen
Erscheinung und Ausführung nach mit grösster Wahrscheinlichkeit einer vor-
grieohischen und, wie ich glaube, einer phonicischen Bevölkerung zuzu-
schreiben. Es hat sich auf Cypern aber noch eine zweite, unfehlbar eine
Entbindung darstellende Gruppe gefunden, deren ganzer Habitus dafür spricht,
f/' ^
Fig. 289. Niederkunft auf dem Gebärstuhl; antike Kalkstein-Gmppe aus Cypern.
(Nach PeUma di Cesnola.)
dass sie griechischen Händen ihre Entstehung verdankt. Sie wurde von dem
bekannten Erforscher des alten Cypern Luigi Paima di Cesnola im Jahre 1871
in Agios Photios entdeckt, einer Localitat, in welcher der glückliche Finder
den berühmten Aphrodite-Tempel zu Golgoi wieder aufgefunden haben will.
In dem Werke di Cesnola^ s heisst es:
«Bei dem nördlichen Eingange des Tempels zu Agios Photios, zwischen den ersten
und zweiten Reihen grosser viereckiger Blöcke oder Postamente, fand sich eine andere Art
von Yotivopfergaben , nämlich kleine steinerne Gruppen von Fraaen, welche kleine Kinder
hielten und bisweilen säugten, von Kühen und anderen Thieren, die mit ihren Jungen ähnlich
dargestellt waren. Eine andere übel zugerichtete Gruppe besteht aus vier Personen, von
denen die eine ein neugeborenes Kind hält, während die Mutter, auf eine Art Stuhl hinge-
streckt mit Zügen, die noch von Wehen verzerrt sind, am Kopfe von einer Dienerin unter-
stützt wird.*
12*
180 XLIX. Die Gebnrtsstelluxig im kUBsiBcfaen Altertham.
Eine treue Copie dieser Gruppe wurde im Jahre 1875 durch Bibhy der Dubliner ge-
burtshOlf liehen G^eelischaft gesendet, welche dieses Object fttr so wichtig hielt, dass sie es
durch eine bildliche Darstellung zuerst dem wissenschaftlichen Publikum bekannt gab. Auch
erhielt die Edinburger geburtshfilfliche Gesellschaft im Jahre 1878, und später die Londoner
gleiche Gesellschaft Copien. Ebenso findet sich die Gruppe in heliotypischer Darstellung in
dem grossen Prachtwerke, das dt Cemdla über seine im Metropolitan Museum of Art
zu New York befindliche Sammlung yerOffentlicht hat. Es heisst dort zu Volume I, Plate
LXVI, fi^, 435: Votiye offering of calcareous stone, height, 6^/2 inches; length, II8/4 inches.
Found in the temple (G olgoi). Woman in childbirth, seated, or redining, on a low, square
chair, without back (similar to those used at the present day among the Cypriotes). The
mother is supported bj a femaJe figure, of which the head is broken off. Another female
figure, likewise headless, is squatted at the feet of the invalid, and holds the new-bom habe,
which has also been greatly defaced. The whole group, though very much wom, was well
sculptured.
Fig. 299 fuhrt uns diese Gruppe yor.
Dass es sich hier wirklich um die Darstellung einer Niederkunft handelt,
kann durchaus keinem Zweifel uilterliegen und das ist auch yon den Geburts-
helfern in Dublin und Edinburg anerkannt worden, während Se^tjrmann, sicher-
lich mit unrecht, diese Deutung angezweifelt hat. Zwar ist die Gruppe offenbar
ausserordentlich beschädigt; es fehlen die Köpfe der beiden helfenden Frauen; sie
sind in der Abbildung nur andeutungsweise ergänzt. Allein das Bild des sich
zurücklehnenden, yon einer hinter ihr befindlichen Frau unterstüzten Weibes,
zwischen deren Schenkeln eine helfende Frau mit dem Neugeborenen im Arme
sitzt, lässt nach meiner Ansicht gar keine andere Deutung zu, ab die einer so-
eben Entbundenen.
Wir ersehen hieraus, dass in damaliger Zeit die Gypriotinnen auf einem
Stuhle sitzend niederkamen. Ob dieser ein gewöhnlicher Sessel oder ein Gebär-
stuhl war, muBs natürlicher Weise unentschieden bleiben. Interessant ist aber,
dass di Cesnöla schreibt:
,Die gegenwärtigen cypriotischen Hebammen besitzen ähnliche niedrige Stühle, die
sie bei sich tragen, wenn sie zu einer Entbindung gehen; ich habe selbst die Nebenumstftnde
gesehen, wie sie auf Jener Gruppe sich zeigen; sie stellt noch das heutige Gebaren treu dar.
Eine Beifrau kniet hinter der Gebärenden und hält deren Haupt auf ihrer Schulter; die Weh-
frau, welche vor der Hoffenden und zwischen deren gespreizten Schenkeln auf einem sehr
tiefen Schemel sitzt, hat eben das Kind herausgezogen und hält es auf ihren Armen. Die
Stühle, welche ich gesehen habe, und besonders der eine, welchen die Hebamme von Larnaca
nach dem Hause unseres Freundes brachte, haben keine Kissen, aber zwei Arme, und der
Sitz ist zwar nicht mit einem Loche, aber mit einer eigenthümlichen mittleren Firste ver-
sehen, offenbar, um die Schenkel so weit als thunlich aus einander halten zu können."
PouqueviUe giebt aus Griechenland eine Abbildung, die er als eine Ge-
burtsscene deutet. Auf einem ziemlich hochbeinigen Stuhl ohne Lehne sitzt mit
zurückgebeugtem Oberkörper eine Frau, hinter der eine andere steht, welche sie
im Rücken durch Anlehnen ihres Körpers stützt. Dabei scheint die Stehende
die Entbundene unter den Achseln zu halt^. Vor den Füssen der letzteren hebt
die Hebamme das völlig nackte Neugeborene vom Boden auf, während eine da-
neben stehende Frau die Umhüllung des Kindes bereit hält Zwei andere Weiber
beschäftigen sich damit, aus den Sternen unter Yergleichung eines Himmelsglobus
das zukünftige Schicksal des Kindes zu enträthseln.
Es geht auch aus den hippdkratiscken Schriften hervor, dass bei den
Griechen die Kreissenden unter gewissen Verhältnissen auf einen Stuhl gebracht
und im Sitzen entbunden wurden. Floss^^ hat hierüber in seiner Monographie
berichtet. Schon Hippokrates spricht davon, dass die Gebärende, wenn sie auf
dem Lasanon nicht sitzen könne, dann auf einen Diphros, d. h. einen Stuhl ge-
bracht werden soll, der eine zurückgebogene Lehne und einen Sitzausschnitt hat.
Es wurde dort angeführt, dass Lasanon wahrscheinlich einen Nachtstuhl bedeutet ;
305. Die Entbindung im alten Rom.
181
dass dagegen Diphros, von welchem ausser Hippohrates dann noch Ärtemidorus^
Daldianus und Moschion^ am ansflihrlichsten aber Soranus^ sprechen, unzweifel-
haft ein eigentlicher Gebär- oder Ereissstuhl gewesen ist.
Wie der Gebärstuhl des Soranus beschaffen war, das haben wir oben be-
reits berichtet.
Wdcker ist der Ansicht, dass die Frauen im alten Griechenland auch
bisweilen in knieender Stellung niedergekommen sind, jedoch sagt er selbst, dass
er dieses nur aus einigen Mythen und Götterbildern zu yermuthen wage. Nun
hat PI088 schon darüber Bedenken ausgesprochen, und es ist allerdings schwer
zu begreifen, was Wdcker yeranlassen konnte, in der Marmorfigur eines knieenden
Weibes, welche Blouet auf der Insel Mikoni entdeckte, eine niederkommende
Leto erkennen zu wollen.
805. Die Entbindung im alten Born.
Auch aus den Zeiten der Rom er sind uns einige wenige Darstellungen der
Niederkunft erhalten. Welcher verweist auf ein Bildwerk in einem Golumbarium,
das in einer Yigna des Cav, Campana Yor der Porta latina steht. Hier ist
eine Gebärende Yorgeftihrt, aus welcher das Kind sich in kräftiger Haltung heraus-
streckt. Mit Recht fragt Häser: «Sollte nicht diese Darstellung dazu dienen,
als Grabdenkmal die Todesart der Frau zu Yersinnbildlichen?'' Das ist in hohem
Grade wahrscheinlich und das Bildwerk erlangt auf diese Weise eine cultur-
geschichÜiche Bedeutung.
Fig. 300. Die Gebort des Kaieen Titus.
(DeokeBgemälde im Palut des Titns auf dem Esqailinin Bom.) (Ans P/ost^o,)
Von SicJder und Beinhart wird ein antikes Deckengemälde abgebildet
(Fig. 300), welches aus dem Palaste des Titus auf dem Esquilin in Rom her-
stammt und die Geburt dieses Kaisers zum Gegenstande hat. Das Kind soll eben
Yon einer knieenden Dienerin gebadet werden, während ein alter SclaYe Wasser
in die kleine Wanne giesst. Die hohe Wöchnerin liegt halb aufgerichtet und auf
den linken Ellenbogen gelehnt, auf ihrem Bette. Eine stehende Frau halt ihren
ausgestreckten rechten Arm.
182 XLIX. Die Geburtsstellaog im klassischen Alterthum.
Die Copie einer ziemlich späten römischen Darstellung yon der Gebart
des ÄchiUes giebt Baumeister nach einer gewohnlich als Brunnenmündung be-
zeichneten Marmortafel des capitolinischen Museums in Rom. Die uns interes-
sirende Scene zeigt die TTietis auf ihrem Bette sitzend, die Füsse auf eine breite
Fnssbank gestützt. Nur ihre Hüften und Beine werden von einem Gewände um-
hüllt; der ganze Oberkörper nebst dem Bauche ist nacki Die linke Hand ist
auf das Lager gestützt, die rechte hat die linke Brust gefasst, und zwar zwischen
Zeigefinger und Mittelfinger, bereit, sie dem Kinde darzureichen. Dieses ruht auf
den Armen einer kauernden Magd, die es eben einer Badeschale enthebt oder es
in dieselbe eintauchen will.
Wir ersehen aus diesen Darstellungen, dass die romischen Damen, wenn
auch der Gebärstuhl bekannt und in manchen Fallen in Anwendung war, doch
gewiss für gewöhnlich in ihrem Bette niederkamen, was übrigens auch von vielen
alten Schriftstellern bezeugt worden ist.
L. Die Trennung des Neugeborenen von der Mutter.
306. Giebt es einen Instinct In der Bebandlung der Nacbgebnrtsperlode?
Wenn irgendwo bei primitiven Stammen, die auf der niedrigsten Stufe
menschlicher Gnltar sich befinden, yon einem Instincte bei der Niederkmift die
Rede sein soll, so müsste sich derselbe in der sogenannten Nachgeburtsperiode
documentiren. Muss es doch für rohe Völker etwas ausserordentlich Ueber-
raschendes und Verblüffendes haben, zu sehen, dass, wenn nun endlich nach allen
Wehenschmerzen und Anstrengungen das Kind aus dem Mutterleibe heraus-
getreten ist, es doch noch immer im Zusammenhange mit seiner Mutter verblieben
ist. Schon liegt das Neugeborene vor der Mutter auf dem Erdboden, aber noch
führt von seinem Nabel der so absonderlich aussehende, eigenthümlich gallert-
artige Nabelstrang in die Geschlechtstheile der Mutter zurück und liefert ihr den
handgreiflichen Beweis, dass sie immer noch nicht das Kiai vollständig los ist,
dass es immer noch innig mit ihr zusammenhängt, kurz, dass die Niederkunft
noch nicht vollkommen beendet ist. Was beginnt nun die junge, von allen den
Ihrigen verlassene Mutter, müssen wir uns fragen. Wartet sie ab, bis der Mutter-
kuchen von selbst ihren Körper verlässt und bis sie fühlt, dass nun die Ent-
bindung perfect geworden ist, oder sucht sie bereits vorher ihren Zusammenhang
mit dem Kinde gewaltsam zu lösen?
Wenn wir in dieser Beziehung bei den Volksstämmen niederster Cultur eine
vollständige üebereinstimmung nachzuweisen im Stande wären, dann müssten wir
es natürlicher Weise für erwiesen betrachten, dass hier im wahren Sinne des
Wortes ein instinctives Handeln vor unseren Augen liegt Aber auch hier
müssen wir vriederum erklären, dass eine solche Üebereinstimmung in den von
den Naturvölkern in Anwendung gebrachten Maassnahmen sich nicht auffinden
lässt. Nach den vorliegenden Beobachtungen bedienen sich dieselben sehr ver-
schiedener Verfahrungsweisen, so dass wir also auch hier wieder nicht berechtigt
sind, von einem Instmcte zu reden.
Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass selbst in dem höheren Thier-
reiche ein übereinstimmendes Benehmen nicht nachweisbar ist. Bei den Kühen
und Pferden z. B. zerreisst die Nabelschnur, indem das Junge zu Boden fallt oder
das Mutterthier aufsteht; das junge Schwein tritt auf die Schnur und zerrt daran,
bis sie zerreisst; bei Baubthieren frisst die Mutter die Nachgeburt und zerkaut
den Nabelstrang bis in die Nähe des Nabels.
Jedenfalls werden wir wohl das Richtige treffen, wenn wir annehmen, dass
auch in diesem letzten Theile der Niederkunft bei dem menschlichen Weibe nicht
der Instinct das Handeln leitet, sondern dass auch hier Brauch, Sitte und 6e-
wohnlieit, oder auch wohl die Noth des Augenblicks die Richtschnur abzugeben
pflegen.
184 L. Die Trennung des Neugeborenen von der Mutter.
807. Die Durchtrennuiig des Nabelstranges oder die Abnabelung
des Kindes.
Für das Leben des Bandes ausserhalb des Mutterleibes ist es nothwendigf
dass seine Abtrennung yon den NachgeburtstheQen erfolgt, welche jetzt f&r das
Kind nicht nur Überflüssig, sondern sogar höchst gefahrvolle Anhänge geworden
sind. Denn wenn die Abtrennung der Nachgeburtstheile unterlassen wird, so kann
es einestheils zu lebensgefahrlichen Blutungen kommen, anderentheils aber würde
sehr bald der Mutterkuchen einer &uligen Zersetzung unterliegen, und die Producta
der Fäulniss würden als ein bedrohliches Gift in den Organismus des Kindes
übergeführt werden.
Wir wollen fürs erste davon absehen, ob bei dem Neugeborenen der Nabel-*
sträng vor dem Abgange der Placenta aus dem Mutterleibe oder erst hinterher
durchtrennt wird, und wollen nur daran erinnern, dass es wohl nicht sehr zu
verwundem ist, dass man überhaupt dazu kam, eine solche Trennung vorzu-
nehmen. Musste doch, wenn das Kind sowohl, als auch der Mutterkuchen geboren
war, der letztere als ein sehr überflüssiger und sehr wenig appetitlicher Anhang
an dem kindlichen Körper erscheinen, zu dessen Abtrennung der lange und dünne
Nabelstrang um so mehr herausfordern musste, als er in seiner glasigen, an eine
Gallerte erinnernden Beschaffenheit den Eindruck hervorruft, als wenn ein ein-
facher Fingerdruck ausreichen würde, ihn zu zerstören.
Bekanntermaassen wird bei allen civilisirten Völkern der Nabelstrang des
Kindes, bevor man dieses von der Nachgeburt abtrennt, unterbunden, d. h. es wird
in einer gewissen Entfernung von dem kindlichen Körper ein Bändchen fest um
den Nabelstrang geknotet, um« nach dem Durchschneiden des letzteren eine für
das Kind gefahrliche Blutung aus seinen Geissen zu verhindern.
Das Unterlassen dieser Unterbindung des Nabelstranges vor der Durch-
trennung würde man bei den heutigen Gulturvölkem ganz allgemein der Hebamme
als eine schwere Unterlassungssünde, als einen dem Strafgesetze unterliegenden
Kunstfehler anrechnen. Um so mehr muss es uns Wunder nehmen, wenn wir er-
fahren, dass einige der wenig civilisirten Yölkerstamme von dieser Unterbindung
keine Ahnung zu haben scheinen. Bei anderen ist sie bekannt, aber es finden
sich in der Art ihrer Ausführung mannigfache Verschiedenheiten.
Es soll in den folgenden Zeilen dem Leser vorgeführt werden, was wir nach
den Angaben der Reisenden über die Art und Weise wissen, wie bei den ver-
schiedenen Völkern die Abnabelung des Kindes vorgenommen wird, und hierbei
werden wir erkennen, dass häufig selbst bei demselben Stanmie nicht stets die
gleiche Methode befolgt wird, sondern dass mehrere Formen der Abnabelung
bei ihnen in gleicher Weise gebräuchlich sind. Wir beginnen mit den im All-
gemeinen als am niedrigsten auf der Stufenleiter menschlicher Givilisation stehend
betrachteten Volksstfimmen, mit den Australiern und Oceaniern.
308. Die Abnabelang bei den Oceaniern.
Am Plinders River im nördlichen Australien wird, wie Paimer berichtet,
von den Eingeborenen die Nabelschnur ganz nahe an dem Bauche des Kindes
mit einer Muschelschale abgeschnitten; eine weitere Pflege und Behandlung der-
selben findet aber bei ihnen nicht statt.
Bei den centralaustralischen Schwarzen am Finke-Greek, nahe der
Mac-Donnell-Kette, bindet man vor der Entfernung der Nachgeburt um die
Nabelschnur des eben geborenen Kindes einen Faden, sodann schneidet man sie an
der Abbindungsstelle mit einem Steine durch oder trennt sie mit den Fingernägeln
ab. (Kempe.) Diese Angabe stimmt fast ganz überein mit den Berichten,
>X\'.' "•
308. Die Abnabelang bei den Oceaniem. 185
welche Hooker aus mehreren Theilen Australiens einzog; einer seiner Bericht-
erstatter behauptet ausdrücklich, dass die australischen Wilden von jeher stets
den Nabelstrang etwa 1 — 2 Zoll vom Nabel des Kindes entfernt mit einem Strang
der Muka (zugerichteter Flachs) unterbunden haben; dann erst wurde der Nabel-
strang auf ein Stück Holz gelegt und hierauf ungefähr einen Fuss vom Körper
des Kindes entfernt mittelst eines scharfen, geschliffenen Steines oder einer Muschel
durchschnitten. Derselbe Berichterstatter setzt hinzu: „Diese Sitte ist nicht erst
durch die moderne Giyilisation eingef&hrt, wie mehrere Beobachter angeben.''
Die scharfe Muschel (Pipi oder Kutai) wird zu diesem Zwecke besonders ausge-
wählt und zugerichtet und auch sorgfältig aufgehoben. Der Stein, welcher eben-
fidls zum Durchschneiden diente, ist ein Tuhua (Obsidian); man zieht ihn einem
Messer oder einer Scheere Yor. Allein nach Ausspruch Hoolcers ist unter den
australischen Eingeborenen die Ligatur wenigstens nicht allgemein gebräuchlich;
derselbe sagt:
„Die J^geborene Anstraliens besprengt und bestftubt ^as Ende des abgeschnittenen
Nabelttranges mit feinem Holzkohlenpulyer; einige bringen an der Nabelschnur keine Ligatur
an, sondern reiben das Ende derselben mit Asche und bestäuben es mit Holzkohle; auch
sagt man, dass sie in dem abgeschnittenen Nabelstrangreste einen sogenannten „Oberhand-
I^noten" (oyerhand-knot) anbringen."
Etwas Anderes berichtet Freycinet:
„Der Vater des Kindes, das soeben zur Welt gekommen, erfasst die Nabelschnur, die
ein Anderer mit einer Muschelschale durchschneidet; dann wird die Wunde mit einem er-
hitzten Pelikan- oder K&nguruhknochen gerieben."
Nach allen diesen Berichten kennen also schon die Australier die ver-
schiedenen Methoden zur Verhütung der Blutung: die Anwendung einfacher Styptica
(Asche und Kohle), die Knotenschlingung und die Application Yon Hitze und
Reibung.
Ueber die Frauen der Maori auf Neu-Seeland erfuhr Hooker, dass sie
stets in der Einsamkeit gebären und keine Hülfe haben weder zur Durchtrennung
des Nabelstranges noch zum Beseitigen der Placenta. Auch Nickolas sagt, die
Gebarende schneide die Nabelschnur selbst ab ; und nach Dieffenbach geschieht dies
mit einer Muschel; der üblen Behandlungsweise der Nabelschnur schreibt derselbe
das häufigere Vorkommen der Nabelbrüche zu. Nach FurAe wird der Nabel-
strang niemab unterbunden, sondern nur geknotet. Auch die Neu-Britannie-
rinnen knüpfen nach Banks die Nabelschnur in einen Knoten, bevor sie sie
durchschneiden.
Bei den Doresen, einem Papua-Stamme auf Neu-Guinea, wird der
Nabelstrang mit einem zugeschärften Stück Bambusrohr durchschnitten, (i;. Bösen-
herg.) üeberhaupt ist der Bambus in der Südsee, wo er so vielfache Verwendung
im Technischen findet, auch zu solchem Zwecke sehr allgemein an Stelle des
Messers oder einer Scheere im Gebrauch.
Solch Bambusstück benutzen auch die Hebammen auf der zu den Neu-
Hebriden gehörigen Insel Vate. Die Durchtrennung findet 3 Zoll von dem
Kinde statt und der Nabelschnurstumpf wird weder unterbunden noch auch ein-
gehüllt. (Jamieson.)
Ein Bambusstück dient auch in Neu-Galedonien zur Durchschneidung der
Nabelschnur, aber manche Hebammen bedienen sich hierzu auch einer Muschel.
Nach Vinson's Angabe durchtrennen sie die Nabelschnur, bevor noch die Placenta
geboren wurde.
Auf den Sandwichs-Inseln hält sich der Mann gewöhnlich in der Nähe
der Entbindungshütte auf, in welcher seine Frau niederkommt; sobald er benach-
richtigt wird, dass das Kind geboren ist, eilt er hinzu und schneidet mit einem
scharfen Stein etwa einen Fuss vom Nabel des Kindes entfernt die Nabelschnur
ab. Langsdorff^ welcher dieses berichtet, sah dort viele Menschen mit grossem.
186 L* ^io Trennung des Neugeborenen von der Mutter.
hervorgewölbtem Nabel, einem Nabelbrüche gleich. Er glaubt, dass dieses die
Folge ist von der Art, wie man dort den Nabelstrang behandelt. Der Nabel-
schnnrrest wird nämlich in einen Knoten geschlungen und bleibt an dem Kinde
solange ungeschützt hängen, bis er von selber abgestossen wird.
Während man für gewöhnlich eine zu kurze Abnabelung, d. h. eine Durch-
schneidung der Nabelschnur zu nahe an dem kindlichen Korper fär die spätere
Entstehung eines Nabelbruches verantwortlich macht, soll hier das Uebermaass
im entgegengesetzten Sinne, das Belassen eines besonders langen Stückes der
Nabelschnur an dem Leibe des Neugeborenen zu dem gleichen Ergebniss führen.
Das ist eine Hypothese, die noch einer genaueren Prüfimg bedarf.
Auf der Marquesas-Insel Nukahiva führt der Ehegatte die Durch-
schneidung mit einem Steinmesser aus.
Englische Missionäre, welche Tahiti in den Jahren 1796 — 98 besuchten,
sagen aus, dass dort die Frauen allein niederkamen, ohne dass Jemand zu ihrer
'ELtiüe bereit ist. Sie durchtrennten dann auch selber die Nabelschnur des Kindes
und zwar 3 Zoll von dem Körper des Letzteren; vorher aber unterbanden sie die-
selbe. (Moreau.)
Von den Yiti-Inseln berichtet Elyth^ dass die eingeborenen Hebanmien
daselbst mit der Durchschneidung des Nabelstranges zu warten pflegen, bis auch
die Nachgeburt zu Tage getreten ist. Dann nehmen sie die Durchschneidung
mit einer Muschelschale vor. Das fötale Ende wird niemals unterbunden, sondern
wird nur locker in ein Stück von einheimischem Zeug eingewickelt. Bisweilen
finden aus diesem nicht imterbundenen Ende Blutungen statt, aber es werden keine
Versuche gemacht, dieselben zu stillen. Die Hebammen verlassen sich einfach
darauf, dass durch die Hülfskräfte der Natur diese Nabelblutung von selber zum
Stillstande kommen würde, und, wie sie behaupten, haben derartige Hämorrhagien
niemals einen tödtlichen Ausgang.
Auch auf den kleinen Inselgruppen des alfurischen Meeres spielt der
Bambus bei der Durchtrennnng des Nabelstranges eine grosse Rolle. Wir treffen
ihn fast auf allen diesen Inseln an, und von Buru, Eetar, Ambon, den XJliase-,
Tanembar- und Timorlao-Inseln und dem Babar- Archipel erfahren wir, dass
dieses Stück Bambus scharf sein muss. Auf der Insel Keisar, sowie auf Romang,
Teun, Dama, Nila und Serua benutzt man eine Bambushülse, auf den Watu-
bela-Inseln ein Stück Palmenholz und auf Seranglao und Gorong ein Stück
einer jungen Gabagaba oder die Rinde von Sagu-Rippen. Die Abtrennung scheint
hier meistens erst vorgenommen zu werden, nachdem der Mutterkuchen zu Tage
getreten ist; von Buru, den Watubela-, Keei-, Tanembar-, Timoriao-,
Luang- und Sermata-Inseln wird dieses direct angegeben. Von einer vor-
herigen Unterbindung des Nabelstranges erfahren wir nur von Buru, Ambon
und den XJliase-Inseln; auf diesen letzteren benutzt man zu diesem Zwecke
Ananasgam.
Die Abtrennung wird auf Leti, Moa und Lakor 3 cm, auf den Keei-
Inseln 4 cm und auf den Watubela-Inseln 1 — 2 cm vom kindlichen Körper
entfernt vorgenommen.
Auf den Uliase-Inseln und Ambon legt man auf die Nabelwunde blut-
stillende Mittel: Kalk und Essig, auch wohl einen Umschlag von Gurcuma longa
und Muskatnuss; auf den Luang-Sermata-Inseln benutzt man hierzu feingekaute
Wurzeln und Blätter, auf den Babar-Inseln einen Brei von feingestampften und
warm gemachten Sirih-Blättem, auf Leti, Moa und Lakor Kalapa-Oel, und auf
Eetar nasses Sagomehl mit verfaultem Holz.
Auf den Seranglao- und Gorong-Inseln wird das Neugeborene mit der
Placenta in lauwarmem Wasser gewaschen. Auf den Aaru- Inseln wäscht man
sogar ausser dem Kinde auch noch die Mutter mit lauem Wasser, bevor man die
Durchtrennung des Nabelstranges vornimmt. Auch hier wird die Durchtrennung
809. Die Abnabelung in Asien. 187
mit einem Stückchen Bambus ausgeführt. (Ribbe.) Auf den Babar-Inseb wird
vor dieser Waschung und Abnabelung erst das Kind von dem Vater durch Auf-
heben von der Erde anerkannt. Als Badewasser für das Kind benutzt man auf
Eetar laues Wasser aus Kalapa-Schalen oder aus Bambus, und auf Keisar wird
es nach dem lauen Wasserbade mit feingekauten Wurzeln von Acorus terrestris
bestrichen; auf beiden Inseln wird ebenfalls erst nach diesen Proceduren der
Nabelstrang durchgeschnitten.
Ein eigenthümliches Yer&hren herrscht auf den Inseln Leti, Moa und
Lakor: wenn das Kind geboren ist, so dreht es die Frau, welche es in Empfang
genommen hat, dreimal links um die Placenta herum, in der Absicht, wie behauptet
wird, um die Athmung bequem zu machen. Es liegt auf der Hand, dass hier-
durch eine Torquirung der Nabelstrangblutgefasse bewirkt werden muss; wir haben
hier also eine unbewusst ausgeführte Biut^illungsmethode vor uns. Danach wird
das Kind gebadet und erst nach der Geburt der Placenta abgenabelt.
309. Die Abnabelung in Asien.
Die zuletzt genannten Inselgruppen haben uns schon nach Asien hinüber-
geleitet.
Von den Sulanesen berichtet Riedel^ dass dort die Nabelschnur mit einem
Faden unterbunden und mit einem Bambusstück abgeschnitten wird. Auf die
Wunde legen sie ein Gataplasma aus feingestampftem Kon (Gurcuma longa),
Bana (Zingiber officinale) und Bawabote (Allium cepa).
Nach Hdfrich wird der Nabelstrang in Kroe auf Sumatra zuerst mit einem
Faden oder mit der Faser einer Harami genannten Pflanze unterbunden und
darauf abgebissen, bisweilen aber auch mit einem Bambusmesser durchtrennt. Auch
hier bedeckt man die Wunde des Stumpfes mit feingeriebener Gurcuma.
Auf Java gebrauchen die Hebammen bei dem Durchschneiden der Nabel-
schnur stets nur Bambusmesser. (Koegd.)
Bei den Minkopies auf den Andamanen-Inseln wurde die Nabelschnur
bis vor Kurzem mit Hülfe einer Gyrene-Muschel durchschnitten. Neuerdings aber
benutzen sie zu diesem Zwecke ein Messer. {Man.) Ein Brahmanenstraf ling,
welcher 1858 zu diesem äusserst rohen Volke floh und längere Zeit unter ihm
lebte, giebt ausdrücklich an, dass bei demselben der auf Fingerlänge abgeschnittene
Nabelstrang nicht unterbunden wird. Auch Jagor berichtet:
«Unter den Andamanesen schneidet die der Gebärenden helfende Frau die Nabel-
Bchnor mit der scharfen Kante einer Muschelschale ab; von der NabeUchnor bleibt ein StQck
von 6 Zoll Lftnge zurück; die Unterbindung geschieht mit Bindfaden.*
Auf den Philippinen nehmen JiB/ch Schadenberg Aie Etas die Nabelschnur-
durchschneidung mit einem Bambusstück vor; die Negritas bedienen sich ausser-
dem aber auch wohl einer Austemschale oder eines scharfen Steines.
Nach Jagor wird bei der südindischen Sclavenkaste, den Vedas, die
Nabelschnur von der Mutter selbst mit einem Rohrmesser durchschnitten und danach
geknotet. Bei der Pulayer-Sclavenkaste in Malabar wird die Nabelschnur mit
einem Messer oder einem Bambus-Spliss durchtrennt und mit einem Faden unter-
bunden. Bei den Badagas, einem Volke im Nilgiri-Gebirge, wird die Nabel-
schnur mit einem beliebigen Faden gebunden und mit einem Rasirmesser durch-
schnitten. Die Naak oder Naya-Kurumbas im Nilgiri-Gebirge unterbinden
den Nabelstrang und durchschneiden ihn mit einem Messer oder einem scharfen
Bambusspahn.
Eine andere Angabe aus Süd-Indien ohne nähere Bezeichnung des Volks-
stammes, also auch wohl die besser situirten Klassen daselbst betreffend, ver-
danken wir Shortt:
188 L. Die Tremmng des Neageborenen Yon der Mutter.
,,Die Hebammen besorgen dort das Abnabeln erst nach dem Austritt oder der Aus-
ziehung der Placenta; zuerst wird das Kind zur Vornahme dieser Procednr auf ein Matr&tzchen
gelegt, dann vier Zoll vom Nabel des Kindes entfernt um den Nabelstrang ein Läppchen
gewunden, hierauf die Nabelschnur an der Placenta - Seite mit einer Eomsiohel zerschnitten
und das Schnittende mit verbrannten Läppchen, mit schwarzem Papier oder mit Asche und
Wasser bedeckt/'
MarshaU berichtet von den Todas: „Der Nabelstrang wird auf einem unter-
gelegten StQck Holz mit einem Messer durchtrennt/^ Unterbindung ist unbekannt.
Ueber die bei den Hindu herrschenden Gebrauche sagte Sintaram Sukt-
hankar: Der Nabelstrang wird 2 Zoll yon dem Nabel entfernt mit einem Messer
durchschnitten und der Stumpf wird dann mit etwas Moschus eingerieben. Darauf
wird er mit einem baumwollenen Faden unterbunden, und dieser Faden wird locker
um den Hals des Kindes geschlungen und bleibt hier liegen, bis der Nabelschnur-
rest eingetrocknet ist und sich von dem Körper des Kindes losgelöst hat. Dieses
Abfallen des Nabelschnnrrestes findet, wie bei den Kindern unserer Rasse, nach
5 bis 7 Tagen statt. Dann wird der Nabel mit einem einheimischen Zahnpulver-
präparat bedeckt und oben auf ein Kupferstück gelegt und mit einem Zeugstück,
das rings um den Leib gelegt wird, befestigt. Dies geschieht, um Nabelbrüchen
vorzubeugen.
üeber die Abnabelung bei den wilden Stammen yon Malacoa hat Stevens
interessante Angaben gemacht. Die Nabelschnur wird soweit entfernt vom Körper
des Kindes unterbunden, dass das stehenbleibende Stück bis zu dem Knie herab-
reicht. Die Durchschneidung kann irgend eine Frau yomehmen; es wird zu
diesem Zweck aber eine Unterlage yon weichem Juletong-Holze verwendet, welche
Potong Pusat genannt wird. Man darf zum Durchschneiden kein eisernes
Werkzeug benutzen. Früher nahm man eine weisse Schnecke, jetzt werden Bam-
busmesser, Semilow genannt, oder Messer aus dem Blattstiele der Bertam-Palme,
Tappar genannt, von den Orang Semang verwendet. Auch die Orang Benüa
benutzen Bambusmesser, welche die Form eines grossen Tranchirmessers haben.
Am eigenthümlichsten sind die Instrumente, mit welchen die Orang Sinnoi
die Nabelschnur durchtrennen. Sie sind aus Holz geschnitzt und haben eine
grosse Aehnlichkeit mit einer schmalen Fuchsschwanzsage. Das hölzerne Sägen-
blatt ist durch einen schmalen Talon mit dem zierlichen Griff verbunden und
trägt auf der Unterseite eine doppelte Reihe von Sägezähnen. Diese Geräthe
heissen Smee Karr und sie werden von der Hebamme auch benutzt, um die
Zaubermuster auf die Bambusgefasse (Ghit-nort) aufzutragen, aus welchen die
Menstruirenden gewaschen werden. Bei den Orang Laut misst die Hebamme
drei Breiten des Bambusmessers von der Nabelschnur von dem Kinde aus ab und
unterbindet hier; das entspricht dreimal der Breite ihres Mittelfingers. {Bartels'^.)
Nach der Geburt des Kindes durchschneidet das Weib auf Formosa die
Nabelschnur einen Zoll vom Körper, unterbunden wird dieselbe aber nicht.
Bei den Ainos wird die Nabelschnur nur dann von der jungen Mutter selber
durchschnitten, wenn sie zufallig ihre Entbindung allein durchgemacht hat. Sind
weibliche Personen um sie, so übeminunt eine derselben diesen Dienst; womög-
lich aber eine der nächsten Verwandten, selbst wenn diese noch unverheirathet
sein sollte; Männer thun dies niemals. Man bedient sich dazu eines gewöhnlichen
Messers, welches aber allein zu diesem Zweck gebraucht und, da nicht jede
Familie im Besitze eines solchen ist, von einem Hause ins andere ausgeliehen
wurde. (Scheuhe^) Von einer anderen Seite erfahren wir, dass die Ainos die
Nabelschnur bis auf die Länge von 4 Zoll abtrennen; und ein dritter Bericht-
erstatter sagt: „Nachdem der Strang durchschnitten worden, wird eine Schlinge
um denselben gelegt.* (Engdmann.)
Nach den Aussagen des japanischen Geburtshelfers Mimcumnjga berichtet
V, Siebold ^ dass dort sogleich nach der Geburt des Kindes der Nabelstrang in
ziemlich ähnlicher Weise abgeschnitten wird, wie bei uns in Europa.
Ä'
809. Die Abnabelung in Asien. 189
Kangawa sagt, die Nabelschnur soll 3 — 4 San (d. i. 0,24 bis 0,32 eng-
lische Fuss) vom Nabel abgeschnitten werden. Nach Scheubes^ Angabe geschieht
jetzt die Abnabelang durch die Hebamme folgendermaassen: Eine doppelte Liga-
tur von rohem Hanf wird, drei Zoll vom Nabel entfernt, um die Nabelschnur
gelegt und diese mit einer Bcheere durchschnitten; dieselbe wird mit Galläpfel-
pulver bestreut und in Papier eingewickelt.
In China schneidet man in der Regel die Nabelschnur mit einer Scheere
durch. Wenn aber das Kind scheintodt geboren wurde, „was sich, wie es in der
von V. Martina übersetzten Abhandlung heisst, zuweilen bei strenger Winter-
kälte ereignet'S so wird eine besondere Art der Nabelschnurdurchtrennung yor-
geschrieben:
«Man wickle dann das Neugeborene unverzüglich in gew&rmte Laken; hierauf muss
man Papier zusammenrollen, selbiges in Hanföl tauchen, es ankünden und den Nabel des
Eindee damit abbrennen. Durch dieses Verfahren zieht sich die Hitze des brennenden Papiers
durch den Nabel des Eindee in dessen Magen, seine Lebensgeister werden erwärmt und das
Kind föngt an zu leben.''
Das Brennen des Nabelstrangendes wird hier in einer ganz anderen Absicht
vorgenommen, als beispielsweise in Jerusalem, wovon wir später zu be-
richten haben.
Nach der Geburt der Placenta umbindet die Hebamme in Cochinchina
mehr oder weniger sorgfaltig mit einem trockenen Faden (Seide, Aloe oder was
sich eben f&r Faserstoff im Hause der Gebärenden vorfindet) den Nabelstrang 1 cm
vom Nabel entfernt, und durch wiederholte Pressionen drimgt sie seinen Inhalt,
das Blut und die TF^ar^on'sche Sülze, auf eine Länge von 15 cm nach der Pla-
centa-Seite zurück. Das Durchtrennen schildert dann Mondiere wie folgt:
«Quand le d^gorgement du cordon lui semble süffisant, eile le coupe ä petits coups et
en sdant, avec sa lame de bambou, voir m§me k la riguenr avec un tesson de porcelaine.
Elle pose alors vers la moitiö de la longaeur de la partie restante, c^est-ä-dire ä 6 ou 7 cen-
tün^tres du nombril, une ligature de fil non cir^, entortille tout le cordon, 12 ä 15 centi-
m^tres, dans un morceau de papier chinois, cir6 ou vemi, passe antour des reins de Tenfant
une petite bände d*^toffe qni se neue par devant pour assugettir le tout."
Bei der ansässigen Bevölkerung Ost-Turkestans schneidet man die Nabel-
schnur genau in der halben Eorperlänge des Kindes ab. {SchiagintweiL) Bei
den Mongolen wird dieselbe nach Prschewdlslci mit einer dünnen Darmseite zu-
gebunden. In Kamtschatka wurde sie, wenigstens zu den Zeiten SteUer% mit
Zwirn von Nesselfaden unterbunden und dann mit einem steinernen Messer durch-
schnitten.
Von den im Südosten des asiatischen Russland nomadisirenden Kal-
mücken vrird berichtet {Klemm\ dass eine Frau die Nabelschnur auf einem
Brettchen mit einem Messer durchschneidet, welches ihr als Eigenthum verbleibt;
und Krehel sagt von denselben: «Sobald das Kind geboren, wird die Nabelschnur
unterbunden und abgeschnitten.*'
Ebenso kurz äussert sich Meyerson über die Kalmückinnen in Astrachan:
«Eine alte Kalmückin, die sich Hebamme nennt, oder in Ermangelung dieser die
Mutter selbst, schneidet die Nabelschnur mit irgend einem schneidenden Werkzeuge ab.*
Von den tatarischen Hebammen daselbst sagt derselbe Autor nur: „Ist
der Fötus erschienen, so schneiden sie die Nabelschnur ab.**
Bei den Tataren, Kurtinen und Armeniern des Kreises Schoruro-
Daralagesk im Gouvernement Eriwan wird dem Kinde unmittelbar nach der
Geburt die Nabelschnur mit einem wollenen, baumwollenen oder seidenen Faden
unterbunden, und dann wird sie durchschnitten, gleichgültig, ob die Nachgeburt
schon herausgekommen ist oder nicht. Das Durchschneiden vrird bei den Ta-
taren und Kurtinen mit einem gewöhnlichen oder einem Basirmesser, bei den
Armeniern mit einer Scheere voUzogen. {Organisjane)
190 ^- ^^® Trennung des Neugeborenen von der Mutter.
In Arabien kommen die gemeinen Frauen allein und oline Hülfe nieder;
dabei fand d^Ärvieux:
«Quelques moments apr^s qu'elles sont delivr^es, elles lient le nombril de Tenfant,
coupent ce qu'il y a de trop" etc.
Bei den Nomaden der Wüste in der Leyante schneidet ebenfalls die in
ihrem Zelte allein gelassene Gebärende oft selbst die Nabelschnur ab, wie v. Türk
berichtet.
Die syrischen Weiber warten nach der Geburt der Kinder 20 bis 40
Minuten; geht bis dahin die Placenta nicht ab, so wird der Nabelstrang durch-
schnitten und die Entbundene ins Bett gebracht. {Engelmann)
310. Die Abnabelung bei den Tolkern Amerikas.
unter den Yolksstammen Amerikas sind es namentlich einige südameri-
kanische Indianervölker, Yon welchen uns ganz besonders rohe und primitive
Methoden der Abnabelung berichtet werden. Nach den Angaben des Prinzen
Max V, Wied und v. Martins' wird der Nabelstrang Yon den im Walde allein
niederkommenden Indianerinnen Brasiliens abgerissen oder mit den Zähnen
abgebissen. Auch de Lact sagte von den brasilianischen Wilden:
aApr^ le p^re coupe avec les dents ou avec quelque caillou tranchant le boyau du
nombril.*^
Wir sehen hier also auch bereits ein etwas civilisirteres Verfahren sich Ein-
gang verschaffen. Piso berichtete im Jahre 1685 von den im nördlichen Theile
Süd- Amerikas wohnenden Völkern:
„Infanti umbilicum concha praeddunt et una cum secundinis coctum devoranf
Bei den Papudos in der Gegend von Rio Janeiro trennt der Mann die
Nabelschnur mit einem geschärften Steine oder Krystalle. Nach Barlaeus wird
bei den Ureinwohnern Brasiliens der Nabelstrang auch mit einer scharfen Muschel
durchschnitten. Die Garipanas-Indianerin (Brasilien) durchschneidet den
Strang eigenhändig mittelst einer bereit gehaltenen Muschel mit geschärftem Bande
(KeUer-Leußinger), die Roucouyenne-Indianerin (am Yary-Fiuss) mittelst
eines Stückes Bambu, das wie ein Papiermesser aussieht. (Creveaux,)
In den soeben gegebenen Berichten wird nicht erwähnt, ob auch der Nabel-
strang dabei unterbunden wurde, und es hat den Anschein, als ob dies nicht
der Fall ist. Von den Earaya-Indianern am Bio Araguya in Brasilien er-
fahren wir ausdrücklich, dass es nicht geschieht. Ehrenreich berichtet von ihnen:
«Ist das Kind zur Welt, so wird die Nachgeburt ruhig abgewartet, sodann der Nabel-
Strang comprimirt und etwa 3 Zoll vom Körper mit einem starken Taquaraspahn durch-
schnitten. Das darin enthaltene Blut wird sorg^tig ausgepresst, ,um den Starrkrampf zu
verhindern*, und als Stypticum heisse Asche und Pulver aus gestossenen Piranha-Zähnen auf
die Wundfläche gestreut. Da keine Unterbindung angewendet wird, so ist es nicht selten,
dass das Kind sich verblutet.*
Allein bei vielen Stämmen Brasiliens nehmen selbst diejenigen Völker,
welche sich der rohesten Hülfsmittel zur Trennung der Nabelschnur bedienen,
auch die Unterbindung derselben vor. Lery sah selbst, dass ein Indianer,
welcher seiner Frau bei der Geburt beistand, nachdem er das Kind in seine Arme
genommen, demselben erst die Nabelschnur band und sie darauf mit seinen Zähnen
abbiss. Die Warrau-Indianerin in British- Guyana, welche ganz allein in
einer Hütte des Waldes niederkommt, löst, wie Schomburgk berichtet, den Nabel-
strang ebenfalls mit den Zähnen ab und unterbindet ihn mit einer Schnur aus
den Fasern der Bromelia Karatas; doch scheinen die Indianerinnen das unter-
binden nicht recht zu verstehen, und Schomburgk erklärt sich hierdurch die That-
sache, dass er „an dieser Stelle bei fast Allen Yerkrüppelungen fand**. Bei den
310. Die Abnabelung bei den Völkern Amerikas. X9X
Macuanis (Stammgenossen der Goyatacas in Brasilien) schlingt die Matter
den fest zugeschnürten Nabelstrang um den Hals des Kindes, (v, Martins.) Bei
anderen Garaiben-Völkem in Guyana und Surinam (den Accawaus, Woraws,
Ärrowaueks) soll, wie angegeben wird, der Nabelstrang nicht durchschnitten,
sondern abgebrannt werden. (Finke.) Demnach ist hier das Verfahren gegen
etwa drohende Blutungen ein anderes.
Ueber die Stelle, an welcher die Unterbindung des Nabelstranges vorge-
nommen wird, herrscht unter den amerikanischen Völkern keine Ueberein-
stinunung. Bald wird die Abnabelung zu dicht an dem kindlichen Körper, bald
in zu grosser Entfernung von demselben als Grund für das häufige Vorkommen
von Nabelbrüchen angeschuldigt.
Von den alten Peruanern im Inca-Reiche wissen wir, dass sie die
Nabelschnur, wenn sie abgelöst worden, « einen Finger lang* am Eonde hängen
Hessen. (Baumgarten.) Ueber die halbwilden Hirten spanischer Abkunft
in Süd-Amerika berichtet v, Aeara:
.Da sehr viele Frauen unter ihnen ganz allein und ohne irgend fremden Beistand
niederkommen, aber nicht alle es verstehen, wie die Nabelschnur unterbunden werden muss,
80 habe ich eine grosse Anzahl erwachsener Manns- und Weibspersonen unter ihnen gesehen,
die einen vier Zoll langen Nabel hatten, den man ftir wer weiss was hätte halten können;
er war dabei weich und beständig geschwollen.'
Jedenfalls waren dies Nabelbrüche. Aehnliche Folgen von der falschen
Behandlung des Nabelschnurrestes fand man in Mittel- Amerika.
Auch in Guatemala wird nach dem Austritt des Kindes so lange gewartet,
bis die Placenta geboren ist. Nur ausnahmsweise wird gleich nach der Geburt
des Fötus der Nabelstrang unterbunden und abgeschnitten, und darauf wird das
fötale Ende desselben an einer Kerzenflamme verkohlt und dann mit Gopaiva-
Balsam bestrichen. (BemouUL) In Nicaragua wird nach Bernhard die Nabel-
schnur nicht eher durchschnitten, als bis die Nachgeburt zu Tage getreten ist,
und nur bei zu langer Verzögerung des Abganges der Nachgeburt entschliesst
man sich zu einer früheren Unterbindung und Durchschneidung der Nabelschnur,
die aber in viel zu grosser Entfernung von den Bauchdecken vorgenommen wird,
so dass die Kinder einen starken Nabel behalten.
Ueber das Verhalten der nordamerikanischen Indianer bei der Ab-
nabelung erfahren wir Näheres durch Engelmann^. Bei den meisten Indianer-
Stämmen wird der Nabelstrang nicht eher durchtrennt, als bis die Placenta ab-
gegangen ist. Bei den Kiowas, Comanches und Wichitas wird, sobald die
Nachgeburt gekommen ist, die Nabelschnur in die Hand genommen und das in
ihr befindliche Blut gegen die Placenta (nicht gegen das Kind) gestrichen. Dann
erst wird der Nabelstrang durchschnitten imd unterbunden. Auch die Blackf eet,
Uncpapas, die Ober- und Nieder-Yanktons des Sioux-Volkes durch-
schneiden den Nabelstrang erst nach der Geburt der Placenta. Die Flatheads,
Kootewais, Grows und Greeks dagegen schneiden den Nabelstrang sofort nach
der Geburt des Kindes durch.
Die Trennung der Nabelschnur vollzieht die Apachen-Indianerin (zwischen
Rio grande del Norte und Rio Golorado) meist selbst durch Zerklopfen
derselben zwischen stumpfen Steinen. (Schmitz.) Ueber die östlichen Stämme
der Indianer, die Gheyennen, Arrapahoes, Kiowas und Ost-Apachen (in
Kansas, Nebraska und Golorado) meldete ein OfScier: „Die Indianer unter-
binden den Nabelstrang einmal und schneiden ihn dann fast einen Fuss von des
Kindes Nabel entfernt durch.* Die Garagut-Indianerinnen unterbinden nur
das fötale Ende des Stranges, ebenso wie die Blackfeet Das kann nur heissen
sollen, dass die Unterbindung erst nach der Durchschneidung der Nabelschnur
statt hat. Die Blackfeet quetschen aber ausserdem noch die placentare Schnitt-
stelle, um ein Ausbluten der Placenta zu verhindern. Wahrscheinlich liegt hier
192 L* I^id Trennung des Neugeborenen von der Mutter.
wiederum der Gedanke zu Grunde, dass das Blut, welches in irgend einer Be-
ziehung zu den Geschlechtstheilen steht, etwas hervorragend Verunreinigendes hat.
Die beiden zuletzt genannten Indianer- Stamme benutzen nsLch Engdmann
in der Begel zum Durchschneiden des Nabelstranges ein stumpfes Instrument,
so dass derselbe mehr durchquetscht als durchschnitten wird. Beiden Indianern
von Alaska (im Nordwesten Amerikas) wird der Nabelstrang, nachdem er an
zwei Stellen unterbunden ist, zwischen denselben durchschnitten. (Dali.) Die
Eskimos durchschneiden nach Holm den Nabelstrang mit einer Muschelschale.
Bei den Shushwap-Indianern im Inneren von Britisch Columbia wird
die Nabelschnur nach Boas mit einem Steinmesser durchtrennt. Nach der Aus-
kunft desselben Autors schneidet bei den Songish oder Lku^ngen im süd-
östlichen Yancouver eine alte Frau die Nabelschnur mit einer zerbrochenen
Muschel durch.
Ueber die Entbindung einer Feuerländerin am Cap Hörn liegen Nach-
richten von Uyades und Deniker vor. Von dem Nabelstrang berichten sie:
.Gette femme avait coup^ le cordon, ä 11 cm de rombilic, avec un firagment de coquille
de moule ramassä sur le sol de la hutte dans les d^brü de cuisine.'
Am S. Tage nach der Entbindung berichten die genannten Autoren:
,Le cordon est desfl^chä et ne tient plus 4 rombilic que par un pMoncule filiforme.
La m^re Ta ligatnr^ aujourd^hui k son extr^mit^ libre avec un bout de ficelle mince qui est
attachäe d^autre part ä une bandelette de linge fiz4e autour de la jambe droite de Tenfant.
On devait nous remettre le cordon ombÜical apr&s sa chute: mais en nous voyant ce soir
Tezaminer attentivement, les femmes, et mdme les bommes, pensent que nous voulons le
couper et protestent avec Energie contre une section qui, disent-elles , entratnerait sürement
la mort de Tenfiant. Elles ajoutent que le cordon tombera tout seul la nuit prochaine et
que nous pourrons alors Pemporter sans inconvenient.*
311. Die Abnabelung bei den afrikanisclien Yolkern.
Die Volker Afrikas scheinen in Bezug auf die Abnabelung des Kindes
ebenfaUs auf mannigüache Weise zu Werke zu gehen; und selbst bei einem und
demselben Volke befolgen wohl hier und da die einzelnen Stamme ihre eigene
Methode. Bei der Musterung derselben beginnen wir an der Westküste des
Continents.
Von den Bafiote-Negern der Loango-Küste wird die Nabelschnur
doppelt so lang als das erste Daumenglied, oder bis zum Knie des Kindes abge-
messen und mit einem scharfen Splint vom Wedelschaft der Oelpalme durchtrennt.
Dann setzt man sich um ein in der Hütte angezündetes Feuer und lässt das
Neugeborene von Schooss zu Schooss wandern, während man ununterbrochen mit
den möglichst erwärmten Fingern der Hand die Nabelschnur drückt und auf diese
Weise ihr Eintrocknen zu beschleunigen sucht. Dieser Zweck wird innerhalb
24 Stunden erreicht, der abgestorbene Rest mit dem Daumennagel abgestossen
und sofort sorgfältig in dem Feuer verbrannt. (PechueULoesdie.)
Nach seinen Beobachtungen am Senegal unter den Neger-Völkern sagt
Murion d'Arcenant:
,La coupure du cordon ombilical se fait g^n^ralement assez mal, car presque tous les
enfants ont Tombilic excessivement dövelopp^, on peut presque dire qu'ils sont atteints de
hemie ombilicale; mais ils n'y attachent aucune importance: cbez les uns eile subsiste, chez
d'autres eile disparait avec le temps.''
Von der Behandlung der Nabelschnur bei den Woloff-Negern am
Senegal berichtet de Bochebrune:
.Le cordon avait ^tä pr^alablement lie, plus souvent tordu ou arrach4 par une matrone."
unter den Negern in Old-Galabar wird, nachdem die Nachgeburt
ausgetreten ist, die Nabelschnur mittelst eines Basirmessers durchschnitten ; Hewan,
311. Die Abnabelung bei den afrikanischen Völkern.
193
welcher dies berichtet, sagt nicht, ob hierbei eine Unterbindung stattfindet;
da seine Beschreibung der geburtshülf liehen Leistungen der Neger übrigens
eine sehr genaue ist, so dürfen wir wohl annehmen, dass sie keine Unter-
bindung machen.
Zintgraff hat die Gelegenheit gehabt, von einer Anzahl von Bali-Nege-
rinnen photographische Aufnahmen zu machen. Sie sind zum Theil mit an-
sehnlichen Nabelbrüchen ausgestattet, was für eine sehr ungeschickte Art der
Abnabelung bei diesem Volke spricht. Fig. 301 zeigt eine solche Negerin
-aus dem Waldlande ^.
Fig. 901. Bali-Negerin mit grossem Nabelbruch in Folge zn kurzer Abnabelung.
(Nach Photographie.)
In Massaua am arabischen Meerbusen schneidet man nach Mit-
theilungen, welche Ploss dem bekannten Naturforscher Brehm verdankt, die Nabel-
schnur ab, sobald das Kind geboren ist; man lässt eine Spanne lang am Nabel
stehen; die Unterbindung findet erst statt, nachdem die Durchschneidung aus-
geführt ist.
Bei den Bongo wird die Nabelschnur sehr lang abgeschnitten; das ge-
schieht vermittelst eines Messers, und zwar ohne vorherige Unterbindung. (Schwein-
furth) Die Wakamba nehmen zur Unterbindung der Nabelschnur Adansonia-
(Affenbrodbaum-)Fäden, die etwa 2 — 3 Zoll vom Nabel nahe bei einander umge-
schnürt werden. Die Nabelschnur wird mit einem gewohnlichen Messer durch-
schnitten. Bei den Waswaheli lässt man die Nabelschnur ebenfalls sehr lang
stehen, und sie trocknet erst allmählich ab. (Hüdebrand^,)
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. U.
13
194 L. Die Trennung des Neugeborenen von der Matter.
Felkin und Emin Pascha baben in XJnyoro und an den üfem des
Mwutan-Nzige beobachtet, dass man die Nabelschnur mit einem scharfen
Rohrsplitter sehr weit von dem kindlichen Korper durchtrennt und den hängen-
bleibenden Rest dann auf den Leib des Kindes bindet. Die Ligatur ist vöUig
unbekannt. Beiden Kidj-, Madi- und anderen in Central-Afrika wohnenden
Negern wird der Strang vier Zoll vom Korper entfernt, mittelst eines Rasir-
messers durchschnitten, bisweilen aber wird er durchgebissen; sollte die Nabel-
schnur bluten, so nimmt sie die helfende Frau in den Mund und kaut sie zwischen
ihren Zähnen, bis die Blutung steht; niemals wird sie unterbunden. (Fdkin.)
Ueber die Wanjamuesi in Central-Afrika äussert sich Reichard
f olgendermaassen :
,In der Behandlang des Nabels sind sie sebr ungeschickt und es kommen oft
grosse Nabelbrüche vor, indem der austretende Nabel b&ufig so gross wie eine Weiber-
brüst wird/
Bei Weibern beobachtete er dieses merkwürdiger Weise häufiger als bei
Männern, und die ersteren sehen dann aus, als wenn sie ausser ihren beiden Brüsten
an der normalen Stelle auch noch eine dritte auf dem Bauche hätten.
Bei den Hottentotten wird der Nabelstrang mit einer Sehne am Nabel-
ringe unterbunden, so dass derselbe abfault und dem Kinde kein Schaden ge-
schieht. (Kolh.)
Kropf sagt von den Xosa- Kaffern, dass die Gebärende die Nabelschnur
entweder mit den Zähnen durchbeisst oder mit einer Seggebinse abschneidet. ITm
den Stumpf der Nabelschnur wird dann ein Lappen gewickelt.
«Dies Verfahren ist die Ursache von den so häufig vorkommenden Nabelbrüchen der
Kinder, die aber später yersch winden.*
üeber die Berber in Kabylien liegt eine kurze Angabe von Ledere vor,
dass man dort die Nabelschnur abschneidet, und dass deren Rest in 8 Tagen ab-
fallt. Letzteres bedarf wohl noch der Bestätigung.
Es ist bereits hervorgehoben worden, dass in Folge der zu kurzen Ab-
nabelung, d. h. der Durchtrennung der Nabelschnur zu nahe an dem Körper des
Kindes, bei diesem letzteren in späteren Jahren sehr oft ein starker Nabelbruch
zur Entwickelung kommt. Das sahen wir bei den Xosa-Kaffern, wo diese
Brüche angeblich später wieder verschwinden sollen, und bei den Wanjamuesi
und den Bali- Negern, bei denen dieselben aber bestehen bleiben. Auch bei
anderen Yölkem in Afrika wird diese Missbildung häufig beobachtet und es hat
beinahe den Anschein, als wenn in den Augen dieser Leute die Existenz eines
Nabelbruches als eine besondere Schönheit betrachtet wird. Auf einer grossen
Zahl ihrer Holzschnitzereien ist der Nabelbruch zur Darstellung gebracht. Der
in Gestalt eines Weibes geschnitzte Stuhl der Baluba, den uns Figur 55 vor-
führt, giebt hierfür ein gutes Beispiel. Auch Fig. 802 führt uns einen
derartigen Nabelbruch vor. Diese Holzschnitzerei, ebenfalls ein Weib dar-
stellend, bildet einen Bogenhalter, welchen Wissmanr^ aus üguha, südwestlich
vom Tanganyika-See, mitgebracht hat. Er befiindet sich jetzt im Museum
für Völkerkunde in Berlin. Auch eine grosse Zahl von Fetisch-Figuren lässt
ganz ähnliche Yerhältnisse erkennen.
312. Die Abnabelung bei den alten Gnlturvölkern.
Es verlohnt sich wohl der Mühe, von hier aus einen vergleichenden Blick
auf die alten Culturvölker, auf die Aegypter, Juden, Inder, Griechen,
Römer, Araber, zu werfen und zu untersuchen, was für Sitten und Gebräuche
bei ihnen in Bezug auf die Abnabelung herrschend gewesen sind.
312. Die Abnabelung bei den alten Cultorvölkern.
195
**^
Fig. 302. Holzgeschnitzter Bogenhalter aus Ugaha, eine weibliche Gestalt mit grossem Nabelbrnch
darstellend.
(Mnsenm fär Yölkerkonde» Berlin.) (Nach Photographie.)
13*
196 L- I^io TreniiQng des Nengeborenen von der Mutter.
Bei den alten Aegyptern geschah die Durchschneidung des Nabelstrangs
mittelst eines Steines, wie uns Herodot berichtet.
Die Juden der Bibel betrachteten das Abschneiden der Nabelschnur als
durchaus nothwendig, das unterlassen dieser Handlung galt ihnen als äusserste
Vernachlässigung des Kindes, welche nur bei verächtlichen, fut thierisch lebenden
Menschen vorkommen könnte. Denn beim Propheten Hesekid (16, 4) heisst es:
, Deine Geburt ist also gewesen: Dein Nabel, da Du geboren wurdest, ist nicht ver-
schnitten; 80 hat man Dich auch mit Wasser nicht gebadet, dass Du sauber würdest" u. s. w.
Die Unterbindung wurde vorgenommen, damit das Kind sich nicht ver-
blute, wie denn von dem Mädchen gesagt wird, dessen Nabelstrang nicht unter-
bunden war:
,Da ging ich an Dir vorfiber und sah Dich zappeln in Deinem Blute, und ich sprach
zu Dir in Deinem Blute: Lebe!'
TJebrigens muss dies Alles ziemlich kunstgerecht ausgef&hrt worden sein,
da der Nabel, worauf schon Friedreich aufmerksam macht, mit der runden Schale
eines Mischkruges verglichen wird (Kotdmann)^ und im hohen Liede SalO"
monis heisst es bekanntb'ch:
«Dein Nabel ist wie ein runder Becher^ dem nimmer Geti^k mangelt. *
Bei den Juden des Talmud wurde sofort nach der Entbindung die Ligatur
des Nabelstranges und die Durchschneidung desselben ausgeführt. Israels spricht
die Yermuthung aus, dass die Aerzte zu diesem Zwecke sich eines Messers be-
dient hätten.
Oehen wir zu den Indern über, so erfahren wir von Susrtäa in der von
VuUers besorgten ITebersetzung, dass er die helfende Frau anweist, „sie soll, wenn
das Band der Nabelschnur gelöst ist, der Gebärenden zurufen : Arbeite nur langsam
mit den schmerzhaften Lenden, den Schamtheilen und dem Blasenhalse. " Man
kann diese Stelle kaum anders deuten, als dass die Abnabelung des Kindes noch
vor dem Austreten der Nachgeburt ausgeftthrt worden war. In Hessler^s Ueber-
setzung wird dagegen angegeben, dass nach der Geburt des Kindes der Arzt die
Schamtheile der Gebärenden mit Schlangenhäuten oder mit Vaugueria spinosa
räucherte und eine Wurzel der Goldblume aufband. Hier entsteht zunächst die
Frage, ob diese Bäucherung mit Schlangenhäuten etwa zur Linderung der Schmerzen
oder, wie später in Europa ganz ähnliche Räucherungen, zur Beförderung des
Abganges der Nachgeburt dienen sollten? Dann aber heisst es:
.In manibus et pedibus sustentet puerperam valde splendidam expertemque sagittae
(embryonis).'
Es ist fraglich, ob hier unter „Sagitta'^ die ganze Frucht mit der Nach-
geburt oder nur das neugeborene Kind zu verstehen ist. Man gab bei den alten
kriechen der Kreissenden ja ebenfalls zur Beförderung des Austritts der Placenta
.im Bett eine vom Kopfende her nach unten zu möglichst abschüssige Lage, und
vielleicht unterstützte (sustentat) der indische Arzt die Kreissende zu gleichem
Zwecke und in ähnlicher Weise. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass man
zunächst nach der Geburt des Kindes in Alt-Indien den Abgang der Nach-
geburt abwartete und förderte, bevor man zur Trennung des Kindes von letzterer
schritt. Hierauf soll man, nachdem das Kind mit Butter überstrichen worden,
den Nabelstrang acht Querfinger lang vom Nabel entfernt mit einem Faden unter-
binden, abschneiden und das am Kinde befindliche Nabelschnurstück um den Hals
des Kindes binden.
Bei den Griechen wurde zu Hippokrates' Zeiten die Nabelschnur höchst
wahrscheinlich in der Regel erst nach dem Abgange der Placenta durchschnitten.
Denn in dem Buche de Superfoetatione^ wird das Verfahren geschildert, das
man zur Entfernung der Nachgeburt einzuschlagen hat, sobald die Nabelschnur
abgerissen ist, oder sie Jemand vor der Zeit durchschnitten hat; auch wird dann
der Rath ertheilt, bei scheintodt geborenen Kindern die Nabelschnur nicht eher
312. Die Abnabelung bei den alten Cnltnryölkem. 197
zu dorcbschDeiden, bis sie nrinirt, oder geschrieen, oder geniest haben; man solle
das Kind aber abnabeln, wenn die Nabelschnur pnlsirt, wenn das Kind sich be-
wegt, oder wenn es schreit oder niest. Za Aristoteles^ Zeit bildete das Ab-
sclmeiden der Nabelschnur einen Theil des Geschäftes der Hebammen, wie auch
aus ihrem Namen Omphalotomai, Nabelschneiderinnen, hervorgeht. Der
Nabelstrang wurde aber zuvor mit einem wollenen Faden unterbunden.
Bei den Römern lehrt Soranus^ dass das Ende des Nabelstrangs mit einem
Faden zusammengebunden werde, damit nicht eine Hämorrhagie entstehe, da so-
wohl Blut als Luft aus dem Körper der Mutter in den des Kindes überginge.
Bis dahin unterbanden die Hebammen die Nabelschnur stets fest mit einem lei-
nenen Faden ; er selbst räth, hierzu lockere, zusammengewundene Wolle oder eine
andere weiche Substanz zu nehmen, da ein Leinenfaden durch Druck auf die
weichen Theile unerträgliche Schmerzen mache. Auch berichtet er, dass Einige
den Nabel mit einem heissen Bohre oder dem breiten Ende einer Sonde gebrannt
haben; dies verwirft er wegen der hierdurch verursachten Schmerzen und der
Entzündung. Wenn- die Nachgeburt im Uterus noch zurückbleibt, so sollen zwei
Ligaturen am Nabelstrang gemacht und derselbe in der Mitte durchschnitten
werden, damit auf diese Weise eine Hämorrhagie sowohl von Seiten der Mutter
als auch des Kindes verhütet werde.
Mit Sarantis beginnt überhaupt erst eine rationelle Methode der Abnabelung,
wenngleich noch mit allen Mängeln der Zeit behaftet, welche der genaueren
physiologischen Einsicht entbehrte. Er schreibt vor, sogleich, nachdem sich das
Kind vom Geburtsacte erholt hat, zur Omphalotomie, d« h. zu der Durchschnei-
dung des Nabelstrangs zu schreiten. Dabei soU die Nabelschnur vier Finger vom
Bauche entfernt mit einem scharfen Instrumente abgeschnitten werden und nicht
mit stumpfen Werkzeugen, um jede «Contusion" (Zerrung, TCseidAcjßievov) zu
verhüten. Das Goagulum des Blutes soll man aus dem zurückgebliebenen Theile
der Nabelschnur auspressen und sie der Gefahr der Verblutung wegen strafiF mit
Wolle umwickeln. Den am Kinde hängenden Rest soll man in geölte Wolle ein-
hüllen, in die Mitte des Körpers legen, und nach drei oder vier Tagen, wenn er
abgefallen ist, das Geschwür, welches sich an dem Leibe gebildet hat, zuheilen.
Die meisten Frauen in damaliger Zeit bedienten sich hierzu gebrannter und zu
Pulver geriebener Schnecken, oder Zwiebeln, oder der Sprungbeine von Schweinen ;
Andere legten eine gebrannte kühlende Bleimasse auf, damit das Geschwür eine
Narbe ziehe und durch deren Schwere ein schönes Nabelcavum gebildet werde.
Die arabische Heilkunde folgte im Allgemeinen dieser Methode. Nach
der Anweisung des Avicenna soll die Unterbindung der Nabelschnur vier Zoll
vom Nabelringe entfernt ebenfalls durch eine Ligatur mit gereinigter WoUe vor-
genommen werden (Lana munda, quae bene et eubtiliter alt retorta, ne doleat). Aus den
Schriften des Abtdkasem, welcher 1122 starb, erfahren wir, dass zu seiner Zeit
in Spanien die Hebammen den durchschnittenen Nabelstrang, statt ihn zu unter-
binden, mit dem Glüheisen brannten, um eine Blutung zu verhüten. Es herrschten
also, wie v. Siebold bemerkt, damals zu gleicher Zeit beide Methoden, die Unter-
bindung und das Brennen.
Unsere alten deutschen Hebammen-Lehrbücher wurden bekanntlich nach
den Schriften früherer Zeiten zurecht gemacht; Bösslin^ Bueff u. A. hielten sich
ganz einfach an Vorbilder aus römischer Zeit, auch in der Behandlung des
Abnabelungsgeschäftes. So wurde von der Hebamme, nach Bösslin^ der Nabel-
strang vier oder auch drei Finger vom Leibe des Kindes entfernt unterbunden
und dann abgeschnitten; nach Btieff geschah die Unterbindung mit zweifachem
Faden, und zwar:
„nahe bey dem Eindt, anff vier zwerch Finger breit auff das vieleet, ... je näher aii
des Kindts Leiblein, je besser es ist, denn es giebt ein hübsches enggewachsenes Näbelin.*
Französische Aerzte jener Zeit unterbanden und durchschnitten erst den
igg L. Die Trennung des Neugeborenen von der Mutter.
Nabelstrang, nachdem die Nachgeburt zu Tage gefördert worden; wenigstens lehrte
dies Ämbroise Pare.
Dann entwickelte sich unter den Geburtshelfern ein Streit darüber, ob die
Trennung des Nabelstranges sofort nach der Geburt des Klindes erfolgen solle,
oder ob man dasselbe noch einige Zeit mit der pulsirenden Nabelschnur in Yer-
bindung lassen soll, damit es durch die letztere noch einen Theil des Placentar-
Blutes erhalte. Für das Letztere war schon Levre^ eingetreten ; er empfahl, «den
Nabelstrang nicht früher zu durchschneiden, als bis das Kind geschrieen hat,''
besonders wenn es blass ist, damit es noch der Hülfe des Mutterblutes geniesse.
Nach Bu4in wird Blut durch Ansaugen bei der Athmung in den kindlichen
Körper eingef&hrt, und Schücking glaubte, dass die treibende Kraft in dem Druck
der sich contrahirenden Gebärmutter liege.
Im Jahre 1733 bestritt in einer unter DehmePs Autorität in Halle ver-
fassten Dissertation Joh. H, Schtdee die Nothwendigkeit der Unterbindung des
Nabelstranges; er empfahl jedoch, dieselbe trotzdem nicht zu unterlassen. Zier-
mann ging noch weiter; er veröffentlichte im zweiten Jahrzehnt unseres Jahr-
hunderts eine Schrift, in welcher das Unterbinden des Nabelstrangs als «Urgrund
der häufigsten und gefährlichsten Krankheiten des Menschengeschlechts'' bezeichnet
wird. Wölfart schrieb das Vorwort hierzu.
In der Vorrede zur Uebersetzung von Holberg*s Lustspiel: »Die Wochen-
stube', welche im Jahre 1822 erschien, erwähnt auch der dänische Dichter
Oefdenschläger diese ärztliche Gontroverse; es heisst bei ihm:
.Die Doctoren zanken sich jetzt, ob man den Nabelstrang vor oder nach der Gebart
abschneiden soll, welches für eine arme Wöchnerin noch ärgerlicher sein muss, als das Doctor-
latein und den Quacksalber Meister Bonifacius anzuhören/
Bei den Volks-Hebammen im Kreise Memel war es nach Hildebrandt's
Angabe noch vor Kurzem die Regel, dass sie die Nabelschnur nicht unterbanden,
sondern sie legten nur lose ein Bändchen um dieselbe und gaben dann Acht, dass
das Kind nicht verblute; man sagte im Volke: «Es ist dies besser, damit aller
ansteckende Stoff aus dem Korper entweichen könne/
Ueber das Verfahren bei den Letten liegt uns ein Bericht von Alksnis vor:
«Die Abnabelung wird mit einem scharfen Instrumente vorgenommen; das zum Kinde
gehörige Nabelende wird mit einem Faden unterbunden. War dagegen das Elind «ganz blau',
so lässt man es noch einige Minuten unabgenabelt zwischen den Schenkeln der Mutter liegen,
bis es auflebt. Dr. Blau schreibt, dass einige Frauen das Kind nicht früher abnabeln, bis
die Placenta herausgekommen sei.*
Bei dem griechischen Landvolke wird die Abnabelung des Kindes, wie
Damian Georg an Ploss berichtete, erst nach der Geburt der Placenta vorge-
nonunen. Dann wird aber zuerst die Nabelschnur durchschnitten, und der am
Kinde haftende Nabelschnurrest wird dann erst unterbunden; seine Spitze wird
darauf noch besonders gebrannt.
Nach Glück wird in Bosnien und der Hercegovina die Nabelschnur von
einer helfenden Frau mit einem Endchen Seide oder Wolle unterbunden und
darauf mit einem Messer oder einer Sichel abgeschnitten. Eine Scheere ist für
diesen Zweck verpönt aus Gründen, von denen ich später noch sprechen werde.
818. Ueberbllck fiber die Methoden der Abnabelung.
Wenn wir einen recapitulirenden Blick auf die Reihe der soeben gemachten
Angaben werfen, so müssen wir bekennen, dass wir hier keineswegs im Stande
sind, eine regelmässige Stufenfolge geburtshülflicher Entwickelung nachzuweisen.
Wir können vielmehr bei nahe benachbarten und in gleich niedrigen Culturstadien
sich befindenden Völkern ganz verschiedenartige Maassnahmen erkennen. Die
313. üeberblick über die Methoden der Abnabelung. 199
einen durchtrennen den Nabelstrang bereits, vordem die Placenta den mütterlichen
Körper verlassen hat; andere wiederum warten erst diesen Zeitpunkt ab, bevor
sie die Durchschneidung vornehmen. Aber auch diese letzteren verhalten sich
durchaus nicht gleichmSssig. Ein Theil von ihnen nimmt sofort nach der Geburt
der Placenta die Abnabelung vor; andere wiederum unterziehen vorher das Neu-
geborene und bisweilen auch noch den Mutterkuchen gewissen Einsalbungen und
Waschungen, über welche natürlicher Weise doch immer eine ziemliche Zeit ver-
gehen muss, so dass also das Kind noch relativ lange mit der Nachgeburt in
Verbindung gelassen wird.
Bei vielen, auch sehr rohen Völkern finden wir besondere Methoden im
Gebrauch, um nach der Durchschneidung des Nabelstranges Blutungen aus dem-
selben zu verhindern. Mit Pflanzenfasern oder mit Faden werden reguläre Unter-
bindungen gemacht; von anderen wird ein Knoten in den Nabelstrang selbst ge-
schlungen, oder das Kind wird in einer bestimmten Richtung mehrmals um die
Placenta herumgedreht, so dass eine feste Zusammendrehung der Nabelblutgefasse,
eine Torquirung, wie der chirurgische Ausdruck lautet, eintreten muss. Das Alles
erscheint aber anderen Völkern wieder noch nicht sicher genug: sie behandeln
den Nabelschnurstumpf mit besonderen blutstillenden Medicamenten, oder sie ver-
kohlen ihn sogar in einer Flanmie. Wie viele traurige Erfahrungen mögen vor-
hergegangen sein, bis diese uncivilisirten Menschen das Einsehen gewannen, dass
man den lebensgefahrlichen Blutungen vorbeugen müsse, und bis sie es lernten,
dass diese Methoden zu dem erwünschten Ziele ftihren!
Ueberrascbend bleibt es immerhin auf den ersten Augenblick, dass es doch
noch so viele Völker giebt, welche einfach die Durchtrennung des Nabelstranges
vornehmen, ohne irgend eine Unterbindung auszuführen, welche die Verhinderung
einer Blutung beabsichtigt. Sehen wir uns aber etwas genauer die Art und
Weise an, wie sie den Nabelstrang durchtrennen, so finden wir, dass sie, sich
selber allerdings unbewusst, in der gewählten Durchtrennungsart das Blutstillungs-
mittel gefunden haben. Wenn Schlagadern durchgerissen oder entzweigequetscht
werden, dann schnurrt ihre innerste Schicht wie ein geschnürter Tabaksbeutel
zusammen und verschliesst das nun entstandene Loch in der Arterie so voll-
kommen, dass kein Blut aus ihr herausfliessen kann. Um solche Durchreissungen
und Durchquetschungen handelt es sich nun aber bei denjenigen Stämmen, welche
ohne eine vorherige Unterbindung den Nabelstrang durchtrennen. Wir haben
ja gesehen, dass sie denselben entweder zerreissen, oder dass sie ihn mit den
Nägeln durchkneifen, mit den Zähnen durchbeissen, mit Steinen entzweiklopfen,
oder mit Steinmessem, Muscheln oder Holzstücken durchschneiden. Das sind
alles mehr oder weniger stumpfe, quetschende und zerreissende Werkzeuge.
Und so wird uns die ^gabe MalUxt's über die Negritas der Philippinen
wohlverständlich, welcher sagt, dass die durch ihre Art der Durchschneidung
des Nabelstranges mit einem scharf geschnittenen Stück Bambusrohr, mit
einer Austemschale oder einem Steine verursachte Zerreissung der Häute und
Gefässe die Blutung mit grösserer Sicherheit stillt, als die Anlegung irgend
einer Ligatur.
Erst als die Menschen es lernten, sich für diesen Zweck scharfschneidender
Gegenstände zu bedienen, da waren sie auch gezwungen, zu blutstillenden Maass-
nahmen ihre Zuflucht zu nehmen, und als solche haben wir, abgesehen von den
Unterbindungen, die Knotungen des Nabelstranges, sowie das Verkohlen des Nabel-
strangstumpfes mit der directen Flamme oder durch glühend gemachte Gegen-
stände, und das Bestreuen der Schnittfläche mit blutstillenden Mitteln kennen ge-
lernt. Auch das Kneten des Nabelstrangrestes muss hierher gerechnet werden,
weil hierdurch ein rasches Vertrocknen desselben hervorgerufen wird.
LI. Die Geburtshülfe der Nachgeburtsperiode.
314. Die Ausstossnng der Nachgeburtstheile.
Aus Oründen der bequemeren Uebersicht habe ich der Abnabelung des Neu-
geborenen ein besonderes Kapitel gewidmet, obgleich dieselbe streng genommen
eigentlich auch zu den geburtshülflichen Handgriffen gehört, welche in der so-
genannten Nachgeburtsperiode ausgeführt werden müssen. Jetzt haben wir nun
noch von der Ausstossnng der Placenta, der Nachgeburt oder des Mutter-
kuchens zu sprechen. Es wird uns nicht besonders überraschen, dass man bei
vielen Naturrölkern sich nicht besonders hierum kümmert, da man ja, wie wir
gesehen haben, auch mit der eigentlichen Entbindung sich nicht gerade besondere
umstände macht. In dem einen wie in dem anderen rrocesse wird eben wesentlich
auf die erfolgreiche Thätigkeit der physiologischen Austreibungskräfte gerechnet.
Nur selten melden die Reisenden von Blutungen in der Nachgeburtsperiode,
die durch das Zurückbleiben der Placenta oder auch nur weniger Reste von Ei-
hauttheilen bei den Naturvölkern entstanden wären, oder von septischen Infectionen
derselben. Es ist wohl denkbar, dass hier eine die spontane Austreibung hin-
dernde Atonie überhaupt zu den äussersten Seltenheiten gehört. Und das muss
uns zu der Frage führen, in wie weit man denn überhaupt auch den Gebärenden
bei den Culturvölkem die Nachgeburtsperiode durch helfende Eingriffe abzukürzen
genöthigt ist.
Schon Vogler in Weilburg, der im Jahre 1797 seine Erfahrungen ver-
öffentlichte, empfahl eine rein exspectative Methode und er überliess die Aus-
stossnng der Nachgeburt in den allermeisten Fällen der Natur.
In unserer Zeit hat auch Schröder den Nachweis geliefert,
,da88 die Lösung der Nachgeburt und ihre Aosstossung aus dem Hohlmuskel (üterus-
körper bis zum Contractionsring) mit grosser Sicherheit und in nicht zu langer Zeit (5 — 15
Minuten) durch die Naturkr&fte gelingt, dass aber die Nachgeburt im schlaffen Durchtritts*
schlauch (unteres üterinsegment, Mutterhals und Scheide) bei ganz ruhigem Verhalten der
Ereissenden sehr lange liegen bleiben kann/
Die Blutung ist hierbei eine sehr massige. Ein Aufrichten der Gebärenden,
ein sanfter Druck auf den Unterleib, oder ein leichter Zug an der Nabelschnur
ist für gewöhnlich ausreichend, um die Nachgeburt zu Tage treten zu lassen.
misi darf sich nicht verwundem, wenn die Nachgeburtsperiode gar häufig
in ihrer Bedeutung unterschätzt wird. Nachdem das Kind geboren ist, scheint
zunächst der Gebärenden und ihrer Umgebung die Hauptsache überstanden zu
sein. Man beschäftigt sich mit dem Neugeborenen, und man hat nur wenig Acht
darauf, dass noch bedrohliche Ereignisse folgen können. Unbekannt mit diesen
drohenden Gefahren, wartet man zunächst geduldig ab. Doch der aus den Ge-
schlechtstheilen heraushängende Nabelstrang muss auch der UnerfieJirensten zeigen.
315. Das Verhalten der Naturvölker in der Nachgebnrtsperiode. 201
dass noch nicht alles vorüber ist, nnd das fährt dann zu allerlei Manipulationen,
um möglichst bald die junge Wöchnerin von dem überflüssigen Dinge zu befreien.
Auch die Geburtshülfe unseres Jahrhunderts hat verschiedene Regeln und
Methoden angegeben, um die Nachgeburt schnell und sicher aus dem mütterlichen
Körper zu entfernen, jedoch ist hier nicht der Ort, näher auf dieselben einzugehen.
Wir müssen das den geburtshülflichen Lehrbüchern überlassen. Wir haben aber
zu untersuchen, wie sich in dieser Beziehung die Naturvölker benehmen.
315. Das Yerhalten der Naturvölker in der Nachgebnrtsperiode.
In der Frage, welche uns hier beschäftigt, würden uns gerade diejenigen
Völker die interessantesten Aufschlüsse zu geben vermögen, bei welchen die Weiber
während der Niederkunft sich voUständig selbst überlassen bleiben. Leider sind
wir aber von diesen gerade, da sie ja ohne Zeugen gebären, begreiflicher Weise
ohne nähere Berichte. Wie wir aber früher gesehen haben, so gebären nicht
bei allen niederen Volksstämmen die Frauen ohne befreundete Hülfe; und so sind
auch über den Abgang der Nachgeburt vereinzelte Nachrichten zu uns gedrungen.
Wenn bei den Negern in Old-Galabar das Kind geboren ist, so lässt
man es ruhig zwischen den Schenkeln der Mutter liegen und wartet geduldig ab,
bis die Nachgeburt kommt, wenn auch dieselbe lange Zeit auf sich warten
lassen sollte.
Die Nachgeburt wird auch bei den Abyssinierinnen nicht künstlich ent-
fernt. Die Frau gebiert in der Knie - Ellenbogenlage und sie verharrt in der-
selben Stellung, bis die Nachgeburt abgegangen ist. (Blanc.)
Auch bei den Wakamba und den ihnen benachbarten Stämmen wird für
gewöhnlich die Placenta nicht auf eine künstliche Weise entfernt.
Nach Hildebrandt trinken die Somali nach der Entbindung warmes Schaf-
talg. Durch die abführende Wirkung desselben wird der Austritt der Nachgeburt
befördert.
Bei den Negersclavinnen in Surinam folgt nach HiUe die Nachgeburt
gewöhnlich sehr schnell dem Kinde; besondere HlÜfsmittel zur Entfernung der-
selben scheinen bei ihnen nicht nöthig zu werden.
Bei den Indianerinnen scheint im Allgemeinen die Ausstossung der Pla-
centa schnell und mühelos vor sich zu gehen; sonst wäre es ja nicht möglich,
dass die Weiber, wenn sie auf der Wanderschaft niederkommen, gleich nach der
Entbindung dem Stamme nacheilen und sich wieder mit ihm vereinigen könnten.
Solche FäUe sind aber wiederholentlich und in glaubwürdiger Weise berichtet.
Kommen ausnahmsweise aber doch Verzögerungen im Abgange der Nachgeburt
vor, so suchen sie schnell und energisch einzugreifen. Einige Stämme nur, wie
die Menomenies, die Bach-Indianer und die Krähen-Indianer, aber auch
die Indianer in Mexiko lassen sich nach den Berichten von Engdmann dadurch
weiter nicht in Unruhe versetzen, sondern sie warten geduldig ab, bis die Placenta
herausgefault ist. Das führt dann bisweilen zu pyämischen Erkrankungen, denen
die armen Weiber erliegen. Es sind aber auch Beispiele bekannt, wo die In-
dianer energischer eingreifen.
In Australien setzt sich, wie von CoUins mitgetheilt wurde, die Frau
nach Ankunft des Kindes in*ein kleines, zu diesem Zwecke bereitetes Loch und
wartet hier, bis die Nachgeburt abgeht; nach der Beschreibung nimmt sie dabei
eine Stellung ein, wie bei einer Defacation auf freiem Felde. Das ist sicherlich
ein ganz zweckentsprechendes Verfahren, da in dieser Körperhaltung die Bauch-
presse ganz besonders wirken kann.
Auf Neu-Galedonien durchtrennen nach Vinsan die helfenden Frauen vor
der Oeburt der Placenta den Nabelstrang und befestigen dann dessen an dem
202 LL Die Geburtshalfe der Nachgeburteperiode.
Mutterkuchen hängenden Theil an der grossen Zehe der Mutter, der Natur die
Ausstossung aus der Gebärmutter überlassend. Sobald bei den Papuas auf der
Insel Noefoor bei Neu-Ouinea das Kind geboren ist, lässt man dasselbe
liegen, bis die Nachgeburt folgt, und dann erst schneiden die helfenden Frauen
den Nabelstrang mit einem scharfen Bambusmesser ab. Oft stirbt das Kind vor
Kälte, wenn es zu lange in solchem Zustande auf die Nachgeburt warten muss.
Van HasseU berichtet, dass einmal bei einer jungen Frau nach tagelangem Leiden
die Nachgeburt in Stücken zum Vorschein kam, nachdem allerlei Mittel ange-
wendet worden waren, um dieselbe herauszubefördem.
Schwans^ in Fulda veranlasste eine Frau aus Sumatra, welche sich unter
seiner Au&icht befand, sich ganz so zu benehmen, wie es bei Entbindungen in
ihrer Heimath gebräuchlich ist: Sie liess sich nach der Geburt des Kindes den
Unterleib mit etwas Oel einreiben, machte sodann eine drängende Anstrengung,
und dabei ging die Placenta sofort ab.
Auch die Tataren in Astrachan überlassen nach der Angabe Meyerson's
den Abgang der Nachgeburt der Natur; das Kind wird aber sofort abgenabelt.
316. Die Terzogernngen bei der Ansstossnng der Nachgeburtstheile.
Die Beobachtung, dass ein zu lange Zeit fortgesetztes zuwartendes Verhalten
bei zögerndem Abgange der Placenta gewisse Gefahren mit sich bringen kann,
mag nun wohl auch unter denjenigen Völkern gemacht worden sein, die in ge-
burtshülf lieber Hinsicht auf einer niederen Stufe stehen. Wenn sie dann zu
Hülfsmitteln greifen, so ist es wohl der naturgemässe Gang, dass zuerst die ein-
fachen ausprobirt werden. Man fordert die Entbundene auf, eine andere Körper-
haltung anzunehmen, man sucht die Kraft der Bauchpresse zu steigern, man
schüttelt die Frau u.. s. w. Solche Mittel werden auch wohl combinirt, um die
Wirkung um so sicherer zu erreichen. Manipulationen, welche Erbrechen be-
wirken, Mittel, welche ein Niesen hervorrufen, werden sehr gern in Anwendung
gezogen. Auch kräftige Exspirationen anderer Art veranlasst man die Wöchnerin
auszuführen.
Eine Aenderung der Stellung lassen viele Indianer-Stämme die Ent-
bundene annehmen, damit die Nachgeburt von ihr geht. Die Crows-India-
nerinnen und die Creek-Indian erinnen kommen auf dem Bauche liegend
nieder; aber sofort nach der Ankunft des Kindes springen sie auf und stützen
sich auf einen Stecken, wobei sie die Beine weit aus einander spreizen. Dies
geschieht in der Absicht, damit das Blut frei abfliesse und damit die Placenta
schneller und leichter zu Tage trete. Auch die Weiber der Gattaranguts
erheben sich nach der Niederkunft aus ihrer knieenden Stellung und richten sich
auf ihre Füsse auf, weil sie der Meinung sind, dass hierdurch der Abgang der
Nachgeburt befördert werde. Solcher Beispiele lieasen sich noch mehr beibringen.
Auf den Sandwich 8 -Inseln lässt man die Frau, welche im Sitzen nieder-
gekommen ist, eine zusanmiengekauerte Stellung einnehmen; da das Kind erst ab-
genabelt wird, wenn die Placenta zu Tage getreten ist, so muss es dabei von
der Hebamme gehalten werden. Man lässt daselbst aber auch die Entbundene
sich auf die Füsse stellen, um den Abgang des Mutterkuchens zu erleichtem.
Zur Unterstützung dieser Maassnahme sucht man aber auch noch die Thätig-
keit der Bauchpresse wirksam zu steigern durch die Erregung von Uebelkeit und
Erbrechen. Die Frau steckt sich den Finger in den Hals, oder die Hebamme
zieht ihr die Zunge stark zum Monde heraus, bis sie aufstösst oder erbricht.
So wird in Süd-Indien nach Shortt bei zögerndem Abgange der Placenta
die Gebärende von der Hebamme angewiesen, eine Locke ihres Haares zu kauen,
316. Die YerzOgerongen bei der Ausstossung der Nachgeburistheile. 203
wodurch XJebelkeit und BrechneigUDg entsteht. Bei den Birmanen ist nach
Mardegcusea ein ganz ähnliches Verfahren gebräuchlich.
Man benutzt zu dem gleichen Zweck aber auch noch viel unappetitlichere
Dinge; z.B. steckt man in Argentinien die Spitze einer Gerte in den Mund,
die vom Schweisse eines Pferdes beschmutzt ist. Mantegcusea^ sah in Bolivia
einer Frau in einem Nachtgeschirr Wasser reichen, in welchem man zuvor vor
ihren Augen schmutzige Strümpfe wusch.
Gleich nach der Geburt des Kindes bekommt die Mexikanerin gewöhnlich
eine Eomgrützabkochung zu trinken. Aber auch abführende und ekelerregende
Mittel sind dort bekannt, um die Placenta herauszufordern. Die dortige India-
nerin muss gleich ein Quart rohe Bohnen geniessen; diese sollen dann im Leibe
quellen und so den Mutterkuchen zum Abgehen zwingen.
Auch die Reflexbewegung des Niesens wird als ein sehr wirksames Hülfs-
mittel in Anwendung gezogen.
Zur Erregung des Niesens wenden bei zögerndem Placentaabgange die
Gros-Ventres- In dianer ein reizendes Pulver an, dessen "Wirkung auf die
Contraction der Muskeln selten ausbleibt. Die Bus und Mandans benutzen
hierzu die Früchte der Ceder, das Gastoreum oder den Knopf am Schwänze der
Klapperschlange, wobei sie das Gastoreum in Brechen erregenden Mengen geben.
Die vorher schon angedeuteten Erschütterungen des Körpers werden
gar nicht selten in höchst barbarischer Weise vorgenommen:
Wenn z. B. bei den Kirgisen des Gebietes Semipalatinisk die Nachgeburt nicht
kommen will, so werden der Frau lederne, sehr weite Beinkleider angezogen, welche zugleich
den ganzen Rock umhüllen, dann wird sie einem Kirgisen auf das Pferd gesetzt und dieser
sprengt mit ihr weit über Berg und Thal, begleitet von den hinter ihm lärmenden und
schreienden Einwohnern des Auls. „Aber wozu hilft denn das?* fragte die Berichterstatterin.
„Nun, mitunter hilft es, mitunter stirbt die Frau," antwortete ruhig die Erzählerin. Wenn
die Frau von diesem wilden Ritt lebend heimkehrt, so ist sie zum mindesten ohnmächtig;
der „Baksa* (ein den Schamanen ähnlicher Arzt) reibt ihr die Stirn mit den Händen, zieht
ihr die Zunge hervor und giebt ihr eine Ohrfeige. Erwacht sie dabei nicht aus ihrer schweren
Ohnmacht, so wird ein Schmied herbeigebracht, der auf seinem Amboss glühendes Eisen
tüchtig hämmern muss, dass Funken nach allen Seiten fliegen; dasselbe wird der Kranken
auch nahe ans Gesicht gebracht; dabei redet ihr der „Baksa* zu: sie solle antworten: „Ich
danke, Herr." Endlich kommt das geplagte Weib zu sich und stammelt: „Ich danke, Herr.''
Der Schmied steckt ihr dann eine eiserne Feile in den Mund, damit sie dieselbe mit den
Zähnen festhalte, dann hat das arme Weib endlich Ruhe. (Globus,)
Auch bei den Neu-Oriechen wird die Gebärende sogleich nach der An-
kmift des Kindes über den Oebärstnhl mehrere Male von der Gehülfin mit starkem
Arme emporgehoben, worauf man sie wieder heftig herabfallen lasst; diese
Erschütterungen worden so lange fortgesetzt, bis die Nachgeburt erschien, was
auch bald geschah; von Moreau wird hinzugefügt: „Dieses Verfahren ist allge-
mein und nicht schädlich/
Sowohl die Indianerinnen in Mexiko als auch die Weiber des niederen
Volkes kommen, wie Engdmann berichtet, in hockender oder knieender Stellung
nieder. Bei den Indianerinnen folgt die Nachgeburt dann schnell; die
Mexikanerinnen aber müssen meistens längere Zeit auf den Abgang der
Placenta warten, und so lange müssen sie auch in ihrer unbequemen Stellung
verharren. Bisweilen vergeht darüber eine halbe Stunde, oft geht sogar eine ganze
Stunde hin. Zögert aber auch dann noch die Nachgeburt, so erfasst eine der
beistehenden Frauen die junge Mutter mit den Armen und schüttelt sie kräftig
auf und nieder. Solch ein Schütteln ist in dem gleichen Falle auch bei den
dortigen Indianerinnen üblich.
Wenn beiden Indianerinnen der Misqually-Agentur sich der seltene
Fall einer Placentaretention ereignet, so benutzen sie ein Dampfbad. Eine Ver-
204 ^^' I^ie Gebortshülfe der Nachgeburtsperiode.
tiefung wird in den Boden gemacht und mit heissen Steinen ausgeflillt, die mit
Fichtennadeln bedeckt werden. Dann wird Wasser darauf gegossen und die Frau
setzt sich über dieses Dampfbad einige Minuten lang. Dieses einfache Verfahren
schlägt selten fehl.
317. llebernatflrliclie und sympathetische Mittel^ nm die Ansstossnng der
Nachgeburtstheile zu beschleunigen.
Es ist nicht zu verwundem, dass auch übernatürliche und sympathetische
Hülfsmittel in der Nachgeburtsperiode ihre sehr wichtige Rolle spielen, und es
ist wohl zu verstehen, wie die durch den Glauben an ihre Wirksamkeit bedingte
Erwartung und Spannung zu unbewussten Muskelcontractionen führen und wie auf
diese Weise nun wirklich der angestrebte Erfolg zu Stande kommen kann.
Zaubersprüche, um die Nachgeburt zum Heraustreten zu veranlassen, wurden
schon von den Aerzten der alten Inder benutzt. Stengler hat darüber berichtet.
In Entre-Bios in Argentinien legt man nach Mantegaeea unter das
Geburtsbett einen Pferdeschädel in der Weise, dass das Maul dem Fussende zu-
gekehrt ist. Das soll den schnellen Abgang der Nachgeburt bewirken. Auch
lässt man, um dieses Ziel zu erreichen, kleingeschnittene Stückchen von Silber-
münzen und Scherben von Ofenkacheln zusammen kochen und die Suppe da-
von trinken.
Auch in Deutschland kennt man solche magisch wirkenden Tränke und
sympathetischen Mittel. In Schwaben muss die junge Mutter eine Abkochung
von drei lebendig zerstossenen Krebsen trinken, wenn die Nachgeburt nicht in
der Zeit, wie man erwartet hat, abgehen will. (Bück,) In der Bheinpfalz
lässt man die Wöchnerin aufstehen, einen Stock in die Hand nehmen, ihres
Mannes Hut aufsetzen, und dann sich wieder niederlegen. Wir sehen, wie hinter
dieser Sympathie wieder ein wirksames Mittel steckt. Das ist nämlich der Ueber-
gang von der liegenden in die aufrechte Stellung, dessen erfolgreiche Wirksamkeit
wir ja früher bereits besprochen haben.
Hören wir durch Bartsch^ dass in Mecklenburg, wenn die Nachgeburt
nicht kommen will, der Ehemann sich den Bart rasiren und ihn mit dem Seifen-
schaum seiner Gattin zu essen geben muss, so haben wir hierin wiederum eine
Ekelkur zu erkennen.
318. Die Nabelschnur als Handhabe zur Entfernung der Nachgeburt.
Es liegt gewiss ftir ein Naturkind sehr nahe, den aus den Genitalien heraus-
hängenden Nabelstrang als die naturgemässe Handhabe zu betrachten, um durch
einen kräftigen Zug an ihr die Nachgeburt zu Tage zu fordern. Das ist ein Ver-
fahren, welches uns in der That bei einer ganzen Anzahl von Völkern begegnet.
So erzählt Engelmann von den Ainos, dass, wenn das "Neugeborene ab-
genabelt ist, die Frau ruhig in ihrer Lage verharrt, bis die Nachgeburt zum
Vorschein kommt. Für gewöhnlich geht das schnell von Statten. Zögert aber die
Nachgeburt, so zieht sie die als Hebamme fungirende Alte an dem Nabelstrang-
ende heraus. Dieses Verfahren hat gar nicht selten höchst gefährliche Blutungen
zur Folge.
Auch bei den Chinesen ziehen nach Kerr die Hebammen die Placenta
mit Gewalt heraus, was den Tod vieler Frauen zur Folge hat.
In der persischen Provinz Gilan wird nach Häntesche ebenfalls die Nach-
geburt durch Zug am Nabelstrange entfernt.
In Unyoro (Central-Afrika) sterben viele Frauen an Blutungen, während
und nach der Geburt, welche, wie Emin Pascha vermuthet, durch Zerrungen an
der Placenta entstanden sind.
818. Die Nabelschnur als Handhabe zur Entfernung der Nachgebart. 205
Nach Krebe£s Angabe geschieht auch in Russland die Entfernung der
Nachgeburt dem Volksgebrauche gemäss durch gewaltsames Ausziehen, «wodurch
häufig Inversionen und Vorfälle erzeugt werden **; auch lässt man dort zur For-
derung des Geschäftes warmes Wasser trinken. In Frankreich herrscht, wie
Tuejac in kleinen Städten der Provinz fand, der unter den Hebammen sehr ver-
breitete Gebrauch, dass die Nachgeburt sofort nach der Geburt des Kindes aus-
gezogen wird, obgleich schon Bauddocque und die Frau LachapeUe dieses Ver-
fahren energisch verdammten.
Aus Jerusalem berichtet Bösen:
.Wenn bei der Geburt die Nachgeburt nicht rasch folgt, so taucht die Hebamme die
Finger in Olivenöl und legt die Hand an die Scheidenmfindung , um die Nachgeburt, wenn
«ie in die Scheide herabsteigt, mit den Fingern zu fassen. Wenn die Nachgeburt der Scheiden-
mündang nicht nahe kommt, dann bindet die Hebamme die Nabelschnur mit einem Bindfaden,
dessen anderes Ende an den Fuss der Geb&renden gebunden wird; das Kind wird in ein Lein-
tuch gewickelt, bis die Nachgeburt zum Vorschein kommt.''
Bei den Cheyenne- und Arrapahoes-Indianern, deren Frauen die
Bückenlage, in der das Kind geboren wird, auch in der Nachgeburtsperiode bei-
behalten, wird niemals abgewartet, dass die Placenta durch die eigene Kraft der
Oebärmutter ausgestossen wird. Sie suchen sie vielmehr sofort durch ein starkes
Ziehen am Nabelstrange herauszubefordem. Unter diesem rohen Verfahren wird
dann das unglückliche Weib nicht selten das Opfer einer starken Blutung.
Auch bei den Dacota-Indianern wird gewaltsam am Nabelstrange ge-
zogen, was häufig sehr schlimme Folgen hat
Die mexikanischen Indianer und die ungebildete weisse Bevölkerung
Mexikos hat nach den Berichten von Engdmann und Harrison ebenfalls die
imverständige Methode, stark an dem Nabelstrange zu ziehen. Viele Frauen
sollen dort sterben, weil sie nicht von der Nachgeburt befreit werden können.
Wenn wir diese Berichte lesen, so muss es uns verwundern, dass nicht doch
-diese primitiven Geburtshelferinnen sich von der grossen Gefährlichkeit ihres Ver-
fahrens überzeugen mussten. Wahrscheinlich hat das darin seinen Grund, dass
sehr häufig die Nachgeburt bereits aus der Gebärmutter ausgestossen war und
bereits gelöst, aber noch ungeboren in der Scheide lagerte. Zieht man sie dann
am Nabelstrange heraus, dann ist das natürlicher Weise eine ganz ungefährliche,
harmlose Sache. Verhängnissvoll wird dieses Anziehen nur in den selteneren
Fällen, wo die Placenta noch ungelöst in der Wand der Gebärmutter haftet.
Dass aber auch manchen Naturvölkern die Geföhrlichkeit dieser letzteren
Methode nicht verborgen geblieben ist, das erfahren wir durch Engdmann, Bei
einigen In dianer- Stämmen Nord-Amerikas findet allerdings ein derartiges
Ziehen am Nabelstrange statt; doch geschieht dies überall mit ganz ausserordent-
licher Vorsicht und sie machen davon nur in sehr seltenen Fällen Gebrauch. So
werden beispielsweise bei den Crow-Indianern und bei den Greeks diese
Tractionen am Nabelstrange stets nur mit geringer Kraft ausgeübt. Finden sie
einen Widerstand, so lassen sie lieber die Nachgeburt zurück, bis sie durch
Fänlniss ausgestossen wird. Fälle von pyämischer Infection sollen dabei sehr
selten sein.
Stetige und nicht zu heftige Tractionen am Nabelstrang machen auch die
Papagos-Indianer. Bei ihnen fand Smart Gelegenheit, einen GeburtsfeU kennen
zu lernen, in welchem die Placenta 3 — 4 Tage zurückgeblieben war:
Er fand die der Frau beistehenden Weiber in grosser Unruhe. Die Patientin lag auf
einer Seite mit heraufgezogenen Enieen; der Arzt liess sie eine ausgestreckte Lage annehmen
und ezplorirte sie mit der Hand: ein Buckskin-Strang von der Länge einer Peitschenschnur
war am abgeschnittenen Ende des Nabelstranges befestigt, während das andere Ende deA-
«elben um die grosse Zehe geschlungen war, so dass beim Ausstrecken des Beines ein Zug an
4er Placenta erfolgte. Der Arzt fand keine Adhäsion, und es gelang ihm leicht, durch Ein-
itihren der Hand in den Uterus die Placenta zu entfernen.
206 L^- ^^^ Geburtshülfe der Nachgeburteperiode.
319. Das Heransdrflcken der Nachgeburtstheile.
Es müsste wunderbar erscheinen, wenn der menschliche Geist nicht auch
darauf verfallen sein sollte, den äusseren Druck als Hiilfsmittel für die Ausstossung
der Nachgeburt in Anwendung zu ziehen. Denn erstens ist es schon an sich
sehr wahrscheinlich, dass man bei den Völkern gleichsam von selbst darauf hin-
geleitet wird, die noch im Uterus befindliche Nachgeburt durch ein Zusammen-
pressen des Unterleibes auszuquetschen. Zweitens aber ist hervorzuheben, dass
in der Heilkunde sehr vieler roher und halbcivilisirter Völker bekanntermaassen
ein Knetverfahren ausserordentliches Vertrauen geniesst, so dass man es bei den
mannigfachsten Störungen und Leiden in Gebrauch zieht. Dieses Kneten, das wir
als Massage bezeichnen, wird in ganz Asien sowohl von den Arabern, Indern
und Persern, als auch von den Japanern und Chinesen geübt zur Heilung
und Kräftigung. Die Japaner haben das Ambuk direct in ihre Geburtshülfe
eingeführt, um bei Querlage die Wendung von aussen zu machen. Auf den Sand-
wichs-Inseln heisst das Kneten der ermüdeten Glieder , Lome-Lome*' und wird
nach dem Berichte Buchners kunstgerecht meist von den Händen eingeborener
Mädchen als Theil der landesüblichen Gastfreundschaft ausgeführt. Es liegt nun
sehr nahe, anzunehmen, dass an vielen Orten der Erde die Beobachtung gemacht
wurde, welchen guten Erfolg das Kneten, Beiben, Drücken und Streichen, kurz
die Massage, auf die im Unterleibe noch fühlbare Geschwulst, auf den noch die
Nachgeburt enthaltenden Uterus hat; denn die massirende Person muss sehr bald
wahrgenommen haben, wie schnell unter ihren Händen durch einen verhältniss-
mässigschwachen Druck die Placenta zum Vorschein gebracht wird.
Wenn bei den australischen Schwarzen am Pinke-Creek die Nach-
geburt nicht von selber kommt, so wird der Leib der noch in horizontaler Lage
befindlichen Wöchnerin in der Gegend der Gebärmutter mit den Händen geknetet
und diese Stelle nach abwärts gedrückt. (Kempe.)
Bei den Longo-Negern, bei denen die Gebärende sich an einer schräg-
stehenden Stange anhält, legt sich dieselbe in der Bückenlage auf die Erde, so-
bald der Austritt der Placenta zögert, und lässt sich von einer anderen, zu ihrer
Seite knieenden Frau den Unterleib kneten. (Felkin.) Dagegen stemmt in
Unyoro bei langsamem Verlauf die Frau selbst ihren Unterleib auf das breite
Ende eines Pfahles, den sie gegen die Erde stützt, und indem sie nun rhythmisch
den Körper vor- und rückwärts neigt, bewirkt sie eine abwechselnde Zusammen-
pressung des Gebärmuttergrundes, um so die Placenta herauszudrängen.
Bei den Wanika im östlichen Afrika giesst man zunächst aus einer ge-
wissen Höhe Wasser auf den Unterleib ; erscheint dann die Nachgeburt nicht, so
muss sich die Frau in Knie-Ellenbogenlage begeben; es wird nun um ihren
Unterleib ein Tuch geschlungen, durch welches man einen Stock steckt, und in-
dem man denselben wie einen Knebel dreht, schnürt man den Unterleib durch
intermittirenden Druck zusammen.
Aehnlich verfahrt man auch in Darfur. Hier liegt die Entbundene, der
die Placenta nicht abgehen will, geradegestreckt auf dem Rücken. Ueber den
Unterleib kommt, ihn ganz umfassend, ein breites, langes Tuch. Rechts und links
zur Seite der Frau sitzt je eine Helferin, welche das eine Ende des Tuches an-
zieht und, um eine gehörige Compression des Uterus zu erzielen, mit einem
Fusse, dicht an der Entbundenen, auf das Tuch tritt, es gleichzeitig möglichst
stark anziehend.
Bonnar hatte Gelegenheit zu sehen, wie die Kaffer-Frau von der Nach-
geburt befreit wird:
Die Hebamme fasste die Entbundene unter den Achseln, schleppte sie bis in die Mitte
der Hütte, wo sich letztere halb aufgerichtet hinsetzen musste, die Beine ausgestreckt und
abducirt. Die Hebamme postirte sich nun hinter sie, ballte ihre Fäuste, umfasste die Ent-
319. Das Heraasdrücken der Nachgeburtstheile. 207
bundene mit ihren Armen und bearbeitete den Unterleib mit ihren Fäusten, indem sie den
Uterus vom Grunde gegen die Symphyse knetete. Nach dreimaligem Ejieten trat die Nach-
geburt hervor. Eine Nachblutung trat nicht ein und auch keine sonstige Störung.
Nach Wossidlo schnüren die Eaffernfrauen der Gebärenden, nachdem das
Kind zu Tage getreten ist, ein Tuch so fest um den Unterleib, dass die Ent-
bundene kaum athmen kann, und dann befördern sie so die Nachgeburt, ohne
vorher die Nabelschnur zu unterbinden und das Kind abzunabeln, heraus.
In Jaffa wird nach Tdbler der Gebärenden nach der Niederkunft ein
Gläschen Aquavit gegeben und dann wird von den Hebammen die Nachgeburt
durch einen mit Ans&engung ausgeführten Druck auf den Nabel herausbefordert.
In Cochinchina unter den Annamiten beseitigt die Hebamme die Nach-
geburt, indem sie sich an einem Balken des Daches mit den Händen festhält und
mit ihrem Fusse den Unterleib der Gebärenden in der Gegend des Nabels tritt,
um die Gebärmutter zusanmien zu pressen und die Nachgeburtstheile aus ihr
heraus zu drücken. Dieses Manöver wiederholt sie, indem sie ihren Fuss nach
und nach immer näher der Symphyse aufsetzt, so dass durch den stetig vor-
schreitenden Druck die Placenta allmählich herausgedrängt wird. Darauf kommt
die Hebamme herab und sucht mit den Händen die etwa noch in der Scheide
vorhandenen Reste zu entfernen; allein sie wiederholt auch die Pressionen mit
den Füssen, sobald sie es noch für nützlich halt und sie noch immer Reste in
der Gebärmutter vermuthet. Mondiere^ der dies berichtet, setzt hinzu:
aCes pressions faites avec le pied m*ont parut excessivement penibles pour la femme.*
Bei den Birmaninnen wird in schwierigen Fällen in ganz ähnlicher Weise
verfahren. Vorher macht man aber den Versuch, durch Schlagen des Unterleibes
zum Ziele zu kommen.
Das Drücken und Kneten des Unterleibes ist auch bei manchen Indianer-
Stämmen gebräuchlich, so z. B. bei den dem grossen Volke der Sioux ange-
hörigen Uncpapas, Yanktonais und Schwarzfuss-Indianern. Wenn der
stetige Druck von oben nach unten und das Kneten des Unterleibes nicht zu
dem erwünschten Ziele fahrt, so wird der Bauch mit den geballten Fäusten be-
arbeitet. Auch bei den Kutenais-Indianern wird der Leib der jungen Mutter
geknetet, um den Austritt der Nachgeburt zu veranlassen. Bei den Brule, den
Loafer, Ogalalla, Wazahzah und mehreren anderen Sioux- Stämmen wird
die Placenta oft unmittelbar nach dem Kinde herausbefordert durch das all-
mähliche Zusammenschnüren eines breiten Ledergürtels, welcher um den Leib
geschlungen wird, sobald das Kind erschienen ist. Von einer Sioux -Frau, die
Taylor entband, berichtet er:
«Kaum hatte ich den Nabelstrang durchschnitten, so stellte sie sich aufrecht auf ihre
Füsse, schlang sich einen 5 Zoll breiten Ledergürtel um Hüfte und Bauch und zog ihn auch
mit aller Kraft zusammen; inzwischen war die Blutung sehr reichlich; doch nach kurzer Zeit
fiel die Placenta auf den Boden, die Blutung stand, der Uterus war fest contrahirt und die
Frau setzte sich ruhig nieder, als ob nichts AussergewÖhnliches passirt sei. Der Gürtel wurde
erst am nächsten Morgen abgelegt.''
Sobald in der TJintah-Valley-Agentur die Indianerin das Kind in
der dort üblichen, knieenden Position geboren hat, stellt sie sich auf die Füsse
und legt sich ein zusammengefaltetes Tuch auf ihren Unterleib; dann lehnt sie
sich über einen dicken Stock und stenmit ihren Körper gegen denselben; so übt
sie einen ganz bedeutenden Druck auf die Unterbauchgegend aus und bewirkt
durch diese Methode ohne allen Beistand die Austreibung der Placenta.
Die Makah -Weiber unweit der Neah-Bay kommen ohne Hülfe im Sitzen
nieder. Wenn aber das Kind geboren ist, dann erscheint eine alte Frau, welche
hierin Erfahrung besitzt, und ^eselbe sucht dann sofort durch Pressen und Be-
arbeiten des Unterleibes die Placenta zum Austritt zu veranlassen.
Die Brule- und die Warm-Spring-Indianerinnen verharren auch nach
der Geburt des Kindes in der aufrechten Stellung, in welcher sie niederkamen.
208 L^' ^^^ Geburtshülfe der NachgeburUperiode.
Die hinter ihnen stehende Geburtshelferin drückt dann zur Entleerung der Nach-
geburt von aussen her den Muttergrund mit den Händen, und verbindet mit diesem
Druck eine Art von schüttelnder Bewegung. Solcher äusserlichen Manipulationen
bedienen sich auch die Ghippeway-Indianer.
Die Indianerinnen in der Laguna Pueblo erzielen den Druck auf den
Unterleib, der die Nachgeburt heraustreiben soll, dadurch, dass sie heisse Steine
auf denselben packen. Auch heisse Tücher werden aufgelegt, und die Frau muss
einen Thee von Kornblüthen trinken. Ausserdem wird aber auch noch der Bauch
mit den Händen gerieben.
Die Pah-Ütah, die Navajos und die Apache -Indianer fähren das
Beiben des Unterleibes nicht als ein eigentliches Kneten aus, sondern mehr unter
der Form von Einsalbungen. Hierzu bedienen sie sich bestimmter Fette und be-
sonderer Kräuterabkochungen.
Wiederholentlich finden wir auch, dass die Weiber die Tractionen am Nabel-
strange mit der Massage des Bauches verbinden. Bei den Pacific-Indiane-
r innen übt der helfende Medicin-Mann einen sanften, aber erträglich festen Zug
am Nabelstrange mit der einen Hand und Compressionen auf den Körper der
Gebärmutter mit der anderen Hand aus. Zu derselben Zeit presst, wenn dies für
nöthig gehalten wird, eine Gehülfin sanft den Unterleib, indem sie beide Hände
mit ausgespreizten Fingern über denselben legt.
Auch bei den Indianerinnen der Skokomish-Agentur wird ein
Druck auf die Gegend des Uterus und ein sanfter Zug am Nabelstrange ausge-
übt, um die Placenta herauszubef5rdem.
Die Bies-, Gros-Ventres- und Mandan-Indianerinnen werden
in knieender Position entbunden, in der dann auch die Placenta zu Tage tritt;
doch wenn sie nicht schnell zum Vorschein kommt, so zieht der Accoucheur,
während er den Bauch mit der mit Schildkrotenfett bestrichenen Hand sanft und
leise ein wenig reibt, zart und stetig am Nabelstrang.
Die Cattaran gut s- Weiber stellen sich gleich nach der Niederkunft auf
die Füsse. Wenn dann die Placenta nicht sofort von ihnen geht, so beginnt
man mit Tractionen am Nabelstrange und übt gleichzeitig einen Druck auf den
Unterleib von oben nach unten aus, während die Gebärende ihre aufrechte
Stellung beibehält.
Die Comanche suchen in ähnlicher Weise durch ein Kneten und Zu-
sammendrücken des Leibes und durch leichtes Ziehen am Nabelstrange die
Placenta zu entfernen; aber sie stellen auch Versuche an, die letztere mit der
Hand zu erreichen, wobei sich sowohl die Patientin als auch die Assistentin
betheiligen.
Die Gheyennes gehen erst zu der Massage des Unterleibes über, wenn
der Zug am Nabelstrange erfolglos bleibt. Umgekehrt verfahren die Ghippe-
way-Indianer; sie ziehen die Placenta am Nabelstrange heraus, wenn ihre
äusserlichen Manipulationen nicht die erhoffte Wirkung haben.
320. Die innerlichen Handgriffe zur Entfernung der Nacligebnrtstlieile.
Dass bei den Naturvölkern unter Umständen auch innerliche Handgriffe
ausgeführt werden, um die zurückgebliebene Nachgeburt aus der Gebärmutter zu
entfernen, dafür liegen uns einzelne Berichte vor, und wenn dieselben auch nur
spärlich sind, so besitzen sie doch für uns eine nicht zu unterschätzende Wich-
tigkeit.
Hamilton hat beiden Omaha-Indianern von Fällen von schwerer Ent-
bindung gehört, in denen Weiber als Hebammen functionirten und die ange-
wachsene Placenta mit Geschicklichkeit entfernten.
321. Die AusBto88ung der Nachgeburtfitheile bei den Japanern. 209
Anch die Papagos-Indianer scheinen die Placenta mit der eingeftihrten
Hand zu beseitigen, wenn sie nicht durch die Kräfte der Natur schnell genug
ausgestossen wird.
Die Eutenais-Frau kniet bei der Geburtsarbeit, und die helfenden Weiber
kneten ihren Bauch dabei nach abwärts, und fahren auch nach dem Austritt des
Kindes hiermit fort, um die Nachgeburt zu entfernen. Geht dieselbe aber nicht hier-
durch ab, so ftihren sie die Hand in die Vagina ein und beseitigen so die Placenta.
Der Gebärenden geben sie eine unbekannte Wurzel ein, um die Blutung zu stillen.
Die letztere darf aber ihrer Meinung nach nicht gleich yoUständig ins Stocken
kommen; deshalb wählen sie die Dosis des Mittels so, dass nach dem Verlaufe
einer halben Stunde von der Entbundenen eine zweite Gb^be genommen werden
muss. Auch unter dem niederen Volke Mexikos sind Leute, welche im Noth-
fall mit der eingeführten Hand die Placenta entfernen.
Die Hebammen in Indien sollen sogar zu instrumenteller Hülfe ihre Zu*
flacht nehmen und unter Umständen die Nachgeburt mit einer Sichel herauszu-
befordem suchen.
Auf Ceylon entfernen nach King die Hebammen die Nachgeburt augen-
blicklich nach ^er Entbindung, und von den Alfuren auf Celebes wird be-
richtet, dass daselbst die Placenta durch eine Priesterin entfernt wird. Ob dieses
aber durch Einführen der Hand oder mit Instrumenten oder auf irgend eine andere
Weise ausgeföhrt wird, darüber ist nichts Näheres angegeben.
Wir verdanken JBlyth den folgenden Bericht über die Viti-Insulane-
rinnen. Der Nabelstrang wird erst durchtrennt, wenn die Nachgeburt geboren
ist, was gleichzeitig mit dem Kinde, oder bald nachher zu geschehen pflegt. Bei
zögernder Geburt der Placenta wird der Nabelstrang am Schenkel der Frau be-
festigt, damit er nicht wieder nach oben in den Leib zurückschlüpfen könne.
Dann führt die Hebamme ihre Hand in die Scham ein, um die Nachgeburt zu
entfernen. Hat sie hierbei aber einige Schwierigkeit, so erklärt sie, dass die
Placenta angewachsen sei, und giebt ein Infus der in Fiji häufig wachsenden
Ndanindnani. Das muss in wenigen Minuten helfen, und nun f&hrt die Hebamme,
von Neuem ihre Hand in die Scham und entfernt die Nachgeburt. Blyfh sagt:
«Hier ist nicht die Bede von einer gewaltsamen Trennung der Nachgeburt mit der
Hand, und zweifellos ist das, was die Fiji- Hebammen Adhäsion nennen, nur einfach ein
Fall von Retention oder von verzögerter LoslOsung von der Geb&rmutterwand."
321. Die Ausstossnng der Nachgebnrtstheile bei den Japanern.
Die Japaner haben es wohl verdient, dass wir ihr Verfahren, die Ent-
bundene von der Nachgeburt zu befreien, in einem besonderen Abschnitte be-
trachten.
Die Japanerin kommt gewohnlich, wie wir früher schon berichtet haben,
in einer knieenden Stellung nieder, während ihr Rücken durch Matratzen gestützt
wird. Ist das Kind geboren, so legt die Hebamme zwei Schlingen an den Nabel-
strang und knotet sie za. Zwischen den beiden Knoten schneidet sie durch und
erwartet den Austritt der Nachgeburt. Zögert ihr dieselbe zu lange, so übt sie
einen Druck auf den Unterleib aus und zieht dabei an dem NabeMrangende.
üeber die Placenta bemerkt der Geburtshelfer Kangawa^ dass, wenn sie
2 bis 3 Tage im Leibe zurückbleibt, sie in Fäulniss überginge. Vorher sei die
Gefahr nur gering; wenn aber diese Unannehmlichkeit einü'äte, dann müsse man
die Nachgeburt durch entsprechende Eingriffe herausbefördem. Sollte jetzt die
Wöchnerin Schwindel bekommen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sterben
wird, eine grosse; ungefähr wie 5 oder 6 zu 10. Dann müsse man erst den
Schwindel heilen, bevor man die Nachgeburt zu entfernen sucht. Dauert der
Schwindel 4 Stunden an, dann ist der tödtliche Ausgang unvermeidlich.
Ploss-Bftrtels, Das Weib. 5. Anfl. H. U
210 LL Die Geburtahülfe der Nacbgeburtsperiode.
Nun giebt Kangawa die folgende Vorsclirift:
,Zum Herauaholen der Placenta muss der^Arzt die Rückseite kneten, wie den
Bauch; denn beim Kneten des Bauches contrahirt sich die Placenta und kann so starke
Contractionen machen, dass das Schnittende (des Nabelstrangs) in den Leib zurückkehren
kann. Der Grund, weswegen der Mutterkuchen im Leibe zurückbleibt, ist, weil er die höchste
Stelle einnimmt, und deshalb soll man nicht unnütz kneten, sonst bekommt man ihn Tielleicht
gar nicht heraus. Der gewöhnliche Arzt sagt, dass die Placenta sich durch den Eintritt des
Blutes yergrüssem und dadurch ihr Austritt verhindert werden kann. Dies ist aber falsch;
denn die Placenta zieht sich im Gegentheil im Leibe zusammen und hat keinen Grund, sich
zu vergrOssem; vielmehr rührt die StOrung eher vom zu starken Anziehen der Leibbinde her;
deshalb soll man die Leibbinde nach der Geburt verbieten. Ein anderer Ghmnd, weshalb die
Placenta 2—3 Tage nicht kommt, kann der sein, dass die Frau schon vorher schwach war
und dass diese Schwäche durch die Geburt noch gesteigert worden ist; bringt man in solchem
Falle die Placenta unvorsichtig heraus, so stirbt die Frau. Man lasse sie im Gegentheil ruhig
auf dem Rücken und auf hohen Kissen liegen und fühle dann unterhalb des Nabels nach dem
Klopfen der Gefässe; ist dieses schwach, so versuche man das Herunterbringen der Placenta
nicht, sondern gebe der Frau Pupalia geniculata oder Aconitum variegatum; nach zwei
Stunden wird dann das Klopfen stärker und man kann die Extraction versuchen. Ebenso soll
man nach einer künstlichen Geburt mit dem Herausholen der Placenta etwas warten, sonst
wird der mütterliche Dunst ruinirt (d. h. die Kraft der Mutter wird zu sehr angegriffen).
Man muss ftbr die Entfernung der schlechten Flüssigkeit (des Wochenflusses) grosse Sorge
tragen, sonst kOnnte grosser Schaden entstehen.*^
Wir er£Ekhren durch Kangawa auch, welche Ursachen er ffir maassgebend
hält, um eine Betention der Placenta zu bedingen:
.Es giebt zwei Fälle, in denen die Placenta schwer kommt: 1. Wenn die Frau ganz
schwach ist, so ist durch die Geburt die Kraft erschöpft und richtet sich nicht wieder auf,
um die Placenta herauszutreiben. 2. Wenn die Frau zwar zuvor gesund war, aber ihre Kraft
durch eine schwere künstliche Geburt erschöpft ist. Wird der Arzt zu einem solchen Zu-
stande gerufen, so hat er den Puls zu fühlen; ist er klein und dünn, so darf man die Nach-
geburt nicht gleich herabholen; man muss erst Panax (Ginseng) oder Aconit geben, und erst,
wenn der Puls stärker geworden ist, darf man die Placenta herabholen, sonst verliert man
sicher die Kranke.*^
Bedauerlicher Weise behauptet Kangawa^ die Methode, welche er anwende,
sei so schwierig, dass er dieselbe weder schriftlich noch mündlich zu beschreiben
vermöchte; das thue ihm ausserordentlich leid, da nicht weniger als 40 bis 50 ^/o
der Frauen durch Nichtherabkommen der Nachgeburt stürben. Seinen Schülern
wolle er aber zeigen, wie er die Manipulation ausftthre, und er fordere dieselben
auf, seine Handgriffe nicht in Vergessenheit gerathen zu lassen.
Es ist wohl zu vermuthen, dass Kangawa mit wohlberechneter Absicht so
geheinmissvoll that. Wahrscheinlich wollte er sein Geheimniss nur auf den
kleinen Kreis seiner Söhne und Schüler übertragen, um diesen grössere Einnahmen
zu sichern.
In welcher Weise die japanischen Aerzte die Nachgeburt lösen, wird in
dem zwölf bändigen Werke des Miteuhara auch bildlich dargestellt ; dieses Buch ist
im Jahre 1849 gedruckt und befindet sich im Besitz Dr. Scheube's in Leipzig,
welcher Folgendes berichtet: Nach dem Austritt des Kindes wird der Leib ge-
rieben, um die Placenta herauszubefördem (ähnlich der Cred^*schen Methode);
geUngt dies der Hebanmie nicht, so tritt der Geburtshelfer, welcher bisher, falls
überhaupt ein solcher zugegen war, den blossen Zuschauer spielte, in Action, in-
dem er mit der einen Hand den Leib reibt und mit der anderen am Nabelstrange
zieht. Folgt der Mutterkuchen dann noch nicht, so wird dieser mit einer beson-
deren Zange oder auch mit einer Fischbeinschlinge extrahirt.
322. Die Ausstossuiig u. Entfernung d. Nachgeburtstlieile bei den alten GulturvOlkern. 211
322. Die Ausstossung und Entfernung der Nachgeburtstheile bei den
alten Gulturyolkem.
Wir wollen uns jetzt den alten Culturvölkern zuwenden, um zu sehen, wie
sie sich, gestützt auf eine immerhin schon ausgebildetere Geburtshülfe, in der
Nachgeburtsperiode verhalten haben. So finden wir, dass auch bei ihnen mancherlei
Maassnahmen gebrauchlich waren, welche heute durchaus nicht unsere Billigung
erfahren würden.
Schon Hippökrates und seine Nachfolger hielten es für nöthig, gegen
Placentaretentionen mit verschiedenen Mitteln vorzugehen; allein ihre Indicationen
waren ganz andere, als die in den vorigen Abschnitten erörterten. Sie trennten
das Kind nicht eh^r von dem Mutterkuchen, als bis derselbe spontan oder durch
Kunsthülfe zu Tage getreten war; deshalb suchten sie bei der Anwendung von
Beförderungsmitteln wohl vorzugsweise möglichst bald die Ausstossung der Nach-
geburt zu veranlassen, um die Abnabelung des Kindes so schnell als möglich
vornehmen zu können. Wahrscheinlich war hierbei sehr vielmehr die Bücksicht
auf das Neugeborene, als die Fürsorge für die junge Wöchnerin maassgebend.
So hat sich schon früh die Gewohnheit eingebürgert, sehr schnell die Nachgeburt
zu extrahiren. Hippökrates liess hierbei die Entbundene auf dem Lasanum sitzen,
oder, wenn sie dieses nicht konnte, auf einer Sella recubitoria perforata, also auf
einem Geburtsstuhle mit zurückgebogener Lehne und einem Sitzausschnitte in der
Gegend, wo die Schamtheile zu liegen kommen. Nur dann, wenn die Schwäche
der Frau das Sitzen verbot, empfahl er ein am Kopftheil sehr erhöhtes Bett.
Dann wendete er bei zOgemdem Abgange Errhina, d. h. Niesemittel an, oder hängte
ein Gewicht an den Nabelstrang, gab reizende Arzneimittel, wie Ganthariden, legte Pessi
emmenagogi ein, reichte das Pulver einer getrockneten Placenta, Testikel von einem Pferde,
Urin vom eigenen Manne, Eselsklauen, die Zunge eines Chamäleons, den Kopf von einem
Huhn u. s. w. Auch wird das lybische Sylphium, jenes berühmte und räthselhafte Heil-
mittel und Gewürz der Alten, als ein Mittel empfohlen, um den Abgang der Nachgeburt zu
befördern; man liess eine Abkochung des Samens in der Menge einer halben Dattel in Wein
einkochen und trinken. Zu demselben Zwecke wurde auch der Saft, bohnengross in Wasser
gelöst angewendet. Femer wird im Buche .über die jungfräulichen Krankheiten* (De bis
quae ad virgines spectant) zum Abgang der Nachgeburt empfohlen : Samen der gelben Veilchen
und Portulaksamen (avdqaxvrfj gestossen und mit Wein gemischt Auch empfiehlt er ein
ganz besonderes Mittel zur sanften und allmählichen Entfernung der Nachgeburt. Das Neu-
gebornne soll vor der Mutter auf mit Wasser gefüllte Schläuche gelegt und diese sollen an-
gestochen werden. Während sie sich nun entleeren und mit dem Kinde senken, wird die
Nachgeburt durch das Gewicht des noch mit ihr durch die Nabelschnur in Verbindung be-
findlichen Kindes herausgezogen. Hippökrates war aber auch oft genöthigt, die Nachgeburt,
wenn ihr Abgang sich allzusehr verzögerte, ganz liegen zu lassen, denn er spricht davon,
dass sie durch Fäulniss aufgelöst am sechsten bis siebenten Tage abging.
Von vielen geburtshülf liehen Schriftstellern, die nach HippoJcrates lebten,
wurden mancherlei Mittel zur Beförderung des Nachgeburtsabgangs angerathen,
wie wir durch Sorantis erfahren. Euryphon empfahl Diuretica (Dictamnus, Salvia
triloba), Pessi haemagogi aus Struthion, Iris Illyrica und Ganthariden, sowie Er-
schütterungen des Körpers. Andere wenden Bähungen an aus Asphalt, Menschen-
haaren, Hirschhorn, Galbanum, Artemisia. Stration liess ein Gemisch von Narden,
Cassia, Prasium (Marrubium), Artemisia, Dictamnus, Susinum, Bösen u. s. w. in
einem Gefass erhitzen, die Dämpfe aber durch eine Röhre zu den Geschlechts-
theilen leiten. Manticis liess das Kind zwischen die Schenkel der Mutter legen
und durch dessen Schwere und Bewegungen die Nachgeburt ans der Gebärmutter
herausziehen.
Auch noch bei den Römern galt es als Regel, die Nabelschnur nicht so-
gleich nach der Geburt des Kindes, sondern erst nach der flerausbeforderung der
Nachgeburt zu durchschneiden. Celsus lehrte, der Arzt solle mit der linken Hand
ganz gelinde an der Nabelschnur ziehen und mit der rechten längs derselben bis
212 -L^* ^i® GebortshÜlfe der Nachgeburtsperiode.
zu ihrem Ursprünge an der Nachgeburt vordringen, und indem er nun das äusserste
Ende anzieht, löst er alle Gefasse und Häutohen mit der Hand von der Gebar-
mutter ab und befördert jene ganz heraus.
Soranus schreibt dagegen vor, das Kind mit der einen Hand zu halten,
während die andere durch sanfte Tractionen am Nabelstrange die Placenta lost.
Gelingt die Entfernung der Placenta auf diese Weise nicht, so soll man den
Nabelstrang durchschneiden, dann die mit Oel bestrichene Hand in das Orificium
uteri einftihren und auf diese Weise die Placenta herausbefördem. Findet man
sie angewachsen, so soll man, ohne Gewalt anzuwenden, die Placenta mit der ein-
geführten Hand allmählich bald hierhin, bald dahin wenden und dann erst durch
einen kräftigen Zug lösen. Man darf die Placenta nicht gerade ausziehen, um
einen Vorfall der Gebärmutter zu verhüten. Findet man das Orificium ver-
schlossen, so soll man zunächst Injectionen, nöthigenfalls auch warme Gataplasmen
und Inunctionen, in schweren Fällen Schnupfpulver aus Pfeffer, auch Räucherungen
mit Cassia, Narde, Artemisia, Iris, Sabina, Dictamnus u. s. w. anwenden. Bleiben
aber auch diese Mittel erfolglos, dann muss die Nachgeburt liegen bleiben, bis
dieselbe durch Fäulniss abgeht
Fast ganz dasselbe Verfahren findet man bei PhüumentiS , Aetius und
Moschion.
Ävicenna hält nicht in allen Fällen das gleiche Verfahren f&r angebracht.
Je nach den Umständen soll man bald die Placenta sofort entfernen, bald ihre
Herausbeförderung abwarten und der Natur überlassen; auch soll man mittelst
Injectionen die Auflösung der Placenta zu fördern suchen.
Die Talmudischen Aerzte haben nach Israels entweder von der Lösung
der Placenta nichts gewusst, oder sie haben jedes künstliche Einschreiten ver-
worfen. Aber sie theilen Fälle mit, in welchen die Placenta 10, ja 24 Tage
nach der Geburt des Kindes zurückgeblieben ist. Kotelmann dagegen ist der
Ansicht, dass die Entfernung der Nachgeburt durch manuelle Hülfe bewerkstelligt
wurde, da im Talmud dafür Ausdrücke gebraucht werden, die ein „Herausziehen^
andeuten. Auch schloss er daraus, dass die Placenta als „Nachgeburt, die zwischen
den Beinen hervorgeht'', bezeichnet wird, dass die Juden die Abnabelung des
Kindes vor der Entfernung der Nachgeburt vorgenommen hätten.
323. Die Ausstossung und Entfernung der Nachgeburtstheile bei den
heutigen Cultnrvölkern.
Sollen wir unsere Betrachtungen zum Abschlüsse bringen, so erübrigt es
noch, auch die heutigen Culturvölker mit zu berücksichtigen und zu sehen,
durch welche Entwickelungsphasen die heute gültigen Anschauungen sich hin-
durcharbeiten mussten.
Als Mittel, um den Abgang der Nachgeburt zu befördern, empfahl Albertus
Magnus im 13. Jahrhundert: Knoblauch in Wein gesotten zum Bestreichen des
Bauches, ein Dampfbad von Hühnerfedern für die Geburtstheile; innerlich wurde
Holzwurz mit Wein, Stichwurz mit Eberwurz gepulvert in Regen wasser gegeben;
auch gelbe Violblumen in Wasser gekocht, Zimmtrinde in Wasser, Andorn, Saft
vom spitzigen Wegerich, gepulverter Achat zum Getränk, Polley zur Speise
standen in hohem Ansehen.
Eucharius Bösslin stellt als Regel auf, dass die Nachgeburt ohne besondere
Kunsthülfe abgeht:
„Das sechst Capitel sagt, wie man das Buschlin d. h. die Nachgeburt von einer frawen
bringen soll, ob es nit selbs mit der Geburt kommen wolt.*^ Er giebt an: „Zu Zeiten kompt
das Buschelyn oder Nachgeburt mit dem kynd, auch zu Zeyten bleibt es da hynden.*' Letzteres
ist nach ihm der B'all, wenn die Mutter krank oder zu schwach ist, um die Nachgeburt aus-
828. Die AuBBtossang u. Entfernung d. Nachgeburtatheile bei d. heutigen CulturvOlkern. 213
dracken zu können, oder wenn die Nachgeburt «inwendig in der Bermutter veat angebunden
unn gehefft ist;*^ auch wenn das Wasser aus der Gebärmutter abgeflossen oder der Ausgang
derselben «ingestrupfft , eng und von schmerzen wegen geschwollen ist." In diesen Fällen
muss die Hebamme die Nachgeburt entfernen, weil die Gebärende sonst krank wird, weil die
zurückbleibende Nachgeburt leicht fault. Später freilich räth BössUnj wenn alle die von ihm
zur Entfernung der Nachgeburt angewandten Mittel nichts fruchten, über das Zurückbleiben
derselben keine grosse Sorge zu haben, ,dann in kurtzen tagen zerfleusst es vnd gadt hinweg,
als ein fleyschwasser.* Bei Nachgeburtszögerung durch Gebärmutterverschluss soll Oel und
Schmalz innen eingerieben werden; bei Gebärmutter Verengung trinken sie Wachholder beeren
und Gummi Galban in Wein; bei fester Anhaftung der Nachgeburt sollen Räucherungen mit
verschiedenen balsamischen, schlecht- oder wohlriechenden Stoffen, z. B. mit Asa foetida,
Bibergeil, Menschenhaar, Eselshufen, yorgenommen werden; dann soll die Frau auch den
Athem anhalten und Niesemittel von Nieswurz und Pfeffer nehmen. Dann lehrt BössUn aber
auch den Handgriff zur Wegnahme der Nachgeburt: „So soll die Hebamme senfftiglichen
ziehen darumb, das es nit abbrech. Vnd ob es in sorg war das es abbrechen wolt, so soll
die Hebamm als wyl sie begriffen hat, bynden der frawen oben an das Beyn, nit zu hart
oder zu luck, besunder in rechter mass, das es nit brech auch nit wyderumb bind sich ziehe.
... Vnd ob es in der Bermutter vest gehofft wem, so soll die Hebamm es subtilichen ab-
schelen on grossen schmerzen der frawen vnnd sol es nit schlecht vnder sich ziehen, darumb,
das die Bermutter nit hyenach gang. Sonder sie soll es syttiglichen ziehen oder besayz
ziehen von eyner Seiten zu der andern, ye ein wenig und aber ein wenig biss es wol g&-
lediget werd."
Die Methode, nach welcher die Frau Bourgeois die Nachgeburt zu entfernen
lehrt, ist folgende:
„Nachdem das Kind geboren ist, soll man dasselbe gut bedecken und hinlegen (also
die Nabelschnur nicht abbinden und abschneiden); dann soll man den Bauch der Gebärenden
betasten und hierdurch erforschen, auf welcher Seite die Nachgeburt liegt; auf dieser Stelle
soll man eine Hand halten oder auch einer erfahrenen Frau befehlen , die Hand dort aufzu-
legen; sollte sich nun, wie gewöhnlich geschieht, die Nachgeburt fest in die Seite gesetzt
haben, so soll sie mit der Hand sanfb aus der Seite in die Mitte des Bauches geführt und
geschoben werden, während man mit der anderen Hand den Nabelstrang hält** Zur Unter-
stützung des Abgangs der Nachgeburt lässt dabei die Bourgeois die Gebärende in die Hand
blasen, oder sie stedct ihr den Finger in den Hals zur Erregung von Erbrechen, oder sie
befiehlt der Frau zu drücken, als ob sie zu Stuhl gehe. Sollte dies alles nicht bald die ge«
wünschte Wirkung haben, so giebt sie der Frau ein rohes Ei zu essen, um Erbrechen hervor-
zurufen. Sollte das nicht helfen, so muss die Frau eine Tinctur von Hollunderblüthen be-
kommen. Dämpfe von Asa foetida, Castoreum, auf Kohlen verbrannt, einathmen. Mit solchen
Mitteln ist sie bei mehr als zweitausend Weibern zum Ziele gekommen und hat nur in zwei
Fällen nOthig gehabt, durch Einführung der Hand die Nachgeburt herausznbefOrdem.
Während man im Alterthum bei Zurückhaltimg der Placenta mehr die ex-
spectative Behandlung anwendete, was die Aerzte auch noch bis in das 16. Jahr-
hundert befolgten, empfehlen Ämbr. Pari^ Rodericus a Castro, Scipione Mercurio
die Herausnahme der Placenta schon vor dem Abnabeln. Auch im 17. Jahrhundert
blieben Jtfatirtceou, Deventer^ Peu u. A. bei diesem letzten Verfahren. Wenn
man durch Zug am Nabelstrang nicht zum Ziel gelangte, so ging man mit der
Hand ein. Bei sehr fester Adhärenz empfiehlt der Pariser Arzt Mauriceau aber,
der 1660 — 1709 wirkte, lieber ein Stück Placenta zurückzulassen.
Eine neue Periode in der Geschichte der Geburtshülfe begann mit der
These, welche der yerdienstvolle holländische Anatom jßuyscA aufstellte. Er
glaubte, einen besonderen Muskel im Grunde des Uterus entdeckt zu haben, dessen
Aufgabe es sei, die Placenta nach der Geburt auszutreiben. Daran knüpfte er die
Lehre, dass man niemals versuchen solle, die Placenta künstlich zu entfernen, da
durch solche Eingriffe leicht Vorfall und Inversion des Uterus entstehe.
Vom Anfang des 18. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts bestanden zwei
Parteien; die eine wollte ein actives, die andere ein abwartendes Verfiahren.
De la Motte^ Fried der Aeltere, Giffardy StneUie, Mursinna u. A. f&hrten
sogleich, theilweise vor dem Abnabeln des Kindes, die Hand ein, sobald der
Mutterkuchen dem Zuge am Nabelstrange nicht folgen wollte.
214 LI. Die Gebortshülfe der Nachgeburteperiode.
Andere, wie Buy seh, Pasta ^ Crante^ Lebmacher ^ PlenJcj Äepli^ Oshome,
Saxtorph verhielten sich dagegen passiv. Diese letzteren haben das Verdienst,
die Nachtheile eines gewaltsamen Verfahrens in das rechte Licht gestellt, den
Ursachen der Reteation nachgespürt und den physiologischen Vorgang in Fällen
des sehr verspäteten Abgangs der Nachgeburt geschildert zu haben.
Noch im Beginn des 19. Jahrhunderte waren die Stimmen sehr getheilt.
Boer^ V, Siebold, Froriep suchten wie Wigand die manuelle Wegnahme so viel
als möglich zu umgehen. Oslander^ Kutan, Hohl, Boivin, Dubois, sowie die
geburtshülf liehe Gesellschaft zu Berlin setzten den Zeitraum für die Indication
der Wegnahme auf ein bis drei Stunden fest. Auf die jetzt gebräuchlichen Me-
thoden kann hier nicht näher eingegangen werden.
324. Die Entfernung der Nachgebnrtstheile in der europäischen
Yolks-Geburtshülfe.
Einem grossen Irrthum würde man unterliegen, wenn man annehmen wollte,
dass die durch die wissenschaftliche Erfahrung festgestellten Methoden in Bezug
auf die Entfernung der Nachgebnrtstheile nun auch in allen Schichten der heutigen
Gulturvölker bereits einen festen Boden gewonnen hätten. Und selbst in Deutsch-
land kann man noch mancherlei Maassnahmen zur Entfernung der Nachgeburt
begegnen, die sich nur wenig oder gar nicht von den Manipulationen unterscheiden,
wie wir sie bei rohen Volksstämmen in den vorhergehenden Abschnitten kennen
gelernt haben. Wir wollen nur einige Beispiele geben.
Wenn in Steyermark die Nachgeburt nicht schnell genug zu Tage treten
will, so nimmt die Hebamme spirituöse Einreibungen am Unterleibe der Ge-
bärenden vor. Natürlicher Weise werden hierdurch Zusammenziehungen der Ge-
bärmutter ausgelost. Fördert dieses Verfahren nicht schnell genug, so fühlen sich
nach Fossel die Hebammen auch berufen, mit der Hand in die Geschlechtstheile ein-
zugehen und selber die Lösung der Nachgeburt vorzunehmen. Hierbei lassen sie
nicht selten Placentareste zurück, welche dann die Ursache heftiger und lebens-
gefährlicher Entzündungs-Processe abgeben.
Wenn in der Pfalz die Nachgeburt zu langsam kommt, so lassen manche
Hebammen die Kreissende husten oder in die Hand hauchen, andere dagegen
reiben nur den Leib sanft und träufeln noch zuvor etwas Melissengeist auf.
(Patdi.) Um den Abgang der Nachgeburt zu erleichtern, lässt man im Sieben-
bürger Sachsenlande die Eindbetterin aus Leibeskräften in ein Glas blasen
(Deutsch-Kreuz), oder sie muss sich in die linke Seite drücken, oder die Heb-
amme reibt den Leib der Frau mit einem Besen. (Hülner.)
Aus Griechenland berichtet Dammn 6r6or^, dass dort die Hebammen der
Landbevölkerung die Nachgeburt durch Druck auf den Unterleib entfernen. Will
sie diesem Druck nicht folgen, so sucht man Würgebewegungen auszulösen, in-
dem man der Frau die Finger, oder ihren eigenen Zopf in den Mund steckt.
Auch lässt man die Entbundene in eine leere Flasche blasen, um hierdurch unter
der Wirkung der Zwerchfellzusammenziehungen einen intra-abdominellen Druck
herbeizuführen.
In Serbien bekommt die Frau sofort nach der Entbindung ein Weinglas
voll Oel zu trinken; dadurch soll die Loslösung der Nachgeburt beschleunigt
werden. (Petromtsch.)
Ueber die Mohamedanennnen in Bosnien und der Hercegovina be-
richtet Glück:
«Ist endlicli das Kind geboren, abgenabelt and abgewaschen, und geht die Nachgeburt
nicht gleich ab, so erhält die Wöchnerin eine Schale Oel zu trinken, oder man Iftsst sie in
eine Flasche blasen; hilft das nicht, so wird der Unterleib massirt, oder die Gebärende wird
gebäht."
324. Die Entfernung der Nachgebnrtstbeile in der europftiachen Volks-Geburtshülfe. 215
Im Gouvernement Perm erhält die Ereissende, wie Demic angiebt, wenn
die Nachgeburt zögert, einen Thee von Jnncus filiformis L. zu trinken; in Klein*
Bussland macht man ihr Umschläge von Asarum europaeum. Im Gouvernement
Tomsk benutzt man als innerliches Mittel den gestossenen Samen von litho-
spermium arvense und of&cinale, aber man giebt auch heimlich der Gebärenden
einige Läuse mit Asche ein. Nach Ljesenjevic werden anderen Ortes auch zwei
Glaschen frisch ausgepresster Pferdeknollen zum Trinken gegeben. Da hätten
wir also wiederum die Ekelkuren. In anderen Gegenden versucht man, nach
Demic^ warme Bäder und Einspritzungen. Die Entfernung der Nachgeburt mit
der Hand wird nur in seltenen Fallen geübt, wobei auch die Massage des Uterus
durch die Bauchwand ausgef&hrt wird.
An das Ende der von der Placenta herabhängenden Nabelschnur bindet man
in anderen Theilen Busslands allerhand Gegenstände: einen Löffel, einen Schuh
oder auch einen Ziegel, und lässt die Mutter damit umhergehen. Durch die
Schwere dieser Dinge soll die Nachgeburt herausgezogen werden.
Alksnis berichtet von den Letten:
, Damit die Placenta sich rasclier ablöse, lässt man die Frau in eine leere Flasche blasen,
man Iftsst sie husten oder drückt auch ein Wenig auf den Fundus uteri. Ausserdem wird noch
häufig an dem Nabel gezogen. In den Fällen, wo die Placenta sich nicht rasch ablöst, wird
sie auch von den ungelehrten Hebammen manuell durch einen inneren Eingriff in den Uterus
gelöst. Wie oft durch diese Operation inficirt wird, das ist eine andere Sache. £s gäbe sehr
böse Folgen fftr die Frauen (sagte seine Berichterstatterin), wenn ein Stttckchen von der Nach-
geburt in der Gebärmutter haften bleibe. Doch seien auch Fälle beobachtet worden, wo die
Placenta so lange im Uterus geblieben sei, bis sie zu faulen angefangen habe.*^
Im Kaukasus setzt sich bei zurückgehaltener Nachgeburt eines von den
gegenwärtigen Weibern auf den Unterleib der Mutter, und indem sie dann
hüpfende Bewegungen macht, übt sie einen starken Druck auf Unterleib und
Uterus aus.
LH. Die Ethnographie der Nachgebnrtstheile.
325. Die Benennangen der Nachgeburtstheile.
Es warde an einer früheren Stelle schon darauf aufmerksam gemacht, dass
der Embryo im Mutterleibe von einer häutigen Umhüllung umgeben ist, welche
man im wissenschaftlichen Sprachgebrauche als die Fruchtblase oder die Ei-
häute bezeichnet. Diese Fruchtblase liegt nun aber nicht lose und unbefestigt
in der Gebärmutterhöhle, sondern sie ist an einer Stelle besonders eng mit ihr
verschmolzen, so dass hier eine innige Verbindung des Blutaustausches zu Stande
kommt. Diese Stelle erscheint rundlich und dabei flach, scheibenförmig wie ein
Kuchen oder «Fladen*, und sie wird von Alters her die Placenta oder der
Mutterkuchen genannt. Aus ihm entspringt, wie wohl allgemein bekannt ist,
ein langer Strang, der sich mit seinem anderen Ende in den Nabel des Kindes
einsenkt. Das ist der Funiculus umbilicalis oder der sogenannte Nabel-
strang. Er hat ein an Gallerte erinnerndes Aussehen und in ihm verlaufen die
Blutgefässe, welche den Blutkreislauf der Mutter mit demjenigen des Embryo
vermitteln.
Da der Mutterkuchen mit den Eihäuten und mit dem an ihm haftenden
Nabelstrang ftir gewöhnlich erst nach der Geburt des Kindes aus dem mütter-
lichen Uterus ausgestossen wird, so hat man diese Gebilde im Allgemeinen als
die Nachgeburtstheile oder auch wohl abgekürzt als die Nachgeburt be-
zeichnet. Scipione Mer curia hat dafür den Namen le seconde eingeführt.
Der deutsche Name ist sehr alt, denn schon Jacob JRueff bespricht in seinem
Hebammen-Buch ,,die Fällein vnterschiedlich, die Nachgeburt genannt'. Auch
bei Eucharius Rösslin, bei Herlicius (1628), in der anonymen Uebersetzung des
Mauriceau (1687) und in „des getreuen EckartVs unvorsichtiger Hebamme" (1715)
findet sich der Name Nachgeburt oder Nachgeburth.
Eckarth und Welsch sprechen aber auch noch von der Äfft er bürde,
Mauriceau' s Uebersetzer von dem Bürdlein. Rösslin hat für die Nachgeburt
auch noch die Bezeichnung Büschelin eingeführt; so heisst es bei ihm:
„Wenn die Frau in Arbeit ist vnd ersclieint das erst feil in, jnn dem das Kind liegt,
das man nennet das Büschelin oder Nachgeburt, so nahet die Geburt.*
In Schwaben sagt man nach Bück das Nachwesen, in Steyermark
heisst die Nachgeburt nach Most Buchtl oder Nestl.
Für den Nabelstrang ist auch der Name Nabelschnur in ganz gleicher
Häufigkeit in Gebrauch. Welsch spricht auch von der Nabelschnure, Bueff
nennt sie das Nabelgertlein, und der Uebersetzer Mauriceau^s spricht von der
Nabel-Senne oder der Senne.
326. Die Auffioflsiing der Nachgeburtsiheile. 217
Für die Unterbindung und die Darchtrennung der Nabelschnur hat sich
ganz allgemein die Bezeichnung des Ahn ab eins eingebürgert. Bei Mauriceau
lesen wir daf&r den Ausdruck abledigen, und bei Herlidt^ ledigen.
Bei den Letten wird die Nachgeburt nach ÄlJcsnis' Angabe oträ puse
genannt, das heisst wörtlich die andere Hälfte. Wir werden hierdurch hinüber
geleitet zu einer besonderen Auffassung, wie sie uns in dem nächsten Abschnitt
bei den Baliern entgegentreten wird.
326. Die Auffassung der Nachgeburtstheile.
Wir haben soeben in Erfahrung gebracht, dass die Letten die Nachgeburts-
theile als „die andere Hälfte" der Frucht betrachten.
Die Eingeborenen der Insel Bali haben, wie Jacobs berichtet, den Glauben,
dass die Nacl^eburt ein Bruder oder eine Schwester von dem neugeborenen
Kinde sei. Stirbt Jemand, so nehmen sie an, dass die Seele seiner Nachgeburt
ihm auf halbem Wege entgegenkommt, um ihn nach dem Himmel Indras zu
weisen.
Wir haben noch einer Auffassung zu gedenken, welche weit über die Erde
verbreitet ist. Das ist die Anschauung, dass die Nachgeburt,, wenn sie die Gebär-
mutter bereits verlassen hat, aber noch nicht völlig geboren ist, selbständig in
die Uterushöhle zurückzukriechen oder aufzusteigen vermöchte. Damit steht es
in Zusammenhang, dass so häufig berichtet wurde, wenn die Nabelschnur durch-
schnitten ist, müsse ihr placenbäres Ende an dem Schenkel der Gebärenden be-
festigt werden. So ertheilt Rösslin den Rath:
< »Vnd wenn sich na verleget (verzögert) das Büschelin, vnd nicht ausgehet, so solta
nicht fast strecken oder ziehen, sondern binde es oben an beide beine oder sonst etwan,
also dass es nicht wider vber sich steige.*
Aehnlich heisst es bei Herlicius:
,So dann durch die Gnade Gottes das Kind glücklich in die Welt kommen, sol die
Hebamme oder Weisemüne das Kind bald ledigen, den Nabel drey Finger breit von dem
Leibe des Nabels der Frawen an jhren Schenckel binden, auff dass die Nachgeburt
nicht hinter sich fahre, vnd darnach bey der Frawen verharre, welches vmb der corruption
vnd faule willen, die Fraw von jhrer vemunfit bringen möchte, sintemahl ein grosser stanck
daraus erfolget, welcher das Heupt und Hertze sehr beleidiget.*
Analog ist auch der Vorschlag von Welsch, welcher auch das placentare
Ende der Nabelschnur räth an das Bein der Wöchnerin zu binden oder von einer
der beistehenden Frauen halten zu lassen, „damit die Afterbürde der Kindermutter
nicht entwischen könne^S
Obgleich nun Mauriceau an solch ein Zurückkriechen der Gebärmutter nicht
mehr glaubt, vermag er sich doch noch nicht von der althergebrachten Methode
frei zu machen. Er giebt den Rath:
.dass sein übrig Trnmm, mit einer kleinen Saite an des Weibs - Schenckel geknüp£Ft
(werde), nicht so wol aus Beysorg sie möchte wieder hinein in die Beermutter schlüpffen,
als zu verhüten, dass sie ihr nicht üngelegenheit mache, wenn sie ihr zwischen den Beinen
h&nget*
Ganz derartige Anschauungen, wie sie früher in Europa herrschten, finden
wir auch bei anderen Yolksstämmen wieder. Mimaeunea sagt von den Japa-
nern: Die abgeschnittene Nabelschnur wird mit einem Bande an der Hüfte der
Gebärenden befestigt, damit die Nachgeburt nicht zurücktritt, während man der
Frau einige Ruhe gönnt Nach der Angabe Kangawa's war es bis zu seiner Zeit
in Japan Sitte, dass
«die Alte, welche bei der Geburt half, die Nabelschnur nach der Geburt des Kindes
abschnitt und sie einige Zeit lang, mit irgend einem Gegenstande beschwert, heraushängen
liees, damit sie nicht wieder aufsteigen könne.*
218 LII* ^^0 Ethnographie der Nachgeburtstheile.
Kangawa aber sagt in seinem Buche San-ron, dies sei nicht nothwendig,
denn da die Schnur keinen Grund zum Aufisteigen habe, so sei es auch nicht
nothig, sie davon abzuhalten.
Bei den Flatheads, den Eootewais, den Crows und Creeks in Nord-
Amerika ergpreift die Entbundene sofort nach der Durchtrennung des Nabel-
stranges dessen placentares Ende mit der Hand und halt es sorgfaltig fest, damit
es nicbt wieder in den Uterus zurQckschlüpfen könne.
Die Clatsops legen um den Unterleib der Patientin sofort nach der Geburt
des Kindes eine Bandage, „um zu verhindern, dass die Placenta zurück in • den
Körper tritt".
Auch bei den Yiti-Insulanerinnen haben wir aus dem Berichte von Blyth
ersehen, dass ihre Hebammen nach erfolgter Abnabelung den aus dem Körper
der Mutter hervorhängenden Rest des Nabelstranges an deren Schenkel anbinden,
aus Furcht, dass er wieder in den Leib zurückschlüpfen möchte.
Ganz besondere Anschauungen und Gebräuche herrschen in Bezug auf die
Nachgeburt nach Modigliani auf der Insel Nias. Die Nachgeburt führt dort den
absonderlichen Namen Gä'a nono oder aw5 nono. Nono kommt von ono, Sohn,
und ga'a bedeutet Bruder oder Schwester; awö heisst Begleiter. Dieser Name
erinnert uns an den oben erwähnten Glauben der Bali er. Sowie der Kopf des
Kindes bei der Geburt erscheint, muss sich die Kreissende auf die Kniee legen
und in dieser Stellung verharren, bis die Nachgeburt herausgekommen ist. Zögert
dieselbe, so wird die Nabelschnur nicht durchschnitten, sondern das an derselben
hängende Kind wird zwischen die Beine der Kreissenden gelegt, während diese
selbst sich hintenüber neigen muss. Sie bekommt Salzwasser mit Kokosöl zu
trinken und der Leib wird ihr fest mit einem Tuche oder mit Baumrinde um-
schnürt. Dieses geschieht aber nicht etwa, wie bei anderen Völkern, in der Ab-
sicht, die Placenta herauszupressen, sondern nur um die Gebärmutter zu verhindern,
dass sie wieder gegen das Herz aufsteige, und um die Nachgeburt zu tödten.
Denn sie halten diese für lebendig und sie sind der Meinung, dass sie nur dann
den Körper der Kreissenden verlassen könne, wenn sie gestorben sei.
827. Die Abnabelung im Glauben der Tolker.
Die organischen Bildungen, durch welche das neugeborene Kind mit dem
mütterlichen Organismus in Verbindung stand, und die ihm nun nach der voll-
endeten Entwickelung zu einem selbst&idigen Individuum nicht mehr zum Fort-
leben nöthig sind, erhalten im Volksglauben eine mystische Bedeutung für das
gesammte übrige Leben; man hält sie für Symbole zur Gewähr eines dauernden
Glückes, sowie für einen schützenden Talisman in Gefahren, und in dieser Be-
ziehung schätzt man sie hoch und werth. Das Auffallendste dabei ist, dass der
Aberglaube in dieser Hinsicht sich fast über die ganze Erde verbreitet findet Er
tritt beinahe überall auf und nimmt hier und da nur eine besondere Gestalt und
Form an, die aber doch nur Variationen über ein und dasselbe Thema darstellt.
Eine üebersicht über dieses interessante Gebiet des Aberglaubens gab Bloss bereits
in seinem Buche: „Das Kind in Brauch und Sitte der Völker"; wir ver-
mögen aber an dieser Stelle nur flüchtig darauf einzugehen.
Mystische Anschauungen treten uns bisweilen schon bei der Abnabelung
entgegen, wenn wir sehen, dass dieselbe nur in einer ganz bestimmten Weise vor-
genommen werden darf, oder dass die Vertreter der Gottheit es sind, die Priester
oder^ die Priesterinnen, denen die Durchschneidung des Nabelstranges vorbehalten
geblieben ist. So berichtet Moerenhout aus Tahiti:
.Nachdem die Frau geboren und mit ihrem Kinde ein möglichst heisses Dampfbad ge-
nommen hat und darauf noch zur Abkühlung in ein kaltes Bad gegangen ist, begiebt sie sich
mit dem Neugeborenen in den Marae (Tempel), wo nach einem Opfer der Priester die
BBBB^BBBi^i^aaea
327. Die Abnabelang im Glauben der Völker. 219
Nabelschnur bis auf ein Stück von 10 Zoll Länge vom Kinde abschneidet, die dann im Marae
begraben wird."
Auch bei deuAlfuren auf Coleb es wird xiBch Diederich die Unterbindung
und Durchschneidung des Nabelsiranges von der Priesterin ausgeführt.
Es ist von dem Standpunkte der Völkerpsychologie aus von einem ganz
hervorragendem Interesse, dass wir bei manchen Volksstämmen besondere rituelle
Vorschriften nachzuweisen vermögen Über die Art der Instrumente, mit denen
allein die Durchschneidung des Nabelstranges und die Abtrennung des Neugeborenen
von den Nachgeburtstheilen vorgenommen werden muss. Entspricht das Material,
aus welchem diese schneidenden Werkzeuge gefertigt sind, nicht der Culturstufe,
welche wir im üebrigen bei dem betreflfenden Vol&stamme vorfinden, so werden
¥Fir wohl keinen Fehlgriff thnn, wenn wir hierin die Ueberlebsel aus primitiven
Urzuständen wiederzuerkennen versuchen.
Wir haben ja bereits gesehen, wie z. B. das aus einem Bambusrohre ge-
fertigte Messer in dem ganzen indischen Archipel für die Durchtrennung der
Nabelschnur eine ganz hervorragende Rolle spielte; und doch würden manche der
Volksstämme, bei welchen wir dieses Bambusmesser vorfinden, sehr wohl im Stande
sein, hierzu auch schneidende Werk-
zeuge aus Metall zu benutzen. Auch bei
dem kraushaarigen Zwergvolke der Ka-
nikar in den Wäldern des südlichen
Indiens fand Jagor^ Bambusmesser vor,
die zu dem genannten Zwecke dienten.
Die Nabelschuur wird bei diesen Leuten imihm ■
niemals mit einem anderen Instrumente ^gn^g^^^^^^^^^^^^^^^
als mit einem derartigen Rohrmesser ^ig. 8oe. Bamb^s-Messer der Kanikars
durchschnitten, und andererseits dürfen (^ach Photographie.)
diese letzteren niemals zu einem anderen
Zwecke verwendet werden. Dieselben sind nach den im königlichen Museum für
Völkerkrmde in Berlin befindlichen Exemplaren in Fig. 303 abgebildet worden.
Hier ist auch an daqenige zu erinnern, was oben von den wilden Stämmen aus
Malacca berichtet wurde. {Bartels'^,)
Sehr interessant in dieser Beziehung ist eine Angabe von Schomburgk über
die Macusis-Indianer in Britisch Guyana. Hier ist das Geschäft der Durch-
schneidung des Nabelstranges der Mutter oder der Schwester der Gebärenden vor-
behalten und zwar besteht ein Unterschied in den benutzten Instrumenten, je
nachdem das Neugeborene ein Knabe oder ein Mädchen ist. Ist es ein Knabe, so
wird zu der Durchschneidung der Nabelschnur ein scharfgeschnittenes Stück eines
Bambusrohres genommen; wenn aber ein Mädchen geboren ist, so muss die Nabel-
schnur mit einem Stück Pfeilrohr (Gynerium saccharoides) durchschnitten werden.
In beiden Fällen wird dann hinterher die Unterbindung mit ebem baumwollenen
Faden ausgeführt.
Soranus berichtet, dass zu seiner Zeit die Hebammen die Nabelschnur
mittelst eines scharfen Rohres,* einer Muschel, einer dünnen, harten Brodkruste
oder mit den Nägeln durchschnitten, und er setzt hinzu, dass sie die Anwendung
des Eisens zu diesem Zwecke für xmheilvoU hielten. Entweder war vielleicht hier-
bei eine abergläubische Reminiscenz aus der vormetallischen Zeit (Steinzeit), oder
auch die bewusste Vorsicht maassgebend, dass Blutungen aus der Nabelschnur
besser verhütet werden, wenn dieselbe durch stumpfere Werkzeuge gleichsam zer-
quetscht, als wenn sie durch einen scharfen Schnitt getrennt wird.
Nach den Angaben des Japaners MimcuBunjua bedient man sich auch in
seinem Vaterlande zur Durchschneidung der Nabelschnur nicht des Eisens, weil
ihm das Volk einen schädlichen Einfluss auf die Wimden zuschreibt. Man ge-
braucht dazu scharfe Geräthe aus Bambus, Domen vom Orangenbaum und Porzellw-
220 L^- ^^ Ethnographie der Nachgebortsiheile.
Scherben, bei Yomehinen aber Messer von Gold oder Silber; nur die Geburts-
helfer bedienen sich hierfür der gewöhnlichen Messer.
In der Hercegovina und bei den Bosniaken wird, wie Glück berichtet^
die Nabelschnur niemals mit einer Scheere durchschnitten, weil man fürchtet, dass
sonst das folgende Kind ein Mädchen sein würde. Um diesen Uebelstand zu ver-
meiden, bedient man sich eines Messers oder einer Sichel.
Bei den Neu-Seeländern hat das Abschneiden des Nabelstranges, wie
schon Shartland, Hooker u. A. bezeugen, eine tiefere Bedeutung. Auch Bastian
(Inselgruppen Oceaniens) hat Näheres darüber mitgetheilt: Fand nämlich dieser
Vorgang auf einem Steine statt, so war die Bedeutung, dass der künftige Mann
als Kämpfer ein Herz von Stein haben sollte; fand er auf einer Keule statt, so
bedeutete dies den Muth im Streite; bei dieser Geremonie hielt der Priester
den Nabelstrang in der Hand und sprach die Anrufung über denselben. Da*
gegen wurde in Samoa der Nabelstrang des Mädchens auf einem Zeugklopfer
abgeschnitten.
Bei der Durchschneidung der Nabelschnur halten die Armenier unter die-
selbe ein Stück Brod oder eine Münze, die Kurdinnen dagegen ein Stück ge-
trockneten Kuhmist. Das geschieht, damit das Kind während seines Lebens stets
vom Glück begleitet sei. {Organisjans.)
Wenn auf den Inseln Leti, Moa und Lakor der Nabelstrang des Kindes
durchschnitten wird, so muss der Ghrossvater oder die Grossmutter einen Namen
flüstern. Wenn dann die Nabelwunde nicht blutet, so wird dieser Name für das
Kind gewählt; tritt aber eine Blutung ein, dann muss ein anderer Name gesagt
werden. {Riedd^)
Bei den Sulanesen stellt nach Riedel die Hebamme unmittelbar vor der
Abnabelung an das Neugeborene die Frage: „Willst Du so heissen?^^ Dabei wird
je nach dem Geschlechte des Kindes ein männlicher oder ein weiblicher Name ge-
nannt. Giebt das Kind dann einen Ton von sich, so wird das als Zustinmiung
aufgefasst und das Kind behält dann diesen Namen. Wenn es sich aber ruhig
verhält, dann wird ein anderer Name ausgesucht.
Die Existenz von mystischen Anschauungen müssen wir auch wohl voraus-
setzen, wenn wir von folgender Methode hören, welche auf den Aaru-Inseln
zur Behandlung der Nabelschnurwunde gebräuchlich ist. Hier muss die junge
Mutter alle Tage einige Tropfen von ihrer Milch auf die Nabelschnurwunde
fallen lassen.
Bei den Agahr, einem Stanmie der Dinka-Neger, wird die Nabelschnur
der Neugeborenen mit sieben scharfen Strohhalmen durchschnitten und von dem
ausfliessenden Blute einige Tropfen auf die Zunge der Mutter gestrichen, damit,
falls später bei Streitigkeiten die Mutter böse Worte gegen ihr Kind schleudere,
diese am eigenen Blute sich brechen (der Vater dagegen mag die Kinder im Zorn
selbst verfluchen, seine Worte haben nach der Meinung dieses Volkes keine Kraft.
Emin Bey). Wenn wir hier die Nabelschnur in eine mystische Beziehung ge-
bracht finden zu Streitigkeiten zwischen Mutter und Kind, so stossen wir später
bei asiatischen Völkern ebenso wie in Europa auf eine Beziehung des Nabel-
schnurrestes zu Rechtsstreitigkeiten.
Auch gegen bestimmte Krankheiten schützt das Blut aus der Nabelschnur:
«quamobrem peritae obstetrices natis infantibus ex vena umbilici jangam resecta gpittas
ad minimum tres atatim per os infnndont, securiB postea et per omnem vitam suam ab in-
sultibuB epüeptids liberam judicaris." (Mylius,)
Das für die Unterbindung des Nabelstranges benutzte Material unterliegt
bisweilen ebenfalls bestimmten rituellen Vorschriften.
In Jerusalem unterbinden die Hebammen, wie Floss durch eine Mit-
theilung des preussischen Gonsuls Rosen erfuhr, die Nabelschnur erst, nachdem
die Nachgeburt zum Vorschein gekommen ist. Sie lassen eine Länge von drei
328. Der Näbelschnurrest im Volksglauben. 221
Finger breit als Nabelschnarrest am Kinde, wickeln das Ende in Baumwolle und
binden darum einen Faden. Dieser darf nicht ohne Baumwolle sein; man nimmt
zu diesem Behufe einen Baumwollen- und einen Zwirnsfaden zusammen und
wickelt beide um die Watte, welche die Nabelschnur umhüllt; dann wird diese
abgeschnitten und mit einem Lichte angebrannt, um einer Blutung aus dem Nabel-
strange vorzubeugen.
Bestimmte Zustande an der Nabelschnur haben ebenfalls ihre wichtige mystische
Bedeutung. So gilt die ümschlingung als ominös, wo die Nabelschnur wie
«ine Schlmge sich um den Hals, den Kumpf oder eine der Extremitäten des Kindes
gelegt hat. Ein mit der Nabelschnur umschlungenes neugeborenes Kind wird bei
den Igorroten (auf Luzon, Philippinen) sofort begraben, da der Olaube
herrscht, ein solches Wesen würde in späteren Jahren den Eltern nach dem Leben
trachten. (Meyer^.) Wir haben ja bereits in den Kapiteln, welche von der
Schwangerschaft handelten, allerlei Maassnahmen kennen gelernt, um die Leibes-
frucht vor dieser Gefahr zu bewahren.
Noch jetzt herrscht im Frankenwalde der Aberglaube, dass viele Knoten
in der Nabelschnur viele Kinder bedeuten, und dass man dieselbe nicht zu kurz,
sondern lang genug abschneiden müsse, damit die Weiber nicht stockig oder eng-
brüstig werden. (Flügel,)
Es wurde oben bereits erwähnt, dass die Bambusmesserchen, mit welchen
•die Kanikars im südlichen Indien die Nabelschnur des Kindes durchtrennen,
niemals zu irgend einem anderen Zwecke in Gebrauch genommen werden dürfen.
In der Landschaft Kroe auf Sumatra wird nach einem Berichte von Hdferich
•das betreffende Bambusmesser mit der Placenta zusammengepackt und mit ihr
gemeinsam beseitigt, wie wir später erzählen werden.
Wenn bei den Sulanesen die Hebamme die Nachgeburt begraben und die
Wöchnerin gebadet hat, dann giebt sie die Erklärung ab, wer der Vater des
Kindes ist. Dieser oder einer von seinen männlichen Blutsverwandten muss darauf
•das Bambusmesser, womit die Nabelschnur durchschnitten wurde, an einem Bambus-
speer befestigen, wie man ihn zum Spiessen der Haifische braucht. Diesen Spiess
steckt der Mann in einen Kalapa-Baum, einen Darian-Baum oder einen Sagu-Baum,
und durch diese Geremonie wird das Kind vor den Dorfgenossen von seinem Vater
■anerkannt. Der Baum bleibt Eigenthum des Kindes. (Biedel^^.)
328« Der Nabelschnarrest im Volksglauben.
Ein ganz besonders grosses Interesse knüpft sich an den sogenannten Nabel-
schnurrest, d. h. an dasjenige Stück der Nabelschnur, welches an dem kindlichen
Körper zurückgelassen wird, dort schnell einschrumpft und vertrocknet und um
•den fünften Tag herum von selber abzufallen pflegt Er wird dann in den meisten
Fällen in besonderer Weise verpackt und auf das Sorgfaltigste aufbewahrt. Er
ist ein wirksames Amulet im Kriege und auf Beisen; er erhält das Leben, schützt
vor Krankheiten und heilt solche, wenn er gepulvert als Medicin eingegeben
wird. Er sichert den günstigsten Erfolg in Rechtsstreitigkeiten und stärkt den
Verstand. Nur bei wenigen Völkern finden wir eine Gleichgültigkeit gegen diese
Reliquie aus dem Mutterleibe, die sie einfach fortwerfen. Auf Leti, Moa und
Lakor wird, wie wir früher bereits angaben, nur für die Knaben der Näbelschnur-
rest verwahrt, derjenige der Mädchen aber fortgeworfen.
Von den Sulanesen berichtet Biedd^^:
.Den später abgefallenen Nabelstrang bewahrt man in einem Eober, um von dem
Knaben, wenn er herangewachsen ist, am Bauch oder am Halse getragen zu werden; der der
Mädchen wird sofort begraben.*'
Auf Serua begraben sie ihn am Feuerplatze des Hauses. Absichtlich ver-
222 ^n* ^i® Ethnographie der NachgeburUtheile.
nichtet wird er bei den Bafiote-Negerinnen der Loango -Küste; sie werfen
ihn in das Feuer, am ihn zu verbrennen, denn „wenn die Batten ihn fressen, so
wird das Kind ein ganz schlechter Mensch*'. (Pec^ael-Loesche.)
In Liberia pflegt man nach BiUtikofer häufig den abgetrockneten Nabel-
schnurrest in einem Leinwandläppchen als Talisman um den Hals zu hängen.
Auch bei den Letten wird nach ABcsnis der Nabelschnurrest sorgfaltig
bewahrt, und geht er verloren, so hat das für das Kind eine unglückliche Vor-
bedeutung.
Dagegen berichtet Scheute:
,Die vertrockneten und abgefallenen Nabelschnurstücke ihrer Kinder trägt bei den
Ainos die Mutter zeitlebens in einem Säckchen auf der Brust und nimmt sie mit sich in
das Grab.*
Landes schreibt von den Annamiten:
nQuand le cordon ombilical tombe, on le conserve avec soin. II sert ä composer un
rem^de contre la fievre qui atteindrait Tenfant dans ses premieres annöes.**
In Japan wird der Nabelstrang von dem Mutterkuchen getrennt, dann in
mehrere Schichten weissen Papiers und endlich in einen Bogen Papier gewickelt,
welcher die vollen Namen der Eltern enthält. In dieser Verpackung wird er zu
den Archiven der Familie gelegt. Stirbt ein Kind, so wird er mit demselben
beerdigt; erreicht es das Alter Erwachsener, so trägt es ihn beständig bei sich
und wird schliesslich zugleich mit ihm begraben. (Engelmann,) Wir können auf
diese doch immerhin mehr das Kind als das Weib betreffenden Verhältnisse an
dieser Stelle nicht weiter eingehen.
Einer Absonderlichkeit müssen wir aber gedenken, wie sie sich bei den
Bugis und den Makassaren auf dem südlichen Celebes findet. Hier wird
unter gewissen Umständen ein künstlicher Nabelstrang hergestellt. Er hal die
Länge von ^/4 Meter, die Dicke eines starken Daumens und ist aus einer blauen,
einer rothen und einer weissen Schnur nach Art eines Zopfes zusammengeflochten.
Er hängt aus der Mitte eines kleinen rothen Baldachins herab, der mit Gold-
flittem behängt ist. Ein derartiges Exemplar besitzt das Museum für Völker-
kunde in Berlin.
Unter diesem Baldachine nehmen in Makassar die Leute Platz, welche
unter den Einfluss der Geister zu gelangen wünschen. Das ist der Weg, wie sie
zu Bis SU d. h. zu Zauberpriestern oder Zauberpriesterinnen werden können.
Dieser Nabelstrang spielt dann später bei den Festen der Zauberpriester eine
grosse Rolle; er ist das Sinnbild des Lebensanfangs, der Repräsentant eines be-
ginnenden Lebens. Bei den Bissu der Bugi wird er an dem Bette aufgehängt
an einem besonderen Platze, welcher als „die Schlafkammer der Geister"
bezeichnet wird.
329. Die Nachgeburt im Volksglaaben.
Wir sind durch dasjenige, was wir in früheren Abschnitten gesehen haben,
bereits weit genug in die Anschauungen und Empfindungen niederer Bevölkerungs-
schichten eingedrungen, um mit Bestinuntheit erwarten zu können, dass sich auch
an die aus der Gebärmutter zu Tage getretene und von dem kindlichen Körper
bereits abgetrennte Nachgeburt eine Reihe von verschiedenartigen imd uns wunder-
bar und absonderlich erscheinenden Gebräuchen knüpfen werden. Und dass auch
die Verzögerungen in dem Austritte der Nachgeburt bei manchen Völkern den
Einflüssen böser Geister und Dämonen zugeschrieben werden, das wird uns nicht
gerade Wunder nehmen.
So berichtet Detnic von den Kirgisen, dass, wenn die Nachgeburt zu lange
auf sich warten lässt, sie sich bemühen, den bösen Geist, der sie an dem Hervor-
treten hindert, zu vertreiben. Zu diesem Zwecke bringen sie in die Kibitka ein
329. Die Nachgeburt im Volksglauben. 223
Pferd mit lichten Augen, dessen Maul man gegen die Brust der Mutter neigt,
oder sie bringen einen Uhu herein und nöthigen ihn, zu schreien, in der Meinung,
dass das Oeschrei dieses Vogels die bösen Geister verscheuche, oder sie bedecken
den nackten Leib der Kranken mit einem stacheligen Strauche (Tschingil), um
die bösen Geister mittelst Stichen auszutreiben. Wenn diese Verfahren nicht
nützen, holt man den Baksa (Zauberer); dieser wirft sich wüthend auf die Kranke
und schlägt sie mit einem Stocke, um die bösen Geister aus ihr zu verjagen. Nur
in den äussersten Fallen entfernen sie die Nachgeburt mit der Hand.
Von den Kreissenden bei den Xosa-Kaffern sagt Kropf:
.Wehe aber der armen Frau, wenn die Nachgeburt nicht gleich mit dem Kinde zum
Vorschein k&me — , sie würde sogleich als behext angesehen, ohne Hülfe -gelassen werden und
elendiglich umkommen.'
Auch zu besonderen Zauber- und Heilzwecken verwendet man die Nach-
geburt. Wir werden bei den Javanerinnen ihre Befähigung kennen lernen,
innerlich genossen Fruchtbarkeit zu bewirken. Im russischen Gouvernement
Orenburg wird sie ebenfalls besonders geehrt. Sie wird vorsichtig in die Erde
vergraben. Wenn man sie ausgräbt und die Nabelschnur nach unten kehrt, so
wird die Wöchnerin keine Kinder mehr bekommen. Wenn man später die Nach-
geburt wieder umwendet, so kann man die Zauberei wieder unwirksam machen.
Die Hebamme dreht wohl auch die Nachgeburt um, wenn die Eltern ein Kind
anderen Geschlechts sich wünschen.
Nach Most gilt seit uralten Zeiten in Steyermark das Blut des frischen
Mutterkuchens und Nabelstranges als Mittel gegen Mutter- und Feuermale, und
das Pulver einer gedörrten oder zerstossenen Nachgeburt soll als Arznei bei
Epilepsie, Fraisen und Veitstanz wirksam sein. Vor mehr als hundert Jahren
wurde die getrocknete Nachgeburt einer Erstgeburt in den Apotheken dispensirt.
Hennig erzählt:
.Hier in Sachsen hat noch vor wenigen Jahren im Stillen eine Person unter dem
Schaffotte eines Verbrechers eine Nachgeburt frisch verzehrt, um sich von der Fallsucht zu
heilen.' (Engehnann.)
Im Obolensker Gouv. glaubt das Volk, dass dem Neugeborenen gewisse
Krankheiten angeboren seien, welche man mit dem Sammelnamen rodimec (Fraisen)
bezeichnet; um sie von den Fraisen zu befreien, legt man den Neugeborenen die
Nachgeburt auf den Kopf und wäscht sie mit dem Urin der Mutter. (Demic.)
Auch eine gewisse Vorbedeutung legt man der Placenta bei. Z. B. glaubt
man in manchen Gegenden Deutschlands, dass wenn die Nachgeburt gross ist,
die Wöchnerin sehr reichlich MUch haben werde, während eine kleine Placenta
einen Mangel an Milch vorhersage.
Wie wunderbar und geheimnissvoll vielen Volksstämmen die Nachgeburt
erscheint, das vermögen wir auch aus der Art und Weise zu ersehen, wie sie
dieselbe zu beseitigen pflegen.
Allerdings fehlt es auch nicht an solchen Nationen, welche, gewiss nicht in
Folge höherer Aufklärung, sondern einfach aus Indolenz, die Nachgeburt ohne
Weiteres fortwerfen. Doch wenn, wie Engdmann berichtet, einige nordameri'
kanische Indianerstämme, wie die Gomanchen, die Nachgeburt im Geheimen
bei Seite bringen, so liegt hierin sicherlich schon der Keim zu mystischen Be-
ziehungen verborgen.
So muss bei den Bombe, einem Niam-Niam-Volke, der Priester die
Placenta auffangen und sie heimlich fortschaffen. {Biichta.)
Wir werden in den folgenden Abschnitten kennen lernen, was ftir Gebräuche
in Bezug auf die Beseitigung der Nachgeburtstheile bei den verschiedenen Volks-
stänmien herrschen.
224 L^ ^^^ Etiinographie der Nachgeburtstheile.
^ 330. Das Begraben der Nachgeburt.
Unier den Methoden, die Nachgeburt aus dem Wege zu schaffen, erfreut
sich entschieden das Begraben derselben der weitesten Verbreitung auf unserem
Erdkreise, und aus mancherlei dabei in Anwendung gezogenen Maassnahmen können
wir ersehen, dass es sich nicht um eine einfiiche Beseitigung handelt, sondern
dass sich ganz bestimmte mystische Begriffe damit verbinden. Das treffen wir
schon bei den Annamiten in Gochinchina an. Hier hüllt nach Beendigung
der Entbindung die Hebamme die Nachgeburt und die Blutcoagula in die ab-
geschnittenen Fetzen der Bekleidung der Wöchnerin und die bei der Entbindung
beschmutzte Watte ein und legt alles zusanmien auf ein wenig Sand in die Nahe
eines am Fusse des Bettes stehenden Ofens. Am Abend oder in der Nacht holt
sie dieses Packet und vergräbt dasselbe an einem Orte, der bei Gefahr böser
Zufalle für die Wöchnerin nur der Hebamme bekannt sein darf. (Mondiere.)
Auch bei den Negern der Loango -Küste wird die Stelle, wo die Mutter
oder eine der Angehörigen die Nachgeburt begräbt, geheim gehalten. Allerdings
glaubt PechueJrLoesche^ dass diese Geheimhaltung nur durch das Anstandsgefühl
bedingt wird.
Auf den Tanembar- imd Timorlao-Inseln wird die Placenta in ein
Körbchen gepackt und in ein Loch unter dem Hause gelegt, das mit einem Steine
zugedeckt wird. Zuvor aber opfert man Sirih-pinang. Hier herrschen aber auch
noch andere Gebräuche, welche wir bald kennen lernen werden.
Die Watubela-Insulanerinnen legen die Placenta in einen irdenen Topf,
wo sie mit Küchenasche und mit der Schaale derjenigen Kalapanuss vermengt
wird, deren Inhalt zum Bestreichen des neugeborenen Kindes benutzt wurde.
Dieser Topf wird mit Baumrinde oder mit Kattun verschlossen und unter einen
grossen Ficusbaum, oder unter einen Kaiapa- oder Manggabaum gestellt.
Auf Ambon und den TT liase- Inseln reinigt man die Placenta sorgfaltig,
wickelt sie in weisse Leinwand oder Baumrinde und thut sie in einen irdenen
Topf oder in eine Kaiapahülse mit drei Löchern. Dann wird sie begraben und
auf diesen Fleck stellt man sieben Damar-Fackeln, welche sieben Nächte hinter
einander angezündet werden, während Derjenige, welcher das Anzünden besorgt,
Blumen über diese Stelle streut.
Die Eingeborenen der Sula- Inseln legen die Nachgeburt, nachdem sie. mit
Asche und Pisangblüthen in ein Pisangblatt gewickelt worden ist, in eine Kalapa-
nuss, welche dann mit einem Gomutu-Tau festgebunden wird. Eine der Geburts-
helferinnen trägt sie dann mit bedecktem Kopfe hinaus und begräbt sie dicht bei
der Wohnung. Unterwegs darf sie kein Wort sprechen und Niemandem Rede
stehen, sonst wird das Kmd heulerich. Auf der Stelle, wo die Placenta begraben
ist, pflanzt man eiaen Gaga-Baum und zündet dort vier Nächte hinter einander
Damar-Fackeln an.
Auch die Tanembar- und Timorlao-Insulaner begraben die Placenta und
zwar in einem Körbchen unter einem Sagu- oder Kalapabaam, welcher dadurch
das Eigenthum des Kindes wird. Ebenso begräbt man auf Serang die Nach-
geburt unter einem Baume. (Riedel^,)
Auf Djailolo und Halamahera begräbt die Frau, welche der Gebärenden
geholfen hat, die Nachgeburt, welche mit dem Kinde gebadet wurde, irgendwo;
die Mohamedaner pflanzen einen Kaiapabaum darauf. (Riedel,) In anderen Theilen
von Niederländisch- Indien wird die Nachgeburt mit allerlei Zuthaten, wie
Tamarinden, Essig u. s. w. begraben.
Auf Bali wird nach Jacobs die Nachgeburt unmittelbar vor dem Hause
begraben. Man packt sie dazu in eine Klappernuss, deren Mark herausgenommen
ist. Auf der Stelle, wo sie begraben ist, wird vierzig Tage lang eine Palita ge*
brannt und Speisen, Sirih und Wasser werden daselbst niedergesetzt.
880. Das Begraben der Nachgeburt. 225
Bei den Laoten in Siam besteht die Sitte, die Nachgeburt stets am Fusse
der zur Hausthür führenden Treppe zu vergraben.
Bei den Marolong in Süd- Afrika wählt man hierzu den Boden der Hütte
und bestreicht ihn dann dick mit Schafdünger. (Joest)
Die Masai begraben die Nachgeburt unter der Lagerstätte der Mutter.
(HOdehrandfi.)
Bei den Kalmücken wird nach Klemm die Nachgeburt in der Kibitke
tief in der Erde yergraben. Auch in Klein-Russland vergräbt man die Nach-
geburt imter dem Fussboden in der Hütte, wo man schläft, und bestreut sie mit
Gerste. (Sumzow.) Ebenso wird sie in Orenburg begraben. Wir kommen
darauf später noch zurück.
Aus anderen Theilen Busslands berichtet Demic:
Die Nachgebart wird sorgf<ig verborgen, in ein eigenes Gef&ss gelegt, mit Erde be-
streut und vergraben, sonst würde das Kind eine schwere Krankheit, zumeist einen Eiterungs-
prooess erleiden. .Idi selbst beobachtete im Eijewer Gouv. im Kreise Radomysel, wie
einmal eine Hebamme nach der Entbindung die Nachgeburt in den Hofraum trug, beim Zaune
eine Grube grub und etwas murmelnd selbe verscharrte. Ich vernahm niu: die Worte: Geh*
zu Grande, geh' zu Grunde! Auf meine Frage erkl&rte mir die Hebamme, dass sie ,ihn'
vertreibe; offenbar den bösen Greist."
Von den Letten sagt Alksnis:
«Nicht selten wird die Placenta im Stall im Dünger begraben, manchmal aber auch
in der Gartenerde, damit sie weder vom Vieh, z. B. von den Schweinen, noch von Menschen
berflhrt und entehrt werde.*
Aehulich berichtet Kreutewald von den Ehsten:
.Die Nachgeburt wird fast überall im Sohafstall unter dem Dünger vergraben, wodurch
die Schafe besser gedeihen und bei der Schur woUreicher werden sollen. Aus demselben
Grunde wird das bei der Geburt aufgefangene Fruchtwasser und etwaige Blut in den Vieh-
stall getragen und dort ausgegossen, wodurch namentlich der Milchertrag bei den Kühen ver-
mehrt werden soU.*
Auch in Bosnien und der Hercegovina wird die Nachgeburt in vielen
Fallen bqpraben. Das muss nach Glück aber so geschehen, dass kein Thier und
namentlich kein Hund oder keine Katze sie berühren kann, weil dies der Mutter
oder dem Kinde Unglück bringen würde.
In Steyermark wird nach Most die Nachgeburt im Keller des Hauses
bqpraben.
Auch in Zwiefalten in Schwaben sagt man: Die Nachgeburt solle man
nicht im Freien, sondern unter Dach im Hause oder Stall begraben. (Birlinger.)
In Oldenburg wird das Begraben der Nachgeburt heimlich vorgenommen
und besondere Sprüche werden dabei gesagt.
Einige Volker machen bei diesem Begräbniss der Nachgeburt sogar einen
geschlechtlichen Unterschied; sie verfahren anders je nachdem das Neugeborene
ein Knabe oder ein Mädchen war.
Die Nachgeburt wird in Japan in einem Oefasse von vorgeschriebener Ge-
stalt aus der Stube gebracht; gehörte sie einem Knaben an, so legte man eine
Stange indischer Tusche und einen Schreibpinsel hinzu, was bei einem Mädchen
wegfallt. In jedem Falle bringt man den Mutterkuchen tief in die Erde, so dass
die Hunde ihn nicht ausscharren können. (Engdmann,)
In Unyoro (Central-Afrika) wird die Placenta eines männlichen Kindes
an der inneren linken Seite der Thür im Inneren der Hütte vergraben. Die Pla-
centa lebender Zwillinge wird in dem Hofe vier Tage lang aufbewahrt und dann
in Procession beseitigt. (Emin Bey.) In Uganda bei den Madi- und Kidj-
Negern begrabt man die Placenta aussen vor der Hütte, auf der einen Seite die
der Knaben, auf der anderen die der Mädchen. (Fdkin.)
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Anfl. II. 15
226 Ln* ^® Ethnographie der Nachgeburtstheile.
881. Anderweitige Beseitigung und Beisetzung der Nachgeburt.
Bei manchen Volkerschaften treffen wir auf die merkwürdige Sitte, dass die
Nachgeburt unschädlich gemacht und vernichtet werden muss. So wird sie bei
den Indianern am Copperflnss im nordwestlichen Amerika sofort nach der
Entbindung öffentlich verbrannt. (Jacöbsen,)
In Norwegen wird die Nachgeburt von der Neuentbundenen selbst mit
einem Messer durchstochen und dann von der Hebamme verbrannt. Geschieht
dies nicht, so entsteht daraus der Unhold Uthor^ der sich klein und gross, auch
sichtbar und unsichtbar machen kann, der greulich schreit und besonders seiner
Mutter nachstellt, um ihr das Leben zu nehmen. (Liehrecht)
Auch beiden Zelt-Zigeunern Siebenbürgens muss die Nachgeburt und
auch das Eindspech verbrannt werden, damit dieselben nicht von bösen ürmen
(Feen) weggenommen werden können, die dann daraus Vampjre erzeugen, welche
das Kind quälen und foltern, {v. Wlislocki)
Dass die brasilianischen Indianerinnen die Nachgeburt aufessen, be-
richtete bereits der alte Piso^ wie wir oben sahen. Auch Engdmann erzählt:
„Die Eingeborenen Brasiliens verzehren womöglich im Geheimen das Organ, welches
eben in einsamer Geburt zur Welt kam. Werden sie beobachtet, so verbrennen oder be-
statten sie es.*'
Auch in Thüringen verbrennt man die Nachgeburt im Ofen, und im
Frankenwalde, besonders im oberen Walde, wird die Nachgeburt sehr häufig
verkohlt, indem man sie in einem alten Topfe wochenlang am Feuer stehen lässt,
bis die im Bauche glänzend schwarze Kohle alhnählich verschwindet. {Flügd.)
Auf Java verbinden die eingeborenen Frauen mit der Nachgeburt einen
sonderbaren Aberglauben; sobald eine Frau niedergekommen und die Nachgeburt
von ihr gegangen ist, setzen sich die herbeigekommenen Weiber in der Hütte in
einen Kreis zusammen und loosen, welche von ihnen das Glück hat, die Nach-
geburt zu erhalten; diejenige, welche das Loos trifft, kocht und isst dieselbe, denn
hierdurch erhält sie die nächste Anwartschaft, ein Kind zu bekommen, v. Eck-
stedty der dieses dem verstorbenen Phss mittheilte, behauptet, dieses selber mit
angesehen zu haben.
MofUano berichtet von den Eingeborenen der Philippinen:
,D^ qne Taccouchement est terminö, la m^re coort se plonger dans un ruisseau voisin
avec Tenfant, pratiqoe constante qui contribue poor one large part ä la disparition de la
race. En sortant de ce bain, la märe brüle le placenta, en recueille les cendres et les avale
en les d^layant dans un peu d'eau, afin d'assurer une bonne sante k son enfant."
Seht weit verbreitet finden wir den Gebrauch, die Nachgeburt vor ihrer
Beseitigung in besonders sorgfaltiger Weise zu umhüllen und zu verpacken, und
gar nicht selten ist ihre Fortschaffung mit grossen Feierlichkeiten verbunden.
Sie wird dann entweder im Hause an einem hervorragenden Platze verwahrt, oder
an einer besonders wichtigen Stelle innerhalb des Hauses vergraben, wie ich
Letzteres schon besprochen habe.
Die Aar u- Insulanerinnen verpacken die Nachgeburt in der BlüthenhüUe
des Pinang und verwahren sie dann irgendwo oben im Hause.
Nachdem auf den Seranglao- und Gorong-Inseln die Placenta gewaschen
worden ist, werden einige Nachbarskinder in das Haus gerufen und mit einer
Kalapanuss mit trockenem Sagu bewirthet. Dieser festliche Act heisst tarlotu.
Nach der Mahlzeit holt der Vater des Neugeborenen etwas Erde von einer be-
sonderen Stelle, und diese thut die Frau, welche bei der Niederkunft half, zu-
sammen mit der Nachgeburt in einen irdenen Topf und legt auch die Schale der
soeben leer gegessenen Kalapanuss dazu. Diesen Topf stellt sie neben den Koch-
platz; dort bleibt er 40 Tage stehen und wird dann irgendwo aufgehoben. {Biedd\)
In Steyermark wird, wie gesagt, die Placenta begraben, oder auch unter
dem Dachboden in einem Oefasse der Trocknung ausgesetzt.
381. Anderweitige Beseitigung und Beisetzung der Nachgeburt. 227
Alksnis sagt von den Letten:
«Auch die Placenta muss an bestimmten Orten aufbewahrt werden, soll das Kind ge-
deihen. Sie wird in einem Körbchen irgendwo aufgehängt, z. B. im Stall. Es kommt vor,
dass die Wöchnerinnen, sobald sie aufstehen können, die Placenta sehen wollen; dann wimmelt
sie aber meistens schon von Würmern.'
Die Nachgeburt wird auch begraben, wie wir oben schon berichteten.
Von den Wakamba-Geburtshelferinnen in Ost-Afrika wird die Nachgeburt
in ein Bündel Gras gepackt und in den Wald getragen.
In Mecklenburg schüttet man sie an die Wurzel eines jungen Baumes,
und in Pommern muss man sie nach Jahn an die Wurzel eines Obstbaumes
graben, dann wächst das Neugeborene so rasch und kräftig, wie der Baum.
Diese eigenthümliche Beziehung zwischen der Nachgeburt und den Bäumen
finden wir bei manchen anderen Völkern in der Weise ausgesprochen, dass sie
die Placenta nicht unter, sondern auf bestimmten Bäumen beisetzen. Auf Buru
wird sie vorher in Leinewand gewickelt und auf Serang mit Eüchenasche ver-
mischt, auf Eetar aber ungereinigt in ein Körbchen geUian und auf allen drei
Inseln von einer der helfenden Frauen auf die Zacken eines der höchsten benach-
barten Bäume gelegt. Bei den Keei-Insulanerinnen wird die Nachgeburt eben-
falls mit Asche vermischt und dann in einen Topf gepackt, den man auf dem
Baume deponirt, und zwar muss dieses ein Wawu-Baum sein (Ficus altimeraloo
Bxb.). Auf Leti, Moa und Lakor muss sich der für diesen Zweck ausgewählte
Baum ausserhalb der Dorfinauem befinden; die Nachgeburt wird dazu in einen
Korb gelegt. Bei den Serua-Insulanem besorgt dieses Aufhängen ein Mann.
Nach der Geburt wird auf dem Sawu- oder Haawu-Archipel (Niederl. Indien)
die Placenta in einem Körbchen oder in einem irdenen Topfe verwahrt und vom
Ehemanne oder Vater an einem Baume aufgehängt. {Biedel,) Auf Keisar darf
dieser nur ein hoher Baum auf der Westseite des Hauses sein. Die Nachgeburt
wäscht man vorher und packt sie mit AsQhe vermischt in ein Körbchen. Die
Tanembar- und Timoriao- Insulaner, von denen wir bereits einige andere Ge-
bräuche kennen gelernt haben, stecken die Placenta bisweilen auch einfach in ein
Gebüsch. Besondere Vorschriften gelten dagegen auf den Luang- und Sermata-
Inseln. Hier darf die Placenta, welche in heisse Leinewand gepackt wird, nicht
eher in den Zweigen des höchsten Baumes befestigt werden, als bis der Nabel-
schnurrest abgefallen ist. Bis zu diesem Zeitpunkte muss sie im Hause aufge-
hoben werden.
Beachtenswerth ist der Gebrauch im Ba bar- Archipel. Die Nachgeburt
wird, wie wir das ja auch bereits anderwärts trafen, mit Küchenasche vermischt
in ein Körbchen gethan. Dann müssen dieses aber sieben Frauen, jede mit einem
Parang bewaffnet, in einem Citrus hystrix-Baum aufhängen. Diese Frauen sind
bewaffnet, um die bösen Geister einzuschüchtern, damit sie nicht an die Placenta
kommen und dadurch das Kind krank machen. Hierbei müssen auf Dawaloor
die Frauen, wenn das Neugeborene ein Knabe ist, einen Sehamgürtel auf der
Schulter tragen.
Wir haben noch solche Falle zu erwähnen, in denen die Placenta den
Wellen übergeben wird.
Sobald bei den Bongo-Negern die Geburt beendet ist, baden Mutter und
Kind; ein Freundestrupp begleitet sie singend und schreiend in das Wasser; die
Placenta wird dabei von einer an der Spitze des Zuges tanzenden Frau getragen
und so weit als möglich in den Fluss geworfen. {Felkin.)
In Ghartum (Sudan) wird die Nachgeburt mit dem Gefass, in das sie
vorher gelegt wird, in den Nil geworfen und jeder Vorübergehende muss ihr
einen Stein nachwerfen.
Auch in verschiedenen Theilen von Niederländisch-Indien ist es ge-
bräuchlich, die Nachgeburt in die See zu werfen. Auf Ambon und den üliase-
15*
228 ^^ ^^® Ethnographie der Nachgeburtstheile.
Inseln darf die Frau, welche hiermit beauftragt ist, weder rechts noch links sehe
und um ihren Zweck richtig zu erreichen, muss sie rechts hin (^ehen und da
mit Niemandem reden. Dass es als ein Beweis der ehelichen untreue von Seite
der Frau angesehen wird, wenn die Nachgeburt auf dem Wasser treibt, das wun
bereits früher angegeben. Wenn auf den Aaru-Inseln die Geremonie der Namez
gebung vorüber ist, nimmt diejenige Frau, welche vier Tage lang das Kind rei
pflegt hat, die Placenta, setzt sich in ein Boot und senkt dieselbe, nachdem b
weit vom Lande gerudert ist, in das Meer, g^^n Belohnung eines Masikbecken^
einiger Teller und kupferner Armbänder. {Riedd\)
Nach van der Burg legt man in Niederländisch-Indien die Nachgeburt
auf ein kleines Bambusfloss, welches mit Blumen und Früchten gescliniückb ud
mit Kerzen erleuchtet, den Fluss hinabtreibt, ein Opfer für die Kaimans, welche
die Seelen der Vorfahren in sich beherbergen.
Helfrich erzahlt, dass in der Landschaft Kroe auf Sumatra die Nachgei^nzt
gemeinsam mit dem Messerchen, womit die Nabelschnur durchschnitten wurde,
in eine kleine Binsenmatte gewickelt und dann in den Fluss geworfen wird. Diese
Matte muss die Frau bereits während ihrer Schwangerschaft flechten.
Die Bosniaken haben ebenfalls den Gebrauch, die Nachgeburt in em
fliessendes Wasser zu werfen; aber sie begraben sie wohl auch, wie ich oben
berichtete.
In fliessendes Wasser wird nach Schleicher auch in Thüringen, in der
Gegend von Jena, die Nachgeburt geworfen.
. Die Eihäute im Yolksglanben.
Wenn wir die Eihäute auch als einen eigentlich dem Kinde und weniger
dem Weibe zugehörigen Theil betrachten und auf die ausführliche Besprechung
verweisen müssen, welche dieser Gegenstand in der dem Kinde gewidmeten Ah-
handlung des verstorbenen Ploss gefunden hat, so wollen wir andererseits doch
auch nicht hier mit absolutem Stillschweigen über diese Angelegenheit luo-
weggehen.
Das Kind befindet sich während seiner Entwickelang im Mutterleibe nicht frei in am
Hohbraum der Gebärmutter, sondern es wird von feinen, durchsichtigen Häuten, den Ei-
häuten, umschlossen, innerhalb derer es in einer wässrigen Flüssigkeit, dem Fruchtwasser,
schwimmend wie in einer Blase liegt. (Fig. 242.) Bei der Gebart wird für gewöhnlich dieeß
blasige Umhüllung mit ihrem untersten £nde in erster Linie aus der Gebärmutter heraus-
gedrängt, wobei sie zu platzen pflegt. Dabei fliesst dann das Fruchtwasser ab und das Kiod
gleitet allmählich aus den Eihäuten heraus, die dann erst später gemeinsam mit der Placenta
geboren werden.
Bisweilen aber ereignet es sich, dass die Eihäute nicht platzen oder doch an dem
Kinde hängen bleiben und dass das letztere noch von den Eihäuten verhüllt geboren wird'
Man sagt dann, es sei mit der Glückshaube, mit der Westerhaube oder dem Wester-
hemdlein geboren. Im Modenesischen nennt man das la camisa ä la Madäma, d.b.
camicia della Madonna, das Muttergotteshemdlein. Dieser Zustand galt und gilt im Volke
auch noch, fast in ganz Europa, als ein glückverheissendes Zeichen für das Neugeborene.
Die Glückshaube wird sorgfältig aufbewahrt, in vielen Gegenden sogar als Amulet dauernd
am Halse getragen, und sie muss jedenfalls dem Täufling beigelegt werden , damit sie heuzi-
lieh mitgetauft wird. Sie bringt allerhand Glück und schützt vor allerlei Unglück, und zwar
naturgemäss in erster Linie Denjenigen, der in ihr geboren wurde. Aber ihre wirksame Kraft
überträgt sich auch auf Andere, weshalb sie nicht selten von den Hebammen gestohlen und
ihren eigenen Kindern gegeben wurde. Auch ein grosser Handel wurde damit getriebeni
namentlich in England, wo sie sog^r durch öffentliche Anfragen in der Times zu Y&af^^
gesucht wird. Im Jahre 1779 zahlte man in England für solchen ,Caul* 20 Guineer,
während im Jahre 1848 der Preis bis auf 6 Guineen gesunken war. Sehr eigenthümlich i>;
die Beziehung, welche diese Glückshaube zu den Juristen hat. Man schrieb ihr schon ^'^
382. Die Eih&ate im Volksglauben. 229
den alten Römern die Kraft zu, den Advocaten glückliche Beredtsamkeit zu verschaffen,
und in gleichem Ansehen stand sie im 17. Jahrhundert in Dänemark und steht sie heute
noch in England.
Auch in der Provinz Bari muss man die Glückshaube sorgfältig trocknen und in einem
Beutel verwahren. Dann kann sie das Kind, dessen Vater oder dessen Mutter oder auch
andere Verwandte tragen; stets wird ihnen dieses Glück bringen. (Karuaio.)
In der alfurischen See, auf den Luang- und Sermata-Inseln, legt man der Glücks-
haube keinerlei Bedeutung bei. Die in ihr geborenen Kinder gemessen keinerlei Vorzug vor
den gewöhnlichen Kindern, und die Glückshaube wird mit der Nachgeburt zusammen in weisse
Leinewand verpackt and, wenn der Nabelschnunest abgefollen ist, mit diesem in den Zacken
des höchsten Baumes beigesetzt.
Dagegen werden bei den Sulanesen Bänder, die mit dem «Helm* geboren wurden,
als glücklich angesehen; die Eihäute werden getrocknet und aufbewahrt und gelten als ein
wichtiges Schutzmittel im Kriege. (Eiedel^^.)
Bei den Topantunuasu in Gelebes nennt man die Glückshaube ebenfalls den Helm.
Auch hier wird sie vom Vater sorgfältig getrocknet; auch hier dient sie als ein schützendes
Amulet im Kriege; und solche Bänder sind den Eltern sehr erwünscht. (B%edel^\)
Fisehart nennt die Haube das „Kinderpelglin*; bei den Isländern aberführt sieden
Namen Fylgia, und sie glauben, in ihr habe der Schutzgeist oder ein Theil der Seele des
Kindes seinen Sitz; die Hebammen hüten sich, sie zu schädigen, und graben sie unter die
Schwelle ein, über welche die Mutter gehen muss. Wer diese Haut sorglos wegwirft oder
verbrennt, entzieht dem Kinde seinen Schutzgeist. Ein solcher Schutzgeist heisst Fylgia (weil
er dem Menschen folgt), zuweilen auch Forynja (der ihm vorausgeht), f/. Grimm.)
Bei den Serben heisst die Glückshaube .Koschillitza", Hemdlein, und ein mit ihr ge-
borenes Kind nennen sie .Vidovit*. Nach Kraust nennen die S erben das , Glückshemdehen"
sretna kosuljica. Ein Mädchen bei den Süd-Slaven, das mit solchem Hemdchen zur
Welt gekommen und es getrocknet als Amulet mit sich trägt, braucht damit einen Burschen,
der ihr gefäUt, auch nur zu berühren und zwar auf einer blossen Stelle des Körpers, so wird
der Bursche wie wahnsinnig sich in das Mädchen verlieben. (Krausi^.)
Von den Bosniaken berichtet Qlück folgende absonderliche Gewohnheit: .Wird ein
Knabe in der Haube geboren, so schneidet man die Haut desselben unter der Achsel auf und
legt die Haube darauf, damit sie anwächst." Das Kind ist dann sicher vor Verzauberung und
ist kugelfest.
In Polen sagt man, nach demselben Gewährsmann, von einem Menschen, dem Alles
gelingt: ,er ist in der Haube geboren.*
Höchst eigenthümlich und, wie es den Anschein hat, ziemlich vereinzelt
dastehend ist ein Aberglaube, welchen Ulrich Jahn ans Pommern berichtet*
Wenn hier ein Kind mit der Glückskappe geboren wird, so muss dieselbe zu
Pulver verbrannt imd dem Säugling mit der Milch eingegeben werden; sonst
wird er ein Nachzehrer oder Neuntödter.
Lm. Die fehlerhafte Geburt.
. Die Anffassuiig der Gebnrtsstorungen bei den Nataryolkern.
Alle Störungen des normalen Geburtsyerlaufs pflegt man als fehlerhafte
Geburten, als Schwergeburten, oder als Dystokien zu bezeichnen. Wenn
nun auch, wie es den Anschein hat, bei den Naturvölkern die Entbindungen im
Allgemeinen leicht verlaufen, so kommen doch immerhin auch bei ihnen bisweilen
Gebnrtsstorungen vor, und schon aus der eigenthümlichen Diätetik, welche bei
verschiedenen Yolkem den Schwangeren und Gebärenden vorgeschrieben wird, lässt
sich schliessen, welche Ansichten bei ihnen über die Ursachen einer schwierigen
und gestörten Entbindung herrschen. Denn die von ihnen angeordneten Vorsichts-
maassregeln deuten darauf hin, dass sie ganz bestinmite Störungen f&rchten und
zu vermeiden suchen. Ein genaues Bild ihrer Vorstellungen über das Zustande-
konunen der Geburtshindemisse lässt sich freilich noch nicht entwerfen. Auch
muss man annehmen, dass den rohen Völkern bei ihrer unvollkommenen Natur-
beobachtung meistens nur ein ganz dunkler Begriff von den Bedingungen eines
regelmässigen oder unregelmässigen Vorganges vorschwebt.
Jedoch müssen in erster Linie die falschen Eindeslagen auch schon den
niederen Rassen bei einigem Nachdenken als vorzügliche Ursachen erschwerter
Niederkunft erscheinen. Hierauf deuten mit Sicherheit die so weit verbreiteten
Manipulationen hin, welche bei vielen von ihnen bereits während der Schwangerschaft
zur Verbesserung der Kindeslage angewendet werden. Dass ihnen aber auch der
so wichtige störende Factor der Wehenschwäche nicht unbekannt ist, das ersehen
wir daraus, dass sie dem natürlichen Geburtsmechanismus durch allerlei Modifica-
tionen eines künstlich angebrachten Druckes auf den Unterleib zu HQlfe zu kommen
suchen. Bei manchen Völkern begegnen wir auch der Anschauung, dass das Kind
selber nicht in hinreichender Weise seine Schuldigkeit thue und dass es sich
nicht genügend anstrenge, um den Mutterleib zu verlassen. Und gar nicht selten
wird irgend ein hindernder Zauber für die unerklärliche Geburtsverzögerung ver-
antwortlich gemacht.
Die Aerzte in den Indianer-Agenturen Nord-Amerikas berichten, dass
die Indianer sehr wohl eine gewisse Vorstellung von dem Hergange bei Ge-
burtsstörungen haben und dass sie demgemäss auch die Hülfe einrichten. Die
Papagos-lndianer stellen sich vor, dass der Charakter des Fötus einen guten
Theil Schuld an einer etwa vorkommenden Verzögerung bei der Entbindung trage;
je bedeutender die letztere sei, um so schlimmer sei das Gemüth des Kindes; daher
sei es f&r den ganzen Stamm besser, wenn Mutter und Kind sterben, tds dass
zum Schaden des Volkes eine solche Nachkommenschaft das Licht der Welt er-
blicke. {Engelmann.)
Sd4. Historisches über die Schwergeburten. 231
Es ist den Natunrölkem auch nicht unbekannt, dass ein gewisses Missver-
haltniss in den Grössendimensionen des Kindes gegenüber denjenigen der Oeburts-
theile der Mutter ein recht erhebliches Hindemiss f&r die Entbindung abzugeben
vermag. Wir haben bei der Besprechung der Mischlingsgeburten dafür einige
Belege zusammengestellt.
Dort, wo die Aerzte nur wenig bei der GeburtshQlfe praktisch betheiligt
sind, wird es auch sehr an einer klaren Erkenntniss der einzelnen Ursachen der
Geburtsstörung mangeln. Schon die griechischen Aerzte (Hippokrates u. A.)
hatten, da die Behandlung der naturgemassen Geburt lediglich den Hebammen zu-
fiel, keine Gelegenheit, den regelmässigen Verlauf der Niederkunft recht kennen zu
lernen; sie wurden nur dazugerufen, wenn die Geburtsstörung schon eingetreten
war: ihre Vorstellung vom unregelmassigen Geburtsprocess musste demnach in
vielen Dingen eine unrichtige sein. Und wenn wir in den geburtshülflichen
Schriften des Aetius finden, dass Phüumenos^ welcher die Geburtsstörungen und
ihre Ursachen beschrieb, seinen GoUegen empfiehlt, „alle diese Ursachen von der
Hebamme zu erforschend^, so erkennt man, wie sehr sich auch die römischen
Aerzte auf das unzulängliche Referat der Hebammen zu verlassen genöthigt waren.
Einen noch schlimmeren Zustand finden wir in der arabischen Periode der
Geschichte der Geburtshülfe. Denn die mohamedanischen Frauen waren durch
Sitte und Vorurtheil völlig abgeneigt, männliche Hülfe in Anspruch zu nehmen.
Zu wie traurigen Ergebnissen aber dergleichen Berathungen führen zwischen
Aerzten, welche die Gebärende nicht sehen, und Hebammen, welche die Gebärende
zwar behandeln, die Ursachen der Geburtsstörung jedoch nicht fanden, das kann
zum Schaden der unglücklichen Weiber noch heute im Orient beobachtet werden.
334. Historisclies Aber die Schwergebnrten.
Während zuerst unter den griechischen Aerzten HippoJcrates nur von der
falschen Eindeslage als Ursache der Geburtsstörung (Dystokie) spricht, kennen die
späteren medicinischen Schriftsteller schon mehrere andere die Entbindung ver-
zögernde Veranlassungen. Dass aber auch Difformitäten des Beckens ab Geburts-
hindemiss wirken können, ist ihnen nicht zum Bewusstsein gekommen, obgleich
dieses nach Häser's Angabe sogar schon den indischen Aerzten bekannt ge-
wesen ist.
Nach Aristoteles leiden bei der Entbindung besonders diejenigen Frauen,
welche viel sitzen und keine gute Brust haben, so dass sie den Athem nicht wohl
anhalten können. Der geburtshOlfliche Schriftsteller Charystius DioUes^ dessen
Schriften verloren gegangen sind, meinte, wie wir durch Soranus erfahren, dass
Erstgebärende und junge Frauen verhältnissmässig schwer gebären, dass ein ver-
härteter und verschlossener Muttermund, eine bedeutende Grösse, sowie der Tod
des Fötus eine Geburtsstörung abgeben können, und dass feuchte und warme
Frauen schwer gebären. Cleophantus sagt in seinen ebenfalls verlorenen Schriften,
dass alle Frauen mit breiten Schultern und engen Hüften eine schwere Geburt
erleiden, bei denen das Kind nicht mit dem Kopfe, sondern mit einem anderen
Körpertheile vorliegt. Herophilus beschuldigt als Ursache der Dystokie den Ge-
bärstuhl, wie Simon der Magnesier oft gesehen habe.
Soranus theilt die Ursachen ein in cUejenigen, welche von dem Kinde, und
diejenigen, welche von dem Organismus der Mutter, oder endlich auch solche,
welche von den Geschlechtstheilen ausgehen:
Die Mutter kann durch psychischen Einfluss, durch GeraflthsafiPecte, sowie aus physischen
Gründen eine Störung erleiden, z. B. durch Dyspepsie, Dyspnoe, Hysterie, zu fette Beschaffen-
heit und zu bedeutende Grösse des Körpers, breite Schultern und enges Becken; das Eind
aber kann allgemein oder in einzelnen Theilen (Wasserkopf) zu gpross sein, es können mehrere
Kinder vorhanden sein; der Embryo kann abgestorben sein und unterstützt dann die Geburt
232 LIIL Die fehleriiafte Gebort.
nicht, und endlich kann es eine falsche Lage haben, üeber die falschen Eindeslagen sprechen
wir qp&ter ausfCLhrlicher. unter den von den Geschlechtstheilen herrührenden Ursachen des
unregelmftssigen Gebnrtsverlaafes fUirt Saranus an: Kleinheit und Engigkeit des Mutter-
mundes oder Mutterhalses, Verschluss der Geschlechtstheile, schiefe Stellung der Gebärmutter
oder des Gebftrmntterhalses, Entzündung, Abscesse oder Verhärtung dieser Theile; ferner za
grosse Dicke oder Dünne der Eihäute, vorzeitigen Abfluss des Fruchtwassers; auch Blasen-
steine, Enochenauswüchse des Beckens, Verknöcherung der Symphysen und zu. grosse Weite
des Beckens können seiner Angabe nach eine Geburtsstörung herbeiführen.
Soranus bespricht in einem ganzen Kapitel die Frage: Weshalb die meisten
Kinder in Rom an Rachitis leiden? Gleichzeitig hat er, wie Pinoff nachweist,
zuerst über die Enge eines difformen Beckens, sowie über die za grosse Weite
desselben gesprochen. Daher ist anzunehmen, dass im alten Rom rachitische Ver-
bildungen des weiblichen Beckens keine seltenen Erscheinungen gewesen sind.
Auch findet sich bei Soranus eine Angabe des Cleqphanttis ^ dfiss Frauen mit
breiten Schultern und schmalen Hüften schwer gebaren, weil bei ihnen der Blasen-
sprung erst mit dem Eintritt der heftigeren Wehen erfolge.
Erst bei Soranus finden wir ein rationelles Verfahren, welches sich auf eine
wirkliche Erkenntniss von den Ursachen der Geburtsstörungen stützt.
Bei zu grosser Weite des Beckens liess er die Frau sich auf die Kniee legen, damit
die GebSxmutter, auf das Epigastrium gestützt, mit dem Gebärmutterhalse in gerader Richtung
verharre. Dieses Verfahren schlug er auch bei fetten und fleischigen Personen ein; dasselbe
wurde für solche Fälle bei den Arabern und den Deutschen des Mittelalters beibehalten.
Wenn der Muttermund verschlossen gefunden wurde, so wendete Soranus erweichende Mittel
an: Einreibungen mit Gel, Abkochungen von Foenum graecom, Malven, Leinsamen; er-
weichende Injectionen; Eataplasmen auf die Regio pubis, das Epigastrium und die Lenden;
wenn diese Mittel nichts nützen, so soll die Gebärende auf dem Stuhle sanft bewegt werden,
ohne dass man ihren Körper starken Erschütterungen aussetzt Als psychisches Beruhigungs-
mittel dienen dem Soranus Tröstungen und Ermahnungen, die Schmerzen zu ertragen. Bei
eintretender Ohnmacht sind kräftigende Mittel anzuwenden. Wenn eine Geschwulst an den
Geschlechtstheilen die Ursache der Behinderung für die Entbindung abgiebt, so soll sie mit
den Fingern entfernt oder ausgeschnitten werden. Zurückgehaltene Fäces sollen durch
Klystiere, Urin durch den Katheter entleert werden; vorliegende Blasensteine soll man mittelst
des Katheters vom Blasenhalse nach der Höhle der Blase bringen. Das verschlossene Ghorion
soll man mit den Fingern zerreissen und bei zu frühem Abfluss des Fruchtwassers Ein-
spritzungen mit Gel in die Scheide machen. Auch über das Verfahren bei falschen Kindes-
lagen wird von Soranus ausführlich gesprochen.
Einen anderen Arzt jener Zeit, PhüumenoSy dessen Schriften, wie schon
gesagt, leider nicht im Originale auf uns gekommen sind, lernen wir ans den
Werken des Äetms kennen, welcher sich wiederholentlich auf ihn beruft. Er
unterschied für die Geburtsstorungen vier wesentliche Gruppen, nämlich solche,
die von der Mutter, solche, die von dem Kinde, solche, welche Ton den Nach-
geburtstheilen, und solche endlich, die von den äusseren Verhältnissen hervor-
gerufen werden. Die von der Mutter ausgehenden Ursachen sind nach ihm:
Leiden der Seelenthätigkeit, allgemeine Schwäche des Körpers, Kleinheit der Gebär-
mutter, Enge des Oeburtsganges, Schieflage der Gebärmutter, Fleischauswüchse
am Muttermund, Entzündung, Äbscess, Verhärtung desselben, zu feste Eihäute,
zu früher Abgang des Fruchtwassers, Harnsteine und zu grosse Fettleibigkeit der
Gebärenden. Auch sprach Phüumenos von einer zu festen Verbindung der Scham-
beine, welche die nöthige Erweiterung bei der Entbindung nicht zulassen könne.
Er fand femer eine Geburtsstörung durch Druck auf den Uterus, veranlasst von
einer fehlerhaften Beschaffenheit der Lendengegend, durch Kothansammlungen im
Mastdarm und Urinretention in der Blase, oder durch zu hohes oder zu jugend-
liches Alter der Kreissenden.
Das Kind giebt die Veranlassung zu Störungen des Geburtsverlaufes, wenn
es eine zu bedeutende Grösse besitzt oder wenn es sich um eine Missgeburt
handelt. Aber auch eine zu grosse Schwäche des Fötus oder sein Tod können
335. Die Ansichten der Chinesen nnd Japaner über die Schwergeburten. 233
die Ursache ftir die erschwerte Entbindung abgeben, da dann die activen Be-
wegungen des ICindes fehlen^ welche man fär den Geb&ract durchaus nothwendig
erachtete.
Eine Störung der Geburt kann auch erfolgen, wenn Zwillinge sich gleich-
zeitig am Muttermunde einstellen. Nicht minder hinderlich sind Abweichungen
Yon der naturgemassen Lage des Fötus, d. h. von der Kopflage, bei welcher die
oberen Extremitäten nach den Schenkeln herabgestreckt liegen. Von diesen
falschen Lagen der Kinder haben wir später ausfOhrlich zu sprechen.
Auch zu dicke oder zu dünne Eihäute können eine Geburtsverzögerung
machen, und endlich schrieb man auch den Jahreszeiten und der Witterung be-
sondere Einflüsse auf den Verlauf der Entbindungen zu.
Die arabischen Aerzte des Mittelalters haben in Bezug auf die Erkennt-
niss der Geburtsstörungen kaum einen Schritt vorwärts gethan. Äbtdk<isem unter-
scheidet als Ursachen ftlr die Erschwerung des Geburtsvorganges solche, welche
der Mutter, solche, welche der Frucht, solche, welche dem Fruchtwasser, der Nach-
geburt oder schädlichen Aussendingen zur Last gelegt werden müssen; es können
aber auch mehrere derselben combinirt zur Wirksamkeit gelangen. Dass auch
ein verengtes Becken ein Geburtshinderniss abzugeben vermöge, das ist Abtdkasem
noch nicht zum Bewusstsein gekommen. Die Kopflage des Kindes gilt ihm als
die einzig richtige, und in dieser Beziehung steht er also auf einem niedrigeren
Standpunkte als seine Vorgänger im Alterthum, welche die Fusslage des Embryo
doch wenigstens als eine der natürlichen ähnliche Lage anerkannten.
Avicenna spricht unter den Binderungsgründen für eine normale Entbindung
auch von der parva matrix, und ausserdem erwähnt er noch die via constricta
valde in creatione. Schon v. Siebold hat darauf hingewiesen, dass Avicenna
mit diesen Ausdrücken wahrscheinlich das verengte Becken meint.
Khaees schliesst sich in der Eintheilung der Geburtsstörungen vollständig
den Lehren des Aetius an, aber auch er erwähnt die parvitas matris und er
erkennt neben der Kopflage auch die Fusslage als normale Kindeslage an.
Die deutschen Aerzte des 16. Jahrhunderts, Rösslin^ H^ffi Rueff n.s.'w.^
fussen ganz auf den Ansichten der römischen Schriftsteller. In seinem Heb-
ammenbuche lehrt Rösslinf dass die Hebamme die Blase, wenn sie nicht von selbst
springen will, zwischen ihren Fingern oder mit Messer und Scheere öfihe. Hat
sie diese Oeffnung zu früh gemacht, so soll sie die Scheide mit Gilgenöl oder
Schmalz schlüpfrig machen. Ist der Kindskopf gross, so wird gerathen, die Vagina
und den Eingang der Gebärmutter mit der gewölbten Hand sanft zu erweitem.
Bei Geburten mit einem anderen Theile als dem Kopfe voran wird eine später
zu beschreibende manuelle Hülfe empfohlen.
335. Die Ansichten der Chinesen nnd Japaner über die Schwergebnrten.
In den populären Schriften der chinesischen Aerzte werden die Ursachen
der Anomalien des Geburtsverlaufes in ziemlich ausführlicher Weise besprochen.
In der von Rehmann übersetzten Abhandlung ist der Verfasser bemüht, dem in
China weit verbreiteten Aberglauben entgegenzutreten, dass die Entbindung sich
bisweilen über zwei Jahre hinziehen könne. Er hebt dag^en ganz besonders
hervor, dass nichts die Geburt verhindern könne, wenn der rechte Zeitpunkt für
sie gekommen sei. Es gäbe aber doch gewisse Zustände, welche verzögernd auf
den Geburtsverlauf einzuwirken vermöchten, z. B. wenn es dem Kinde an Kräften
fehle. In diesem Falle müsse man die Frau im Bette schlafen lassen, damit sich
das Kind stärke, üeberhanpt könne das Liegen der Mutter nicht, wie die Mei-
nung unter den Chinesen sei, die Geburt stören, auch selbst dann nicht, wenn
das Kind schon mit dem Kopfe nach unten liege. Nach des Verfassers Meinung
234 Lni. Die fehlerhafte Geburt.
ist es auch irrig, anzunehmen, dass ein Aengstigen des ICindes für die Entbindung
störend sei, denn auch während der Schwangerschaft habe das Kind sich nicht
geängstigt. Femer meine man im Volke, dass die Gebärende die Schmerzen der
Wehen nicht gut aushalten könne, doch solle man daran denken, dass die Freuden-
mädchen die Schmerzenslaute beim Gebären unterdrücken, um die Geburt zu ver-
heimlichen, demnach würden wohl auch andere Frauen die Geburtsschmerzen mit
Geduld ertragen können.
Eine Störung des Geburtsyerlaufes verursache aber eine falsche Lage des
Kindes, wie sie durch Anstrengung der Gebärenden entstehe. Ganz besonders
hemmend ist es, wenn das Kind mit den Händen oder Füssen oder mit dem
Bücken hervorkomme. In diesem Falle sollen die Hände und Füsse sanft zurück-
gebogen werden und die Gebärende soll man nöthigenfalls zur Sammlung der
Kräfte schlafen lassen. Femer könne bei übermässiger Anstrengung der Gebärenden
ein n^Ann*^ heraustreten, womit der Verfasser wahrscheinlich andeuten will, dass
übermässiges Pressen die Veranlassung zu einem Brachschaden werden könne.
ünregelmässiges Verhalten und Krankheit in der Schwangerschaft, schlechte
Kost, hitziges Fieber, Beischlaf, hitzige Speisen und Getränke, sowie auch
Erkältung können ebenfalls die Ursache werden, dass die Entbindung abnorm
verläuft.
Bei den Japanern giebt Kangawa als ein sehr gewöhnliches Geburts-
hindemiss die Anfüllung des Mastdarms mit trockenen Fäcalmassen an. Man er-
kennt sie bei der DigitcSuntersuchung durch die Scheide. Er empfiehlt in solchem
Falle, den mit Honig, oder auch mit Leim, Zuckerwasser oder Fett bestrichenen
Finger in den After einzuführen, um die Kothballen zu entfemen.
Gegen die Annahme der älteren japanischen Geburtshelfer, dass die üm-
schlingung der Nabelschnur die Entbindung hindem könne, spricht sich Kangawa
entschieden aus. Er sagt, dass das Geburtshindemiss immer durch Kothmassen
verursacht werde, denn er habe gefunden, dass stets die Geburt unbehindert vor
sich ging, wenn auch die Nabelschnur um die Schultern des Kindes geschlungen
war. Er erklärt es auch für eine irrige Meinung seiner Vorgänger , dass der
Grund dafür, dass die Nabelschnur sich um den Hals des Fötus schhnge, in einem
Umfallen der Mutter während der Schwangerschaft gesucht werden müsse. Denn
da die Umschlingung so häufig vorkomme, dass sie unter 10 Geburten 7 bis
8 mal beobachtet werde (!), so dürfe man doch nicht annehmen, dass die Mutter
jedesmal umgefallen sei.
336. Die fehlerhafte Geburt durch die Eorperbeschaffenheit der
Gebärenden.
Wenn wir von der Körperbeschafienheit der Gebärenden als Ursache fehler-
hafter Geburten zu sprechen haben, so wird der folgende von Stammler ausge-
sprochene Satz wohl dasjenige zum Ausdruck bringen, was von vielen Seiten auch
heute noch geglaubt wird. Dieser Satz lautet:
n Schwieriges Gebären und Gebärunvermögen mussten vor der Entwickelung der Cultur
des Menscheogeschlechtes zu den Seltenheiten gehören, und erat mit dem Vorschreiten der
üblen Seiten der CivilLsation und der an dieselben sich knüpfenden Krankheiten, Erankheits-
anlagen und Krankheitserwerbungen konnte auch krankhaftes Gebären seinen Anfang nehmen
und so häufig werden, dass unter den civilisirten Völkern ein vOllig günstiges Niederkommen
zur seltenen Ausnahme warde.*^
Entspricht das nun den thatsächlichen Verhältnissen, oder ist es nur der
Ausfluss der landläufigen Vorstellung, dass die Wilden doch bessere Menschen sind?
Um diese Frage zu entscheiden, müssen wir in erster Linie im Auge be-
halten, dass bei der geringen Pflege, welche wilde Völker ihren Kindern ange-
deihen lassen, die schwächlichen unter denselben einem frühen Tode verfallen sind.
386. Die fehlerhafte Gebart durch die EOrperbeschaflfenheit der Gebärenden. 235
Die üeberlebenden haben dann insgemein eine yerhaltnissmässig kräftigere, von
firüh an in dem Kampfe ums Dasein gestählte Constitution, durch welche sie so-
wohl in der Jugend, als auch namentlich in dem Alter, wo die Frauen gebären,
jede Unbill leichter ertragen. Sehr richtig heisst es in einem Berichte des
Missionars Casali: «Was bei den Basuthos die ersten Jahre überlebt, muss an
sich kerngesund sein.*' Es liesse sich das Gleiche auch von vielen anderen
Völkern sagen.
Ein fernerer Grund fär die grössere Leichtigkeit, mit welcher die Frauen
wilder Völkerschaften den Gebäract überstehen, liegt wohl darin, dass überhaupt
die Körperentwickelung der Frauen bei jenen Völkern durchschnittlich mehr in
normalen Verhältnissen bleibt, als bei den durch eine unzweckmässige Lebensweise
von Generation zu Generation immer schwächer werdenden und minder gut sich
entwickelnden weiblichen Kindern in den Gulturländem.
Der chinesische Arzt Rehmanns äussert die Meinung:
«Ehedem war es eine leichte Sache zu gebären, die Menschen haben dieselbe aber
selbst schwer gemacht; es war vordem dieses ein gewöhnliches und sanftes Geschäft; jetzt
hat man dasselbe aber f&rchterlich gemacht, nnd eben dadurch sind unglückliche Geburten
entstanden."
Auch der Chinese, dessen Schrift v. Martius übersetzte, beschuldigt die
Lebensweise für die Erschwerung der Geburt, und er weist darauf hin, dass un-
glückliche Entbindungen bei den niederen Volksklassen (Bauerfrauen) viel seltener
vorkommen als bei den Vornehmen.
Es verdient eine besondere Beachtung, dass die Weiber uncivilisirter Völker
selbst die unzweckmässigsten Manipulationen bei der Geburt wider Erwarten gut
aushalten. So macht MdUat über das gewaltsame Verfahren bei der Niederkunft
der Malayinnen die Bemerkung:
,Wie oft hat mich nicht die Beobachtung aller dieser, dem Anscheine nach barba-
rischen Verfahrungsweisen mit Verachtung nnd mit Furcht erfüllt, während mir oft genug
der Ausgang bewies, dass die von diesen Naturärzten angewendeten Mittel von vollem Erfolg
gekrönt wurden.*
Engelmänn schreibt:
«Die th&tige Lebensweise der Indianerinnen erkl&rt die Leichtigkeit, mit der sie
niederkommen; sie verrichten eben jegliche Arbeit, daher Knochengerüst und Muskeln gleich-
maasig ausgebildet werden; die Frucht, unabiftssig geschüttelt, wird wahrscheinlich in die
Lage getrieben, in welcher sie sich den mütterlichen Theilen am besten anpasst, und wird,
einmal im langen Durchmesser angelangt von den strammen Bauchw&nden der Mutter fest-
gehalten — so muss die Entbindung gut ausgehen. Ausserdem heirathet das Mädchen nicht
aus ihrem Stamme heraus, daher passt das Köpfchen der Frucht auf das Becken, welches sie
verlassen soll. Sobald von dieser Regel abgewichen wird, giebt es auch Störungen (Misch-
lingsgeburten bei Umpqua-Indianern verliefen schwer). Demnach häng^ die leichte und
schnelle Oeburt solcher Frauen von drei umständen ab: erstens heirathen sie nur ihres
Gleichen, daher die Früchte einen den mütterlichen Geburtswegen entsprechenden Umfang
behalten; zweitens giebt es nur gesunde, kräftige Körper; drittens lässt die thätige Lebens-
weise, welche sie führen, nur Kopf- oder Steisslage zu."
Nach diesen Ausföhrungen könnte es den Anschein haben, als wenn der
von Stammler aufgestellte Satz in Wahrheit das Richtige getroffen habe. Aber
schon Engdmann schliesst seine Angaben mit den Worten:
«Sollte einmal die Lage fehlerhaft sein, so ist es um die Mutter ge-
schehen, oder sie macht eine äusserst beschwerliche Niederkunft durch. Das
querliegende Kind kann ebenso gut als nicht geboren werden und erliegt mit seiner Mutter."
Durch diesen Ausspruch wird es doch in Frage gestellt, ob bei allen
sogenannten ürvölkem günstige Bedingungen zum regelmässigen Vorkommen
leichter Entbindungen herrschen. Sehr wichtig ist in dieser Beziehung, was Felkin
über seine Erfahrungen äussert:
«Man ist ziemlich allgemein der Ansicht, dass die luxuriösen Gewohnheiten, welche die
236 LIU- Die fehlerhafte Geburt.
Ciyilisation mit sich bringt, einen hOchst sch&dlichea Einfluss auf die Entbindung auaflben.
Nachdem ich jedoch unter etwa 40 central- und ostafrikanischen Stämmen unter«
suchungen anzustellen Gelegenheit gehabt habe, bin ich zu der üeberzeugung gekommen, dass
schwere Geburten unter uncivilisirten Rassen viel h&ufiger vorkommen, als man bis jetzt an-
genommen hat. Ich war anfangs der Meinung, dass die Neigung des Beckeneingangs bei der
Wahl der Lage der Ereissenden von Einfluss wäre ; ich habe mich aber aberzeugt, dass, trotz«
dem es in dieser Neigung viele Unterschiede giebt, sie doch von keiner Wichtigkeit sind, da
der Unterschied im Ganzen nur etwa 4^ beträgt*
Wir dürfen allerdings nicht verkennen, dass es sich bei diesen Angaben
Fdkin's doch nur nm annähernde Schätzungen handelt und nicht um exakte,
statistische Thatsachen.
Bei einer Anzahl der Yolksstämme Afrikas müssen wir in dem früher aus-
führlich erörterten Gebrauche der Yemahung ein Hindemiss für den Geburts-
verlauf erkennen. Das wurde auch durch v. Beurmann bestätigt. Das Gleiche
gilt nach Brehm von Massaua; aber hier kommt auch noch ein zweiter störender
Factor hinzu, das ist das sehr jugendliche Alter, in welchem dort die Frauen
ihre erste Entbindung durchzumachen pflegen. Mindestens 30 Procent der Erst-
gebärenden sollen dabei zu Grunde gehen.
Bei den Negerinnen wird nicht selten durch die Elephantiasis, welche
auch die weiblichen Genitalien befallt, eine Erschwerung fllr die Entbindung
herrorgerufen. Gerade die Beschneidung der Mädchen soll für das Auftreten der
Elephantiasis an den Geschlechtstheilen eine Gelegenheitsursache abgeben.
Von den Indianern Süd-Amerikas hat schon Alexander v, Humboldt
das seltene Vorkommen Missgestalteter hervorgehoben, und auch v. Martius con-
statirte bei ihnen eine grosse Stärke und Festigkeit des Knochengerüstes und die
ausserordentliche Seltenheit von Rückgratsverkrümmungen. Auch in Chile
findet sich nach Molina keine Rachitis, und Berth. Seemann macht auf das
seltene Vorkommen von Difformitäten bei den Eskimos der Behring-Strasse
aufmerksam.
Wie es nun trotzdem mit den Entbindungen steht, das hat schon Enget-
mann ausgesprochen. Nach der Aussage Dobrufhoffer's sollen die Abiponerinnen
in Paraguay ausserordentlich schwer gebären. Er sucht die Ursache hierfür in
ihrem häufigen Reiten, und er behauptet, dass die Weiber aller berittenen Nationen
schwere Entbindungen durchzumachen hätten. Hierbei beruft er sich auf die Er-
klärung des Leibarztes Yngenhotuif in Wien, dass bei jungen Weibern, welche
viel reiten, durch das lange Sitzen und Rütteln das Steissbein zusammengedrückt
und hart werde. Eine weitere Bestätigung hat diese Angabe noch nicht gefunden
und gegentheilige Ansichten haben wir früher schon angeführt
Nach Praslow, welcher mehrere Jahre lang in Galifornien prakticirte,
sind zu Monterey Krankheiten der Geschlechtsorgane, namentlich Leukorrhoe,
Prolapsus uteri und Menstruationsstörungen häufig; „die beiden erstgenannten
XJebel verdanken ihre Entstehung ohne Zweifel der überaus rohen Behandlungs-
weise, welcher die Gebärenden der Sitte des Ortes gemäss unterworfen werden.*
Unter den Indianern Californiens ist die Gebärende nach dem Berichte des
.Statistical Report on the sickness and mortality in the United States army from 1855 — 1860*
(Washington) denselben Uebeln und Zufallen ausgesetzt, wie unter den civilisirten
Völkern Europas. Engdmann's Angaben berichteten wir schon oben; derselbe
setzt hinzu:
«Von den Indianern wird gelegentlich die Härte tind ünnachgiebigkeit des soge-
nannten Mittelfleisches als Gebortshindemiss erwähnt, was die Hebammen zu manuellen Er-
weiterungen der Gebnrtstheile veranlasst.*
Auch auf den Inseln des malayischen Archipels und der Süd-See hat
man Falle von schweren Geburten beobachtet, und wo uns directe Nachrichten
fehlen, da geben bisweilen gewisse Maassnahmen, welche man mit solchen Frauen
macht, die während der Entbindung starben, den Beweis, dass es bei den Ge-
337. Die fehlerhafte Grehort auf ungewöhnlichem Wege. 237
burten dieser Naturvölker doch nicht immer so glatt abgeht, als man ursprüng-
lich glaubte.
in der Türkei, wie in einem grossen Theile des Orients, ist es Gebrauch,
die Kinder während des ersten Halbjahres in Bandagen fest einzuschüren; die
Folge davon ist:
,que la plupart des Orientaux sont de petite taille et qne leurs membres, pr^entant
nne coorbure tr^-consid6rable, fönt ressembler leur marche k Tallure ridicule du canard.*
Nach RigUr ist in Constantinopel Rachitis häufig und daher finden sich
auch oft Difformitäten des weiblichens Beckens, in Folge deren unr^elmässige
Geburten unter türkischen und armenischen Frauen häufiger als unter euro-
päischen sind. Trotzdem wird nach den Erfahrungen einer in Constantinopel
vielbeschäftigten Hebamme, Mde Messani, die Wendung wegen einer Querlage des
Kindes selten nöthig. Rigler meint, dass hierauf die sitzende Lebensweise und
die Enthaltung der Schwangeren von jeglicher Arbeit Einfluss haben mag.
Dahingegen macht Damian Georg für die bisweilen vorkonunenden Schwer-
feburten in dem heutigen Griechenland gerade die sitzende Lebensweise der
rauen verantwortlich. Ausserdem beschuld^ er aber auch noch die unzweck-
mässige Auswahl der Speisen während der Schwangerschaft und bestimmte Mani-
pulationen, welche die Hebammen an den Schamlippen und in der Vagina vor-
nehmen.
Eine Angabe von Montana über den Einfluss des tropischen Klimas auf
diß eingewanderten Europäerinnen der Philippinen möge hier noch ihre
Stelle finden:
,L*immunit6 relative des Europa ens & T^gard du cUmat ne conceme que les hommes ;
les femmes europ^ennes sont loin de präsenter la m^me r^sistance. L'an^mie «urvient chez
alles beaucoup plus rapidement et ne tarde pas & 6tre aggrav^e par des leucorrh^s et par
des menstruations d'une abondance excessive. La f^condit^ n'est pas atteinte, mais les accou-
chements sont souvent dif&ciles; ils sont rendus fort loiigs par Tinertie de Tat^rus, et de-
viennent souvent mortels par les hömorragies incoercibles qui les suivent.'
337. Die fehlerhafte Geburt auf ungewöhnlichem Wege.
Bevor wir das Kapitel von den schweren Geburten, welche durch die kör-
perliche Beschaffenheit der Gebärenden bedingt sind, verlassen, müssen wir auch
noch der Entbindungen gedenken, welche auf ungewöhnlichen Wegen zu Stande
kommen. Hier steht natürlicher Weise obenan die Entbindung, welche durch die
Bauchdecken der Mutter hindurchgeht, oder mit anderen Worten die Entbindung
durch den Kaiserschnitt. Da ich derselben aber bei ihrer grossen Wichtigkeit
und bei dem hohen culturgeschichtlichen Interesse, welches sie darbietet, ein ganz
besonderes Kapitel zu widmen gedenke, so kann ich sie an dieser Stelle über-
gehen. Auch einige andere Strassen, welche das Kind bei der Entbindung ge-
nommen haben soll, wollen wir eben nur kurz hier erwähnen, da sie nur in den
phantastisch - mythologischen Anschauungen einiger Völker eine Rolle spielen.
Hierher gehört die äeburt der Athene aus dem Haupte des Zeus, die Geburt des
Bac(Jius aus Jupiters Seite, die Geburt des Buddha aus der Achselhöhle seiner
Mutter, und die Geburt der Eskimos durch die Bauchdecken ihres Yaters, der
durch den Genuss des mystischen roggenen Härings schwanger geworden war.
Wir können aber nicht die Geburten durch den After mit Stillschweigen
übergehen, da sie einstmals eine grosse Aufregung in Frankreich und in Rom
heraufbeschworen haben. Es mag hier jedoch zuvor daran erinnert werden, dass
man bisweilen im Volke von ganz normal gebauten Frauen erzählen hört, dass
sie ihr Kind durch den After geboren hätten. In der Mehrzahl dieser Falle
handelt es sich hier um Erstgebärende, welche während der Entbindung bei dem
Hindurchtreten des Kindes durch die natürlichen Gebortswege eine hochgradige
238 ^III« ^^^ fehlerhafte Gehurt.
Zerreissung des Dammes erlitten haben. Solch ein Dammriss kann non durch die
vordere l^tdarmwand hindurch bis in den After hineinreichen, und auf diese
Weise wird dann allerdings der After mit in die Geburtswege hineingezogen, so
dass es eine gewisse Berechtigung hat, wenn man hier von einer Geburt durch
den After sprechen will.
Aber in seltenen Fällen kann bei bestimmten Missbildungen der Geschlechts-
theile nun wirklich eine Entbindung durch den After zu Stande kommen. Der-
jenige dieser Falle, welcher die grösste Berühmtheit erlangt hat, wurde von
Louis in Paris beobachtet. WitJcowski schildert denselben nach Lefort folgender-
maassen:
,TJne jeune fille avait des organes de la g^n^ration cacb^s par une imperforation qui
ne permettait aueune introduction. Gette femme fut r^gl^e par Tanus. Son amant, devenu
tr^s pressant, la supplia de s'unir k eile par la seule Toie qui fut praticable. Bientöt eile
devint m6re. L^accouchement ^ terme d'un enfant bien conformä eut Heu par Tanus."
Louis stellte darauf eine These auf: De partium extemarum generatioxd inser-
ventium in mulieribus etc. und schloss derselben die Erzählung dieses Falles an. „Le
Parlement, föhrt Witkowski fort, rendit un arr^t par lequel il d^fendait de sou-
tenir cette these. La Sorbonne interdit Louis ä cause de cette question quil
adressait auz casuistes: In uxore, sie disposita, uti fas sit vel non judicent tbeologi
morales?''
Der Papst Benedict V. nahm sich der Sache an und ertheilte Louis die Ab-
solution, worauf seine These im Jahre 1754 gedruckt wurde.
„Ce pape pensait avec les P. P. Cucufe et Toumemine qu'une fille, privee
de la Yulye, devait trouver dans Tanus le moyen de remplir le Yoeu de la re-
production.*
Aehnliche Falle sollen sich aucb in Brahanfs Trait^ d*accouchements
citirt finden. Derselbe war mir nicht zugänglich.
Wenn wir später von detn Kaiserschnitte zu sprechen haben, dann werden
wir sehen, dass möglicherweise bereits den Rabbinern des Talmud Geburten
durch den After bekannt gewesen sind.
338. Oebnrtsstomngen durch die Nachgeburtstheile.
Es wurden weiter oben bereits die Hülfeleistungen erwähnt, welche man
unter den Naturvölkern bei zögerndem Abgange der Nachgeburt in Anwendung
bringt. Man thut, wie wir dort sahen, meist zu viel. Dass auch bei ihnen in
seltenen Fällen die Nachgeburt durch Krampf der Gebärmutter oder durch Ver-
wachsung mit derselben wohl bisweilen zurückgehalten werden könne, das soll
natürlicher Weise nicht geleugnet werden. Allein in der Regel existiren diese
Störungen nur in der Vorstellung der hülfeleistenden Weiber. Merkwürdig genug
ist, dass weder die alten Hebräer des Talmud, noch die alten Inder von der
Wegnahme der Nachgeburt bei normaler Entbindung, ebenso wenig auch von
einer Verzögerung ihres Abganges sprechen.
Als eine erhebliche Störung und Verzögerung der Geburt haben die Japaner
Yor Kangawa die Umschlingung der Nabelschnur betrachtet. Gegen diese An-
sicht macht, wie wir oben sahen, Kangawa aber in seinem Buche San-ron
energische Opposition.
Wenn auf den Viti-Inseln bei der Niederkunft nicht schnell die Berstung
der Eihäute vor sich geht, so setzt die Hebamme ihre Finger in die Ohren des
Kindes und zieht, oder sie stösst gegen die Schultern der Frau, um sie zur Be-
schleunigung der Geburt anzutreiben, und ruft ihr gleichzeitig zu: «strenge dich
an, unterstütze uns.*^ Innere Beschleunigungsmittel werden aber nicht ange-
wendet. {Blyth.)
388. GeburtastOrungen durch die Nachgebortstheile. 239
Von dem künsÜichen Sprengen der bei dem Gelmrtsacte in den Muttermund
hervorgedrangten Fruchtblase sprechen die altindischen Aerzte nicht Galen
erkannte bereits, wie nachtheilig der zu frühe Abgang des Fruchtwassers sei.
Aber bei 'den alten Romern (Aetius) wurde die Blase wahrscheinlich oft genug
mittelst eines Scalpells oder des Fingernagels von den Hebammen zu früh ge-
sprengt. Der Araber Bhaees rath den Hebammen, da, wo es noth thut, die
Eihäute mit den Nägeln oder mit einem kleinen Messer zu öffnen. Dasselbe lehrt
auch Äbtdkasem. Die deutschen Aerzte zu Bösslin's Zeit kennen ebenfalk das
Sprengen der Eihäute mit den Fingern, sowie mit Messer oder Schere.
Auch heute noch in Deutschland wird dieser sogenannte künstliche
Blasensprung sehr häufig ausgeführt, und nicht selten kann man bemerken,
dass zu diesem Zwecke ein Fingernagel besonders lang zugespitzt getragen wird.
Bei den Ehstinnen ist nach Holst dieses frühzeitige Sprengen der Frucht-
blase ein ganz gewöhnlicher Gebrauch der helfenden Frauen, und in der Meinung,
die Blase vor sich zu haben, trennen sie bisweilen mit den Fingernägeln, mit
Messern und sonstigen Apparaten die Schädelbedeckungen bis auf die Knochen.
Die Volkshebanmien der Letten dagegen warnen nach ÄUcsnis davor, «die
Eihäute vorzeitig zu sprengen, weil dadurch die Erweiterung der Geburtsw^e
beeinträchtigt werde. Man lässt die Blase lieber selbst springen, oder zerreisst
sie eventuell mit dem Fingernagel. '^
In Süd-Indien werden die Eihäute nicht gesprengt; dies wird der Natur
überlassen, und man wartet nach Shortt's Bericht geduldig ab, bis dieses von
selbst geschieht.
LIV. Die Schwergeburten im Volksglauben.
S39. Die fibernatürliche Hfilfe bei scliweren Entbindungen.
Durch die Aeusserungen von Schmerz, durch das Stöhnen und Winden,
durch die Bemühungen, sich der Frucht zu entledigen, das Pressen und Stemmen,
Erscheinungen, die an der Gebärenden fast immer in höherem oder geringerem Grade
wahrgenommen werden, ist die Niederkunft, zumal bei niedrig stehenden Völkern,
ein für die Umgebung in hohem Grade aufregender Vorgang. Das Angstgef&hl
sucht und findet einen gewissen Trost und Halt in dem Glauben, dass übernatür-
liche Mächte und Kräfke hier zu helfen vermögen; und dieser Glaube gewährt
eine Hülfe, die nach geistiger Richtung hin auch in der That nicht unwirksam
ist. Dies geschieht nach Zweck und Form in mehrfacher Art: bald wird die
mystische Behandlung beruhigend auf die Gebärende wirken, sei es durch Gebet,
sei es durch Zaubersprüche, durch welche man die übernatürliche Kraft der Geister
und Dämonen, je nachdem es gute oder böse sind, herbeizurufen oder zu bannen
hofft. Bald wird man aber auch die Psyche der Kreissenden antreiben zu selbst-
thätiger Mitwirkung, indem sie durch Schreck zu plötzlicher Anstrengung ihrer
Kräfte genöthigt wird. Bald sind es sympathetische Mittel, die durch das ihnen
geschenkte Vertrauen die Gebärende zu einem geduldigen Ausharren veranlassen.
Bald aber kommt auch die eigenthümliche, bei vielen Völkern herrschende Vor-
stellung zur Geltung, dass das Kind im Mutterleibe selbstthätig zum Austritt
mithilft, imd dass man es daher sympathetisch zu grösserer Thätigkeit durch das
Vorhalten eines guten Beispiels anspornen muss, wenn man bei ihm den Mangel
an solcher selbstÖiätigen Mithülfe voraussetzen kann. Solch sympathetisches Ver-
fahren aber wirkt geduld- und hoffhungerregend und denmach psychisch -be-
ruhigend auf die Gebärende.
Wenn wir, was in den nächsten Abschnitten statthaben soll, diese über-
natürlichen Hülfsmittel kennen lernen werden, so finden wir die verschiedenartigsten
und auf den ersten Anblick nicht selten in hohem Grade absurd und sinnlos er-
scheinenden Gebräuche bei den verschiedenen Nationen durch einander gewürfelt.
Bei näherer Betrachtung lassen sich aber auch in diesem scheinbar unentwirrbaren
Chaos ein paar Grundanschauungen herausfinden, welchen alle diese absonderlichen
Maassnahmen untergeordnet werden können und auf welche wir jetzt etwas näher
eingehen müssen. Es sind drei grosse Gruppen, in welche wir diese Hülfsmittel
einzutheilen vermögen. Die erste Gruppe umfasst die Einwirkung der Götter
und der bösen Geister und Dämonen auf die Geburt; der zweiten Gruppe ge-
hören die sympathetischen und allegorischen Handlungen an, welche man mit
der Gebärenden vorninmit, und in die dritte Gruppe endlich haben wir solche
Vornahmen zu rechnen, welche in einer directen Beziehung zu dem noch unge-
borenen Kinde stehen.
389. Die abernatfirliche Hfllfe bei schweren Entbindungen. 241
In der Gruppe Yon Handlungen, welche den Glauben an eine Einwirkung
der Götter oder der Dämonen zur Grundlage haben, nimmt selbstverständlich das
Vertrauen auf die helfende Macht einer gütigen Gottheit und das hiermit im Zu-
sammenhange stehende Vorgehen die erste Stelle ein. Gewohnlich ist es der oberste
Gott überhaupt, der hier nur zu helfen vermag, jedoch hat sich bei nicht wenigen
Völkern allmählich auch der Glaube an bestimmte Gottheiten der Geburt
herausgebildet, von denen wir ja bereits die wichtigsten in einem früheren Kapitel
kennen gelernt haben. Sie müssen durch Gebete angefleht oder durch Opfer oder
Gelübde gewonnen werden. Beides ist aber nicht selten nur durch die Mithülfe
von besonderen Mittelspersonen, vorzüglich natürlicher Weise durch die Priester
und Priesterinnen zu ermöglichen. Bisweilen muss auch eine aufrichtige Beichte
aller auf den Geschlechtsact bezüglichen Sünden nicht nur von Seiten der Kreis-
senden, sondern auch von Seiten ihres Ehegatten vorangehen. Hilft dann die
Gottheit nicht, d. h. nimmt die Geburt einen unglücklichen Ausgang, dann ist
diese Beichte eine unvollständige und unaufrichtige gewesen.
Ganz anders muss man natürlich mit den feindlichen Gewalten der Dämonen,
der Geister und Gespenster verkehren. Allerdings sucht man auch sie bisweilen durch
Gebete und Opfer zu beschwichtigen; allein fCn wirksamer hält man es doch, sie
durch Zaubersprüche zu bannen und sie durch Amulete fem zu halten. Man
verschliesst auch wohl alle Eingänge des Hauses, um ihnen den Eintritt zu ver-
wehren, oder man hindert sie durch einen abgrenzenden Faden oder Kreidestrich,
der Kreissenden nahezukommen. Nicht selten auch wird der Versuch gemacht,
mit Gewalt die bösen Dämonen von dem Hause oder Zelte fernzuhalten. Das ist
ftir gewöhnlich das Amt des Ehegatten und seiner Freunde, die mit Geschrei
und Geheul und mit vielen Lufthieben, oder auch wohl mit Schüssen die Dämonen
aus der Nachbarschaft der Gebärenden fortzujagen bestrebt sind.
Manche Gebräuche vermögen wir nicht anders zu deuten, als dass man durch
sie bestrebt ist, die verfolgenden Dämonen auf eine falsche Fährte zu führen.
Dahin muss man wohl die Sitte rechnen, die Kreissende nicht in der eigenen,
sondern in einer fremden Wohnung niederkommen zu lassen. Vielleicht ist zum
Theil auch auf solche Anschauungen der Gebrauch der Gebärhütte zurückzuführen :
Die Dämonen belagern das Wohnhaus, um sich der Gebärenden oder ihres Kindes
zu bemächtigen, und sie finden das Haus leer, die Kreissende ist vor ihren gierigen
Blicken versteckt und kann ihnen auf diese Weise entgehen. Auch giebt es noch
ein anderes Mittel, welchem wohl ähnliche Anschauungen zu Grunde liegen: Die
Dämonen dringen in das Gebärzimmer ein, aber sie finden dort nicht die von
ihnen verfolgte Frau, sondern einen Mann, der natürlicher Weise ihre Gelüste
nicht reizt. Dieser Mann aber ist die Kreissende, welche die Kleider ihres Ehe-
herm angelegt hat.
Die sympathetischen Mittel, welcher man sich bedient, sind ebenfalls sehr
mannigfacher Art. Obenan steht hier aber die Auffassung, dass der Schooss der
Mutter sich nicht zu öffnen vermöge, wenn nicht Alles in ihrer Umgebung los
und offen ist. Daher vermag man durch üebereinanderlegen der Kniee oder
durch Falten oder gar Verhaken der Hände die Geburt des Kindes unmöglich
zu machen. Auch müssen alle Schlösser imd Deckel, ja bisweilen alle Thüren
des Hauses geöffnet werden, und vor Allem muss die Kreissende in feierlicher
Weise des hauptsächlichsten Zwanges ihres Leibes, nämlich ihres Gürtels, sich
entledigen.
Es kommen dann gewisse allegorische Handlungen hinzu : Der Ehemann, der
doch eigentlich die Schuld trägt an der die Frau beschwerenden Bürde, spricht
sie durch eine Zauberformel von derselben los, oder hilft ihr durch gewisse
mystische Berührungen. Die Frau muss bestinunte, ihr sonst ungewohnte Wege
machen, oder durch bestimmte Engen hindurchkriechen, wahrscheinlich weil auch
das Kind solche Enge passiren soll. Aus dem Schoosse dei; Kreissenden muss ein
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aafl. II. 16
242 L^^- ^^ Schwergeburten im Volksglauben.
Thier fressen, oder ein Mensch Nahrung entnehmen, wahrscheinlich um dadurch
zu bewirken, dass auch das Kind mit der gleichen Leichtigkeit dem Mutterschoosse
entnommen werde. Hieran reiht sich die allegorische Uebernahme der Geburts-
schmerzen durch helfende Weiber, welche sich entweder wirklich körperliche
Schmerzen bereiten, oder durch Mitstöhnen oder Mitklagen dieselben zu empfinden
sich den Anschein geben.
Diesen sympathetischen Mitteln sind auch diejenigen zuzuzählen, welche
am Körper getragen oder mit ihm in Berührung gebracht werden müssen, die
aber nicht im Sinne eines Amulets wirken; und es schUessen sich ihnen die
rein psychischen Mittel an, der Gesang, die Musik und das Erschrecken der
Kreissenden.
Auch die Mittel, welche das noch ungeborene Kind veranlassen sollen, sein
altes Heim, den Mutterleib, zu verlassen, sind verschiedenartig, konunen aber doch
immer darauf hinaus, das Kind hervorzulocken. Man klimpert ihm mit Geld
etwas vor, man lässt ihm etwas vortanzen, damit es sich zu ähnlichen Tanzbe-
wegungen veranlasst ftihle und auf diese Weise zum Mutterleibe hinaustanze.
Vielleicht sollen auch die Schläge, welche bei manchen Völkern der Ehegatte
gegen die Kreuzgegend der Kreissenden führen muss, dem Kinde gelten und das-
selbe zu energischen Bewegungen anregen. Bisweilen muss der Vater sich dem
Schoosse der Kreissenden nähern und dann entfliehen, damit das Kind suchen
soU, ihm zu folgen. Als Lockmittel fEir das Kind legt man auch wohl der Ge-
bärenden die Kleider des Ehegatten vor oder man staffirt eine Puppe mit den-
selben aus. Das Alles sind im Glauben der Völker untrügliche Mittel, und man
muss auch hier wieder erstaunen, wie man im Stande ist, die gleichen Ideen-
combinationen zu verfolgen bei Nationen, welche durch weite Meere und Gon-
tinente von einander getrennt sind.
340. Die flbernatflrliclieii GeburtshflljDsmittel bei den alten Culturyolliem
nnd iliren Epigonen.
Bei den alten Hebräern galt die Lilith aia ein ganz besonders gefahr-
bringender Dämon für die Gebärenden und Wöchnerinnen. (Landau^ Bergel.)
Sie wusste der Sage nach die Trennung des ersten Menschenpaares schlau zu
benutzen und Adam an sich zu fesseln. Bald darauf aber entfloh sie dem ihr
überdrüssig gewordenen Liebesverhältnisse und wollte nicht wieder zu Adam zu-
rückkehren. Auf JehovaKs Befehl wurde sie jedoch von den drei Engeln Senoi^
Sansenoi und Samangdof aufgesucht und ihr der Befehl ertheilt, sich wiederum
mit Adam zu vereinen. Weigere sie sich, so solle sie täglich hundert ihrer
Kinder durch den Tod verlieren; sie wählte das letztere. Um den Verlust ihrer
Kinder zu rächen, sucht sie immerwährend neugeborene Menschenkinder in ihren
ersten Lebenstagen zu erwürgen; nur da, wo sie die Namen jener drei Engel
findet, wagt sie keinen feindlichen Angrifl^.
Dieser uralte Glaube hat sich erhalten, und noch heute hängen orthodoxe
Juden an den Wänden des Geburtszimmers Zettel auf, auf welchen diese Namen
geschrieben sind. Schon in der Bibel (Jesaias 34, 14) kommt dieses Gespenst vor.
In Deutschland lassen jetzt noch manche Judenfamilien einen Kreidestrich um
die Kreissende ziehen und schreiben an die Thür:
,Gott lasse das Weib einen Sohn gebären und diesem ein Weib werden, die der Eva
und nicht der Lilith gleicht."
Auch ruft man sechs Männer aus der Synagoge, welche in dem Gebärzimmer
beten müssen. Die Jüdinnen im bayerischen Franken beissen zur Erlangung
einer leichten Entbindung die Stiele der Paradiesäpfel ab. (Majer.)
Von den Jüdinnen in Bosnien und der Hercegovina berichtet Glück:
,Bei den Spaniolinnen wird gleich bei dem Eintritte der ersten Wehen ein kleiner
Betrag als Almosen gespendet und eine Schale Oel, nachdem sich die Kreissende in demselben
340. Die Qbernatürlichen Geburtshülfsmittel bei d. alten Coltoryölkern u. ihren Epigonen. 243
wie in einem Spiegel angeschaut hat, in den Tempel geschickt. Zieht sich die Gebart in die
Länge und fürchtet man, dass die Geb&rende zu Grande gehen könne, so vergräbt man ihre
Kopfbedeckung im Grabe eines verstorbenen Anverwandten, liest vor ihr den Wochenabschnitt
aus dem Buche der Propheten, öfinet die Bundeslade im Tempel, oder lässt schliesslich über
ihrem Bette den sogenannten Schofar blasen [ein abgeplattetes Widderhorn, das man am
langen Tage bläst, um die Barmherzigkeit Gottes anzurufen]. Ausser diesen specifisch spa-
niolischen Mitteln werden selbstverständlich auch die Mittel, welche bei andersgläubigen
Frauen gebraucht werden, angewendet.*
Wenn bei den kaukasischen Juden die Geburt nicht erfolgen will, so
nimmt man Erde vom Grabe einer Person, welche im Verlaufe der letzten vierzig
Tage gestorben ist, thut die Erde in ein Glas mit Wasser und giebt davon der
Kreissenden zu trinken; hilft dieses Mittel nicht, so holt man noch einmal Erde,
aber tiefer aus dem Grabe, und verfahrt wie früher. Aber dies geschieht Alles
ohne Wissen der Rabbiner, welche ein derartiges Heilverfahren nicht billigen.
Die Juden in Griechenland halten Geschrei in der Nahe der Gebärenden für
geburtsbefordernd. (Damian Georg.)
In dem alten Griechenland wendeten die Hebammen, wie wir durch PUxto
im Theaitetos erfahren, ausser gewissen Arzneien auch das Anstimmen von Ge-
sängen an, ,um die Geburtsschmerzen zu erregen, aber auch zu besänftigen, wenn
sie wollen.*^ Licktenstädt ist ebenso wie SMeiermacher und Welcker^ geneigt,
bei inäöeiv an blosse Zaubersprüche zu denken. Auch v. Siebold stimmt dieser
Ansicht zu. Thierf eider sen. hat zu beweisen gesucht, dass hier ein wirkliches
Absingen gewisser Sprüche und Worte Ton religiöser oder mystischer Bedeutung
ohne Zauber stattfand. Er sagt:
«Theils aus dem Verfahren des Thrakischen Orpheus und seiner Anhänger, der
Orphiker, welche durch Gesänge Krankheiten heilten, theils aus dem früheren Tempeldienste
des ÄskUpios zu Trikka, Epidauros, Melos und an mehreren anderen Orten, theils aus
der noch zu Platon's Zeit, besonders an den Orten, wo Orakel sprachen, wie zu Harma
oder Enopia, und bei grossen Festen vorgekommenen Heilungen kannte man allgemein die
grosse Wirksamkeit des religiösen Gesanges und hing mit Vertrauen an gewissen, mit reli-
giösen Weihen ausgesprochenen, vielleicht oft unverständlichen mystischen Worten, die ur-
sprünglich ein Gebet zu einem Heilgott, späterhin, als der ursprüngliche Sinn verloren ge-
gangen und Aberglaube an die Stelle des Glaubens getreten war, eine magische Formel sein
mochten, üebrigens wird kein Kenner psychischer Heilkräfte die Möglichkeit der den heiligen
und magischen Gesängen (inqtdaC) zu Heilzwecken, die ursprünglich immer Worte mit Gesang,
im späteren Gebrauche wohl auch gesanglose Worte {X6yoi) waren, zugeschriebenen Wirkungen
leugnen.*
Die griechischen Frauen hielten während der Wehen einen Palmenzweig
in der Hand; da die Palme das Zeichen des Sieges war, so glaubten sie auch,
dass ein solcher Zweig die Kraft besitze, die Beschwerden der Entbindung über-
winden zu helfen.
Dass das Losen des Gürtels für einen die Geburt fordernden Zauber galt,
und dass deshalb die griechischen Dichter die Eüeithya auch als LysiaönS^
die Gürtellösende, bezeichneten, ist schon weiter oben angeführt worden. Die
Erstgebärenden weihten ihren Gürtel der Artemis.
In Rom brachten die Gebärenden den Göttinnen Lucina ^ Postversa^ Mena
XX. s. w. Gelübde. Ging die Niederkunft schwer von Statten, so glaubte man sie zu
erleichtem, wenn der Ehemann unter Gebeten seinen Gürtel um die Frau gürtete,
dann aber ihn wieder abnahm und sich selbst umlegte. Auch warf man über
das Haus, in welchem die Gebärende lag, einen Wurfspiess, durch welchen schon
ein Mensch, ein wildes Schwein und ein Bär getödtet worden; noch besser sollte
dazu eine Lanze benutzt werden, die aus dem Körper eines Menschen gezogen
worden war und den Erdboden nicht berührt hatte. In Rom galten als Amulete
für Gebärende die Gebärmutter der Maulesel und der Schmutz aus deren Ohren;
Soranus sagt, diese Dinge sollen durch Antipathie wirken, aber ihre Wirkung sei
trügerisch.
16*
244 ^^^- ^^ Schwergebuiten im YolkBglaaben.
Es war im Alterthum ein weitverbreiteter Aberglaube, dass böse Menschen
im Stande wären, durch einen geschickt ausgef&hrten Zauber die Entbindung zu
stören oder gar zu vereiteki. Namentlich war es das Falten der Hände auf dem
Knie des einen Beines, das über das andere übergeschlagen war, welches solch
einen hemmenden Zauber yerursachte. Plinius spncht bereits davon:
,Neben Schwangeren, oder wenn sonst Jemand operirt wird, zu sitzen nnd die Finger
wechselseitig in einander zu fügen, ist ein Zauber. Man sag^, dies sei zuerst bei der Nieder-
kunft der Älkmene mit dem Hercules an den Tag gekommen. Noch schlimmer ist es, wenn
man die (so gefalteten) Hände um ein oder beide Kniee schliesst; femer, wenn man das eine
Bein Über das andere schl>, so dass Knie auf Knie liegt. Darum haben unsere Vorfahren
diese Stellung in allen Versammlungen in Krieg und Frieden imtersagt, weil sie alle Geschäfte
hindere. Auch verboten sie, dass Jemand bei Opfern oder Gelübden sie so zeige."
Aber schon in Homers Ilias (19. 114) wird auf diesen Zauber angespielt.
Es heisst dort von der kreissenden AOcmene:
„Jene trug ein Knäblein und jetzt war der siebente Monat.
Dies nun zog sie (die Hera) ans Licht unzeitig annoch und hemmte
Dort der Älkmene Geburt, die Eileithyia entfernend.*
Here übte hier der Sage nach diesen geschilderten Zauber aus, bis Gälanthis
als Wiesel in das Gebärzimmer lief und Here, durch dasselbe erschreckt, die
Hände aus einander nahm. Nun war der Zauber gelöst und Herakles war
geboren.
In Schwaben glaubt man auch heute noch an den Zauber, dass, wenn
Einer seine kleinen Finger einhakt, Weiber nicht gebären können; deshalb muss
man dies ebenso vermeiden, wie die Römer das Falten der Hände im Oeburts-
zimmer unterlassen mussten.
Vielleicht ist es ein missverstandener Nachklang dieses Aberglaubens, wenn
in Nieder-Bayern, wie Patwer berichtet, die Hebammen den Ehegatten einer
schwer niederkonmienden Frau veranlassen, ihre Kniee an einander zu drücken.
Bei den alten Indern gab man nach Susrtäas Ayurvedas der Kreissenden
die Früchte von der Myristica moschata in die Hand, um ihr die Niederkunft zu
erleichtem; auch wurde sie von Knaben umgeben und mit Segenssprüchen und
Glückwünschen begrüsst. Konnte das Kind nicht ausgezogen werden, so sprach
der Arzt eine Beschwörungsformel:
„Ambrosia, Mond, Sonne und Indra's Pferde mögen, o schmerzensreiche Gebärende,
in Deinem Hause wohnen!"
Hierbei wurde von ihm insbesondere Ändta^ der Gott des Feuers, Pavana,
der Gott der Winde, die Sonne und Vasava (Indra)^ sowie die Götter, denen
Salz und Wasser gehört, um Linderung für die Kreissende gebeten. Erst wenn
dieses erfolglos blieb, schritt man zi|r Zerstückelung des Embryo.
341. Die fibernatttrlichen GeburtshttUbmittel bei den Deutschen
und ihren Stammesgenossen.
Von den Zaubermitteln der alten Germanen, welche die Entbindung be-
fördern sollten, haben wir bereits gesprochen, als wir von ihrer Geburtshülfe
handelten. Sicherlich hat es lange gedauert, bis das Christenthum dieses Zaubers
Herr geworden ist. So wurde im Hennegau'schen zu Leptinae im Jahre 784
ein Goncil gehalten, auf welchem nicht weniger als 30 heidnische Bräuche und
altgermanische Sitten, die nun plötzlich zu Unsitten geworden waren, anathe-
matisirt wurden. Unter diesen verbotenen Gebrauchen heisst, wie Rochhöle her-
vorhebt, der neunzehnte: «Von dem Strohbündel". Zur Erklärung dient
Folgendes: Es ist bekannt, dass die germanische Freya^ die blüthenreiche
Mutter der Erde, die Göttin der Natur, nicht allein als Schutzgöttin der Liebenden,
sondern auch der Ehen, ebenso als Schützerin der gebärenden Frauen galt. Ihr
341. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei d. Deutschen u. ihren Stammesgenossen. 245
war das Labkraut (Galium verum) besonders heilig, ein Kraut, welches noch heute
im Volke als ,, Unserer lieben Frau Bettstroh'' bezeichnet wird. Ein Strohbündel
davon, eben das in jenem Goncile verurtheilte, wurde schwangeren Frauen in das Bett
gelegt, um die Entbindung zu erleichtem. Wenn nun nach dem Glauben unserer
heidnischen Vor&hren die Götter nicht selten in Gestalt von Aehren und Halmen
die Betten der Sterblichen heimsuchten, so dachte man sich in diesem Strohbündel
wohl die hohe, helfende Göttin selbst gegenwärtig. Und ab nach dem Einzüge
des Christenthums in Germanien die heilige Jungfrau Maria die Erbschaft
der altgermanischen Göttin antrat, wurde der alte heidnische, den christlichen
Priestern natürlich verhasste Brauch trotz aller Verbote und Goncile noch lange
beibehalten, nun freilich unter ihrem Schutze, und man nannte das Labkraut-
Bündel fortan das Bettstroh Unserer Lieben Frauen, oder auch das
„Marien-Bündel''. Dass man übrigens auch ganz im Einklänge mit dem Gesagten
noch in viel späteren Jahrhunderten aus dem Kraute einen Trank bereitete, „um
der kindenden Frau Nachwehen zu heilen '', sagt uns Brugger^s handschriftliches
Receptirbüchlein.
Aber auch übernatürliche Hülfsmittel anderer Art sollten die Entbindung
erleichtem. Rueff führt in dem Kapitel seines Hebammenbuches, welches
«lehret etliche sonderliche vnd natürliche Stück vnd Artzneyen, so die natürliche Ge-
burt fördern, leicht vnd ring machen sollen, so sie wider den gemeinen Brauch der Natur
gehindert werden**
unter anderen Mitteln auch an:
,Item, der Adlerstein, wie du weisst, gebraucht vnd angebunden an die lincke Hüfft.
Auch der Jaspis ist darzu probirt/
Dieser Adlerstein oder Aetites wird schon von Tlinim und später von
dem Bischof Marbodnis als Hülfe bringend bei der Kiederkimfb erwähnt. Nach
Plinius wird er im Neste der Adler gefunden, und ein altes Flugblatt sagt
von ihm:
.inwendig ist er hohl und hat einen kleinen Stein oder
Kern in sich, welcher, so man ihn schüttelt, einen Klang von
sich giebt. Es seynd diese Steine von mancherlei Gestalt,
etwelche rund, etwelche langlicht u. s. w/
In dem mittelalterlichen Steinbuche aus der
Kosmographie des Zäkarijä ihn Muhammad ihn Mah'
müd (d-Kaawtni heisst es von dem Stein „Geburts-
helfer* oder Mushil alwiladat:
^Aristoteles sagt: Dies ist ein indischer Stein. Wenn
man ihn schüttelt, hört man im Inneren das Geräusch eines
anderen Steins. Seine Fundgrube ist im Lande Hind in einem
Berg zwischen der Stadt Kumär und dem Meere. Man lernte
seine Eigenschaft, die Entbindung zu erleichtem, durch den
Geier kennen. Wenn nÄmlich für den Geier die Zeit des Eier- „ Fig. 304. Adle rate in bei
legens herannaht, geräth er in Folge der übermässigen An- ?chl?rl°™dt^^^^^
strengung in die äusserste Lebensgefahr, ja bisweilen stirbt (Nach Photographie.)
er vor Schmerz. Unter diesen Umständen fliegt der männ-
liche Geier zu jenem Berg, nimmt von diesem Stein und legt ihn unter das Weibchen. Dies
lernten nun die Leute von Hind vom Geier, und wenn also einer Frau, welche die Geburts-
wehen peinigen, von diesem Stein untergelegt wird, so erleichtert er ihre Entbindung, und
ebenso bei jedem Thier.* (Buska,)
Nach demselben arabischen Autor giebt es auch noch mehrere andere
Steine, welche die Niederkunft erleichtern, wenn man sie der Kreissenden an den
Schenkel bindet. Das thut z. B. der Onyx, die Meerbutter, und der Smaragd.
Der letztere schützt die Gebärende zugleich vor der Fallsucht, also vor den
während der Entbindung bisweilen vorkommenden eklamptischen Zufällen. Der
Magnet befördert ebenfalls die Geburt, wenn »ihn eine Frau, welche in Wehen
liegt, an ihre rechte Brust hängt ''. {Bushx)
246 LIV. Die Schwergeburten im Volksglauben.
Ein schönes Exemplar eines Adlersteines, welches sich in dem Besitze eines
.Bauerndocters'' in der Nähe von Reichenhall in Bayern befand, und, wie der
Augenschein lehrt, viel in Gebrauch gewesen ist, hat Herr von CMingensperg-Berg
in Kirchberg bei ßeichenhall dem Museum für deutsche Volkstrachten
und Erzeugnisse des Hausgewerbes in Berlin als Geschenk überwiesen.
Dieser in Fig. 304 fast in natürlicher Grosse dargestellte Stein hat eine flach-
gedrückte Bimenform; seine Oberfläche ist uneben und hockerig, und an einzelnen
Stellen bemerkt man, dass von derselben etwas abgeschabt worden ist, vermuthlich,
um es als innerliches Medicament zu verabreichen. Es ist ein braungelber Thon-
eisenstein mit einem lockeren Kern in der Mitte, ein sogenannter Klapperstein.
Ein schmaler, ausgezackter Streifen von Messingblech umhiebt seinen Rand, und
derselbe besitzt oben einen Ring, so dass der Stein als Anhänger getragen werden
kann. Auch er wurde also wahrscheinlich mit Hülfe dieser Oese auf die linke
Hüfke gebunden.
Bei Tabernaemontaniis heisst es: Natterwurz auf die Dieche (Hüfte) ge-
bunden soll behülflich sein den Weibern, welchen das Gebären hart ankommt.
(Grimm,)
Aus einer Wolfsthurner Handschrift des 15. Jahrhunderts veröffentlicht
Oswald von Zingerle folgenden Segen:
,Daz ain fraw ringklich nider chöm.
Das ein fraw ringklich oder leichtlich nider komm, so soll man diese wort schreiben
an ein zedel vnd lege sie der frawen auff denn bauck; De viro vir, de virgine virgo, vicit leo
de tribu Juda, Maria peperit Christum, Elizabeth sterilis Johannem baptistam.
Adjuro ie, infans, per patrem et filium et spiritum sanctum, si masculus es vel femina, ut
ezeas de wulua. Ezinanite, ezinanite!
Vnd wann das kint geboren ist, so soll mann alsbalde die zedel von der frawenn lejb
nemmen mit den geschribnenn werten.*
Man würde einem grossen Irrthume verfallen, wenn man glaubte, dass solch
ein Aberglaube heute in Deutschland unmöglich wäre. In Bayern fand
J". Ä Schmidt bei schweren Geburten unter dem Kopfkissen der Frau ein Tuch,
welches ein Gebetbuch enthielt, betitelt: „Geistliche Schildwacht''. Gedruckt im
Jahre 1840 bei Louis Enslin; darin steht:
,,Wer dies Gebet bei sich trSgt, der stirbt nicht plötzlich etc., und jede schwangere
Frau wird leichtlich gebären und das Kind vor Gott und Menschen angenehm sein.*"
Auch muss man daselbst nach Hoefler etwas von einem Frauenthaler ab-
schaben und dieses einnehmen, um schwere Entbindungen zu erleichtem.
In Schwaben rufen die Schwangeren den heil. Christophortis, die Kreissen-
den den heil. Bochus an, wenn sie vergebens natürliche Mittel angewendet haben.
Auch legt man Gebärenden Geierfedem unter die Füsse.
Vor Allem aber wird die heilige Margarethe^ die den Drachen an ihrem
Gürtel fuhrt, angerufen. St Margaretha hat den »lösenden Gürtel*. Man nimmt
eine Schnur, oder ein Schnupftuch, bindet es der Kreissenden in den drei höchsten
Namen um die Hüften und lässt sie unter Anrufung der heil. Margaretha pressen.
Dies erinnert an den Gürtel der Juno Lucina und an den Starkegürtel der Gridur,
Greth oder Graith; auch wallfahrtet man in Schwaben zur Erleichterung der
Geburt nach „Maria Schrei* bei PfuUendorf. (Bück,) Dieser Gürtel der Ge-
bärenden aus halbzollbreitem Hirschleder mit einer Schnalle zum Schnüren ist
noch in der Gegend von Aulen dorf in Schwaben allgemein im Gebrauch;
und auch anderwärts in Schwaben werden gegen Krämpfe und wilde Wehen
aus Werg oder Hanf gedrehte Bänder um den Leib je ein bis zwei, und um die
Beine, die Arme und den Kopf je eins gelegt; man darf sie nicht an- oder ab-
streifen, man soll sie „unverdanks* verlieren. (Birlinger,)
In Schildturn, wo die drei heiligen Jungfrauen Ainbeth^ Barheth und
WiUbeth verehrt werden, erlangen unfruchtbare Eheleute Kinder und gebärende
341. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei d. Deutschen u. ihren StammQsgenossen. 247
Frauen eine glückliche Entbindung, wenn sie die dortige silberne Wi^e in Be-
wegung setzen. (Panzer.)
Auch in Steyermark giebt es viele sympathetische Mittel zur Erleichterung
der Geburt. Beim Herannaheu der Wehen legt man gewisse Gegenstände unter
das Kopfkissen, betet zur heiligen Margaretha^ oder zum heil. Rochtis^ oder trinkt
„Johanniswasser^^ (das am Tage Johann, Evang,^ d. h. am 27. December geweiht
wurde). Auch kleben sich Kreissende Heiligenbilder auf den Leib, halten ein
Gebetbuch in den Händen, z. B. die vorher schon erwähnte „Geistliche Schild-
wacht^^ Gegen schwache Geburtswehen wird eine Gemsrose, das ist eine zur
Brunstzeit beim Gemsbock dicht hinter der Kniekehle angeschwollene Drüse von
penetrantem Gerüche, der Kreissenden in die Hand gegeben. Die Drüse wird zu
diesem Zwecke von den Jägern ausgeschnitten und getrocknet. Bei verzögerter
oder schwerer Niederkunft lässt die Hebamme die Kreissende dreimal um einen
Tisch herumgehen, bindet ihr einen „Frauenbindthaler^^ oberhalb des Handgelenks
auf oder lässt sie abgeschabte Theilchen von einem solchen Thaler einnehmen (zu
Nebelbach). Zur Erleichterung der Entbindung legen sich im Ennsthale
Frauen einen Nattembalg, einen Hasenbalg oder die Haut eines zwischen den
Frauentagen geschossenen Hirsches um den Leib. Weibermilch, heimlich der
Kreissenden eingegeben, hilft die Wehen verkürzen. Eine Mannsperson muss ein
Stück unvollständig gespaltenes Brennholz regelrecht spalten (in Köflach), und
im Ennsthale muss Jemand eine Schindel auf dem Dache umwenden und ver-
kehrt wieder hineinstecken.
Während der Geburt, so glaubt man in der Rheinpfalz, vertreibt die so-
genannte Rose von Jericho, in Wasser getaucht und zum Riechen gegeben,
die heftigen Schmerzen. Sie trägt den Namen Rosa oder Anastatica Hierochun-
tina und heisst in Bologna Muttergottesrose (Rosa della Madonna), und auch
hier schreibt ihr das Volk die wunderbare Eigenschaft zu, die Niederkunft zu er-
leichtem. Ab Grund giebt man an, dass sie bei feuchtem Wetter ihre Stengel
nach allen Seiten ausbreitet, bei heiterem aber kugelförmig zusammenzieht, und
sie, wenn sie auch trocken ist, von Neuem ausdehnt, sobald sie in laues Wasser
gelegt wird. Sobald daher in der Gegend von Bologna bei einer Kreissenden
die ersten Wehen eintreten, stellt man diese Rose mit der Wurzel ins Wasser, da
man glaubt, dass in der Zeit, welche die Rose braucht, um sich auszudehnen, alle
Schmerzen vorübergehen, {v. Reinsherg-Düringsfeld.)
Im Harz muss eine Schwangere, wenn sie über die rechtmässige Zeit
hinausgeht, Hafer in ihre Schürze thun und denselben einem Schimmel zu
fressen geben und ihn dabei bitten, für ihre baldige Entbindung zu sorgen. Dieser
Gebrauch findet sich schon in der »Gestriegelten Rocken-Philosophie* (von Prä-
torius) vom Jahre 1709, einem Buche, welches die Thorheiten des in Deutsch-
land grassirenden Aberglaubens zu bekämpfen suchte. Sicherlich klingt hier noch
das alte Heidenthum nach, denn der Schimmel galt den Germanen als des
Wodan heiliges Thier und ein Pferdehaupt schützte sie vor dem bösen Zauber
TJebelwollender und vor den Dämonen.
Im Yoigtlande Hessen sich früher die Kreissenden von dem Nachtwächter
ein geistliches Lied vorsingen, der ungeheissen sich zu diesem Zwecke bei ihnen
einstellte. Jetzt macht man alle Schlösser im Hause auf, reicht der Frau Kümmel,
der zu Johanni um die zwölfte Stunde gepflückt wurde; auch räuchert man sie
mit Zwiebeln, pröpelt und legt den Segen auf die Brust der Mutter.* (Köhler.)
Wenn in Pommern eine Frau nicht gebären kann, so muss man nach
Jahn auf einen hölzernen Teller schreiben:
,Mit Gott dem Vater such' ich Dich,
Mit Gott dem Sohn find' ich Dich.
Mit Gott dem heiligen Geist vertreib' ich Dich."
248 ^^' ^io Schwergeburten im Volksglauben.
Danach muss misui es mit Wein abwaschen und der Frau zu trinken geben.
Auch gewisse mystische Buchstaben schreibt man auf und lässt sie in gleicher
Weise trinken, oder legt es zu der Gebärenden.
Bei den Sachsen in Siebenbürgen soll kurz vor der Entbindung die
schwangere Frau von einer Truhe springen, in eine gläserne Flasche blasen, oder
mit den Füssen an die Thüre stossen, dann geht die Geburt leichter von Statten.
(ßchurosch) Sobald die Niederkunft beginnt, werden alle Schlösser an Thüren
und Kästen im Hause sofort aufgeschlossen.
In Rosenau legte mau vor 50 Jahren der Gebärenden einen Silberzwanziger
und etwas Dillkraut in das Bett und sie sagte dann: ,Ech läien äf Salver och
Dali, men* kän'd sol sen, wä ech wäll." Wenn die Gebärende vor dem Herde
niederkniet, so geht die Geburt leichter von statten (Deutsch-Kreuz). Geht
die Geburt schwer vor sich, so wäscht man die Glocke auf dem Kirchthurm ab
und giebt der in Geburtswehen befindlichen Frau von diesem Wasser zu trinken.
(St. Georgen. HiUner)
Auch in Norwegen werden nach Liebrecht^ wenn die Entbindung bevor-
steht, alle Knoten, die sich im Hause, z. B. an Kleidern u. s. w. befinden, auf-
gemacht. Wenn es den Anschein hat, dass die Niederkunft eine schwierige sein
würde, so -muss der Ehemann einen Schlitten, einen Pflug oder etwas der Art
entzwei hauen.
Ebenso darf bei den Lappen nach FtiUner keine gebärende Frau einen
unaufgeknüpften Knoten an ihrer Kleidung haben.
Äsbjömson sagt, dass das schon den Alten bekannte Zusammenf&gen der
Hände um die Kniee, um die Entbindungen zu hindern, auch norwegischer
Aberglaube sei. Grundtvig meint aber, dass dieser Zug durch unwillkürliche
Schulreminiscenz in die Sage des Volkes beim Aufzeichnen derselben hineinge-
kommen wäre.
In Holland werden die witte Juffers von den witten Wibern unter-
schieden, die einen ganz entgegengesetzten Charakter haben sollen; während die
ersteren oft Gebärende und Kinder entführen, stehen die witten Wiber den Kind-
betterinnen hülfreich zur Seite. (Wolff.)
Bei der vlämischen Bevölkerung von la Campina (Kempen) in der
belgischen Provinz Brabant werden bei der Niederkunft ängstlich alle Aus-
gänge des Zimmers geschlossen, in dem sich die Gebärende befindet, damit eene
kwade band nicht unter irgendwelcher angenommenen Gestalt heimlich herum-
schleichen könne. Ist die Entbindung schwer, so hängt man der Kreissenden ein
geweihtes Band mit einer Reliquie an den Hals, welche fast jede Familie besitzt
und als Schatz von Geschlecht zu Geschlecht bewahrt, Soll die Hebamme oder
ein Arzt geholt werden, so geht, wenn es spät Abends oder Nacht ist, der Bauer
sicherlich nicht allein, sondern nimmt sich einen oder zwei Begleiter mit, die
sich gleich ihm mit tüchtigen Stöcken bewaffnen, um sich gegen jeden Zauber
schützen zu können, (v. Düringsfeld.)
842. Die fibernatflrlicheii GeburtshüllDsimittel bei den romanischen
Tolkem.
Uebernatürliche Hülfsmittel zur Beförderung der Geburt sind schon in dem
mittelalterlichen Italien gebräuchlich gewesen. So empfahl Trotula das Halten
eines Magnets in der rechten Hand, Korallenschnüre um den Hals zu legen, das
^ Album quod invenitur in stercore accipitris*, einen im Bauche oder Neste der
Schwalbe gefundenen Stein zu tragen u. s. w. Von Franz von Piemont^ Lehrer
zu Neapel (um 1340), werden mit grossem Vertrauen als geburtsfördemd gerühmt:
Magnesia mit Esels- und Pferdeklaueuasche bestreut, in die linke Hand genommen;
843. Die übernatürlichen GebortshülfBinittel bei den Völkern Russlands u. den Slaven. 249
der Psalm ^Miserere mei Domine'' bis zu den Worten vDomine labia mea aperis''
wurde von der Gebärenden getrunken, indem derselbe erst mit Feder und Tinte
niedergeschrieben, dann mit Wasser abgespült und nun eingegeben wurde! In
das rechte Ohr wurde «Memor esto Domine* u. s. w. nebst drei Paternoster ge-
sprochen; oder es wurde das ,|Dixit Dominus Domino meo* auf „ Charta non na^**
geschrieben, von einer Jungfrau mit einem wollenen Faden durchzogen und um
den Hals der öebärenden gehängt.
Vielfach wurden bei gefahrlichen Entbindungen geweihte Heiligenbilder oder
Reliquien umgehängt oder verschluckt, (v. Siebold.) In dem Buche «Lilium medi-
cinae^ fuhrt der Lehrer zu Montpellier, Semard von Gordon (1285), unter den
geburtsfSrdemden Mitteln besonders auch „superstitiosa" auf; und der Lehrer zu
Oxford, Johannes Gaddesken {ISOQ)^ rühmt in seiner «Rosa anglica'^ ebenso wie
die Trotüla Magnete und Korallen.
Bei den heutigen Italienern sind nach Nicolai die sogenannten Gonceptions-
zettel von besonderer Wichtigkeit für die Empföngniss und für die Geburt, wenn
dieselben mit dem heiligen Dreikonigs- Wasser benetzt worden sind, und wenn
nachher ein Gebet zu Ehren der Geburt Christi und der unbefleckten Empfängniss
Maria, oder drei Vaterunser, drei Ave Maria und dreimal «Sei Gott dem
Vater u. s. w/ sanmit einem Glauben und darauf ein volles Amen gefolgt
sind. Wenn die Frau kurz vor der Niederkunft einen solchen verschlingt, so soll
das Kind denselben öfters mit auf die Welt bringen, indem er entweder an
der Stirn oder zwischen den Lippen oder zwischen den Fingern des Neugeborenen
sitzt, {Finke),
Im Modenesischen muss man nach Biccardi bei schwerer Entbindung
geschwind eine schwarze Henne schlachten, sie ausnehmen, halb durchtheilen
und der Kreissenden nach Art einer Haube auf den Kopf setzen, dann wird alles
gut gehen.
Aus den Provinzen Belluno und Treviso berichtet Bastanei^ dass man
zur Erleichterung der Geburt am Bettpfosten ein Bildniss von S. Libero be-
festigte, so dass es den Kopf der Kreissenden berührt (perche la paziente possa
al piü presto liberarsi). Auch das umgürten der Gebärenden mit dem geweihten
Strick des heiligen Franciscus beschleunigt die Entbindung. Ein ferneres Mittel
besteht darin, dass man in eine mit glühenden Kohlen gefüllte Wärmpfanne wirr
durch einander am Ostertage geweihte Olivenblätter, Wachskerzen, Heiligen-
und Madonnenbilder aus Papier, Hühnerfedem und Haare von dem Ehegatten
wirft und damit die Kreissende von unten nach oben räuchert. Als sehr
wirksam wird es auch betrachtet, wenn man der Frau ein Grucifix auf den
Magen legt.
In Frankreich glaubt man die Niederkunft zu befördern und zu erleichtem,
wenn man den Gürtel der Frau an die Glocke der Kirche bindet und diese drei
Schläge läuten lässt. (Boddin.) Es soll auch in der Meinung des französischen
Volkes die Geburt sehr befördern, wenn die Ehefrau die Hosen, die Strümpfe oder
die Stiefeln ihres Mannes anlegt. (Thiers.)
343. Die ttbematflrlichen Oeburtshttlfsmittel bei den Völkern Basslands
und den Slaven.
Bei den Völkern Russlands herrschen noch vielerlei mystische Gebräuche
zur Erleichterung der Niederkunft. Im Gouv. Wilna z. B. halt die Hebamme
der Kreissenden ein angezündetes Wachslicht vor das Gesicht; ausserdem klopft
sie mit einem Besen an die Zimmerdecke; sie wendet sich damit an den Haus-
geist^ den. Beschützer der Familie. In ähnlicher Weise klopft die Kreissende
während der Wehen dreimal mit der Ferse an die Schwelle der Hütte. In Klein-
250
LIV. Die Schwergeburten im Volksglauben.
Russland beobachtet man die Sitte, die Kreissende über eine Ofenbrücke nnd
eine Schaufel zu fahren. In einen Aermel des Hemdchens, welches dem Neu-
geborenen angezogen wird, bindet man ein Stückchen Ofenlehm, einige Kohlen
und etwas Kleingeld. An einigen Orten in Süd-Russland föhrt man bei schweren
Geburten die Kreissende an einen Tisch, dessen Rand mit Salz bedeckt ist. Man
ist aber bemüht, den Zeitpunkt der Geburt vor den Verwandten zu verheimlichen.
(Sunjsow.) Im Gouv. Poltawa fuhrt man die Frau über einen rothen Gürtel.
In den Gouy. Charkow und Perm erheben die Hausgenossen einen falschen
Lärm und schreien Feuer! An vielen Orten Russlands und Serbiens öffnet
man im ganzen Hause alle Schlösser, bindet alle Knoten auf und löst den ge-
flochtenen Zopf auf. Meist sucht die Frau sich zu verbergen, um dem «bösen
Blick" zu entgehen.
Wenn im Stawropoler Gouvernement eine Frau zu kreissen beginnt, so
erscheint die ihr als Hebamme dienende alte Frau im Hanse und betet vor den
Heiligenbildern. Darauf führt sie die Kreissende durch das Zimmer und durch
Fig. 305. Kreissende Bassin (Stawropoler Gouvernement),
zur Erleichterung der Entbindung über die Füsse ihres am Boden liegenden Gatten fortschreitend.
(Nach Pakrowsky.)
das ganze Gehöft; und sagt zu ihr: „Betrachte dir, meine Liebe, den Ort, wo du
gebären sollst.^^ Obgleich der Gebärenden bereits die Füsse versagen, muss sie doch,
von noch einer anderen Frau unterstützt, weiter umhergehen, und, um eine schwere
Entbindung zu erleichtern, muss der Mann sich mit dem Gesichte auf die Erde
legen und die Frau muss über ihn hinwegsteigen (Fig. 305). Dieser Gebrauch
des Hinwegschreitens über die Füsse des Ehegatten oder auch über die Thür-
schwelle findet sich nach Barsow's Aussage auch im Rjäsanskischen Gouverne-
ment. Im Wiätkaischen Gouvernement führt man nach der Angabe Ossohin's
die Ereissende ebenfalls umher und legt ihr zur Erleichterung der Entbindung
das Krummholz des Pferdegeschirrs in das Bett. (PokrowsJcy.)
Im Dorfe Korablenko (Gouvernement Rjäsan) werden bei schweren Ge-
burten Trauungslichter angezündet; man giebt der Gebärenden Hafer zu trinken
und löst ihr die Haarzopfe auf. Am Flusse Orel (Russland) werden nach
843. Die übomatürlichen Geburtshalfsmittel bei den Völkern Rasslands u. den Slaven. 251
Barsaw die Schlosser aufgemacht und die Säcke geöfiPnet; hilft das nicht, so
wird der Geistliche um den „Kirchengürtel* gebeten, damit die Ereissende
mit demselben umgürtet werde. Der Gürtel, dessen wichtige Bedeutung in allen
Regionen des Ostens bekannt ist, spielt auch heute noch eine grosse Bolle. Ohne
Zweifel lasst sich dieser Brauch auf folgende Thatsache aus alter Zeit zurück-
fuhren:
In dem Buche Ton JEZer&er^^ß/m, Rerum Moscovitarum Comentarii (Basi-
leae 1556), findet sich in dem Abschnitte «de feris*, welcher vom Unterschiede
des Ur und Bison handelt, folgende Stelle, nachdem zuvor die Rede von dem
TJr war, dem Stammvater unseres zahmen Rindes, dessen feste Haut gerühmt wird:
,Hoc certum est, in precio haberi cingnlos ex uri corio factos et persuasum est vulgo
honun praecinctae partam promoveri. Atque hoc nomine regina Bona, Sigismundi Äugusti
mater, duos hoc genus cingnlos mihi dono dedit: quorum alterum serenissima domina mea
Romanorum Regina, sibi a me donatnm, clementi anima accepit/
Das Anzünden der Hochzeitskerze vor dem Muttergottesbilde ist auch in
Orel gebräuchlich, aber ausserdem wird dort auch noch der Pope gebeten, das
Haupttnor der Kirche zu offnen.
Im Gouvernement Archangelsk trinkt die Frau Wasser, über das Zauber-
formeln gesprochen sind, in denen es heisst: die Mutter Gottes möge herunter-
steigen vom himmlischen Throne, sie möge ihre goldenen Schlüssel nehmen und
bei der Dienerin Gottes N. N. das fleischliche Thor offnen und das Kind auf die
Welt herauslassen. Mit demselben Wasser wird die Kreissende gewaschen.
In Ehstland muss nach Demic die Kreissende eine Schüssel auf ihren
Knieen halten, aus welcher die anderen essen müssen. Auch giebt man dort dem
Ehegatten des Abends viel Bier, das mit Ledum palustre gemischt ist, zu trinken,
und wenn er dann fest eingeschlafen ist, so kriecht die Kreissende heimlich
zwischen seinen Beinen durch.
Bei den Letten spielen Beschworungen bei zögernder Entbindung eine
grosse Rolle. Alksnis hat uns einige derselben mitgetheilt. Auf die Eröffnung
des Muttermundes beziehen sich wahrscheinlich die folgenden:
«Wanderer, Wanderer, stehe auf, setze dich in den Wagen, nimm die Leine in die
Hand, fahre nach Hanse! Eilet, eilet, die Pforte zu Gfiiien! Jetzt fahren Edelleute, wie
Fische in der Du na!*
Oder:
„Schliesse anf, Jesus, die Bergpforte! Der Reisende steht schon auf dem Wege, damit
er hindurchschreiten kann!"
Auf das Hervorwölben der Fruchtblase spielt, wie es scheint, die folgende
Beschwörung an:
.Schiesse hervor, grüner Hecht, aus dem See! Herren fahren, Herren fahren, die
goldenen Segel wOlben sich!'
Der grüne Hecht sowohl als auch die Herren sollen das auf der Wanderung
in das Leben befindliche Kind bedeuten, während die goldenen Segel die Ei-
häute sind.
TJm vernünftige Kinder zu haben und leicht zu gebären, bindet bei den
Serben die Braut schon vor dem Gange in die Kirche zur Trauung alle Knoten
an den Kleidern auf. Bei der Niederkunft werden ebenfalls an den Kleidern alle
Knoten aufgebunden, und selbst das geflochtene Haar wird aufgelöst. Vor dem
Gebären muss die Frau aus den Schuhen ihres Mannes Wasser trinken. Auch
wird durch die Hemdbrust ein Ei auf den Boden geworfen, nachher wird das
Hemd von oben nach unten zerrissen. Ueber die Frau wird ein Gewehr losge-
schossen, um das Kind im Mutterleibe zur Bewegung anzuspornen. Oder es wird
ein Sack auf die linke Seite umgekehrt und aus diesem muss die Frau Wasser
trinken. Auch wird durch das Hemd ein wenig Pulver auf das Feuer geworfen.
Femer trägt der Serbe seine Frau bei der Niederkunft ein wenig im Zimmer
252 LIY. Die Schwergeborten im Volksglauben.
herum, wobei er spricht: «Ich gab Dir die Last, ich will Dich auch von der-
selben befreien.' Dann blast er ihr auch dreimal in den Mund und die Frau
thut dasselbe ihrem Manne; dieses muss aber so angestellt werden, dass der Mann
sich nicht erinnert, warum sie dies thut. Zu demselben Zweck zieht man die
Frau durch einen Reif hindurch, welcher von selbst an ;einem Fass gesprungen
ist. Wenn die Wehen anfangen, stark zu werden, so muss die Gebärende in ein
Rohr blasen; auch muss sie aus dem Munde ihres Mannes Wasser trinken. Die
gebärende Frau wird mit einem Stocke, durch welchen man einen Frosch von
einer Schlange befreit hat, auf ihre Kreuzgegend geschlagen. Dies Mittel wird
als besonders günstig betrachtet, nicht nur für die Frauen, sondern auch far die
gebärenden Thiere. Der Mann stellt sich in die Mitte des Zimmers und die Frau
muss zwischen seinen Beinen hindurchkriechen, während er sie mit dem Hoch-
zeitskleid auf die Kreuzgegend schlägt. (Petrawitsch.)
Unter den Zaubermitteln, welche die südslavischen Hebammen in Bos-
nien, in der Hercegovina u. s. w. nach dem Bericht von Krauss^ anwenden,
ist, ausser den hier angeführten Mitteln und dem Beten eines Vaterunsers, Fol-
gendes zu melden: sie kochen 10 Eier so lange in siedendem Wasser, bis die
Eier ganz zerspringen; dann geben sie der Gebärenden das Wasser zu trinken.
Man löst jeden Knoten an ihren Kleidern und flicht ihr Haar aus einander. Man
beräuchert die Kreissende mit gerösteten Meerzwiebel-Schalen. Man lässt sie aus
ihres Mannes Hemd unberührtes und sonst zu gar nichts gebrauchtes Quellwasser
trinken. Auch lässt man, wie in Serbien, ein Ei durch den Busen faUen und
zerreisst ihr das Hemd tooi Busenlatz bis zum Randsaum. Hier tritt auch
wiederum ein Brauch auf, der an einen ähnlichen, im Harz heimischen erinnert
(dass ein Pferd aus dem Schoosse Kreissender frisst): Wenn das Weib zur Zeit
ihrer Schwangerschaft weidende Stuten sah, befürchtet man, sie könnte wie eine
Stute elf Monate schwanger gehen. Damit dies nicht geschieht, führt man ihr
ein männliches Füllen zu, dem sie in ihrem Schoosse über die Hausschwelle Salz
zu lecken giebt.
Glück führt von den Gebräuchen in Bosnien noch die folgenden als ge-
burtsfordernd an:
, Verzögert sich die Geburt aus irgend einem Grunde, so heizt man vor allem das
Zimmer und befiehlt der Kreissenden, sich in der Nähe des warmen Ofens, respective des
Feuers, Bewegung zu machen, mit einer Holzhacke in der rechten und einer Spindel in der
linken Hand. Diese Maassregel, welche ich selbst seiner Zeit in Foca gesehen habe, wurde
mir dahin gedeutet, dass man das Kind anlocken will. Ist es nämlich ein Knabe, so wird
es der Hacke, ist es ein Mädchen, so wird es der Spindel nachlaufen. Oder es wird der Frau
unversehens ein rohes Ei auf den Nacken gelegt, damit es längs des Rückens herabrolle. Von
sympathetischen Mitteln seien hier noch einige erwähnt: das Aufreissen des vorderen Hemden-
schlitzes, das LOsen aller Knöpfe an den Kleidern und der Haarflechten der Kreissenden,
das Bestreichen des Unterleibes mit den Zipfeln der Tücher, welche sich Frauen, die bereits
geboren haben, um den Leib gebunden haben, ein leichter Schlag mit dem Gürtel eines
Mädchens auf das Kreuz der Gebärenden [wobei eine besondere Formel zu sprechen ist], das
Lösen der Zöpfe eines Mädchens über der Kreissenden, das Auflegen eines Kammes auf den
Unterleib, ein Schluck Wasser aus der Beschuhung des Mannes, das Lecken der Asche von
einer Holzschaufel und schliesslich das Streuen von Nüssen zwischen die Beine der Gebärenden,
wahrscheinlich als Lockmittel für das Kind, welches mit denselben spielen soll."
.Ist die Noth sehr gross, so lässt man bei den Mohamedanern beide Thüren der
nächsten DSamia (Moschee) öffnen, giebt den Armen Almosen und füttert herrenlose Hunde.
Von den ausserordentlich vielen Amuleten, die angewendet werden, kenne ich leider nur zwei,
die aber sehr wirksam sein sollen, und zwar die ersten vier Sätze der 84 Sure, welche auf den
Unterleib gebunden werden, und das folgende Amulet, von welchem der Kreissenden je ein
Exemplar in die Hände gegeben wird:
844. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei den Magyaren u. s. w. 253
2
7
2
i »
7
7 1
2
9
' 1
«Ein Schluck Wassers vom heiligen Bronnefk Abazemzem (es soll das derselbe Brunnen
sein, den ein Engel der vertriebenen Hagar in der Wüste zeigte, als ihr Sohn lamael dem
Verachmachten nahe war; jeder Mekka-Pilger bringt bekanntlich wenigstens eine Flasche
dieses wunderthätigen Wassers nach Hause, um gegen alle Eventualitäten damit versorgt zu
sein), und ein Stückchen angezündeter Kerze vom Grabe Mohamed'a sind die ultima refrigia
in GeburtsnOthen bei Mohamedanerinnen.*
Wenn eine Slavin in Istrien fühlt, dass ihre Entbindung nahe sei, so
eilt sie in die Kirche, um zu beichten, zu communiciren und eine Messe zu Ehren
der heiligen Jungfrau zu hören, deren Schutz sie sich anbefiehlt; dann geht
sie nach Hause, um zu gebären, (v. Düringsfdd.)
Bei den Polen um Krakau glaubt man, dass Kreissende vor den AngrifiFen
der Nixen durch die Glockenblume geschützt werden. (Kopemichi)
S44. Die flbernatflrlichen Oeburtshfllfsinittel bei den Magyaren, Zigennern
und Nen-Oriechen.
In Ungarn glaubt die junge Frau schon bei der Trauung etwas zur Ver-
hütung schwerer Geburten thun zu können. Zu diesem Zwecke springt sie nach
der Copulation beim Herabspringen vom Wagen auf ein mit Mehl gefülltes Säck-
chen. Durch diesen Zauber sollen die Entbindungen so leicht werden, wie das
Ausschütteln des Mehls aus dem Sacke, (t;. Gsaplovics)
Von den Zelt-Zigeunern in Siebenbürgen berichtet v, Wlislocki: So-
bald die Geburtswehen eintreten, löst man jeden Knoten an den Kleidern der
Frau und an ihrer Umgebung. Der Mann zerlegt die Axt oder den Hammer und
lässt dann vermittelst eines Schilfrohres oder eines Strohhalmes aus seinem Munde
einige Tropfen Wasser in den Mund seiner Gattin laufen. Bei schweren Geburten
kommen die Stammesgenossinnen der Gebärenden zu Hülfe und jede Ton ihnen
lässt ein Ei zwischen den Beinen derselben hindurchfallen, wobei folgender Spruch
gemurmelt wird:
Eichen, Eichen ist rund,
Alles ist rund,
Kindchen komm hervor gesund!
Gott der Herr ruft dich hervor!
Bei den Neu-Griechen öffiiet die Hebamme alle Schlösser des Hauses, der
Thüren, der Kisten und Koffer, denn man glaubt, dass nur dann, wenn Alles ge-
öffiiet ist, die Geburt gut vor sich gehen könne. Auch durfte Sonnini^ als er bei
einer Geburt anwesend war, vor Beendigung derselben das Zimmer nicht yer-
lassen, und niemand durfte in das Zimmer hineingehen, denn man fürchtet, dass
dadurch die Entbindung gestört werden könne. (Moreau,) Wenn trotzdem die
Geburt nicht Tor sich geht, so nimmt man seine Zuflucht zu dem Ehemann der
Gebärenden, welcher alle Hindemisse glücklich beseitigt, indem er der Frau drei
Schlage mit seinem Schuh auf den Kücken giebt und dabei mit lauter Stimme
ruft: lylch bin es, der dich belastet hat, jetzt entlaste ich dich!*" Zur Erleichterung
der Niederkunft wird während des Kreissens das Haus mit einer Pflanze bestreut,
welche Ton der handähnlichen Form /ägi navoQlag genannt wird. Das ist wohl
auch eine symbolische Handlung, ohne dass man eine arzneiliche Wirkung von
dieser Pflanze erwartet.
254
LIY. Die Schwergebtirten im Volksglauben.
Nach der MittheiluDg von Böser in Athen wird hier und da in Griechen-
land nach altem Brauch in dem Augenblicke, wo das Kind durchtreten soll,
einem Hahne der Kopf abgeschnitten: Böser meinte, man konnte dabei vielleicht
an das Opfer für den Aesktdap denken, dem der Hahn bekanntlich heilig war.
345. Die flbernatflrliclien Oeburtshfllfsmittel bei den Japanern und
Chinesen.
Es wird uns nicht überraschen können, dass wir auch bei den Japanern
und bei den Chinesen auf übernatürliche Geburtsbeforderungsmittel stossen.
In Japan verschlucken Schwangere vor der Entbindung ein Stückchen Papier,
auf welchen der Schutzpatron der Gebärenden abgebildet ist, in der Hoffnung,
so einer leichten Entbindung entgegen zu gehen; Andere trinken in dieser Ab-
Fig. 306. Kreissende Japanerin, der eine Frau in ihrer schweren Niederkunft mit einer Zauber-
formel Hülfe bringt. (Nach einem Japanischen Holzschnitt.)
sieht eine Abkochung von ungeborenen Hirschkälbern, die getrocknet, zerstossen
und dann gekocht werden. In manchen Tempeln werden auch Papiere unter dem
Namen Setzu Bun verkauft. Diese Worte sind in chinesischen Zeichen auf
ihnen geschrieben. Wenn die Gläubigen das Geld in den Kasten geworfen haben,
werden diese Papiere an einem erhöhten Orte aufgehängt,
aber durch einen Priester mit einem Fächer in beständiger
Bewegung gehalten, so dass es schwer ist, ein solches Papier
zu erhaschen. Hat man eins bekommen, so schneidet man
beide Schriftzeichen aus einander, und darauf wird die eine
Fig. 307. Zusammenge- Hälfte in ganz kleine Stückchen geschnitten und herunterge-
BeÄmÄeÄw^ schluckt; das befördert die Geburt. Das Wort Setzu Bun selbst
ren Niederkunft. (Nach bezeichnet den Gebrauch, dass man am Vorabend des neuen
^^*Hoiach^tt.f ^"^ "^^^^^ Erbsen streut, um die bösen Geister zu vertreiben.
(Miyahe.)
In der früher schon erwähnten japanischen Encyclopädie der Wahr-
sagekunst (Yedo 1B56) befindet sich die Darstellung einer Kreissenden, vor der
eine Frau kniet und in den Händen einen Gegenstand hält, der wahrscheinlich
ein zusammengefaltetes Papier bedeuten soll. (Fig. 306.) Herr Dr. F. W. K, Muller
J:^^ — =^
346. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei den vorcolumb. Bewohnern von'Mexiko. 255
hatte die Freundlichkeit, mir den dazugehörigen Text folgendermaassen zu über-
setzen :
.Zauberformel, zu gebrauchen, wenn die Frau nicht gebären kann. Man schreibt diese
Formel nieder und faltet rothes und weisses Papier, gleich der Form dieser Zauberformel.
Dann l&sst man es verschlucken, zur Zeit, da die Frau nicht geb&ren kann. Schnell wird
dann die Geburt vor sich gehen.*
Das in der Form der Zauberformel zusammengefaltete Papier ist in Fig. 307
dargestellt. Von den mit Schriftzeichen markirten Stellen desselben müssen die
beiden Zipfel roth, die beiden kleinen Bezirke weiss sein. Die Zauberformel endet
mit den Worten: ,kyü kyu nyo ritsu rei*, was nach Hepburn ungefähr bedeutet:
,DaB mag so sicher sein als das Gesetz"; eine Formel, welche allen geschriebenen
Zaubersprüchen und Beschwörungen angehängt wird.
Sowohl bei leichten, als auch bei schweren Entbindungen spielen in China
Amulete eine grosse Rolle. Zauberer und Zauberinnen müssen den bösen Geist
bannen; die Gebärende zieht besondere Strümpfe an, welche bei dem Dalai Lama
bestellt und von ihm vorher geweiht worden sind; oder sie verschluckt Pillen von
Papier, auf welches besondere Zaubersprüche geschrieben stehen. (Staunion.) Ein
chinesischer Arzt, rath, das in China während der Geburt gebräuchliche Beten
zu unterlassen:
,Man hüte sich, dass man in ihrer Gegenwart zu beten anfange, oder den Himmel und
die Heiligen anrufe; noch weniger schicke man gar nach einem Hochang.* fv. Martius,)
Vielmehr soll sich die Kreissende, wie der Arzt verlangt ruhig verhalten,
geduldig sein, und man soll ihr Trost zusprechen.
Die Miaotse in der Provinz C an ton beten bei schwerer Niederkunft zu
den Dämonen, denn nur diesen wird eine Störung des Geburtsverlaufes zuge-
schrieben. Daher sind Medicamente in diesem Falle nicht im Gebrauch. Um die
Dämonen zu versöhnen, wird bei dieser Gelegenheit ein Huhn vom Priester ge-
opfert. {Kröscjgyh)
346. Die übernatürlichen Oebnrtshttlfsinittel bei den Torcolnmbischen
Bewohnern Yon Mexiko.
üeber die Gebräuche, welche die mexikanischen Indianer vor der Zeit
der spanischen Eroberung bei den Niederkünften der Frauen beobachteten,
liegen die Berichte einestheils von Ferdinand Cortez^ anderentheils von Biego
Garcia de Pdlacio YOT^ welcher letztere, ein hoher Begierungsbeamter in Central-
Amerika, 1576 über die Provinzen Honduras und San Salvador dem Könige
von Spanien Nachricht gab.
Wenn die Gebärende die Hebamme gerufen hatte und nicht niederkommen
konnte, so musste sie ihre Sünden beichten, namentlich ob sie sich eines Ehe-
bruchs schuldig gemacht habe. Ging die Geburt nun nicht von Statten, so
holte man, sobald die Frau den Namen des Ehebrechers genannt hatte, aus
dem Hause des letzteren die Decke und Beinkleider desselben und umgürtete
damit die Kreissende. Konnte sie hierauf noch nicht gebären, so rief man den
Mann und liess auch diesen beichten, und wenn auch dieses nicht helfen wollte,
so nahm man dessen Mantli (eine Art Unterhose) und die Beinkleider, die er trug,
und legte sie der Gebärenden auf den Leib, und der Mann opferte Blut von den
Ohren und der Zunge. Beforderte auch dieses die Geburt noch nicht, so opferte
die Hebamme von ihrem eigenen Blute. Dabei spritzte sie es nach allen Wind-
richtungen, wobei sie Gebete und Zauberformeln sprach. {Hack)
Bancroft berichtet ausserdem:
»Wenn die Entbindung einer Frau schwierig und gefährlich zu werden schien, so sagte
die Hebamme zn der Fran: ,Sei stark, meine Tochter, wir können nichts für Dich than. Hier
sind zQgegfen Deine Matter nnd Deine Angehörigen, aber Du allein mosst dieses Gesch&fb zu
Ende f[Lhren. Sieh zu, meine Tochter, meine wohlgeliebte, dass Du ein starkes und muthiges
256 I^IV. Die Schwergeburten im Volksglauben.
und mannhaftes Weib bist; sei gleich der, die zuerst Kinder geboren hat, gleich Cioacoatl,
gleich QuilaztU^ Und wenn dann nach einem Tage und einer Nacht die Frau das Kind
nicht herausbringen konnte, so nahm sie die Hebamme von allen anderen Personen abseits
und brachte sie in einen abgeschlossenen Raum und sprach viele Gebete, indem sie die
Göttin Cioacoatl anrief und die Göttin YoalticiÜ und andere Göttinnen.''
347« Die übeinatürliclien Oeburtshfll&mittel bei den Indianern Amerikas.
Wenn wir in den vorigen Abschnitten bei manchem Aberglauben an analoge
Gebräuche bei den alten Calturvölkem erinnert wurden, und wenn sich die An-
nahme nicht von der Hand weisen liess, dass es sich hier um eine directe üeber-
tragung, um unbewusste Erinnerungen an frühere Zeitperioden handelt, so werden
wir auch bei den zum Theil auf recht niederer Stufe befindlichen, aussereuro-
päischen Völkern Aehnliches finden, ohne dass hier von derartigen Reminiscenzen
die Rede sein kann. Wir können hier nur annehmen, dass unter ähnlichen Ver-
hältnissen der menschliche Geist zu den gleichen Gedankengängen und zu ähn-
lichem Handeln veranlasst worden ist.
Der Payagua-Indianerin in Süd-Amerika hilft bei der Niederkunft
in der Regel Niemand; wenn sich jedoch die Geburt verzögert oder ihre Nach-
barinnen sie dabei stöhnen hören, so kommen diese mit kleinen Schellen oder
lüappern in der Hand herbei und schütteln diese eine kurze Zeit so stark
sie können; hierauf gehen sie wieder fort und überlassen die Gebärende ihrem
Schicksale. Auch von den Mbayas in Paraguay wird durch v. Aeara das
Gleiche berichtet.
Bei den Galibi-Indianern in Guyana sammeln sich diejenigen, welche
die übernatürliche Hülfe bringen wollen, nicht um die Kreissende, sondern um
den Gatten, und während die Frau draussen niederkommt, füllt sich die Hütte
des Ehemannes mit Freundinnen in geräuschvoller Weise an, und ein eingeborener
Medicin-Mann lässt dabei eine Trommel ertönen, um den bösen Geist auszu-
treiben. {Boussenard)
üeber die Hülfsleistung bei schwerer Entbindung, welche bei den öst-
lichen Indianersippen heimisch ist (in Kansas, Colorado und Indianer-
land), d. h. bei Cheyennen, Arrapahoes, Kiowas, Comanchen und Ost-
Apachen, machte ein Arzt folgende Mittheilungen:
.Unterdess machte der Oberarzt des Stammes in einer benachbarten Hütte gewaltige
Anstrengungen, der Ereissenden dorch Mittel zu helfen, welche ich nicht sehen durfte, deren
Inswerksetzung man jedoch deutlich vernehmen konnte. Die Ceremonie wurde abseits in einer
geschlossenen Hütte abgehalten und bestand, so viel ich ermittelte, in Trommeln, Singen,
Jauchzen, Tanzen, um das Feuer laufen, darüber springen, mit Messern hantiren und anderen
Possen. Diese Art ärztlicher Hülfe ist bei den Indianern sehr gebräuchlich und wird stets
mit Ernst und feierlich und mit vollem Vertrauen auf ihre Wirksamkeit gehandhabt. Der
leitende Gedanke ist der, dass Krankheit ein in den Kranken einkehrender böser Geist ist
und aus ersterem durch magische Kräfte oder durch Schmeichelworte ausgetrieben oder ver-
scheucht werden muss.^ (Engümann,)
Ein andermal wurde der Kreissenden vom Zauberer scheinbar etwas in den
Mund geblasen, um ihr Muth einzuflössen und sie vor Unheil zu bewahren.
Bei den Indianern Nord- Amerikas muss bisweilen auch eine Gemüths-
erschütterung der zögernden Natur zu Hülfe kommen. Ein Arzt, der einer Co-
man che -Frau beistand, berichtet, dass bei derselben die Wirkung des Schreckens
die Entbindung beschleunigen sollte:
ff Sie wurde heraus aus dem Lager gebracht, und Eiasehahy^ ein bekannter Kriegsheld,
bestieg ein flinkes Pflerd; kriegsgemäss bemalt und ausgerüstet, sprengte er auf sie los und
parirte erst in dem Augenblicke, wo sie erwartete, durchbohrt und zerstampft zu werden.
Wie berichtet wird, erfolgte auf diese fürchterliche Muthprobe unmittelbar die Austreibung
der Frucht.*" {Engelmann,)
848. Die übernatürlichen Geburtsbülfismittel bei den afrikanischen Völkern.
257
Schon ältere Autoren erzählen von einem ähnlichen Verfahren; so
de Charlevoix: Wenn bei den Indianern Nord-Amerikas die Niederkunft einer
Frau langwierig ist, so yersammelt sich die Jugend des Ortes vor der Hütte der
Gebärenden und erhebt ein plötzliches furchtbares Geschrei: ,,et la surprise lui
cause un saisissement, qui lui procure sur le champ sa d^livrance/
Schoolcraft veröflFentiicht einen , Bericht über die Dacota-Indianer, in
dem es heisst:
,Bei schweren Entbindungen wird der Gebrauch von zwei bis drei gepulverten Gliedern
der Klapperschlange als sehr wirksam gerühmt. Nach dem Grunde gefragt, sagte der Medicin-
Mann: Ich nehme an, dass das Kind die EQapper hört, und dass es denkt, die Schlange
kommt, und sich beeilt, ihr aus dem Wege zu gehen.*
In der argentinischen Republik macht man bei schwerer Niederkunft auf
dem Bauche der Gebärenden ein Kreuz, und zwar mit dem Fusse eines Menschen,
der Johannes heisst. (Mantegcusza.)
348. Die übernatfirlichen Oebnrtshfllfsmittel bei den afrikanischen
Tolkern.
Von den Bombe in Gentral-Afrika berichtet Buchta, dass sie bei schweren
Entbindungen die Hülfe der Zauberer anzurufen pflegen.
Auch bei den Niam-Niam wird, wenn die Geburt schwierig zu werden
beginnt, der Zauberarzt, der zugleich Wahrsager ist, gerufen. Bevor er der
Kreissenden seine Unterstützung angedeihen lässt, theilt er ihr mit, welche Ant-
wort über ihr Geschick ihm die Vorzeichen gegeben haben. Ausser diesem fuhrt
Piaggia auch noch an, dass auch die Ehemänner eine Art Augurium anwenden,
um über den Verlauf der Entbindung
etwas zu erfahren, wenn ihre Frauen
von Geburtsschmerzen befallen wer-
den. Sie tauchen dann einen Hahn
mit dem Kopfe unter Wasser und
setzen ihn so eine Zeit lang der Ge-
fahr des Ertrinkens aus. Kommt
derselbe noch lebend zum Vorschein,
so ist dies ein gutes Zeichen für die
Zukunft, ist er jedoch todt, so be-
deutet dies Unglück. Nach Felkin
trommeln und musiciren die Weiber
bei der Entbindung der Niam-
Niam-Frauen (Fig. 308), und wäh-
rend der Niederkunft einer Kidj-
Negerin ertönt lauter Gesang der
Freundinnen fort und fort, und sie thun Alles, um ihr Muth einzuflössen.
In Abyssinien wird, nach jS2anc, während die Geburt vor sich geht, von
den die Frau umgebenden Personen fortwährend geschrieen; auch „Sympathiseurs'^
stehen in grosser Anzahl rings umher« Ist dort die Entbindung eine schwere, so
zieht der Vater seine Sandalen aus, umschreitet barfuss das Haus und führt mit
der Breite seines Schwertes Hiebe auf die Aussen wand, während im Inneren des
Hauses die helfenden Frauen ein Gebet an die heilige Maria^ die Schützerin der
Mütter, anstimmen. (Rheinisch,)
Nimmt bei den Somali die Niederkunft nicht den gewöhnlichen Verlauf
und furchtet man Gefahr für Mutter und Kind, so wird irgend ein Amulet oder
ein Rosenkranz aus den Zähnen des Halicore über dem Eingange des Hauses auf-
gehängt. (Haggenmacher,) Patditschke berichtet von demselben Volk:
Fig. d08. Niam-Niam-Fraa,
am Flusse auf einem Klotze sitzend und niederkommend,
indees Freundinnen musiciren. (Nach Feikin.)
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II.
17
258 LIY. Die Schwergeburten im Volksglauben.
,Naht die Stunde der Niederkunft, so leisten der Kreissenden Freundinnen Hülfe, in-
dem sie ihr w&hrend der Geburtswehen ermunternde Worte und Segenssprüche zuflüstern,
wohl auch chirurgische Dienste leisten.*
Kreissenden Sennarierinnen bindet man nach Hartmann eine Schlangen-
haut, besonders von der Riesenschlange (Python), um den Leib, spricht religiösen
Segen über sie und behängt sie mit Amuleten. Das Behängen mit Amuleten ist
bei vielen Neger -Stämmen gebräuchlich.
Das Beichten eines etwaigen Ehebruchs bei der Niederkunft wird nach Sue
auch in Madagascar geübt, und man glaubt fest, dass die Gebärende sterben
müsse, wenn sie dem (hatten nicht wahrheitsgemäss berichtet , ob sie auch mit
anderen Männern Umgang gepflogen habe. Wenn dort eine Gebärende stirbt, so
ist man überzeugt, dass sie etwas verheimlicht hat.
Wie es in Marokko unter den Zeltbewohnern bei schweren Entbindungen
zugeht, hat Bohlfs durch Befragen in Erfahrung gebracht. Zuerst lässt man zu
der Kreissenden einen Fakih kommen, der durch Weihrauch und fromme Sprüche
den Teufel zu bannen versucht, denn der Teufel ist auch in Marokko die Ur-
sache allen Uebels, und somit auch der zögernden Niederkunft. Hilft das nichts,
so schreibt man Koransprüche auf eine hölzerne Tafel, wäscht sie dann ab imd
lässt die Kreissende dieses Spülwasser trinken. Bleibt auch dieses Verfahren
ohne Erfolg, so werden Koransprüche auf Papier geschrieben, zerstampft und mit
Wasser gemischt der Leidenden eingegeben. Aber manchmal hat der Satan das
Weib derart in Besitz genommen, dass er selbst durch das heilige Buch nicht
ausgetrieben wird. Dann werden allerlei Amulete angeordnet, z. B. die in ein
Ledersäckchen eingenähten Haare eines grossen Heiligen, die man der Kreissenden
auf die Brust legt, oder Wasser vom Brunnen Semsem (der in der Mitte des
heiligen Tempelgebietes von Mekka sich befindet und nach Snouck Hurgronje
ein leichtes Bitterwasser enthält), welches man ihr zu trinken giebt. Von diesem
Brunnen wurde ebenfalls schon gesprochen. Es wird der Kreissenden auch etwas
Staub aus dem Tempel in Mekka auf ihr Ruhebett gelegt. Dann lässt bisweilen
der Teufel seine Beute fahren und die Entbindung geht glücklich zu Ende.
Es konunen aber auch genug Falle vor, wo der Iblis (Teufel) derart sich
des Weibes bemächtigt hat, dass er keinem Mittel weichen will ; die Hülfsweiber
nehmen dann selbst den Kampf mit ihm auf. Unter Beschwörungen und fort-
während rufend: Rhamek-Lah! (Gott erbarme sich Deiner!) wird die Frau er-
griffen, ein starkes Band wird um ihren Rücken und unter ihren Achseln hin-
durchgeschlungen und so wird sie in die Luft gezogen. Dadurch will man die
Wehen beschleunigen, und zeigt sich dann ein Theil des Kindes, entweder der
Kopf oder die Füsse, so versuchen sie, diese Theile zu ergreifen und durch starkes
Reissen und Ziehen das Kind zu Tage zu befordern. Nur selten gelingt das;
meist wird das Kind zerrissen und fast immer ist der Tod der Mutter die Folge
dieses barbarischen Verfahrens.
In Aegypten wenden die Hebammen Beschwörungen an, auch lassen sie
ein Kind zwischen den Schenkeln der Kreissenden hüpfen und tanzen, um den
Fötus zur Nachahmung zu reizen. (Clot Bey.)
An der Loango-Küste werden bei schweren Entbindungen die Nachbar-
hütten rücksichtslos geräumt, die Kinder aus dem Dorfe fortgeschickt, und die
Assistirenden erheben ihre Stimme, um durch allgemeinen Lärm die Klagelaute
der Kreissenden zu übertäuben. (Pechud-Loesche.) Kommt dort eine Königin
nieder, so muss ein ganz Unbetheiligter einen Reinigungseid auf die Treue der
Gebärenden trinken.
Bei den Woloff-Negern muss jedes Weib, welches der schweren Stunde
entgegensieht, den Erzeuger des Kindes nennen, widrigenfalls sie in ihren Nöthen
ohne j^liche Hülfe bliebe; ja Mutter und Kind liesse man zu Grunde gehen,
wollte sich erstere gegen jene Sitte auflehnen. (Höfler.) Der von ihr ausge-
348. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei den afrikanischen Völkern.
259
sprochene Name wird dann dem neuen Erdenbürger gegeben. Dabei pflegen die
Eltern und Nachbarn, welche in einem Gemache der Hütte, oder, wenn dieselbe
aus einem einzigen Räume besteht, auf der Schwelle der Thür niederzuhocken,
einen monotonen Gesang anzustimmen und dazu in regelmässigen Zeiträumen in
die Hände zu klatschen.
Fig. 309. Menschliche Thonflgürchen, welche in Agitome (Togo) bei bevorstehender Niederkunft
vor dem Dorfe aofgesteUt werden.
(Mnseum für Yölkerkonde in Berlin.) (Nach Photographie.)
Bei Agitome im Togo-Gebiete fand Kling kleine menschliche Figürchen
aus Thon, welche bei einer bevorstehenden Entbindung vor dem Dorfe aufgestellt
werden. Sicherlich sollen auf diese Weise die Weiber bei der Niederkunft ge-
schützt und beschirmt werden. Ob diese Figuren, die von unglaublicher Rohheit
sind, Wachtposten sein sollen gegen andringende Dämonen, oder ob sie den
letzteren als Ersatzmänner für die Niederkommende dargeboten werden, darüber
steht bis jetzt noch nichts fest. Das Museum für Völkerkunde in Berlin ist
durch Kling in den Besitz solcher Figuren gekommen, welche in Fig. 309 vor-
geführt werden.
Aus einer grossen Zahl von Talismanen, welche Dylowsky
von seiner Sendung nach Fernand-Yaz aus Dahome mit-
brachte, beschreibt Delafosse^ einen derselben, der bestimmt ist,
die Niederkunft zu erleichtem. Wahrscheinlich ist dieser »Harz",
dieser Talisman, wie alle die übrigen, von den Haussa-Mara-
buts hergestellt und mit arabischen Formeln beschrieben;
ausser den Schriftzeichen befindet sich auch die Darstellung
einer weiblichen Figur darauf (Fig. 310), welche früher bereits
(Seite ,604 Bd. I) erwähnt worden ist:
Der Talisman «repr^sente une n^gresse enceinte, dot^e de tous
las apanages de 80n sexe et de son ^tat, tele qu'ils apparaissent d'habi-
tude snr les dames du continent noir: seins longa et tombants, ventre
gonfl^ en forme d^outre, rien ne manque ä cette peu esth^tique Sil-
houette.*^
Fig. 310.
DarsteUang
DeUfosse giebt von der daneben geschriebenen Zauber- elStL^TlSSman"' aSf
Dahome, zur Erleich-
formel folgende XJebersetzung:
,C'est Lui (Dieu) dont nous implorons le secours: Explication: *^^ J®^^^^®^^^^
Tu ^criras k la femme enceinte, qui portera un fruit dans un 6tat avanc^, *^ ' vosse .)
ce qui suit:
,Qu* Il(la) prot^ge, Dieu, Dieu, Dieu, Dieu le Diligent, le Diligent, le Dili-
gent, Celui qui entend tout, Celui qui entend tout, Celui qui entend tont, le Constant,
le Gonstant, le Constant! Dis: C^est Lui le Dieu unique, le Dieu 6ternel: II n*a
pas enfant^, et n'a pas ^t6 enfante; H n*a point d'egal. Salut, salnt, salut, salut, salut,
salut, salut, salut sur le sceau de Hayifoua, Sois heurenx en Dieu, qn*il soit exalt^!
17*
260 ^^^* ^i® Schwergeburten im Volksglauben.
^Margani Hayifoua.
„Sois heoreuz en Dieu, qa* II soit exalt^!'
Mit Recht bedauert Ddafosse^ dass nicht angegeben ist, womit, und an
welcher Stelle ihres Körpers der Schwangeren diese Formel aufgeschrieben werden
muss. Die Schrifbzeichen sind in kabbalistischer Weise gesetzt.
349. Die übernatflrlichen OebnrtshfiUismittel bei den Tolkern Asiens.
Wenn bei den Türken eine Frau in Kindesnöthen ist, so begiebt sich der
Ehemann mit seinen Freunden in die öffentlichen Schulen; dort machen sie dem
Schulmeister ein Geschenk und bitten ihn, den Schülern Urlaub zu gewähren; das
soll die Niederkunft erleichtem. Auch kaufen zu gleichem Zweck die Väter einen
Vogel und geben ihm die Freiheit. (Turpin.)
Damian Georg berichtet ausserdem, dass die in das ßebärzimmer Ein-
tretenden ein Stück aus dem Koran niederschreiben und dieses in eine Stubenecke
legen, um die Entbindung zu beschleunigen.
Eine Entbindungsscene bei einer samaritanischen Dame in Jerusalem
beschreibt Türk folgendermaassen:
aAm Abend vor meiner Abreise von Jerusalem baten mich einige Personen, unver-
züglich nach der Wohnung einer samaritanischen Dame zu eilen. Inmitten eines weiten
Saales erblickte ich dort in einem altmodischen Lehnstuhle eine leidende Matrone, eingehüllt
in eine Masse von Gewändern und umgeben von nahe an fünfzig Frauen, theils Bekannte,
theils Dienerinnen. Sie reichte mir den Puls, er ging voll und stark ; die Haut war kalt und
feucht. Ich wollte einige Fragen an sie richten , als ein Theil der Anwesenden mich mit
lärmender Ungeduld zur Thüre zog und mich um meinen unverzüglichen Beistand beschwor.
Aus ihren verwirrten Worten hatte ich nichts entnehmen können, als dass das üebel noch
neu war, ihre Geberden dagegen Hessen mich auf ein Unterleibsübel schliessen. Kaum war
ich aber auf dem Hausflur angelangt, als sich ein plötzliches Freudengeschrei vernehmen liess.
Man bestürmte mich mit Danksagungen für den günstigen Erfolg meines Besuches, und zu
gleicher Zeit erfuhr ich, dass man mich herbeigerufen hatte, damit ich durch Anwendung von
Medicin einer schweren Entbindung zu Hülfe komme. Schon der Lehnstuhl , der bei anderen
Gelegenheiten nur höchst selten gebraucht wird, hätte mich mit dem eigentlichen Sachverhalt
bekannt machen müssen, wäre nicht in diesen Klimaten, wo die Entbindungen mit einer
solchen Leichtigkeit geschehen, dass die Hülfe der Kunst fast nie in Anspruch genommen zu
werden braucht, die Anwesenheit eines Arztes und überhaupt einer männlichen Person bei
einem solchen Act streng untersagt. Selbst die Hebammen sind überflüssig und der gewöhn-
liche Beistand ist die Mutter oder eine bejahrte Dienerin. **
Vamhery sagt von den mittelasiatischen nomadisirenden Türken:
«Da die Frau der Nomaden während der ganzen Schwangerschaft, ja selbst in den
letzten Tagen mit keiner Arbeit und Anstrengung verschont wird, so wird sie von den ersten
Wehen bisweilen inmitten ihres Tagewerks überrascht. Die erste Hülfe wird selbstverständlich
von den älteren Frauen des Auls geleistet, die darauf bedacht sind, mittelst Zaubermittel die
Leidende vom schädlichen Einfluss des Älbasti (wörtlich Scheindruck), dieses Unheil bringen-
den Geistes zu befreien, zu welchem Behufe die von der schwangeren Frau schon längst am
Halse getragenen Tumars (Amulete) zurechtgelegt und angehaucht werden. Kommen die
Wehen heftiger, so wird eine beliebige in Bereitschaft gehaltene Nuszscha (Talisman) in
Wasser getaucht und der Gebärenden zum Trinken dargereicht, in der Annahme, dass die
geistige Wunderkraft des Wortes auf die schwarze Tinte übergegangen sei und diese nun
unmittelbar wirken werde. An anderen Orten versucht man es, den bösen Albasti mittelst
Lärm zu verscheuchen, indem man an die äusseren Wände des Zeltes mit Stäben klopft, wild
zu schreien und zu heulen anfängt, oder wo Schusswaffen zur Verfügung stehen, fortwährend
Flinten abfeuert; während man dort, wo der Islam noch nicht feste Wurzel gefasst, als üeber-
bleibsei aus dem alten Schamanenglauben dem Öjkarasi (der böse Geist des Zeltes) ins lodernde
Feuer geworfene Fettstücke, und zwar vom beliebten Lammfett, opfert, und hilft Alles nichts,
so wird schliesslich das Zauberband (bag) angewendet, indem die in Kindesnöthen Liegende
von starker Manneshand an einen Siarick gebunden wird, so zwar, dass die Arme noch lange
349. Die übernatürlichen Gebnrtshülfsmittel bei den Völkern Asiens. 261
nachher Striemen aufweist: denn hiermit soll nach uralter Türkensitte dem bösen Geist
die Kraft genommen und sein Einfluss unschädlich gemacht werden.*^
Die Soongaren schreiben schwere Gebarten dem Einflasse böser Geister
za; in solchen Fällen geht dann ein Mann schnell am die Hütte hemm and schreit
aas allen Kräften, mit einem Knüttel fechtend: „Qarr Tchetkürr", d.h. ^Teufel
fort*'; dabei beten die Anwesenden zu den Göttern, während die Weiber ihre
Kanst an der Leidenden versachen. Die Geistlichkeit hält sich dabei möglichst
fem und dient den Vomehmen höchstens mit gewissen Amaleten, womnter ge-
weihte Strümpfe, Ablasszettel a. s. w. eine Rolle spielen. (Klemm.)
Wenn bei den Kalmücken die Entbindung nahe ist, so wird ihr Götze
aufgestellt and demselben eine Lampe angezündet. (Krebel.) Zögert aber die
Niederkunft, so ruft man einen Zauberarzt; dieser hängt der Gebärenden ge-
schriebene Gebete und Zaubersprüche um den Hals und um den Leib, damit durch
diese der Teufel, welcher die Entbindung hindert, vertrieben werde. Gleichzeitig
wird der Leib der Gebärenden durch einen hinter ihr stehenden Mann zusammen-
gepresst. (Meyerson.)
PaUas sagt:
,Wenn bei den Kalmücken ein gemeines Weib gebähret, so wird ein Geistlicher ge-
rufen, welcher die gehörigen t an gu tischen Gebete bey dem Zelte verlesen muss. Der Mann
der Gebährerin spannt indessen um sein Zelt ein Netz auf und muss, bis das Kind gebohren
ist, mit einem Knüttel in der Hand ein beständiges Luftgefecht um das Zelt her machen und
rufen Gart Tschetkirr (fort Teufel), um nemlich den satanischen Boten abzuhalten. Bey Vor-
nehmen werden so viele betende Pfaffen auf die Hut gestellt, dass diese Wacht schon hin-
reichend ist, um die bösen Geister zu vertreiben.''
Bei den Baschkiren und Kirgisen wird ftir die Niederkunft fast immer
ein Teufelsbeschwörer, Wahrsager oder Zauberer hinzugerufen. (Krebd,)
Zdleski berichtet:
,Les femmes des Eirghises reclament souvent un präsent des voyageurs qu^elles ren-
contrent. On am^ne volontiers des ötrangers pr^ des femmes en couches, dans Tid^e que lenr
pr^sence facilitera la venue an monde de Fenfant; ils fönt un tapage extraordinaire, con-
vaincus, que Tefiroi aide & la d^livrance de la m^re.'
Frau Atkinson^ welche mehrere Jahre unter den Kirgisen- Stämmen des
ostlichen Sibiriens lebte, sagt, dass man die Kreissenden mit Stöcken schlägt,
um den Teufel von ihnen auszutreiben.
Wenn bei den Kirgisen im Gebiet Semipalatinsk die Niederkunft nicht
von Statten geht, so werden zuerst alle Weiber aus der Jurte der Gebärenden
Terjagt, weil man annimmt, dass unter ihnen ein Weib böse und vom Schaitan
(Satan) besessen sei Innen aber versammeln sich die Männer und um die Jurte
herum stellen sich alle übrigen Einwohner des Auls auf. Man schreit, lärmt,
schiesst, schlägt mit Peitschen um sich, ja mitunter schlägt man, jedoch nur zum
Schein, auf die Gebärende. Nun ruft man einen „Dargon* d. h. einen mit der
Wirkung der Arznei vertrauten Mann, also eine Art Arzt, häufiger aber einen
«Baksa' (eine Art Schamane). Dieser spielt auf einem Saiteninstrumente, „kobysa*,
geräth in Verzückungen, und in diesem Zustande kann er heilen. In ausnahms-
weise schweren Fällen holt man sogar zwei Baksen herbei. Es können auch
Frauen Baksen werden, doch findet man das selten.
Die vom Baksa geübte Ceremonie geht in folgender Weise vor sich: Alles Feuer wird
verlöscht bis auf das in der Mitte auf dem Herde befindliche. Die Kranke wird bei diesem
letzteren niedergelegt, während der Baksa, in ein weisses, langes Hemd gekleidet, niederkniet
und seine Eobysa (ein dreisaitiges, mandolinenartiges Instrument) vor sich stellt. Zuerst be-
ginnt er langsam sich hin- und hemeigend auf dem Instrumente zu spielen : von Zeit zu Zeit
schüttelt er es, dass die metallischen Anhänge an demselben klingen; dann singt er mit
zitternder Stimme eine wilde, fremdartige Melodie. Ab und zu wird der Gesang durch un-
artikulirte laute Schreie unterbrochen; ab und zu hört^ die Begleitung des Instrumentes auf.
Endlich ist Alles still, aber nur einen Moment: der Baksa springt mit rollenden Augen und
262 lilV'. Die Schwergeburten im Volksglauben.
verzerrtem Gesichte auf, wirft das Instrument von sich und f&ngt an im Kreise um die Jurte
zu gehen; offenbar ist er seiner Sinne nicht mächtig. Er geht, er strauchelt} er f&llt auf die
Umstehenden, er erhebt sich wie in Krämpfen, dann springt er in die Höhe, ergreift irgend
ein Kissen mit den Zähnen und schleudert es fort; kurz er rast. Wenn, wie es vorkommt,
gar zwei Baksen herbeigezogen worden sind, so ist das Rasen erst recht toll; sie suchen ein-
ander zu überbieten; sie beissen sich, werfen sich mit glühenden Feuerbränden u. s. w. und
hören nicht früher auf, als bis der schwächere Baksa kraftlos zusammensinkt. Unterdessen
soll, nach der Meinung der Kirgisen, in Folge dieses Rasens die Geburt vor sich gehen.
[Globus 1881.)
Um die Entbindung zu erleichtem, nehmen die S am o jeden -zu folgenden
Mitteln ihre Zuflucht: Die leidende Frau muss einem alten Weibe beichten, ob
sie vor der Heirath gegen die Keuschheit gesündigt, oder ob sie später dem
Manne untreu gewesen ist, und zwar muss sie die Anzahl der Falle aufzählen.
So viel mal, als dies stattgefunden, so viel Knoten bindet die Alte, geheimniss-
voll etwas dazu murmelnd, in eine dünne Schnur. Einer ähnlichen Beichte muss
sich der Ehemann zur gleichen Zeit einem alten Manne gegenüber unterwerfen,
der ebenfalls Knoten bindet und noch besonders den Gatten befragen muss, ob
er nicht vielleicht seine Gelüste an Hündinnen und Rennthierkühen befriedigt hat,
worüber auch Knoten gebunden werden, wenn es der Fall gewesen ist. Hiemach
wird die Zahl der Vergehen der Ehegatten verglichen, die Differenz von der
grösseren Knotenzahl abgeschnitten und das Stückchen Knotenschnur der in der
Entbindung Befindlichen auf den Unterleib gelegt. Wenn beide Theile nichts
verhehlt haben, so muss bei der Anwendung dieses Mittels die Entbindung leicht
von Statten gehen, wenn sie aber trotzdem noch stockt, so hat wahrscheinlich
eine der Ehehalfben etwas verheimlicht, also fehlen ein oder auch wohl mehrere
Knoten, die aufgebunden werden müssten. Die Leiden sind die Sühne für die
Sünde, die der Schuldige nicht gebeichtet hat; nur das aufrichtige Eingeständniss,
die Reue gleichsam, kann die Strafe, die Leiden, erleichtern, {v. Struve.)
PaUas sagt über diesen Gegenstand:
,Ja die übelste von allen Gewohnheiten bey der Niederkunft, wo wider die europäi-
schen Schonen eyfem würden, ist, dass die Samojedinnen alsdann in Gegenwart einer
Gehülfin und des Mannes beichten müssen, ob und mit wem sie eine kleine Liebessünde be-
gangen haben; welches sie, aus Furcht, durch die geringste Zurückhaltung eine schwere Gre-
burt zu leiden , treuherzig thun sollen. Sie haben auch von dem Bekänntniss keine üblen
Folgen zu befürchten, sondern der Mann geht nur zu demjenigen, auf welchen das Bekänntniss
der Gebärerin fällt, und lässt sich vor die unerbetene Beyhülfe eine kleine Entschädigung
zahlen. Ist der Thäter ein naher Verwandter, so verschweigt das Weib nur den Nahmen,
und der Mann weiss alsdann schon, von wem er die Schuld einzufordern hat.*^
Führen diese gegenseitigen Geständnisse nicht die Niederkunft herbei, so
muss irgend etwas verschwiegen sein und dann wird der Schamane (Tadibe) ge-
rufen, der die schuldigen Häupter nennt. {Krebel)
Bei den Golden fand Adrian Jacobsen ein hölzernes Götzenbild in der
Gestalt einer Frau, auf deren Bauche sich die Gestalt eines Kindes befindet. Das-
selbe leistet Hülfe bei erschwerten Entbindungen .und zu diesem Behufe wird es
der Kreissenden auf den Leib gelegt. Man kann es wohl begreifen, dass diese
Methode nicht ohne günstige Einwirkung ist, denn erstens wird es wohl durch
seine Kälte wirken, andererseits hat es aber auch bei einer Länge von 73 cm
das nicht unbeträchtliche Gewicht von beinahe 9^/2 Kilogramm; und dass eine
solche Last auf den Leib gelegt den Uterus zu starken Zusammenziehungen an-
zureizen vermag, das lässt sich wohl leicht begreifen. Dieses Idol befindet sich
jetzt in dem kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin: es ist in Fig. 311 ab-
gebildet, und es hat bereits früher seine Erwähnung gefunden (S. 623 Bd. I).
Wenn bei den Altajern eine Frau gebären soll, so versammeln sich die
weiblichen Verwandten in der Jurte der Mutter, während die Männer sich in der
Gegend der Jurte aufhalten. Diese Männer haben offenbar die Aufgabe, die bösen
349. Die übernatürlichen Gebortshülfismittel bei den Völkern Asiens.
263
Geister zu vertreiben, denn sie erheben, sobald die Wehen beginnen, ein furcht-
bares Geheul und Geschrei, laufen um die Jurte herum und feuern Flintenschüsse
ab. Dieser Lärm währt bis zur Geburt des Kindes. (RacUoff.)
Bei schweren Entbindungen werden von den Ainos in Japan, ebenso wie
bei allen Vorkommnissen, wo menschliche Hülfe nicht ausreicht, die ,,Inawo^ und
kleine Opfer, aus Hirse und dergleichen bestehend, den Eamoi vorgesetzt. Die
Eamoi sind Hülfsgeister und die Inawo sind Stäbe aus Ahomholz, an deren Ende
dünne, zu Büscheln sich kräuselnde SpShne geschnitzt sind; sie gelten als Symbole
der Schutzgeister. Ausserdem wird der Leib der Kreissenden mit getrocknetem
Bärendarm umwickelt. Dieses Mittel ist auch den Japanern bekannt, (v. Siebold)
Li Persien bittet man gewohnlich während der
Entbindung auf den Dächern AUdh um die Vollendung
des Geburtsactes. Auch legt daselbst, wenn der
Kindskopf lange in der Krönung stecken bleibt, die
Hebamme schöne Sächelchen, Süssigkeiten und
Wäsche in den Schooss der Mutter und sie ruft
dem Kinde im Mutterleibe zu: „So komm, so komm!«
{Polak.)
Li Kazwin im westlichen Persien schiesst man
Flinten ab, wenn eine Frau in den Wehen liegt, um
die Dämonen zu vertreiben, während die Weiber zu
gleichem Zwecke einen Säbel neben die üjreissende
legen und auf dem flachen Dache des Hauses eine
Reihe als Soldaten angezogener Puppen durch Fäden
in Bewegung setzen. WiU trotzdem das Kind nicht
erscheinen, so lässt der Ehemann einen Schimmel von
der nackten Brust seiner Frau Gerste fressen. Manche
Pferde haben durch ihre glückliche Einwirkung auf
die Geburt einen ganz besonderen Ruf erlanjjt, und
es kommt vor, dass, wenn in einem Doife zwei
Bäuerinnen gleichzeitig von Geburtswehen befallen wer-
den, ihre Männer sich um das heilbringende Thier
prügeln. (Dietdafoy.)
Bei den jetzigen Parsen muss während der
Wehen drei Tage und drei Nächte lang ein grosses
Feuer brennen, um die Daeva, die bösen Geister zu
vertreiben (DuncJcer); dieser Gebrauch ist durch Zoro- __
a^er'^ Religionsgesetze bestimmt, und er kehrt auch bei Fig. 3ii. Hölzernes idoi der
den nomadisirendeü Zigeunern in Siebenbürgen Golden (Sibirien), das bei
.j -o-j« 1X1. MX. j -c^ j« schweren Entbindungen der Kreis-
wieder. Bei diesen letzteren soll aber das r euer die senden auf den Leib gelegt wird.
Dämonen weniger von der Kreissenden, als vielmehr im Besitze des kgi. Museums für
von dem neugeborenen Kinde abhalten, wozu auch noch ^^(NMh^Photogrepiüe.)'^
besondere Beschwörungsverse zu singen sind.
Die jetzigen Hindus lassen bei herannahender Entbindung einen feuer-
anbetenden Fakir kommen, welcher Gebete an den Gott Sieb, Schiwa oder Chewa
vor dem Hause der Gebärenden richten muss, um eine glückliche Niederkunft zu
bewirken. {Eenouard de St. Croix.) Bei schwierigen Geburtsfällen wird bisweilen
ein Magier zu Hülfe gerufen, der damit beginnt, den Unterleib der Kreissenden
mit einem Stecken zu bearbeiten, um den Teufel auszutreiben. (Ärnoth.)
Lässt sich bei den Chewsuren das Stöhnen der Niederkommenden längere
Zeit vernehmen und liegt eine Schwergeburt vor, so naht sich der Gatte vor-
sichtig dem Orte und erschreckt sie durch Flintenschüsse. (Rddde.)
Bei den Pschawen hat man ganz dasselbe Mittel. Die Frau muss dort
ganz allein in einer entlegenen Hütte niederkommen. Geht die Geburt schwer
264 LIY- ^ie Schwergeburten im Volksglauben.
von Statten, und man erkennt dies an dem kläglichen Oewimmer nnd Geschrei
des armen Weibes, so schleichen sich Männer in die Nähe der Hütte und feuern
dort ihre Gewehre ab, um die Leidende zu erschrecken und dadurch, wie sie
glauben, die Entbindung zu erleichtem. {Fürst Eristow.)
Bei den kaukasischen Völkern christlichen Bekenntnisses betrachtet man
die Jungfrau Maria als Schutzgottin der Gebärenden. Unter den Guriern wird
am Kopfende des Geburtsbettes das Bild der heiligen Maria aufgestellt, und ein
Priester liest das Evangelium, bis die Entbindung vor sich geht. {Krebd.) Bei
den Georgiern versammelt sich während der Niederkunft einer Frau eine Menge
ihrer Anverwandten und betet bei brennenden Lichtem vor einem Muttei^ottes-
bilde. Um die Geburt zu erleichtem, umwindet man das Bett mit einem aus dem
Haare einer schwarzen Ziege gedrehten Faden.
Das Herauslocken des Kindes aus dem Mutterleibe ist auch in Nieder-
ländisch-Indien bekannt. Hier muss sich der Ehegatte zwischen die gespreizten
Beine der Kreissenden stellen und dann fortlaufen, damit das Kind nach seinem
Vater verlange und ihm schleunigst zu folgen versuche. Ist der Vater abwesend,
so wird sein Kopftuch auf einer Stange befestigt, um durch diese Puppe das
Kind zu täuschen. Auch sucht man das letztere durch Klappem mit Geldstücken
in einem Kupferbecken oder durch Einbringen von Geld und einem Töpfchen mit
Reis vom in die Genitalien der Mutter hervorzulocken. {van der Burg.)
Bei mühsamen Geburten wird auf den Sula-Inseln durch Spsdten von
Pinang oder durch Schneiden der Ingwerwurzel nachgeforscht oder Rath gepflogen,
was die Ursache davon sein könnte, und danach werden die Maassregeln genommen.
Wenn z. B. die Kreissende Uneinigkeiten mit ihren Eltern gehabt hat, dann
müssen diese Gesicht und Hände in einem Becken mit Wasser waschen und dabei
geloben, nach günstigem Verlauf der Geburt den Nitu oder Niaha ein Opfer zu
bringen. Ein Theil dieses Wassers wird der Kreissenden zu trinken gegeben,
während das Uebrige über ihren Kopf geschüttet wird. Bei gutem Verlaufe
werden die nächsten Blutsverwandten und der Geistliche bewirthet, welch letzterer
vorher vor dem Sirih-pinang-Trog, welcher in der Mitte des Hauses oder bei dem
Hauptpfeiler steht, ein Gebet spricht. Auch wird bei dieser Gelegenheit das Haus
mit dem von dem Geistlichen geweihten Wasser besprengt, woftir letzterer ein
Geschenk von 40 bis 150 Cents bekommt. {Riedel^^
Als ein die Niederkunft störender Geist gilt auf den Inseln des Sawu- oder
Haawu- Archipels in Niederländisch-Indien der Wango^ den man durch
Domgebüsch vom Eindringen in das Haus abzuhalten sucht. {Riedel.)
Auf Nias hat man bei der Kreissenden ein Idol Namens Adü Fangola
oder Ädit Ono aläve in der Form eines schwangeren Weibes stehen. Diese Gott-
heit schützt das Neugeborene, sie bewahrt aber auch die Schwangeren vor den
Nachstellungen des Dämons Bechu matiana. {Modigliani.)
Die Ureinwohner der Philippinen (die Aetas und Negritos) fürchten,
wie de Rienei berichtet, den PatianaJc. Das ist ein Dämon, der der Schwangeren
und dem Kinde nach dem Leben trachtet. Um diesen unschädlich zu machen,
verschliesst der Mann, wenn die Geburtswehen am heftigsten sind, sorgfaltig die
Hütte, zündet ein grosses Feuer an, entäussert sich der wenigen Kleider, die ihn
bedecken, und schwingt wüthend den Kampilan, bis seine Frau entbunden ist.
Auch der Ostmng oder Asuang ist ein ähnlicher Dämon.
Den Patianäk schildern die Tagalen von zwerghafter Gestalt, der Osuang erscheint
bald als Hund, bald als Katze oder Küchenschabe, bei den Tagalen und Pampangos auch
in Yogelgestalt. Die Nahrung beider besteht aus Menschenfleisch, Wenn in einem Hause
eine Niederkunft stattfinden soU, dann erscheinen diese beiden Dämonen, begleitet von dem
Vogel Tictic, der ihnen als Spion imd Wegweiser dient. Der Gesang dieses Vogels in der
Nähe einer Hütte, in der eine Schwangere oder Kreissende wohnt, galt daher als eine \)6ae
Vorbedeutung. Der Osuang flog herbei, setzte sich auf das Dach des Nachbarhauses, und von
350. Die übernatürlichen Geburtshülfsmittel bei den Völkern Oceaniens. 265
dort ans streckte er seine Zange bis in das Hans der WOchnerin und zog durch die Mastdarm-
Öffnung dem neugeborenen Kinde die Ged&rme heraus, so dass es eines elenden Todes sterben
musste. Der Patianak will weniger den Tod des Kindes herbeiführen, obwohl er dies auch
mitunter thut, er liebt es vielmehr, die Geburt zu erschweren oder unmöglich zu
machen, und ist viel mehr der Wöchnerin als dem Kinde geföhrlich. Gewöhnlich setzt er
sich auf einen Baum, der in der unmittelbaren N&he eines Hauses steht, in welchem die Ge-
bärende weilt, und lässt einen monotonen Gesang erschallen, wie ihn die Schiffer beim Rudern
singen, um dem verderblichen Begannen der Unholde entgegenzuarbeiten, bedienen sich diese
Leute verschiedener MitteL So schleppen sie, um die Dämonen zu überlisten, die Schwangere,
wenn die Geburtswehen eintreten, in ein fremdes Haus. Gewöhnlich verstopft man Thüren
und Fenster, um das Eindringen des Patianak und Osuang zu verhindern, so dicht, „dass vor
Hitze und Gestank Gesunde krank werden und Kranke schwer genesen*^. Dieser Gebrauch
hat sich selbst in jenen Gegenden erhalten, wo der Aberglaube selber erloschen ist, hier „hat
man in der Furcht vor Zogluft/ wie Jagor fand, „eine neue Erklärung für einen alten Brauch
gefunden."
Da besonders der Patianak vor allem Nackten eine grosse Scheu besitzt, so besteigt
der Ehegatte, bei dessen Weib die Geburtswehen eintreten, vollständig nackt oder nur mit
einem Schurze bekleidet das Dach seines Hauses; er ist mit Schwert, Schild und Lanze
bewaffnet; ähnlich ausgerüstete Freunde stellen sich um und unter die (auf Pfählen ruhende)
Hütte; alle beginnen mit rasender Wuth in die Luft zu hauen und zu stechen; dadurch werden
nach ihrem Glauben die Unholde in Angst versetzt und ziehen sich wieder zurück. Buzeta
und Bravo erwähnen, dass, wenn bei den Tagalen die Geburt schwer von Statten ging, sie
mit reichlicher Pulverladung versehene Mörser in unmittelbarer Nähe der Wöchnerin wieder-
holt abfeuern; vielleicht geschieht dies auch in der Absicht, den Patianak und Osuang zu
verscheuchen. Nach St, Croix suchten früher die Tagalen durch rings um die Hütte er-
richtete Feuer sich vor den Ungeheuern zu schützen. Erst durch die Taufe wird nach Maa
das neugeborene Kind vor jenen bösen Geistern gerettet, deshalb pflegen sie, wenn sie das
Kind zur Taufe tragen, Räucherwerk anzuzünden, um den Osuang zu verscheuchen. Wenn
auch besonders in der Umgebung solcher Orte, wo die Indier vielfach mit Weissen in Be-
rührung kommen, dieser Glaube erloschen zu sein scheint (oft aber nur verheimlicht wird aus
Furcht vor dem Pfarrer), so sind doch viele der an denselben anknüpfenden Bräuche erhalten
geblieben, und in entlegenen Dörfern treiben der Patianak und Osuang immer noch ungestört
ihr Wesen. (Blumentritt.)
Von den Annamiten berichtet Landes:
„Dans un accouchement difßcile, lorsque la femme est en grand p^il, le p^re se pro-
steme en appelant Tenfant et le conjurant de naltre.*"
350. Die übernatflrliclien Geburtshfllfsmittel bei den Tolkern
Oceaniens.
Auf dem Festlande von Australien begegnen wir zur Erleichterung
schwerer Entbindungen einem eigenthümlichen Verfahren, das als ein Sympathie-
Zauber durch Schmerzübertragung auf andere Personen angesehen werden muss.
CöUins berichtet nämlich, dass eine Frau der Gebärenden ein kleines Bändchen
um den Hals bindet und mit dessen Ende ihre eigenen Lippen reibt, bis sie bluten;
sie glauben, dass dadurch der Schmerz von der Kreissenden abgeleitet wird. Eine
zweite helfende Frau giesst der letzteren ausserdem von Zeit zu Zeit kaltes Wasser
auf den Leib.
In Neu -Britannien ist nach Danks im Hause bei der Niederkunft stets
ein Zaubermittel aufgehängt, um die Geburtswehen möglichst milde zu machen,
und das Kind vor bösen Geistern zu schützen.
Auf den Neu-Hebriden bedient man sich bei schweren Entbindungen
gewisser Beschwörungsceremonien. Da aber auch directe geburtshülfliche Hand-
griffe mit denselben verbunden sind, werden wir erst später auf sie zurück-
kommen.
266 I^IV". Die Schwergeburten im Volksglauben.
Wenn auf Samoa die Geburt sich verzögert, so wird dem Ehemanne die
Schuld beigemessen:
«man vermutbet, dass er anderen Frauen nachlief, während seine Frau schwanger war;
wenn aber all das Zamen auf den zerknirschten Sünder nichts hilft, so beginnt man sich zu
erinnern, dass die Wöchnerin manchmal unartig gegen ihre Schwiegereltern war; sie war
geizig mit Nahrung oder unsinnigen Mundes. Alle dergleichen Vergehen werden nach der
Meinung des Volkes bei der Niederkunft bestraft. '^ (Kübary.)
Turner sagt, dass bei der Entbindung einer Samoanerin ihr Vater' oder
ihr Ehemann anwesend ist und den Hausgott Moso um einen glücklichen Verlauf
anfleht. Dabei verspricht er ihm Opfergaben, welche entweder in Matten, einem
Canoe oder in Lebensmitteln bestehen.
Die Maori auf Neu-Seeland wenden bei verzögerter Niederkunft, neben
Scarificationen des Unterleibes, Beschworungen und Zaubermittel an. Auch bei
ihnen herrscht der Glaube, dass bei einer langwierigen Entbindung irgend eine
Schuld die Kreissende belaste. Sie muss irgend eine Pflichtverletzung auf ihrem
Gewissen haben, sei es, dass sie dem Ariki (Haupt der Familie) geflucht, das
Tabu missachtet oder Ehebruch getrieben habe. Sie wird nach ihrer Schuld be-
fragt, und wenn, wie dies gewöhnlich der Fall ist, sie eine solche bekennt, so
sammelt man Kräuter von den heiligen Gründen ihrer Voreltern, und nachdem
man dieselben über einem Feuer geröstet hat, legt man sie auf des Weibes Kopf,
und ihr Zauberpriester (Tolunga) stimmt während der ganzen Dauer ihrer Nieder-
kunft Gesänge und Gebete an. (Parris,)
Auf Ambon und den Uliase-Inseln werden, um die Niederkunft zu er-
leichtem, auf den Platz, wo die kreissende Frau hockt, alte Kleidungsstücke des
Mannes gelegt, damit das Kind die Transpiration des Vaters bemerken und, hier-
durch angelockt, schneller heraustreten soll. Bei schweren Entbindungen auf
Serang werden alle Kisten und Körbe, die verschlossen und festgebunden sind,
geöffnet und aufgebunden, und die Patalima-Männer stecken ein trockenes Stück
eines Pisangblattes, worin Tabak eingerollt ist, in das Dach der Wohnung und
sagen dabei:
.Kommt, Väter, kommt, Grosseltem, kommt, Mütter! Seht Alle nieder auf Eure Tochter,
die niederkommen muss; habt Mitleiden mit ihr und helft ihr rasch.''
Auch wird auf erschreckliche Weise auf die Tiha geschlagen, um die bösen
Geister zu verjagen.
Die der Kreissenden helfenden Frauen auf den Luang- und Sermata-
Inseln wimmern, um ihr Muth einzuflössen. Alle Thüren werden geöffiiet, auch
diejenige des Gebärzimmers; aber ausser dem Ehemanne hat niemand das Recht,
einzutreten. Bleiben die Wehenschmerzen lange aus, dann hat die Mutter der
Gebärenden früher verbotenen Umgang gepflogen, und sie muss sich dann ihre
Füsse selbst mit Wasser waschen und dieses ihrer kreissenden Tochter zu trinken
geben. Wenn auf den Wat üb ela -Inseln die Manipulationen der bei der Nieder-
kunft helfenden Frau erfolglos bleiben, dann bringt der Gatte dem Sobosobo
einige kostbare Zierrathen und andere Geschenke und ersucht ihn, die Hülfe vom
„Grossvater-Sohn" zu erbitten, unter dem Versprechen, diesem eine Mahlzeit zu
opfern, bestehend aus je einem Teller mit gekochtem Reis, mit gekochtem Djagong,
gekochtem Pisang, gekochtem Katjang, Sagu, Sirih-Pinang, einem gerösteten Huhn
und einem Bambusgliede mit Tua, dem Safte des Kalapa-Baumes. Nach glücklich
erfolgter Entbindung bringt er das Gelobte, stellt es vor dem Hause unter freiem
Himmel auf, nimmt etwas von jedem Gericht und wirft es auf die Erde, während
er den Rest mit dem Sobosobo verzehrt, um die Gemeinschaft mit dem , Gross-
vater-Sohn* zu bekräftigen. Auch hier werden während der Niederkunft alle
Kisten und Körbe geöffiiet und der Frau die Kleider des Mannes unter die
Kniee gelegt.
850. Die übernatürlichen Gebnrtshülfsmittel bei den Völkern Oceaniens. 267
Die Aaru- Insulaner und die Einwohner von Eetar verjagen die die Ent-
bindung störenden und das Kind zurückhaltenden bösen Geister durch Trommel-
lärm. Ist auf den Inseln Leti, Moä und Lakor die Niederkunft schwer und
bleibt das Kneten des Unterleibes ohne Erfolg, dann wird durch einen in dieser
Kunst erfahrenen alten Mann „die Thür geöffiiet^S d. h. das Augurium eines
jungen Huhnes um Rath gefragt. Er nimmt zu diesem Zwecke Sirih, Pinang
und Beis und legt dieses Alles auf ein Blatt. Darauf betet er:
,0 üpnlera, habt Mitleid nnd macht die Thür auf, damit das Segel herontergelassen
und der Stein gelöst werden kann.''
Dann schneidet er dem Huhn ein Stück vom Kamm und etwas Fleisch unter
den Flügeln ab und legt dieses mit auf das Blatt. Das Huhn wird darauf auf-
geschnitten und das Herz untersucht. Lauft die Ader inwendig fleckenlos durch,
dann ist das ein gutes Zeichen, werden aber weisse Funkte daran gesehen, dann
muss die Probe noch einmal gemacht und im Nothfalle sogar zum dritten Male
wiederholt werden. Ist auch dieses dritte Orakel ungünstig, dann glaubt man,
dass die Frau sterben müsse, was übrigens in Wirklichkeit nur sehr selten vor-
kommt. {Biedel\)
LV. Die natürlichen Htüfsmittel bei fehlerhafter Geburt.
351« Die Arten der Httlftleistmig bei schweren Geburten.
Als in einem früheren Kapitel die Hülfsmittel bei der normalen Geburt be-
sprochen wurden, da musste ich bereits darauf aufmerksam machen, dass manche
derselben der normalen und der fehlerhaften Niederkunft gemeinsam sind und
dass von den uncivilisirten Völkern jegliche Geburt, die nicht mit einer ihren
Wünschen entsprechenden Schnelligkeit und Schmerzlosigkeit verläuft, sofort als
eine fehlerh^e betrachtet wird. Dann glauben sie gleich, dass es nöthig sei,
zu allerlei Hulfsmitteln ihre Zuflucht zu nehmen.
Manche dieser Mittel sind nun, wie wir nicht leugnen können, durchaus
nicht unzweckmässig .erdacht, und dieses gilt besonders von den mechanischen
Hülfsleistungen. Hierbei spielen die Massage, die Knetungen und die Erschütte-
rungen des Körpers, sowie die TTmschnürungen und die Belastungen des Unterleibes
eine ganz hervorragende Rolle. Aber aucl| mancherlei Arzneien werden wir kennen
lernen, welche bei verlangsamtem Geburtsverlaufe mit grösserer oder geringerer
Berechtigung der Kreissenden eingeflösst werden. Es scheint ganz unzweifelhaft
zu sein, dass einigen derselben eine ganz specifische Wirkung auf die Muskulatur
der Gebärmutter zugeschrieben werden muss. Andere dagegen mögen vielleicht
mehr indirect durch Erregung von Uebelkeit oder durch Steigerung der Darm-
bewegungen auch den Uterus zu stärkeren Zusammenziehungen veranlassen und
die Thätigkeit der Bauchpresse steigern. Das Gleiche gilt wohl auch von
der Mehrzahl der äusserlich angewendeten Medicamente, und namentlich von den
Räucherungen; doch mögen diese auch als nervenstärkende oder als Niesemittel
ihre Wirksamkeit entfalten.
Von einer sehr wichtigen Gruppe der Beförderungsmittel bei einem stocken-
den Geburtsverlaufe habe ich bereits in ausführlicher Weise in dem vorigen
Kapitel den Leser unterhalten, das sind die psychisch wirkenden Mittel. Dass
auch diese durch ein starkes Fesseln der Aufmerksamkeit und die hierdurch be-
dingte gesteigerte Anspannung der gesammten Muskulatur sehr wohl ein die Ge-
burt beförderndes Moment abzugeben im Stande sind, das wurde bereits hervor-
gehoben. Diese psychisch wirkenden Mittel gewährten uns aber auch einen
tiefen Einblick in das Fühlen und Denken der Völker, und sie gaben uns von
Neuem den Beweis, wie oft die gleichen Ideengänge bei verschiedenen Nationen
auftreten und wie lange Zeit hindurch ein einmal gefasster Aberglaube bei dem-
selben Volke mit Zähigkeit haften bleibt, wenn auch seine cultureUe Entwickelung
eine vollständig andere geworden ist.
852. Die Darreichung innerlicher Arzneien bei schweren Entbindungen der Europäer. 269
852. Die Darreichung innerlicher Arzneien bei schweren Entbindungen
unter den europäischen Yolkem.
In einem früheren Abschnitte haben wir bereits eine grosse Reihe von
Medicamenten kennen gelernt, welche theils in äusserlicher, theils in innerlicher
Anwendung dazu bestimmt sind, die Entbindung zu imterstützen und zu beschleu-
nigen. Und dieses fanden wir nicht allein bei solchen Nationen, welche in der
Gultur schon relativ grosse Fortschritte gemacht hatten, sondern auch bei noch
ziemlich tief in der Entwickelungsscala stehenden Yolkem. Es ist daher be-
greiflich, dass auch für solche Fälle, in denen der Oeburts verlauf erheblichere
Störungen und Verzögerungen erleidet, derartige Arzneimittel zu Hülfe genommen
werden. Machen wir uns die Wirkungen dieser Mittel klar, so sind dieselben
ganz ähnliche, wie die früher besprochenen, und manches, was bei dem einen
Volke unter allen Umständen bei jeder Entbindung in Gebrauch gezogen wird,
konunt bei einer anderen Nation erst dann zur Anwendung, wenn der Geburts-
verlauf eine Stockung erleidet.
Die innerlich angewendeten Mittel kann man eintheilen in diätetisch-arznei-
liche zur Stärkung und Hebung der Kräfte, in Schmerzen beruhigende und
lindernde und in die Wehen zu grösserer Energie anregende Mittel. Die äusser-
lichen Mittel zerfallen in Einreibungsmittel^ Räuchemngsmittel imd Pessarien.
Die Anwendung von Medicamenten zur Erleichterung einer schweren Ent-
bindung finden wir schon zu Plato's Zeiten in Griechenland im Gebrauch,
allerdings noch unterstützt durch Zaubersprüche. Die Hippokratiker schätzten
das Silphium sehr hoch, das später ganz vergessen wurde; es wurde erbsengross
in Wein genommen. ( Welcher .) Die Römer wendeten zu dem gleichen Zwecke
die Granatäpfel an, und bei ihnen spielten auch Abkochungen von Foenum graecum
eine grosse Bolle.
Bei den arabischen Aerzten des Mittelalters wuchs die Zahl der geburts-
fordernden Mittel. Wir können hier nicht näher auf dieselben eingehen. Der
arzneiliche Ueberfluss häufte sich aber ganz erstaunlich in dem mittelalterlichen
Europa. Von den Medicamenten, welche Trotüla rühmt, sei hier ausser dem
Foenum graecum der Theriak und die Artemisia, in Wein genossen, hervorgehoben.
In Deutschland nahm man im 13. Jahrhundert innerlich Honigwasser,
Myrrhen, Foenum graecum u. dergl. mit Wein oder Bier, auch Bilsenkraut,
Natterwurz oder Bibergeil mit Pfefiferwasser, sowie Gassia fistula in Wein, dann
auch noch Pillenmischungen mit balsamischen, ätherisch-öligen und scharfen Mitteln
(Zimmt, Sevenbaum, Raute, Pfeffer u. s. w.) in grosser Zahl.
Auch in der Haus-Apotheke der heutigen europäischen Völker finden
wir manches absonderliche geburtshülf liehe Mittel. So nehmen die Neu-
G riechen nach Damian Georg zur Beförderung einer schweren Entbindung zwei
Unzen Mandelöl innerlich.
In Bosnien und der Hercegovina hat man ausser den früher schon be-
sprochenen übernatürlichen Mitteln auch noch Medicamente für die kreissende
Frau, deren Niederkunft ins Stocken geräth. Glück schreibt:
,Zum Trinken bekommt sie entweder Wasser, welches Pulver von gebranntem und
gereinigtem Hanf enthält, oder ein Decoet von Gartenminze mit Honig, oder schliesslich ein
Gemenge von geschabter Seife und Oel, welches mit einem Eibischwurzelabsud verdünnt und
theilweise gelöst ist. Sieben Körner vom Mutterkorn in schwarzem Kaffee werden sehr gelobt,
aber recht selten gegeben. Geschabter Meerschaum im Wasser wird bei den Mohamedanem
h&ufig gebraucht."
Die Dänen wendeten in früherer Zeit BasiUcum an, welches Simon PanUi
in seiner Flora Danica deshalb «Herba parturientium*' nennt; femer waren auch
Lavendel, weisse Lilien, Lothospermum Pulegium (ein Löffel voU in der Speise zu
270 LV. Die natürlichen HOlfsmittel bei fehlerhafter Gebart.
nehmen), sowie Bernsteinol oder die getrocknete Leber eines Aales nach Thomas
BarthoUnm* Angabe im Gebrauch. ,
In England pflegten die Schwangeren früher in den letzten Wochen der
Gravidität getrocknete Feigen zu essen, um sich vor einer schweren Entbindung
zu schützen. (Linne.)
Eine grosse Reihe von innerlich zu nehmenden Medicamenten wird uns von
Pallas^ DemiCy Krebel und Anderen als in Russland gebräuchlich aufgezählt.
Nach PaUas ist bei den Russen geschabter und mit Wasser getrimkener
Belugen stein ein beliebtes Hausmittel zur Beförderung schwerer Geburten. Er
findet sich im Hinterleibe der grossen Store des Gaspischen Meeres. Ebenso
gebraucht, aber noch höher geschätzt, ist der Kabannoi Kamen, der Ham-
blasenstein der Wildschweine.
Femer spielen auch Artemisia valg^is (Wladimir, Wologod), Hanfsamenöl al&
Brechmittel, Thee von Aconitum napellus (Kiew), Samen von Lithospermium off. (Perm^
Tatarinnen), Seeale comutum oder Tincturen oder Aufgüsse von Zimmet (Samara),
Seifenwasser oder Oel mit Bibergeil oder mit Schiesspulver als Getränk eine grosse Rolle.
In Ehstlaitd trinken die Ereissenden Baldrianthee, Bier oder auch Kirchen-
wein, in anderen Theilen Busslands auch das Decoct einer Handvoll Artemisia
absyilthii auf 2 Gläser Wein, wovon sie dann jede halbe Stunde ein Viertel
Weinglas verbrauchen. Die Abkochung von Ghenopodium botrys L. wird in
Klein-Bussland als Sedativum bei schweren Geburten angewendet. Höchst
originell ist der von Demic berichtete Gebrauch, dass, um die Entbindung zu be-
fördern, an manchen Orten der Ehegatte ein Gemenge von Senf, Pfeffer, Meer-
rettig, Salz, Hirsebrei und Zucker zu essen verpflichtet ist.
Die Letten geben nach Älksnis der Kreissenden zur Beschleunigung einer
zögernden Niederkunft einen mit Spiritus, Wein oder Bier hergestellten Auf-
guss von Birkenknospen zu trinken. Auch soll bisweilen das Mutterkorn An-
wendung finden»
Ein altes deutsches Yolksmittel, das als geburtsbefordemd galt, ist Wein^
worin Beblaub gesotten wurde. (Apoteck.) Beckher erwähnt, dass eine Abkochung
von Wachholderbeeren in Wein, mit Honig vermischt, die Entbindung beschleunigen
soll. Yon einem Aufguss der Foleyminze wird Gleiches gerühmt. (Hengstmann.)
Ein anderes deutsches, auch noch 1836 gebrauchtes Yolksmittel ist, dass die
Kreissende einen Tassenkopf voll von dem Urin ihres Mannes trinkt; dieses
Mittel hatte schon 1549 Kunrath empfohlen. (Suchier.) Das ist natürlich eine
Ekelkur.
Manche der auch heute noch im Yolke gebräuchlichen Medicamente lassen
sich auf die Anweisungen der mittelalterlichen Hebammenbücher zurückführen.
Wir können das hier nicht im Einzelnen verfolgen. So sind in Schwaben und
auch noch in manchen anderen Landestheilen die Niesemittel noch im Gebrauch.
Die schwäbischen Yolkshebammen geben ausserdem der Kreissenden Frauen-
milch zu trinken; wenn dieses heimlich geschieht, dann wird sie leicht gebären
können. (Buch)
In der Pfalz wendet man als wehenfördemd Thee von Ghamülen und Kümmel
an und giebt auch Klystiere von diesen Substanzen; die Kreissende bekommt
Wein und Kaffee, besonders letzteren; »wenn das Kind in die Welt scheint*, d. h.
wenn es in der Krönung steht. (Pauli.) Kurz vor der Entbindung trinkt in der
Bheinpfalz die Schwangere Branntwein, um sich zu betäuben. In der Göt-
tinger Gegend galten ds Anregungsmittel der Wehen einige Tassen starker
Kaffee oder etwas Wein oder Branntwein, auch nahmen die Bauerfrauen zuweilen
einen Esslöffel voll zerquetschten Braunkohlsamens mit Kaffee ein, oder ein Glas
voll lauen, trüben Wassers, worin Hühnereier hart gesotten worden sind. (Osiander.)
Im nordwestlichen Deutschland, in Oldenburg u. s. w., wenden die Land-
353. Die Darreichung innerlicher Arzneien bei schweren Entbindungen u. s. w. 271
hebammen gleichfalls Branntwein und Kaffee als geburtsbechleunigend an. (Gold-
Schmidt.) Im Siebenbürger Sachsenlande sucht man die Gebärende durch
Wein oder Branntwein zu stärken, dem häufig Safran zugesetzt ist. (HiUner,)
353. Die Darreichung limerliclier Arzneien bei schweren Entbindungen
unter den aussereuropSischen Yolkem.
Von manchen Yolksstämmen ausserhalb Europas liegen uns ebenfalls Be-
richte Yor über die Darreichung innerlicher Arzneien, durch die sie eine stockende
Entbindung wieder in Gang zu bringen und zu Ende zu führen versuchen.
Von den Viti-Inseln erzählt de Bienei^ dass die als Medicin-Männer fun-
girenden Priester den Gebärenden während der Wehen die Abkochung eines
bestimmten Holzes zu trinken geben. Die Garaiben reichen bei einer schweren
Niederkunft der Kreissenden den ausgepressten Saft von der Wurzel eines be-
sonderen Schilfes; „wenn die Frauen davon getrunken, werden sie augenblicklich
entbunden. * (Baumgarten,)
Wie weit bei diesen Medicamenten die Wirkimg auf Rechnung der Sug-
f;estion zu schieben ist, das vermögen wir zur Zeit noch nicht zu entscheiden,
mmerhin ist es ja aber doch nicht ausgeschlossen, dass diesen vegetabilischen
Stoffen in Wirklichkeit Heilwirkungen innewohnen.
Bei den Kiowa-Indianern in Nord-
Amerika bläst nach Engelmann die Heb-
amme der Kreissenden ein Brechmittel in
den Mund. Fig. 312 führt uns diese
Scene vor nach der Zeichnung eines Ein-
geborenen.
In Venezuela wird die gepulverte
Wirbelsäule des Zitteraals (Gymnotus
electricus) als ein die Geburt beförderndes
Mittel verabreicht, angeblich stets mit
gutem Erfolge. Man bringt dort die ge-
heimnissvolle elektrische Wirkung, deren
Sitz man fälschlich in den Nerven des
Rückenmarks sucht, mit dem Nervensystem
überhaupt in Verbindung. (Sachs,)
Allein es giebt in Amerika auch
vegetabilische Volksmittel, die als weheu-
treibend gelten. So erhält z. B. in Guate-
mala schon bei beginnender Niederkunft
die Kreissende Kräuterabkochungen zu
trinken; lassen ihre Kräfte nach, so giebt man ihr Branntwein, und wenn die
Entbindung zu zögern scheint, so werden der Kreissenden von allen Seiten die
verschiedensten Mittel eingegeben, als Oel mit Zwiebeln, spanischer Pfeffer mit
Knoblauch, grosse Stücke Lehm oder Mörtel, Wein oder Branntwein u. s. f.
(BemouUi.) Ein nordamerikanisches Volksmittel ist die Abkochung der Rinde
von Ulmus fiilva (slippery Elm). {Oslander.)
Wenn sich die Entbindung einer Omaha-Indianerin 2 — 3 Tage hinzieht,
so wird ein Medicin-Mann gerufen, der ihr eine sehr bittere Medicin eingiebt und
sie verlässt, sowie sie dieselbe getrunken hat. Es sind ungefähr 2bis30mahas,
welche dieses Medicament kennen; es heisst Niaci° ga maka^ Menschen
bringende Arznei. Hat der Medicin-Mann dieselbe 2 bis 3 mal vergeblich
gegeben, so sagt er, schickt zu einem anderen. Der andere giebt dann dieselbe
Medicin.
Fig. 312. Niederkommende Kiowa- Indianerin,
vornübergebeugt stehend, auf einen Stock gestützt.
Die Hebamme bläst ihr ein Brechmittel in den Mund.
Nach der Zeichnung eines Kiowa - Indianers.
(Nach Engtlntann.)
272 LV. Die natürlichen Halfsmittel bei fehlerhAfter Geburt.
Bei Entbindungen gebrauchen die Abyssinier eine dort sehr gewöhnliche
Saftpflanze, die Endabolla (Kalanchoe glandtd. Höchst.), deren Frucht, zerquetscht
und mit Honig gemischt genossen, Gontractionen des Uterus erregen soll. (Courbon.)
In Nubien, im Sennaar und dem Sudan benutzt man Mär^b (Maghreb), Wurzel-
stücke von Andropogon circinnatus (Gymbogon arabicum), besonders bei zögern-
den Wehen der Kreissenden. {Hartmann,) in Oberägypten wird die schwierige
Geburtsarbelt durch Umhängen oder Essen von Opium zu erleichtern gesucht.
(Klunzinger.) Bei schwacher Wehenthätigkeit verordnet man in Fez z an eine
Maceration von Meluchia-Blättem in Oel. {Nachtigal.)
Eine noch ganz jugendliche Niam-Niam-Prinzessin, Mutter zweier Bänder,
hatte, wie Blackwood nach Frau Petherik berichtet, 1858 eine sehr schwere
Niederkunft; hierbei gaben ihr ihre Leute zu verstehen, dass, wenn sie ihres
Ehemannes Blut trinken würde, die Geburt gut von Statten gehen würde. Der
Ehemann öffnete sich sogleich eine Ader und die junge Kannibalin sog mit Gier
das fliessende Blut.
Von den Hottentotten erzählte KoJb, dass sie zur Ermöglichung einer
stockenden Entbindung der Kreissenden eine Abkochung von Tabak in Kdi- und
Schafmilch zu trinken geben.
Bei den alten Ghinesen sammelten die Frauen das Kraut Feu-i, das ist
nach La Charme der Wegebreit, welcher den Frauen die Geburt erleichtem soll.
{Flath) Die jetzigen Ghinesen benutzen bei unregelmässigen und schweren Ge-
burten ausser dem Ning-kuen-tschi-pao-tan, womit sie überhaupt sämmtliche Frauen-
leiden bekämpfen, auch noch als Getränk die Abkochung einer Apium-Art. {Schwarz)
In der chinesischen Abhandlung, welche v, Martius übersetzt hat, heisst es:
«Frage: hat man denn nicht Arzneien, die man einnehmen kann, um die Entbindung
zu erleichtem? Antwort: Nein, alle und jede Arznei, wäre sie auch die älteste und seltenste,
ist schädlich: so wie bei der Geburt etwas Ungewöhnliches und Ausserordentliches sich zeigt,
so ist Schlaf die erste und vorzüglichste Arznei. '^
Wie sehr man sich aber dort auf die Wirkung Yon Medicamenten yerliess,
beweist eine Angabe von du Halde^ der sogar eine bei ihnen gebräuchliche Medicin
zur Verbesserung von falschen Kindeslagen aufßihrt.
In der Provinz Karazan, westlich von West-Yünnan, giebt es, wie
Marco Polo (Hartmann) erzählt, grosse Schlangen, deren Galle man zur Be-
schleunigung der Geburt der Kreissenden eingiebt.
Von geburtsbeschleunigenden Mitteln benutzte man in Japan die folgenden:
Eine Mischung aus gleichen Theilen Levisticum officinale, Levisticum senkin, Citrus
fuBca und Angelica im Infuss; oder ein Infusum von gleichen Theilen Amygdalae persicae
tostae, Paeonia rubra, Paeonia montana, Pachjma Cocos und Cinnamomum.
Diese Arzneimittel verwirft Kangawa.
«Die Zeit der Geburt ist von der Natur bestimmt und können wir nichts thun, um sie
zu beschleunigen; die sogenannten Geburtsbeschleunigungsmittel beruhen daher auf Irrthum
oder Täuschung, und es bat höchstens einen Sinn, wenn wir durch Stärkung der Mutter die
Dauer der Geburt abkürzen wollen.'
Die Golden in Sibirien bereiten einen Trank aus Wurzeln, welcher der
Kreissenden zu einer schnellen Entbindung verhelfen soll.
Die Parsen wenden zu gleichen Zwecken nach du Perron ebenfalls allerlei
Tränke an.
In der Präsidentschaft Madras in Indien benutzt man zur Beförderung der
Niederkunft den Pfeffer. Er wird dazu in einem irdenen Gefasse über einem Feuer
gebrannt, gepulvert, mit heissem Wasser übergössen und getrunken. {Beierlein.)
In Aleppo in Syrien wird ein mit Tabaksrauch durchzogener bräunlicher
Letten, eine Erdart, Terebat-hälebieh, von den Kreissenden zur Erleichterung der
Endbindung gegessen; Ehrenberg fand darin einen geringen Kalkgehalt und keiner-
lei organische Beimischungen.
354. Aeusserliohe Arzneien bei schweren Entbindungen. 273
354. Aeusserliche Arzneien bei schweren Entbindungen.
Nicbt minder gross, wie zu dem innerlichen Gebrauche von Arzneisto£Fen,
finden wir das Zutrauen zu der äusserlichen Wirkung derselben. So benutzten
die Griechen und Römer medicameniöse Bougies oder Pessi, welche man in
die Scheide und auch in den Muttermund eiolegte. Serapion, welcher ein Buch
Ober schwere Geburten schrieb, giebt eine Formel zur Bereitung von ,Sief longis*'
an aus gleichen Theilen Myrrhen, Helloborus niger, Opoponax, Fei taurl von
diesem Sief sagt er:
,Qaem snpponat ipsum mulier; deBcendet enim tone embryo, sive sit vivus sive
mortnus.'
Das Wort Sief lautet im Arabischen Schlaf und wird nach Poldk noch
jetzt in Persien oft gehört.
Auch die alten Araber besassen einen grossen Arzneischatz äusserlicher
Medicamente. So empfiehlt Ali ben Ahhas: Oeleinreibnngen, Bäder, den Gebrauch
des Diptam, aber auch den von Schwalbennestern, Raucherungen von Maulesel-
hufen u. s. w. Rhcufes und ÄlmOccisem riethen an: Oeleinreibnngen, Scheiden-
injectionen, Dampfbäder, Niesemittel u. s. w.
Albertus Magnus nennt als Mittel zum leichten Gebären, die zu seiner Zeit
(im 13. Jahrh.) im Schwange waren: Bilsenkrautwurzel an die linke Hflfte oder das
gesottene Kraut von Rothbnck an die rechte Weiche gebunden; zerriebene Lor-
beerblätter auf den Nabel, während die Beine in Aschenwasser gesetzt sind;
Holzwurz mit Wein und Baumöl auf den Bauch gestrichen. VarigtMna (Prof. zu
Bologna 1802 f) empfiehlt als geburtsfSrdemd Rebhühnereier in die Scheide zu legen.
Solche absonderlichen Yerordnmigen wiederholten sich bei den Verfassern der
ältesten deutschen Hebanmienbücher {Rösslin^ Bueff u. s. w.), welche ausser
Niesemitteln Räucherungen mit stinkenden Stoffen (Galbanum, Bibergeil, Euhwolle,
Schwefel, Opoponax, Tauben- oder Habichtsmist u. s. w.) verordneten.
In Bosnien und der Hercegovina legt man der Kreissenden, deren Nieder-
kunft zögert, frische Edelraute auf den Unterleib. {Glück.)
Bancroft berichtet von den Meewoc-Indiauern in Gentral-Galifornien,
dass sie bei schweren Entbindungen der Frau ein Pflaster von heisser Asche und
nasser Erde auf den Leib legen.
In England war es früher Gebrauch, dass man der Gebärenden gestossene
Lorbeeren mit Oel gemischt auf den Nabel legte {I)enman\ oder ein passend ge-
formtes Stück Knoblauch in den After applicirte. {Oslander.)
In Ober-Aegypten steckt man bei schwacher Wehenthätigkeit der Frau
ein kleines Stückchen Opium in die Genitalien. In einigen Gegenden bekleben sie
den Bauch der Kreissenden mit den zarten Häutchen aus den Hühnereiern. {Demic.)
Muralt in Zürich, der als erster in der Schweiz in den Jahren 1671 und
1676 je eine Leiche obducirte, zog die Haut derselben ab und liess sie gerben.
Bei wachsendem Monde mit einer Salbe eingerieben, hielt er die Letztere für ein
besonders wirksames Beförderungsmittel bei zögerndem Geburtsverlaufe, wenn sie
der Kreissenden als Leibbinde mngelegt wurde.
Bei den heutigen Griechinnen soll nach Damian Georg der Glaube herr-
schen, dass ein Aderlass ander Muttervene eine schwere Entbindung erleichtere;
es ist damit eine Blutader an der grossen Zehe gemeint.
Unter den äusserlich anzuwendenden Hülfsmitteln zur Beförderung der
Niederkunft spielen Räucherungen und Dämpfe, Einreibungen mit Salben u. s. w.
bei vielen Völkern eine grosse Bolle. Schon die alten Araber {Bhatfes, Abtdkasem)
benutzten Bäucherungen. Wenn eine Australierin bei der Entbindung ohn-
mächtig wird, so räuchern sie ihre Stammesgenossen über dem Hangi, einer Art
von Ofen. {Hooker.)
Flo88-Bartel8, Das Weib. 5. Anfl. II. 18
274 LY. Die natfirlichen Hfilfsmittel bei fehlerhafter Geburt.
Dampfbäder, gewöhnlicb mit aromatischen Substanzen, gebrauchen sowohl
die Russinnen, als auch die Gebärenden in Gochinchina, wenn die Entbindung
nicht fortschreiten will.
Medicamentose Raucherungen sind auch in Guatemala gebrauchlich; dort
wird die Gebärende über ein Kohlenbecken gestellt, in welchem Weihrauch und
dergleichen verbrannt wird. (Bemotdlu) Das Räuchern des Unterleibes geschieht
in Galizieu bei allen schweren Entbindungen.
In Bosnien und der Hercegovina wird bei einer erschwerten Niederkunft
ein Stein erwärmt und, mit Oel begossen, in die Nähe der Genitalien gelegt, auch
wird ein Topf mit warmem Wasser in dieselbe Gegend gestellt (Glück.)
Von früher Zeit her ist Aehnliches in Deutschland Brauch. In Ulm
sah van Helmont die todte Frucht nach Räucherungen mit faulen Weintrauben
abgehen; und noch jetzt glaubt man nach Bück in Schwaben, dass man das
abgestorbene Kind abtreiben kann, wenn man die Frau mit Rossschmalz von
unten herauf räuchert. In der Pfalz stellt man nach Patdi bei Krampf wehen
mitunter einen Eimer voll hoissen Wassers mit Quendel, Ghamillen und Zwiebel
unter den Gebärstuhl, und giebt davon auch Klystiere; hier und da schüttet man
dabei Branntwein in einen irdenen Teller, zündet ihn an und lässt den Dunst
davon in die Schamtheile gehen.
Warme Bäder und Einreibungen mit warmem Oel gehören zu den ältesten
Hülfsmitteln der Entbindung {Äetius u. s. w.); in Tyrol soll man den Unterleib
mit Murmelthierfett einreiben (Osiander); auch in Galizien spielt das Bestreichen
des Leibes mit einer Mischung von Fett und Branntwein eine grosse Rolle. Bei
In dianer- Stämmen, z. B. den Pawnies, bläst ein ,Arzt^ den Tabaksrauch, den
er aus einer Pfeife zieht, mit seinem Munde unter die Kleider oder unter die
Decke der Gebärenden. (Engdmann.) Hierbei spielen wahrscheinlich aber mystische
Anschauungen ihre Rolle.
Bäder werden bei schweren Entbindungen auch von den Mokschanen im
Pjensker Gouvernement in Russland angewendet und zwar wird denselben
Gomarum palustre L. zugesetzt. {Demic,)
Schliesslich konmit auch hier und da eine Wasserbehandlung zur Anwendung;
z. B. sind beiden Parsen zur Unterstützung bei schweren Entbindungen allerlei
Waschmittel im Gebrauch. Unter den Gampas-In dianern in Peru reichen die
der Gebärenden helfenden Frauen dieser heisses Wasser, mit welchem sie sich
wäscht, um die Entbindung zu befördern.
In Süd-Indien reibt die Hebanune die Kreissende mit Oel ein und wäscht
den Rücken, die Lenden und die unteren Extremitäten derselben mit warmem
Wasser. (Shortt.)
Zu Doreh auf Neu-Guinea wird die Gebärende von zwei anderen Weibern
gehalten und von einer dritten so lange mit kf^tem Wasser begossen, bis das
Kind geboren ist. (de Bruijnkops)
355. Die mecliaiilscli wirkenden Hftlfsmittel bei schweren Entbindungen.
Der Gedanke, durch mechanische Einwirkung einen abnormen Zustand des
Korpers zu bessern und zu beseitigen, ist ein sehr nahe liegender und hat, wie
die von den verschiedenen Yölkem geübten Methoden der Massago beweisen, eine
ausserordentlich weite Verbreitung gefunden. Dass nun dies so beliebte Volks*
heibnittel schon ausserordentlich früh auch in der Geburtshülfe Einlass fand, ist
mindestens recht wahrscheinlich. Denn es wird wohl überall dort, wo von den
Helfenden zur Linderung der Schmerzen der Unterleib der Gebärenden gerieben
und geknetet wurde, beobachtet sein, dass durch Erregung der Nerven kräftigere
Zusanmienziehungen der Uterusmuskeln und hierdurch erfolgreiche Steigerungen
der Wehenthätigkeit hervorgerufen wurden. Man musste femer auch leicht auf
855. Die mechanisch wirkenden Hülfsmittel bei schweren Entbindongen. 275
die Idee kommen, dass man das Kind, welches von selber nicht den Mutterleib
verlassen wollte, gewaltsam durch einen Druck von aussen aus dem Uterus heraus-
schieben könne.
Die Art und Weise, wie dieser Druck von den verschiedenen Volksstämmen
angewendet wird, ist durchaus nicht eine übereinstimmende. Der Druck kann ein
sanft beginnender, allmählich aber sich steigernder sein, er kann aber auch von
vornherein mit einer gewissen Gewaltsamkeit ausgeübt werden. Der Druck kann
femer ein regionärer, d.h. nur eine engumschriebene Körperstelle treffender sein;
er kann aber auch als ein circulärer, den Körper rings umgreifender in Anwen-
dung kommen. Endlich kann er ein continuirlicher sein, der auf andere Körper-
stellen hinüberwandert. In dem letzteren Falle lässt man ihn dann gewöhnlich
von der Gürtelgegend auf den Unterbauch übergehen.
Einen Gegenstand, der in seinem Behälter zurückgehalten wird, kann man
nun aber auch noch auf andere Weise zu entfernen suchen, nämlich dadurch, dass
man den Behälter heftig schüttelt, um den Gegenstand herauszuschleudern. Diese
Methode finden wir nun ebenfalb als ein Hülfsmittel bei erschwerten Entbin-
dungen von verschiedenen Nationen in Anwendung gezogen. Die Schüttelbe-
w^ungen, welche man dabei mit der Kreissenden vornimmt, sind entweder
Schwingungen in seitlicher Richtung oder von unten nach oben, während die
Kreissende sich in einer horizontalen Lage befindet; oder die Schwingungen werden
derartig ausgeführt, dass die in vertikaler Stellung befindliche Kreissende nach
oben gehoben wird. Die Gedankengänge, welche diesen Methoden zu Grunde
liegen, sind natürlicher Weise nicht ganz die gleichen. In den ersteren Fällen
nämlich glaubt man zweifellos durch die Schüttelbewegungen das Kind in eine
günstigere Lage zu bringen. In dem zweiten Falle dagegen hofft man das in
der Gebärmutter stillliegende Kind gewaltsam aus dem Mutterleibe herauszu-
schleudern:
Sehen wir die besprochenen Hülfsmittel an, so ist es das Streichen und
Drücken des Leibes, die künstliche Ersetzung der vis a tergo, welches die weiteste
Verbreitung gefunden hat. Auch schon die griechischen, die römischen und
die arabischen Aerzte haben solche äusserlichen Handgriffe empfohlen. Ebenso
waren dieselben auch den Aerzten des 16. Jahrhunderts bekannt.
So empfiehlt Bodertcus a Castro 1594 den Hebammen, den Bauch zu
drücken, und Jacob Bueff schreibt in seinem Hebammenbuche:
«Doch soll ein geschickte Frouw zu dieser zyt hmter iren der schwängern fronwen
ston/ sy mit beiden Armen umgeben/ un hart/ geschicklich vnd hoflich trocken/ das Kind mit
sich siriffen vnd strychen/ ynd nit ob sich tringen noch fachten lassen/ so lang bis dem Kind-
lein von der not vnd statt geholffen wird.*
Einigermaassen methodisch scheint Johann van Hoom die äusseren Hand-
griffe zu diesem Zwecke ausgebildet zu haben; er sagt:
,Weil sie aber innerhalb einiger Stunden mit ihrer Arbeit nichts ausrichteten, so
trachtete man die Geburt mit auswärtiger Hülfe zu befördern. Man legte sie auf ein be-
quemes Kreissbette, unter denen Hüften wurde eine Handquehle geschoben, worbei zwei Per-
sonen sie in die Höhe heben konnten, wann es nOthig war, und die Wehe ankam, schöbe
die in der Seite liegende Gebärmutter mitten in dem Leibe, mit der flachen Hand auf dem
Bauche geleget, stiess man nach, wann die Wehe kam, und dergleichen mehr. Welche Hand-
griffe ich oftermalen habe gesehen, dass sie gar viel zu der Entbindung beygetragen und ge-
holffen haben."
Später kamen diese Methoden wieder in Vergessenheit und erst wieder im
Jahre 1812 fand Wigand in Hamburg, dass man durch äusseren Druck die
Lage des Kindes verbessern könne ; allein seine Entdeckung wurde anjEsrngs wenig
beachtet.
Die Expression des Kindes führte dann im Jahre 1867 KristeUer in Berlin
in die geburtshülf liehe Praxis ein, um durch äussere Handgrifife bei Wehenschwäche
die Vorwärtsbewegung des Kindes zu bewirken.
18*
276
LV. Die natürlichen HOlfsmittel bei fehlerhafter Grebort.
356. Mechanische Hftlfe bei schweren Entbindungen in Japan.
Den Japanern waren schon lange Zeit die günstigen Wirkungen äusserer
Handgriffe bekannt und durch einen derselben, den Seitay, Tersucbten sie sogar
die Wendung zu machen. Wenn bei normaler Lage des Kindes durch den
Mangel von Wehen, durch Kothansammlungen im Mastdarm oder ein ähnliches
Hindemiss die Entbindung keine Fortschritte machte, dann empfahl Kangatoa
ein Verfahren, welches er als «das Sitzen auf der Matte'' bezeichnet hat:
„Man lässt die Kreuzgegend von den Umstehenden ohne ünterlass reiben; der Schmerz
steigt^ dann allm&hlich herab, es entsteht Drang znr Eothentleemng. Nun macht man den
Fig. 318.
Das Sitzen auf der Matte. Massage des Leibes zur Befördemng der Entbindung in Japan.
(Nach einem Japanischen Holzschnitt.)
(sehr breiten) japanischen Gürtel los und lässt die Frau sich so setzen (japanisches
Hocken), dass die Fersen zu beiden Seiten der Hinterbacken liegen (der aufgerichtete Ober-
körper ruht demnach auf den unter dem Steiss gekreuzten Unterschenkeln). Der Arzt sitzt
▼or der Frau, lässt dieselbe sich nach vorn neigen, ihre Arme um seinen Nacken schliessen
und sich auf seine Schultern stützen. Er umwickelt dabei seine rechte Hand mit einem
Tuche, schiebt sie. zwischen die beiden Schenkel der Frau, stützt mit der Handfläche das
Steissbein ; so lässt man nun die Frau sitzen, umfasst mit dem linken Arm ihren Körper, und
bei jeder Wehe hebt der Arzt seine rechte Hand, während er gleichzeitig mit dem linken
Arm den Körper der Frau etwas hebt. Nach einigen Wehen nimmt er das die rechte Hand
umwickelnde Tuch ab und führt den Zeige- und Mittelfinger in die Scheide ein, und zwar
857. Die Anwendung des äusseren Druckes als flülfsmittel bei schweren Entbindungen. 277
so, dass die Finger vom After aus nach vom und oben gehend eindringen, um die Lage des
Kindes zu erforschen. Man fühlt dann den Muttermund nach innen contrahirt; der noch mit
Membran bedeckte Kindskopf fühlt sich an wie ein feuchtes Tuch. Ist der Kopf schon ausser-
halb der Gebärmutter, so muss der Geb&rmuttermund schon geöffnet sein und der noch mit
Haut bedeckte Kopf ist leicht zu fühlen. Vor dem Wassersprung strotzt die mit Wasser
gefüllte Membran; ist sie dann zum Platzen bereit und macht dies der Frau heftige Schmerzen
im Kreuz und in den Schenkeln, als ob sie zerreissen wollten, so muss der Arzt w&hrend der
Spannung mit dem Fingernagel kratzen. Ist der Abfluss von Wasser genügend, so fühlt sich
die Frau um die H&lfte erleichtert
«Der Wassersprung ist das Zeichen fSr die Geburt; je kräftiger die Frau ist, um desto
schneller wird die Geburt vor sich gehen. Der Arzt soll auf einer kleinen Bank sitzen, mit
beiden Knieen den Leib der Mutter festhalten, so dass das Kind keinen Raum hat, sich auf
die Seite zu neigen. Die Untersuchung mit der rechteil Hand und das Umfassen des Leibes
mit der linken geschieht so, wie oben angegeben ist.''
.Sobald die Frucht aus der Gebärmutter herausgetreten ist, stGsst der Scheitel gegen
den Damm der Mutter, der Anus wölbt sich aus, der Schmerz erreicht seinen höchsten Grad,
der Puls verlegt sich von der Radialarterie in die Fingerspitzen (?), die Frau sieht Feuer im
Auge; plötzlich springt der Kopf mit einer gewaltsamen Drehung aus der Gebärmutter heraus.
Das Zerreissen des unteren Theils der Scheide (Dammriss) geschieht in dem Moment der ge-
waltsamen Drehung, wenn die Hebamme den Anus nicht gedrückt hat; sie hat also Schuld
daran. Deshalb ist auch die Unterstützung mit der rechten Hand ein sehr nothwendiger
Bestandtheil des ,Sitzens auf der Matte*; aber auch das Umfassen mit dem linken Arm und
das Heben der Frau ist ebenfalls sehr wichtig, und endlich soll der Arzt mit seiner Schulter
einen Druck auf die Präcordialgegend ausüben.*'
,£ine andere Methode besteht darin, dass man den Anus der Frau von hinten durch
die Hebamme unterstützen lä^st; hierbei sitzt der Arzt ebenfalls vor der Frau, hält den
Leib zwischen seine Kniee und streicht mit seinen Handseiten yerschiedene Male vom
Rücken bis zum Nabel. Kommt nun das Kind gegen den Anus hin, so lässt man die Heb-
amme ihre Finger kreuzen (wie zum Gebet) und damit von hinten den Anus stützen; gegen
den Bauch wird ein leichter Druck ausgeübt; ist der Schmerz zu stark, dann muss etwas
fester gedrückt werden.''
Hiermit wird demnacli ausser der möglichst energisch wirkenden Damm-
unterstütznng und der darch Reibung veranlassten Wehenerregungen eine Art
von Expression der Frucht angewendet.
Dieses Sitzen auf der Matte stellt zweifellos ein Holzschnitt vor, welcher
sich in einem japanischen Werke über häusliche Gesundheitspflege findet. Der-
selbe ist in Fig. 313 wiedergegeben worden.
357. Die Anwendung des Süsseren Druckes als Hülfsmittel bei schweren
Entbindungen.
Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, was für eine hochwichtige
Rolle der Druck von aussen in der Bekämpfung von erschwerten Entbindungen
spielt. Auch wurde schon auseinandergesetzt, dass er durchaus nicht immer in
gleicher Weise zur Anwendung kommt. Wir beg^pien einer ganzen Reihe von
Uebergangen, von der leisen Berührung mit den Fingerspitzen und dem sanften
Streichen an, bis zu dem festen Umschlingen mit den Armen und selbst bis zu
Stossen mit Fäusten und Knieen. Auch besonderer mechanischer Vorrichtungen
zu der Ausübung des Druckes wird nicht selten Erwähnung gethan. In den fol-
genden Angaben sollen einige bemerkenswerthe Beispiele folgen.
Die chinesischen Hebammen üben nach Hureau de Vüleneuve das so-
genannte Kong-fu aus, das in einem leisen Kitzeln und Streicheln und Drücken
mit den Fingerspitzen besteht. Die Hebamme nimmt diese Manipulationen zugleich
mit den Zusammenziehungen der Gebärmutter vor, sie berührt dabei aber nicht
nur den Unterleib, sondern auch die Leisten, die Weichen und die Unterrippen-
gegend. In Folge dieser. bald regelmässigen, bald unerwartet sich folgenden Be-
278
LV. Die natürlichen Hülfsmittel bei fehlerhafter Geburt.
rührungen, und unterstützt durch regelmässige und abgemessene Athemzüge der
Gebärenden^ soll die Kreissende fast keine Schmerzen bei der Niederkunft em-
pfinden.
Nach Häntesche führen die persischen Hebammen in der Provinz Oilan
zur Beschleunigung einer erschwerten Entbindung streichende Bewegungen am
Bauche aus und sie pflegen dabei die Ereuzgegend zu reiben.
Schon die alten Araber {Bhaees) riethen^ den Unterleib zu streichen; und
auch bei den Tscherkessen suchen die Hebammen durch Her unterstreichen am
Leibe die Gebärende von dem Kinde zu befreien.
In der Speelmans-Bai auf Neu-Guinea wird die Gebärende von den
helfenden Frauen unausgesetzt auf Brust und Bücken gerieben. Auf Ambon und
den U Hase -Inseln werden der Kreissenden die Lenden und der Rücken massirt.
(Riedel\)
Auch in dem südlichen Indien
ist solche Massage der Kreissenden Sitte.
Energischer ist schon das Kneten und
Drücken, das sich einer weiten Aus-
breitung erfreut.
So drücken nach Hasskarl die
Hebanmien in Java der Gebärenden
den Unterleib. Bei den Alfuren-
Weibern auf Serang sucht man auch
durch Pressen und Drücken des Leibes
erschwerte Entbindungen zu ermög-
lichen. Auf Nias wird der Bauch der
Kreissenden von oben nach unten ge-
knetet, um die Entbindung zu er-
leichtem.
In Monterey in Californien
muss sich zur Beschleunigung der Ent-
bindung ein starker Mann hinter die
Kreissende setzen, welcher mit seinen
Händen auf den Bauch greift und bei
jeder Wehe einen kräftigen Druck aus-
übt in der Absicht, durch äussere me-
chanische Kraft die Wirkung der Gebär-
muttercontractionen zu erhohen. Wenn
die Gebärende und die den Unterleib
drückenden Assistenten ermattet sind,
so wird jene auf ihre Kniee auf den
Erdboden gelegt, doch ohne ihr eine jener vermeintlichen Nachhülfen zu er-
lassen. (King.)
Engelmannj dem wir die Fig. 314 verdanken, macht von dem in Mexiko
gebräuchlichen Verfahren folgende Beschreibung:
„Die Kreissende kniet auf der ihr unterbreiteten Decke By welche aus einem mit baum-
wollenem Zeuge C und einer Zarape Z belegten Schaffelle besteht. Auf das eine Ende wird
ein Kissen H gelegt, worauf die Frau in der Rückenlage nach der Entbindung ihren Kopf
legt. Die Stellung der Frau ist die knieende, wobei sie sich an den Strick oder Lasso L
hält, welcher vom Balken W herabhängt. Zwei Gehülfinnen verrichten die üblichen Hand-
griffe. Die Partera, die Erfahrenere und ältere von jenen, kniet vor der Kreissenden; ihre
Aufgabe ist, den Uterus zu behandeln, dessen Grund zu drücken und zu reiben, zeitweise die
Hand auf die Scham zu legen und das Steissbein geschmeidig zu machen. Die Jüngere (Tena-
dora) kniet hinter der Frau, drängt ihre Kniee an deren Hüften und übt durch Falten ihrer
Hände über deren Magen einen Kreisdruck aus, während die kundigere Partera knetet. In
schwierigeren Fällen übernimmt die Tenedora eingreifendere Obliegenheiten. Da erhebt sie
Fig. 314. Niederkunft einer mexikanischen
Indianerin,
knieend and sich an einem vom Balken herabhängenden
Lasso haltend, von zwei helfenden Frauen geknetet.
(Nach Engelmann.)
357. Die Anwendung des äusseren Druckes als Hülfsmittel bei schweren Entbindungen. 279
die Gebärende an den Armen, schüttelt sie wie einen Sack und l&sst sie fallen, unterwegs
fängt sie sie theilweise wieder auf, wobei der MutterkOrper während des Knetens einen Ruck
und plötzlichen allseitigen Druck erfährt.'
In einigen mexikanischen Familien erhält man die Frau aufrecht mit
leicht gebogenen Enieen und Hüften, wobei sie die Füsse weit aus einander spreizt,
während sie sich an zwei herabhängenden Tauen halt. Carson^ der dies an
Engelmann berichtet, f> hinzu, dass auch vom Kneten Gebrauch gemacht wird,
eine Binde aber nie in Anwendung kommt.
Das Kneten des Leibes nehmen nach Kersten auch die Hebammen der
Szuaheli in Ost-Afrika Yor, sowie auch die Wakamba und Waswaheli.
In Old-Galabar wird auch schon, wie es scheint, bei jeder regelmässigen
Geburt der Bauch der sitzenden Gebärenden durch die vor ihr hockende Heb-
amme von oben nach unten und Yom mittelst der beolten Hände zusammen-
gepresst, damit das Kind seinen Weg nach abwärts finde. (Hewan,)
Haben bei einer Kirgisin des Gebietes Semipalatinsk die Wehen be-
gonnen, so versammeln sich alle anderen Frauen des Auls bei ihr, um ihr be-
hülflich zu sein. Kurz bevor die Niederkunfl erfolgen soll, giebt man der
Kreissenden ein an der Wand befestigtes starkes Band in die Hand, damit sie sich
daran halten kann. Sie kniet dann nieder, zwei Weiber unterstützen sie; eine
Dritte umfasst sie von hinten, stemmt das eine Knie in das Kreuz und drückt mit
beiden Händen auf ihren Leib.
Die kreissende Kalmückin kauert am Fussende des Bettes und hält sich
an einer von der Decke herabhängenden Stange fest. Eine hinter ihr stehende
Frau umfasst mit beiden Armen ihren Leib und übt auf denselben einen Druck
aus. Bisweilen versieht den gleichen Dienst ein kräftiger Mann, den der Ehegatte
vorher reichlich bewirthet hat. Dann wird die Kreissende von diesem Manne auf
seine Kniee gesetzt {Krebd.)
Nach Meyerson setzt sich die Kalmückin von Astrachan, sobald ihre
Kräfte beim Kreissen nachlassen, zwischen zwei Koffer, während ein robuster Mann
von hinten her ihren Leib umfasst und denselben kräftig zusammendrückt.
Der kreissenden Lappen- Frau leistet der Ehemann Hülfe. In der letzten
Geburtsperiode, sobald der Kopf sich in der Genitalspalte zeigt, stellt die Kreissende
sich auf die Füsse und stützt sich mit der Achselgrube auf einen ausgepannten
Strick oder auf eine dünne Stange. Der hinter ihr stehende Gatte stützt das
Kreuz mit den Knieen, um&sst mit beiden Händen den Leib und drückt ihn zur
Zeit der Wehen. (Drsheweteki.)
Man würde sich nun gewaltig täuschen, wenn man annehmen wollte, dass
dieses Drücken immer auch mit der nothigen Vorsicht geschieht. Von den Ein-
geborenen von Neu-Galedonien schreibt Bochas^ dass sie zur Beschleunigung
schwieriger Entbindungen einen heftigen Druck auf den Unterleib ausüben und
ihn sogar mit den Fäusten traktiren. Auch die Gebärende in Neu-Guinea wird
von Weibern des Dorfes dadurch unterstützt, dass diese sie über der Brust mit
den Fäusten kneten.
Aber nicht nur mit den Fäusten allein werden die armen Weiber bearbeitet,
sondern sogar mit den Knieen und Füssen. Li Australien pflegt nach Hooher
ein Medicin-Mann (Tolunga) der Gebärenden zu helfen. Er presst seine Kniee
gegen deren Brust, und lässt den Druck immer weiter nach unten einwirken, bis
das Kind geboren ist. Dabei sitzt die Kreissende aufrecht und die helfende
Person umschlingt ihren Unterleib mit den Händen. Nach Marston dagegen
helfen bei schwierigen Entbindungen zwei Frauen, die sich mit der Gebärenden
niederlegen und sie dabei in ihre Mitte nehmen. Die Eine legt ihre Kniee
hinterwärts der Gebärenden in das Kreuz, die Andere, an der Vorderseite der
Gebärenden liegend, wartet den Eintritt einer Wehe ab und stösst dann mit ihren
Knieen den Unterleib der Gebärenden.
280 LV. Die natürlichen Hülftmitiel bei fehlerhafter Gebnrt.
Wenn bei den Noefoorezen die Niederkanft nicht schnell genug von
Statten geht, so kneten die yersammelten Weiber den Unterleib der QebSrenden
und treten denselben mit ihren Füssen; van HasseU sah mehrere gef&hrliche
GtebnrtsfaUe, die hierdurch höchst ungünstig verliefen; in der äussere ten Noth
wurde er um Rath gefragt.
Bei den Alfuren auf Serang legt man in solchen schwierigen Fällen die
Niederkommende auf den Bauch und tritt ihr auf dem Rücken herum.
Bei den ausnahmsweise schwer verlaufenden Geburten der Frauen der Etas
(Negritos auf den Philippinen) wird eine ältere Frau des Stanmies herbei-
geholt, die den linken Fuss auf den Leib der Gebärenden setzt und mit dem-
selben drückend mittelst der rechten Hand das Kind an das Tageslicht befördert.
(Schadehberg.)
In Siam legt man die Gebärende auf den Rücken und zu jeder Seite ihres
Bettes befindet sich eine helfende Frau, welche abwechselnd den Bauch der
Ereissenden nach abwärts und rückwärts pressen. Führt dieses innerhalb 3 — 5
Stunden nicht zum Ziele, so gehen sie zu folgender Methode über: Eine Frau
steigt, auf ihre Freundinnen sich stützend, auf den Unterleib der Gebärenden und
geht auf demselben auf und ab, ihre Füsse so einsetzend, dass sie immer etwas
höher als der Fötus zu stehen kommen. Lässt auch dieses Yerfieihren im Stich,
dann wird als letztes Mittel die Gebärende mittelst einer Binde, die unter den
Armen hindurchläufb, aufgehängt, an diese klammem sich mehrere Weiber — und
dies f&hrt immer zum Ziele, d. h. entweder das Perinaeum wird durch den vor-
tretenden Kopf zerrissen, oder der Kopf geht in Trümmer, wie Hutchinson bei
mehreren Neugeborenen fand.
Bei den Annamiten in Gochinchina überlässt die Hebamme in den ge«
wohnlichen GeburtsfSUen die ganze Arbeit der Austreibung des Kindes dem Uterus.
Stockt aber ausnahmsweise die Entbindung, so drückt sie mittelst ihrer Füsse auf
den Uterus, wie sie bei Beseitigung der Placenta stets zu machen pflegt. Mondiere
fand in einem solchen Falle die Gebärende gestorben, den Uterus gerissen und
das Kind in der Bauchhöhle liegend. Er durfte den Bauch nicht eröfhen, um
den wahrscheinlich noch lebenden Fötus zu Tage zu fördern.
Auch in Afrika finden wir das Treten der Kreissenden und zwar bei den
Waswaheli und den Wakamba. Dieses findet nach Hildebrandt statt, indem
sich das helfende Weib auf den Brustkasten der auf dem Rücken liegenden
Kreissenden stellt und mit den Zehen auf den Unterleib drückt. Bei den Guinea-
Negern suchen nhch Morand die helfenden Freundinnen und verwandten Frauen
durch Stösse und Fusstritte in die Magengegend den Gebäract abzukürzen.
358. Das Belasten des Unterleibes als HUftmittel bei schweren
Entbindungen.
Es war wohl nicht sehr schwer, darauf zu kommen, dass man den Druck
auf den Bauch der Gebärenden, welcher die stockende Entbindung befördern soll,
anstatt durch die Einwirkung der Hände und Füsse, auch durch aufgelegte Lasten
ausüben könne. Den Uebergang hierzu finden wir in West- Afrika bei den
Negern am Senegal und bei den Einwohnern von Kabylien. Wenn bei den
letzteren die Niederkunft langsam von Statten geht, so legt, wie Ledere berichtet,
eine Frau ihren Kopf auf den Leib der Gebärenden und drückt auf diese Weise
den Leib derselben zusammen, um so den Austritt des Kindes zu fördern. Bei
den Senegal -Negern setzt sich zu gleichem Zweck die helfende Frau der
Kreissenden auf den Leib.
In Algerien legt man nach Bertherand der Kreissenden eine grosse, schwere
Holzplanke auf die Nabelgegend, und die helfenden Weiber stellen sich auf die
letztere, um das Kind herauszupressen.
859. Das XJmselmüren des Unterleibes als Hülfsmittel bei schweren Entbindungen. 281
Bei den Tatarinnen in Astrachan legt bei zögernder Entbindung die
Hebamme der Frau ^^ schwere Lasten '^ auf die Nabelgegend. (Meyerson.)
Der Alfurin in Serang wird nach Schuhe^ wenn sie nicht niederkommen
kann, der Leib mit grossen Steinen und ähnlichen Dingen beschwert.
Die malayischen Hebammen auf den Philippinen legen der Gebärenden
nach MaUat warme Backsteine auf den Unterleib, die sie mit aller Kraft drücken.
Die Oreek- Indianerinnen in Nord- Amerika belasten den Leib der
Ereissenden mit einem drückenden Polster.
Es muss hier auch noch daran erinnert werden, dass die Golden in
Sibirien, wie wir oben besprochen haben, der Kreissenden zur Beförderung der
Niederkunft einen holzgeschnitzten Götzen von grosser Schwere (Fig. 311) auf
den Bauch zu packen pflegen.
Bisweilen wird auch der nöthige Druck mit Hülfe eines Stockes ausgeübt.
Maüat sagt Ton den Negritas und Montescas auf den Philippinen, denen
bei ihrer Niederkunft keine helfende Freundin zur Seite steht, dass sie im Stehen
niederkommen und dabei ihren Unterleib stark druckend auf ein Bambusrohr
stützen.
Die Indianerinnen in Alaska nehmen bei schweren Entbindungen die
Knie -Ellenbogenlage ein, wobei sie sich mit dem Bauche auf einen Stock
legen, dessen eines Ende eine Gefährtin festhält, um
sie im Drangen zu unterstützen.^ (Ball.)
Bei den Winnebagos und den Ghippeway-
Indianern wird der Bauch der knieenden, mit dem
Gesicht abwärts vorgebeugten Gebärenden auf ein Quer-
holz oder Tau gelegt, und dann wird letztere durch
mehrere Helfende langsam über dieses Holz oder Tau Fig. 3i5. Instrument EurMas-
rrAfl/^VinKpn »age des Leibes bei schweren
^VBt«uuu6u. Entbindungen. (Philippinen.)
Das erinnert an eine Maassnahme der Ehsten, (Nach wakowski,)
die nach Holst die Kreissende über ein stufenartig
construirtes Lager herabzerren.
Ganz besondere Erwähnung verdient noch eine Sitte Ton den Philippinen.
Dort wird bei schweren Entbindungen der Leib der Kreissenden mit einem In-
strumente aus Backstein massirt, welches die Gestalt eines Fisches hat. Solche
Instrumente besitzen die ethnographischen Museen von Paris, München und
Berlin. Das Spedmen aus dem pariser Museum ist in Fig. 315 dargestellt.
Wie mir Max Buchner mittheilte, werden diese Instrumente inManilla auf dem
Topfmarkt verkauft. Man hat ihm dort aber mitgetheilt, dass sie zur Beförderung
der Entbindung der Kreissenden in die Genitalien gesteckt würden. Wenn diese
Angabe den Thatsachen entspricht, dann würden sie also den Maassnahmen zuzu-
rechnen sein, durch welche die Geburtswege gewaltsam erweitert werden. Ihre
Anwendung zu äusserlichem Druck will mir bei ihrer grossen Dicke allerdings
plausibler erscheinen.
859. Das Umschnttreii des Unterleibes als Httifsmittel bei schweren
Entbindungen.
Wir haben schon mehrfache Belege dafür kennen gelernt, dass die bei der
Niederkunft helfenden Personen die Arme um den Leib der Kreissenden schlingen,
um so durch einen circulären Druck den Austritt des Kindes zu befördern. Die
Arme werden aber allmählich erlahmen, wenn die Entbindung sich in die Länge
zieht, und da musste es denn einfacher erscheinen, dass man sich in solchen
Fällen, wo der circuläre Druck auf den Unterleib zur Beendigung der Geburt er-
forderlich erschien, gleich von vorne herein eines umschlingenden Gürtels, eines
282
LV. Die natürlichen Halfsmittel bei fehlerhafter Geburt.
Riemens, eines Tuches oder ähnlicher Dinge bediente. Auch hierfür stehen uns
einige Beispiele zur Verfügung, und eines derselben haben wir schon bei den
Orang Belendas in Malacca kennen gelernt. (S. 169.)
So wird auch bei den Nez-perc6s- und den Gros- Ventres-Indianerinnen
in Nord-Amerika der Leib der Gebärenden mit einem breiten Gurt umwunden,
welchen die an beiden Seiten stehenden Gehülfinnen bei jeder Wehe fest anziehen
und ihn etwas abwärts gleiten lassen. (Engdmann) Auch die Pa-Utah legen
einen Ledergürtel oberhalb des Gebärmuttergrundes an, und drei bis vier Frauen
streifen denselben je nach dem Fortschreiten der Wehen immer tiefer herab,
damit die Frucht nicht zurQckschlüpfe.
In Monterey in Californien sitzt die Niederkommende und hält sich an
einem Seile fest, das vom Querbalken des Daches zu ihr herabhängt. Rings um
ihren Leib wird ein breites Handtuch gewunden, die Enden desselben werden
hinten gekreuzt und den assistirenden Weibern übergeben, welche angewiesen
werden, das Tuch zusammen zu schnüren, wenn die Anschwellung des Leibes
während der Wehen herabsteigt, und es fest zu halten bis zu dem Eintritte der
nächsten Wehe, um zu yerhüten, dass
die Geschwulst des Bauches in der
Wehenpause wiederum zunimmt.
(Engdmann.)
Bei den Eingeborenen an der
mexikanischen wenze der Ver-
einigten Staaten besteht die
HüKeleistung, welche eine als Heb-
amme fungirende Frau mit einer
Assistentin der Kreissenden leistet,
in einem Zusammendrücken des Unter-
leibes mittelst eines seilartig zu-
sammengedrehten Linnens. Gleich-
zeitig wird der Bauch mit den
Armen umschlungen und die Gebär-
mutter auf diese Weise zusammen-
gepresst
In Guatemala wird sogleich
beim ersten Auftreten der Wehen
oberhalb des Utenis eine schmale
Leibbinde so fest als möglich angelegt, damit das Kind nicht nach oben aus-
weichen könne.
Fdkin sagt:
„Eine besondere Geburtsstellung nebst Hülfeleistung eines Mannes habe ich zu Kerrie
am weissen Nil gesehen. Sie wird angewendet, wenn die Gebärende sehr lange Geburts-
wehen ohne Erfolg gelitten hat (Fig. 316). Zwei PflOcke werden in den Fussboden innerhalb
der Thflr der Hütte getrieben. Die Kreissende setzt sich zwischen den Thürpfosten auf einen
umgekehrten Topf, indem sie ihre Füsse gegen die PflOcke stemmt und sich mit den H&nden
an den Thürpfosten festh<. Dann wird ein breites Tuch rings um ihren Unterleib ge-
schlungen und in kurzer Entfernung hinter sie legt sich ein Mann, setzt seine Füsse fest
gegen ihre Beckenknochen und zieht in wechselnden Tractionen am Tuch. Eine Freundin
nimmt zum Empfange des Kindes zwischen ihren Schenkeln Platz."
Auch in Jaya kommt die Umschlingung der Ereissenden vor. Wie Ploem
daselbst dem Botaniker Kuntee berichtete, werden die Ereissenden dort manchmal
bekniet und mit Tüchern u. s. w. umschnürt, um einen bösen Geist zu vertreiben,
der das Eind zurückhält.
Die Eirgisen wickeln um den Leib einen Strick und ziehen ihn so lange
an, bis die Geburt vor sich geht.
Fig. 316. Schwere Niederkunft einer Frau in Kerrie am
weissen Nil.
Während sie auf einem Topfe sitzend Stützpunkte für Hände
und FtLsse hat, übt ein am Boden liegender Mann mit einem
Tuche einen Druck auf ihren Leib aus.
(Nach FeiktH.)
360. Das Auf h&ngen u. d. Schütteln d. Ereissenden als Hülfsmittel b. schweren Entbindungen. 283
Aus SQd-Deutschland, und zwar aus Aulendorf in Baden, giebt JStV-
linger an, dass der Gebärenden ein Gürtel aus ^/2 Zoll breitem Hirschleder mit
einer Schnalle zum Schnüren um den Leib gelegt wird, um die Niederkunft zu
beschleunigen.
860. Das Aufhängen und das Sehfltteln der Ereissenden als Hfllfsmlttel
bei schweren Entbindungen.
Bei der allgemeinen Besprechung der mechanisch wirkenden Hülfsmittel,
welche die Niederkunft zu beschleunigen bestimmt sind, wurden die Erschütte-
rungen des Körpers der Ereissenden schon erwähnt. Ich komme auf dieselben
in dem Folgenden sogleich noch etwas ausführlicher zurück. In den gleichen
Ideenkreis gehören auch bestimmte Manipulationen, welche man als das Auf-
klängen der Gebärenden bezeichnen kann. Offenbar soll bei dem hängenden Körper
der Frau das Kind durch die Wirkung der Schwere gezwungen werden, sich nach
unten in die Geburtswege herabzusenken. Ist dieses dann erst glücklich erzielt,
dann hofft man, dass das Kind nun auch femer unter geeigneter Hülfeleistung
den natürlichen Ausgang des mütterlichen Unterleibes passiren werde.
So ist es in Nord-Amerika bei den Coyotero-Apachen nach Engel-
mann gebräuchlich, fast bei allen Entbindungen die Kreissende in Bändern auf-
zuhängen, welche ihr unter den Armen hindurchgezogen sind. Die Helfenden
fassen sie dann in ihre Arme und streichen ihr mit beträchtlicher Kraft den Leib
in der Richtung nach unten zu. In Fig. 317
ist eine solche Entbindung dargestellt.
Auch bei den Indianerinnen der
mexikanischen Grenze wird bisweilen
ein Seil unter den Armen hindurchge-
schlungen, das dann an einen Querbalken
befestigt wird; so kommen sie also
hängend nieder.
Wenn bei den Zeltbewohnerinnen
in Marokko die Geburt trotz der ange-
wendeten abergläubischen Mittel nicht Yon
Statten geht, so wird die Kreissende
Ton den helfenden Weibern ergriffen, ein
starkes Band wird ihr um den Rücken
und unter die Achseln hindurchge-
schlungen und so zieht man sie dann in die
Luft. Dadurch wollen sie die Wehen be-
schleunigen, und zeigt sich ein Theil des
Kindes, entweder der Kopf oder die Füsse,
so versuchen sie diese Theile zu ergreifen
und durch starkes Reissen und Ziehen
das Kind zu Tage zu fördern. Nur
selten gelingt das, meist wird das Kind zerrissen, und fast inmier ist der Tod der
Mutter die Folge dieses barbarischen Verfahrens. (RoJdfs.)
Nach Bertherand^s Bericht hängt man in Algerien zur Beschleunigung
der Entbindung die Kreissende an ihren Armen zwischen den Stangen des Zeltes
auf, presst ihr den Mittelkörper zusammen und drückt den Bauch Yon oben
nach unten.
Auch bei den Tataren in Astrachan hängt man nicht selten die Nieder-
konunende an ihren Armen auf und schnürt danach den Leib mit Handtüchern
zusanmien. Meyersan, der dieses berichtet, sagt auch, dass wenn der Hebamme
die Geburt regelwidrig erscheint, sie- angeblich die Kreissende auf der Erde herum
Schwere Entbindung einer Coyotero-
Apachen-Frau,
hängend mit starkem Dmck anf den Leib.
(Kach EngelmaHH.)
284 I'V. Die natürlichen Hfllfemittel bei fehlerhafter Geburt.
drehen oder an den Füssen aufhangen soU. Er hat diese Procedur nie selbst
mit angesehen und schenkt diesem Berichte wenig Glauben.
Der landesfürstliche Arzt Grigorjev kam eines Tages in einem russischen
Dorfe mit drei Hebammen zusammen, welche beriethen, wie man einer Ereissenden
helfen könnte, die schon drei Tage sich marterte; sie beschlossen, sie in einem
Backofen heiss zu warmen und dann mit dem Kopfe abwärts aufzuhängen.
Bei dem russischen Landvolke hängt sich nach Holst die Gebärende an
eine Querstange, die an Stricken wie eine Schaukel befestigt ist, und sucht auch
wohl in dieser halb liegenden, halb sitzenden Stellung durch Sprünge die Geburt
zu beschleunigen und das Kind gleichsam aus sich herauszuschütteln. Dabei er-
eignet es sich natürlich nur zu oft, dass das Kind herausföllt, ehe es die Hebamme
auffangen kann, oder dass die Nabelschnur abreisst, oder der Uterus nach aussen
gezogen wird.
Auch bei den Ehsten hält man die Frau in der Schwebe und schüttelt sie,
und presst ihren Leib zusammen.
Hier finden wir also bereits Uebergänge zu dem Schütteln der Kreissenden.
Einige andere Berichte haben wir von Demic:
Im Wologoder Gouv. ergreifen sie die Kreiasende bei den H&nden und Füssen und
schaukeln sie, oder man legt sie mit dem Rücken auf eine Bank, hebt sie mit den H&nden,
die man unter das Becken und die Oberschenkel führte, in die Höhe und schüttelt sie kr&ftig.
Im Nordosten von Russland führt man die Kreissende um den Tisch herum, der
Mann legt sich auf den Fussboden und man lässt sie über ihn hinwegspringen; oder ein
starker Mann nimmt die Frau auf seinen Rücken, sie bei den Händen festhaltend, l&ufb mit
ihr im Zimmer herum und schüttelt sie, so viel er kann; oder man legt sie auf den Boden,
bindet die Füsse unter den Knöcheln mit Fetzen zusammen und zieht den Kopf abwärts, die
FüBse aufwärts.
Die Erschütterungen der Kreissenden waren im alten Griechenland als
Beschleunigungsmittel der Entbindung Eehr beliebt. Man schlug ein Tuch um
die Oebärende und schüttelte sie dann wenigstens zehn Mal tüchtig durch; dann
lehnte man die Gebärende im Bette zurück, so dass ihr Kopf abwärts, die Beine
aufwärts lagen, und die hülfeleistenden Weiber, welche nunmehr die Beine der
auf die Schultern gestellten Kreissenden hielten, schüttelten dieselbe im Bette
wiederholentlich hin und her. (Hippokrates.)
Bei den Geburtshelfern der alten Römer waren diese Manipulationen nicht
beliebt; Soranus widerrieth diese Conquassationen der Griechen; auch PatUtiS
Atgineta verwarf in dieser Beziehung die Rathschläge des Hippokrates und rieth
das Tragen in einer Sänfbe als ein weit milderes Mittel an.
Auch in dem heutigen Indien wird nach Shortt die Kreissende, die nicht
niederkommen kann, am Unterleib mit Lampenöl eingerieben und dann geschüttelt.
Im westlichen Amerika wird bisweilen die Gebärende in einer wollenen
Decke ebenfalls geschüttelt, die an den vier Enden tou starken Männern gehalten
wird. (Engdmann.)
Die Indianerinnen an der Grenze von Mexiko fassen bisweilen die
Kreissende an den Lenden, und versuchen, das Kind herauszuschütteln.
In Nive, einer in der Südsee gel^enen Insel, soll die bedenkliche Sitte
geherrscht haben, dass die bei der Geburt helfenden Weiber den Uterus der
Wöchnerin vermittelst eines Rohres mit Salzwasser füllten, und dann die
Kreissende, den Kopf nach unten, möglichst heftig hin und her schwenkten, an
welcher Procedur, wie leicht begreiflich, nicht wenige Frauen gestorben sein
sollen. (Hood.)
Eine besondere Art von Erschütterungen hat der im Jahre 1466 in Padua
verstorbene Professor Johann Michael Savonarola vorgeschlagen. Die Gebärende
soll tanzen, abwechselnd bald auf einem, bald auf dem anderen Fusse; sie soll
schreien, die Wehen aber sollen im Stehen oder im Knieen abgewartet werden,
360. Das Auf h&ngen n. d. Schütteln d. Kreisaenden als Hülfsmittel b. schweren Entbindungen. 285
während die Oebärende an dem Halse eines starken Weibes bangt; dabei soll die
Hebamme den Bauch drücken und mit der beölten Hand die Geburtstheile zu
erweitern suchen.
,Im Kijewer Gouv. Iftsst man die Kreissende eine Bank Überspringen oder schwere
Gegenstände heben, und zugleich muss sie starken Branntwein mit Pfeffer trinken."
Auch das Prellen finden wir als geburtsbefSrderndes Mittel im Gebrauch.
Die Kreissende wird dazu auf ein Leintuch gelegt, das Yon Tier starken Männern
gehalten wird. In Italien ist diese Manipulation schon Ton der Trotula vor-
geschlagen, allerdings erst wenn der Tod des Kindes bereits erfolgt war. Bei
diesem Prellen soll der Kopf der Gebärenden bald hierhin, bald dorthin etwas
erhoben und das Tuch an den entgegengesetzten Zipfeln stark angezogen werden.
Vielleicht ist dies auch das, nach Buch^ in Schwaben herrschende Verfahren,
wo, wenn das Kind «yierecldg* liegt, die Kreissende »über- und übertrolef* wird;
eine nähere Beschreibung fehlt. In einem Districte des sächsischen Erzge-
birges fand Leopold^ dass man ein Tuch unter der Kreuzgegend der Frau hin-
durchgezogen hatte und diese letztere durch zwei Personen je nach dem Eintritt der
Wehen bsJd hob, bald senkte, um ihr das Verarbeiten der Wehen zu erleichtem.
In Entre Rios in der argentinischen Republik wird die Kreissende
auf einen Poncho gelegt, um sie gehörig schütteln zu können. {Mantegckeza.)
LVL Die Geburt bei fehlerhafter Kindeslage nnd die hierbei
gebränchlichen Handgriffe nnd Operationen.
361. Die Ansehauungen fiber die Ursachen der fehlerhaften Eindeslagen.
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Kenntniss von den falschen
Kindeslagen sich schon frühzeitig entwickelt hat. Und wenn die Auffassung der-
selben auch gewiss noch eine ziemlich yerworrene war, so sprechen doch viele
der Maassnahmen, welchen sich die Weiber oft noch recht niedrigstehender Volker
während der Gravidität unterziehen müssen, mit voller Deutlichkeit dafür, dass
man damit die Absicht verbindet, für den Embryo im Mutterleibe die richtige
Lage herbeizufilhren. Wir haben das früher bereits besprochen, und wir haben
gesehen, dass auch hier sich vielfach Mystisches mit untermischt.
Steuer berichtete aus Kamtschatka, dass dort eine Frau drei Tage lang
in Geburtsschmerzen lag und das Kind endlich doppelt gebogen, nämlich mit den
Hüften zuerst, also durch eine Selbstentwickelung, wie der Kunstausdruck heisst,
auf die Welt kam. Die Zauberer schrieben die Ursache dieser unnatürlichen Lage
des Kindes dem Vater zu, der zu der Zeit, als das Kind geboren wurde, einen
Schlitten machte und das Holz über seinen Knieen gebogen hatte.
In der Bibel wird schon im ersten Buche Mosis (38. 27) von einer falschen
Kindeslage berichtet: Von dem einen Zwillingskinde der Thamar war das Händ-
chen vorgefallen, das die Hebanmie mit einem Faden umwand. Das Kind zog
das Händchen wieder zurück, und der andere Zwilling wurde vor ihm geboren.
Hier finden wir die älteste Beobachtung einer Selbstwendung aufgezeichnet.
Die talmudischen Aerzte scheinen die spontane Wendung eines in falscher
Lage befindlichen Kindes ebenfalls gekannt zu haben, wenigstens deutet Israels
eine Stelle des Talmud so. Später hat auf dieses seltene Vorkonmien erst im
Jahre 1785 der englische Geburtshelfer Benman die Aufmerksamkeit der
Aerzte gelenkt.
Die altindischen Aerzte nahmen vier falsche Kindeslagen an, welche sie
als „Keil'', „Klaue'', „Gitrone'' und „Stock" bezeichneten; dies waren Querlagen;
nur die Kopflage und wohl auch die Fusslage galten ihnen als normal. Susruta
steUte dagegen acht unregelmässige Kindeslagen auf, je nach dem Kindestheil, der
dem Muttermunde zunächst gelagert ist. Nach der Vorstellung der Inder war
eine solche Lage nur dadurch möglich, dass ein im Mutterleibe umherziehender
Vayu (Luft) den Fötus in Verwirrung gebracht hatte. Doch konnte nach Stisruta
auch durch falsche Einstellimg des Kopfes, sowie durch Vorlegung der Schulter
und des Beckens die Geburt ungünstig und künstliche Hülfe nöthig werden.
Soranus erkannte nur die Kopflage als die normale an. Als fedsche Lagen
waren ihm bekannt die Schief- oder Querlage, die Vorlagerung eines oder beider
Arme, sowie die Spreizung der Schenkel des Kindes. Die Fusslage ist zwar auch
362. Die Ennöglichung d. Gebnrt bei fehlerhafter Kindeslage durch äuaserl. Handgriffe. 287
abnorm, aber weniger bedenklich; von den Querlagen ist diejenige die günstigste,
in der die Seite des Kindes vorliegt; sie gestattet die Wendung auf den Kopf
oder auf die Füsse. Dagegen ist die doppelte Lage die schlechteste, besonders
wenn die Lendenwirbel vorliegen, während bei der Vorlagerung des Bauches die
Entfernung der Eingeweide (Evisceration) und dann die Extraction ausgeführt
werden könne.
Die altarabischen Aerzte Bhaj^es^ Äli^ Ävicenna, AbvHkasem u. s. w.
fussten im Allgemeinen fast ganzUch mit wenig Abweichungen auf den Lehren
ihrer griechischen und römischen Vorgänger. Ausser der Kopflage waren
ihnen alle übrigen Kindeslagen ebenfalls widernatürlich; sie suchten sich dabei
auf mannigfache Weise zu helfen.
Auch die deutschen Aerzte des 16. Jahrhunderts hatten noch recht un-
klare Begriffe von den abnormen Kindeslagen. In ihren Werken wiederholen sich
fast immer die gleichen absonderlichen Abbildungen. Man ersieht daraus, was für
eine geringe Vorstellung selbst die gelehrten Leute der damaligen Zeit Ton den
realen Verhältnissen besassen.
Nach der v. Jlfar^eus'schen Abhandlung eines chinesischen Arztes sind die
Ursachen einer schlechten Kindeslage in den unzeitigen Anstrengungen der Ge-
bärenden und in dem falschen Benehmen der Hebammen zu suchen, welche letztere
durch Betasten und Drücken des Bauches und des Kreuzes der Kreissenden das
Kind beunruhigen und ängstigen. In solchen Fällen komme zuweilen zuerst ein
Fuss oder eine Hand zum Vorschein, oder das Sand stemme sich im Mutterleibe
in die Quere und bleibe solchergestalt auf der einen oder der anderen Seite in
den Knochen der Mutter stecken.
Die japanischen Aerzte kannten schon im vorigen Jahrhundert sowohl
die Fuss- und Steisslagen, als auch die Querlagen des Kindes, und zwar weit besser,
als die chinesischen Aerzte. Sie verstanden es auch, in solchen FäUen operative
Hülfe zu leisten. Sie lenkten auf eine falsche Kindeslage schon während der
Schwangerschaft ihr Augenmerk und suchten ihr durch bestimmte Manipulationen
vorzubeugen. Der oftgenannte Kangawa und seine Schüler nahmen an, dass die
Querlage des Kindes durch die in Japan damals während der Schwangerschaft
so gebräuchliche Leibbinde entstehen könne, aber auch durch Krümmungen der
Schwangeren und ausserdem durch Druck, sowie femer durch den übermässigen
Genuss von Speisen und durch psychische Einflüsse.
Zum Schlüsse geben wir noch eine beachtenswerthe Notiz aus dem vorigen
Jahrhundert, aus der hervorzugehen scheint, dass an der grösseren oder geringeren
Häufigkeit von fehlerhaften Kindeslagen die Lebensweise der Schwangeren nicht
ohne Einfluss ist.
,In einigen Gegenden, sagt Finke, z. 6. in der Grafschaft Tecklenburg und im
Hochstift Osnabrück, wo sehr viel Leinwand bearbeitet wird, und wo fast in jedem Hause
ein Weberstuhl vorhanden ist, und wo die Frauenspersonen das Weben allein verrichten, be-
merkt man schwere Geburten oft und die Wendung wird hier nicht selten erfordert; wenig*
stens fand ich 10 Mal die Wendung nöthig, wenn einmal eine Zangenentbindung vorfiel.
Ich gebe dem Druck die Schuld, den der schwangere Leib vor dem Webstuhl erleidet, —
wenigstens weiss ich keine andere Ursache. Denn hier im Lingenschen ist es umgekehrt;
aber hier webt man nicht.*
Aehnliche Berichte kommen jetzt auch aus manchen anderen Fabrikdißtricten.
362, Die Ermoglichung der Gebart bei fehlerhafter Kindeslage
dnrch änsserllche Handgriffe.
Wie man bei vielen Völkerschaften bereits während der Gravidität sich
bemüht, durch Kneten und Drücken des Leibes dem Kinde die richtige Lage zu
verschaffen, so giebt man auch bei manchen Nationen, selbst wenn bei der Nieder-
288 L^' ^^® Geburt bei fehlerhafter Kindeslage u. d. hierbei gebräuchl. Handgriffe u. Operationen .
kanft sich das Kind als qaer im Matterleibe liegend erweist, die Hoffnung noch
nicht au^ durch äusserliche Handgriffe dasselbe in eine f&r die Gebart günstigere
La^e hineinzuzwingen. Und wie es den Anschein hat, sind diese Versuche bis-
weilen wirklich von dem gewünschten Erfolge gekrönt.
Da selten eine schwangere Frau im D a mar a- Lande nicht Gelegenheit nimmt,
sich aus irgend einem Grunde massiren zu lassen, so werden, wie Büttner be-
hauptet, alle fehlerhaften Lagen der Frucht bald entdeckt; und im Allgemeinen
scheinen diejenigen Frauen, welche sich dort mit der Geburtshülfe abgeben, ein
beneidenswerthee Glück zu besitzen, die Wendung auf den Kopf durch rein äussere
Handgriffe zu vollziehen, wie Metzger mehrere Male gefunden zu haben glaubt
Darum scheuten sich auch die Frauen der Weissen durchaus nicht, die eingeborenen
Hebammen zu Hülfe zu rufen. Im Damara-Lande sind es übrigens zumeist sehr
Yomehme Frauen, welche als Hebammen fungiren. Die Kenntniss der Massage-
Handgriffe pflanzt sich traditionell von der Mutter auf die Tochter oder auf eine
andere jüngere Verwandte fort. Zuweilen massiren auch wohl einzelne Männer,
doch wird dann kein Geheimniss mit der Sache getrieben.
In schwierigen Geburtsfallen soll bei den Wotjäken (Buch) ein in solchen
Dingen erfahrenes Weib durch die Bauchdecken hindurch die I^ge des Kindes
zu verbessern suchen.
Bei Erstgebärenden und bei schweren Geburten mit natürlichen und wider-
natürlichen Kindeslagen suchen sich die Naturwehemütter in Galizien durch
wiederholtes Schmieren (mit einer Mischung von Branntwein und Fett) zu helfen,
das in einem gewaltsamen Kneten des Unterleibes besteht.
Auf der zu den Neu-Hebriden gehörenden Insel Vate stehen Zauber-
priesterinnen, sogenannte Mitimauri, der Gebärenden bei, wenn die Entbindung
zu zögern beginnt. Zu diesem Zwecke giesst die Mitimauri Wasser in ein Gefass
und mischt die Milch einer jungen Kokosnuss hinzu. Darüber macht sie magbche
Ceremonien, die man „na koroen*^ nennt. Nachdem sie Zaubersprüche über das
Wasser gesprochen, bläst sie ihren Athem auf dasselbe; dies heisst das Wasser
«koroen'*. Auch die Milch der Kokosnuss wird «korot*^. Dann sind Wasser und
Milch zur Anwendung fertig. Ein Theil davon wird der Patientin zum Trinken
gegeben; ein anderer Theil dient zu folgendem Gebrauch: Die Mitimauri korot
zuerst ihre Hände und reibt dann das korote Wasser mit der Kokosmilch über
den Unterleib der Patientin mit der Absicht, die Haut desselben weicher und
geschmeidiger zu machen. Hierauf bemüht sie sich, durch sanftes Reiben und
Stossen das Kind zu heben und zu drehen, so dass die Füsse sich nach oben, der
Kopf nach unten wenden. Sie vergewissert sich mit ihren Händen über die Lage
der Füsse und des Kopfes. Der Spruch, der bei der Koro-Geremonie als Zauber
gilt, lautet nach der Angabe des Missionär Macdondld etwa folgendermaassen:
„Natar, Natur, treib es aus! Für wen soll es ausgetrieben werden? Es boU fOLr A (der
Patientin Name) ausgetrieben werden! Es soll das kleine Kind für B. (der Name des Ehe-
mannes) ausgetrieben werden, damit es herab auf den Boden komme! Was ist das fCLr ein
Koro? Es ist ein guter (oder wirksamer) Koro!"
Ist das Alles geschehen, so wiederholt die Mitimauri das Anblasen des Wassers
und der Kokosmilch, und ebenso korot sie ihre eigenen Hände, mit welchen sie
das Kind wendete; auch bläst sie auf den Unterleib der Patientin. Die Einge-
borenen glauben fest an die Krafb dieses Koro. (Jamieson.)
In Klein- Asien versucht man das Kind dadurch in die richtige Lage zu
bringen, dass man die Kreissende in ein Betttuch legt, das von vier Frauen ge-
hoben und geschaukelt wird.
Der Italiener Antonio Cermissone^ welcher 1441 starb, gab bei falschen
Kindeslagen den Rath, dass die Hebamme die Beine der Kreissenden über ihre
Schultern nehmen solle, so dass die Kniekehlen der letzteren auf den Schultern
aufliegen; in dieser Haltung soll dann die Hebamme sanfte Schüttelbewegungen
mit der Frau vornehmen.
863. Die EtmflgiifJnmg der Gebort bei fehlerbailer Kindedage duck imieiliehe Handgriffe. 289
Wenn bei den altgriecliisclieii Aearzten Sure Mittel, eine fehlerhafte
Kindeslage zu Terbeesern, nicht zum Ziele geführt hatten, so wurde die Gtobfirende
anf dem Bette festgebunden nnd letzteres entweder am Kopfende oder am Fass-
ende in die Hohe gehoben und dann t&chtig geschüttelt, om dem Kinde eine
bessere Lage zn schaffen.
In Algerien wird im gleichen Falle die Fraa an ihren Beinen in die Höhe
gehob«! oder man walzt sie anf der Erde hin und her.
War bei den Chinesen die fiiüsche fondeshige diagnosticirt, so schreibt
die Ton v. Martius übersetzte Abhandlung ror:
,Msii rnnis die Mutter in diesem Falle bekntsam auf ihr Lager, auf den Rftcken lang
hinlegen mid die kerrorstebenden Theile des Kindes Tordchtig lorilckbiegen. Der Mutter
aber mnas man dorch knisen Scblnmmer Zeit vergOnnen, neae Kr&fte zu sammehi;* ue darf
aber nicht xa fett einwchlafen. Gelingt das Zurückbringen der yorgefallenen Kindestheüe
nicht, BO läBst der chinesische Aizt der Geb&renden eine Schale von der Dschurura-Frucht
reichen und sie alsdann mit dem ünterleibe zecht hoch legen, bis das Cnd von selbst sum
Yorsehein kommt. In dem Falle aber, dass sich die Ereissende nicht niederlegen will, sagt
der Chinese: «Dann weiss ich selbst kein Mittel mehr.*
Du Halde errohnt noch eine andere chinesische Yorschrifi;:
,Pour les femmes, loisqu^elles enfantent leur firuit de travers, ou que les pieds de
Fenfiint sortent les premiers: Prenex une Drachme de Ginseng, autaat d^encens puW^ris^ du
mineral appell^ Tan-cha, le poids d*une demie once. Broyes le tout ensemble: pnis däüjei
le avec un blanc d*oeuf et du jus de gingembre verd, environ une demie-cniller, et donnei-le
froid ä la personne malade. La mhre et Fenfant seront aussitCt soulsg^; le remMe op^
sur le champ.*
863. Die Ermogliehnng der Geburt bei feUerhafter Sindeslage dnreh
innerliche Handgriffe.
Sehr firfihzeitig schon scheint man die Ueberzengong gewonnen zu haben,
dass die ansserlichen Handgriffe, wie wir sie im Torigen Al^hnitte besprachen,
doch sehr oft nicht ausreichend sind, die normale Lage des Kindes herbeizuführen.
Und so kamen die bei der Gebart hülfireiche Hand leistenden Personen allmählich
dazu, durch das Zurückschieben der yorgefallenen Theile des Kindes in den Mutter-
leib und durch die Einführung der Hand in die Geschlechtstheile der KreLssenden
das Kind zurechtzurQcken und aus seiner abnormen Stellung in die naturgemasse
umzuwenden. Auf diese Weise wurde dann schliesslich doch noch die Entbindung
möglich gemacht.
Es ist, wie Israels annimmt, in hohem Ghrade wahrscheinlich, dass bereits
den talmudischen Babbinem die Wendung des in fehlerhafter Lage befindlichen
Kindes bekannt gewesen ist. Er beruft sich hierbei auf die Stdle des Tractat
Kidduschin, wo Bdbhi Ekasar sagt:
.Porrexit dominus mannm suam in intestina serrae suae et coecavit foetum, qui est in
utero ejus; liber est. Qua re? quia lex dixit: et corrupit, donec intendat corrumpere.*
Pinoif halt es für zweifelhaft, ob hier Yon einer Wendung die Bede ist;
er hält es nicht für ausgeschlossen, dass es sich hier um eine Fruchtabtreibung
handelt.
Die alt-indischen Aerzte verstanden sich bei Querlagen auch bereits auf
die Wendung, die sie je nach den vorliegenden Umst&nden auf den Kopf oder
auf die FOsse machten. Bei Steissgeburten führten sie beide Beine herab und
extrahirten dann an diesen das Kind. Bei der einfachen Fussgeburt holten sie
das hinaufgeschlagene Fnsschen herunter, um dann ebenfalls an beiden Beinen die
Eztraction des Kindes vorzunehmen.
Auch die alt-griechischen Aerzte versuchten bei Steiss- und Quer-
lage, sowie bei Yorlagerung der Extremitäten die Wendung auf den Kopf
zu machen.
PlOBS-Bartels, Das Weib. 5. Anfl. n. 19
290 ' L^I* ^^6 Geburt bei fehlerhafter Kindeslage u. d. hierbei gebräuchl. Handgriffen. Operationen.
Aus den Mittheilnngen Yon Miyake ersehen wir, dass die japanischen
Aerzte sehr eingehende Kenntnisse von der Wendung besitzen. Kangawa giebt
über die f&r dieselben nothwendigen Handgrifife die allereingehendsten Vorschriften.
Auch sind besondere Instrumente erfunden, bestehend aus geöhrten Fischbein-
stabchen, um mit deren Hülfe seidene Schnüre um den Körper des Kindes inner-
halb des Mutterleibes herumzuführen und auf diese Weise das Kind in eine günstige
Stellimg zu ziehen. Alle diese Operationen sollen möglichst verdeckt gemacht
werden, um das Schamgefühl der Kreissenden zu schonen. Der Arzt sitzt am
Fussende des niedrigen, aus Steppdecken auf der Matte gebildeten Bettes, auf
welchem die Kreissende in der Rückenlage mit ausgestreckten Beinen liegt, den
unteren Theil ihres Körpers bis zur Zehenspitze mit einer Decke yerhüllt. Nun
streckt der Arzt seine Beine zwischen den Beinen der Frau derartig aus, dass
seine Fusssohlen sich gegen ihre Hinterbacken stützen, so dass er die Beine der
Oebarenden mit den seinigen auseinanderhalten und alle Manipulationen unter der
Decke yerrichten kann.
Es scheinen aber auch manche im üebrigen noch sehr rohe Völker mit den
Handgriffen für die Wendung des Kindes innerhalb des Mutterleibes durchaus
nicht unbekannt zu sein. So sollen z. B. die Kalmücken schon seit langer Zeit
die Wendung bei schweren Entbindungen auszuführen yerstehen.
Die helfenden Weiber bei den heutigen Griechen rufen in Fällen von
fehlerhaften Kindeslagen Schafhirten zu Hülfe. Auch bei den Lesgiern im
Thale Ton Jagubly im Kaukasus werden nicht selten in schweren Fallen Schaf-
hirten zur Entbindung herbeigerufen. Nach v, SeycUitz sind dieselben sehr ge-
schickt im Entbinden der Schafe und sie bedienen sich zu dem letzteren Zwecke
sogar besonderer zangenartiger Instrumente.
Emin Pascha fand in IJnjoro in Afrika Männer, welche im Stande waren,
bei dem Vorfall der Arme die Reposition und die Wendung auszuführen.
Nach Brehms mündlichen Mittheilungen gehen die helfenden Frauen in
Massaua (Ost-Afrika), wenn sie eine falsche Kindeslage finden, mit der Hand
in die Geschlechtstheile ein und drehen die Frucht um. Auch heisst es von den
Hebammen in Algerien, dass einige von ihnen es verständen, noch nach dem
Abgange des Fruchtwassers die Wendung auszuführen.
364. Die TodtoDg nnd Zerstttckelung des Kindes während der Gebnrt.
Wir haben weiter oben bereits gesehen, dass durch ein rohes und unver-
ständiges Ziehen an den vorgefallenen Kindestheilen nicht selten diese von dem
kindlichen Rumpfe abgerissen werden. Dergleichen unliebsame Vorkommnisse
geschehen natürlicher Weise unbeabsichtigt. Aber die Geburtshülfe sieht sich in
seltenen, besonders ungünstigen Fällen auch bisweilen genöthigt, mit vollem Vor-
bedachte das Kind im Mutterleibe zu tödten und zu verstümmeln, so dass es
schliesslich stückweise geboren wird. Es sind dies gewöhnlich nur solche Fälle,
in denen die Grössenverhältnisse des Kindes und vor allen Dingen seines Kopfes
so ganz erheblich diejenigen der mütterlichen Geburtswege übertreffen, dass
ein Hindurchtreten des Kindes durch die letzteren zu einer physischen Unmög-
lichkeit wird.
Wollte die Wendung nicht gelingen, so schritt man in Indien, wie Susruta
vorschreibt, zu der Zerstückelung des Embryo. Lag der Kopf vor, so perforirte
man den Schädel, enthimte ihn und zog das Kind danach mittelst eines Hakens
aus; wenn jedoch die Schulter vorlag, so wurde die Zerstückelung, die Embryo-
tomie ausgeführt. Zur Eröffnung des Schädels bediente sich Susruta besonderer
Instrumente, des Mantalagra (krummes Messer) und des Angulisastra (Fingermesser,
vielleicht schneidender Ring, ähnlich dem jSimpson'schen Ringscalpell). Zur Zer-
364. Die Tödtung und Zerstückelung des Kindes während der Geburt. 291
Stückelung diente das speerförmige Sankn. Nur ein in der Anatomie bewanderter
Arzt soll nach Susrtäa diese so leicht die Mutter gefährdenden Instrumental-
Operationen Yomehmen. Eine sorgfaltige diätetische und arzneiliche Nachbehand-
lung der Wöchnerin folgte danach, deren Befinden der Arzt noch vier Monate
lang beaufsichtigte.
Auch die altgriechischen Aerzte kannten bereits die Embryotomie, sie
f&hrten dieselbe aber nur aus, wenn das Kind schon abgestorben war. Bei dem
Vorfall der Extremität eines abgestorbenen Kindes schnitt man diese ab und
suchte die Wendung auf den Kopf auszuf&hren. Wenn dieses nicht gelang, so
schritt man zur Zerstückelung des Kindes. Hierzu wurden als Instrumente das
Machairion (gekrümmtes Messer, yielleicht ähnlich dem Mantalagra der Inder),
das Piestron (zum Zerbrechen der Kopfknochen) und der Eklyster (ein Haken zimi
Ausziehen des Kindes) benutzt.
Soranus schrieb ebenfalls Yor, dass Yorgefallene Extremitäten abgeschnitten
werden sollten, selbst wenn das Kind noch am Leben, das Leben der Mutter aber
gefährdet war. Diesem Abschneiden folgte die Embryotomie, und zum Ausziehen
bediente er sich eines spitzen Hakens, welcher Embryulkos hiess.
Die Yerschiedenen weichen Theile des Kindes wurden angebohrt, worüber
gewisse Regeln gegeben werden. Dieser Operation folgte eine aufmerksame Nach-
behandlung, wie schon Yor Soranus die Geburtshelferin Aspasia und später Äetius
angegeben haben. Auch das operatiYe Yeriahren bei Wasserkopf des Fötus ist
Yon Soranus genau beschrieben.
Die Juden nach Chr. Oeburt durften nach TertuUian das Kind tödten,
wenn dessen Kopf noch nicht sichtbar war und das Leben der Mutter in Gefahr
schwebte.
So lange das Kind noch sich Yöllig im Mutterleibe befand, wurde, ihrer An-
sicht nach, jede Verzögerung der Niederkunft nur durch das Kind selber Yeranlasst;
denn sie glaubten, dass dasselbe zur Geburt mithelfen müsse; in diesem Falle be-
drohte das Kind das Leben seiner Mutter und man opferte dso das Kind, um die
Mutter zu retten. War jedoch der Kopf des Kindes als der grösste Theil des-
selben geboren, so gaben die Aerzte des Talmud nicht mehr dem Kinde die Schuld
der GeburtsYerzögerung, sondern sie sahen, dass das Hindemiss in der Mutter
liege und dass das Kind in diesem Falle nicht geopfert werden dürfe. Bei der
Zerstückelung schnitt man die Yorliegenden Extremitäten ab und suchte die inneren
Organe des Kindes herauszuschneiden.
Nach Krebel führen auch die Heilkünstler der Soongaren die Zerstückelung
eines Kindes, das nicht geboren werden kann, mit dem Messer aus.
Yon den Dacota-Indianern berichtet Schoolcraft einen Fall, in welchem
die Hand des Kindes Yorgefallen war. Nach 20 Stunden wurde angenommen,
das Kind sei todt, und um das Leben der Mutter zu retten, wurde der Arm ab-
geschnitten und das Kind in Stücken herausgebracht. Die Operation wurde you
Weibern ausgeführt, welche nichts Yon diesem Geschäfte Ycrstanden, aber der Tod
wäre so wie so erfolgt.
19*
LVII. Der Kaiserscimitt.
365. Das Heraassehneldeii des lebenden Kindes nach dem Tode der Mntter.
Man sollte meinen, dass der Gedanke ein sehr naheliegender wäre, dass wenn
die Matter während der Niederkunft, ohne ihr Kind geboren zu haben, in Folge
von Ueberanstrengung and Entkräftang oder aas ähnlichen Gründen stirbt, doch
immer noch nicht auch gleichzeitig das noch Ungeborene von dem Tode ereilt
zu sein braucht, und dass, wenn man es schnell aus seinem organischen Gefangniss
zu befreien sich bestrebt, sein zartes Leben noch erhalten werden könne. Aber
eine solche Einsicht hat sich doch nicht gerade bei sehr vielen Völkern Bahn
gebrochen. Auch heute noch sucht man in Palästina nur durch einen an den
Mund der Todten gehaltenen Schlüssel das Kind zu entfernen. (Tobkr.) In Japan
wird vom Volke niemals der Kaiserschnitt nach dem Tode gestattet (v. Siehold)^
in Persien ebenfalls nicht (nur ausnahmsweise führte ihn Poldk einmal aus).
Unter den heutigen Mohamedanern ist die Ausübung des EaLserschnitts nach
dem Tode durch Sidi Khelif untersagt, dessen Autorität für jeden guten Musel-
mann vollwichtig ist. Ja, dies Gesetz geht noch weiter, denn es verordnet, dass,
wenn durch einen ungehorsamen Arzt ein Sodserschnitt ausgeführt werden und
dabei ein Kind lebend zu Tage kommen sollte, man das Neugeborene alsbald
tödten müsse, denn dasselbe sei kein Geschöpf Gottes, sondern des Teufels, denn
„Leben könne nicht von Todten geboren werden*. {Rique) Der Koran verbietet
ausdrücklich das Oe&en der Leichen; der Körper soll selbst dann nicht geöffnet
werden, „wenn der Todte die kostbarste Perle, die ihm nicht gehörte, verschluckt
gehabt hätte'. Aber es dringt doch wohl allmählich auch hier die Oivilisation
durch, und es werden bereits Einschränkungen dieses strengen Gesetzes zugelassen.
Denn Oppenheim giebt an:
,Nur in dem Falle, dass eine Schwangere stirbt, und das Kind Zeichen des Lebens von
sich giebt, ist es erlaubt, den Kaiserschnitt zu machen."
Es unterliegt aber wohl kaum einem Zweifel, dass einzelnen Nationen bereits
in sehr hohem Alterthume dieser Kaiserschnitt an der Verstorbenen zur Kenntniss
gekommen war. Rosenbaum^ ist sogar der Meinung, dass der Ursprung dieser
Operation bereits bei den alten Aegyptern gesucht werden müsse. Wenn er für
diese Ansicht nun auch den directen Beweis zu erbringen nicht im Stande ge-
wesen ist, so spricht es doch für seine Anschauung, dass den ägyptischen Balsa-
mirem, deren regelmässiges Geschäfb es ja war, den Leib der Todten zu öffnen,
die etwaige Anwesenheit eines noch lebenden und sich bewegenden Kindes doch
kaum entgangen sein kann, und dass sie dasselbe dann doch ganz sicherlich aus
der Gebärmutter herausgeschnitten haben werden.
Ob wir berechtigt sind, anzunehmen, dass auch die Griechen den Kaiser-
schnitt an der Verstorbenen auszuführen verstanden, ist schwer zu entscheiden.
865. Das HerauBschneiden des lebenden Kindes nach dem Tode der Matter. 293
Dass ihnen die Sache selbst aber nicht unbekannt war, das beweist der alte
M3^hns von der Geburt des Dionysos, welcher aus dem Leibe der von dem Blitze
getödteten Semde geschnitten und in den Leib des Zetis versetzt wurde, der ihn
darauf mit Hülfe der Athene und der Eüeithyia gebar. Auch ÄsJdepios soll nach
Pindar^ und Lychas nach Virgü aus dem Leibe der Mutter geschnitten worden sein.
Nach Stisruta nahmen die indischen Aerzte den Kaiserschnitt vor, sobald
sie äusserlich am Unterleibe der plötzlich verstorbenen Gebärenden Bewegungen
vom Kinde bemerkten.
In Rom hatte schon Numa Pompüius die sogenannte Lex regia gegeben,
welche lautet:
Mulier qnae praegnans mortua ne humari antequam partus ei exicidator qnei secos faxit
spem animantis cum gravida occisae reus esto. {MarceUuB,)
Ob diesem Gesetze nun aber auch Folge gegeben wurde, vermögen wir
nicht zu beweisen. Jedenfalls steht es aber fest, dass der Gesetzgeber von der
Möglichkeit der Bettung des noch lebenden Kindes einer hochschwanger ver-
storbenen Frau vollkommen überzeugt gewesen sein muss.
Später scheint in dem kaiserlichen Rom die Sectio caesarea in Vergessen-
heit gerathen zu sein, und vielleicht ist die Annahme von Schwarz^ zutreffend,
dass erst mit der Ausbreitung des Ghristenthums und mit der Einführung des
Sacraments der Taufe, welches dem Leben des Kindes einen höheren Werth und
ihm die Seligkeit verlieh, der Kaiserschnitt wieder Aufiiahme fand. Papst Benedict
gab noch in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine Vorschrift, in welcher
der Zweck der Operation und die bei derselben anzuwendenden Vorsichtsmaass-
regeln genau angegeben worden sind.
Die Rabbiner des Talmud wussten, dass der Fötus nicht inmier zugleich
mit der Mutter stirbt. Sie führen ein Beispiel auf, wo man bemerkt hatte, dass
das Kind im Leibe der verstorbenen Mutter sich dreimal bewegte. Allein sie be-
trachteten einen solchen Fötus für nicht erbfähig, denn sein Leben und seine
Bewegungen seien gleich demjenigen des abgeschnittenen und sich gleichfalls noch
bewegenden Schwanzes einer Eidechse. Eine zum Tode verurtheilte Schwangere
wurde ohne Rücksicht auf ihr Kind hingerichtet; sass die Schwangere aber sdion
in der Geburtsarbeit auf dem Kreissstuhle, so wurde ihr Kind zuvor getödtet und
sie selbst dann hingerichtet; denn man nahm an, dass das £[ind, wenn es leben
blieb, noch nach dem Tode der Mutter geboren werden könne, und solch ein
Ereigniss hielt man für etwas Schändlicheres, als das Tödten des reifen Kindes
im Leibe einer verurtheilten Mutter. Wurde eine Frau auf dem Kreissstuhle
während der Geburtsarbeit vom Tode überrascht, so wurde (nach Ausspruch der
Rabbiner Nachman und SchemueT) der Kaiserschnitt vorgenommen; man schritt zu
dieser Operation selbst an einem Sabbath, trotz der Gefahr, ihn dadurch zu ent-
heiligen. Sie verletzten den Sabbath in dieser Hinsicht sogar dann, wenn Leben
oder Tod der Mutter noch zweifelhaft war, denn sie glaubten nicht, bis zum Ab-
lauf des heiligen Tages warten zu dürfen, um des Kindes Leben zu retten. In
diesem Falle holten sie ein Messer von einem öffentlichen Orte. (Israels.)
Bemard von Gordon (1285) und Guy de Chatdiac (1868), beide in Mont-
pellier, lehren, dass an einer schwangeren Verstorbenen der Kaiserschnitt ge-
macht werden solle; sie glaubten, dass der Fötus noch einige Zeit nach dem Tode
der Mutter fortleben könnte, und suchten deshalb den Mund und die Gebärmutter
derselben offen zu erhalten, damit die Luft zu dem Kinde dringen könne.
Diese sonderbare Meinung herrscht noch jetzt unter dem Volke im Franken-
walde. Wenn dort eine Hochschwangere stirbt, so soll man ihr den Mund mit
einer Spanne oder Spreize offen halten, damit die Luft zum Kinde kommen kann
und dieses nicht erstickt, bis der Doctor kommt und hilft. (Flügel,)
Der Kaiserschnitt wird in einem Landrechte vom Jahre 1389 aus Ybach
im Canton Schwyz erwähnt:
294 LVIL Der Kaiserschnitt. ,
,Ein ehelichs Kind, so von seiner Matter g^chnitten wird, erbt sin Vater und sin
Matter, so es sie überlebt und menschlich Gestalt hat, and das Kind erben sin nächste Fründ
von der y&terlichem March. Wenn man aber nit glaaben weit, dass das Kind gelebt hat,
oder menschliche Gestalt hatte, moss man das durch zwei ehrliche Kandschafber Manns- oder
Weibspersonen beweisen können, die es bei ihren Eiden bethüren. (Fasabind.)
Wenngleich ein Fall Yon Kaiserschnitt, der zu jener Zeit im Canton Schwyz
wirklich ausgeführt worden wäre, nicht bdcannt ist, so beweist doch immerhin
die Existenz dieses Gesetzes, dass die Gesetzgeber den Kaiserschnitt nicht allein
kannten, sondern dass sie auch voraussetzten, diese Operation würde vorkommenden
Falles mit Erfolg ausgeübt.
Der Kaiserschnitt nach dem Tode der Mutter spielt auch in dem deutschen
Epos seine Rolle. Wir verdanken Alwin SchuUz^ eine Schilderung des hofischen
Lebens zur Zeit der Minnesinger. Darin citirt er ein Epos: Tm^an, das von
Eühard gedichtet ist. Die Stelle, welche fftr uns Interesse bietet, schildert die
Niederkunft der Blanchefiür^ als sie den Tristan unter dem Herzen trug. Die
Niederkunft war eine derartig schwere, dass die arme Blancheflür in der Geburts-
arbeit ihren Oeist aufgab. Der Dichter schildert das mit folgenden Worten:
,Dö wart ir also rehte w6
Das sie nemen moste den tod:
Von dem kinde qaam ir die not,
Do sneit man dem wibe
Einen son üz ihrem Übe.'
Eine Erinnerung an den altindischen Kaiserschnitt fand Niebuhr bei den
Hindus. Sie ftOirten ihn, wenn die Kreissende gestorben war, aus, weil das
Gesetz vorschreibt, dass Kinder in einem Alter von weniger als 18 Monaten be-
graben würden, die Mütter hingegen der üblichen Verbrennung anheimfielen.
Auch in Mala bar muss man nach Speerschneider das £nd aus dem Leibe
der verstorbenen Mutter herausschneiden, damit es neben dieser begraben werde.
Aus Unyoro berichtete Emin Pascha^ dass man hier ebenfalls den Leib der
Frau, welche in der Geburtsarbeit ihren Geist aufgiebt, mit dem Messer eröffnen
müsse, um das Kind daraus zu entfernen, gleichzeitig ob es noch lebe oder bereits
abgestorben sei Die Unterlassung dieser Vorschrift wird von dem Häuptling
schwer geahndet, da sie von böser Vorbedeutung f&r das Dorf ist. Ziegen,
Binder und selbst Frauen werden dem Schuldigen als Strafe abgenommen.
Wir müssen noch einer entsetzlichen Art des Kaiserschnittes gedenken,
wie er nach Krauss^ in verbrecherischer Absicht zur Ausführung kommen soll.
Krauss sagt:
.In Bosnien pflegen Diebe und Einbrecher am liebsten ein im siebenten Monat
schwanger gehendes Weib abzuschlachten, aufzutrennen und das aus dem Mutterleibe aus-
geweidete Kind in lange schmale Streifen zu schneiden und diese Stücke g^t zu dOrren.
Wollen sie dann wo nächtlicher Weise ein Haus ausplündern, so zünden sie eins von den
gedörrten Fleischstücken als Kerze an, und räumen, glaubt man, ungestört das Haus aus;
denn alle Hausbewohner schlafen baumfest, wie ausgestorben, und Niemand kann erwachen,
bevor nicht die Räuber abgezogen sind."
Dieser furchtbare Aberglaube war im Jahre 1889 noch in Kraft.
366. Das Herausschneiden des lebenden Kindes aus der lebenden Mntter.
Es war sicherlich kein kleiner Entschluss, der in früherer Zeit dazu geführt
hat, das Kind aus dem Leibe der Verstorbenen herauszuschneiden. Um wieviel
staunenswerther aber ist der Muth, welcher in dem Herzen chirurgisch ungeübter
Völker aufkeimte, die Hand auch an die lebende Mutter zu legen. War der
Kaiserschnitt an der Todten einmal gefunden, dann konnte allerdings auch der
Gedanke aufkeimen, dass man durch einen kühnen operativen Eingriff, mit scharfem
866. Das Herausschneiden des lebenden Kindes aus* der lebenden Mutter. 295
Schnitte die Banchdecken der Matter and die Wandung des Uterus spaltend, die
noch am Leben befindliche aber dem schweren Geburtsacte beinahe erliegende
Ereissende von dem Kinde befreien und auf diese Weise die bis dahin unmögliche
Entbindung auf blutigem und unnatürlichem Wege zu Ende ffthren könne.
Zu dieser kühnen, blutigen That scheinen sich schon die alten Rabbiner
entschlossen zu haben. Mawnsfeld hat auf eine Stelle der Mise hna, des ältesten
Theiles Yon dem Talmud hingewiesen, wo von dem Joze Dofan die Rede ist.
Das bedeutet nach Mannsfeld den , Wände-Schnitt', welcher an der Lebenden
ausgeführt worden sei. Gegen die Opposition von Fulda und C. J, v. Siebold
trat Israds dieser Ansicht bei; nach ihm ist Joze Dofan unzweifelhaft «ein Kind,
welches durch die Seite der Matter geboren worden ''f und er sucht zu zeigen,
dass nach den Gommentaren der Mischna die Juden des Alterthums den Kaiser-
schnitt auf zweifiEiche Methode ausführten; wenn die Talmudisten keine Thatsachen
erwähnten, so ist nach Israels daraus noch nicht zu schliessen, dass sie nicht
mit solchen bekannt gewesen seien.
Ohne die bis dahin geführten Verhandlungen zu berücksichtigen, kam Beich
auf diese Talmudstelle zurück:
,Bei einem Joza Dofan, d. h. bei einem durch die Seiten wand Herausgekommenen,
galten für die Frau keinerlei Bestimmungen der Reinigung und Nichtreinigung , auch ist sie
kein Opfer schuldig.*
Dieser Ausspruch wird von zwei Gommentatoren erklärt: Baschi (um 1029
bis 1097 n. Chr.) sagt:
, Durch Sam wurden ihre Eingeweide geö&et; das £[ind herausgezogen und die Frau
geheilt."
Ueber die Bedeutung des „Sam*" wurde gestritten, ob dies Wort, welches
eigentlich eine „geistige Substanz^ heisst, als Instrument, Medicament oder Aetz-
mittel aufzufassen sei. Dann sagt an anderer Stelle Maimonides (um 1135 bis
1204 n. Chr.):
.Die Lenden der Frau wurden, wenn die Geburt ihr schwer fiel, gespalten, so dass
das Kind von da herausging."
Eine dritte Stelle der Mischna lautet:
„Der Joze Dofan und der nach ihm kommt (d. h. der sp&ter geboren wird), sind beide
keine Erstgeborenen, weder in Bezug auf Erbschaft, noch auf Priesterthum."
Hierzu bemerkt Maimonides:
„Dies ist nur so mOglich, dass, nachdem bei einer zwillingsschwangeren Frau die Seite
gespalten worden und ein Kind herausgegangen ist, die Frau nachher daa zweite gebar und
starb; was aber einige behaupten, dass hier eine spätere Geburt gemeint sei, dafür weiss
ich keine Erklärung und es ist mir sehr befremdend. '^
Später machte Bawüjski auf eine Stelle aufmerksam, in welcher Babbi
J. Lewi unter Joze Dofan ein Neugeborenes Terstand, welches „aus dem After
zur Welt kam**. Hierdurch hielt sich Bamtjski fQr berechtigt, anzunehmen, dass
überhaupt bei Joze nicht an einen Kaiserschnitt gedacht werden dürfe, sondern
dass damit Geburten gemeint seien, bei denen das Kind durch einen Riss im
hinteren oberen Theile der Scheide, durch einen bis an den After reichenden
Centralriss des sogenannten Mittelfleisches geboren wurde. Es wurde von solchen
F&llen früher schon gesprochen. Steinschnepder^ Seligmann, Kotdmann und Israels^
verwerfen aber diese Ansicht, und sie blieben dabei, dass Joze Dofan sich auf
den Kaiserschnitt an der Lebenden beziehe. Andere Autoren erwähnten Stellen
des Talmud, in welchen von trächtigen Thieren die Bede ist, bei denen durch
Aufreissen der Flanken das Junge zu Tage gefördert wurde. Hiermit sei be-
wiesen, dass die Juden auch an Thieren eine dem Kaiserschnitt ähnliche Ope-
ration Yomahmen.
Der verstorbene Fürst in Leipzig schrieb an Ploss auf dessen Anfrage
folgenden Bericht:
296
LVII. Der Kaiserschnitt
.Flanken -Geburt oder Kaisersclinitt? Fürs Erste ist zu merken, dass die Mischna
(150 V. Chr.) nicht von einem Bauch- oder Gebärmutterschnitt spricht, sondern von einer
Flanken- oder Seitengeburt, wie lö'n fiOti^ oder auch löi*^ "^7? *^— heisst. Die Hauptstellen
über die Wände-Geburt bei Menschen und Thieren finden sich Nidda cap. lY Anfong, und
Becherot cap. VIII, wo von Joze Dofen oder einer Flankengeburt bei Menschen oder
Thieren verhandelt wird. Weil in der Bibel bei der Geburt immer Peter Rächern, d.h.
Oeffhung der Gebärmutter steht, so warfen die Traditionslehrer im 2. Jahrh. n. Chr. die Frage
auf, ob eine Geburt, die nicht durch die Gebärmutter (Rachem), sondern durch die Flanke
geschehen, als legale Geburt in Bezug auf Reinigung, Erstgeburt, Opfer u. dgl. biblisch zu
betrachten sei. Dass die Mischna eine Flankengeburt nicht nur für möglich, sondern auch
für thatsächlich vorgekommen gehalten, dass auch eines der Zwillinge so geboren werden
kann, dass man Thiere geschlachtet, um die lebende Geburt herauszuholen, das sieht man aus
dem Zusammenhang der weitläufigen Discussion. Der Talmud bei seiner Erläuterung der
Mischna führt zu vielen in der Mischna erwähnten Abnormitäten von Geburten selbst erlebte
Thatsachen an. So z. B., dass bei Zwillingsgeburten das zweite erst 33 Tage, einmal erst
3 Monate nach der ersten Geburt gekommen u. s. w., und es scheint nur zufällig, dass zur
Flankengeburt kein Factum angeführt ist. Wie aber eine solche Flankengeburt be-
wirkt wurde, darüber steht nichts in der Mischna und im Talmud, und was
die späteren Commentatoren darüber sagen CBeschi, Mannsfeld, Bertinoro u. A.),
hat keinen Werth, da sie nur ihre subjective Ansicht auss.prechen."
Fig. 318. Die Ausführang des Kaiserschnittes an der lebenden Kreissenden, in der Mitte des
17. Jahrhunderts. (Nach Scuitetus.)
Wann in Europa zum ersten Male der Kaiserschnitt an einer Lebenden
ausgeführt wurde, das ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Einen solchen soll
bereits Nicolaus de FaUconiis (geb. 1412) berichtet haben, jedoch hat schon v. Siebold
dargethan, dass diese Angabe nicht stichhaltig ist. Auch soll um das Jahr 1500
der Schweineschneider Jacob Nuffer seine Frau und das Kind durch die Sectio
caesarea gerettet haben. Man nimmt aber jetzt allgemein an, dass es sich hier
nicht um einen Kaiserschnitt im gewohnlichen Sinne, sondern um eine Eröffiiung
der Bauchhöhle bei einer Eztrauterinschwangerschafb handelte.
Wie erst im Jahre 1581 diese Operation von Frangois Rousset befürwortet
wurde, und wie sie dann Eingang fand, wollen wir hier nicht ausführlich be-
sprechen. Jedenfalls ist die erste gut beglaubigte E^aiserschnittoperation von dem
366. Das Herausschneiden des lebenden Kindes aus der lebenden Mutter.
297
Chirurgen Tratdmann am 21. April 1610 zu Wittenberg vollzogen und von
Daniel Sennert beschrieben worden. (Wachs.)
Auch in Tölz wurde nach Höfler im Jahre 1673 ein Kind ,todt von der
Mutter Katharina Hoherdeitner geschnitten **.
In mehreren Werken des 17. Jahrhunderts finden sich Abbildungen von
dem Kaiserschnitt an der lebenden Mutter, von denen ich zwei nach Scipione
Mercurio und eine nach ScuUetus hier wiedergebe. Das Bild des Scultetus
(Fig. 318) zeigt die Frau bekleidet im Bette liegend; nur ihr Bauch allein ist
entblösst. Zwei Assistenten halten ihre Arme; ein dritter hat ein Brett mit Ver-
Fig. 319. Die Operations-Stellung für den Kaiserschnitt bei einer muthigen Kreissenden.
(Aus Scipione Mercurio.)
bandzeug; solches liegt auch auf einem niederen Schemel. Der Operateur steht
an der rechten Seite des Bettes und schneidet, wie es scheint, mit einem Rasir-
messer den Leib der Schwangeren linksseitig vom Nabel in der Längsrichtung ein.
Zur Zeit aber hat er nur einen oberflächlichen Schnitt durch die Hautdecke ge-
führt. Weibliches Hülfispersonal ist nicht zugegen.
Die Figuren 319 und 320 sind dem Scipione Mercurio entnommen. Wenn
die Patientin tapfer ist, so soll sie auf dem Bettrande sitzen, wie es in Fig. 319
298
LYII. Der Kaiserschnitt.
dargestellt ist. Vier unerschrockene Jünglinge oder Jungfrauen sollen dem Ope-
rateur helfen; drei derselben halten die Gebärende an dem Oberkörper und den
Armen fest, und zwar von den Seiten und von hinten her. Der vierte Gehülfe
.soll am Boden knieen zwischen den Schenkeln der Gebärenden, und er soll die
letzteren von der Hinterfläche her fixiren. Die Schnittlinie, rechter Hand vom
Nabel, entsprechend dem äusseren Rande des geraden Bauchmuskels, soll sich der
Arzt mit einer guten Tinte vorzeichnen, damit sein Messer nicht abweicht; auch
soll er mit der Tinte drei bis fünf Querb'nien ziehen, um die Stellen zu markiren,
wo er die Näthe anlegen muss.
Fig. 320. Lagerang für den Kaiserschnitt bei einer schwachen Ereissenden.
(Alis Scipione Mtrcurio^
Ist die Ereissende aber schon schwach, dann soll man sie in die Lage
bringen, wie sie in Fig. 320 dargestellt ist. Man bringe die Patientin zu Bett
und lagere sie durch untergelegte Kissen, dass sie eine halbsitzende Stellung ein-
nimmt. Diese Position sei auch für solche gut, welche sich vor dem Blute
fürchten. Ueber die Ausfiihrung der Operation und über die nothwendige Vor-
bereitung der Schwangeren werden genaue Vorschriften gegeben. Scipiane Mer-
curio giebt aber den Batb, mit gr5sster Vorsicht erst zuvor den Kräftezustand
367. Der Kaisenchniit an der Lebenden bei den Naturvölkern. 299
der Gebärenden zu prüfen, ob sie auch noch im Stande sei, einen solchen Ein-
griff zu überstehen. Halt er sie hierfür nicht mehr für geeignet, so soll er lieber
von der Operation Abstand nehmen und sich mit ehrenvollen Entschuldigungen
zurückziehen. Denn wenn die Frau während des Kaiserschnittes sterben sollte,
so würde man sicherlich ganz allein diesem, und nicht der schweren Entbindung
die Schuld zuschieben.
Bei der Gebärenden in Fig. 319 sieht man die Schnittlinien vorgezeichnet;
in Fig. 320 ist bereits der Uterus eröffiiet, und der Operateur ist eben im Begriff,
das Kind aus demselben herauszubefordem.
Als besondere Guriosa mögen die folgenden Falle ihre Erwähnung finden.
Im Jahre 1880 schrieb die Wiener medicinische Wochenschrift auf Grund
eines angeblich durch die Polizeiorgane amtlich erörterten Berichtes des Dr. V.
Gjargjetvic aus Belgrad:
unweit der serbischen Grenze in Pritschtina konnte eine Tagelöhnerin trotz drei-
tägiger qualvoller Wehen nicht gebären; in der Verzweiflung ergriff sie das Rasirmesser ihres
Mannes, yollf&hrte mit demselben an sich den Kaiserschnitt und Hess sich die Wunde durch
eine Nachbarin wieder zunähen. Nach einigen Monaten, als der Referent den Fall besprach,
befanden sich Mutter und Kind vollkommen wohl.
lieber ein ganz ähnliches Vorkommniss berichtet v. Guggenherg, Es handelte
sich um eine 87 Jahre alte Frau zu Biela bei Bodenbach, welche den Kaiser-
schnitt an sich selber machte.
Am Ende ihrer achten Schwangerschaft traten die Wehen rechtzeitig ein, hörten aber
nach 24 Stunden wieder auf. Dann folgten Krampfanflllle, grosse Schmerzen und eine
colossale Auftreibung des Bauches, während die Kindesbewegungen verschwanden. Die Frau
glaubte, dass sie sterben müsse. Da ergriff sie ein Rasirmesser und schnitt sich langsam,
Schicht für Schicht, die Bauchdecken und die Wand der Gebärmutter durch. Dann zog sie
das abgestorbene Kind aus der Wunde hervor, schnitt die Nabelschnur ab und hob schliesslich
die Nachgeburt heraus. Der hinzugerufene v. Guggenberg vernähte die Wunde und legpte
einen Verband an; die Frau genas nach kurzem Krankenlager.
Harris hat neuerdings noch drei andere Fälle aus der Literatur zusammen-
gestellt. Nur in einem derselben starb die betreffende Person an den Folgen des
operativen Eingriffs. Mehrmals- aber wird von schweren Verletzungen berichtet,
welche durch das Messer dem Kinde im Mutterleibe beigebracht worden sind.
Die ungeheuren Fortschritte, welche unter dem segensreichen Schutze der
antiseptischen Yerbandmethode die operative Gynäkologie in den letzten Jahr-
zehnten zu verzeichnen hat, sind auch dem Kaiserschnitt zu Gute gekommen.
Namentlich war es der Italiener Porro^ welcher es gelehrt hat, fast schadlos
das Kind, dessen Geburt auf dem gewöhnlichen Wege unmöglich ist, aus dem
Mutterleibe herauszuschneiden und gleichzeitig die Gebärmutter mit den Eier-
stöcken und ihren übrigen Anhängen zu entfernen, so dass die Mutter nicht später
durch eine erneute Schwangerschaft von Neuem in Lebensgefahr versetzt werden
kann. Porro's Methode hat bereits in einer grossen Anzahl glücklich verlaufener
Fälle den an sie gesteUten Erwartungen in vollständig befriedigender Weise zu
entsprechen vermocht.
367. Der Kaiserschnitt an der Lebenden bei den Naturvolliern.
Der Gedanke, durch den Kaiserschnitt die in der Geburtsarbeit fast unter-
liegende Frau von dem Kinde zu befreien und auf diese Weise womöglich die
Mutter und das Kind am Leben zu erhalten, ist nicht das ausschliessliche Eigen-
thum der Gulturvölker. Wir finden, dass einzelne ziemlich rohe Nationen auf die
ganz gleiche Idee gekommen sind.
Ein SeitenstQck zu dem im vorigen Abschnitte beschriebenen Fall von v. Gug-
genberg wurde von Mosely aus West-Indien berichtet.
300
LVII. Der Kaiserschnitt.
Eine Sclavin, die nicht gebären konnte, führte an sich selber mit einem schlechten
Messer den Kaiserschnitt aus. Die Operation lief glücklich ab, und als die Sclavin wieder
eine Schwangerschaft vollendet hatte, wollte sie die Operation wiederholen.
Häufig besprochen warde auch die Geschichte, wo ein Chippeway- In-
dianer an seiner Frau den Kaiserschnitt machte, Kind und Mutter rettete und
beide in seinem Schlitten nach seinem Dorfe am Soult gebracht hat. Schoolcraß
hat dort oft den Mann und die Frau gesehen. Da dieser Operation selbst, soviel
bekannt, keine zuverlässigen Zeugen beiwohnten, so ist noch immer die Frage,
ob hier ein Fall von wirklichem Kaiserschnitt vorliegt.
Fig. 321. Operationsmesser, in Kahura (Central-Afrika) zum Eaisei-schnitt benutzt.
(Nach Ff/ktH,)
Unzweifelhaftere Nachrichten besitzen wir aber aus XJnganda in Central-
Afrika durch Felkiny welcher berichtet, dass dort durch besondere Operateure
und zwar bisweilen mit günstigem Erfolge der Kaiserschnitt ausgeführt wird.
Das Messer, welches dabei im Jahre 1878 zu Kahura benutzt wurde, hatte die
Form eines convexen Bisturi (Fig. 321). Felkin wohnte selbst einem solchen
Falle bei, den er auch bildlich dargestellt hat (Fig. 322).
«Die Frau, eine 20jährige Erstgebärende, lag auf einem etwas geneigten Bette, dessen
Kopfseite an der Hattenwand stand. Sie war durch Banana-Wein in einen Zustand von Halb-
betäubung versetzt worden. Völlig nackt war sie mit dem Thorax durch ein Band an das
Bett befestigt, während ein anderes Band von Baumrinde ihre Schenkel nieder- und ein Mann
ihre Knöchel festhielt. Ein anderer an ihrer rechten Seite stehender Mann fixirte ihren
Unterleib. Der Operateur zu der linken Seite hielt das Messer in seiner rechten Hand und
murmelte eine Incantation. Hierauf wusch er seine Hände sowie den Unterleib der Patientin
mit Banana-Wein und alsdann mit Wasser.
Nachdem er dann einen schrillen Schrei ausgestossen, der von einer ausserhalb der Hütte
versammelten Menge erwidert wurde, machte er plötzlich einen Schnitt in die Mittellinie,
ein wenig oberhalb der Schambeinverbindung beginnend, bis kurz unter den Nabel. Die
^^ _ Wand sowohl des Bauches als auch der Gebär-
'^''"^^^iiLtMi^l^'H^ A ^1' tft^j^JititM^^ \^M1^0t^^ mutter war durch diese Indsion getrennt und
" ^ ' das Fruchtwasser stürzte hervor; blutende Stellen
der Bauchwand wurden von einem Assistenten
mittelst eines rothglühenden Eisens touchirt.
Der Operateur beendete zunächst schleunig den
Schnitt in die Uterus wand; sein Gehülfe hielt
die Bauch wände bei Seite mit beiden Händen,
und sobald die Uterinwand getrennt war, hakte
er sie mit zwei Fingern aus einander. Nun
wurde das Kind schnell herausgenommen, und
nachdem es einem Assistenten übergeben wor-
den, durchschnitt man den Nabelstrang.
Der Operateur legte das Messer weg, rieb den
Uterus, der sich zusammenzog, mit beiden Händen
und drückte ihn ein oder zwei Mal. Zunächst führte er seine rechte Hand durch die Incision in
die Uterinhöhle, und mit zwei oder drei Fingern erweiterte er den Gebärmutter-Cerviz von
innen nach aussen. Dann reinigte er den Uterus von Gerinnseln, und die Placenta, die in-
zwischen gelöst war, wurde von ihm durch die Bauchwunde entfernt. Der Assistent bemühte
sich ohne rechten Erfolg, den Vorfall der Därme durch die Wunde zu verhüten. Das roth-
glühende Eisen benutze man noch zur Stillung der Blutung an der Bauchwunde, doch wurde
dabei sehr schonend verfahren. Während dem hatte der Hauptarzt seinen Druck auf den
Uterus bis zur festen Zusammenziehung desselben fortgesetzt; Nähte wurden an die Uterus-
wunde nicht angelegt. Der Assistent, welcher die Bauchwände gehalten hatte, Hess dieselben
nun loss, und man legte eine poröse Gras-Matte auf die Wunde. Die Bande, welche die Frau
fesselten, wurden gelöst, sie selbst auf den Bettrand gewendet und dann in den Armen eines
Fig. 322.
Kaiserschnitt in Uganda (Central-
Afrika). (Nach J^f/Jktn.)
367. Der Kaisenclmitt an der Lebenden bei den Naturvölkern.
301
Assistenten anfgericbtet, so dass die Flüssigkeit ans der Bauchhöhle auf den Fussboden ab-
fliessen konnte. Dann wurde sie wieder in ihre frühere Lage gebracht, und nachdem man
die Matte hinweggenommen, die auf der Wunde lag, wurden diie Ränder der Wunde, d. h.
der Bauchwand an einander gelegt und mittelst sieben dünner, wohlpolirter eiserner Nägel,
die den Acupressur-Nadeln glichen, mit einander verbunden. Dieselben wurden mit festen
Fäden aus Rindenstoff umwunden (Fig. 823). Schliesslich legte man über die Wunde als
dickes Pflaster eine Paste, die durch Kauen von zwei verschiedenen Wurzeln und Ausspucken
der Pulpa in einen Topf hergestellt war, bedeckte das Ganze mit einem erwärmten Bananen-
Blatte und vollendete die Operation durch eine feste, aus Mbugu-Bast bestehende Bandage.
Während des Anlegens der Nadeln hatte die Patientin keinen Schrei ausgestossen, und eine
Stunde nach der Operation befand sie sich ganz wohl.
Die Temperatur der Kranken stieg in den nächsten
Tagen nicht bedeutend (in der zweiten Nacht 101 F.), der Puls
auf 108. Zwei Stunden nach der Operation wurde das Kind
angelegt. Am dritten Morgen wurde die Wunde verbunden
und man entfernte einige Nadeln, die übrigen am fünften und
sechsten Tage. Die Wunde sonderte wenig Eiter ab, den man
mittelst einer schwammigen Pulpa entfernte. Am elften Tage
war die Wunde geheilt.
Wir haben im vorigen Abschnitte schon gesehen,
dass auch die Mythen der alten Griechen den Kaiser-
schnitt erwähnen, jedoch nar denjenigen nach dem Tode
der Mutter. Nadi der Legende soll auch Budddh
durch die rechte Seite oder durch die Achselhöhle Fig. 3523. vemähte Bauchwunde
seiner Mutter geboren worden sein. Die heilige Sage eineraj&hrigenFrauin Uganda,
der Mandaeer kennt aber auch den Kaiserschnitt an Ser''*KVi;eV8Vhn^'tt*auÄt
der Lebenden. war.
.Die Gemahlin des Königs Säl wurde schwanger, konnte Q^wiYi Ftikin.)
aber das Kind, weil es zu gross war, nicht zur Welt bringen;
sie war dem Tode nahe. Da erscheint dem Säl die Simurg
und r&th ihm, seiner Gattin eine Medicin, aus Hyoscjamus bestehend, einzugeben, wodurch sie
in einen Todesschlaf fiel und gefühllos wurde. Als dies geschehen, wurde ihr der Leib auf-
geschnitten, und der grosse kräftige Sohn, welcher den Namen Rüstern erhielt, herausgenommen.
Darauf nähte man den Schnitt wieder zu; Simurg legte ihren Flügel darüber und bald war die
Wunde geheilt. Man hielt auch der Wöchnerin etwas vor die Nase, durch dessen Geruch sie
wieder erwachte. (Petermann.)
I So interessant diese Mythe auch ist, so wäre es doch wohl voreilig, daraus
den Schluss ziehen zu wollen, dass von diesen Leuten in ähnlicher Weise solche
Operationen ausgeführt worden sind.
LVni. Die Physiologie und die Pathologie des Wochenbettes.
368. Die physiologische Bedeutung des Wochenbettes.
Man kann von einem Wochenbette eigentlich logischer Weise bei solchen
Völkern nicht sprechen, wo die Frauen sofort nach ihrer Niederkunft ihre ge-
wohnte Beschäftigung wieder aufnehmen, wo sie also gar nicht, wie das bei den
Gulturvölkem die Regel ist, eine bestimmte Anzahl von Tagen im Bette zu-
bringen. Im medicinischen, im physiologischen Sinne aber bedeutet die Wochen -
bettsperiode, das Puerperium, wie der fachmännische Ausdruck lautet, einen
ganz bestimmten Zeitabschnitt in dem Leben des Weibes, ganz gleichgültig, ob
sie sich in demselben eine Pflege angedeihen lässt, oder nicht. Diese Wochen-
bettsperiode beginnt in dem Augenblick, wo nicht nur das Kind, sondern auch
die Nachgeburt den mütterlichen Körper verlassen hat, und dieselbe ist in ana-
tomischer Beziehung charakterisirt durch den Rückbildungsprocess der 6e-
burtstheile.
Dass die Oebämiutter, in welcher während neun langer Monate das Kind
sich entwickelte, wuchs und zur Reife gelangte, sowohl in ihrem anatomischen
Bau, als auch in ihrer Form und Grösse recht erhebliche Veränderungen erleiden
musste, das wird auch für den Nichtmediciner leicht verständlich sein. Nun wird
die Wochenbettsperiode bis zu dem Augenblick gerechnet, wo alle durch die
Schwangerschaft und den Geburtsact veränderten Abtheilungen der Geschlechts-
organe wieder zu ihrer normalen Gestalt zurückgekehrt sind. Zu diesem Behufe
muss in allererster Linie die Gebärmutter sich stark zusammenziehen und sich
ganz erheblich verkleinem; ihre Höhle muss einen neuen Schleimhautüberzug ge-
winnen, und diejenige Stelle in ihrem Inneren, an welcher der Mutterkuchen ge-
sessen hat, muss sich vernarben und verheilen. Dabei wird von dieser Stelle eine
blutig geftLrbte Wundflüssigkeit abgesondert, welche später einen schleimigen
Charakter annimmt. Das sind die Lochien oder das Lochialsecret, welches durch
die Geschlechtstheile seinen Ausgang nimmt und gewöhnlich als Wochen fluss
bezeichnet wird. Er dauert so lange an, bis die geschilderten Rückbildungs-
processe innerhalb der Gebärmutterhöhle ihren Abschluss gefunden haben.
Auch der Muttermund, der, wie der Leser sich erinnern wird, während der
Entbindung sich weit eröfihen musste, wobei der ganze Scheidentheil des Uterus
verstrich und verschwand, muss sich ebenso wie dieser letztere in alter Weise
wiederherstellen. Nicht minder haben die Mutterscheide und die äussere Scham
während der Schwangerschaft und der Niederkunft sehr beträchtliche Veränderungen
erlitten. Durch den Druck des Kindes auf die grossen Blutgefässe des Baudbes
war der Blutkreislauf in diesen Theilen gehemmt, Schwellungen und Auflocke-
rungen bildeten sich aus und ihre Durchmesser wurden erheblich erweitert. Auch
sie müssen sich wieder zusammenziehen, an Straffheit und Festigkeit gewinnen,
369. Die primären Gefahren der Wochenbettsperiode. 303
bedeutend kleiner und enger werden und wieder eine geregelte Blutcirculation er-
halten. Dies Alles muss zu Stande kommen und vollendet sein, bevor man die
Wochenbettsperiode im physiologischen Sinne als abgeschlossen betrachten darf.
Da hierüber aber einige Wochen vergehen, wenigstens bei den Frauen
unserer Rasse (bei den ttbrigen Frauen wahrscheinlich auch, doch fehlt es hier
noch an Untersuchungen), und da bei uns die Neuentbundenen den ersten Abschnitt
dieser Periode im Bette zuzubringen pflegen, so hat sich für diese Zeit der Name ^
Wochenbett und für die Frau die Bezeichnung als Wöchnerin, Puerpera,
herausgebildet.
369. Die primftren Gefahren der Wochenbettsperiode.
Die in dem vorigen Abschnitt geschilderten Veränderungen und Umwälzungen,
welche in dem Körper der jungen Mutter vor sich gehen, sind so erhebliche und
eingreifende, dass bei allen civilisirten Nationen mit vollem Rechte die letztere
als eine der Schonung Bedürftige, gleichsam als eine Kranke betrachtet wird.
Wir finden aber auch bei vielen immerhin noch recht rohen Völkern eine ganz
analoge Anschauung. Eine ganz besondere Pflege und Aufmerksamkeit von Seiten
der Wöchnerin und ihrer Umgebung erfordert aber die allererste Abtheilung der
Wochenbettsperiode; denn sie ist es, welche bei einiger Unachtsamkeit und bei
unverstandigem Verhalten nicht selten die grössten Gefahren för die Gesundheit
und selbst f&r das Leben der Neuentbundenen mit sich bringt.
In erster Linie sind es die Gebärmutterblutungen, die Metrorrhagien, welche
kurze Zeit nach der erfolgten Entbindung eintreten können. Sie föhren schwere
Ohnmächten, oder selbst den Tod durch Verl)lutung herbei. Wenn aber die
Frau den starken Blutverlust überlebt, so hat sie nicht selten auf lange Zeit in
Folge der Blutarmuth mit schwerem Siechthum zu kämpfen. Die Quelle der
Gebärmutterblutungen ist an der Placentarstelle zu suchen. Hier standen die
Blutgefässe der Mutter in offener Communication mit denjenigen des Matter-
kuchens, und wenn der letztere sich ablöst, um geboren zu werden, so öffnen sie
sich frei in die Höhle der Gebärmutter. Normaler Weise ist nun mit der Los-
lösung der Placenta eine starke Zusammenziehung der Gebärmutterwand ver-
bunden, wodurch die erwähnten Gefassmündungen zum Verschlusse gebracht werden.
Treten diese Zusammenziehungen nicht in normaler Weise ein, so bleiben die Ge-
fassmündungen offen und dann erfolgt die Blutung.
Eine fernere Gefahr, welche ebenfalls in unregelmässigen oder mangelhaften
Gontractionen der Uterusmuseulatur ihre Ursache hat, erwächst dadurch, dass
bestimmte Theile der Gebärmutter ihre normale Festigkeit nicht wieder erhalten
und dass hierdurch der Uterus in eine fehlerhafte Lage geräth. Aus diesem
Grunde finden wir bei manchen Völkern die Sitte, bald nach der Entbindung
durch Drücken und Kneten die Gebärmutter wieder ,auf ihre richtige Stelle''
zu bringen.
Ein zu weites Klaffen des Muttermundes und der Scheide kann einen Vor-
fall der Gebärmutter herbeiführen, darum sehen wir, dass auch diese Theile ihre
sorgfaltige Berücksichtigung finden. Durch solches Klaffen kann aber auch ein
Eindringen von Luft und damit von Fäulniss- und Krankheitserregern in die
Geburtstheile zu Stande kommen, wodurch die schreckliche Gefahr des Kindbett-
fiebers bedingt werden kann. Es hat aber den Anschein, als wenn die uncivUi-
sirten, auf einer niederen Gulturstufe lebenden Völker einen hohen Grad von
Immunität gegen die gefährliche Erkrankung besitzen.
Allerdings nicht ge&hrlich, aber für die Entbundene recht schmerzhaft und
beunruhigend sind die sogenannten Nachwehen. Auch gegen diese weiss die
Volksmedicin wirksamen Bath. Wir werden uns mit allen diesen Dingen in den
folgenden Abschnitten noch eingehend zu beschäftigen haben.
304 LVIII. Die Physiologie und die Pathologie des Wochenbettes.
370. Die Blutflflsse im Wochenbett.
Die primären Gefahren des Wochenbettes sind in ihren Erscheinungen der-
maassen auffallig, dass es uns nicht verwundern kann, wenn wir ihre Erkenntniss
auch bei niederen Bevölkerungsschichten weit verbreitet finden. Von ganz be-
sonders bedrohlicher Bedeutung sind die Blutungen, welche kurz nach der Ent-
bindung die Wöchnerin befallen. Vtdlers berichtet, dass die alt-indischen
Aerzte verschiedene Mittel dagegen benutzten.
Sie pulverisirten ein StQckchen Erde aus dem innersten Gemache des V orrathshauses ;
auch machten sie ein Pulver von Rubia manjith, Grislea tomentosa, der Blüthe der doppelten
Jasmine, der Resina von Shorea robusta und dem CoUjrium Rasandschana ; dieses Hessen sie
mit Honig auflecken. Ein Pulver aus der Rinde von Ficus indica oder aus Korallen musste
mit Milch getrunken werden. Das Pulver der Nymphaea caerulea oder des Scirpus Eysoor-
Grases, der Trapa bispinosa und der Radix Njmphaeae gaben sie mit gekochter Milch, oder
mit einem Decoct der Blätter von Ficus glomerata und frischem Arum campanulatum. Es
wurde auch Reismehl mit Zucker und Honig getränkt und mit Ficus indica gegeben. Gleich-
zeitig steckte man ein Tuch in die Scheide.
Quintus Serenus Samonicus^ welcher 212 n. Chr. in Rom gestorben ist,
liess bei Blutfiüssen im Wochenbett Schröpfköpfe an die Brüste setzen.
Ein russischer Arzt aus Hakodade schreibt von den Japanern, dass
sie bei starker Blutung nach der Geburt die Scheide mit Watte (nach v. Siebold
mit Leinwand) tamponiren; danach binden sie die Unterschenkel dicht unterhalb
der Haften mit einem Tuche fest und lassen eine Abkochung von der Rosa
rugosa trinken.
Nach Tohler kommen in Pa^lästina starke Blutungen nach der Entbindung
recht häufig vor und zwar von einer solchen Heftigkeit, dass sie nicht selten zum
Tode führen. Rosen schrieb an FlosSy dass zur Verhütung solcher Zufalle die
Hebammen der Wöchnerin einen breiten Oürtel fest um den Leib legen und sie
so zwei Stunden nach der Entbindung im Bette aufrecht sitzen lassen, „damit
das Blut nicht mehr komme*.
In Deutschland hat die Volksmedicin sehr verschieden-
artige Maassnahmen und Heilmittel bei den Gebärmutter-
blutungen im Wochenbett. So giebt man in Schwaben
einer Gebärenden, welche eine Metrorrhagie bekommt, ein
paar Löffel des eigenen Blutes ein, das sie verliert. In der
Rheinpfalz wird eine Axt oder ein Beil unter die Bett-
stelle gelegt, „damit das Herzblut nicht entfliesse'*; oft wird
auch von einer alten Frau über den blossen Leib der Ge-
bärenden gestrichen unter Nennung der drei höchsten Namen
Flg. saTTiiberne "^^ ^^^^ Hersagung des Spruches:
Kapsel, einen Blut- ,Wü8t Blut, geh fort, Herzgeblüt, an deinen Ort."
dem Besitro'elnes „Bauern^ 1°^ Frankenwalde und auch in verschiedenen anderen
doctors" in St. Zeno bei Gegenden Deutschlands ist ein ziemlich gewöhnlicher
(Na^h Photo^phie.) Volksgebrauch das Binden der Arme und Beine am Ellen-
bogen und am Knie bei Gebärenden, in der Absicht, eine
Blutung oder eigentlich eine Verblutung zu verhindern. Man hört oft eine zu
geringe Geburtsblutung als Ursache späteren Erkrankens beschuldigen.
Von den Zeiten des Alterthums und des Mittelalters hat sich noch in
einzelnen Gegenden Deutschlands der Glaube an die heilwirkende Kraft gewisser
Steine bis in die Neuzeit hinübergerettet. Wir haben den Adlerstein bereits
kennen gelernt, aber auch der Blutstein gehört hierher. Derselbe braucht nur
von der blutenden Frau fest mit der Hand umschlossen zu werden, selbstverständ-
lich unter gehöriger Anrufung Gottes und der Heiligen, so wird die Blutung
sofort zum Stehen gebracht werden. Auch vorbeugend muss die Ereissende in
Oberbayern, wie Höfler berichtet, einen Blutstein in der Hand halten, damit
370. Die Blutaosse im Wochenbett. 305
sie sich vor dem «XJeberlaufen des Herzblutes* schütze. Das Umhängen des
Blutsteines hatte ebenfalls mit den gleichen Gebeten die gleiche Wirkung.
Das Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des
Hausgewerbes in Berlin hat solchen Blutstein von Herrn von Chlingensperg-
Berg in Kirchberg bei Beichenhall zum Geschenk erhalten. Derselbe hatte
sich längere Zeit in dem Besitze eines ^Bauemdoctors*^ in St. Zenp bei Beichen-
hall befunden. Er ist platt, herzförmig, und wird von einer silbernen, ebenfalls
herzförmigen Kapsel, welche Fig. 324 fast in Originalgrosse darstellt, derartig um-
schlossen, dass seine eine Breitseite und der Rand vollständig verdeckt bleiben,
während die andere Breitseite, ä jour gefasst, frei zu Tage liegt (Fig. 325).
Der Stein ist platt, undurchsichtig und röthlichgelb
und mit einer Anzahl von ganz kleinen unregelmässig ein-
gesprengten, blutrothen Punkten durchsetzt. Ein rundes
Bohrloch, das durch ihn geführt ist, vermuthlich zum
Zwecke des Anhängens, als er noch nicht gefasst war, er-
scheint gleichmässig grau. Die von fachmännischer Seite
vorgenommene Untersuchung hat ergeben, dass der Stein
ein künstliches Oemenge ist, eine Paste, wie sie in ähn-
licher Weise die Goldarbeiter zu Unterlagen und Einlagen
benutzen.
Bei starken Blutungen aus dem Uterus lässt man auch Fig. 325. Biutstein in
in Steyermark die Gebärende den Blutstein in der Hand b^^®' ^SS°^,*^uer^
halten; das ist aber ein Botheisenstein. Hier benutzt man docton*' in st. Zeno bei
aber auch noch andere Methoden. Die Wöchnerin muss z. B. (N^h Photomphie.)
eine Petersilienwurzel in die Hand nehmen, oder man &ngt
das Uterinblut auf, trocknet es über Feuergluth, pulvert es und giebt davon der
Kreissenden ein. Auch gelten gestossene ^Gams-Erikeln" (Gemsenhörner), sowie
die Abkochung von Täschelkraut (Caps. burs. past.) als blutstillend.
In manchen Fällen umwickelt man auch den linken kleinen Finger und die
rechte grosse Zehe mit eipem Hanfzwim, reibt den Unterleib mit gewärmtem
Schnaps ein und legt auf den «kleinen Bauch" ein Säckchen voll Kellererde;
dann verbietet man der Entbundenen, die Arme über den Kopf zu erheben, weil
man darin eine hauptsächliche Störung der Nachwehenthätigkeit erblickt.
Auch Segenssprüche und Beschwörungen sollen in Steyermark den Blut-
floss der Entbundenen sistiren. Eine solche Beschwörungsformel lautet:
.Ich N, N. stehe dir N. N, bei.
Was Gott geredet hat, bleibt ewig wahr,
Dein Blut soll stehen ganz nnd gar,
Dein Blut wird stehen ganz gewiss,
So wie Jesus Christus am Stamme des heiligen Kreuzes gestorben ist,
So wird dein Blut auch stehen gewiss.
Es ist vollbracht, es ist vollbracht, es ist voUbrachi*
Hierauf sind drei Vaterunser und Ave Maria und der „ Glaubengott ** zu
sprechen. (Fossd,)
Die Hebammen in Galizien suchen solche Blutungen durch die Kälte zu
bekämpfen, die sie in der Form von Umschlägen auf den Leib anwenden.
Die Letten sind nach Alksnis rathlos bei solchen Blutungen; höchstens
nehmen sie zu Beschwörungen ihre Zuflucht; z. B.:
„Die Söhne Gottes machton eine Klete,
Sie legton goldene Sparren;
Ich will die kupferne Pforto verschliessen —
Nicht ein Tropfen wird mehr fliessen."
Hiemach wird neunmal Amen gesagt.
Ploss-Bartelfl, Das Weib. 5. Aufl. II. 20
306 LYni. Die Physiologie und die Pathologie des Wochenbettes.
371. Die BekSmpfang Ser Blutflflsse Im Wochenbett bei den NatnrTolliem,
Auch die Naturvölker haben mancherlei Mittel, um den Blutfiüssen nach
der Entbindung vorzubeugen oder sie zu bekämpfen. Die Hebammen der Anna-
miten benutzen dazu eine besondere Art der Massage.
Mondiere berichtet darüber:
,£ii Premier lieu, la patiente couch^e sur le dos, la sage-femme appuie asses l^gäremeni
im pied sur la poitrine, puis eile descend peu ä peu, et qaand eile est rendue ä la hauteur
du nombril, eile monte alors sur le ventre de la femme avec les deux pieds, se suspend de
nouveau k la poutrelle par les deux mains et pi^tine le ventre de Taccouch^e ä peu pr^
comme un vigneron foule sa vendage. Ges preesions ^nergiques, dirig^s de haut en bas,
pendant lesquelles les deux pieds se maintiennent rapprochäs et s'avancent lentement sans
cesser de se toucher, fönt contracter l'ut^rus et le vident du sang et des däbris qu*il pourndt
contenir. Ce peut dtre une bonne chose, mais les manoeuvres sont d'une yiolence excessive.
Puis raocouch^e s^ötend sur le ventre, et le m§me massage est pratiquä avec les pieds depuis
les faules jusqu*au niveau des . vert^bres lombaires, oü le foulage avec les deux pieds se
renouvöle."
Auf den Philippinen legen nach MaUat die malayischen Hebammen
der Entbundenen den Biguis auf den Leib, einen Tampon, der durch starke
Gompression in seiner Lage erhalten wird. Stellen sich aber trotzdem Gebär-
mutterblutungen ein, so werden die Entbundenep mit aller Kraft von den Heb-
ammen an den Haaren gezogen.
Auch auf den kleinen Inselgruppen im alfurischen Meere triifft man Vor-
sorge für etwaige Gebärmutterblutungen. Hauptsächlich soll hier die Wärme
einwirken, durch die man das Blut zur Gerinnung bringen will. Zu diesem Be-
hiife lagern sich die Wöchnerinnen derartig, dass sie mit den Geschlechtstheilen
direct gegen das Herdfeuer gekehrt sind. Auf den Luang- und Sermata-Liseln
liegt die Frau dabei mit ihrem Hintertheile dem Feuer so nahe, dass nicht selten
Verbrennungen vorkommen. Auch auf den Babar-Inseln nähert sich die Wöch-
nerin dem Feuer so sehr, dass ihre Schamhaare versengen. Bei manchen dieser
Insulaner sind aus ähnlichen Gründen auch Räucherungen im Gebrauch, auf die
wir in einem späteren Abschnitte zurückkommen werden.
Die Einwohnerinnen der Tanembar- und Timorlao-Inseln suchen den
Metrorrhagien durch den Genuss des Saftes von Aroan-Blättem vorzubeugen.
Ebenso wird auf den Eeei-Inseln eine Abkochung von Carica papaya getrunken.
Auf Keisar und den Aaru-Inseln wird es aber gerade gewünscht, das Blut
etwas in Fluss zu bringen, um, wie sie glauben, die unreinen Stoffe dadurch schneller
zu entfernen. Zu diesem Zwecke isst auf den Aaru-Inseln die Entbundene nichts
als Reis mit Ealapa-Milch gekocht; auch brauchen viele täglich den ausgepressten
Saft von Carica papaya. Die Keisar-Insulanerin nimmt nach der Entbindung
aus dem gleichen Grunde ein Bad in einem Walser,, welchem fein geknetete Blätter
von . Vitex pubescens beigemischt sind, und danach trinkt sie etwas Arac mit der
beissenden Uruh, der Frucht einer Pfefferart. (BiedelK)
Die einheimischen Hebammen auf den Viti-Inseln sind ebenfalls mit den
Mutterblutangen im Wochenbette wohlbekannt. Sie haben Elyth darüber Fol*
gendes mitgetheilt:
.Wenn nach der Geburt eine Mutterblutung eintritt, was bisweilen vorkommt, so
werden die G^nnsel aus der Vagina und vom Muttermunde entfernt und die Wöchnerin
unmittelbar zu einem Flusse geführt, wo sie baden und ihre äusseren Theile waschen muss.
Ist die Frau zu schwach, um zu einem Bache gefOhrt zu werden, so wird das Verfahren im
Hause ausgeführt. Die Application von kaltem Wasser wird in manchen Fällen in Zwischen-
räumen von vier Tagen nach der Geburt ausgeführt und stets hat sie die Blutstillung zur
Folge. Der Hebamme war kein Fall bekannt, wo eine solche Blutung zum Tode geführt
hätte, und je mehr Blut verloren geht, für desto besser wird es gehalten.*
372. Der Gebarmuttervorfall. 307
PaUas sagt:
„Man erzählt von armen Ostjaken, dass sie ihren Weibern, wenn de auf der Reise
an einem Ort niederkommen, wo sie wegen Mangels an Lebensmitteln nicht verweilen können,
eine gute Portion gekochten Fischleim eingeben, wovon sich der Blntgang geschwind stopfen
soll. Ich stehe aber nicht fOr die Wahrheit dieser Ersfihlung."
Nach Hamilton hört der Blutfluss bei den Omaha-Indianerinnen in Folge
des Oebrauches von Bädern in wenig Tagen auf und dauert selten länger als
10 Tage. La Fleche giebt an, dass die Wöchnerin vor dem Aufhören des Blut-
flusses nicht sprechen darf.
Bei den Santees sucht nach Engelmann die Entbundene dadurch einer
Blutung vorzubeugen, dass sie sich selber ein Douchebad macht. Zu diesem
Zwecke ftUlt sie ihren Mund mit Wasser und bläst es mit aller Krafb gegen
ihren Bauch, bis die Blutung zum Stehen kommt.
Bei den Negersciavinnen in Surinam sind nach ^iKe Blutungen nach der
Oeburt sehr selten, und wenn sie doch einmal vorkommen, so sind sie dann ge-
wöhnlich noch ganz unbedeutend.
372. Der OebSrmutteiTorfall.
Die rohen Manipulationen, welche bei vielen Völkern mit der Kreissenden
vorgenommen werden, gehen nicht immer schadlos vorüber; in nicht gar zu seltenen
Fällen ist die Entbindung von einem Prolapsus oder selbst von einer ümstülpung
der Gebärmutter gefolgt So hat Mac Gregor auf den canarischen Inseln
Oebärmuttervorfalle häufig beobachtet und zwar vornehmlich unter den Frauen
der höheren Stände.
Auch in der Türkei sind, wie Oppenheim berichtet, Vorfalle der Gebär-
mutter und der Scheide in Folge schwerer und überstürzter Entbindungen keine
seltenen Vorkommnisse.
Die Wolo ff- Neger innen sollen ebenfalls häufig am Prolapsus uteri leiden,
während sich derselbe bei den daselbst lebenden Europäerinnen nur selten findet.
Bei der Landbevölkerung in Russland werden nach Krebel von den Heb-
ammen Vorfall oder ümstülpung der Gebärmutter während der Entbindung häufig
verursacht. Hieran ist ihr gewaltsames Vorgehen schuld, der Ereissenden im
Hängen das Bind gleichsam auszuschütteln oder durch heftigen Zug an der Nabel-
schnur die Nachgeburt herauszuzerren. Ist auf solche Weise der Uterus hervor-
gezogen, so bringt man die arme Frau in die Badestube, legt sie auf ein Brett
und stellt dieses so auf die Stufen der Dampf bank, dass sich die Füsse höher
als der Kopf befinden. Dann senkt und hebt man das Brett mit der Unglück-
lichen schnell mehrere Male, damit ihr Körper in derselben Richtung geschüttelt
werde. Auf diese Weise glaubt man die Gebärmutter wieder in den Leib hinein-
schütteln zu können, ungefähr wie ein Kissen in seinen Ueberzug.
Nicht selten scheint zu der Zeit, wo die pseudohippokratischen Schriften
verfasst wurden, im alten Griechenland durch das sinnlose Verfeihren der Ge-
burtshelfer ein Vorfall der Gebärmutter herbeigeführt worden zu sein. Denn in
einer dieser Schriften, .De exaectione foetus', wird auch über den während der Ent-
bindung . zu Stande gekommenen Prolapsus uteri gesprochen. Auch die Zerstücke-
lung des Kindes im Mutterleibe scheint eine Gelegenheitsursache für den Gebär-
muttervorfall abgegeben zu haben; Soranus nämlich behandelt in seinen Werken
den , Vorfall der Gebämmtter nach der Embryotomie'' sehr ausführlich. Es war
schon vor ihm manches Geburtshelfers Auge auf diesen Gegenstand gerichtet,
denn wir erfahren von ihm die Ansichten und Methoden des Herophütis, Eury^
phon^ Euenor^ Diodes und Straton^ die er zum grössten Theil verwirft. Er selbst
liess, wenn eine Blutung bei Prolapsus uteri vorhanden war, kalte Umschläge
machen und versuchte dann die Reposition. (Pinoff.)
20*
308 LYIII. Die Physiologie und die Pathologie des Wochenbettes.
Bei den Japanern erklärt Kangawa^ dass der Prolapsus uteri während der
Entbindung stets die Folge eines unvorsiclitigen Vorgehens sei. Es rührt dies, wie
er sagt, davon her, dass man zu früh, bevor der Fötus in seine richtige Stellung
gekommen ist, die Kreissende hat pressen und drängen lassen, so dass das Yer-
einigungsbein (S3rmph7sis) sich nicht öffiiet, wie es doch geschehen müsste, wenn
der Uterus sich umgedreht hat; das Kind ist dann noch mit dem Uterus bedeckt,
und wenn es heruntertritt, so drängt es den Oebärmuttermund mit herab. Aber
auch wenn das Eind schon geboren ist, könne noch ein Oebärmuttervorfall ent-
stehen, wenn bei dem Herausbefordem der Nachgeburt die Frau zu unnützem
Drängen veranlasst wird.
Die Reposition des Uterus nahm Kangawa in folgender Weise vor:
.Man l&sst die Frau die Rückenlage einnehmen; dann setzt sich der Arzt (japanisch
niederhockend) anf die rechte Seite der Frau, indem er seinen linken Fuss auf die Boden-
fläche aufsetzt und den Schenkel gegen die rechte Hüfte der Frau stützt; dann muss die Frau
mit beiden Armen den Nacken des Arztes umfassen, wodurch sie etwas vom Boden erhoben
wird ; jetzt schiebt der Arzt seine rechte Hand zwischen beide Oberschenkel der Frau, welche
diese schon aus einander gehalten hat, und während er die Frau mit der linken Hand von
hinten stützt, fasst er mit der rechten den vorgefallenen Theil, legt ihn auf den Handteller,
schliesslich hebt er sich etwas, wodurch die Frau ebenfalls gehoben wird; hierdurch beugt
die Frau den Kopf hintenüber, die Lenden werden gestreckt, der Leib gespannt; diesen
Augenblick benutzt der Arzt, um die Gebärmutter zurückzuschieben.* Li ähnlicher Weise
verfährt Kangawa bei dem Vorfall des Darms. ,Im Falle jedoch, dass die Frau schon vorher
an einem Prolapsus ani gelitten hat und dieser nach der Geburt mit grossem Schmerz vor-
gefallen ist, lasse man die Frau sich gegen die Wand oder gegen den Balken so stellen,
dass Nasenspitze, Brustbein und Zehen gleichmässig sie berühren. Kann sie nicht allein stehen,
so lasse man sie durch Jemanden unterstützen. Der Arzt tritt nun hinter sie, knetet mit
beiden Händen die Hinterbacken, bedeckt dann mit der Hand den Prolapsus und schiebt das
Rectum allmählich ein, was schnell und gut gelingt.*
Ausser diesem Gebärmuttervorfall können durch die rohen Manipulationen,
welche man mit den Ereissenden vornimmt, ihnen auch noch anderweitige Schä-
digungen zugefügt werden. Oppenheim berichtet aus der Türkei, dass dort
vielfach Zerreissungen der Mutterscheide und des Mittelfleisches beobachtet werden.
Von Monterey in Californien hören wir durch King, dass die armen Weiber
nach der Entbindung ofb vollkommen erschöpft daliegen und dass der lange dau-
ernden, rohen Behwdlung der weichen Theile gewöhnlich Entzündungen und
Eiterungen folgen. Auch aus anderen Theilen der Erde würden sich wohl ähn-
liche Beobachtungen herbeibringen lassen.
373. Die Nachwelten.
Die oben bereits erwähnten Zusammenziehungen, welche nach der Aus-
stossung des Kindes und der Nachgeburt die Gebärmuttermuskulatur ausfuhren
muss, um den Uterus möglichst schnell zu contrahiren und zu verkleinem, werden
von der Wöchnerin als wehenartige Schmerzen empfunden und werden mit dem
Namen der Nachwehen, oder wenn sie ganz besonders schmerzhaft sind, als
Krampfwehen bezeichnet. In manchen Gegenden Deutschlands nennt man
sie auch „wilde Wehen ** oder „wilde Wasser*'. Man besitzt dagegen allerlei
krampfstillende Volksmittel. Auch gegen die bisweilen während oder gleich nach
der Entbindung eintretenden Krämpfe wird in ähnlicher Weise vorgegangen. Im
nordwestlichen Deutschland, wo das Volk plattdeutsch spricht, wenden
die Landhebammen dagegen die sogenannten „Terminmittel' an.
Mit dem Worte „Termin* oder „Tramin" werden alle „Krämpfe' bezeichnet; es
kommt, wie Oöldschmidt meint, wahrscheinlich von dem Worte Tormina (nrsprQnglich Bauch-
grimmen) her, daa schon Cdaus gebrauchte und das dann aus der wissenschaftlichen Medicin
in den Mund des Volkes überging. Zu den Terminmitteln gehören vor Allem „Winruh*
374. Das Kindbettfieber. 309
(Raute), als friscb aasgepressier Saft, oder als Thee, Rohlei oder Rohlegg (Schafgarbe, Achillea
millef.), Ram oder Franzbranntwein mit Zucker, oder mit Schiesspulver, Mehl von Ziegel-
steinen; oder man holt ein sogenanntes Traminpulver von einem Quacksalber, das gewöhnlich
aus Ziegelmehl und aus Knochen von ungeborenen Hasen, Maulwürfen und blindgeborenen
jungen Thieren, z. B. M&usen, besteht; oder man schickt nach einem Mittel in die Apotheke,
wie Korallenpulver, Hirschhorn u. s. w.; und in manchen Apotheken, die solche Traminpulver
führen, bestehen dieselben aus den wunderbarsten Mischungen; viele enthalten Gold, auch
Mistel (Yiscum album), die den alten Kelten und Germanen heilig war, und Paeonia.
Auch werden alle Mittel, die ,for de Winne' sind, d. h. Carminative, als Traminmittel ge-
geben, z. 6. KflmmelOl, Anissamen, Wermuth, Fenchelsamen.
Schmerzhafbe Nachwehen bekämpft man in Steyermark durch Ein-
reibungen des Unterleibes mit Olegorbranntwein, Melissengeist oder Hoffmanns-
tropfen, worauf der Leib mit Tüchern fesigebunden wird. Auch giebt man der
Neuentbundenen ein Gläschen Schwarzbeerschnaps mit warmem Wasser gemengt
zu trinken.
Um die Nachwehen zu verhüten, werden in Franken der Gebärenden
3 mal je drei Tropfen ihres eigenen bei der Geburt abfliessenden Blutes in einem
LöiBFel voll Wasser gegeben. Auch in Schwaben muss die Wöchnerin, welche
Metrorrhagie bekommt, hiergegen ein paar Löffel des Blutes einnehmen, das sie
verliert. (Bück.) Femer legt man zu diesem Zwecke ihr die noch warme Placenta
oder in Schmalz gebackene Eier auf den Unterleib. Dies ist der Mauriceau'Bche
Eierkuchen, welchen auch noch Schmitt emp&hl. Oder man legt der Frau die
Hosen ihres Ehegatten auf den Unterleib. (Majer.)
In der Pfalz werden, wie Patdi berichtet, gegen heftige Nachwehen ge-
wärmte Deckel aufgelegt, auch wendet man Chamillen innerlich und in Klystieren
an, reibt Mohnöl oder Bilsenkrautöl ein und giebt zuweilen Mohnsamenöl zu trinken.
Auf dem Lande binden die Hebammen deshalb ausserdem auch noch den Leib
der Neuentbundenen.
In Georgien bekämpft man die Nachwehen dadurch, dass die umgebenden
Weiber die Wöchnerin zu schrecken suchen.
In Russland wird nach Demic im Gouv. Woronjez Safran, im Gouv.
Tomsk Yeronica beccalunga gegen die Nachwehen angewendet. Mohrrüben sind
im Kiewer Gouvernement gebräuchlich und man nimmt auch das Pulver von
Alchemilla vulgaris in Wasser, „damit die Gebärmutter nicht schwach werde*.
Bei den Ehsten glaubt man, dass es auf die Nachwehen beruhigend wirkt,
wenn man der Wöchnerin einige Tropfen von dem Blute innerlich giebt, welches
bei der Unterbindung der Nabelschnur abgetropft war.
Bei dem Eintritt der Nachwehen wird bei einigen Zigeunerstämmen
Siebenbürgens die Kindbetterin mit verfaultem Weidenholz geräuchert, zu
welchem Behufe dasselbe angezündet und der Qualm oder Rauch unter die Decke
der Leidenden hingeleitet wird. Gleichzeitig pflegen die dabei beschäftigten Frauen
den Spruch herzusagen:
Rasch tmd rasch fliegt der Rauch
Und der Mond der fliegt auch!
Haben sich gefunden,
Du sollst drum gesunden;
Wenn der Rauch vorhei,
Sei von Schmerzen frei,
Sei von Schmerzen frei! (v. Wlislockt^.J
374. Das Kindbettfieber.
Die erheblichste aller Gefahren, welchen die arme Wöchnerin ausgesetzt ist,
bleibt unbestritten das Kindbettfieber. Es ist eine Blutvergiftung, welche
durch das Eindringen von niederen Organismen, von sogenannten Fäulnisserregern
310
LYIII. Die Physiologie und die Pathologie des Wochenbettes.
in die Blutbahn der Frischentbundenen hervorgerufen wird. Mit Hülfe einer auf
das Sorgfaltigste durchgeführten Antiseptik hat man es bei den civilisirten Nationen
gelernt, diese in früheren Zeiten so enorme Oeissel des Menschengeschlechts, welche
mehr Opfer forderte als die Cholera, auf einen fast verschwindenden Procentsatz
herunterzudrücken. Bei den uncivilisirten Nationen scheint gegen alle septischen
Erkrankungen, zu denen ausser den accidentellen Wundkrankheiten auch das Kind-
bettfieber gehört, ein hoher Orad von Immunitat zu bestehen. Dass diese Im-
munität keine ganz vollkommene ist, das werden wir in einem späteren Abschnitte
n kennen lernen. Wir werden daselbst sehen, dass sich bei manchen
der sogenannten Naturvölker ganz bestimmte feststehende Maass-
nahmen ausgebildet haben, wie mit solchen unglücklichen Frauen
verfahren werden muss, welche im Wochenbett gestorben sind.
Eine Erkenntniss der Infectionsgefahr für die Wöchnerinnen haben
wir vielleicht auch schon darin zu erblicken, wenn wir durch
Pardo de Tavera erfahren, dass auf Luzon die Hebammen so-
fort nach der Geburt des Kindes ihren Fuss auf die äusseren Oe-
schlechtstheile der Entbundenen setzen, um das Eindringen von
Luft in die inneren Genitalien zu verhüten.
Als Ursache der gegen das Feuer gekehrten Lage der
Serang-Insulanerin nach der Entbindung geben die Eingeborenen
an, dass man auf diese Weise dem Kindbettfieber vorbeugen
könne. (Riedel^.)
XJeber die Frauen auf den Fiji-Inseln erfahren wir das
Folgende durch Blyth:
«Accidentelle Wochenbetterkrankungen kommen bei den Fiji-
Frauen nicht vor; der einzige unerwartete Znstand von einiger Be-
deutung, dem sie unterworfen sind, ist ein Aufhören des Wochenflusses
1 1 ■ ungefähr ein oder zwei Tage nach der Entbindung. Das giebt die Ver-
^^^ anlassung zu einem Anfall von Frösteln, welchem Fieber, Kopfschmerz,
^F Durst und ähnliche Symptome wie bei europäischen Frauen nach der
UIj ^ gleichen Ursache folgen, während eine Empfindung dadurch verursacht
jH^r wird, als ob, um den Ausdruck der einheimischen Hebammen zu benutzen,
^^H eine Orange im Magen herumrollte. Diese Empfindung wird wahrshein-
^^^1 lieh durch die in der Gebärmutter zurückgehaltenen Lochien verursacht.
^^^1 Die sofort eingeleitete Behandlung besteht darin, dass die Hebamme
^P^^ erstens ein oder zwei Feuer anzündet, welche das Lager der Wöchnerin
einschliessen, und dass sie femer der Kranken heisse Bananenblätter auf-
legt, bis der Wochenfluss sich wieder einstellt/
Zum Schutze im Wochenbett wird bei den Giljaken am
unteren Amur ein besonderer Talisman aufgehängt, welcher in
Fig. 326 nach einer photographischen Aufnahme dargestellt ist.
Wenn sich unter den Ainos in Japan bei der Wöchnerin
ein sehr starkes Fieber einstellt, so giebt man ihr 2 — 3 Mal täglich eine Ab-
kochung von der Eine- Wurzel ein. (v. Siebold.)
Ich kann es mir nicht versagen, hier auch noch den Bericht von Schneegans
über eine eigenthümliche Auffassung des Kindbettfiebers bei den Sicilianern
folgen zu lassen:
,ln concreterer Weise sehen wir übrigens die alten mythologischen üeberlieferungen
heute noch unter dem Volke spuken« In der nächsten Nähe von Messina erhebt sich eine
von einer Kuppel gekrönte Kirche; man nennt sie la Grotta; hier soll in heidnischer Zeit
ein Tempel der Diana, oder auch ein Heiligthum der Nymphen oder Sirenen gestanden
haben. Von Odysseus wissen die Schiffer dieser Küstengegend natürlich nichts; was und wer
die Sirenen waren, das haben sie längst vergessen; und doch, wenn sie zum Fischfang aus-
gefahren sind und wenn die wettergebräunten Seeleute zurückkehren, hört man sie bisweilen
nachdenklich zu ihren Weibern sagen: „Die Sirene hat wieder gesungen!* Und hat die
Sirene gesungen, so bedeutet dies was ganz besonderes; dann kommt nämlich eine Seuche,
Fig. 326. Talisman
der Oiljaken am
unteren Amur zum
Schutze des Kind-
bettes.
(Nach Photographie.)
374. Das Eindbettfieber. 311
die namenÜich den sich in guter Hoffnung befindlichen Frauen gefährlich ist; Wöchne-
rinnen und Neugeborene sterben in diesem Jahre. Nicht nur unter dem Schiffer-
volke ist der Glaube an den Sirenengesojig verbreitet, er dringt bis in die Stadt, und heisst
es eines Morgens, die Sirene habe gesungen, so kann man sicher darauf zählen, dass eine
Anzahl Frauen, die sjch eben unter die Bedrohten rechnen, aus Messina in ein höher ge-
legenes Städtchen auswandert, wo, wie sie glauben, der Fluch des Sirenengea&ngea sie nicht
erreichen kann. Was die Schiffer eigentlich unter dem Singen der Sirene verstehen, habe
ich nicht zu ermitteln vermocht; die Antwort lautet einfach: wir haben es gehört. Die Sirene
singt auch: nicht gerade bei stürmischem Wetter, so dass man annehmen könnte, es sei ein
besonderes Pfeifen des Windes oder Rauschen der tobenden Wellen — nein, dieses sonderbare
Singen ertönt meistens bei ganz ruhigem Wetter, und keine Macht des Himmels oder der
Erde würde im Stande sein, den Schiffern auszureden, dass sie es gehört haben. Dass dieser
Aberglaube ein Ueberbleibsel der alten griechischen Zeiten ist, wird wohl niemand be-
streiten; woher anders käme dem ungebildeten Fischervolk der Gedanke an einen ^Sirenengesang
als aus den Ueberlieferungen der griechischen Mythologie? Sonderbar bleibt es Jedenfalls,
dass gerade diese ganz untergeordneten Halb- oder Viertelsgötter sich durch die Jahrhunderte
im Munde des Volkes erhielten, während Zeus und Poseidon und sogar Aphrodite längst
daraus verschwunden sind.*
Schneegans nimmt hier wohl, wie mir scheint, einen zu ausgesprochenen klassisch-
griechischen Standpunkt ein. Nach meiner Meinung handelt es sich hier um
ein höchst interessantes üeberlebsel, welches um Vieles älter ist, als das Griechen-
thum in Sicilien. Ganz sicherlich gehören auch die Sirenen^ wie so viele
andere halbthierähnliche, halbmenschenahnliche Gottheiten, einer Jahrhunderte hin-
durch vor der griechischen auf den Inseln des Mittelmeeres herrschenden
Cultur an, von der uns ihre auf Gemmen dargestellten Bildnisse, die sogenannten
Inselsteine, Zeugniss ablegen. Es scheinen dieses alles verderbenbringende
Gottheiten gewesen zu sein, die der griechische Olympier mit seiner Schaar in
unbedeutende Nebenrollen zurückgedrängt hat. Von ihrem Wesen wissen wir
leider sehr wenig. Wahrscheinlich steht es mit der einst herrschenden Anschauung
von der dämonischen Wirkung der Sirenen im Zusammenhange, dass die alten
griechischen Mythologen, welche sie zweifellos aus einer früheren Religion über-
nommen hatten, sie als die Gespielinnen der Persephone^ also der Todesgöttin,
aufgefasst haben.
LIX. Die Therapie des Wochenbettes.
375. Das Zurechtlegen der Genitalien im Wochenbett.
Die ausserordentliche Grössenzunahme, welche die Gebärmutter während der
Schwangerschaft erleidet, und die plötzliche Formyeränderung, welche darauf
durch cUe Entbindung hervorgerufen wird, konnte sehr leicht zu dem Gedanken
föhren, dass nun etwas Besonderes geschehen müsse, um die verschobenen und
gezerrten Geburtstheile in ihre richt^e Lage und Form zurückzubringen.
SusrtUa lehrt, dass der Uterus während der Geburtsarbeit herabgetreten
sei; um ihn an seinen alten Platz zu schieben, soll man den Finger mit Haaren
umwickeln und das Collum Uteri abwischen, oder mit der geölten Hand, deren
Nägel gut beschnitten sind, die Gebärmutter reponiren. Zu dem gleichen Zwecke
wurden auch die Hände und Füsse der Wöchnerin mit der gepulverten Wurzel
von Gocus nucifera bestrichen und ihr Kopf mit dem Milchsaft einer Euphorbia
besprengt.
Auch in Palästina herrscht die Anschauung, dass man nach einer Nieder-
kunft die Geschlechtstheile wieder in Ordnung bringen müsse. Zu diesem Zwecke
begleitet die Hebamme, wie Tobler berichtet, die Wöchnerin auf ihrem ersten
Gange in das öffentliche Bad; dann wird die Frau auf den Boden gelegt und die
Hebamme fährt ihr darauf einen festen Körper, dessen Zusunmensetzung ihr 6e-
heimniss ist, in die Scheide ein, und, um denselben recht hoch hinau&utreiben,
stemmt sie ihren Fuss gegen die Genitalien der Wöchnerin und zieht deren Füsse
gewaltsam an sich.
Auf Ambon und den Üliase-Inseln wird sofort nach der Entbindung der
Uterus, wie sie sagen, ,an seinen Platz gestellt^. Man glaubt damit einen Vor-
fall der Gebärmutter zu verhüten.
Auch auf den Luang- und Sermata-Inseln wird der Uterus «gehörig zu-
rechtgelegt* und dann die Wöchnerin zehn Tage lang mit feingekauter Kaiapa
eingerieben. Eine ähnliche Massage ist aus dem gleichen Grunde auf den Aaru-
Inseln und auf den Inseln Leti, Moa und Lakor gebräuchlich. (RiedelK)
Unter den Galela und Tobeloresen, welche auf Djailolo und den
benachbarten Inseln Niederländisch-Indiens wohnen, muss die Wöchnerin
zehn Tage hinter einander mit warmen Steinen, welche mit Kalapanuss in ein
Tuch gewickelt sind, gedrückt werden, um das sogenannte weisse Blut auszu-
pressen. (Biedel.)
AUcsnis berichtet Folgendes von den Letten:
.Nicht selten, wenn irgendwelche Abnormit&ten im Wochenbettverlauf sich einstellen,
erklären die alten Hebammen, .dass die Gebärmutter aufgeblasen sei", .dass sie nicht an
ihrem Orte liege", .dass sie sich emporgerichtet habe*, «dass sie auf das Herz sich begeben
habe* u. s. w., und erbieten sich, diesem Zustande dadurch abzuhelfen, dass sie .die durch
376. Die B&ucherungen im Wochenbett. 313
die Geburt verlagerten inneren Organe' wiederum manuell «zurecbtatellen und an einander
f&gen* wollen. Dazu dienen verschiedene Manipulationen, welche dem «Streichen' nahe-
kommen und gewisse Handgriffe der Massage des Abdomens repräsentiren; sie werden nicht
selten in der Badestube ausgeführt. Dr. Blau schreibt, dass hierbei auch die verwundeten
Geschlechtstheüe berührt würden, dass somit auch innere Eingriffe in den Oeschlechtskanal
stattfinden, welche leider allzuoft Wochenbettfieber im Gefolge hatten.*
Auch gegen die Erschlaffung der Scheide sind eine Anzahl Ton Maass-
nahmen gerichtet. SusrtUa lies Einspritzungen machen von einem höchst com-
plicirten Medicament. Dasselbe wurde hergestellt, indem man einen Liqueur mit
Pfeffer, weissem Senf, Gostus, Cocus nucifera, Euphorbien-Milchsaft und Hefe
mischte; das musste dann eine Zeit lang stehen und Tor dem Gebrauche wurde
noch Oel mit weissem Senf hinzugesetzt.
Auf Ambon und den IT Hase- Inseln gebraucht man, um die Mutterscheide
zu reinigen, oder, wie sie sich äussern, dieselbe zusammenzuziehen, die Abkochung
von einigen bestimmten 'Blättern (Ghavica betle, Sygyzium Jambolanum und
Psidium guajava). Die Tanembar- und Timorlao-Insulanerinnen werden nach
der Entbindung an den Genitalien mit einem lauen Auszug tou Yitex pubescens
gewaschen. AufEetar benutzt man f&r diese Waschung den Saft der gekochten
Blätter von der Chavica betle. (Riedel^,)
Um die Vagina nach der Entbindung zu contrahiren, schmieren die Somali
in Ost-Afrika halbgelöschten Kalk, die Waswaheli-Frauen zuweilen Citronen-
saft in die Vagina. {Hildebrandfi,) Bei den Loango-Negern reinigt und reibt
die Wöchnerin die Genitalien, bis jede Absonderung aufhört, mit Blattbüscheln
von Ricinus communis unter Anwendung Ton Wasser. {Pechud-Loescke.)
Eine Reihe von anderen Maassnahmen, welche ähnliche Zwecke verfolgen,
namentlich die Räucherungen und die Umschnürungen des Unterleibes, werden
wir in späteren Abschnitten noch kennen lernen.
376. Die BUncherungen im Wochenbett.
Wir begegnen bei einer Anzahl von Völkern der eigenthümlichen Sitte, die
Frischentbundenen einer regulären Räucherung auszusetzen. Der diesem Gebrauche
zu Grunde liegende Gedanke wird uns durch die Einwohner von Ambon und
den Uliase -Inseln verständlich, welche es geradezu aussprechen, dass sie hier-
durch die Blutung aus der Gebärmutter zu stillen und auf die während des Ge-
burtsactes gedrückten und gequetschten Theile der äusseren Scham lindernd ein-
zuwirken beabsichtigen. Die Wöchnerin verharrt hierbei in derselben Stellung,
welche sie für die Niederkunft eingenommen hatte, knieend mit gespreizten Beinen,
und dann wird unter ihre Genitalien ein mit Essig gefüllter irdener Topf gestellt,
in welchen man drei heisse Steine legt, die nun einen erheblichen Dampf ent-
wickeln. Auf den Tanembar- und Timoriao -Inseln stellt sich die Wöchnerin
breitbeinig über einen Feuemapf, für den der Ehemann das Brennholz bringen
muss, um so den Rauch gegen ihre Genitalien gehen zu lassen. Auf den Inseln
Romang, Dama, Teun, Nila und Serua bettet man die Entbundene auf ein
erhöhtes Lager, unter welchem der Gatte ein Feuer erhalten muss, damit die
Lochien aufhören. (BiedelK) In Tahiti wird nach Wüsan und Moerehhout die
eben entbundene Frau nebst ihrem Kinde in ein möglichst heisses Dunstbad ge-
bracht und gleich darauf kalt gebadet. Nach Ändersan's Angabe ist dieses Dunst-
bad dazu bestimmt, die Frau vor lästigen Nachwehen zu schützen. Bei den
Tobeloresen sitzen die Wöchnerinnen täglich einige Stunden mit den entblössten
Genitialien über einem steinernen Geföss mit Wasser, in welches, um eine Art
Dampfbad zu erzeugen, glühende Steine geworfen werden. (Riedel.)
814
LIX. Die Therapie des Wochenbettes.
Zu Dorei auf Neu- Guinea werden die Wöchnerin und ihr Kind alsbald
nach der Geburt gebadet und darauf neben ein so starkes Feuer und so nahe an
dasselbe gesetzt, als die Mutter immer auszuhalten yermag. (de Bruijhkops.)
Den Chinesinnen (Hureau) legen die Hebammen zwischen die Schenkel
einen heissen Ziegelstein, mit dem sie aromatische Dämpfe erzeugen. Nachdem
die Annamiten-Frau in Cochinchina entbunden ist, wird sie Ton der Heb-
amme mit einem in Wasser (von der Temperatur der umgebenden Luft) ge-
tauchtes Linnen umhüllt.
Sie muBs sich auf den Rücken legen; man schneidet von der Matte und von ihren
Kleidern Alles ab, was von Blut verunreinigt und durchnässt worden; man setzt die Oefen
mit Holzkohle in Thätigkeit, welche auf oder unter die Hürde gestellt werden, die der
Wöchnerin als Bett dient; und auf diesem Bett und in derselben Hütte muss die Frau, ohne
sich zu waschen, als höchstens an den äusseren OeschlechtstheUen, unausgesetzt während
20 bis 80 Tagen liegen. Jene heizenden Oefen unter dem Bette verursachen oft an den
Hinterbacken der Frau Verbrennungen ersten, bisweilen sogar zweiten Grades, aber die Wärme,
welche sie entwickeln, trocknet nach Mondüre die Lochien-Absonderung bis zu einem Grade
ans, dass sich vielleicht minder häufig Wochenbetts-Erkrankungen entwickeln.
Fig. S27. Woohenlager der Slam esin. (Nach Photographie, ans P/ost ».)
Eine nähere Beschreibung des siamesischen Verfahrens, von dem schon
Marco Polo berichtete, und durch welches die Wöchnerin 30 Tage lang einem
wahren Fegefeuer ausgesetzt wird, liefert House:
„Auf dem Boden der Wochenstube wird eine herbeigeholte oder extemporirte Feuerstatt
aus einem flachen Kasten errichtet, oder ein einfaches Gestell aus Bohlen oder Stämmen des
Bananenbaumes, viereckig, etwa 3 Fuss lang, 4 Fuss breit, im Innern 6 Zoll hoch mit Erde
gef&llt. Hierauf werden nahezu handgelenkbreite Holzscheite ziun Feuer angelegt Längs
der einen Seite dieses länglichen Vierecks und dicht daran in gleicher Höhe mit dem Feuer
wird ein 6 bis 7 Fuss langes Brett und auf dieses eine rohe Matratze gelegt; auf dieser oder
dem blanken Brette kommt das unglückliche Weib ganz nackt zu liegen, abgerechnet einen
schmalen Tuchstreifen um ihre Haften, weiter schützt sie nichts gegen das Feuer, an welchem
eine Ente braten würde (Fig. 827). Darauf setzt sie als Selbstbratenwender Vorder- und
Hinterleib dieser ausserordentlichen Hitze aus. So bringen einen Monat lang die Wöchnerinnen
nicht nur in Siam, wo auch nur heisses Wasser den Durst der Leidenden löschen darf,
sondern auch fast aUe Stämme der indochinesischen Halbinsel und des Bangkok zu.
Die Gambodjanerinnen bringen es noch zu höherer Ausbildung, denn sie bringen ihr
Ruhelager, die Bank aus Bambusstäben, worauf sie liegen, nicht entlang dem Feuer, sondern
wirklich über demselben an, so dass Rauch und Hitze mit voller Wirkung aufsteigen."
376. Die R&acheruDgen im Wochenbett.
315
Die mohamedanischen Malayen beobachten diese Sitte gerade so, wie
die buddhistischen Siamesen; sie scheint also nicht religiösen Ursprungs zu
sein. Bowing nimmt an, dass ihr der unbestimmte Gedanke der Reinigung zu
Grunde li^e, und wir können ihm hierin wohl beistimmen. Nach Uouse hat der
Brauch den einzigen Nutzen, dass die Frau sich wenigstens einen Monat lang von
den häuslichen Geschäften fernhalten muss.
Schlagintweit berichtet, dass in Birma die Wöchnerin sogleich nach der
Geburt des Kindes mit Gelbwurzel eingerieben imd dann durch heisse Steine,
durch Wärmpfannen, sowie durch warme Zudecken zum Schwitzen gebracht wird,
unter ihrem Lager wird ein Kohlenbecken angezündet, auf das man stark riechende
Kräuter wirft Nach einem anderen Berichte muss sie mit völlig entblösstem
Körper 5 bis 10 Tage hinter einander imausgesetzt auf der Seite am Feuer
liegen und zwar so dicht, dass oft durch die Hitze auf ihrer Haut ein Ausschlag
entsteht. Schlagintweit giebt femer an, dass die Wöchnerin schon am 7. Tage
einem Dampf bade ausgesetzt werde. Ein grosser Topf mit kochendem Wasser
wird unter einen Sitz gestellt, auf welchem die Frau, in Matten und Tücher ge-
hüllt, eine volle Stunde ausharren muss. Am 8. Tage geht sie dann wieder an
ihre gewohnte Beschäftigung.
Fig. 828. Wöchnerin derRouconyenne-Indianer (Süd- Amerika) im Dampf bade.
(Nach Crevaux.)
Auch die Roucouyenne-Indianerin am Yary-Fluss in Süd-Amerika
muss gleich nach der Niederkunft ein Dampfbad nehmen. Zu diesem Zwecke
lefft sie sich in eine Hängematte, unter welcher glühend gemachte Steine aufge-
schichtet werden. Die letzteren werden dann mit kalt^ Wasser übergössen,
wodurch eine starke Entwickelung von Wasserdämpfen veranlasst wird. (Fig. 328.)
Nach Bied muss sich die Indianerin von Los Angeles in Galifornien
ebenfalls gleich nach ihrer Entbindung einer Bäucherung unterziehen. Diese
Vornahme hat die Bedeutung einer Reinigungsceremonie für Mutter und Kind.
Das hierbei eingeschlagene Verfahren ist folgendes:
Mitten in dem Fnssboden der Hfitte wird ein Loch ausgegraben und darin ein Feuer
entzündet, in welchem grosse Steine bis zur Rothgluth erhitzt werden. Ist das Holz zu Asche
316
UX. Die Therapie des Wochenbettes.
verbrannt, so wirft man Büschel yom wildem Farrenkrant darauf und deckt das Ganze mit
Erde zu, so dass nur eine kleine, schomsteinartige Oefifnung erhalten bleibt, üeber diese
muss sich die Mutter stellen, mit ihrem Kinde auf dem Arm, dicht von einer Matte umhüllt.
Dann giesst man Wasser durch die Oeffnung und verursacht dadurch einen ungeheuren Dampf.
Durch die Hitze wird die Frau zuerst gezwungen, zu hüpfen und zu springen, und dann folgt
eine reichliche Transpiration. Ist kein Qualm mehr hervorzurufen, dann legt sich die Wöch-
nerin mit dem Kinde auf den Erdhaufen nieder, bis die Procedur von Neuem wiederholt
wird, was 8 Tage lang Morgens und Abends geschieht.
Bei den Goroados in Süd-Amerika wird nach v. Spix und v. Martins
die Wöchnerin mit ihrem Kinde durch einen Priester mit Tabak geräuchert.
Wir dürfen hierbei nicht vergessen, dass bei den Indianern Amerikas ein
feierliches Tabakrauchen zu Ehren der Gottheit bei keiner rituellen Handlung
zu fehlen pflegt.
Von den Wöchnerinnen in Abyssinien berichtet JBZanc, der Gefangener
des Königs Theodor in Magdala war, dass sie sich gleich nach der Entbindung
^^^^_____^^.,,^^__^^^^^__^^^^^^^ auf ein hölzernes Buhebett legen, unter dem
i^:->^ man aromatische Kr&uter aufhäuft und diese
f^ in Brand versetzt. Dichter Qualm hüllt dann
j£^V die Unglückliche ein, die von kräftigen Männern
^^ auf ihrem Lager festgehalten und am Entfliehen
gehindert wird. (Bechtinger.)
In Algerien räuchert man die Genitalien
der Wöchnerin mit Kuhmist, den man auf
glühende Kohlen wirft.
Auch die Bogos in Afrika räuchern
die Wöchnerin, und zwar aus rituellen Gründen,
um sie einem Processe der Reinigung zu unter-
ziehen.
Im Sennaar werden nach Hartmann
^'■w6cL\\1^n'Z\ljlSZ^i.T''''' Raucherungen der öenitaUen bei der Wöch-
(Aus Dryandtr:) ueriu durch mehrere Tage angewendet« Man
bedient sich dazu der Acacia ferruginea, von
welcher man glaubt, dass sie eine stärkende Einwirkung auf die Geschlechts-
theile habe.
Bei den Somali wird nach TaiHfischkt
„die Wöchnerin über und über mit Decken und Matten verhüllt, unablässig mit riechen-
den Hölzern und Weihranch ausgerftuchert, gewaschen und mit rührender Z&rÜichkeit be-
handelt. Indessen erhebt sie sich nach fünf bis sechs Tagen bereits aus dem Wochenbette
und trachtet ihren Geschäften wieder nachzugehen, doch meidet sie M&nnergesellschaft, das
Neugeborene in einem Baumwollenwust auf dem Rücken tragend.*
Auch bei den Samojeden wird die Frau durchräuchert, doch erst am
Schlüsse des Wochenbettes. Bei den letzteren liegt diesem Verfahren ebenfalls,
wie bei den Bogos und den Cor.oados, der Begriff der Reinigung zu Grunde.
Den gleichen Zweck hat bei den Hindus die Durchräucherung der Wöch-
nerin und der Wochenbettshütte. Aus therapeutischen Bücksichten wurde aber
bei den alten Indern die Entbundene durchräuchert; sie benutzten hierzu Echites
antidysenterica, Cucurbita lagenaris, Sinapis dichotoma und Schlangenhäute.
In früheren Zeiten waren auch in Deutschland Räucherungen der Wöch-
nerin (und auch der Menstruirenden) sehr gebräuchlich. lieber ein Kohlenbecken
wurde ein Trichter gesetzt, oder der Apparat war so construirt, dass der Trichter
mit dem Becken ein einziges Stück bildete. Diesen Apparat stellte man unter
einen Stuhl, auf den die Wöchnerin sich setzen musste. Sie wurde ganz in
Decken eingehüllt, so dass nur noch ihr Kopf zu sehen war. Fig. 329 zeigt solche
Verhüllte nach einer Abbildung in Joannes Dry anderes Artzenei- Spiegel vom
Jahre 1547.
877. Das Baden der Wöchnerm. 317
877. Das Baden der Wöchnerin.
Wir haben bereits einige Beispiele kennen gelernt, dass mit den Räuche-
rungen der Begriff der Reinigung der soeben Niedergekommenen verbunden ist.
Die allerschnellste und ein&cnste Reinigung, allerdings ftir's erste im realen und
nicht in dem übertragenen religiösen Sinne, ist aber unstreitig das Bad. Und
dass wirklich die Weiber vieler halbcivilisirten Nationen sofort nach der Nieder-
kunft im ersten besten Wasser, das sich ihnen darbietet, ein Reinigungsbad
nehmen, das haben wir bereits in einem früheren Abschnitte erfahren.
Die Reinigung der Wöchnerin bei den Völkern Ost-Afrikas, den Wa-
kamba und ihren Nachbarn, den Wakikuyu u. s. w., geschieht gewöhnlich nur
durch Waschungen mit warmem Wasser.
Bei den Loango-Negern ninunt die junge Mutter an einem gegen Neu-
gierige geschützten Orte neben der Hütte zahlreiche Bäder. Zu diesem Behufe
setzt sie sich in eine Vertiefung in der Erde, welche mit Matten ausgekleidet ist,
und dann lasst sie sich mit den hohlen Händen abwechselnd kaltes und warmes
Wasser auf den Leib schütten, der danach auch noch gedrückt und geknetet wird.
Blyth sagt von den Viti-Insulanerinnen: „Die Kindbetterin badet im
Hause an dem der Entbindung folgenden Tage, sowie auch am zweiten und dritten,
aber am vierten und an den folgenden geht sie zum Flusse zum Baden. **
Die Wöchnerin bei den Igorroten auf Luzon muss nach Meyer die ersten
10 Tage hindurch mit ihrem Kinde täglich mehrmals baden.
Zweimal täglich badet auch bei den Badagas im Nilgiri-Gebirge die
Wöchnerin, aber nur während 2 bis 3 Tagen. Bei den Naya-Kurumbas in
dem gleichen Gebirgslande wird nach Verlauf eines halben Tages die Mutter und
das Kind mit warmem Wasser gewaschen. (Jagor,)
In Ost-Turkestau nimmt nach ScJdaginiweit die Wöchnerin erst am
14. Tage ein Bad; dann legt sie auch neue Kleider an und sie darf nun Besuche
empfangen.
Bei den Omaha- Indianern wird die Wöchnerin im Sommer mit kühlem,
im Winter mit lauem Wasser gewaschen und täglich zweimal muss sie baden.
Eine Wöchnerin bei den Feuerländern am Cap Hörn konnte liyades
beobachten. Er berichtet darüber Folgendes:
,Le jour mdme de raccouchement, la m&re est all^e seule prendre d'heure en heure
quatre bains de mer, le premier qaatre heures apräs sa d^livrance. Noas avons asdstd, 4
51^ du soir, au dernier de ses bains, qui ä dur^ un quart d'heare et s'est pass^ comme suit.
La mer est haute 4 ce moment: sor la plage, la nouvelle accouch^e se d^shabille rapidement
(son costmne consistait en un vieuz gilet de chasse, par-dessus une vieille chemise), en tour-
nant le dos ä la lame; eile entre ä reculons dans la mer, de mani^re k avoir de Teau jusque
sous les seins. Elle se lave alors, avec les deux mains, tont le corps, et sp^cialement le cou,
las aisselles, la poitrine et les parties genitales. Cela fait, eile se l^ve et vient s'accroupir,
toijjoiirs Bur ses talons et toumant le dos ä la lame, un peu plus prte du bord de la plage,
de mani^re ä avoir de Teau jusqu'aux genoux. Elle reste une minute dans cette position et
ne se lave plus que les parties genitales, et moins qu*auparavant. Elle se l^ve encore pour
aller 8*accroupir dans la mßme position, tout au bord de la plage, n*ayant de Teau que jus-
qu'aux cheyilles au moment de Tarriv^e de la yague: il en r^sulte une esp^ce de doucbe
vaginale. L'accouch^e reste dans cette position plusieurs minutes, sans se layer. Elle nous
dit alors que c'est son quatriäme et demier bain de la joum^e, que les bains pr^c^dents
^taient identiques ä celui-ci, et que les jours suivants eile en prendra deuz par jour; eile
ajoute, que toutes les femmes fuägiennes en fönt autant apr^s leur accouebement."
„La temp^ratnre de Tair ^tait alors -f- 2,7^, celle de Teau de mer -|- 4,70; le vent
4tait vif: N.-N.-O. 5m par seconde. Le pouls de raccouch^e au sortir de son bain ^tait ä 84.
Quelques minutes avant le bain, eile ^tait all4e, comme d'habitude, puiser de Teau ä 100 m
de sa hutte, avec deuz autres femmes qui, d'ailleurs, ne s'occupaient pas d'elle."
Am 11. Tage nahm sie ihr letztes Bad und am 13. Tage brachte sie den
ganzen Tag in ihrer Piroge beim Fischfange zu.
318 LIX. Die Therapie des Wochenbettee.
Auch die Weiber der Orang Laut in Malacca waschen sich, wie Stevens
berichtet, schon eine halbe Stunde nach der Niederkunft in der See und sie gehen
schon nach wenigen Tagen ihrer gewohnten Beschäftigung nach. (Bartels''.)
378. Das Waschen und das Schwitzen der Wöchnerin.
Häufiger noch als die Sitte des Badens treffen wir die Gewohnheit an, dass
die Wöchnerin sich bestimmten Waschungen zu unterziehen hat, denen nicht
selten medicamentöse Substanzen beigemischt sind.
So nimmt die Gampas-Indianerin (Peru) sofort nach der Geburt eine
Waschung mit dem Aufguss Ton Huitoch, einer adstringirenden Frucht, vor;
dies sind die Genipaäpfel einer Rubiacea, die wohl eine Blutung verhindern sollen.
(Qrandidier.)
Bei den mexikanischen Indianern fährte nach der Angabe des Diego
Garcia de Falacio (1576) am 12. Tage nach der Geburt die Hebamme die Wöch-
nerin an den fluss, um sie zu baden, und weihte das Wasser mit Gacao und
Capöl, damit es ihr nicht schaden möge.
Die Wöchnerin in der südindischen Sclaven-Kaste der Yedas wäscht
sich vom 11. Tage an täglich mit warmem Wasser und Turmerik und reibt dann
ihren Körper mit Oel ein. Vom 30. Tage an verrichtet sie wieder harte Arbeit ;
das Waschen aber wird einen Monat lang fortgesetzt. (Jagor.)
Bei der Nay er- Kaste in Indien besorgt das tägliche Waschen mit warmem
Wasser eine Dienerin, die ihr zuvor den Körper mit Ricinusöl einreibt und sie
knetet. Das Oel wird rein oder mit Kräutern gemischt verwendet; ein Arzt oder
Sterndeuter schreibt die zu verwendende Sorte und die Dosis vor. (Jagor.)
Von den Wöchnerinnen der Orang Bglendas in Malacca sagt Stevens^
dass sie täglich von der Hebamme aus einem mit besonderen Zaubermustem be-
malten Bambusgefasse gewaschen werden, aber man darf 10 Tage lang dazu kein
kaltes Wasser nehmen. (Bartels'^.)
Die Wöchnerinnen bei den Parsen waschen sich mit dem für reinigend
gehaltenen Kuhurin; des gleichen unappetitlichen Medicamentes muss sich auch
die Entbundene bei den Hottentotten bedienen.
Bei den Kirgisen des Gebietes Semipalatinsk erhebt sich die Wöchnerin
nach drei Tagen vom Lager, wenn ihre Kr^te es erlauben, und geht, auch im
Winter, in die Badestube; im Sommer wäscht sie sich daselbst mit einem Auf-
guss von Haidekraut.
In recht erheblichem Gegensatze hierzu steht die Sitte in Jerusalem,
dass die Wöchnerin sich die ersten 8 Tage überhaupt nicht waschen darf; später
aber ist es ihr erlaubt, jedoch darf sie nur warmes Wasser dazu benutzen. Am
20. Tage wird sie, nach der Mittheilung des arabischen Dolmetschers Baud d
Kurdi an Gonsul Bosen^ in das Bad gebracht, und ihr dort nach der Waschung
zunächst der Rücken und dann der übrige Körper mit einem Pulver von aro-
matischen Substanzen, als Zinunt, Muskatnuss u. s. w., stark eingerieben.
Dass mit den im vorigen Abschnitte besprochenen Räucherungen ein starkes
Transpiiiren der Wöchnerin in den meisten Fällen unvermeidlich und mx nicht
selten ganz direct beabsichtigt worden ist, das haben wir im vorigen Abschnitt
bereits gesehen. Wir finden dieses übermässige Schwitzen z. B. im Gouv. Ar-
changel und in anderen Gegenden Russlands. Hier geht die Wöchnerin mit
dem Kinde sofort in die Badestube, um zu schwitzen; das wird 4 bis 6 Stunden
lang fortgesetzt und drei Tage hinter einander wiederholt. Auch in Astrachan
sucht nach Meyerson die Entbundene mit dem Kinde unmittelbar nach der Nieder-
kunft die Badestube auf; »hier werden beide gepeitscht und gerieben; dann bringt
man sie beide in ein Federbett ''.
378. Das Waschen und das Schwitzen der Wöchnerin.
319
In Japan war es allgemeiner Gebrauch, dass die Wöchnerin am 6. Tage
nach der Entbindung ein warmes Bad, gewöhnlich mit einer Beimischung von Salz,
nahm, und dann durch warmes Zudecken eine starke Transpiration hervorzurufen
bemüht war. Kangawa eiferte im vorigen Jahrhundert gegen diese Sitte:
^Man sieht dann,'' sagt er in seinem Bache San-ron, ,dass die bis dahin ganz gesunde
Wöchnerin von Manie, Delirien, Fieber, Exanthemen und dergl. plötzlich befallen wird; sie
ist dann meist unheilbar und wird durch die schwächste Krankheit hingerafft. Bei der Be-
handlung der Geburt bin ich hinsichtlich aller anderen Yorschrifben nicht sehr streng gewesen,
wohl aber muss ich das beim Bade sein, weil ich zu viel Unheil davon befürchte. Nach S
Tagen soll man mit einem in Wasser getauchten Tuche allen Schmutz abwischen, und zwar
erst die noch bedeckte untere Eörperhälfte und dann die obere für sich. So wird der Körper
gereinigt und die Wirkung ist wie die eines Vollbades, aber es können sich so keine , Diebs*
Winde* einschleichen.*
Die Neugeborenen in Japan werden aber gleich von der Hebamme in
einem Holzzober gebadet, und zwar setzt die Hebamme, wie der in Fig. 33Q
wiedergegebene japanische Holzschnitt zeigt, dabei ihre Füsse mit in das Bade-
Fig. 330. Das Baden des Neugeborenen. (Nach einem Japanisohen Holzschnitt.)
wasser. Auf einem Bilde, das wir später kennen lernen werden, finden wir die
gleiche Situation. Wir müssen hierin also wohl eine besondere japanische Sitte
erkennen. Vielleicht hat dieselbe den Zweck, die Temperatur des Bades zu con-
troliren, ähnlich wie bei uns die Landhebammen mit dem entblössten Ellenbogen
fahlen, ob das Badewasser die gehörige Wärme besitzt.
Bei der deutschen Landbevölkerung ist das Schwitzen im Wochenbett
noch weit verbreitet. Soll es aber von Erfolg begleitet sein, so muss es ordent-
lich und gründlich geschehen. Flügel berichtet vom Frankenwalde und Gold-
Schmidt aus dem nordwestlichen Deutschland, dass dabei der Ausbruch eines
Frieselausschlags, des sogenannten Wochenbettfrieseis, nicht selten ist. Wolf-
Steiner schreibt von .der bayerischen Oberpfalz, dass dort in den grossen
Himmelbetten viele Wöchnerinnen zu Qrunde gerichtet würden. Sie müssen in
320 Ll^* ^i® Therapie des Wochenbettes.
den ersten Tagen des Wochenbettes beständig schwitzen, nnd um dieses zu be-
werkstelligen, werden sie mit schweren Federbetten belastet und mit Massen
warmen Thees getrankt. Dadurch entstehen häufig Frieselbläschen, die bei yer-
nünfbigem Verhalten sonst im Wochenbett eine höchst seltene Erscheinung sind.
Werden nun von einer sorgsamen Nachbarin solche Bläschen entdeckt, so werden
die Decken noch vermehrt, der Thee wird noch heisser und freigebiger gereicht,
damit der Friesel ja herausgeht, imd es wird dadurch nicht nur der Friesel, son-
dern auch nicht selten die Seele der Wöchnerin fbr immer herausgetrieben.
379. Das Binden des Leibes bei der Wöchnerin.
Manche Völker, namentlich solche, bei welchen in allen Lebenslagen das
Massiren eine hervorragende Bolle spielt, halten es fQr durchaus erforderlidi, dass
auch in der Periode des Wochenbettes die Frau gehörig ^^estrichen und geknetet
werde. Da dieses Verfahren aber natürlicher Weise nicht Tage und Nächte hinter
einander fortgesetzt werden kann, da man aber andererseits einen stetig auf den
jetzt nach der Entbindung schlaffen und nicht selten von Darmgasen aufgetriebenen
Unterleib einwirkenden Druck f&r wünschenswerth halt, so finden wir bei vielen
Nationen die Sitte, der Wöchnerin den Unterleib durch fest angelegte Binden
einzuschnüren.
Die allermildeste Form dieser Behandlungsmethode finden wir im östlichen
Turkestan. Hier wird unmittelbar nach der Entbindung den Weibern die innere
Seite eines frisch abgezogenen und mit adstringirenden Pflanzensäften eingeriebenen
Schaffelles auf den Bauch gel^t, um eine Zusammenziehung des Leibes und ein
Schlankwerden desselben zu bewirken, {ßchlagintweit.)
Dieses erinnert an ein Verfahren, das WitkowsJci nach Jacques DuvcU citirt:
«Quelques-imes appliquent rarri^re-faix snr le ventre, soudain qull a ^tä tire. Mais
il est meillenr et de trop plus certain, d'avoir an moaton noir, qni sera escorchö tout vif, en
la chambre de la malade, poor de la peaa toute ohaude, parsemöe de poudre de roses et de
myrtiles, lui envelopper les reins et le bas ventre. Et sous los exträmit^s de ladite peau
sera ötendue la peau d'un li&vre, qui par semblable sera tir^e dudit animal yivant, lequel
sera ä Pinstant ögorg^, et le sang re9U dans sa peau, pour d'icelle tonte ohaude et sanglante
couvrir tout le ventre inf^rieur. A raison que ce sang tout chaud, qui est r^put^ grossier
et mölancolique, d'une grande vertu de conforter la matrice et parties adjacentes, qui mesmes
oste les rides du ventre.**
Wifkowshi erzählt dann noch nach Dionis^ dass bei der ersten Niederkunft
der Dauphine AnnorMaria-Victoria von Bayern im Jahre 1682 ihr Leibarzt
Clement ihr den Leib mit dem frisch abgezogenen Fell eines schwarzen Hammels
einhüllen wollte.
,11 fallait que Top^ration du boucher se fit dans une chambre voisine de celle de
raccoQch^e; or, il arriva que le mouton tout sanglant suivit son bourreau jusqu^aupres du lit
de la Dauphine. L'efi&oi que produisit ce spectacle fit, qu'on renon9a k cette pratique
aus autres couches de la Dauphine.*
Wenn bei den Kirgisen des Gebietes Semipalatinsk die Oeburt beendet
ist, wird der Leib der Frau mit Binden gewickelt.
Nach der Entbindung wird der malayischen Wöchnerin auf der Insel
Luzon (Philippinen) ein dicker Gharpiebausch auf den Unterleib mit einem
dicken Bande befestigt. (Pardo de Tavera.) Auch die Igorrotin muss daselbst
nach Meyer S Wochen hindurch nach der Entbindung eine Leibbinde tragen.
Im südlichen Indien wird, wie Shortt berichtet, der Frau sogleich nach
der Niederkunft ein Stück von ihrem Kleide wie eine Binde um Becken und
Bauch geschlungen.
879. Das Binden des Leibes bei der Wöchnerin. 321
Das Binden des Leibes hat in Niederländisch-Indien erst statt, wenn
die Wöchnerin einige Tage nach der Niederkunft zum ersten Male ihr Lager
verlässt. Van der Burg giebt an, dass sie hierzu ein langes, schmales Tuch be-
nutzt, welches zu diesem Zwecke mit einem Ende an einen Pfosten befestigt wird,
während sich die Frau Tom anderen Ende aus durch Drehungen um sich selbst
hineinwickelt.
Eine Frau aus Sumatra, welche Schwarz in Fulda entband, sollte ihm
dieses Einwickeln vormachen.
Sie liess sich am 1. Tage des Wochenbettes von der Hebamme den Leib leicht ein-
binden und legte am 2. Tage sich selbst eine Leibbinde anf folgende Weise an: Ein ca. eine
Elle breites und 16 Ellen langes Stflck Flanell klemmte die Frau an seinem einen Ende aus-
gebreitet zwischen die Eammerthür und deren Pfosten, der Art, dass sie die Thür schloss und
das in seiner Breite festgehaltene Ende in die entgegengesetzte Ecke des Zimmers brachte.
Dieses legte sie an ihrem Unterleibe glatt an und hielt es unter der* Brust und Über dem
einen Trochanter fest. Sodann bewegte sie sich, wie ein Kreisel sich drehend, der Kammer-
thQre zu, wodurch sie immer mehr Flanell auf ihren Unterleib aufwickelte, bis sie an die
Thür kam, dieselbe öffnete und das Ende der Binde an sich befestigte. Am vierten Tage
musste ihr die Hebamme die beiden Lendengegenden nach der Leisten- und SchoosgQgend
hin einige Male gelind streichen, um das stockende Blut wieder in Bewegung zu setzen und
auszuleeren.
Auf Ambon und den Uliase-Inseln wird sofort nach der Zurechtstellung
der Gebärmutter, wenn die Niederkunft vollendet ist, der ünterbauch mit einem
Bande festgebunden. {Riedel^)
Bei den Wöchnerinnen der Orang Belendas in Malacca wird nach
Stevens der Leib bisweilen mit einer Rindenbinde oder mit einem zusammenge-
legten Lendentuche gebunden. Dieses findet aber nicht immer statt. Auch bei
den Orang Laut bindet sich die Wöchnerin noch einen Monat hindurch die
Magengegend mit einem Sarong. {Bartels^)
Li Japan wird nach Kangawa jedesmal gleich nach der Entbindung der
Unterleib in der Nabelgegend sehr stark eingeschnürt, und zwar auf hundert Tage,
in der Absicht, Gongestionen vom Uterus aus nach dem Kopfe zu verhüten.
Uewan sagt, dass der Negerin in Old-Galabar sofort nach der Nieder-
kunft ein Handtuch dicht oberhalb der contrahirten Gebärmutter fest imi den
Leib geschlungen wird.
Auch der Leib der Omaha-Indianerin wird gleich nach der Entbindung
mit einer Binde gebunden. Beiden Ghirguanos-Indianern in Süd-Amerika
legt man die Entbundene mit dem Gesicht auf den Boden und schnürt ihr den
Unterleib mit einem Strick fest zusammen. (Thacar.)
Sannini schreibt aus dem heutigen Griechenland, dass man der Entbun-
denen eine breite leinene Binde massig fest um den Leib schlingt, die vom Busen
bis zu den Lenden reicht; hierdurch sollen die Weiber ihrem Unterleibe eine
gefallige Form bewahren.
Li Galizien „unterbindet* man die Gebärmutter, d.h. man legt unterhalb
des Gebärmutterkörpers einen aus grober Leinewand gedrehten Strick rings um
den Unterleib herum. Bisweilen wird auf den letzteren auch noch ein Topf wie
ein Schröpfkopf aufgesetzt.
Der Hamburger Arzt Rodericus a Castro berichtet im An&nge des 17.
Jahrhunderts, dass die Portugiesinnen gleich nach der Entbindung den Bauch
mit einer Binde zu umgeben pflegten; vielleicht kam diese Sitte durch ihn auch
in Deutschland auf; er war nämlich selber ein Portugiese. Dieses Binden
ist auch heute noch in vielen Gegenden Deutschlands gebräuchlich; Patdi be-
richtet es aus der Pfalz, Hildebrandt aus Ost-Preussen, und auch in der
Mark Brandenburg wird es geübt.
PlosB-Bartels, Das Weib. 5. Anfl. U. 21
322 LI^* ^io Therapie des Wochenbettes.
In Gross-Brltannien ist überall die Anlegung des Binder in Gebrauch;
auch in den Gebärhäusem, z. B. in Dublin, wird er sogleich nach der Nieder-
kunft angelegt und taglich gewechselt Diese Vorrichtung besteht in einem sehr
breiten Stück Zeug (meist Leinwand), das rings um den Leib angelegt und sehr
fest zugebunden oder mit Nadeln festgesteckt wird; nach vom befindet sich dar-
angenäht wie eine Schürze ein zweites Stück Zeug, das vor die Genitalien zwischen
die Schenkel zu liegen kommt zur Aufnahme des Lochialsecrets.
In Paris ist es allgemeine Sitte, nach der Entbindung den Leib mit einer
zusammengelegten Serviette zu bedecken und durch ein Handtuch, welches um
den Rücken gelegt imd vorn mit Nadeln zusammengeheftet wird, zusammenzu-
ziehen und zu unterstützen. (Osiander.)
In Steyermark legt man der Entbimdenen schwer^Leintücher auf den
Leib, um die Entwickelung eines Hängebauches zu verhütet. Auch pflegen
manche Hebammen daselbst «das Kreuz der Entbundenen einzurichten^, indem
sie einen anhaltenden Druck auf deren Ereuzbeingegend a\isüben; letzteres wird
von Fossel aus dem Sulmthale berichtet.
LX. Das diätetische Verhalten im Wochenbett.
380. Das Stehen und Sitzen im Wochenbett.
Bei vielen Völkern sind wir der Sitte begegnet, dass sofort nach der Nieder-
kunft die Entbundene sich auf die Füsse stellte und nicht selten sogar gleich
wieder umherging. Nicht immer ist dieses nur der Ausdruck der Indolenz und
der mangelnden Wochenbettspflege; bisweilen wird es in der wohl bedachten Ab-
sicht ausgeführt, den Abgang des Wochenflusses durch die aufrechte Stellung zu
befordern und zu beschleunigen.
An der Küste des Stillen Oceans verlangen einige Indianer-Stamme,
dass die Wöchnerin den grössten Theil des Tages aufbleibt; sie wandelt um das
Lager, bisweilen ausruhend; hierbei bedient sie sich eines Stockes; sie geht langsam
und beugt den Körper oft vor, wobei sie den Unterleib oberhalb der Gebär-
mutter gegen das obere Ende des Stockes stemmt. Mit diesem Verfahren, das
3 — 4 Tage fortgesetzt wird, beabsichtigt man, einen leichteren Abflnss der Lochien
herbeizu^hren. Nachblutungen sollen hierbei nicht beobachtet worden sein.
Häufiger wie dieses Stehen und 'Gehen finden wir das Sitzen im Wochen-
bett. Van der Burg sagt von der Wöchnerin in Niederländisch-Indien, dass
sie zuerst mit lauem Wasser gewaschen und übergössen wird, und dann ruht sie
einige Stunden in halbsitzender Stellung aus. Es ist ihr dabei nicht gestattet,
zu schlafen, und man hindert sie daran durch fortwährendes Ziehen an ihren
Haaren. Erst nach einigen Tagen steht sie auf.
Die Abyssinierin kommt nskch Blanc in der Knie - Ellenbogenlage nieder;
danach aber wird sie auf ein Lager gebracht, wo sie in sitzender Stellung aus-
harren muss.
Auch bei den Mincopies auf den Andamanen bringt die Wöchnerin,
wie Man berichtet, die ersten 3 Tage in sitzender Stellung auf einem kleinen
Lager zu, gestützt durch allerlei Gegenstände. Jagor fand eine Andamanesin
am ersten Tage nach der Entbindung am Erdboden sitzend; der Oberkörper war
gegen ein in den Boden eingeschlagenes Bambusgestell gelehnt; sie säugte ihr
Kind, und ihr Unterleib war mit einem Blatte der Fächerpalme (Licuala peltata)
bedeckt.
Die Heidelberger Handschrift des Sachsenspiegels, welche im 12. Jahr-
hundert geschrieben ist, zeigt in einer Abbildung, dass in dieser Zeit auch in
Deutschland das Sitzen im Wochenbette Sitte war.
Um das Jahr 1512 malte in Florenz Andrea del Sarto im Hofe des Ser-
vitenklosters Santa Annunziata ein Freskobild, das die Geburt der Maria
darstellt. (Fig. 331.) Die Costüme und sicherlich auch die Portraits sind der
Zeit des Malers entnommen, und wir haben in dem Gemälde die Wochenstube
einer vornehmen Florentinerin zu erkennen. Auch hier finden wir die Wöch-
nerin aufrecht auf ihrem Lager sitzend.
21«
380. Das Stehen und Sitzen im Wochenbett.
325
Ein chinesischer Arzt empfiehlt in seiner Abhandlung:
«Unmittelbar nach der Entbindung darf keine Wöchnerin sich niederlegen, sondern
sie muss aufrecht im Bette sitzen. Damit der Mutter aber dieses Aufrechtsitzen nicht zu
beschwerlich fällt, weil sie von der Geburtsarbeit abgemattet ist, müssen hinter ihrem Rücken
gehörige Polster und Kissen angebracht werden. Auch lasse man sie bei Leibe die Füsse
nicht etwa lang ausstrecken, sondern man sehe darauf, dass die Entbundene die Eniee auf-
wärts biege. In dieser Lage muss die Wöchnerin ganz ruhig sich verhalten und die Augen
fest zumachen; aber sie hüte sich ja, fest einzuschlafen, weil sonst gar leicht eine geiUhrliche
Wallung des Geblüts erfolgt, welche heftige Ohnmacht bewirken könnte. *" Jedes Geräusch
soll vermieden werden, damit die Wöchnerin nicht erschrecke; vor rauher Luft und vor Zug-
wind soll man sie schützen; da aber auch für frische Luft gesorgt werden müsse, so solle
man viermal tfiglich die Wohnstube mit starkem Essig räuchern.
Fig. 332. Japanische Wochenstabe, als Woohenstabe einer Füchsin dargestellt.
(Nach einem Japanischen Holzschnitt.) (Aus Mit/ord.)
In Japan mnsste die Wöchnerin auf dem sogenannten Wochenbett-Stahle
verharren. Derselbe ist aus 5 Brettern zusammengesetzt; ein Brett bildet die
Bücklehne, zwei sind auf den Seiten, eins ist an der Vorderseite und das f&Dfte
bildet den Boden. Alle sind durch Binnen verschiebbar, so dass sie gewechselt
werden können. Nachdem die Placenta entfernt ist, legt man eine Strohmatte
auf den Stuhl, bedeckt diese mit einer Matratze (futon, eine Art Steppdecke) und
lässt dann die Frau aufstehen und nach dem Stuhle gehen, um sich darauf zu
setzen. Hier verharrt die Wöchnerin 7 Tage in sitzender Stellung. Sie darf den
Kopf nicht nach vom neigen, und es ist ihr auch nicht erlaubt, zu schlafen.
Kangawa eiferte schon im vorigen Jahrhundert gegen diese Unsitte, deren
Ursprung er nicht kennt, von der er jedoch glaubt, dass sie sich erst in ver-
ÜSI. Das Liegen im Wochonbett.
327
Lt der Culturvölker Eitropaa werden wir später noch
Hier soll noch von einigen ausserenropäischen
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1 Nord-Amerikas legt man nach Engelmann gleich nach
ein Lager am Boden der Hütte, wobei sie gehörig in
Decke gewickelt wird. Bei kaltem Wetter rückt man das
atier heran, um dt© Frau vor Erkältnng und Fieber zu
-? 4 — 5 Tage verharreu; dann kehrt 8ie an die gewohnte
328 L^' ^^ di&ietische Verhalten im Wochenbett.
Die Madi- und Eidj-Negerin wird gleich nach der Entfernung der Nach-
geburt an die Seite des in der Hütte entzündeten Feuers gebracht und auf ein
Bett niedergelegt, welches von Qras gemacht und mit Fell bedeckt ist. {Fdkin.)
Bei den Georgiern legt man nach der Geburt die Entbundene auf ein
Lager von Heu, während der Geistliche das Haus mit heiligem Wasser weiht.
(Eichwald.)
Auch bei den Kirgisen des Districtes Semipalatinsk wird die Wöchnerin
alsbald nach der Geburt auf ein Lager gebracht, auf welchem sie halb liegend,
von Kissen umgeben, ruht; auf besonderen Wunsch wird es ihr auch gestattet,
sich zu legen.
Ernährung und Getränke Im Wochenbett bei den Yolkern Europas«
Bei den europäischen Völkern hat sich schon seit sehr langer Zeit eine
besondere Wochenbetts-Emährung herausgebildet.
Li Frankreich giebt man der Neuentbundenen: Eine Tasse Bouillon, etwas
Wasser mit etwas rothem Wein vermischt, oder Zuckerwasser mit einem Thee-
löffel voll Pomeranzenblüthenwasser. Auch Wasser mit Gapillär- und Altheesyrup,
eine Tisane von Lindenblüthen, Quecken wurzeln und Süssholz, oder eine Abkochung
von rother Gerste sind im Gebrauch.
In England erhält die Wöchnerin grünen Thee mit Milch oder Wasser,
worin geröstetes Weizenbrod eingeweicht ist (toast-water), oder eine Abkochung
von Gerstengraupen (barley- water). (Osiander.) ^
Die Italienerin in der Provinz Bari darf, wenn sie in den Wochen ist,
40 Tage hindurch keine Fische essen. (Karusio,)
Der Wöchnerinnen-Trank der Galizierin besteht aus Branntwein, Honig
und Fett, oder aus einem Aufguss verschiedener Gewürze, welche die Eigenschaft
haben sollen, die Eingeweide wieder in Ordnung zu bringen.
In Deutschland giebt man vieliach der Neuentbundenen Ghamillenthee,
Fenchelthee, Fliederthee, Hafergrütze, Milch mit Wasser oder auch Warmbier.
Am Ende des 17. Jahrhunderts gab man der Wöchnerin, wie es in des ge-
treuen EckartKs unvorsichtiger Hebamme heisst, gleich nachdem man sie vom
Gebärstuhle in das Wochenbett gehoben hat,
«eine warme Suppe oder Brühe von gestossenen HOhneni, Kalbfleisch oder BindfleiBch,
mit ein wenig Gewürze von Muscaten-Blüth, Galgant, Zittwer und Nagelein, oder wo die
Mittel nicht seyn, eine Langwel (Govent) Nachbiersuppe mit sogenannten neunerlei Gewflrz
angemacht.*
Ehemals verkaufte man sehr allgemein in Deutschland in Specereiläden
und Apotheken ein zusammengesetztes Gewürzpulver, das man „Eindbettpulver*
nannte. Die Regierung von Luzern erliess im Jahre 1418 eine Vorschrift, nach
welcher die Krämer dieses Pulver bereiten sollten: Ingwer, Zimmt, Nelken,
Pfeffer (langen und kurzen), Maten (Macis), Pariskömli (Grana Paradisi), Muchanter
(Muscatnuss), Zucker und Safran; ein anderer Stoff durfte darin nicht enthalten
sein, und die Krämer mussten alljährlich schworen, dass sie nur vorschriftsmässig
bereitetes Pulver verkaufen. Ueber die Quantitäten der einzelnen Stoffe kam dann
im Jahre 1483 eine neue Verordnung heraus. (Meyer-Ahrens,) Dieses aroma**
tische tt Kindbettpulver* erinnert an die Behandlung der Wöchnerin bei den alten
Indern.
In Schwaben wird Aloe in abführenden Mengen für Wöchnerinnen viel-
faltig benutzt. (Bück.)
Es ist erst wenige Jahrzehnte her, dass die Aerzte in Deutschland den
Wöchnerinnen eine etwas kräftigere Diät angedeihen lassen, während man die-
selben früher mit schmalen Wochensuppen ernährte. Das war um das Jahr 1600
allerdings anders, wenigstens in Tyrol, wie uns Hippditus Guarinonius in seinen
, Greueln der Verwüstung menschlichen Geschlechts* erzählt:
382. Ernährung und Getränke im Wochenbett bei den Völkern Europas. 329
.Jetzt hör ein erbärmliche Klag einer Kindbetterin, so eine geborne Zflllers Thalerin
geführt hat, welliche zu einem vermflglichen, auch wol bekandten Bawren, bey Schwatz auf
dem Galtsan wohnhaft, verheurat, und zum ersten in die Eindelbeth kommen wäre, derer
ihr Pflegamb inner Tag und Nacht swölff mal, und nit wenig zu fressen gab. Nun begab
es sich, dass diese Kindbetterin dberauss sehr traurig worden, und die meiste Zeit mit
seuffzen und weynen verbrachte und niemandt auss ihr bringen kundte, was sie doch zu
sollichem grossen trauren bewegte; als aber über zwey Wochen, zwey ihrer befreunden auss
Zu 11 er st all zu ihr in die Kindelbett kommen, und befunden, dass sie in denen ersten 14 Tagen
am Bauch und Leib nicht auf Züllerstallerisch an- und auffgeloffen war, bespracheten sie
die Pflegamb, ob sie nit genug zu essen hette, oder was ihr doch gebreste? Als aber die
Amb zur Antwort geben, sie hette bisher noch kein Kindbetterin gehabt, die so viel als diese
anff einmal, und zu so viel malen gefressen hette, fuhr ihr die Kindbetterin in die Red, und
schier ins Haar, sprechend, mit nichten, sie leugt in ihren Halss, sie giebt mir nicht mehr
als zwölff mal unter Tag und Nacht zu essen, das eben die Ursach meines Seufiftzens und
stets werenden weynens ist. Hierüber die andern zwo ihre gross batzende nebenbäurin sampt
ihr, die Amb todt haben wollten, und ernstlich gebotten, das sie hinfüro ihr nicht weniger,
als 24 mal solte zu fressen geben.*
Wir erfahren aber aach, in welcher Weise diese absonderliche Wochenbetts-
diät eingerichtet war:
«Wann aber auch jemand insonderheit gern ein Fress-Ezempel der Edlen Frawen in der
Kindelbeth wüste, dem will ich unter vielen eins erzehlen. Diese in ihrem Sinn fast klug
und massig, und viel eingezogener in der Kindelbeth, als die andern Frawen lebete. Und weil
sie hatt gehört, dass die Dewung (Verdauung) im Magen zu morgens früe bey süssem Schlaff
geschehe, darumben nam sie morgens früe umb drey Uhr oder ein wenig davor ein Suppen
mit drei Eyr, und ihren Specereyen drein, schlieffe darauf bis auf fünff Uhr, und weil sie zu
solcher Stund ihr Kind saugen solte, damit ihr nit etwan ein Ohnmacht oder Schwache zu-
gieng, namb sie ein Eyrmuss von drei Eyren, sampt einer guten Hannen Suppen zu ihr. Umb
die siebne bracht ihr die Pflegamm ein par frische Eyr. Umb die nenne ein guts Dotter-
süpple mit Specereyen und etliche Streiblen, mit eim guten trunck gerechten Traminer, der
wermet die Mutter wol. Hierauff folgt das Mittagmahl mit einem Coppen, etlich gebratene
Vögel, ein wild Hännele, und zum Beschluss eine silberne Schal mit Wein und Brot über-
schütt, mit einem Triset, das ist, mit zucker und allerley Specereyen unter einander. Hierauf
gieng ein Schlaff le, nach wellichem wieder das Kiod saugete, und sie umb ein Uhr etliche
Brandküchlen, sampt einem guten trunck wein zu sich name. Umb die drey folget die Mörend
oder Jausen, nemlich ein gebratenes Cöpple, neben eim Schüsseln voll kleiner Fischlen,
Grundlen und Ffrillen unter einander, dann man diese gar für gesondt holt, und die Märend
ohne das etwas seltzames und lustigers als die andern Mahlzeiten seyn soll. Der Märend Be-
schlus war ihr Wein und Brot mit Triset. Umb fElnf uhr, als das Kind wieder saugen solle,
der schwäche für zu kommen, ein gutes Eyrküchle, und ein trunck Wein, hierauff das Nacht-
mahl mit fünf oder sechs Speissien, gesottens und gebratens, auch mit etlichen kleinen Äsch-
lein oder Förchlen oder gerösten Dolmen, weil diese gar gesondte Fischlen für die Kindbetterin
seyn sollen. Und damit sie desto lustiger zum essen wer, ladet und beruffet sie ihren Mann
zu ihr, der ihr Gesellschaft leistete. Umb sieben Uhr gegen Nacht trank sie nichts, dann
eine gute Coppensuppen. Um neun Uhr vor dem Schlaff, und vor dem Kind saugen, nam sie
wiederumb ein Plan voll Brandküchlein zu ihr, dann sie sagte, dass sie auff die Nacht fein
schwämmig und ring, und gut zu verdeuwen seyn, und beschlösse mit einem Wein und Brot,
und Triset. Wann sie aber umb Mittemacht erwachte, Hesse ihr ein gutes Dottersüpple mit
Specereyen machen. Und war der Beschluss ihres überauss massigen und eingezogenen Lebens
in der Kindelbett"
In manchen Gegenden Deutschlands glaubt man im Volke auch heute
noch, dass es nöthig sei, die Kräfte der Wöchnerin durch reichliche Nahrung
schnell wieder herzustellen. Im Frankenwalde nimmt die Wöchnerin nicht
selten Bier maassweise, oder Wein in beträchtlichen Mengen zu sich. Dort, in
Schwaben und in vielen Gegenden Süd-Deutschlands, treibt man insbesondere
eine unnatürliche Schwelgerei mit der sogenannten Gevattersuppe, indem Gevatters-
leute. Verwandte und Freunde abwechselnd der Wöchnerin während des ganzen
Verlaufs des Wochenbettes gutschmeckende Gerichte bringen. Im Frankenwalde
bestehen dieselben zumeist aus Eingemachtem, mit oder ohne Wein. (Flügel.)
330 LX. Das diätetische Verhalten im Wochenbett.
In Schwaben besteht die Kindbettsuppe aus einem vollständigen Essen; Käse,
Weissbrod und Braunbier spielen jedoch die Hauptrolle dabei, und fernerhin
schenken hier die Gevattersleute der Frau Weissbrod, Zucker und Kaffee. (Birlinger,)
Im nordwestlichen Deutschland giebt man der eben Entbundenen, um sie so-
gleich wieder zu kräftigen, alsbald ein Gläschen Franzbranntwein, und auch an
manchen Orten in Oldenburg eine in Butter gebratene Schnitte Schwarzbrod.
{Goldschmidt) Zu Ende des vorigen Jahrhunderts klagt Finke über die Diät
der Wöchnerinnen in Westfalen. Während dieselben, so lange die Schwanger-
schaft dauert, in keiner Weise ihre Speisen und Getränke ändern, dadurch aber
ünterleibsbeschwerden erzeugen, müssen sie vom Augenblicke der Entbindung an
Biersuppen mit Pumpernickel, Eiern, Butter und Zucker gekocht, mehrere Male des
Tages geniessen, um Milch zu bekommen; nun aber verdauen sie dies nicht, und
es entstehen in Folge dessen allerlei Beschwerden.
Dagegen werden nach dem allgemeinen Brauche in Steyermark die
Frauen während der ersten vier Tage des Wochenbettes bei schmaler Kost ge-
halten, und selbst die Fleischbrühe darf nicht gewürzt sein. Der fünfte Tag
aber bringt die übliche Hühnersuppe, welche Freundeshand der Wöchnerin
spendet. {Fossel)
In der Pfalz auf dem Lande werden nach Fatdi die Wöchnerinnen durch
beständiges Trinken von Chamillen- oder HoUunderthee oder Weinsuppen ge-
martert. In den Städten daselbst ist man aber schon etwas klüger; man gestattet
der Wöchnerin den Genuss von Hühner- und Kalbsschenkelbrühen und von
schleimigen Suppen aus Gerste, Reis oder Hafergrütze. Auch WoUblumenthee
mit Milch und später etwas Wein mit Wasser giebt man ihr, um ihre Kräfte
zu unterstützen.
3SS. Ernährnng und Getränke Im Wochenbett bei den aussereuropälsehen
Tolkern.
Auch bei vielen Völkern, welche sich auf nicht sehr vorgeschrittener Cultur-
stufe befinden, wird die Wöchnerin in ihren Lebensbedingungen als dermaassen
verändert angesehen, dass sie eine ganz besondere Ernährung und Verpflegung für
sie für durchaus erforderlich halten.
Bei den Mincopies auf den Andamanen-Inseln wird dem Weibe bald
nach der Entbindung warmes Wasser zu trinken gegeben; sie wird dann mit
Fleischbrühe oder mit Wasser ernährt, in welchem Muscheln und Fische gekocht
wurden. Nach einiger Zeit erhält sie nach Wunsch Fische, Muscheln, Yams oder
Früchte, aber kein Fleisch. {Man,)
Auf den Vi ti- Inseln darf nach Williams und Calvert die Wöchnerin nur
bestimmte Speisen geniessen. Auf Neu-Seeland erhält sie Wasser, in welchem
Pipis gekocht worden ist, oder, wenn dieser Gegenstand mangelt, wird er durch
Saudistel-Abkochung ersetzt. {Marston.)
Sofort nachdem das Kind geboren ist, verlässt der Samoaner, der seiner
Frau bei der Entbindung beistand, das Haus, um ganz junge Kokosnüsse zu
pflücken; er entzündet dann ein Feuer im Kochhause und bereitet eine aus Ar-
rowroot bestehende Masoa-Speise, die er seiner Frau und den Verwandten bringt.
{Ktibary,)
Die malayische Wöchnerin in Luzon geniesst Reis, der in Wasser gekocht
ist; wenn es die Mittel gestatten, kommt auch ein Huhn auf den Tisch. In diesem
Falle wird das Huhn im Wasser ersäuft, um so alle Luft, die (nach ihrem Glauben)
sich im Körper dieses Thieres vorfindet, herauszutreiben, sonst könnte die Wöchnerin
Schaden erleiden. {Pardo de Tavera.)
Die in Fulda entbundene Sumatranerin trank zuerst etwas Thee und
forderte sich nach einer Stunde eine beträchtliche Quantität gequetschten Reis mit
Rindfleisch; dieses war dann ihre tägliche Nahrung.
383. Ernährung und Getränke im Wochenbett bei den ausaereuropäischen Völkern. 331
Nach Schlagintweit werden der Birmanin, wenn sie niedergekommen ist,
die Speisen stark gewürzt und gesalzen. Am dritten Tage wird ängstlich jedes
Geräusch im Wochenzimmer vermieden, weil dies den Blutwechsel störe.
Bei den Orang Belendas in Malacca darf, wie Stevens berichtet, die
Wöchnerin zehn Tage lang kein kaltes Wasser trinken. Dafür erhält sie einen
warmen Aufguss von Mirian Sejok zum Getränk. Dieser soll die Zusammen-
ziehung der Genitalorgane beschleunigen. Während der ersten fünf Tage ist ihr
nur eine Knollenart, Namens Kadi, sowie Reis und Pisang zu essen erlaubt.
Heisse und gewürzte Brühen sind ihr ganz besonders streng verboten. {BarteW.)
Bei der Nayer- Kaste in Indien geniesst die Wöchnerin täglich in 3 Mahl-
zeiten, um 7 Uhr Vormittags, 7 Uhr Abends und Mittags nach der Waschung
Reis, Curry, Chi und Buttermilch. {Jagor.) Die Frau bei der Pulayer-Sclaven-
Kaste erhält zur Nahrung Reis, und wenn es zu beschaffen ist, Fisch und Ge-
flügel; ausserdem Morgens und Abends ein Kügelchen, bestehend aus einem Brei
von Panäshe, das ist der eingedickte Saft der Palmyra-Palme mit schwarzem
Pfeffer. Bei den Veda in Travancore muss die Wöchnerin zur Stärkung
10 Tage lang eine Abkochung von Reis, Tamarinden und Pfeffer trinken. {Jagor,)
Bei den Hindus lässt man die unglücklichen Wöchnerinnen, wie Renouard
de St. Croix angiebt, hungern und dursten bis zum fünften Tage; man giebt
ihnen allenfalls etwas trockenen Reis, doch kein Wasser, wenn auch die fürchter-
lichste Hitze herrschen sollte. Roherton sagt, dass sie ein Pulver aus schwarzem
Pfeffer, Cubeben und Ingwer erhalten, das sie später, mit lauem Wasser zu einer
Paste angerührt, einnehmen müssen.
In Madras giebt man nach der Angabe des Missionar JBeterJeen einen Trank
aus heissem Wasser mit gestossenem Pfeffer.
In den portugiesischen Besitzungen Indiens erhält die Wöchnerin am
10. Tage des Wochenbettes als Reinigungsmittel ein Getränk, das aus 5 Secre-
tionen der Kuh zusammengesetzt ist.
Die alten Inder, bei welchen das Selbststillen der Mütter nicht Sitte ge-
wesen zu sein scheint (da Susruta meist von Ammen spricht), nehmen bei der
Kost in den ersten Tagen des Wochenbettes auf den bevorstehenden Milchandrang
Rücksicht:
.Denn da in 3 bis 4 Tagen die Milch eintritt, so soll die Wöchnerin, " wie Susruta
anrilth, ,am ersten Tage nur Honigbutter, mit Panicum dactylum gemischt, drei Mal erhalten;
erst nach dem dritten Tage soll sie Milch mit Butter und Honig gemischt (zwei Mal täglich
80 viel, wie in eine Hohlhand geht) gemessen.* Sie erhielt dann zunächst «windtreibende
Species*, und .wenn sie mit den übrigen Fehlem behaftet war", so lange die Lochien flössen,
ein Pnlver von verschiedenen Pfeffersorten, Ingwer u. s. w. in warmem Znckerwasser, von da
an drei Nächte lang Oerstenschleim in Oel oder Milch, und erst alsdann erlaubte man. Reis
mit Fleischbrühe, Gerste und andere stärkemehlhaltige Speisen. Stammte die Wöchnerin aus
öder Gegend, so Hessen die altindischen Aerzte nur geklärte Butter oder Oel, als Getränk
auch das Decoct von Piper longum u. s. w. gemessen, und sie musste drei bis fünf Nächte
beständig mit Oel gesalbt werden. (Noch jetzt sind der Genuss des Pfeffertranks und die
Einsalbnngen der Wöchnerin Sitte.) War die Frau hingegen kräftig, so Hess man sie drei
bis feinf Nächte sauren Reisschleim trinken, und darauf gab man ihr eine fettige Speise-
mischung.
Die chinesischen Aerzte rathen der Wöchnerin, unmittelbar nach der
Entbindung ein Spitzglas vom Urin des Kindes zu trinken. Alsdann erhält sie
dünngekochte Fleischbrühe mit Zwieback. Fleisch aber ist ihr verboten, nament-
lich Schweinefleisch darf sie vor dem 10. Tage nicht geniessen, ebenso wenig
Hühner- und Enteneier. Uebrigens verordnen die Aerzte, dass sie „nur gesunde
und frische Nahrung" zu sich nehmen dürfe, hitzige Getränke und scharf ge-
salzene Speisen aber müsse sie meiden.
Die Wöchnerin in Japan erhält eine bekannte japanische Speise, Miso
genannt, aus Reis, Bohnen und Salz bereitet. Nach Kangmva sollen weisse
332 LX. Das diätetische Verhalten im Wochenbett
Pflaumen and schwarze Bohnen während des Wochenbettes nicht gegessen
werden, weil erstere durch ihre Säure die Wochenreinigung stören, letztere die
Wirkung der Medicamente hindern könnten. Aromatische Mittel sollen während
des Wochenbettes'^ nicht gebraucht werden.
In den ersten f&nf bis sechs Tagen darf nach v. Siebold die Wöchnerin bei
den Ainos nur Hirsebrei und Lachs gemessen.
Die Perserinnen nehmen während der ersten drei Tage nur Vegetabilien,
viel Zucker und Butter zu sich. (Polak.) Die Eoräkinnen verzehren etwa»
Fleisch und Blut von dem Rennthier, welches der Ehemann bei ihrer Entbindung
geopfert hatte.
Ist bei den Ghewsuren das Kind zur Welt gekommen, so bringen Ver-
wandte, gewöhnlich kleine Mädchen, und zwar zur Dämmerungszeit, der Entbun-
denen MUch, Käse und das landesübliche Brod. Dieses letztere ist das gröbste,
was im Kaukasus gefunden werden kann. (Badde.)
Die Wöchnerin bei den Kirgisen im Gebiete von Semipalatinsk erhält
am 3. Tage, nachdem sie ein Bad genommen hat, „Surpa'^ zu trinken, d. h. eine
Bouillon aus Schaffleisch, welche mit Zimmt bestreut ist; auch Ingwer, Gfalgant,
und eine Wurzel Namens Sarbug wird hinzugesetzt. Diese Wochensuppe erhält
sie bis zum 8. Tage.
Die Kalmückin in Astrachan geniesst während der ersten 3 Wochenbetts-
tage, nach Meyerson^ keine andere Nahrung, als die Brühe gekochter Schafsftisse.
Nach KreheCs Angabe isst die Kalmückin unmittelbar nach der Geburt ein
wenig SchafQeisch, nach und nach mehr, aber viel Fleischbrühe.
Bei den nomadisirenden Stämmen in Kleinasien gilt die Wurzel der Rubia
tinctorum als ein Mittel, das den Wochenfluss befördert, wenn er ins Stocken
gerathen ist.
In Jaffa giebt nach Tolleres Bericht die Hebanmie der Entbundenen, noch
bevor die Placenta entfernt ist, ein Gläschen voll Olivenöl zu trinken, und bis-
weilen wird auch etwas Branntwein hinterher gegeben. In Jerusalem erhalt
die Wöchnerin gleich nach der Entbindung Branntwein mit Muskatnuss oder
Wein mit Olivenöl, nach 3 bis 4 Stunden giebt man ihr Chamillenthee oder
HüHnersuppe, in seltenen Fällen auch wohl Chocolade; 40 Tage lang darf sie
kein frisches Wasser trinken, sondern dasselbe muss abgekocht und mit Orangen-
blüthe versetzt sein.
Die Negerin in Old-Galabar erhält gleich nach der Entbindung eine
grosse Mahlzeit, die ihr Ehemann während der Geburtsarbeit zubereitet hat imd
von der sie reichlich zu sich nimmt. (Hetvan.) Die Guinea-Negerinnen ge-
niessen im Wochenbett nach Purchas etwas Oel und Manioc oder Getreide.
Sofort nach der Entbindung giebt man der Wöchnerin bei den Woloff-
Negern eme Calebasse voll eines Getränkes aus geronnener Milch, Palmöl, Zucker
und Tamarinden-Pulpa, oder dem Saft der Baobab-Früchte, {de Bochebrune.)
Die Guinea-Negerin im Bissago-Archipel erhält eine Kürbisschale
voll von einer Abkochung aus Reis, Mais, Palmwein und Malagutta-Pfeffer
(Amonum granum paradisi).
In Central-Afrika darf nach Felkin die Wöchnerin eine Woche hindurch
kein Fleisch geniessen.
Die Diät der Wöchnerin bei den Wakamba und deren Nachbarvölkern in
Ost- Afrika ist wenig verschieden von der des gewöhnlichen Lebens. Bei den
Waswaheli und Nyassa-Negern nimmt sie stark mit Gayenne- Pfeffer und
ähnlichen Dingen gewürzte Speisen zu sich. (Hüdebrandt^,)
Während der ersten 8 Tage des Wochenbettes darf bei den Basutho die
Frau keinen Schluck Wasser erhalten. Erst am 4. Tage ist ihr gestattet Wasser
zu trinken, denn die Leute sagen: «das Wasser wird sie tödten, sie wird sterben.*
883. Ernährung und Getr&nke im Wochenbett bei den ausserenropäischen Völkern. 333
Der Missionar Griltener konnte nicht erfahren, aus welchen Gründen diese Vor-
stellung entstanden ist.
üeher die Diät der Wöchnerin bei den Ovaherero bestehen sehr absonderliche
Torschriften:
Gleich am Tage der Geburt wird ein Stück Vieh geschlachtet, welches je nach den
Vermögensyerhältnissen des Vaters ein Schaf oder ein Ochse ist. Der Hals, die langen Rippen
mit dem betreffenden RCLckentheil ist fOr die Männer, doch dürfen die Frauen, aber nicht die
Wöchnerin davon essen. Von dem Übrigen Fleisch dürfen Männer nicht essen. Das Fleisch
für die Wöchnerin heisst ongarangandye. Die Brust und ein Oberschenkelknochen wird weg-
gesetzt, bis der Nabel des Kindes abgefallen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt darf auch das
Fleisch für die Wöchnerin nur an der hinteren Thüre ihrer Hütte gekocht werden. Gleich
mit dem ersten Fleisch, welches gekocht wird, muss eine Kniescheibe mit einem daran-
sitzenden Stück Fleisch in den Topf gethan werden. Die Wöchnerin darf aber dieses Fleisch
nicht essen, sondern muss es in ihrer Schüssel unberührt liegen lassen, bis der Nabelstrang des
Kindes abgefallen, dann darf es von Jedermann gegessen werden. Wenn die Wöchnerin auch
hauptsächlich nur Fleischbrühe trinkt, so darf die Fleischschüssel doch nicht leer werden.
Ebenso muss sie stets gegohrene Milch in dem neben ihr stehenden Milcheimer haben.
(Danner,)
Hat die Malgaschen-Frau einen Knaben geboren, so darf die Mutter
iängere Zeit kein Fleisch von einem männlichen Thiere essen; ist es aber ein
Mädchen gewesen, so muss sie die weiblichen Thiere vermeiden. Erst nach der
Entwöhnung entbindet sie der Priester von diesem Zwange. {Audebert)
In den Nilländern erhalten die Wöchnerinnen Wermuth, Chamillen,
Eümmelabkochung u. s. w. zur Förderung des Lochienflusses, und man beschwert die
Wöchnerin mit fetten und stark gewürzten Speisen. In Därfür giebt man ihr
Mittags Huhn und Madideh oder Dokhubrei mit Alöb (der adstringirenden Frucht
von Balanites aegyptiaca) oder die Pulpa der Adansonia.
In Ober-Aegypten bekommt die Frau sogleich nach der Entbindung
Schmelzbutter mit Honig und Hornklee (belbe), und täglich muss sie wenigstens ein
Huhn oder ein gutes Stück Fleisch verzehren, welches ihr die Nachbarinnen und
Freundinnen spenden. (Klunzinger,)
In Kordofan reicht man ihr ein aus Milch, getrockneten Datteln und
Natron bereitetes Getränk. (Ignaz PaUme.) Bei denSzuaheli isst sie nach der
Geburt Reis mit safranähnlicher Substanz und Honig, dann Reis mit Fleischbrühe,
wie die gewöhnlichen Leute. (Kersten.) InAbyssinien bekommt die Wöchnerin
als Medicament ein grosses Glas Butter mit Honig und Gewürz gemischt, welches
sie hinunterschlucken muss; häufig erregt diese Arznei ein leichtes Erbrechen.
(Blanc.)
Auf Massaua an der Ostküste Afrikas giebt man der Entbundenen als-
bald nach der Niederkunft eine Tasse der hier immer flüssigen Butter zu trinken,
und wiederholt dieses während des Wochenbettes. Aber auch mit anderer Nahrung
wird die Wöchnerin gut verpflegt. (Brehm.)
Bei den Maxurunas in Süd-Amerika darf die Wöchnerin kein Fleisch
Ton Affen, sondern nur das von Hoccos essen, (v. Martins.) Unmittelbar nach
der Niederkunft trinkt die Frau der Antis oder Campas am Amazonenstrome
den schwarzen Aufguss des adstringirenden Genipa- Apfels oder Huitoch, mit dem
sie sich auch wäscht. (Grandidier.) Die Indianer in Chile geben nach Marg-
gtaf von lAehstad den Wöchnerinnen Fleisch zu essen, damit sie die Kräfte bald
wieder erlangen.
Die Indianerin am Orinoco dagegen muss während des Wochenbettes
fasten, bis zu der Zeit, wo dem Kinde der Rest der Nabelschnur abgefallen ist.
(Abt GilL) Auch die Wöchnerin in Los Angeles in Californien darf die
ersten 3 Tage hindurch keine Nahrung zu sich nehmen; als Getränk erhält sie
nur warmes Wasser.
334 L^* ^^ diätetische Verhalten im Wochenbett.
384. Mangelnde Wocbenbettspflege.
Es kann füglich bei solchen Volkern von einer Wochenbettspflege überhaupt
nicht die Rede sein, wo die Weiber fast unmittelbar nach der Niederkunft, als
wenn gar nichts geschehen wäre, wieder an ihre tägliche, gewohnte Arbeit zu
gehen pflegen. Wir haben an einer früheren Stelle bereits sehr zahlreiche Bei-
spiele hiei^r kennen gelernt. Der ursprüngliche Beweggrund f&r ein solches,
in unseren Augen unerhört rücksichtsloses Verfahren ist wohl darin zu suchen,
dass auf den allerniedrigsten Stufen der Civilisation das Hauptbedingniss für eine,
wenn auch nur ganz oberflächliche Wochenpflege mangelt, nämlich die Sesshafbig-
keit. Die auf steter Wanderung befindlichen Stämme können nicht eines nieder-
kommenden Weibes wegen Halt machen; sie müssen weiter, bis sie das vorge-
steckte Ziel des Tages, das ihnen Schutz, Nahrung und namentlich Wasser ge-
währt, glücklich erreicht haben. Und so bleibt auch der soeben Niedergekommenen
nichts Anderes übrig, als mit dem Neugeborenen beladen, so gut es eben gehen
will, den Stammesgenossen zu folgen. Denn die Trennung von ihnen, die Ein-
samkeit ist auf solcher Gulturstufe der sichere Tod. So finden wir es noch heute
nach Oberländer in Australien, in der Provinz Victoria, so bei vielen In-
dianern, und nach Musters auch bei den Patagoniern, wo die Weiber kurze
Zeit nach der Niederkunft wieder zu Pferde steigen und dem Stamme nachjagen.
Aber auch bei vielen sesshaften Völkern, und selbst bei solchen, welche
bereits eine recht hohe Gulturstufe erreicht zu haben glauben, vermissen wir gar
nicht selten eine richtige Pflege und Schonung während der Wochenbettsperiode.
Eine südslavische Bäuerin in Bosnien, die in der Nacht geboren hatte^
sah Jukic schon am nächsten Tage am gefrorenen Bache barfuss das Eis auf-
hacken ; Krauss hält dies bei der Abhärtung der Frauen gegen Erkältung für
keineswegs verwunderlich. Auch die Indianerinnen gehen sofort, nachdem sie
ihr Reinigungsbad unmittelbar nach der Entbindung genommen haben, wieder an
die Arbeit. (Baumgarten.)
Wie wenig die Wotjäkin daran denkt, nach der Niederkunft sich eine
Zeit lang zu schonen, hat Buch aus eigener Anschauung geschildert:
,Bei Gelegenheit wotj&kischer Hochzeitsfeierlichkeiten fuhr ich jeden Tag hinaus
nach dem Dorfe Gondyrgurt (im wotjäkischen Gonv.), und stellte mein Pferd immer
bei demselben Bauer ab. An einem dieser Tage war ich nun sehr erstaunt, sein ganzes Ge*
höft schlafend zu finden ; sein Vater lag auf dem Hofe, er selbst, ein sonst tüchtiger Mensch,
lag im Flur auf dem Gesichte und schnarchte. Ich hielt es anfänglich für die Folgen der
benachbarten Hochzeit. Im 7immer jedoch fand ich die Hausfrau beschäftigt mit dem Ab-
räumen der Reste eines Schmauses; sie wirthschaftete flink in der Stube herum und berichtete
mir, dass heute Taufe gewesen sei; .da liegt das Neugeborene, willst Du es Dir ansehen?'
sagte sie. Aber gestern Abend sah ich Dich ja noch ganz munter kochen und backen, ant-
wortete ich sehr erstaunt, wie hast Da denn das so rasch abgemacht? ,Je nun,'' sagte sie,,
^in der Nacht gebar ich, am Morgen wurde das Kind in die Kirche gebracht und getauft,,
darauf kamen die Taufgäste, da musste ich kochen und backen , denn wer hätte das sonst
besorgen sollen?" Wird das bei Euch immer so gemacht? fragte ich noch immer sehr er-
staunt. „Natürlich," meinte sie, .wer wollte sonst den Männern das Essen kochen und backen^
denn wer hätte das sonst besorgen sollen?" Buch ging fort auf die Hochzeit, und es dauerte
nicht lauge, so war die Frau auch da, trank ab und zu ein Gläschen Kumyska und befand
sich augenscheinlich wohl. Sie hatte in ähnlicher Weise früher schon sechs .Wochenbetten"^
durchgemacht, wenn man sich dieses unter solchen umständen nicht ganz passenden Ausdruckes
bedienen will, und erfreute sich stets einer ausgezeichneten Gesundheit."
Pallas sagt von den Kalmückinnen:
.Die Wöchnerin sieht man schon oft den zweiten Tag nach der Geburt ausreiten und
alle Geschäfte abwarten, sie darf sich aber im Anfang nicht anders als mit verhülltem Haupt
zeigen, und kann auch vierzig Tage lang nicht beim Gottesdienst erscheinen."
Einen gleichen Mangel jeglicher Pflege der Wöchnerin finden wir auf
manchen Inseln des alfurischen Meeres und der Südsee, z.B. auf Samoa
385. Die Daner des Wochenbettes. 335
(Wiüces)^ den Marquesas-Inseln (v. Langsdorff) und Hawaii. Auf den
Philippinen geht auch die Malayin gleich nach der Entbindung an die
Arbeit (aber nicht die Negrita). (Blumentritt) Das Gleiche finden wir bei
den Alfuren auf Serang, und es wiederholt sich hei den südlichen Afri-
kanern, den Namaqua und Betschuanen.
Im ganzen südlichen China und in Ganton (wo etwa 300,000 Menschen
beständig in Booten auf dem Flusse leben) werden die Passagierboote nur von
Frauen geführt, die sehr arm, meist ledig, aber wenig moralisch sind und ein
sehr hartes Loos haben. Oft haben sie ein drei Tage altes Kind auf dem Rücken,
während ihre übrigen fünf bis sechs Jahre alten Kinder vorn im Boote mit kleinen
Rudern arbeiten; und dabei müssen sie selber die schwere Arbeit des Rudems
verrichten.
Trotz der geringen körperlichen Pflege bieten aber diese Bootsfrauen ein
eclatantes Beispiel von der ungemeinen Fruchtbarkeit der Chinesinnen; denn
Beinhold fand in Hongkong, Macao und Canton unter zehn Bootsfrauen stets
neun mit einem Kinde auf dem Rücken, wahrend die Mutter oft selbst noch ein
Kind zu sein schien.
Von den amerikanischen Eingeborenen haben wir bereits gesprochen;
sie halten fast alle eine Schonung nach der Niederkunft ebenfalls für absolut
unnöthig.
Doch wir haben in dieser Beziehung gar nicht nothwendig, so in der Feme
zu suchen. Denn auch die Frauen unseres norddeutschen Proletariats sieht
man gar nicht selten schon am zweiten oder spätestens am dritten Tage ihre
schwere Arbeit wieder aufnehmen, und ganz ähnliche Gebräuche herrschen in der
Oberpfalz (Brenner- Schaeffer) und in Bayern auf dem Lande. (Fuchs.) Auch
im Siebepbürger Sachsenland wird an manchen Orten auf dem Lande der
Wöchnerin nicht die gehörige Ruhe gegönnt und nicht die nöthige Pflege ge-
widmet; oft muss die „Arme** gleich nach der Entbindung vom Bette aufstehen, die
Büffelkühe melken und das Hauswesen besorgen, wodurch sie dann nicht selten
in eine schwere Krankheit verfällt imd ihr ganzes Leben lang mit einem siechen
Körper behaftet bleibt. Gewöhnlich hütet eine Wöchnerin auf dem Lande das
Bett etwa drei bis acht Tage.
Kein Wunder ist es, dass ein solcher Mangel an Rücksicht auf den durch
die Schwangerschaft und die Entbindung geschwächten Körper nicht ohne ernst-
liche Nachtheile vorübergeht. Ein schnelles und ganz überraschendes Welken
und Verblühen ist die ganz gewöhnliche Folge dieser Schonungslosigkeit, und es
ist keine ganz seltene Erscheinung, dass man Frauen, welche die Dreissig noch
kaum erreicht haben, für alte Matronen in den Sechzigern ansieht. Aber auch
an dem Genitalapparate entwickeln sich durch das zu frühe umhergehen sehr
häufig Senkungen oder Lageveränderungen der Gebärmutter, Vorfall der Scheide
u. 8. w., welche für das ganze spätere Leben eine dauernde Quelle von Krank-
heiten und Siechthum abgeben.
385. Die Daner des Wochenbettes.
Es bedarf nach den vorherigen Auseinandersetzungen kaum erst der Be-
merkung, dass die Dauer des Wochenbettes bei den verschiedenen Völkern eine
sehr verschiedene ist. Wie viel oder wie wenig Schonung die Frischentbundene
sich angedeihen lässt, dafür ist nun aber durchaus nicht etwa die Rasse ent-
scheidend. Im Gegentheil, wir finden in dieser Beziehung bei nah verwandten
und benachbarten Völkern gar nicht selten ein sehr verschiedenartiges Verhalten.
Es sind eben auch hier althergebrachter Brauch und alte Gewohnheit, welche
diese Verhältnisse beherrschen.
336 ' ^^' ^^ diätetische Verhalten im Wochenbett.
Zwei Erscheinungen sind es aber, welche vielleicht, bei manchen Nationen
wenigstens, hier bestimmend eingewirkt haben mögen. Die eine ist der blutige
Ausfluss aus den Geschlechtstheilen der Mutter, und die zweite die allmähliche
Schrumpfang und der schliessliche Abfall des Nabelschnurrestes. Waren der eine
oder der andere dieser Processe beendet, dann hielt man wohl die Wochenbetts-
zeit für abgeschlossen. Und hieraus erklärt sich vielleicht auch die bei so vielen
Völkern auf nur wenige Tage berechnete Schonung der Wöchnerin.
So wird auf den Watubela-Inseln an dem Tage, wo der Nabelschnurrest
abge&llen ist, die Wöchnerin in feierlicher Weise zum Baden geführt.
Ueber die Dauer des Wochenflusses bei fremden Rassen wissen wir leider
bis jetzt ganz ausserordentlich wenig. Bei den deutschen Frauen pflegt er vom
5. Tage ab seine blutige Farbe allmählich zu verlieren; er besteht aber als blass-
rosa gefärbter schleimiger Ausfluss gar nicht selten noch 3 bis 4 Wochen lang.
Als von sehr kurzer Dauer, respective nur wenige Tage anhaltend wird ims von
Riedel^ der Wochenfluss der Frauen auf Ambon und den Üliase-Inseln, auf
Serang, Tanembar und Timoriao, auf Leti, Moa und Lakor und auf den
Watubela-Inseln geschildert. In Guinea und Gayenne hören nach Bajon
bereits am dritten Tage die Lochien zu fliessen auf.
Der Wochenfluss der Viti-Insulanerinnen dauert nach Blyth zehn Tage an.
In Mexiko dagegen dauert, vfiQ Engdmann berichtet, der Wochenfluss bei
den Eingeborenen meistens bis zum 40. Tage, und erst nach dem Ablauf dieser
Zeit wagen die Frauen ein Bad zu nehmen. Es hat also den Anschein, als ob
hier wirklich bei verschiedenen Rassen ein verschiedenartiges Verhalten sich nach*
weisen liesse.
Ueber die minimale, gleich Null zu betrachtende Dauer des Wochenbettes,
wo man die Entbundenen an demselben oder spätestens am nächsten Tage wieder
bei der gewohnten Arbeit findet, haben wir bereits vorher gesprochen. Eine 2
bis 3 Tage andauernde Wochenbettsruhe gewähren sich die Formosanerinnen
nach Turner auch die Samoanerinnen, und das Gleiche finden wir bei der
Mohamedanerin in Bagdad und in Siam. 3 bis 4 Tage schonen sich die
Madi und Kidj im äquatorialen Afrika, und ebenso die Russinnen, die
Tatarinnen und die Kalmückinnen in Astrachan, die niederen Perse-
rinnen und die Lappenfrauen. Die letzteren stehen dann auf und gehen viele
Meilen weit zu Fuss, um ihr Kind selbst zur Taufe und in die Kirche zu tragen.
Scheffer schrieb :
„Cum baptismate plerumque festinant sie nt femina Lapponica octo aut quatuordecim
dies post labores partus iter faciat longissimam, per juga, montium altissima, per lacas vastos
et profundas sylvas, cum infante suo ad sacerdptem."
Aber Leemius, welcher Priester bei "ihnen war, giebt als Beispiel ihrer Ab-
härtung an:
aQuod cum apud Altenses in Finmarchia occidentali curio essem, mulier qnaedam
lapponica quinto post puerperium die circa festem natalium Christi per montes perpetuis
nivibos coopertos ad me venerit, rogitans ut se pro more ecclesiae nostrae in templo solemniter
indneerem."
Erst nach dem Ablauf von 6 — 8 Tagen darf die Wöchnerin bei den wilden
Völkern, die von Tonkin (Provinz Thang-hoa) abhängig sind, ausgehen, um
sich zu baden; bis dahin verharrt sie in der Nähe des Herdes. (Pinabd.) 7 Tage
schont sich die nomadisirende Kalmückin und 8 Tage die Japanerin. 10 Tage
lang bleibt bei den Thlinkiten in Nordwest-Amerika die Wöchnerin in der
aus Zweigen oder aus Schnee hergestellten Gebärhütte (nach Krause allerdings
nur 5 Tage), und auch die besser situirte Perserin pflegt 10 Tage, die Syrierin
in Aleppo 10 — 12 Tage der Ruhe. Aber bei manchen halbcultivirten Völkern
finden wir auch eine erheblich längere Wochenbettsdauer: so bleibt bei den
Wazegua in Abyssinien und bei den Armenierinnen in Astrachan die
Tafel Vra.
Mischlinge.
1. 2. 3.
Chlnese-Forniosaneriii. Earopfter-Chinesin. Chinese-lüuiAkln.
(Formosa.) (China.) (Honolulu, Hawaii.)
4. 5. 6.
Earopfter-Jayanlii. (Lip-Lap.) Cafasa. Enropler-Kanakin.
(Ja^.) (Indianer-NegcT-MischblQt, Rio (Hawaii.)
Janeiro.)
7. 8. 9.
EaropAer-Manriit. Chinese-Tafalin. Andiera.
(Maroooo.) (Meniza-Sangley, Philippinen.) (Berber-Araber-]fi8chblat,]faroooo.)
Tafel Vra.
Misdiling-e.
rv'Lb -i^ arce LS . _ Xv^ /^r/r'.
iWCi A; ot V \. A Funk« Ir-ipsy
385. Die Dauer de« Wochenbettes. 387
Wöchnerin 14 Tage zu Bett, auf den Watubela-Inseln 20 Tage, auf denKeei-
und Seranglao-Inseln 40 Tage.
Auf dem Carolinen-Archipel badet die Wöchnerin zwei Tage nach der
Niederkunft in süssem Wasser, aber erst nach Verlauf von 5 — 6 Monaten beginnt
sie wieder ihre Arbeit. (Mertens.)
Die Weiber der Koloschen und Potowatomi werden 20 Tage lang nach
der Entbindung sorgfaltig vor Kälte geschützt, und die Negersclavinnen in Su-
rinam (Ludwig)^ in Brasilien und in den Vereinigten Staaten {Lyell) be-
freit man 4 Wochen lang von der Arbeit. In Laos in Ost-Asien dauert nach
Bock das Wochenbett einen Monat.
Bei den Albanesen, welche in Sirmien im kroatischen Grenzlande ein-
gewandert sind, bleibt die Wöchnerin, wenn sie nicht die einzige Frau im Hause
ist, drei Wochen daheim, backt kein Brod, kocht nicht und geht sechs Wochen
nicht in die Kirche. Erst nach dieser Zeit läset sie sich vom Priester vor der
Kirche einsegnen und in dieselbe einfahren und betet für ihr Kind um gutes Ge-
müth, Gesundheit und Verstand. (Kramherger)
An der Südwestküste der malayischen Halbinsel bleibt die Hebamme 40
Tage bei der Wöchnerin; dann erst unterzieht sich letztere der gesetzlichen
Reinigung und den vorgeschriebenen Gebetübungen und kehrt nun zu ihren ge-
wohnten Pflichten zurück. (Bird.)
Auch in Seranglao muss die Wöchnerin 40 Tage liegen. Bemerkenswerth
ist es, dass bei manchen Völkern im ersten Wochenbette andere B^eln und Vor-
schriften gelten als später.
In Massaua am arabischen Meerbusen z. B. pflegen Mehrgebärende sich
bald wieder an die Arbeit zu begeben, und das Gleiche gUt für die Erstgebärende,
wenn sie im zweiten Jahre der Ehe oder noch später niederkommt. Findet die
Entbindung aber bereits im ersten Jahre der Ehe statt, so währt das Wochenbett
so lange, bis dieses erste Jahr verflossen ist. (Brehm.) In Palästina ist die
Sache gerade umgekehrt. Hier geniesst die Erstgebärende nur 7 — 10 Tage der
Schonung, während bei späteren Niederkünften das Wochenbett auf 40 Tage aus*
gedehnt wird.
Die Omaha-Indianerin geht, wenn sie kräftig ist, gleich nach der Ent-
bindung an ihre gewohnte Arbeit; ist sie aber angegrifiTen, so darf sie sich drei
Wochen schonen.
Auf den Aaru-Inseln kennt die Entbundene, wie Ribbe sagt, kein Wochen-
bett; schon am selben Tage geht sie ihren häuslichen Geschäften nach, das Haus
darf sie aber erst nach dem 40. Tage verlassen ; sie darf nämlich den Erdboden
vorher nicht betreten.
PIoss-Bartels, Du Weib. 5. Anfl. II. 22
Tafel Vm.
Mischlinge,
Chlnese-Forniosaneritu
(Fonnoaa.)
Earopier-Chinesin.
(China.)
Chlnese-Kanakin.
(HoBOlula, Hawaii.)
Earopfter-JaTAüin« (Lip-Lap.)
(Java.)
5.
CafiisA.
(Indianer-Keger-Misohbliit, Rio
Janeiro.)
Europier-Kanakin.
(HawaU.)
Enrop&er-Maurin.
(Maroooo.)
Chinese-Tagaliib
(Meniza-Sangley, Philippinen.)
Andiera.
(Berber-Araber-Muchblat , Marocoo.)
Tafel Vm.
Misdiling-e,
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340 LXI. Das Ceremozdell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
Kühle für eine nackte Wöchnerin und einen zarten Säugling wohl nicht allzu gesund sein
können.'
EigenthQmliche Gebräuche herrschen in dieser Beziehung auch bei den
Ovaherero in Süd-Afrika. Wir haben noch mehrfach von ihnen zu sprechen.
Viehe schreibt von ihnen:
.Nach der Geburt eines Kindes bleibt Mutter und Kind in der Onganda (Dorf), aber
aus ihrem Hause muss sie auch in diesem Falle noch am selben Tage hinaus, und es müssen
sich- um ihretwillen yiele fleissige Hftnde regen. Es muss noch am Tage der Entbindung eine
Hütte für sie hergerichtet werden. Diese kommt unmittelbar an das heilige Haus zu stehen
und zwar an der Südseite, wenn das Kind ein Knabe ist, und an der Nordseite, wenn das
Kind ein Mädchen ist. Die Hütte hat zwei Eingänge, einen an der Westseite, welcher also
dem Okumo zugewendet ist, und einen diesem gerade gegenüber. Eigentlich soll die Wöchnerin
einen ganzen Monat in dieser Hütte bleiben, in den meisten Fällen aber verlässt sie dieselbe
schon nach einigen Tagen. Doch hat sie auch unter Umständen viel länger darin zu ver-
weilen, z. B. wenn das Haupt der Familie verreist ist; denn bei ihrem Umzug in ihre eigent-
liche Wohnung muss derselbe unbedingt zugegen sein. Während ihres Aufenthaltes in der
Hütte darf sie sich nur des östlichen Einganges bedienen, weil es ihr nicht gestattet ist,
nach dem Okumo zu sehen. Während dieser Wochenzeit wird die Frau als heilig be-
trachtet (,uzera*).*
Wir kommen später noch hierauf zurück, aber wir müssen an dieser Stelle
noch eine Angabe des Missionars Dannert erwähnen:
«Wenn bei den Ovaherero das neugeborene Kind zur Familie resp. zum oruzo des
Häuptlings gehört, so wird für die Wöchnerin von den Frauen der Werft in aller Eile eine
Hütte neben dem otyizero (heil. Hause) hergerichtet, und muss bei der Geburt eines Knaben
dieses Haus nach Süden, und bei der Geburt eines Mädchens nach Norden neben dem otyizero
oder dem Häuptlingshause gemacht werden. Dieses Haus heisst ondyno yomunari, Haus der
Wöchnerin. Es darf nicht, wie sonst bei den Hütten der Ovaherero geschieht, mit Kuh-
mist beworfen werden, sondern es wird einfach mit Gras, Büschen, Baumrinde, Fellen u. s. w.
bedeckt. Diese Hütte der Wöchnerin ist heilig, wie auch die Wöchnerin selbst. Die Hütte
wird nie ausgebessert, sondern dem Verfall überlassen.*^
Von den Todas in Indien berichtet MarshaU:
„Am Morgen nach der Entbindung wird die Mutter in eine Hütte (purzärsh) gebracht,
welche man in einem abgesondeilen Winkel des Dorfes schon beim Herannahen der Nieder«
kunft für sie errichtet hat. Hier bleibt sie bis zum nächsten Neumond (3 bis 30 Tage). —
Für einen Monat nach ihrer Heimkehr scheint sie das Haus allein zu bewohnen, indess ihr
Gatte verpflichtet ist, mittlerweile bei Freunden Unterkunft zu suchen.*
In diesem letzteren Falle konnte man eigentlich sogar von zwei Wochen-
stuben reden; denn wenn die Frau aus der Wochenbettshütte in ihr Haus zurück-
kehrt, muss es der Ehemann verlassen, es wird ihr also wiederum als Wochen-
stube eingeräumt.
Gomplicirter ist die Sache noch bei den Eota im Nilgiri- Gebirge.
,Die Wöchnerin der Eota muss sich in drei verschiedenen Wochenhütten aufhalten,
welche man in jedem Dorfe antrifft. In die erste, aus Zweigen hergestellte, wird sie sofort
nach der Entbindung gebracht und verbleibt hier 30 Tage; die beiden nächsten Monate
bringt sie in einer der beiden anderen Hütten zu, kehrt aber auch dann noch nicht gleich
nach Hause zurück, sondern begiebt sich erst noch auf einige Tage in das Haus einas Ver-
wandten, während der Ehemann die Wohnung durch Besprengen mit Kuhmist und Wasser
reinigt."
Von den Orang-hutan in Malacca wird nach dem Berichte von Vaug%an
Stevens die Hütte der Hebamme zugleich auch von den Weibern der Ansiedelung
für die Niederkunft benutzt. Sie verbleiben in derselben noch 14 Tage nach der
Entbindung. (Bartels'^.)
887. Die Wochenbesuche.
Der jungen Mutter und dem Neugeborenen die Glückwünsche darzubringen,
wird wohl fast überall als etwas besonders Feierliches betrachtet, und namentlich
387. Die Wochenbesuche.
341
spielen auch heute noch bei der Landbevölkerung diese sogenannten Wochen-
besuche eine ganz besonders hervorragende Rolle. Das scheint nun in früheren
Zeiten nicht minder der Fall gewesen zu sein und wir besitzen mehrere Zeugnisse,
welche für die nach unseren heutigen Begriffen übertriebene Ausdehnung dieser
Sitte sprechen.
So war es in Neapel zu Ende des vorigen Jahrhunderts gebräuchlich, dass
die vornehmen Damen am Tage ihrer Niederkunft Visite von allen möglichen
Bekannten annahmen: und diese suchten sich dabei nicht etwa ruhig zu verhalten.
Vielmehr heisst es:
,Man nimmt sich nur in Acht, dass in der Wocbenstube nicht mehr als 5 bis 6 Per-
sonen auf einmal sich befinden, doch standen die Thüren offen und draussen lärmten zwei
Tage lang oft hundert und mehr Personen.' (Volkmann.J
Fig. 335. Wochenstabe einer vornehmen Sien es in ans dem 16. Jahrhundert. (Gebart der Maria.)
(Nach Girolamo del Pacchia.) (AU8 WöUmann,)
Solche Sitten erhalten sich sehr lauge, so schrieb vor wenigen Jahren
Dieruf: .Noch heute wird in Neapel die Wöchnerin zur Schau ausgestellt."
Aber auch die Besucherinnen Hessen es ihrerseits an reicher Pracht nicht
fehlen. In dem Zeitalter hoher Blüthe im 15. und, 16. Jahrhundert wurde bei
diesen Wochenbesuchen ein derartiger Luxus entfaltet, dass im Jahre 1537 der
Senat sich genöthigt sah, hiergegen einzuschreiten, und bei einer Busse von 30
Dukaten wurde nur den verwandten Damen der Zutritt gestattet. Casola sah
bei einer solchen Gelegenheit in der Casa Dolfin 25 Edelfrauen in grosser
342 LXI. Das Ceremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
Toilette, an Kopf, Hals und Armen reich mit Perlen und Edelsteinen ge-
schmückt. Diese Preciosen reprasentirten ein Vermögen von hunderttausend
Dukaten. (Kämmel,)
Wie es in solchen Wochenstuben Italiens in damaliger Zeit ausgesehen
hat, davon können wir uns eine sehr deutliche Vorstellung machen. Die Eigen-
thtlmlichkeit der Maler jener Jahrhunderte, die heiligen Geschichten immer im
Gostüme und mit den Portraits ihrer Zeitgenossen zur Darstellung zu bringen,
hat uns einen Einblick auch in diese Wochenstuben erhalten.
Auf einem im Palazzo Pitti in Florenz befindlichen Madonnenbilde ans der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts, das Ton Fra Füippo Lippi gefertigt wnrde, sehen wir im Hinter-
grande die heilige Anna als Wöchnerin im Bette sitzen, den Rücken durch Kissen unterstützt.
Eine Pflegerin reicht ihr den gewickelten Säugling, eine andere Frau steht links, eine ältere
rechts neben ihrem Kopfende. Letztere hält wohl ein Geschenk in den Händen, und eine
hinter ihr zum Bette herantretende Frau mit einem Korbe auf dem Kopfe bringt wohl eben-
falls Wochengaben herbei. Durch die Thür treten noch drei weibliche Gestalten und ein
Kind ein, ebenfalls mit Geschenken beladen. fSeemann, Crowe und CavalcasdleJ
.Unter den Fresken Doniinico Ghirlandajo's im Chor der Kirche Santa
Maria Novella in Florenz, welche derselbe um 1485 fertigte, befindet sich
eine durch reiche Ornamentirung der Innenräume ausgezeichnete Darstellung der
Geburt der Maria,
«Es ist das Wochenbett einer florentinischen Patrizierin, an das wir gef&hrt
werden: Anna halb vom Lager aufgerichtet (auf der Seite liegend und sich auf die beiden
Ellenbogen stützend) blickt dem langsam eintretenden Besuch entgegen, ftinf herrlichen Frauen,
welche ganz und gar die Sittigkeit, den Anstand und die Mienen der grossen Welt tragen.*
(Crowe und CavalcaselU.) Im Vordergründe rechts, wo dem Neugeborenen das Bad bereitet
wird, giesst eine Dienerin Wasser in das metallene Badegeföss. Der Säugling, nur in eine
Windel gehüllt, ruht auf dem Schoosse einer Wärterin, und eine vornehme Dame kniet daneben,
sich nach den Eintretenden umblickend, während sie mit dem Kinde sich zu thun macht.
Die von Andrea del Sarto dargestellte Wochenstube haben wir schon in
Fig. 331 kennen gelernt.
Die heilige Anna sitzt in einem reichen Renaissancezimmer im Bette aufrecht. Eine
Dienerin reicht ihr die Waschschüssel, eine andere bietet ihr Erfrischungen an. Joachim sitzt,
da$ rechte Bein über das linke Knie gelegt, sinnend im Hintergrunde. Eine Wärterin hat
mit dem nackten Neugeborenen, die Badeschüssel vor sich, vor einem reich verzierten Kamine
Platz genommen, an welchem ein ungefähr zehnjähriges Mädchen sich die Hände wärmt. Eine
zweite Frau mit dem Handtuche auf dem Schooss sitzt daneben. Hinter ihnen steht eine
dritte Frau im Gespräch mit der Wöchnerin. Zu dieser treten zwei reichgekleidete Damen
heran. Durch die Thür kommen noch zwei weibliche Gestalten in das Zimmer.
Ganz ähnlich ist auch die Darstellung auf einem Wandgemälde des Giro-
lamo del Pacchia ia San Bernardino in Siena (Fig. 335). Hier liegt die Wöch-
nerin aber fast auf dem Bauche.
Einen höchst eigenthümlichen Einblick in die Florentiner Sitten aus der
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts gestattet uns ein kleines Gemälde des Masacdo^
welches sich im königlichen Museum von Berlin befindet. Es zeigt uns eben-
falls eine Wochenvisite, aber es handelt sich hier nicht um eine heilige, sondern
ohne allen Zweifel um eine profane Darstellung. (Fig. 336.)
Die Wochenstube scheint sich in einem Kloster zu befinden, wenigstens liegt sie zu
ebener Erde und mündet mit ihrer Thür in einen von Rundbogenarcaden eingefassten Kreuz-
gang. Es ist ein quadratischer^ schmuckloser Raum , dessen Wand mit Teppichen behängt
ist. Die in Seitenlage befindliche Wöchnerin hat sich nach vom herumgedreht, so dass sie
fast auf ihren vor der Brust gekreuzten Armen ruht, und sie blickt durch die dem Kopfende
ihres Bettes benachbarte und halbgeöffnete Thür in den Kreuzgang hinaus. Drei Frauen
stehen um das Bett herum zu beiden Seiten des Fussendes. Eine vierte Frau sitzt auf dem
hohen stufenförmigen Untersatze des Bettes und h< das gewickelte Kindchen auf ihrem
Schoosse. Aus dem Kreuzgange treten in das Zimmer drei Damen ein, welche von zwei
Nonnen begleitet werden. Im Kreuzgange stehen zwei Posaunenbläser, deren einer kräftig
in eine Tuba stösst, während der Andere ein gleiches Instrument eben vom Munde abgesetzt
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344 L^I- ^^ Ceremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
hat. Sie scheinen sich also in ihrer gewiss nicht gerade sehr leisen Musik abzuwechseln.
Zwei Diener bringen auf Schüsseln Pasteten oder Torten herbei. Die Posaunen sind mit
einem breiten, herabhängenden Tuche verziert, auf welchem in grosser Ausfahrung das Wappen
von Florenz eingestickt ist.
Was diese Scene zu bedeuten hat, ist nicht so ohne Weiteres zu entscheiden.
Das Pomphafte des Aufzuges, die Costüme der die Wöchnerin besuchenden Damen,
sowie die Wappenfahnen an den Posaunen sprechen dafür, dass es sich hier um
einen sehr vornehmen Besuch handelt, der, wie die Schüsseln der Diener beweisen,
der jungen Mutter Lebensmittel bringt. Wahrscheinlich ist es sogar eine Dame
von dem regierenden Fürstengeschlecht. Die begleitenden Nonnen und der Kreuz-
gang beweisen, dass die Localitäi ein klösterliches Gebäude ist. Aber die um die
Wöchnerin beschäftigten Frauen tragen keine Ordenstracht. Sehen wir hier viel-
leicht ein von Nonnen geleitetes Entbindungshaus vor uns, und soll ein gutes
Werk irgend einer bestimmten Dame des hohen Adels (denn um Portraits handelt
es sich auch hier ganz unzweifelhaft) zur Darstellung gebracht werden, welche
die armen Wöchnerinnen in ihrem Asyle besucht und ihnen tröstlichen Zuspruch
und leibliche Nahrung zukommen lässt?
Wir haben früher schon erwähnt, dass man im 16. Jahrhundert in Italien
den Wöchnerinnen die Erfrischungen in besonderen Majolica-Qeschirren über-
brachte, welche mit dem Namen Scodelle delle donne oder Puerpera be-
Fig. 337. Frauenschaleiif Scodelle delle donne, italienische Majoliken des 16. Jahrhunderts,
in denen Wöchnerinnen Stärkungen gebracht wurden.
Im Besitze des kgl. Eunstgewerbe-Moseums in Berlin. (Nach Photographie.)
zeichnet wurden. Die Figuren 272 und 273 zeigen, wie das Innere dieser Ge-
f&sse mit bildlichen Darstellungen geschmückt war, welche sich auf die Ent-
bindung beziehen. In Fig. 337 sind diese beiden „Frauenschalen^^ in ihrer
äusseren Form dargestellt; es muss jedoch bemerkt werden, dass der einen der-
selben, und zwar derjenigen auf dem Drahtgestell, der Fuss abgebrochen ist. In
ihr ist die Fig. 272 enthalten. Beide Schalen befinden sich im kgL Kunstgewerbe-
Museum in Berlin.
In den Wochenstuben in Deutschland scheint ein fortwährendes Kommen
und Gehen stattgehabt zu haben. In dem oben erwähnten Flugblatt „Des hold-
seligen Frauenzimmers Kindbeth-Gespräch^ heisst es:
«Zwei Schwestern kamen erst, als Niemand noch yorhanden. —
Allein es kam gleich jetzt eine andre Frau herein,
Darauf ging jene fort und Hessen sie allein.
und dann geht auf die Thür,
Und kommen wiederum auf einmal Ihrer Vier.*^
Hier scheint es sich um vornehme Kreise zu handeln, während die A];»-
bildungen deutscher Wochenstuben aus dem 16. Jahrhundert, welche auf uns
387. Die Wochenbesuche.
345
gekommen sind, mis gewohnlich kleinbürgerliche Verhältnisse vorführen. Die
berühmteste Darstellung dieser Art ist der Holzschnitt von Albrecht Dürer^ welcher
die Geburt der Maria zeigt. (Fig. 338.)
In einem breiten Himmelbett, dessen zurückgeschlagene Gardinen den Einblick ge-
wahren, liegt matt und angegriffen, den Kopf auf die Seite gekehrt, die heilige Wöchnerin,
um die zwei Frauen beschäftigt sind, während eine Dritte an ihrem Lager eingeschlafen ist.
£ine Wärterin hat das Kind eben aus dem Bade gehoben, sein Deckbett liegt bereit auf
Fig. 338. Deatsohe Wochenstube des 16. Jahrhunderts, von Aldrecht Dürer: Die Geburt der
Maria, (Nach Hirth.)
einem Tische, an welchem zwei Frauen sitzen und gemeinsam aus einem kleinen Becher
trinken. Hinter ihnen steht ein halberwachsenes Mädchen. Eine Magd, den grossen Wasser-
krug in der rechten Hand und die Wiege der Maria unter dem linken Arm, tritt zu
ihnen. Im Vordergrunde links ist noch eine Gruppe von zwei sitzenden und einer stehenden
Frau nebst einem kleinen Jungen, von denen die eine gerade aus einem mächtigen Kruge
trinkt. (Hirih.)
Es befinden sich also ausser der Wöchnerin und dem Neugeborenen nicht
weniger als 12 Personen in der Wochenstube.
846
LXl. Das Ceremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
Dass auch die deutschen Wöchnerinnen selber Speise und Trank nicht
abhold waren, das haben wir früher schon besprochen. Wir finden es durch eine
Abbildung bestätigt^ die wahrscheinlich von Jost Ammann entworfen ist. (Fig. 339.)
Sie findet sich in Johannes Hey den von Dhaun^s deutscher Bearbeitung des
Flinius vom Jahre 1584 in dem Kapitel, welches den Titel führt: von empfeng-
niss, tragt und geburt dess Menschen, und auch in Bueff's Hebammen-Buch:
Die Wöchnerin sitzt, mit hohen Kissen unterstützt, im Bett; eine Frau reicht ihr von
der einen Seite einen Napf mit Essen, wfthrend von der anderen Seite ein alter Mann ihr
einen stattlichen Krug credenzt. An der Erde kauernd badet eine Frau das Neugeborene in
einer grossen, flachen Schale. Hinter ihr hält ein Mädchen das Trockentnch bereit. Ein
kleines Mädchen, die Puppe im Arm auf der Fussbank sitzend, belustigt sich damit, die Wiege
zu schaukeln. An einem Tische im Hintergrund sitzen zwei Frauen, von denen die eine isst
und die andere aus einem mächtigen Kruge den letzten Rest austrinkt. Eine hinter ihnen
stehende Gestalt ist ebenfalls mit Essen beschäftigt. Ein Hund erfreut sich an einem
Knochen. Die Thür zu der Küche ist halb geOffnet; man sieht am Herde eine Frau mit
Kochen beschäftigt.
Fig. 339. Deutsche Wochenstube des 16. Jahrhunderts, wahrscheinlich von yost AmmuHH.
(Aus Rueff.)
Den Luxus der Wochenstuben in der Schweiz, wie er in früheren Zeiten
herrschte, schildert ein Brief des Aloysius von Orelii, welchen er im Jahre 1555
aus Zürich an seinen Bruder schickte. (Scheible.) Es heisst darin:
.Selbst mittelmässig begüterte Bürger glauben ihrer Kindbetterin wenigstens eine silberne
Suppenschüssel anschaffen zu müssen. So eingezogen und einfach es sonst in den Haushaltungen
zugeht, so prächtig und schOn muss alles während den Wochen in der Kindbetterin Zimmer
seyn, welches fast allemal das beste im Hause ist. Alles vorhandene Silbergeräth, was nur
immer für Frauen brauchbar ist, wird in diesem Zimmer aufgestellt. So lang die Wochen
dauern, wird die Wöchnerin mit dem Schönsten und Besten bedient, was das Haus vermag,
ebenso ihre Freundinnen und Verwandten, die sie fleissig besuchen und zu diesen Besuchen
sich wenigstens ein paar Mal mit ihren besten Kleidern putzen. Die Besucherinnen werden
mit Weinsuppen und Zuckerwerk bewirthet."
„Die Wochen sind die gelegene Zeit, in welcher die Wöchnerinnen die Kostbarkeiten des
Hauses, und ihren Freundinnen, Bekannten und Nachbarinnen ihren schönsten Schmuck zeigen
können. Sind ältere Töchter im Hause, so müssen auch sie in ihren Feiertagskleidem in der
Wochenstube erscheinen; das kleinste Kind liegt in der feinsten Leinwand, in gestickten oder
388. Die Unreinheit der Wöchnerin. 347
gewflrkten Betttüchern, die aber nicht sonderlich geschätzt werden, wenn sie nicht die Mutter
selbst verfertiget hat. Sollte nur eine zehnjährige Tochter da sejn, so ist sie die Wärterin
des Kindes, und sie bildet sich nicht wenig auf dieses Amt ein; sie zeigt den bewundernden
Frauen das hübsche Weissgeräth, was die Mutter gearbeitet, wird dann selbst ermuntert, so
fleissig zu werden wie die Mutter, die denn auch das Kind nicht stecken lässt, und ihr be-
fiehlt, die eigenen Arbeiten zu bringen, die natürlich gelobt werden. Dieses Vorzeigen eigener
Arbeiten vor ganzer Freundschaft und Nachbarschaft spornt den Fleiss und die Ehrbegierde
der Mädchen ungemein, welche während der Mutter Schwangerschaft sich durch emsiges
Arbeiten vorbereiten. Und diesen Sitten verdanken dieZürcherschen Frauen ihre Geschick-
lichkeit in künstlichen Arbeiten, worin sie den Italienischen Klosterfrauen gleichen und
überhaupt zu vortrefflichen Hausmüttern gebildet werden. Noch lange nachher wird von den
Kostbarkeiten und der Ordnung in dem Hanse der Kindbetterin u. s. w. geredet, bis eine
andere Wöchnerin neuen Stoff liefert. Dem Ehemann würde es verdbelt werden, wenn er
sich nicht, soviel es seine Geschäfte immer erlauben, bej den Wochenbesuchen einende, um
die Glückwünsche der Frauen anzunehmen. Der Mutter und dem Kinde werden von den
Verwandten, besonders von den Taufpathen, kostbare Geschenke gemacht. Bey denen für
das Kind wird auf den Gebrauch in späteren Jahren gesehen. Diese sind denn auch ein Gegen-
stand des Gesprächs in den Wochenstuben."
Das Alles ist bezeichnend genug, um uns erkennen zu lassen, wie wenig
man in damaligen Zeiten diejenigen Gesichtspunkte in der Pflege der Wöchnerin
zu berücksichtigen pflegte, welche wir heute so ganz besonders in den Vorder-
grund zu stellen gewohnt sind: die absolute Ruhe für die Entbundene und die
Erhaltung einer unverdorbenen, von möglichst wenig Personen getheilten Luft in
der Wochenstube.
88S. Die Unreinheit der Wöchnerin.
Wie weit über den Erdball verbreitet die Anschauung ist, dass aller blutige
Abfluss aus den Genitalien der Frau eine hervorragend verunreinigende Wirkung
ausübt, das ist uns schon bekannt geworden. Wir konnten daher a priori bereits
erwarten, auf Völker zu stossen, welche auch den Wochenfluss und damit ver-
bunden natürlich auch die Wöchnerin ftir unrein und verunreinigend ansehen.
Zum nicht geringen Theil beruht ja auf solchen Anschauungen wahrscheinlich die
Sitte, die Weiber in abgesonderten Gebärhütten niederkommen zu lassen.
Auch bei den alten Iranern wurde die Wöchnerin wie die Menstruirende
ftir unrein gehalten. Nach Zoroaster^s Gesetz musste bei den Medern, den
Baktrern und den Persern vierzig Tage lang die Entbundene an einem abge-
sonderten Orte leben; dann konnte sie sich zeigen, musste jedoch noch andere
vierzig Tage abwarten, bevor ihr Mann sich ihr nahen durfte; ihre Unreinheit
dauerte demnach achtzig Tage. Zaroaster schrieb auch vor: Die Wöchnerin muss
auf einen erhöhten Ort der Wohnung gebracht werden, der mit trockenem Staube
bestreut ist, fünfzehn Schritt vom Feuer, vom Wasser und von den heiligen
Ruthenbündeln (entfernt auch von Bäumen). Hier soll sie so gelagert werden,
dass sie das Feuer des Herdes nicht sehen kann. Niemand durfte sie berühren.
Nur ein bestimmtes Maass von Speisen durfte ihr gereicht werden und zwar in
metallenen Gefassen, weil diese die Unreinheit am wenigsten annehmen und am
leichtesten gereinigt werden können; und der, welcher diese Nahrung brachte,
musste drei Schritte von ihrem Lager entfernt bleiben.
Diese Vorschriften befolgen die Parsi noch heute streng: Die junge Mutter
muss sich sofort nach der Entbindung der Waschung mit Nirang unterwerfen,
d. i. mit Urin der Kuh, des Ochsen oder der Ziege. Diese Flüssigkeit, die bei
allen rituellen Handlungen in Anwendung kommt, soll von der Wöchnerin sogar
getrunken werden. Hatte sie eine Fehlgeburt erlitten, so ist ihr Körper auch
noch durch Todtes befleckt; dann muss sie dreissig Schritt vom Feuer und von
den heiligen Gegenständen des Hauses gelegt werden und einundvierzig Tage auf
ihrem Staublager verbleiben. Darauf muss sie die neun Höhlen ihres Körpers
348 LXI. Das Ceremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
mit Kuhurin und Asche auswaschen. Sie darf kein Wasser aus ihrer unreinen
Hand trinken; thut sie es dennoch, so soll sie zweihundert Schläge mit der Pferde-
peitsche erhalten. (Vendidad V. 136—137.)
Die Frau der Nayer-Kaste in Malabar lässt sich sofort nach ihrer Ent-
bindung zum heiligen Teich der Pagode führen, wo sie ein Bad der Reinigung
zu nehmen hat; denn die Hebamme hat sie, da sie aus niedrigerer Kaste ist^
durch ihre Berührung verunreinigt. Danach verweilt sie 14 Tage in einem ab-
gesonderten Baume, und sie darf kein Kochgeschirr berühren; die Speisen werden
ihr in besonderen Gefassen durch Weiber gebracht, die sich nach jedem Besuche
reinigen müssen. Nach dieser Zeit badet die Wöchnerin abermals im Teiche und
eine Frau sprengt Wasser über den Boden des Zimmers und auf die benutzten
Geräthschaften. Mit diesem Ceremoniell ist dann die Reinigung der Entbundenen
vollendet. {Jagor,)
Bei einer Anzahl von Yolksstänmien Indiens muss die Entbundene in einer
abgesonderten Hütte verharren, weil man sie für unrein betrachtet.
Die Wöchnerin aus der Pulayer-Sclaven-Kaste bleibt nach der Geburt
des ersten Kindes 22 Tage, nach späteren Entbindungen aber nur 13 — 16 Tage
in dieser Hütte; nur ihre Mutter oder die Schwiegermutter, oder in Ermangelung
dieser eine alte Frau haben zu derselben Zutritt. Bei den Yeda's in Travan-
core wird die Frau dort von der Mutter oder der Schwester versorgt. Am
sechsten Tage bezieht sie dann ein dem Dorfe näher gelegenes Obdach, wo sie
wiederum fünf Tage verweilen muss. {Jagor) Die wilden Bewohner vonBustar
in Gentral-Indien sondern die Wöchnerin auf 30 Tage ab, aber den übrigen
Familiengliedern ist es gestattet, ihr Handreichungen zu leisten. Bei den Hos,
den Bhuias und den Bendkars in Bengalen (NoUrott) bleibt die Entbundene
sieben Tage, bei den Kafirs im Hindu-Kush einen vollen Monat als unrein
in der Entbindungshütte. Die Kafir-Frau lebt in dieser Zeit ausschliesslich von
Milch. Ihr Ehemann darf sie nicht besuchen und sie darf die Hütte nicht ver-
lassen, bis sie eine Geremonie der Reinigung durchgemacht hat. Bei den San-
tals dehnt sich die Unreinheit sogar mit auf den Vater aus. (Nottrott,)
Die Unreinheit bei den Munda-Kohls erstreckt sich nach Jeüinghaus auf
8 Tage und sie geht auch auf alle diejenigen über, welche mit der Wöchnerin
in Berührung kommen.
Bei den Badagas im Nilgiri-Gebirge dauert die Absonderung der
Wöchnerin in der Niederkunftshütte nicht länger als 2 bis 3 Tage und sie wird
nur bei der ersten Entbindung innegehalten. Bei ferneren Geburten wird der
Frau sehr oft gestattet, im ersten Zimmer des Hauses zu verbleiben, das zweite
Zünmer aber, welches den Feuerplatz enthält, darf sie nicht betreten. Eine Frau,
die geboren hat, darf bis zum dritten, fünften, siebenten oder neunten Tage nach
dem ersten Voll- oder Neumond kein Hausgeräth berühren. Nach ftinf, sieben,
neun oder fünfzehn Tagen beginnen dann die Wöchnerinnen, ihre Arbeit wieder
aufzunehmen. (Jagor.)
Nach Spencer St. John ist bei den Dayaken auf Borneo nach einer
Niederkunft 8 Tage lang die ganze Familie unrein, und man meidet jegliche
Berührung mit ihr.
Die Samojeden haben ein „unreines Zelt", das Samajma oder Madiko
genannt wird. In diesem muss sich die Wöchnerin auf volle zwei Monate ein-
quartieren und sie wird darin äusserst schlecht verpflegt.
Bei den Korjaken hält sich die Wöchnerin während der ersten zehn Tage
nach der Niederkunft verborgen.
Auch die Ostjakin sucht für die Entbindung eine besondere Jurte auf, in
welcher sie fünf Wochen verbleibt.
Bei den Mongolen darf das Zelt, in welchem ein Kind geboren wurde,,
von Keinem, der nicht ein Angehöriger ist, betreten werden. Die Wöchnerin
888. Die Unreinheit der WOchnerin. 349
bleibt drei Wochen hindurch unrein, und es ist ihr nicht gestattet, das Essen
zu kochen.
Die Tungusin wird im Wochenbett als unrein sich selbst überlassen.
Bei der Wogulin dauert die Unreinheit sechs Wochen (Georgi)^ bei der
Orotschonin nur 3 bis 4 Tage. Die letztere wird in dieser Zeit in einer ab-
gesonderten Jurte von einer alten Frau verpflegt und Niemand anders nähert sich
Uir. Nach 4 Tagen darf sie die Jurte yerlassen, aber es ist ihr nicht gestattet,
dabei über die Thürschwelle zu schreiten, sondern man hebt zu diesem Zweck ein
Fell an der Seite der Hütte auf; dann aber übernimmt sie wieder ihre gewohnte
Beschäftigung.
Bei den Kalmücken bleibt die Frau drei Wochen lang nach der Ent-
bindung unrein, bis sie sich in der Hütte durch Waschen mit warmem Wasser
am ganzen Leibe gereinigt hat. unter den Kirgisen im Gebiete Semipala-
tinsk wird bereits vom dritten Tage an die Wöchnerin als gereinigt angesehen,
vorher aber ist es ihr verboten, ihrem Ghttten das Essen zu reichen.
Die Georgierin wird nach der Niederkunft drei Wochen lang von den
nächsten weiblichen Verwandten in der Nacht in Obhut genommen, damit sich
der Gatte fem von ihr halte. Zu Anfang der vierten Woche ninmit sie ein Bad,
und dann wird sie dem Manne zurückgegeben.
Bei denChewsuren soll die Entbundene einen Monat, bei den Pschawen
vierzig Tage in der Gebärhütte verbleiben. In neuerer Zeit ist man nachsichtiger
geworden, und man gestattet, dass sie das Menstruationshaus nahe am Dorfs be-
zieht; die Gebärhütte aber wird niedergebrannt. {Radde.)
Bei den Samar itanern erhält die Wöchnerin eine besondere Abtheilung
im Zimmer und wird durch eine von Steinen aufgerichtete niedrige Wand von
den XJebrigen geschieden. Sie bekommt ihren eigenen Löffel, Schüsseln u. s. w.
und Niemand darf sie berühren. So bleibt sie nach der mosaischen Vorschrift,
wenn sie einen Sohn gebar, dreiunddreissig, wenn sie aber eine Tochter gebar,
Sechsundsechzig Tage, nach deren Verlauf sie in ein Bad gehen muss und alle
ihre Kleider gereinigt werden.
Die Beduinen -Wöchnerin verlässt eine Woche lang nicht das Haus; dann
werden alle ihre Gewänder gewaschen. Bisweilen dehnt sie die Absperrung bis
auf 40 Tage aus. (Palmer.)
In Marokko sondert sich die Entbundene auf zwei volle Jahre ab, wahrend
welcher Zeit sie ihr Kind säugt; aber ihr Ehemann darf wieder mit ihr Umgang
haben, wenn sie zum dritten Male nach der Geburt ihre Menstruation gehabt hat.
Auch die Aegypterin unterliegt nach der Entbindung einem Zustande der
Unreinheit, deren Dauer je nach den Vorschriften der verschiedenen Sekten ver-
schieden ist; in Gairo dauert diese Periode, welche man Nifäs nennt, meist 40
Tage; auch hier nimmt die Frau am Schlüsse dieser Periode zur Reinigung ein
Bad. (Lane.)
Dass die Unreinheit der Wöchnerin auf 40 Tage berechnet wird, findet sich
nach Brehm auch in Massaua, und bei den Suaheli ist nach Kersten wenigstens
auf die gleiche Zeit verboten, den Goitus auszuüben.
In Abyssinien bleibt dem Vater und überhaupt jedem Manne das Haus
auf die Dauer eines Monats verschlossen. (Reinisch.) Bei den Bomb^, einem
Niam-Niam-Volke, bleibt die Wöchnerin fiünf Tage lang unrein, wird dann
ebenfalls durchräuchert und darf erst nach diesem Reinigungs-Verfahren das
Haus verlassen (nach mündlicher Mittheilung Buchtas an Ploss).
Bei den Kaffern bleibt die Frau einen Monat lang von dem Manne ge-
trennt (Alberti.) Unter den Basuthos in Süd- Afrika verlässt die Wöchnerin
vor zwei Monaten nicht die Hütte. {Casälis.) Ebenso ist es bei den Betschuanen.
Fühlt eine Mar olong-(Betschuanen-)Frau ihre Entbindung nahen, so zieht sie
sich in ihre Hütte zurück, welche von dem Gatten dann für die nächsten drei
350 ^^I- ^^6 Ceremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
Monate nicht mehr betreten werden darf. Eine Frau, die bei den Makololo
und anderen Stammen des Marutse-Reiches am Zambesi von einer Fehlgeburt
heimgesucht wurde, muss auf 3 — 4 Wochen ihre Niederlassung verlassen und im
Waldesdickicht abseits in einer Hütte wohnen; sie wird als besonders unrein
betrachtet, sie darf nicht aus einem Gefasse trinken, ihr wird das Essen auf die
Hohlhand gethan, die ihr sowohl die Schiissel als auch den Becher ersetzen
muss. {Holub.)
Von den Ovaherero berichtet der Missionar Dannert^ dass die Männer die
Wöchnerin nicht sehen dürfen, bis des Kindes Nabelschnurrest abgefallen ist; sie
würden sonst Schwächlinge werden und im Kriege würden sie von den Pfeilen
und Speeren getroffen werden. Das Haus, in welchem die Wöchnerin verharren
muss, hat zwei Thüren, die eine geht zum Okuro (heiligen Feuer), das sich stet»
vom Häuptlingshause aus nach Westen befindet, während die andere an der ent-
gegengesetzten Seite ihrer Hütte liegt. Diese Thüren sind aber nur Löcher ohne
Verschluss, und ausser diesen grossen hat das Haus noch eine Unzahl kleinerer
Löcher, so dass der Wind freien Spielraum hat. Die Wöchnerin wird sobald al»
möglich in das für sie hergerichtete Haus gebracht, meist schon i\ach 2 — 3 Stunden.
Sie muss dabei zur hinteren Thüre, d. h. zu der vom heiligen Feuer abgekehrten,
hinein gehen, wie sie überhaupt auch später nur diese zum Ein- und Aus-
gehen benutzen darf. Ja bis der Nabel des Kindes abgefallen ist, darf sie
zur vorderen Thür nicht einmal heraussehen. In diesem Hause nun bleibt die
Wöchnerin etwa vier Wochen; doch kann sie, wenn sie eine arme Frau ist, die
keine Diener hat, durch welche sie ihr Haus versorgen lassen kann, schon früher
diese Hütte verlassen, jedenfalls aber nicht, bevor der Nabel des Kindes ab-
gefallen ist.
Bei den Loango-Negern darf ebenfalls die Wöchnerin von Männern nicht
eher besucht werden, bis der Nabelschnurrest abgefallen ist. Bei den Ewe ist
die Mutter sieben Tage unrein; bei ihnen aber, sowie bei den anderen Negern
der Sierra Leone, ist sie für den Gatten nicht nur in dem Wochenbett, sondern
auch während der ganzen Säugeperiode unzugänglich. (Zündel.)
Auf den Sandwichs-Liseln muss die Frau nach der Niederkunft 10 Tage
lang im Walde in völliger Abgeschlossenheit von den Männern zubringen»
(CampbeU.)
Auf den polynesischen Liseln begiebt sich die Frau gleich nach der Ge-
burt mit ihrem Kinde zum Priester in den Marae, wo derselbe die Nabelschnur
des Elindes unterbindet, und hier verweilt sie so lange, bis der Nabelschnurrest
vom Kinde von selbst abgefallen ist. {Moerenhout)
Auf Tahiti muss die Wöchnerin aus vornehmer Familie zwei bis drei
Monate, aus den ärmeren Klassen aber nur zwei bis drei Wochen in einer ab-
gesonderten Hütte verbringen. In dieser Zeit darf sie ihr Kind säugen, aber sie
selbst muss gefuttert werden. Der Vater des Kindes hat unbehinderten Zutritt;
die übrigen Verwandten dürfen aber nur in die Hütte, wenn sie alle Kleider ab-
gelegt haben. Alles, was das Kind berührt, namentlich mit dem Kopfe, ist sein
Eigenthum. Die Aermeren müssen zum Abschluss dieser Absperrung fünf Rei-
nigungsopfer überstehen; die Reichen werden durch ein grosses Fest auf dem
Marae, das sogenannte Oro afest, entsühnt. {Wilson)
Auf den Pel au -Inseln bleibt nach Kuhary der Gatte von der Wöchnerin
zehn Monate lang streng geschieden; er schläft in dieser Zeit im Junggesellen -
hause (Baj) und kommt nur zum Essen in seine Wohnung.
In Andai an der Nordküste von Neu -Guinea muss nach v. Rosenherg
die Wöchnerin 14 Tage lang in der Gebärhütte verweilen. Es ist ihr zwar nicht
absolut verboten, in das Ebus ihres Gatten zu kommen, aber je weniger dieses
geschieht, um so angenehmer ist das den Hausgenossen.
388. Die Unreinheit der Wöchnerin. 351
,In keinem Falle aber darf das Betreten des Hauses auf der gewöhnlichen Treppe ge-
schehen, sondern vielmehr auf einem Balken, worin nur wenige und sehr untiefe Kerben ein-
gehauen sind, um dadurch das Auf- und Abklettem so mühsam wie möglich zu machen.
Man glaubt, dass wenn die Frau auf dem sonst üblichen Wege das Haus betreten würde, die
Hausbewohner durch Krankheit heimgesucht würden. Geht Jemand an dem kleinen Hüttchen
vorüber, während Mutter und Kind sich darin befinden, so ist es ihm verboten, auf demselben
Wege, auf dem er gekommen, zurückzukehren, weil man glaubt, dass in diesem Falle die
Gärten durch Schweine würden verwüstet werden. Zufolge eines anderen Gebrauches muss
jeder, welcher der Mutter mit dem noch säugenden Kinde ausserhalb des Hauses begegnet,
das Gesicht von ihr abwenden, aus Furcht, sonst krank zu werden.*^
Die Wöchnerin gilt auf den Neu-Hebriden nach Missionar Macdonald
für unrein ; kein Mann darf ihre Hütte betreten. In derselben muss sie mit ihrem
Kinde 30 Tage lang verharren. Ihr Mann und die Verwandten versorgen sie mit
Nahrung. Man glaubt, dass ihre Milch versiegen würde, falls sie während dieser
Zeit arbeitet. Nach Ablauf dieser Frist badet sie sich im Meere.
Die gleichen Anschauungen herrschen nach Mertens auf den Marianen-,
den Marshalls- und den Gilbert-Inseln, und nach v, MiMucho-Maclay^ auf den
Carolinen.
Auch auf den Aaru- Inseln wird die Entbundene für unrein gehalten und muss
einen ganzen Monat hindurch im Zimmer gegen das Feuer gekehrt liegen. (Riedel^.)
Unter den Eskimos muss die Frau eine gewisse Zeit nach der Entbindung
ganz zu Hause bleiben; dann, bisweilen erst nach zwei Monaten, besucht sie alle
umliegenden Häuser, nachdem sie ihre Kleider, die sie nie wieder trägt, mit einem
anderen Anzüge vertauscht hat. Nach einem anderen Brauche darf sie ein volles
Jahr nicht allein essen. Die Eskimos, die nach dem Grunde dieser Sitte ge-
fragt wurden, sagten, die ersten Eskimos hätten dies auch so gemacht. (HcdL)
Bei den Grönländern haben die Wöchnerinnen, wie David Oanjer berichtet, sehr
viel zu beobachten. Sie dürfen nicht unter freiem Himmel essen, aus ihrem
Wassergefass darf Niemand trinken, noch bei ihrer Lampe einen Spahn anzünden,
und sie selbst dürfen eine Zeit lang nicht darüber kochen.
Auch die Thlinkiten-Frau ist während der Wochenbettszeit unrein und nur
die nächsten weiblichen Verwandten dürfen sie mit Nahrung versorgen. Aurel
Krause bemerkt dazu:
.Dieser Gebrauch, der h&ufig als eine besondere Rohheit und Rücksichtslosigkeit gegen
das weibliche Geschlecht geschildert worden ist, möchte vielleicht gerade aus einer gegen-
theiligen Gesinnung entsprungen sein, wie sie auch der sonstigen Stellung der Frauen unter
den Thlinkiten, die keineswegs eine untergeordnete ist, wohl entsprechen würde. Offenbar
kann den Wöchnerinnen in den kleinen Hatten eine bessere Pflege zu Theil werden, als in
dem grossen, gemeinschaftlichen Wohngebäude, und unsere Erkundigungen ergaben denn auch,
dass diese Maassregel durchaus nicht als Härte aufgefasst werde."
Die Indianer an der Hudsons-Bay belassen die Wöchnerin 4 bis 6
Wochen lang als unrein in der Niederkunftshütte unter der Pflege zweier Frauen.
(Heame.) Die Chippeway*Wöchnerin ist ebenfalls unrein, und sie darf acht
Tage hindurch zum Kochen nur ein besonderes Feuer gebrauchen. Wenn ein
Anderer dasselbe benutzt, so vrird er von Krankheit befallen werden. Der Missionar
Beierlein^ welcher Ploss dies mittheilte, sah, dass mehrere junge Indianer,
welche von einer Speise gegessen hatten, die an demselben Feuer mit der Speise
der Wöchnerin gekocht worden war, sich hin und her wanden, über Leibschmerzen
klagten und sich eine bittere Arznei geben liessen, weil sie fürchteten, krank zu
werden.
Die Uinta-Indianerin bleibt 2 bis 3 Wochen in der Gebärhütte; die
Pueblo-Wöchnerin muss einen besonderen Reinigungsact durchmachen. Bei den
Macusis in Britisch-Guyana ist die Wöchnerin unrein bis zum Abfall der
Nabelschnur (SchoniburgJc)^ bei den califoraischen Indianern dauert die Un-
reinheit 40 Tage {de Charlevoix),
352 L^I* ^^ Geremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
Burton sah auf seinem Wege, 300 Meilen von der grossen Salz Seestadt
im Rubinenthaie, bei den daselbst angesiedelten gezähmten Wilden eine hübsche
junge Frau mit einem neugeborenen Kinde in einem Korbe abgesondert im Busche
sitzen: es war eine unreine Wöchnerin.
389. Die Unreinheit der Woehnerin bei den Caltarvolkern.
Es kann uns wohl mit Recht überraschen, die Wöchnerin auch bei relativ
hochcivilisirten Völkern gleichsam vollständig abgesondert von der menschlichen
Gesellschaft zu finden. So ist es in den höheren Gesellschafkskreisen Chinas die
Regel, dass der Mann mit seiner Frau einen vollen Monat nach der Geburt des
Kindes nicht spricht und dass ebenso lange kein Besucher in das Haus kommen
darf. Um dieses anzudeuten, wird über dem Haupteingange des Hauses ein
Büschel Immergrün aufgehängt; wer dieses Zeichens ansichtig wird, meidet das
Haus so sehr, dass er nicht einmal seine Karte an der Thüre abgiebt. Während
des ganzen Monats gelten alle Insassen des Hauses, wie Jeder, der dasselbe betritt,
für unrein; keine dieser Personen darf einen Tempel betreten. Kerr giebt da-
gegen von den Frauen in Canton an, dass sie sich nach der Entbindung nieder-
legen, dass sie aber am 3. Tage schon wieder ausgehen; die ärmeren Klassen
erheben sich oft gleich nach der Niederkunft, aber auch die Reicheren bleiben
nicht liegen, sondern sie halten sich nur einen Monat lang im Zimmer, weil sie
„unrein* sind.
Bei den Miaotze, den Ureinwohnern der Provinz Canton, darf die Ent-
bundene am zehnten Tage aus dem Hause gehen; aber erst nach 40 Tagen arbeitet
sie; das Reinigungsfest wird aber schon am 30. Tage gefeiert. (Missionar Krosceyh)
Auch die Japanerin gilt nach der Entbindung für unrein und zwar 50
Tage hindurch. Erst nach dem Verlaufe dieser Zeit darf sie wieder das Haus
verlassen.
Und selbst von manchen unter den heutigen Völkern Europas wird die
Entbundene als unrein betrachtet. So muss sie bei den Lappen, wie Scheffer
angab, einen besonderen Platz in der Hütte links von der Thüre einnehmen, wo
Niemand hinkommt, weil sie unrein ist, und der Mann nähert sich seiner Frau
nicht vor dem Ende der sechsten Woche. In Ungarn darf sich ausser dem
Vater kein Mann dem Wochenbette nähern; wagt es dennoch einer, so wird ihm
der Hut genommen, welchen er dann mit Geld auslösen muss. (v. Csaplovics.)
In Böhmen und Mähren lässt man die Wöchnerin nicht allein zum Brunnen
oder zum Flusse nach Wasser gehen, damit sie nicht das Wasser verderbe. {Sumeow)
Auch in Russland macht die Niederkunft die Mutter und das Kind unrein;
für andere Personen ist die Berührung mit ihnen bis zum Ablauf des natürlichen
Processes und bis zur Vollziehung bestimmter vorgeschriebener Gebräuche ver-
derblich. Als Termin der Unreinheit gelten gemeinhin 40 Tage. Bei den Gross-
Russen wird die Wöchnerin zeitweilig streng von der anderen Familie gesondert;
bei den Klein -Russen aber nicht. Im Gouv. Nishni-Nowgorod geht die
Geburt in der Badestube vor sich; hier verbleibt die Wöchnerin einige Tage.
Im Gouv. Tula verweilt sie 8 Tage in der Badestube, dann begiebt sie sich zu
ihrer Mutter, bleibt 6 Wochen da und kommt dann erst zu ihrem Manne nach
Hause zurück.
Die Idee, dass der Umgang mit einer Wöchnerin verunreinige, findet sich
unter mancherlei Gestalt auch bei den Völkern germanischer Abkunft. Man
nennt in Deutschland ja auch die Aussonderung der Genitalien die «Wochen-
reinigung'^ und hält das Ausbleiben derselben für die Ursache des Erkrankens,
wobei man sagt: „Die Mutter habe sich nicht gereinigt.* Spuren einer Vor-
stellung des Unreinseins findet man in folgendem Aberglauben: Im Franken-
390. GeachleclitsuntorBchiede in der ünreinlieit der W5clinerin. 853
walde darf die Wöchnerin vor Ablauf der Sechswochenzeit oder vor der „ Aus-
segnung ^ nicht zum Brunnen gehen, sonst versi^t die Quelle. Ebenso ist es
ihr verboten, auf das Feld und in den Garten zu gehen, denn sonst gedeihen die
Früchte auf demselben nicht. In Schwaben darf aus dem Hause, wo eine
Wöchnerin ist, nichts entlehnt werden; sie selbst darf so lange kein Weihwasser
nehmen, bis sie ausgesegnet ist, sondern sie muss es sich geben lassen.
Bei den Neu -Griechen ist die Wöchnerin 40 Tage lang unrein. Sie darf
während dieser Zeit die Kirche nicht betreten, geht aber am 40. Tage zur Dank-
sagung in das Gotteshaus. Ueberhaupt ist ihr wahrend dieser Zeit verboten,
irgend einen zu heiligem Gebrauche dienenden Gegenstand zu berühren. Wer im
Besitze eines Talismans ist, muss das Haus der Wöchnerin meiden; in ihrer Nähe
würde derselbe seine Kraft verlieren. (WachsmiUh.)
Hier haben wir Ueberlebsel aus Alt-Griechenland vor uns, denn es war
der Athenienserin versagt, vor dem 40. Tage in das Freie zu gehen; das an
diesem Tage abgehaltene Fest hiess Tesserakostos; es war einer Wöchnerin ver-
boten, den Tempel zu betreten oder eine heilige Handlung zu verrichten, ohne
zuvor ein Reinigungsbad genonunen zu haben.
Auch bei anderen untergegangenen Gulturvölkem finden wir, dass die
Wöchnerin für unrein angesehen wurde, z. B. bei den Römern, den Juden und
den Indern. Die Römer hielten das Haus, in dem sich eine Wöchnerin be-
fand, für unrein; wer aus demselben kam, musste sich waschen, und das Haus
musste später entsühnt werden.
890. Oeschleehtsnnterschiede in der Unreinheit der Wöchnerin.
Bei der Pulayer-Kaste in Indien haben wir gesehen, dass durch die Ge-
burt des ersten Kindes die Wöchnerin stärker verunreinigt wird, als durch die
folgenden Entbindungen. Wir begegnen aber auch dem Gebrauche, dass die
Wöchnerin auf eine verschieden lange Zeit verunreinigt ist, je nachdem sie einem
Knaben oder einem Mädchen das Leben schenkte.
Bekanntlich machte schon das Gesetz des Mosis nach dem Geschlecht des
Neugeborenen Unterschiede in der Unreinheitsdauer. Die Vorschrift lautet:
(3. Moses 12, 2—5):
,Wenn ein Weib besamet wird, und gebieret ein Enäblein, so soll sie sieben Tage
unrein sein, so lange sie ihre Krankheit leidet. — und sie soll daheim bleiben drei und
dreissig Tage im Blut ihrer Reinigung. Kein Heiliges soll sie anrühren, und zum Heiligthum
soll sie nicht kommen, bis dass die Tage ihrer Reinigung aus sind. Gebiert sie aber ein
Mägdlein, so soll sie zwo Wochen unrein sein, so lange sie ihre Krankheit leidet, und soll
sechs und sechzig Tage daheim bleiben in dem Blut ihrer Reinigung.'
Diesen Unterschied in der Wochenbettsdauer nach einer Knaben-Geburt und
nach der eines Mädchens leitet der Talmudist Maimonides von der kälteren Natur
des weiblichen Geschlechts ab; er sagt:
.Die Krankheiten der kalten (weiblichen) Naturen bedürfen einer längeren Reinigung,
als die der warmen (männlichen) Naturen; und da des Weibes Natur kalt und feucht, auch
die Gebärmutter bei der weiblichen Geburt gr5sser ist, als bei der männlichen, so bedarf es
zur Absonderung der kalten Schleime und fauligen Flüssigkeiten bei der weiblichen Geburt
mehr Zeit, als bei der männlichen, wo mehr Hitze und weniger Flüssigkeit ist. Auch bringt
eine Frau ein männliches Kind zur Welt, wenn der Same zuerst von ihr, ein weibliches hin-
gegen, wenn solcher zuerst vom Manne geht. Die Geburt eines männlichen Kindes zeigt
daher eine hitzige Natur der Gebärerin, sowie die Geburt eines weiblichen Kindes eine kalte
Natur derselben an. Und vermöge der hitzigen Natur geht die Absonderung und Reinigung
von den krankhaften Ausflüssen schneller vor sich bei einer männlichen, als bei einer weib-
lichen Natur.*
Ganz ähnlich lehrte Hippokrates, dass bei den Knabengeburten der Wochen-
duss eine nicht so lange Dauer habe, als nach der Niederkunft mit einem Mädchen,
Ploss- Bartels, Das Weib. 5. Aufl. IL 23
354 LXI. Das Geremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
weil nämlich bei der Bildung des Fötus die Sonderung der Glieder im weiblichen
Fötus längstens 42, im mannlichen hingegen 80 Tage in Anspruch nehmen sollte.
Einen Nachklang hierzu finden wir in dem was Kluneinger aus Ober*
Aegypten berichtet hat. Hier dauert die Unreinheit der Wöchnerin vierzig
Tage, nach deren Ablauf sie baden muss. Bei dieser Gelegenheit lässt sie sich
40 Wasserbecher über das Haupt ausgiessen, wenn sie einen Knaben geboren hat ;
ist aber das Kind ein Mädchen gewesen, so genügen 30 Wasserbecher.
Auch von den Bogos in Gentral-Afrika erfahren wir von Muneinger^
dass das Haus, in dem die Wöchnerin weilt, jedem Manne verschlossen ist, und
zwar dauert diese Abschliessung nach der Niederkunft mit einem Knaben vier
Wochen lang, während nach der Geburt eines Mädchens drei Wochen für aus-
reichend gehalten werden. Nach dem Ablaufe dieser Zeit wird das Haus durch
Kp.ucherungen gereinigt.
Es liegt hier nun die Yermuthung nicht gar so fem, dass wir in diesen
eigen thümlichen Gebräuchen der Bogos und der Ober-Aegypter Reminiscenzen
aus dem Alterthume vor uns haben, deren hartnäckige Dauer in Afrika ja auch
durch andere Beispiele bewiesen wird. Interessant ist es aber dabd, dass, wenn
dieses zutrifft, im Laufe der Jahrhunderte sich die Anschauungen völlig umgekehrt
haben. Denn während bei den antiken Völkern eine Mädchen-Geburt die verun-
reinigendere war, ist es jetzt gerade die Geburt eines Kjiaben, welche die Wöch-
nerin länger unrein macht.
Ausgeschlossen ist nun aber eine üebertragung, wenn wir von der Crih-
Indianerin hören, dass sie sich nach der Nieder^nft mit einem Knaben auf
zwei Monate, aber nach der Geburt eines Mädchens auf drei Monate von ihrem
Ehemanne trennen muss. Hier verunreinigt also wieder das Mädchen stärker.
391. Wochenbettsgebrilache.
Die Ankunft eines neuen Weltbürgers und die damit verbundene Erlösung
des Weibes aus langer und banger Sorge und Erwartung und aus den Schmerzen
und Drangsalen der Niederkunft ist ein so erfreuliches Ereigniss, dass wir nicht
selten auch äusserlich dieser Freude einen Ausdruck geben sehen. Man giebt dies
unter anderem durch Schmückung des Hauses kund, in dem sich die Wöchnerin
befindet: In Old-Galabar wird über der Mitte der Thür eines Hauses, in welchem
eine Geburt stattgefunden hatte, ein Büschel von grünen Blättern an einen Strick
gebunden ausgehängt als Zeichen dessen, was sich hier ereignet hat. (Hevan.)
Dies Bezeichnen eines Geburtshauses scheint auch in Afrika weiter gebräuchlich
zu sein, denn die Basuthos hängen ein Bündel Bohre über das Thor, um vom
Publikum Rücksicht auf die Wöchnerin zu erbitten. (Casälis.) Als Zeichen, dass
ein Kind geboren ist, wird femer bei den Marolong (Betschuanen-Stomm)
ein Kaross (Kleidungsstück) über die Thür der Hütte gehängt. (Joest.) Schon in
Alt-Griechenland umwand man die Thürpfosten mit Oelzweigen oder mit
Wollenbinden, um damit sofort den Nachbarn das Geschlecht des Neugeborenen
zu erkennen zu geben. Die alten Römer bekränzten die Thür des Hauses mit
Kränzen von Lorbeer, Epheu und duftenden Kräutern.
Einzelne wenige Völkerschaften sind es, bei denen die allgemeine Yolks-
anschauung dem glücklichen Vater wenigstens äusserlich eine scheinbare Gleich«
gültigkeit gebietet oder ihm ein überraschend ernstes Benehmen bei dem ebenso
wichtigen als frohen Familienereignisse vorschreibt. Bei den Alfuren auf der
Insel Serang in Niederländisch-Indien bekümmert sich der Vater in
den ersten 2 — 4 Monaten nach der Geburt wenig oder gar nicht um das Kind.
Man erklärte dies dem Gapitän Schulze mit dem Umstände, dass viele Kinder in
den ersten Monaten sterben und der Mann sich darum nicht zu früh an das Glück,
391. Wochenbettsgebrftuche. 355
einen Sprössling zu haben, gewöhnen will. Allerdings darf auch bei vielen
anderen Völkern der Vater das Neugeborene nicht sehen, aber nur aus dem vor-
her entwickelten Grunde, weil die Wöchnerin ihn verunreinigen würde.
Wie sehr verschieden bei den meisten Völkern des Vaters Vergnügen sich
je nach dem Geschlecht des Kindes äussert, haben wir früher ausflihrlich be-
sprochen, und die Wöchnerin hat gar häufig wenig Dank von der Geburt einer
Tochter, was höchst charakteristisch für den Werth und die Geltung des weib-
lichen Geschlechts bei dem betreffenden Volke ist.
Es zeugt jedenfalls bereits von einem gewissen Grade von Cultur, wenn an
dem freudigen FamiUenereigniss auch die Verwandten und die Freunde einen
thätigen Antheil nehmen. So sitzt nach Feihin bei den Mahdi-Negern die
Wöchnerin am 4. Tage mit ihrem Kinde in der Thür der Hütte und nimmt die
Glückwünsche ihrer Freunde entgegen. Bei den Hindu schickt der Vater einen
kleinen Jungen oder ein kleines Mädchen aus der Familie mit einer Magd, um
den Verwandten die Geburt des Kindes anzuzeigen. Auf den Tanembar- und
Timorlao-Inseln benachrichtigt der Ehemann so schnell wie möglich den Schwieger-
vater und die Blutsverwandten von der glücklich erfolgten Entbindung, die dann
mit Geschenken (Erd- und Feldfirüchten, einigen Stücken Gold und Leinewand)
kommen, um den jungen Weltbürger zu bewundem. Auf den Sermata-Inseln
statten die Blutsverwandten nach der ersten Niederkunft am 2. oder am 5. Tage
im Wohnhause ihre Besuche ab, um ihre Glückwünsche darzubringen. Bei dieser
Gelegenheit bringen die Frauen Geschenke mit, rothe, schwarze und weisse Leine-
wand, Reis, Sirih-Pinang, Pisang, Sagu, Kaiapanüsse, Tabak, Fische und sogar
auch Wasser und Brennholz. Zwanzig Tage später ist der junge Vater verpflichtet,
ein grosses Fest zu veranstalten. Bei den B ab ar- Insulanerinnen wird dieses Fest
schon am 10. Tage gefeiert und hiermit das Wochenbett als abgeschlossen be-
trachtet. Erst zu diesem Feste erscheinen die Verwandten mit ihren Geschenken
und Glückwünschen. Sofort nach der Entbindung empföngt die Wöchnerin auf
den Keei- Inseln die Gratulationen der Verwandten, aber nur von denjenigen
^weiblichen Geschlechts. (RiedelK)
Eigenthümliche Gebräuche in der Wochenbettsperiode haben wir früher
schon von den Ovaherero in Süd-Afrika kennen gelernt. Wirkte der Anblick
der Wöchnerin auch verunreinigend und schädigend auf die Männer, so wird die-
selbe doch in anderer Beziehung auch gewissermaassen als heilig angesehen.
Viehe schreibt hierüber:
.Sie verrichtet auch gewisse religiöse Gebräuche, welche sonst von dem Priester als
fungirendem Haupte der Familie besorgt werden. Letzterer muss n&mlich täglich alle Milch
auf der Onganda weihen, indem er vor dem Gebrauche ein wenig davon kostet. Ist dagegen
eine Wöchnerin auf der Onganda, so wird die Milch nur zu ihm gebracht, damit er seinen
rechten Zeigefinger in dieselbe tunkt und ihn so zur Herzgrube führt. Das sogenannte makaran ,
d. h. das Weihen durch Berührung mit dem Munde, geschieht in dieser Zeit aber von der
Wöchnerin."
Nach dem Berichte von JDannert nimmt die Wöchnerin von dem für sie
gekochten Fleisch einige ganz kleine Stückchen ab. Diese weiht sie dadurch,
dass sie sie anhaucht und des Neugeborenen Zehen damit bestreicht. Sie heissen
dann ondendura und werden nach der Weihung bis zum Abend weggesetzt. Ist
nun das neugeborene Kind ein Knabe, so werden diese ondendura nach Sonnen-
untergang einem beliebigen kleinen Mädchen zu essen gegeben; war das Neuge-
borene ein Mädchen, so muss ein Knabe diese Fleischstückchen verzehren, üeber
die Bedeutung dieser Sitte ist man nicht klar; denn wenn die Einen angeben, dass
dies deshalb geschehe, damit der nächste Sprössling nicht wieder von demselben
Geschlecht sei, wie der letztgeborene, so erklären die Anderen, dass ihnen hiervon
nichts bekannt sei.
Von dem Zeitpunkte an, wo der Nabelschnurrest des Bandes abgefallen ist,
23 •
356 L^* ^^ CeremonieU, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
wird auch das Feuer von der hinteren Thür der Wöchnerin-Hütte an die vordere
verlegt. Das erste, was dann gekocht wird, ist die Brust und der Oberschenkel
eines Thieres, die man bis jetzt aufbewahrt hatte. Dann darf auch der glückliche
Familienvater konunen und seine Frau und den neugeborenen Säugling sehen,
doch ist es ihm auch jetzt noch nicht erlaubt, das Haus der Wöchnerin zu be-
treten. Er weiht nun auch das Fleisch der Brust und des Oberschenkels, indem
er Wasser in den Mund nimmt, dieses auf das Fleisch spritzt und dann ein
Stückchen davon abbeisst. Dabei spricht er folgende Worte:
„Mir ist ein Mensch geboren, Knabe (oder Mädchen) in diesem Dorfe, welches ihr
(Ahnen, Vorfahren) mir gegeben. Es gehe ihm gat. Es (das Dorf) yergehe nie.**
Von den alten Einwohnern (Guatemalas berichtet StoU:
^Bei der Geburt eines Kindes wurde dem Priester ein Hohn zum Dankopfer für die
Götter übergeben und das Ereigniss mit den Verwandten festlich begangen. Wenn das Kind
zum ersten Male gewaschen wurde, was in einer Quelle, oder, mangels dieser, im Flusse ge-
schah, so opferte man Weihrauch und Papageien. Man warf bei dieser Gelegenheit alles
Geschirr, welches der Mutter während der Geburtszeit gedient hatte, in den Fluss als Opfer
für dessen Gottheit. Man Hess vom Wahrsager das Loos werfen, um den Tag zu erfahren,
an welchem es gerathen wäre, die Nabelschnur zu entfernen, und wenn der Tag bestimmt
war, legte man dieselbe auf einen buntkömigen Maiskolben und schnitt sie unter Segens-
sprücben mit einem Steinmesser durch. Letzteres wurde als heiliger Gegenstand in eine Quelle
geworfen."
Auf den Tanembar- und Timorlao-Inseln müssen in der ersten Zeit die
Männer das Kind tragen und versorgen, während die Frau, nachdem sie gebadet
hat, ihr gewöhnliches Tagewerk verrichtet. Aehnlich wie bei den Ovaherero
finden wir auch noch bei den Kirgisen den Gebrauch, zum Danke für die glück-
lich erfolgte Entbindung der Gottheit ein Speiseopfer darzubringen. Unmittelbar
nach der Niederkunft wird ein Schafbock geschlachtet, das rechte Hinterviertel,
die Leber, der Fettschwanz, das Bückgrat und der Hals werden in einen Kessel
gethan und gekocht; das übrige Fleisch wird roh aufgehoben und im Verlauf
der drei auf die Niederkunft folgenden Tage als Opfer verbrannt. Ist das ange-
setzte Fleisch gar, so werden die Nachbarn herbeigerufen, um ihnen die Gebur^
des Kindes zu melden; das gekochte Fleisch wird an die anwesenden Weiber ver-
theilt, den Hals bekonmit diejenige Frau, welche das Kind entgegennahm. Der
auf die Niederkunft folgende Tag gilt als ein besonders glücklicher und wird in
Heiterkeit verbracht, und die versammelten Frauen werden bewirthet, so gut
man kann.
i. Der Aberglaube des Wochenbettes.
Wir begegnen im Wochenbett, und zwar bereits von den allerersten Stunden
desselben an, mancherlei absonderlichen und abergläubischen Gebräuchen, von
deren Ursprung, Sinn und Bedeutung die Völker, bei denen wir sie im Schwange
finden, sich sehr häufig selber keine Rechenschaft zu geben vermögen.
Ein Theil dieser Gebräuche hat seinen Ursprung in den Gefahren der Er-
krankung, welchen die Wöchnerin ausgesetzt ist. Unter diesen nimmt nächst
den bereits früher besprochenen Gebärmutterblutungen das furchtbare, durch faulige
Infection und Blutvergiftung hervorgerufene Kindbettfieber die hervorragendste
Stelle ein. Der Ausbruch, der ganze Verlauf und die Tödtlichkeit dieser Affection
hat etwas Dämonisches; und bei vielen Völkern zeigt sich ja überhaupt der
Glaube, dass jede Krankheit eine Wirkung böser Geister sei. Daher sucht man
auf alle Weise die heimtückischen Krankheitsteufel zu bannen. Charakteristisch
ist, wie man sich diese Geister vorstellt.
Die Juden fürchten für die Wöchnerin und ihr Kind Gefahren von der
Lilithj gegen die sie im Zimmer Amulete und Zettel mit Bibelsprüchen aufhängen.
Wir haben diesen Dämon schon früher kennen gelernt. In Galizien ist dieses
892. Der Aberglaube des Wochenbettes. 357
heute noch der Fall, wie ganz neuerdings Spinnef' in Lemberg berichtet.
Nach allen vier Weltgegenden muss sofort nach der Entbindung je ein Zettel
aufgehängt werden, welcher in hebräischer Sprache gedruckt folgenden Zauber-
segen enthält:
,Im Namen des grossen und furchtbaren Gottes Israels! Der Prophet Elias begegnet
einst einem Phantome, Namens lAUÜh und dessen ganzem Gefolge. Wohin Du Unreine und
BOse, und Dein ganzes unreines Gefolge? Herr Elias — erwiderte sie — ich gehe ins Haus
der Wöchnerin N, N., um derselben Morpheum zu geben und ihr neugeborenes Söhnchen zu
nehmen, damit ich mich an dessen Blut sättige, das Mark seiner Glieder aussauge und seinen
Cadaver zurücklasse. Darauf antwortete JE7ia«; Verbannt sollst Du vom Allmächtigen sein
und ein stummer Stein sollst Du werden. — Um Gottes Willen befreie mich, ich werde
fliehen und schwöre Dir beim Allmächtigen, dem Lenker der Schicksale Israels, diese
Wöchnerin und ihr neugeborenes Kind in Ruhe zu lassen, auch schwöre ich Dir dass, sobald
ich meine Namen, die ich Dir jetzt entdecke, vernehmen werde, ich sogleich fliehen werde.
Wenn man meine Namen entdecken wird, werde weder ich, noch mein Gefolge Macht haben,
Uebles zu thun und ins Haus der Wöchnerin zu kommen, geschweige sie zu beschädigen.
Jetzt also lasse die Namen im Hause der Wöchnerin oder des Kindes anbringen. Sie lauten :
Strina, LilUkj Ahithu, Amisu, Amisrofuh, K(ejkasch, Odem, Ik, Podu, Eüu, PaUntto, Abschu,
Rata, Kali, BUno, ToÜu und Partschu, Und jeder, der diese meine Namen kennt und auf-
schreibt, wird bewirken, dass ich sofort vom Kinde fliehen werde. Bringe also, Elias, im
Hause der Wöchnerin oder des Kindes diese Schutzformel an, und dadurch wird die Mutter
von mir nie beschädigt werden. Amen, Amen, Solu, Selu!**
Unten an diesem Zettel ist dann noch das folgende Schema angebracht,
in welchem die Worte Sinow^ Wsinsinow und Isomngölof die Namen von be-
stimmten Engeln sind:
Allmächtiger
Sinoto
Abraham und Sara,
zerreisse
Isäk und Bebeka,
den Satan
Isomngölof
Jacob und Lea.
il
» i
Adam und Eva
innerhalb,
fr
LiKth und ihr Gefolge
ausserhalb.
Bei den Römern wurde der Süvanus als der Feind der Wöchnerinnen an-
gesehen; um dieselben zu schützen, mussten des Nachts drei Männer mit beson-
deren symbolischen Werkzeugen Wache halten. Die Symbole beziehen sich auf
drei Gottheiten, welche die Entbundenen schützten. Der eine der Männer schlug
mit einem Beile auf als Vertreter der Intercidana (a securis intercisione); der
zweite warf ein Pilum gegen die Thür, wie man es zum Zerstampfen des Ge-
treides benutzte: das bedeutete den Püumnus. Der dritte endlich führte einen
Besen, mit dem er die Schwelle des Hauses fegte: das war das Attribut der
Deverra.
Der Wöchnerin werden in Abyssinien viele Amulete angehängt, und so-
bald sie sich von der Anstrengung der Entbindung erholt hat, stellt man vor ihr
Gesicht einen Spiegel, in den sie veranlasst wird, unverwandten Blickes hineinzu-
schauen und sich selbst zu betrachten. Dazu macht die alte Frau, die ihr bei-
steht, in einem auf der Erde stehenden, halb mit Kohlen geftlllten Topfe von Zeit
zu Zeit Bäucherungen mit aromatischen Kräutern, deren Dampf die Hütte erfüllt
und die. Wöchnerin beinahe erstickt. (Blatte.)
Bei den Völkern des Islam und nach PolaJc auch in Persien wird die
Wöchnerin mit Amuleten behängt, welche aus Papierstückchen bestehen, auf die
man einen Koranspruch geschrieben hat.
In Armenien wird die ersten sechs Wochen nach der Entbindung keine
Wöchnerin allein im Zimmer gelassen aus Furcht vor dem Teufel, der ihr besonders
358 LXI. Das Ceremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
geföhrlich ist. (Meyerson,) Bei den Georgiern weiht der Priester das Haus der
Wöchnerin mit heiligem Wasser und legt die Bibel auf die Entbundene. (Eichwald.)
Bei den Guriern bettet man die Wöchnerin in ein ausgeschmücktes Zimmer,
wobei man sie zur Abhaltung böser Geister mit einem Netze bedeckt; das Lager
wird mit Vorhängen von Damast versehen und es werden ihr Muscheln unter
das Kopfkissen gelegt. In der ersten Nacht begiebt sich die Familie nur erst
mit Tagesanbruch zur Ruhe. Sobald sich die Nachricht von der Geburt des
Kindes verbreitet, eilen die Fürsten und Edelleute, der gemeine Mann und selbst
die Frauen der Umgegend herbei, letztere in seltsamen Vermummungen, bald als
Schweine, bald als Pferde verkleidet; dann wird gesungen, musicirt und getanzt.
Bei den Kirgisen im Districte Semipalatinsk wird zum Schutze vor
Unheil über das Lager der Wöchnerin hinweg ein Strick gezogen, an welchem
man einige geistliche Bücher hängt, um den Teufel (^Schaitan", d. L Satan) ab-
zuhalten. Die Frauen bleiben die Nacht über bei ihr und zünden ein Feuer auf
dem Herde an; sonst kommt der Teufel. Erst wenn -das Wochenbett als abge-
schlossen betrachtet wird, werden diese Bücher wieder entfernt.
Vamhery berichtet von den mittelasiatischen Türken, worunter er vor-
nehmlich die Kara-Kirgisen versteht, das Folgende:
, Während der Gebart selbst befindet sieb die Frau zumeist in halbsitzender Stellung,
ja an vielen Orten wird die Gebärende unter den Armen gefasst, und zwar unter dem
Tünlük (obere Oeffiinng des Zeltes) in die Höhe gehalten. Ist die Geburt erfolgt, so wird
reichlich Fett in's Feuer geworfen. Damit der böse Geist die Mutter von den Nachwehen
befreie und, falls letztere dessen ungeachtet nicht aufhören sollten, werden folgende Mittel
angewendet:
a) Es wird aus dem Gestüte ein Pferd mit grossen, hellen Augen gebracht, mit dessen
Maul man den Busen der Leidenden berührt, wodurch der böse Geist vertrieben wird.
b) Es wird eine Eule in*s Zelt getragen und gewaltsam zum Schi'eien gebracht, im
Glauben, dass der böse Geist hierdurch verscheucht wird. Diesem Vogel wird besonders viel
geheime Kraft zugeschrieben, daher denn auch mit seinen Federn die Kappe des Kindes als
Talisman versehen wird.
c) Man setzt aus ähnlichen GrQnden irgend einen Raubvogel auf den Busen der Ge>
bärenden.
d) Man bewirft die Leidende mit Stachelbeeren, in der Hoffnung, dass der böse (reist
an denselben kleben bleiben wird, oder man zündet dieselben an, in der Annahme, dass der
üble Geruch des Bauches verscheuchend wirke.
e) Es wird neben dem Kopfkissen der Leidenden ein Schwert mit der Schneide nach
oben vergraben, hoffend, dass dessen Anblick die bösen Geister verscheuchen wird.
f) Es wird ein Bachschi (Sänger) gerufen, der in*s Zelt stürzend auf die Leidende sich
wirft, um mittelst leichter Schläge mit seinem Stabe den quälenden Geist zu verjagen. Wenn
schliesslich Alles dies nichts helfen sollte, nur dann erst wird die Nachgeburt mit den Händen
genommen."
Für die Mutter und das Kind wird auch der böse Blick gefürchtet. In
Serbien ist das nach Petrowitsch der Grund, warum die Entbundene 40 Tage
im Wochenbette verharrt.
Bei den Ungarn wird das Wochenbett meist in einem Winkel der Stube
zurecht gemacht und mit umgehängten Leintüchern verdunkelt, damit die Mutter
oder das Kind nicht vom AnbUck fremder Menschen krank werde. Täglich schicken
die Gevatterinnen der Wöchnerin ein paar besonders gut zubereitete Speisen, bis
sie wieder aufoteht, was gewöhnlich zwischen 12 — 14 Tagen, oft auch schon früher
geschieht. Der Mann hat während dem gute Tage, denn er verzehrt die Kuchen
und Speisen, welche sein Weib nicht bezwingen kann.
Im russischen Gouv. Perm geht die Hebamme manchmal gleich nach der
Niederkunft, oft aber erst nach dem Verlaufe von sechs Wochen, mit einem reinen
Eimer zum Fluss; nachdem sie ihn gefüllt hat, schöpft sie mit der rechten Hand
drei mal neun Handvoll Wasser in ein bereit gehaltenes Becken imd murmelt
dabei allerlei, um die Wöchnerin zu schützen.
392. Der Aberglaube des Wochenbettes. 35g
An einigen Orten Russlands giesst man der Wöchnerin »besprochenes*
Wasser auf die Bände oder über den Bücken. Dies erinnert an die Hände-
waschung der Wöchnerin nach der Geburt {AoevQä Aexcoiva) durch die Hebamme
bei den alten Griechen.
Unmittelbar nach der Entbindung giebt man in Russland der Frau etwas
in die Hände oder legt ihr etwas unter das Haupt, was sie vor Zauberei schützen
soll. In Klein-Russland sind es Kornblumen oder ein am Ostersonntag ge-
weihtes Messer, in Bulgarien ein Ring oder Knoblauch.
In Gross-Russland stellte man in alter Zeit einen Badebesen in den
Winkel und meinte dadurch die Wöchnerin und das Kind schützen zu können.
Im Gouv. Charkow wird ein Gefass mit Wasser neben die Wöchnerin
gesetzt, damit sie kein Milchfieber bekonmie. Bei den Kassuben hütet man sie
dadurch, dass man mit Kreide ein Kreuz an das Hausthor malt. {Sumeow.)
Die Polin bei Krakau wird nach Kopemichi
im Wochenbett durch die Glockenblume vor den Schä-
digungen durch die Nixen bewahrt.
In Deutschland sind zahlreiche abergläubische
Vorkehrungen zum Schutze der Wöchnerin gebräuchlich.
Sie muss, so heisst es zu Ruhla in Thüringen, Nachts
12 Uhr im Bett sein, »weil dann der Herr bei ihr ist''.
Wer in das Wochenzimmer tritt, muss zuerst das Kind
segnen, bevor er die Mutter anredet (Mecklenburg).
In Mecklenburg schützt ein Beinkleid, welches auf
das Bett der Wöchnerin gelegt wird, vor Nachwehen.
In der Umgegend von Königsberg in Preussen
wäscht man nach der Entbindung die Frau mit ihrem
eigenen Blute, damit die gelben Mecke im Gesicht ver-
gehen. Eine Wöchnerin darf in Berlin in der ersten
Zeit nach der Niederkunft keinen männlichen Besuch
empfangen, auch nicht den der nächsten Anverwandten,
wenn nicht zuvor drei Besucherinnen, die nicht gleich-
zeitig zu ihr kamen, bei ihr gewesen sind und ihr Kind
gesehen haben. Handelt sie dem zuwider, so wird ihr
Kind kein Jahr alt werden und sie wird nie wieder eines
Kindes genesen. (Krause.)
An vielen Orten Deutschlands (Schwaben,
Thüringen u. s. w.) darf vor dem 3. oder 9. Tage aus « g^Q p« 1^ in wö hn
dem Hause der Wöchnerin nichts entlehnt werden. Wäh- rfi^der Battak^er (Sumatrat
rend der ersten 9 Tage wird in Thüringen keine Wäsche aus dem schuiterWatte eines ge-
gewaschen; drei Tage lang darf die Frau nicht aUein mu^Ä^ÄS^Äi».
gelassen werden; vor Ablauf der ersten 6 Wochen darf sie (Nach Photographie.)
nicht in den Keller, noch auch auf den Boden oder an den
Brunnen gehen; es muss stets bei ihr Licht brennen, sonst kommen die Hexen,
die das Kind gegen einen Wechselbalg umtauschen. In Schwaben darf die Frau
sich in den ersten 14 Tagen nicht kämmen, sonst bekommt sie Kopf leiden oder
die Haare gehen ihr aus; auch darf sie daselbst, so lange sie nicht ausgesegnet
ist, keines von ihren IGeidem ins Freie hängen, sonst bekommt der Teufel Gewalt
über sie. Wenn im Voigtlande die Wöchnerin zum ersten Male Wasser aus
dem Brunnen holt, so muss sie in letzteren ein Geldstück werfen, sonst bleibt
das Wasser aus, und geht sie zum ersten Mal in den Keller, so muss sie in einem
Papierstreif „neunerlei Band oder Dorant und Dosten*' zum Schutze gegen Kobolde
bei sich tragen.
In der deutschen Schweiz muss die Wöchnerin mit neuen Schuhen aus
dem Kindbett gehen, sonst wird das Kind einst gefahrlich fallen. Im Canton
360
LXr. Das Ceremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
Bern darf sie, wenn sie OlQck haben will, nicht vor die Dachtranfe hinausgehen,
bis das Kind über die Taufe getragen wird. In einigen Gegenden Deutschlands
wird der Wöchnerin zum Schutze gegen die Tücken der Eiben eine Scheere auf
das Bett gelegt. Im sächsischen Ober-Erzgebirge darf die Entbundene
kein schwarzes Mieder tragen, sonst wird das Kind furchtsam; auch soll sie im
Garten nicht über die Beete gehen, sonst wächst nichts mehr darauf (Zwickau),
und sie soll keinem Leichenzuge nachsehen, sonst stirbt im nächsten Jahr ihr
Mann. (Lanter.) In der bayerischen Ober-Pfalz ist die Wöchnerin während
der ersten 6 Wochen, insbesondere aber während der
ersten 14 Tage, angeblich beständigen Anfechtungen
ausgesetzt. Sie darf nicht allein gelassen werden; nach
dem Gebetläuten wird ihr nichts mehr, namentlich kein
Wasser, in die Stube gebracht, weil sonst die Hexen mit
hinein gehen. Um dieses zu yerhindem, steckt man
in die Thür das Messer und legt den Wecken verkehrt
in die Schublade. Solchen Yolksaberglauben giebt es
noch in mancherlei Gestalt.
Einen norddeutschen Aberglauben hat Älhert
Kuhn berichtet. Es heisst, dass die Wöchnerin nicht
Tor ihrem Kirchgange ausgehen dürfe, weil sie sonst
die Zwerge entfahren. Bei diesen inuss sie dann junge
Hunde säugen, bis ihr schliesslich die Brüste lang her-
Fig. 841. Ornament von dem Unterhängen.
Jlke^Ts^ma^r^^^ ^^^ Battaker in Sumatra, welche noch dem Kanni-
Schulterblatte eines gefaUenen balismus fröhnen, geben ihren Wöchnerinnen ein höchst
Fetodee gefwtij^ faj. eingenthümliches Geräth, das dieselben als Fächer be-
MnseamfürYOlkerkande, Berlin. P -n,. i , • -ri? ojrw j i. ni. oa« i_ i.
nutzen. Em solches, in Fig. 340 dargestelltes, Stück be-
sitzt das kgl. Museum fttr Völkerkunde in Berlin. Nach
Mutter'^ wird es auf der Tula Toba aus dem Schulterblatte im Kriege gefallener
Feinde gefertigt.
.Das ungleichm&saig dicke (1^2 mm) Enochenstfick hat die Form eines Kreissektors,
dessen Radios '=^ 18,8 cm und dessen Sehne -» 8,5 cm lang ist. An der Spitze ist es mit
einer Oese versehen. Die Inschrift ist jetst schwer zn entziffern, da das Knochenstück eine
bmune, aof der Rückseite fast schwarze F&rbung angenommen hat."
Das Instrument, das auch im Kriege Schutz gewährt, führt den Namen
Hadjimat, was nach MüUer eine Entstellung des arabischen azimat, Talis-
man, ist. Ausser der Inschrift finden sich Ornamente darauf, welche Fig. 341
wiedergiebt. Die Schrifbzeichen selber geben die Tage an, welche zu irgend
welchem Vorhaben die geeigneten sind; auch findet sich die Anweisung angegeben,
wie man diesen Zauber zu gebrauchen hat. Sicherlich handelt es sich also auch
bei diesem grausigen Fächer um die Abwehr von Dämonen von der Wöchnerin.
Der feierliche Abschluss der Wochenbettszeit bei den Naturvölkern.
Bei allen denjenigen Völkern, bei welchen wir die Wöchnerin als unrein
betrachtet sahen, ist natürlicher Weise ein mehr oder weniger feierlicher Act der
Reinigung nothwendig, um der jungen Mutter die Rückkehr in die menschliche
Gesellschaft wieder zu gestatten. Wir haben hierfür schon mancherlei Beispiele
kennen gelernt. Im Wesentlichen bestanden diese Reinigungs-Ceremonien in
Bädern, Waschungen, Begiessungen, Räucherungen und ähnlichen Proceduren.
Höchst eigenthümlich ist der Reinigungsact für die Entbundene, welcher bei
den Wakamba in Central- Afrika erfordert wird. Hier muss am dritten Tage
nach der Niederkunft der Ehemann einmal Umgang mit der Wöchnerin habeUi
398. Der feierliche Abschlnss der Wochenbettszeit; bei den Naturvölkern. 361
erst dann ist sie ^yTein**. Das Kind bekommt zum Abzeichen, dass diese Sitte
ausgeführt worden, ein Armband «Idä** genannt.
In Aegypten ist die dem Mittelstände angehorige Wöchnerin verpflichtet,
am 4. bis 5. Tage einige Schüsseln mit Speise zu bereiten, welche sie ihren
Bekannten sendet. Am 7. Tage setzt sie sich, von der Hebamme unterstützt,
auf den mit Blumen geschmückten Gebärstuhl und empfängt so ihre Freundinnen,
welche sie beglückwünschen und eine Reihe ceremonieller Handlungen mit dem
fiönde vornehmen müssen. {Lane,)
Die Ewe- Wöchnerin in Afrika darf ohne schwere Gefährdung für sich
oder ihr Neugeborenes sieben Tage lang die Hütte der Eltern nicht verlassen.
Am achten Tage aber legt sie ihre besten Kleider an, bringt dem Fetisch ein
Dankopfer dar und macht Besuche bei ihren Freundinnen.
Den Abschluss des Wochenbettes bei den Ovaherero schildert Viehe
folgendermaassen :
Wenn die Zeit des Aufenthaltes in der Hütte um ist, so verlftsst die Wöchnerin die-
selbe durch die dem Oknrno zugekehrte Thüre und begiebt sich zum Okurno^ um ihr
Kind dem Omükuru (Ahnen) darzustellen, damit sie mit ihrem Kinde wieder Zutritt zu dem
Okumo bekommt und damit ihre gesellschaftliche Stellung wieder einnehmen kann. Bei
diesem Gange nach dem Oknrno tr> sie nach Landessitte ihr Kind in einem Felle auf dem
Rücken. Die Ondangere (Hüterin des heiligen Feuers) folgt ihr dabei und besprengt Mutter
und Kind mit Wasser, bis sie am Okumo ankommen. Hier am Okumo ist eine Ochsonhaut
für sie ausgebröitet. Auf dieser Iftsst sie sich nieder, nimmt ihr Kind vom Rücken und setzt
es auf ihr rechtes Knie. Das Haupt der Familie ist nebst anderen M&nnern ebenfalls zu-
gegen. In der Nähe des Ersteren stehen zwei Gef&sse, eines mit Fett, das andere mit Wasser
gefüllt. Er füllt seinen Mund mit dem Wasser und spritzt dasselbe über Mutter und Kind.
Dabei spricht er die folgenden Worte zu den Ahnen: ,£s ist Euch ein Kind geboren in Eurer
Onganda, möge sie nie vergehen. ' Dann nimmt er mit einem Löfifel etwas Fett aus dem 6e-
f&sse, spukt darauf und reibt sich*8 in die Hände, füllt dann seinen Mund abermals mit Wasser
und spritzt dasselbe zu dem Fett in die Hände. Nun legt er seine Arme kreuzweise über
einander und bestreicht auf diese Weise zunächst die Mutter, nimmt dann das Kind auf den
Schooss und wiederholt an ihm die gleichen Geremonien. Ausserdem reibt er seine Stirn an
der Stirn des Kindes und giebt ihm dabei seinen Namen, welcher nicht selten von irgend
einer Zuf&lligkeit bei der Geburt hergeleitet ist. Die Geremonien mit dem Kinde pflegen von
anderen anwesenden Männern wiederholt zu werden, wobei der Eine oder Andere auch noch
wohl einen Namen hinzufügt. Schliesslich lässt das Haupt der Familie ein junges Rind herzu-
bringen, und man berührt dessen Stirn mit der Stirn des Kindes, wodurch dasselbe Eigenthum
des Letzteren wird.'
Von den Wöchnerinnen der Ostjaken berichtet ÄUxandroWy dass sie, um
sich zu reinigen, ein Feuer anzünden, stark riechende Substanzen hineinwerfen und
dann dreimal durch dasselbe springen und sich durchräuchern lassen; danach kehren
sie in die Familienjurte zurück. Ein anderer Bericht fftgt hinzu, dass sie sich
vor dem Betreten der gemeinsamen Wohnung vor dessen Eingang niederlegen
müssen, worauf dann sämmtliche Angehorige des Hauses über sie hinwegschreiten;
auch dieser Brauch wird als eine Art von Reinigung angesehen.
Bei den Johannes-Jüngern oder Mandäern in der Nähe von Bagdad
wird die Wöchnerin 40 Tage nach der Niederkunft getauft. {Petermann)
Von den Reinigungsacten der indischen Völker ist theilweise schon die
Rede gewesen; hier soll noch einiges hinzugefügt werden. Bei den Santals
muss die Wöchnerin am fünften und am achten Tage einen für diese Gelegenheit
besonders bereiteten Reisbrei in Gemeinschaft mit ihrem Ehegatten Terzehren,
welcher sich hierdurch ebenfalls der erforderlichen Reinigung unterzieht.
Auch bei den Gotra sind die Männer mit unrein. Um sich zu entsühnen,
müssen beide Gatten am 10. Tage das PanchgaTja schlucken, das ist ein Ge-
misch aus Kuhurin, Dünger, Milch, Quark und zerlassener Butter. Am 21. Tage
badet die Mutter mit dem Kinde. Im 2., 3. oder 4. Monat, an einem Tage mit
guter Vorbedeutung, kehrt sie dann in das Haus ihres Mannes zurück. (Kistikar)
362 L^- ^^ Ceremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
Bei den Eafir kommen nach Verlauf eines Monats die Nachbarn und
bringen der Frau Geschenke. Der Ehemann schlachtet ein Opferthier ohne Bei-
stand eines Priesters; die Wöchnerin wird mit Fett und rother Farbe bestrichen,
und hiermit ist erst ihre Purification vollständig. {Madean.)
Die Entbundenen bei den Pueblo-Indianern bleiben vier Tage unge-
säubert liegen; am fünften werden sie gewaschen und angekleidet. Dann gehen
sie im Gefolge eines Priesters, um den Sonnenaufgang zu sehen und fQr die
glückliche Entbindung Dank zu sagen. Während die Wöchnerin hinter dem
Priester einherschreitet, wirft sie Kornblumen in die Luft und bläst sie als Dankes-
spende umher. Dreissig Tage nach der Geburt des Kindes ist sie rein und dann
kehrt der Gatte zu ihr zurück, doch ziehen es einige vor, 36 — 40 Tage zu warten.
(Engelmann.)
Ist bei den Noefoorezen eine Frau zum ersten Male niedergekommen,
und die Entbindung ging glücklich von Statten, so wird nach einigen Wochen
eine Festlichkeit abgehalten, bei welcher die junge Mutter ihren Mädchennamen
ablegt, oder „wegwirft", wie der Papua sagt; sie empfangt dafür den Ehrentitel
„Insoes**, welcher wörtlich übersetzt ist „Milchfrau*' und bei den Papuas die
Bedeutung hat wie bei uns „Frau**. Ist ihr Kind aber gestorben, so wird zwar
ihr Name ebenfalls geändert, sie wird dann aber „Insos'' genannt. Bei solchem
Namensfeste einer jungen Mutter wird diese hinter einer aufrecht stehenden Matte
verborgen, um sie den Augen der Zuschauer zu entziehen. Sie darf dabei auch
nicht sprechen. Man reicht ihr Speise und Trank, und sollte sie ausserdem etwas
wünschen, so klopft sie an ihre Matte und alsbald wird es ihr gereicht. Während
sie isst und trinkt, wird auf der Tifa gekocht; dann erhalt sie ihren Namen und
wird aus ihrer Gefangenschaft befreit, {van Uassdt)
Wenn auf den Watubela-Inseln die Frau ihre Niederkunft herannahen
fühlt, so lässt sie den Inhalt von 10 Kaiapanüssen trocknen, weil sie denselben
später für die Ceremonie ihrer Reinigung gebraucht. An dem Tage, an welchem
dem Neugeborenen der Best der Nabelschnur abfallt, werden 8 — 10 Kinder ein-
geladen, um die Wöchnerin an die See zum Baden zu begleiten. Ist sie hierzu
noch zu schwach, dann muss eine andere Frau ihre Stelle ersetzen. Sowohl auf
dem Wege zum Strande, als auch auf dem Rückwege müssen die Kinder anhaltend
rufen: Uwoi, uwoi, um die Aufmerksamkeit der bösen Geister von dem neuge-
borenen Kinde abzulenken. Wenn sie zurückgekommen sind, wird die getrocknete
Kaiapa unter sie vertheilt, und danach gehen sie wieder nach Hause. {Riedel\)
Die Israelitin musste bekanntlich zu ihrer Reinigung als Brandopfer
ein jähriges Lamm und als Sühnopfer eine junge Taube dem Priester im Tempel
Übergeben.
894. Der feierliche Abschluss des Wochenbettes in Europa.
Eine besondere Aufmerksamkeit widmete auch die christliche Kirche dem
Abschlüsse des Wochenbettes; sie hat das Aussegnen der Wöchnerin und ihren
ersten feierlichen Kirchgang eingeführt, und an dem mannigfachen Aber-
glauben, der das Unterlassen dieser Sitte mit Gefahren umgiebt, sind gewiss die
Priester nicht ganz unschuldig gewesen. Verliess die Wöclmerin vorher ihr Haus,
so hatten die Teufel und alle Elementargeister eine unumschränkte Gewalt über sie.
In Ungarn wird das Wochenbett gewöhnlich am 12. bis 14. Tage durch
Einsegnung der Frau in der Kirche beendigt; bei den Ruthenen in Ungarn
aber erst am 40. Tage. Die Wöchnerin darf sich bis dahin nicht ausser dem Hause
sehen lassen; denn es heisst, dass die zu früh ausgegangene Frau der teuflischen
Versuchung nicht entgehen könne. Ist die Ungarin dann in der Kirche ge-
segnet worden, so beschliesst ein grösserer Schmaus die Feierlichkeit. (Csaplovics.)
Das Aussegnen der Wöchnerin wurde allmählich mit allerlei groben Miss-
brauchen verquickt. Am Tage der Aussegnung gingen in Süd-Deutschland
894. Der feierliche Abschluss des Wochenbettes in Europa.
363
Gevatterin und Wöchnerin in das Wirthshaus, wo es dann natürlich nicht ohne
Völlerei abging. (Birlinger^.) In mehreren Ortschaften Schwabens wird noch
jetzt gleich nach der Taufe im Hause der jungen Mutter eine Tauf- oder Kind-
bettsuppe gegessen, d. h. ein Schmaus abgehalten, bei dem es ehemals sehr flott
zugegangen sein mag, denn in den Ravensbur^er Statuten imd Ordnungen vom
14. Jahrhundert wird Terboten zu zechen: „und soll auch desselbigen Tages zu
keinem Wein gehen. '^ Der erste Ausgang der Wöchnerin gilt in mehreren Orten
Schwabens der Eärche. Der Mann geht zunächst zum Pfarrer und fragt ihn,
wann sein Weib zum Aussegnen kommen dürfe; hierbei bringt er demselben
das „Aussegnbrod'' mit, ein rundes Halb-
batzenbrod mit Ei bestrichen. Die Frau
muss zu dem feierlichen Act einen Schneller
Garn mitbringen nebst einem Wachslichtlein;
dieses wird auf den Altar gelegt. Die
Schneller gehören dem Heiligen und alle
Jahre werden sie verkauft; das Geld fliesst
in die Heiligenkasse. Im Lichtlein ist
ein Sechser eingeschoben, welcher zwischen
Pfarrer und Messner getheilt wird. Schon
im 16. Jahrhundert wurde in einigen Orten
(Biberach) dieses Gamopfer verboten; es
ist aber noch jetzt an der badischen
Grenze gebräuchlich. (Birlinger^.)
Den feierlichen Kirchgang einer jungen
Mutter zeigt uns ein Miniaturbild (Fig. 342)
aus dem Ende des 14. Jahrhunderts, das
sich in einer lateinischen Handschrift des
Teren^mS befindet, Wd^^ ^^^ 3^ Kirchgang einer Pariser Wöchnerin
Karl VI. von r rankreich gehorte. Nach des 14. Jahrhunderts.
Lacroix^ haben wir darin das Costüm und Nach einer von Zo^rr^/j:! veröffentlichten lüniature
^- a*i.i. j n • vm 1- 1 TT • ans einer Handschrift des r^rrff/iwi vom Ende des
die Sitten der Pariser bürgerlichen Kreise 14. Jahrhunderts,
der damaligen Zeit zu erkennen.
Die Wöchnerin mit einer schwarzen Kappe auf dem Kopfe hat soeben das Haus ver-
lassen. Sie wird an den Ellenbogen von zwei hinter ihr gehenden jangen Männern unter-
stützt, während ein dritter vor ihr steht und eifrig zu ihr redet. Ob dieser den Ehemann
vorstellen soll, lässt sich natürlich nicht entscheiden. Aus dem Hause tritt eben eine junge
Dame mit reichem Diadem und Brustschmuck heraus, das vollständig in Binden eingewickelte
Neugeborene auf den Armen tragend, das von einem älteren Manne bewundert wird. Ein
junger Mann begleitet diese Dame und hinter Beiden sind noch zwei Gestalten sichtbar, im
Begriff, das Haus zu verlassen, von denen die Eine wahrscheinlich ein junges Mädchen, die
Andere sicher eine ältere Frau ist. Ob es die Grossmutter sein soll oder die Hebamme, das
muss ich natürlicher Weise unentschieden lassen.
Gegen den Missbrauch des zu frühen Aussegnens in der Eärche traten schon
im vorigen Jahrhundert manche ärztliche Stimmen auf. So heisst es in einer
Schrift von Hoffmann^:
«Nicht minder schädlich kann das Kirchengehen auch den Wöchnerinnen unter gewissen
Umständen werden, besonders wenn sie sich lange darin aufhalten. Es ist nun einmal eine
hergebrachte Gewohnheit, dass der erste Ausgang in die Kirche geschehen muss. Hierbei
wird aber selten auf Jahreszeit und Witterung Rücksicht genommen, und manche Kindbetterin
hat daher schon die Ausübung dieser Gewohnheit mit ihrer Gesundheit oder wohl gar mit
dem Leben bezahlen müssen."
Auch Peter Frank nennt die Aussegnungsfeierlichkeiten eine wichtige Ur-
sache der Krankheiten und der geföhrlichen Zufalle der Wöchnerinnen, eine «be-
ständige Quelle der Schwelgerei unter dem Weibervolke, Yerderbniss der Heb-
ammen^. In Baden, Nürnberg und anderen Orten wurden deshalb Yerord-
364 L^I- ^as GerexnoDiell, die SymboKk und die Mystik des Wochenbettes.
nungen dagegen erlassen. In Oesterreich heissen solche Bankette Kindelmuss,
Kuchleten, Kindsbadeten, Westerlege; in Frankreich le convive, le relevage,
convive de commöre.
Ebenso waren, die Kind taufen ein vielfacher Anlass zn Störungen des
Wochenbettes: «Das unaufhörliche Lärmen der meist betrunkenen Gäste/ sagt
Franko «besonders der geschwätzigen Weiber, und, was noch schlimmer ist, cSe
Betrunkenheit der Hebamme selbsten, hat auf innere Ruhe und auf das Schicksal
der entkräfteten Eindbetterin die allerschlimmste Wirkung: indem selten mehr
die Hebamme nach diesen Schmausen im Stande ist, allen Zuföllen vernünftig
zu begegnen, und solche gar leicht die Gewohnheit annimmt, sich bei allen der-
gleichen zu berauschen." (Kniphof.)
395. Das Männerkindbett.
Ich kann diese Besprechungen der Wochenbettsperiode nicht abschliessen,
ohne eines der absonderlichsten Gebräuche zu gedenken, auf welchen der
Geist der Völker wohl jemals hat verfallen können: ich meine die Sitte des
sogenannten Männerkindbetts oder der Couvade. Das Wesentlichste dieses
Gebrauches besteht darin, dass, während sofort nach der Niederkunft die Frau
wieder alle ihre gewohnten häuslichen Verrichtungen übernimmt, der Mann sich
in ihr Bett legt und sich daselbst eine grössere oder geringere Anzahl von Tagen
unter der erheuchelten Mieue eines Schwachen und Erkrankten von der Wöchnerin
und den Angehörigen und Freunden verpflegen und bedienen lässt. Die weiteste
Ausbreitung hat dieser Gebrauch unter den Indianerstämmen Central- und
Süd-Amerikas, namentlich bei den Galibis auf Cayenne, bei den Caraiben
auf Martinique, auf dem Perlen-Archipel im Golfe von Panama, bei den
Guaranis, den Papudos, den Mundrucurus im Amazonengebiet, den
Maranhas in Columbia u. s. w. gefunden.
Aber das Männerkindbett ist durchaus nicht auf Amerika beschränkt.
Wir finden es nach Lochkarte und Tylor bei den unter dem Namen Miau-tsze
bekannten uncultivirten Gebirgsstämmen in China, wo es vor 600 Jahren auch
schon Marco Polo angetroffen hat. Auch bei den Einwohnern der Insel Buru
im alfurischen Meere und bei den Nogaiern im Kaukasus will man diese
Sitte gefunden haben.
In Afrika übten sie im vorigen Jahrhundert nach ZucheUi die Congo-
Neger in Cassange. Er sagt:
,Ed hj che qaando la donna hä, partorito, si deve subito levare dal letto, ed in sna
vece per piü giomi si corica 11 maritto, facendosi servire e govemare della medesima
partoriente, quanto ch'egli stesso avease partito li dolor! e li disagi, che si patisono nel
partorire.*
Auch Herodot erwähnt bereits das Männerkindbett in Afrika.
Im Alterthume wurde in Europa, wie wir durch Diodoros von Sicilien
und durch Strabo wissen, das Männerkindbett von den Einwohnern Corsicas
und von den Celtiberern und Cantabrern in der pyrenäischen Halbinsel
geübt, und noch heutigen Tages besteht dieser absonderliche Brauch im nördlichen
Spanien und im sü&chen Frankreich in den von den Basken bewohnten
Districten, welche man für die Nachkommen der alten Celtiberer ansieht Die
Franzosen nennen ihn la Couvade. (Cordier.) Francisque-Michel sagt:
,En Biscaye, dans les vall^es tonte la popolation rapelle, par ses usages, Tenfance
de la soci^t^; les femmes se levent imm^diatement apr^ lenrs conches et vaqnent auz soina
du manage, pendant que leur mari se met au lit, prend la tendre cr^ature avec Ini, et re9oit
ainsi les complimenta des voisins.*
Natürlicher Weise hat man sich vielfach darüber den Kopf zerbrochen, wie
eine scheinbar so abstruse Sitte sich hat einbürgern und erhalten können; und
ikindbett.
365
fiiä diejenigen Volker, welche das Männer-
*• wissen, aus welchem Grunde sie dieses
.jeu Brasiliens Piso gegenüber an, dass
. sammeln, welche erschöpft würden, so
aar legen sich nieder, weil jede heftigere
jede scheinbar noch so imschuldige Vor-
> mpathischem Wege dem lünde Schaden
!v herlich nur spätere Interpretationen eines
«cht aus, das Männerkindbett werde abge-
Puerperalfieber zu täuschen. Ein solches
uUerdings bereits kennen gelernt, und wenn
l vor das Fenster der Wochenstube hängt,
m zu bewahren, und wenn ferner die Wöch-
< Aargau des Mannes Hosen anzieht, oder
so erkennen wir hierin sicherlich Anklänge
'^ Männerkindbetts ist aber dasjenige von der
si'trzlich darüber äusserte und was ich in einem
Uivr liabe. Bei niederen Völkern bezieht sich der
-♦^ persönlich und nicht auf die Kinder, welche sie
* h{ die letzteren hat der Erzeuger kein Anrecht,
ii desjenigen Stammes, welchem die Mutter ent-
«itissen sie erst wieder käuflich erworben werden,
les Matriarchats in die Herrschaft des Vaters über-
rtschreitender Cultur, wo das Patriarchat zu all-
\^^t, 8uciit nun der Vater durch die Uebernahme der
nenbettes ein ganz directes Anrecht auf den Spröss-
diesü Wochenbettsleiden des Vaters durchaus nicht
der Einbildung beruhen, daftir steht uns ein ganz
»^se lehrreicher Beweis zu Gebote.
dl, daös, nachdem die »Frau bei den Galibiern, den
n lind anderen mittägigen Wilden** niedergekommen ist,
:^trengei% sechsmonatlichen Fasten in seine Hängematte
Wie ein Skelett abgemagert verlässt er zuletzt dieses
ifii^s flir sein Aufstehen einen gewissen Vogel schiessen.
'^jiondeten Entsühnung, ganz so wie die Wöchnerin.
üb hinzu, da^^^ »ie nach yerflosBenen 40 Tagen dieser strengen Fasten
dar Ringle de^ C'asBava-Brods , welche sie während ihrer Fasten ab-
Zeit über nichts als die Krume essen dürfen, ein Gastmahl zurichten.
T! fangen, m ritten alle Eingeladene die Haut des Wirthes mit dem
ad lassen au8 dUen Theilen seines Leibes Blut herauslaufen, dergestalt,
aüB einem eingebildeten Kranken nunmehr einen wirklichen machen.
,i»c-h nicht alles: *3c[in nachher nehmen sie 60 — 80 Körner von Piment
i^feiter und zwar von der stärksten Sorte, die sie nur haben können;
icn Walser babon viihr6n lassen, so waschen sie mit diesem Wasser die
liieseL^ Cnglilcklichc^u, welcher sich vielleicht tausendmal lieber verbrennen
htet darf er nicbt Lüticksen, wenn er nicht für einen Nichtswürdigen ge-
Sobald dieä(^ (.*orQmonie geendigt ist, wird er wieder in sein Bett ge-
ii^ch etliche Tag^e [iegen bleibt, da unterdessen die Anderen sich gute Tage
ien aioh lu^ti|>^ tuachon Seine Fasten währen noch auf sechs Monate, in
-ler Vogel xn^ch Fii^ch^v0^k geniesset, und zwar aus der Einbildung, dass
chädlicli ^ei, und dang dieses Kind alle natürlichen Mängel der Thiere,
m wtlrde, an cieU nehmen möchte/ (Baumgar teri^.J
366 LXI. Das Ceremoniell, die Symbolik und die Mystik des Wochenbettes.
Dieser tiefe Sinn der Geremonie ist nun freilich manchen Stämmen voll-
standig verloren gegangen; z. B. den Zaparos in Quito (Orton) und den Peti-
varos in Brasilien (de Laet). Hier halten die Männer allerdings auch das
Kindbett ab, aber sie lassen sich ^mit Leckerbissen fttttem^ und «soigneusement
et largement* verpflegen.
Als Anklänge und Ueberbleibsel eines in früheren Zeiten ausgeübten Männer-
kindbettes müssen wir es aber wohl auffassen, wenn wir bei einer ganzen Anzahl
von Stämmen, und namentlich bei solchen, deren. Nachbarn noch heutigen Tages
das Männerkindbett abhalten, die Sitte vorfinden, dass nicht selten schon während
der Schwangerschaft, mindestens aber während der Wochenbettsperiode der Frau,
der Mann sich mit letzterer ganz bestimmter Speisen zu enthalten oder sogar
eine reguläre Fastenzeit durchzumachen gezwungen ist. So finden wir es z. B.
bei den Passes, den Omaguas, bei den Cauixanas in Süd-Amerika (v. Mar-
tius) und bei Anderen.
Wenn wir von den Grönländern lesen, dass der Ehemann ausser dem
allemöthigsten Fang nichts arbeiten darf, weil sonst das Kind sterben würde
(Crowjßr), oder wenn mit der Wöchnerin auch der Gatte der Unreinheit verfallt,
so sind das Dinge, welche ebenfalls als die Reste eines Männerkindbetts ange-
sehen werden könnten.
Auch eine von JDetnic berichtete Sitte der Ehsten müssen wir hier an-
schliessen. Er sagt:
«Bei den Ehsten gehen nach der Taufe des Neugeborenen alle ins Bad, wo die Heb-
amme oder der Tanfpathe den Vater des Kindes mit einer Ruthe schl> dies geschieht, auf
dass der Mann auch etwas dulde ftb: die Qualen, welche das Weib bei der Entbindung erleidet. *"
Hier blickt aber auch bei vielen Völkern die weitverbreitete Anschauung
durch, dass das Kind den Körper von der Mutter erhält, von welcher es ja eigent-
lich nur ein Stück ist, während ihm die Seele von dem Vater übertragen wird.
Darum muss dieser nach der Entbindung sich ruhig, in stiller Betrachtung ver-
halten und hat Alles zu vermeiden, was seine eigene Seele zu erschrecken und zu
erregen vermöchte, weil dadurch auch des Kindes Seele afficirt werden würde,
und um die nothwendige geistige Ruhe zu haben, legt er sich still in seine Hänge-
matte. Dieser Gedanke leuchtete noch auf in dem Kampfe des heiligen Augustinus
(354—430) gegen die Pelagianer und Donatisten, welch letztere die Seele
als von Gott jedesmal neu geschaffen glaubten, während Augustinus sie als von
den Eltern ererbt und nur aus diesem Grunde mit der Erbsünde behaftet erklärt.
Und gerade dort, wo seine Lehre am intensivsten haftete, in der pyrenäischen
Halbinsel, existirt, wie wir gesehen haben, das Männerkindbett auch
heute noch.
Eine schon früher angeführte Geremonie endlich, welcher wir auf Tanembar
und den Timorlao-Inseln begegnet sind, wird uns in ihrer ursprünglichen Be-
deutung auch erst verständlich, wenn wir sie als den letzten Ausläufer, den letzten
üeberrest des Männerkindbettes erkennen. Es ist das der Gebrauch, dass wahrend
der ersten Lebenszeit des Neugeborenen die Mutter, nachdem sie gebadet hat, ihre
gewöhnliche Hausarbeit wieder verrichtet, während der Mann die Verpflichtung
hat, das Kind zu tragen und zu versorgen. (Riedd\) So ist es wiederum die
vergleichende Methode in der Ethnologie, welche uns derartige scheinbar hetero-
gene und unverständliche Gebräuche mit einander in Verbindung zu bringen und
hinreichend zu verstehen lehrt.
LXII. Das Säugen.
396. Physiologisches über die Mutterbi-nst.
In der Stufenleiter des Thierreicbes finden wir, und zwar vornehmlich bei
wirbellosen Thieren, nicht selten absonderliche Anhänge und Organe, welche aller-
dings keine eigentlichen Theile des Geschlechtsapparates darstellen, welche aber
unter den als secundäre ßeschlechtscharaktere zu bezeichnenden Bildungen
insofern eine ganz besondere Stellung einnehmen, als sie ohne allen Zweifel zu
den geschlechtlichen Functionen in ganz eigenthümlicher Beziehung und mit dem
Nervensystem der Geschlechtsorgane in ganz directer Verbindung sich befinden.
Man hat sie mit dem Namen der Wollustorgane bezeichnet. Diesen Wollust-
organen sind in dem höheren Thierreiche auch die Zitzen und bei dem Men-
schen die weiblichen Brüste zuzuzählen, und letztere zwar ganz besonders in
ihrem jungfräulichen Zustande. Die Physiologie hat den Beweis geliefert, dass
ihre Berührung und die milde Reizung ihrer Nerven auf reflectorischem Wege
Gontractionen der Gebärmuttermuskulatur und von hier aus wiederum wollüstige
Empfindungen in dem weiblichen Organismus hervorzurufen im Stande sind, und
bei geschlechtlichen Aufregungen turgesciren die Brüste, und die Brustwarzen
richten sich auf und steifen sich.
Eine erheblich andere Bedeutung gewinnen aber die Brüste, wenn bei dem
geschlechtsreifen Weibe die Befruchtung eingetreten ist. Sehr beträchtliche Ver-
änderungen, nicht allein in dem feineren anatomischen Bau dieser Organe, sondern
auch in ihrer Form und Grösse beginnen schon ungefähr von dem zweiten
Monate nach der Empfängniss an sich allmählich auszubilden, um die Brüste
nach und nach zu dem hochwichtigen Organe der Ernährung fQr den bis jetzt
noch im Mutterschoosse verborgenen Sprössling umzuformen. Diese schon während
der Schwangerschaft mit blossem Auge ws^rzunehmenden Veränderungen be-
stehen zuerst in einer mehr oder weniger deutlichen Anschwellung, in einem
Grösserwerden der Brüste im Ganzen. Sehr häufig muss hierbei die die Brüste
bedeckende Haut in sehr kurzen Zeiträumen beträchtlich an Ausdehnung zu-
nehmen. Dabei reissen ihre tieferliegenden Schichten in bestimmter Richtung
ein und bilden dann strahlenförmig um den Warzenhof angeordnete Streifen,
welche in ihrem Aussehen an Narben erinnern, den sogenannten Schwangerschafte-
narben an den Bauchdecken vollkommen gleichen und ganz besonders später nach
dem Abschluss der Säugeperiode den Brüsten ein sehr welkes und hässliches An-
sehen geben.
368
LXII. Das Säugen.
Diese Verhältnisse zeigen uns die Fig. 343 und 344. In beiden Fällen
handelt es sich um relativ junge Personen, welche noch in den Zwanzigern stehen.
Fig. 343 ist eine Australierin aus Nord-Queensland und Fig. 344 ist eine
Papua-Frau von der Insel Badu«(Mulgrave-Island) in der Torres-Strasse;
sie gehört dem Stamme der Badulega an. Die erstere wurde von Carl Günther^
die letztere von Otto Finsch photographirt.
Fig. 343. Junge Queensland-Australierin,
welche bereits geboren hatte, mit schlaffen Brüsten und narbenähnlichen Streifen um den Warzenhof.
(Nach Photographie.)
Auch die Brustwarze dehnt und vergrössert sich und ihr Warzenhof ge-
winnt an Umfang und an Intensität der Färbung. Bei Blondinen pflegt er eine
blassrosenrothe, bei Dunkelhaarigen nicht selten eine intensiv dunkelbraune bis
beinahe schwarze Pigmentirung anzunehmen. ßegen das letzte Ende der
Schwangerschaft hin fQhlt man die Drüsenläppchen und die Milchgänge höckerig
und knotig durch die Oberfläche hindurch, und aus den feinen Oefihungen der
896. Physiologisches Aber die Mutterbrust.
369
TlljiW"'^')
Fig. 344. Junge Papna-Frau, welche
bereits geboren hatte, mit schlaffen
Brüsten und narbenähnlichen Streifen tun
den Warzenhof. (Nach Photographie.)
Brastwarzen lässt sich durch Druck schon etwas Milch enÜeeren. Die eigentliche
Milchabsonderung beginnt aber erst am 2. oder am 3. Tage nach der Entbindung
und nimmt dann allmählich solche Dimensionen
an, dass alle paar Stunden die Brüste sich strot-
zend anfüllen (Fig. 345) und dass schon bei
einem verhältnissmässig leichten seitlichen Zu-
sammendrücken der Warze und des Warzen-
hofes die Milch in einer grösseren Anzahl von
feinen Strahlen mehrere Fuss weit herausgespritzt
werden kann.
Von den Brüsten der Abyssinierinnen
berichtet Blanc, dass sie in den ersten Tagen
nach der Niederkunft so prall angefüllt sind,
dass es dem Kinde gänzlich immöglich ist, die-
selben zu nehnien. Auch bei den Negerinnen
von Old-Calabar strotzen in den ersten Tagen
die Brüste so Yon Milch, dass diese von selber
abzutropfen pflegt.
In der ganzen Gestaltung der Brüste wer-
den nun durch das Säugen selbst nicht unerheb-
liche Formveränderungen eingeleitet. Nament-
lich wird durch die Saugbewegungen des Kindes
die Brustwarze beträchtlich aus den Hügeln
der Brüste herausgezogen und verlängert und
durch den so oft wiederholten Druck der kind-
lichen Mundtheile zu einem starken Dicken-
wachstbum angeregt. Die Vergrösserung der
Brüste selber war hauptsächlich durch die Erweiterungen der Milchgänge be-
dingt, indess das stützende Bindegewebe und das Unterhautfett gedehnt, gezerrt
und theilweise zum Schwinden gebracht
wurde. Auf diese Weise ist es erklärlich,
dass durch die Schwere, durch das Ge-
wicht der Milch der Längendurchmesser
der Brüste nicht unerheblich an Aus-
dehnung zunimmt und die Brüste zu
mehr oder weniger stark ausgesprochenem
Ueberhängen gezwungen werden.
Für alle solche gröberen anatomi-
schen Formveränderungen finden wir bei
den Naturvölkern eine recht gut ausge-
sprochene Beobachtungsgabe, welche sich
in ihren plastischen Darstellungen wider-
spiegelt. Als ein Beweis für diese An-
gabe möge Fig. 346 dienen. Sie zeigt
eine von den Negern der Sclaven-
küste gefertigte kleine Messingfigur,
welche sich im Besitze des königlichen
Museums für Völkerkunde in Ber-
lin befindet. Hier ist die starke Ver-
grösserung des Längendurchmessers und
die Neigung des nach abwärts Hängens,
soweit die Sprödigkeit des Materials es
erlaubte, sehr klar und deutlich zur Darstellung gebracht worden. Es möge noch
erwähnt werden, daiss die kleine Frauensperson ihren Säugling der afrikanischen
Fig. 345. Sängende Araucanerin (Chile), mit
strotzend angefüllter Brust. (Nach Photographie.)
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II.
24
370
LXII. Das Säugen.
Diese Figuren dienen als
Sitte gemäss auf dem Rücken mit sich herumträgt.
Räucherschalen.
Auch die Holzschnitzerei der Baluba, welche in Fig. 55 vorgeführt wurde,
lässt an den Brüsten ebenfalls erkennen, dass die dargestellte Frau schon einmal
ein Kind gesäugt haben muss.
Hat nun nach dem Abschluss der Säuge-
periode die Milchabsonderung ihr Ende erreicht,
so erlangt das Stützgewebe der Brüste niemals
wieder die jungfräuliche Straffheit und Festig-
keit, und da gleichzeitig die nicht mehr mit
Milch gefüllten Drüsenpartien und Milchgänge
erschlaffen und zusammensinken, so behalten die
Brüste nur gar zu häufig ein welkes, schlaffes,
durch die ungleichmässige Rückbildung der Drüsen-
läppchen nicht selten
knotiges Ansehen und
hängen je nach ihren
früheren Ausdehnungs-
zuständen mehr oder
weniger beträchtlich auf
die Oberbauchgegend
herab.
Auch dieses zeigt
uns deutlich eine kleine
Holzfigur (Figur 347),
ebenfalls im Museum
für Völkerkunde
in Berlin befindlich,
welche die Aht-India-
ner inVancouver als
Spielpüppchen für ihre
Kinder gefertigt haben.
Es ist eine scheinbare
ziemlich junge Frau mit
glatt gescheiteltem - -^ ^.^
Fig. 346. Messingenes Figürchen der ffiiftrp wplrliA auf ilflr ^^S- ^*^- Holzgeschnitzies
Neger der Sc lavenküste (Hand- ;naare, weicne aui aer prauenfigtirchen der Aht-In-
räncherschale), eine Frau darsteUend, die Erde Sltzt, ihre Kniee dianer in Yancouver, mit
bereits geboren hat, mit ziegenenterähn- jjcJ^t an den Thorax welken Brüsten. Kinderspielzeng.
liehen, stark hängenden Brüsten. . i_ i. j Museum für Völkerkunde in
(MuseumfürVölkerkundeinBerlin.) herangezogen hat und Berlin.
(Nach Photographie.) mit den Händen ihre ^«^h Photographie.)
Unterschenkel umgreift.
In dieser Körperstellung würde sie sich unfehlbar mit den Oberschenkeln die
herabhängenden Brüste drücken müssen, und um dieser Unbequemlichkeit aus dem
Wege zu gehen, hat sie jede Brust auJF je ein Knie gelegt, auf welchem dieselbe
wie auf einem Präsentirteller ruht.
Blyth sagt von den Yiti-Insulanerinnen:
„Die Brüste der Fiji-Frauen, welche gesäagt haben, werden beträchtlich hängend,
wobei die eigentliche Brustdrüse im Gul-de-sac der ausgedehnten Haut enthalten ist. Solche
Mütter, welche derartige schlaffe Brüste besitzen, haben die Gewohnheit, sie über die Schulter
zu werfen, wenn sie säugen wollen, wenn sie das Kind auf dem Rücken haben. **
Aehnliches werden wir auch noch von anderen Völkern in Erfahrung
bringen.
Da die im Anfange erwähnten narbenähnlichen Streifen in vielen Fällen
aber als dauernde Erinnerungen für das ganze Leben erhalten bleiben, so wird
396. Physiologisches über die Mutterbnist.
371
mit dem Aufhören der Turgescenz
der BrQste der Eindruck des Runz-
ligen und Unebenen der Oberfläche
noch bedeutend gesteigert. Sehr
häufig ist dann auch eine erneute
Schwangerschaft und Niederkunft
nicht im Stande, den BrQsten die
strotzende Fülle zurückzugeben, und
es macht dann einen widerwärtigen
Eindruck, wenn man den neuen
Sprössling an solchen welken Brüsten
saugen sieht. Fig. 348 zeigt dieses
Verhalten bei einer Abyssinierin
aus der Golonia Eritrea, welche
von Schweinfurth photographirt wor-
den ist.
Die am weitesten nach abwärts
reichenden Brüste finden sich bei
den Negervölkern des äquatorialen
Afrika nach der Beendigung der
Säugezeit, wovon die in Fig. 349
gegebene Darstellung einer von Fal-
kenstein photographirten Loango-
Negerin einen recht in die Augen
springenden Beweis zu liefern im
Stande ist. Dieselbe Person wurde
bereits in Fig. 134 dargestellt.
Aber auch bei solchen Stäm-
men, deren Mädchen relativ kleine
und gut gebaute Brüste besitzen,
beobachten wir, wenn sie erst ein
Kind gesäugt haben, ganz ähnliche
Erscheinungen, wenn auch nicht in
so hoch entwickeltem Qrade. Man
vergleiche zu diesem Zwecke die Queensland-Australierin Fig. 343 mit ihren
in Fig. 91 No. 2 und Fig. 180 b zur Darstellung gebrachten Landsmänninnen,
welche noch nicht eine Schwangerschaft durchgemacht
hatten.
Und auch bei den europäischen Völkern würde
man ganz genau das Gleiche beobachten können, wenn
unsere Damen nicht den Busen verhüllt trügen und
durch allerhand Stützapparate seine Formen nach ihren
eigenen Wünschen veränderten. Je hochbusiger die Dame
erscheint, um so mehr pflegen ihre üppigen Brüste, sich
selbst überlassen, in die herabhängende Stellung über-
zugehen.
Da die Naturvölker in wärmeren Klimaten mit
entblösstem Oberkörper zu gehen pflegen, so hängen
diese abscheulich entstellenden Hautsäcke, wenn die
Frauen in gebückter Stellung ihre Arbeit verrichten,
natürlicherweise weit von dem Brustkorbe ab und be-
hindern dadurch nicht selten die freie Beweglichkeit
der Arme. Das zeigt sehr gut unsere Fig. 350, welche
eine bei der Baumwollenernte beschäftigte Samoanerin
24*
Fig. 348. Abyssinierin mit welken Brüsten, ein
Kind säugend. (Nach Photographie.)
Fig. 349. Loango-Negerin,
mit starker Hängebrust.
(Nach Photographie.)
372
LXU. Das Säugen.
von Yalealili nach einer bei der Expedition des preussischen Kriegdschiffes
Hertha von dessen Zahlmeister Riemer aafgenommenen Photographie darstellt.
Bei den afrikanischen Volkern kommt es
häufig vor, dass die Weiber diese überlangen
Hängebrüste, die ihnen bei ihren Hantirungen
im Wege sind, mit Hülfe einer umgelegten Schnur
an den Rumpf festbinden, wie wir früher schon
besprochen haben.
Es mag hier ein von AJUquist angeföhrtee
Räthsel der Mokscha-Mordwinen seine Stelle
finden, welches lautet:
«Die ganze Welt trinkt es,
Auf den Tisch gethan zu werden taugt es nicht.*
Die Auflösung ist: Die Mutterbrust.
Die eigenthümlichen Beziehungen der Brüste
zu dem Genitalapparate machen sich auch während
des Säugens bemerklich, und namentlich kann
man sich in der ersten Zeit des Wochenbettes
sehr deutlich davon überzeugen, dass durch das
Saugen des Kindes an den Brustwarzen jedesmal
Zusammenziehungen der Gebärmutter ausgelöst
werden, welche den Wochenfluss zu reichlicherem
Abfliessen veranlassen. Auch hat der Arzt bis-
weilen Gelegenheit, aus dem Munde verständiger
Frauen zu erfahren, dass ihnen das Säugen aus-
giebige Empfindungen geschlechtlicher Befrie-
digung verursacht, welche bisweilen die durch den Coitus hervorgerufenen Gefiihle
an Wohlbehagen noch bei Weitem übertreffen.
Fig. 350. Samoanerin mit Hänge-
brüsten. (Nach Photographie.)
397. Die Milchsecretion in ihrem Terhältniss zu der Befruehtiing
und der Menstruation.
Es wird auch dem Nichtmediciner hinreichend bekannt sein, dass es für
gewöhnlich in den Brüsten der Frauen nur dann zu einer Milchabsonderung kommt,
wenn eine Schwangerschaft und Entbindung vorhergegangen ist. Die Frau muss
ein Kind getragen und geboren haben, wenn ihre Brüste Milch secemiren sollen.
Wena dieses auch als die allgemeine Regel gelten muss, so giebt es dennoch bis-
weilen davon auch einzelne Ausnahmen.
So kommt z. B. schon bei dem neugeborenen Kinde manchmal eine Secret-
ansammlung in den Brustdrüsen vor, welche diese letzteren halbkugelig anschwellen
lässt. Wenn man die angeschwollenen Brüste drückt, so entleert sich eine milch-
ähnliche Flüssigkeit, welche in Deutschland ziemlich allgemein mit dem
Namen der Hexenmilch bezeichnet wird. Es muss hier noch hervorge-
hoben werden, dass dieser Zustand durchaus nicht an das weibliche Geschlecht
gebunden ist, sondern dass sich die Hexenmilch auch bei neugeborenen Knaben
finden kann.
Das ausnahmsweise Auftreten einer Milchabsonderung in den Brüsten bei
alten Frauen und sogar bei Männern werden wir in späteren Abschnitten aus-
führlicher zu besprechen haben. Aber auch für das Zustandekommen einer
Secretion von Milch in den Brustdrüsen bei geschlechtsreifen Personen weiblichen
Geschlechts, welche sich nicht im Zustande der Befruchtung befanden, liegen un-
zweifelhafte Beweise vor. Allerdings handelt es sich auch hier immer nur um
Ausnahmefalle.
397. Die Milchsecrotion in ihrem Yerhälfcniss zu der Befrachtaog n. der Menstruation. 373
So berichtet Mascard von einer 35 Jahre alten Frau, welche seit 18 Jahren
kinderlos verheirathet war, nnd seit einigen Jahren jedesmal vor dem Eintreten
der Menstruation ein schmerzhaftes Strotzen der Brüste bemerkte. Auf Druck
liess sich eine dem Colostrum gleichende Flüssigkeit entleeren. MüUer'^ in Bern
führt Folgendes an:
,0b es unter dem Einflüsse der Menstruation zur Secretion von Colostrum kommen
könne, ist noch nicht festgestellt, jedoch ist es sicher, dass es auch ohne Eintritt einer Con-
ception zur Ausscheidung von geringen Mengen colostrumähnlicher Flüssigkeit kommt. Wir
haben auf der hiesigen Klinik in den letzten Jahren nicht weniger als 14 Fälle derart be-
obachtet; in allen Fällen ist nie eine Schwangerschaft vorausgegangen, jedoch existirte meist
eine gynäkologische Erkrankung. Ich citire diese au£Eiftllende Erscheinung hier, weil es mir
den Eindruck machte, als ob diese Secretion besonders stark zur Menstruationszeit nachzu-
weisen war.**
Auch der alte Dietrich Wilhelm Busch sagt schon:
,Ja selbst Frauen, welche nicht schwanger waren, säugten Kinder, an denen sie mit
Liebe hingen; Beispiele hiervon sind nicht selten. Es kann also die Milchsecretion selbst
primär angeregt werden. Hierdurch wird aber die Beziehung zum Geschlechtstriebe nicht
aufgehoben, da die Fälle, in denen nicht schwangere Frauen säugten, nur erweisen, dass die
Schwangerschaft zwar die gewöhnliche Ursache der Milchsecretion, aber nicht eine absolut
noth wendige sei''
Die Menstruation bleibt, wie wir früher bereits gesehen haben, mit dem
Eintreten einer Beiruchtung aus und kehrt während der Schwangerschaft nicht
wieder. Auch nach der Entbindung verstreicht noch einige Zeit, bis sich die
Regel wiederum einstellt, aber dieser Zeitraum ist bei den verschiedenen Frauen
nicht der gleiche. Bisweilen zeigt sich die Menstruation bereits 4 Wochen oder
6 Wochen nach der Entbindung, in anderen Fallen vergehen mehrere Monate,
bis die Menstruation nach der Wiederkunft wiederkehrt.
Es hat den Anschein, als wenn die Lactation, das Säugen, die Wiederkehr
der Menstruation hinauszuschieben im Stande wäre, als wenn solche Frauen,
welche ihren Kindern nicht die Brust geben, frühzeitiger wieder menstruirt würden,
als die säugenden Mütter. Man sieht es übrigens im Volke nicht gern, wenn bei
einer Säugenden, und namentlich bei einer Amme, die Menstrualblutungen sich
wieder einstellen, denn man glaubt, dass hierdurch das Kind geföhrdet würde,
dass ihm die Milch dann nicht mehr bekäme. Wie bei den meisten Volksbe-
obachtungen, so ist auch hier ein Funke von Wahrheit darin. Die erste Regel
nach einem Wochenbette pflegt meistentheils eine besonders profuse zu sein; und
da durch den starken Blutverlust dem Körper eine grosse Menge von Flüssigkeit
entzogen wird, so pflegt in den Tagen des Unwohlseins die Milch in etwas ge-
ringerer Menge abgesondert zu werden, als in den Tagen normalen Befindens.
Dieser Nahrungsmangel und, durch das Uebelbefinden der Frau veranlasst, wohl
auch eine weniger gute Qualität der Milch sind es nun, welche den kleinen
Säugling unruhig machen und ihn zu scheinbar unmotivirtem Schreien veran-
lassen« So ist es denn gekommen, dass man in dieser Zeit die Milch als geradezu
schädlich ftir das Kind verschrieen hat. Ein thatsächlicher Ghrund ist daför nicht
vorhanden.
Ueber das Wiedereintreten der Menstruation während der Säugeperiode, so-
wie über die Quantität der Milch bei mehrjähriger Benutzung der Brüste wissen
wir von iremden Völkern so gut wie gar nichts. Wir verdimken aber in dieser
Beziehung Wemich eine Angabe über die Japanerinnen, welche an dieser
Stelle ihren Platz finden möge:
,Wenn eine Japanerin nicht wieder geschwängert wird, kann die Lactation 5 Jahre
dauern; bis in das 4. Lebensjahr wird die Mutterbrust als regelmässige, wenn auch nicht
alleinige Nahrungsquelle seitens der Kinder benutzt. Reichlich vorhanden ist jedoch die
Milch nur drei Jahre lang. Bei so langer Dauer der Lactation tritt die Menstruation regel-
mässig während derselben wieder auf; doch gilt als ungewöhnlich, sie noch vor Ablauf von
374 LXII. Das Säugen.
8 Monaten nach der Entbindung erscheinen zu sehen. Einen Einfluss des Wiedereintritts
der Menses auf die Quantität oder Qualität der Milchsecretion kennt man nicht. Ist die
Menstruation einmal dagewesen, um dann nicht wiederzukehren, und hört die Lactation 2
bis 3 Monate später allmählich auf, so nimmt man, ohne sich zu täuschen, eine neue Con-
ception an. Stets bewirkt die letztere nach der genannten Frist (2 — 3 Monate) ein Yersiechen
der Milchsecretion. '^
Wir haben kurz noch eines zweiten Yolksaberglaubens za gedenken, welcher
nicht nur über Europa, sondern, wie es den Anschein hat, über die gesammte
Erde seine Verbreitung gefunden hat. Es ist dies die Annahme, dass der Bei-
schlaf mit einer Säugenden folgenlos sei, d. h. dass eine Säugende nicht befruchtet
werden könne. Wie irrig eine solche Annahme ist, das werden wir in einem
späteren Abschnitte an mehreren Beispielen erfahren. Denn bei manchen Yölkem
nährt die Mutter zwei verschieden alte Kinder zu gleicher Zeit. Auch MofUano
sagt von den Manthras auf der Halbinsel Malacca:
«Plusieurs des femmes sont ä la fois nourrices et enceintes.'
Aber richtig ist auch hier wiederum, dass sicherlich die Befruchtung etwas
weniger sicher einzutreten pflegt, als bei einem nicht nährenden Weibe.
398. Das Säugen durch die Mutter.
Dass eine Mutter ihrem Neugeborenen durch die Darreichung ihrer Brüste
die nothwendige Nahrung gewährt, ist so vollständig in den natürlichen Verhält-
nissen begründet, dass es wohl ein überflüssiges Vornehmen wäre, eine Liste der-
jenigen Völker zusammenzustellen, bei welchen die Kinder von der Mutter ge-
säugt werden. Bei den ganz rohen, oder in einer Halbcultur lebenden Nationen
ist dieses ganz allgemeine Sitte, und leider müssen wir es constatiren, dass es sich
da, wo wir sehen, dass die Mütter sich dieser Pflicht, durch ihre körperlichen
Verhältnisse gezwungen oder absichtlich, entziehen, in allen Fällen um die am
höchsten civUisirten Volksstämme handelt, nämlich um die alten Inder, die
Japaner und Chinesen, vor Allem aber um europäische Völker, und hier in
erster Linie um die Deutschen und Franzosen. Wir können hier nicht näher
darauf eingehen, welcher Schaden der nachwachsenden Generation namentlich durch
alle die verschiedenen Arten der künstlichen Päppelung zugefügt wird.
Wenn wir nun aber der Betrachtung des Säugens durch die Mutter dennoch
einen besonderen Abschnitt widmen, so hat das seinen Grund darin, dass wir dabei
doch mancherlei merkwürdigen Sitten und Gebräuchen begegnen, welche wir
wohl einer eingehenderen Besprechung für würdig halten. Während man nämlich
bei uns in den höheren Ständen, wa der Säugling durch die Brust der Mutter
oder auch wohl durch diejenige einer Amme ernährt wird, mit grösster Strenge
darüber wacht, dass dem Kinde keinerlei Nahrung nebenbei verabfolgt werde, so
finden wir bei einigen aussereuropäischen Völkern den Gebrauch, schon von
sehr früher Zeit an dem Säugling ausser der Muttermilch auch noch Anderes
zu geben.
So erhalten die Säuglinge in Old-Calabar sehr grosse Mengen Wasser;
bei den Wa^ikuyu in Ost-Afrika giebt ihnen die Mutter Bananen mit ihrem
Speichel vermischt. Auch auf den Aaru -Inseln und bei den Galela und Tobe-
loresen kaut die Mutter dem Säugling Pinang vor, bei den letzteren vom
zehnten Tage an, bei den ersteren aber erst nach Verlauf eines Monats. Bei den
Koucouyenne-Indianern in Süd-Amerika bekommen sie gekochte Bananen,
und bei den Garaiben auch noch andere Früchte. Die Milch der Kokosnuss
mit Wasser verdünnt giebt man ihnen auf den Carolinen-Inseln, und bei den
Makakira in Ost-Afrika saugen sie sogar Pombe, ein dort sehr beliebtes be-
rauschendes Getränk. Bei den Wotjäken erhält das Kind in den ersten 2 — 3
Monaten nur die Mutterbrust, dann begmnt es bald andere Nahrung zu
398. Das Säugen durch die Mutter. 375
erhalten, Brod, Fleisch u. s. w. Namentlich früh schon beginnen die E^einen
sich an Kumyska zn gewöhnen. Buch sah ein Kind von 3 Monaten, dem die
Matter im Laufe von etwa einer Stunde wenigstens einen Essloffel voll 30%igen
Branntwein gab, was dem Kleinen gar nicht übel zu behagen schien. Ein Kind
von 2 Jahren sah jBmcä, sobald es eine Branntweinflasche erblickte, mit beiden
Händen schreiend danach greifen, und wenn man ihm etwas gab, so schlürfte
es mit wahrer Gier. Auch bei den Woloffen in Afrika und bei den Bus-
sinnen in Astrachan wird der Säugling frühzeitig auch an andere Nahrung
gewöhnt
Zwei fernere Dinge, welche unsere volle Beachtung verdienen, sind der Zeit-
punkt, zu welchem bei den verschiedenen Völkern die junge Mutter das Säugen
ihres Kindes beginnt, und die Zeitdauer, während welcher sie die Darreichung der
Brust fortsetzt. Um mit dem ersteren Punkte zu beginnen, so sei hier gleich
vorausgeschickt, dass es nur sehr wenige Yolksstämme ausfindig zu machen ge-
lungen ist, bei welchen das Neugeborene gleich am ersten Lebenstage an die
Mutterbrust gelegt wird. Die allermeisten Naturvölker lassen erst mehrere Tage
verstreichen, bevor dieses Anlegen stattfindet.
Ein sofortiges Anlegen des Neugeborenen an die Mutterbrust finden wir
auf den Luang- und Sermata-Inseln, in Birma, bei den Kanikars in
Indien, bei den Indianern in Alaska, in Massaua, bei den Mahdi-Negern
und bei den Ehstinnen. Auch Demosthenes empfahl gegen Soranus das so-
fortige Anlegen.
Allerdings hat es die Natur nicht so eingerichtet, dass das Kind durch
seine Saugebewegungen nun auch gleich erhebliche Mengen von Milch aus den
Brüsten herausziehen könnte. Erst allmählich und wesentlich unterstützt durch
das Saugen kommt die Milchsecretion gehörig in Gang, und dasjenige, was sich
in den ersten Tagen aus den Brüsten entleeren lässt, ist noch keine fertige Milch,
sondern eine durch reichlichen Fettgehalt mehr dicklich gelb aussehende Flüssig-
keit, welche mit dem Namen Colostrum belegt wird. Am dritten oder vierten
Tage, bisweilen schon früher, manchmal auch etwas später, tritt dann unter starker
Spannung und Erregung im Blutgefässsystem, bisweilen sogar unter Temperatur-
erhöhung eine starke Anschwellung der Brüste auf, welche die eigentliche Milch-
absonderung einleitet. Dieser Zustand der Irritation wird im Yolksmund das
Milchfieber genannt.
Wenn wir nun also bei einer sehr grossen Zahl der verschiedenartigsten
Völker die Sitte vorfinden, dass die Entbundene erst nach dem Verlauf von
mehreren Tagen die Brust darreichen darf, so vermögen wir uns in ihren Ge-
dankengang und in ihre Anschauung sehr wohl hinein zu versetzen. Sie lassen
eben die Zeit vorübergehen, in welcher anstatt der bläulich-weissen Muttermilch
das gelbliche Colostmm abgesondert wird, dessen dickflüssige Consistenz und be-
denkliche Farbe ihnen als ein Nahrungsmittel für so junge und zarte Weltbürger
ungeeignet und unverdaulich erscheint. Dass diese Auffassung ihres Denkens und
Empfindens nicht eine blosse theoretische Speculation ist, das geht mit unum-
stösslicher Evidenz daraus hervor, dass einzelne Völker eine regelrechte Unter-
suchung der Milch vornehmen, bevor der Wöchnerin gestattet wird, ihrem Spröss-
linge die Brust zu reichen.
Von den Bewohnern des Samoa- Archipels wird berichtet, dass Frauen, welche dafür
gut bezahlt werden, mit Wasser und zwei heissen Steinen die Milch untersuchen müssen.
Erst dann, wenn die Milch frei von allen gerinnenden Bestandtheilen gefunden wurde, wird
sie als eine geeignete Nahrung für das Neugeborene angesehen und erst dann darf es die
Mutter an die Brust legen. Auf den Schi ff er -Inseln muss erst eine Priesterin wiederholent*
lieh die Muttermilch besichtigen und erklären, dass dieselbe nicht giftig sei. Bei beiden
Völkern pflegen 2—3 Tage zu vergehen, bis der fttr die Mutter günstige Entscheid gefallen
ist. Aus ähnlichen Ueberlegungen ist wohl auch das Verfahren der Basutho hervorgegangen.
Missionar GriUzner erzählt: ,Nach drei Tagen erst bringen sie das Kind zur Mutter und
376 LXn. Das S&agen.
sagen: «Lasst uns die Brüste der Mutter durch Medicin reinigen, denn die Brüste haben
Schmerz, damit der Schmerz herausgehe." und so werden die Brüste geritzt und mit Medicin,
d. h. mit vorher gestampften Wurzeln, die für diese Krankheit g^t sind, eingerieben; nachher
erst darf das Kind angelegt werden.*
Die Thlinkit-Indianer glauben, dass die Matter dem Neugeborenen nicht
eher die Brust darreichen dürfe, bis nicht alle Unreinigkeit aus ihrem Körper
entfernt worden ist. Diese wird für eine wesentliche Quelle aller späteren Krank-
heiten gehalten, und man entfernt sie auf die Weise, dass man der Wöchnerin
den Magen drückt, bis sich Erbrechen eingestellt hat.
Wir können aber aus diesen Gebräuchen, wie ich glauben möchte, noch
etwas Anderes absehen, nämlich den Zeitpunkt, zu welchem die eigentliche
Milchsecretion beginnt. Und da nun bei weitem die meisten Völker drei Tage
lang dem Neugeborenen die Brust seiner Mutter vorenthalten, so müssen wir wohl
annehmen, dass diese physiologische Erscheinung, d. h. der üebergang von der
Colostrumabsonderung in die Milchsecretion, sich bei sämmtlichen Rassen innerhalb
der gleichen Anzahl von Tagen abspielt. Allerdings begegnen wir auch hier
vereinzelten Ausnahmen.
So legt auf den Aaru-Inseln die Wöchnerin 9 Tage lang ihr Kind nicht an, auf
Eeisar 5 Tage nicht, bei den Sulanesen 4 Tage nicht und auf Eetar 3^4 Tage nicht.
Auch im alten Rom empfahl SoranuSy erst nach 4 Tagen dem Kinde die Brust zu
reichen. Dagegen treffen wir den vorher erw&hnten Zeitraum von 3 Tagen bei den Central-
Australiern am Finke-Greek, auf Samoa, den Watubela-Inseln, auf Djailolo, in
Japan, bei den Ainos, bei den Mongolen, in Siam, bei den Kalmücken, bei den
Persern und den Armeniern, im südlichen Indien und bei der Nayer-Kaste, endlich bei
den Basutho und in Old-Calabar, jedoch wird bei dem letsteren Volke auch wohl schon
nach zwei Tagen der Mutter gestattet, ihrem Kinde die Brust zu reichen. Ueber die Babar-
Insulanerinnen und die Negerinnen der Loango -Küste erfahren wir nur, .dass sie das Neu-
geborene »für die ersten Tage' nicht anlegen dürfen, und in dem Saterlande in Olden-
burg, in Masuren und in Klein -.Russland muss das Kind zuvor getauft sein, weil es
sonst nicht gedeihen könne.
Von den Viti-Insulanerinnen erfahren wir durch Blyth:
,Nach der Greburt wird das Kind vollständig von der Mutter entfernt, bis die Brüste
Milch absondern, und in der Regel enthalten die Brüste einen üeberfluss an Milch schon am
zweiten Tage nach der Entbindung. Das kann sich verzögern auf vier, fGbif, sechs oder sogar
länger als zehn Tage."
Wir müssen nun aber die Frage aufwerfen: Was geschieht denn nun mit
dem armen Kinde in den ersten Tagen? Lasst man es überhaupt, bis der Mutter
das Säugen erlaubt ist, ohne jegliche Nahrung? Das ist bei den meisten Völkern
keineswegs der Fall. Aber das Verfahren, welches wir die verschiedenen Nationen
hierbei einschlagen sehen, ist durchaus nicht immer das gleiche. Denn während
die einen das Kind ftir die ersten Tage mit allen möglichen Dingen päppeln und
zum Theil mit recht unzweckmässigen Stoffen und auf eine recht unverständige
Weise {Flos8^% so finden sich bei den anderen inmier Weiber bereit, bei dem
Säuglinge die Stelle der Mutter zu vertreten, bis diese der Landessitte gemäss
selbst ihre Säugepflichten zu übernehmen vermag. Solche primäre Päppelung,
wie man sie nennen könnte, fand bei den alten Römern statt und auch bei den
alten Indern. Noch heute besteht sie im südlichen Indien, sowie bei den
Somali, den Szuaheli und in Abyssinien, beiden Basutho und den Maka-
laka, und endlich bei den Kalmücken. Die letzteren sind die einzigen, bei
denen man bei dieser vorläufigen Ernährung die Absicht bemerkt, den kleinen
Erdenbürger auf seine spätere Saugearbeit anzulernen und vorzubereiten; denn
nach Meyersan lassen sie ihn an einem gekochten Hammelschwanz saugen. Auf
die Methoden der anderen Völker können wir nicht weiter eingehen, und diejenigen
Fälle, in denen andere Frauen für die ersten Tage dem Kinde die Brust reichen,
werden wir in einem der folgenden Abschnitte kennen lernen.
899. Die Dauer des Säagens. 377
899. Die Dauer des SSngens.
Wenn wir schon mancherlei Verschiedenheiten begegneten in Bezug auf
den Anfangstermin, der bei den Naturvölkern fQr das Säugen der Neugeborenen
inne gehalten wird, so sind die Differenzen noch viel erheblichere, wenn wir nach-
forschen, wie lange Zeit hindurch die Mutter dem Kinde die Brust nicht ent-
zieht. Bei normalen körperlichen Verhältnissen und bei kräftiger Constitution pflegt
bei den säugenden Frauen unserer Rasse ungefähr nach dem Verlaufe von 8
Monaten sowohl die Quantität als auch die Qualität der Milch sehr erheblich
abzunehmen, und es gehört immerhin schon zu den Seltenheiten, wenn ein
deutsches Kind ein Yolles Jahr an der Brust genährt wird. Bei der Land-
bevölkerung allerdings und auch wohl bei dem Proletariat der Städte wird das
Säugen bisweilen 2 volle Jahre und auch wohl noch darüber fortgesetzt. Natür-
licher Weise erhalten die Kinder nebenbei noch andere Nahrung, denn zu einer
vollständigen Ernährung des Kindes würde wohl kaum die Milchabsonderung
ausreichen.
untersuchen wir nun, wie sich dabei die aussereuropäischen Völker in
diesem Punkte benehmen, so finden wir, dass eine Säugezeit von weniger als
einem Jahre zu den sehr grossen Ausnahmen gehört, dass aber bei manchen
Nationen das Säugen eine ganz erstaunlich lange Zeit fortgesetzt zu werden pflegt.
Die folgende Zusammenstellung wird dem Leser über diese Verhältnisse die ge-
wünschte Uebersicht verschaffen.
Die Kinder werden gesäugt:
Unter 1 Jahr bei den Samoanern, EoloBchen, Thlinkit-Indianern, Maynas (Ecua-
dor), Hottentotten.
1 « , , Bngis und Makassaren (Celebes), Gilan, Massaua.
1— IV2 » > > Dacotah, Sioux, Loango-Nögern, Tanembar- und Timorlao-
Insnlanern, Parsen.
1 — 2 11 • « Armeniern und Tataren in Eriwan, Ehsten, alten Römern,
mittelalterlichen Deutschen, Earagassen, Waswaheli.
2 „ , , Persern, Najern, Tschuden, Eetas (Philippinen), Rotesen,
Ruck-Insulanern, Salomon-Insulanern, Russen in Astra-
chan, Türken, Fezzan, Marokko, Aegypten, Nilländern,
Madi, Waganda, Wakimby, Wanyamwezi, alten Peruanern
(auch vom Koran und von Avicenna angeordnet).
2**3 > n » Australien, China, Japan, Laos, Siam, Armeniern, Kal-
mücken, Tataren, Syrien, Palästina, Abyssinien, Canarische
Inseln, Camerun, Mandingo-Negern, Old-Calabar, Wanja-
muesi, Basutho, Makalaka, Thlinkit, Apachen, Abiponer
(Paraguay), Schweden, Norwegen, Steyermärkern.
3 , „ , Luang- und Sermata-Insulanern, Todas, Viti-Insulanern,
bei den alten Juden.
2—4 » . , Indianern Pennsylvaniens, Lappland.
3 — 4 > « « Grönländern, Irokesen, Warrau-Indianern, Kamtschatka,
Mongolen, Madras, Kabylen, Neapel.
3—5 fi » ,. Kanikar, Japan, vielen brasilianischen Indianern, Ostjaken,
Samoa, Palästina.
4—5 • « » Indianern am Oregon, Galifornien, Ganada, Maravis, Au-
stralien, Neu-Caledonien, Hawaii, Kalmücken, Guinea-
Küste, Serben.
5—6 > > > Samojeden, Todas, Griechen.
6 , , , Australien, Neu-Seeland.
6—7 • « • Indianern Nordamerikas, Ganada, Armeniern (Kuban).
7 , „ , Eskimo (Smith-Sound).
10 , , n China, Japan, Gardinen.
12 , , , nordamerikanischen Indianern.
14—15 , , , Eskimo (King-Williams-Land).
378 LXn. Daa Säugen.
Ein Blick auf diese Tabelle, welche in der gegebenen Form dem Leser wohl
mehr üebersicht gewähren wird, als wenn ich die Volker in geographischer Reihen-
folge zusammengestellt hätte, lässt uns in erster Linie erkennen, dass bisweilen
das gleiche Volk unter yerschiedenen Rubriken wieder auftritt. In solchen Fällen
liegen dann von Yerschiedenen Reisenden Terschiedene Angaben vor und es liegt
natürlicher Weise nicht in unserer Macht und Aufgabe, zu entscheiden, wer von
ihnen das Richtige erzählt habe. Sehr häufig haben sie gewiss auch alle Beide
recht und es sind nur die Sitten verschiedener Bevölkerungsschichten oder die
Extreme der Sitten, welche sie berichten.
Femer muss es uns aufifallen, dass bei den allermeisten Völkern die Säuge-
zeit eine sehr lange ist. Nur ganz vereinzelte Stämme setzen schon den Säugling
vor dem Ablaufe des ersten Lebensjahres ab, und die Anzahl derer, welche nur
bis zum Schlüsse des ersten Lebensjahres das Kind an der Brust behalten, ist
auch nur sehr gering. Die Maynas in Ecuador und die Thlinkit-Indianer
säugen das Kind mindestens ein halbes Jahr; die Koloschen schliessen bisweilen
schon mit 10, spätestens aber mit 30 Wochen. Bei den Hottentotten und den
Samoanern werden 4 Monate als die übliche Säugezeit berichtet. Bei den
letzteren wird aber das Säugen bisweilen erheblich längere Zeit fortgesetzt,
jedoch muss der Vater in solchen Fällen den Säugling dem Familiengotte weihen;
und da das Kind dabei rund und dick zu werden pflegt, so wird es mit dem
Namen „Gottes-Banane* bezeichnet. (^ovara-Reise.) Den Zeitraum von 1 — 4
Jahren lässt uns unsere Zusammenstellung als den für die Säugezeit am meisten
gebräuchlichen bei den Völkern unseres Erdballs erkennen, und zwar nimmt
innerhalb dieser Periode die Zeit von 2 bis 3 Jahren bei weitem die erste
Stelle ein.
Worin haben wir den Grund zu suchen, dass so viele Nationen das Säugen
so lange Zeit fortsetzen? Es ist doch kaum anzunehmen, dass mehrere Jahre
nach der Entbindung die Muttermilch noch eine so gute chemische Zusammen-
setzung haben sollte, dass sie für die Kinder eine wirklich gedeihliche Nahrung
abgeben könnte. Und wir haben ja bereits weiter oben gesehen, dass allerdings
den Kleinen neben der Mutterbrust von einer ziemlich frühen Zeitperiode an
allerlei andere, theils thierische, theils pflanzliche Nahrung verabreicht wird.
Wenn wir nun doch finden, dass ihnen die Mutterbrust nicht entzogen
wird, so sind es wohl mehrere Gründe, welche hierbei bestimmend mitwirken.
Einmal ist es wohl die mütterliche Weichheit und Schwäche gegen die Kinder,
welche bei den uncivilisirten Völkern, ganz ähnlich, wie bei unserem Proletariate,
diesen nichts, was ihnen eine Annehmlichkeit gewährt, abzuschlagen im Stande
ist. So lauten von einigen Völkern die Berichte ganz direct, dass die Kinder
sehr lange Zeit hindurch gesäugt werden und zwar so lange, wie sie selber wollen.
Etwas mag auch in das Gewicht fallen, dass die, wenn auch schlechte und mangel-
hafte Muttermilch doch immerhin eine gewisse Unterstützung der Ernährung und
somit eine pecuniäre Ersparniss abgiebt. Haben wir das Wohlbehagen des Kindes
als einen der Gründe für diese Sitte anerkannt, so spielt ganz gewiss dasjenige
der Mutter hierbei auch keine ganz unwesentliche Rolle. Wir haben ja gesehen,
dass- durch das Säugen bei der Frau ausgesprochene wollüstige Empfindungen
hervorgerufen werden. Die wichtigste Triebfeder ist aber die ausserordentlich
weit verbreitete Annahme, dass, so lange eine Mutter ihr Kind säugt, sie den
Coitus ungestraft auszuüben vermöge, ohne dass nämlich eine Befruchtung ein-
treten könne. Dieser Glaube hat auch in Deutschland, namentlich auf dem
Lande, sehr tiefe Wurzeln geschlagen und hat nicht selten die allerschwersten
Enttäuschungen herbeigeführt. Wir treffen ihn aber auch in Galizien, bei den
Serben, bei den Ehsten, bei den Tataren und femer auf Neu-Seeland, auf
Keisar und auf den Luang- und Sermata-Inseln. Es ist schon oben davon
die Bede gewesen.
400. Die Stellangen bei dem S&ugen.
379
Da nun einerseits das Säugen, wie wir gesehen haben, nicht selten eine
grössere Reihe von Jahren fortgesetzt wird, und andererseits dasselbe eine
erneute Empföngniss durchaus nicht unmöglich macht, so kommt es bisweilen
vor, dass die Mutter zwei Kinder ganz verschiedenen Alters zu gleicher Zeit an
ihren Brüsten nährt. Es wird uns das von verschiedenen Völkern berichtet. Auf
den Samoa-Inseln stillte sogar eine Mutter drei auf einander folgende Kinder
zu gleicher Zeit.
Vereinzelte Völker setzen das Säugen für unsere Anschauungen ganz unbe-
greiflich lange fort. So zeigte man Organisjanz bei den Armeniern im Kuban-
Districte im Kaukasus einen Knaben von 6 — 7 Jahren, welcher die Schule
besuchte, aber trotzdem noch nicht von der Mutterbrust entwöhnt war. Am
allerweitesten bringen es in dieser Beziehung die Eskimo -Weiber in King-
Williams-Land. Sessels berichtet von ihnen, es gehöre keineswegs zu den
Seltenheiten, dass ein 14- oder 15 jähriger Junge, der soeben von der Jagd nach
Hause zurückgekehrt ist, die Brust seiner Mutter nimmt, um daran zu trinken.
Eingehenderes über diese Verhältnisse findet der Leser bei Ploss^^ «das Kind*.
Eines eigenthümlichen Gebrauches müssen wir noch Erwähnung thun, welcher
sich nach Schine bei einem Buschmann- Stamme der Kalahari-Wüste findet.
Dort säugen die Weiber ihre Kinder 3 Jahre lang. Wird in dieser Zeit ein
zweites Kind geboren, so wird es ausgesetzt, da nach ihrer Annahme die Frau
nicht zwei Kinder gleichzeitig zu nähren vermag.
400. Die Stellungen bei dem Säugen.
Wir sind so sehr daran gewöhnt, die bei uns gebräuchliche Stellung beim
Säugen, nämlich die Mutter sitzend und das Kind horizontal auf ihrem Schoosse
liegend, als die einzig naturgemässe zu betrachten,
dass es uns höchlichst überrascht, bei anderen Völ-
kern auch noch andere Stellungen kennen zu lernen.
Bei den Quacutl-lndianern in Britisch-Colum-
bien ist allerdings, wie zwei kleine holzgeschnitzte
Figürchen des Berliner Museums für Völker-
kunde lehren, ebenfalls annähernd unsere Stellung
die gebräuchliche. Aber selbst diese beiden kleinen,
als Kinderspielzeug gearbeiteten Bildwerke lassen
doch auch schon kleine unterschiede erkennen.
Die rohere Gruppe (Fig. 351) zeigt die Indianerin
auf der Erde sitzend mit dicht an den Körper angezogenen
Enieen, aber etwas breitbeinig, so dass die Genitalien
sichtbar sind. Ihrem auf ihren Armen ruhenden Kinde
giebt sie die linke Brust, indem sie mit dem linken Arme
den Kopf und Rücken, mit der rechten Hand das Kreuz-
bein des kleinen Säuglings stützt. Das Kind, welches sehr
naturgetreu und realistisch sein Händchen auf den HOgel
der linken Mntterbrust legt, wird derartig gehalten, dass
das Gesäss etwas tiefer liegt als die Schultern. Wir haben
also schon nicht mehr eine ganz genau horizontale Lage
des Kindes. Erwähnt mag noch werden, dass die kleinen Fig. 351. Holzgeschnitzte Figur der
rundlichen Formen der Brüste wohl eine Frau andeuten Quacutl-Indianer (Britisch-Co-
sollen, welche zum ersten Male die Mutterfreuden erlebt hat. ^^^^^^^^t'^enend^^^^^ *^'*
um Vieles feiner und sorgfältiger ist das zweite (MuseSS für VbTkerkuX^S Beflin)
Figürchen (Fig. 352) gearbeitet. Auch diese Frau sitzt in (Nach Photographie.)
ganz ähnlicher Art auf der Erde und hat die Kniee in
symmetrischer Weise an den Brustkorb herangezogen, worin wir übrigens bereits einen Unter-
schied von der Säugestellung anderer In dianer stamme zu constatiren haben. Man ver-
380
LXII. Das S&ugen.
gleiche in dieser Beziehung die Araucanerin (Fig. 845) und die Indianerin aus der
Provinz San Luis in Brasilien (Fig. 355, No.4). Die Haare unserer Quacutl-Indianerin
sind glatt gescheitelt und gehen in zwei sorgfältig ge-
flochtene Zöpfe aus. Der Säugling ruht in absolut horizon-
taler Stellung auf ihren Armen und saugt mit weit vorge-
streckten Lippen au ihrer linken Brust, während sich sein
linkes Händchen mit ihrer rechten Brustwarze vergnügt.
Die Brüste sind stark hängend und länglich zugespitzt
nach unten auslaufend, so dass wir hier ohne jeglichen
Zweifel eine Mehrgebärende vor uns haben.
Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist die in Eu-
ropa gebräuchliche Stellung beim Säugen über-
haupt bei den allermeisten Völkern der Erde die
übliche. Sonst hätten sich wohl die Reisenden nicht
nehmen lassen, uns Ton einer so auffallenden Er-
scheinung häufiger Bericht zu erstatten. Von den
Negerinnen der Loango-Küste sagt Pechad"
Loesche:
„Die Haltung beim Säugen ist die bei uns übliche;
selbst die Finger der Mutter werden in der bekannten Weise
verwendet (um dem Säugling die Warze bequemer in den
Mimd treten zu lassen und gleichzeitig durch leises rhyth-
misches Drücken den Austritt der Milch zu befördern). Die
Mutter soll aber zuweilen über den Säugling sich legen,
um ihm das Trinken bequemer zu machen, thut dies jedoch
wahrscheinlich nur des Nachts.'
Bei mehreren Völkern des westlichen Asiens,
bei den Grusiern, den Armeniern, den Maro-
niten im Libanon (Fig. 353), den Tataren imd
Qfac?ti-i^tr.'f(^.tufh":c:- selbst bis nach Kascbgar beugt sich die Matter
lumbien), ein eine säugende Fran beim Säugen ebenfalls über das Kind hin, welches
dabei ruhig in seiner Wiege liegen bleibt. An der
letzteren ist etwas weiter nach der linken Seite hin
ein fester Längsstab angebracht, der auf der er-
höhten Eopfwand und Fusswand der Wiege aufruht. Die Mutter kniet neben
der Wiege nieder, legt ihren Arm über diesen Stab, um auf diese Weise an
der Achselhöhle fest gestützt zu sein, imd. reicht dem Kinde in dieser Stellung
darsteUendes Kinderspielzeng,
(Museum fUr Völkerkunde in Berlin.)
(Nach Photographie.)
Fig. 3a3. Wiege der Haroniten. Haroniten-Frau, ihr Kind säugend. (Nach Lortet,) (Aus Plots^.)
die Brust in den Mund. Der Stab bietet aber auch eine gewisse Sicherheit, dass
die Mutter, wenn sie beim Säugen einschläft, nicht auf das Kind hinsinken kann,
wobei es dann ja unfehlbar erstickt werden würde.
400. Die Stellungen bei dem Säugen.
381
In Bosnien habe ich die Wiegen ganz ähnlich construirt gefunden.
Bei den afrikanischen Völkern ist es vielfach Sitte, dass die Mütter ihre
jungen Kinder in ein Tuch gebunden auf dem Rücken tragen, wie es die Figur 83
bei einer Dahome-Negerin und Figur 88 bei einer Kaffer-Fraü veranschau-
licht. Von den Frauen der Hottentotten ist es bekannt, dass sie ihrem Kinde
die Brust geben, ohne dasselbe von seinem Platz auf ihrem RQcken zu entfernen:
der Säugling wird nur ein wenig zur Seite gedreht. In etwas vorgeschrittenem
Alter und besonders nach mehreren Geburten erreichen ihre Brüste einen solchen
Orad von Schlaffheit, dass sie dem auf ihrem Rücken festgebundenen Kinde die
Brust unter ihrem Arme durch nach hinten, oder sogar über ihre Schulter hin-
reichen.
Fig. 354. Hottentotten-Frauen, deren eine ihrem Kinde die Brost über die Schulter glebt.
(Ans Kolb.)
Das hat von den Weibern der Hottentotten schon der alte KoXb im
Anfang des vorigen Jahrhunderts berichtet und davon eine Abbildung gegeben,
welche in Fig. 354 copirt ist. Er sagt:
, Haben sie aber kleine Kinder, die noch nicht lauffen können, so muss der Sack schon
weichen, und anstatt des Rückens die Seite einnehmen : massen, als denn das kleine Kind auf
dem Rücken durch erwähnte unterste Eross (das Fellkleid) fest gehalten wird, damit das
Kind vor dem Wind und Regen beschQtzet bleibe: so siehet man alsdenn von dem g^ntzen
Kinde weiter nichts als den Eopff, der über die Schulter hervor raget: damit die Mutter,
wenn es schrejet oder durstig ist, die lange abhängende Brust nehmen, über die Schulter
hinwerffen, und dem Kinde in den Mund stecken könne: und lieget alsdenn der Sack auch
über den Crossen, dass er von jedermann kann gesehen werden.
Auch von anderen Afrikanerstämmen wird Aehnliches berichtet.
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400. Die Stellungen bei dem Säugen.
383
Nach Demersay verlängern sich auch bei den Weibem der Tobas in
Paraguay die Brüste derartig, dass sie dieselben ihren Kindern, welche sie auf
dem Rücken tragen, über die Schulter hinzureichen vermögen. Das Gleiche be-
richtet auch, wie wir oben sahen, Blyth von den Viti-lnsulanerinnen.
Von den Somali schrieb FatditschJce:
^Nicht selten sah ich Frauen, welche dem
Säugling die lang herabhängende Brust über die
Schulter nach rückwärts hinüber reichten, um
das Kind aus der für die Frau und den Säugling
angenehmen Lage nicht bringen zu müssen.*
Wol/f sagt von den Völkern am
Quango:
,Die kleinen Kinder werden von den Müt-
tern vielfach in einem quer über der Schulter
hängenden breiten Streifen von Rinderfell, auf
der Hüfte reitend, getragen. Will das Kind saugen,
so zieht es die Brust unter dem Arm der Mutter
durch und lutscht in dieser Stellung ganz ver-
gnügt. Bis zu ihrem dritten Jahre ungeföhr
saugen die Kinder neben anderer Nahrung."
Solch Reiten der Kinder auf der
Hüfte der Mutter ist in dem südlichen
und namentlich in dem centralen Afrika
sehr verbreitet. Buchta hat eine Niam-
Ni am -Frau photographisch aufgenommen,
welche in dieser Weise ihren ganz sicfier
schon mehrjährigen Sprössling säugt, dessen
Mund sich ungefähr in ihrer Schulterhöhe
befindet. Hierhin hat er mit der Hand ihre
Brust in die Höhe gehoben und scheint
eifrig daran zu trinken. (Fig. 355, No. 5.)
Eine Frau (Fi^. 355, No. 1) aus Preanger auf Java, vom Capitän Schdise
photographirt, hat sich ihr gewiss schon mehr als jähriges Kind in ein über ihre
rechte Schulter laufendes Tuch gebunden, in dem dasselbe wie in einer Schaukel
sitzt und dabei ebenfalls auf ihrer linken Hüfte reitet. Es ist so weit herabge-
sunken, dass es, während die Mutter sich ein wenig nach hinten überbiegt, ganz
bequem deren Brust mit dem Munde erfasst hat. Carl Künne hat der Berliner
Fig. 356. Alt-Peruanisches Grabgefäss,
eine sängende Frau darstellend.
(Maseum für Völkerkunde in Berlin.)
(Nach Photographie.)
Fig. 357. Säugende Siamesin. (Nach Bocourt.)
anthropologischen Gesellschaft das Bild einer aus der Provinz San Luis in Bra*
silien stammenden und bei den Angengeo als Sclavin lebenden Indianerin
(Fig. 355, No. 3) mitgebracht, bei welcher wir die bei diesem Volke gebräuchliche
Haltung beim Säugen kennen lernen können. Die Frau sitzt auf der Erde mit
gekreuzten Unterschenkeln und hat ihr Kind so auf dem Schoosse sitzen, dass
seine Schenkel auf ihrem rechten Beine ruhen und sein Qesäss auf dem tiefer
884
LXII. Das Säugen.
gehaltenen linken Schenkel aufliegt. Dadurch sinkt das sitzende Kind ein wenig
in sich zusammen und vermag nun bei massigem Senken des Kopfes die Brust-
warze der Mutter in den Mund zu bekommen.
Ein Sitzen der Mütter bei dem Säugegeschäft an der Erde, das eine Bein
untergeschlagen und das andere Bein nach derselben Seite fortgestreckt, finden
wir auch bei den Araucane rinnen in Chile (Fig. 345) und bei den zu den
Pa- Utah-Indianern gehörenden Stämmen der Kai-vav-its in Nord-Arizona.
(Fig. 355, No. 2.) Der Säugling nimmt eine halbsitzende Stellung ein und ruht
Fig. 358. Träumende Japanerin, im Liegen ihr Kind säugend.
(Nach einem japanischen Holzschnitt.)
mit dem Gesäss und den Oberschenkeln auf dem untergeschlagenen Schenkel
der Mutter.
Ein altperuanisches Grabgefass in Thon aus der Üfacedo-Sammlung des
Berliner Museums für Völkerkunde, in Pumacayan gefunden, stellt eine
am Boden sitzende weibliche Figur mit sehr grossen, weit herabhängenden Brüsten
dar (Fig. 356). Auf ihrem fast den Fussboden berührenden Knie sitzt aufrecht
ein Kind, das mit den Händen bemüht ist, sich die Brustwarze in den Mund zu
stecken, wobei aber die Mutter in keiner Weise behülflich ist. Sie scheint von
400. Die Stellungen bei dem Säugen.
385
der anderen Brust Milch abspritzen zu wollen, zu welchem Zweck sie die Brust-
warze zwischen Daumen und Zeigefinger gefasst hält. Auch hier sprechen die zu
colossalen Dimensionen entwickelten Hängebrüste dafür, dass es sich um eine
Mehrgebärende handelt.
1
2
es
<
%
Ä
Diese Darstellung stimmt nicht vollständig mit dem überein, was Baum^
garten von den alten Peruanern berichtet. Er giebt an, dass, sobald ein Kind
sich aufrecht halten konnte, es die Mutterbrust auf den Knieen liegend erfassen
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II.
25
386
LXII. Das Sängen.
musste, 80 gut es dieses yermochte, ohne dass die Matter es jemals auf den Schooss
nahm. Wollte es die andere Brust haben, so wurde ihm dieselbe Yorgehalten,
und es musste selber danach fassen, ohne in die Arme genommen zu werden.
Die Viti- Insulanerinnen haben einen ganz absonderlichen Gebrauch beim
Säugen, wie uns Buchner aus eigener Anschauung berichtet. Während er bei
einem Häuptling zum Besuch war, nahm dessen Frau der Kindsmagd ihren Säug-
ling ab, wärmte ihre Hände an einem Feuerbrande, rieb damit ihre Brüste warm
und legte sich dann auf die Erde, indem sie wie eine säugende Löwin dem Kinde
die Brust gab. Eine andere vornehme Dame kam mit ihrem kleinen Kinde zum
Besuch und legte sich ebenfalls nieder, um ihr Kind auf die gleiche Weise
zu säugen.
Die Siamesin säugt ihr Kind, vollständig ausgestreckt auf der Seite
liegend, wobei sie den Arm als Kopfkissen benutzt. Bocourt liefert davon eine
Abbildung, welche in Fig. 357 wiedergegeben ist. Der Säugenden dient die Matte
ab Unterlage, aber dem vollständig nackten Kindchen ist ein zusammengeschlagenes
Tuch als Bettchen untergelegt.
Auch in Japan scheint unter Umständen das Säugen
im Liegen gebräuchlich zu sein. Ein japanischer Farben-
druck fährt uns eine solche Scene vor. (Fig. 358.) Die
Mutter hat sich auf einer Art von Matratze gelagert; den
Kopf hat sie auf den rechten Ellenbogen gestützt, wahr-
scheinlich um die sorgfaltige Frisur nicht zu verderben.
Mit der linken Hand drückt sie einen kleinen Knaben an
sich, welcher auf dem Bauche liegt und emsig an ihren
Brüsten trinkt. Die Mutter hält die Augen geschlossen,
imd ein schlangenartiges Wesen, das sich ihrem Antlitze
nähert, scheint ein Traumbild vorstellen zu sollen. Der
Knabe macht übrigens den Eindruck, als hätte er sein
erstes Lebensjahr schon überschritten.
Es ist das aber nicht die einzige Art, in welcher
die Japanerinnen ihre Kinder säugen. Ein japanischer
Holzschnitt zeigt uns die Mutter auf beiden Knieen liegend,
mit vorn geöffiiietem Gewände. Auf ihren Schenkeln sitzt
der schon ziemlich grosse Säugliug, der gerade bei seiner
Mahlzeit ist. Auf einem Holzschnitt von Hokusai aus
dem Jahre 1820 liegt die Mutter auf dem linken Knie
und stützt sich auf die linke Hand. Das rechte Knie
hat sie aufgestellt und auf dem Oberschenkel des rechten Beines ruht ihr rechter
Ellenbogen und auf diesem der Kopf des trinkenden Säuglings. Hier handelt es
sich sicher um eine Wöchnerin, wie man aus dem Wochenbettgestell im Hinter-
grunde schliessen muss. Drei Frauen sind mit dem Zurechtlegen von Kleidungs-
stücken beschäftigt.
Eine eigenthümliche Stellung beim Säugen scheint in China gebräuchlich
zu sein. Dieselbe lernen wir auf einem chinesischen Aquarell kennen, das uns
in eine vornehme Kinderstube einführt. Es bildet ein Blatt aus einem Cyklus,
welcher den Lebenslauf eines Chinesen illustrirt, und dem auch unsere Fig. 288
entnonmien war. Das uns hier interessirende Blatt ist in Fig. 359 wiedergegeben.
Eine vornehme Dame (wie die kleinen Füsse beweisen), wahrscheinlich die Mutter,
sitzt auf einer absonderlichen Bank. Neben ihr hat auf einem Porzellansessel die
Säugende Platz genommen. Sie ist wahrscheinlich eine Amme, denn ihr ent-
blösster Fuss erscheint nicht verkleinert. Eine dritte weibliche Person in ein-
facher Kleidung bringt ein flaches Schalchen herbei. Das Kind , welches die
rechte Brust ninmit, befindet sich in halbsitzender Stellung. Die Säugende stützt
es mit ihrem rechten Arm. Dabei hat sie aber ihr rechtes Bein derartig über
Fig. 860. Colnmbianerin
ZwiUinge säugend.
(Nach £. Andri,)
401. Das Säugen durch Vertreierinnen und durch Ammen.'
387
das linke gelegt, dass der rechte Fuss mit halb nach oben gekehrter Sohle auf
dem linken Knie aufliegt und das rechte Knie nach unten und aussen gerichtet
ist. Die linke Hand unterstützt den rechten Fuss.
Diese ganz absonderliche Haltung, welche bei keinem anderen Volke nach-
weisbar ist, scheint in China die gemeinhin gebräuchliche zu sein. Wenigstens
findet sie sich in fast übereinstimmender Weise auf einer chinesischen Hand-
zeichnung, welche kürzlich das Museum füt Völkerkunde in Berlin erworben hat.
Exceptionelle Verhältnisse bedingen naturge-
mäss auch immer aussergewöhnliche Maassnahmen.
Das trifft nun auch zu, wenn eine Frau ge-
zwungen ist, Zwillinge zu nähren. Bei manchen
Volksstämmen wird das überhaupt für unmöglich
gehalten und man giebt dort, wie wir oben gesehen
haben, das eine Kind bei anderen Leuten in Pflege,
wenn man es nicht überhaupt ums Leben bringt.
Will die Mutter beide Kinder gleichzeitig säugen,
so muss sie auf jedem Ejiie eins derselben sitzend
haben. Dieses beobachtete E. Andre bei einer
jungen Columbianerin in San Pablo. Die Frau
musste sich, wie wir in Fig. 360 sehen, dabei
ein wenig nach vornüber neigen.
Wenn, wie wir das bei vielen Völkern kennen
gelernt haben, die Kinder in einem schon recht
respectablen Alter ihre Lebensstellung als Säugling
immer noch nicht aufgegeben haben, so ist es
natürlich, dass sie, ihrer Körpergrösse entsprechend,
für das Säugen besondere Positionen einzunehmen
gezwungen sind. So sah Schomburgk bei den
Warrau-Indianern in British-Ouyana nicht
selten ein 3- bis 4jähriges Eond ruhig vor der
Mutter stehen und an der einen Brust trinken, indess sie ihren Jüngstgeborenen
im Arme hatte und ihm die andere Brust darreichte.
Unter einer Sammlung von Federzeichnungen des berühmten Malers George
Catlinj welche das kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin besitzt, befindet sich
auch die Darstellung einer Sioux-Indianerin, welche steht und soeben im Be-
griffe ist, ihrem grossen an sie herantretenden Jungen die Brust zu reichen.
Diese Zeichnung ist in Fig. 361 wiedergegeben.
Auch in Japan kommt es häufig vor, dass ein Kind plötzlich aus dem
Kreise der Gespielen fortläuft und zu der Mutter eilt, um stehend oder knieend
ein paar kräftige Züge aus ihrer Brust zu thun.
Fig. 361. Sionx-Indianerin,
iliren grossen Knaben säugend.
(Fsderzeidmnng von Cattin,)
401, Das Säugen durch Yertreterlnnen und durch Ammen.
Wenn ich hier eine Unterscheidung treffe in dem Säugen durch Vertrete-
rinnen und demjenigen durch Ammen , so hat es damit folgende Bewandtniss.
Wir können als Ammen in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes doch nur solche
Personen auffassen, welche entweder ganz direct für diesen Zweck gemiethet
worden sind, oder welche wenigstens zu der rechten Mutter des Säuglings in
einem dienenden oder abhängigen Verhältnisse stehen. Wenn aber Frauen die
Ernährung des Kindes an ihrer Brust übernehmen, welche dessen Mutter gleich-
gestellt sind, so ist wohl die Bezeichnung als Vertreterinnen nicht unrichtig
gewählt. Eine solche Vertretung der Mutter kann übrigens eine dauernde oder
auch nur eine zeitweise, bisweilen nur wenige Tage anhaltende sein. Wir sahen
25*
388 LXII. Das Säugen.
bereits, dass es bei vielen Völkern für die Mutter verpönt ist, in den ersten Tagen
nach der Entbindung ihr Neugeborenes anzulegen. Nun haben manche Nationen
die absonderliche Sitte, dass während dieser Zeit, wo die Matter das Kind noch
nicht säugen darf, andere Frauen demselben die Brust reichen müssen. Diese
temporäre Vertretung der Mutter dauert bei den Nayer in Indien 2 Tage, bei
den Armeniern von Eriwan, bei den Galela und Tobeloresen auf Djailolo
und auf den Watubela-Inseln 3 Tage, auf Eetar 3 bis 4 Tage, auf den Aaru-
Inseln 9 Tage, auf den Babar-Inseln 10 Tage, und in Klein-Russland so lange,
bis die Taufe vollzogen ist. Die Nayer suchen als Vertreterin womöglich eine
Verwandte; auf den Babar-Inseln übernimmt alle 3 bis 5 Tage eine andere
Frau das Säugegeschäft und sie haben dabei eine ganz ähnliche Art der Namen-
wahl durch das Kind, wie wir sie früher auf den Aaru- Inseln kennen ge-
lernt haben.
Der Tod der Mutter, oder Krankheit derselben, kann die Veranlassung
werden, dem Säugling eine dauernde Vertreterin für seine Ernährung zu ver-
schafiPen. Auch Zwillingsgeburten zwingen auf manchen Inseln des alfurischen
Meeres hierzu. Allerdings sagt der alte Goldhammer:
,So hat ja der Allweise SchOpffer dem Weibe zwey Brüste gegeben, damit sie ent-
weder dem Kinde eine um die andere, oder wenn Zwillinge vorbanden, sie einem jeden eine
'^reichen könne.''
Trotzdem aber ist es dort Sitte, den einen der Zwillinge einer befreundeten
Frau zu übergeben und nur den einen selber aufzuziehen. Wenn bei den In-
dianern in Paraguay ein Säugling seine Mutter verliert, so regnet es Qesuche
der anderen Frauen, deren Brüste im Gange sind, ihnen das Kind zu übergeben.
Diejenige Indianerin, der es übergeben wird, zieht es auf wie ihr eigenes. Die
Nayer in Indien suchen auch für diese dauernde Vertretung womöglich eine
Verwandte zu nehmen. (Jagar.) Beiden Fellachen in Palästina findet sich
hierfür eine Nachbarin bereit. (Klein,)
Wenn eine Mahdi-Negerin nicht genügende Milch in ihrer Brust hat, so
findet sich wohl eine andere Mutter, die mit ihrer Brust aushilft. (Feihin.)
Aber auch sonst noch finden wir, dass in vereinzelten Fällen das Kind von
mehreren Weibern genährt wird. So giebt bei den Arabern in Algier ausser
der Mutter ebenso die erste beste Dienerin oder ein zufallig anwesender Besuch
dem Kinde die Brust, und die Kinder der TscherkessenfÜrsten werden nicht
selten von allen hierzu fähigen Frauen des Stammes genährt.
Die Institution gemietheter Ammen müssen wir als eine uralte bezeichnen.
Sie wird von Homer erwähnt und ebenso in der Bibel. Aber auch bei den
alten Indern sind, wie es den Anschein hat, die Kinder fast immer Ammen
übergeben worden. Susruta giebt die Verordnung, dass die Amme erst am
10. Tage nach der Geburt das Kind anlegen solle, und zwar am Feste der
Namengebung:
,Man setze an einem glücklieben Mondtage die Amme mit gewascbenem Kopfe und
reinen Kleidern mit dem Gesichte nach Osten, lege das Kind, dessen Gesiebt nacb Norden
gekehrt ist, an die rechte Brost, nnd lasse es, nachdem man dieselbe zuvor gewaschen und
einige Tropfen hervorgequollener Milch mit folgenden Sprüchen eingeweiht hat, davon trinken :
„Vier milchfOlhrende Oceane mögen Dir, o Glückliche, beständig in den beiden Brüsten sein,
zur Vermehrung der Kräfte des Kindes; Dein Kind, o Schöne, getranken habend den Milch-
Nektarsaft, möge erreichen ein langes Leben, gleich den Gröttern, nachdem sie Ambrosia ge-
kostet/" (VuUers.)
Für die Gesichtspunkte, welche bei der Auswahl einer Amme maassgebend
sein sollten, werden genaue Anweisungen gegeben. Solche Anweisungen liegen
uns auch von den Aerzten der Griechen und Römer vor, bei denen das Ammen-
wesen ebenfalls eine grosse Ausbreitung hatte, uns interessirt dabei das Ver-
langen des SoraniiS^ dass die Amme bereits 2 bis 3 mal geboren haben müsse.
401. Das Sängen durch Vertreterinnen und durch Ammen. 389
Er verwirft aber die damals allgemein herrschende Ansicht, dass ihr letztes Kind
von gleichem Geschlechte sein müsse mit demjenigen, das sie nähren soll. Ori-
basius verlangte, dass sie nicht unter 25 und nicht über 35 Jahren sei, Mnesitheus
giebt 32 Jahre als die obere Grenze an, während Soranus die zulässige Zeit vom
20. bis zum 40. Jahre erweitert.
Auch bei den Azteken im alten Mexiko waren in Ausnahmefallen
Anunen zulassig.
In dem Hause der Mohamedaner erfreut sich die Amme einer sehr ge-
achteten Stellung. Im Koran heisst es:
„Es ist Euch auch erlaubt, eine Amme anzunehmen, wenn ihr derselben den vollen
Lohn der Gerechtigkeit nach gebt.'
In der Türkei ist nach Eram bei den vornehmen Damen der grösseren
Städte sehr gebräuchlich, ihr Kind einer Amme zu übergeben. Daher überlassen
die jungen Mütter in der Provinz sehr bald ihren Sprössling den Verwandten
und eilen nach der grossen Stadt, um in den reichen Hausem als Ammen ein
behagliches Leben zu führen. Nach anderer Angabe wird die Amme von wohl-
situirten Müttern gehalten, damit sie des Nachts das Kind anlegen solle. Das
geschieht, damit die Dame nicht ihre schöne Wohlbeleibtheit verliere. Oppenheim
hingegen fQhrt an, dass in der Türkei das Stillen durch die Mütter ganz aUge*
mein Sitte sei.
Bei den heutigen Griechinnen ist das Halten von Ammen unter den
Vornehmen sehr verbreitet, um ihre Gesundheit und die Schönheit ihres Busens
zu erhalten.
Obgleich die Perserin berechtigt ist, eine Amme für ihr Kind zu nehmen,
so ist es doch nur eine Ausnahme, wenn sie ihr Kind nicht selber säugt Eine
ihr Kind säugende Mutter kann dort, wie Pölak berichtet, von dem Ehemanne
den Ammenlohn beanspruchen.
Auch in China, wo übrigens sehr früh schon Ammen erwähnt werden,
kommen diese nur in den Häusern der Reichen vor. Das Gleiche finden wir bei
den vornehmen Malayen in Borneo.
Aehnliches berichtet Ely th Yon den Vi ti- Inseln. Er sagt:
,In früheren Zeiten nährten Frauen von hohem Range, wie die Weiber des verstorbenen
Königs Thaconibau, oder von den Chiefs von Fiji niemals ihre Nachkommenschaft selbst,
sondern sie Übergaben ihre Kinder Frauen geringeren Standes, um sie zu säugen. Jetzt aber,
nach Einführung des Christenthnms, beginnen auch die Frauen der höchsten Stände ihre
Kinder selber zu säugen.*
Im deutschen Volke liebten es bereits während des 6. Jahrhunderts reiche
Angelsächsinnen, ihre Kinder durch Ammen ernähren zu lassen, und im
15. Jahrhundert war das im ganzen Deutschland der allgemeine Brauch. Auch
die Bussinnen in Samara halten sich Ammen ftir ihre Kinder.
Eine besondere Ausbildung des Ammenwesens herrscht in Paris. Hier
wird sehr häufig die Amme nicht in das Haus genommen, sondern man übergiebt
das Kind der Amme, die dasselbe in ihrer Heimath aufzieht Man muss nun aber
ja nicht glauben, daiss dieses inuner durch Darreichen der Brust geschieht, sondern
wir haben im Gegentheil hierin gar nicht selten ein Aufpäppelungssystem, ein
, Haltekinderwesen'' der allerschlimmsten Art zu erkennen, wie es der Volksmund
als „Engelmacherei" bezeichnet, und wohl mit einem gewissen Rechte hat der
Maire einer kleinen franzosischen Ortschaft den Ausspruch gethan: „Der Kirch-
hof in meinem Orte ist mit kleinen Parisern gepflastert.''
Ueberall da, wo Ammen mit einer gewissen Häufigkeit verlangt werden,
pflegt sehr bald irgend ein besonderer District oder eine besondere Nationalität
sich einen hervorragenden Ruf ftir die Lieferung guter Ammen zu erwerben.
Solche «Ammenfabräen'', wie derartige Qegenden scherzweise genannt werden,
sind für Berlin bekanntlich der Spreewald und das Oderbruch, für Paris
390 liXII. Das Säugen.
für diejenigen Fälle, wo wie bei uns die Ämme in das Haus genommen wird
(nourrice sur Heu genannt), die Normandie und das Departement de Nievre
in Burgund. In den Sclavenstaaten Amerikas nahm man Negerinnen als
Ammen; die vornehmen Perserinnen wählen Nomadenweiber, die Mala jen auf
Borneo Chinesinnen aus den Frauen der dort ansässigen chinesischen
Bergleute. Bei den alten Athenern standen die Spartanerinnen f&r den
Ammendienst in besonderem Rufe; den Römern aber wurden von Saranus
Griechinnen, von Mnesitheus dagegen Aegypterinnen oder Thracierinnen
empfohlen.
Wir können nicht schliessen, ohne in Kürze der Anschauung zu gedenken,
dass man etwas „mit der Muttermilch einsaugen'' könne, d. h. dass die Eigen-
schaften der Säugenden durch die Vermittelung der Milch auf den Säugling über-
gehen sollen. Schon Tadtus klagte, dass es in Rom nicht mehr so bedeutende
Männer gäbe, wie früher, weil die Kinder nicht mehr von ihren Müttern, sondern
von gekauften ausländischen Sclavinnen gesäugt würden. Im vorigen Jahrhundert
schrieb Goldhammer:
„Zu dem, lo gerathen auch manchmal die Kinder sehr übel nach den Ammen, von
denen sie bejdes Gutes und BSses saugen, dahero das Sprichwort entstanden: £r hat die
Bossheit von denen Ammen gesogen. Und Erasmus spricht in seinen Colloquiis, dass er
gänzlich der Meinung sey, dass die Art und Adelheit der Kinder, durch die Natur der Milch
vitiiret, geschwächt und verderbet werde, weil durch die Milch die Kinder ihrer Ammen
Krankheit, Sitten und Untugenden in sich ziehen, wie dergleichen wir ein Exempel an dem
Kajser Tiberio haben, als welchem die Trunckenheit von seiner versoffenen Amme angeerbet
worden; dem Kayser Cäligula aber wurde von seiner grund bösen Ammen ihrer vergällten
und bosshafitigen Milch die Tyraney eingeflOsset, dass also ein rechter Wütherich aus dem-
selben worden."
Dass auch heute noch in unserer Bevölkerung, namentlich auf dem Lande,
ganz dieselbe Ansicht herrschend ist, das dürfte wohl in hinreichender Weise
bekannt sein.
LXIIL Abnorme Sängammen.
402. Das Säugen darch Thiere.
Es sind uds mancherlei Nachrichten zugekommen, dass Thiere anstatt der
Matter kleinen Kindern als Säugammen gegeben worden sind. Ich muss hier
kurz auf diesen Gegenstand eingehen, da wir in einem späteren Abschnitte dem
umgekehrten Zustande begegnen werden, nämlich dem Säugen von jungen Thieren
an der Frauenbrust. Derlei Fälle, in welchen Thiere gezwungen werden, Ammen-
dienste bei Menschenkindern zu versehen, spielen schon im alten Mythus eine
hervorragende Rolle. Es sei hier an den Td^hus erinnert, den Sohn des Heroldes
und der Atige^ der als neugeborenes Kind ausgesetzt und von einer Hirschkuh
gesäugt wurde; ferner an Bomtdus und Bemtis^ die Säuglinge der Wolfin; ausser-
dem an die Ziege Ämdlthea^ welche den jungen Zeus auf Kreta mit ihrem
Euter ernährte, und endlich an die Kindergestalten, welche in den verschiedenen
bacchischen Aufzügen an Ziegenmüttem ihren Durst stillen. Vielleicht müssen
wir in den letzteren Darstellungen ein Abbild erkennen von realen Verhältnissen,
wie sie sich in Wirklichkeit bei der ita-
lischen Hirtenbevölkerung abspielten.
Im Mittelalter wurde viel von Kindern
erzählt, welche im Waldesdickicht ausge-
setzt und von Bärinnen gesäugt worden
waren. In Folge dessen hatten sie ausser
ihren rohen und thierischen Sitten auch
noch am ganzen Körper einen dichten Haar-
wuchs erhalten, so dass sie als Wald- oder
Bärenmenschen bezeichnet wurden. Bei
Jagdzügen der Fürsten sollen sie zufällig
aufgespürt sein, und wurden dann als grosse
Naturwunder angestaunt und in wissen-
schaftlichen Werken beschrieben.
Aber auch noch in unserem Jahrhundert findet in allerdings seltenen Fällen
ein solches Aufsäugen der Kinder durch Thiere statt. Z. B. werden, wie Klein
in Erfahrung brachte, bisweilen die Fellachen-Kinder in Palästina in dieser
Weise an einer Ziege grossgezogen. Das erinnert an ähnliche Zustände, welche
in Aegypten im sogenannten cdten Reiche geherrscht haben müssen. Es ist uns
eine bildliche Darstellung erhalten, welche Witkawski nach BoseUini reproducirt
und die Fig. 362 wiedergiebt. Wir sehen hier einen kleinen Knaben unter
dem Bauche einer Kuh kauern und an ihrem Euter trinken, während gleichzeitig
ein Kalb sich an einer anderen Zitze des Euters sättigt.
Fig. 362. Alt-Aegyptischer Knabe
und Kftlb an einer Kuh saugend.
(Nach mtkowtki.)
392 LXIII. Abnorme S&u^ammen.
Von den canarischen Inseln berichtet Mac Gregor, dass, wenn dort eine
Frau im Wochenbette stirbt, das Kind von Ziegen oder Schafen weitergesaugt
wird, unter deren Euter es gehalten wird, bis es sich satt getrunken hat.
Herrn Regierungs - Baumeister H. Weisstein verdanke ich folgende Mit-
theilung:
«Auch jetzt noch findet ein Aufsäugen von Kindern durch Thiere statt, und zwar in
Paris, in dem grossen Findol- und Einderkrankenhause Höpital des enfants assist^s.
Kinder, welche verdächtig sind, mit ansteckenden Krankheiten behaftet zu sein, werden nicht
von Ammen ernährt, sondern an Eselstuten gelegt. Ein eigener Pavillon ist in dem Garten
des grossen Instituts hierftlr eingerichtet. An den eigentlichen Saal, worin die Kinder sich
befinden, schliessen sich beiderseitige Stallungen an, wo je vier Eselstuten dauernd nur für
diesen Zweck gehalten werden.*
403. Das Säugen durch die Grossmatter.
Wir sind so vollständig in den Anschauungen gross geworden, dass, wenn
eine Brust Milch produciren soll, ein Wochenbett vor nicht zu langer Zeit vor-
hergegangen sein und die saugende Frau in einem relativ jugendlichen Alter sich
befinden müsse, dass wir auf das allerhöchste erstaunen, wenn uns das Gegentheil
berichtet wird. Und doch sind uns die Berichte nicht gerade vereinzelt zuge-
gangen, dass die Grossmütter oder andere bereits im Matronenalter stehende
Weiber es verstanden haben, ihre alten Brüste zu erneuter und für die Ernährung
des Säuglings hinreichender Milchabsonderung zu veranlassen. Auch handelt es
sich hierbei nicht etwa um ein vereinzeltes Volk, bei welchem dieses scheinbare
Naturwunder ausnahmsweise einmal möglich geworden ist, sondern es werden uns
Beispiele aus allen vier Welttheilen, Europa ausgenommen, vorgeführt. So
wurde in Kawkas über die Armawiren, Armenier des Kuban-Districtes im
Kaukasus, berichtet, dass dort bisweilen die Grossmutter, eine vielleicht fast
50 Jahre alte Frau, um ihrer Tochter etwas Ruhe zu schaffen, das Neugeborene
zu sich nimmt und ihm die Brust reicht, und dass dann auch wirklich eine Milch-
secretion sich einstellt.
Von den Irokesen erzählt Lafiteau, der als Missionar unter ihnen lebte,
dass, wenn ein Säugling seine Mutter verliert, so wunderbar es auch klingen mag,
seine Grossmutter, welche die Jahre der Fruchtbarkeit bereits hinter sich hat,
es dahin zu bringen versteht, dass sie dem Kinde mit Erfolg die Brust zu geben
im Stande isi {Baumgarten.) Auch von den Indianern Süd-Amerikas hören
wir Aehnliches.. Nach Quandt tritt bei den Arrawaken in British-Guyana,
wenn nach mehrjährigem Säugen die Mutter einen neuen Sprössling geboren hat,
die Grossmutter für den älteren Säugling ein und nährt ihn an ihren Brüsten
noch einige Zeit weiter. Appun sah öfter Kinder neben ihrer Mutter und ihrer
Grossmutter stehen und bald an der Einen, bald an der Anderen saugen.
Bei den Betschuana in Süd-Afrika sah Livingstone, dass in mehreren
Fällen die Grossmutter es übernommen hatte, ihr Enkelkind zu sängen. Eine
Frau hatte wenigstens vor 15 Jahren zum letzten Male ein Kind genährt, aber
sie legte den Enkel an die Brust und war im Stande, ihm vollkommen ausreichend
Milch zu geben. Wenn eine Grossmutter von 40 Jahren oder darunter bei einem
kleinen Kinde zu Hause gelassen wird, so legt sie das Kind an ihre welke Brust
und säugt es, und so kommt es auch hier vor, dass bisweilen ein Kind sowohl
von seiner Mutter, als auch von seiner Grossmutter gesäugt wird. Auch bei den
Egba in Yoruba am Niger kommt es, wie Burton in Erfahrung brachte, bis-
weilen vor, dass alte verwitterte Matronen kleine Kinder säugten, obgleich für
gewöhnlich die Brüste der älteren Frauen nur schlaffen und leeren Hautbeuteln
gleichen. So übernimmt auch hier manchmal die Grossmaraa Ammendienate bei
ihrem Enkel. Emma v. Rose^ welche die Araber in Algerien besuchte, kannte
403. Das Säugen durch die Grossmutter. 393
eine alte runzlige Negerin, eine Sclavin des Kaids von Biskara, welche ihr
letztes Kind Yor länger als 30 Jahren geboren hatte. Sie war die Amme des
Kaid gewesen und verrichtete nun bei seinen Kindern die gleichen Dienste. Sie
hatte niemals aufgehört zu stillen und hatte noch immer Milch im Ueberäuss.
Es war ein widerlicher Anblick, den rosigen Mund des kleinen Säuglings an der
welken Brust dieser Alten hängen zu s^en. Als die Berichterstatterin ihr Be-
denken darüber äusserte, ob denn die Milch einer solchen Matrone eine gedeih-
liche Nahrung f&r den Kleinen abgeben könne, so meinte die Frau des Kaid:
Milch sei Milch; einen unterschied kenne sie nicht.
Nach alle diesem werden wir kaum berechtigt sein, eine Angabe von Tvike
in Zweifel zu ziehen, welcher behauptet, dass in Neu-Seeland bisweilen Weiber
kleine Kinder säugen, welche überhaupt niemals geboren haben. Ist das Eine
möglich, dann dürfen wir auch das Andere nicht für unmöglich halten.
Dass die südamerikanischen Indianerinnen sich dadurch ihre Brüste
lange Jahre im Gange, d. h. Milch secernirend, zu erhalten wissen, dass sie aller-
hand Gethier daran saugen lassen, das werde ich später noch zu besprechen
haben. In wie weit für diesen verspäteten Wiedereintritt der Milchabsonderung
psychische Einflü^te, und ganz specieU die Liebe zu dem Säugling mit von Be-
deutung sein mögen, das lasse ich dahingestellt. Der alte Bosch hat aber diesen
Einfluss ganz besonders hervorgehoben:
.Wenn eine Frau einem fremden Kinde zur Amme dient, so nimmt die Menge ihrer
Milch Anfangs ab, und wird dann erst reichlicher, wenn sie gegen dieses Kind eine grössere
Liebe fUilt So hängt diese Secretion gleich dem Geschlechtfitriebe von einer psychischen
Affection, von der Liebe zu dem Kinde ab, und vermag andererseits auch wieder die Liebe
zu dem Kinde zu erhöhen.*
Für dieses eigenthümliche Säugen durch alte Frauen habe ich den Namen
Spät-Lactation oderLactatio ser ot in a in Vorschlag gebracht. Ich konnte der
Berliner anthropologischen Gesellschaft Berichte vorlegen, welche mir von dem
seit 42 Jahren im Gaplande unter den Xosa-Kaffern als Missionar lebenden
Missionssuperintendenten Kropf zugegangen waren. Die Spät-Lactation hat bei
den Kaffern eine so ausserordentliche Verbreitung, dass Herr Kropf davon «un-
zählige Fälle* kennen gelernt hat. Die betreffenden Frauen standen in einem
Alter von 60 bis 80 Jahren. Besonders lebhafk erinnerlich ist ihm eine Frau,
welche bei seiner Ankunft in Afrika im Jahre 1845 bereits erwachsene Kinder
in den zwanziger Jahren hatte und die im Jahre 1887 noch einen Grossenkel
säugte. Wir haben hier also sogar ein Säugen durch die ürgrossmutter.
Dieses Nährgeschäft vermögen die alten Frauen nicht nur einmal zu übernehmen,
sondern so oft es ihnen beliebt, d. h. so oft ein Enkel oder Grossenkel geboren
wurde. Auf diese Weise lag zwischen den einzelnen Nährperioden ein Zwischen-
raum von 2 bis 4 Jahren. Die alten Frauen setzen dann das Nähren über Jahr
und Tag hinter einander fort, je nachdem des Kindes Mutter zurückkehrt. Die
Mütter nämlich ziehen bald nach der Entbindung in die Städte, um Arbeit zu
suchen, und der Grossmutter oder der Ürgrossmutter li^ dann die Pflege des
Kindes ob. (BarielsK)
Leider konnte ich bisher noch nichts erfahren über das Aussehen, die Art
und die Menge des in diesen alten welken Brüsten der Kaffer- Frauen abge-
sonderten Secretes; jedoch gab Kropf auf mein Befragen an, dass die Frauen
beide Brüste in Thätigkeit setzten, dass aber wenigstens dem äusseren Anscheine
nach keine sehr reichliche Absonderung von Milch stattfinden könne, da die
Brüste niemab das volle strotzende Ansehen bekommen, wie bei jungen nährenden
Frauen. Uebrigens bekommen diese Grossmuttersäuglinge auch noch Kubmilch
nebenbeL
In der Debatte machte W. Reiss darauf aufmerksam, dass auch auf Java
sehr gewöhnlich alte Frauen kleine Kinder an ihren Brüsten saugen lassen. Die
394 LXIII. Abnorme Säugammen.
junge Mutter geht auf Arbeit, und dreimal am Tage wird ihr der Säugling zum
Anlegen gebracht. In der Zwischenzeit verbleibt er in der Obhut der Grossmntter
oder einer alten Nachbarin, „um möglichst wenig durch das Kind in der Be-
sorgung des Haushaltes gestört zu sein, bindet sich die alte Frau das in ein
Tuch eingeschlagene Kind an den nackten Oberkörper. Nach Nahrung suchend,
oder auch aus langer Weile, saugt das Kind an dem welken Busen seiner Pflegerin,
der in Folge des fortdauernden Reizes allmählich ein milchartiges Secret abzu-
sondern beginnt. Die nur spärlich entwickelte Flüssigkeit ist gelblich und ent-
spricht keineswegs der Muttermilch. '^ Auch hier erhalten die Kinder andere
Nahrung nebenbei. Die Javanen haben für diese Art der Ernährung einen
besonderen Namen. ,Kassi-tetek heisst in malayischer Sprache das Saugen
an der Mutterbrust, Mpeng das Saugen an dem welken Busen alter Frauen.
So allgemein ist die Sitte auf Java verbreitet, dass europäische Aerzte bei
Annahme alter Pflegerinnen für Kinder weisser Mütter stets ernstlich die Aus-
übung des Mpeng verbieten, da nach ihrer Ansicht üble Folgen für das Kind
daraus entstehen können.* Das Wort Mpeng hat auch noch eine Reihe über-
tragener Bedeutungen. (Bartels^^.)
Ich habe diese interessante Angelegenheit weiter verfolgt und es gelang
mir durch die Freundlichkeit des Herrn Dr. Glogner in Samarang auf Java,
über fQnf von ihm beobachtete Fälle genauere Mittheilungen zu erhalten. (Bartels'^.)
Von diesen Frauen waren allermindestens vier bereits Grossmütter. Sie standen
in dem Alter von 37 bis 50 Jahren, in welchem bei Javanerinnen die Grenze
der Fortpflanzungsfähigkeit schon lange überschritten ist. Bei den drei jüngsten
Personen war die Menstruation noch vorhanden; eine 45jährige stand in den
Wechseljahren und eine 50jährige hatte dieselben bereits hinter sich. Bei den
Frauen, die noch vor dem Klimakterium standen, war die Milchabsonderung reich-
lich, während die beiden älteren Frauen zwar auch unzweifelhaft Milch secernirten,
aber doch nicht in so hinreichender Menge, dass die Kinder allein hiervon
gesättigt werden konnten, sondern sie mussten ausserdem auch noch Reisbrei
erhalten.
Die Brüste dieser säugenden Grossmütter werden als wenig entwickelt be-
zeichnet. Die von ihnen abgesonderte Milch war sehr wasserreich. Der Zeitraum,
welcher nothwendig war, um die welken Brüste wiederum zu erneuter Milch-
absonderung anzuregen, wird verschieden lang angegeben. Einmal heisst es, dass
dieses «bfdd'', ein anderes Mal, dass es „allmählich*^ geschehen sei; einmal hat
es 10 Tage gedauert; bei der jüngsten von den fünf Frauen begann die Thätig-
keit der Brust schon nach 3 Tagen.
Ein vereinzelter Fall ähnlicher Art ist auch aus Europa bekannt geworden.
Er findet sich unter der üeberschrifb „Naturwunder. Die säugende Gross-
mutter" in dem Berlinischen Wochenblatt für den gebildeten Bürger
und denkenden Landmann vom Jahre 1812 {Wadeeck):
„Margaretha Franziaea Laloiteite, die Frau eines Pariser Wasserträgers von angef&hr
45 Jahren, hatte zwei Kinder gehabt und war im Jahre 1780 mit dem dritten, einem Sohn,
niedergekommen; alle drei Kinder hatte sie selbst gestillt. Vier und zwanzig Jahre nach der
letzten Niederkunft 1754 heirathete der Sohn und seine Frau sollte im Februar des Jahres
1756 Wochen halten. Die Grossmutter, jetzt 71 Jahre alt, wollte der Schwächlichkeit ihrer
Schwiegertochter wegen bei dem zu erwartenden Enkel nicht gern eine Amme annehmen
und fasste den seltsamen Entschluss, ihn im Nothfall selbst zu stillen. Sie kam auf den Ein-
fall, die Milch, die sie bereits seit 25 Jahren verloren hatte, wieder hervorzulocken, und
stellte ihre Versuche vier Tage lang vor dem Fener an, wo sie mit grossem Schmerze ihre
Brost aussaugen Hess. Nach Verlauf dieser kurzen Zeit sah die alte Heldin der Mutterliebe
ihre Hoffnung erfüllt. Um die eintretende Milch besser zuzubereiten und häufiger herbei-
zulocken, leg^e sie die beiden letzten Monate der Schwangerschaft ihrer Schwiegertochter
abwechselnd junge Hunde und Kinder ihrer Nachbarn an, und konnte nun, sobald ihre
Enkelin zur Welt kam, sie mit ihrer Milch vollkommen ernähren. Die Grossmutter und die
404. Das Säagen durch den Vaier. 395
Enkelin befanden sich sehr wohl dabei, das Kind zahnte zur rechten Zeit und ohne Be-
schwerde und war, als diese Beobachtung bekannt gemacht wurde, sehr munter.*
Wir haben hier eine interessante Analogie für die ans Afrika und Asien
berichteten Thatsachen.
404. Das Säugen durch den Taten
Es ist bereits von Charles Darwin darauf aufmerksam gemacht worden,
dass wir in den Brustdrüsen des Mannes nicht eigentlich rudimentäre, sondern
nur nicht vollständig entwickelte, nicht functionell thätige Organe zu erblicken
haben. Da wir uns nun in dem Torigen Abschnitte überzeugen konnten, dass
auch ohne ein vorhergegangenes' Wochenbett in den Brüsten eine Milchsecretion
zur Ausbildung gelangen kann, so wird es uns auch nicht mehr zu unglaub-
würdig erscheinen, wenn wir hören, dass in seltenen Fällen auch in der Brust-
drüse des Mannes eine Milchabsonderung beobachtet worden ist. Ist doch bei
männlichen Kindern in den ersten Lebenstagen eine Anschwellung der kleinen
Brüste und die Bildung einer milchähnlichen Flüssigkeit in denselben, der so-
genannten Hexenmilch, nicht minder häufig als bei den kleinen Mädchen. Und
auch zu der Zeit der Pubertät sieht man nicht selten die Brustdrüsen der Jüng-
linge erheblich sich vergrössem und anschwellen. Der Herausgeber musste vor
einer Reihe von Jahren dem verstorbenen Eobert Wütns bei der Amputation einer
Brust eines 13jährigen Knaben assistiren. Während die eine Seite ganz normale
Verhältnisse darbot, hatte sich an der anderen Korperhalfte die Brust in vollkommen
weiblicher Form zu solcher Grosse entwickelt, wie wir sie nur bei Mädchen von
18 — 20 Jahren zu sehen gewohnt sind. Natürlich war die durch dieses Verhalten
bedingte Entstellung eine sehr erhebliche; der Bau der amputirten Brust war ein
ganz normaler jungfräulich weiblicher.
Dass nun solche Brüste bei Männern auch wirklich Milch gegeben haben,
ist von einer Reihe alter Beobachter (Nicolaus Gemma^ Vesalius^ Donatus^ Eugu-
tius, BariceUuSy Fabricitis ab Aquapendente u. s. w.) bestätigt worden. ** Schenck
kannte einen Mann, der von seiner Jugend an bis zu seinem 50. Jahre reichlich
Milch absonderte. Das Gleiche berichtet Walaeus von einem 40jährigen Flanderer
mit ungeheueren Brüsten. Abensina sah einen Mann aus seinen Brüsten soviel
Milch entleeren, dass daraus Käse gefertigt wurde. Cardanus berichtet, dass er
einen 40jährigen Mann gesehen habe, aus dessen Brüsten soviel Milch fioss, dass
sie zur ü^mährung eines Kindes ausgereicht hatte.
Ein zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts in Verona lebender Anatom,
Alexander Benedictus^ erzählt:
^ Maripetrus sacri ordixiis equestris tradidit, Syrnm quendam, cui filius infans, mortua
coi^juge, Bupererat, ubera saepius admovisse, ut famem filii vagientis frastraret, contiiiQatoque
auctu lacte manasse papillam, quo exinde metritas est, magno totiuB urhis miraculo.*
Wie Weinberg angiebt, wird auch im Talmud (Sahbath 63) eine hierher-
gehörige Beobachtung berichtet. Ein Mann verlor seine Gattin im Wochenbett
und ernährte darauf den Säugling an der eigenen Brust.
Das alles sind ältere Angaben, denen man einige Zweifel entgegenbringen
konnte. Aber einen Bericht aus neuer Zeit verdanken wir Alexander von HumboldL
Es handelt sich um einen Landbauer aus dem Dorfe Arenas in Neu-Andalusien:
«Dieser Mann hatte einen Sohn mit seiner eigenen Milch gestillt. Als die Mutter krank
ward, nahm der Vater das Kind, um es zu bemhigen, in sein Bett, und drückte es an seine
Brust. Lozano war zwej und dreysig Jahre alt, und hatte bis dahin keine Milch in der
Brust gespürt; aber die Reizung der Warze, an der das Kind sog, bewirkte die Ansammlung
dieser Flassigkeit. Die Milch war dicht und sehr sfiss. Der Vater, fiber das Anschwellen
seiner Brost erstaunt, reichte sie dem Kind und stillte solches fQnf Monate durch zwey bis
dreymal täglich.*
396 LXUL Abnorme S&ugammen.
,Er erregte die Aufmerksamkeit der Nachbarn, dachte aber nicht daran, wie in Europa
geschehen wäre, die Neugier der Leute sich zu Nutze zu machen. Wir sahen den, zu Er-
Wahrung der bemerkenswerthen Thatsache, an Ort und Stelle aufgenommenen Verbalprocees,
und die noch lebenden Augenzeugen versicherten uns, der Knabe habe, so lange er gestillt
ward, neben der Yatermilch keine andere Nahrung erhalten. Lozano, der sich während
unserer Reise in den Missionen nicht in Arenas befand, besuchte uns nachher in Gumana.
Sein dreyzehn oder vierzehn Jahre alter Sohn begleitete ihn. Herr Banpland, welcher des
Vaters Brust aufmerksam untersuchte, fand sie, wie bey Frauen, welche Kinder gestillt
haben, runzligt Er bemerkte, dass vorzüglich die linke Brust sehr ausgedehnt war, welches
Lozano uns durch den Umstand erklärte, dass bejde Brüste nie in gleicher Menge Milch lieferten.*
Trotzdem ich in die Glaubwürdigkeit der Honoratioren von Arenas keinerlei
Zweifel setze, so sind doch hier weder Humboldt noch auch Banpland Augen-
zeugen der eigentlichen Thatsache gewesen. Von um so grösserer Wichtigkeit
ist daher für uns ein Bericht, welchen Omstein der Berliner anthropologischen
Gesellschaft zugehen Hess:
«Ich wohnte in Jahre 1846 in dem Seestädtchen Galaxidi, an einer Bucht des Meer-
busens von Amphissa, bei dem Schiffsbaumeister Elias Kanada ^ einem Manne von so
colossalem EOrperbau, wie ich in Griechenland keinen zweiten gesehen habe. So oft es
seiner kleinen, schwächlichen und dabei tuberkulösen Frau an Milch fehlte und ihr fast schon
zweijähriger SprÖssling sein Missvergnügen darüber durch anhaltendes Jammern und Weh-
klagen zu erkennen gab, reichte ihm der Vater mit wahrer Mutterzärtlichkeit eine der stark
entwickelten Brüste, und der kleine Schreihals sog nach Herzenslust, bis er gesättigt war.
Ich habe oft genug gesehen, wie der Mann die von der Milch benetzte Brust abzutrocknen
genöthigt war.*
LXIV. Die Mutterbrnst im Brauche und Glauben der Völker.
405. Die Mutterbrnst in cnltnrgeschichtlicher Bezlehnng.
Ich kann es mir nicht versagen, an dieser Stelle noch, wenn auch nur mit
wenigen Worten, die culturhistorische Wichtigkeit der Mutterbrnst hervorzuheben.
Es hat dem Scharfblicke auch der auf sehr niedriger Gulturstufe sich befindenden
Völker nicht entgehen können, was ffir eine hohe Bedeutung der Nahrung spen-
denden Frauenbrust för die Erhaltung imd die Vermehrung des gesammten
Menschengeschlechts zugeschrieben werden muss. Und aus diesem Grunde ist
es wohl erklärlich, dass sie gerade die Brüste so recht als das Charakteristikum
des weiblichen Geschlechts auffassen. Wir finden daher in ihren rohen und
primitiven künstlerischen Bestrebungen, die menschliche Gestalt, sei es in Malerei
oder in plastischer Arbeit, zur D^^Uung zu bringen, überall da, wo sie mit
ihren Figuren ein Weib zu bilden die Absicht hatten, auch stets die Brüste in
mehr oder weniger gelungener Weise angedeutet oder ausgebildet. Das vermögen
wir bei den Kunstleistungen der primitivsten Völker des äquatorialen Afrikas
ebenso nachzuweisen, wie bei den Oster-Insulanern; wir finden es auf den prä-
historischen Felsenzeichnungen in Bohuslaen in Schweden {Brunitis) wie auf
den Gravirungen der Wallrossknochen bei den Eskimovölkern u. s. w.
Sehr interessant sind in dieser Beziehung eine Reihe von Vasen, welche
Schliemann durch seine Ausgrabungen in Hissarlik (Troja) zu Tage gefördert
hat. Bei ihnen findet man dem Vasenbauche in seiner oberen Abtheilung ganz
deutlich ausgebildete Brüste aufgesetzt. Ueber diese ihre Bedeutung kann kein
Zweifel bestehen, da einige dieser Vasen durch ihre mit Gesichtern verzierten
Deckel sich als der grossen ausgebreiteten Gruppe der sogenannten Gesichtsurnen
angehörig documentiren, welche in immer mehr oder weniger vollständiger Weise
die menschliche Gestalt zur Darstellung bringen. Es kommt auch noch hinzu,
dass sich auf der Mehrzahl der von Schliemann entdeckten Exemplare genau in
der Mitte zwischen diesen Brüsten, aber eine kleine Strecke unterhalb derselben,
eine kleine, flache, an einen Knopf erinnernde kreisrunde Erhöhung vorfindet,
welche nach ihrem Sitze und ihrer Gestalt ganz zweifellos als der Nabel gedeutet
werden muss. Die Brüste und der Nabel präsentirt uns also diese Frauen-
gestalt, und das Tiefe und Sinnige einer solchen Darstellung wird wohl Jeg-
lichem sofort in die Augen fallen: Die Brüste sind es, welche die kommende
Generation ernähren und heranbilden, in dem Nabel aber haben wir das äussere
Erinnerungszeichen des physischen Zusammenhanges mit den Vorfahren zu. er-
kennen.
In der religiösen Auffassung sehr vieler Völker haben wir zwei hauptsäch-
liche Gottheiten zu unterscheiden, die wir in der Kürze und Allgemeinheit als
das active, männliche, befiruchtende, und das passive, weibliche, gebärende Princip
398
LXIV. Die MutterbruBt im Brauche und Glauben der Völker.
bezeichnen können. Das letztere wird sehr häufig durch eine weibliche Gestalt
zur Darstellung gebracht, welche mit beiden Händen ihre Brüste halt, oder welche
die eine Hand an die eine Brust und die andere an ihre Geschlechtstheile legt.
Derartige Figuren kenne ich von den alten Mexikanern und aus verschiedenen
Theilen Afrikas. Unsere Figur 363 zeigt eine solche weibliche Gestalt, die
als Bogenhalter dient, aus Uguha, südwestlich vom Tanganyika-See, von
wo sie Wissmann dem Museum für Völkerkunde in Berlin überbrachte.
Sie ist in dunkelbraunem Holz sehr sorgfaltig geschnitzt und ist bis auf einen
Perlenhalsschmuck unbekleidet. Am Bauche und am
^^^ unteren Theile des Rückens bis zur Kreuzbeingegend sind
HB ^^1 stark erhabene Schmucknarben angedeutet. Ihre Hände
^H ^H ^^ ^^ ^^^ ^^ ^^^ beiden strotzend dargestellten Brüste
^H ^H ^K ^^^ ^^^ Nabel ist auch hier, wie so häufig bei afrika-
^H HB ^K ni sehen Figuren, stark ausgebildet und nabelbruchartig
^H ^9 ^K hervorgewölbt. (Man vergleiche Fig. 802.)
^^L fli ^K Nach gleichen Principien gebildete Figuren haben
^^Ll^ i^m ^^^^ ^^^ Cypern, in Klein-Asien und selbst in
^Hp^L^^^^ Griechenland gefunden, und die Archäologen ver-
^^^^^j^^ mochten durch eine B^ihe von XJebergangsformen den
sicheren und unanfechtbaren Nachweis zu liefern, dass
auch die bekannte Handhaltung der mediceischen VenuSj
welche man ja für gewöhnlich als den höchsten Aus-
druck weiblicher Schamhaftigkeit zu betrachten pflegt,
ursprünglich gerade die gegentheilige Bedeutung hatte,
indem ihre künstlerischen Vorbilder und, wie man sagen
könnte, ihre Vorfahren mit dieser Stellung der Hände
die betreffenden Theile keineswegs zu verdecken, sondern
im Gegentheile gerade auf sie hinzuweisen bestrebt ge-
wesen sind.
Die Mutterbrust als Attribut der Göttin der Natur
hat auch ihre archäologische Rolle gespielt, die sich
selbst noch in den allegorischen Darstellungen der letzten
hundert Jahre widerspiegelte. Jedoch konnten für eine
so viel beschäftigte Mutter, wie die Mutter Natur es ist,
nach der Auffassung der Menschen, nur zwei Brüste wie
bei einem menschlichen Weibe nicht genügen; ihre
Zahl musste eine ganz erhebliche Vermehrung erifahren.
Am bekanntesten in dieser Beziehung ist eine in mehr
Fig. 36a. Holzgeschnitzter als menschlicher Grösse gebildete Statue, welche sich
(A^rTk\l\^eunbTuewl^!'uire ^^^^^r dem Namen der Diana von Ephesus, die be-
strotzenden Brüste mit den Hän- kanntlich als die Naturgöttin verehrt wurde, in dem
?Z»^n!^''fL^vSi^«'?l'n^^^^^ Museo nazionale, dem früheren Museo Borhonico
(Museum für Volkerkunde . ^^ i i. i- i i. t\- • xi.« t i. o«
in Berlin.) m Neapel befindet. Diese eigenthümhche Figur, von
(Nach Photographie.) welcher eine Replik im Vatican bewahrt wird, hat
den ganzen Brustkorb mit Brüsten besetzt, welche
in regelmässiger Anordnung verschiedene Grössendimensionen darbieten. Bei allen
— es sind nicht weniger als achtzehn — ist die allgemeine äussere Form die
Gleiche und erinnert an die Ziegenbrüste gewisser Afrikanerinnen. Durch
dieses Hängende, fast möchte ich sagen Euterartige, dabei aber doch in gewisser
Weise Strotzende, wird in unverkennbarer Klarheit angedeutet und ausgedrückt,
dass diese Brüste sich in dem Zustande der Milchproduction befinden und dass sie
ihre Bestimmung, als Nährorgane zu functioniren, in vollem Maasse zu erfüllen
im Stande sind.
406. Die Diätetik der Säugezeit. 399
406. Die Diätetik der Säagezeit.
Man pflegt bei den civilisirten Nationen der Säugenden eine ganz besondere
Ernährung angedeihen zu lassen, in der Absicht einerseits, das Uebergehen von
reizenden Stoffen in die Milch zu verhindern, und andererseits die Milchproduction
so viel wie möglich zu vermehren. Wenn wir nun bei Völkern auf niederer
Culturstufe ähnliche Speisevorschriften wiederfinden, so müssen wir wohl glauben,
dass es ähnliche Anschauungen und Erfahrungen sind, welche diese Verbote und
Verordnungen verursacht haben. So darf auf den Babar-Inseln eine säugende
Frau keine Fische und kein Ferkelfleisch zu sich nehmen. Auch auf Eetar ist
es ihr verboten, Ealapanüsse oder Ferkelfleisch zu essen, ,)Weil sonst das Kind
krank wird", und auf Keisar muss sie unter Anderem Schaf- und Hühnerfleisch
und saure Früchte vermeiden, dagegen aber gekochten Reis und trockene Fische essen.
In Guatemala musste, wie StoU berichtet, die Frau, so lange sie ein Kind
säugte, ausschliesslich von Mais leben.
Die Seranglao- und Gorong-Insulanerinnen suchen durch den 40 Tage
lang fortgesetzten Oenuss von dem Extracte der Blätter zweier heilkräftiger
Pflanzen (Oogita mor und Oidanwanar) ihre Milch zu vermehren. In Japan hat
in dieser Hinsicht der Genuss des Fleisches von der Eule grossen Ruf.
Moschion berichtet, dass die römischen Frauen, um sich reichliche Milch
zu verschaffen, die Euter verschiedener Thiere assen; auch haben sie als milch-
fördernde Mittel Holzwürmer oder Fledermäuse, zu Asche gebrannt, in Wein ein-
genommen; er selber tadelt dies.
Die weite Verbreitung des Glaubens, dass das Säugen eine erneute Schwänge-
rung verhüte, haben wir bereits kennen gelernt. Ganz sicher allerdings bleibt
dieselbe aus, wenn der Coitus überhaupt gar nicht stattfindet; und ein solches
Verbot finden wir bei einer grossen Anzahl von Völkern. Es ist gewiss eine
bemerkenswerthe Thatsache, dass bei vielen, und zwar gerade bei ungemein rohen
Völkerschaften der Ehemann während der Säugezeit den Beischlaf mit seiner
Gattin nicht ausüben darf. Da die Mütter bei diesen Volksstämmen nun nicht
selten mehrere Jahre säugen, so ist die natürliche Folge, dass der Mann durch
die ganze Zeit seiner Frau geschlechtlich fern bleiben muss. Das schreibt die
allgemeine Sitte vor, und vielleicht ist es dadurch zu erklären, dass man auch
die Milchsecretion, ähnlich wie die Menstruation und den Wochenfiuss, für ab-
norme Ausnahmezustände betrachtete, in welchen die Berührung mit der Frau
jedem Manne erhebliche Gefahren darbieten muss. Sicherlich hat die Meinung
viel für sich, dass die lange Abstinenz, zu welcher der Gatte auf diese Weise
verurtheilt wurde, als eine der Ursachen betrachtet werden muss, welcher die Viel-
weiberei ihren Ursprung verdankt.
Solch Fembleiben vom säugenden Weibe ist weit verbreitet, namentlich
bei afrikanischen Völkern. Aber auch die Drusen, die Eafir in Indien
und viele amerikanische Stämme üben die gleiche Enthaltsamkeit. Auch von
den Feuerländern hat man es behauptet. Deniker und Hyades geben aber
über diese Leute folgenden Bericht:
,La dur^e de la p^riode d^allaitement est en gen^ral de trois ans; mais les Fue-
giennes commencent de bonne heare ä donner ä leurs nourrissODs, sans les sevrer compl^-
tement, des aliments solides, tels que moules cuites, poissons etc. On ä pr^tendu que, pendant
tout le temps oü eile allaite, la Fu^gienne n^avait aucane commanication avec son mari:
un Fu^gien de la mission d'Ouchouaya nous a dit que, d*apräs le conseil des mission-
naires, les femmes devaient s'abstenir de cohabiter avec leur mari avant qu*une ann^e füt
^couläe depois raccouchement; mais il s*est dornen ti ensuite, et les autresFuegiens des deuz
sezes que nous avons interrog^ sur cette question, ont ete unanimes k nous däclarer que,
das le deuzi^me mois apräs raccoucbement, les rapports recommen9aient entre les 6pouz.
Nous avons vu de jeunes m^res dont les enfants n'avaient pas im an et qui ne se privaient
pas de relations sezuelles. Nous ne pensons pas, par cons^quent, qu'il existe chez les
400 LXIV. Die Mutterbnist im Brauche und Glauben der Volker.
Fu^giens comme peut-Stre chez d'autres peuplades d'Amörique, d'aprha d'Orbigny, Tusage
d'allaiter trois ann^es, pendant lesquelles la femme n'aurait aucune communication avec son
mari dans la crainte q'une nouvelle grossease Toblige au sevrage.*
Nach dem Ablauf von drei Perioden nach der Geburt darf zwar bei den
Bewohnern Marokkos der Ehemann wiederum mit seiner Frau Umgang pflegen,
doch lebt dieselbe noch während der zwei Jahre, wo sie das Kind säugt, allein.
Auch bei den alten Peruanern cohabitirte der Gatte nicht mit seiner Frau,
solange diese ein Kind säugte, denn man hatte den Glauben, dass hierdurch die
Muttermilch verdorben und das Kind ungesund oder gar schwindsüchtig würde.
407. Torschriften and Gebräuche beim S&ugen.
Wir haben gesehen, dass alle sexuellen Functionen des Weibes, von denen
wir bisher haben handeln müssen, yon allerhand abergläubischen Regeln und Vor-
schriften umrankt sind, und so konnten wir auch schon von vornherein erwarten,
bei dem so hochwichtigen Vorgänge des Säugens ebenfalls auf dergleichen zu
stossen. Es sollen nur einige Beispiele angef&hrt werden.
Auf den Watubela-Inseln darf die Mutter das neugeborene Kind die ersten
drei Tage nicht säugen. Für diese Zeit wird eine Amme gesucht, aber nur, wenn
das Kind ein Mädchen ist. Zu solchem Ammendienste ist jedoch nicht jegliche
Frau im Dorfe geeignet, sondern es kann nur eine solche genommen werden,
welche selber eine Tochter hat. Wird diese Bedingung nicht erfällt, dann vnrd
der Säugling später unfruchtbar. (Riedel^,)
Auch zu den Zeiten des Soranus wurde eine Amme nur dann für brauch-
bar gehalten, wenn das Kind, welches sie geboren hatte, mit dem ihr übergebenen
das gleiche Geschlecht besass. Soranus ist bemüht gewesen, diesen Aberglauben
auszurotten.
Auf den Aaru- Inseln darf die Mutter zwar die ersten 9 Tage ihr Kind
nicht anlegen, aber sie muss täglich ihre Milch auf die Nabelwunde desselben
träufeln lassen. Am Tage der Namengebung wird ihr das Kind an die Brust
gelegt und dabei werden mehrere Namen genannt. Derjenige Name, bei dessen
Nennung es zu saugen beginnt, gilt als der von ihm gewählte und wird ihm für
das Leben beigelegt. (Riedel^.)
Wir haben ja schon in früheren Abschnitten gesehen, dass man bei vielen
Völkern der jungen Mutter nicht erlaubt, ihr Kind bereits am ersten Tage nach
der Entbindung anzulegen. Es muss erst eine bestimmte Zeit vergehen, bis sie
dem Kinde die Brüste reichen darf. Auf den Schiffer-Inseln muss zuvor aber
die Priesterin die Milch untersuchen, und erst wenn sie die Erklärung abgiebt,
dass die Milch nicht giftig sei, darf das Neugeborene angelegt werden.
Eine absonderliche Sitte berichtet Houel von den Sicilianerinnen. Er
behauptet, dass dieselben dem Kinde nur die eine Brust reichen und die andere
eingehen lassen.
Bei den Finnen darf die Mutter an allen drei Fastnachtstagen ihr Kind
nicht stillen, weil es sonst schielend wird und auch das böse Auge bekommt, das
durch seinen Blick Schaden zufügt. (Krebel.)
Eine Säugende darf in Siebenbürgen nicht spinnen, weil ihre Brüste
hierunter leiden und ihr Kind Schwindel bekommen würde.
Bei manchen Völkern gilt eine erneute Schwangerschaft oder bisweilen auch
schon der Wiedereintritt der Menstruation als bestimmend, das Säugen aufzugeben.
So säugen die Eetar- Insulanerinnen so lange, bis sie wieder befruchtet sind;
ebenso die Sula- Insulanerinnen, die Tungusinnen, die Serbinnen und die
Dalmatinerinnen. Aber die letzteren werden auch schon durch die Wieder-
408. Die Gefahren der S&ngenden. 401
kehr der Menstruation Teranlasst, ihr Kind abzusetzen, weil sie glauben, dass der
Eintritt der Regel sowohl wie eine neue Gravidität einen verderblichen Einfluss
auf die Milch ausübt.
In Old-Galabar hingegen nähren die Frauen noch einige Monate in die
nächste Schwangerschaft hinein, und das Gleiche findet bei den Waswaheli in
Ost- Afrika statt; letztere nennen einen solchen Säugling Patcha ja n'ye, das
bedeutet ^äusserlicher Zwilling*^.
Bei den Topantunuasu in Selebes darf, wie Riedd^^ berichtet, die
Mutter daB Säugen des Kindes nur so lange fortsetzen, bis die vier mittleren
Schneidezähne bei dem Säugling zum Durchbruch gekommen sind. Wahrschein-
lich spielen bei diesem Verbote die Schmerzen eine Rolle, welche der Säugenden
verursacht werden, wenn die scharfen Zähne des Kleinen ihre Brustwarze packen
und beissen.
Interessant ist es, dass wir in einigen Fällen selbst auch in der Säugungs-
zeit einen Geschlechtsunterschied nachzuweisen vermögen. Immer kommen hier
die Mädchen zu kurz. So stillen nach Morier die persischen Mütter ihre
Kinder männlichen Geschlechts 2 Jahre und 2 Monate lang, während ein Mädchen
sich mit 2 Jahren begnügen muss. Nach du Perron werden bei den Parsen
die Knaben 17, die Mädchen aber nur 16 Monate lang gesäugt.
408. Die Gefahren der Sftngenden.
In BoidcLSsar Timaeus von OiUdenldee^s Zeughaus der Gesundheit
(1704) heisst es:
.Wenn die Weiber ihres Kindes genesen seyn, und nun meynen, sie h&tten alles über-
standen, was ihnen in solchem Zustande vor Schmerteen und Beschwehrligkeit zustossen könte,
so gehet oflftermahls hernach die meiste Noth erst an, indem sie alsdann mit den Brüsten zu
thun kriegen, welche ihnen offtermahlen solche Schmertzen verursachen, die ihrer Aussage
nach grösser seyn, als wenn sie in Eindes-Nöthen wären.*
Die Ursache dieser Schmerzen findet sich in Schrunden an den Brustwarzen
und namentlich in entzündlichen und zur Eiterung fahrenden Processen in dem
Drüsengewebe der Brust. Diese letztere Erkrankung wird in ihren An&ngsstadien
im Volke als Milchknoten und bei fernerem Fortschreiten der entzündlichen
Zustände als Einschuss bezeichnet. Allerlei „zertheilende" Mittel werden da-
gegen angewendet, namentlich aber aromatische und schleimige Umschlage von
möglichst hoher Temperatur und stark reizende und intensiv klebende Pflaster.
In Steyermark erfreut sich nach Fossd auch die „alte Eh-Salbe* (im-
guentum altheae) eines besonderen Rufes. Die Milchknoten suchen die Russen,
wie Krd>d berichtet, folgendermaassen zu vertreiben:
„Die erkrankte Frau stellt sich vor die Ofengluth und erw&rmt die kranke Brust; eine
andere Person dagegen erw&rmt in derselben Zeit einen Tuchlappen oder wollenen Strumpf,
der mit Urin von der Kranken angefeuchtet wurde, und legt ihn, so heiss, als es nur immer
vertragen wird, auf und sucht nun letztere und den Lappen heiss und mit Urin befeuchtet
zu erhalten. In der Zwischenzeit wird irgend ein eiserner Gegenstand, ein Messer oder ein
Hufeisen, auf Eis kalt gemacht und dann, wenn die Brust recht heiss geworden, diese mit
demselben an allen leidenden Stellen berührt Je heisser und feuchter die Brust ist und je
kälter das Eisen, um so gewisser soll der günstige Erfolg sein.*
Gegen die Schrunden an den Brustwarzen, welche man in Steyermark
Niefen nennt, helfen in Nord-Deutschland namentlich Löschwasser, d. h.
Wasser, in welchem ein glühendes Eisen abgekühlt ist, und der sogenannte
Fensterschweiss, die sich an den Fensterscheiben niederschlagende Feuchtigkeit
der Zimmerluft. In Steyermark wird dagegen eine Salbe angewendet, deren
Hauptbestandtheil eine Butter ist, die man aus Frauenmilch bereitet hat. Diese
Salbe ist unter dem Nameu Menschenschmalz bekannt.
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II. 26
402 LXIV. Die Mutterbnut im Brauche und Glauben der Volker.
Die Zelt* Zigeunerin in Siebenbürgen bestreicht die schmerzhafte Brost-
warze mit Hasenfett.
um den Brustschmerzen während des Stillens vorzubeugen , lasst bei den
Serben die Braut den ersten Abend nach der Trauung sich vom Bräutigam nicht
an der Brust anrühren. (Petrawüsch.) In einigen Gegenden Mecklenburgs
bestreicht man die Brust, um sie gesund zu erhalten, bisweilen auch das Gesicht
der Entbundenen mit der Nachgeburt, ohne diese Korpertheile wieder abzu-
trocknen. (Bartsch.)
Eine fernere Gefahr f&r die säugende Frau liegt in den verschiedenen
psychischen Erregungen. Bei Timaeus von Güldenidee heisst es:
,Yor allen Dingen aber sollen die Weiber zu dieser Zeit vor Erkältung, Schrecken und
Zorn in Acht genommen und verwahret werden."
Die Furcht vor einem Erschrecken, das die Milch «verschlagen* könnte, ist
auch noch heute im Volke sehr gross.
Von säugenden Müttern werden daher in der Mark Brandenburg Belem-
niten (sog. Donnerkeile), Schrecksteine genannt, die im märkischen Kiessande
häufig vorkommen, als Amulete getragen, damit dem Eonde die Milch nicht
schade, wenn die Mutter einen Schreck bekommt. Auch wird etwas von dem
Schrecksteine abgeschabtes Pulver dem Säugling zu demselben Zweck eingegeben.
Belemniten-Stücke sind unter dem Namen Schrecksteine in vielen Apotheken,
selbst in Berlin, zum Preise von 5 Pfennigen das Stück käuflicL Aus Ser-
pentin geschliffene Schrecksteine werden zu demselben Zweck als Amulet ge-
tragen. (E. Kratise,)
Auch der alte Goldhammer (1737) hielt den Schreck für schädlich und räth
in einem solchen Falle der stillenden Frau:
.sie toll hierinnen ihrer Gesundheit und habenden lieben Kindes SorgAltigkeit halber,
wohl dahin sehen, dass sie nicht sobald darauf esse, noch trincke, viel weniger das Kind zu
trftncken anlege, es sey dann, dass sie sich suvor wohl ausgemolcken habe.''
Femer werden ihr ,, Perlen-Mutter, Krebs- Augen* u, s. w. empfohlen.
Einer besonderen Gefahr für die Säugende müssen wir noch Erwähnung
thun ; das sind die Bisse in die Brustwarze, welche ihnen in manchen Fallen von
den kleinen Säuglingen beigebracht werden. Bei den Annamiten sind sie be-
sonders geftirchtet, aber nur in der Morgenstunde. Landes giebt über diesen
merkwürdigen Aberglauben folgende Erläuterung:
,11 y a un moment de la jonrn6e oü la morsure de Thomme est venimense, c'est le
moment de son r^veil, quand les vapeurs (khi) se sont amassöes dans sa bouche pendant
tont son Bommeil et qu'elles n'ont pas encore ^t^ dissip^es par la parole. G*est pour ^viter
une morsure de ce genre que les m^res ne donnent pas k t^ter le matin ä leurs enfants
avant qu*iis aient cri^.'
409. Die Gefahren des S&ngllngs.
Es ist nicht möglich, an dieser Stelle auf alle Gefahren einzugehen, welche
des Säuglings Leben und Gesundheit bedrohen. Hier soll nur von den Gefahren
kurz die Rede sein, welche ihm von der Mutterbrust erwachsen.
Wir hatten früher bereits gesehen, dass bei vielen Völkern der Glaube
herrscht, es sei für die Kleinen verderbenbringend, wenn sie gleich an die Mutter-
brust angelegt werden. Dass der Wiedereintritt der Menstruation oder gar einer
erneuten Schwangerschaft vielfach als Ursache angesehen wird, dass die Milch
verdirbt und dem Kinde Schaden bringt, das wurde auch bereits besprochen.
Die Annamiten kennen eine Krankheit der Kinder, welche sie als Cam
tich bezeichnen. Landes berichtet über dieselbe:
,L*on d^igne par ces mots la grosseur anormale du ventre chez les jeunes enfants.
On attribue cette maladie au fait d'avoir t^te le lait d'une femme enceinte: ce lait, que Ton
appelle lait vivant ou plut6t orü, qui n*est pas arrive k la maturit^, sü*a söng, par oppo-
410. Müchmangel. 40S
sition h 8ü*a chin, empdohe la digestion des autres aliments non dig^r^ B'amoncellent et
causent ces grosseurs de ventre. Les enfants aiiisi frapp^ ont la töte enorme, les yeuz en-
dormis, les membres införieurs grSles et le ventre sillonnä de yeines apparentes.*
Eine fernere Gefahr erwächst den Kleinen, wenn sie die Mutter einmal schon
von der Brust abgesetzt hat, sich dann aber wiederum entschliesst, ihnen doch
noch eine Zeit lang die Brust zu reichen. Solches Verfahren wird von den
Litthauern für schädlich gehalten. Beeeenberger berichtet darüber:
.Wenn eine Mutter ihr s&ugendes Kind für ein Paar Tage absetzt und nachher wieder
anlegt, so wird es derart, dass es den lebenden Wesen, Über die es sich freut, schadet. Ein
dem Erzähler bekannter Mann der Art freute sich bei einer Taufe über den Täufling, der in
Folge dessen sehr krank wurde. Als die Mutter des Täuflings und einige andere Frauen
diesem Manne sehr zusetzten, küsste er das Kind, das dann wieder gesund wurde.*
Ein Kind, das auf diese Weise die Eigenschaft des bösen Blickes bekommen
hat, wird von den Litthauern mit dem Namen ätzindajis bezeichnet.
410. Mllchmangel.
Es kann sich fbr ein Weib, welches ein Kind zu saugen unternommen hat,
nun natürlicher Weise nichts unangenehmeres ereignen, sJs wenn ihr die Milch
in den Brüsten ftir diesen Zweck zu knapp wird. Schon die besondere Diät,
welche bei vielen Nationen der Volksgebraudi den Säugenden vorgeschrieben hat,
soll hauptsächlich ein reichlicheres , Zu schiessen * der Milch zu den Brüsten
bewirken. Wir treffen aber auch besondere Hül&mittel an, theils mechanischer,
theils medicamentöser, theils mystischer Natur, um diesem Uebelstande abzuhelfen
oder einem Milchmangel vorzubeugen.
Von einem eigenthümlichen Verfahren, welches die chinesischen Weiber
auf Java bei dem Säugen ihrer Kinder anwenden, berichtet Wälbaum:
,Ehe sie das Kind anlegen, nehmen sie von einem kleinen Fasse einen Reifen, oder
in Ermangelung desselben starken Baumbast, und zwängen damit die Brüste in die Höhe fest
zusammen, damit sich die Milch, während sie die Kinder trinken lassen, nicht wiederum ver-
laufen möge.**
Der japanische Geburtshelfer Kangawa sagt:
.Wenn die Milch nicht gleich nach der Geburt kommt, so kann man 30 Tage warten,
bis das alte, schlechte Blut durch neues ersetzt ist ; dann wird sie kommen. Der Grund davon
ist entweder Kummer oder angehäuftes Blut. Man muss dann das schlechte Blut erst durch
Ses-shio-in ersetzen und dann als Getränk Niu-sei-toh (d. L ein milchliefemder Trank) geben;
dieses besteht aus: Atractylodes alba, Paeonia albiflora, Levisticum offic, Levisticum Senkio,
Pachüma Cocos, Cinnamomum, Eunonymus japon., Olibannm, Glycirrhiza.'
Die Weiber auf den Yiti-Inseln legen die angewärmten Blätter einer roth-
blattrigen Feige auf die Brüste, um die Milchsecretion hervorzurufen. (Blyth,)
Bei den Javanen sind, nach den mir von Herrn Missionar Kreemer in
Ken dal pajag zugegangenen Berichten, verschiedenartige Tränke bekannt, um
Milchsecretion anzuregen. Dieselben werden aus einer grossen Zahl verschiedener
Pflanzen hergestellt; sie müssen 14 Tage lang getrunken werden. Auch wird
der milchlosen Mutter gerathen, halb entkleidet sich an dem einen Ende des Beis-
blocks niederzusetzen, mit den Beinen nach innen. Der Heilkünstler bestreicht
sie dann am Bücken und an der Brust mit einer Salbe, wie man das bei den
Bräuten thut, und veranlasst dann beide Eheleute, um die Wette in den Beisblock
zu stampfen, um den gewünschten Erfolg zu erzielen.
Zur Erregung der Milchabsonderung wird auch der Scheitel der jungen
Frau dreimal täglich übergössen, wie das bei einer frisch Entbundenen geschieht.
Dabei wird eine Zauberformel gesprochen, welche aber niemals von einem mo-
hamedanischen Javanen zu hören ist. Sie beginnt mit der verstümmelten und.
nicht verstandenen Anfangsformel der mohamedanischen Gebete:
,Im Namen Gottes, des gnädigen, barmherzigen.*
26*
404 LXIV. Die Mutterbnist im Brauche und Glauben der Völker.
Dann heisst es weiter:
.Icli flehe zu Allah» nachdem ich gegen trocknes Holz blase und es schlage, ohne dass
Wasser herauskommt, dass Allah mir helfet Ich flehe um Wasser! Ich klopfe auf dieses
trockene Holz, damit es oben herauskomme!"
Der Ehemann darf darauf 24 Stunden nicht sein Haus betreten und muss
7 Tage lang vollständig fasten; dann aber darf er sich pflegen lassen. (Bartels^^,)
Eine eigenthümliche Methode haben nach Krebel die russischen Weiber
am Gaspi sehen Meere. Eine Nussschale oder eine Federpose wird mit Queck-
silber gefüllt und die Oeffnung mit Wachs verschlossen. Dann wird sie in seidenes
oder wollenes Zeug oder in Handschuhleder eingenäht und an einem Bändchen
um den Hals gelegt, so dass es auf der Brust hängt. Auf diese Weise glauben
sie die Milchsecretion zu befördern.
In Nord-Italien muss die Frau, welcher es in den Brüsten an Nahrung
für ihren Sprössling fehlt, eine Wallfahrt nach der kleinen Kirche S. Mammante
in Belluno antreten und dort zwei Lire spenden und eine Messe lesen lassen.
Darauf soll sie von einem Wasser trinken, welches dort fliesst. (Bastanei.)
Herve berichtet aus dem Gebiete von Morvan in Frankreich folgenden
Aberglauben:
aA un kilom^tre de Moulins-Engilbert, la fontaine de Ghaume a pour vertu de
donner du lait auz nourrices. La nourrice qui craint de perdre son lait et que Pöloignement
empSche de se transporter en personne au lieu de la eure, peut se contenter d'envoyer, pour
y §tre tremp^e, nne chemise de son nourrisson. G^est, comme on voit, le traitement par
correspondance. *
Will das Kind die Brust nicht nehmen, so glauben die Zigeunerinnen,
dass irgend ein Phuvusch-Weib (eine Art Dämon) dasselbe heimlich gesäugt
habe. In solchen Fallen legt sich die Mutter zwischen die Brüste Umschläge aus
Zwiebel, wobei sie den Spruch hersagt:
»Phuvusch-Weib, Phuvusch-Weib,
Krankheit fresse deinen Leib!
Deine Milch soll Feuer werden,
Brennen sollst du in der Erden!
Fliesse, fliesse meine Milch,
Fliesse, fliesse weisse Milch.
Fliess, so lange, als ich will —
Meines Kindes Hunger still!*
Dasselbe Mittel wird angewendet, wenn einer Mutter die Milch versiegt,
wobei man eben des Glaubens ist, dass ein Phuvusch-Weib ihr eigenes Kind
habe aus der Brust der betreffenden Frau saugen lassen. Auch ist es gut, wenn
sie ihre Brüste mit einem Sargnagel berührt, sich dann vor einen Weidenbaum
stellt und den Nagel dicht über ihrem Kopfe in den Baum schlägt, {v, Wlislocki,)
Eine auf unseren Gegenstand bezügliche Mittheilung von grossem cultur-
geschichtlichen Interesse verdanken wir Krauss^:
.Die südslavische Sage kennt in allen Varianten hauptsächlich das eine Motiv von
der eingemauerten jungen Frau. Die Sage tritt zumeist dort localisirt auf, wo bedeutende
alte Bauwerke bestehen. Auf der alten Burg zu Tesany in Bosnien zeigte mir ein Bauer,
mein Führer, eine Stelle, wo aus dem Gemäuer Milch aus den Brüsten der als Bauopfer ein>
gemauerten jungen Gcjkovica hervorquelle. Hierher kommen die Mohamedanerinneu, denen
die Milch in den Brüsten versiegt ist, schaben von dem schnee weissen Cement ein wenig ab
und nehmen den Staub in Milch ein. Sie glauben nämlich, dann müsse ihnen die Milch
wiederkehren. Der Bauer erzählte, die eingemauerte Frau habe die Maurer gebeten, so viel
freien Raum zu lassen, als ihre Brüste einnähmen, damit sie ihre Säuglinge ernähren kOnne.*
Auch bulgarische Varianten dieser Sage sind Krattss bekannt.
Bisweilen kann der Milchmangel auch von ganz einschneidenden Folgen
für das ganze spätere Leben des Weibes sein. Wir verdanken hier Brehm ein
Beispiel:
411. Das Absetzen des Kindes. 405
Kann in Massaua die Mutter das Kind nicht nähren, so legt sie es einer
anderen Frau an die Brust; aber sie verliert dann die Achtung ihres Mannes, und
nicht selten kommt es vor, dass sie Verstössen wird, während ihre Vertreterin
auch in dieser Beziehung an ihre Stelle tritt.
411. Das Absetzen des Kindes.
Mancherlei Ursachen zwingen zur Absetzung des Kindes von der Mutter-
brust und zum ferneren Einstellen des Säugens. Das ist vor Allem das Ver-
siegen der Nahrung, das Heranwachsen des Sprösslings, verbunden mit einer er-
neuten Schwängerung, oder endlich der Tod des Kindes. Wenn der Tod des
Kindes die Ursache des Absetzens ist, dann wendet man im Volke allerlei
erweichende und abführende Mittel an, um ein ^^Zurücktreten*^ der Milch
zu verhindern.
Einen eigenthümlichen Gebrauch berichtet StoU von den alten Einwohnern
von Guatemala:
„Wenn einer Frau ihr S&ugling starb, so hielt sie die Milch vier Tage lang in der
Brust zurück und gab keinem anderen Säugling zu trinken, weil sie glaubte, dass sonst
das todte Kind dem lebenden irgend einen Schaden oder eine Krankheit zuftlgen wflrde.
Diese Art des Todtenopfers hiess navitia, was etwa ,die vier Tage (von nahui, vier) ein-
halten' bedeutet/
Dass eine erneute Schwangerschaft zum Absetzen des Kindes bei manchen
Völkern die Veranlassung wird, das haben wir früher bereits gesehen. Wird
einer Serbin ein zweites Kind geboren, während sie das erste noch saugt, so
muss sie dieses unter allen Umständen absetzen, selbst wenn das Neugeborene
todt zur Welt gekommen sein sollte. Denn das Kind darf nicht zweierlei Milch
bekommen, weil es sonst ein Hexerich oder eine Hexe werden würde.
In allen Fällen nun, wo das Absetzen des Kindes nicht ein plötzliches zu
sein braucht, pflegt man von einem Entwöhnen zu sprechen. Diese Entwöhnung
geht in der Weise vor sich, dass dem Säuglinge die Mutterbrust allmählich immer
seltener und seltener gegeben wird, während man zum Ersatz daf&r ihm allerlei
andere Nahrung reicht, bis ihm endlich die Milch der Mutter vollständig vor-
enthalten wird. Das geht nun häufig nicht ohne mancherlei trübe Stunden für
das Kind, und namentlich auch für das Mutterherz vor sich und da muss diese
schwere üebergangszeit durch allerlei Hülfsmittel erleichtert werden. Auch ist
nach dem Volksglauben nicht jegliche Zeit dafür geeignet, sondern man muss
bestimmte Zeiten wählen und andere wiederum sorgföltig vermeiden.
In Ost-Preussen soll das Entwöhnen nicht bei abnehmendem Monde und
nur dann geschehen, wenn die Zugvögel in Ruhe sind, also wenn sie weder
kommen, noch abziehen; in Hessen bevorzugt man die Zeit der Rosenblüthe und
im Voigtlande diejenige der Baumblüthe. In Oesterreichisch-Schlesien
darf man nicht die Zeit der Aussaat und in Hessen nicht die Stoppelzeit wählen,
weil sonst das Kind unersättlich Tnirde. In der deutschen Schweiz soll das
Entwöhnen am Charfreitage unter einem Nussbaum, aber niemals in den kurzen
Tagen geschehen, denn ersteres schützt das Kind vor Zahnweh, während letzteres
dasselbe kurzathmig machen würde. Auf einem Scheidewege ist das Absetzen des
Kindes am leichtesten.
Ist der Säugling bereits abgesetzt, die Brust aber noch «im Gange*, d. h.
secemirt die Brustdrüse noch fernerhin Milch, so muss die Milch durch bestimmte
Mittel , vertrieben* und die weitere Absonderung derselben verhindert werden.
Um nun die Milch zum Versiegen zu bringen, taucht in Entrerio in Ar-
gentinien die Frau nach Mantegcuseas Angabe drei kleine Leinwandläppchen
in ihre Milch und klebt sie in verschiedenen Windrichtungen an die Wände.
406 LXIV. Die Mutterbrust im Brauche und Glauben der Völker.
Für die Russin am Gaspischen Meere ist die Sache sehr einfach. Sie
braucht nur die mit Quecksilber gefüllte Nuss oder Federspule, welche sie auf
der Brust trägt, um die Milchsecretion zu befördern, von jetzt ab auf dem Rücken
zu tragen, dann hört die Milchabsonderung auf.
Bei den Georgierinnen herrscht zu dem gleichen Zweck die Sitte, die
Brüste mit kaltem Lehm zu bedecken, was bisweilen Erkrankungen derselben her-
vorruft. (Krehel.)
In Fezzan drückt' die Säugende die Milch in ein heisses Porzellangefäss
aus, und wenn sie hierin aufgezischt hat, so ist man sicher, dass die Milchab-
sonderung in den Brüsten aufhört. {Nachtigcd.)
Ganz ähnlich muss in Ost-Friesland die Mutter, welche nicht weiter
stillen will, ihre Milch in das Feuer laufen lassen.
Im Modenesischen herrscht, wie Biccardi berichtet, folgender Gebrauch:
Um ein Kind zu entwöhnen, ohne dass die Mutter davon Beschwerden hat, muss
man eine Hand voll Salz in den Brunnen werfen und schnell davon eilen, so dass
man das Geräusch des in das Wasser fallenden Salzes nicht hört.
Will in Steyermark (zu Grösming) die Mutter entwöhnen, so bedeckt
sie die Brust mit «Hollersalsen*, d. h. mit Flanell, der mit Zuckerrauch erfüllt
ist; oder sie tragt auf dem blossen Rücken eine Bleikugel. Das soll aber nicht
in der Fastenzeit geschehen und auch nicht bei abnehmendem Monde, weil sonst
das Kind die Abzehrung bekommt; auch nicht in den Monaten, wo der Kuckuck
schreit, sonst kriegt das Kind Kuckucksflecke; so werden dort die Leberflecke
genannt. Das Tragen der Bleikugel erinnert uns wohl an die oben angeführte
Gewohnheit von den Anwohnerinnen des Gaspischen Meeres. Ohne allen
Zweifel haben wir hier analoge Gedankengänge zu erkennen.
Auf einem alten deutschen Flugblatte heisst es auch von dem weiter
oben erwähnten Adlerstein (Fig. 304) oder auch von dem Magnetstein, dass sie
, zwischen den Schultern getragen, denen Frauen, die ihre Kinder abgenommen,
die Milch sterben machen^.
LXV. Ungewöhnlicher Gebrauch der Frauenmilch.
412. Die Frauenmilch als Medicin und ZaubermltteL
Wir haben bereits in den früheren Abtheilnngen der vorliegenden Be-
sprechungen gesehen, dass unter den Medicamenten und Zaubermitteln, welchen
das Volk ein besonderes Vertrauen entgegenbringt, die verschiedensten Absonde-
rungen und Ausscheidungen des menschlichen Körpers eine hervorragende Bolle
spielen. Da wird der Schweiss, der Urin, der Koth, das Blut, und ganz be-
sonders das bei der Menstruation entleerte, herbeigezogen, und so wird es uns
nicht überraschen können, dass man auch die Frauenmilch verschiedentlich in
Anwendung zieht.
Wir sind ihr einmal schon begegnet in dem in Steyermark gegen wunde
Brustwarzen als Heilsalbe angewendeten MenschenschmaJz. Dieses Menschen-
schmalz ist eine aus der Frauenmilch hergesteUte Butter. Im Kainachthaie in
Steyermark heilt man die Schwerhörigkeit, welche ja nicht selten durch catarrha-
lische Zustande bedingt ist, durch Einträufelungen von Menschenschmalz in den
äusseren Qehörgang. (Fossel.) Sogenannte „An Waschungen" mit Frauenmilch
werden in Steyermark als Heilmittel gegen die rothen Augen, d. h. gegen die
Entzündung der Augenlidränder in Anwendung gezogen.
In Treviso und Belluno gilt es als ein vortreffliches Mittel gegen Ohren-
reissen, wenn eine säugende Frau ihre Brustwarzen direct in den äusseren Gehör-
gang einführt und ihre Milch in denselben hineinlaufen lässt. Es ist dazu aber
durchaus noth wendig, dass das von der Frau gesäugte Kind ein Knabe sei.
(Bastanjsi.)
In gleicher Weise suchen die Sicilianer die Taubheit zu heilen. Auch
hier muss die Frau einen Knaben geboren haben; derselbe muss aber ihr erstes
Kind sein. (Füre.)
Im 15. Jahrhundert wurde die Frauenmilch innerlich zu nehmen empfohlen,
um den Austritt eines im Mutterleibe abgestorbenen Kindes zu befördern. Wir
ersehen das aus der von Oswald von Zingerle veröffentlichten Wolfsthurner
Handschrift. Daselbst heisst es:
,Den frawen. So ain fraw ain totes kint trait, so sol sy trincken ains ander weibes
epünne (Milch) vnd hab die kriechisoken namen Vrium, Burium, Pliaten, so wirt sie er-
loset. So sy dann erlöst wirt, so prenn man die namen in dem fewr."
Auch die Indianer Süd-Amerikas erkennen die Frauenmilch als ein
wichtiges Heilmittel an und zwar bei einem der allergefahrlichsten Zufalle, nämlich
bei dem Biss der Klapperschlange. Hiervon vermochte sich Schomburgk zu über-
zeugen, denn einer der ihn begleitenden Indianer hatte das Unglück, von einer
Klapperschlange gebissen zu werden.
.Er hatte früher schon einmal das Unglück gehabt, und gab mir an, dass er damals
durch das Trinken von Frauenmilch gerettet worden sei. Diese wurde ihm auch jetzt
gereicht."
408 LXV. Ungewöhnlicher Gebrauch der Frauenmilch.
Einen gewissen Zauber, eine Art Entsüfannng muss man in dem Sieben-
bürger Sacfasenlande mit der Frauenmilch ausführen. Hier darf die Wöch-
nerin nicht von einer Frau besucht werden, welche selber einen Säugling nährt;
denn sie könnte sonst der jungen Mutter die Milch nehmen. Sie vermag aber
dieses Unheil zu verhüten, wenn sie aus ihren Brüsten ein Paar Tropfen ihrer
Milch auf das Bett der Wöchnerin spritzt. Wir verstehen sehr leicht den Sinn
dieser sympathetischen Handlung. Denn dadurch, dass sie von ihrer eigenen Milch
der Wöchnerin etwas abgiebt, will sie dem Scheine entgehen, als wenn sie sich
die Milch der Frischentbundenen zu holen beabsichtige.
Mit Frauenmilch verstehen es die Süd-Slaven, einen geföhrlichen Zauber
auszuüben. Sie glauben, wie uns Krauss^ berichtet, dass man durch Zauberkünste
damit die Pest erzeugen oder herbeirufen könne.
„Es ist ein üeberrest deutschen Hexenküchenglaubens auf slavischem Boden.
Wer die Pest erzeugen will, muss sich Milch von zwei Schwestern zu verschaffen suchen
und sich damit in der Johannisnacht um die zwölfte Stunde auf den Friedhof begeben, die
Milch in ein Grab schütten und dann zuhorchen. Er wird ein Jammergeschrei vieler
Menschen vernehmen. An diesem Glauben hält meistens das von deutschen mittelalterlichen
Anschauungen stark durchtränkte slovenisch-kroatische Volk fest. Bei den Serben
und Bulgaren ist dieser besondere Zauber noch nicht nachweisbar."
413. Die Ernährung Erwachsener mit Frauenmilch.
Eine gewisse Rolle hat in der bildenden Kunst des Alterthums sowohl, als
auch in derjenigen des letzten Jahrhunderts die Geschichte von dercarita greca
gespielt, wie der Italiener sagt, d. h. von der Peronea^ welche ihrem zum
Hungertode yerurtheilten Vater Cimon im Geföngnisse dadurch das Leben fristete,
dass sie ihn an ihren Brüsten ernährte.
Fig. 364. Chinesische Frau, einem erwachsenen Weibe die Brost reichend.
(Nach einem chinesischen Holzschnitt.)
Es kommt aber auch heute noch bisweilen vor, dass die Frauenmilch zur
Ernährung Erwachsener benutzt wird. So erzählt Polak von den Weibern der
nomadisirenden Perser, dass sie in die Stadt kommen und hier auf öffentlichem
Markte ihre Milch für schwache Greise verkaufen. Allerdings lassen sie diese
letzteren nicht direet an ihren Brüsten saugen, sondern sie lassen sich ihre Milch
in Becher abmelken, und auf diese Weise nimmt dann der Käufer das absonder-
liche Nahrungsmittel in Empfang.
413. Die EmähroDg Erwachsener mit Frauenmilch. 409
Von den Chinesinnen heisst es in dem Berichte der Novara-Reise:
^Es ist Thatsache, dass die chinesischen Frauen nicht allein ihre Kinder
mehrere Jahre lang stillen, sondern sich auch in einem beständigen Milchzustande
zu erhalten suchen, um das Deficit zu decken, welches bei der unzureichenden
Menge von Kuhmilch zwischen dem Marktbedarf und dem wirklichen Vorrath an
Thiermilch entsteht. Ein Chinese, der neben seiner legitimen Frau manchmal
noch 5 — 6 Kebsweiber besitzt, kann eine formliche Meierei anlegen. Da die See-
fahrer, in einem Hafen angekommen, gemeiniglich leidenschaftlich gern Milch trinken,
so erstaunten wir nicht wenig, von einem Arzt zu Hongkong zu erfahren, aus
welcher Quelle die von ims reichlich genossene Milch wahrscheinlich geflossen war.''
In einem japanischen Bilderbuche, das sich im Besitze des Berliner
Museums für Völkerkunde befindet, fand der Herausgeber eine kleine Abbildung
(Fig 364), welche eine an der Erde sitzende Frau darstellt, an deren aus dem
zurückgeschlagenen Kleide hervorstehender Brust ein anderer erwachsener Mensch,
nach der Haartracht zu urtheilen ebenfalls eine Frau, begierig zu saugen
scheint. Ein Kind schiebt von hinten her die Säugende der Trinkenden ent-
gegen. Da dieses Bilderbuch im Uebrigen allerlei Darstellungen aus dem täg-
lichen Leben enthält, so muss man annehmen, dass der
vorgeführte Gegenstand etwas ffir japanische Augen ganz
Bekanntes und ohne Weiteres Verständliches sein müsse.
Es besitzt übrigens das königliche ethnogra-
phische Museum in Miünchen in seiner japanischen
Abtheilung ebenfalls einen auf unser Thema bezüglichen
Gegenstand. Dieses von v, Siebold mitgebrachte Stück ist
eine zierliche kleine Gruppe in Elfenbein geschnitzt. Es
gehört den bekannten Gegenständen japanischer. Klein-
kunst an, welche imter dem Namen der Netsuke bekannt
sind. „Les netzk^, sagt Louis GonsCj sont de petites
breloques attach^es ä un cordonnet de soie, qui servaient uftfu^i/E^feSb^n^^das
ä retenir ä la ceinture la boite de medecine, la blague ä eine Frau einem alten Weibe
tabac, l'etui ä pipe.» die »"»^t gebend darsteUt.
Das Netsuk^ in München, das in Fig. 365 vor- (Nach Photographie.)
geführt wird, stellt eine Gruppe von drei Figuren dar.
Eine stehende junge Frau ist vollständig nach japanischer Weise bekleidet, aber
ihr Kleid ist oben offen iind lässt die starken, strotzenden Brüste ganz entblösst.
Ein Kind steht hinter ihr und hält sich von hinten an ihr fest, so dass seine
linke Hand auf der linken Gesässhälfte der Frau, seine rechte Hand auf der rechten
Gesässhälfte der Frau ruht. An diese letztere lehnt sich auch das Kind mit seiner
linken Wange an. Vor der Frau, mit der rechten Seite sie berührend, sitzt eine
erwachsene und zwar ohne allen Zweifel eine alte Person mit an die Brust heran-
gezogenen Knieen auf der Erde; ihre linke Hand hat sie auf das rechte Hand-
gelenk der stehenden Frau gelegt, während diese ihre rechte Hand unter das Kinn
der sitzenden Person gelegt hat. Die sitzende Person ruht mit der rechten Wange
an der linken Mamma der Stehenden imd saugt begierig an deren rechter Brust.
Wenn der Haarputz und die Gesichtszüge mich nicht täuschen, so scheint die
saugende Person eine alte Frau zu sein.
Herr Dr. jP. W. K. MuUer hat ganz kürzlich festgestellt, dass es sich hier
allerdings um eine den Japanern ganz bekannte Begebenheit handelt. Es ist eine
alte chinesische Geschichte, welche sie übernommen haben. Eine tugendhafte Frau
nährt ihre zahnlose und daher dem Hungertode nahe Urgrosstante. Müllers
Auffassung, dass das Kind nicht die Mutter berühre, sondern nur vor Erstaunen
die Hände erhebe, ist für die Holzschnittdarstellung unwahrscheinlich, für das
Netsuke mit Bestimmtheit unzutreffend. Ob das Kind die Mutter schiebt, oder
sie zurückzuhalten versucht, das kann aber nicht entschieden werden.
410 LXV. Ungewöhnlicher Gebrauch der Frauenmilch.
414. Das Säugen Ton jungen Thieren an der Franenbmst.
Die Milch des Weibes dient nicht allein dem Kinde und in Ausnahmefällen
auch wohl dem Erwachsenen als eine Qaelle der Ernährung, sondern sogar dem
jungen Thiere scheuen sich die Frauen nicht, ihre Brüste darzubieten.
Die Sitte, dass Frauen Thiere an ihrer Brust saugen lassen, ist ausser-
ordentlich verbreitet, und zwar finden wir sie nicht nur bei sehr rohen Völker-
schaften, sondern auch bei solchen mit fortgeschrittener Gultur. Unter den ür-
völkem ist die Sitte namentlich bei Australiern, bei Polynesiern, bei
mehreren Indianerstämmen Süd-Amerikas und bei einigen Völkern Asiens
heimisch.
Auf zahlreichen Inseln des Stillen Oceans ist dieser eigenthümliche Ge-
brauch ganz allgemein. Auf einer der Gesellschafts-Inseln bemerkte schon
Georg Förster^ dass Frauen zuweilen junge Hunde an ihrer Brust saugen lassen,
zumiä wenn sie eben ihr säugendes Kind verloren haben. In Hawaii ernährten
ehemals, wie Remy berichtet, die Mütter neben ihren Kindern Hunde und Schweine
an ihrer Brust. Auf Neu-Seeland fand v. Hochstetter^ dass die Frauen junge
Ferkel säugten; Auch Tuke sah, dass die Maori-Frauen auf Neu-Seeland Ferkel
an ihrer Brust saugen liessen, sei es aus Liebe zu diesem Hausthiere, sei es, weil
sie nicht sogleich ein Kind fanden, welches eine Nährmutter brauchte. Dasselbe
sah auch Oberländer als ganz gewöhnlichen Brauch unter den Eingeborenen der
australischen Golonie Victoria; er sagt:
«Man sieht keine Lubra (Frau) ohne 5 bis 6 fleckige, schmutzige, dürre, räudige Hunde,
deren Junge mit ihrem eigenen Kinde ihre Milch theilen. In der Nähe von Alberton
inGippsland sah ich einst eine Eingeborene, die abwechselnd ihren Knaben und vier junge
Hunde s&ugte.^
Während man sich bei diesen Völkern darauf beschränkt, junge Schweine
und Hunde an der Frauenbrust saugen zu lassen, dehnen andere Völker diese
Sitte noch auf verschiedene andere Thiere aus. So legen die Arrawaken-Weiber
in Süd-Amerika nicht allein Schweine, sondern auch jung eingefangene Affen
an die Brust, um die Milch möglichst lange zu erhalten. Denselben Zweck der
dauernden Erhaltung der Milchabsonderung in der Brust verfolgen auch noch
andere südamerikanische Volksstämme in ähnlicher Weise. Bei den Makusis-
Indianern in Britisch-Guyana erhalten sich die Mütter ihre Milch bis an das
hohe Alter; das Kind bleibt an ihren Brüsten, so lange es demselben gefiLllt.
Wenn sich inzwischen die Familie vermehrt, so übernimmt die Qrossmutter die
Pflicht der Mutter gegen die Enkel. Dieser fallt auch meistentheils die Pflicht
zu, die aufgefundenen jungen Säugethiere, Beutelratten, Affen, Rehe u. s. w. an
ihrer Brust aufzuziehen. Man sieht oft, dass die Weiber diesen jungen Thieren
mit gleicher Zärtlichkeit die andere Brust reichen, wenn aus der einen das Kind
schon die Nahrung sog. Der Stolz der Frauen besteht nämlich hauptsächlich
im Besitz einer grossen Anzahl zahmer Säugethiere. (Schomburgk.)
Auch in Siam sah Schomburgk^ wie er Ploss mündlich mittheilte, sehr
häufig, dass die Frauen Affen an ihrer Brust trinken liessen.
Von den Kamtschadalen wird erzählt, dass sie die jungen Bären, welche
sie mit nach Hause bringen, ihren Frauen an die Brust legen. Das hat einen
doppelten Zweck; denn einmal will man den Bären heranwachsen lassen, um von
seineip Fleische zu profitiren, andererseits will man aber auch seine Galle haben,
welche als ein wirksames Heilmittel betrachtet wird.
Den Aino-Frauen wird ebenfalls nachgesagt, dass sie junge Bären an ihren
Brüsten saugen lassen, v. Krusenstem hat das für eine XJebertreibung erklärt,
und auch Batchdor behauptet, dass das noch Niemand gesehen habe. Er giebt
aber zu, dass wenn der junge gefangene Bär in der Nacht nach seiner Mutter
jammert, der Besitzer ihn bei sich schlafen lässt. Auch fügt er hinzu, dass die
414. Das Säugen von jungen Thieren an der Frauenbrust.
411
Ainos ihn mit der Hand und mit ihrem Munde füttern, und er sagt, immerhin
ist es möglich, dass bisweilen sich eine Frau findet, die gewissenhaft genug ist,
den jungen Bären auf ein bis zwei Tage an die Brust zu legen.
Mac Eitchie brachte die Copie einer Federzeichnung des Japaners Fayasi
Sivei aus dem Jahre 1785. Dieselbe stellt nach des Malers Bezeichnung „ein
Aino-Weib der niedersten Glasse dar, welche einen jungen Bären säugt. Oben
ist die Darstellung eines Adlers im Käfig, dessen Federn sie f&r ihre Pfeile be-
nutzen wollen/ Der haarige Yater spricht zu dem Kinde, das dabei sitzt und
seinem vierfülssigen Milchbruder zusieht. Dieses Bild ist in Fig. 366 wiedergegeben.
Allein der Hund bleibt docL im Allgemeinen das bevorzugte lieblings-
Adoptiv-Kind bei zahlreichen Völkern, z. B. bei den XJrvölkem Nord- Amerikas;
so sah auch in Ganada Gabriel Sagard Theodat^ dass die Indianer- Frauen
manchmal junge Hunde an ihren Brüsten saugen liessen. Ja der Hund spielt
diese Rolle nicht nur bei wilden Völkerschaften, sondern auch bei Gulturyölkem;
f//^///U^^^^'^^^^'^'<'^i^^\^>>^>^ "^
:'^^:^^^
Fig. 366. Aino-Fran einen jungen Bären säugend. (Nach einer japanischen Zeichnung.
Mac Ritchie.)
wir wissen, dass schon die alten Römerinnen die eigenthümliche Sitte hatten,
sich die Milch durch junge Hunde abziehen zu lassen; Dieruf fand denselben
Gebrauch noch in unseren Tagen in Neapel, und Polak in gleicher Weise in
Persien, wo während der ersten zwei Tage nach der Geburt eines Kindes an
die Brust der Mutter zarte Bazar-Hündchen angelegt werden, v. Wlishcki sagt
von den Zelt-Zigeunern Siebenbürgens:
,Hat eine Mutter zu viel Milch in den Brüsten, so lässt sie dieselben von jungen Hunden
aussaugen.'
Schliesslich kommt Aehnliches sogar in Deutschland vor; wenigstens be-
richtet Oslander^ dass man in Göttingen hartnäckige Brustknoten zuweilen da-
durch zertheilt, dass man junge Hunde an den Warzen saugen lässt.
Wir stehen hier wieder einer sehr interessanten ethnographischen Thatsache
g^enüber; denn wir finden dieselben oder analoge Gebräuche bei einer Reihe
412 LXV. Ungewöhnlicher Gebrauch der Frauenmilch.
von Völkern, welche durch weite Länder und Meere von einander getrennt sind,
und welche sicherlich ohne Kenntniss von einander zu den gleichen absonderlichen
Gewohnheiten gekommen sind. Aber wenn auch die Sitte, oder sagen wir lieber
die Unsitte, dieselbe ist, so sind doch die Beweggründe, welche sie verursachten,
ausserordentlich verschieden. Ist es bei der Australierin die liebe zu ihren
Hunden, welche ihr später ftir die Beschaffung des Lebensunterhaltes von so grosser
Bedeutung werden, die sie veranlasst, sie gemeinsam mit dem eigenen Kinde zu
ernähren und aufzuziehen, — ist es bei der Kamtschadalin die weise Yorsoi^e
einer tüchtigen Hausfrau, die sich einen werthvollen Braten nicht entgehen lassen,
aber ihn so gross wie nur irgend möglich haben will, — ist es bei der Makusi-
Indianerin die liebende Opferwilligkeit der Grossmutter, welche dem Enkel die
Brustnahrung nicht entziehen möchte, wenn ein neu angekommener Weltbürger
ihm die Mutterbrust streitig macht, und die daher durch das Anlegen von Thieren
die Brust far diesen Nothfall functionsfahig oder, wie der Volksausdruck lautet,
„im Gange* erhalten will, — so sind es endlich in Persien und früher in
Deutschland Gründe des ärztlichen Handelns, die den Frauen die Hunde an die
Brust legen.
Aber noch bleibt uns immer eine Anzahl von Fallen übrig, wo wir nicht
ohne Weiteres einzusehen vermögen, was die Frauen zu solchen Absonderlich-
keiten veranlassen konnte, und um dieses zu erklären, könnte man an zwei Dinge
denken. Entweder könnte hier der weitverbreitete Aberglaube zu Grunde liegen,
dass geschlechtlicher Verkehr ohne Folgen, d. h. ohne zu empfangen, ausgeführt
werden kann, so lange die Brust zum Nähren benutzt wird, oder es könnten
die wollüstigen Erregungen den Ausschlag geben, welche thatsächlich die Mehr-
zahl der Frauen während des Säugens zu empfinden pflegt und welche nun
hier durch die an die Brust gelegten Thiere in angenehmer Weise ausgelöst
werden.
LXVI. Die sociale Stellung des primitiven Weibes.
415. Die Entwickelang der socialen Stellung des Weibes aus Urzuständen.
Die EntwickeluDgsgeschichte der socialen Zustände mit Rücksicht auf die
gesellschaftliche Stellung des Weibes hat in letzter Zeit mehrfach die untersuchende
Bearbeitung bedeutender Forscher hervorgerufen. Man hat Hypothesen aufgestellt
über die primitiven Gesellschaftsverhältnisse, und man ist bemüht gewesen, zu er-
gründen, welche RoUe das Weib in denselben spielte. Bachofen z. B. hat zu
vertheidigen gesucht, dass im Anfange nicht eine Ehe, wohl aber eine Gynäko-
kratie, eine „Herrschaft der Weiber^ bestanden habe. Der BegrijOT der Ehe
und Familie ist allerdings ohne allen Zweifel kein dem Menschen von vom herein
angeborener; er ist allmählich erst erworben und er ist ein Product anbrechender
Cultur. Auch Honegger hält dafür, dass es in der Urzeit nur einen sogenannten
Hetärismus gab, welcher jenen Gebräuchen vorausging, die dann als Brautraub
oder Brautkauf in der niedersten Form der Erwerbung eines Eigenthumsrechtes
an einem Weibe sich bei den Völkern eingeführt haben. Aber wir dürfen nicht
vergessen, dass wir bei den heutigen Naturvölkern doch bereits fast überall ehe-
liche Verbindungen antreffen, wenn die Formen, unter denen sie sich zeigen, auch
nicht immer die gleichen sind. Allerdings ist hierbei sehr oft nicht von einer
Liebeswerbung die Rede, sondern der Mann nimmt sein Weib in Besitz gerade
so, wie er sich von Anderen ein Hausthier zu erwerben weiss.
Die SteUung der Frau hängt aufs innigste mit dem Familienrechte zu-
sammen, wie sich dasselbe culturhistorisch aus den ersten Anfangen herausgebildet
hat, und die »Frau am Herde* ist es, welche als eine wesentliche Gulturerscheinung
betrachtet zu werden verdient. Jedes Volk tritt mit der Einführung des Acker-
baues in eine höhere Stellung bei seiner culturgeschichtlichen Entwickelung aus
der stufe des Hirten-, Jäger- und Fischervolkes. Mit diesem Schritte im Zu-
sammenhange steht sofort eine Wendung in der Stellung der Frau. Die Ein-
führung des Ackerbaues nämlich setzt, wie Virchow^ darlegt, das Kochen voraus,
denn alle Hauptgegenstände des Ackerbaues sind und waren Pflanzen, welche erst
durch künstliche Zubereitungen fQr die Ernährung des Menschen brauchbar ge-
macht werden müssen. Virchow sagt in dieser Beziehung:
nVor Allem gilt dies von den Wintenrorräthen, deren Anhäufung erst mit der Ein-
führung eines geordneten Ackerbaues in einer solchen Menge möglich war, dass dem kommen-
den Mangel im Yoraiis begegnet und die Sicherheit des Hauswesens durch eine Yorausbe-
rechnung des zu erwartenden Bedarfs auf eine messbare Grundlage gestellt werden konnte.
Und erst von da an erhielt auch die Frau in der Mitte dieses Hauswesens die
würdigere und einflussreichere Stellung, welche allein genügt, um das neue Cultur-
verhältniss, welches nunmehr beginnt, zu kennzeichnen. Sie wird die Verwalterin der aufge-
häuften Schatze, sie bestimmt Maass und Art der Verwendung, sie wird verantwortlich für
die Pflege der Familie auf der Grundlage des Ernteertrages/
414 LXVI. Die sociale Stellung des primitiven Weibes.
, Sicherlich ist es nicht zuföllig, so föhrt dann Virchow fort, dass die Frau zur Haus-
frau geworden ist in den kälteren Gegenden der gemässigten Zone, wo es einen wahren
Winter giebt. Der Winter ist der Zuchtmeister geworden, welcher nicht bloss das Band des
Hauswesens enger knüpft, sondern auch neben dem Manne, dem eigentlichen Ernährer, der
Frau als der Verwalterin des Nährschatzes einen gleichberechtigten Platz gesichert hat. Nur
ausnahmsweise hat hier und da ein Volk der tropischen oder subtropischen Regionen diesen
Höhepunkt der gesellschaftlichen Cultnr erreicht. Je freigebiger die Natur, je sorgloser das
äussere Leben, um so loser wird das Familienband, um so leichter lockert sich die Familie durch
Vielweiberei und Frauenknechtschaft. Und doch selbst in diesen niederen Organisationen des
gesellschaftlichen Lebens, selbst da, wo der Ackerbau unter einem glücklicheren Klima ein
Gegenstand geringerer Sorge ist, selbst da bleibt häufig der Frau ein gewisses Stück ihrer
Bedeutung gesichert, weil sie, was die Küche weniger an Arbeit erfordert, auf das Feld über-
tragen muss. Nirgends mehr als im heissen Afrika ist die Frau zugleich die Gärtnerin
oder Ackerbauerin, welche in harter Anstrengung die Nahrungsmittel nicht bloss zubereiten,
sondern auch sammeln und ziehen muss. Dem Manne fällt ausser dem Genuss nur die Jagd
und der Krieg als stehende Aufgabe zu."
In einer Beziehung allerdings scheint die Stellung des primitiven Weibes
eine besondere und, wenn man will, sogar eine bevorzugte gewesen zu sein,
nämlich in Bezug auf das Verhältniss zu der folgenden Generation; wir meinen
hier das Mutterrecht, von dem wir früher schon gesprochen haben, die That-
sache, dass von der Mutter her, und nicht von väterlicher Seite, sich die Stammes-
angehörigkeit bestimmt.
Bachofen, Lubhock^ M'Lennan^ Bastian, Fost^ Lippert und Andere haben
über diese Zustände gehandelt, und wir hatten oben auch schon Beispiele hierf&r
angeführt. Es mögen hier noch einige folgen: Die Wyandot z. B. drücken nach
Fovoell die Idee, dass nach weiblicher Linie die Abstammung gerechnet wird, durch
die Worte aus: „Das Weib fährt das Geschlecht Auf den Marianen ist die
Frau „Herr im Hause**.
Bei manchen Yolksstämmen treffen wir auf einen Kampf um die Obergewalt
bei denen, die sich zur Ehe verbinden wollen. AdiantAS berichtet, dass bei den
Sakern der Bräutigam mit der auserwählten Jungfrau einen Zweikampf zu be-
stehen hatte; wer hierbei den Sieg davontrug, hatte dann später die Herrschaft
in der Ehe.
Unter den Hottentotten muss ein Freier, der die Liebe des Mädchens nicht
besitzt, dieselbe durch einen Zweikampf zu gewinnen suchen; diesen setzt er so
lange fort, bis sie sich seinen Wünschen fügt.
Auch in Portugal herrscht ein ähnlicher Yolksgebrauch :
.Wenn in Miranda du Doro ein Mädchen im Begriff steht, sich zu verheiratfaen, so
trifft sie kurz vor der Hochzeit .zuf&lliger Weise'' mit ihrem Bräutigam zusammen, und
dieser verabreicht ihr alsbald eine tüchtige Tracht Prügel. Allerdings nimmt sie diesen
Beweis zärtlicher Liebe nicht mit Gelassenheit hin, sondern sucht Gleiches mit Gleichem zu
vergelten, indem sie aus Leibeskräften auf ihren zukünftigen Herrn losschlägt, wobei zu be-
merken ist, dass keiner der etwaigen Augenzeugen dieses Zweikampfs sich in denselben ein-
zumengen Miene macht.'
Bekanntlich führt auch das Nibelungenlied uns einen solchen Kampf mit
der Auserkorenen vor. Es heisst da von der Brautnacht, die Günther mit J?run-
hüde feiern wollte:
«Die Füsse und die Hände sie ihm zusammenband,
Trug ihn zu einem Nagel und hing ihn an die Wand!
Das konnte er nicht wenden; zu stark war seine Noth;
Von ihren Kräften hatte beinah gewonnen er den Tod.''
Erst Siegfried' s gewaltige Stärke konnte die widerstrebende Jungfrau in der
folgenden Nacht bemeistern:
«Sie drückte ihn nieder, doch gab sein Zorn ihm Kraft
und solche Leibesstärke, dass er sich aufgerafft
416. Die Frau im Cultus. 415
Aach wider ihren Willen, doch war die Drangsal gross:
Es schallte in der Kammer bald hier, bald dort gar mancher Stoss.
Sie rangen so gewaltig, dass sehr es Wunder nahm,
Wie Eines vor dem Anderen doch mit dem Leben noch entkam.''
Auch heate noch spielt in Deutschland bisweilen der Kampf des Freiers
eine Bolle. Es ist davon früher schon bei der Besprechung der im Schwarz-
walde gebräuchlichen Kommnächte die Bede gewesen.
Aus solchen primitiven Anfangen heraus hat sich die Stellung der Frau ent-
wickelt; ihre ideale Aufgabe in der Gultur erreicht sie erst in der ehelichen Liebe
und Treue, sowie in der Pflege und Erziehung ihrer Kinder; ihre eigentliche
Domäne ist das Haus. Und so wird das Yerhältniss der Frau zum Manne, im
Hause und in der Gesellschaft zu einem wichtigen Gradmesser för die Stufe der
Cultur, auf der sich die betreffende Völkerschaft befindet.
Bei unserem Urtheile über die Stellung der Frau dürfen wir aber das Eine
nicht vergessen, dass ihr naturgemäss bei allen Völkern ein Theil der zu leisten-
den Arbeit zufallt. Nur wenn dieser Antheil im Vergleiche zu der Arbeits-
leistung des Mannes ein besonders grosser ist, können wir auf eine Unterdrückung
des Weibes schliessen. Aber wir können uns auch nicht wundem, dass überall
da, wo auch die Männer den schwer zu erlangenden Lebensunterhalt durch auge-
strengte Thätigkeit erwerben müssen, dem weiblichen Geschlechte ebenfalls kein
müssiges Leben beschieden sein kann. So ist es ihre Aufgabe fast überall, das
Wasser herbeizuschaffen, die Speisen zu bereiten und die Kleidungsstücke herzu-
stellen. Bei manchen Völkern müssen sie auch an der Jagd und dem Fisch-
fange sich betheiligen, und bei einer gewissen Anzahl von Stämmen li^ ihnen
sogar der Ackerbau ob. Diese letzteren sind es besonders, welche dem weib-
lichen Geschlechte nur eine untergeordnete Stellung zuerkennen wollen. Das ist
aber nur f&r den einen Fall gültig, wo die Männer überhaupt keinen Antheil an
dem Ackerbau nehmen.
Die Weiber der Naturvölker in der Arbeit werden einige unserer Ab-
bildungen dem Leser vorführen; es soll auf dieselben aber hier nur hinge-
wiesen werden; ihre ausführlichere Besprechung werden sie erst an späterer
Stelle finden.
416. Die Frau Im Cultus.
Eine eigenthümliche psychische Begabung, die leichtere Erregbarkeit des
Nervensystems und das Vorherrschen von Stimmungen und Empfindungen haben
dem weiblichen Geschlechte verhältnissmässig früh, trotz aller sonstigen Ernied-
rigung, eine bevorzugte Stellung errungen. Allerdings liegt diese letztere nur auf
einem besonderen Gebiete, und nicht jegliches Weib ist im Stande, sich dieselbe
zu erwerben. Es handelt sich hierbei in allen Fällen um übernatürliche, transcen-
dentale Verbindungen und Beziehimgen, welche diese Weiber mit der umgebenden
Welt der Geister und der Götter zu unterhalten wissen. Und so treffen wir dann
das Weib als Priesterin, als Prophetin, als Zauberin oder als wichtige Beratherin
auf Grund dieser übernatürlichen Fähigkeit. Sie hat sich damit aus der Niedrig-
keit ihrer übrigen Stammes* und Geschlechtsgenossinnen aufgeschwungen zu eioer
Höhe, die sie in den Mittelpunkt des Cultus hebt.
Lippert hat sich bemüht, zu erklären, wie die natürlichen Verhältnisse das
Weib zu solcher Bevorzugung kommen Üessen. Er drückt dieses folgender-
maassen aus:
,Calt in aeinen einfachsten Formen ist die Gewinnung der den Menschen umgebenden
Geister durch Gaben und Leistungen, die ihnen genehm, nach der kindlichen Auffassung fast
unentbehrlich sind. Ein Mensch auf der untersten Stufe hat auch im Wohlthun keine grosse
416 LXYI. Die sociale Stellung des primitiven Weibes.
Auswahl. Hunger und Durst sind ihm der häufigste Antrieb, Befriedigung derselben der beste
Genuss; danach verlangen dem kindlichen Menschen gegenüber auch seine Geister. Wer aber
konnte ihre Wünsche zuerst dauernd befriedigen? wer sie, die zu schaden geneigt sind,
zuerst bleibend für das Haus und seinen Schutz gewinnen, wenn nicht die Mutter? Sie
allein behütete dauernd die Gultstelle im Hause, sie bereitete mit Fürsorge täglich das karge
Mahl; des Mannes Jagdglück war wandelbar. Auch er rief die Geister zum Mahle, wenn er
glücklich gewesen, er ,opferte^ ihnen das Liebste, das warme Blut des erlegten Thieres, des
Feindes; aber das waren doch seltene Festschmäuse, das war ein sehr ungeordneter Cult. In
dauernder, gewinnender Beziehung mit den Geistern des Hauses blieb auf einer Stufe des
Mutterrechts doch nur die Frau, und aus jener Zeit ist sie die Trägerin und Pflegerin aller
frommen Erziehungen des Hauses geblieben. Die heilige Scheu vor ihren Cultobjecten ist
auf sie Übergegangen, einst im schönsten, einst im schlimmsten Sinne.*
.Nicht selbstlos ist des Menschen Cult: er will die Geister gewinnen, sie sollen ihm
nützen und helfen, das Geheime und Verborgene verrathen, ihr umfassendes Wissen und
Sehen zu seinem Nutzen lenken. Sie thun es auch: sprechen sie gleich nicht zu dem
Menschen, durch verabredete Zeichen belehren sie ihn; ja sie treten, wenn durch Liebes-
gaben willig gemacht, in sein Haupt und denken in ihm ihre Gedanken dem Menschen zu
nutze. Alle diese Beziehungen hat lange mit überlieferter Treue die Frau als Herrin des
Hauses gepflegt, ehe sich auch der Mann an den Herd desselben, den Sitz der schützenden
Götter fesseln Hess.'
Mit dem letzteren hat Lippert wohl nicht das den Thatsachen Entsprechende
getroffen. Denn ohne Zweifel ist es bei rohen Völkern viel früher der Mann, der
Zauberpriester, der den Goltus pflegt, bevor die Frau zu dem Ansehen gelangt,
dass auch sie sich ihm widmen darf. Sicherlich sind es auch nicht alle Frauen,
sondern nur eine kleine, bevorzugte Schaar, und dass hier Alter und Erfahrung,
oder eine besondere Schlagfertigkeit des Geistes eine entscheidende Rolle spielen,
das werden wir wohl ohne Weiteres annehmen dürfen.
Bei den Slaven an der Ostsee waren es nach Saxo Grammaticus die
Mütter, welche am Herde sitzend achtlos Striche durch die Asche zogen. Bei
wichtigen Fragen, die man ihnen stellte, zählten sie dann diese Striche ab; mit
Grade und Ungrade gaben so ihnen die Geister die gewünschte Antwort.
Die germanischen Hausmütter sind es nach Cäsar ^ welche durch die
Loose und deren Deutung entscheiden, ob die Männer den Kampf au&ehmen oder
die Schwerter ruhen lassen sollten.
Die Israeliten hatten ihre Deborah^ aber auch die Zauberin von Endor hat
ihre wichtige Rolle gespielt. Aehnliches treffen wir bei vielen Naturvölkern an.
Und so haftet im weiblichen Geschlecht etwas Heiliges, etwas Prophetisches,
das die alten Gultusformen, geheimnissvoll, wie sie einst überliefert wurden, auf
lange Zeit hin zu pflegen und bewahren bestrebt ist, oft zu nützlichem Zweck,
aber auch zum Schaden. Noch sind die Zeiten nicht vorüber, und wahrscheinlich
werden sie niemals schwinden, wo die weisen Frauen und Besprecherinnen ihre
gläubige Gemeinde finden. Noch ist eine Wahrsagung aus Weibermund immer
noch erheblich kräftiger als die Weisheit der klügsten Männer.
417. Die sociale Stellung des Weibes bei den Oceanlern.
Wenn Rousseau' s Behauptung richtig wäre: „Alles ist gut, wie es aus den
Händen des Urhebers der Dinge hervorgeht; alles entartet unter den Händen des
Menschen", dann würden wir die Stellung, welche das Weib bei den Naturvölkern
einnimmt, als die ideale zu betrachten haben. Ein flüchtiger Blick jedoch ist
schon hinreichend, um uns von der Irrigkeit einer solchen Annahme gründlich
zu überfuhren.
Was bei den Naturvölkern die Ehe zu bedeuten hat und welche Stellung
dem Weibe zugewiesen wird, das haben wir an verschiedenen Beispielen in früheren
Abschnitten kennen gelernt. Watte hat darüber Folgendes geäussert:
Tafd X.
Das Weib im Backfischalter.
Xfaeopie-Xidcheii.
(Andunanen.)
(Accn.Goldkösle.i
SmM«a-Mi4cheB.
4. 5. 6.
AkBiskiii-Indianer-MIdehen. Fenerlinder-MidcheB. Goyana-Indianer-MIdeheii.
(Bio Napo, Peru.) (Gap Hörn.)
7.
Chlnesen-MIdeken.
Toda-lUdehen.
(Säd-Indien.)
MaUyen-MIdcheii«
(Malacca.)
Tafel X.
Das ^6113 ixn BaLCkfisoKalter.
I UI: -34tltl3.^VC»r^ 'Mv'A
iliÜ&iE V 1 4]^Ufei ^^f^
417. Die sociale Stellung dee Weibes bei den Oceaniern. 417
,Das Weib gehOrt dem Manne, der es Ton ihren Eltern gekanfb bat, als Eigentbums-
stück zu, er kann es daber im Allgemeinen willkürlich verjagen, verleiben, vertauschen oder
wohl auch weiter verkaufen. Andere binzuerwerben u. s. f. Am weitesten gebt die Gewalt
des Mannes auf den Fidschi -Inseln, wo beim gemeinen Volke die Weiber nicht allein
Handelsartikel sind, sondern sogar von ihren Männern umgebracht und gefressen werden,
ohne dass dies gestraft oder gerächt wird. fWiUces.J Nicht selten geben die Weiber des
Vaters durch Erbschaft an den Sohn über. Nur das Weib, nicht der Mann, kann strafbaren
Ehebruch begeben.*
Auch in Australien ist die Stellung der Weiber noch eine sehr niedrige.
Für gewöhnlich werden sie geraubt oder in noch unreifem Alter verkauft, und
ihr ganzes Leben hindurch sind sie den brutalsten Launen ihrer Eheherren aus-
gesetzt, üeberall herrscht hier Polygamie; über die Zahl der Weiber, die der
Mann sich erwirbt, entscheidet einzig sein Vermögen, und je mehr Weiber er
besitzt, um so höher steigt er im Ansehen. Die Mädchen werden oft in noch
kindlichem Alter an ältere Männer als Gattin übergeben. Es giebt verschiedene
Arten zu freien; entweder erwirbt man sich die Einwilligung des Vaters durch
ein Geschenk, oder die Auserwählte wird gerauht. In allen Fallen aber muss
das Mädchen aus einer anderen Stammesgruppe sein, sonst wird die Ehe als Blut-
schande betrachtet und die Schuldigen werden mit dem Tode bestraft.
Oft kommt es bei solchem Brautraub zu hitzigen Kämpfen, häufig ist jedoch
dieser Kampf dem Herkommen gemäss nur ein Scneingefecht.
Eine schöne Frau hat in Australien ein beklagenswerthes Loos, denn
einmal ist sie stets in Gefahr, wider ihren Willen entführt zu werden, auch wenn
sie längst schon verheirathet ist. Folgt sie aber willig dem Entführer, so ent-
brennt um sie ein heftiger Kampf. Von den anderen Weibern ihres Gatten wird
sie keineswegs freundlich empfangen, und der letztere ist nicht selten ein alter
Mann, der sie aufs Aergste mit seiner Eifersucht zu plagen pflegt. Ehebruch
wird mit dem Tode bestraft, aber auch der Verführer verfallt einer Strafe, die
ihm vom Stamme auferlegt wird; dabei wird die Keuschheit weder von Mädchen
noch von Witt wen verlangt; vielmehr ist die Jugend ganz ungebunden; öfters
geben Männer eines ihrer Weiber einem Freunde, der un verheirathet ist. Im
Süden prostituiren die Männer ihre Weiber selbst.
Nach der Verheirathung wird das Mädchen bei einigen australischen
Stämmen unter die Yerheiratheten aufgenommen; die Geremonie, welche dabei
stattfindet, beschränkt sich angeblich darauf, dass demselben von einem Weibe ein
Stück des kleinen Fingers an der linken Hand abgebissen wird. Verheirathung
und Begattung findet meist während der warmen Jahreszeit statt, wo die Nahrung
in reicher Fülle vorhanden ist. (Watte,)
Die Frauen müssen alle Arbeit thun; erzürnen sie den Mann oder verrichten
sie ihre Arbeit schlecht, so werden sie unbarmherzig geschlagen. Von allen
religiösen Feiern sind sie ausgeschlossen, und sie dürfen nicht einmal mit ihrem
Gatten die Mahlzeit einnehmen. Trotzdem hängen die Frauen an ihren Männern.
Stirbt ein Mann, so erbt sein Bruder Frau und Kinder, falls er Von derselben
Mutter stammt; die Kinder gehören zur Familie der Mutter, (Watte,)
lieber die sociale Stellung der Frauen in Neu-Galedonien äussert sich
Moncelon folgendermaassen:
«Les femmes sont les b§tes de somme des hommeB, auxquels elles sont inf^rieures de
tous points, moralement et physiquement. Elles sont souxnises ä tous les caprices des
bommes, mais paraissent satisfaites de leur condition. Elles ex^cutent tous les travaux
d'int^rieur, charroient constamment et aident les bommes k tous les travaux de champs.
Elles peuvent §tre vendues, mais g^n^ralement avec leur consentement. Le contraire se
voit cependant. Les bommes aiment leura enfants, les femmes beaucoup moins. £n g6nöral,
la femme est beaucoup inf§rienre a Thomme, ce qui tient assur^ment k T^tat d*abjection
auquel eile est reduite.'
Floss-BarteU, Das Weib. 5. Aufl. II. 27
418 LXVI. Die sociale Stellung des primitiven Weibes.
Die Frauen im Inneren von Neu-Guinea bei Port Moresby fand -4rm«Y
keusch. Die Ehe wird als heilig betrachtet und Ehebruch mit dem Tode be-
straft. Vielweiberei ist herrschende Sitte. Das Benehmen der Weiber ist weib-
lich und angenehm.
Auf Neu-Britannien bestehen gegen Verwandten-Ehen sehr strenge Ge-
setze; in jedem Stamme giebt es zwei bestimmte Abtheilungen, zwischen denen
allein Heirathen erlaubt sind. Im Allgemeinen aber kaufen die Männer ihre
Frauen von fremden Stämmen; oder wenn die jungen Männer Frauen brauchen,
so unternehmen sie, da sie nicht in ihren Stamm heirathen dürfen, einen Einfall
in das Gebiet anderer Stämme und rauben sich junge Frauen von den Buschbe-
wohnem. Die dabei getödteten oder gefangenen Männer werden gegessen. Die
gefangenen Weiber söhnen sich bald mit ihrer neuen Heimath aus, da sie bei
späteren Gelegenheiten an ähnlichen Festen theilnehmen dürfen.
Trotz dieser rohen Sittenzustände, und obgleich die Frauen auf Neu-Bri-
tannien alle Arbeiten besorgen müssen, so ist ihr Einfluss im häuslichen Leben
doch durchaus nicht zu unterschätzen. Selten schliessen ihre Eheherren einen
Handel ohne ihren Bath, und bei solchen Gelegenheiten pflegen auch sie nicht
leer auszugehen. Auch an den Kämpfen nehmen sie Theil, denn sie tragen dem
Manne die Waffen nach, und sie ermuntern ihn durch Zuruf und feuern ihn zur
Tapferkeit an. Aber der Zutritt zu den Gemeindehäusern und zu religiösen
Handlungen ist den Frauen und Mädchen streng verboten, und der Mann ist der
Herr über Leben und Tod der Gattin. Prostitution ist weit verbreitet, wie wir
schon früher auseinandergesetzt haben.
Auf der malayischen Halbinsel begegnete MiMucho-Maclay^ einem Volke,
welches rein melanesischer Basse ist, den Orang-Sakai; diese leben in höchst
primitiven Zuständen, und sie unterscheiden sich erheblich von den benachbarten
Malayen. Ihre Frauen behandeln sie ungemein freundlich, daher ist es auch
nicht zu verwundem, wenn in gewissen Fällen das Amt eines Badja auch auf die
Frauen und Töchter übergeht, denn die Häuptlingswürde ist erblich. Am Tage
der Hochzeit sammeln sich die Verwandten der Verlobten und viele Zeugen. Die
Braut muss dann in den nächsten Wald entfliehen, und nach einer bestimmten
Zwischenzeit folgt ihr der Bräutigam laufend nach und sucht sie zu erhaschen.
Gelingt es ihm, die Braut zu fangen, so erhält er sie zur Frau, im entgegen-
gesetzten Falle aber muss er für immer auf sie verzichten. Wenn daher ein
Mädchen den um sie werbenden Freier nicht will, so hat sie stets die Möglichkeit,
ihm zu entfliehen und sich mit Leichtigkeit derartig zu verbergen, dass der
Bräutigam nicht im Stande ist, ihrer in der festgesetzten Frist habhaft zu werden.
In einigen Gegenden der Orang-Sakai besteht eine Art gemeinsamer Ehe,
indem nämlich die Frauen in einer bestimmten Reihenfolge und für bestimmte
Zeiträume von einem Manne zum anderen übergehen, ohne jemals einem bestimmten
Manne anzugehören. Darum bleiben auch die Kinder, die nie ihren Vater kennen,
stets bei der Mutter. Dieses wurde MiMucho-Maclay in der Stadt Malacca
durch die dort weilenden katholischen Missionare vollkommen bestätigt.
lieber die sociale Stellung der Frau bei den Orang-hütan in Malacca
berichtet Stevens, dass in der Achtung der Männer am höchsten die Weiber der
Orang Bälendas stehen. So lange sie unverheirathet sind, dürfen sie getrenntes
Eigenthum besitzen und es ist ihnen sogar gestattet, sich an den häuslichen Be-
rathungen zu betheiligen. Die zweite Stelle würde dann den wilden Panggang-
Weibem einzuräumen sein; nächstdem folgen die Temiä (Tummiyor), dann die
zahmen Menik oder Semang, und am tiefsten stehen die Djäkun, die ihre
Weiber nur als schätzenswerthes Werkzeug betrachten, um die Arbeiten zu ver-
richten und die Kinder anzuziehen. Ganz besonders schlecht werden aber dia
Weiber von den Orang Laut behandelt. Es ist keine Seltenheit, dass der Mann
den von der Frau mühselig für die ganze Familie gesammelten Tagesvorrath an
417» Die sociale Stellung des Weibes bei den Oceaniern. 419
Wurzeln und Fischen in grösster Buhe allein verzehrt und der Frau und den
Kindern höchstens ein paar kümmerliche Abfalle zukommen lässt. (Bartels'^,)
Ueber die in den Wäldern und Bergen der Philippinen wohnenden Ne-
gritos sagt Montano^ der sie in dem Dorfe Balanga auf Luzon besuchte, dass
sie sehr auf Sittlichkeit halten; der geringste Argwohn, dass sie ein junger Mann
verletzte, benimmt ihm die Hoffnung, eine Gattin zu erwerben. Dieser Erwerb
geschieht nicht durch Kauf; der Schwiegervater erhält zwar ein kleines Geschenk,
giebt jedoch auch seinerseits der Tochter eine Anzahl von Gegenständen , welche
nicht die Mitgifb der jungen Frau, sondern deren ausschliessliches Eigenthum
bilden. Der Trauungsact ist sonderbar: Die Brautleute klettern bis in die Wipfel
zweier nahe beisammenstehender Bäume, die dann vom Häuptling so an einander
gezogen werden, dass sich die Stirnen der Verlobten berühren. Damit ist die
Ceremonie zu Ende.
In Mikronesien (Marianen-, Carolinen-, Marshall-, Pelau- und
Gilbert -Inseln) werden die Frauen überall gut gehalten; sie nehmen an der
Unterhaltung, an den Festen u. s. w. Theil, schwere Arbeiten sind Sache der
Männer, den Frauen liegt das Besorgen des Hauses, das Flechten der Matten,
das Bereiten des Kleiderstoffes, die leichtere Hülfe beim Fischfang u. s. w. ob.
Früher waren die Weiber sehr streng, sie erschienen anfangs schüchtern, scham-
haft und zurückhaltend; indess wurde von Unverheiratheten Keuschheit nicht
verlangt; so waren sie auch für Fremde zu gewinnen, ja sie wurden auf einer
Gruppe in Batak Koteehue und seinen Begleitern angeboten, doch nur für eine
Nacht, um so strenger aber war die Ehe. Obwohl sie auf den Marshall-
luseln nur durch Uebereinkunft geschlossen wurde, und daher leicht löslich war
(v, Chamisso), so bewahrte doch die verheirathete Frau ihre Keuschheit streng.
Polygamie ist erlaubt, aber nur Häuptlinge und Reiche haben mehrere Frauen.
Bei mehreren Völkern der Süd- See, namentlich den Mikronesiern, ist die
Vererbung von Rang und Stand an die weibliche Linie gebunden. Dies ist bei-
spielsweise auf der Carolinen-Insel Yap, ebenso auf der Ebon-Gruppe im
Mars hall -Archipel der Fall.
Auf den Pelau- Inseln ist bemerkenswerth , dass die Frauen ihre eigene
Regierung haben, wie die Männer die ihrige. Obgleich dort der Adschbatul (Ab-
batulle bei Wilson^ Ebadul bei Semper) das Haupt des Landes ist, so gilt er doch
nur als der Häuptling der Männer. Er muss aus dem Familiensitze Adschdit
stammen, und die Aelteste aus dieser Familie ist neben ihm die Königin der
Frauen. Ihr stehen ebenso wie bei den Männern in niedersteigender Rangfolge
eine Anzahl Frauenhäuptlinge zur Seite; der Raupakaldit, die weibliche Regie-
rung, überwacht die Ordnung zwischen den Frauen, hält Gericht und verurtheilt,
ohne dass die Männer sich einmischen dürfen. Beide Regierungen, die der Männer
und die der Frauen, stehen unabhängig neben einander. Die Titel gehen von
einer Schwester auf die Nächstälteste über, wie bei den Männern. Die Frau des
Königs ist daher niemals eine Königin der Frauen. (Kubary,)
Hier existirt eine Art conmiunistischer Ehen; es bestehen nämlich Club-
häuser (Baj), in welchen Männer, Kaldebechel genannt, gemeinsam mit Frauen
(Mongol) leben. Man darf die letzteren nicht mit Prostituirten verwechseln
wollen; sie dienen eben nur den Mitgliedern eines und desselben Clubs.
Die Stellung der Frau auf den Pelau-Inseln ist im Allgemeinen eine hohe;
ihr Einfluss kann ein bedeutender sein; die Frau kann Kalit, d. h. Vermittlerin
zwischen den Menschen und der jenseitigen Welt sein; sie kann, wie gesagt, auch
Häuptling werden. Es ist Sitte, zwei oder mehr Frauen zu haben, und diesen
liegt die schwere Feldarbeit ob. Trotzdem werden sie meist gut behandelt.
Niemand darf sich unterfangen , ein Weib zu schlagen , oder sie auch nur mit
Worten zu beleidigen. Wäre sie eine Adschdit- Frau, so trifft den Beleidiger
eine Geldstrafe, wie sie für den Todtschlag verhängt ist. Kann er sie nicht
27*
420
LXVI. Die sociale Stellang des primitiven Weibes.
zahlen, so muss er fliehen, oder er ist dem Tode verfallen. Keinem Manne ist
es erlaubt, eine Frau entblösst von ihrer Schürze zu sehen; deshalb zeigen sie
in der Nähe von Badeplätzen durch Rufen ihre Annäherung an. Es ist ferner
auch streng verpönt, über die Ehefrau eines Anderen öffentlich zu sprechen oder
ihren Namen zu nennen.
Trotz dieser Sittenstrenge herrschen gerade auf Pelau so laxe Grundsätze
im Verkehr der Geschlechter, wie in wenig anderen Ländern; von der frühesten
Jugend an haben die I^ädchen die Erlaubniss, mit allen jungen Knaben des Ortes
in geschlechtlichen Verkehr zu treten. Ein eigentliches Familienleben fehlt, da
die Männer grösstentheils von ihren Frauen getrennt zu leben pflegen.
Ueber die Gilbert-Insulanerinnen giebt Parkinson folgenden Bericht:
„Die Frau ist von der Eheschliessung an von ihrem Ehemann unzertrennlich, sie folgt
ihm Überall; wenn er in den Krieg geht, ist sie ihm zur Seite und trägt seine Waffen, geht
er auf den Fischfang, begleitet sie ihn, kurz, wo einer der jungen Leute ist, da findet man
auch den anderen. Nur bei einer Gelegenheit darf die junge Frau nicht ihren Mann he-
Fig. 367. Tanz der Samoauer. (Nach Photographie.)
gleiten, dies ist, wenn er zum allgemeinen Spiel und Tanz in dem grossen Haus, „Te Maneape'S
der Dorfschaft geht. Für sie ist nach der Ehe Spiel und Tanz im grossen Hause vorbei; sie
muss, so lange der Mann fort ist, in der Hütte verweilen, und findet er sie dort nicht, wenn
er zurückkehrt, so kann sie sicher sein, eine tüchtige Tracht Schläge davon zu tragen und
darf sich darüber nicht beklagen."
Bei den Polynesiern (Tonga-, Samoa-, öesellschafts-, Marquesas-,
Sandwich-Insulanern) war nach Müller^ das Leben der unverheiratheten
Mädchen ausserordentlich zügellos. Es muss daher höchst sonderbar erscheinen,
dass auf einzelnen Inseln der Bräutigam nach vollzogenem Ehebunde vor Aller
Augen die Jungfrauschaft der Braut durch Einf&hren des Fingers zu prüfen suchte.
Die Polygamie ist weit verbreitet, aber der Arme nimmt nur ein Weib, während
sich bei anderen Männern die Zahl ihrer Frauen nach ihrem Vermögen und ihrem
418. Die sociale Stellung des Weibes bei den Völkern Amerikas. 421
Range richtet. Der Häuptling pflegte sechs Weiber zu haben. Trotz der grossen
Sittenlosigkeit wird Ehebruch auf den meisten Inseln streng geahndet, doch ver-
f> der Mann auch über sein Weib, das er überlassen kann, wem er will Hier
gilt auch die sogenannte «Blutsfreundschaft'', wonach zwei Männer, nachdem sie
ein Schutz- und Trutzbündniss geschlossen, zur Weibergemeinschaft sich ver-
pflichten. Fälle wahrer Liebe und Zuneigung sind aber vielfach beobachtet
worden; mehrmals schlössen sich polynesische Frauen innig an ihre euro-
päischen Gatten an.
Die Samoanerin hat nach Kubary als Hausfrau keine allzuschwere Auf-
gabe. Wenn sie nicht mit Anderem beschäftigt ist, vertauscht sie gern ihr
besseres „ Lavalava " mit einem «Lapal und geht zur Küche, wo ihr dann das
Leichteste zuföllt, das Anordnen, Lachen und vielleicht die Brotfrucht abzuschälen ;
das wirkliche Bereiten der besonderen Speisen liegt einem erfahrenen Mitgliede
ob. Und wenn dann früh nach dem Morgenessen der Hausherr auf Besuch oder
seiner Beschäftigung nachgeht, ordnet die Frau das Wohnhaus und das Empfangs-
haus, sie befasst sich mit Plaudern und Mattenflechten. Die junge Welt denkt
an Schmuck, und hier sind es die Frauen, die eine gewichtige Rolle spielen: sie
schneiden das Haar, reiben es mit Kalk oder Oel ein, berathen über die einzu-
steckenden Blumen und Guirlanden und beurtheilen das Aeussere eines geputzten
jungen Mannes, der nach dem nachbarlichen Dorfe auf eine „Malanga'* (Be-
such) geht.
Dass auch bei den Samoanern der Tanz zu den bevorzugten Vergnügungen
der jungen Leute gehört, davon haben wir früher schon Kunde erhalten, als von
der Brautwerbung die Rede war. In der Fig. 367 lernen wir solchen Tanz kennen,
bei welchem beide Geschlechter betheiligt sind. Er wurde auf der Expedition von
S. M. S. Hertha von dem Marine-Zahlmeister Riemer aufgenommen.
Die sittlichen Zustande des weiblichen Geschlechts haben sich auf den öst-
lichen Inseln der Südsee, s6it Cook dieselben entdeckte, nicht geändert. Noch
heute schwimmen Weiber und Mädchen den herannahenden Schiffen entgegen, um
sich zum sinnlichen Genüsse anzubieten, und die Männer, die mit ihnen kommen,
finden nichts Anstossiges in dieser Hingebung. Noch jetzt empfangen die Weiber,
wie Corvettencapitän Werner mit der „-inarfnc*' 1878 beobachten konnte, von
ihren Männern Aufträge, was sie als Lohn für ihre Gefälligkeit vom Bord zurück-
bringen oder wohl gar entwenden sollen. Ihren Lendenschurz, damit er nicht
uass werde, halten sie beim Schwimmen an einem Stabe befestigt über dem
Wasser, und jede beeilt sich, die erste an Bord zu sein; denn sowie die Mann-
schaft sich mit Schönheiten versehen hat, werden alle überzähligen Damen zurück-
gewiesen und müssen unter dem Hohngelächter ihrer Gefährtinnen heimschwimmen.
An Bord aber wird die Scene hässlich, denn dort bricht bald rohe Ausschweifung
aus. Eigennutz ist übrigens die alleinige Triebfeder dieser Prostitution.
41S. Die sociale Stellang des Weibes bei den Yolkern Amerikas.
Bei den Indianern Nord-Amerikas ist die Vertheilung der Geschäfte
zwischen Mann und Frau meist von der Art, dass jener nur als Jäger und Krieger
für die Erhaltung und Vertheidigung der Familie sorgt, während alle übrigen
Arbeiten und Lasten auf die Frau fallen; sie dient ihrem Gebieter als arbeitsame
Magd in voller Unterwürfigkeit. Eine Dame, die lange Zeit mit den Indianern
verkehrte, Mrs. Eastman^ giebt hiervon die folgende Schilderung:
.Die Leiden des Sioux-Weibes beginnen mit ihrer Geburt. Schon als Kind ist sie
ein Gegenstand der Verachtung im Vergleich mit ihrem Bruder neben ihr, der einst ein
grosser Krieger werden wird. Als Mädchen wird sie geachtet, so lange der junge Mann, der
sie zum Weibe begehrt, an dem Erfolge seiner Bewerbung zweifelt. Ist sie erst sein Weib,
so hört die Theibahme für ihr Loos auf. Wie bald reissen die Stürme und Kämpfe des
422 LXYI. Die sociale Stellung des primitiven Weibes.
Lebens alle warmen und zarten Gefühle mit der Wurzel aus ihrem Herzen. Sie muBs die
Last der Familie tragen. Will es der Mann, so muss sie den ganzen Tag mit einer schweren
Last auf dem Rücken fortziehen, und Nachts, wenn Halt gemacht wird, muss sie die Speisen
bereiten für ihre Familie, bevor sie sich zur Ruhe begeben darf."
Die nordamerikanischen Indianer sondern sich innerhalb der einzeben
Stamme in besondere Totemschaften, deren Mitglieder unter einander als ver-
wandt betrachtet werden. Stets müssen sie die Ehegattin aus einer anderen Totem-
schaft wählen. Bei den Omahas und den Poncas nimmt sehr häufig ein Mann
die Kinder seines verstorbenen Bruders zu sich, ohne die Wittwe zu seiner Frau zu
machen. Es kommt auch vor, dass der sterbende Mann, wenn er weiss, dass seine
männliche Verwandtschaft nicht viel taugt, -seiner Frau räth, nach seinem Tode
aus seinem Geschlechte in ein anderes einzuheirathen. Bleibt ein Wittwer zwei,
drei oder vier Jahre hindurch ledig, so darf er überhaupt nicht vneder heirathen.
Die Stellung der Weiber ist bei den Thlinkit-Indianern keine ungünstige.
Die Frau ist nicht die Sclavin des Mannes; ihre Rechte sind bestimmt, ihr Ein-
fluss ist bedeutend; gar nicht selten wird ein Handel von ihrer Zustünmung ab-
hängig gemacht. Douglas und Vancauver berichten sogar von Frauen, die eines
solchen Ansehens genossen, dass sie die eigentlichen Leiter zu sein schienen, deren
Anordnungen sich die Männer willig fügten. {KrauseK) Bei manchen Völkern
betrauert der Wittwer den Verlust seiner Gattin auf das Tiefste. Unter den
Chilkat-Indianern in Alaska fand Krause\ dass ein Mann, nachdem der
Leichnam seiner dahingeschiedenen Ehefrau verbrannt worden war, sein Vermögen
vertheilte.
An der Westküste von Vancouver unter den Koskimo- und Quatsino-
Indianern hat sogar eine Frau, die Schwiegertochter des Oberhäuptlings Negetze^
die Würde einer Oberhäuptlingin; sie ist die mächtigste Person an der ganzen
Nordwestspitze von Vancouver. Diese Dame, welche von den Spuren ehemaliger
Jugendschönheit nur noch den zuckerhutformigen, deformirten Schädel zurück-
behalten hatte, nahm den Reisenden Jacobsen unter ihren Schutz und war ihm
ungemein forderlich. Letzterer theilte mir mit, dass bei den Chimsian-Indianern
die Frauen sogar Hametze und »Medicinmänner' werden können.
Bei den alten in Golumbien wohnenden, nun aasgestorbenen Chibchas
beherrschten ebenso wie in Nicaragua die Frauen die Männer und selbst die
Kaziken. Queseda traf einen derselben in seinem Hause an einen Pfahl gebunden,
wo er von dreien seiner Frauen wegen eines Rausches gegeisselt wurde. (Zerda.)
Bei den Indianerinnen Süd- Amerikas ist das Recht, das ihnen zusteht,
nicht bei allen Stämmen gleich. Die Regelung häuslicher Geschäfte, sagt v. Martins^
steht oft nicht der jüngeren und deshalb beliebteren, sondern gewöhnlich der
Ersten und Aeltesten unter den Frauen zu. Bei den Peruanern übernimmt
sogar der Mann einen Theil der Arbeit selbst, die sonst gänzlich auf den Schultern
der Weiber zu ruhen pflegt. Bei den Juris, Passes, Miranhas u. A. gilt die-
jenige Frau, mit welcher sich der Mann zuerst verband, als Oberfrau. Ihre Hänge-
matte hängt der des Mannes am nächsten. Die Macht, der Einfluss auf die Ge-
meinde, der Ehrgeiz und das Temperament des Mannes sind die Gründe, nack
welchen später noch mehrere Unterfrauen oder Kebsweiber bis zur Zahl von 5
oder 6, selten mehr, aufgenommen werden. Mehrere Weiber zu besitzen gilt als
Luxus. Jede Frau erhält in Brasilien ihre eigene Hängematte und gewöhnlich
einen besonderen Feuerherd, vorzüglich sobald sie Kinder hat. Der Mann bleibt
meist von allen Frauen gefürchtet und erhält durch äusserste Strenge gegen die
weiblichen Intriguen wenigstens einen scheinbaren Friedensstand. Am Amazonas
legt sich der Mann gern Frauen aus anderen Stämmen zu; weibliche Kriegs-
gefangene werden zu Kebsweibem gemacht. Ausserdem erwirbt der Brasilianer
seine Frau mit Einwilligung ihres Vaters entweder durch Arbeit in dessen Hause,
oder durch Kauf.
419. Die sociale Stellong des Weibes bei den afrikanischen Völkern. 423
Von den Indianern Süd-Amerikas sagt Bohrizhofer^ dass sie ihre Weiber
häufiger hingeben, als die Europäer ihre Kleider wechseln. Unter den poly-
gamisch lebenden Indianern bewohnt meist jede Frau eine besondere Hütte, und
unter den Chilenen und Caraiben sind nach dem alten Brauch die Rechte und
Pflichten unter den Weibern bestimmt. In Chile kocht diejenige Frau, welche
die letzte Nacht bei ihm schlief, am folgenden Tage für ihn, sattelt sein Pferd
und verrichtet die häuslichen Arbeiten. (Frezier,) Unter den Caraiben hat
eine jede Frau ihren Monat, in dem sie mit dem Manne zusammenwohnt, seine
Küche besorgt und ihn bedient, (du TertreJ In neuerer Zeit berichtet nament-
lich Schomburgk von grosser Brutialität der Männer gegen ihre Weiber.
Die Frauen und Mädchen der Llanos in Venezuela verbringen, wie Sachs^
fand, ihr Leben in süssem Nichtsthun; neben den häuslichen Verrichtungen, die
sich auf ein Minimum reduciren, beschäftigen sie sich im günstigen Falle damit,
ein kleines Stück Land mit Bananen oder Tucca zu behauen. Eigentliche Ehen
werden dort selten geschlossen, wiewohl es kaum je an Kindersegen mangelt.
Als Sachs einst ein junges Mädchen, das einen niedlichen Säugling auf seinen
Knieen schaukelte, fragte, wer der Vater des Kindes sei, erhielt er genau dieselbe
Antwort, wie Head unter ähnlichen Umständen in den Pampas, nämlich: Quien
sabeP (Wer mag das wissen?) Ein gleiches fand er im ganzen Inneren von Ve-
nezuela, wo kirchliche Ehen geradezu eine Seltenheit sind. Oft war er erstaunt,
wenn ihm in einem ziemlich respectablen Hause der Hausherr seine «senora esposa*
in aller Förmlichkeit vorstellte und er hinterher erfuhr, dass hier nur eine freie,
mit gegenseitigem Kündigungsrecht eingegangene Vereinigung vorlag. Jeden
Augenblick kann eine solche wilde Ehe gelöst werden imd beide Theile «ver-
heirathen*^ sich aufs Neue, ohne dass man darin etwas Anstössiges findet; in die
vorhandenen Kinder theilt man sich nach gütlicher Uebereinkunft.
In dem alten Peruanischen Bliche hatten die Eltern keinen Einfluss auf
die Verheirathung ihrer Kinder. Zu bestimmten Zeiten liess der regierende Inca
alle mannbaren Mädchen und Jünglinge sowohl aus königlichem Geschlecht, als
auch aus den Häusern der Vornehmsten des Reiches zusammenkommen und ver-
mählte sie mit einander. Ebenso verfuhren die Befehlshaber in den Städten und
Dörfern, ohne auf die Wünsche der Eltern oder die Neigung der jungen Leute
und auf andere als den ersten Grad der Verwandtschaft die geringste Bücksicht
zu nehmen. Frauen, die auf solche Weise den Männern zugetheilt worden waren,
galten als die rechtmässigen; neben denselben durfte jeder Mann so viele Neben-
Arauen nehmen, als er wollte. Die gemeinen Leute bearbeiteten mit ihren Frauen
gemeinsam das Feld; nur in einzelnen Gegenden hatten die Weiber den Feldbau
zu leisten, während die Männer das Hauswesen besorgten. Die Frauen der Vor-
nehmen lebten in Peru im Hause zurückgezogen und beschäftigten sich mit
Spinnen und Weben von Wolle und Baumwolle.*
In Mexiko war bis zu der Ankunft der Spanier die Stellung des Weibes
eine sehr niedrige; die Braut wurde gekauft und eheliche Untreue war mit schwerer
Strafe belegt. Aber der Mann besass das Becht, Gefährtinnen zu suchen nach
Belieben, wenn sie nicht schon das Eigenthum eines anderen Mannes waren.
(Banddier.)
419. Die sociale Stellang des Weibes bei den afriltanischen Völkern.
Unter den so verschiedenartigen Völkern Afrikas ist gewohnlich das Weib
eine Waare, die man von den Eltern um diesen oder jenen Preis ersteht. Da-
neben sind bisweilen aber doch Fälle einseitiger oder beiderseitiger Neigung vor-
gekonunen; somit ist auch beim afrikanischen Weibe die Liebe nicht aus-
geschlossen.
Das Loos der Frau ist nach Hartmann s^ Schilderung im Allgemeinen kein
424
LXVL Die sociale Stellung des primitiven Weibes.
glückliches. Erhandelt bildet sie den meist ausschliesslich arbeitenden Theil der
Bevölkerung, wogegen der Mann auf Bathsversammlungen geht, beim Bier topfe
sitzt, in den Krieg zieht^ Jagd und Fischfang treibt, im Uebrigen aber faulenzt
und sich von seinem weiblichen Personale bedienen lässt. Auch hier findet
Theilung der Arbeit statt, allein in höchst yerschiedener Weise je nach der cul-
turellen Phase, in welche die Entwicke-
lung des Volkes gelangt ist. Nur bei
einigen Stämmen, z. B. den Fun je,
Schilluk, Nuer und Bari, hilft auch
der Mann beim Feldbau und auf der Vieh-
weide. Bei der Mehrzahl, namentlich
der südlichen Völker, widmet er sich
dem Krieg und der Jagd, oder er wohnt
den Zechgelagen und den stundenlangen
Berathungen bei. Die Weiber aber
müssen die Hütten bauen, das Feld be-
stellen, die Speisen bereiten, sie stampfen
den Reis und das Kafferkom, sie mahlen
und zerreiben das Getreide, sie spinnen
und weben und stellen mühsam aus den
Häuten des Schlachtviehs die Anzüge her.
Hier und da haben in Afrika die
Frauen gewisse Vorrechte, auch ist im
Inneren das Vorkommen von Polyandrie
constatirt. Bei den Hassanijeh (Bed-
scha) darf die Frau an jedem dritten
Tage ihre Gunst einem Freunde schenken.
Im Gebiete des weissen Nil werden
die Frauen im Kriege geschont. Recht
Günstiges berichtet Felkin von der Be-
^^^^^^^^^^^B handlung des Weibes bei den Mahdi-
M ^^^^^^^^^^B Negern in Central-Afrika:
^ ' ^^^^^^^^^^^^^B »^^^ Frauen werden von den Männern
mit Achtang und Höflichkeit behandelt, der
j_ mH^^^^^^^^^^^^' beste Platz ihnen überlassen und ihnen kleine
£^; ^^^^^^^^^I^^H '^ ' Aufmerksamkeiten erwiesen. Sie essen gleich-
^^ ^^^^^^^^^^^^^ zeitig mit den Männern, aber nicht von dem-
selben Tisch. Jede Kränkung einer Frau wird
gerächt und ist häufig der Grund eines Krieges.''
Nicht nur im islamitischen, son-
r dem auch im heidnischen Afrika besteht
^ Vielweiberei mit allen ihren Schatten -
I Seiten. Namentlich die Fürsten mancher
f Nationen besitzen eine enorme Zahl von
Weibern. Meist fähren die einzelnen
Weiber ihre getrennte Oeconomie, z. B.
im Sennaar. Auch unter den Kaffern
hat nach Merensky jede Frau ihr eigenes
Haus, ihren eigenen Hof, ihren Garten
und ihr eigenes Geräth. Das Familienleben der Zulu-Kaffern ist patriarchalisch;
der Mann erwirbt seine Frauen durch ein « Geschenk" von 5 — 10 oder mehr Stück
Vieh an die Eltern; die Stellung der Frauen ist die einer Sclavin; ein Unbe-
mittelter erwirbt sie sich durch Dienstleistung bei dem Schwiegervater. Ehescheidung
kommt häufig vor und ist gewöhnlich mit Rückgabe des Geschenkes verbunden;
i
Fig. 368. Fellachin (Aegypten) einen Wasser-
krug tragend. (Nach Photographie.)
419. Die sociale Stellang des Weibes bei den afrikanischen Völkern. 42&
Sterilität aber ist der einzige Scheidungsgrund. Oft dringt die erste Frau darauf^
dass noch eine zweite geheirathet wird, um ihr die schweren Arbeiten theilweise
abzunehmen; die nachfolgenden Frauen sind ihr untergeordnet und haben die
Verpflichtung, sie zu bedienen; sämmtliche Weiber haben ihre eigenen Hütten.
Ein Häuptling muss wenigstens vier Frauen besitzen, um das gehörige Ansehen
zu geniessen.
Eine höchst eigenthümliche Einrichtung der Kafferfrauen beschrieb vor
einiger Zeit der in Bethel (Britisch Eafferland) stationirte Missionar Beste:
, Weiber du eile sind unter den Raffern nichts Seltenes, wenn es auch dabei nicht
gerade darauf abgesehen ist, das Leben zu nehmen, sondern die Beleidigung schon durch eine
tüchtige Schl&gerei gesühnt erscheint. Bei diesen Duellen geht es auch in aller Form zu.
Die Beleidigte erscheint mit einer Genossin als Zeuge vor der Hütte der Gegnerin und fordert
sie, an einem bestimmten Orte, meist am Flussufer oder sonst entlegenen Stellen, zu einer
bestimmten Zeit zu erscheinen. Meist wird diese Forderung, um dem Stigma der Feigheit
zu entgehen, auch angenommen und die Combattantinnen erscheinen zur festgesetzten Zeit mit
(oder seltener ohne) Zeugen auf dem Kampfplätze. Nachdem sich die Duellanten bis an die
Hüften all und jeder Kleidung entledigt, beginnt der Kampf, jedoch mit keinen anderen
Waffen, als die ein jeder von Natur mit bekommen hat, d. h. Hände und Füsse, Nägel und
Zähne. Wie Furien fahren sie auf einander los, und Eine sucht die Andere im Schlagen imd
Stossen und Kratzen und Beissen zu überbieten. Besondere Bravour beweisen sie gewöhnlich
im Letztgenannten und schnappen nach Allem, was ihnen irgend in den Weg kommt, und
wehe der armen Nase, Ohr, Finger, oder was ihnen sonst zwischen die weissen, scharfen
Zähne geräth; da ist kein Entrinnen, und manche Duellantin trägt für zeitlebens ein Mal und
Denkzeichen davon. Soweit der Athem irgend reicht, wird dabei natürlich auch geschimpft
und geflucht, bis endlich der eine Kämpfer nicht mehr kann und sich für überwunden erklärt.
Niemand wird es einfallen, etwa zu versuchen, die Kämpfenden zu trennen/
Bei den Marolong, einem Betschuanen-Stamme, wird ebenfalls die Braut
den Eltern abgekauft Je vornehmer sie ist, oder je reicher der Bewerber, um
so theurer muss er sie bezahlen. Ein Mädchen wird selten unter 5 Stück Vieh
abgegeben, und der höchste Preis, welchen Cameron erlebte, waren deren 48.
Ist man Handels einig geworden, so sorgt der Bräutigam flir eine neue Hütte^
und die beiderseitigen Schwiegereltern geben ein Fest, je nach ihren Mitteln.
Der Vater der Braut bringt dem Gatten seine Tochter in die Hütte. Zu-
weilen kommt es vor, dass die junge Frau dem alten Herrn durchaus nicht
zugethan ist und ihn trotz des Kaufpreises und des Festessens ihre Nägel
und Zähne in energischer Weise kosten lässt. Auf die Jungfrauschaft legt der
Marolong hohen Werth; sieht er sich betrogen, so kann er die Braut zurück-
senden und sein Vieh zurückverlangen, ebenso im Falle die Frau unfruchtbar
ist. Verführer müssen logischer Weise dem Vater Entschädigung zahlen. Ge-
schlechtlicher Verkehr mit Europäern wurde ehemals mit dem Tode bestraft.
Früher wohnte das junge Paar so lange bei den Eltern der Frau, bis das erste
Kind geboren war, welches dann als Ersatz für die Mutter bei dem Vater der-
selben verblieb. (Joest.)
Unter den Herero nimmt die Tochter des Häuptlings eines Dorfes eine sehr
hervorragende Stellung ein. Sie hat das heilige Feuer in ihrer Hütte zu ver-
wahren und dasselbe als Zeichen zum Beginn des Melkens gegen Abend ins Freie
zu bringen. Sie hat ferner die Knaben den verschiedenen Kasten zuzutheilen, in
welche die Herero geschieden sind. Jede Kaste darf nur Rinder von bestimmter
Farbe haben. (Pechuel-Loesche^)
Bei Gelegenheit eines Besuches, welchen Wangemann dem Bawaenda-
Häuptlinge Pafudi im nördlichen Transvaal abstattete, trat bald auch die
Königin, seine vornehmste Frau, ein. Sie nahte knieend und mit demüthigen
Fingerbewegungen und setzte zubereitete Kafferpappe und Zukost in saurer Milch
ihm und dem Häuptlinge vor. Im Gebiete der Batlakoa, erzählt Wangemann
weiter, gingen bei ihnen Weiber vorbei; sie warfen sich erst in anbetender Haltung
426
LXVL Die sociale Stellung des primitiyen Weibes.
vor den Grossen nieder und machten mit den Fingerspitzen der zusammengelegten
Hände gewisse Bewegungen, die Ehrfurcht bedeuten; dann krochen sie in dieser
selben Haltung yorüber als Bezeigung der Ehrfurcht.
Merensky sagt von den Basutho in Transvaal:
«Die Weiber eines Idannes vertragen sich, weil jede von ihnen getrennte Wirtbschaft
führt. Jede hat einen eigenen Hof, ein eigenes Haus, auch eigenen Garten und in Folge
dessen eigene Eomvorräthe. Der Mann haust zeitweilig in der einen Wirthschaft, dann wieder
Fig. 369. Xosa-Kaff er- Weiber, Baamaterialien zum Hausbau tragend.
(Nach Photogpraphie.)
in einer anderen. Jede Frau aber ist verpflichtet, ihm täglich Speise zu bereiten und dorthin
zu bringen, wo er residirt. Die Stellung der Frau ist keine sclavenartige, ihre Pflichten sind
durch die Volkssitte festgesetzt, diese muss sie erfüllen, geniesst aber sonst viele Freiheit, und
selbst ihr Komvorrath darf vom Manne nicht ohne ihren Willen angetastet werden. Zänkische
und herrschsüchtige Frauen giebt es überall, und auch unter den Basutho gerilth mancher
Mann schneller oder allmählicher unter den Pantoffel seiner Frau oder Frauen. Im Allge-
meinen nehmen die Frauen keine verachtete Stellung ein, man kann sogar sagen, dass ihre
419. Die sociale Stellung des Weibes bei den afrikanischen Völkern.
427
Stellung die der Gleichberechtigung mit den Männern ist, denn Vergehen an Weibern werden
ebenso bestraft, wie.solchei die an Männern begangen sind.'
Für die niedere Stellung des Weibes im centralen Afrika zeugt eine
Episode, welche jMcgues und Storms erzählen:
' «Dans un yillage le bruit se r^pand tout k coup qu'une chevre vient d*§tre enley^ par
un crocodile. Tout le monde acconrt; on se lamente sur la perte que cet accident occasionne
Fig. 370. Crobo-Mädchen von der Ooldküste (West-Afrika), in einem grossen Holzmörser
Getreide stampfend. (Nach Photographie.)
ä son propri^taire. Mals non, ce n'etait pas une chäyre, c'^tait une femme! Tout le monde
s'en va.*
Bei den Aschanti steht nur dem Häuptling das Recht zu, seine Frau zu
verkaufen. Das Weib der Denka ist die Sclavin des Mannes und vom Erbrechte
ist sie ausgeschlossen; sie geht mit dem ganzen Nachlass in den Besitz des
Erben ihres Gatten über.
428 LXVI. Die sociale Stellung des primitiven Weibes.
Bei den Mangandsclia ist die Stellung der Frauen eine weniger gedrückte,
als bei den benachbarten Yolkem. Bowley schreibt dies dem Umstände zu, dass
sie Ackerbau treiben. Die Frauen werden von den Männern angekauft, doch nur
symbolisch, denn nur ein Huhn ist das herkömmliche Geschenk an die Eltern der
Braut. Es ist bezeichnend, dass diese Frauen sogar die Würde eines Häuptlings
erlangen können.
Die nomadisirenden Araber der Sahara betrachten das Weib als die Sclavin
des Mannes. Aber nach Chavanne geniesst sie doch immerhin eine gewisse Frei-
heit; sie geht unverschleiert und übt zuweilen eine merkliche Herrschaft über den
Ehegemahl aus; Pantoffelhelden sind auch in der Wüste unter den Zelten zu
finden. Gestattet der Besitz des Mannes den Ankauf einer oder mehrerer Sclayinnen,
so ist selbstverständlich das Loos der Frau insofern ein weit besseres und ange-
nehmeres, als sie sich nicht den drückenden häuslichen Arbeiten unterziehen muss,
die ihr im Gegenfalle obliegen. Denn auf ihren Schultern ruht das Herbei-
schleppen von Wasser und Feuerungsmaterial, das Mahlen der Gerste zwischen
zwei Steinen, das Melken der Kameele und Schafe, die Zubereitung der Speisen u. s. w.«
wozu noch das Weben der Stoffe in der übrigen Zeit tritt, denn der Burnus und
Haik, den ihr Herr trägt, die Pferdedecken, die Teppiche, auf ^enen der Herr
seine Glieder streckt, ja das Zelttüch, unter dem die Familie wohnt, das alles ist
ihrer Hände Werk. Jung ist sie noch der Gegenstand grosser Aufmerksamkeit;
sind aber ihre Beize verblüht, so sinkt sie zur Dienerin ihres Herrn und seiner
Neuvermählten herab.
Bei dem Berber-Stamm der Tuaregs in der Sahara nehmen die Frauen
in socialer Beziehung eine ziemlich hohe Stelle ein. Obgleich die Tuaregs sich
zum Mohamedanismus bekennen, herrscht unter ihnen der strengste Monogamismus.
So wie unter den Männern kaum einer zu finden ist, der nicht des Lesens imd
Schreibens kundig wäre, ist dies auch bei den Frauen der Fall. Das weibliche
Geschlecht ist in seiner Bewegung so wenig beschränkt wie die europäischen
Frauen. Die Frau steht ihrem Gatten als gleichberechtigte Lebensgefährtin zur
Seite; sie ist Herrin des gemeinschaftlichen Vermögens, welches sie verwaltet,
während den Mann die äusseren Beziehungen des Stammes, der Krieg und die Jagd,
beschäftigen. Ihr steht das Vorrecht zu, dass die Vornehmheit ihres Stammes sich
auf ihre Binder vererbt. Verbindet sich ein vornehmer Tuareg mit einem
Mädchen niederen Stammes oder mit einer Leibeigenen, so geht nicht der Rang
des Vaters, sondern der der Mutter auf die Kinder über. An äusseren Beizen
stehen sie den berühmten Schönheiten von Bhadames nicht nach; wohl aber
haben sie vor diesen die musterhafte Sittenstrenge und den Nymbus der Unnah-
barkeit voraus, was ihnen zu um so grösserer Ehre gereicht, als sie sich der
grössten Freiheit erfreuen. Die Tuaregfrauen sind wahrhafte Amazonen; sie be-
gleiten ihre Männer auf die Jagd, tummeln Rosse und Reitkameele mit nicht ge-
ringerer Fertigkeit als die Männer, und nehmen selbst an den Razzias und an den
Kämpfen thätigen Antheil.
Von anderen Berber-Stämmen habe ich in einem früheren Abschnitte schon
berichtet, dass ihre mannbaren Mädchen sich in den Städten prostituiren, um sich
eine Mitgift zu erwerben. Namentlich sind es die üled Nail, welche die
Figuren 203 und 204 vorftlhren. Jemehr solch eine ^Jungfrau* erworben hat,
um so grösser ist ihre Aussicht auf eine baldige Ehe.
Bei den Guanches auf den Canarischen Inseln trafen die Spanier bei
ihrer ersten Ankunft eigenthümliche Verhältnisse an. Auf Lancerota herrschte
Polyandrie, aber immer nur einer der Männer galt als das Oberhaupt der Familie.
Als solcher wurde er jedoch nicht länger als während eines Mondumlaufes aner-
kannt; dann trat ein Anderer an seine Stelle, während er selber von jetzt an
wieder zu dem Hausgesinde gehörte, bis er wiederum an die Reihe kam.
(v, Humboldt.)
Fig. 371. Araberiu ans Algerien, auf einer steinernen Haudmühle Getreide mahlend.
(Nach Photographie.)
480 LXVI. Die sociale Stellung des primitiven Weibes.
Unsere Figuren 87 und 88, sowie 368 bis 371 zeigen afrikanische Weiber
bei der Arbeit. Fig. 368 führt uns eine junge Fellachin aus Aegypten vor,
welche einen colossalen Wasserkrug auf ihrem Kopfe trägt. In Fig. 371 ist eine
Araberin aus Algerien dargestellt, welche auf einer Handmühle Getreide mahlt.
Diese Handmühle, aus zwei kreisförmigen Steinen gebildet, von denen der eine
sich auf dem anderen dreht, hat genau die gleiche Form, wie wir sie bei den
alten Römern finden.
Für gewöhnlich wird bei den afrikanischen Völkern das Getreide in
anderer Weise gemahlen, nämlich so, wie es in prähistorischen Zeiten auch in
Deutschland gebräuchlich gewesen ist. Das Getreide wird auf einen grossen,,
flachen Stein geschüttet, und die Frau zerreibt es auf diesem mit Hülfe eines
faustgrossen rundlichen Reibesteins. Meistens muss diese anstrengende Arbeit
von den Weibern im Knieen ausgeführt werden, wie wir es in Fig. 87 bei
der Frau aus der Colonie Eritrea und in Fig. 69 bei einer Xosa-Kaffer-
frau sehen; letztere trägt hierbei auch noch ihr kleines Kind auf dem Rücken.
Aber in einigen Gegenden Afrikas wird auch das Getreide in grossen Mörsern
zerstampft; d&ese Arbeit, von C r ob o -Mädchen aus dem Hinterlande der Gold-
küste ausgeübt, führt uns Fig. 870 vor. In Fig. 369 endlich sind Weiber der
Xosa-Kaffern dargestellt, welche sich mit schweren Materialien zum Bau von
Hütten schleppen müssen.
420. Die sociale Stellung des Weibes bei den Tolkerschalten Asiens.
Bei den Yolksstämmen Arabiens ist die Stellung der Frau eine wenig
geachtete; gewisse arabische Theologen verweigern ja selbst dem Weibe einen
Platz im Paradiese. In Mekka gewährt man ihnen keinen religiösen Unterricht.
In allen Dingen sind sie die Sclavinnen der Männer. Bei dem nomadisirenden
Tribus der Asyr führte der Vater die heirathsfahige Tochter festlich geschmückt
auf den Markt und rief: »Wer kauft eine Jungfi-au?" Das Verleihen des Weibes
für die Nacht an den Gastfreund war eine ganz gewöhnliche Sitte; nur die jungen
Mädchen sind von dieser Pflicht befreit. Noch zur Zeit der Propheten schlössen
die Araber Zeitehen (Motä-Heirathen) gegen eine Hand voll Datteln oder
Mehl. Diese wurden von Omar verboten. Sachau hatte bei den Beduinen der
Wüste mehrfach die Männer ihre Frauen schlagen sehen. Die Weiber werden
gekauft, und ein Mädchen, das auf Ehre hält, wird nur denjenigen Mann heirathen,
der viele Ghazas (Fehden) mitgemacht hat und den Kaufpreis für sie in solchen
Eameelen und Pferden bezahlen kann, die er auf seinen Raubzügen erbeutet hat.
Vielweiberei ist natürlich gestattet, findet sich aber fast nur bei reichen Leuten.
Die Weiber hausen in der Frauenabtheilung zusammen; durch Strohmatten pflegt
man in derselben für jede Frau einen gesonderten Wochenraum abzutheilen.
Grosse Scheikhs halten wohl auch für jede Frau ein besonderes Zelt, welches
neben dem grossen Zelte auf der rechten Seite steht.
Auf der Wanderschaft reitet die Gattin des Reichen mit ihren Kindern in
einem grossen bequemen Kameelsattel, während die Frau des armen Mannes das
Küchen- und Bettgeräth und oben darauf ihr Kind trägt und hinter dem Kameel
einhergeht, auf dem ihr Gatte Platz genommen hat.
Wahrend die Shemmar-Beduinen im Euphrat-Tigris-Thale am Feuer
kauern, müssen nach Sachau ihnen die Weiber die Nahrung besorgen, das Wasser
holen; mit der Axt geht die Frau in die Steppe hinaus, haut dort Pflanzen ab,
legt sie zusammen zu einem grossen Haufen, nimmt ihn auf den Rücken und
trägt ihn zum Zelt, wo sie ihn vor der Männerabtheilung niederwirft, damit die
Männer behaglich sich wärmen und das Lagerfeuer unterhalten können.
Bei den Afghanen repräseutiren die Mädchen nach Elphinstone einen be-
stimmten Geldwerth, der sich auf 60 Rupien beziffert. Sie werden auch direkt
420. Die Bociale Stellung des Weibes bei den Völkerschaften Asiens.
431
als Zahlungsmittel benutzt: 12 Mädchen schuldet man für einen Mord, 6 Stück
für die Verstümmelung einer Hand, eines Ohres oder einer Nase, 3 für einen
Zahn u. s. w.
lieber die Polyandrie, welche bei mehreren Völkern im Himalaja
herrschend ist, haben wir früher schon ausführlich gehandelt. Man müsste von
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es
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vornherein erwarten, dass hierdurch ein nicht unerheblicher Ueberschuss an
Weibern sich bemerklich mache. Drew vermochte in Ladak hierüber nichts
Genaueres festzustellen; er fand nicht, dass es viele alte Jungfrauen gäbe, und
die Zahl der Nonnen war geringer, als die der Mönche. Nach seiner Ansicht
ist es nicht unwahrscheinlich, dass in Folge der Polyandrie die Zahl der weib-
484 LXVI. Die sociale Stellang des primitiven Weibes.
frauen halt. Sie bekommt mannigfache Arbeit aufgebürdet: sie hat Kinder und
Heerden zu hüten, Speisen und Kumys zu bereiten, Pilze und Decken herzu-
stellen, Kleidung zu nahen, die Zelte abzubrechen u. s. w.; allein bei den
schweren Leistungen sind ihnen doch auch die Männer behülflich. Beleidigung
eines Weibes wird härter bestraft, als die eines Mannes ; auch ist die Frau, wenn
sie sich auf dem ihr gebührenden Platz in der Wohnstube befindet, eine unver-
letzliche Person. Bisweilen allerdings überlässt auch hier der Gatte die Frau
einem Anderen.
, Viele Kalmücken, sagt Pallas, pflegen ihre Kinder nicht nur in der ersten Kindheit,
sondern sogar schon im Mutterleibe Bedingungsweise zu verloben, nemlich auf den Fall,
wenn Ton den contrahirenden Partheyen der einen ein Knabe und der andern ein Mfidchen
gebohren werden sollte, und diese frühzeitigen Verlobungen werden heilig gehalten. Die
jungen Leute w^den aber gemeiniglich erst im yierzehnten Jahxe oder noch später zusammen
gegeben. Indessen sind dem Bräutigam schon zwei Jahre vor der Verlobung kleine Frey-
heiten bey der Braut erlaubt, doch muss er, wenn vor der Hochzeit eine Schwängerung er-
folgt, es bey den Brauteltem durch Geschenke gut machen.'
Die Stellung der Weiber bei den Tun'gusen ist eine untergeordnete, aber
im allgemeinen werden sie doch von ihren Männern nicht schlecht behandelt.
Letztere haben zwar das Recht, sie zu schlagen, wenn sie aber hierbei verletzt
werden, so wird ihr Gatte hart bestraft. Die Unterordnung der Frau zeigt sich
hauptsächlich bei den Arbeiten, in welchen sie nie von ihrem Manne unterstützt
wird; femer in der Absonderung im Hause; so gebort z. B. in der Jurte die
rechte Seite vom Eingange ausschliesslich dem Manne, die linke der Frau«
Der Samojede aber sieht die Frau geradezu als ein unreines Wesen an,
und er muss sogar die Berührung eines Gegenstandes, welcher einem Weibe an-
gehört, auf das Sorgfaltigste vermeiden. (Kickisch.)
PaUas äussert sich über die Samojedinnen folgendermaassen:
„üeberhaupt ist das arme Weibsvolk bei den Samo jeden noch unglücklicher un4
schlechter gehalten als bei den Ostjaken. Unter dem steten Hin- und Herwandem dieses
Volkes müssen die Weiber ausser aller Hausarbeit, die ihnen obliegt, auch allein die Hütte
aufschlagen und abbrechen, von den Schlitten ab- und aufpacken und sich bei dem allen
noch ihren Männern höchst sclavisch zu Dienst stellen, welche sie dagegen, einige verliebte
Abende ausgenommen, kaum eines Anblicks oder eines guten Wortes würdigen, und es sich
an den Augen absehen lassen, was sie verlangen. Dieses ist noch nicht genug: die Weiber
werden von den ungesitteten Samojeden sogar als unreine Geschöpfe betrachtet. Wenn
ein Weib ihre Hütte aufgeschlagen hat, so darf sie eher nicht hinein, bis sie zuerst sich, dann
Alles, worauf sie gesessen, den Schlitten nicht ausgenommen, und endlich jedes Stück, welches
sie in die Hütte trägt, über einem kleinen Feuer mit Rennthierhaar ausgeräuchert hat. Wenn
sie die vom auf den Schlitten gebundenen Kleider losbinden will, so darf sie es nicht von
oben thun, sondern muss unter den Schlittenstangen, woran das Rennthier gespannt ist,
durchkriechend sich dabei bemühen. Ebenso darf auf der Reise kein Weib quer durch die
Reihe hinter einander folgender Rennthierschlitten gehen, sondern muss entweder den ganzen
Zug umlaufen oder unter den Schlittenstangen durchkriechen. In der Hütte sogar wird der
Thür gegenüber ein Stab eiugepflanzt, welchen das Weib nie überschreiten darf, sondern
wenn sie wegen Verrichtungen von der einen zur anderen Seite übergehen will, so muss sie
bei der Thür vorbei um das Feuer gehen. Denn die Samojeden glauben fest, dass, wenn
ein Weib die ganze Hütte umgeht, der Wolf gewiss in selbiger Nacht ein Rennthier frisst.
Und diesen Aberglauben haben die Ostjaken, welche Rennthiere halten, gleichfalls ange-
nommen. Aus einem anderen Aberglauben darf auch kein Weib oder erwachsenes Mädchen
etwas von einem Rennthier geniessen. Sie dürfen auch nicht mit den Männern zusammen
essen, sondern sie bekommen den Ueberrest. Die Augen eines erlegten wilden Rennthiers
werden an einer Stelle begraben, wo nicht leicht ein Weib oder erwachsenes Mädchen dar*
Über schreiten kann, weil dies die Jagd verderben soll.*
Bei den Lit-si auf Hain an haben die Frauen in allen Dingen das ent-
scheidende Wort, dem sich die Männer bedingungslos unterwerfen. Sie beschäftigen
sich mit dem Ackerbau, während die Männer der Jagd obliegen. (Wolter.)
28»
436 LXVI. Die sociale Stellung des primitiven Weibes.
Die Stellung der Frau in Korea ist eine sehr untergeordnete; sie f&hrt
nach den Mittheilungen franzosischer Missionare keine moralische Existenz.
Die Frau gilt dem Koreaner entweder als Werkzeug des Vergnügens oder der
Arbeit, niemals aber als eine ebenbürtige Genossin. Ihre ganze Stellung ist damit
gekennzeichnet, dass sie keinen Namen führt. In der Kindheit erhält sie inner-
halb der Familie einen Rufnamen; für die XJebrigen ist sie einfach die Schwester
oder Tochter von dem oder jenem. Nach ihrer Yerheirathung ist sie ganz namenlos.
Sie wird gewöhnlich nach dem Ort ihrer Yerheirathung oder dem Kirchspiel,
in dem sie geboren ist, genannt. Die Frauen der niederen Klassen müssen hart
arbeiten, denn die Feldarbeit liegt meist ihnen ob. Ein Koreaner von höherem
Stande unterhält sich nur gelegentlich mit seiner Frau, auf welche er gering-
schätzig herabsieht. Nach der Ehe leben die vornehmen Koreanerinnen ab-
geschlossen in ihren Oemächem und dürfen sogar ohne die Erlaubniss ihrer
Männer nicht auf die Strasse hinunter blicken. Dabei werden sie auch sonst auf
das Eifersüchtigste gehütet ^ und es ist mehrfach vorgekommen, dass Väter ihre
Töchter, Männer ihre Frauen und Frauen sich selbst getödtet haben, weil sie von
Fremden berührt worden waren. Hat ein Mann etwas auf seinem Dache machen
zu lassen, so setzt er seine Nachbarn in Kenntniss, damit sie Thür und Fenster
der Frauengemächer sorgfaltig verschliessen. (Ausland.)
Reisende vermochten auch in den geringsten Hütten selten eine Frau zu
erblicken, und wenn sie welchen auf der Landstrasse begegneten, bogen dieselben
entweder unter einem rechten Winkel ab, oder standen, mit dem Rücken gegen
die Reisenden, still, bis dieselben vorbei waren. In der Umgebung der Stadt
Hessen nur Sclavinnen ihr Oesicht sehen, während ihr Kopf und ihre Schultern
in die Falten eines Mantels eingehüllt waren; aber auf dem Lande erschien diese
Etiquette etwas abgeschwächt. (Petermann.)
Aeusserlich aber ist die Behandlung der Frau eine achtungsvolle; mi^n redet
sie stets mit ehrerbietigen Worten an; die Männer machen ihr auf der Strasse
Platz, selbst der Frau der niederen Stönde. Die Gemächer der Frau sind sogar
den Gerichtspersonen nicht zugänglich.
Die Heirath wird von den Vätern beschlossen und die Ehe steht in hohem
Ausehen; nur ein Verheiratheter gilt etwas in der Gesellschaft und kann zu Amt
und Würden gelangen. Man erkennt die Verheiratheten an ihrer Frisur; denn
dann trägt die Frau das Haar aufgeknotet. Am Vorabend der Hochzeit bindet
eine Freundin der Braut das jungfräuliche Haar in einen Knoten über den Kopf.
Mit noch grösserer Förmlichkeit geht die Frisurveränderimg bei dem Bräutigam
vor sich; sie ist der wichtigste Wendepunkt seines Lebens.
Am Hochzeitstage muss die Braut vollständiges Schweigen bewahren; das
ist allen Fragen und Beglückwünschungen gegenüber ihre Pflicht. Eine Ehe gilt
als geschlossen, wenn sich die Brautleute vor Zeugen mit einem Gruss zunicken.
Verheirathete Frauen tragen zwei Ringe am Goldfinger. Nach sechzigjähriger
Ehe wird die „goldene Hochzeit' gefeiert. Während Polygamie nicht gestattet
ist, ist das Halten von Kebsweibem eine stehende Einrichtung. Zur ehelichen
Treue ist nur die Frau verpflichtet, nicht der Mann. Eine die Stellung des
Weibes gegenüber dem männlichen Geschlechte recht kennzeichnende Sitte ist es,
dass ein junger Bräutigam von Adel nach seiner Verlobung drei bis vier Tage
bei seiner Braut verbringt, darauf sie aber auf lange Zeit verlässt und zu seiner
Concubine zurückkehrt, „um zu beweisen, dass er sich nicht viel aus ihr macht *".
Lässt sich ein Mann von seiner Frau scheiden, so darf er sich bei ihren Leb-
zeiten nicht wieder verheirathen, aber er darf Concubinen halten, soviel er er-
nähren kann. Die Kluft zwischen Mann und Frau der höheren Stände beginnt
schon früh ; nach dem Alter von 9 oder 10 Jahren werden die Kinder nach ihrem
Geschlechte getrennt; die Söhne bleiben in den Räumen des Vaters, die Mädchen
in denen der Mutter. (Ausland.)
420. Die sociale Stellung des Weibes bei den Völkerschaften Asiens.
437
Asiatische Weiber bei der Arbeit führen unsere Figuren 89 und 372 bis
376 vor. In Fig. 373 sehen wir wieder, ähnlich wie in Fig. 370, eine Frau damit
beschäftigt, Reis in einem grossen Holzmörser klein zu stampfen. Es ist ein
Banao-Weib aus Balbalassan auf der Insel Luzon (Philippinen). Sie be-
dient sich ebenfalls zu ihrer Arbeit eines ungeheuren hölzernen Stössels und trägt
dabei ihr Kind auf dem Oesäss, das sich mit seinen Händchen und Beinchen fest
Fig. 376. Javanische Weiber beim Beiskochen.
(Nach Photographie.)
an den Körper der Mutter anklammert. Fig. 374 zeigt uns eine Malayin aus
Java, welche mit einem grossen Messer eine Anzahl Kokosnüsse von ihrer Schale
befreien und dieselben aufmachen muss. Die mühselige Arbeit in den sumpfigen
Reisfeldern sehen wir in Fig. 89 einige japanische Weiber ausführen.
Eine Hauptarbeit des weiblichen Geschlechts ist überall die Herstellung der
Kleidungsstücke. So finden wir in Fig. 375 ein Pepohoan-Weib ausFormosa
438 LXVI. Die sociale Stellung des primitiven Weibes.
am Webstuhl. Die Pepohoans sind Eingeborene der Insel, welche chinesische
Civilisation angenommen haben. Die Arbeit wird im Sitzen auf der Erde yer-
richtet, wobei die Frau ihre Füsse gegen ein trogähnliches Holzgestell stemmt,
an welchem das Gewebe (die Kette) befestigt ist; an dem anderen Ende ist eine
Schnur angebracht, welche der «Frau über dem Bücken fortgeht , so dass sie auf
diese Weise das Gewebe zu spannen vermag. Sie stellt ein Kleidungsstück aus
Grasfasem her, wie es fUr gewöhnlich getragen wird. Auch die Fig. 372 führt
uns Weiber bei der Arbeit des Webens vor. Es sind malayische Mädchen,
welche jedoch an einem ganz anders construirten Webstuhle wirken, als wir ihn
bei der Formosanerin kennen gelernt haben.
Auch in das Allerheiligste des Weibes, in die Küche erhalten wir einen
Einblick. Fig. 376 zeigt uns javanische Weiber, die mit der auf dieser Insel
sehr wichtigen Arbeit, mit dem Reiskochen« beschäftigt sind.
LXVn. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten
Culturvölkern.
421. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten CulturTolkern Asiens
und ihren Nachkommen.
Obgleich wir über die Stellung des Weibes bei den alten Sumeriern und
Akkadern, welche Babylonien bewohnten, nur ausserordentlich wenig wissen,
so muss dieselbe doch, wie Hammel meint, eine geachtete gewesen sein, da in
den uns erhaltenen Texten stets die Mutter dem Vater, das Weib dem Manne
vorangestellt wird. Das Halten you Kebsweibem war dem Manne erlaubt, aber
dieselben scheinen der Gattin gegenüber den Bang einer Sclayin eingenommen zu
haben. Es galt für eine Schande ftir sie, wenn der Eheherr nicht mit ihnen
geschlechtlich verkehrte. Eine ihrer Beschwörungsformeln, welche allerlei Unheil
abzuwenden sucht, richtet sich nach Lenormant auch gegen
,die Sclavin, welche zam Weibe
kein Mann erkor;
die Sclavin» welche die Umarmangen ihres Gatten
durch ihren Reiz
nicht erwarb;
die Sclavin, die in den Umarmungen
ihres Gatten den Schleier nicht verlor;
die Sclavin, welcher der Gatte in seinen Gunstbezeigungen
die letzte Hülle nicht abnahm.*
Der ffleiche Gedanke wiederholt sich auch noch in einer anderen Be-
schwörungsformel.
Die Stellung der Frau in Indien unterlag einem Wechsel, der völlig Hand
in Hand ging mit den culturellen Zustanden, welche sich in dem Lande vollzogen.
In der Zeit, die man die vorvedische nennt, war die Frau dem Manne und der
Priesterin ,,der allgemeinen Mutter ** gleich; in der vedischen Zeit war sie noch
die Gefährtin des Mannes beim Opfer und im Kriege; während des durch die
Brahmanen vollzogenen religiösen üeberganges blieb sie nur noch Mutter der
Familie; in der Zeit der phUosophischen Speculationen wurde sie schliesslich zur
Sclavin unter dem Despotismus der Priester und der Könige. So trugen die
Frauen alle Folgen der Grösse und des Niederganges Indiens, das frei war mit
der freien Frau und sclavisch mit der sclavischen.
Als das Kastenwesen sich ausgebildet hatte, war das Weib die Sclavin des
Gatten, die Tochter das Eigen thum des Vaters, und die Mutter musste ihren
Söhnen gehorchen. Selbst die älteste Priesterin der Nari, der allgemeinen Mutter,
440 LXVII. Die sociale Stellung dea Weibes bei den alten Caltoryölkem.
welche allein das Recht hatte, der Natur Opfer darzubrigen, war genothigt, sich
unter die unbedingte Autorität des Mannes zu beugen. (Jacöüiot.)
In dem Gesetzbuche Manus heisst es:
,Man muss sich bemühen, die Weiber vor schlechten Neigungen zu bewahren; wenn
sie nicht überwacht sind, so bringen sie Unheil in die Familie. , Weiber sind von Natur
immer zur Verführung der M&nner geneigt; daher muss ein Mann selbst mit seiner nächsten
Verwandten nicht an einem einsamen Orte sitzen." .Der Unehre Ursache ist das Weib, der
Feindschaft Ursache ist das Weib, des weltlichen Daseins Ursache ist das Weib; darum soll
man das Weib meiden.* Demgemäss muss das weibliche Geschlecht gegenüber dem männ-
lichen in völliger Abhängigkeit gehalten werden: „Ein M&dcheu, eine Jungfrau, eine Gattin
soll niemals etwas nach ihrem eigenen Willen thun, selbst nicht in ihrem eigenen Hause.'
Schliesslich heisst es: „Ihrem Manne soll ein Weib mit Achtung ihr Leben lang dienen und
ihm auch nach seinem Tode noch anhängen* und, wenn auch der Mann sich tadelnswerth
betrüge und anderer Liebe sich zuwendete und guter Eigenschaften ledig wäre, so soll ein
gutes Weib ihn dennoch wie einen Gott yerehren; sie darf nichts thun, was ihm missfällt,,
weder bei seinem Leben, noch nach seinem Tode/
Die Tochter frühzeitig zu verehelichen, ist eine heilige Pflicht des Vaters.
Bleibt eine Ehe kinderlos, so wird das als ein grosses Unglück betrachtet, und
nicht selten dringt dann die Frau selber darauf, dass der Gatte noch eine Andere
freie. Auch die Verbindung mit Nebenweibem aus niederen Kasten ist ihm ge-
stattet. Es ist in solchen Fällen aber auch gesetzlich erlaubt, dass durch den
Bruder des Ehemanns oder den Nächsten nach diesem, jedenfalls aber durch einen
Mann desselben Geschlechts, selbst bei Lebzeiten des Ehemanns mit dessen Willen
ein Sohn erzeugt werde. Nach dem Tode desselben kann dies durch seinen jüngeren
Bruder geschehen, doch immer ohne Fleischeslust.
Bei den heutigen Hindu bildet der Haushalt den Mittelpunkt des taglichen
Lebens ; aber das Haus, namentlich der höheren Kasten, ist nicht leicht für Ändere
zugänglich ; es ist in jeder Beziehung ein Heiligthum, in welchem der Vater eine
fast unumschränkte Autorität ausübt. Nächst dem Oberhaupte der Familie steht
dessen Gattin, deren Stellung sehr mannigfaltige und schwierige Pflichten umfust,
besonders in Achtung. Ihre Haupttugend ist die Sparsamkeit, denn der Charakter
der Hindu ist jeder Verschwendung abgeneigt. Ausserdem ist die Hindufrau
ein Muster von Hingebung, Keuschheit und Selbstlosigkeit. Sie besitzt natür-
lichen Verstand und gutes Gedächtniss, ist aber meist wenig gebildet, trotzdem
liegt der Unterricht der Töchter fast ausschliesslich in ihren Händen.
Sämmtliche weibliche Personen des Haushaltes führen ein sehr abgeschlossenes
Leben, ja genau genommen sind sie eigentlich auf den blossen Umgang mit den
Kindern beschränkt. Ohne Erlaubniss des Familienvaters dürfen sie das Haus
nicht verlassen, selbst kaum die äusseren, für die Männer bestimmten Räume des
Wohnhauses betreten. In Gegenwart der Schwiegermutter oder einer älteren
Frau dürfen sie nicht den Schleier lüften oder die Lippen öffnen, um mit ihrem
Manne zu sprechen. In Gegenwart von Männern zu essen, gilt für höchst un-
schicklich; deshalb kauern die Frauen zur Essenszeit auf der Erde und warten^
bis die Männer ihre Mahlzeit vollständig beendigt haben. Sie, sowie ihre Kinder
müssen dreimal täglich baden und ihre Kleider wechseln; würden sie diese Pflicht
der Reinlichkeit versäumen, so dürften sie keinerlei häusliche Arbeit zur ELand
nehmen. Ihre Erholungen sind sehr eingeschränkt; einige lesen, andere, welche
diese Kunst nicht verstehen, zerstreuen sich durch Handarbeit und Kartenspiel,
oder hören sehr kindische Erzählungen an, wobei sie eine grosse Vorliebe ffir
alles Phantastische bekunden. Dies liegt übrigens im indischen Volkscharakter
Überhaupt. Im Uebrigen werden aber schon im zarten Alter von fünf Jahren
die Gedanken der Mädchen auf die Ehe gelenkt und sie beten dann bereits um
zärtliche und treue Gatten.
Bei den alten Chinesen hatte Confucius die folgenden Anordnungen ge-
troffen: Der Mann und die Frau bewohnen zwei getrennte Abtheilungen des
421. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten Culturyölkem Asiens etc. 441
Haases; sie sollen überhaupt nichts gemeinsam haben; der Mann soll nicht von
den inneren Angelegenheiten, die Frau nicht von den äusseren sprechen. Wenn
Mann und Frau einander antworten, verneigen sie sich gegen einander. Solche
Trennung konnte freilich nur bei den Reichsten durchgeführt werden: Bürger-
und Bauerfrauen mögen wohl stets das Hauswesen und das Feld mit den Männern
gemeinsam besorgt haben. Confucias fordert aber ausdrücklich, dass die Frau
dem Manne unterworfen sei; sie konnte über nichts verfügen. Im zwanzigsten
Jahre soll das Mädchen verheirathet werden; die Ehe wurde aber nicht nach
Neigung, sondern durch einen Heirathsvermittler von den Eltern geschlossen;
doch ist erforderlich, dass die beiden Familien verschiedene Familiennamen führen.
Kauft Jemand daher eine zweite Frau und weiss deren Familiennamen nicht, so
befragt er deshalb das Loos. Wenn die Oattin unfruchtbar war, so durfte der
Mann eine zweite Frau nehmen, doch war diese der ersten untergeordnet und
ihre Kinder nannten diese Mutter; dieselben fuhren den Namen des Vaters und
sind erbfähig. Die Heirath mit einer solchen Nebenfrau ist minder feierlich, als
die erste. Flath sieht als den Grund hierfür den Ahnendienst an, welcher bestrebt
ist, das Geschlecht nicht aussterben zu lassen.
Die Frauen der ärmeren Erlassen in China müssen, wie Giles berichtet,
für ihren Napf voll Reis und Kohl, welcher ihre tägliche Nahrung bildet, hart
arbeiten, aber nicht mehr als eine Frau gleichen Standes in anderen Ländern, wo
die Lebensbedürfaisse theurer, die Kinder zahlreicher und ein trunksüchtiger Ehe-
mann eher die Regel als die Ausnahme bildet. Nun sind die arbeitenden Klassen
in China ausserordentlich nüchtern ; Opium übersteigt ihre Mittel, und nur wenige
sind dem Genüsse chinesischen Weines ergeben. Mann und Frau geniessen
zwar ihre Pfeife Tabak in den Mussestunden, das scheint aber auch ihr einziger
Luxus zu sein. Daraus ergiebt sich, dass jeder vom Mann oder von der Frau
verdiente Cash (etwa 10 Pfennig) für Lebensmittel und Kleidung und nicht zur
Bereicherung der Wirthshäuser ausgegeben wird, wodurch sich Zank und Streit
wesentlich vermindert. Der Armuth wird auch entgegengearbeitet durch die engen
Familienbande, welche nicht nur die Erhaltung betagter Eltern, sondern auch das
Verschenken von Reis an Brüder, Onkel und Cousinen der entferntesten Verwandt-
schaft erfordern, so lange diese arbeitsunfähig sein sollten. Natürlich schlägt ein
solches System zwei Fliegen mit einer Klappe, da die Zeit kommen kann, wo die
genannteu Verwandten ihrerseits für die tägliche Nahrung sorgen.
Die Zahl derjenigen Menschen, welche in China Hunger und Kälte leiden,
ist verhältnissmässig kleiner als in England, und in dieser überaus wichtigen
Hinsicht sind die Frauen der arbeitenden Klassen weit besser daran, als ihre
europäischen Schwestern. Misshandlung der Frauen ist unbekannt, obwohl die
Macht über Leben und Tod unter gewissen umständen in der Hand des Gatten
liegt und eine Frau mit hundert Schlägen bestraft werden kann, wenn sie die Hand
gegen ihren Mann erhebt, der ausserdem auch zur Scheidung berechtigt ist.
Die Frau in den phantastischen Häusern reicher Chinesen wird von
Fremden in der Regel mit noch grösserem Mitleid betrachtet, als ihre ärmeren
Landsmänninnen. Sie wird als blosser Zierrath dargestellt, oder als eine leblose,
gleichgültige Maschine, ein Ding, auf dem manchmal das lüsterne Auge des Gatten
mit Vergnügen ruht, während er den Dampf der Opiumpfeife von sich bläst, der
ihn in einer Stunde in trunkene Vergessenheit senken wird. Sie weiss nichts,
lernt nichts, sie verlässt das Haus nie, sieht nie Freunde, hört keine Neuigkeiten
und ist in Folge davon der leisesten geistigen Erregung bar; weniger eine Gesell-
schafterin des Mannes, als der steinerne Hund an der Hausthür.
Allein nach seinen Erfahrungen urtheilt Giles anders. In Novellen ist die
Heldin z. B. immer gut erzogen, macht ausgezeichnete Verse und citirt Confudus;
und man wird wohl kaum annehmen, dass solche Charaktere in jeder Beziehung
Ideale sind. Ueberdies lernen die meisten chinesischen Mädchen, deren Eltern
442 LXVII. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten Culturvölkern.
in guten Verhältnissen leben, lesen, obwohl allerdings viele sich damit begnügen,
einige hundert Worte lesen und schreiben zu können. Sie lernen alle vorzüglich
sticken, und die kleinen Spielereien, welche an dem Brustbande jedes Chinesen
hangen, sind fast immer das Werk seiner Frau oder seiner Schwester. Die
chinesischen Damen besuchen sich fast taglich, und an manchen Festtagen sind
die Tempel gedrängt voll „ goldener Lilien'' (man vergleiche! 127) jeder Gestalt
und Grösse. Sie geben ihren weiblichen Verwandten und Freunden kleine Gesell-
schaften, bei denen sie klatschen und intriguiren nach Herzenslust. Die erste
Frau liegt allerdings nicht selten mit der zweiten im Streit, und beide machen
dem unglücklichen Ehemann das Haus manchmal unangenehm heiss. Am glück-
lichsten aber fühlt sich eine chinesische Frau, wenn sich die Familie um den
Gatten, den Bruder oder auch den Sohn versammelt, um mit gespannter Auf-
merksamkeit und vollem Glauben auf ein Lieblingskapitel aus dem , Traum der
rothen Kammer* zu lauschen. Sie glaubt es Wort für Wort und durchwandert
das Reich der Phantasie mit demselben Vertrauen, wie je ein Kind des Westens
die wunderbaren Geschichten aus „Tausend und eine Nacht''.
Etwas anders klingt der Bericht, welchen Gray über die Chinesinnen liefert:
,In China war die Stellung der Frau bis in die neueste Zeit eine entsetzliche. Die
jungen Mädchen lebten im Elternhause eingezogen, nur mit Hausarbeit beschäftigt; Jeder-
mann behandelte sie verächtlich; die Vergnügungen ihres Alters blieben ihnen gänzlich un-
bekannt. Man betrachtet sie auch noch heute bei der Verheirathung als Waare; verheirathet
kommt sie noch unerfahren unter wildfremde Leute und muss ihren Schwiegereltern und
neuen Verwandten strengen Gehorsam leisten, sich auch jede harte Behandlung ihres Gatten
gefallen lassen; früher gehOrte es sogar zum guten Ton, seine „bessere Hälfte' zu prügeln;
daher liest man oft Berichte, dass sich Frauen den Tod gaben. In den mit Ausländem in
Berührung gekommenen Theilen Chinas besserte sich jedoch die Lage des weiblichen Ge-
schlechts seit einigen Jahrzehnten, doch schildern auch neuere Reisende das Leben desselben
als ein elendes bei den ärmeren Klassen ; allein Gray erinnert daran, dass bei diesen Klassen
unter sämmtlichen Völkern die Frau hart arbeiten muss; auch behauptet er, dass jetzt das
Prügeln der Frau seitens des Ehemannes fast ganz abgekommen ist; er hat zwar sehr aus-
gedehnte Rechte über Leben und Tod seiner Gattin, aber er übt sie selten aus. Die Frau
des reichen Chinesen ist übrigens nicht blosses „Decorationsstück*, wie man gewöhnlich
glaubt. Bei den Reichen ermangeln nur in den nördlichen Provinzen die Töchter des Unter-
richts; im Süden hingegen lernen dieselben lesen und schreiben; es giebt zahlreiche Mädchen-
pensionate, auch Priyatlehrer in Familien. Die Tornehmeren Damen machen täglich Besuche,
gehen häufig in den Tempel und geben ihren Freundinnen Diners/
Nach Cooper haben die Frauen in China keine rechtliche Stellung, sie
können vor Gericht nicht Zeugenschaft leisten und sind vollkommen Sclaven der
Männer. Der Vater kann seine Tochter verkaufen und der Mann seine Frau;
dieses gilt jedoch nicht für anstandig und es kommt fast nur in den ärmeren
Klassen vor. Der Vertrag, welcher die Bestimmungen des Verkaufs und der Ver-
kaufssumme enthält, wird dann vom Käufer und dem bisherigen Eheherm unter-
schrieben, und der letztere beschmiert, anstatt das Document zu siegeln, die Innen-
fläche seiner rechten Hand und die Sohle seines rechten Fusses mit Tinte und
drückt dieses auf den Vertrag, womit die Uebergabe erfolgt ist. Maitressen zu
halten ist erlaubt und sie leben in demselben Hause mit der rechtmässigen Frau.
Sie werden ohne Förmlichkeiten verkauft, namentlich wenn der Besitzer sich ein-
schränken muss. Die Söhne derselben erben gewöhnlich mit den legitimen zu
gleichen Theilen.
Die Japaner gewähren der Frau weit grössere Freiheit und angenehmere
Existenz, als die Chinesen; bei jenen wird sie schon in höherem Grade als die
Gefährtin des Mannes betrachtet; sie nimmt auch an vielem geselligen Vergnügen
und an geistiger Unterhaltung Theil. Eigentlich ist es den Japanern gesetzlich-
nur erlaubt, eine Frau zu heirathen, die in den höheren Ständen von demselben
Stande sein muss, wie der Mann. Nebenweiber aber, die öflfentlich und gemein-
422. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten Aegyptem. 443
schafUich mit dem Mamie und der rechtmässigen Frau in einem Hause beisammen
leben, können sie haben so viel sie wollen. Das Anhalten um ein Mädchen, die
Verlobung und die Hochzeit werden mit vielen sonderbaren Gebräuchen, bei den
Reichen mit vieler Pracht begangen. Alsbald nach der Verlobung werden die
Zahne der Braut schwarz gefärbt. Während die Fürsten und der Adel und auch
die Reichen ihre Frauen in den inneren Gemächern des Hauses, zu welchen nur
die nächsten Verwandten Zutritt haben, absohliessen, können die Weiber der anderen
Stände ungehindert Besuche machen und annehmen, auch an öffentlichen Orten
verkehren. Es wird ihnen auch schon von der Schulzeit an eine gewisse geistige
Bildung gewährt.
422. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten Aegyptern.
Seitdem man die Hieroglyphen der alten Aegypter entziffern kann, ist
man im Stande, die vorher über ihre eigenartige Gultur bei griechischen und
römischen Schriftstellern gefundenen Nachrichten zu vervollständigen. Durch
die in demotischen Schriftzügen hinterlassenen Vertrage, Contracte, ProtocoUe u. s. w.
der alten Aegypter sind wir mit deren privaten Lebensverhältnissen genauer bekannt
geworden, namentlich durch ReviUotä, der in seiner Chrestomathie d^motique
die Resultate seiner Forschungen mittheilte. So werden auch die rechtlichen Zu-
stände und die Stellung des weiblichen Geschlechts bei den Alt-Aegptern aus
den letzten Jahrhunderten vor Christi Geburt beschrieben. Der Aegyptologe
Ebers sagt hierüber:
«Dem Griechen Herodot, der wie alle Hellenen gewohnt war, dass die M&nner auf
den Markt gingen, w&hrend die Frauen das Haus hüteten, musste es auffallen, dass in
Aegypten die Weiber den Einkauf besorgten, während ihre Gatten zu Hause blieben und
webten; Diodor wollte gehört haben, dass es unter den Aegyptern den Töchtern, nicht
den Söhnen obliege, ihre alternden Eltern zu em&hren, und beide Schriftsteller zuckten über
die Weiberknechte am Nil die Achseln, von denen es hiess, dass sie sich ihren Frauen ge-
horsam zu sein verpflichteten, und die jedenfalls dem schwächeren Geschlechte im häuslichen
und öffentlichen Leben Rechte einräumten und Freiheiten gestatteten, welche einem Griechen
unerhört vorkommen mussten. Wenn es wahr ist, dass man die Höhe der Cultur eines
Volkes nach der mehr oder minder günstigen Stellung, welche es seinen Frauen anweist, be-
messen darf, so läuft die ägyptische der Cultur aller anderen Gesellschaften des Alter-
thums den Rang ab."
Schon in den Grüften, welche den Verwandten und höchsten Beamten der
alten Könige, die sich Pyramiden als Grabmonumente errichten liessen, angehören,
heisst die Gattin ^Herrin des Hauses'', nennt man die Kinder nicht nur nach dem
Vater, sondern auch nach der Mutter, so zwar, dass jeder N sich rühmt, der Sohn
eines X und einer Y gewesen zu sein. In vielen Fällen begnügt sich sogar der
N mit einer Aufzeichnung des Namens seiner Mutter und lässt den seines Vaters
unerwähnt.
Auch waren schon unter den Pyramiden-Erbauern Prinzessinnen regierungs-
fähig; auch sie genossen, nachdem sie den Thron bestiegen hatten, die gleichen
göttlichen Ehren, welche die Pharaonen für sich selbst beanspruchten. Bei Festen
und feierlichen Handlungen tritt die Königin neben ihrem Gemahl in die Oeffent-
lichkeit, und dem Beispiele, welches der Hof gab, folgten die Privatleute, welche
die „Herrin ihres Hauses, denen natürlich auch die Wirthschaftsführung oblag,
nicht nur an den Sorgen und Freuden der Kindererziehung, sondern auch an
fast allen geselligen Vergnügungen Theil nehmen liessen, die ihnen selbst offen
standen '^.
Im alten Aegypten konnte ein Mann ein Mädchen zu seiner «Genossin'',
machen; dieses war eine Art von Probe-Ehe, welche ein Jahr lang dauern durfte.
Nach dem Ablauf dieser Zeit konnte die Genossin wiederum entlassen werden.
444 LXVII. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten Gnlturvölkern.
aber sie erhielt dann die Mitgift zurück, sowie das Hochzeitsgeschenk, and ausser*
dem noch eine beträchtliche Abstandssumme. Wurde sie aber zur «Frau'' er-
hoben, so wurde sie die , Hausherrin* (nebtper), und weitgehende Rechte wurden
ihr zuertheilt.
Die Frau behielt sich die Berechtigung der Scheidung vor und unter
Ptolemäus HL sogar ftir sich allein. Der Mann hatte ihr dann eine Zahlung
zu leisten, die sie schon im Voraus hypothekarisch auf die Güter eintragen liess.
(Lincke.)
,Die Heirathscontracte lehren,' sagt Ebers, «dass in der seit der frühesten Zeit streng
monogamisclien ägyptischen Gesellschaft bei Eheschliessungen von beiden Theilen mit
grosser Vorsicht yerfahren worden ist. In manchen Fällen wurden sogar Probebflndnisse ein-
gegangen. Braut und Br&utigam reichten einander die Hand, doch nicht von yomherein für
eine rechtsgültige Ehe. Der Mann beh< sich vielmehr die Befagniss vor, den geschlossenen
Bund zu lösen, verpflichtet sich aber, bevor er das Weib in das Haus führt, durch einen
rechtsgültigen Vertrag, ihr im Falle der Verstossung eine Entschädigung zu zahlen, und wenn
es ihn mit einem Sohne beschenken sollte, diesen letzteren zum Erben einzusetzen. Entsprach
seine Genossin seinen Erwartungen, so erhob der Mann sie zu seiner rechtmässigen Gattin,
und war dies geschehen, so musste er mit ihr vereint bleiben bis in den Tod. Gewiss,*^
sagt Ebers, .sind solche ,Probeehen' in den meisten Fällen eingegangen worden, um sich
Nachkommenschaft zu sichern, auf die man im Orient überhaupt höheren Werth legt, als im
Abendlande.'
Im heutigen Aegypten wird gleichfalls der Frau vor ihrer Hochzeit von
dem Bräutigam ein gewisses Heirathsgut ausgesetzt, welches ihr auch, wenn sie
der Gatte verstosst, als ihr Eigenthum verbleibt. Aber jede Ehe, selbst eine durch
vieljähriges Zusammenleben gefestigte, ist getrennt, sobald es dem Gatten gefallt,
dreimal die Worte zu wiederholen: „Du bist Verstössen!'
Die meisten demotischen Ehecontracte, welche wir besitzen, stammen aus
Theben. Hier wurde vor der Hochzeit von dem Manne der Frau eine Mitgift
und ausserdem ein bestimmtes Jahresgeld zugesichert. Um den ehelichen Frieden
zu sichern, musste sich der Gatte verpflichten, kein anderes Weib wie seine Ver-
mählte in sein Haus zu fELhren und eine beträchtliche Strafsumme zu zahlen, falls
er dieses dennoch thun sollte.
423. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten Israeliten.
Bei dem grossen Gewicht, das die Israeliten auf eine ausgiebige Ver-
mehrung ihres Volkes legten, ist es selbstverständlich, dass den Weibern eine
rechtliche Stellung gesichert blieb. Moses liess zwar noch, dem Gebrauche seiner
Vorfahren und vielleicht auch dem ägyptischen Vorbilde folgend, die Polygamie
bestehen, nur den Priestern war sie, wie in Aegypten, nicht gestattet. Grössten-
theils jedoch begnügte man sieh mit einer Frau. Die Stellung der biblischen
Frauen war eine wenig eingeschränkte, und mehrere unter ihnen erlangten einen
nicht unbeträchtlichen Einfluss.
Zur gültigen Ehe war die Gesundheit beider Parteien erforderlich; die Ehe
mit einem unfruchtbaren Mannweib war ungültig; verboten war die Ehe zwischen
nahen Verwandten. Moses verbot Ehen zwischen Eltern und Kindern, zwischen
Geschwistern und den in zweiter Linie Verschwägerten, femer mit der Schwester
des Vaters oder der Mutter, und mit der Frau und der Wittwe des Oheims; die
Talmudisten hingegen erweiterten den Umfang dieses Verbotes. Nicht minder
werden Ehen mit fremden, unreinen Elementen, insbesondere mit heidnischen
Volkern, verpönt. Schliesslich wurde eine gewisse moralische Qualification bei
jeder Eheverbindung nachdrücklich empfohlen.
Die Talmudisten untersagten dem Vater die Verehelichung seiner un-
mündigen Tochter, weil diese vieUeicht späterhin mit der Wahl des Vaters nicht
übereinstimmen könnte. Vom 13. Jahre an galt sie für mündig, und von da ab
424. Die sociale Stellung des Weibes im klassisclien Griechenland. 445
konnte sie eigenmächtig über ihre Hand verfügen und es wurde ihre Einwilligung
zur Ehe gefordert.
Bei der Brautwerbung musste die Zustimmung des Vaters durch Geld oder
<lurch Dienstleistung (Jacob und Moses) erkauft werden. Nach der Anordnung
<ler Taimudisten waren dann gewisse Formalitäten erforderlich: entweder musste
•Geld (wenigstens ein Denar) angezahlt, oder ein Schuldschein gegeben werden,
oder es wurde sofort der eheliche Actus ausgeführt; jeder dieser Verlobungsweisen
mussten zwei Zeugen beiwohnen^ vor welchen der Mann laut in einer der zu
Verlobenden verständlichen Sprache den Act als behufs der Eheverbindung vor-
genommen erklärte. Die letztere Verlobungsweise wurde aber später des Scandals
und des möglichen Missbrauchs wegen abgeschaffl;. Immer mussten der Verlobung
gewisse Besprechungen vorausgehen, bei welchen die gegenseitigen Forderungen
und Verpflichtungen festgesetzt wurden. Die Polygamie wurde von den Tal-
mudisten gesetzlich wenigstens nicht beanstandet. Ihre religiöse Aengstlichkeit
lässt den Mann seine Ehehälfte nicht nach eigenem Gutdünken wählen, sondern
nach bestimmter Vorschrift; so bekam er eine Gattin, die er kaum kannte und
<lie er von ihren Verwandten erhandelte. Ist er dann in ihren Besitz gelangt,
so darf er nicht zu viel mit ihr verkehren, noch ihre Umarmungen nach Belieben
geniessen, sondern er muss sich auch in dieser Beziehung gewissen Gesetzen
imterwerfen, andererseits ist er aber gehalten, auch die Beiwohnung als eine auf-
erlegte Pflicht zu betrachten.
Die Frau blieb dem öffentlichen Leben fremd; sie war von dem Umgänge
mit Männern ausgeschlossen, und an wissenschaftlichem Unterrichte hatte sie
keinerlei Antheil. Sie führte nur ein Stillleben für ihren Mann, der sie wohl
achtungsvoll und schonend behandelte, aber keine besondere Zärtlichkeit für sie
empfand. Ihre Bestimmung war keine andere, als die Vermehrung der Kinderzahl
und die Versorgung des Haushaltes. Der Mann musste seiner Frau anständige
Kleidung, stendesgemässen Schmuck, Kost und Taschengeld gewähren; war er
zu diesen Leistungen zu arm, so konnte gerichtlich zur Scheidung geschritten
werden. Das Weib musste ihm häusliche Handarbeit schaffen, kochen, waschen,
Kinder säugen, eigenhändig den Wein mit Wasser mischen, die Betten bereiten,
ihm Gesicht und Hände waschen u. s. w. Hiervon war sie nur befreit, wenn sie
•eine hinreichende Zahl von Sclaven mitbrachte.
424. Die sociale Stellung des Weibes im klassischen Griechenland.
Nicht mit Unrecht hat man den Hellenen vorgeworfen, dass sie ihren
Weibern keine gebührende Stellung einräumten. Allerdings trifft dieses nicht für
alle Zeiten und für alle Stämme zu. Denn schon bei Homer werden, wie Decker
«agt, fl guter Verstand und Geschicklichkeit in weiblichen Arbeiten neben der
Schönheit als die schätzbaren Vorzüge gerühmt, wodurch die Frau ihrem Manne
zu einer geehrten Gemahlin wird*. Und Ächüleus werden (Iliaa IX. 341) die
Worte in den Mund gelegt:
Ein Jeder, dem gut und bieder das Herz ist,
Liebt sein Weib und pflegt sie mit Zärtlichkeit; sowie ich selbst auch
Jene von Herzen geliebt, wiewohl mein Speer sie erbeutet.
Anders war es nun freilich in Athen. Hier sass die Jungfrau in strenger
Abgeschlossenheit bei der Mutter, ohne von der Aussen weit zu hören; die Ehefrau
kam halb unmündig in die Hand des Mannes, bei dem sie die politischen Zwecke
des Staates erfüllte und den Haushalt unter beschränkender Au&icht besorgte;
ihr war es versagt, in die Kinderzucht einzugreifen, und mit Ausnahme religiöser
Handlungen blieb sie auf ihr Gemach angewiesen. Kein Wunder, wenn die Frau
den beweglichen Athener nicht zu fesseln vermochte und noch weniger ihn für
446 LXVII. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten Gnlturvölkern.
ein zartes Verhältniss der Ehe gewann. Eine so spröde, dem natürlichen Gefühl
widersprechende Stellang konnte nur mit jenem Grade der Erniedrigung und
Entartung schliessen, welcher grell im Verlaufe des peloponnesischen Krieges
hervortrat und vor Allem dem Euripides eine reichliche Nahrung für schwer-
müthige Reflexionen darbot. In gleichem Grade, wie bei den Attikern, waren
jedoch die Frauen anderer griechischer Stämme nicht zurückgesetzt. (Bernhardy.)
Eine durchaus würdige Stellung räumten die Dorer und die Aeolier
den Frauen ein; sie gönnnten dem weiblichen Geschlechte einen hohen Grad von
Freiheit und Anerkennung, sowie einen Platz in der öffentlichen Erziehung und
sogar eine lebhafte Mitwirkung in der Oeffentlichkeit. In Sparta führte diese
Freiheit, die sich hier auch auf geschlechtliche Verhältnisse erstreckte und den
Bestimmungen des Lyhurgos entstammte, freilich zu grossen Missbräuchen und
schliesslich zu einer vollständigen Demoralisation. Allein bei den übrigen Stammes-
genossen im Peloponnes, auf den Inseln und in den Golonien, war die den
Frauen zugewiesene freiere Stellung von günstigem Einfluss auf die Gestaltung
der gesellschafblichen und oft sogar der politischen Verhältnisse begleitet und
entwickelte eine fast rege Theilnahme an Dichtung, Künsten und Wissenschaften
auch von Seiten des weiblichen Geschlechts, wie die nicht geringe Anzahl von
Dichterinnen, Philosophinnen und gelehrten Frauen bezeugen, die diesem kräftigen
Stamme entsprossen. {Foestion}»)
Den aeolischen Frauen war die Liebe zum Gesänge und zur Dichtkunst
allgemein; ihre gesellschaftlichen Verhältnisse waren locker und ohne strenges,
sittliches Maass. Aus ihnen ging die geistreichste Frau von Hellas, die Dich-
terin Sappho hervor, neben der noch andere Dichterinnen glänzten. (Poestion^.)
Die Nation selbst aber ehrte ihre hervorragenden Geister und bewahrte ihnen ein
pietätvolles Andenken.
Als der Handel Beichthümer nach Griechenland brachte und die Bekannt-
schaft mit asiatischem Luxus vermittelt hatte, begann sich das unheilvolle
Hetärenthum zu entwickeln, welches den Untergang des Familienlebens und in
späterer Folge auch den des Staates herbeiführte. Die zu dem Symposion der reichen
Bürger nach morgenländischer Weise hinzugezogenen Sängerinnen und Tänzerinnen,
Flötenspielerinnen und Paukenschlägerinnen wussten, wenn sie mit Jugend und
Schönheit auch Anmuth und Witz verbanden, sich bald aus Sclavinnen zu Ge-
bieterinnen ihrer für körperliche und geistige Schönheit so empfanglichen Herren
zu machen: Es gelang ihnen um so leichter, die rechtmässige Gemahlin in den
Hintergrund zu drängen, als diese, kaum der Kindheit entwachsen, nur aus Rück-
sicht auf Verwandtschaft und Reichthum zum Erzeugen legitimer Erben erheirathet
war und ohne alle Erziehung nur in einem zurückgezogenen Leben, im Schweigen
und Gehorsam gegen den Ehemann die Summe ihrer Pflichten kannte. Der
Staat duldete öffentliche Dirnen. Schon Solon, welcher ihr Gewerbe durch eine
Steuer als staatliche Einrichtung anerkannte, baute aus dem reichen Ertrage der
Aphrodite einen Tempel, und der Komiker Philemos preist die Weisheit des Ge-
setzgebers, der ein so volksthümliches Institut eingerichtet und geordnet habe.
Diese für das grobe physische Bedürfniss bestimmten Dirnen waren aber der
Familie weit weniger gefahrlich, als jene Mädchen, welche, theils Sclavinnen, theils
Freigelassene, theils aus den asiatischen Golonien herübergekommene Abenteure-
rinnen, durch körperliche und geistige Begabung ausgezeichnet und Meisterinnen
in Musik und Tanz, bezaubernd durch Eleganz und Humor, die reiche Jugend um
sich versammelten. Das Schicksal des Staates sowie der Familie war entschieden,
als die bedeutendsten Männer sich nicht mehr scheuten, in ein intimes Verhältniss
mit ihnen zu treten, und die öffenÜiche Stimme ihnen den euphemistischen Namen
der Freundin, der Hetäre, gab.
Es ist bekannt, dass PeriJdes mit Aspasia, welche in Milet, der ägyp-
tischen Stadt Klein-Asiens, von der bekannten Thargelia gebildet war, auf
424. Die sociale Stellung des Weibes im klassischen Griechenland. 447
dem yertrantesten Fusse stand. Diese berühmteste aller Hetären, welcher eine
hohe Begabung von allen Zeitgenossen bereitwillig zuerkannt wurde, soll selbst
jenen berühmten Staatsmann in der Beredtsamkeit unterwiesen haben, ja Sokrates
erzählt im Menexenos des PlcUo^ dass sie die von ihrem Freunde gehaltene Leichen-
rede verfasst habe und er selbst von ihr unterrichtet sei. Ungleich verderblicher
war das Beispiel des von seinen Landsleuten so bewunderten und geschmeichelten
Alkibiades^ der neben seiner Gattin Hiparete noch mit mehreren Hetären, nament-
lich der Theodota und BaMmandra^ lebte. Von. jetzt an finden wir immer häufiger,
wie Staatsmänner und Feldherren, Künstler und Philosophen in der innigsten
Beziehung zu jenen geistreichen und gewandten Buhlerinnen standen, und wie
diese den grössten Einfluss auf die Staa&verwaltung, auf die Sitten, auf die Kunst
und auf die Philosophie ausübten. Die strengen Ansichten über die Ehen schwanden
immer mehr. Die Mutter des Feldherm Timoleon scheute sich nicht, in das
Verhältniss einer Hetäre zu Kanon zu treten, und das Ansehen einer Hetäre sank
nicht dadurch, dass Äbrotanon, die Mutter des ThemistoldeSy sowie OlympiaSy die
Mutter des Bion, ebenfalls dieser Klasse angehörten. Ligisne war die Geliebte
des Isokrates^ Metania die des Lysias^ Lentis die des StratoMes^ Neara die des
Stephanus. Hyperides unterhielt nicht nur die renommirte Fhryne^ sondern noch
eine Hetäre im Piräus und eine andere in Eleusis für den Fall, dass er jene
Orte besuchte. Unter den Philosophen suchten nicht nur die Cyrenaiker und die
dem Sinnesgenusse huldigenden Epikuräer sich durch eine solches Liebesverhältniss
den Sorgen und Opfern der Ehe zu entziehen, sondern selbst die Ernsten und
Würdigen. Die Geschichte nennt nicht nur die Banae als Geliebte des Epikur,
die, praktisch der Lehre ihres Meisters huldigend, sich zum Gemeingut sämmt-
licher Epikuräer machte, die Nikarete als Geliebte des Stüpo^ die Mania als die
des Leontikos und ÄntenoTj sondern auch die Ärchäanassa als Hetäre des Plato
und HerpyUis als Hetäre des Aristoteles, welcher sie, nachdem sie ihm den Niko-
machetos geboren, in seinem Testamente bedachte. Hielt es doch der weise
Sokrates nicht unter seiner Würde, der Theodota einen Besuch abzustatten, in der
Absicht, ihre Schönheit kennen zu lernen.
Die Künste standen mit dem Hetärenthum in naher Beziehung. Die bei
dem Feste in Eleusis und dem des Poseidon vor den Augen des versammelten
Griechenlands nackt dem Meere entsteigende Phryne wählte AppeUes zum
Muster der Änadyomene, die den späteren Künstlern das Modell der Aphrodite
gab. Derselben Phryne setzt die Meisterhand des Praxiteles in Thespiae eine
Bildsäule neben der der Göttin der Schönheit, und kein Grieche nahm Änstoss
daran, dass sie sich selbst eine goldene Statue zur Seite derjenigen des Philipp
von Macedonien setzte. SophoUes vermachte der Archippe mit Uebergehung
seiner früheren Geliebten Theoris sein Vermögen, und die Hetären Anteia^ Iso-
stctsion, KorinnUy KlepsydrOj Phonion und Thalatta gaben den Comödien des
EuritoSj des Alexis, Perekrtxtes, Eubulos und Menander ihren Namen. Während
Einige sich mit den philosophischen Studien beschäftigten, die Theis sich dessen
rühmt und die Lasthenia als Schülerin Piatos galt, versuchten sich andere in der
Literatur. So erlangte die Leontion bei ihrem Auftreten gegen Theophrast den
Ruhm einer attischen Diction und besonderer Grazie im Stil, wogegen sich die
Gnathaena nebst ihrer Nichte Gnathanion^ die Lamia und Mania durch Humor
und Witz, freilich vorzugsweise in mehr cynischer Art bekannt machten.
Selbst mit der Religion war das Hetärenthum innig verbunden. Wenn die
Bürger Korinths sich in Gebeten an die Aphrodite wendeten, so nahm man
möglichst viele Hetären zur Procession, und Privatpersonen gelobten nicht selten,
eine bestimmte Zahl derselben der Göttin zuzuf&hren. Ja einzelnen wurden Statuen
und Altäre errichtet, so der Leäna zu Athen, und der Lamia zu Athen und '
Theben.
448 LXYII. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten GaltnrvOlkern.
Das glänzende Loos vieler Hetären musste eine grosse Menge junger Mädchen
auf dieselben Bahnen locken, und da sie einsahen, wie nur die vollkommenste
£ntwickelung aller körperlichen Reize und geistigen Vorzüge sie dem gewünschten
Ziele zuführte, so suchten sie den Unterricht der älteren, welche sich vom Ge-
schäfte zurüc^ezogen, und die um so williger die Hand dazu boten, als ihnen
diese den früheren Einfluss und ihr altes Ansehen sicherten. So richtete schon
Aspasia eine Hetärenschule ein, die auch später, wie wir aus einer Rede des
Demosthenes gegen die Neare erfahren, fortbestand, und deren Besuch auch die
freigeborenen Mädchen und Frauen nicht verschmähten, um dort zu lernen, was
den Männern zu gefallen und ihre Liebe zu fesseln vermag.
Wie hat sich die Stellung des Weibes seit jener Zeit geändert! In dieser
Beziehung sagt Ebers sehr richtig:
,Die in der Wirthschaft herrschende, Kinder nährende, Sieche pflegende Gattin des
griechischen Bürgers ist fär uns zur Hansehre geworden, und sie möge sorgend und die
schwersten Pflichten erfüllend fortfahren, in unserer Familie liebeyoU und im kleinen Kreise
gebietend zu walten. Aber wir wollen sie nicht allein; vielmehr soll in ihrer Person uns
auch das mit allen Reizen des Geistes und Körpers geschmückte Weib, Hir welches Eros
unser Herz entzündete, an den heimischen Herd folgen, und es wird dort, auch wenn wir
weit entfernt sind, einem Perikks zu gleichen, das fdr uns Männer sein können und sein —
bis zum Tode — , was Aspasia diesem gewesen. Gattin und Geliebte sind Eins für uns ge>
worden; Alles was Sokrates der Hetäre Theodote rieth, verlangen wir von unseren Frauen und
wird uns in der That von ihnen gewährt."
425. Die sociale Stellung des Weibes im alten Born.
Die romi sehen Weiber waren besser daran, als ihre Oeschlechtsgenossinnen
in Attika; schon in den frühesten Zeiten trat nach Bader ihr Einfluss im
Familienleben und in der Gesellschaft deutlich hervor. Als Erinnerung an den
Raub der Sabinerinnen stiftete Romidus die Matronalien, das „Weiberfest', und
er befreite die Frauen, mit Ausnahme der Wollarbeit, von allem Hausdienst.
Ausserdem musste jeder den Matronen beim Begegnen auf der Strasse hoflichst
Platz machen; wer sie durch freche Beden oder Handlungen verletzte, kam vor
den Blutrichter, und wer seine Frau verstiess, musste ihr, wenn er es nicht der
Giftmischerei oder des Ehebruchs wegen that, die Hälfte des Yermögens geben.
Auch später wurden den Frauen Ehrenrechte zu Theil, sie durften Purpurgewänder
und Goldbesatz tragen, innerhalb der Stadt auf Wagen fahren u. s. w. Man
feierte die Thaten von Heroinen (z. B. der Clölia), Keusche Jungfrauen hüteten
das heilige Feuer auf dem Staatsherd der Vesta. Der gebildete Römer zollte
dem weiblichen Geschlecht nicht geringe Achtung; Seneca schrieb:
„Wer kann wohl sagen, dass die Natnr stiefmütterlich mit den weiblichen Anlagen
umgegangen sei und die. Tugenden des Geschlechts auf enge Grenzen beschränkt habe?'
Die Frauen Roms übten sogar einen nicht geringen Einfluss auf die Gesetz-
gebung aus, soweit dieselbe ihre schon erworbenen Rechte betraf. Als im Jahre
195 V. Chr. darüber verhandelt wurde, dass den Frauen das ihnen vor 20 Jahren
in der Noth des punischen Krieges entzogene Recht, Purpurgewänder zu
tragen und in Wagen zu fahren, wieder gewährt werden sollte, rotteten sich die
Weiber in einem grossen Anlauf auf dem Forum zusammen und bestimmten die
Tribunen, dass sie in einem ihnen günstigen Sinne abstimmen mussten. Zu jener
Zeit äusserte der Gonsul Forcius Cato in einer dieses Benehmen heftig tadelnden Rede:
»Alle Männer herrschen über ihre Weiber, wir herrschen über alle Menschen, über uns
aber unsere Weiber!*
, Dieses Heraustreten aus dem Bereiche weiblicher Zurückgezogenheit und Sittsamkeit, "
sagt Oöll, «war natürlich nur möglich, als die strengen rechtlichen Bestimmungen über
die römische Ehe sich gelockert hatten. Denn wie fast bei allen Stämmen des alten
Italiens erhielt ursprünglich der Mann in der gesetzmässigen £he dieselbe Gewalt über
425. Die sociale Stellang des Weibes im alten Rom. 449
seine Frau, die vorher der Vater über sie, als seine Tocher, besessen hatte. Sie war ihm
zum Gehorsam verpflichtet, brachte ihm die Mitgift und was sie sonst besass, als sein
Eigenthum zu, und stand natürlich in allen civilrechtlichen Verhältnissen unter seiner Vor-
mundschaft.*
Von Anfang an war es in Rom Sitte*, das Mädchen nach kaum zurück-
gelegtem 12. oder 13. Lebensjahre zu vermählen; verlobt war sie vielleicht schon
früher. Wenn auch rechtlich ihre Einwilligung nöthig war, so kam ihr doch
thatsächlich ein entscheidendes Wort nicht zu; dies verbot schon ihre Jugend.
Die Eingehung der Ehe war überhaupt oft nur eine Sache der Convenienz zwischen
zwei Familien; Liebe und personliche Zuneigung blieben ausser Betracht. Auch
die Verlobung brachte die künftigen Ehegatten einander nicht näher. In früherer
Zeit war eine Eheschliessung religiöser Art in Uebung gewesen, bei welcher Ober-
priester Opfer darbrachten und darauf Opferkuchen zwischen Braut und Bräutigam
theilten. Allein dieser Brauch war mit der Zeit abgekommen und an seine Stelle
der einfache Rechtsact getreten, bei welchem allerdings äusserer Festschmuck,
Schmaus und sonstiger Luxus nicht fehlten.
Die verheirathete Frau stand dem Hauswesen vor, und als Symbol dieser
Herrschaft erhielt sie sogleich bei der Hochzeit die Schlüssel, die ihr bei der
Scheidung abgefordert wurden. Sie war nicht im Frauengemach eingeschlossen
wie die Griechin, sondern sie nahm an dem ganzen häuslichen Treiben, den
Mahlzeiten und den Unterhaltungen des Mannes Theil, empfing Besuche und wurde
von allen Gliedern des Hauses sowie vom Gemahl „ Herrin '^ (domina) titulirt.
Da die Frauen die selbständige Verwaltung ihres Vermögens erhalten hatten,
so hielten sich manche, die begütert waren, eigene Verwalter, Procuratoren , die
in allen Angelegenheiten ihre vertrauten Rathgeber wurden. In vornehmen
Häusern waren Hunderte von Sclaven des Winkes ihrer Herrin gewärtig. Die
Autoren rügen die in diesen Schichten der Gesellschaft herrschende Trägheit der
Frauen, ihre läppischen Liebhabereien, sowie ihre Putzsucht Nicht wenige von
diesen aber gelangten in den Besitz einer höheren Bildung, die sich auch auf die
Bekanntschaft mit der griechischen Literatur und auf die Musik ausdehnte.
Ovid bemerkt, dass auch die nicht gelehrten Mädchen als gelehrt gelten wollten;
es gehörte ja die Unterhaltung in griechischer Sprache zum guten Ton.
Als die griechische Cultur in das römische Reich einzudringen begann,
nahmen die Frauen hieran den hervorragendsten Antheil. Eine im Alterthum
besonders auffallende und eigenthümliche Erscheinung sind die geistreichen Frauen-
zirkel, welche zur Zeit der Scipionen der Mittelpunkt des höheren Lebens in Rom
waren. An die Stelle der alten beschränkten Hausmoral und der Religion der
altgläubigen Vorwelt trat das freie Wesen und Denken einer emancipirten Frauen-
welt. Mit Schönheit und dem Besitze alles dessen ausgestattet, was damals Geist
und feine Bildung hiess, traten die Frauen selbständig aus dem engen Frauen-
gemache heraus; sie erschienen in den Salons der Männer und wurden hier mit
etwa eben der Anerkennung, ja Auszeichnung empfangen, wie wir in diesen Tagen
gefeierte Schauspielerinnen, Sängerinnen und Tänzerinnen in den höchsten und
gebildetsten Girkeln nicht nur geduldet, sondern geflissentlich umworben sehen;
nur mit dem von einem Kenner des klassischen Volkes hervorgehobenen Unter-
schiede, dass die antike Welt sich in solchen Verhältnissen mit ungleich grösserer
Unbefangenheit und Wahrheit bewegte, als unsere heutige. In derartigen Kreisen
sehen wir denn auch die erotischen Dichter Roms von Catull bis Ovid sich be-
wegen, und Cattdl die Lesbia, Tibuü die Delia und die Nemesis^ Propere die
Cynthia, Horaz die Lydia oder die LcUage^ Ovid endlich die Corinna feiern.
Da begannen denn auch die Damen Roms, sich in die Politik zu mischen;
sie erschienen in den Glub-Berathungen und betheiligten sich an dem ränkevollen
Parteitreiben in jeder Weise. Häufig genug waren Frauen, wie Ftdvia, die, statt
sich um das Hauswesen zu bekümmern, über die Mächtigsten herrschen wollten,
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Anfl. II. 29
450 LXVII. Die sociale Stellung des Weibes bei den alten Culturvölkem,
um durch diese zu regieren. Unter solchen Umständen nahm dann die Ehe-
losigkeit in Rom mehr und mehr überhand. Ueberhaupt bildet diese Zeit ein
Bild tiefster sittlicher Fäulniss, wie sie etwa nur das siebzehnte und achtzehnte
Jahrhundert der modernen Zeit aufzuweisen hat. Unerlaubte Verhältnisse waren
selbst in den höchsten Familien etWas so häufiges, dass man kaum noch davon
redete. Der Sammelplatz der vornehmen Welt wurden die Bäder von Bajae und
Puteoli, wo man aUe die daheim durch die Sitte noch immer gebotenen Fesseln
abwarf, und wo bei Tanz, Spiel und Völlerei jeder Art die Römer sich einer
ausgesuchten Genusssucht hingaben. So nahm jene ungeheure Sittenlosigkeit über-
hand, wie sie in solchem Grade und Umfang die Welt kaum je wieder gesehen;
die Emancipation der Weiber war in den höheren Kreisen ausgesprochen, und
das einzige Lebensziel derselben war der Genuss.
Schliesslich wurde in späteren Zeiten der Verkehr der Frauen ausser dem
Hause ein fast unbeschränkter; der CSirkus, das Theater, das Amphitheater standen
ihnen offen. Die Folge dieser Zustände war die verbreitetste, tiefste Zerrüttung
des häuslichen Lebens; leichtfertige Ehescheidungen waren an der Tagesordnung.
Neben diesen fast aufgelösten häuslichen Verhältnissen wucherte in Rom
ein Prostitutionswesen empor, welches die moralische Versunkenheit der weib-
lichen Bevölkerung charakterisirt und oft genug besprochen worden ist {Jeannd^
Dufour etc.), so dass es hier nicht nöthig ist, ausführlicher darauf einzugehen.
LXVIII. Der Einfluss der religiösen Bekenntnisse auf die
sociale Stellung des Weibes.
426. Das Weib im Islam.
Ueber die Stellung der Frau bei den Arabern haben wir früher bereits
Mittheilungen gemacht. Hauri hat zu erforschen versucht, wie sie sich früher
gestaltete. Die Frau wurde in Medina fast wie eine Sclavin gehalten, mit 7 bis
10 Oenossinnen hatte sie die Zuneigung ihres Mannes zu theilen. Vom Erbrecht
war sie gänzlich ausgeschlossen; dagegen ging sie selber oft in den Besitz des
Stiefsohnes über. Solche Heirathen sind dann später als „hassenswerth" bezeichnet
worden. Dass ein Mann zwei Schwestern freite, war keine seltene Erscheinung;
auch die , Genuss-Ehen *", die auf bestimmte Zeit gegen Bezahlung geschlossen
wurden, waren sehr verbreitet. Aermere Araber überliessen ihre Frauen gegen
Bezahlung anderen Männern, und bei manchen Stämmen pflegte man den Gast
dadurch zu ehren, dass man ihm die Frau oder die Tochter überliess.
Mohamed ist bestrebt gewesen, die Lage der Weiber zu verbessern. Er
soll gesagt haben:
«Behandle das Weib mit Rücksicht; denn sie ist aus einer gekrümmten Rippe gebildet,
und das beste an ihr trägt die Spuren der gekrümmten Rippe. Wenn du sie gerade zu
biegen suchst, wird sie brechen; wenn du sie lässt wie sie ist, wird sie fortfahren gekrümmt
zu sein. Behandle das Weib mit Rücksicht!* In der letzten Predigt soll er gesagt haben:
«Ihr habt Rechtsansprüche auf eure Weiber und sie haben Rechtsansprüche auf euch. Sie
sind verpflichtet, ihre eheliche Treue nicht zu verletzen, noch eine Handlung von offenbarem
Unrecht zu begehen. Thun sie dergleichen, so habt ihr die Macht, sie mit Peitschen zu
schlagen, aber nicht streng (d. h. nicht so, dass ihr Leben gefährdet wird). Doch wenn
sie davon ablassen, so kleidet und nährt sie, wie es sich geziemt. Behandelt eure Frauen
wohl, denn sie sind bei euch wie Gefangene; sie haben nicht Macht über irgend etwas, was
sie angeht. **
Der Prophet blieb aber nicht bei allgemeinen Ermahnungen stehen, sondern
er suchte durch bestimmte Gesetze dem Weibe eine feste rechtliche Stellung zu
geben. Er beschrankte die Zahl der rechtmässigen Gattinnen auf vier und ge-
stattete auch so viele nur dem Manne, der im Stande war, seinen Frauen einen
gewissen Comfort zu gewähren. Eheliche Treue und durchaus gleichmässige Be-
handlung der Frauen machte er dem Manne zur Pflicht. Eine mündige Frau darf
zur Heirath nicht gezwungen werden. Bei der Hochzeit muss der Mann seiner
Frau ein gewisses Heiratl^gut zusichern, das bei der Scheidung ihr Eigenthum
bleibt; auch kann sie gewisse Bedingungen stellen, z. B. dass der Mann keine
zweite Frau nehmen darf. Das Weib kann nicht geerbt werden, sondern wird
selbst erbberechtigt. Die Heirath innerhalb gewisser Verwandtschaftsgrade wird
29*
452 LXVIII. Der Einfluss der religiösen Bekenntnisse auf die sociale Stellung des Weibes.
verboten ; die Bestimmungen hierüber treffen im Wesentlichen mit den mosaischen
überein. Zwei Schwestern zu heirathen, ist nicht gestattet ; auch nicht ein Mäd-
chen, mit dessen Mutter man in geschlechtlichen Beziehungen gestanden hat.
Die grosse Leichtigkeit, mit welcher bei den Mohamedanem eine Ehe-
scheidung vorgenommen werden kann, haben wir schon früher kennen gelernt.
Nicht weniger verderblich als die Scheidungsgesetze haben die Vorschriften
des Koran über die Verhüllung der Frauen gewirkt. Ein Mann darf nur seine
eigenen Weiber und Sclavinnen unverschleiert sehen und solche Frauen, welche
er wegen zu naher Verwandtschaft nicht heirathen darf (Sure 24 und 83). Das
Weib ist durch diese Bestimmungen von allem geselligen Verkehre und von der
Theilnahme an allen geistigen Interessen ausgeschlossen. Mohamed wollte die
Frauen nicht den mancherlei Versuchungen aussetzen; doch den tiefsten Grund
für die Haremsgesetze haben wir in dem Misstrauen und der Eifersucht des
Propheten zu suchen. Er traute dem Weibe wenig Outes zu, namentlich in Be-
zug auf die eheliche Treue.
So hat es Mohamed nicht verstanden, das Weib auf die Höhe zu heben,
die ihm gebührt, und auch die Beschrankung der Zahl der rechtmässigen Frauen
auf vier verliert ihre Bedeutung dadurch fast gänzlich, dass dem Manne der Um-
gang mit einer unbeschränkten Zahl von Sclavinnen gestattet ist. Die Vielweiberei
und die Knechtung des Weibes ist somit in ihrem vollen Umfange aufrecht er-
halten, und dadurch sind die verderblichsten Folgen für das häusliche, das sociale
und sogar für das politische Leben unausbleiblich geworden. (Pischon,)
Im Koran wird das Weib für ein unvollkommenes Geschöpf erklärt,
welches nur f&r sein Aeusseres und seinen Schmuck lebt; stets bereit, ohne jeg-
lichen Grund sich zu streiten und zu zanken; das man mit Güte behandeln, aber
bei Gelegenheit züchtigen muss.
Nach der Angabe Einiger wird der Frau sogar die Seele abgesprochen und
die Freuden des Paradieses sollen für sie nicht erschaffen sein. Redhouse ist be-
müht gewesen, dieser Ansicht entgegenzutreten. Er weist im Koran Stellen
nach, welche den Frauen ausdrücklich die Freuden des Himmels versprechen oder
die Qualen der Hölle androhen. So heisst es in Kap. XLYIII, und 6:
,Möge er die Bekenner und Bekennerinnen in Paradiese gelangen lassen, welche Flüsse
durchströmen, dass sie darin wohnen ewiglich. Möge er die Heuchler und Heuchlerinnen be-
strafen und die Polytheisten und Polytheistinnen , die Böses gegen Gott im Sinne haben!"
Schon Noah und Abraham beteten nach dem Koran für „Vater und Mutter **
und alle Gläubigen, auch die Weiber müssen taglich fünfmal um Vergebung ihrer
Sünden und derer von Vater und Mutter beten.
Auch über die Polygamie der Mohamedaner herrschen bei uns sehr falsche
Begriffe, v. Warsberg sagt in dieser Hinsicht:
,In den meisten Häusern leben nicht mehr als 2 bis 5 Personen; denn der Glaube,
dass jeder Türke ein ganzes Balletcorps Inftzufächelnder Sclavinnen um sich versammelt
hält, ist eine von den vielen Fabeln, die man dem leichtgläubigen Europa aufgebunden hat.
Um nur eine Sclavin im Hause halten zu können, muss der Mann wohlhabend sein; den
meisten ist ebenso wie bei uns ihr einziges Weib zugleich Gattin, Köchin, Dienerin und, was
nicht das Seltenste ist, Herrin. Denn auch dies ist eine Fabel, was wir von der imtergeord-
neten, leidenden Stellung der türkischen Frau glauben. Wo ist das Glied des weiblichen
Geschlechts, das sich auf die Dauer und in der Hauptsache das Regiment im Hause aus der
Hand nehmen liesse? und nun gar erst ein ganzes Volk von Weibern, das sich solcher
Knechtschaft unterwürfe! Mehr wird das Weib im Orient nie werden, wie seine dortige
Jahrtausende alte Geschichte beweist. Geknechtet, unglücklich ist sie darum nicht, ja ihre
Rechte gehen in Manchem weiter als die der europäischen Frau; jedenfalls thun das
die Rücksichten, welche der Msuin ihr erweist. Zu fragen, wenn er sie nicht zu Hause findet,
wo sie hingegangen, oder in den Harem einzutreten, wenn er Schuhe vor der Thüre sieht,
und also Gäste darin weiss, wäre eine Beleidigung so ausser aller Art, dass sie auch den
Thäter entehren würde."
426. Das Weib im Islam. 453
Man glaubt, wie gesagt, in der Regel, dass fast jeder Türke von einer
grossen Anzahl von Frauen umgeben sei und jeder derselben glühe für das ihm
vom Koran gegebene Recht der Vielweiberei. Allein die meisten verheiratheten
Manner haben nur eine Frau; man betrachtet eine zweite zu nehmen für ein
Leid, das man der ersten anthut; man hält die Monogamie um des Friedens und
des Auskommens willen für rathlicher. Schon der Sittenlehrer Soliman meint,
dass der Koran selbst die Vielweiberei so einschränke und an solche Bedingungen
knüpfe, dass richtig erwogen in den Worten desselben ein Verbot, die Zahl der
Frauen zu vermehren, enthalten sei.
Die Osmanli in Anatolien bürden der Frau auch die Feldarbeit auf.
Eine schwarze Rosshaarmaske und der blauweiss carrirte Mantel verbirgt sie den
Blicken Neugieriger. Niemals wird sie im Gespräche erwähnt, denn von den
Frauen spricht man nicht, worin vielleicht ebensoviel Heilighaltung wie Ver-
achtung liegt.
,So sehr beiden Lesghiern in Daghestan (Kaukasus) die Frau gedrückt und be-
lastet ist in und ausser dem Hause, so sehr sie als ein Lastthier gelten kann und versteckt
gehalten wird, so ist doch ihr Einfluss im Hause nicht unwesentlich. Wehe dem, der sich
irgend einer Frau, auch einem M&dchen gegenüber irgend etwas erlaubte, sogar in Miene und
Blick, er würde gesellschaftlich verachtet und bei gröberem Verstoss von der Gemeinde be-
straft und verbannt werden." f^t?. Erckert.J
In Persien gehen die Mädchen vom neunten Lebensjahre an nur noch ver-
schleiert aus. In den weniger bemittelten Familien trachtet man danach, sie
schon im zehnten oder elften Jahre zu verheirathen; PolaJc waren sogar Fälle
bekannt, wo nach erkauftem Dispens des Priesters die Verheirathung schon im
siebenten Jahre stattfand; in guten Häusern jedoch werden die Töchter erst im
Alter von 12 oder 13 Jahren ausgestattet. Ein wohlgestaltetes Mädchen gilt
seinen Eltern als lebendiges Capital, denn der Kaufpreis erreicht bisweilen die
Höhe von 500 Ducaten. Häufig werden Kinder schon in der Wiege verlobt.
Als Regel gelten Heirathen innerhalb desselben Stammes; ein Nomaden-Mädchen
verschmäht die glänzendsten Anträge von Städtern; sie heirathet nur in ihrem
Tribus. Der Begriff von Liebe, den wir haben, existirt, wie im ganzen Orient,
so auch in Persien nicht. Die Ehe ist entweder auf die Dauer verbindlich und
entspricht ganz der unsrigen, oder sie ist nur auf eine vertragsmässige Zeit gültig:
in letzterem Falle ist das Weib (Sighe) seinem Eigner als Sclavin gehörig, doch
sind die mit ihm erzeugten Kinder gesetzlich anerkannt; auch hört die Frau mit
dem Augenblicke ihrer Niederkunft auf, Sclavin zu sein. Der Perser, der oft
reist, kann in jeder Station eine Sighe heirathen. Die persischen Grossen haben
oft gegen vierzig oder mehr Weiber; in den Städten heirathen nur Chane und
Bedienstete drei bis vier Frauen, der Handel- und Gewerbestand lebt meist in
Monogamie, die bei den Nomadenstämmen vollends die Regel ist.
Das persische Weib darf nur vor ihrem Manne und einigen nächsten
Verwandten unverschleiert erscheinen ; löst sich auf der Gasse zufallig der Schleier,
so gebietet die Sitte, dass der ihr Begegnende sich abwende, bis sie ihn wieder
befestigt hat; nur die Nomaden weiber tragen das Gesicht frei, vermeiden es aber,
sich von Fremden anschauen zu lassen. Zum Aufenthalt der Weiber dient das
innere Gemach, der Harent, zu welchem bekanntlich jedem Fremden der Zutritt
versagt ist. Sind mehrere Frauen im Hause, so bewohnt jede eine besondere
Abtheilung; im Hause der Reichen hat jede auch ihre besondere Bedienung.
Stets eine böse Absicht fürchtend, berührt keine Frau die Kost ihrer Neben-
buhlerin. In Gesellschaft spricht ein Perser nie von seinen Frauen. Der Titel
einer Frau von Rang ist chanum, von niederem Rang begum oder badschi
(Schwester), vom niedrigsten saife (die Schwache). Die Beschäftigung der Frauen
ist verschieden, je nach Stadt und Land. Im Ausgehen geniesst die Perserin
viel Freiheit. Von Seiten des Mannes er&eut sie sich im Allgemeinen einer
454 LXVIII. Der Einfluss der religiösen Bekenntnisse auf die sociale Stellung des Weibes.
guten Behandlung; körperliche Züchtigungen sind fast unerhört. Trotz ihrer Ab-
geschiedenheit übt das weibliche Geschlecht £inäu88 auf alle Geschäfte aus; die
Frau eines Gouverneurs oder Yeziers mischt sich sogar in politische Angelegen-
heiten. Im Hause nimmt meist diejenige Frau, welche aus der Yerwandtschafk
ist, den obersten Rang ein; sie führt das Hauswesen, bestimmt selbst das jus
noctis und übt oft eine grosse Autorität über die anderen Frauen aus.
In Mekka kann, trotz der Leichtigkeit, mit welcher eine Ehe zu lösen ist,
die als Concubine benutzte Sclavin nicht wieder verkauft werden, sobald sie dem
Herrn ein Kind geboren hat. (Snouck Hurgronje.)
Wie in der Türkei, so wird auch in Aegypten das weibliche Geschlecht
nicht in den Schulen unterrichtet. Von einer Ausbildung der geistigen Anlagen
und der zarteren Saiten des weiblichen Gemüthes ist ebenso wenig die Rede, wie
von einer Erziehung. Auch wird das Mädchen ohne Religion gross; Mohamed
selbst wollte nicht, dass die Frauen sich im öffentlichen Gotteshause zeigen. An
die Stelle der Religion, sagt Kayser^ ist der krasseste Aberglaube getreten.
Letzterer aber hat noch nie vermocht, die weiblichen Anlagen zu Leidenschaft*
lichkeit, Sinnlichkeit, Eifersucht und Intriguen zu zähmen, und so wachsen mit
den Mädchen diese verhängnissvollen Schwächen, nicht gehemmt durch die Religion
oder doch wenigstens durch Geistesbildung, üppig wuchernd mit auf. — Dieses
durch die Jugendzeit des Mädchens grundlegende Missverhältniss in der Ehe wird
noch verschärft durch die Art der Eheschliessung. In Aegypten geschieht die
Eheschliessung, ohne dass der Mann vorher seine Erwählte gesehen, geschweige
denn kennen gelernt hat. Man bedient sich alter Frauen, welche die Heirath
vermitteln. In sehr vielen Fällen wird das Mädchen bereits als kleines Kind ge*
ehelicht und wächst dann erst im Harem des Mannes heran. Solche noch ganz
kleine Kinder sieht man als Bräute im Hochzeitszuge einherführen. Selbst in dem
Falle, dass ein solcher Ehebund monogamisch bliebe, wäre eine solche Frau ganz
unfähig, die Yorsteherschaft des Hauses oder die Kindererziehung zu leiten ; ebenso
wenig könnte sie dem Manne mit Rath und Fürsorge zur Seite stehen, seine
Lebensgenossin sein. Das ist denn auch in der That nicht der Fall. In den
niederen Volksklassen und auf dem Lande ist die Frau die Dienerin des Mannes.
Das Weib aus dem Volke und das Fellah-Weib arbeiten, während der Mann
raucht und plaudert. Aber auch in den höheren Kreisen steht die Frau that-
sächlich tief unter dem Manne. Nie spricht der Mann mit ihr, nie erfährt sie
von seinen Geschäften und Sorgen. Ja selbst im Tode ruht sie nicht neben ihrem
Manne, sondern durch eine Mauer von ihm getrennt.
Virchow'^ fand in Aegypten bei dem weiblichen Geschlechte die Blut-
armuth sehr verbreitet.
pDazu trägt ausser der einseitigen Nahrung vorzugsweise die aus dem Islam herüber-
gekommene Absperrung und Verschleierung der Frauen bei, die hier und da etwas gemildert
ist, aber im Ganzen -doch durch ganz Aegypten und Nubien fortbesteht und schrecklicher
Weise von den christlichen Kopten nicht nur Übernommen, sondern sogar noch verschärft
worden ist. Ich sah koptische Damen in ihren Frauengemächem , welche nicht einmal zu
den gemeinschaftlichen Mahlzeiten heraus kamen, ja, welchen es die Sitte versagte, auf die
andere Seite der Strasse zu gehen, um in dem herrlichen Lustgarten, der sich drüben aus-
breitete, Erfrischung suchen zu dürfen."
427. Das Weib im Christenthnme.
Dem Christenthnme war es vorbehalten, den Frauen eine Stellung einzu-
räumen, wie sie bis dahin bei keinem anderen Volke erreicht worden war. Schon
in den ersten Jahrhunderten nach Christi Geburt bringen die Schriftsteller hierüber
gelegentliche Andeutungen, welche zeigen, dass das Leben der christlichen Frau
427. Das Weib im Cbristenihume. 455
von ganz neuem Sinn nnd Geist beseelt war. Wir halten uns an das Bild,
welches der Pfarrer Winter nach den Aeusserungen jener Autoren entwirft.
Es war das einseitige Vorwiegen der öffentlichen staatlichen Interessen und
die damit im Zusammenhange stehende 'Veränsserlichung und Verweltlichung des
Lebens, unter welcher in der antiken Welt das häusliche Leben litt und welche
dem Manne einen so viel höheren Werth als dem Weibe yerliehen hatte. Da-
gegen Uess das Christen thum ganz andere, tiefer liegende und weiter reichende
Gesichtspunkte mit aller Energie hervortreten, es lenkte den Blick des Menschen
auf sich selbst, auf Gott, es lehrte ihn Einkehr in sich selbst halten und sich
zuerst und zuletzt in seinem Yerhaltniss zu Gott erfassen und schätzen, es lehrte
ihn, dies als den Mittel- und Höhepunkt aller sonstigen Interessen zu betrachten
und gab ihm darin den Maassstab ftir die rechte Würdigung derselben. Da er-
gab sich aber sogleich der Grundsatz der wesentlichen Gleichheit und gleichen
Berechtigung von Mann und Weib.
Wohl war dieser Gedanke bereits von der Philosophie ausgesprochen worden;
in der Weise aber, wie ihn das Ghristenthum verkündet und namentlich praktisch
verwerthet und durchgeführt hat, war er doch eine ganz neue Wahrheit. Gott
gegenüber haben etwaige Prärogative des einen Geschlechts vor dem anderen
keine Geltung; das HeU ist nicht dem Manne oder dem Weibe, sondern dem
Menschen im Allgemeinen zugesprochen, und der Heilsweg ist für beide einer und
derselbe. Derartige Gedanken sind den Kirchenvätern geläufig und liegen, wo
sie nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, doch ihren Ausführungen zu Grunde.
Man kann sich denken, welch tiefen Eindruck diese ebenso schlichte und un-
mittelbar verständliche als weitgreifende Lehre auf die Gemüther der Frauen her-
vorbringen musste.
Aber wie erfuhr durch jene Beziehung auf Gott auch die ganze Auffiassung
und Führung der Ehe eine so heilsame Veränderung! Man hat mit Recht be-
merkt, dass das häusliche Leben gerade für die innerliche Denkweise des Ghristen-
thums der ganz entsprechende, der ihm selbst verwandteste Wirkungskreis war.
Schon die Eheschliessung selbst wurde unter die Fürbitte der Gemeinde und den
Segen der Kirche gestellt, sie wurde ein gottesdienstlicher Act. Solche Ehen,
welche von Christen ohne die kirchliche Weihe geschlossen wurden, galten als
sehr makelhafte, ja fast als ungesetzliche Verbindungen. Die Beziehung auf Gott
und das Heil der Seele sollte aber auch die ganze Führung der Ehe durchziehen:
sie gab ihr einen ganz neuen Inhalt. Es war vor Allem die gemeinsame Theil-
nahme am Gottesdienst der Gemeinde, sowie das gemeinsame tägliche Gebet,
welches das Zusammenleben der Gatten heiligte und ihm die Richtung auf die
Ewigkeit gab. Sie beten zu gleicher Zeit, rühmt TertuUian, sie werfen sich zu-
sammen nieder, sie halten zu gleicher Zeit Fasten, sie finden in gleicher Weise
sich in der Kirche Gottes, in gleicher Weise beim Tisch des Herrn ein. Aus
beider Munde ertönen Psalmen und Hynmen, und sie fordern sich gegenseitig zum
Wettstreite heraus, wer wohl am besten dem Herrn lobsingen könne. Das ist
eine Schilderung, welche in den Bildwerken der Katakomben ihre Bestätigung
findet. Denn hier sehen wir die Frau dargestellt, wie sie im Kreise der Ihrigen
aus der Schrift vorliest oder betet oder dem lesenden Gatten zuhört. Auf Schritt
und Tritt begegnet uns in jenen altchristlichen Grabstätten das Bild der Frau
und fast immer in betender Stellung, zum Beweise, wie sehr die Christin ihren
priesterlichen Beruf zu üben und zu wahren wusste.
Es gilt als eine der edelsten Anschauungen des Alt^rthums, wenn gesagt
wird, in der Ehe sei der Mann seiner Gattin Erzieher. Im christlichen Hause
waren das beide für einander und dienten sich gegenseitig an ihren Seelen. Nicht
durfte die Frau öffentlich, vor der Gemeinde lehrend auftreten, aber um so häufiger
findet sich der Gedanke ausgesprochen, dass sie durch ihren stillen aber mächtigen
Einfluss auf ihre nächste Umgebung, ihre Angehörigen, einwirken, dass sie durch
456 LXVUI. Der Einfluss der religiösen Bekenntnisse auf die sociale Stellung des Weibes.
ihren Wandel predigen und insonderheit ihren Oatten, wenn dieser noch nicht im
Glauben steht, gewinnen soll. Aber nicht in diesem wesentlichsten Stücke nar,
Ehegatten sollten einander nach allen Seiten hin za immer völligerer Heiligung
des Lebens behülflich sein, ein Jedes auf seine Weise. Es geschieht offenbar mit
Rücksicht auf die oben erwähnten, allgemein beklagten I^ter der heidnischen
Frauen, wenn die christlichen Schriftsteller das Leben und die Tugenden der
christlichen Frau schildern.
Vor Allem wird eine Tugend hervorgehoben, die Keuschheit; zwar soll
sie nicht ein Vorzug der Frauen sein, die Männer werden dazu nicht weniger
verpflichtet, ein bekanntlich dem Alterthum fremder Gedanke; mit allem Nachdruck
wurde darauf gehalten, dass dieser Schmuck den Christen nicht fehle. Die Be*
kehrung zum Christen thum, sagt Justin, bedeutet auch die Bekehrung zur Keusch-
heit. Das gesammte Leben der Christin in allen seinen Aeusserungen sollte
Uebung der Tugend sein und so auch im ehelichen Leben eine Züchtigkeit
herrschen, die es wie ein Heiligthum von aller Befleckung rein erhalt. Im engen
Zusammenhang aber damit steht eine andere Tugend, welche nicht weniger stark
hervorgehoben wird, das ist die Einfachheit und Schlichtheit in der Kleidung und
im ganzen Auftreten. Mit den strengsten heftigsten Worten eifert TertuUian
gegen den Schmuck und Putz der Frauen, aber dem wesentlichen Inhalte nach
finden sich dieselben Vorschriften auch sonst oft wieder.
Es fehlte deu Christinnen jener Zeit auch aller äussere Anlass, sich in
heidnischer Weise herauszuputzen. Sie besuchten nicht das Theater und den
Circus, sie kamen nicht zu den heidnischen Festen, sie nahmen nicht Antheil an
Gastmählern und Gelagen. Ihr Beruf hielt sie im Hause; wenn sie ausgingen,
so geschah es im Dienste der Liebe oder zur Anbetung Gottes in seiner Gemeinde.
Und damit kommen wir zu einem anderen, die ganze Anschauung von der Stellung
des Weibes beherrschenden Grundgedanken des christlichen Alterthums. So sehr
man nämlich hervorhob, dass zwischen den beiden .Geschlechtem in den wesent-
lichsten und höchsten Angelegenheiten kein unterschied bestehe, so sehr wusste
man von einem besonderen Berufe der Frau, wie er ihrer eigenthümlichen Natur
entspricht. Während dem Manne die äusseren Angelegenheiten angewiesen sind,
gehören der Frau die Geschäfte des engeren häuslichen Kreises zu; ihr Beruf
ist das Dienen. Häusliche Arbeiten, wie Spinnen und Weben, die leibliche Pflege
der Ihrigen, die Ueberwachung der Dienstboten, die Erziehung der Kinder, das
sind die ihr obliegenden Pflichten. Wohl scheinen sie theilweise geringfügig zu
sein, aber die Liebe macht ihr auch das Geringe angenehm und werth. Vor
Allem ist es die Erziehung der Kinder, welche ihr voll und ganz in die Hand
gegeben wird; es findet ernste Missbilligung, wenn Eltern sich der Erziehung
ihrer Kinder entschlagen und sie den Sclaven überlassen. Und die Erziehung
musste insbesondere auch darauf gerichtet sein, die Kinder dem Glauben zuzu-
führen; denn in jenen Anfangszeiten der Kirche gab es einen geregelten kirch-
lichen Unterricht noch nicht; und so legt die Kirche namentlich den Müttern die
erste religiöse Unterweisung ihrer Kinder dringend ans Herz, und das gilt nicht
bloss von den Töchtern, auch der Sohn wird dem Einfluss der mütterlichen Liebe
und Sorgfalt unterstellt. Wir wissen von einzelnen Müttern, welche der Kirche
die hervorragendsten Lehrer erzogen und auf ihr Sein und Leben die nachhaltigsten
Einwirkungen ausgeübt haben, wir nennen Monica, die Mutter Äugusttn's, Nanna,
die Mutter des Gre^ror von Nazianz, Anthusa^ die Mutter des Chrysostomus. So
finden wir denn, dass die Gattin und Mutter vom Christenthum erst voll und
ganz in ihre Rechte und Pflichten eingesetzt wird.
Und als ob das Weib nur darauf gewartet hätte, so sehen wir sie jetzt im
christlichen Hause den ihr mitgegebenen Schatz selbstverleugnender Liebe aufs
reichste entfalten, wir sehen sie ein Stillleben häuslichen Fleisses und freudigen,
hingebenden Dienens fuhren und ihr ganzes Leben und Thun durch den Glauben
427. Das Weib im Ghristenthume. 457
und das Gebet weihen und heiligen. Was Wunder, wenn im Gegensatz gegen
die vielen Klagen über das weibliche Geschlecht unter den Christen jetzt ganz
andere Stinunen laut wurden! Etwas überaus Treffliches, so bekennt der Kirchen-
vater Clemens (t um 220), der so anschaulich die Laster der Frauenwelt schilderte,
etwas überaus Treffliches ist es um eine rechte Hausfrau, die sich selbst und
ihren Gatten durch ihrer eigenen Hände Arbeit kleidet, woran Alle sich erfreuen,
die Kinder über die Mütter, der Mann über sein Weib, dieses über sie. Alle aber
über Gott. Kurz, ein braves Weib ist eine Schatzkammer der Tugend, ist eine
Krone ihrem Manne. Und wie soll ich, ruft TertuUian aus, der Aufgabe ge-
nügen, das Glück einer Ehe zu schildern, welche die Kirche zusammenfügt, die
Darbringung des Opfers bestätigt und der Segen besiegelt hat, welche die Engel
verkündigen und der himmlische Vater für gültig erklärt! Welch' eine Ver-
bindung zweier Gläubigen, die eine Hoffiiung haben und eine Lebensregel, und
die einem Herrn dienen. Beide sind Bruder und Schwester, beide Mitknechte;
da ist keine Trennung des Fleisches und des Geistes. Welch' ein feiner Sinn
spricht sich in der Anweisung des HyppoUtus aus (Can. 17): Uebertrifft die Frau
den Mann an Wissen, so soll sie jederzeit Gottes eingedenk sein, uebertrifft sie
überhaupt alle Männer durch ihr Wissen, so soU sie diesen Vorzug Niemanden
fühlen lassen, sondern vielmehr ihrem Manne wie dem Herrn dienen und der
Armen gedenken, als wären sie ihre eigenen Verwandten, zugleich für die Opfer-
gabe Sorge tragen und sich von der leeren eitlen Welt weit entfernt halten.
Noch ein anderes Gebiet dienender Liebe aber eröffnete das Christenthum
der Frau. . Ueberlesen wir das sechzehnte Kapitel des Römerbriefes, so ist es
auffallend, welch eine Anzahl von Frauennamen uns begegnet, Phöbe^ PrisdUa^
Maria, Thryphäna, Persis u. a. Sie alle haben den Ruhm, der Gemeinde oder
Einzelnen in ihr unter selbstverleugnender Mühe wichtige Dienste geleistet zu haben.
Und sie sind nicht die Einzigen, welche aus dem neuen Testamente uns bekannt
geworden sind: da giebt es noch die Täbea voll guter Werke und Almosen, die
Lydia^ welche die Gemeinde zu Philippi in ihrem Hause sanunelte, die ersten
Jüngerinnen des Herrn, die ihm selbst dienten und dann in den ersten Tagen der
Gemeinde treu mit den Aposteln zusammen standen. Es war der Dienst der Liebe
in der Gemeinde, insonderheit an ihren Armen und Nothleidenden, der den Frauen
zufiel und für den jene Frauen des neuen Testaments noch jederzeit Typen und
Vorbilder gewesen sind.
Dieser Dienst führte bald zu einem formlichen Amte, zu dem der weiblichen
Diakonie: Wittwen und Jungfrauen übernahmen es als ihren besonderen Beruf,
theils bei manchen gottesdienstlichen Handlungen hülfreiche Hand zu leisten, theils
Armenpflege und Krankenpflege in der Gemeinde auszuüben. Aber auch die
christliche Hausfrau war geschäftig im Dienst der Liebe; sie bewirthete die fremden
Brüder, sie half die um des Glaubens willen Gefangenen mit dem Nöthigen zu
versorgen, sie besuchte die Kranken, sie nahm ausgesetzte Kinder, welche von
ihren heidnischen Eltern Verstössen worden waren, in ihre Obhut und Pflege,
kurz wo es zu helfen und zu dienen gab, da wusste sie sich berufen, thätig
einzugreifen.
Und wenn es hierbei schon galt, nicht nur die Gabe darzubringen, wenn
vielmehr die persönliche Hingabe und Aufopferung das Nothwendigste und Beste
bei solchem Liebesdienste war, so gab es daneben noch ein Gebiet, wo die
Christin ihren vollen Opfermuth zeigen konnte und wo sie die höchsten Opfer
gebracht hat, die überhaupt ein Mensch zu bringen vermag, wir meinen das
Martyrium. Nicht die leiblichen Qualen und der Tod waren hierbei immer das
Schlinmiste; wir wollen hier auch nicht von dem unscheinbaren, aber nicht
weniger peinlichen Märtyrerthume reden, welches die in einem heidnischen Hause,
vielleicht neben einem heidnischen Glitten lebende Christin zu bestehen hatte,
von den täglichen, höchst peinlichen, ja auf die Länge unerträglichen Anstössen
458 LXVIII. Der Einfluss der religiösen Bekenntnisse auf die sociale Stellung des Weibes.
und Beängstigungen, welche die das ganze Leben durchziehenden heiduisclieii
Gebräuche und Erinnerungen ihrem Glauben brachten. Gerade die Frau, welche
mit allen Fasern ihres Herzens mit den Ihrigen, mit Eltern, Gatten und Kindern
80 innig verwachsen war, hatte in der gewaltsamen Trennung von ihnen die
höchsten Opfer zu bringen und die schwersten Kämpfe zu bestehen, wenn es
galt ihren Bitten, Klagen und Thränen gegenüber sich standhaft zu beweisen.
Es sind uns die Märtyrergeschichten einiger solcher Glaubensheldinnen auf-
bewahrt, der Perpetua, der Fdicitas u. a.; sie zeigen uns in concreten Bildern,
welche Kämpfe hier überstanden, welche Siege über Fleisch und Blut errangen
worden sind.
Die Heiden spotteten oft darüber, dass so viele Frauen dem Evangeliam
zufielen ; sie höhnten, das Christenthum sei die Religion fiir die alten Weiber und
die Kinder. Aber sie konnten doch den christlichen Frauen ihre Bewunderung
nicht versagen. Was ftir Frauen haben die Christen! rief staunend der Redner
Libanius aus. Ja, was hat die Gotteskraft des Evangeliums aus ihnen gemacht!
Es hat der Frau ihre Ehre und ihren gottgewollten Beruf wiedergegeben und sie
dadurch bei aller Einfachheit, Stille und Demuth mit einer Kraft und Freudigkeit
erfüllt, dass ihr nicht ein geringer Antheil gebührt an der Ueberwindung der
Welt durch das Evangelium. Ihre stille Art, den Glauben zu bethätigeu, hat die
schönsten Siege gewinnen helfen. Von dem christlichen Weibe ist eine Fülle des
Segens ausgegangen, die nicht nur dem nächsten, engen Kreise des Hauses zu
Gute gekommen ist, sondern die sich über ganze Generationen und ganze Volker
ausgebreitet hat.
428. Das Weib im heidnischen Europa.
Die sociale Stellung des Weibes bei den Griechen und Römern im
klassischen Alterthume haben wir bereits in einem früheren Abschnitte kennen
gelernt; wir haben nun noch zu untersuchen, welche Stellung dem Weibe bei den
übrigen Culturvölkern des heidnischen Europa zugewiesen worden war.
Sehr wenig wissen wir über die Keltenj vielleicht herrschte bei ihnen
Polygamie, denn an einer Stelle seines gallischen Krieges spricht Caesar allerdings
von den Ehefrauen eines Mannes in der Mehrzahl, unter seinen Commentatoren
herrscht aber über diese Stelle eine ausserordentliche Meinungsverschiedenheit.
{de Bdloguet)
Bei den Britanniern dagegen, welche bekanntlich ebenfalls einen Zweig
des Kelten Volkes bildeten, scheint eine Frau gleichzeitig mehrere Männer be-
sessen zu haben. Es spricht hierfür die folgende Angabe Caesars:
„Alle zehn bis zwölf haben eine Fran gemeinschaftlich und zwar hauptsächlich Brüder
mit Brüdern und Väter mit Söhnen; die von diesen Frauen Geborenen aber gelten als Kinder
Derjenigen, denen die Betreffende zuerst als Jungfrau zugefQhrt wurde."
Auch von den alten Slaven wissen wir so gut wie gar nichts, doch müssen
die Bande der Ehe, wenn wir dem alten Nestor Glauben schenken dürfen, bei
ihnen sehr lockere gewesen sein. Nestor erzählt nämlich mit vieler Entrüstung
von den slavischen Radimicen, den Wiaticen und den Severiern
Folgendes :
„Auch hatten sie keine förmlichen Ehen, sondern sie stellten lustige Spiele in den Dörfern
an, wo sie zum Sang und Tanz und allem teuflischen Spiel zusammenkamen, und da entf&hrte
sich jeder das Weib, mit dem er eins geworden war."
Aehnliches besteht auch noch heute bei den Süd-Slaven, wie wir in einem
späteren Abschnitt sehen werden.
lieber die alten Slaven giebt Krams^ Folgendes an:
^In prähistorischer Zeit ist beiden Süd-Slaven Polygamie allgemein gewesen; in der
ersten Zeit des Christen thums bis etwa gegen das Ende des 14. Jahrhunderts erscheint daför
428. Das Weib im heidnischen Europa. 459
freilich nur in aristokratischen Kreisen das Concubinat als rechtlich zulässig, ohne dass man
daran Anstoss nahm.'' Wie aus einem Epos hervorgeht, hatte der Mann das Recht, seine
Frau zu verkaufen.
«Eheliche Treue hat der Mann (bei den Süd-Slaven) von der rechtmässigen Gattin
allezeit geheischt. Als Beweis kann man die (relativ) prähistorischen, auch zum Theil in
historischer Zeit üblichen Strafen für Ehebrecherinnen ansehen. Die treulose Frau wurde ent-
weder (wie in der deutschen Sage Stoanhilde) Pferden an den Schweif gebunden und zu
Tode geschleift, oder in vier Stücke gehauen und an einem Kreuzwege als abschreckendes
Beispiel hingelegt, oder mit Pech bestrichen und in Brand gesteckt. In der Neuzeit haben
bei weitem mildere Anschauungen Platz gegriffen. So ist es z. B. noch bis in die fünfziger
Jahre dieses Jahrhunderts in der Crnagora Rechtsbrauch gewesen, dass der betrogene Gatte
seiner Frau die Nase abschneiden durfte. Der Verführer ist aber regelmässig mit dem Tode
bestraft worden."
Bei den alten Germanen hat die Stellung der Frau sich aus rohen An-
fangen zum Besseren entwickelt. Ueber die ersteren äussert sich Weinhold:
,Die Sitte, dass sich das Weib mit dem todten Manne verbrennen lassen musste, das
Recht des Mannes, seine Frau zu vermachen, zu verschenken xmd zu verkaufen oder seinem
Gaste anzubieten, beweisen jene BildungsanfSnge, deren Spuren sich vereinzelt noch in spätere
Zeiten verlieren/
Ausser Weinhold haben namentlich Sohm, Freybe und Fdix Bahn sich
mit der Stellung des deutschen Weibes beschäftigt. Dieselbe war scheinbar
eine untergeordnete, unselbständige, denn nach altem Rechte konnte, wie Sohm
darlegt, der Qeschlechtsvormund, meist der Vater oder der Gatte,
„die Frau wie des Lebens so der Freiheit berauben, sie in die Knechtschaft verkaufen,
um ihren Vermögenswerth zu realisiren, wie etwa den Werth anderer fahrender Habe. Erst
allmählich trat eine Fortentwickeluog und damit eine Abschwächung ein. Das Tödtungsrecht
des Geschlechtsvormundes reducirt sich von Rechtswegen auf den einzigen Fall, in welchem
es wahrscheinlich thatsächlich von jeher allein seine Ausübung gefunden hatte, auf den Fall
der Unkeuschheit des Mündels; das Recht, in die Knechtschaft zu verkaufen, verschwindet;
nur das Recht des Geschlechtsvormundes, sein Mündel in die Ehe zu verkaufen (zu verloben),
bleibt bestehen. Ungeschmälert erhält sich auch das Erziehungsrecht, das der Vormund über
die Frau ausübt. Die Frau aber tritt dann in die Yermögensf ähigkeit ein : seit dem Ausgange
des fünften Jahrhunderts ist der Frau das Privaitrecht zugänglich geworden. Allerdings
schliesst die Fähigkeit, Vermögen zu haben, nicht auch die andere, das Vermögen selbst zu
verwalten, in sich. Ihr ganzes Vermögen ist ihr entzogen und dem Willen, ja auch dem
Genüsse des Vormundes preisgegeben. Dennoch ist der Fortschritt ein eminenter, denn die
Frau ist eine Person geworden, rechtsÄhig, wenngleich nur für das Gebiet des Privatrechts.
Während sie in der ältesten Zeit nur für das Haus, nicht für den Staat existirte, hat sie jetzt
eine unmittelbare Beziehung zur Rechtsordnung und zum Rechtsschutz gewonnen.*
Die soeben geschilderte Obergewalt wurde mit dem Worte Munt bezeichnet.
Der noch heute gebräuchliche Ausdruck Vormundschaft hängt mit dem gleichen
Begriffe zusammen. Diese Muntschaft, der die Weiber unterstanden, war nach
Bahn die natürliche Folge ihrer Waffenunfahigkeit für den Krieg und den ge-
richtlichen Zweikampf; Knaben, die noch nicht waffenfähig waren, hatten sich der
gleichen Muntschafb zu fügen. Hiermit im engsten Zusammenhange steht die
rechtliche Bestimmung, dass für die Tödtung einer Frau eine geringere Busse als
für einen Mann zu zahlen war. In jenen Tagen der gewaffneten Selbsthülfe war
eben das Schwert mehr werth als die Spindel. So wurden auch die Verwandten
des Mannes als die Schwertmagen, diejenigen der Mutter als die Spindel-
magen bezeichnet.
Das Bedürfniss, den Grundbesitz, auf dem die Macht der Sippe beruhte,
nach Kräften zu befestigen und zu vergrössem, war der Grund, warum die Frauen
an der Erbschaft nicht theilnehmen konnten. Aber das bezog sich nur auf das
Erbgut, und anderweitig erworbener Besitz konnte auch ai^ die Töchter über-
gehen; nur die Männer von gleicher Oradnahe der Verwandtschaft gingen in der
Erbschaft den Frauen voraus, aber bei fernerer Verwandtschaft fiel letzteren das
460 LXVIII. Der Einfluss der religiösen Bekenntnisse auf die sociale Stellung des Weibes.
Erbe vor dem Manne zu. So stand beispielsweise zwar die Schwester hinter dem
Bruder des Erblassers zurück, aber sie erbte unter allen Umständen vor dem
Vetter oder dem NefiFen desselben.
Die Ehe war in der germanischen Vorzeit meist eine Sache des Ver-
standes. Aber aus der scheinbar nüchtern geschlossenen Verbindung erwuchs die
einfache schlichte Treue. Bei der Wahl der Frau entschied weniger Schönheit,
als Vermögen und ruhmvolles Geschlecht. Die Werbung geschah bei dem, der
die Munt hatte. Die Muntschaft übernahm nach des Vaters Tode der älteste Sohn;
so ist's z. B. nach dem isländischen Gesetz, welches die Mnntschaft der Mutter
erst nach dem ältesten Sohne giebt. Der Vater, der Bruder oder die Mutter waren
aber auch die gesetzlichen Verlober.
Die Werbung wurde durch einen Fürsprecher überbracht. Selten kam der-
selbe allein; er war meist von Verwandten und Freunden begleitet; denn das
Geschlecht sollte aufe beste vertreten sein, damit Vertrauen erweckt werde und
der Erfolg um so sicherer sei. Fand man Geneigtheit, so wurde über den Braut-
kauf verhandelt. Dies war ein Rechtskauf, kein Personenkauf. Die Frau wurde
aus dem bisherigen Rechts- und Schutzverhältnisse losgekauft, und der Bräutigam
erwarb sich die Muntschaft. Später wurde der Schuh Symbol dieser Muntschafts-
übertragung. Der Bräutigam bringt der Braut den Schuh; sobald sie ihn an den
Fuss angelegt hat, ist sie ihm unterworfen. Daher der Ausdruck Pantoffel-
herrschaft, d. h. der Mann tritt in den Schuh der Frau. Die Art und Höhe
des Muntschatzes wurde nach gegenseitigem Uebereinkommen festgestellt. So
erwarb sich der Bräutigam alle Rechte, welche sich auch in Hinsicht des Ver-
mögens an die üebemahme der Vormundschaft der Verlobten knüpfen. Ohne
Mahlschatz gehörte die Frau nur ihrem angeborenen Geschlechte an, ihre Eonder
erbten daher nur in ihrer Familie und wurden als keine rechten Glieder des
Geschlechts des Vaters betrachtet. Der Sohn einer Frau, ftir welche kein Munt-
schatz gezahlt war, und deren Hochzeit nicht ÖfiPentlich war, hiess homungr.
An die Verwandten der Frau wurden die Gaben gespendet, welche schon von
Tacittis angeführt werden. Es waren Rinder, ein gezäumtes Ross, ein Schild und
ein Schwert. Auch später werden diese Gegenstände noch als Bestandtheile des
Brautkaufs genannt.
Nach dem Brautkauf wurde die Braut übergeben. Später, als aus dem
besprochenen Rechtskauf ein Geschenk an die Braut oder deren Familie wurde,
trat als Gegengabe und zugleich als die Mitgabe an die Verlobte die sogenannte
Mitgift ein, die indessen nicht Eigenthum des Mannes war, sondern der Frau
zu eigen blieb. Als Mitgift gab man Geld und Gut, ursprünglich nur fahrende
Habe, denn Frauen durften nach altgermanischem Rechtsbegriff kein liegendes
Eigenthum besitzen, weil damit die Rechte und Pflichten eines Gemeingenossen
verbunden waren, aber schon die nordischen Sagen erzählten ofb genug von
liegenden Gütern der Mitgift. Der Mann hatte von aller Mitgift nur den Niess*
brauch, aber nicht das Verfögungsrecht.
Nach den Angaben des Tacitus war die Ehe eine monogame, und er be-
wundert die keusche Strenge, mit welcher sie heilig gehalten wird. Vielweiberei
kam nur ausnahmsweise aus politischen Rücksichten vor. Äriovist z. B. lebte in
Doppelehe. Schrader suchte durch linguistische Gründe zu erweisen, dass in der
Urzeit der indogermanischen Stämme Polygamie bestanden habe; erst nach der
Trennung der einzelnen Völker habe sich die Monogamie entwickelt. Bei den
Nord-Germanen soll sich dieser Wechsel später vollzogen haben, als im Süden
und Westen. Nach Weinhold fand sich die Vielweiberei bei den Merowingern
und in Skandinavien.
Neben dieser mehrfachen Ehe bestand jedoch auch das Concubinat: Die
Kebse war nicht gekauft und vermählt, sondern die gegenseitige, oft auch nur die
einseitige Neigung schloss ohne Förmlichkeit die Verbindung, welche der Frau
428. Das Weib im heidniscben Europa. 461
nicht Rang und Recht der Ehefrau, den Kindern nicht die Ansprüche ehelicher
Nachkommen gewährte. Später aber bildete sich unter der Mitwirkung der Kirche
das Concubinat zur morganatischen Ehe um.
Wurden nun die Brautleute verlobt oder „gefestet*, so schlössen die
Zeugen und nächsten Verwandten der Beiden einen «Ring'' (Kreis) um das Paar.
Der Yerlober fragte den Mann und dann die Jungfrau, ob sie einander zur Ehe
begehrten; danach übergab er durch Ueberreichung von Schwert und Ring die
Muntschaft über sein Mündel dem Bräutigam. Dieser steckte nun mit einem
Spruche seinen Ring an den Finger der Braut und empfing den ihrigen. Mit
der nun folgenden Umarmung sammt dem Kuss galt die Verlobung vollkommen
geschlossen. Der Kuss vor Zeugen ist das öffentliche Zeichen des Antritts der
Brautschaft. Ein unbegründeter Rücktritt der so gefesteten Brautleute war un-
möglich, das Recht des Gulathing setzt auf solchen Bruch an Treue und Glauben
Landesverweisung. Lehmann glaubt, dass die Verlobung noch nicht mit der Ehe-
schliesBung identisch war.
Auf die Verlobung folgte meist rasch die Heimführung, der sogenannte
„Brautlauf''. Die längste Zeit der Verlobung sind zwölf Monate. Das Fest
fand im Hause des Bräutigams statt. Der Zug der Braut zum Hause des Bräutigams,
die Einführung in das Haus und die Bewirthung darin, das „Brautlauftrinken",
waren wesentliche Bestandtheile der germanischen Hochzeitsfeier. Ganz in
Leinen gehüllt, am Gewände die wirthlichen Schlüssel, ward die Braut dem
Bräutigam zugeführt. Mit dem heiligen Hammer, dem Symbol des Lebens, mit
dem auch die Leichen geweiht wurden, berührte man die Braut und weihte also
die Ehe. Dann trank das Paar einen Becher zusammen und das Trinken hub an.
Man trank zuerst für Thor^ den Gott der Ehe und des Hauses, dann fär Odhin
und die anderen Götter. Der Brautkranz war im germanischen Alterthum
nicht üblich, er wurde erst durch die Kirche eingeführt, welche die Bekränzung
der Brautleute aus dem klassischen Heidenthume beibehielt.
Sorgfältig wurde über die Keuschheit gewacht, vor der Verheirathung so-
wohl, als auch in der Ehe.
Die West-Gothen betrachteten unzüchtiges Leben als römisches Vorrecht;
die Vandalen trieben aus den eroberten Städten die öffentlichen Dirnen aus. Die
öffentlichen Weiber, die sich etwa in älterer Zeit unter den Germanen fanden,
waren keine germanischen Frauen, oder wenigstens keine freien. Allerdings
gingen die Frauenhäuser in den römischen Städten Süd-Deutschlands mit dem
Untergänge der römischen Macht nicht ein; sie bestanden noch während des
Mittelalters fort und standen unter dem Schutze der Obrigkeit, sobald sie sich
den Polizei Verordnungen fugten. Nach der Niederlage der Gimbe rn durch Marius
erflehten die Weiber vom Consul, dass ihre Keuschheit geehrt und sie den Vesta-
lischen Jungfrauen als Sclavinnen zugetheilt werden möchten. Als ihnen dieses
verweigert wurde, tödteten sie zuerst ihre Kinder und dann sich selbst.
Es lag in der Lebensanschauung der germanischen Männer, trotz der
vorher geschilderten Bevormundung, doch eine ideale Werthhaltung des Weibes.
, Daraus erklärt sich, sagt Felix Bahn, dass das germanische Weib in den rauhen,
ja zum Theil rohen Zuständen der Yorcultur eine so günstige, ja ehrenvolle Stellung einnahm,
wie etwa bei viel höherer Givilisation die rO mische Matrone, und eine viel würdigere, als
die hellenischen Hausfrauen zur Zeit der höchsten Culturblüthe Athens.**
Auch ihre Oötterlehre liefert den Beweis von dem hohen Ansehen, in
welchem das Weib bei den germanischen Völkern stand; denn auch die Ger-
manen schufen ihre Göttinnen nach dem Bilde ihrer Frauen. Die Frigg^ Freia^
Nanna^ Gerdha^ Sigun sind germanische Jungfrauen und Frauen, nur wenig
idealisirt. Dahn ruft im Hinblick auf diese Gestalten aus:
„Welche Fülle von Schönheit, Anmuth, Hohheit, Reine, Treue, Seelenkraft und Herzens-
462 LXYIII. Der Einfluss der religiösen Bekenntnisse anf die sociale Stellung des Weibes.
tiefe ist in ihnen vereinigt! Und Sage und Geschichte belegen diese Luftspiegelung des.
Weibes mit zahlreichen Beispielen menschlicher Bethätigung. Wie folgerichtig ist es, dass,
da das Weib die Zukunft, das nahende Schicksal ahnungsvoller als der Mann erfasst, die da
das Schicksal weben und wirken, nicht Männer sind, sondern die ehrwürdigen Narnen
(Schicksalsschwestem). und jene Tapferkeit der germanischen Jungfrau, welche die
Waffen nicht fürchtete und oft mit dem Geliebten in Kampf und Tod ging, findet ebenfalls
ihren Ausdruck im Walhall: nicht Männer, nicht Herolde sind es, sondern herrliche Mädchen,
die Schildjungfrauen Odhin% welche die Walküren, d. h. die zum Tode bestimmten Helden
bezeichnen, und wenn sie gefallen, emportragen zu Walhalls ewigen Freuden, welche
sie, Odhin'8 Wunschmädchen, mit dem Einheriar (Held in Walhall, wörtlich Schreckens-
kämpfer) theilen. Höhere Verherrlichung des Weiblichen war germanischer Phantasie
nicht denkbar/
Zu den schwersten Verbrechen rechneten unsere Vorfahren die gewaltsame
Entführung, den Frauenraub. Weinhold macht uns mit den Strafen bekannt,
welche die ältesten Gesetzbücher auf solchen Friedensbruch setzten. Nothzucht
und Frauenraub werden für gewöhnlich mit denselben Strafen belegt.
Mit der fortschreitenden Culturentwickelung hoben sich im Verlaufe der
Zeiten auch mehr und mehr Ansehen und Stellung des weiblichen Geschlechts.
Weinhold schildert das mit folgenden Worten:
,Der gesunde Kern des germanischen Wesens hatte eine rasche Fortentwickelnng
von der Stufe roher Sinnenkraft zu der freien Menschlichkeit geschaffen. In Bezug auf die
Frauen äusserte sich das in einer Menge Ausnahmen von den alten Rechtssatzungen,
welche allmählich eintraten. Das Mädchen erhielt Zugeständnisse bezüglich der Verfügung
über sein Vermögen; bei der Vermählung kam sein eigener Wille zum Ansehen; die Erkaufiing
von Leib und Leben wandelte sich in die Erwerbung des Schutzrechts; die Macht des Ehe-
manns über die Person der Gattin ward beschränkter ; die Wittwe endlich, abgesehen davon,
dass ihr Sterben mit dem Manne in vorhistorischer Zeit bereits abkam, erhielt manche Rechte,
welche an männliche streifen. Die weibliche Klugheit vermehrte das, was die Nachgiebigkeit
der Männer einräumte; mancher rechtlich freie Mann ward ein Höriger des rechtlosen Weibes ;
Weiber griffen tief ein in die Geschicke der Staaten."
429. Die sociale Stellang des Weibes im mittelalterlichen Europa.
Bei der Gründung des fränkischen Reichs spielen die Frauen eine nicht
unerhebliche Rolle. Chüderich^ Merowig's Sohn, lebte mit der Gattin des
Thüringer Herzogs, Basina^ in verbotenem Umgänge; sie floh dann zu ihm
nach Franken und gebar ihm nach vollzogener Ehe jenen tapferen Chlodwig^
der ganz Gallien den Franken eroberte. Dieser erfuhr, dass die schöne Tochter
des Burgunderkönigs Chlotilde zu Genf im Kloster sei; er wollte sie besitzen,
um in Burgund eine Partei zu gewinnen, und schickte seinen treuen Äurelian
nach Genf, der als Bettler verkleidet von der königlichen Nonne empfangen
wurde. Sie wusch dem Bettler demüthig die Füsse, wobei letzterer sich zu er-
kennen gab, indem er den Ring Chlodwig' s ins Wasser gleiten liess; gern willigte
sie ein und wurde die Gattin des tapfem Chlodwig. Im Kampfe gegen die Ale-
mannen drohte demselben Missgeschick; da rief er in der Noth den Gott seines
Weibes und der Christen an; nachdem er gesiegt hatte, liess er sich taufen (496).
Trotz dieses Ueberganges zum Ghristenthum kamen im Herrscherhause derMero-
winger Gräuel vor, bei denen auch Frauen eine hervorragende Rolle spielten.
Wir nennen hier nur Brunhild und Fredegunde^ welche activ in das politische
Leben eingriffen.
Karl der Grosse hatte nach einander fünf eheliche Frauen und fünf Kebs-
weiber. (Arnold.) Er sah bei ihnen nicht auf vornehme Geburt, wohl aber auf
Schönheit und Tugend. Bekannt ist die Sage von seiner Tochter Emma und
seinem Schreiber Eginhart, seiner Tochter Bertha mit dem jungen Engdbert
lieber die Stellung der Frau zu jener Zeit geben KarVs des Grossen hinterlassene
429. Die sociale Stellang des Weibes im mittelalterlichen Europa. 463
Capitukrien und Briefe, sowie auch die Schriften Älcuins und Eginharfs Qe-
schichtswerk einige Auskunft.
Sehr interessant ist es, die Wirkung zu verfolgen, welche die Berührung
und allmähliche Verschmelzung germanischer Stämme mit gallischen und
romanisirten Elementen auch auf die Frauenwelt ausübte. Nachdem sich die
Franken Gallien unterworfen und das fränkische Beich gegründet hatten,
kamen dort neue Sitten zum Durchbruch, welche dann auch auf die anderen
deutschen Stämme nicht ohne Einfiuss geblieben sind. Kr alles suchte dieses
an den alten Dichtungen Frankreichs nachzuweisen. Er sagt hierüber:
,In den ältesten Epen der französischen Car/ssage tritt die Frau nur vorübergehend
auf und gewinnt kaum einen Einfiuss auf die Handlung. So stehen die Franengestalten des
i^o^atidliedes in so loser Beziehung zum Ganzen, dass man sie für einen der ursprünglichen
Version späterhin eingeftlgten Zusatz halten möchte. In der Folge dagegen nimmt die Be-
deutsamkeit der Frauenfigur stetig zu. Dafür spricht auch die Wahl der Frauennamen, die
anfänglich ohne jede innere Beziehung, später immer mit einer solchen auftreten und dann
namentlich die sinnliche Schönheit betreffen. Die Benennung der ältesten Frauenbilder ist
ferner vielfach deutscher Abkunft: so ist auch der Charakter des Weibes, wie es in den
Epen gezeichnet wird, die altgermanische, und seine Sittenreinheit bleibt gewahrt.
Späterhin aber geht sie verloren; bemerkenswerth ist dabei die Vorliebe, mit welcher in
erster Linie immer Heidenfrauen, viel weniger gern Christinnen, als sittlich schlecht gezeichnet
werden. Zugleich verflüchtigen sich die germanischen Benennungen in das Romanische.
Die Frau tritt nun mehr und mehr aus den Grenzen der Weiblichkeit heraus: sie wirbt um
Liebe, kämpft selbst dafür, opfert Alles ihrer Leidenschaft. Wie das edle Bild des Helden
Carl im Verlaufe der französischen Epik immer mehr getrübt und befleckt wird, genau
so ergeht es dem Weibe.''
Das Mädchen nahm in damaliger Zeit eine untergeordnete Stellung ein; es
reicht das Waschwasser, bedient die Oäste, entwaffnet sie, trägt Sorge für ihr
Ross und geleitet sie zur Lagerstätte. Die Ausbildung der Tochter scheint minder
schlecht, als die des Sohnes gewesen zu sein; sie wird fromm erzogen, lernt auch
wohl fremde Sprachen, als Heidin vor Allem das Romanische; sich kostbar zu
schmücken verstehen besonders die Pürstentöchter. Dem Vater ist die Tochter
mehr gehorsam, als liebevoll ergeben; bisweilen verbindet sie sich mit der Mutter
gegen den Vater. In allen Chansons spielt die Liebe eine bedeutende Bolle;
mädchenhafte Scheu und züchtige Zurüöldialtung ist der Liebenden nicht eigen.
Manche Frau erscheint in der Liebe sehr erfahren. Die Sinnlichkeit des Mannes
ist dagegen nur sehr selten betont; wo der Mann ein Weib begehrt, tritt er doch
kaum als werbend auf; er weiss, dass er der Gunst der Frauen sicher ist.
Die Ehe, wie sie sich in den altfranzösischen Epen behandelt findet,
wird selten aus aufrichtiger Liebe geschlossen; die Frau wünscht die Ehe, weil sie
von ihr eine Besserung ihres schütz- und rechtlosen Zustandes hofft; der Mann
(meist unter Beirath seiner Verwandten und Freunde) ehelicht, um den Einfiuss
und Beichthum der eigenen Sippe zu heben. Die Verlobung erfolgt feierlich vor
Zeugen, auch wohl an heiliger Stätte; zu nahe Verwandtschaftsgrade sind ein
Ehehindemiss. Besondere Hochzeitsgebräuche finden sich nicht erwähnt; die Feier-
lichkeiten dauern manchmal acht Tage. Das Paar empfangt priesterlichen Segen ;
ist die Braut eine Heidin, so wird sie zuvor getauft. Das eheliche Verhaltniss
erscheint in den Epen meist als durchaus rein; die Frau erscheint voll zärtlicher
Liebe und Hingebung; jedoch sie verachtet den Mann, sobald er keinen Schutz
und wenig ritterliche Thaten leisten kann. Allein auch gegen den früheren Ge-
liebten bewahrt die Frau, welche ohne Liebe eine Ehe eingeht, eine sehr zärtliche
Zuneigung; sie entschliesst sich sogar rasch und ohne Verführung zur Untreue.
Die eheliche Zuneigung des Mannes zeigt sich von vornherein als weniger innig.
Ihm geht sein Waffenleben, sein Ruhm und der der Sippe über% Alles. Die Frau
behandelt er oft mit Misstrauen, inuner geringschätzig; er fühlt sich als ihren
unumschränkten Herrn und ist als solcher vielrach ungerecht; die vollige Unter-
464 LXVni. Der Einflusa der religiösen Bekenntnisse auf die sociale Stellung des Weibes.
Ordnung erzwingt er selbst durch rohe Gewalt. Eine Einmischung in seine Unter-
nehmungen weist er zurück und bekümmert sich überhaupt sehr wenig um seine
Gattin. Angebliche oder vermeintliche Untreue ahndet er mit dem Todesurtheil,
welches höchstens in Verbannung gemildert wird. Ein Fehler des Mannes gegen
die eheliche Treue wird in den Gedichten nicht erwähnt.
In den Rechtsverhältnissen, welche die Frau betreffen, tritt ebenfalls im
Mittelalter ein sehr erheblicher Umschwung ein. Sohm giebt darüber Folgen-
des an:
,7m dreizehnten Jahrhundert macht sich eine neue Epoche bemerkbar. Die Geschlechts-
T0i*mund8chaft über die erwachsene unyerheirathete Frau ist bereits der Auflösung nahe. Im
fränkischen Rechte ist die Geschlechtsvormundschafb vollkommen untergeg^gen. In den
übrigen Stämmen dauert sie in der Hauptsache nur als PressTormundschafb fort. Die Jnng^-
frau ist privatrechtlich eraancipirt. Sie ist in freier Verfügung und Nutzung ihres Vermögens.
Aber dies gilt nur für die unyerheirathete Frau. Für die Ehefrau ist das Vormundschafta-
recht in Kraft geblieben. Das gesammte deutsche Eherecht und Frauenrecht ruht auf
dem Satze, dass der Ehemann der Herr des Hauses, und überhaupt der Mann das Haupt de»
Weibes ist."
In den Zeiten des Rittertbums ward dann der Frau ein schwärmerischer
Dienst gewidmet. Sie trat in den Mittelpunkt des reich belebten geselligen Kreises,
die Frauenliebe lebkte die Herzen der Männer und die Phantasie der Dichter.
Von dieser Zeit an war die Stellung des Weibes eine völlig andere geworden.
In der Stille der Kemenate erzogen, hatten die Frauen gewohnlich eine
sorgfaltigere geistige Ausbildung erhalten als die Männer. Sie verstanden die
Kunst des Schreibens und Lesens, waren in den Wissenschaften gut unterrichtet,
mit Musik und fremden Sprachen wohl vertraut. Sie hatten von Jugend auf das
Spinnen, Nähen, Sticken gelernt; ihre Gewänder fertigten sie sich selbst, sowie
auch diejenigen der Männer. Die Stickkunst stand in hoher Blüthe. Auch in
der Heilkunst waren sie erfahren, und zarte Frauenhand wusste den verwundeten
Ritter gar wohl zu pflegen. Bei den Turnieren ertheilten sie den Rittern Lob-
sprüche und Siegespreise. Zur Jagd, namentlich zur Falkenbeize zogen sie mit
den Männern hinaus. (Lyon,)
Die Frau bot dem Manne zuerst den Gruss, und wenn sie grüsste, so hatte
der Mann nur sich verneigend zu danken. Ein »sanfter", ein „werther* Gruss
von Frauen war jedoch eine Ehre für den Mann. Der edle Walther von der
Vogelweide will »den Frauen singen um ihren Gruss". In seinem vaterländischen
Hochgesange „Deutschlands Ehre" bittet er die Frauen um keinen anderen Sänger-
lohn, „als dass sie mich grüssen schöne". Zur Begrüssung, zum Empfange, zum
Abschied erhalten die Männer als höchste Ehre von den Frauen den Kuss, aber
mit strenger Auszeichnung des Ranges. Männer küssen sich nicht. „Mit minnig-
lichen Tugenden," heisst es im Nibelungenlied (290, 4) von Chriemhüden^ „grüsste
sie Siegfrieden^'' und gleich darauf (296, 3): „Ihr ward erlaubt zu küssen den
weidlichen Mann" und (737, 3): „In züchten viel Verneigen hat man gesehen an
und minnigliches Küssen von Frauen wohlgethan.* So sagt Rüdiger zu seiner
Gemahlin: „Die Sechse sollt ihr küssen. Du und die Tochter mein." Ebenso
heisst Rüdiger seine Tochter Dietlinde Hagen küssen. Es ^ar das eine ehrende
Auszeichnung, die zunächst den Verwandten zu Theil ward, dann aber auch
lieben Gästen.
Im Besitz der deutschen Frau des Mittelalters fehlte nie das Psalterbuch;
dasselbe erbte als ausschliessliches Fraueneigen auch weiter von Frau zu Frau.
Neben Psalter und Gebetbuch lagen aber wohl auf dem Putztisch der Frau die
Liederbüchlein der Minnesänger, vielleicht selbst grössere Bände mit den Ge-
schichten der schönen Magehne^ der Genoveva u. s. w.
Mönche und Klostergeistliche sorgten für den Unterricht der Frauen im
Lesen und Schreiben, sogar im Latein; fahrende Sänger und Spielleute nahmen
429. Die sociale Stellung des Weibes im mittelalterlichen Europa. 465
auf längere Zeit Einkehr im Schlosse, um die Frauen ihre Lieder und das Spiel
der Harfe, der wälschen Fiedel und hochsaitigen Laute (Rolle) zu lehren. Die
« Meisterin '^ der Zucht aber unterwies das sittige Fräulein in den Regeln der
,Moralität*, der Kunst der schönen Sitten, oder wie wir heutzutage sagen würden,
der Anstandslehre. Ihr, der Mutter und den Mägden fiel daneben der hauptsäch-
lichste Theil der Frauenweisheit zu, der Unterricht in der Führung des Haus-
wesens, im Spinnen, Nähen, Weben, Sticken und Schneidern.
Die Einwirkung der Frau auf das ganze dichterische Treiben der Zeit war
im Mittelalter tief eingreifend, obgleich die Frau eigentlich nicht selbst sich an
der Literatur, wenigstens nicht in öflFentlicher Weise betheiligte. „Niemals,* sagt
Vümar^ „hat sich die Männerwelt inniger, tiefer in die Gedanken- und Geffthls-
welt der Frauen eingelebt, niemals sich für alle poetischen Motive stärker von
ihr inspiriren lassen, als in der Zeit des Minnesangs." Die Poesie trug ganz den
Charakter des Frauenhaften an und in sich:
„0 Frau, Du selten reicher Hort,
Dass ich zu Dir hie Sprech aus reinem Munde.
Ich lob' sie in des Himmels Pf ort;
Ihr Lob zu £nd* ich nimmer bringen kunnte.
Dess lob* ich hier die Frauen zart mit Rechten,
und wo im Land ich immer fahr',
Muss stets mein Herz für holde Frauen fechten/
So singt Heinrich von Meissen, genannt Frauenloh.
Auf dem zweiten Kreuzzuge im 12. Jahrhundert trat die deutsche Ritter-
schaft mit der franzosischen in engeren Verkehr. Hierdurch steigerte sich die
Verehrung der Frau zu einem förmlichen Cultus, zum Frauendienst. Freier
und äusserlicher wurde das gesellige Leben, es erblühte eine grössere Lebenslust;
es entstand das Bedürfniss nach glänzendem Verkehr unter einander, nach reicherem
Prunke der Festlichkeiten, und damit traten auch die Frauen aus ihren Gemächern
öfters heraus. So hat denn das Ritterthum den höfischen Frauendienst
geschaffen.
Die Cardinaltugend der Frauen in dieser höfischen Zeit an der Wende des
12. Jahrhunderts war das richtige Maasshalten (die „Mäze*^) im Gefühl und im
Handeln, die sittliche Besonnenheit, welche alles Anstössige und Uebermässige
vermeidet. Wer die Gesetze der modernen Gesellschaft kannte und beobachtete
und alles Dasjenige ^ was denselben entsprach, hiess seit dem 12. Jahrhundert
„hövisch", womit das französische courtois übertragen ward. Für die Frauen
galten wesentlich folgende Regeln: Einen Mann lange und starr anzusehen, ver-
bot die Sitte; indessen durfte das keine Frau bestinmien, auf einen Gruss ent-
weder gar nicht oder nur sehr herablassend zu danken. Gegen Arme wie Reiche
musste man gleich artig sein. Die Frau durfte weder zu grosse noch zu kleine
Schritte machen, sie musste leise auftreten und sich nicht auffallend bewegen.
Beim ruhigen Stehen hielt sie die Hände über einander in der Gegend der Herz-
grube; die Brust ward zurückgezogen, der Unterleib mehr nach vorn getragen;
beim Sitzen durften die Beine nicht gebeugt werden. Trat ein Mann grüssend
ein, so erhob sich die Frau vom Sessel. Besondere Sorgfalt wurde dem Benehmen
bei Tische zugewendet. Geschwätzigkeit und vorlautes Wesen galten selbstver-
ständlich für unschicklich. Freigebigkeit wurde bis zur wahnsinnigen Verschwen-
dung als höfische Tugend geübt.
,Mit dem Verfall des höfischen Lebens," sagt Weihhold, auf dessen Darstellung wir
verweisen, «hörte auch die Gelegenheit zur Freigebigkeit im Grossen auf; die geselligen und
politischen Verhältnisse änderten sich überhaupt, und die Milde des Fürsten war fortan keine
Lebensbedingung seines Geschlechts und seines Landes. Viele der deutschen hohen Frauen
haben aber bis in die neueste Zeit ihren Schatz nicht in den Rhein versenkt, sondern ihn
PloBS-Bartels, Das Weib. 5. Aafl. II. 30
466 LXVIII. Der Einfluas der religiösen Bekenntnisse auf die sociale Stellung des Weibes.
als anyertrautes Gut betrachtet, von dem sie spendeten, wenn die Noth oder die Kunst und
Wissenscbafb dazu mahnten.*
Der Frauendienst aber, dem sich die Ritter widmeten, war doch immerhin
eine Yeriming; die Art und Weise, in der die Verehrung einer Dame ausserlich
auftrat, war die Ausgeburt einer krankhaften Geistesrichtung, und wir sind voll-
ständig berechtigt, diese überschwengliche Verherrlichung der Frau den grossen
Volkskrankheiten zuzuzählen.
Der Ritter that Gelübde, um durch Grossthaten oder durch Selbstpeini^ung
das Herz der Auserwählten zu erobern, obgleich er schon längst mit einer anderen
verheirathet war, die er keineswegs zu verlassen gedachte. Oft kannte er die
Dame gar nicht, der er sein Leben widmen wollte.
Ein Beispiel so ezcentrischen Benehmens lieferte unter Anderen Ulrich von
Lichtenstein^ dessen sinnlose Fahrten wir aus seiner in Versen geschriebenen
Selbstbiographie kennen lernen. Ganz treffend würdigt Meiners so thörichtes
Gebahren, welches in jener Zeit die sogenannte yomehme Welt beherrscht,
während in dem Familienwesen des Bürgers und Bauers fort und fort die Haas*
frau ihrer Arbeit nachging.
,Alle diese Betheuerungen von gänzlicher Ergebenheit, alle diese inbrünstig scheinen-
den Grelübde, alle diese Aufopferungen waren weiter nichts, als ein eitles Gepränge, wodurch
man erhabene Empfindungen und grosse Leidenschaften erzeugen wollte, deren in dem ganzen
Zeiträume der Ritterschaft nur wenige Edle, und zwar nur solche Männer fähig waren, welche
auch ohne den Flitterprunk der Chevalerie Helden der Tugend und der reinen Liebe geworden
wären. Eben deswegen, weil der Götzendienst der Damen blosse Gleissnerei war, wurde er
Über alle Grenzen der Wahrheit und Natur hinausgetrieben und zugleich durch das Leben
oder die herrschende Handlungsart der Ritter widerlegt. Nie wurden im Mittelalter mehr
edle Frauen und Jungfrauen entführt, beraubt und gesdbändet, als gerade im 14. und 15. Jahr-
hundert, wo die Ritterschaft in ihrer grössten Blüthe war. Wenn die zügellosen Krieger in
diesen beiden Jahrhunderten belagerte Städte eroberten oder feste Schlösser erstiegen, so war
es gemeines Eriegsrecht, Frauen und Jungfrauen zu schänden, und sehr oft, wenn man sie
geschändet hatte, auf grausame Weise hinzurichten. Eben diese Ritter, welche die Frauen
und Töchter ihrer Feinde schändeten und mordeten, yerftihrten die Weiber und Kinder ihrer
Freunde und üntertbanen und kümmerten sich meist wenig darum, wenn man an ihren
Weibern und Töchtern das Yergeltungsrecht ausübte.*
Dieses unnatürliche Wesen brach dann im 15. Jahrhundert zusammen und
von nun an trat die Rohheit und Unbildung bei der Mehrzahl des Ritterstandes
wiederum offen zu Tage. Hatten die Burgen zuvor behagliche, mit Kunstwerken
reich verzierte Wohnräume, so finden wir jetzt zwar viele, aber dQrftig ausge-
stattete Gemächer. Auch die Lebensweise war wieder um ein Bedeutendes ein-
facher geworden. Ebenso liess der Verkehr den Frauen gegenüber die alte Hoch-
achtung vermissen, und als beispielsweise die junge Rittersfrau auf Altspauer
in Tyrol beim Genüsse der , Küchel* (Kuchen) mit der Zunge schnalzt, da bringt
das den Ehegemahl derart in Harnisch, dass er droht, falls sie ihr „Schmachitzen'
nicht bald einstelle, so werde er ihr die Schlüssel derart an den Kopf werfen,
dass ihr die Zunge am Halse hänge. (Schönherr.)
Ueber die Sittenlosigkeit und das Prostitutionswesen jener Zeit habe ich in
einem früheren Abschnitte bereits gesprochen, und wir haben dort gesehen, wie
die Unzucht unter öffentlichen Schutz genommen wurde. Gegen die Streitigkeiten
der Frauen unter einander ging man aber mit der Strenge des Gesetzes vor.
Das Stadtrecht von Dortmund aus dem 11. Jahrhundert enthält folgende cha-
rakteristische Verordnung gegen Weiberzank:
,Wenn zwei Weiber mit einander streiten, einander schlagen oder angreifen, mit ver-
kommenen (schimpflichen) Worten, so sollen sie zwei Steine, welche durch eine Kette an
einander h&ngen und zusammen einen Centner wiegen , durch die Länge der Stadt auf ge>
meinem Wege tragen. Die Eine soll zuerst sie tragen vom östlichen Thore nach dem west-
lichen, und die Andere mit einem eisernen Stachel, welcher an einem Stocke befestigt, sie
treiben, wobei beide in ihren Jacken gehen müssen (d. h. in ihrer Haustracht, in der sie
429. Die sociale Stellnng des Weibes im mittelalterlichen Europa. 467
niemals ausgingen). Alsdann soll die Andere die Steine auf ihre Schulter nehmen und
sie zum anderen Ostlichen Thore zurücktragen, die Erste aber hinwiederum sie mit dem
Stachel treiben."
Die Ausbildung der Zünfte und der Gilden gab den Männern vielfach Yer*^
anla88ung, ausser dem Hause zum Trünke sich zu sammeln. Aber allmählich
nahmen dann auch die Frauen und Töchter an Festen Theil, welche von den
Männern veranstaltet wurden. Mancher Sittenprediger war bemüht, gegen die
Völlerei und das freie Wesen, das sehr häufig bei diesen Zusammenkünften
herrschte, energisch mit Strafpredigten zu Felde zu ziehen.
Am anständigsten ging es noch einher in den Städten, die einen herrschen-
den und patricischen Adel hatten. Der Franzose Jlfon^at^nß wohnte 1580 einem
Tanze bei, der in einem der i^t^^^^r'schen Paläste gefeiert wurde. In dem präch-
tigen Saale ging es so anständig und würdig im Benehmen gegenüber der Frauen-
welt zu, dass sich der Berichterstatter mit aufrichtiger Anerkennung bei der
Schilderung der Einzelheiten aussprach. In den Städten, wo keine patricischen
Geschlechter das Begiment hatten, wie in Hamburg, Lübeck und Bremen,
waren grosse gemischte Gesellschaften und freier Umgang beider Geschlechter
noch viel seltener, als in jenen Städten mit aristokratischer Verfassung. In den
reichen und grossen Hansestädten kannte man fast keine anderen Gesellschaften,
als geschlossene Familiencirkel; Frauen und Jungfrauen bekümmerten sich nur
um die Haushaltung und einige weibliche Arbeiten, wie der Franzose Aubery
du Maurier im Jahre 1637 bezeugt. Die Putz- und Prunksucht der Damenwelt,
welche in den letzten Jahren des dreissigjährigen Krieges in Deutschland über-
hand nahm, £a.nd in diesen Städten keinen günstigen Boden.
Wir hatten schon erfahren, wie das Ghristenthum die Stellung der Frau
wesentlich verbesserte. Mit der Ausbildung des Jlfanen-Gultus fand hierin noch
eine . Steigerung statt. Andere kirchliche Einrichtungen aber , namentlich das
Priester-Cölibat und das Nonnenwesen, führten hin und wieder eine Schädigung
herbei; denn sie erzeugten sittliche Excesse, welche das Ansehen des Weibes
untergruben. Während bis zum 11. Jahrhundert das Gelübde der Ehelosigkeit
nur von den Insassen der Klöster, den Mönchen und Nonnen, abgelegt worden
war, wagte es Papst Gregor VIL^ auch den Weltgeistlichen die Ehe zu verbieten.
Diese Maassregel priesterUcher Herrschsucht durchzusetzen wäre ihm nicht möglich
gewesen, wenn nicht schon eine asketische Richtung um sich gegriffen und das
gesunde GefÖhl des Volkes verwirrt hätte. Von da an berichten die Annalen von
der sittlichen Entartung des Clerus; die niedere Weltgeistlichkeit und die Bettel-
mönche Hessen sich überall auf sittenlose Abenteuer und frivole Liebeshändel ein;
sie verdarben den Wandel der Frauen und Mädchen aus dem Volke (Haupt)^
während die höhere Geistlichkeit den Verkehr mit Frauen aus höheren Ständen
suchte und in feiner Weise der Minne huldigte.
Diesem Unwesen widersetzte sich Luther^ aber in den bürgerlichen und den
staatlichen Rechtsverhältnissen der Ehe beabsichtigte er keine Aenderung za
machen. Wie Martin Luther das Eherecht auffasste, geht aus zwei Stellen seiner
Schriften hervor; die eine lautet:
, Demnach weil die Hochzeit und Ehestand ein weltlich Geschäft ist, gebührt uns
Geistlichen oder Kirchendienern Nichts darin zu ordnen oder regieren.* Die andere Stelle:
,Wie aber jetzt bei uns die Ehesachen oder im Scheiden zu halten sei, hab ich gesagt, dass
man's den Juristen soll befehlen und unter das weltliche Regiment werfen, weil der Ehestand
gar ein weltlich äusserlich Ding ist."
Somit trat also Luther für das Recht der Givilehe ein, der Kirche und der
Religion bewahrte er die Weihe des Ehebündnisses.
Johann Fischart machte von der Ehe im Jahre 1578 in seinem , philo-
sophischen Ehezuchtsbüchlein*" folgende schöne Schilderung:
, Woraus besteht die ganze Gemeinschaft anders, ab aus vielen Geschlechtem und Haus-
haltungen? Der Geschlechter Anfang aber ist ja die Heirath: deshalben, wer dem Menschen
30*
468 LXVIII. Der Einflass der religiösen Bekenntnisse auf die sociale Siellang des Weibes.
die Ehe entzieht, der tilgt auch die Geschlechter aus. Ja, die Stadt, die Gemeinde, da^
ganze Geschlecht, alle freundliche Zusammen wohnung, einmüthige Vereinigung, nachbarliches
Willen, väterliche Fürsorge, mfltterliche Herzlichkeit, kindliche Anmuth, geschwisterliche
Liebe, schw&gerliche Verwandtschaft, h&usliche Treue, gesellige Kundschaft, liebliche Einigkeit
und das einhellige Regiment dieser Welt. Denn wo ist ein ordentliches Leben ohne die Ehe?
Wie die Bienen des Menschen halber geschaffen sind, also das Weib und der Mann g^emeiner
Geselligkeit und Erhaltung der Ehe halber. Wie die Bienen nicht allein Junge erzeugen,
sondern auch die Waben und das Nest, desgleichen auch das Wachs bringen, also erzielen
viele Eheleute nicht allein Kinder, sondern bemühen sich auch, etwas Gutes zusammenzu-
tragen, welches der Gemeinde diene. Wie die jungen Bienen gleich mit an die Gemeinschaft
und Arbeit anstehen müssen, also ziehen rechte Eltern gleich ihre Kinder an zu ehrlicher
Haushaltung, dass die Gemeinde daraus erbauet werde, wie die Bienen keine faulen Hummeln
unter sich leiden, also in einer Haushaltung muss Alles ernst zugehen. Die Frau muss aber
gleichsam eine Königin im Immenkorb ihres Hauses sein, welche mit Anordnung aller
Arbeit, Fürsorge der Speise, der Aussendnng des Gesindes an die Arbeit, den Immenkorbkdnig
anmaasse."
LXIX. Die sociale Stellung des Weibes bei den Cultur-
völkern der Neuzeit.
430. Die sociale Stellung des Weibes bei den Deutschen der Neuzeit.
Tief erschütternd hat auf das moralische Verhalten des weiblichen Geschlechts
in Deutschland der dreissigjährige Krieg mit seinen Gräueln eingewirkt, und
es war nur die natürliche Folge, dass die Frauen auch eine erhebliche Einbusse
an ihrer Hochschätzung erlitten. Als der langersehnte Friede kam, da beeilten
sich die einzelnen Souveräne des deutschen Reiches, sich nicht nur in ihrer
Machtvollkommenheit zu befestigen, sondern auch den Glanz Ludwigs XIV. um
sich zu verbreiten; jeder von ihnen wollte sein Versailles haben; die franzö-
siche Mode und französische Leichtfertigkeit hielten ihren Einzug an den
Höfen.
Aber bald ging der gesunde Sinn der deutschen Frauen auch aus diesen
neuen Anfechtungen siegreich hervor. Doch schon drohte eine neue Gefahr; denn
auch in dem Schoosse des Protestantismus begann ein unerquickliches Pfaffen-
gezänk. Zelotischer denn je tobten die wilden Eiferer fftr den Buchstaben in
Schrift und Predigt; und in manchen Orten stellte man bis in das 18. Jahr*
hundert die lutherischen Bekenntnissschriften wohl noch über die Bibel selbst.
Bei solchem dogmatischen Wulste fand das Gemüth keine Rechnung, und in
Tausenden von Herzen entbrannte die Sehnsucht nach einem anderen Christen-
thume, als dem von den Geistlichen verkündeten. Da trat der protestantische
Prediger Spener auf mit seinen religiösen Anschauungen, welche man als Pietis-
mus bezeichnet. Seine „Erweckung* zündete vor Allem in dem Gefühlsleben
des weiblichen Geschlechts. Zahlreiche Frauen wurden zu begeisterten Bekennem
seiner Lehren und machten dann als „schöne Seelen* ausgiebige Propaganda für
die Sentimentalität. Viele Damen aus den vornehmsten Häusern schlössen sich
der neuen Richtung an. Die Signatur der damaligen Zeit war eine phantastische
Gefühlserregung, welche zu einer bedenklichen Schwärmerei in der gebildeten
Frauenwelt, und schliesslich zu höchst ärgerlichen Scenen föhrte. {Scheube.)
Im Ganzen aber blieb die deutsche Frau doch, was sie auch noch heute
ist, die eigentliche Hüterin des Hauses und des Familienlebens. Aber nicht nur
im Hause, sondern auch im öffentlichen Leben wurde ihr eine grössere Betheili-
gung angebahnt, die sich namentlich bei den grossen nationalen Erhebungen in
den Jahren 1813, 1866 und 1870 auf das glänzendste bethätigte. In dieser neuen
Mission der Frau, welche sich in der hmgebenden Sorge för die Kranken und
Verwundeten kund gab, vereinigten sich Bürgerfrauen und Fürstinnen in edlem
Wettstreit zum Wohle des Vaterlandes.
470 LXIX. Die sociale Stellang des Weibes bei den CalturvÖlkem der Neuzeit.
In den letzten Jahren wird Ton gewisser Seite eifrig dafür gekämpft, am
der Frau in Deutschland eine «höhere*' Stellang zu erobern, als sie bisher ein-
genommen hat. Möge nicht ein Rückschlag kommen, der zu einer neuen Er-
niedrigung führt.
431. Die sociale Stellung des Weibes bei den Engländern der Neuawit.
Das englische Oesetz hat dem Schutze der Frauen von Alters her seine
Aufmerksamkeit geschenkt; aber die Strafen, die den Missethäter bedrohten, ^-aren
je nach dem Geist der Zeiten in ihrer Härte und Schwere verschieden.
Zu der Zeit der Angelsachsen stand der Tod auf eine gewaltsame Schän-
dung. Wühdfn der Eroberer setzte diese Strafe auf den Verlust der Augen und
auf Entmannung herab. Heinrich der Dritte sah dieses für zu hart an, und da
er glaubte, dass ein so eingreifendes Gesetz sehr leicht von leichtfertigen und
rachsüchtigen Weibern gegen Unschuldige gemissbraucht werden könnte, so ver-
ordnete er, dass eine Ehrenschändung, wenn nicht binnen vierzig Tagen darüber
geklagt würde, nur als ein blosses Vergehen mit zwei Jahren Gefängniss und
Geldbusse bestraft werden solle. Jedoch konnte der König selbst, wenn die an-
gegebene Frist nicht eingehalten, sondern die Klage erst später erhoben war, den
Thäter immer noch bestrafen. Als aber später sich diese Gewaltacte gar zu häufig
wiederholten, führte er die Todesstrafe wieder ein. Dabei wurde festgesetzt, dass
jede weibliche Person, die wegen Schändung klagbar wurde, als vollgültiger Zeuge
zu betrachten sei. Dieses Vorrecht, in eigener Sache zeugen zu dürfen, wurde
sogar in dergleichen Fällen auf Mädchen ausgedehnt, die noch nicht zwölf Jahre
alt waren.
Ein anderes englisches Gesetz schützte die Mädchen vor leichtsinnigem
Eheversprechen: sie konnten durch Rechtsklage die Schadloshaltung nachsuchen.
Sobald jedoch eine weibliche Person in die Ehe getreten war, so hörte sofort
ihre politische Existenz auf; keine Verheirathete konnte wegen Schulden, die sie
gemacht hatte, verhaftet werden; sie verlor ihre Freiheit nur durch Verbrechen,
die sie etwa beging; und für solche von ihr begangene Vergehen, auf welchen
nur eine Geldbusse stand, wurde der Ehemann haftbar gemacht. Auch musst«
Letzterer alle Schulden zahlen, die seine Frau bereits vor der Verheirathung ge-
macht hatte. Von diesen Lasten war er befreit, wenn die Frau ihm gegen seinen
Willen entlief; auch brauchte er in solchem Falle nicht für ihren Unterhalt zu
sorgen. Vermochte sie aber nachzuweisen, dass schlechte Behandlung von seiner
Seite sie zu der Flucht bewogen hatte, dann fielen ihm die alten Pfiichten wieder
zu, und er musste auch seine Frau unterhalten. Bedrohte ein Mann seine Frau
mit Schlägen, so konnte sie vor dem Friedensrichter eine Bürgschaft für sein
künftiges gutes Betragen fordern.
Auf die Entführung einer Ehefrau durch Gewalt oder durch XJeberredung
war als Strafe eine Schadloshaltung des beleidigten Ehemannes und zwei Jahre
Gefängniss gesetzt. Die alten englischen Gesetze sollen in diesem Punkte so
streng gewesen sein, dass Niemand es wagte, eine verirrte Frau in sein Haus auf-
zunehmen, ausgenommen, wenn die Nacht sie überraschte. Wenn eine Frau im
Beisein ihres Mannes sich einer Todschuld strafbar gemacht hatte, so nahm das
Gesetz an, dass die That auf den Antrieb des Mannes geschehen sei und sprach
sie aus diesem Grunde frei. Bemächtigte sie sich heimlich der Sachen ihres Mannes
und verkaufte diese, so wurde sie nicht als Diebin bestraft; hatte der Mann einen
Diebstahl begangen und die Frau die Hehlerin gemacht, so wurde sie dafür nicht
bestraft. {Mexander)
In England, wo der Kampf für die Frauenrechte so ganz besonders
heftig entbrannt ist, herrschten noch in der zweiten Hälfte des verflossenen Jahr-
hunderts Zustände, welche Meiners folgendermaassen schildert:
:fo
431. Die sociale Stellang des Weibes bei den Engländern der Neuzeit. 471
.Nach den englischen Gesetzen wurden verheirathete Frauen nicht nur als Eigenthum
der Männer angesehen, sondern auch als Kinder, die keinen Willen haben, oder als Sclayinnen,
die ihren Willen dem Willen der Herren unterwerfen müssen. Ein Engländer, der seiner
Frau überdrüssig ist, kann diese Öffentlich wie ein Stück Vieh verkaufen: wobei jetzt freilich
stillschweigend vorausgesetzt wird, dass die Frau damit zufrieden ist, sich verkaufen zu lassen.
Es kamen in jener Zeit nicht wenig solche Fälle vor, von welchen wir nur anführen: Ein
Herzog kaufte die Frau seines Kutschers, und ein Schuster inWorcester die Frau eines
Tagelöhners, die an einem Strick um den Hals auf den Markt geführt und gegen fünf Pfund
Sterling ihrem Käufer übergeben wurde. Die englischen Gesetze erkennen so wenig einen
eigenen Willen verheiratheter Frauen an, dass sie bei gemeinschaftlichem Verbrechen von
Eheleuten nur allein den Mann, nicht die Frau strafen, und auch den Mann für die Schulden
und kleinere Vergehen der Frau haften lassen."
Schon am Ausgange des 18. Jahrhunderts wurde von einer englischen
Dame ( WoUstonecraft) för Frauenemancipation in Schriften gewirkt und über die
Knechtschaft geklagt, unter der das weibliche Oeschlecht stehe. Dagegen sagt
ein Deutscher:
, Diese Klagen sind granz oder gi-össtentheils grundlos; denn das einzige Gesetz, das den
Engländerinnen der unteren Klassen sehr oft nachtheilig wird, ist das Gesetz von der
Gemeinschaft der Güter, welches liederliche und brutale Männer berechtigt, nicht nur das
Vermögen, sondern auch den Erwerb ihrer Weiber durchzubringen.*
Doch konnte und kann wohl auch noch jetzt die Frau durch einen Ehe-
vertrag sich den unbeschränkten Gebrauch ihres ganzen Vermögens vorbehalten;
so giebt der Mann die Disposition über dasselbe auf, bleibt aber doch verbunden,
die Schulden der Frau zu zahlen. Femer muss man bedenken, dass doch die
liederlichen Männer nur die kleinste Zahl ausmachen, während dagegen die
Weiber, auf Orund dieses Gesetzes von der Gütergemeinschaft, zugleich Besitze-
rinnen des Vermögens ihrer Gatten und Theilhaberinnen der Früchte ihres
Fleisses werden.
Auf der anderen Seite aber gaben die englischen Gesetze den Weibern
Vorrechte, die sie bei keinem anderen Volke geniessen: Die Frau konnte ihren
Ehemann in der ersten Zeit nach der Hochzeit mit einem Kinde beschenken,
welches der Mann anerkennen musste, wenn er auch beweisen konnte, dass er
seine Braut vor der Ehe nicht berührt hatte. In Schottland musste ein ge-
schwängertes Mädchen dem Geistlichen und dem Aeltesten des Eirchensprengels
den Schwängerer nennen. Dieser aber konnte sich durch einen Eid gegen die
Anklage schützen; vermochte er nicht den Eid zu leisten, so wurde ihm eine
Kirchenbusse auferlegt.
Ein Sprüchwort sagt: „England ist das Paradies der Weiber." Mit
rühmenswerther Treue steht Ton jeher die Engländerin der Erziehung ihrer
Kinder und dem Hauswesen vor. Schon im vorigen Jahrhundert schrieb Kälm:
«Sie sorgen für die Küche, für die Erhaltung und Reinlichkeit der Häuser und Ge-
mächer, der Möbeln und Wäsche mit einem Eifer und einer Aufmerksamkeit, die in wenigen
Ländern erreicht « in keinem Übertroffen werden. Dagegen haben die Männer ihnen nicht
nur alle schweren Arbeiten des Feldes, sondern auch des Hauses abgenommen. Personen
des weiblichen Geschlechts arbeiten oder helfen niemals oder höchst selten auf den Aeckem
und Wiesen, beim Backen oder Brauen; selbst das Melken der Eühe wird von Männern
verrichtet.*
Wie sich die deutsche Frau und die Engländerin zu ihrem Gatten ver-
hält, im Gegensatze zur Französin, das ist sehr schön von Michelet erörtert
worden.
,Die Französin ist für den Gatten ein trefflicher Genosse in Allem, was Geschäfte
betrifft, und auch in den geistigen Sphären. Wenn er sie nicht zu beschäftigen weiss, läuft
er Gefahr, sie zu verlieren. Aber sobald er in schwierige Lage geräth, erinnert er sich, dass
sie ihn liebt, und manchmal würde sie sich für ihn tödten lassen. Die Engländerin ist die
treffliche, mathige, unermüdliche Gattin, die überallhin folgt, alles erträgt. Beim ersten
Zeichen ist sie bereit. ,Luci, ich reise morgen nach Australien.^ — ,lch will nur eben meinen
472 LXIX. Die sociale Stellung des Weibes bei den Galturvölkern der Neuzeit.
Hut aufsetzen und bin fertig.' Ihr könnt mit der Engländerin sehr leicht Eure Sitaation
wechseln; könnt, wenn es Euch etwa gefällt, bis an's Ende der Welt mit ihr wandern. —
Die Deutsche liebt, liebt beständig. Sie ist schmiegsam, will gehorchen. Sie taugt nar
zu Einem: zum Lieben; aber dies Eine ist eben Alles. Ihr könnt mit der Deutschen, wenn
Ihr woUt, ganz allein leben, auf einem entlegenen Landsitz, in der tiefsten Einsamkeit. —
Die Französin ist dazu nur im Stande, wenn Ihr sie vielfach und angestrengt beschäftigen
könnt. Ihre stark ausgeprägte Persönlichkeit will berücksichtigt sein; aber sie macht sie auch
fähig, in ihrer Aufgebung sehr weit zu gehen, selbst die Eitelkeit und das Bedür&iss su
glänzen aufzugeben. Das hat die Deutsche, die nur lieben will, gar nicht nöthig.*
432. Die sociale Stellung des Weibes bei den Spaniern nnd Italienern
der Neuzeit.
Ueber das Leben der spanischen Frau im 16. und 17. Jahrhundert macht
Meiners nach den Berichten zeitgenossischer Autoren folgende Angaben: Nichts
war trauriger als das häusliche Leben der Yomehmen Spanierinnen; verheirathete
Frauen von Stande durften nie Besuch von Männern annehmen; führte ihnen
der Ehegatte Freunde oder Bekannte zu, so getrauten sie sich nicht die Augen
aufzuschlagen. Die Etiquette gebot ihnen, bei dem Besuche von Freundinnen
mit einem grossen Luxus von Schmuck und Kleidern zu prunken; so war ihnen
eine solche Begegnung mehr eine Last als eine Unterhaltung. Sie durften nur
in geschlossenen Wagen ausfahren; ihre Mütter leisteten ihnen nie Gesellschaft.
Der Mann speiste im Hause allein an besonderem Tische; Frau und Kinder sassen
nach orientalischem Gebrauche mit kreuzweise untergeschlagenen Beinen auf
Teppichen oder Polstern umher. Die gewöhnliche Beschäftigung der Frau im
Hause bestand im Sticken, im Schwatzen mit den Kammerzofen und im Beten
des Rosenkranzes.
Bei solcher Abgeschlossenheit, welche die Eifersucht der Männer vorschrieb,
waren die Frauen denselben aber keineswegs durchgehends treu; sie hintergingen
mit List die Wachsamkeit der Duennas; oft bestanden sie verliebte Abenteuer,
bisweilen trafen sie sich mit ihrem Liebhaber in der Kirche.
,Die vornehmsten Damen nahmen es nicht allein nicht übel, wenn ein Gavalier, der
mit ihnen allein war, in der ersten halben Stunde um die höchste Gunst bat, sondern sie
sahen sogar das Gegentheil als eine Verachtung an, um deren willen sie Jemand erstechen
könnten.*^
In der OefiFentlichkeit wurde der Dame mit ausgesuchter Galanterie be-
gegnet. Frau d'Aunoy erzählt hierfür eine Anzahl charakteristischer Beispiele.
Kein Cavalier, der eine Dame begleitete, wagte es, ihr die Hand zu geben oder
ihren Arm unter den seinigen zu nehmen; die Spanier umwickelten ihren Arm
mit dem Mantel und boten alsdann den Damen den Ellenbogen dar, damit sie
sich darauf stützten; glückliche Liebhaber küssten ihre Schönen nicht, die grosste
Liebkosung der Spanier bestand darin, die Arme ihrer Geliebten mit den Händen zu
umfassen und zärtlich zu drücken. Man affectirte oft eine romanhafte Liebe gegen
Damen, denen man keine wahre Liebe einflössen wollte und von welchen man
keine ernstliche Gegenliebe erwartete; die Prunksucht jener Zeit aber machte, dass
man dabei einen grossen Theil seines Vermögens der Eitelkeit zum Opfer brachte.
Diese Liebesthorheit ergrilT aber nach und nach alle Stände.
Die Eingeschlossenheit der ehrbaren Frauen und Jungfrauen hatte dann,
wie in Alt-Griechenland, die Folge, dass Buhlerinnen, die auch von den Be-
hörden geschützt wurden, um so öffentlicher ihr Gewerbe trieben. Diese aber
verlangten von den Liebhabern, welche sie unterhielten, unverbrüchliche Treue;
ging ein solcher zu einem anderen Mädchen, so übten sie an letzterem eifer-
süchtige Rache.
432. Die sociale Stellung des Weibes bei den Spaniern und Italienern der Neuzeit. 473
Die Italienerin des 16. Jahrhunderts war im Allgemeinen streng an das
Hans gebunden. Yerheirathete Frauen, die mit einem Hofe in Beziehung standen,
konnten allerdings an Galatagen, bei festlichen Bällen u. s. w. öffentlich erscheinen.
Allen Edelfrauen war es erlaubt, bei bürgerlichen und gottesdienstlichen Festen
sich am Fenster oder auf dem Balcon zu zeigen, die Kirche und das Theater zu
besuchen, und auch in ihrem Wagen spazieren zu fahren. In der Regel aber
blieben die italienischen Damen bei allen solchen Veranlassungen von der
Männerwelt getrennt. Am meisten näherten sich die beiden Geschlechter auf
Bällen, bei welchen dann ein Ton herrschte, den selbst Franzosen frei fanden.
Bei solennen Mahlzeiten wurden die Frauen von ihren Männern bedient, die hinter
ihren Stühlen standen und ihnen Speise und Trank darreichten. Aus dieser Be-
dienung der Damen soll gegen das Ende des 16. Jahrh. das sogenannte Gicis-
beat hervorgegangen sein.
Hatte zur Blüthezeit der Republik Venedig die vornehme Venezianerin
ihre Mädchenjahre hinter den Mauern ihres Vaterhauses in fast klosterlicher Ein-
fachheit und Einsamkeit verlebt, und war sie dann, ohne ihrer Neigung Rechnung
zu tragen, verlobt und verehelicht worden, so trat sie als Frau und Mutter in eine
beschränkte Oeffentlichkeit. Für Hochzeiten und Feste durfte sie sich schmücken;
Perlen und Edelsteine in verschwenderischer Fülle wurden mit Vorliebe hierfür
angewendet. Sich Wangen und Lippen, Hals und Brust zu schminken, sich am
ganzen Korper zu parfömiren, war allgewöhnlich. Hatten die Haare nicht die
goldgelbe Farbe, welche als Erfordemiss der Schönheit galt, so brachten künst-
liche Mittel diese hervor. So treten diese Damen uns auf den Gemälden ihrer
grossen Meister entgegen. Das Färben der Haare wird von Cesare Veceüio ab-
gebildet und genau beschrieben.
Die sociale Rolle der Venezianerin ist nach Kämmel niemals eine erheb-
liche gewesen. Die Lagunenstadt hat keine Olympia Morata, keine Vittoria Co-
lonna hervorgebracht, und im Staatswesen vollends machen sich niemals Damen
bemerkbar, wie die Frauen der Goneaga oder der Este. Auch Catarina Cornaro
verdankt ihren Namen mehr dem, was sie ertragen musste, als was sie that;
literarischen Ruhm haben nur sehr wenige, wie Cassandra und Oaspara Stampdf
geerntet. Und das in einer Zeit, wo anderwärts die Italienerin die Bildungs-
interessen, nicht selten auch selbst die Bildung der Männer völlig theilte! Für
die Venezianerin ist das kein Glück gewesen. Dem Nobile war die Frau die
Mutter seiner Kinder, die glänzende StÄage seiner Feste, eifersüchtig von ihm
behütet, und vielleicht gerade deshalb nicht abgeneigt, zuweilen von ihrer Gondel
oder ihrem Balcon herab ein Lächeln des Einverständnisses mit eleganten Cava-
lieren zu tauschen. Aber sie war nicht im vollen Sinne die Gefährtin seines
Lebens, sie nahm nicht Theil an den wissenschaftlichen, künstlerischen, politischen
Interessen, die ihn bewegten. So wurde denn auch hier im geistigen Verkehre
die Ehefrau von der Buhlerin verdrängt, da sie den Männern bot, was jene nicht
vermochte.
Die Damen der Halbwelt nahmen zuweilen eine höchst einflussreiche Stellung
ein und empfingen die Huldigungen der geistvollsten Männer, wie jene Veronica
Franco^ die den König Heinrich IIL von Frankreich während seines Aufent-
halts in Venedig fesselte und deren Bild uns Tintoretto hinterlassen hat. Auch
die Venus vtdgivaga feierte in Venedig ihre schmutzigen Triumphe, Dank dem
Zusammenströmen zahlloser Fremder. Es wird versichert, dass die Zahl der öffent-
lichen Dirnen um das Jahr 1500 gegen 11000 betragen habe! Allerdings be-
zifferte man sie in dem weniger bevölkerten Rom um dieselbe Zeit auch auf
6800. Selbst Nobili verschmähten es nicht, öffentliche Häuser zu unterhalten,
„ausserdem viele Priester und Mönche*. Und welches Sittenbild ergiebt sich,
wenn 1526 Andrea Michid seine Hochzeit mit einer Dirne in einem Kloster
feierte! Trotzdem sah die Regierung diesen Scandalen nach, denn ärger als das
474 LXIX. Die sociale Stellung des Weibes bei den Calturvdlkem der Nenzeit.
waren die unnatürlichen Laster, welche wie eine Pest ans dem Orient ein-
drangen. Von allen Städten Europas waren die spanischen und italie-
nischen am reichsten mit Buhlerinnen gesegnet, denn dort lebten die Frauen
am meisten zurückgezogen, dagegen waren die im Gölibat lebenden Geistlichen
dort am zahlreichsten, am verdorbensten und üppigsten. Die italienischen
Buhlerinnen bildeten sich vorzugsweise nach den griechischen Hetären; so
wurden sie wieder Muster und Lehrerinnen der Hofdamen zuerst in Italien, dann
auch in den benachbarten Ländern, sowohl in der Kunst sich zu putzen, als
auch in den buhlerischen Künsten, durch Erhöhung ihrer Beize die sinnliche
Liebe zu wecken. {Meiners.) Montaigne bewunderte die Kunst, mit der die
Curtisanen in Rom das, was an ihnen schön war, vortheilhaft zeigten, und das,
was hätte abschrecken können, zu verbergen wussten. Wenn Jemand eine Nacht
bei einer Gurtisane zugebracht hatte, so konnte er ihr am folgenden Tage auf-
warten. Sonst wurden auch nur die Unterhaltungen mit Curtisanen fast eben
so hoch als der Genuss ihrer Reize bezahlt. Die reichsten Curtisanen lebten zu
Montaigne' s Zeit in Venedig, die armseligsten und am wenigsten verlockenden
in Florenz.
Im südlichen Italien fand sich Manches, das an die Sitten in Spanien er-
innerte. Als Brantome Italien bereiste, verbargen dort die Damen ihre Füsse
ebenso sorgfaltig, wie die Spanierinnen, und in Yiterbo zeigte man noch die
Beweise der Jungfrauschaft bei der Neuvermählten. In Neapel aber wurde
schon früh in Folge der vielfachen Berührungen des dortigen Hofes mit fran-
zösischen Cavalieren der Umgang der Frauen mit Männern etwas weniger ängst-
lich eingeschränkt.
433. Die sociale Stellung des Weibes bei den Franzosen der Neuzelt.
In der französischen Gesellschaft nahmen die Frauen von jeher eine ganz
andere Stellung ein, als in den übrigen Ländern Europas. Vielfach bildeten sie
den Mittelpunkt des geistigen und literarischen Interesses. Schon die Troubadours
Garin der Braune^ Ämanieu des Escas, Robert de Blois schrieben poetische An-
standsregeln, welche Damen gewidmet waren. Arnold schreibt:
,In der Ritterzeit lassen sich die Frauen nicht nur besingen, sie bilden nicht nur die
Jury der Liebeshöfe, sie treten auch selbst als Dichterinnen auf, und die Verhältnisse der
Galanterie, die seit damals für Frankreich charakteristisch bleiben, suchen sich regelmassig
durch ein besonderes geistiges Hervortreten der Frauen gleichsam zu legitimiren. Die »galanten*
Damen Frankreichs sind fast immer geistvolle Frauen, sie haben auch, wie unser grosser
Dichter es nicht verschmäht, sie in der Person der Sorel darzustellen, ihre hochherzigen
Regungen; vom 16. Jahrhundert an wird geradezu die Literatur durch die Frauen organisirt,
die Kritik womöglich monopolisirt. Freilich ist hier das Leben an den Fürsten- und Edel-
höfen Italiens das nächste, auch für spätere Zeiten maassgebende Muster."
Margareta^ Franss* I. geniale Schwester, setzt in ihrem eigenen Hofetaat
das Decamerone des Boccaccio in Scene, und in ihrem Heptamerone streut
sie selbst die lustigen Blätter in die Welt, „die ein Brevier aller losen Streiche
sein sollen, welche die Frauen ihren Liebhabern und Eheherren spielen**.
Nachdem das Zeitalter der Renaissance in Italien den Sinn fbr die Künste
erschlossen hatten, constituirten in Frankreich im Hotel de Rambouillet
jene drei Generationen von Fürstinnen aus dem edlen Hause der Medicäer eine
ideale Republik.
,Das achtzehnte Jahrhundert sieht allenthalben geistvolle Frauen bald als Beschütze-
rinnen, bald als die Vertrauten berühmter Autoren; ein Kranz von neuen Namen ersetzt in
der Hauptstadt die untergegangenen Sterne früherer Zeiten, und mit der Umgestaltung der
Sitten wird die Thätigkeit der Frauen eine immer freiere und umfassendere. Während in
den letzten Jahren Ludwig^ 8 XIV. die Maske der Frömmigkeit, die der Hof annahm, öffentlich
scandalöse Verhältnisse innerhalb des Adels verbot, wird, als mit dem Eintritt der Regent-
483. Die sociale Stellung des Weibes bei den Franzosen der Neuzeit. 475
ficbaft die Maske fällt und an die Stelle der bisherigen Devotion die tollste Zagellosigkeit
tritt, der Einfluss der Frauen geradezu übermächtig; unter der Regierung Ludwig' 8 XV, wird
durch das Beispiel des Hofes die sittliche Fessel des Ehebundes nahezu völlig abgestreift;
Frauen aus der höchsten Gesellschaft geben sich zu Creaturen der königlichen Favoriten her,
und Damen, die doch auf ihren eigenen Ruf noch halten, verschmähen immerhin den ver-
trauten Umgang mit notorischen Ehebrecherinnen nicht.'
Wer kennt nicht die französische Maitressen wirthschaft und die Libertinage
jener Tage? Vollberechtigt ist der Mahnruf Lomenie's^ dass nur durch die Aus-
bildung des Familienlebens Frankreich gerettet werden könnte. Als Napoleon
Frau iion Campan^ die Erziehungsräthin par excellence, fragte, was der fran-
zösischen Nation fehlte? so antwortete sie schlagfertig: Mütter!
Die Französin des 18. Jahrhunderts hatte etwas Originales. Ihr Gesicht
wechselt im Ausdruck unter verschiedenem Regime; aber mochten ihre Züge
unter Ludwig XIV. edel, unter Ludwig XV. geistreich, unter Ludwig XVL
rührend einfach sein, stets ist ihr die Welt eine Schaubühne. Die Augen der
Oeffentlichkeit ruhen auf ihr, und am Ende spielt sie ihre Gomödie mit so grosser
Natürlichkeit, dass sie gekünstelt erscheint, wenn sie zufällig wahr sein will. Ihre
Lebensaufgabe ist schwer zu erfüllen; die Frau muss daher zeitig anfangen zu
lernen. So weit sie zu denken vermag, ist der Schein ihr Lebenszweck. Als
kleines Mädchen schon lebt sie auf ihren Spaziergängen lediglich dem Anstand;
die unschuldigste natürliche Freude, jedes sich Gehenlassen ist unangemessen. Ihre
Mutter entzieht ihr jene Zeichen überwallender Zärtlichkeit als zu bürgerlich, zu
gewöhnlich. Die Kleine wächst in einer öden, herzlosen Leere auf; ihre besseren
Regungen bleiben unentwickelt. Das Leben klösterlicher Erziehung bringt trotz
der Tanz- und Gesangstunden keine wesentliche Aenderung in dem Einerlei her-
vor; die ganze Umgebung mit dem scheinbar religiösen und doch so weltlichen
Charakter dient nur dazu, die Erziehung in demselben Sinne zu vollenden Das
Kloster verlässt sie nur, um das Haus eines Gatten zu betreten, den sie kaum
anders gekannt hat, als wie er sich im Sprechsaal ihr zeigte, wo das eiserne
Gitter sie trennte. Sie ist jung, sehr jung, oft zwölf oder dreizehn Jahre alt; die
Ehe ist von den Eltern nach Rang und Vermögen geschlossen worden, und die
junge Frau lernt bald genug, sich an die Sache zu halten und von der Person
abzusehen. Sie findet übrigens Alles, was sie von ihrer Mutter als beherzigens-
werth hat kennen lernen, ein wohleingerichtetes Haus, Stellung in der Gesellschaft,
Reichthum, Diamauten, prächtige Kleider. Sie repräsentirt, sie hat zu zeigen,
was sie hierin zeitlebens gelernt hat. Wirkliche Liebe wäre allzu bürgerlich, und
daher äusserst lächerlich; sie wird ihr nicht geboten und sie empfindet sie nicht.
Ausnahmen mögen vorgekommen sein, aber gerade der Umstand, dass man in
jener Gesellschaft fünf bis sechs Aosnahmebeispiele anführen kann, spricht für die
Regel. Lächerlicher noch als Liebe wäre höchstens Eifersucht; wahre Geistes-
bildung und Vorurtheilsfreiheit beweisen sich durch eine allgemeine Duldsamkeit.
Die Ehe bringt ihr eine Art Freiheit, dem Manne; der sie heirathet, der eine
solche vorher bereits besass, lässt sie dieselbe.
Ihr Tagewerk beginnt gegen elf Uhr; die erste Toilette, Musiciren, ein
Spazierritt, Leetüre füllen die Zeit bis zum Mittagsessen. Es folgen abzustattende
oder zu empfangende Besuche, Besorgungen und Spaziergänge im Tuileriengarten
oder auf den Boulevards. Das gemeinsame Leben mit dem Manne besteht in
einem gegenseitigen Sichmeiden, was leicht genug ausführbar ist, da das high
life neben ganz Paris noch Versailles umfasst. Als grösster Feind, zu dessen
Bekämpfung bald das ganze Dasein verwendet wird, zeigt sich die Langeweile.
Laune, nicht Liebe führt zu dem kalten herzlosen Hausfreund; Laune trennt aber
schnell genug wieder. Die Hoffnung, die Langeweile zu täuschen, ist trügerisch
gewesen, und zwar auf beiden Seiten. Dauernder Liebestraum wäre gar zu
lächerlich. Weder das Boudoir, noch der Salon kann diese tödtliche Langeweile
bemeistem.
476 LXIX. Die sociale Stellung des Weibes bei den GalturvÖlkem der Neuzeit.
In solcher Art schildern die Gebrüder Goncourt die Lebensweise und die
Stellang der Frau des 18. Jahrhunderts in Paris.
Nach ihrem Vorbilde richteten sich die Damen der vornehmen Kreise in
dem gesammten gebildeten Europa, und allmählich ging hiervon auch etwas auf
die bürgerlichen Schichten der Oesellschafb über. {Scheube\)
lieber die Stellung der Frauen in Frankreich, wie sie sich in dem laufen*
den Jahrhundert entwickelt hat, fuhrt uns Scheube^ das ürtheil eines Engländers
vor, der das französische Familienleben aus jahrelanger eigener Anschauung
kannte. Er giebt an,
„dass die Ehen in Frankreich von eigenthttmlichen Schwierigkeiten, sowohl persön-
lichen wie gesetzlichen, umgeben sind, dass individuelle Vorliebe nur zu sehr geringem Theile
bei der Yerheirathung in*s Spiel kommt, dass vorhergehende Neigung nicht als unerlfiaslich
betrachtet, dass das Gebot: ,8eid fruchtbar und mehret euchl* nicht als leitendes Gesetz an-
erkannt wird. Insofern sieht das System der französischen Ehe ziemlich ungesund aus."
Andererseits aber hebt derselbe Engländer hervor: ,dass die Franzosen mehr heirathen,
als wir (die Engländer); dass in 19 von 20 Fällen die vorher nicht vorhandene Liebe
nachher kommt und wächst; dass des aus unvorsichtigem Heirathen entspringenden materieUen
Elends sehr wenig ist; dass Trennungen selten, Scheidungen unmöglich sind; dass fast in
jedem Stande die französischen Häuser allgemein anziehende Muster von Gfite und Freund-
lichkeit sind; dass unter gewissen Umständen die Verfolgung des gegenseitigen Glückes auf
Theorien und Verfahrungsweisen beruht, bei denen die höchste Intelligenz mit Erfolg in An-
wendung kommt; dass die Kinder, so wenige wie ihrer auch sein mögen, herzlich geliebt
werden; dass die Verbindung zwischen Mann und Frau in den mittleren Klassen eine Innig-
keit der Genossenschaft annimmt, der man anderswo nicht leicht etwas an die Seite stellen
kann; dass endlich die Religion, wenn sie selbst der Ehe zwar auch nicht sonderlich zu Gute
kommt, doch von dieser ebenso wenig ernsten Nachtheil zu erleiden hat."
434. Die sociale. Stellung des Weibes bei den slavischen Yolkern der
Neuzeit.
Bei den Süd-SIaven ist die Stellung der Frau auch heute noch eine wenig
angesehene. Das findet selbst in ihrer Sprache den Ausdruck, denn dieselbe be-
zeichnet nur den Mann mit den Namen „Mensch* corjek, während die Frau
nur die zena ist, das heisst, wie ywi^^ »die Gebarerin*. Auch in der Sippe
kommt der weiblichen Linie der männlichen gegenüber nur eine untergeordnete
Bedeutung zu. (Krauss^J)
Krauss berichtet dann weiter:
,In Serbien, der Crnagora und der Bocca muss das Weib jedem Manne, dem sie
auf dem Wege begegnet, mag der Mann auch jünger als sie selbst sein, die Hand kfissen.
Es wäre dagegen eine unerhörte Selbsterniedrigung, würde ein Mann einem Weibe die Hand
küssen. Ein Weib darf dem Manne nie den Weg abschneiden, d. h. wenn ein Mann des
Weges geht, vor ihm über den Weg schreiten. Sie hat zu warten, bis der Mann vorüber-
gegangen. Es trifft sich nicht selten, dass der Bauer sein Weib nidit anders durchbläut, als
hätte sie das Staatsgesetz übertreten, wenn sie gegen diese Sitte sich vergeht. Sitzt ein Weib
vor dem Hause und geht ein Mann vorbei und bietet ihr Gott zum Grusse, so muss das Weib
aufstehen und danken, mag sie noch so sehr mit der Arbeit beschäftigt sein.*'
Ganz ähnlich sind übrigens die Zustände, welche in Albanien herrschen.
Eine besondere Einrichtung bildet bei den Süd-Slaven die Altfamilie,
die Zadruga, welche eine Gemeinschaft von Familien der Geschwister mit Kindern
und Kindeskindem umfasst und gemeinhin aus 10 bis 12, in seltenen Fällen auch
aus 50 Köpfen besteht. Das Haupt derselben, der Staresina, braucht durchaus
nicht immer der Aelteste zu sein. Aus einem solchen Hof wird die Braut in
eine andere Familie durch Yerheirathung aufgenommen, doch kann auch ein ein-
zelner Mann in das Haus einheirathen. (v. Haxthausen.) Die jüngeren Frauen
lösen sich in ihren Verrichtungen im inneren Hausdienste, im Kochen, Backen,
484. Die sociale Stellung des Weibes bei den slavischen Völkern der Neuzeit. 477
Beinhalten u. s. w. jede Woche ab; sie heissen bei den Süd-Slaven Reduse
und müssen in ihrer Thätigkeit alle Hausgenossen befriedigen.
Baue schrieb über das häusliche Leben der Serben und Kroaten
Folgendes:
,Les familles s'entr'aident pour les travauz de campagne, pour las moissons etc.: c'est
ce qu*on appelle une moba, une meute d'ouvriers; les trayauz s'ez^cutent alors en chantant
des Chansons appropri^es ä Foccasion. La mattresse de maison reste chez eile avec les en-
fants et pr^pare le manger; les enfants plus kg^a conduisent les bestiauz sur les päturages,
ou vont ä r^cole. Les femmes vont auz champs en filant ou en portant leurs enfants ä la
mamelle sur leur dos. Le produit des r^coltes est mis de cöt4 par le maitre et la maitresse
de la famille, pour payer les impöts. Dans certaines contr^s, le surplus des röcoltes est
partagä entre les paires d'^pouz. Dans certains pays les femmes alternent dans les soins
du manage, k savoir, pour la cuisine, la cuisson du pain, la nourriture de la volaille, pour
traire les vaches etc. Ces changements ont lieu de huit en huit jours ; cela s'appelle yvenues
ä leur tour*, Reduscha. Les femmes äg^es sont ezemptes de travail, parceque les jeunes ou
les belfes-fiUes les remplacent. Lorsqu^une fille se marie, on lui donne une dot tir^e de
la fortune mobili^re de la famille. Plus rarement on y admet au contraire des hommes
^pousant des filles de la famille. Le principe slave est que Thomme doit pourvoir auz
besoins de sa femme.*
Vor der Einftthrung des Christenthums bestand bei den Süd-Slaven Poly-
gamie. Die jungen Männer hatten Gelegenheit, bei dem Eolo-Tanze die Mädchen
zu sehen, der im Sommer vielfach stattfindet, und viele Stunden hinter einander
getanzt wird.
Der Globus (1877) bringt nach den Berichten von Yriate^ FriUey und
Wlahavüj die folgende Schilderung aus Montenegro: f
«Der Fremde, welcher, der Landessprache unkundig, das montenegrinische Gebiet
durchstreift, keine Gelegenheit findet, in den Kreis der Familie einzudringen, wird sich einen
falschen Begriff von der socialen Stellung der Frau machen. Wenn er nach dem urtheilt,
was seinem Blick sich darbietet, wird er ohne Zweifel dem Ausspruch jenes Schriftstellers bei-
pflichten, der gesagt hat, dass das erste Unglück für die montenegrinische Frau ihr Ge-
borenwerden ist. Und in der That, die langen Reihen magerer, vor der Zeit gealtert er Frauen,
die schwere Lasten tragend, gebückt und mühselig die schweren Bergpfade emporklimmen,
menschliche Lastthiere, sind nicht geeigpiet, das Loos der Frau in Montenegro anders als
bedauemswerth erscheinen zu lassen. Nimmt man dazu das verächtliche, im besten Falle
gleichgültige Betragen, das der Mann ihr gegenüber geflissentlich zur Schau trägt (in Gegen-
wart eines Fremden wenigstens), hört man die ihm ganz geläufige Redensart: Da prostite,
mojajena (Entschuldigen Sie, das ist mein Weib), so wird es einem schwer, zu glauben, was
doch der Fall ist, dass nämlich die Frau im Schoosse der Familie reichlichen Ersatz findet
für das, was ihrer schweren, gedrückten Stellung nachmüssen hin abgeht/
«Sicher ist es, dass die Geburt einer Tochter als ein grosses Unglück, als eine Art
Schande für die Familie angesehen wird. Wird ein Knabe geboren, so herrscht allgemeine
Freude, die Berge hallen wider von dem Echo der Gewehrsalven, ein festliches Mahl wird
gerüstet, alle Befreundeten der Familie bringen dem Neugeborenen ihre besten Wünsche."
«Mit gesenktem Blick und beschämt tritt dagegen der Vater, dem eine Tochter geboren
ist, an die Schwelle des Hauses und bittet die Freunde und Nachbarn um Verzeihung. Er-
eignet sich gar das Unglück mehrmals hinter einander, so müssen nach montenegrinischem
Volksglauben 7 Priester das Haus mit geweihtem Oel besprengen, die alte, verzauberte
Schwelle fortnehmen und durch eine neue ersetzen/
«Das montenegrinische Mädchen wächst in Entbehrungen und Abhärtungen aller
Axt auf, vom Auge der sorgsamen Mutter bewacht. Bis es dereinst selbst Familienmutter
sein wird, mnss es die gröbsten Arbeiten für den einfachen Haushalt verrichten. Sie geht
nach der Quelle, die oft genug hoch in den Bergen sich befindet, und bringt das mit Wasser
gefüllte Fass oder den Schlauch auf der Schulter heim. Sie sammelt in den Felsspalten oder
im Walde das Holz für den täglichen Bedarf, sie bereitet das einfache Mahl für den Herrn
und Gebieter. Ausser diesen regelmässigen Thätigkeiten beschäftigt sie sich mit Stricken
von Strümpfen oder warmen Kleidungsstücken für den Winter, mit Sticken oder Spinnen.
Der zarte, aufmerksame Verkehr mit dem männlichen Geschlechte, wie er bei uns selbst
in den niederen Ständen stattfindet, ezistirt für die junge Montenegrinerin nicht
478 LXIX. Die sociale Stellung des Weibes bei den Cultoryölkem der Neozeit.
Aber wie sie sich durch ihre sclavische Stellung im Hause nicht bedrückt fühlt, so empfindet
sie auch nicht das BedOrfniss nach jener harmlosen Huldigung, die bei uns der Jugend und
Schönheit wird. Im Gegentheil, es hat den Reisenden oft scheinen wollen, als verletze der
geringste Grad von Aufmerksamkeit, ein bewundernder Blick, die montenegrinische Frau
des Volkes.''
.Bei alledem ist die Achtung vor dem weiblichen Geschlechte eine sehr grosse: die-
Montenegrinerin, sei sie jung oder alt, schön oder h&sslich, geht unbeschützt in die ein-
samen Wälder, in die Berge, nie hat sie eine Beleidigung zu fürchten. Bescheiden und zu-
rücktretend im Wesen, in den meisten Fällen durch das mühevolle Leben früh gealtert, finden
sich unter den montenegrinischen Frauen doch Individuen von grosser Schönheit, theils
zarten, anmuthigen Charakters, theils von orientalischem Typus mit grossartigen, klassischen
Zügen und kräftigem Körperbau.*
Das montenegrinische Recht (§. 70) stellt die Allgewalt der Liebe über
die Consequenz der Gesetze:
.Folgt aber ein Mädchen dem ledigen Manne ^i willig, ohne Vor wissen ihrer Eltern,,
so kann man ihr nichts anhaben, da sie die Liebe selbst verband."
Ich schliesse noch eine kurze Angabe über die Zelt-Zigeuner Sieben-
bürgens an. V. Wlislocki^ sagt von ihnen:
, Merkwürdig und erwähnenswerth ist der besondere Umstand, der sich wohl bei
cultivirten Völkern, aber bei uncultivirten kaum jemals vorfindet, nämlich die Achtung, die
alten Frauen gegenüber gewahrt wird. Während die Zigeunermaid bis zu ihrer Vorbei-
rathung als Kind betrachtet wird, als junge Frau im Kreise ihrer Stammesgenossen gar keine
besondere Achtung geniesst, sondern im Gegentheil als ein noth wendiges Uebel geduldet
wird, geniesst die Matrone ein Ansehen und einen Einfluss, den sie bei allen inneren und
äusseren Angelegenheiten nicht nur ihrer Sippe und Genossenschaft, sondern selbst des
ganzen Stammes geltend macht. Das ürtheil und die Meinung einer solchen Matrone gilt
mehr, als der weiseste Urtheilsspruch des Woywoden. In Folge der Achtung also, welche die
Matronen bei den Zigeunern gemessen, werden sie als Vorsteherinnen der Sippe anerkannt
und betrachtet.*
485. Die sociale Stellung des Weibes bei den rnssisclien Yolkern
der Neuzeit.
Die Stellung der Frau in dem russischen Reiche ist naturgemäss nicht
überall eine gleichmassige. Auf dem Lande ist sie eine andere, als bei der
städtischen Bevölkerung. In einigen Gouvernements, namentlich bei den Finnen
und Tataren, kauft der Bauer noch seine Gattin, oder er entffthrt oder stiehlt
sie nach dem Volksausdruck, oft ohne sie zu fragen, bisweilen selbst ohne sie zu
kennen, weil sie aus einem anderen Dorfe ist. Dieser Frauenraub kommt be-
sonders auch in den mordwinischen Dörfern der Wolga-Region vor. Bis-
weilen ist es nur eine simulirte Entführung, mit Zustimmung des Mädchens und
der beiderseitigen Familien, um die Eladka, die üblichen Hochzeitskosten zu sparen,
die nach dem Volksgebrauche sehr hohe sind. (Peeöld,)
In Gross-Russland wird nach JBelinshi das Weib fast wie ein Hausthier
behandelt. In Klein-Russland sind die Beziehungen des Familienlebens in der
Regel humaner; die Liebe hat grösseren Antheil an den Eheschliessungen, das
Loos der Frau ist besser, sie erfreut sich grösserer Achtung und grösserer Rechte.
Aber auch hier ist die Lage der Frau, obgleich sie nicht so sehr wie die Gross-
Russin unter dem Joche eines Schwiegervaters und einer Schwiegermutter steht,
durchaus keine beneidenswerthe. An dem D nie per und an der Wolga be-
trachtet der Gatte sein Weib als ein niedriges, zum Leiden geborenes Wesen.
(Tschübinski.) Die Volkslieder zeigen zarte Züge von den Schmerzen, die das
Weib gewöhnlich in seinem Busen erstickt. Selbst in den russischen Hochzeits-
liedem, den swadebnüja pesni, welche rhythmische Dialoge darstellen, kUngt
überall die Trauer durch und die Furcht der Braut vor dem , fremden Rauber,
435. Die sociale Stellang des Weibes bei den rassischen Völkern der Neuzeit. 479
vor dem Tataren oder Lithauer, der sie von den Ihren entführen oder ab-
kaufen will*. (TereschepsJco.)
Seit der Aufhebung der Leibeigenschaft in Russland verbesserten sich die
Aussichten für das socisde Leben des Weibes. Fezold sagt, dass die Freigebung
des Mannes allmähliüh auch die Freigebung der Frau herbeiführen werde.
Die „Politische Correspondenz^ brachte vor einiger Zeit folgende Mit-
theilung :
„Es ist schon viel fiber die namenlos elende Lage der rassischen Frauen in den
niederen Ständen der Gesellschaft, besonders des Bauernstandes, geschrieben und gesprochen
worden, ohne dass bis jetzt eine Besserung derselben erfolgt ist, wie dies aus nachstehender
betrübender Thatsache erhellt: Vor wenigen Tagen ist der Dampfer „Kostroma'^, einer der
Kreuzer der sogenannten patriotischen oder freiwilligen Flotte, welche sich hauptsächlich
damit beschäftigt, Deportirte von Russland nach der Strafcolonie Sachalin zu überfuhren
und Thee aus China nach Russland zurückzubringen, von Odessa aus mit einem Transporte
von mehreren Hunderten zur Strafarbeit verurtheilten Yerbrechem in See gestochen. Unter
denselben befanden sich nicht weniger als 60 bis 70 Frauen, grüsstentheils noch ganz jung,
von welchen die meisten irgend einen Mord begangen oder an einem solchen th eilgenommen
hatten; von diesen jungen Yerbrecherinnen hatten 32 ihre Männer ermordet! Mit einer
einzigen Ausnahme gehörten diese Weiber zum Bauern- oder zum eigentlichen Arbeiterstande.
Bei näherer Untersuchung ergiebt sich, dass empörende Behandlung von Seiten der Ehemänner
fast immer das nächstliegende Motiv der Blatthat gewesen. Das russische Bauern weih wird
eben nicht als ein dem Manne ebenbürtiges Wesen betrachtet, sondern vielmehr als ein Last-
thier, welches dazu bestimmt ist, für den Herrn zu arbeiten, und welches man unbestraft
schlagen kann, wenn es nicht so viel leistet, als man sich berechtigt glaubt, von demselben
zu verlangen. Wenn das Bauemweib seinen Sohn verheirathen will, sagt es ihm in den
meisten Fällen etwa: ,Ich fange an, alt zu werden; ich werde dir deshalb eine Frau wählen,
damit sie für mich arbeite.* Es darf nämlich nicht vergessen werden, dass der Sohn, wenn
er sich verheirathet, mit wenigen Ausnahmen im Hause der Eltern bleibt und keinen beson-
deren Hausstand gründet. Man wird sich leicht die fast unvermeidlichen Folgen eines solchen
täglichen Zusammenlebens zwischen einer meistens herrschsüchtigen Schwiegermutter und der
Schwiegertochter vorstellen können, und noch ärger gestalten sich die Verhältnisse, wenn,
was ganz oft der Fall ist, mehrere Schwiegertöchter mit derselben Schwiegermutter unter
einem gemeinsamen Dache leben. Nur ausnahmsweise wollen oder wagen die Söhne für ihre
Frauen der Mutter gegenüber einzutreten. Sehr bezeichnend für die Stellung der russischen
Bauernfrau ist die Thatsache, dass sie selbst in der Hoffnung von ihrer Schwiegermutter oder
von ihrem Manne gezwungen wird, jede Arbeit, selbst die härteste, zu verrichten, bis zu dem
Augenblicke, wo sie buchstäblich vor Ermattung umsinkt und schon am dritten Tage nach
ihrer Entbindung wieder zur Arbeit getrieben wird.**
,Unter den mittelst der ^Kostroma* deportirten Verbrecherinnen befanden sich noch
einige, deren Verbrechen ein mehr als gewöhnliches Interesse darbieten. So war z. B. eine
gewisse, nur 20jährige Bozowa als Strassenräuberin bestraft; eine andere, Bodinowaf hatte,
um sich an einer Rivalin zu rächen, zwei Soldaten überredet, dieselbe zu nothzüchtigen; drei
andere hatten einen kaukasischen Reisenden zu sich gelockt und denselben ermordet und
beraubt; fQnf weitere, welche wegen kleinerer Vergehen zu Gefängnissstrafe verurtheilt worden
waren, verabredeten einen Fluchtversuch und hatten schon alle Vorbereitungen zu demselben
getroffen, als ihr Plan vereitelt wurde. Sie meinten, eine Mitgefangene hätte sie verrathen,
fielen über dieselbe her und tödteten sie.*
Es wird nicht ohne Interesse sein, auch noch zu hören, wie Leroy-BeauUeu
über die Stellung der Frauen im heutigen Russland urtheilt:
,Tm Beginn des vorigen Jahrhunderts war die russische Frau noch, wie heute die
türkische, eingesperrt imd verschleiert; heute erhebt sie wie der Mann und vielleicht mehr
wie der Mann, Ansprüche auf Freiheit und Vernichtung aller Schranken. Bei allen Ueber-
treibungen, die ihrer Würdigung Abbruch thun, sind diese weiblichen Ansprüche weniger
überraschend und weniger lächerlich, als anderswo. Das von der derben Hand Peter* 8 des
Grossen emancipirte Geschlecht hat vielleicht am meisten Vortheil aus einer Civüisation ge-
zogen, die seinen natürlichen Neigungen besonders schmeichelte, indem sie ihm die Freiheit
gab. Wenn in dem Reiche, das so oft und so ruhmvoll von Frauen regiert worden ist, die
Frau des Volkes noch in einer Art Sclaverei gehalten wird, so ist es doch in den gebildeteren
480 LXIX. Die sociale Stellung des Weibes bei den Culturvölkem der Neuzeit
Klassen weit anders. Was Intelligenz und Freiheit des Willens, Bildung und Stellung in der
Familie betrifft, steht die russische Frau bereits dem Manne gleich; ja sie erscheint bis-
weilen ihm überlegen — vielleicht in Folge dieser Gleichheit, die das eine Geschlecht eu
verklären scheint, indem sie das andere erhöht.*
«Diese Bemerkung über die russische Frau könnte auf die s lavische im Allge-
meinen ausgedehnt werden, denn beispielsweise würde die polnische Gesellschaft zu gleichen
Beobachtungen Anlass geben. Man möchte fast sagen, dass in dieser Rasse der psychologische
Unterschied zwischen beiden Geschlechtem weniger scharf ausgeprägt, der moralische und
intellectuelle Unterschied weniger gross sei. Zwischen dem slavischen Mann und der
slavischen Frau lässt sich oft eine Art von scheinbarer Yertauschung der Eigenschaften
und Anlagen wahrnehmen. Hat man den Männern bisweilen einen Zug des Weibischen, d. h.
ein Uebermaass des Beweglichen, Biegsamen, Leitbaren und Empfindlichen vorgeworfen, so
haben die Frauen dagegen in Charakter und Geist etwas Kräftiges, Energisches, mit einem
Worte etwas Männliches, das aber keineswegs ihrer Anmuth und ihrem Reize Abbruch thut,
sondern ihm häufig eine besondere und unwiderstehliche Ueberlegenheit verleiht. Die rus-
sische Frau, die sich an Intelligenz und Charakter als des Mannes Gleichen fühlt, ist ge-
neigt, diese Gleichheit mit allen ihren Yortheilen und UebelsiAnden in Anspruch zu
nehmen: Gleichheit im Unterricht und in der Arbeit, Gleichheit der Rechte, Gleichheit der
Pflichten.*
LXX- Das Weib in seinem Verhältniss zu der folgenden
Generation.
436. Das Weib als Matter.
In einer Reihe der früheren Abschnitte ist bereits ausführlich davon ge-
sprochen, wie das Weib zur Mutter wurde, und wie es sich in der allerersten
Zeit dieser für sie neuen Lebensperiode bei den verschiedenen Völkern zu be-
nehmen pflegt. Wenn hier nun noch einmal das Weib als Mutter einer kurzen
Betrachtung unterzogen wird, so sind es weniger die anatomischen, die physi-
schen, als vielmehr die ethischen Gesichtspunkte, mit welchen wir uns hier zu
beschäftigen haben.
Muttertreu wird alle Tage neu,
sagt das deutsche Sprüchwort, und der Mund nicht nur der deutschen,
sondern aller europäischen Völker ist voll von ähnlichem Lob und Preis der
mütterlichen Aufopferungsfähigkeit. So heisst es in Sardinien: ^
Eine Mutter kann eher hundert Söhne ernähren, als hundert Söhne eine Mutter,
und die Russen sagen:
Das Gebet der Mutter holt aus dem Meeresgrunde heraus.
Auch der Mailänder stimmt in das Lob mit ein:
Der täuscht dich, welcher sagt, dass er dich mehr liebt, als die Mutter.
(v. Beinsherg-Dünngsfeld.J
Fig. 377. Ältägyptische Franen. (Nach ChawpolUon Figeac. Aus Plost^^.
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass, wenn die biblische Erzählung von
dem verlorenen Sohne europäischen Ursprungs wäre, es dann nicht der Vater
gewesen sein würde, welcher dem reuig Zurückkehrenden voll Freuden seine Arme
oSnet, sondern die Mutter.
Man mochte glauben, dass wir im Stande sein müssten, die treue Liebe der
Mutter zu ihren Kindern, welche wir ja auch selbst fast überall in dem Thier-
reiche wiederfinden, als einen allgemeinen instinctiven Zug bei den Frauen aller
PloBs-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II. 31
482
LXX. Das Weib in seinem Yerhältniss zu der folgenden Generation.
Völker nachzuweisen. Und dennoch ist man bemüht gewesen, den Weibern un-
civilisirter Nationen dieses Gefühl der Liebe streitig zu machen und abzusprechen.
Man hat diese Behauptung dadurch bekräftigen wollen, dass man darauf hinwies,
wie ausserordentlich weit verbreitet wir bei den Naturvölkern die Sitte finden,
einen Theil ihrer neugeborenen Kinder umzubringen. Aber auch sogar in diesem
Umbringen der Neugeborenen haben wir in sehr vielen Fällen einen, wenn auch
etwas seltsamen Ausdruck der Mutterliebe zu erkennen. Denn die Mütter tödten
ihre Kinder oft nur deshalb, damit sie ihnen ein ähnlich schweres Lebensloos er-
sparen, als ihnen selber zugefallen ist. Wer sich nun aber klar macht, wie sich
die Mütter allen den Mühen und Plagen geduldig unterziehen, welche die Pflege
und Wartung der kleinen Kinder erfordert und welche ganz besonders erhebliche
bei allen nicht an feste Wohnsitze gebundenen Stämmen sind, wo der Mutter
meistens ausser dem Tragen der noch nicht marschfahigen Kleinen auch noch die
gesammte Last des Gepäcks aufgebürdet wird, för den kann doch kein Zweifel
darüber bestehen, dass es eben die Mutterliebe ist, welche alle diese Mühsal und
Anstrengung ohne Klage überwinden lässt.
So sagt z. B. Prinz Boland Bonaparte von den Indianern Surinams:
,n est rare que la femme n'accompagne pas son mari en v^oyage; dans cette circon-
stance, eile marche en avant portant tout le bagage et les petita enfants, tandis que Vhomme
snit avec son arc et ses flaches.*'
Aehnliche Angaben würden sich unschwer für viele andere Völker beibringen
lassen. Auch lehrt ein Umblick auf der Erde, wie unendlich viele uncivilisirte
Nationen bei allen Verrichtungen ihres täglichen
Lebens von ihrem Kinde als unzertrennlichem Ge-
päckstück begleitet sind. Es hängt auf ihrem
Rücken oder auf ihrem Hintertheile, es reitet auf
ihren Schultern, oder auf ihrer Hüfte, es steckt,
wie bei den Eskimo, in dem weiten Pelzstiefel, es
wird, in seiner Wiege verpackt, auf den Armen, auf
dem Rücken oder auf dem Kopfe getragen. Ploss
hat in seinem Buche „Das Kind vom Tragbett
bis zum ersten Schritt' diese Methoden, wie
sich die Mütter mit ihren Kindern schleppen, genauer
erörtert und durch eine Reihe von Abbildungen
illustrirt. Auch hier sollen in den Figuren 56, 83
bis 88, 180 und 377 bis 382 einige charakteristische
Beispiele vorgeführt werden.
Am bequemsten ist es begreiflicher Weise, wenn die Mütter ihre Kinder
auf dem Rücken tragen. Diese Art der Beförderung sehen wir bei den alten
Aegypterinnen Fig. 377 und 378, bei den Dahome Fig. 83, den Xosa-
Kaffern Fig. 88, bei den Japanern Fig. 86, den alten Peruanern Fig. 84
und 85, bei dem Banao-Weibe Fig. 373, bei den Feuerländern Fig. 180, den
Flathead-Indianern Fig. 56 und 381 und den Labrador-Eskimos Fig. 880.
Letztere stecken das Kind in die Kapuze ihrer Pelzjacke, und die Flatheads tragen
dasselbe in einer Wiege, welche die Stirn des Kindes abflacht (Fig. 56 und 381).
Auf der Hüfte reitend treffen wir das Kind bei der Beggar-Frau aus
Indien Fig 379, bei der Frau aus der Colonia Eritrea Fig. 87 und bei den
alten Aegypterinnen Fig. 377. Hier wird es auch auf der Schulter getragen,
und in Fig. 378 hängt es, in ein Tuch gebunden, vor dem Bauche und der Brust.
Aehnlich trägt auch die Canelos-Indianerin ihr Kind in Fig. 382.
Aus allen diesen Abbildungen geht wohl unzweifelhaft hervor, welche Last
den Müttern durch diese Art der steten Begleitung ihrer Kinder erwachsen muss,
und wie unrecht man ihnen thut, wenn man ihnen die Mutterliebe abzusprechen
versucht hat.
Fig. 378. Altägyptische Klage-
weiber beim Begräbniss.
(Kach WükiHsoH, Aus Pioss^y)
436. Das Weib als Matter.
483
Wem diese bildlichen Beweise nicht genügen, dem vermögen wir aber auch
noch directe Zeugnisse der Reisenden vorzulegen. So führen die Gelehrten der
NovarorB^ise an, dass trotz des Kindesmordes dennoch die Australierin mit
rührender Liebe an ihren am Leben erhaltenen Kindern hängt, und ergreifend ist
Fig. 379. Beggar-Fraa (Bombay), ihr Kind auf der Hüfte tragend. (Nach Photographie.)
die Trauer, welche bei dem Tode eines derselben in lautem Weinen und Weh-
klagen sich kund giebt. lieber die Somali- Weiber sagt Paulitschke:
gEs will mich bedünken, dass die Somäl- Mutter mit aller Gluth der Mutterliebe an
ihrem Kinde hängt, um das sieb der Vater nicht weiter bekümmert."
31*
484
LXX. Das Weib in seinem Verbal tniss zu der folgenden Generation.
Christaller führt folgendes Sprüchwort der Suaheli an:
, Eines Mannes Matter ist sein anderer Gott."
Von den Aht, Macah oder Clatset, Indianerstämmen von Van-
couver, berichtet Malcolm Sproat, dass sie ihre Kinder sehr lieben, und das
Gleiche gilt nach Krause von den Thlinkit-Indianern.
Ueber die Grönländer führt v. Nordenskjöld Folgendes an:
»Die Grönländer sind grosse Einderfreunde. Die Freiheit ihrer Kinder ist so im-
begrenzt, wie nur irgend möglich. Dieselben werden niemals gezflchtigt, ja nicht einmal
mit harten Worten angelassen. Die alte europäische Erziehungsmethode betrachten sie als
äusserst barbarisch^ und in dieser Ansicht stimmen sie mit den Indianern in Ganada
überein, welche den Missionaren, als diese ihnen wegen der grausamen Tortur, der bei ihnen
die Kriegsgefangenen unterworfen wurden, Vorwürfe machten, zur Antwort gaben: wir martern
wenigstens nicht, wie ihr, die eigenen Kinder. Trotz dieser unpädagogischen Erziehungsweise
kann man den Eskimokindem das Zeugniss
geben, dass sie, wenn sie ein Alter von 8 bis
9 Jahren erreicht haben, möglichst gut er-
zogen sind.*" .
Auch die Indianer des Gran
Chaco in Süd-Amerika lieben nach
Amerlan die Kinder ungemein.
Merensky sagt von den Basutho:
„Ihre Kinder lieben sie zärtlich. Das
kleine Kind wird von der Mutter gehätschelt,
rasirt, mit rother Pomade eingerieben, mit
Liebe und Lust im Tragetuche überall mit
hingeschleppt, dass man sieht, es ist der Mutter
grösster Schatz."
Einen deutlichen Beweis der Liebe
zu ihren Kindern liefern die Marolong
in Süd-Afrika durch die strenge Er-
ziehung derselben. Sie prügeln sie, so
oft sie's verdienen. Ein Spruch wort sagt:
, Strecke den Assagai - Schaft, so lange
er weich ist.*
Züchtigen Eltern ihre ungezogenen
Kinder nicht, so sagen die Anderen
von ihnen:
„Die haben keine Kinder, sondern sind
nur Väter und Mütter.' {Joeat^.)
Trotz solcher Strenge geniessen die
Mütter aber doch eine ausserordentlich
grosse Verehrung.
Krane berichtet von den Zulu-
Kaffern, dass der despotische Häuptling
Tschaka^ als ihm der Tod seine Mutter entriss, aus Trauer über ihren Verlust
1000 Binder schlachten liess. Ausserdem aber befahl er, zehn auserlesene Jung-
frauen lebendig mit der Verstorbenen zu begraben, und seine Krieger mussten
zu Ehren der Todten mehrere Tausend Menschen niedermetzeln.
Rührend zu sehen war es für Hendrich^ wie eine junge Mutter im süd-
lichen Borneo, wo sie ging und stand, ein Bündel verkrüppelter Hölzer über
ihren Säugling hielt, um ihn vor bösen Geistern zu schützen.
Ein schönes Beispiel aufopfernder und vor keiner Oefahr zurückschreckender
Mutterliebe entnehme ich v. Schweiger-Lerchenfeld :
.Das indische Volk der Khonds in dem Gebirgslande von Orissa pflegte noch* in
der Mitte unseres Jahrhunderts der Erdgöttin an bestimmten Festen Menschenopfer darzu-
bringen. Diese, mit dem Namen Meriah bezeichnet, wurden erst lange Zeit gut gepflegt
Fig. 880. Eskimo-Frau aus Labrador,
ihr Kind in der Kapuze tragend.
(Nach Photographie.)
436. Das Weib als Matter.
485
und herangeffltteit. Oft schon als kleine Kinder angekauft oder gestohlen, genossen sie eine
sorg^ltige Abwartung und durften sich sogar verheirathen ; jedoch wurden dann ihre Kinder
ebenfalls Meriahs. Ihr und der Ihrigen Schicksal wuasten sie vollkommen voraus. War der
für sie bestimmte Tag der Opferung gekommen, dann wurden sie unter grossen Feierlich-
keiten in einer Blutlache erti^kt, zwischen Brettern zu Tode gequetscht oder bei lebendigem
Leibe zerstückelt.*
„Die englische Regierung musste wiederholentlich militärische Expeditionen ausrüsten,
um diesen Greueln zu steuern und sie zu unterdrücken. Dabei war eine Meriah mit ihren
3 Kindern gerettet worden, und nach einiger Zeit bat sie, dass man auch ihr viertes bei den
Khonds zurückgebliebenes Kind befreien möge. Das ging aber nicht an, denn die Jahres-
zeit war vorgeschritten und der betreffende Stamm den Engländern sehr feindlich gesinnt.
Man vertröstete die Bedauemswerthe auf das nächste Frühjahr. Da verschwand sie ganz
plötzlich aus dem Lager; die Kinder hatte sie zurückgelassen, was schliessen Hess, dass sie
selbst die Rettungsmission übernommen habe. In
der That kam sie nach 40tägiger Abwesenheit in
das Lager zurück, den geretteten Knaben an
der Hand. Sie hatte sich gerade zur Regenzeit
durch Urwälder und Sümpfe geschlichen, sich
nur von Wurzeln und Früchten kümmerlich ge-
nährt und vor Angst und Schrecken beinahe die
ganze Zeit schlaflos zugebracht, d. h. wenn die
Ermattung sie nicht inmitten in den Wäldern,
in denen giftige Schlangen krochen und die
Tiger brüllten, hinsinken machte. So war sie
bis in das letzte Dorf gelangt und sie benutzte
die zuföllige Abwesenheit der Bewohner, um
ihren Knaben aufzusuchen und fortzutragen. Der
Rückgang war ganz mit denselben Beschwerden
verbunden, und so konnte es nicht Wunder
nehmen, dass sie krank und zum Gerippe abge-
magert im Lager eintraf. Die Regierung ver-
schaffte ihr und ihren Kindern sofort ein Unter-
kommen."
Unter den Chewsuren ist die Liebe
der Eltern zu den Kindern sehr gross, zumal
den Söhnen gegenüber; doch sind die
Äeusserungen dieser Liebe absonderlich; die
Liebkosungen geschehen im Geheimen. Im
ersten und zweiten Jahre nimmt der Vater
sein Kind nicht auf den Arm und die
Fig. 881. Flathead-Indianerin (Nord-
Amerika), ihr Kind in der Wiege auf dem Rücken
tragend. (Nach einer Handzeichnung von George
CailiH.)
Mutter hält es für eine Schande, in Gesell-
schaft mit ihrem Kinde zärtlich zu sein.
{Badde.)
Bei den wandernden Zigeunern Siebenbürgens muss, wie von Wlislocki^
berichtet, der junge Mann, wenn er sich verheiratbet, in die Sippe seines Weibes
eintreten. So ist er dann nicht selten gezwungen, sich von seinen allernächsten
Angehörigen zu trennen, und muss selbst seine alte Mutter verlassen.
,Die Mutter war Deine Mutter, das Weib war und ist Dein Weib,"
sagt das zigeunerische Rechtssprüchwort, das uns zugleich die ethischen Mo-
mente der vielen zigeunerischen Volkslieder erklärt, in denen die Mutter ihre
Sehnsucht nach ihrem verlorenen Sohne ausspricht, z. B. in dem schönen Liede:
Keine Biene ohne Stachel ist,
Ach, mein Sohn schon jetzt auf mich vergisst!
Seine alte Mutter müd' und matt
Er im Elend hier gelassen hat!
Bist mein Trost, den ich noch hab*,
Grabe mir doch nicht das Grab!
4^
La;:, ü^ \\'»r.\
Tar:l.T:^-.g r:. ir?r f:-,r>B.iiac Gfawitä*».
A^et th:: i**: Eock zs Laecr!
Ab^ mit f^f^cher liebe k^r^en d>e Kirder inr Leben bog an ihrer Mutter,
«aod wecn «Ntbon laa&r-ft ihr Grab dem Erdboden giekb gevoidn ist, so gedenkt
noch stets der Sohn, die Toditer in nie ge-
stülter Sehnsucht der VerbbcheDen ond wünscht
$ich ans weiter Ferne nach dem Orte hin, wo
sie nach langer Wandenchaft die ktxie Buhe
gefunden hat.^
Die treae Matter darf am das gestorbene
Kind nicht weinen, weO diesem sonst die Rohe
im Hinnnelreiche genommen wird. Bekannt
bt das sinnige Mirchen ron dem Thrinen-
krfiglein, in dem das gestorbene SLind die
Thi^oen der nntrostüchen Matter sammeln
maas and das sie nun kaum noch za tragen
Tennag. In Masaren and bei ander^i
slarischen Völkern darchnissen die Thrinen
der Matter des gestorbenen Kindes Todten-
hemd, and in der triefenden ümhüllang,
welche darch die Nässe schwer geworden nacb-
schleppt, ist das Kind nur mit M&he im Stande,
den übrigen Seelen aaf ihrer Wanderang
darch die himmlischen Sphären za folgen.
Wenn eine Matter herzlos genag ist, sich
am ihre Kinder nicht in der gebührenden
Weise za bekümmern, so wird sie bei ans
bekanntermaassen als eine Rabenmutter be-
zeichnet. Auf Rarotonga in der Südsee
bedient man sich in einem solchen Falle eines
anderen, uns fremden Bildes. Gill sagt hier-
über:
,lm Cfeg<ensaU in der Sorgfalt, mit welcher
die Mutter über die Sicherheit der Eier wacht, bekümmert die Schildkröte sich gar nicht
um die auBgebrüteten Jungen. Daher schreibt sich auch ein altes Sprüchwort der Raro-
tonganer in Bezog auf vernachlässigte oder Terlastene Kinder. Solche Kinder nennen sie:
«Nachkommenschaft der Schildkröte*.
Vig. 3^. Canelot-Indianerin (Peru),
ihr Kind in einem Tuche tragend.
(Nach Photographie.)
487. Das Weib- als Stief- und Pflegemutter.
Stiefmutter und Pflegemutter — wie ähnlich sind diese in ihren Obliegen-
heiten und ihren Beziehungen zu der ihrer Obhut anvertrauten Jugend, und wie
verschieden wird doch ihre Stellung von der Meinung und der Stimme des Volkes
aufgefassti Während man mit dem Begriffe der Pflegemutter gleichzeitig den
Begriff der selbstlosen Treue verbindet, welche den armen verwaisten Kindern die
rechte Mutter zu ersetzen bestrebt ist, so ist es uns von Kindesbeinen an kaum
möglich, uns eine Stiefmutter ohne das herabwürdigende Beiwort „böse* vorzu-
stellen. Einen grossen Theil der Märchen und Sagen, einen grossen Theil der
europäischen SprQch Wörter durchzieht dieser flüstere Oedanke.
Nach r. lieinsherg-Düringsfeld sagen die Bergamasken:
Die Stiofmutter, und wenn sie von Honig wäre, ist nicht gut;
437. Das Weib als Stief- und Pflegemutter.
487
und
Die eigene Mutter Mütterchen, die Stiefmutter Yerderbensmutter
heisst es bei den Gzechen.
Noch weniger pietätvoll und wenig christlich äussert man sich in manchen
Gegenden Deutschlands.
Stiefmütter sind am besten im grünen Kleide, d. h. also unter dem Rasen des Eorchhofes.
Gewiss ist es ursprünglich der Neid gegen die Stiefgeschwister, gegen die
eigenen Kinder der Stiefmutter, welcher dieses schlechte Yerhältniss zu der letz-
teren gross gezogen hat. So sagen die Polen:
Das Kind der Stiefmutter wird doppelt gen&hrt,
und die Bulgaren stimmen mit ein:
Das bucklige eigene Kind gilt vor dem geraden Stiefkinde.
Aber auch wenn sie kinderlos ist, vermag sich doch die arme Stiefmutter
nicht die Liebe, die Achtung und die Anerkennung des Volkes zu erwerben.
Darum heisst es in Ehstland:
Besser die Rutbe der leiblichen Mutter als das Butterbrod der Stiefmutter.
und:
Der Vater bekommt wohl ein Weib, aber die Kinder bekommen keine Mutter.
Fig. 383. Die Stiefmutter. (Aus Peirarchae Trostspiegel.)
Die verwaisten Kinder fürchten vielleicht, und bisweilen mit einem gewissen
Rechte, dass das Interesse und die Aufopferung, welche der Vater für sie be-
sessen hatte, jetzt durch die Liebe zu seiner Neuvermählten ihnen erheblich ge-
schmälert oder sogar gänzlich entzogen wird. Das drückt das deutsche Sprüch-
wort aus, wenn es sagt:
Wer eine Stiefmutter hat, hat auch wohl einen Stiefvater;
und ein ähnliches Spruch wort der Lappen lautet:
Wem Gott die Mutter nimmt, nimmt er den Vater. CPoestion,)
In Petrarchae Trostspiegel bringt das Kapitel: »Von Vntrew der Stieff-
mütter* den einleitenden Vers:
„Stieffmutter ist ein böse Ruth,
Stiefmütter die thun selten gut.
Doch wiltu seyn jhr liebes Kind,
Mit gedult jhr Vntrew vberwind.*
488 LXX. Das Weib in seinem Verh<niss zu der folgenden Generation.
Das dazugehörige Bild (Fig. 383) führt uns die Stiefmutter vor, zwischen
ihrem halberwachsenen ßohne und der halberwachsenen Tochter stehend. Vor
ihr läuft händeringend der erwachsene Stiefsohn fort. Er hat wohl triftige
Gründe dafür, denn in der Hand der Stiefmutter bemerkt man einen mächtigen
Stock, welchen sie gegen den Stiefsohn gerichtet hält. Im Hintergründe sieh:
man Phryxos und Helle in der Tracht des 16. Jahrhunderts auf dem goldenen
Widder fliehen.
Als Trost in diesem Unglück giebt Petrarcha folgenden, in vollem Maass«
zu beherzigenden Rath:
.Wann dein Stieffmntter anfahet, vnsinnig im Hauss zu werden, so lass das W^ier
vbergehen, gedenk an deinen Yatter vor Augen, schweige still vnd leide, du kanst Tsd
8olt dich nicht an Weibern rechen, verachte nur jhre vnbilliche weiss, vnd lass ^at aejiL
Wer ein Weib nicht leiden kan, ist kein Mann, liebe deine Stieffmutter , so sie dich schon
hasset' u. s. w.
Wie Unrecht einer grossen Zahl der Stiefmütter durch solch eine harte
Beurtheilung geschieht, das bedarf wohl keiner weiteren Auseinandersetzung^ denn
wem wären nicht Stiefmütter bekannt, welche mit musterhaftester Treue sich der
ihnen vom Manne zugebrachten Kinder annehmen und bisweilen sogar sie milder
und sorgfaltiger behandeln, als ihre eigenen Kinder. Es ist übrigens eine inter-
essante Erscheinung, dass der Begriff der Stiefmutter mit seiner hässlichen Neben-
bedeutung nur bei den eigentlichen Gulturvölkem vorhanden zu sein scheint
Wenigstens begegnen wir bei den weniger civilisirten Nationen nirgends der Auf-
fassung, dass, wenn eine andere Frau des Vaters dessen Kinder mit zu Ober-
nehmen gezwungen ist, diese darunter unter irgend welcher Beziehung zu leiden
hätten. Im Gegentheil, wir haben ja schon gesehen, mit welcher Bereitwilligkeit
bei vielen Völkern die Frauen sich dazu hergeben und sich sogar danach drangen,
den jungen Kindern entweder auf einige Tage als Pflege- und Säugemutter zu
dienen, oder wenn die rechte Mutter gestorben ist, sie auch wohl gänzlich, den
eigenen Kindern gleich, bei sich aufnehmen. Auf Serang und den Babar-Inseln
herrscht die Sitte, dass, wenn einer Familie Zwillinge geboren werden, die Eltern
nur das eine der Kinder selber aufziehen, während das andere von Verwandten
oder Dorfgenossen an Kindes Statt angenommen wird.
Auch die eigenthümliche Einrichtung der Mutterschaft durch eine
Stellvertreterin, die wir bei manchen Völkern nachzuweisen vermögen,
liefert den Beweis, wie mit Freuden die Kinder aufgenommen werden, welche
der Ehemann mit einer anderen Frau erzeugte; denn Kinderlosigkeit ist
Schande, aber Kinder sind Reichthum und Segen, und die Frau ist stolz auf sie
und freut sich ihres Besitzes und hegt und pflegt sie, wenn es auch nicht ihre
eigenen sind.
Wenn bei den heutigen Chinesen die Frau dem Ehegatten keine Kinder
gebiert oder an einer chronischen Krankheit leidet, so darf der letztere mit ihrer
Zustimmung eine Goncubine ins Haus nehmen.
.Fast immer werden dieselben aus den unteren Klassen oder aas der Zahl der bedürf-
tigen Verwandten gewählt. Die Kinder derselben werden als Kinder der rechtmässigen Fran
betrachtet, wenn diese kinderlos ist. Dagegen gelten sie als legitimirt, d. h. sie haben das-
selbe Recht, als die ehelichen Kinder, wenn die rechtmässige Frau selbst mit solchen gesegnet
ist. Die Goncubine ist der legitimen Frau Gehorsam schuldig und betrachtet sich als in
ihrem Dienst befindlich.*
,Nach unseren Sitten/ fährt mein chinesischer Gewährsmann Tscheng Ki Tang, dem
ich das Vorstehende entnehme, fort, «wo das Schicksal des Kindes mehr als alles Andere
interessirt, und wo die Ehre der Familie gerade in dem Gedeihen dässelben besteht, würde
dieses (in Frankreich so oft gebräuchliche) getrennte Leben der ausserhalb der £he ge-
borenen Kinder allen herkömmlichen Gebräuchen zuwiderlaufen. Aus diesem Grunde wurde
das Concubinat eingesetzt, wodurch es dem Manne erspart wird, ausser dem Hause Abenteuer
aufzusuchen. Die Einrichtung an sich ist beim ersten Anblick schwerlich zu billigen — einem
437. Das Weib als Stief- und Pflegemutter. 489
Europäer erscheint sie undelicat — allein unter dem Verwände des Zartgefühls werden oft
weit schwerere Verbrechen begangen, werden aus intimen Verhältnissen hervorgegangene
Kinder mit einem unauslöschlichen Makel in das Leben hinausgestossen, dem sie ohne Hülfe
und ohne Familie gegenüberstehen. Ich finde diese Mängel weit bedenklicher, als die
Brutalität des Concubinats. Was dasselbe vor Allem entschuldigt, ist der Umstand, dass es
von der legitimen Frau geduldet wird, trotzdem sie den Werth des von ihr gebrachten
Opfers sehr wohl kennt; denn die Liebe bindet die Herzen in China ebensowohl wie überall.
Allein die wahre Liebe rechnet mit zwei üebeln und wählt das kleinste — im Interesse
der Familie."
Von den kinderlosen Frauen in Bosnien sagt Krauss^:
n^> der Mann das unfruchtbare Weib nicht selbst aus dem Hause, so verbittern ihr
die andern Weiber in der Hausgemeinschaft so lange das Leben, bis sie von selbst fortgeht;
dann muss sie sich's auch gefallen lassen, wenn der Mann ein Kebsweib aushält, ja sie muss
sogar diese unehelichen Kinder, als wären es ihre eigenen Kinder, in jeder Beziehung hegen
und pflegen. Mir sind in der That einige solche Fälle weiblicher Aufopferung bekannt.
Die Bäuerinnen sprachen von den Kindern ihres Mannes nicht anders wie von ihren eigenen
Kindern.*
Ganz analoge Verhältnisse fanden sich bekanntermaassen bei den alten
Israeliten. So lesen wir 1. Mosis 16:
Sarai, Abrams Weib, gebar ihm nichts. Sie hatte aber eine ägyptische Magd, die
hiesa Hagar. Und sie sprach su Äbram: «Siehe, der Herr hat mich verschlossen, dass ich
nicht gebären kann. Lieber, lege Dich zu meiner Magd, ob ich doch vielleicht aus ihr mich
bauen möge.**
Das Oleiche wiederholt sich dann in dem Hause des Jacob, dem seine eben-
falls kinderlose Gattin Rahd sagt:
Siehe, da ist meine Magd Bilha; lege Dich zu ihr, dass sie auf meinem Schooss gebäre,
und ich doch durch sie erbauet werde. (1. Mosis 30.)
Es kann wohl, wie ich früher schon angedeutet habe, kaum emem Zweifel
unterliegen, dass wir hier in dem Oebären des Kebsweibes auf dem Schoosse der
le^timen Ehefrau einen allegorischen Vorgang erkennen müssen, durch welchen
die unfruchtbare Frau gleichsam selber die Niederkunft durchmacht und auf
diese Weise ein Mutterrecht auf ihre Stiefkinder zu erwerben glaubt. Es ist
dieses ein Umstand, der wohl zu denken giebt. Denn da, wie wir gesehen
haben, bei vielen Völkern der Gebrauch besteht, dass die Fraueu auf dem
Schoosse ihres Ehegatten niederkommen müssen, so liegt der Gedanke nicht sehr
fem, dass der ursprüngliche Beweggrund für diese Sitte darin zu suchen ist,
dass auf diese Weise das Kind gleichsam auch körperlich des Vaters Eigenthum
wird, und wir hätten somit hierin eine gewisse Analogie für das Männerkindbett
zu erkennen.
Solch eine Scheingeburt, wie Fast ganz treffend diese Vornahmen be-
zeichnet, ist auch nach Juhic bei den türkischen Bewohnern von Bosnien in
Gebrauch. Er sagt:
„Die Türken pflegen in der Regel unmündige Kinder zu adoptiren und zwar nach
orientalischem Brauche. Die Adoptivmutter stopft nämlich das Kind in ihre weiten Hosen
hinein und lasst es durch die Hosen auf die Erde nieder, als wenn sie das Kind gebären
würde. Der Adoptivsohn wird nun, als wäre er ein rechtmässiges Kind, der Erbe aller Gater
seiner Adoptiveltern."
In einem serbischen Liede heisst es:
,Die Kaiserin trug ihn in den Palast, zog ihn durch ihren seidenen Busen, damit das
Kind ein Herzenskind genannt werde, badete ihn und herzte ihn ab/
Allerdings sagt Krauss\ der diese Stelle berichtet, dass dieses in Serbien
nicht der allgemeinen Sitte entspräche.
Die Würde der Stellung einer Pflegemutter wird auch in Afghanistan
voll anerkannt. Das sehen wir aus einem absonderlichen Gebrauche, welchen
Fost nach dem Berichte Ujfalvys anführt.
490 LXX. Das Weib in seinem Verhältnias zu der folgenden Generation.
Bei den Afghanen von Suat, Dir und Aswar wird, falls eine Anklage
wegen Ehebruchs zur Schlichtung vor den Richter oder Yezir kommt, und es an
Beweisen mangelt, vom Angeklagten eine Garantie für das Niewiedervorkonmien
einer solchen Beschuldigung verlangt. Sie besteht darin, dass er mit seinen Lippen
die Brust der Frau berührt. Sie wird dann als seine Pflegemutter betrachtet,
und keine andere Beziehung als die zwischen Mutter und Sohn kann unter ihnen
mehr existiren. Das auf diese Weise geknüpfte Band wird als so heilig betrachtet,
dass es noch nie gebrochen ist.
Den Japanern ist der Begriff der bösen Stiefmutter, wie wir ihn kennen,
ebenfalls kein unbekannter. Es geht das ganz so, wie bei uns, aus einigen ihrer
Geschichten hervor. In einer dieser Erzählungen wird die still duldende und er-
tragende Stieftochter durch die unerschöpflichen Launen und die boshaften
Quälereien der Stiefmutter allmählich zur Verzweiflung und schliesslich in den
Tod durch eigene Hand getrieben.
LXXI. Das gescUechtsreife Weib im Zustande der
Ehelosigkeit.
438. Die eheTerschmähte Jungfrau.
Wer kennt sie nicht, die so oft beschriebene Erscheinung, das ,, späte
Mädchen*, mit den sich scharf abzeichnenden Gonturen der Kopfnickermuskeln
am Halse, mit den „Gänsef&sschen'' an den Schläfen und mit den dünnen, etwas
bleichen Lippen. Ein ewiges, verschämtes Backfisch-Lächeln umspielt ihre Züge,
schmachtende Blicke der Sehnsucht schiesst sie nach den Herren, mit denen sie
zusammentrifft, aber wohl verstanden nur nach den Männern in etwas reiferen
Jahren und hier auch nur nach den ünverheiratheten, den Verwittweten oder den
Oeschiedenen. Stets ist ihr Anzug zierlich und gewählt, stets spielen bunte und
grelle Farben dabei eine grosse Rolle, namentlich solche, welche nach den ge-
wöhnlichen Begriffien ästhetischer Farbenlehre wenig oder gar nicht zusammen-
gehören. Auch fehlt es daran nicht an auffallenden Draperien, wie sie sonst
höchstens von Mädchen auf der so reizvollen Uebergangsstufe von dem Kinde
zur Jungfrau getragen werden. Erfordert es die Sitte, mit entblössten Schultern
zu erscheinen, so ist ihr Kleid oben erheblich kürzer, als diejenigen der anderen
ünverheiratheten Damen. Sie kann aus anatomischen Gründen tiefer ausgeschnitten
erscheinen, als die frischen Mädchengestalten um sie herum, ohne jedoch den
Männerblicken mehr zu enthüllen. Wird in den geselligen Vereinigungen musicirt,
dann ist sie eine der Ersten, welche ihre schon etwas an schlechte Blechmusik
erinnernde Stimme erschallen lässt. »Nur wer die Liebe kennt, weiss, was ich
leide!" Dieser und ähnliche Ergüsse unbefriedigter Sehnsucht bilden ihr Repertoir.
Aber der ewig heitere Himmel auf ihrem Gesichte ist nur ein scheinbarer. Dem
scharfen Beobachter entgehen nicht die Blitze, welche ihr Mienenspiel durch-
zucken, wenn die immer unbegreifliche Männerwelt sich von ihr abkehrt, um sich
mit den jungen Damen in Unterhaltungen einzulassen, ,,den reinen Kindern '^j wie
sie sich ausdrückt, wo es ihr unbegreiflich ist, wie kluge Männer an den Ge-
sprächen solcher 18- bis 25jährigen dummen Dinger Geschmack finden und sie
selbst unberücksichtigt lassen können.
Jedoch zum schrecklichen Gewitter wird dieses Wetterleuchten in der Häus-
lichkeit; nichts ist ihr recht. Niemand versteht sie, von Jedem fühlt sie sich
gekränkt und beleidigt. Aber sie selber hat für jeden Anwesenden eine spitzige
Bemerkung, jeden Abwesenden sucht sie zu verdächtigen, oder ihm etwas Schlechtes
nachzusagen, und wenn nicht alles ihrem Wunsche und ihrer Laune sich fugt,
dann stellen sich zu rechter Zeit der Weinkrampf oder die Migräne ein, um das
unerquickliche Bild vollends abzuschliessen.
Aber auch ihr haben einst bessere Tage geleuchtet, auch sie hat die Liebe
gekannt, selbstverständlich im keuschen Sinne, aber derjenige, für welchen einst
492 LXXI. Das geschlechtsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeifc.
ihr Herz geglüht hat, dem sie mit ihrer ganzen Seele sich zu weihen, dem sie
gänzlich und für das ganze Leben anzugehören bereit war, der hat sie nicht ver-
standen; er hat eine Andere gefreit, die ihn, wie sie annimmt, niemals glücklich
zu machen im Stande ist. Noch mehrmals in ihrem Leben fand sie Männer,
denen sie mit gleicher Inbrunst der Liebe zu begegnen bereit war. Aber trotz-
dem ihr Liebeswerben nun schon an Deutlichkeit nicht mehr viel zu wünschen
übrig Hess, ist sie von der gefühllosen Männerwelt dennoch wieder unverstanden
geblieben. So ist sie allmählich mit der Männerwelt zerfallen und hat sich in
sich selbst zurückgezogen. Nur Einen noch hat sie, dem ihr Herz gehört, von
dem sie alle Launen erträgt, in dessen treuverschwiegenen Busen sie all ihr Leid
und all ihren Harm ausschüttet, der ebenso feindselig der Welt gegenüber steht,
wie sie selber, das ist ihr treuer Zimmer- und Bettgenoss, ihr Schoosshund.
Mit ihm sitzt die verblühte Rose einsam hinter dem Epheugitter, das ihr Fenster
schmückt, und gedenkt mit stiller Wehmuth der Tage, da sie noch ein firisches
Enospchen war.
Die arme alte Jungfer! Wieviel wird über sie gespöttelt, und man ver«'
gisst dabei vollständig, wieviel Schmerz und Herzeleid und wieviel getäuschte
Hofihung diese Furchen in ihrem Antlitze ziehen halfen.
Aber wir müssen es zum Ruhme des weiblichen Geschlechts hervorheben,
dass das soeben entrollte Bild doch nur auf einen sehr kleinen Theil der ehelosen
Jungfrauen passt. Bei weitem die Mehrzahl hat es verstanden, sich rechtzeitig
klar zu machen, dass es für das Lebensglück des Weibes in noch viel höherem
Grade als für den Mann nothwendig ist, einen Wirkungskreis und einen Lebens-
beruf zu haben. So findet man sie oft als die Lehrerinnen der Jugend, als die
Pflegerinnen der alternden Eltern, oder endlich, und nicht am seltensten, als die
treue Stütze im Haushalte der verheiratheten Geschwister. Wieviel Segen sie
hier stiften, wieviel Entsagung sie üben und wieviel Liebe sie säen, davon wissen
besonders die Aerzte zu erzählen, welche bis in das geheimste Innere der Familie
zu blicken Gelegenheit haben. Wenn der Anschein nicht trügt, so hat der Stand
der alten Jungfern in den letzten Jahrzehnten erheblich an Anzahl zugenommen.
Die unverhältnissmässige Steigerung aller Lebensbedürfnisse muss nicht zum ge-
ringsten Theile hierfür verantwortlich gemacht werden. Aber auch die heutige
Erziehung der weiblichen Jugend, welche vielleicht mehr wie gebührlich auf das
Aeusserliche gerichtet ist und den Sinn fOr eine rechte Häuslichkeit zu spät den
Mädchen zum Bewusstsein kommen lässt, kann doch wohl nicht vollständig von
der Schuld an diesen unnatürlichen Verhältnissen freigesprochen werden.
439. Die alte Jungfer in anthropologischer Beziehung.
Betrachten wir das alternde Mädchen in anatomischer Beziehung, so sehen
wir allmählich die Rosen von ihren Wangen schwinden; die Haut wird fehl und
grau, die Lippen blass und dünn; die Nasen-Lippen-Furche, welche nach vom hin
die Wange abgrenzt, wird scharf ausgesprochen und tief; unter den Augen ent-
stehen zuerst leichte, dann immer tiefere Schatten; am äusseren Augenwinkel
tritt eine Gruppe von seichten Hautfältchen auf; die Augen erhalten einen matten
Glanz und einen wehmüthigen klagenden Ausdruck. Auch die Stimme hat nicht
selten einen schmerzlichen und doch scharfen Beiklang. Die Wollhärchen des
Gesichtes, namentlich an den Seitenpartien der Oberlippe, auch wohl am Kinn
und an den Wangen dicht neben dem Ohre, beginnen sich zu etwas kräftigeren
und je nach der Farbe des Kopfhaares blonden oder dunklen kurzen, aber echten
Haaren zu entwickeln. Das Fettpolster des ünterhautgewebes verringert sich in
auffallender Weise. Das markirt sich in erster Linie an den Brüsten, welche
kleiner und nicht selten welk und hängend werden. Sie scheinen an dem Brust-
440. Die Ethnographie der alten Jungfer. 498
kästen gleichsam beinahe handbreit heruntergerutscht zu sein. Denn die fettarme
Haut bedeckt den oberen Theil des Brustkorbes kaum anders als bei dem Manne,
während bei der blühenden Jungfrau an diesen Stellen das ünterhautfettgewebe
um so stärker entwickelt ist, je mehr die Brusthaut in diejenige der eigentlichen
Brüste übergeht. Hierdurch geschieht es, dass die obere Grenze der Brüste in
der Blüthe der Jahre viel höher zu liegen scheint, als in dem hier geschilderten
Zustande des Yerwelkens. Die gleiche Ursache bedingt es, dass jetzt der Hals
magerer, die Schultern spitziger und eckiger erscheinen als früher, und dass die
oberen Rippen und die Schlüsselbeine, früher unter dem reichlicheren Fettpolster
versteckt, jetzt mit grosser Deutlichkeit zu Tage treten. Die Oberschlüsselbein-
gruben vertiefen sich erheblich; es bildet sich, wie der Berliner Volksmund
sagt, das ,, Pfeffer- und Salzfass** aus. Auch die Arme nehmen, wenn auch in
leichterem Grade, an der Abmagerung Theil; aber doch markiren sich auch an
ihnen sowohl die Muskelgruppen als auch namentlich die Knochenvorsprünge des
Ellenbogens und der Handwurzel um vieles deutlicher als früher. Das Fettpolster
des Bauches wird ebenfalls geringer, ohne dass letzterer jedoch dabei seine jung-
fräuliche Rundlichkeit und Straffheit einbüsst. Am wenigsten und unter allen
Umständen am spätesten werden die Formen und der Umfang der Hinterbacken,
der Schenkel und der Waden beeinträchtigt, und gerade die letzteren sind es,
welche am allerlängsten auf ihrem ursprünglichen Zustande auszuharren pflegen.
Als den Zeitpunkt, zu welchem bei den Mädchen unseres Volkes im Durch-
schnitt dieses Verwelken beginnt, müssen wir das 27. oder 28. Jahr bezeichnen,
obgleich auch nicht selten bereits mit 25 Jahren die ersten Spuren dieser Um-
bUdungszustände sich einfinden. Einmal begonnen, pflegt der Process in rapider
Weise bis zu der vorher geschilderten Ausbildung seine Fortschritte zu machen.
Dass tiefe seelische Missstimmung und allerlei nervöse Beschwerden diese Zustände
nicht selten begleiten, das wurde im vorigen Abschnitte bereits besprochen.
Es ist nun im höchsten Grade bemerkenswerth nicht allein fiir den Arzt,
sondern auch für den Anthropologen, dass es ein wirksames und niemals ver-
sagendes Mittel giebt, diesen Process des Verwelkens nicht nur in seinem Fort-
schreiten aufzuhalten, sondern sogar auch die bereits geschwundene Blüthe, wenn
auch nicht ganz in der alten Pracht, doch in nicht unerheblichem Grade, wieder
zurückkehren zu lassen, nur schade, dass unsere socialen Verhältnisse nur in den
allerseltensten Fällen seine Anwendung zulassen und ermöglichen. Dieses Mittel
besteht in einem regelmässigen und geordneten geschlechtlichen Verkehre. Man
sieht nicht eben selten, dass bei einem bereits verblühten oder dem Verwelktsein
nicht mehr femstehenden Mädchen, wenn sich ihm noch die Gelegenheit zur Ehe
bietet, bereits kurze Zeit nach ihrer Vermahlung alle Formen sich wieder runden,
die Rosen auf den Wangen wiederkehren und die Augen ihren einstigen frischen
Glanz zurückerhalten. Die Ehe ist also der wahre Jugendbrunnen für das weib-
liche Geschlecht. So hat die Natur ihre feststehenden Gesetze, welche mit uner-
bittlicher Strenge ihr Recht fordern, und jede Vita praeter naturam, jedes un-
natürliche Leben, jeder Versuch der Anpassung an Lebensverhältnisse, welche der
Art nicht entsprechen, kann nicht ohne bemerkenswerthe Spuren der Degeneration
an dem Organismus, dem thierischen sowohl als auch dem menschlichen, vor-
übergehen.
440. Die Ethnographie der alten Jnngfer.
Wenn wir von dem ethnographischen Standpunkte aus uns mit der alten
Jungfer beschäftigen wollen, so ist unsere Arbeit bald gethan. Denn bei den
Naturvölkern ist, wie es den Anschein hat, diese Institution fast vollständig un-
bekannt. Es ist vollkonmien unerhört, dass ein geschlechtsreifes Mädchen nicht
irgend eines Mannes Gattin würde, sei es für eine bestimmte Reihe von Jahren.
494 LXXI. Das geschlecbtsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeit.
sei es für die ganze Lebenszeit, und wir haben ja früher bereits gesehen, dass es
bei manchen Völkern selbst für die unverheiratheten Weiber für eine Schande
gilt, wenn sie nicht mit Männern in geschlechtlichem Verkehre gestanden haben,
und dass hierdurch ihre Aussichten auf eine spätere wirkliche Verheirathung er-
heblich zunehmen.
Dass wir auch überall da, wo f&r die Braut ein Kaufyreis zu erlegen ist,
alte Jungfern fast gar nicht voriinden, das erscheint wohl selbstverständlich. Denn
wo die Mädchen ein Handelsartikel sind, da bilden sie den Reichthum der Familie,
und der Vater wird naturgemäss sich ernstlich bemühen, dass er eine mannbare
Tochter nicht unverkauft im Hause behält.
Alte Jungfern kommen natürlicher Weise auch da nicht vor, wo das Um-
bringen der Mädchen Landessitte ist. Denn hierdurch muss eine erhebliche
Ueberzahl der Männer gegenüber den etwa am Leben gebliebenen Mädchen
erzengt werden, und diesen wenigen wird es dann an Bewerbern gewiss nicht
fehlen. Ueber die Ausdehnung, welche dieser gewohnheitsgemässe Mädchenmord
in manchen Gegenden Indiens erreicht hatte, lesen wir bei von Schweiger-
Lerchenfeld :
«Als im Jahre 1836 in dieser Angelegenheit die erste Untersuchung seitens der indo-
britischen Behörden angestellt wurde, zeigte es sich, dass beispielsweise im westlichen
Radschputana unter einer Bevölkerungsgruppe von 10000 Seelen kein einziges Mädchen
vorhanden war! In Manikpur gaben die radschputischen Edelleute selbst zu, dass seit
mehr als 100 Jahren in ihrem Gebiete kein neugeborenes Mädchen über ein Jahr gelebt habe.
Damit sind aber diese Ungeheuerlichkeiten noch lange nicht alle erschöpft. Vor etwa 20
Jahren wurden neuerdings Nachforschungen gepflogen. Ein Beamter der Regierung constatirte
zunächst die Existenz der Mordpraxis in 308 Ortschaften, die er besucht hatte, in 26 fand er
kein einziges Mädchen unter 6 Jahren, in 28 kein einziges unter dem heirathsföhigen Alter.
In einigen Ortschaften war seit Menschengedenken keine Hochzeit vorgekommen, und in einer
anderen datirte man die letzte derselben die Kleinigkeit von 80 Jahren zurück. Die grösste
Merkwürdigkeit aber traf eine Ortschaft in der Provinz Benares, denn dort erklärten die
Bewohner, dass seit 200 Jahren keine Ehe mehr geschlossen sei. Andere statistische Daten
lassen sich in Folgendem kurz zusammenfassen: Im Jahre 1869 constatirte der Gouverneur
der Nordwestprovinzen, dass in sieben Dörfern auf durchschnittlich 100 Knaben 1 Mädchen
entfiel; 10 Jahre vorher war die letzte Ehe geschlossen worden. In einer Gruppe von 22
Dörfern zählte er 284 Knaben und nur 23 Mädchen."
Von Schlaginttveit haben wir folgenden Bericht:
„In Indien fühlt sich ein Vater entehrt, der eine mannbare Tochter noch ledig im
Hause hat; deswegen sind im ganzen Reiche nur 6^/3 Procent aUer weiblichen Wesen über
14 Jahre noch unverheirathet. Nicht die jungen Leute suchen sich, sondern die Eltern
schliessen die Verbindung. Die Mehrzahl der Mädchen wird verheirathet vor Eintritt völliger
Entwickelung und lebt als Frau bei den Männern. Ein hohes Fest ist der Eintritt der Pubertät;
die beiden Familien feiern dieses Ereigniss gemeinsam als zweite Heirath, und so lebhaft ist
die Freude, dass alter Familienzwist dabei neuer Freundschaft weicht.*
Besonders streng sind in dieser Beziehung nach du Perron die Anschauungen
bei den heutigen Parsen. Denn wenn bei diesen ein mannbares Mädchen ab-
sichtlich die Heirath vermeidet, so gilt das für eine Sünde, die nicht gesühnt
werden kann; sie ist unrettbar der Hölle verfallen.
Dass aber wenigstens früher in Indien alte Jungfern kein unbekannter Be-
griff gewesen sind, das geht aus einer Hymne des Rigveda hervor, welche an
die Oottheiten Ägvin gerichtet ist. Hier wird demselben lobend nachgesagt:
,lhr bringet ja der alten Jungfrau Liebesglflck.*^ {Geldner.J
In Java gilt «ine 14 — 15 Jährige, die nicht verheirathet ist, nach Waibaum
schon für eine alte Jungfer.
In China siitd nach Tscheng Ki Tong alte Jungfern „eine phänomenale
Erscheinung''; die Ehelosigkeit wird allen Ernstes als ein Laster betrachtet, und
es bedarf ganz bestimmter Oründe, um sie eu entschuldigen. Entgegengesetzt der
440. Die Ethnographie der alten Jungfer. 495
eben gemachten Angabe sagt aber ein anderer Berichterstatter über China, dass
die Sorge der Kinder ftSr ihre Eltern dort so gross ist, dass gar nicht selten
Mädchen unverheirathet bleiben, nur ganz allein aus dem Grunde, um ihre Eltern
pflegen zu können. Dann wird ihnen nach ihrem Tode ein Denkmal aus Holz
oder Stein errichtet, auf welchem eine Inschrift diese ihre Aufopferung verewigt.
Während bei den Völkern der Südsee alte Jungfern nicht vorzukommen
scheinen, so müssen jedenfalls die Gilbert-Insulaner hier eine Ausnahmestellung
einnehmen. Parkinson sagt von ihnen:
,Auf den Gilbert- oder Eingsmill-Inseln kann es nicht an alten Jungfern fehlen,
da in den dort herrschenden Erbschaftsgesetzen der Fall vorgesehen ist, dass die Erblasserin
unverheirathet ist. Wahrscheinlich hängt das damit zusammen, dass die Mädchen sehr frQh,
oft schon im Mutterleibe, verlobt, aber von ihrem Verlobten in manchen Fällen nicht gehei-
rathet werden. Allerdings ist ihnen dann nicht verboten, eine andere Wahl zu treffen.**
Jedoch auch dort, wo nicht gerade eine directe Gefahr für das Mädchen
besteht, dass sie überhaupt sitzen bleibt, wenn sie nicht gleich frühzeitig heirathet,
ist ein längeres Warten ihr dennoch bänglich.
Jedes reife Mädchen braucht die Hochzeit,
sagt der Süd-Slave, und die Tscherkessin singt:
Die reife Frucht wartet des Pflückers Hand,
Des Freiers wartet die mannbare Jungfrau —
Die Frucht, die zu pflücken
Kein Pflücker gekommen,
Fällt endlich wohl selber
Vom Baume herab —
Die Maid, die zu freien
Kein Freier gekommen,
Flieht endlich wohl selber
Den heimischen Herd. (BodenstedtJ
In einem bosnischen Volksliede heisst es:
Sarajewo, sollst in Feuer aufgehn!
Weil ein böser Brauch in Dir entstanden.
Denn man minnt um Wittwen, Türkenfrauen,
Und die schönen Mädchen lässt man sitzen. C^rauss^J
Aber das Verblühen kommt auch früh, und in Bosnien sagt man von einem
22jährigen Mädchen, „sie ist halb abgestanden*, und von einem 25jährigen, «sie
ist in die Länge gezogen*. (Krauss^,) So gesellt sich zu ihrem Schmerz über
das unbefriedigte Leben auch noch der Hohn des Yolkswitzes dazu.
Ueber die Süd-Slaven schreibt mir Krauss (1877):
«Sie fragen, was für eine Stellung eine alte Jungfer (cura sijeda = ein ergrautes
Mädchen) einnehme? Nicht besser als ein räudiger Hund; denn mit ihr verkehren weder die
Mädchen, noch die Frauen, am allerwenigsten die Männer. Sie darf weder im Reigen, noch
in der Spinnstube mitthun. Sie wird verhöhnt und verspottet und überall zurückgesetzt.
Man betrachtet sie als den Schandfleck des Hauses. Ein stereotyper Fluch lautet: Du sollst
bei Deiner Mutter (im Hause sitzengeblieben) Dein Haar flechten/
In seinem grossen Werke sagt Krauss^:
„Ledig bleiben wird einem Mädchen fast wie ein Verbrechen angerechnet. Leidejb die
Arme an und für sich schon genug, so trägt auch der Spott der Welt viel dazu bei, dass sie
ihr Leid noch schmerzlicher empfindet. So z. B. herrscht in Öakovec im Murlande der
Brauch, dass die jungen Burschen des Ortes am Aschermittwoch Röhricht herbeischleppen,
daraus Bündel machen und an den Hausthüren unverheiratheter Mädchen befestigen.'
und doch lautet die Antwort des süd-slavischen Mädchens, wenn man
sie fragt, wann sie Vater und Mutter am allerliebsten hat:
«Wenn ich mich nach ihnen aus des Gatten Heime sehne und bei ihnen in der Ver-
wandtschaft nicht hinsitze. **
496 LXXI. Das geschlechtsrdife Weib im Zastande der Ehelosigkeit.
So will die Wal ach in, wenn Gott ihr das Glück der Ehe versagt hat,
wenigstens noch nach dem Tode einem heldenmüthigen Jünglinge von Nutzen
sein. Es heisst in einem Yolksliede nämlich:
Wohl erging sich eine Maid, eine junge Walachenmaid,
Zierlich schmuckes Mägdlein,
Ging allein, die schmucke Maid, und erhob zu Gott ihr Flehen;
„Thu mich nicht, o, Du mein Gott, durch lebendige Sehnsucht morden,
Mein sichtbarer Gott!
Durch lebendige Sehnsucht morden, nicht durch bittren Pfeil erlegen,
Lass mich voll die Lieb' verkosten eines zierlich schmucken Helden,
Mich junge Walachin.
Auf dem Haupte will ich tragen einen grünen Kranz vom Oelbaum,
Auf der Hand will ich erschauen einen goldenen Ring aus Hellas,
Ich schöne Walachin.
Magst mich aber, lieber Gott, durch lebendige Sehnsucht morden,
0 mein Gott, verwandle mich in die schlanke Alpentanne,
Mein sichtbarer Gott.
Meine schönen Haare wandle in das zarte Gras des Kleefelds,
Meine schwarzen Augen wandle in zwei kühle, klare Quellen^
Mein sichtbarer Gott!
Kam' der Herr von meinem Herzen dann zu pirschen auf die Alpe,
Thät' er rasten unter dieser grünen schlanken Alpentanne;
Mein geliebter Herr,
Th&t* dann seine Rosse fflttem mit dem zarten Gras des Kleefelds,
Thät' sie tränken an den beiden kühlen, klaren Quellenwassem,
Seine schnellen Rosse. '^
Hat also zu Gott gebeten und sich alles auch erbeten. (Krauss^.)
In einem mordwinischen Liede, das Paasonen veröffentlicht und übersetzt
hat, klagt das gute Mädchen, die alte Matjuscha^ weinend:
Auch das Wasser war gut; es giebt keinen, der es trinkt:
Auch das Gras war vortrefflich; es giebt keinen, der es mäht;
Auch ich war gut; es giebt keinen, der mich nimmt;
Auch ich war vortrefflich; es giebt keinen, der mich anrührt.
Bei den Mohamedanern geniesst höchstens die verheirathete Frau ein
gewisses Ansehen, die alte Jungfer aber ist ganz ohne Rechte.
Osman JBey verdanken wir folgende, die uns hier interessirenden Verhält-
nisse beleuchtende Notiz:
„Die Nothwendigkeit einer Heirath für die Frauen hat zu vielen Hülfsmitteln und
frommen Betrügereien, welche ebenso sonderbar als lächerlich sind, Veranlassung 'gegeben.
Auf einer Wallfahrt nach Mekka z. B. ist die Bescheinigung der Heirath eine noth wendige
Bedingung. Die alleinstehende Frau, welche sich an der Wallfahrt betheiligt, wird Gott
weniger Wohlgefallen, als die verheirathete. Um nun diesem Nachtheil abzuhelfen, nehmen
sie ihre Zuflucht zu einer frommen List, welche in der sogenannten Wallfahrtsehe besteht.
Jedesmal, wenn sich eine Pilgerkarawane zum Besuch der heiligen Orte rüstet, sieht man die '
unverheiratheten Frauen, Wittwen oder alten Mädchen nach einem Individuum suchen^ welches
einwilligt, die Bolle eines Gelegenheitsgatten zu spielen. Sie machen letzterem in sehr naiver
Weise ihre Anträge, indem sie z. B. ohne Z6gem und Erröthen sagen: Willst Du mein Wall-
fahrtsgatte werden? Ja, warum nicht, antwortet der Pilger, ohne sich die Mühe zu geben,
die Frau, welche seine Gattin zu werden gedenkt, anzusehen. Hierauf nehmen sich die Ver-
lobten zwei Zeugen, und die Heirath zwischen ihnen wird auf kurze Zeit geschlossen. Hierauf
Bchliessen sie sich der Karawane an, beide schwingen sich auf das Kameel, oder reihen sich
zu Fuss dem unendlichen Zuge, welcher sich nach Mekka begiebt, ein. Diese Wallfahrts-
ehen vertragen sich durchaus mit dem muselmännischen Gewissen; sie werden sogar von den
Pilgern als ein gutes Werk angesehen. Es ist Ehrensache der Männer, den Frauen behülf lieh
zu sein, ihre Pflicht gegen Gott, wenn auch durch List, zu erfüllen. Die Wallfahrtsheirathen
hören an dem Tage wieder auf, an dem die Ceremonien durch die Opferung der Lämmer
Tafel XL
Das Weib in den deutschen Kolonien und deren Nachbarschaft.
1. 2. 3.
Frau Yon Fernando Po« Frau Yon Kamerun. Fante-Frau.
(GoldkÜBte.)
4. 5. 6.
Mädchen t. d. Admiralitilts- Mftdohen Ton Samoa* Müdchen Ton Neu-Britannien.
Inseln« (Guellen-Halbiniel.)
7. 8. 9.
Weib aus Harrar« Konde-Weib. Berir-I>amara-Weib.
TtttelXl.
Das Weib in den deutscKenKoloiüerL 11. deren Nachbarschaft.
r-.x. ■i:-irteis.._'AA>» /^rX-
441. Die Goiteq'angfrau. 497
aaf dem Arafat beendigt werden. W&hrend auf der einen Seite geopfert wird, sprechen auf
der andern Seite die Gatten die sacramentale EheBcheidongsformel ans, und die Eheleute
gehen aus einander, um sich nie wieder zu sehen.*
441. Die Gottesjangfraa.
Wir finden schon von urdenklichen Zeiten her bei den verschiedenartigsten
Galturvolkem unseres Erdballs den Gebranch, bestimmte Vertreterinnen des weib-
lichen Geschlechts aus dem profanen Alltagsleben herauszunehmen und sie, durch
besondere Ceremonien vorbereitet, in besonderen Häusern untergebracht, und in
besonderer Weise erzogen, für ihre ganze Lebenszeit der Gottheit zu weihen.
In den allermeisten Fällen waren diese Gottesjungfrauen zu ewiger Ehelosigkeit
verurtheilt; sie hatten den Dienst in den Tempeln zu versehen, die Götterfeste
durch ihre Gesänge und Tänze zu verherrlichen, als Opferpriesterinnen zu fun-
giren und bisweilen auch die Orakel zu verkündigen. Sie nahmen dem übrigen
Volke gegenüber eine durchaus exceptionelle Stellung ein, und als Ersatz für das
Familienleben, das sie für immer entbehren mussten, wurden ihnen von allen
Seiten die höchsten Ehrenbezeigungen entg^engetragen. Gewöhnlich war mit
der Ehelosigkeit auch die strenge Bewahrung ihrer jungfräulichen Keuschheit
ihre heilige Pflicht: sie waren das Eigenthum der Gfottheit, der man sie geweiht
hatte, und den Männern war es streng verpönt, auch nur in ihre Nahe zu konmien.
Wehe derjenigen Gottequng&au, welche die Keuschheit verletzte. Die allerhärtesten
Strafen hatte sie zu gewärtigen.
So war es aber nicht in allen Fallen. Bisweilen sehen wir, dass die Tempel-
mädchen, wenn eine reguläre Ehe ihnen auch streng verboten war, doch von
dem geschlechtlichen Umgänge mit Männern nicht nur nicht ausgeschlossen,
sondern sogar zu demselben gezwungen wurden. Allerdings waren diese Männer
in manchen Fallen nur die Priester oder der König des Landes, also immerhin
die Vertreter der Gottheit. Aber es fehlt auch nicht an Beispielen, wo sie sich
jedem Manne hingeben mussten, der bei dem Altare ihrer Gottheit sein Opfer
und sein Gebet zu verrichten gekommen war. Man hat diesen letzteren Gebrauch
ebenfalls mit dem Namen der religiösen Prostitution bezeichnet, von deren Arten
ich in einem früheren Abschnitt bereits gesprochen habe und worauf ich hier
nicht noch einmal zurückkommen will.
Bei den alten Aegyptern gab es Jungfrauen, welche im Dienste des Ämmon
sich bei dessen Tempel in besonderer Glausur befanden. Es wird auch eine „Obere*
dieser Mädchen genannt. Wir dürfen daher mit Sicherheit annehmen, dass diese
Tempeljungfrauen zu ganzen Schwesterschaften vereinigt gewesen sind. Auch in
dem alten Mexiko und Peru finden wir die Institution der Gott geweihten
Jungfrauen, und auch die heutigen Buddhisten besitzen in unseren christlichen
Nonnenklöstern ganz analoge Einrichtungen. Eine solche buddhistische Nonne
aus Japan haben wir in Fig. 235 kennen gelernt.
Bei den Römern mussten bekanntlich die Priesterinnen der Vesta das
Gelübde der Keuschheit ablegen, wie die Göttin selber, als Neptun und ÄpoUo
sich um sie bewarben, bei dem Haupte ihres Bruders den Eid ewiger Jungfräu-
lichkeit leistete. An Zahl waren in Rom zuerst zwei Vestalinnen, dann vier,
und nachher sechs.
«Sie tragen ein langes, weisses Gewand, eine priesterliche Stimbinde um das Haupt,
dessen Haar gescheitelt war, und wenn sie opferten, einen dichten Schleier. In dem Heilig-
thum, welches ihnen von Numa Pompüius angewiesen wnrde, das jedoch zugleich als Königs-
palast diente, hatten sie das bekannte Palladium der Stadt Rom und andere hehre Dinge
zu bewachen, die Opfer der Göttin auszurichten und die ewige Flamme ihres Herdes zu ver-
sorgen. Die Nachlässige, durch deren Schuld das Feuer ausging, ward von dem Pontifex
maximus, der die Wohnung dieses Tempelhauses theilte und als Oberpriester auch die Vesta-
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. U. 82
498 LXXI. Das geachlecbtsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeit.
linnen beaufsichtigen musste, mit Geisseihieben gezüchtigt, worauf man die wegen eines
solchen Vergehens erzürnte Göttin durch feierliche Opfer und Gebete versöhnte und die Gluth
an den Strahlen der Sonne wieder anschürte. Verletzung des Eeuschheitsgelübdes strafte
man schrecklich; die Frevlerin wurde unter grausen Ceremonien, gleich den Nonnen im
Mittelalter, lebendig begraben, während allgemeine Stadttrauer herrschte, da man ein solches
Ereigniss für ein schweres, aus Göttergroll hereingebrochenes Unglück hielt Dafür genossen
aber auch diese Priesterinnen das höchste Ansehen und eine Menge Vorrechte. Sobald sie
der Pontifez am Tage ihres feierlichen Eintritts mit der weihenden Hand berührte, waren
sie mündig und testamentsfähig; sie hatten im Theater Ehrenplätze unter den ersten Magistrats-
personen: wenn sie ausgingen, wurden ihnen von dem Lictor die Fasces vorgetragen, und
begegnete ihnen auf ihrem Wege ein Verbrecher, den man zum Richtplatz führte, so schenkte
man ihm das Leben. Uebrigens durfte die zur Vestalin bestimmte Jungfrau nicht mehr als
10 Jahre zählen, musste aus Italien gebürtig, ohne äussere Mängel und von Eltern ent-
sprossen sein, die dem freien Stande angehörten, ein ehrliches Gewerbe trieben und noch am
Leben waren; der Vater konnte sie dann freiwillig zur Priesterin hergeben. War jedoch
eine Wahl nöthig, so geschah sie durch das Loos in der Volksversammlung, indem man eine
Anzahl von 20 ganz jungen Mädchen, die den obigen Bedingungen entsprachen, zur Auswahl
vorführte. Die Betroffene musste. den Dienst der Vesta 10 Jahre lang lernen, die folgenden
10 Jahre ausüben und ein weiteres Jahrzehnt (also bis zu ihrem vierzigsten Jahre) lehren;
alsdann hatte sie Erlaubniss, den Tempel zu verlassen und sogar zu heirathen, wenn sie ihrem
heiligen Beruf entsagen wollte. '^ CMinchwitzJ
Auch die Germanen hatten ihre gottgeweihten Jungfrauen, welchen die
Gabe der Weissagung verliehen war. Tacitus spricht von üinen in seiner Ger-
mania. Diese Jungfrauen nannte man Wäla,
.Die brukterische Jungfrau Veleda war eine solche Wala, welche lange von den
Meisten wie ein gotterfülltes Wesen gehalten ward; schon vorher haben sie Albrun und
mehrere andere Frauen in solcher Weise verehrt. In der That galten .weise Frauen* als
von den Göttern erleuchtet, als kimdig der Zukunft, wohl zu unterscheiden von den Prieste-
rinnen, obwohl oft ihre Eigenschaft und die Verrichtung als Weissagerinnen in Einem Weibe
vereint vorkommen mochten.* fJDahnJ
Diese Veleda^ welche die Vernichtung der römischen Legionen durch die
Bataver voraussagte, wohnte in einem Thurme und zeigte sich den Abgesandten
der umwohnenden Stänune nicht selbst: einer ihrer Verwandten vermittelte Frage
und Antwort: sie wurde von den Römern aufgefordert, ihren Einfluss auf die
Deutschen zur Beilegung des Krieges zu verwenden.
Im Allgemeinen bedeuten sich die germanischen Wahrsagerinnen, deren
auch dieWest-Gothen welche besassen, bestimmter Holzstäbchen zur Erforschung
der Zukunft, auf welchen Runenzeichen eingeritzt waren. Daher bezeichnen auch
nach Weinhold alle Frauennamen, in denen das Wort „run*' erscheint, ursprüng-
lich Weiber, welchen die Gabe der Weissagung innewohnt.
Die vornehmste Stelle unter den gottgeweihten Jungfrauen nehmen die
christlichen „Himmelsbräute^ ein, die Nonnen mit ihren Abarten der pflegenden
und Diakonissinnen-Orden. Wieviel Entsagung, Nächstenliebe und Aufopferungs-
fähigkeit gerade für die letzteren nothwendig ist, das ist zu allgemein bekannt,
als dass es hier noch einer weiteren Auseinandersetzung bedürfte. Die Nonnen-
klöster nahmen fast gleichzeitig mit den Klöstern der Mönche ungefähr in dem
4. Jahrhundert unserer Zeitrechuung ihren Ursprung. Den ersten Anstoss dazu
gaben ganze Schaaren frommer Einsiedler, welche, wie der heilige Rieronymus
berichtet, von Indien, Persien und Aethiopien aus „in täglichen'' Zuzügen
nach dem Westen wanderten. Um diese sammelten sich in grossen Mengen
gläubige Schüler, die dann von hervorragenden Geistern in grösseren Gruppen
gesammelt wurden. Der heilige Pachomius gilt als der erste, welcher solch ein
Kloster gegründet hat. Diese Klöster bestanden aus einer grossen Anzahl ein-
zelner Häuser, welche unter einer Oberleitung vereinigt waren. Wir lesen bei
Lacroix^:
„Lee vierges vou6es ä FEglise, lea jeunes veuves, les diaconesses avaient un genre
441. Die Gotiesjangfrau. 499
d^ezistence qui deTait les pr^parer naturellement aux habitades de r^clusion, de vie contem-
platiye et d'asc^tisme. La soeur de Saint Antoine, la soear de Saint Paoome farent plac^ea
par lenrs T^n^rables fr^res ä la tSte de deuz communant^s de vierges, en Egypte et en
Palestine. Dans le Pont et la Cappadoce, Saint Betaue cr^a plusieurs monast^res de
filles, et leur nombre s'accrat tellement que d^s les premi^res annees du cinquiäme si^cle un
seul monast^re (coenobinm) renfennait deuz cent cinquante vierges. En Europe, les mo-
nastäres de vierges se multipli^rent avec non moins de rapidit6. A Rome, du temps de
Saint AthafMsef et sans doute par son influence, deuz maisons religieuses ayaient ^t^ ouvertes
auz jeunes fiUes. Eusebe^ Täveque de Yerceil, institua pr^s de son eglise un Etablissement
du m§me genre; mais le plus cel^bre de tous ces monast^res de femmes fot celui qu^avait
fondE ä Milan Saint Ambroise, pieuz asile oü se r^fugia sa digne soeur MarceUine et la
Mh\e compagne de celle-ci, (Jandida, deuz beauz noms qui rappellent deuz belles ämes.*
Nun nahmen die Klöster ihren Weg über sämmtliche Länder der Christen-
heit, und aus allen Schichten der Bevölkerung, Ton den Kaiserinnen und Prin-
zessinnen abwärts bis zu den ärmsten Bauemmädchen, strömten ihnen fromme
Seelen in Menge zu. Aber das Leben fronmier Schwärmerei und Selbstkasteiung
wich schon nach wenigen Jahrhunderten einer freieren Auffassung des mensch-
lichen Daseins. Fröhlicher edler Lebensgenuss hielt seinen Einzug in die heiligen
Mauern. So gehört mit zu den schönsten Werken des Antonio AUegri^ der unter
dem Namen Correggio bekannt ist, ein Gyklus von Frescomalereien, Kindergruppen
mit Jagdemblemen in Laubgewinden darstellend, mit welchen er im Jahre 1518
auf Befehl der Aebtissin Donna Giovanna da Piacenjsa ein Zimmer im Benedik-
tiner Nonnenkloster Convento di San Paolo in Parma ausgemalt hat. Am Kamin
dieser sogenannten Camera di San Paolo liess sich die Aebtissin selber von dem
Maler als Diana auf einem von zwei Hirschkühen gezogenen Wagen darstellen.
Ihre Erscheinung ist weit davon entfernt, uns eine Nonne vermuthen zu lassen.
Aher es fehlte auch nicht in den Klöstern an groben Verirrungen mancherlei
Art; und wenn im Munde des Volkes auch heute noch in vielen Gegenden die
Erzählung fortlebt, dass dieses oder jenes berühmte Nonnenkloster durch einen
unterirdischen Ghkng eine sicherlich nicht ganz zwecklose Verbindung mit dem
benachbarten Kloster der Mönche unterhalten habe, so liegen hierfür in nicht
wenigen Fällen nur allzu triftige Gründe vor. Der Secretär des Papstes TJrban VI.
(1378—1889), Bischof Thierry de Niem, entwirft ein schauerliches Bild von dem
wüsten Leben, welches die heiligen Jungfrauen mit den Mönchen und mit ihren
ihnen vorgesetzten Geistlichen führten:
«Fomicantur etiam quamplures hujusmodi monialium cum eisdem suis praelatis ao
monachis et conversis, et iisdem monasteriis plures partnriunt filios et filias, quos ab eisdem
praelatis, monachis et conversis, fomicarie seu ex incesto coitu conceperunt. Filios autem
in monachos, et filias taliter conceptas quandoque in moniales dictorum monasteriorum
recipi faciunt et procurant: et, quod miserandum est, nonnuUae ex hujusmodi monialibus
matemae pietatis oblitae, ac mala malis accumulando, aliquos foetus earum mortificant, et in-
fantes in lucem editos trueidant, seque babent saevissime circa illos, etiam Dei timore secluso."
Von den friesischen Klöstern sagt er:
yjn quibus pene omnis religio et observantia dicti ordinis ac timor Dei abscessit. Libido
et corruptio camis inter ipsos mares e moniales, neci non alia multa mala, ezcessus et vitia
quae pudor est^ effari, per singula (monasteria) succreyerunt, ac de die in diem magis pul-
lulant et vigent in ipsis."
Der Prädicant Barlette jammert:
„0 quot luxuriae! o quot sodomiae! o quot fomicationes !
Glamant latrinae latibula ubi sunt pueri suffocati!"
und ähnlich äussert sich der Prädicant MatUard:
,Utinam haberemus aures apertas, et audiremus yoces puerorum in tarlinis projectorum
et in fluminibus." {Dulaure,)
Dass aber auch noch schlimmere Dinge bei den zu ewiger Keuschheit sich
verpflichtenden Nonnen sich ereigneten, das können wir aus einigen Strafverord-
nuniren erkennen, welche uns aufbewahrt worden sind:
32»
500 LXXI. Das geschleclitsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeit.
„Cum sanctimoniali per machinam fomicans annos Septem poeniteat; duos ex his in pane
et aqua (Thesaurus),
und
Sanctimonialis foemina cum sanctimoniali per machinamentum poUuta Septem annos.
(du Gange.)
Bodin erzählt in seinem Buche: «Vom Ausgelasenen Wütigen Teuffelsheer*' von
den Nonnen des Klosters Berg in Hessen:
,,Dann man auff aller der jenigen Betten, die diser Vnmenschlichen Sund halben» so
man die stum Sund nennet, verdacht wäre, augenscheinlich Hund gesehen hat, die vnflfttig
mit dem Werck an dieselbigen ansetzten."
Er glaubt zwar, dass dieses Teuffei gewesen sind, aber er g^iebt doch den
verständigen Bath:
„Dessen hab ich den Leser desshalben erinnern wollen, damit er sich fürsehe vnd hüte,
den willen der Jungen Töchter, Welche zum G«lübd der Keuschheit kein neigung tragen,
nicht nach seim Eopff vnnd fürschlag zunötigen."
Dass das Gelübde der Keuschheit den Nonnen oft manche Seelenpein ver-
ursacht hat, das drückt auch Johan von Schwartzenberg in folgendem Verse aus:
„Jch arme Nun offt haimlich klag,
Das ich nit weltlich werden mag.
Het ich genumen ainen man,
Als manche jungfraw hat gethan,
Gott vnd mich selbst het ich geert,
Vnd auch darzu dj weit gemert.
Sunst steck ich hj im hass vnd neyd,
Mit vngedult ich schwerlich leyd.
Wiwol der leib ist aingespert,
Mein mut ist inn der weit verwert,
Inn zweyffel stet mein Zuversicht,
Gefall ich Grot das waiss ich nicht"
Man darf aber nicht in den Fehler verfallen, gewisse, nach kldsterlicher
Weise eingerichtete Frauenhäuser f&r echte Nonnenklöster ansehen zu wollen.
Wenn sie auch einem Nonnenkloster vollkommen analog eingerichtet waren und
sogar auch eine Äebtissin als Vorsteherin hatten, so äaderten sie dennoch
an ihrem Charakter nichts und blieben, was sie waren, nämlich öffentliche,
durch keinerlei Glausur beeinträchtigte Häuser, zu welcher Jeder männiglich Zu-
tritt hatte.
„On trouve, sagt Dulaure, que, d^s le commencement du douzi^me si&cle, Guülaume VIL,
duc d^Aquitaine et comte de Poitou, fit construire, dans la petite ville de Niort, un
bätiment semblable d, un monast^re, oü il recueillit toutes les prostitu^es. II vonlut en faire
une abbaje de femmes debauch^es, dit GuiÜaumey meine de Malmesbury. II y cr^a des
dignit^s d'abbesse, de prieure et autres, dont il gratifia les plus distingu^es dans leur com-
merce inf&me.*' (WileUmus,)
In gleicher Weise wurden danach einige andere Frauenhäuser eingerichtet
und ebenfalls Abteien genannt. Das Bordell von Toulouse wird sogar in einem
königlichen Decrete CarVs VI. als ^grant abbaye* bezeichnet.
In grellem Widerspruche zu den oben erwähnten XJnsittlichkeiten innerhalb
der Klöster steht die in manchen derselben durchgeführte furchtbare Strenge gegen
die unglücklichen Gottesjungfrauen, welche das Gelübde der Keuschheit gebrochen
hatten. Die schwersten Bussen, Fasten und Ruthenhiebe warteten ihrer, und in
manchen Fällen mussten sie ihr Vergehen mit dem Tode büssen, der dann ge-
wöhnlich dadurch herbeigeführt wurde, dass man sie bei lebendigem Leibe begrub
oder dass sie lebend eingemauert wurden.
Dass heute die Zeiten solcher Strafen, aber auch der sie hervorrufenden
Vergehen vorüber sind, das bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung. Weniger
bekannt dürfte es aber wohl sein, dass auch in China viele junge Mädchen
442. Die Amazonen im Alterihnm. 501
Nonnen werden, natürlich buddhistische, um einer von ihnen nicht gewünschten
Heirath zu entgehen.
Von den im nordlichsten Theile von Sikkim, an der Grenze Tibets,
wohnenden Butia (Bhotia) sagt Mantegaesa:
„Einige Weiber sind geschoren und sind Nonnen; aber bevor sie sich der Gottheit
geweiht haben, hatten sie das irdische Leben gewöhnlich bis zam Uebermaasse genossen.''
Delafosse berichtet, dass auch in Dahome eine Art von Nonnen existire:
„II existe en ce pays nne institution assez cnriense, qni est ceUe des couvents et des
confröries de femmes föticheoses, dans le genre de ceaz que Ton rencontre au Dahom6.
Les initi^es obtiennent des parents, par la crainte qu'elles inspirent, qa*ils leur confient leurs
petites filles; elles les enferment toutes jeanes dans ces convents, apr^ leur avoir fait subir
une Sorte d'op6ration destinee & saavegarder leur virginit^ et qui consiste, Texcision des
nymphes ayant 6te pratiqu^e & les ramener en ayant et ä les souder ensemble, de fa^on k
ne laisser libre qu'un orifice tr^ ötroit. II leur est d^fendu d'avoir ancun rapport avec les
hommes^ mais il faut croire qu*il en est qui passe outre et qui rompent, en d^truisant la
soudure, la ceinture artificielle de chastet^, qu'on leur avait impos^e, car il se trouve qu'elles
ont des enfants. Si Tenfant est un g^ar90n, les matrones du couvent le tuent impitoyablement;
si c'est une fille, on T^l^ye avec soin et on Tinitie aux myst^res de la confr^rie. Ces
f^ticheuses se posent aux jambes une espäce de caut^re qui produit un Elephantiasis artificielle,
toujours suppurant. Les gens qui ont besoin d*un talisman infaiUible doivent avaler un peu
de la sanie secr^t^e par cette plaie."
442. Die Amazonen Im Alterthum.
In einem Kapitel, das von solchen Frauenzimmern handelt, welche fem und
abgesondert von der Gemeinschaft der Männer ihr Leben führen, können die
Amazonen nicht übergangen werden. Dass man darunter ursprünglich eine
Völkerschaft von Mädchen verstanden hat, welche kein männliches Wesen unter
sich duldeten, die Jagd und den Krieg als ihre Lieblingsbeschäftigung betrieben
und schon in dem kindlichen Alter der einen Brust, oder, wie Diodorus Sictdus
berichtet, sogar aller beider Brüste beraubt wurden, damit sie ihre Arme desto
freier und kräftiger bewegen könnten, das darf wohl als hinreichend bekannt
vorausgesetzt werden.
Die Sage von den Amazonen ist eine uralte. Schon in der Ilias lässt
Homer den alten Priamus der Hdena erzählen, dass er als junger Mann
mit seinen Truppen nach Phrygien gezogen war, dem Otreus und Mygdon
zu Hülfe:
„Denn ich ward als Bundesgenoss mit ihnen gerechnet,
Jenes Tags, da die Hord* amazonisoher M&nninnen einbrach.*'
Hier spricht Homer von ihnen als von einer ganz bekannten Völkerschaft,
von der es nicht nothwendiff ist, nähere Erläuterungen zu geben. Auch Herodot
berichtet über dieses räthsemafte Weibervolk. lieber die ursprüngliche Heimath
der Amazonen sagt er aber ebenso wenig etwas wie Homer. Wir müssen sie
uns wohl zweifellos nicht allzu weit entfernt von den Phrygiern und Hellenen
wohnhaft denken, da wir erfahren, dass sie mit diesen Nationen *in Kriege ver-
wickelt waren. Herodot beginnt seinen Bericht folgendermaassen:
,Als die Hellenen mit den Amazonen k&mpften, da erzählt man, die Hellenen
hätten in der Schlacht am Thermodon den Sieg gewonnen und w&ren dann auf drei Fahr-
zeugen mit allen den Amazonen, derer sie lebend habhaft werden konnten, davon geschifft."
Der Thermodon liegt in Gappadocien, und die Wohnsitze der Amazonen
können also nicht sehr weit entfernt von ihm gelegen haben.
«Von diesen Grenzgebieten zweier Welttheile aus, sagt Stricker^ machten sie Ausfälle
nach Asien und Europa, Feldzllge gegen die Phrygier bei ihrem Einfallein Eleinasien
(Ilias ni. 189, VI. 186. Strabo XII), wo sie von Bellerophon besiegt wurden; gegen die
Griechen vor Troja (Aeneis I. 490. Justin II. 4), bekannt durch den Namen Penthesilea;
502 LXXI. Das geschlechtsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeit.
nach Attika, nicht weniger bekannt durch die Namen Herakles und Theseus; an die Donau,
ein im Vergleich zu den vorigen, mit so erlauchten Namen der Sage in Verbindung ge-
brachten und vielfach dichterisch ausgeschmückten Zügen wenig bekannter, etwa in's sechste
Jahrhundert v. Chr. zu setzender Heereszug {Philostrat, Heroic. XX, Pauaanias in. 19) ; endlich
zu Alexander des Grossen Zeit, sehr bekannt aus den Erzählungen des Justinus, Ctirtius und
Diodorus Siculus. Ausser diesen erwähnten fünf Hauptzügen kommt der Name der Amazonen
selbst noch in den Kriegen des Mithridates mit den Römern vor, wo ihre Erinnerung wahr-
scheinlich nur durch griechische Legenden geweckt wurde."
Herodot erzählt nun im weiteren Verlaufe seines Berichtes nur noch von
diesen gefangenen Amazonen. Sie tödten ihre Sieger, verstehen aber nicht,
die Schiffe zu lenken, und werden endlich nach dem zum Lande der freien
Skythen gehörigen Ereranoi am Mao tischen See verschlagen. Hier be-
mächtigen sie sich einer Heerde Ton Pferden und plündern das Skythenland.
„Die Skythen aber konnten die Sache nicht begreifen; denn sie kannten weder die
Sprache, nOch die Tracht, noch das Volk, sondern waren verwundert, von wo sie her-
gekommen wären; sie glaubten nämlich, es wären Männer desselben Alters und Hessen sich
mit ihnen in einen Kampf ein, erst als sie aus diesem Kampfe die Gefallenen in ihre Gewalt
bekamen, erkannten sie, dass es Weiber waren. Sie sandten nun eine ungefähr den Ama-
zonen gleiche Anzahl ihrer jungen Leute aus, weil sie wünschten, Kinder von den Amazonen
zu bekommen.*'
Diese suchten den Amazonen immer möglichst nahe zu lagern, griffen sie
aber nicht an und lebten wie jene von der Jagd und vom Raube.
„Es machten aber die Amazonen um die Mittagszeit es also: sie zerstreuten sich von
einander, zu Eins oder auch Zwei, und entfernten sich von einander, um ihre Nothdurfb
zu verrichten. Wie dies die Skythen bemerkten, machten sie es auch so, und Mancher kam
auf diese Weise einer von den Amazonen, welche allein war, nahe, die Amazone stiess ihn
auch nicht von sich, sondern Hess sich den Umgang mit ihm gefallen; sprechen konnten sie
zwar nicht, denn sie verstanden einander nicht, aber sie bedeutete ihn mit der Hand, den
anderen Tag an dieselbe Stelle zu kommen und einen Anderen mitzubringen, wobei sie ihm
zu verstehen gab, dass es zwei sein sollten, indem sie selbst auch noch eine andere Amazone
mitbringen werde. Als der Jüngling zurückgekommen war, erzählte er es den üebrigen.
Am folgenden Tage aber kam er selbst an die Stelle und brachte einen Anderen mit; er fand
auch dort die Amazone mit der Anderen auf ihn wartend. Wie dies die übrigen Jünglinge
erfuhren, so machten sie gleichfalls die übrigen Amazonen kirre."
Sie vereinigten nun die beiden Lager und jeder nahm seine Amazone zum
Weibe. Den Vorschlag der Männer, ihnen in deren Heimath zu folgen, wiesen
sie aber zurück, da sie der ganz verschiedenen Sitten wegen sich mit den Weibern
in der Heimath der Männer doch nicht Tertragen könnten. Sie schlugen da-
her den Männern vor, dass sie ihr Vermögen holen und mit ihnen auswandern
sollten.
.Auch dazu liessen die Jünglinge sich bereden. Sie setzten nun über den Tanais und
nahmen nun ihren Weg nach Sonnenaufgang drei Tagereisen weg vom Tanais und drei
Tagereisen von dem Mäotischen See nach Norden zu. Und als sie in die Gegend ge-
kommen waren, in welcher sie angesiedelt waren, in welcher sie jetzt angesiedelt sind, nahmen
sie daselbst ihre Wohnsitze. Und daher haben die Weiber der Sauromaten noch ihre alte
Lebensweise: sie gehen auf die Jagd zu Pferde zugleich mit den Männern und ohne die
Männer; sie ziehen auch in den Krieg und tragen dieselbe Kleidung wie die Männer. Hin-
sichtlich der Ehen ist bei ihnen Folgendes bestimmt: Keine Jungfrau geht eine Ehe ein,
bevor sie einen Feind erlegt hat; so sterben auch Manche von ihnen im Alter, ehe sie zu
einer Ehe kommen, weil sie das Gesetz nicht erfüllen konnten.''
Wir sehen, dass Herodot hier nur von einem versprengten Zweige der Ama-
zonen spricht, welche, abgesehen von ihrer Neigung zu Jagd und Krieg, ihrem
eigentlichen Amazonenleben untreu werden und mit den ledigen Jünglingen der
Sauromaten in eine regelrechte und dauernde Ehe getreten sind. Ueber ihre
Kinder und deren Erziehung erfahren wir nichts.
Strabo verlegt die Sitze der Amazonen an den Fuss des Kaukasus
und sagt:
442. Die Amazonen im Altertbum, 503
, Allen wird in der Jagend die rechte Brost abgebrannt, damit sie sich des Armes zn
jedem Gebraacbe, besonders zum Schleadem, bedienen können. Sie haben auch Pfeile^ Streitaxt
und Schild. Aus ThierfeUen machen sie Kopfbedeckungen, Kleidung und Gürtel. In den
Frühlingsmonaten kommen sie mit den Garg arenern zusammen, von welchen sie nur durch
ein Gebirge getrennt sind, „der Nachkommenschaft wegen". Die Knaben schicken sie den
Vätern zu, die Mädchen behalten und erziehen sie/
Trotz dieser nicht geringen Zahl von Berichten über die Amazonen tauchen
doch bereits im Alterthum einzelne Stimmen auf, welche in ihre Existenz erheb-
lichen Zweifel setzten, unter diesen Zweiflern steht Strabo obenan:
, Allenfalls lasse man sich in der als Wahrheit überlieferten Geschichte eine kleine
Beimischung wunderbarer Elemente als Würze gefallen, aber in den immerfort wieder-
holten und für wahre Geschichten ausgegebenen Erzählungen yon den Amazonenkriegen
handele es sich ausschliesslich um wunderbare, aller Glaubwürdigkeit entbehrende Dinge.
Denn wer soll wohl glauben, dass einst ganze Heere, Gemeinwesen, ja ganze Völker nur aus
Weibern ohne Männer bestanden haben und nicht nur für sich bestanden, sondern sogar
Kriegszüge bis in ferne Länder, ja bis nach Attika unternommen haben sollten! Das hörte
sich gerade so an, als seien damals die Männer Weiber, die Weiber aber Männer ge-
wesen. Und doch bezeichne man alle Tage berühmte und blühende Städte, wie Ephesus,
Smyrna, Cymae, Mjrina, Faphos und andere geradezu als Gründungen und Kolonien
der Amazonen.* (Sterne,)
Noch weiter in seinen Zweifeln ging Pälaephatus:
„Von den Amazonen heisst es, sie seien keine Weiber, sondern barbarische Männer
gewesen, die, weil sie nach Art der trakischen Weiber eine bis auf die Füsse herabhängende
Tunica tragen, das Haar mit einer Binde zusammenhielten und den Bart schoren, vom Feinde
zum Schimpf Weiber genannt wurden.*
Jedenfalls ist das Andenken an die Amazonen sehr lange Zeit am Kaukasus
haften geblieben, denn wir lesen bei Guyon:
«Als ich mich in denen Gegenden des Gebirges Caucasus aufhielt, schreibt P. Archangelus
Lambertif lief eine schriftliche Nachricht bei dem Dadian, Fürsten Yon Mingrelien, ein,
dass aus diesem Gebirge Völker, welche sich in drei Haufen yertheilet, gekommen wären,
dass der stärkste Moskau ange^iffen, und die beiden anderen sich in das Land derer andern
Völker des Gaucasus, derer Suanen undCaratcholi ge werfen hätten, dass selbige zurück-
geschlagen worden, und dass man unter denen Todten viele Weibspersonen gefunden habe.
Man brachte sogar dem Dadian die Waffen dieser Amazonen, welche ungemein schön anzu-
sehen, und mit einer weiblichen Artigkeit ausgezieret waren. Es waren dieses Helme, Kürasse,
und Armschienen von Harnischen, welche aus yielen kleinen, über einander gelegten Eisen-
blechen bestanden. Die an dem Kürasse und denen Armschienen bedeckten sich, so wie unsere
Federn an denen Blättern, und gaben also denen Bewegungen des Körpers ganz leicht nach.
An dem Kürass war eine Art von Waffenrock bevestigt, welcher ihnen bis auf die Mitte des
Beines herabgieng, und aus einem wollenen Zeuge, so mit unserer Scharsche eine Aehnlichkeit
hatte, jedoch von einer dermassen hochrothen Farbe war, dass man es für den schönsten
Scharlach gehalten hätte, verfertigt gewesen. Ihre Halbstiefeln waren mit kleinen messingemen
Flitterlein oder Plättgen besetzt, welche von ihnen durchbohrt und mit starken, feinen und
auf eine besonders künstliche Art gedreheten Schnüren von Ziegenhaar, zusammen geheftet
waren. Ihre Pfeile waren vier Spannen lang, über und über vergoldet und am Ende unge-
mein fein verstählt Sie gingen nicht ganz spitzig zu, sondern waren, an dem Ende drey,
oder vier Linien breit, wie die Schneide an einem Meissel. Diese Amazonen sind zum öftem
in Kriegen mit denen Galmückischen Tartaren verwickelt. Der Fürst 2>a<2ian versprach
denen Suanen und Caratcholi, die stärkste Belohnungen, wenn sie ihm Eine von diesen
Weibspersonen, wofern ihnen etwa dergleichen in die Hände gefallen wären, lebendig hatte
liefern können/
Auch Chardin wurde im Königreich Cacheti
«bey dem Fürsten eine grosse Frauen-Klejdung von einem dicken woUenen Zeuge ge-
zeigt, und von ganz besonderer Gestalt, deren sich eine AmazOlie, welche bei Cacheti in
den letzten Kriegen um das Leben gekommen war, bedient haben soll."
Bei den oben erwähnten skeptischen Urtheilen sind gewisse Gräberfunde,
welche vor einigen Jahren im Gebiete des Kaukasus gemacht wurden, von einem
ganz hervorragenden Interesse. Bei seinen Ausgrabungen im Terek-Gebiete
504 LXXI. Das geschlechtsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeit.
fand Bayern in Nea-Dschuta in einem auf dem Hofe eines Chewsuren be-
findlichen G(rabe »eine Frauenleiche mit Frauenschmuck und Pfeilspitzen, einem
Schleuderstein aus Schiefer, sowie einem Messer von Eisen''. Sp&ter forderte
er in dem nicht weit hiervon entfernten, von den Russen irrthQmlicher Weise
Kasbek genannten Aul Stepan-Zminda «den Schatz von Stepan Zminda'
zu Tage.
«Alles, was ich hier gesammelt, stammt von Weibern, namentlich von Kriegerinnen,
obgleich von wirklichen Waffen in diesem Bassin (dem Hauptfandorte) selbst nichts oder nur
Sparen gefunden worden. Die eisernen Lanzenspitzen lagen zertrümmert 5 — 6' vom Rande
des Bassins and nur 3 — 4' unter der Oberfläche, gehören daher schon einer ganz neuen Zeit
an. Aber auch abgesehen von den Waffen weisen alle übrigen Gegenst&nde auf ein kriege-
risches Volk hin; die Schmucksachen der Frauen aber verrathen die Amazone, deren Reit-
peitsche mit einem Stiele versehen war, der sehr gut als Waffe verwendet werden konnte.
Die zollbreiten, äusserlich convexen dicken Bronzeringe, wie ähnliche heute noch von den
Chewsuren getragen werden, wurden als Waffen gebraucht, daher nenne ich sie Streitringe,
von denen ich schon viele Formen meinem Museum einverleibt habe. Pferdegebisse, Reit-
zeugverzierungen, Schabrackenreste weisen sicherlich auf ein Reitervolk hin, und dass diese
Reitpferde mit zahlreichen Glocken, auch an der Schabracke, behängt waren, f&hrt darauf,
dass dies Schmuck von Frauen-Reitpferden war. Männer hätten damit sicher nicht ihre
Pferde beladen. Ich könnte keinen einzigen Gegenstand nennen, der einem Manne zuge-
schrieben werden könnte.*
Ich kann es mir hier nicht versagen, auch noch die folgende Angabe Bayerns
wiederzugeben:
«Ein noch berühmterer Tempel ist jener des heiligen Oargar, wie die Grnsiner (nicht
Ossetten, wie gewöhnlich angegeben wird) von Gergeti erzählen. Dieser Tempel steht
auf der Spitze des Berges, welcher das Dorf Gergeti, gegenüber Stepan-Zminda, dominirt
und zum Ostfusse des Kasbek gehört. Von diesem Heiligen erhielt der Aul den Namen
Gergeti; der richtige Name aber war sicher Gar gar, wie ihn auch Strabo schreibt, der die
Amazonen von Mermodas (der Euma) zu den Gargaren ern wallfahren lässt. Später
wurde hier ein christliches Männerkloster gegründet, und dessen Mönche, welche die alten
heidnischen, frauenlosen Gar garener Strc^'s ersetzten, wurden Gar garen er genannt. Heute
leben in Gergeti nur verheirathete Grusiner; die Wallfahrten bestehen aber bis heute, und
man kann behaupten, mit allen heidnischen Orgien, von denen ich selbst Augenzeuge war,
nicht allein in Stepan-Zminda und Gergeti, sondern auch an anderen Orten im südöst-
lichen Kaukasus, im Gebiete der Pschawen. Wer dieser heilige Gar gar ist, weiss ich
nicht. Nach Strabo wären es nur die Kabardiner Amazonen gewesen, welche ihre Wall-
fahrten zu den Gargarenern machten. Dieses würden die Funde im Schatze von Stepan-
Zminda bestätigen."
Herodot fährt übrigens an, dass die Amazonen von den Skythen Oiarpata
d. h. Männermörder genannt werden.
Carus Sterne erbhckte in allen diesen Erzählungen von den Amazonen des
Alterthmns die Schilderungen von Gynakokratien, wie wir sie auch heute noch
bei einzelnen Nationen antreffen. Sie waren, wie er annimmt, stets mit dem Gultus
der Mondgöttin oder der Erdmutter verbunden, und der Kampf gegen die Ama-
zonen ist der Wettstreit zwischen dieser Gottheit und dem Sonnengotte:
^Herakles, Theseus, Fersew, AckiUes, Jason, Siegfried u. s. w. sind keine Menschen,
sondern Sonnengottheiten, die sich in den Heldenliedern späterer Zeiten zu Heroen ver-
menschlichten, und ebenso sind Semiramis, Medea^ Dido u. s. w. keine wirklichen Königinnen
und Prinzessinnen, sondern Vermenschlichungfen der bald siegenden, bald unterliegenden Erd-
mütter resp. Mondgöttinnen. Semiramis trägt deutlich die Züge der assyrischen Erd-
mutter, Medea ist Hekate, Dido Astarte, Penthesilea Artemis, die Amazonen selbst sind
nichts Anderes, als Völker, die das Vaterrecht noch nicht anerkannt hatten. Im Allgemeinen
erkennt die Sage an, dass die Amazonenfrauen sehr bald die Vorzüge des hyperboräischen Systems
schätzen lernten; darum hilft Medea dem Jason, Ariadne dem Theseus den Erddrachen zu
überwinden, und die Mondfrauen vermählen sich den Sonnensöhnen.*
Inwieweit diese Annahme das richtige trifft, lasse ich dahingestellt. Ich
vermag aber eine Angabe von Sayce nicht mit Stillschweigen zu übergehen:
443. Die Amazonen im Mittelalter. 505
, Die oberste Göttin (der Hetiter) von Earschemiscb war die babylonische J^tar
oder Aschtoreth; ihre DarsteUung, die man auf den altbabyloniscben Cylindem findet,
ward Yon den Hetitern nach der westlichen Küste Kleinasiens gebracht und kam Yon
dort über das äg&ische Meer nach Griechenland. Selbst die Amazonen der griechi-
schen Mythologie sind thatsächlich nichts Anderes, als die Priesterinnen der hetitischen
Gottheit, der zu Ehren sie die Waffen tragen. Die den Griechen zufolge von den Ama-
zonen gegpründeten St&dte waren alle hetitischen Ursprunges.*'
Ausser diesen asiatischen Amazonen kannte das Alterthum aber auch noch
afrikanische. Diodarus von Sicilien schildert sie nach Dionysius:
„In den westlichen Theilen Libyens, an der Grenze der Welt, soU ein Volk gelebt
haben, das von Frauen regiert wurde; diese führten auch Krieg, verpflichteten sich auf eine
bestimmte Zeit des Kriegsdienstes und hatten ebenso lange der M&nner sich zu enthalten.
Wenn die Jahre ihres Dienstes vorbei sind, so vereinigen sie sich mit Männern, lun ihr Ge-
schlecht fortzupflanzen. Die öffentlichen Aemter imd die Verwaltung des AUgemeinen be-
halten sie jedoch ganz für sich. Die Männer leben dort, wie bei uns die Frauen, ein häus-
liches Leben, gehorchend den Aufträgen ihrer Grattinnen; an Krieg, Regierung und anderen
Staatsgeschäften haben sie jedoch keinen Antheil, wodurch sie gegen ihre Frauen übermüthig
werden könnten. Gleich nach der Geburt werden die Kinder den Männern übergeben und
diese ernähren sie mit Milch und anderen gekochten Speisen nach Maassgabe des Alters der
Kinder. Wird aber ein Mädchen geboren, so werden ihm die Brüste abgebrannt, damit sie
zur Zeit der Reife sich nicht erheben, denn man hielt es für kein geringes Hinderniss bei der
Führung der Waffen, wenn die Brüste über den Leib hervorragten; wegen dieses Mangels
werden sie auch von den Griechen Amazonen (Brustlose) genannt."
443. Die Amazonen im Mittelalter.
Die Sage Ton einem Lande der Amazonen hat sich auch im Mittelalter
erhalten. Jacob hat darüber interessante Angaben bei den alten arabischen
Schriftstellern entdeckt. Die eine findet sich bei Qaemnty wo es heisst:
«Die Stadt der Frauen, eine grosse Stadt mit weitem Territorium auf einer Lisel
im westlichen Meer. Tartuschü sagt: Ihre Bewohner sind Frauen, über welche die Männer
keine Macht haben. Sie betreiben die Reitkunst und nehmen den Krieg selbst in die Hand.
Sie besitzen grosse Tapferkeit beim Zusammenstoss* Auch haben sie Sclaven. Jeder Sdave
begiebt sich in der Nacht zu seiner Herrin, bleibt bei ihr die Nacht hindurch, erhebt sich mit
dem Morgengrauen und geht heimlich bei Tagesanbruch hinaus. Wenn eine von ihnen dann
einen Knaben gebiert, tOdtet sie ihn auf der Stelle, wenn sie aber ein Mädchen gebiert, lässt
sie es leben. Tartuwiht sagt: Die Stadt der Frauen ist eine Thatsache, an der man nicht
zweifeln darf.*
Eine zweite Nachricht hat Jacob aufgefunden in dem berühmten Reisebe-
richte des Ibrahim ibn Jäcüb. Derselbe scbreibt:
.Im Westen von den Rüs liegt die Stadt der Frauen. Sie besitzen Aecker und
Sclaven imd werden von ihren Dienern schwanger, und wenn das Weib einen Knaben gebiert,
tOdtet sie um. Sie betreiben die Reitkunst und nehmen den Krieg selbst in die Hand. Sie
besitzen Muth und Tapferkeit. Der Jude Ibrahim ibn Jäcub sagt: Der Bericht von dieser
Stadt ist wahr; Otto, der römische KOnig, hat mir davon erzählt.*
An der Gh-enze des Mittelalters tauchte ein neuer Bericht über Amazonen
auf, aber aus einer ganz anderen Gegend. Es war Aeneas Sylvius Piccolomini
von Siena, der spätere Papst Pius IL (1404—1464), welcher das Weiberreich der
Libussa und VaUsca in Böhmen schilderte. Die Manner wurden unterworfen,
und den später geborenen Knaben wurde der rechte Daumen abgeschnitten und
das rechte Auge ausgebrannt, um sie wehrlos zu machen. Die Weiber verstüm-
melten sich aber nicht.
Auch KrüniU, der üebersetzer der Abhandlung von Quyon^ macht auf ein
mittelalterliches Amazonen volk in Europa aufmerksam:
«Zur Ergänzung der Geschichte derer Amazonen ist noch zu bemerken, dass Ädomus
BremensiSy der gegen das 1070. Jahr gelebet und eine Kirchengeschichte hinterlassen hat, in
506 LXXI. Das geschlechtsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeit.
dem zu Ende derselben angehängten kleinen Traktat von der Lage Dänemarks und anderer
Mittemächtigen Länder, im 228. Kap. eines Volkes gedenke, so aus lauter Weibern bestanden,
und an denen Ufern des Balthischen Meeres gewohnet. Er sagt beynahe von ihnen eben
das, was man bisher von denen andern gesaget hat. Aber, er macht die Dinge zu gross,
und aus allem mehr, als lauter Wunder. Denn, er spricht, dass sie, wie einige vorgäben,
schwanger würden, dafem sie gewisse Wasser kosteten; dass sie nach dem Vorgeben anderer,
mit den fremden Kauf leuten, oder mit denen Gefangenen, die ihnen in die Hände fielen, oder
auch mit Missgeburten, so bey ihnen nicht selten wären, sich fleischlich vermischten. Wenn
sie darnieder kämen, so brächten sie entweder ein schönes Mädchen oder einen Cjnocephalum
zur Welt, so nennet er die Leute, die den Kopf, wo andere die Brust haben."
Mit ihren mittelalterlichen Berichten über das Land der Amazonen stehen
die westlichen Völker nicht allein. Auch das grosse Culturvolk des Ostens, die
Chinesen, haben frühe Nachrichten über das Land der Frauen. Ein Dr. H.
gab darüber im Globus nach einem Aufsatze ScMegeVs folgende Auskunft. Die
alten Chinesen kannten drei Länder der Frauen, eins im Westen, eins im Süden
und eins im Osten von China. Das Letztere heisst Niu-Kuo. Der buddhis-
tische Schamane Hoei-tschin erzählte, t
„dass sich 1000 Li Östlich von Fu- sang das Land der Frauen befinde. Diese Frauen
seien von sehr einnehmendem Aeussem und weisser Hautfarbe, wenngleich ihr Körper behaart
und die Haare so lang seien, dass sie auf der Erde nachschleppten. Im zweiten oder dritten
Monate des Jahres stürzen sie sich ins Wasser und werden auf diese Weise schwanger; sie
gebären dann im sechsten oder siebenten Monat. Diese Frauen haben keine Brüste. Wenn
sie einen Mann sehen, laufen sie erschreckt davon; denn sie haben Angst vor ihren Gatten.
Sie nähren sich von Salzpflanzen wie die wilden Thiere. Die Blätter dieser Salzpflanzen haben
Aehnlichkeit mit denen der wohlriechenden Hao (Artemisia japonica).*
,Im Nan-tschi heisst es: im Jahre 507 n. Chr. sei ein Mann aus der Provinz Fu-kien
an eine Insel verschlagen. Er habe dort Eingeborene angetroffen, deren Sprache er nicht
verstanden habe. Die Männer hätten menschliche Leiber, aber Hundsköpfe gehabt, und ihre
Stimme habe wie Hundegebell geklungen.'
Nach H.'s Meinung ist dieses fabelhafte Land auf den südlichen Kurilen
zu suchen. In den Amazonen erblickt er aber Robben und zwar Ohrenrobben
(Otariae), welche sich dort in grosser Menge finden und von dem daselbst häufigen
Fucus esculentus, dem Meeresband oder hai-ta'i der Chinesen leben, dem
essbaren Meertang, der auch den Ainos, den Japanern mid den Chinesen als
Nahrung dient. Schlegel glaubt, dass UoH-tschin diesen Tang gemeint habe, als
er von der dem Hao ähnlichen Salzpflanze sprach. Es heisst dann weiter:
„Alle die oben, aufgezählten Merkmale: die helle Hautfarbe, die langen Haare, das
Leben im Wasser, die Ernährung mittelst Seetang, das Fehlen der Brüste, die Eifersucht der
Männer und die Furchtsamkeit der Frauen; alles findet sich hier wieder und erklärt sich nun
auf höchst einfache Weise. Und auch die Angabe des Nantscbi von dem Hundegebelle der
Männer erscheint jetzt in dem rechten Lichte; denn die Robben bellen bekanntlich genau so
wie Hunde."
444. Die Amazonen der Neuzeit.
Einen erneuten Aufschwung nahmen die Amazonensagen in dem 16. Jahr-
hundert zu der Zeit der grossen Entdeckung im südlichen Amerika. Der grosse
Strom, welchen 1539 Francesco d'Ordlano entdeckte, erhielt yon den Berichten
über seine kriegerischen Anwohnerinnen sehr bald den Namen Amazonenstrom,
welchen er ja noch heute fuhrt. Ich gebe die hierauf bezüglichen Berichte nach
StricJcer und Fischer wieder. OreUano hatte von einem Kaziken die Auskunft
erhalten, dass an den ufern dieses Flusses eine Horde kriegerischer Weiber wohne,
welche Bogen und Pfeile führten, ihre Felder selbst bestellten und abgesondert
von dem männlichen Qeschlechte ihr Dasein fllhrten. Zu einer gewissen Zeit im
Jahre würden sie von den Männern eines Nachbarstammes besucht. Die hiemach
geborenen Mädchen würden von den Müttern erzogen, die Knaben dagegen über-
gäben sie den Vätern.
444. Die Amazonen der Neuzeit. 507
Nachdem er eine beträchtliche Strecke gereist war, wurde ihm Aehnliches
berichtet. Hier nannte man diese Amazonen Gonia-pu-yara, was grosse Weiber
bedeutet. In der That wurden die Spanier, als sie mehrere hundert Meilen
weiter gefahren waren, an der Landung durch Indianer mit einem Pfeilhagel
verhindert, und sie bemerkten unter ihren Feinden 10 — 12 Frauen, die sich nicht
allein* mit der grossten Wuth vertheidigten, sondern auch die Indianer auf alle
Weise zu tapferer Gegenwehr anfeuerten und diejenigen, welche sich muthlos
zeigten und zu fliehen versuchten, mit grossen Keulen niederschlagen. Diese
Weiber waren gross und von starkem Gliederbau, dabei aber von schöner Ge-
sichtsbildung. Sie trugen ihre langen Haarflechten um den Kopf gewunden,
waren unbekleidet und fährten ausser jenen Keulen noch Bogen und Pfeile.
Sieben dieser Weiber wurden in dem Gefecht getödtet, worauf die Indianer die
Flucht ergriffen.
Auch eine Anzahl von späteren Reisenden hörte von den verschiedensten
Indianern des Amazonenstromgebietes die Erzählungen von den Amazonen
wiederholen. Ein Indianer vom Stamme der Tupinambas erzählte d'Äcugna^
dass er als Knabe seinen Vater auf einem solchen Besuche bei den Amazonen
begleitet habe und Zeuge gewesen sei, wie alle männlichen Kinder den Vätern
ausgeliefert wurden. Gondamine^ welcher im vorigen Jahrhundert ebenfalls auf
Leute stiess, die mit den Amazonen in persönliche Beziehung gekommen sein
wollten, fand bei den Topayos die merkwürdigen Amulete aus Nephrit, welche
unter dem Namen der Amazonensteine (Muiräkitans) bekannt sind. Sie wollten
diese Steine von ihren Vätern geerbt haben, die sie von den Gongnon-tainse-cuma,
d. h. den Weibern ohne Männer, erhalten hätten, unter denen man sie in
Menge fände.
Bodriguez hörte: An der Quelle Yamundä liegt ein schöner See, genannt
Yacyuaruä, der durch die Amazonen dem Monde geweiht war. (Wir finden
also auch hier wieder die Amazonen mit der Mondgottheit in Verbindung.) Zu
einer gewissen Jahreszeit und einer gewissen Mondphase versammelten sich die
Amazonen an dem Ufer dieses Sees, um dem Monde und der Mutter der Muirä-
kitans zu Ehren ein Fest zu feiern. Nachdem dieses Fest der Sühne einige Tage
angedauert hatte, warfen sich die Amazonen, wenn der See sich glatt und wellen-
los zeigte, und der Mond sich in ihm spiegelte, in das Wasser und tauchten auf
den Grund, um aus der Hand der Mutter der Muiräkitans die Steine so gestaltet
zu empfangen, wie sie sie wünschten, zwar noch weich, aber bald erhärtend, wenn
sie aus dem Wasser kommen. Diese Steine wurden nachher von ihnen den
Männern geschenkt, mit welchen sie sich in Verkehr einliessen.
Es ist nun sehr interessant, dass Rodriguee an dem See Yacyuaruä bei
seinen Ausgrabungen ausser Topfscherben auch solche Steinfigürchen gefunden
hat, nebst kleinen Bruchstückchen dieser Steinart; ein sicherer Beweis, dass sie
hier gefertigt worden sind.
SchomburgJc hatte ebenfalls die Amazonen, von denen ihm Ausführliches
berichtet war, gesucht, aber nicht gefunden.
„Unsere HofTnangen," sagt er, .weitere und bestimmte Nachrichten über die £zistenz
dieser fabelhaften Mannfrauen einziehen zu können, sind leider nicht erfüllt worden, vielmehr
hat unsere Reise nach dem Corentyn sie jetzt auch aus diesem letzten Schlupfwinkel ver-
trieben. Der Grund zu dieser so weit verbreiteten Tradition liegt jedenfalls in dem kriege-
rischen Charakter der Frauen verschiedener Stämme der neuen Welt Schon Colunibus er-
wähnt in seiner zweiten Reise, dass er in Santa Croce ein Canoe getroffen, auf dem sich
mehrere Weiber ebenso hartnäckig wie die Männer gegen die Spanier vertheidigt, und in
Guadelupe wäre er sogar von bewaffneten Weibern am Landen verhindert worden/ lieber
die Bewohner dieser und anderer Inseln bemerkte Fetms Martyr: „Beide Geschlechter besitzen
grosse Stärke und führen den Bogen unter anderen Waffen meisterlich. Sind die Männer von
ihrer Heimath abwesend, so vertheidigen sich die Weiber bei Ueberf&llen eben so wacker,
wie ihre Männer, so dass sie fQr Amazonen gehalten werden."
508 LXXI. Das geschlechtsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeit.
An dem See Yacyuaruä sind die Amazonen nun heute nicht mehr za
finden. Die Tradition der Indianer lässt sie von hier yerschwinden, giebt aber
übereinstimmend an, dass es jetzt noch einen Stamm gäbe, welcher einzig und
allein die Muirakitans zu verfertigen vermöge; das seien die XJaupSs am Yamunda.
In der That sind die von diesen verfertigten Muirakitans mit den von Bodrigues
ausgegrabenen vollkommen übereinstimmend. Ausserdem ist es bemerkenswerth,
dass die XJaupes hübsche, fast weibische Gesichtszüge haben und dass auf allen
ihren Kriegszügen ihre Weiber sie begleiten, ihnen im Kampfe Hülfe leisten,
indem sie ihnen Pfeile herbeibringen, sich aber auch selber am Gefechte bethei-
ligen und den Männern auch bei dem Einsammeln der Beute an die Hand gehen.
Bemerkenswerth ist es auch, dass die üaup^s eine alte Tradition besitzen, nach
der sie einst ihre Wohnsitze an den Ufern eines verzauberten Sees gehabt hätten.
In diesem See hauste die Wassermutter, welche sie die Herstellung der Muirakitans
lehrte. Eines Tages habe sie aber die Form eines Thieres angenommen, sei an
den nächsten Bergen hinaufgestiegen, und dort ist sie dann von einem Manne
ihres Stammes getödtet worden. Hierdurch entstand ein Aufruhr in den Ge-
wässern des Flusses; eine üeberschwemmung war die Folge und so wurden sie
gezwungen, zu fliehen und eine Gegend aufeusuchen, wo sie vor der Wiederkehr
eines solchen Ereignisses gesichert wären. So zweifelt Bodrigues nicht, in den
Weibern dieser üaupös die südamerikanischen Amazonen der alten Ueber-
lieferungen gefunden zu haben.
Auch Crevaux glaubt die Amazonen getroffen zu haben; er fand aber eine
andere Deutung. Es heisst in seinem Reiseberichte:
,Nous rencontroDS rembouchure de la crique Coacitenn^ que noas avons traven^e
en allant du Tary & Parou. Nous arrivons au d6grad quelques xninutes avant le coucher
du soleil et il faut encore faire deuz kilom^tres & pied pour atteindre le Yillage qui est au
milieu de la for6t. Je suis ötonn^ de ne pas voir un seul homme pour nous recevoir. Nous
Yisitons deuz, trois habitations, et nous n'y rencontrons que des femmes. Je demande ä la
plus vieiUe, c'est-ä-dire & la moindre farouche: Oü sont Vos hommes? Hommes pas, r^pond-
elle dans son langage laconique. Je suis fort intriguö. Ai-jo donc eufin trouvö ces fameuses
Amazones sur lesquelles nos savants, de la Condamine en töte, ont discnt^ pendant des
si^cles? Oui, ce sont des femmes qja'Orellano a trouv^ pr^ du Trombette et sur les-
quelles un conqu^rant espagnol a brod^ une histoire romanesque qui a fait qualifier le grand
fleuye de rio las Amazonas. Je ne doute pas qxi'OreUano n'ait rencontr^ des tribus de
femmes, mais quelle imagination fantastique il a du deplojer pour les comparer auz guer-
riäres chevaleresques des temps hom^riques! Je constate d'abord que les Amazones du
Parou n'ont pas Tusage de se couper un sein pour se livrer sans inconT^nient ä Tezercice
de Tarc'
Wir müssen nun noch einmal nach Afrika zurückkehren, von dessen Ama-
zonenreiche im Westen des Gontinentes, wie gesagt, schon Diodorus Sictdus
berichtet hatte. Auch ein Bericht von Lotichius liegt vor, welcher lautet:
,In dem orientalischen Reiche Cousam bat der König zu Hütern keine M&nner,
sondern fünfhundert Weiber, die den Bogen führen, und sind nur solcher Wacht wegen um
Geld gedingt, wie Odardus Barbarossa anzeigt.*
In einer von Lodewyk in Leiden herausgegebenen Beisebeschreibnng des
Eduard Lopee nach dem Königreiche Gongo im Jahre 1578 berichtet der letztere
über das Reich von Monomotapa. In deutscher Uebersetzung lautet dieser
Bericht :
«Unter seinen Yomehmsten Vork&mpfem sind die Elite-Truppen der Weiber, welche
der Kaiser sehr werth hält und fär den Kern seiner Sireiter ansieht Diese Weiber brennen
ihre linke Brust ab, um im Schiessen gewandter zu werden; ihre Waffen sind Bogen und
Pfeile; sie sind behende, rasch, gewandt, tapfer und sichere Schützen, und yor allem sind sie
sehr standhaft und lassen sich nicht leicht in die Flucht schlagen. Im Kampfe gebrauchen
sie die List, dass sie sich stellen, als ob sie fliehen wollten, worauf sie sich dann schnell
wenden und ihrem Feinde grossen Schaden durch Schiessen zufügen. Wenn sie dann merken.
444. Die Amazonen der Neuzeit.
509
dass der Feind glaubt, sie Überwunden zu haben, und sich in seine Reihen vertheilt, dann
kehren sie unversehens um und fallen unerschrocken über den Feind her, schlagen und schiessen
alles nieder, was ihnen vorkommt, weshalb sie auch wegen ihrer Fertigkeit und Sicherheit
im Schiessen überall sehr gefürchtet sind. Sie bewohnen eine eigene, ihnen vom Kaiser über-
lassene Landschaft, und zu bestimmten Zeiten verfügen sie sich zu den Männern, von denen
jeder eine von ihnen auswählt, um Kinder zu erzeugen, damit ihr Geschlecht nicht aussterbe.
Wenn sie dann Knaben gebären, so senden sie dieselben zu den Männern nach deren Land;
wenn es aber Mädchen sind, so behalten sie diese bei sich und ziehen sie auf, damit sie,
wenn sie zu Jahren gekommen sind, mit ihnen in den Kampf ziehen."
Die beigegebene Abbildung (man vergleiche Fig. 384) stammt wahrscheinlich
aus dem 17. Jahrhundert; sie zeigt im Hintergrunde die Amazonen im Kampfe.
Im Vordergründe steht eine wohlgebaute junge Amazone, völlig nackt, mit wallen-
dem Haare ; in den Händen hält sie Bogen und Pfeil, der Köcher hängt an einem
Bande über ihrer rechten Schulter. Von der linken Brust fehlt jede Spur. Mehr
zur Seite sieht man ein hellloderndes Feuer, neben welchem ein nacktes Mädchen
Fig. 384. Amazonen von Monomotapa. (Nach Lopez,)
«itzt. Eine andere Nackte hält sie von hinten fest, und eine dritte, ebenfalls
nackt, ist soeben damit beschäftigt, der Sitzenden die linke Brust abzubrennen.
Man wird unschwer erkennen, dass diese Berichte wesentlich durch die Angaben
der antiken Schriftsteller beeinflusst worden sind, aber doch mag auch hier ein
Funken Wahrheit dahinter gesteckt haben. Denn bekanntlich hat in West-
Afrika wirklich ein Amazonenheer bis auf die allerjüngste Zeit bestanden.
Duncan fand bei dem Könige von Dahomeh ein Amazonenheer von zehn
Regimentern zu je 600 Köpfen. Es sind die über zwanzigjährigen ausgeschie*
denen Frauen seines Harems. Auch Burton hat diese merkwürdige Truppe kennen
gelernt :
„Die Akutu ist die Capitänin von des Königs Leibgarden. Diese Würdenträgerin hat
eine Art blauer Haube, wie ein französischer cordon bleu, mit nelkenfarbenem und weissem
Aufputz; auf der Spitze dieser Haube prangen zwei Krokodile von blauem Tuch und darüber
g^ebt es noch ein Paar silberner Homer. Der erste weibliche OfQcier unter dem Akutu ist
der Humbazi, dem ein silberner Hammer, den er vom an der Stirn trägt, fast das Aussehen
eines Einhorns giebt. Schlecht scheinen übrigens die Kriegerinnen nicht zu leben, denn Burton
510 LXXI. Das geschlechtsreife Weib im Zustande der Ehelosigkeit.
bemerkt, dass fast alle sehr fett werden, manche wahre ungeheuer von Fettleibigkeit. Jedem
Corps ist eine Musikbande beigegeben (eine afrikanische Cjmbel, zwei Tamtam, vier
Pauken). Das Galakleid ist decent und nicht unschön; ein schmales Band von blauer und
weisser Baumwolle bindet das Haar, und der Busen ist von einer ärmellosen Weste von ver-
schiedener Farbe umschlossen und mit einer Reihe von Knöpfen versehen. Das Oberkleid
von den Hüften an ist von blauem, rothem oder gelbem Stoff, reicht bis zu den Knöcheln
und ist um die Taille durch einen gewöhnlich weissen Gürtel mit langen Enden festgehalten.
Diese Toilette wird noch compacter durch einen äusseren Gürtel für die Patrontasche und
durch eine Kuppel von schwarzem Leder, die nach europäischer Form, aber in Dahomeh
gemacht und mit Muscheln geschmückt ist. Die Kugeltasche hängt an einem schmalen Streif
von der rechten Schulter herab an der linken Hüfte und wird da unter dem Gürtel festge-
halten. Alle tragen lange Messer. Ihre Gewehre sind mit langen Quasten und verschiedenem
anderen Putz geschmückt und theilweise zum Schutz gegen Nässe mit Affenhäuten überzogen.
Diejenigen, welche auch Bajonette haben, tragen eine blaue Tunica und einen weissen Lappen
auf ihrer Schulter, weisse Haarbänder und Gürtel mit dem Schwerte. Die nur mit Wüchsen
ausgerüsteten Weiber tragen rothe Wollenkappen. Alle diese Frauen gelten bloss für Weiber
des Königs; in Wahrheit leben sie im Cölibat." (v, Hellwald,)
Bei einer Besichtigung sang zuerst das ganze Regiment einen Lobgesang
auf den König; dann darf jede vor die Front treten und ihre Treue för den
König aussprechen. So dauert die Heerschau eines Regimentes oft drei Stunden.
Ihre ausschliessliche Beschäftigung ist ausser dem Tanze die Jagd und der Krieg,
sie sind also Amazonen im recht eigentlichen Sinne des Wortes.
Hartert berichtete kürzlich über einen Besuch bei dem Sultan tou Sokoto
im Haussa-Lande, dass der letztere an seinem Hofe eine grosse Schaar von
Sängerinnen unterhalte, welche ihn in bunten Gewändern zu Pferde auf allen
seinen Zügen begleiten. Es ist denselben verboten, legitime Ehen einzugehen.
Diese Weiber bilden somit also auch eine Art von Araazonencorps.
Auch in der Südsee soll es ein Land der Frauen geben; man hatte von
demselben dem Missionar Ckcdmers in Port Moresby auf Neu- Guinea erzählt.
Weiber allein sollten in dem betreflFenden Gebiete wohnen und das Land beherr-
schen, den Acker erfolgreich bebauen und sehr tüchtig auf dem Meere sein. Wenn
Männer den Versuch machten, in ihr Gebiet einzudringen, so sollten sie sich ihrer
energisch erwehren.
Einst hatte nun Chalmers die Gelegenheit, nach der bei Neu-Guinea lie-
genden Insel Mailinkolo (Toulon) zu reisen. An der Küste derselben fand er
einen einzelnen Mann, der sich erst seiner Landung widersetzte, doch nach Ueber-
reichung einiger Geschenke ihm den Zugang gestattete. Als er ans Land kam,
traf er auf eine Schaar von einigen Hundert in Grasröcke gekleideter Weiber,
die sich versteckt zu halten suchten und einen nervenerschüttemden Schrei aus-
stiessen, als er sich ihnen zu nähern suchte; sie Hessen sich trotz vieler Versuche
und Bemühungen, mit ihnen freundlich zu verkehren, erst nach langer Zeit durch
Geschenke bewegen, den Versteck zu verlassen, und auf einmal sah er sich von
der lärmendsten Gesellschaft umgeben, in der er sich je befunden hatte; er fühlte
sich glücklich, als er das Schiff wieder erreicht hatte, und landete nun an einer
anderen Stelle, an der Westseite der Insel.
Hier stellten sich sofort ganze Schaaren von Frauen, aber keine Männer ein.
Er theilte Perlen unter ihnen aus, aber bald erhob sich ein grosser Streit zwischen
den alten und jungen Frauen; die letzteren wurden weggeschickt und, da sie
sich weigerten, dem Gebote Folge zu leisten, musste Chalmers dafür büssen. Die
alten Frauen bestanden darauf, dass er den Strand verliesse; und da einige Männer,
die man vorher in einem Ganoe gesehen hatte, zurückgekommen waren, schien es
gerathen, diesem Andringen Folge zu leisten. Lange noch, nachdem er den Strand
verlassen hatte, hörte er die alten Frauen mit ihrer kreischenden Stimme gegen
die jungen fluchen und schelten. Wahrscheinlich war er der erste Weisse an
dieser geheiligten Küste. Aller Wahrscheinlichkeit nach war dies das berühmte
Amazonenland gewesen.
444. Die Amazonen der Neuzeit. 511
Die Sache klärte sich dann folgendermaassen anf und zeigte gleich, wie
leicht solche Legenden entstehen können. ChäLmers traf einige Männer und
Knaben an, welche im Begriffe standen, sich nach dem Festlande zu begeben.
Sie theilten ihm mit, dass hier ihre Pflanzungen lägen, und dass sie mit ihren
Knaben dorthin ruderten, um dieselben zu bebauen. Die Mehrzahl der männlichen
Bevölkenrng sei auf dem Festlande und unterdessen bleiben dann die Frauen und
Mädchen unter der Obhut einiger weniger Kri^er zurück. Die Männer stellen
sich von Zeit zu Zeit ein und bringen Nahrungsmittel mit. Während ihrer Ab-
wesenheit treiben die Frauen in ihren Canoe*s Handel und kommen sogar bis
Dedele in Cloudy Bay. Die Bemannung eines Ganoe, welches früher dahin
verschlagen worden war, hatten die Frauen freundlich aufgenommen, aber auf der
Bückkehr sind in Dedele diese Leute getödtet worden. Dieser umstand hat
natürlich dazu beigetragen, den bösen Ruf des Amazonenlandes zu erhöhen.
LXXII. Die Wittwe.
445. Die Wittwentraner.
Nun hast Du mir den ersten Schmerz gethan!
Der aber traf!
Du BchläfiBt, Du harter, unbarmherziger Mann
Den Todesschlaf.
Es blicket die Verlassene vor sich hin,
Die Welt ist leer.
Geliebet hab' ich und gelebt, ich bin
Nicht lebend mehr.
Ich zieh* mich in mein InnVes still zurCLck,
Der Schleier fällt,
Da hab ich Dich und mein vergangenes Glück,
Du meine Welt.
So lässt Adalbert v. Chamisso die Wittwe an dem Todtenbette des Gatten
klagen, and nicht knapper und schöner konnte er ein Bild von der idealen
Stellung entwerfen, welche heute die deutsche Ehefrau einnimmt. Auch aus
dem 16. Jahrhundert ist uns die bildliche Darstellung und die Klage einer deut-
schen Wittwe erhalten. Es ist ein Holzschnitt von Hans Burckmair (Fig. 385),
aus welchem wir die damalige Wittwentracht kennen lernen und gleichzeitig er-
sehen, dass die Leiche ohne Sarg, auf offener Bahre zur Kirche getragen wird,
wo dann wohl erst die Einsargung vorgenommen wurde. Johann von Sd^ioartzen-
herg hat dazu folgenden Vers geschrieben:
„Ich schrey vn klag gross whe vn not
Mein ehegesell der ist mir todt.
Nein 'bin ich anff dem jamertal,
Vnd in der arme witwe zal.
Manch tröstflng h&tt ich in der ehe,
Itz trag ich ach vnd aynig whe.
Den tod ich haymlich mer beklag,
Dann ich sünst jmandt offen mag."
Wie anders ist das noch bei vielen andern Völkern und wie anders war
es selbst in Deutschland zu den Zeiten der alten Germanen! Allerdings
sehen wir fast tiberall auf der Welt, dass die Wittwe Schmerz und Gram em-
pfindet bei dem Verluste ihres bisherigen Eheherm; und nicht selten wird diesem
Schmerz in sehr lauter und augenfälliger Weise Ausdruck gegeben. Es ist aber
sehr die Frage, ob diese so bemerkbaren Schmerzensäusserungen auch wirklich
dem Grade des empfundenen Schmerzes entsprechen und ob dieser Schmerz mehr
dem Verluste des Freundes und Beschützers und Begleiters fftr das Leben gilt, oder
445. Die Wittwentrauer.
513
mehr der AenderuDg, welche der Tod des Gatten in der ganzen Lebensstellung
des Weibes herrorruft, welches jetzt einer Reihe von Entbehrungen und Ent-
sagungen verfallt oder ein gewohntes Joch mit einem ungewohnten zu vertauschen
gezwungen wird.
Allerdings gehören Zustande, wie sie uns PoweU von Neu-Britannien
geschildert hat, doch jedenfalls nur zu den Ausnahmen. Ein Häuptling hatte
aus einem feindlichen Stamme ein Weib geraubt, um es zur Ehe zu nehmen,
und dabei war ihr bisheriger Gatte erschlagen worden. Bei dem Hochzeitsmahle
wurde der letztere verspeist, und seine Wittwe nahm ruhig an diesem schauer-
lichen Mahle Theil in der Voraussicht, dass sie vielleicht ihren jetzigen Ehemann,
wenn derselbe erschlagen wird, in Gemeinschaft mit dessen Mörder ebenfalls ge-
messen könne.
Sehen wir, dass hier eine Trauer vollständig fehlt oder wenigstens im Ent-
stehen sofort erstickt wird, so finden wir bei anderen Völkern den Gebrauch, dass
die Wittwen auf eine bestimmte Anzahl von Jahren hinaus, oder selbst für ihr
ganzes ferneres Leben den verlorenen Gatten zu betrauern verpflichtet sind. Diese
Trauer besteht, abgesehen von den lauten Klagen, zumeist darin, dass der gewohnte
Fig. 385. Deutsche Wittwe aus dem 16. Jahrhundert. (Von //oh* Burckmair.)
(Nach Hirth.)
Schmuck und die schönen Kleider abgelegt und durch schlechte und grobe, schmuck-
lose Kleidung ersetzt, die Sauberkeit und Pflege des Körpers und der Haare ver-
nachlässigt, bisweilen auch wohl der erstere absichtlich beschmiert, verletzt und
verstümmelt wird.
Auf Neu-Caledonien schwärzen sich die Wittwen zum Zeichen der
Trauer den ganzen Körper mit Russ und malen sich mit Kalk weisse Thränen
darauf. ' {Moncelon)
Wenn bei den Chippeway-Indianern einer Frau durch den Tod der
Gatte entrissen wird, so färbt sie ihr Gesicht schwarz; ausserdem muss sie fasten
und darf ein Jahr lang sich nicht schmücken und ihr Haar nicht kämmen.
{Mahan) Bei den Choctaw-Indianern jammert die Wittwe einen Monat lang
am offenen Grabe, und sie vernachlässigt in diesem Zeitraum ihren Anzug. Nach
einem Monat wird ein Fest gegeben, wobei das Grab geschlossen wird. Die
Klagerufe, welche hierbei die Wittwe erschallen lässt, werden „der letzte Schrei"
genannt. (Benson.)
PloBS-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II. 33
514 LXXII. Die Wittwe.
Die Wittwen der Los-Pinos-Indianer in Colorado beschmieren sich
als Trauerzeichen das Gesicht mit einer aus Pech und Kohlen gefertigten Sub-
stanz, welche aber nur einmal aufgestrichen wird und so lange sitzen bleibt, bis
sie abfallt. Andere Trauergebräuche sind dem Berichterstatter Mc Donald niclit
bekannt geworden.
Bei den Sioux-lndianern legen nach Turner die Frauen und auch wohl
die Mutter und die Schwester des Verstorbenen während der drei ersten Tage
nach der Beisetzung ihre Mokassins und ihre Beinkleider ab und zerschneiden sich,
um ihre Trauer zu beweisen, die Beine mit ihren Schlachtmessern. Man sieht sie
dann blutüberströmt umherlaufen.
«Vor dem Jahre 1860, berichtet McChesney, sammelte sich bei dem Tode eines Sioax-
Kriegers der ganze Stamm im Kreise. Die Wittwe schnitt sich an den Armen, Beinen und
am Körper mit einem Flintenstein und entfernte sich die Haare vom Kopf. Dann ging sie im
Kreise herum, und so oft sie herumgegangen war, so viel Jahre musste sie unverheirathet
bleiben. Dabei musste sie jammern und klagen. Dann wurde unter allgemeiner Klage die
Leiche auf eine Plattform von Holz gebracht, wobei die Frauen sich die Haare abschnitten
und mit Flintstein Arme und Beine zerhackten.'
Fig. 386. Wittwe der Chippeway-Indianer, mit dem ModeU ihres verstorbenen Ehegatten im Arm.
(Nach Varrfiw.)
Solche Selbstverletzungen der trauernden Frauen sind nach Rohde auch bei
den Bororö-Indianern in Brasilien gebräuchlich:
.Stirbt Jemand, so singen die Weiber einen Trauergesang, und die verwandten Frauen
des Gestorbenen zerschneiden sich die Brust mit scharfen Steinen. Ich sah bei den meist-en
Frauen die Brust voller Narben aus solchen Schnitten.*
Höchst absonderliche Trauergebräuche lernen wir ausser den bereits er-
wähnten durch McKennay bei den Wittwen der Chippeway-Indianer kennen.
Er berichtet:
„Ich habe mehrmals Frauen mit einer Rolle von Zeug umhergehen sehen (Fig. 386).
Auf meine Frage, was dieses zu bedeuten habe, wurde mir mitgetheilt, dass das Wittwen
w&ren, welche so etwas trügen, und das dies das Abzeichen ihrer Trauer sei. Es ist für
eine Chippewaj-Frau, welche ihren Ehemann verliert, unumgänglich nöthig, ihr bestes
Kleid zu nehmen — und das ist noch keinen Dollar werth — , dasselbe zusammenzurollen.
445. Die Wittwentrauer. 515
es mit ihres Mannes Leibgurt zusammen zu binden, und wenn er Schmucksachen hatte, was
gewöhnlich der Fall ist, diese an dem Ende der Rolle zu befestigen, um die ein Stück Gattun
gewickelt ist. Dieses Bündel wird „ihr Ehegatte" genannt und man erwartet, dass sie sich
nirgends ohne dasselbe blicken lässt. Geht sie aus, so trägt sie es mit sich; sitzt sie in ihrer
Hütte, so legt sie es sich zur Seite. Dieses Zeichen der Wittwenschafb und Trauer muss die
Wittwe so lange tragen, bis die Familie ihres verstorbenen Mannes der Ansicht ist, dass sie
lange genug getrauert hat, was meistens nach Verlauf eines Jahres der Fall ist. Sie ist dann,
aber nicht früher, von ihrer Trauer erlöst, und es steht ihr nun frei, sich wieder zu ver-
heirathen. Sie hat das Recht, diesen „Ehegatten"' zur Familie ihres verstorbenen Mannes zu
bringen, aber das wird als unehrenvoll betrachtet und geschieht selten. Ich besuchte einmal
eine Hütte, in der ich solch ein Trauerzeichen fand. Seine Grösse variirt, je nach der Menge
von Zeug, welches die Wittwe anzuwenden vermag. Es wird von ihr erwartet, dass sie ihr
Bestes hierzu nimmt und ihr Schlechtestes trägt. Der „Ehegatte", welchen ich sah. hatte
30 Zoll Höhe und 18 Zoll im Umfang. Ich vergass zu erwähnen, dass, wenn Geschenke ver-
theilt werden, dieser „Ehemann" den gleichen Antheil erhält, als wenn er lebend wäre.''
Ein Ueran erinnernder Gebranch bestand im vorigen Jahrhundert, wie wir
durch Paüas erfahren, bei den Ostjaken. Es heisst bei ihm:
„Eine Art von Vergötterung widerfährt auch Verstorbenen in der Verwandtschaft.
Denn man macht hölzerne Bilder, die verstorbene angesehene Männer bedeuten sollen, und
setzt ihnen bei den' Gedächtnissmahlen, welche ihnen gehalten werden, ihren Antheil vor.
Ja Weiber, welche ihre verstorbenen Männer geliebt haben, legen diese Puppen bei sich zu
Bett, putzen sie auf, und vergessen sie bei der Mahlzeit nie zu speisen.'*
Von den Shushwap-Indianern in Britisch Columbien berichtet JBoa5,
dass die Wittwen „an einer Bucht eine Schwitzhütte errichten und alle Nacht schwitzen, so-
wie regelmässig in der Bucht baden müssen. Danach müssen sie ihren Körper mit Baum-
sprösslingen abreiben; diese Zweige dürfen nur einmal benutzt werden und werden dann rings
um die Hütte in den Boden gesteckt. Die Trauernde gebraucht ihren eigenen Napf und ihr
besonderes Kochgeschirr und sie darf ihren Körper nicht berühren. Kein Jäger darf sich ihr
nähern, weil das Unglück bringt. Sie darf ihren Schatten auf Niemanden fallen lassen, weil
dieser sonst sofort krank werden würde. Sie benutzen Dombüsche als Kopfkissen und als
Bett, um den Geist des Verstorbenen zu verscheuchen; Dornbüsche werden auch rings um
das Bett gelegt."
In diesen Maassnahmen vermögen wir nicht mehr eine Verehrung für den
Verstorbenen zu erkennen. V7ir sehen vielmehr aus dem Unheil, das die Wittwe
anderen zuzubringen vermag, dass man sie als verunreinigt betrachtet, und damit
wird auch verstandlich, dass sie Reinigungsproceduren durch Schwitzen und Baden
durchzumachen hat. Anstatt dem Verstorbenen Ehre zu erweisen, oder ihn in
effigie zu verpflegen, muss die Wittwe vielmehr ernstlich darauf bedacht sein, sich
vor seiner Wiederkunft zu schützen. Deshalb muss sie sich und ihr Bett mit
einer Domenhecke umgeben und deshalb muss sie auf Dombüschen ruhen, damit
der Verstorbene die Lust verliert, mit ihr das nächtliche Lager zu theilen.
Auf Bali sollen nach Jacobs die Wittwen die Leiche des Gatten in dem
Hause aufsuchen, wo sie bis zur Verbrennung niedergelegt wurde, und hier be-
arbeiten sie zum Zeichen der Trauer den Penis des Verstorbenen.
Bei den Samojeden müssen, wie PdUas berichtet, die Wittwen ihre Haar-
flechten losmachen und nachmals zeitlebens ausser den gewöhnlichen zwei Haar-
zöpfen noch eine dritte Flechte an einer Seite über dem Ohre tragen.
Hein berichtet, dass die Dajaken in Borneo für die Wittwen besondere
Wittwenhüte im Gebrauche haben. Dieselben bestehen aus kessel- und trichter-
förmigem Geflechte, welche tangqoi hentap oder bloss hentap heissen \mi an der
Aussenseite mit weissen Litzen besetzt sind. Nach Perelaer müssen die Wittwen
in der ersten Trauerzeit weisse Kleider tragen und sind demnach auch verpflichtet,
eine weisse Kopfbedeckung zu nehmen, die oft nur aus einem weissen Kattun
besteht, der nach Art unserer Kopftücher um das Haupt gebunden wird; dieses
Kopftuch heisst sambalayong.
33*
516
LXXn. Die Wittwe.
Bei den Basutho in Süd- Afrika werden nach Grützner nach der Be-
erdigung die schon vorher abgeschnittenen Ecken des Euhfelles, in das man den
Todten gehüllt hatte, in Riemchen zerlegt und diese werden den trauernden
Wittwen um die Stirn gebunden.
Bei den alten Israeliten war ebenfalls eine besondere Wittwenkleidung vorge-
schrieben. (1. Mos. 38, 19.)
Auf den Keei- Inseln gehen die Frauen zum Zeichen der Trauer mit hängen-
den Haaren; auf den Tanembar- und Timorlao-Inseln tragt die Wittwe ein
Stück von dem Leichengewande des verstorbenen Ehegatten im Haar. Der
Traueranzug der Wittwen auf den Inseln Leti, Moa und Lakor besteht aus
einem kurzen Sarong, der von der Hüfte bis zum Knie reicht; die Haare werden
nicht eher gekämmt, bis der neue Mond erscheint. In gleicher Weise kleiden sich
die trauernden Wittwen auf den Luang- und Sermata-Inseln. Allen Schmuck
legen sie ab, und wenn sie Armbänder tr^en, die sich nicht entfernen lassen,
so umwickeln sie dieselben mit altem, schmutzigem Kattun. Ein Jahr lang dürfen
die Trauernden kein fremdes Dorf besuchen, und zu Haus Niemandem antworten,
sie müssen sich taub stellen und dürfen nicht mitsingen. {BieddK)
Bei den Aaru- Insulanern verlässt eine Frau, deren
Gatte gestorben ist, die Wohnung und bestreicht mit
Kalapa-Oel jedes Haus des Dorfes, in welchem der Ver-
storbene zu verkehren pflegte. Dann legt sie ihr gewohn-
liches Gewand, den Sarong, ab und bekleidet sich nur mit
einem Schamgürtel, der franzenartig aus Palmenblättem
gefertigt ist und eine Breite von 25 cm hat (Fig. 387). Das
Haupthaar wird abgeschoren und um den Kopf legt sie
ein Band von Palmenblättem. Auch um die Oberarme und
die Unterschenkel dicht unterhalb der Kniee werden solche
Palmenblätter gebunden. Um den oberen Theil der Brust
kommen ebenfalls zwei, die sich vom kreuzen und unter
den Achseln zugebunden werden, woran eine kleine Matte
befestigt ist, welche am Rücken herunter hängt, um das
Hintertheil zu bedecken. Auf ihrem Körper werden mit
Holzkohle breite Streifen gemalt.
Diese Tracht behalt die Wittwe bis zu dem Zeit-
punkte, wo man die Gebeine des Verstorbenen aus der
Sargkiste herausnimmt und sie zum Strande bringt, um sie
zu reinigen. Dies geschieht auf eine Weise, welche jeder
Fig. 887: Wittwe der Aaru- Beschreibung spottet. Die Mitbewohner des Dorfes kommen
DSU aner^mi^^^raueranzuge. ^jg^^^^ qj^ J^^ Strande zusammen, die Männer mit dem
von Holz verfertigten Bilde des Guson oder Gusing^ d. h.
des Penis, und die Weiber mit dem aus Gabagaba ausgeschnittenen Kodu^ dem
Pudendum muliebre. Alle Trauerkleider und Trauerabzeichen werden abgel^t
und gemeinsam verbrannt, und unter dem Absingen allerlei obsconer Lieder
springen die Leute wie die Besessenen um das Feuer herum. Dabei stecken die
Männer das Bild des Guson in das ihnen von den Weibern dargebotene Bild der
Kodu und ahmen dabei die Bewegungen der Begattung nach, um die Wittwe
geschlechtlich aufzuregen und ihr auf drastische Weise zu verstehen zu geben,
dass sie jetzt aufs Neue sich verheirathen darf. An diesem absonderlichen Feste
nehmen auch Kinder Theil. Drei Tage noch singen und tanzen die Dorfgenossen
vor dem Sterbehause, weil die Wittwe die Trauerkleidung abgelegt hat. Wenn
der Verstorbene mehrere Frauen besass, so verfallen sie sämmtlich denselben
Ceremonien. (Riedel^ "• %
Von den mittelasiatischen Türken erzählt Vamhery Folgendes:
«Die weiblichen Mitglieder der Familie kommen in einem separaten Zelt zusammen und
445. Die Wittwentarauer. 517
lassen annnterbrochen unter Schluchzen und Weinen Klagelieder ertönen. Weib und Tochter
des Dahingeschiedenen ziehen Trauerkieider an und bedecken den Kopf mit einem speciellen
Trauerhut; Niemand darf sie grüssen oder mit ihnen sprechen, und selbst die unvermeidlichsten
Fragen und Antworten mflssen in klagendem und heulendem Tone gewechselt werden. Beim
Acte der Beerdigung können die Frauen nicht anwesend sein, sie mflssen unterdessen in dem
früher erwähnten Frauenzelt yerharren und bei ununterbrochenen Klagen sich mit den N&geln
die Wangen zerkratzen, d. h. ihre Schönheit vernichten, und man begegnet häufig Wittwen,
die furchenartige Narben als permanente Trauerzeichen ob des schweren Verlustes, den sie
mit dem Hinscheiden des Mannes erlitten, auf den Wangen tragen. Das Verhalten der
klagenden Frau ist im Allgemeinen ein äusserst mühseliges und von einer besonderen be-
trübenden Wirkung für die fremden Zuschauer. Sie muss, vom Sterbetage des Mannes ange-
fangen, ein ganzes Jahr hindurch mit Ausnahme der Schlaf- und Essenszeit entweder weinen
oder Klagelieder singen, weshalb das Wittwenzelt dem Reisenden sofort auffällt, und trotz
eines längeren Aufenthalts in einem derartigen Aul kann man sich an die in die weite
Feme dringenden herzerschütternden Töne nur schwer gewöhnen."
Bei den Hindu sind auch noch heute unter der englischen Oberhohheit
die Trauerpäichten der Wittwen sehr strenge und quälende. SchlagirUiceü hat
uns darüber einen ausführlichen Bericht erstattet:
.Gross ist der Schmerz der Frau um den sterbenden Gatten; er steigert, nicht ver-
mindert sich, wenn der Tod vor dem Eintritt in die Heirath erfolgte; denn die jungfräuliche
Wittwe ist für ihr ganzes Leben denselben Beschränkungen unterworfen, wie die Matrone,
der Kinder und Enkel tröstend zur Seite stehen. Die Wittwe folgt noch dem Leichenzuge
des Gatten und entzündet, wenn ohne Sohn, selbst den Scheiterhaufen, auf welchem der Leich-
nam unvollkommen zu Asche verbrannt wird. Unmittelbar nachher wird die Wittwe an den
Fluss oder an den Dorfteich geführt; hier legt sie die Frauengewänder ab, zerbricht das eiserne
Gelenkband, das als Symbol der Liebe ihres Gatten den Arm zierte, wirft es in das Wasser,
wäscht von ihren Fnsssohlen das Roth hinweg, das bisher täglich aufgetragen wurde, und
rouss dulden, dass unter rohen Gebräuchen das Abzeichen ihrer Würde getilgt wird, ein rother
Kreis, der von ihrer Stirn leuchtete, wie der Venusstem am dunkelblauen Himmel. Nach den
Vorschriften der heiligen Bücher soll die Wittwe sich jeden Wunsches entschlagen und jedem
Wohlleben entsagen. Zum Heile der Seele ihres Gemahles soll sie nur eine Mahlzeit im
Tage nehmen und Fleisch, Fische, wie alle Leckereien vermeiden; dabei hat sie häufig zu
fasten und vielerlei Kasteiungen sich aufzulegen. Ihre Kleidung muss möglichst imvortheil-
hafb gewählt sein. Das Haar, das sonst fleissig gekämmt, gesalbt und auf dem Hinterhaupte
zierlich in einen Knoten geschlungen wurde, wird nicht mehr gepflegt In den Spiegel zu
schauen ist verboten. An Stelle eines Lagers aus weichen Polstern mit einem Mosquito-Vor-
hange tritt eine Matte aus Bast; ein Holzklotz oder ein Geflecht ersetzt das Kissen."
Aus Khalatlolu in Transvaal erzählt der Missionar Posselt von den
Bapaedi:
,Es sind der heidnischen Gebräuche, welche die Frauen des Verstorbenen zu befolgen
haben, eine grosse Anzahl. Da ist zuerst die schreckliche Todtenklage. Alsdann zweitens
müssen sich die Frauen beräuchem lassen, indem sie sich über einen Topf, in welchem aller-
hand Kräuter verbrannt werden, hinüberbeugen. Das ist eine ziemlich lange Tortur, denn
der Rauch, welchen sie, da sie dicht über den Topf gebeugt sitzen müssen, ganz heiss ins
Gesicht bekommen, beisst in den Augen, kribbelt in der Nase, fällt auf die Athmungsorgane.
Aber ,er verhütet, dass der Tod nicht auf die Frauen und durch sie auf -Andere übergeht".
Drittens: Weiter wird die Wurzel einer bestimmten Pflanze zu Asche gebrannt und dieselbe
in ein eigenes, dazu hergerichtetes Essen gestreut. Viertens wird den Betreffenden eine andere
mit Fett gemischte Seiare (Medicin) auf den Kopf gestrichen und das Haar, wenn der Ver-
storbene ein Vornehmer war, bis auf einen etwa einen halben Zoll breiten Streifen, welcher
wie ein Kranz den Kopf umgiebt, abrasirt. Das Ganze thun andere Frauen des Kraals.
FOnfbens wird eine Riesenschlange getödtet (nur beim Tode vornehmer Häuptlinge) und
Streifen des Fells müssen die Frauen um den Kopf geschlungen tragen.'
Die Trauer der Wittwen bei den Serben und Kroaten dauert eigentlich
nur 40 Tage; aber das schwarze Kopftuch, welches die Wittwe kenntlich macht,
muss ein ganzes Jahr hindurch getragen werden; auch darf die Frau im Trauer-
jahre weder die Spinnstube, noch den Reigen, noch einen Jahrmarkt besuchen.
{Krauss\)
518
LXXII. Die Wittwe.
Die trauernde Wittwe pflegt in civilisirten Ländern wohl von dem theuren
Verstorbenen als letztes, sichtbares Erinnerungszeichen eine Locke im Medaillon
oder eine von seinen Haaren geflochtene Kette an der ühr, oder als Armband
zu tragen. Um vieles reichlicher und massenhafter trefiien wir derartige Reliquien
bei einigen Naturvölkern an. So werden bei den Sambos und Mosquitos in
Amerika, nachdem die Wittwe ein volles Jahr lang an dem Grabe des Gatten
geklagt hat, dessen Gebeine dem Grabe entnommen, und nun muss die Frau die-
selben ein zweites Trauerjahr hindurch mit sich herumtragen. Nach Ablauf des-
selben werden sie auf dem Dache des Hauses niedergelegt. (Bancroft.)
Aehnliche Verpflichtungen hat nach Boss Cox die Wittwe der Tolkotin-
Indianer in Oregon:
^Nach der Yerbrennung sammelt die Wittwe die grösseren Knochen in einen Behälter
von Birkenrinde, welchen sie verpflichtet ist, ein Jahr lang auf dem Rücken zu tragen. Sie
hat nun allen Frauen und Kindern gegenüber Sclavendienste zu verrichten und wird bei Un-
gehorsam strenge gestraft. Die Asche ihres Gatten wird gesammelt und in ein Grab geleg^t,
das sie von Unkraut frei halten muss ; letzteres muss sie, wenn es auftritt, mit ihren Fingern
ausgraben. Hierbei wird sie von den Angehörigen ihres Mannes beaufsichtigt und gequält.
Oft nehmen sich die armen, grausam gepeinigten
Wittwen das Leben. Ueberdauert sie die Qualen
3 — 4 Jahre, so wird sie von denselben befreit, wobei
ein grosses Fest gegeben wird, zu dem sich von weit
her Gäste einfinden. Diese werden beschenkt. Die
Wittwe erscheint mit den Knochen ihres Mannes aof
dem Rücken. Die werden ihr abgenommen und in
eine Büchse gethan, die vernagelt und 12 Fuss hoch
aufgestellt wird. Ihre Aufführung als getreue Wittwe
wird dann gelobt, ein Mann streut ihr Vogelfedem
und Oel auf den Kopf, und dann darf sie wieder
heirathen oder ein ungetrübtes Leben führen. Die
meisten mögen aber wohl nicht eine zweite Wittwen-
Schaft riskiren wollen.*
Noch merkwürdiger ist das Erinnerungs-
zeichen an den verstorbenen Gatten, welches
die Mincopie -Wittwen auf den Andamanen-
Inseln mit sich herumtragen müssen. Eine be-
stimmte Zeit nach dem Tode wird der Schädel
des Verstorbenen besonders hergerichtet, mit
rother Farbe bemalt und mit Franzen von
Holzfasern verziert. (Fig. 388.) Diesen Schädel
nun, welcher in der geschilderten Ausschmück-
ung Chattada genannt wird, muss die Wittwe sich anhängen und ist verpflichtet,
ihn so lange mit sich zu führen, bis sie eine neue Heirath eingeht. Der Schädel
ist in der Weise befestigt, dass das ihn haltende Band um den Nacken und
die linke Brust herumläuft und dass er selbst vor der rechten Schulter hängt.
(Mouet.)
Eine chinesische Wittwe ist verpflichtet, mindestens drei Jahre lang
Trauerkleider um ihren verstorbenen Ehegatten zu tragen, es gilt aber für be-
sonders ehrenvoll, wenn sie die Trauer ihr ganzes Leben hindurch fortsetzt.
Einen absonderlichen Gebrauch der Corsen citirt Yarrow:
»Nach Brtihier herrschte um 1743 in Corsica die Sitte, dass, wenn ein Ehegatte
starb, die Weiber über die Wittwe herfielen and sie tüchtig durchprügelten. Er fügt hinzu,
dass dieser Gebrauch die Frauen veranlasste, sorgfältig über das Wohl ihres Hausherrn
zu wachen."
Fig. 388. Wittwe der Mincopie
(Andamanen)
mit dem präparirten Schädel ihres verstorbe-
nen Ehegatten. (Nach Andree.)
446. Die Wittwentödtung. 519
446. Die Wittwentödtung.
Bei einigen Nationen wurde den hinterbliebenen Wittwen eine eigentliche
Trauerzeit gar nicht gelassen, sondern sie waren gezwungen, ihrem verstorbenen
Eheherrn in den Tod zu folgen. Man hat die Meinung aufgestellt, dass dieses
aus dem Grunde geschehe, um den Weibern das Eingehen einer neuen Ehe un-
möglich zu machen, um sie zu verhindern, das Eigenthum eines anderen Mannes
zu werden, wie man wohl an manqhen Orten die Waffen eines grossen Kriegers
zerbrach, damit sie nicht in fremde Hände fallen sollten. Der Ursprung und der
erste Beweggrund für die Tödtung der Wittwen ist aber ganz gewiss ein anderer
und er hängt ganz unmittelbar mit der grobrealistischen Auffassung zusammen,
welche uncultivirte Volker sich von dem Tode gebildet haben.
Der Tod ist ja nach ihrer Anschauung nicht ein Sterben in unserem Sinne,
sondern gleichsam ein Verreisen auf Nimmerwiederkehr. So ist es ja auch noch auf
vielen etruskischen Todtenkisten plastisch dargestellt, wie der Verstorbene zu
Pferde, zu Schiffe, oder mit dem Beisewagen von den Genien des Todes geleitet,
die Seinigen verlässt. Der Gestorbene hat eben nur seine alte Heimath ver-
lassen und sich in ein anderes unbekanntes Land begeben; im Uebrigen ist er
aber noch ganz der Alte geblieben, mit den gleichen Eigenschaften und mit den
gleichen Lebensbedürfnissen wie bisher. Darum kleidet man den Todten in seine
besten Gewänder, darum giebt man ihm seine alltäglichen Waffen und Geräthe
mit, und darum todtet man seine Frau, damit sie ihn begleite und damit er die
Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des ehelichen Lebens in dem unbekannten
Lande nicht vermisse. Ein ganz gleicher Beweggrund ist es, der, wie z. B. bei
vielen afrikanischen Völkern, dazu führt, bei dem Tode eines angesehenen
Mannes eine ganz ungeheure Anzahl von Sclaven und Sclavinnen zu tödten, damit
der Verstorbene am Orte seiner Bestimmung mit dem seinem Stande zukommenden
Glänze aufzutreten vermöge. So ereignete es sich noch kürzlich, als Europäer
die Schwarzen davon abhalten wollten, bei dem Tode eines der Ihrigen einige
Menschenopfer darzubringen, dass diese ihnen erwiderten: Wer soll ihn dann aber
in dem anderen Leben bedienen?
Das klassische Land für die Tödtung der Wittwen ist, wie wohl allbekannt
sein dürfte, Indien. Schon Cicero und Diodorus von Sicilien berichteten, dass
die Inder die Wittwen tödteten.
«Nach der Sage stürzte sich Satt, die Gemahlin des grossen Siwa, des mit Brahma um
den Vorzug sich streitenden Gottes, beim Opfer ihres Vaters Ddkscha in das heilige Feuer
aus Bekümmemiss, dass ihr Gatte von Brahma nicht zum Opfer eingeladen war. Seither
heisst jede Ehefrau, die mit ihrem Ehegatten den Holzstoss besteigt, auf welchem dessen
Leiche zu Asche verbrannt wird, Sati und der Gebrauch selbst Sahagrama, „das Mitgehen
mit dem Gatten*. In altari scher Zeit bestand die Unsitte des Sahagrama nicht, doch
bereits im sechsten christlichen Jahrhundert wird nur jene Wittwe für zweifellos tugendhaft
erklärt, welche den Scheiterhaufen ihres Mannes mit besteigt. Die Forderung muss nicht
sehr bereitwillig erfüllt worden sein, denn sonst st&nden in der Provinz Radschputana
(dem Lande zwischen Bombay und Delhi) nicht so viele Erinnerungsbauten an Sati- Ver-
brennungen, um den Ehrgeiz der Frauen anzustacheln." (Schlagintweit.)
Im Rigveda wird die Todtenfeier des Mannes geschildert. (Oeldner.)
Darin heisst es:
,Die Weiber hier, Nichtwittwen, froh des Gatten,
Sie treten ein und bringen fette Salbe,
Und ohne Thräne, blühend, schön geschmücket
Beschreiten sie zuerst des Todten Stätte«*
Die Salben sollen dazu dienen, um die trauernde Wittwe zu salben, die von
den Frauen zum Wiedereintritt in das Leben geschmückt werden soll. Dann
fordert sie der Priester auf, sich von dem Leichnam des Gatten zu trennen:
, Erhebe Dich, o Weib, zur Welt des Lebens!
Des Odem ist entflohen, bei dem Du sitzest,
520
LXXn. Die Wittwe.
Der Deine Hand einst farate und Dich freite!
Mit ihm ist Deine Ehe nun vollendet!"
Diese Verse sind es, die den Tod über die unglücklichen Wittwen gebracht
haben. Durch eine ganz unbedeutende Fälschung des Textes wurde der WorÜaut
21
o5'
9»
I
so geändert, dass der Priester dem armen Weibe befahl, sich zu dem Todten auf
den Holzstoss zu legen.
446. Die Wittwentödtusg.
521
In Fig. 389 gebe ich die Copie einer indischen Malerei, welche das Sattee,
die Wittwenverbrennung vorführt. Die Copie ist von Acwarth mitgetheilt, welcher
vermnthet, dass diese Verbrennung in Madras stattgefunden hat.
,Die englische Regierang hat mit strengen Gesetzen dieser schauerlichen Sitte ein
Ende gemacht, und nur ganz vereinzelt und im Verborgenen kommt in abgelegenen und
schwer zugänglichen Gebieten noch die Wittwenverbrennung vor. Dieselbe ist durch ein
indisches Gesetz 1829 verboten und »das Strafgesetzbuch bestraft alle Mitwirkenden wegen
Anreizung zum Morde mit schwerem Gef&ngniss bis zu 10 Jahren*. Dennoch sind jährlich
ein bis zwei Sati- Verbrennungen zu verhandeln. Die Gerichte erkannten in dem letzten dieser
Fälle, der im Jahre 1883 spruchreif geworden war, gegen sämmtliche Theilnehmer auf Zucht-
haus von 3 bis 7 Jahren." (Schlagintweit.J
In Nepal verliert nach Werner die Wittwe, welche ihrem Manne nicht
in den Tod folgt, noch immer ihre Stellung in der Kaste. Bei einer Verbrennung,
welche kurz vor der Anwesenheit Schlagintweifs stB,ti{a,nd^ ging die Wittwe frei,
aber gestützt, zu dem 4 Fuss hohen, mit Tüchern behangenen Holzstoss. Hinauf-
geleitet, legte sie sich neben den Leichnam ihres Mannes, und nun wurde sie,
als der Scheiterhaufen in Brand gesteckt wurde, durch Bambusstäbe, welche an
(."^"sW"V^r.^. iS»s^
Fig. 990. Suttee, Wittwenverbrennung in Indien. (Nach Colemnn.)
den beiden Enden von Brahminen gehalten wurden , niedergedrückt. Einige
Schmerzensrufe , als Bauch und Flammen sie erreichten, verstummten schnell,
wahrscheinlich durch den Druck der Stäbe, deren einer über den Hals, ein anderer
über die Mitte des Korpers ging.
Von einer Wittwenverbrennung, welche 1829 wenige Meilen von Calcutta
stattfand, hat Coleman die Skizze eines Augenzeugen veröffentlicht. Dieselbe ist
in Fig. 390 in vergrössertem Maassstabe wiedergegeben.
Ein von Böhtlingk citirter Sanskrit-Vers rühmt diese Treue der Gattin,
die auch noch über den Tod hinaus dauert:
,£in Mann unterlässt später die Liebenswürdigkeiten, welche er Weibern im Geheimen
erwies; die Weiber dagegen umschlingen aus Dankbarkeit den entseelten Gatten und be-
steigen mit ihm den Scheiterhaufen.*
V7enn eine Wittwe sich guter Hofl&iung befand, so wurde sie übrigens erst
getödtet, nachdem ihre Entbindung vorüber war.
Aber schon in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts schrieb Niebtthr:
, Lebendige Weiber dürfen sich so wenig zu Bombay, als in den Städten, wo die
522 LXXII. Die Wittwe.
Regierung xnohamedaniscli ist, mit ihren verstorbenen M&nnem verbrennen. Dies wird selbst
unter ihrer eigenen Regierung nur selten erlaubt. Ein Kaufmann zu Maskat von dem Stamme
der Bramänen erzählte mir, dass seine Familie vor vielen anderen dadurch einen grossen
Vorzug erhalten, dass seine Grossmutter mit ihrem Manne sich hätte verbrennen dürfen; denn
dies würde keiner erlaubt, die nicht eine Menge Beweise von ihrer Tugend und Liebe gegen
ihren Mann bei der Obrigkeit vorgezeigt hätte.*
Die Hindu sind aber nicht das einzige Volk, bei welchem sich die Wittwen-
verbrennung vorfindet. Katscher sagt:
„Vier Stämme der wilden Ureinwohner der chinesischen Insel Hain an verbrennen
ihre Todten, nachdem sie sie vorher entweder mit seidenen Leichentüchern, oder mit Pferde-,
Kuh-, Ziegen- oder Schaf häuten bedeckt haben. Auch huldigen diese Stämme dem indischen
Principe des Suttiismus, d. h. die Wittwen werden lebendig gemeinsam mit ihren verstorbenen
Ehegatten verbrannt'
Nach Doölittle pflegen in China sich die Wittwen auch noch auf andere
Weise den Tod zu geben, um ihre Trauer gegen ihren Gatten öflFentlich zu be-
weisen. Wir werden später von diesem Gebrauche noch ausführlich zu be-
richten haben.
Von den Wenden sagte der heilige Bonifacius:
«Sie bewahren die eheliche Liebe mit so ungeheurem Eifer, dass die Frau sich
weigert, ihren Gatten zu überleben; und die gilt unter den Frauen für bewunderungswürdig,
welche sich eigenhändig den Tod giebt, um auf einem Holzstoss mit ihrem Gebieter zu
verbrennen/
Auch in der nordischen Sage spielt die Wittwenverbrennung schon eine
Bolle. Nanna wird mit Baidur verbrannt, Brünhild ordnet an, dass sie mit
Sigurd verbrannt werde, und der Grudrun wird es zum Vorwurf gemacht, dass
sie ihren Gemahl überlebte.
Es heisst in der Edda:
Schicklicher stiege
Unsere Schwester Gudruyi
Heut auf den Holzstoss
Mit dem Herrn und Gemahl,
Gäben ihr gute
Geister den Rath,
Oder besässe sie
Unseren Sinn.
Von der Tödtung der Wittwen erzählt übrigens bereits Herodot als .von
einer bei den Thraciern herrschenden Sitte:
„Diejenigen aber, welche über den Erestonäern wohnen, thun Folgendes: Ein Jeder
hat viele Weiber; ist nun einer von ihnen gestorben, so entsteht ein grosser Streit unter den
Weibern, und die Freunde ereifern sich gewaltig darüber, welche von denselben am meisten
von dem Manne geliebt wurde. Diejenige nun, welcher diese Ehre zuerkannt worden ist,
wird von Männern und Weibern gepriesen, über dem Grabe von ihren nächsten Verwandten
abgeschlachtet, und wenn sie geschlachtet ist, zugleich mit ihrem Manne begraben; die übrigen
Weiber dagegen nehmen es sich als ein grosses Leid, weil dies bei ihnen für den grOssten
Schimpf angesehen wird.*^
Herodot berichtet auch von den Skythen, dass wenigstens bei dem Tode
eines Königs dessen Eebsweiber abgeschlachtet und mit ihm begraben wurden.
Nach Stephanus von Byzanz und Pomponius Mda hatten die Geten, nach
Procopius die U eruier und nach Pausanias sogar stellenweise auch die
Hellenen die Sitte der WittwentSdtung. Die Frauen der im Kriege gefallenen
Lithauer erhängten sich.
Auf Neu-Seeland gab man früher bei dem Tode eines Häuptlings
dessen vornehmstem Weibe einen Strick, damit sie sich mit diesem im Walde
erhängen sollte.
Den Salomons-Insulanerinnen muthet man aber nicht zu, dass sie diese
unbequeme Procedur selber an sich vornehmen sollen. Eckardt berichtet hierüber:
446. Die Wittwentödtung. 523
, Stirbt auf den Salomo -Inseln ein Häuptling, so werden seine Frauen getödtet, d.h.
fltrangulirt; es würde ftlr sie und das Gedächtniss des Verstorbenen eine Schande sein, etwa
sp&ter Männer aus niederen Ständen zu heirathen. Dieses Stranguliren geschieht meistens
während des Schlafes. Häufig enden so auch die Frauen oder nächsten Angehörigen des
gemeinen Mannes. Wie im Leben, muss er auch im Tode von Liebenden umgeben sein. Die
Mehrzahl dieser unglücklichen sieht es als Pflicht an, dem Verstorbenen sofort zu folgen;
sie betäuben sich durch gewisse Pflanzensäfte und erhängen sich dann in der Nähe ihres
Gemahles. '^
Angeblich sollen auf Anaiteum die Frauen schon von der Hochzeit an
den Strick um den Hals tragen, mit dem sie sich nach ihres Gatten Tode er-
hängen werden.
Auch bei den Viti-Insulanern bestand bis noch vor kurzer Zeit der
Brauch, bei dem Tode eines angesehenen Mannes dessen Frauen zu erwürgen.
Die Leichen derselben wurden dann, wie zu einem Feste gesalbt, mit neuen
Franzengiirteln bekleidet, der Eopf geputzt und verziert, Gesicht und Basen mit
Sailach und Gelbwurz gepudert, dem verstorbenen Krieger an die Seite gelegt.
Als Ra-Mbiti^ der Stolz von Somosomo, auf dem Meere untergegangen war,
wurden siebzehn von seinen Frauen getödtet; und nach den Nachrichten über das
Blutbad unter der Bevölkerung von N a m e n a im Jahre 1839 wurden achtzig
Frauen erwürgt, um die Geister ihrer ermordeten Gatten zu begleiten. (Tylor7)
Auch bei den B a s u t h o werden nach Joest, nachdem die Leiche des ver-
storbenen Gatten verscharrt ist, die Wittwen desselben mit Knütteln auf dem
Grabe todtgeschlagen.
Nach diesen Auseinandersetzungen werden uns nun wohl auch die soge-
nannten Trauerverstümmelungen, d. h. die Sitte, sich als Zeichen der Trauer
blutige Verletzungen beizubringen, wie wir sie schon oben kennen gelernt haben,
in einem anderen Lichte erscheinen. Wir werden sie, wenn ich so sagen soll,
als allegorische Tödtungen aufzufassen haben. Und in ganz analoger Weise
begegnen wir auch ganz unverkennbaren Beispielen von allegorischen Wittwen-
verbrennungen. So wird nach iJoss Cox bei den Tolkotin-Indianern in Ore-
gon die Leiche neun Tage lang ausgestellt und die Wittwe muss neben derselben
schlafen. Am 10. Tage wird unter feierlicher Assistenz der Stammesgenossen der
Scheiterhaufen entzündet. Hat die Frau sich eine Untreue oder eine Vernach-
lässigung im Essen und in der Kleidung gegen den Verstorbenen zu Schulden
konmaen lassen, so wird sie in den Scheiterhaufen geworfen, von ihren Freunden
herausgezogen, und so hin und her gestossen, bis sie versengt und angekohlt die
Besinnung verliert.
Nach Tyhr ist beiden Quacolth-Indianern im nordwestlichen Amerika
die Wittwe verpflichtet, während die Leiche des Gatten verbrannt wird, mit dem
Kopfe neben ihm zu ruhen. Man zog sie dann, mehr todt als lebendig, aus
den Flammen, und wenn sie wieder zu sich kam, musste sie die Ueberreste ihres
Mannes sammeln und, wie wir das ähnlich ja auch schon früher gesehen haben,
drei Jahre lang mit sich herumtragen. Glaubten die Stammesgenossen, dass sie
nicht in gehöriger Weise trauere, so hatten sie das Recht, sie aus deni Stamme
zu Verstössen»
Eine wichtige Bestätigung für meine Ansicht, dass es sich hier bei diesen
Gebräuchen um die Reste einer wahren Wittwenverbrennung handelt, liegt in der
folgenden Angabe, welche v. Hesse- Wartegg über die Babines-Indianer in
Britisch Columbien macht. Er sagt:
„Es sei nur der eigenthflmliche , entschieden aus Ost- Asien stammende Brauch (der
Nord-West-Indianer) der Wittwenverbrennung erwähnt, den noch Paul Kane im Jahre
1858 auf seiner Reise bei den Babines vorfand, der jedoch glücklicherweise seither abge-
schafft wurde. Aber die Verbrennung der Leichen ist noch allgemein gebräuchlich, und die
Wittwe des Verstorbenen muss mit den Scheiterhaufen besteigen und bei der Leiche bleiben,
bis diese in Flammen gehallt ist. Erst dann darf sie den Scheiterhaufen verlassen."
624 LXXlI/Die Wittwe-
447. HeiratliSTerbot, Heirathszwang nnd Heirathserlaabniss der Wittwen«
In den vorhergehenden Abschnitten haben wir bereits mancherlei Pflichten
kennen gelernt, welchen die Wittwen bei verschiedenen Völkern sich zu unter-
ziehen gezwungen sind, aber auch einzelne Rechte, welche ihnen zustehen, haben
wir in Erfahrung gebracht. Zwei Arten des Rechtes sind es ntui aber ganz be-
sonders, welche für das ganze fernere Leben der Wittwe von der allergrossten
Bedeutung sind, das ist das Erbrecht und das Recht der Wiederverheira-
thung. Dieses letztere nun sehen wir bei einzelnen Nationen dem armen Weibe
vollständig verkümmert. Die Eifersucht und der noch nach seinem Tode eigen-
nützige und missgünstige Egoismus des Mannes verfolgt sie bis über das Grab
hinaus. Auch nach seinem Tode will der Mann sein Anrecht und seine Herr-
schaft über das arme Weib fortbestehen wissen.
So ist es in Indien der Wittwe, welche dem Gatten nicht in den Tod
gefolgt ist, auf das Strengste verboten, sich wieder zu verheirathen. Das ver-
bieten nicht nur die Brahmanen und Radschputanas, sondern auch alle reli-
giösen Kasten, sogar auch die Säuger und selbst die Bettler. In Bombay mussten
die Behörden die Schliessung einer Mädchenschule gestatten, weil die Hauptlehrerin
eine wiederverheirathete Wittwe war.
Der Hindu Mddhowdas erklärt es für sehr begreiflich, dass eine Wittwe
dem Tode und sogar dem durch eigene Hand vor dem Wittwenstande den Vor-
zug giebt,
«denn auch Wittwen sind ja menschliche Wesen! Weder Bftcker noch Schl&chter will
ihr etwas liefern, kein Grundbesitzer will ihr eine Wohnung überlassen, kein Kutscher will
sie fahren; wird sie krank, so will ihr kein Arzt beistehen; wenn sie stirbt, so nimmt keiner
ihren unreinen Leichnam, um ihn zu verbrennen; Niemand will mit ihr reden, Niemand blickt
sie an und ihre Verfolgung hat niemals ein Ende. Ihre Kinder sind den gleichen Kränkungen
ausgesetzt; keine Schule nimmt sie auf, kein Priester unterrichtet sie." (Ryder.)
Durch solche Verhältnisse wird es erklärlich, dass es in Indien, wo die
Mädchen bereits in kindlichem Alter, oft mit älteren Männern, verheirathet werden,
eine ganz erstaunliche Menge von Wittwen giebt. Schlagintweit sagt darüber:
,Nach der letzten Volkszählung vom 17. Februar 1881 gab es in Britisch-Indien
991(4 Millionen weibliche Einwohner, darunter 21 Millionen Wittwen. Das fünfte weibliche
Wesen ist verwittwet; ja, berechnet man die Zahlen unter Ausschluss der Mohamedaner,
imter denen das Missverhältniss weniger gross ist, aus den Hindus allein, so ist häufig schon
das dritte Mädchen eine Wittwe. So befinden sich in der Reichshanptstadt Calcutta unter
98627 weiblichen Einwohnern sogar 42824 Wittwen. Dabei gehören diese den Vorschriften
für Wittwen unterworfenen unglücklichen Wesen nicht ausschliesslich den Erwachsenen an.
In Calcutta hatten 77 Wittwen nicht einmal das 10. Lebensjahr erreicht, 846 trauerten im
jungfräulichen Alter von 10 bis 14 Jahren, 1100 waren kurz nach ihrer körperlichen Ent-
Wickelung, zwischen dem 15. und 19. Lebensjahre, Wittwe geworden. **
Auch in Korea erwartet man, dass eine Wittwe keine neue Ehe schliesst
Wenn bei den Osseten die Leiche des Mannes beerdigt war, dann wurde
die Frau und das Sattelpferd des Verstorbenen dreimal um das Grab geführt.
Das Pferd durfte Niemand wieder besteigen und die Wittwe durfte Niemand
heirathen. (Tylor.)
Bei den alten Peruanern ging eine Wittwe, die Kinder hatte, niemals
eine neue Ehe ein. Eine Omaha-Indianerin, die ihren Gatten verloren hat,
darf nur dann wieder heirathen, wenn sie noch nicht das 40. Jahr über-
schritten hat.
Bei den Süd-Slaven betrachtet man nach Krauss^ eine zweite Heirath
einer Wittwe als einen Schimpf, den sie ihrem verstorbenen Ehegatten anthnt.
Eine Wittwe, welche Kinder hat, heirathet bei den Kroaten und Serben sehr
selten zum zweiten Male; denn sie darf ihre Kinder nicht mit in die zweite Ehe
nehmen, und diese werden nunmehr als vollkommene Waisen betrachtet. „Nicht
447. Heirathsverbot, Heirathszwang und Heiratbserlaabniss der Wittwen.
525
«inmal eine Hündin laset ihre Jungen im Stich, ^ ruft man ihr zu, und im Volks-
liede heisst es von solcher treulosen Mutter:
So eine hündische Matter! Gott soll sie dafür strafen!
Ihre Kinder im Hanse des Mannes hat sie im Stich gelassen,
Zog zur Verwandtschaft zurück und ging eine neue Ehe ein.
Ganz ähnliche Anschauungen herrschten im Mittelalter auch in dem west-
lichen Europa. Huttmann schreibt darüber:
«Ein besonderer Ausbruch der Rohheit war in Frankreich der wilde L&rm, der mit
-dem Ausdrucke Larivari oder Charivari bezeichnet wird: vor dem Hause eines Wittwers
oder einer Wittwe, die sich wieder verheiratheten , trieben die Nachbarn am Polterabend
zügellosen beschimpfenden Muthwillen mit Aneinanderschlagen von Kesseln, Becken, Pfannen
und frevelhaften Unfug bei der Trauung in den Kirchen. Daher sind viele Verbote der
-Geistlichkeit dagegen ergangen, in Avignon, Beziers, Autun, Treguier in der
Bretajgne.*
Fig. 391. Charivari bei der Wiederverheirathnng einer Wittwe.
(Miniature des 15. Jahrhunderts nach P. Lacroix,)
Eine derartige Scene ist dargestellt auf einer Miniature des 15. Jahrhunderts,
welche sich in dem Roman de Fauvel findet. Fig. 391 führt dieselbe nach
'einer Copie bei TavH Lacroix vor. Fauvel oder der Fuchs ist an das Bett der
wiederverheiratheten Wittwe getreten, der man den Charivari darbringt; er hält
ihr eine Ermahnungsrede.
Bei vielen Völkern finden wir aber den ganz entgegengesetzten Gebrauch.
Die Wittwe muss wieder heirathen, ob sie will oder nicht, und zwar steht
das Recht der Verehelichung mit ihr gewöhnlich einem nahen Verwandten des
Mannes zu.
Das ist z. B. nach PanlUschkes Angabe bei den Harari in Ost-Afrika
der Fall.
526 LXXn. Die Wittwe.
Aach in dem israelitischen Gesetze heisst es (5. Mos. 25, 5):
„Wenn Brüder bei einander wohnen, und einer stirbt ohne Kinder, so soll des Ver-
storbenen Weib nicht einen fremden Mann draussen nehmen, sondern ihr Schwager soll sie
beschlafen und zum Weibe nehmen und sie ehelichen, und den ersten Sohn, den sie ge-
bieret, soll er bestätigen nach dem Namen seines verstorbenen Bruders, dass sein Name nicht
vertilget werde aus Israel u. s. w."
Bekanntermaassen wird diese Ehe mit der verwittweten Schwägerin mit dem
Namen Levirats-Ehe bezeichnet Wir sehen, dass nach dem Wortlaute des
Gesetzes diese Levirats-Ehe nur bei Kinderlosigkeit der Wittwe zur Ausführung
kommen soll.
Ueber diese Levirats-Ehe bei den modernen Juden in Arabien berichtet
Niehuhr^ Folgendes:
„Ich erkundigte mich bei einem Juden zu Maskat (Arabien), dessen Familie über
100 Jahre in Oman gewohnt hatte, ob die dasigen Juden verpflichtet wären, ihres ver-
storbenen Bruders Frau zu heirathen. Er antwortete mir: Wenn der älteste von mehreren
Brüdern ohne Kinder verstürbe, so müsse der auf ihn folgende Bruder, auch wenn er schon
verheirathet wäre, die Wittwe, wenn sie es verlangte, nehmen. Doch stehet es der Wittwe
auch frei, die Familie ihres verstorbenen Mannes zu verlassen und ihr Glück anderwärts zu
suchen. Zu Häleb soll der Fall fast alle zwei oder drei Jahre vorkommen, dass solche
Wittwen die Brüder ihrer verstorbenen Männer vor den Rabbi fähren, wenn sie sich nicht
freiwillig bequemen wollen. Sie werden dann nach dem Gesetze Mosis dazu genöthigt oder
bestraft. Umständlichere Nachrichten konnte ich von den Juden nicht erhalten.'
Bei den Ahyssiniern gilt es aber als Vorschrift, dass nach dem Tode
des Mannes dessen Bruder unter allen Umständen die Wittwe heirathen muss.
{Hartmanr*}^)
Bei den Wapokomo am Tana in Ost-Afrika geht die Wittwe mit
ihren Kindern in den Besitz des Schwagers über. Dem Bruder eines verstorbenen
Wolo ff -Negers steht das Recht zu, dessen Wittwe zur Frau zu nehmen,
ohne dass er jedoch hierzu verpflichtet wäre. Das Gleiche gilt von den Af-
ghanen.
Ueber die Perser schrieb Folak an Fhss:
„Die Levirats-Ehe ist in Persien nicht gesetzlich obligat, sondern nur anständig und
löblich. Daher ist es allgemeine Sitte, dass nach dem Tode des Bruders, ob kinderlos, ob
nicht, die Wittwe vom Bruder angeheirathet wird, wo dann die Kinder als eigene betrachtet
werden."
Vamhery sagt über ähnliche Gebräuche bei dem Türkenvolke:
.Auch dünkt uns die Annahme, dass die tschuwaschische Sitte, nach welcher der
jüngere Bruder die verwittwete Frau seines älteren Bruders heirathen muss, mit dem Chalitza
des jüdischen Gesetzes identisch und durch khazarische Vermittelung zu den Tschu-
waschen gelangt sei, nicht ganz stichhaltig, weil sich eine ähnliche Sitte auch bei anderen
Türken vorfindet, namentlich bei den Eara-Ealpaken und Turkomanen, wo nicht
nur die Frau, sondern auch sämmtliche Sclavinnen des verstorbenen Bruders an den jüngeren
Bruder übergehen, eine Sitte, die unter dem Namen dschisir bekannt ist, und ohne von der
Religion vorgeschrieben und gebilligt zu sein, bei den türkischen Nomaden allüberall
geübt wird."
Bei den Paharia aus Nepal gehen nach Mantegazza die Wittwen auf die
Brüder, die Vettern oder die Neffen des verstorbenen Ehemannes über, sie dürfen
aber auch, wenn sie wollen, in das Elternhaus zurückkehren, und es ist ihnen
sogar erlaubt, sich wieder zu verheirathen.
Ebenso ist es auch nach Fawcett bei den Sawaras in Indien.
Stirbt auf den Aaru- Inseln ein Mann, so tritt sein Bruder in seine Rechte,
d. h. er heirathet seine Schwägerin. Verzichtet derselbe aber auf sein Recht,
kann die Wittwe sich mit irgend Jemandem verheirathen, ihr Schwager be-
konunt dann den Brautpreis, welcher nicht viel niedriger als der zuerst bezahlte
war. (Ribbe.)
447. Heirathsverbot, Heirathszwang und Heirathserlaubniss der Wittwen. 527
Das Rechtf den Bruder des yerstorbenen Gatten zu heirathen, steht auch der
Wittwe auf Serang zu, während an einigen Punkten der Tanembar- und
T im orlao -Inseln sie hierzu sogar verpflichtet ist. Und zwar muss dieses ein
jüngerer Bruder des Ehemannes sein, und sie muss denselben heirathen, auch wenn
er jünger ist als sie. Das geschieht aber erst nach dem Ablauf der Trauerzeit;
ein Brautschatz wird ihr dabei nicht bezahlt. (Riedel\)
Auch bei den Ghippeway-Indianefn hat nach Mc Kenney der Bruder
des Verstorbenen das Recht, dessen Wittwe zu heirathen. Das geschieht am Grabe
ihres Gatten mit einer Ceremonie, wobei sie über dasselbe hinschreitet. Sie ist
dann in diesem Falle der oben beschriebenen Trauer enthoben.
Eigenthümlich ist ein altes Gesetz der Araber, welches fordert, dass der
Sohn die yerwittwete Mutter heirathet.
Das Gleiche gilt auf Nias, wo oft ein Sohn alle seine Stiefmütter zur Ehe
nimmt, wenn sie nicht gerade schwanger sind. (Modigliani.)
Wenn in Korea ein Mann zu beweisen im Stande ist, dass er mit einer
Wittwe geschlechtlichen Umgang gepflogen hat, so hat er das Recht, dieselbe als
sein Eigenthum zu beanspruchen. Junge Wittwen aus adligen Familien dürfen
nicht wieder heirathen; sie werden aber meist Concubineu. Wollen sie jedoch
wirklich ein enthaltsames Leben führen, so sind sie häufig den Gewaltthätigkeiten
der Männer ausgesetzt; es kommt sogar vor, dass sie von gedungenen Banditen
weggeschleppt werden. Es ist daher kein Wunder, dass junge Wittwen, um ihre
Ehre unbefleckt zu erhalten, es vorziehen, ihrem Ehegatten in den Tod zu folgen,
was durch Halsabschneiden oder Erstechen geschieht.
Eine ganze Reihe von Völkern ist aber auch tolerant genug, der Wittwe
eine Wiederverehelichung nach ihrer eigenen Wahl zu gestatten, jedoch darf diese
nicht vor dem Ablaufe einer bestimmten Trauerzeit stattfinden. In Deutschland
wartet die Wittwe ja bekanntlich mit diesem Schritte ,ein züchtig Jahr''. Ein
Jahr ist auch die hierfür festgesetzte Minimalirist bei den Chippeways (Mahan\
bei den Sambos und Mosquitos (Bancroff) und bei den Chiriguanos-Indianern.
Hat bei den letzteren die Wittwe Kinder, so überlässt sie bei der Wiederver-
heirathung die Knaben den Verwandten ihres verstorbenen Gatten, die Töchter
aber pflegt der neue Bewerber später ebenfalls, bisweilen sogar gleichzeitig mit
der Mutter zu heirathen. (Thouar.)
Crevaux^ schildert die Todtenfeier, welche bei den Guahibos von Vi-
charda in Süd-Amerika ein Jahr nach dem Dahinscheiden eines Häuptlings
stattfand. Die Wittwe brachte die Sachen des Verstorbenen herbei, zeigte weinend
jedes einzelne Stück und dann wurde getanzt, geflötet und getrunken. Darauf
wurde in der Hütte das Grab gegraben und hier hinein die Reste des Ver-
storbenen gesenkt:
,Apr^ les avoir recouverts de terre, on met la veave sur la tombe: on lui anluve un
lambeau d'^toffe dont eUe B*e8t, pour la circonstance, recoaverte la poitrine. Elle se tient les
mains au-dessus de la tSte. Un homme s'avance et lui frappe les seins ä coaps de verge.
G'est le future mari. Les autres hommes lui donnent des coups sur les ^paules. Elle re9oit
cette flagellation sans se plaindre. Le novio (fianc^) re9oit ä son tour les coups de verge,
les mains jointes au-dessus de la igte et sans se plaindre. Apräs cette c^r^monie, ils placent
une auire fenime sur la tombe et lui traversent T^xtremit^ de la langue avec un os. Le
sang coule sur sa poitrine et un sorcier lui barbouille les seins avec ce sang. On lui donne
ä boire et le bal recommence."
Dieses Peitschen haben wir wohl als eine Art von Sühne aufzufassen, welche
den etwaigen Zorn des verstorbenen Gatten besänftigen soll.
Ein Sühne-Opfer etwas anderer Art finden wir nach Herrmann bei den
Wander-Zigeunern der Balkan-HalbinseL Wenn hier eine Wittwe wieder
heirathen will, so vergräbt sie kurz vorher in den Grabhügel ihres Gatten etwas
von ihrem Menstrualblute, sowie von ihren abgeschnittenen Haaren und Nägeln.
Wahrscheinlich giebt sie ihm also todte Theile, die ihm andeuten, dass sie nun
528 LXXII. Die Wittwe.
selber für ihn gestorben ist, während das noch lebend Zurfickgebliebene nun
Eigenthum des Neuvermählten wird.
Den Wunsch der Wittwe, bald wieder einen Lebensgefährten zu finden,
drückt das folgende in Albanien gebräuchliche Sprüchwort aus:
Die Nacht des heiligen Andreas (December) ist (unbeständig) wie der Sinn der yer-
wittweten Frau. fv. Hahn,)
Auch die Finnen haben die üeberzeugung, dass es einer grossen Zahl
ihrer Wittwen mit dem Wittwenthum nicht völlig ernst ist. Mehrere ihrer
Dichtungen geben uns hierfbr den Beweis (ÄUmann):
«Besser einem schlimmen Manne
Sich verbinden, denn als Wittwe
Einsam jeden Tag verleben,
Einsam jede Nacht verbringen.*
Und noch deutlicher wird das Bestreben der Wittwe, einen anderen Gatten
2U erwerben, in dem folgenden Verse zum Ausdruck gebracht:
, Zierlich ist der Gang der Wittwe,
L&chelnd sind der Wittwe Lippen,
Golden tönt der Wittwe Stimme,
Will sie einen zweiten Freier
Fangen, oder einen dritten.'
Wenn bei den Serben eine Wittwe sich wieder verheirathen will, so nimmt
sie Erde von dem Grabe ihres ersten Mannes und wirft sie unversehens über
jenen, den sie sich zum zweiten Gatten wünscht. {Krams.)
Bei den Omaha und einigen anderen Indianern Nord-Amerikas darf
die Wittwe nach frühestens 4 bis 7 Jahren eine neue Ehe eingehen, während die
Wittwe der Ghoctaw-Indianer schon nach 4 Monaten wieder heirathen darf.
Wenn bei den Afghanen eine Wittwe sich von Neuem verehelicht und
zwar mit einem Fremden und nicht mit dem Bruder ihres verstorbenen Gatten,
so ist der zweite Gemahl gezwungen, den Eltern des ersten Mannes einen Kauf-
preis zu erlegen.
Von den Chinesen berichtet Katscher:
«Es gehört keineswegs zum guten Ton, dass Wittwen sich wieder yerheirathen, und in
den besseren Kreisen tritt dieser Fall vielleicht nie ein. Eine Dame von Rang würde sich
durch das Eingehen einer zweiten Ehe einer Strafe von achtzig Stockhieben aussetzen. In
den niedrigeren Schichten der Gesellschaft jedoch yorm&hlen sich sehr viele Wittwen ein
zweites Mal. Der Grund ist in der Regel ihre Armuth. Für Wittwen vom Lande giebt es
in grossen Städten ünterkunftsanstalten, die in der Regel einer Heirathsvermittlerin gehören.
Heirathet eine Wittwe, so pflegt ein Bruder ihres ersten Gatten ihre Kinder zu sich zu
nehmen und zu adoptiren. Die Kinder aus ihrer zweiten Ehe werden oft als Sprösslinge
einer Buhlerin betrachtet.*
448. Die Wittwenrechte.
Wenn ich von den Rechten sprechen will, welche den Wittwen zustehen,
so liegt es mir fern, hier eine Reihe von Gesetzesparagraphen zusammenzubringen.
Es sollen vielmehr nur vereinzelte Andeutungen gemacht werden über die Stellung,
welche die Wittwen nun in ihrem ferneren Leben einnehmen. Auf Leti, Moa
und Lakor werden die Wittwen gut und wohlwollend behandelt, ebenso auf
Serang, wo man, wenn sie alt und ohne Mittel sind, sie mit allem Nöthigen
bereitwillig versieht. Bei den Ambon- und TJ Hase- Insulanern stehen die
Wittwen, wenn sie viele Kinder haben, sogar in hohem Ansehen. Im Serang-
lao- und dem Gorong- Archipel, auf Tanembar und den Timorlao-Insdn
wie auf Djailolo und Halmahera (Niederländisch Indien) werden die
Wittwen von den Blutsverwandten des Mannes unterhalten. Auf den Luang-,
448. Die Wittwenrechte. 529
Sermata- und B ab ar- Inseln m&ssen sie aber allein f&r ihren Lebensunterhalt
sorgen. {Riedel\)
Von Neu-Galedonien berichtet Moncelon:
,Le8 yenves restent ä la tribu, qaasd elles 7 ont du bien et de la famille; Bans qnoi
elles retoument k lear yillage natal. EUes restent ordinairement & la tribu du mari et donnent
leurs Services ä ceuz qui lear fournissent la nourriture.'
Stirbt in Persien ein Familienvater, so gilt als selbstverständlich, dass die
Wittwen und Waisen in das Haus seines Bruders übersiedeln und dort Unterhalt
und Pflege erhalten. Auch die Wittwe bei den Ghippeway-Indianern darf
ohne Weiteres das Haus ihres Schwagers beziehen, und dieser ist yerpflichtet, f&r
ihren Unterhalt zu sorgen. {McKenney.)
Wenn bei den alten Deutschen der Ehemann den festgesetzten Brautpreis
nicht erlegt hatte, so fiel nach seinem Tode das Eigenthumsrecht über seine
Wittwe, das mundium, ihrem Vater oder dessen Schwertmagen zu. {Grifnm\)
Bei den heutigen Serben und Kroaten hat nach Kraass die Wittwe das
Recht, ohne Bücksicht darauf, ob ihre Ehe mit Kindern gesegnet war oder nicht,
im Hause ihres Mannes zu verbleiben. Nur junge, kinderlose Wittwen kehren
zuweilen in ihr Elternhaus zurück. Man sieht dies aber mit scheelen Augen an.
Es gilt als Schande, und es hängt von dem guten Willen der Leute in dem Stamm-
hause ab, ob sie die Verwittwete wieder aufnehmen wollen. Die letztere sehnt
sich auch keineswegs, in das Elternhaus zurückzukehren, besonders wenn die Eltern
verstorben sind. Das Sprüchwort sagt:
«Wehe der Schwester, die anf die Knochen des Bruders angewiesen ist."
Nach Valenta übernehmen bei den serbischen Wöchnerinnen meistentheils
Wittwen die Pflege, ähnlich wie in der alten christlichen Zeit ihnen der wesent-
lichste Theil der weiblichen Diaconie zufiel. Bei den Japanern und auch in
Persien sahen wir die Wittwen in vielen Fällen als Hebammen fungiren. In
Bussland hat man für die Wittwe die Bezeichnung Tschemitza, das heisst eigent-
lich Nonne, bedeutet aber auch ein in der Welt alleinstehendes und ein Gott
geweihtes Leben führendes Frauenzimmer. Daher fallen auch alte Jungfern und
eheverlassene Frauen unter diesen Begriff. Diese Klasse der Bevölkerung ist durch
stilles Leben, Fleiss und Thätigkeit ausgezeichnet und sorgt meistentheils selber
für ihren Lebensunterhalt.
Ganz besonders ungünstig ist eine Wittwe in Indien gestellt:
,War sie als Hausmatter Gebieterin über die Kinder und olle weiblichen Insassen im
Haushalte, so wird sie jetzt bis zur Ueberbürdnng mit den unsaubersten h&nslichen Arbeiten
beladen, dabei werden solche Dienste nicht erbeten, sondern man befiehlt sie in die Küche,
zum Kehren der Hausflur, zur Wartung der Kinder; sie soll das Brod verdienen, was sie ver-
zehrt. Da sie als Wittwe keinerlei Schmuck zu tragen berechtigt ist, so findet sich schnell
ein liebevoller Verwandter, der sich erbietet, ihr ihre Preciosen aufzuheben, und sie in seinem
eigenen Interesse verwerthet. Das Qesetz, nach dem das gesammte VermOgen des Mannes
an die Wittwe fällt, suchte man lange Zeit so auszulegön, dass ihr höchstens der Niess-
brauch desselben zustehe. Auch suchte man sie um diesen noch zu betrügen, indem man
durch falsche Zeugen beschwören liess, dass sie ihrem Manne die Ehe gebrochen habe, wohl-
verstanden nach dessen Tode. Sie ist gezwungen, ihm die eheliche Treue zu halten ihr
ganzes Leben hindurch, und jede Unkeuschheit macht sie ihres Erbrechtes verlustig. Eine
Wittwe mit Vermögen war daher nie vor einer Anzeige wegen Unkeuschheit sicher, und
mehr als die Hälfte aller vorgebrachten Thatsachen wurden durch meineidige Zeugen er-
härtet. Auch das ist nun durch die englisch-indischen Gesetze anders geworden.'
(Sehlagintweit.J
Bei den Irokesen und Delawaren erbt eine Wittwe überhaupt gar nichts,
da die Verwandten des verstorbenen Ehemannes Alles, was diesem gehörte, an fremde
Leute vertheilen, damit sie nicht durch den steten Anblick der Hinterlassenschaft
an den Todten erinnert werden. (Loskiel) Auch bei den Ostjaken geht die
Wittwe bei der Erbschaft leer aus. {Castri.) Hingegen erhält sie bei den Ambon*
Ploaa-Bartels. Dm Weib. 5. Anfl. II. 84
530 LXXII. Die Wittwe.
und U Hase- Insulanern die freie Verfügung über die bewegliche und unbeweg-
liche Habe. Mit ihrer Zustimmung können aber die Waffen, Fischereigeräthschaften
und Fahrzeuge unter die Söhne vertheilt werden. Der Antheil der Töchter, der
Hausrath, die Gold- und Silbersachen bleiben in ihrem Gewahrsam. Unyerheirathete
Kinder bleiben bei der Mutter, yerheirathete haben aber überhaupt kein Anrecht
mehr an die Erbschaft, jedoch kann sie die Mutter an dem Ertrage der Pflanzungen
Antheil nehmen lassen.
Die Patasima auf Serang haben den Gebrauch, das» die Wittwe mit den
Kindern gemeinsam den Nachlass benutzt, ohne dass derselbe vertheilt wird. Gbnz
ähnlich ist es bei den Patalima auf derselben Insel; jedoch nehmen yerheirathete
Töchter, für welche der Brautschatz richtig gezahlt worden ist, an dem Niess-
brauche nicht Theil, wohl aber, wenn keine Kinder da sind, die Verwandten des
Mannes. Auch heirathet von diesen letzteren nicht selten einer die Wittwe, da-
mit der Besitz nicht in fremde Hände übergeht. Auf den Tanembar- und
Timorlao-Inseln erbt die Wittwe Alles und hat gleichzeitig die Vormundschaft
über die unmündigen Kinder; auf den Luang- und Sermata-Inseln erbt sie ge-
meinsam mit den Kindern. Wenn sie aber wieder heirathet, so gehen ihre An-
sprüche auf den ältesten Sohn über. Das letztere gilt auch für die Insel Eetar.
Wenn auf den Seranglao- und Gorong-Inseln die Wittwe eine zweite Ehe
einzugehen verlangt, so muss der Nachlass vertheilt werden; wenn sie aber bereits
während der 140 Tage dauernden Trauerzeit heirathen will, dann geht sie aller
Erbschaftsrechte verlustig. Bei den Tanembar- und Timorlao-Insulanern ver-
bleibt der Brautschatz, wenn die Wittwe sich von Neuem verheirathet, ihren
Kindern, und der zweite Gatte ist verpflichtet, ihren Eltern ein, wenn auch nur
geringes Geschenk zu machen. Da auf den Keisar-Inseln eine Wittwe, welche
eine neue Ehe eingeht, alle ihre Erbansprüche verliert, so bleiben hier die meisten
Wittwen unverheirathet (Riedel^)
Auf den Gilbert-Inseln haben nach Parkinson die Wittwen die Niess-
nutzung des hinterlassenen Vermögens, bis die Ejnder erwachsen sind; diese
letzteren sind aber die Erben.
Doolittle macht uns mit einem besonderen Ehrenrechte bekannt, das den
chinesischen Wittwen zusteht. Er sagt:
.Ehrentafeln und Portale werden bisweilen zam Gedächtniss tugendhafter Wittwen
errichtet, welche mit kindlicher Ergebenheit den Eltern und dem Gatten zugethan waren.
Diese Tafeln werden aus einem feinen schwarzen Stein oder aus gewöhnlichem Granit ge-
fertigt und ruhen gewöhnlich auf vier mehr oder weniger sorgfältig gearbeiteten Pfosten von
15—20 FuBS Höhe und einigen horizontalen Kreuzbalken, ebenfalls von Stein. Inschriften
werden bisweilen auf den aufrechten und dem Ereuzbalken zum Preise der Keuschheit und
der kindlichen Treue eingegraben. Nahe der Spitze finden sich stets zwei chinesische
Zeichen, welche bedeuten, dass dies mit kaiserlicher Erlaubniss errichtet wurde. Solche
Portale kosten Ton wenigen Zehnem bis zu mehreren Hunderten von Dollars, je nach ihrer
Grösse, ihrem Material und ihrer Feinheit. Der keuschen und kinderlosen Wittwe wird, wenn
sie lebend ihr fünfzigstes Jahr erreicht hat, zu ihrer Ehre eine Tafel errichtet, vorausgesetzt^
dass sie einflussreiche und begüterte Freunde hat. Nachdem man durch die besonderen
Mandarinen bei dem Kaiser die Anzeige gemacht und die Erlaubniss erhalten hat, begleitet
die kaiserliche Erlaubniss eine kleine Qeldsumme, um bei den Kosten fQr Errichtung der
Tafel mitzuhelfen. Von ihren Freunden und Verwandten erwartet man, dass sie dazu
steaem, was ausser der kaiserlichen Schenkung zur Errichtung nöthig ist. Ist das Portal
vollendet, dann gehen einige Mandarinen niederen Ranges dahin, um ihre Verehrung zu er-
weisen, und wenn die Vollendung bei Lebzeiten der Wittwe Statt hat, deren Erinnerung
und Beispiel es gewidmet ist, so ist es Gebrauch, dass auch sie hingeht und ihm ihre Ver-
ehrung erweist."
«Die Wittwen und die keuschen und unverheiratheten Mädchen, welche bei dem Tode
ihres Gatten oder Verlobten Selbstmord begingen, werden ebenfalls in Üebereinstimmung mit
den Landesgebräuchen auf einer Ehrentafel verzeichnet, wenn sie Freunde und Verwandte
haben, welche willig und im Stande sind, die kaiserliche Erlaubniss zu erlangen und die zu
448. Die Wittwenrechte.
531
In Wirklichkeit
der kaiserlichen Gabe für die Errichtang nothwendige Summe zuzuschiessen
ist aber für Wenige solche Gedächtnisstafel errichtet.*
Solch einen Wittwen-Ehrenbogen führt die Fig. 392 vor. Er befindet sich
in Peking.
Der Name dieser Ehrenportale ist in China Pai-Iu. Auf der Insel
Hainan, wo sie nach Georgetsch ebenfalls gebräuchlich sind, heissen sie Pai-
fang. In Ningpo, einem berühmten Seehafen der chinesischen Provinz
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51
3S
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60
Tsche-kiang, existirt eine lange Strasse, welche ausschliesslich aus derartigen
Bauwerken besteht. Sie sind sämmtHch in Stein aufgeführt und von reicher und
majestätischer Architektur. Ihre Aussenseite ist mit Skulpturen von grosser
Schönheit bedeckt.
Ein hartes und sehr grausames Loos erwartet nach Danks die Wittwen auf
der zu Neu-Britannien gehörigen Insel Duke of York. Ein Missionar be-
stätigte ihm, dass es hier Sitte ist, dass die Männer die Wittwen beanspruchen. Sie
34*
532 LXXU. Die Wittwe.
werden allgemeines Eigenthum. Danks hält es, durch gewichtige Gründe gestützt,
ft&r sehr wahrscheinlich, dass der gleiche Gebrauch auch auf der grossen Insel
Neu-Britannien in Kraft ist.
449. Das Schein- Wittwenthnm.
Als oben von der alten Jungfer gesprochen wurde, da haben wir gesehen,
dass ihr Loos recht oft ein wenig beneidenswerthes ist, und von der Yomehmen
Russin sagt v. Schweiger-Lerchenfeld^ wenn sie ein gewisses Alter überschritten
hat, ohne dass sich ein Gatte fand, der sie heimgeführt hätte, so ist sie in
der guten Gesellschaft formlich geächtet und dem Spotte ihrer Standesgenossen
ausgesetzt.
Dieser Schande zu entgehen, hat man einen ganz absonderlichen Ausweg
gewählt, den man als das Schein-Wittwenthum bezeichnen kann. Mit dem-
selben hat es folgende Bewandtniss:
,In Russland, der Heimath so vieler absonderlicher Dinge, besteht denn auch eine
Einrichtung, die man nirgend sonstwo in der Welt wiederfindet: das ledige Wittwen-
thnm. Mit Bangen sieht das Mädchen seinen Lebensfrühling dem Ende sich zuneigen. Alle
Versuche, das grosse Loos der Ehe zu gewinnen, hahen fehlgeschlagen, alle Anziehungskünste
das Beharrungsvermögen spröder Männerherzen nicht zu überwinden vermocht. In der Ge-
sellschaft, in der sich die Unglückliche bewegt, macht sich bereits die Befürchtung geltend,
es könnte dem armen Geschöpfe das unerhörte passiren, eine alte Jungfer zu werden. Da-
gegen giebt es ein Recept, das freilich der Betheiligten kaum Befriedigung gewähren dürfte,
und dieses Recept führt zum „ledigen Wittwenthnm'*. Eines Tages vernimmt die Gesell-
schaft, Fräulein habe eine Reise oder eine Wallfahrt ins Ausland angetreten. Hat die Be-
treffende Vermögen, so wird sich an diese fromme Fahrt wohl auch eine kleine Vergnügungs-
reise schliessen, die dann, mit einem vorübergehenden Aufenthalte in Paris oder Nizza,
Alles in Allem zwei oder drei Jahre beanspruchen wird. Nach Ablauf dieser Zeit erscheint
der weibliche Flüchtling unversehens wieder in Mitten seiner alten Bekannten, und zwar
weder als Mädchen, noch als Frau, sondern als Wittwe. Wer ihr Mann gewesen und welchen
Schicksalsschlägen sie mittlerweile ausgesetzt war, bildet in der guten Gesellschaft Russ-
lands niemals den Gesprächsstoff, wodurch die „ledige Wittwe'* der Unannehmlichkeit, die
Wahrheit eingestehen zu müssen, in allen Fällen entgeht. Dass in den betroffenen Kreisen
gerechte Zweifel über das Wittwenthum der Wallfahrerin und Vergnügungsreisenden obwalten»
braucht wohl nicht erst besonders hervorgehoben zu werden.*'
LXXIII. Das Weib nach dem Aufhören der Fortpflanzungs-
fähigkeit.
450. Die Wechseljahre des Weibes. (Das Slimakterium.)
Wenn wir die Frage aufwerfen, bis zu welchem Lebensalter die Fort-
pfianzungsfahigkeit des Weibes andauert, so müssen wir dieselbe dahin beant-
worten, dass, so lange bei einer Frau die Menstruation in regelmässiger Weise
wiederkehrt, von krankhaften Veränderungen selbstverständlich abgesehen, die
Möglichkeit einer Befruchtung nicht ausgeschlossen ist; wenn aber ihre monat-
lichen Blutungen aufgehört haben, dann muss man sie im Allgemeinen für fort-
pflanzungsunfahig erldären. Den Zeitpunkt in dem Leben des Weibes, in welchem
die Menstruation ihr Ende erreicht, bezeichnet man als die Wechseljahre oder
das Klimakterium. Dasselbe tritt in einer Reihe von Fällen plötzlich ein,
d. h. diese Frauen haben ihren Monatsfluss bisher in regelmässiger Weise gehabt,
derselbe bleibt aber bis zu dem nächsten Termine aus und kehrt nicht mehr
wieder. Es hat aber den Anschein, als wenn dieser Modus der seltenere wäre.
Gewöhnlich hat vielmehr das Klimakterium bestimmte Vorboten: die bisher regel-
mässige Menstruation wird ohne nachweisbare Gründe unregelmässig; bald macht
sie längere Pausen, bald erscheint sie schon nach viel kürzeren Zwischenräumen
wieder, bald ist die ausgeschiedene Blutmenge geringer, gewöhnlich aber um
Vieles reichlicher als früher, und nachdem diese Unregelmässigkeiten mehrere
Monate oder selbst einige Jahre lang angedauert haben, tritt die definitive Meno-
pause ein. Für gewöhnlich haben die Frauen während dieser Periode eine ganze
Reihe von Unbequemlichkeiten und abnormen Sensationen durchzumachen, welche
man in Kürze als Wallungen zu bezeichnen pflegt.
Man darf nun aber dieses Aufhören der Fortpflanzungsfahigkeit durchaus
nicht mit einem Aufhören der Begattungsfahigkeit identificiren wollen. Denn
diese letztere, verbunden mit dem Geschlechtstriebe, pflegt das Klimakterium ge-
wöhnlich noch um eine ganz erhebliche Zeit zu überdauern, und dass sie bisweilen
bis in das sechste Jahrzehnt hineinreicht, dafür sind wohlbeglaubigte Beispiele
bekannt geworden.
Wir kehren aber wieder zu unserer Frage zurück: wann ist nun eigentlich
der Zeitpunkt des Klimakteriums ? Es steht darüber noch verhältnissmässig ziemlich
wenig fest. Nur so viel hat man constatirt, dass bei den Gulturvölkem dieser
Termin ein sehr schwankender ist. Ob sich das aber bei den Naturvölkern in
ganz analoger Weise verhalt, darüber haben die bisherigen Beobachtimgen noch
keine Entscheidung bringen können. «Li dem von uns bewohnten Himmels-
striche, sagt Scanzoni^^ ist es das 45. bis 48. Lebensjahr, in welchem in der
Regel die menstruale Blutung für immer versi^.*^ Der alte Busch giebt hierfür
534 LXXIII. Das Weib nach dem Aufhören der Fortpflanzungsfähigkeit.
das 45. bis 50. Jahr, während der Verfasser von den Büchern des getreuen
Eckarth von dem 50. bis 53. Jahre spricht.
,,Im allgemeinen lehrt die Erfahrung, dass Frauen, bei welchen die Menstruation in
sehr früher Jugend, z. B. schon im 10. — 11. Lebensjahre, auftritt, gewöhnlich auch schon
früher als Andere in die klimakterische Periode treten, so dass die Menopause schon in das
40.— 42. Jahr f&Ut." (Scanzon^J
Dagegen behaupten wieder andere Beobachter gerade umgekehrt, dass Frauen,
bei denen die Menstruation erst spät eintrat, sehr früh das Klimakterium erreichen,
während sehr frühzeitig menstruirte Weiber ihre Regel bis in verhaltnissmässig
späte Lebensjahre behalten.
Gewisse Beobachtungen sprechen dafür, dass in den niederen Standen die
Menstruation früher versiegt, als in den höheren. Das glaubt Krieger behaupten
zu können und auch Mayer fand für Berlin die Menopause von fVauen höherer
Stände mit 47,188 Jahren und von Frauen aus den niederen Bevölkerungsschichten
mit 46,976 J^ren, woraus also ein durchschnittlicher unterschied von 1 Monat
und 28 Tagen folgen würde. Hierbei ist daran zu erinnern, dass bei jenen die
erste Menstruation um etwa 1,31 Jahr früher erfolgt, wie bei den ärmeren Standen.
Für St. Petersburg stellte Weber fest, dass, wenn man f&nQährige Zeiträume be-
rechnete, auf die Jahre 30—36 =- 4,6 o/o, 35—40 — 14,0 o/o, 40—45 = 280,x), 45—50 — 41,4 o,V^
50 — 55 =» 12 o/o kamen. Im Durchschnitt war das 45,5 Jahr das Mittel f^r die Versiegung der
Menses; das Maximum aller Fälle traf auf das Jahr 45 mit 11,9%, dann 50 mit ll,50/o und
endlich 48 mit 11, 04 o/o. Die Masse der Menopausen föllt also auf die Jahre 40 — 50 in
St. Petersburg.
Mantegaeea hat f&r Italien interessante Untersuchungen angestellt, bei
welchen er die drei Hauptabtheilungen des Landes für sich gesondert in Betrach-
tung zog. Es zeigte sich, dass in Gesammt-ltalien die Cessation procentisch am häufig-
sten auf die Altersjahre 44—49 ftUt (44 = 9,6 o/o, 45 = 9,7 o/o, 46 - 10,9 o/o, 47 = 8,00,0,
48 » 9,40/0, 49 » 6,10/0). Hier macht sich nun ein klimatischer Einflnss bemerkbar: In
Nord-Italien cessiren die Menses procentisch am häufigsten schon in den Jahren 44, 45
und 46 (13,80/o, 8,50/0 16,90/o), in Mittel-Italien in den Jahren 45, 46 und 47 (9,60o,
14,00/0, 18,00/o), in Süd-Italien schiebt sich hingegen die Cessation so weit hinaus, dass Ton
dem Jahre 45 an, auf welches allerdings das Maximum fällt, eine weit grössere Prooentzahl
von Fällen als in Mittel- und Unter-Italien auf die spätere Zeit, namentlich auch auf
die Altersperioden von 50—60 Jahren fäUt (48 = 10,3 0/0, 49 = 7,3 0/0, 50 = 9,6 0/0, 51 «=4,70o,
52 » 3,70/0, 53 = 3,30/0 u. 8. w.)- Das wärmere Klima scheint demnach häufiger die Cessation
der Menses hinauszuschieben.
Die Türkinnen verlieren nach der Angabe Oppenheim^s mit 30 Jahren
ihre Regel.
Von den Frauen in Bosnien und der Hercegovina herichiet Boskietcic^^
dass sie mit 35 Jahren, Schübach von den Mainotinnen, dass sie schon mit
einigen 20 Jahren wie alte Frauen aussehen. Die Heirathen pflegen hier sehr
früh geschlossen zu werden. Auch von anderen Volksstämmen sahen wir bereits,
dass frühes Eingehen der Ehe von schnellem Altern gefolgt zu sein pflegt.
451. Die Matrone in anthropologischer Beziehung.
In dem Leben eines jeglichen Organismus sind wir im Stande, drei grosse
Abtheilungen zu unterscheiden: die Zeit des Wachsens und der Entwickdung,
die Zeit der Blüthe und die Zeit des Verfalls. Man kann diese drei Zeiten auch
als die Jugend, die Reife und das Alter des Individuums bezeichnen. Das Altern
des Weibes nimmt seinen Anfang zur Zeit des Klimakteriums. Wenn bei dem
Weibe »der Wechsel eintritt", wie die Frauen in Nord- Deutschland sich aus-
zudrücken pflegen, dann sind die Jahre ihrer Blüthe vorüber, sie ist zur würdigen
Matrone geworden.
Fig. 393. Abyssinierin im Matronenalter.
(Nach Photographie.)
536
LXXIII. Das Weib nach dem Aufhören der Fortpflanzangsfähigkeit.
Dieser wichtige Abschnitt in dem Leben des Weibes leitet sich nicht ein
ohne ganz erhebliche Umbildungen in ihrer ganzen äusseren Erscheinung. Dass
dieselben sowohl in Bezug auf den Zeitpunkt ihres Eintretens als auch in Bezug
auf die Grade ihrer Ausbildung nicht unerheblichen Abstufungen unterliegen, das
bedarf kaum noch einer besonderen Betonung. Kummer und Sorgen oder Wohl-
leben und behagliche Existenz, Kinderlosigkeit oder reicher Kindersegen bedingen
in diesen noch viel zu wenig studirten Zuständen nicht unerhebliche Unterschiede.
Es machen sich nun diese Veränderungen in den uns hier beschäftigenden
Lebensjahren an sämmtlichen Körperformen des Weibes bemerkbar. Dieselben
sind nicht zum kleinsten Theile bedingt durch eine nicht unbedeutende, bisweilen
sogar durch eine ganz erstaunliche Zunahme des Fettpolsters an allen' Theilen
des ganzen Körpers. Am auffallendsten erscheint dadurch, da ja die Bekleidung
das Uebrige verhüllt, an einer solchen Dame das Gesicht verändert, das namentlich
in seiner Wangengegend, aber auch in
der unteren Kinnregion viel massiger
und breiter erscheint als bisher. Man
erkennt aber auch ganz deutlich, dass
die Taille gegen früher nicht uner-
heblich an Umfang zugenommen hat
und dass überhaupt der gesammte
Mittelkörper, und ganz besonders die
Hüften und die Gesässregion um
Vieles dicker und breiter geworden
sind. So ist es in sehr vielen Fallen
möglich, schon bei dem Anblick von
hinten her, wenn künstliche Auflagen
das Bild nicht verschleiern, einen un-
geföhren Rückschluss auf das Lebens-
alter der betreffenden Frau zu wagen.
Der Völksmund hat für diesen Fett-
ansatz die Bezeichnung Matronen -
speck erfunden.
Es ist ja nun allerdings gerade
das Unterhautfett, welches oei dem
jugendlichen weiblichen Körper den
ganz eigenthümlichen Beiz der Formen
verursacht und ihm die auf das Auge
des Mannes so angenehm wirkenden Rundungen verleiht. Man könnte nun wohl
versucht sein zu glauben, dass, wenn gegen die Jahre des Klimakteriums hin von
Neuem eine Zunahme des Unterhautfettgewebes sich constatiren lässt, nun auch
in ähnlicher Weise, wie bei dem eben aufgeblühten Mädchen, die Rundungen der
Formen sich nachweisen lassen müssten. Aber wie anders wirkt diese reichlichere
Fettansammlung bei der Matrone! Die an Gummi erinnernde Straffheit and
Elasticitäty welche uns die fettreichen Theile der jungen Mädchen bieten, sind
vorüber; die die einzelnen Fettläppchen zu gleicher Zeit trennenden und stützenden
Bindegewebszüge sind schlaff und leicht dehnbar geworden. Das ist der Gründe
warum die Wirkung der Schwere, der in der Jugend die Elasticität der Gewebe
einen hinreichenden Widerstand entgegensetzt, sich in so übermässiger Weise
geltend macht. Dadurch erhalten sämmtliche Körperregionen in ihren Formen
etwas Verschobenes, etwas nach abwärts Gedrücktes und nach den Seiten Hervor-
quellendes.
Betrachten wir in erster Linie das Gesicht, wofür das Beispiel einer Maori-
Frau aus Neu-Seeland vorgeführt werden möge (Fig 394), so erscheinen die
Wangen gleichsam herabgerutscht. Während sie in der Zeit der Jugendfrische
Fig. 394. Maori-Frau (Neu-Seeland) im Matronen-
alter.
(Nach Photographie.)
451. Die Matrone in anthropologischer Beziehung.
537
schon von dem unteren Rande der Augenhöhle an ihre Wölbung beginnen und
ihre grösste Breite ungefähr in der Höhe zwischen dem Munde und der Nase
haben, so fangt nun bei der älteren Frau die Wangenwölbung erst an' dem
unteren Rande des Jochbogens an, erleidet aber noch entsprechend der Zahnreihe
Fig. 395. Deutsche Fran im M atronen alt ermit Fettleibigkeit.
(Nach Photographie.)
eine seichte, quere Einfurchung, welche um so tiefer und breiter ist, je mehr
Backzähne bereits schadhaft geworden oder verloren sind, und erreicht ihre grösste
Breite in der seitlichen Unterkieferregion, der sich dann, nur wenig vermittelt,
die starke Fettauspolsterung des Bodens der Mundhöhle als sogenanntes Doppel-
kinn anschliesst.
538
LXXIIl. Das Weib nach dem Aufhören der Fortpflanzungsfähigkeit.
Durch diese Verschiebung der Wange nach unten erscheint die Augenhöhle
grösser und vertiefter, nicht selten blau oder schwarzbläulich schimmernd, und
gleichzeitig werden die Weichtheile von dem Nasenrücken her, welche früher flach
und sanft in die obere Wangenpartie und in den unteren Äugenhöhlenrand aus-
liefen, jetzt weiter nach abwärts in die Wange gezerrt und erscheinen nun jeder-
seits als ein schräg von der Nase her nach aussen und unten strebender, scharf
abgegrenzter Wulst. Dadurch erscheint die Nasen-Lippenfurche breiter und tiefer
als bisher und reicht auch etwas weiter herab. Die Mundpartie verliert das
Schwellende der Jugend; die Oberlippe wird abgeflacht und bekommt dadurch
etwas Eckiges, während bei der Unterlippe sich die Neigung geltend macht, sich
ein klein wenig vorzustrecken und leicht nach aussen umzuklappen. Durch di^se
Veränderungen wird der Mund im Ganzen etwas verbreitert.
An dem äusseren Augenwinkel finden sich die als Gänsefüsschen bezeich-
neten kleinen Querfaltchen ein; die Haare verlieren hier und da ihren Farbstoff,
werden grau und fallen auch wohl aus; aber eigentliche Kahlköpfigkeit, die wir
bei den Männern des gleichen Alters so überaus häufig finden, ist bekannter-
maassen bei dem weiblichen Geschlechte sehr selten.
Während die Haare nun an ihrem Pigmente eine Ein-
busse erleiden, nimmt die Haut des Gesichtes hieran be-
trächtlich zu. Gelbe und selbst braune Verfärbungen treten
an der Stirn und an den Schläfen auf, während die Wangen-
beinregion und die Nasenspitze nicht selten eine eigen-
thümliche Röthe annehmen, welche an das Kupferfarbene
erinnern. Wenn ich nun noch hinzufüge, dass sehr häufig
hier und da im Gesichte warzenartige Verdickungen und
vereinzelte borstenähnliche Haare hervorsprossen, dann habe
ich wohl Alles geschildert, was für das Antlitz einer Frau
in den Wechseljahren als charakteristisch bezeichnet zu
werden verdient. An unserer Maori-Frau (Fig. 394) sind
alle die besprochenen Eigenthümlichkeiten sehr deutlich zu
erkennen.
An den Extremitäten, an den oberen sowohl als auch
an den unteren, hat durch die reichlichere Fettablagerung
natürlicher Weise ebenfalls der Umfang zugenommen. Aber
auch hier wieder macht sich der Mangel an Elasticität
geltend, so dass bei jeder Lageveränderung der Gliedmaassen
sich die natürlichen, durch die Rundungen der Jugend ver-
wischten Trennungsfurchen zwischen den einzelnen Muskel-
gruben deutlich markiren. Dadurch erhalten die Glieder
etwas Plattes, Breites, an die Bewegungen eines zähen
Teiges Erinnerndes. An den Beinen sin<jl gar nicht selten
die Venen stark erweitert und treten als bläulichrothe, ver-
ästelte Zeichnungen oder als starke, geschlängelte, wurm-
ähnliche Verdickungen, als sogenannte Krampfadem, aus der
Fläche der Haut hervor. Bei dickeren Personen treten an
den Beinen durch das Unterhautfett gebildete Querwülste auf, wie sie die
deutsche Frau in Fig. 395 zeigt.
Die Brüste bilden in vielen Fällen nur noch lange, schlaffe Hautduplikaturen,
an deren unterster Partie die Reste der Brustdrüse als eine kleine knollige Ver-
dickung erscheinen. Die Frau von den Marianen-Inseln, welche Fig. 396 vor-
führt, lässt diese Verhältnisse gut erkennen. Aber auch selbst wenn die Brüste noch
voll und fettreich sind, hängen sie mehr oder weniger herab und geben das Bild
eines unvollständig mit Sand gefüllten Beutels, d. h. sie erscheinen in ihrer oberen
Abtheilung flach, während sich ihre unterste Partie rundlich und nach den Seiten
Fig. 396. Aeltere Frau von
den Marianen-Inseln mit
hängenden Brüsten.
(Nach Photographie.)
451. Die Matrose in anthropologischer Beziehung.
539
yerbreitemd hervorwölbt. In manchen Fällen nimmt das Herabhängen der colos-
salen Brüste ganz gewaltige Dimensionen an, und nur mit einer gewissen An-
strengung vermag die Frau sie in die Höhe zu halten. (Fig. 397.) Der grosse
4
Fig. 397. Abysainierinim Matronenalter. (Nach Photographie.)
knotige Warzenhof und die meist ebenfalls grosse und unförmige Warze thut
das Ihrige dazu, um den Anblick zu einem wenig erfreulichen zu machen. Bei
solchen übergrossen Brüsten wird die Warze aber meist nur sichtbar, wenn man
die Brust in die Hohe hebt, denn das nach unten gesunkene Fettgewebe der
540
LXXIII. Das Weib nach dem Aufhören der Fortpflanzungsföhigkeit.
Brust drangt den Warzenhof und die Brustwarze nicht nur nach unten, sondern
die letzteren werden hierdurch auch noch ein wenig gegen den Brustkorb hin umge-
kippt Daher sind sie bei der Betrachtung der Frau von vorne her nicht zu sehen.
Der Bauch , nicht selten durch alte Schwangerschaftsnarben entstellt, hat
f&r gewöhnlich einen besonders reichlichen Antheil an der allgemeinen Fett-
zunahme erhalten. In Folge dessen wölbt er sich stark hervor und bildet, wenn
die Frau in aufrechter Stellung sich befindet,
nach unten und namentlich nach der Leisten-
gegend zu wammenartige Fettwülste. Auch um
den Nabel herum pflegen meist klumpige Fett-
massen sich zu markiren.
Den letzteren Zustand zeigt das Mincopie-
Weib von den Süd-Andamanen, das wir in
Fig. 398 kennen lernen. Hier wölbt sich das
Fett um die Nabelgegend derartig hervor, dass
es einen Anblick gewährt, als wenn dem Bauche
noch ein zweiter aufgesetzt wäre. Allerdings
lässt die doppelte Umgürtung des Körpers, deren
eine um die unteren Rippen, die andere um das
Kreuzbein und die Leisten gelegt ist, den Bauch
noch besonders stark hervortreten. Auch die
starke Fettablagerung an den Oberschenkeln und
Hinterbacken ist an dieser Person sehr deutlich
bemerkbar, während die welken Brüste wie ein
Paar grosse, leere Hauttaschen tief bis über die
Herzgrube herunterhängen.
Der Rücken erscheint in dem Matronenalter
runder, aber aiich krummer, als in der Jugend,
und bei einiger Fettleibigkeit treten am unteren
Theile des Brustkorbes, sowie namentlich über
den Hüftbeinkämmen erhebliche Speckwülste her-
vor. (Fig. 395.)
Das dicke, gewaltige Gesäss macht trotz
seiner ungeheuren Massigkeit doch nicht einen
runden, kugeligen, sondern mehr einen dreiseitigen Eindruck. Denn gerade hier
macht sich nicht selten die Einwirkung der Schwere auf die Fettmassen beson-
ders kenntlich. Die letzteren sinken nach unten und weichen seitlich aus und
geben das Bild, als wenn jederseits dicht oberhalb der Gesässschenkelfalte eine
horizontale Schlummerrolle angebracht wäre, welche beträchtlich nach aussen über
die Seitenlinie des Oberschenkels hinausragt. An dieser Verbreiterung nach unten
haben nämlich dann auch die Fettmassen der Oberschenkel Theil, welche von der
Gegend der Trochanteren zu den untersten Partien der EQnterbacken hinüber-
reichen. In anderen Fällen aber entwickelt sich das Unterhautfett in der Höhe
der unteren Kreuzbeinregion ganz besonders stark, so dass es namentlich dicht
unterhalb des Hüftbeinkammes jederseits sich hervorwölbt und unmittelbar mit
dem vorher erwähnten Schenkelfett in der Gegend der Trochanteren in Verbindung
tritt. Dann erscheint die obere Hälfte der Gesässgegend stärker entwickelt und die
untere Abtheilung der Hinterbacken ist dann wenig hervortretend und macht den
Eindruck, als wären die Hinterbacken von den Seiten her gegen die Medianlinie zu-
sammengepresst. Es besteht gar keine Aehnlichkeit mehr mit dem kugeligen, stark
nach hinten ausladenden Gesäss einer jungen Frauensperson, und über die ganze
Gesässfläche hin markiren sich eine grosse Zahl unregelmässiger Grübchen, "welche
durch die Anspannung von Fasern des Unterhautbindegewebes hervorgerufen "werden.
Alle die geschilderten Verhältnisse am Gesicht sowohl, als auch an dem
Fig. 386. Min copie- Matrone, Süd-Anda
manen. (Nach Photographie.)
452. Aeltere Anschauungen über die Anthropologie der Matrone.
541
Körper wird man auf den Figuren 393 bis 398 mit grosser Deutlichkeit wahr-
nehmen können. Fig. 395 betrifft eine Nord-Deutsche, während in den Figuren
393 und 397 eine alternde Abyssinierin dargestellt worden ist. Es ist beide
Male dieselbe Person, welche für die Amme des Negus ausgegeben wird. Wahr-
scheinlich aber gehört sie wohl dem Stande der herumziehenden Tänzerinnen an.
Alle diese geschilderten Veränderungen in der äusseren Erscheinung der
Frau treten nun nicht plötzlich und unvermittelt auf, sondern ganz allmählich
finden sie sich ein, und sogar nicht selten verstreichen mehrere Jahre, bis sie voll-
ständig zur Ausbildung gekommen sind. Auch hier ist für die anthropologische
Die Matrone (Seitenansicht).
(Nach Al^echi Dürer.)
Fig. 400. Die Matrone (Hinteransicht).
(Nach AlfirecAt Dürer.)
Forschung noch viel zu thun. Denn noch ist weder die Zeit, zu welcher diese
Umformungen beginnen, noch auch die Anzahl von Jahren, die sie zu ihrer Aus-
bildung bedürfen, ebensowenig wie die Reihenfolge, in welcher sie sich zeigen,
auch nur in ihren oberflächlichsten Anfangsgründen stadirt; und was wir von den
fremden Völkern ausserhalb Europas in dieser Beziehung wissen, das ist nun
namentlich so gut wie nichts.
452. Aeltere Anschauungen Aber die Anthropologie der Matrone.
Wiederholentlich sind wir schon den Schriften des ,, getreuen Eckarth* be-
gegnet. Auch unserem vorliegenden Thema hat derselbe seine Aufmerksamkeit
geschenkt und die verblühende Frau hat er mit den folgenden Worten geschildert:
542
LXXIII. Das Weib nach dem Aufhören der Fortpflanzungsfähigkeit.
, Gleichwie nun bey jungen Frauen, so lange das Geblüte seinen ordentlichen Gang hat,
alles in guter Flor und Bewegung ist, so verfällt bei denen Frauen, die ihre Blume verlohren
haben, aller Mut und Hurtigkeit. Die liebreitzende Coleur verändert sich in eine absterbende
Blässe, die zuvor ausgespannten Mäusslein und fleischigte Fibren werden schlapp, und kommen
Kuntzeln an statt voriger Glätte und Schönheit, ja die ganze Gestalt wird geändert, dass,
wo man die jetzige Gestalt mit ehemaliger Schönheit ponderirt, fast die gleiche Aehnlichkeit
kaum kann gefunden werden. Die Augen, die vormahls als die Falcken hier und dorthin
gepflogen, werden dunkel und verglässen sich. Die lieblichen Wangen fallen ein, die schönen
rund-geballten Brüste hängen ab, gleichen denen Schläuchen, die rubinene Leffzen werden
Rosinfarbe, braun und unscheinbar, der wohlgewachsene Rückgrad krümmet sich und beuget
mit ihm den aufgerichteten Hals: die schöne weisse Helffenbeinen gleiche Haut wird falb,
das Fleisch verschwindet von denen sonst angenehmen kaulichten Fingern und Füssen. Summa,
alles was ein Liebhaber ehemals vor schön gehalten, ist ihme nun zuwider, und erreget in
ihm vor Anmuthigkeit einen £ckel und Grausen.*
Das Bild, welches der getreue Eckarth uns hier entwirft, hat allerdings
manches Zutreffende. Es lässt sich aber nicht verkennen, dass auch einige erst
dem Greisenalter angehörende Zustände hier bereits mit hineingezogen sind.
Auch einem so geschickten Maler, wie es Alhrecht Dürer war, sind be-
greiflicher Weise diese anatomischen Eigenthtimlichkeiten an der zur Matrone ge-
reiften Frau vollständig zum Bewusstsein gekom-
men. In seinem Werke über die Symmetrie der
menschlichen Gestalt führt er uns auch die sche-
matischen Abbildungen einer Matrone vor, welche
den reichlichen Ansatz von Fett an allen Körper-
theilen erkennen lässt. Fig. 399 zeigt sie uns in
der Profilansicht. Der dicke Arm ist mit der
Schulter in besonderer Zeichnung daneben ge-
stellt. An der Brust erkennen wir das Bestreben,
sie als herabhängend darzustellen; die Hinter-
backen aber und auch der Bauch sind um Vieles
zu straff und prall dargestellt, sie müssten be-
deutend hängender erscheinen.
Auf der Hinteransicht Fig. 400 ist das schon
ein Wenig besser. Die Hinterbacken, welche bei
jungen Personen einen runden Umriss besitzen,
erscheinen hier als grosse, aufrechtstehende Ovale.
Hier ist also Dürer doch bemüht gewesen, das
Herabhängen anzudeuten. Sehr gut aber und
naturgetreu hat er die Fettwülste unterhalb der
Schulterblätter zur Anschauung gebracht.
Auf der Vorderansicht, Fig. 401, erscheinen
die Brüste zu wenig hängend und das Gleiche
gilt von dem Bauche, der fÖr gewöhnlich bei
so dicken Frauen in diesem Alter, wie Dürers
Abbildung sie uns vorführt, in seiner unteren
Hälfte soweit herabhängt, dass sowohl die Leisten-
furchen, als auch die Schamspalte mindestens
in ihrer oberen Hälfte von ihm verdeckt werden,
wenn man die Frau im Stehen betrachtet. Das
Herabhängen der fettreichen Haut an den Ober-
schenkeln ist schon etwas deutlicher zum Aas-
druck gekommen.
In neuerer Zeit hat der Anatom Brücke^
für Künstler einige Angaben gemacht, welche in
unser Thema gehören:
Fig. 401. Die Matrone (Vorderansicht).
(Nach Albreeht Dürer.")
453. Der Zeitpunkt des KUmakteriams bei ausserearopäiflchen Völkern. 543
, Volle Oberarme sind bei jagendlichen Individuen der höheren und mittleren Stände
ebenso selten, wie sie bei Frauen, welche sich in der sogenannten zweiten Blüthe befinden,
häufig sind. Früher war dies noch auffallender als jetzt, wo die Oberarme mancher junger
Mädchen in Folge von Leibesübungen besser entwickelt sind/
„Arm und Hand findet man an Frauen oft noch in grosser Schönheit in einem Alter,
in dem ihr übriger Körper nicht mehr zur Darstellung des Nackten geeignet ist. Ja bis-
weilen hat sich der Arm erst später so vortheilhafb entwickelt. '^
Ad der untersten Abtheilung des Nackens, entsprechend der Yertebra pro-
minens, findet Brücke auch eine beachtenswerthe Stelle:
„Hier bildet sich manchmal bei Frauen eine mehr oder weniger ausgedehnte Anhäufung
von fettreichem Bindegewebe. Sie ist an und für sich nicht entstellend, aber wenn es sich
nicht um die Darstellung einer Matrone handelt, müssen Maler und Bildhauer sich hüten, sie
anzudeuten, denn sie ist ein sicheres Zeichen des vorgerückten Lebensalters.''
453. Der Zeitpunkt des Klimakteriums bei aussereuropäischen Yölkern.
Was ich über die Eintrittszeit des Klimakteriums bei den verschiedenen
Völkern anzugeben vermochte, das habe ich in den vorigen Abschnitten bereits
zusammengestellt. Es stehen mir aber noch einige spärliche Angaben zu Gebote
über das Lebensalter, in welchem bei gewissen aussereuropäischen Nationen
das Verblühen des Weibes zu Stande kommt oder die Fähigkeit der Port-
pflanzung zu erlöschen pflegt. Natürlicher Weise können wir daraus noch keinen
sicheren Schluss ziehen, dass nun auch zu dem gleichen Zeitpunkte das Klimak-
terium, das Aufhören des monatlichen Blutflusses sich vollzogen habe. Nament-
lich lehrt, wie wir früher bereits gesehen haben, die Erfahrung, dass ein früh-
zeitiges Heirathen, besonders ein solches vor vollendeter Geschlechtsreife, ein schnelles
Verblühen zur Folge hat.
Ein schnelles Verblühen und frühzeitiges Erlöschen der Fortpflanzungs-
lahigkeit behauptet Schomhurgk von den Warrau-Indianerinnen in British-
Guyana und Burmeister von den Coroados-Indianerinnen in Brasilien.
Bei den ersteren ist ein frühes Heirathen gebräuchlich. Die Maori-Weiber
sollen nach Tuke mit 25 bis 30 Jahren bereits aussehen, als wären sie 40 bis
55 Jahre alt; der frühe geschlechtliche Verkehr ist bei ihnen wahrscheinlich
schuld an dem vorzeitigen Verblühen. Dagegen soll den eingeborenen Weibern
in Guba, welche nicht selten schon mit 13 Jahren Mütter sind, ihre Fähigkeit,
Kinder zu gebären, bis in das fünfzigste Jahr erhalten bleiben.
Nach Mayer-Ahrens hört die Menstruation bei den Indianerinnen von
Peru mit 40 Jahren, oft aber schon viel früher auf.
Von den Eskimo-Weibern des Gumberland-Sundes sagt SchliephaJce^
dass sie sehr früh altem; v, Haven hat für die Grönländerinnen das 40. Jahr
als dasjenige des Klimakteriums festgestellt.
Die Omaha-Indianerinnen hören nach Daugherty und die übrigen In-
dianerinnen des gemässigten Nord-Amerika nach Rusk im 40. Jahre zu
menstruiren auf, während nach Keating die Indianerinnen in Michigan bis
zum 50., ja selbst bis zum 70. Jahre ihre Regel behalten.
Bei den Chinesinnen währt die Menstruation nach Mondiere höchstens
bis zum 40. Jahre; bei den Japanerinnen dagegen bleibt sie nach Wemich bis
zum Ende der vierziger Jahre bestehen. Nach Kögel ist das in Java gebrauch*
liehe frühzeitige Heirathen daran schuld, dass die Javanerinnen selten noch nach
dem 85. Jahre schwanger werden, und von den Banganesinnen berichtet Fihke^
dass sie bereits im 20. Jahre aufhören, Kinder zu gebären. <^
Frühzeitiges Heirathen flnden wir auch bei den meisten afrikanischen
Völkern, und wahrscheinlich aus diesem Grunde macht eine Gabon-Negerin
schon mit 20 Jahren den Eindruck eines alten Weibes. (Giffon du BeUay.) In
544 LXXIII. Das Weib nach dem Aufhören der Fortpflanzongsfähigkeit.
dem gleichen Alter sind die Schangalla-Weiber bereits voller Runzeln und
haben ihre Empfangnissfähigkeit wieder verloren. Die Abyssinierinnen pflegen
mit 30 Jahren nicht mehr schwanger zu werden; dagegen sollen die Negerinnen
der Sierra Leone sogar noch mit 35 — 40 Jahren Kinder gebären.
Für die Woloff-Negerinnen fixirt de Bochebrune das 35. bis 40. Jahr
als die Zeit des Klimakteriums. Berchon behauptet, dass bei den Negerinnen
am Senegal dieser Zeitpunkt erst bei dem 60. Jahre läge. Man darf bei dieser
Behauptung wohl nicht die Schwierigkeiten unterschätzen, welche es bei so rohen
Nationen macht, einerseits diesen Termin überhaupt ausfindig zu machen und
andererseits das Lebensalter dieser Personen mit annähernder Genauigkeit fest-
zustellen.
Von den Weibern in Ober-Aegypten sagt Bruce^ dass sie nicht selten
schon mit 11 Jahren schwanger werden, mit 16 Jahren aber bereits älter aus-
sehen als eine sechzigjährige Engländerin.
454. Die Grossmutter,
Die vorher in ihren anatomischen und physiologischen Wirkungen geschilderte
Zeit des Klimakteriums, in welcher das Weib beginnt, in den Zustand einer „be-
jahrten Frau'' einzutreten, giebt ihr nicht selten eine ganz neue Würde in dem
Kreise ihrer Familie, sie wird zur Grossmutter. Wenn man auch wohl im
Allgemeinen die Neigung hat, sich unter einem Grossmütterchen eine Frau vor-
zustellen, welche bereits die höheren Jahre des Alters erreicht hat, so thut man
darin doch sehr unrecht. Denn selbst bei unserer Bevölkerung, wo die Ehen
nicht gerade in einem besonders frühen Alter geschlossen werden, ist es ja doch
gar nicht ungewöhnlich, dass Frauen gegen die fündiger Jahre hin, wenn ihre
ältesten Kinder weiblichen Geschlechts waren, auch schon in den Besitz von
Enkeln gelangt sind. Und gerade das erste Mal, wo die Frau sich zur Gross-
mutter geworden sieht, pflegt naturgemäss auf ihr ganzes Gemüth einen ganz
besonders tiefen Eindruck zu machen. Uebrigens kommt es ja doch auch, wenn
auch nicht gerade in grösserer Häufigkeit, so doch immerhin nicht gar zu selten
vor, dass das Grossmütterchen nach der Geburt ihres ältesten Enkels wohl selber
noch ein bis zwei Wochenbetten abhält.
Nun haben wir in früheren Abschnitten erfahren, dass man bei nicht wenigen
Völkern unseres Erdballs die Mädchen schon in sehr frOher Jugend zu verheirathen
pflegt, und dass sie nicht selten bereits Kinder gebären in einem Alter, in welchem
wir das Weib noch selber als ein Kind anzusehen gewohnt sind. Wenn nun
diese jungen Ehegattinnen mit 13 — 16 Jahren schon Mütter geworden sind, so
ist es ja auch natürlich, dass ihre eigenen Mütter sehr häufig bereits in den
dreissiger Jahren zu der Würde einer Grossmutter gelangen werden, wo bei uns
also das Weib noch einen vollberechtigten Anspruch auf die Bezeichnung als
junge Frau behaupten kann. Und in der That haben nicht wenige Reisende
uns von derartig jugendlichen Grossmüttem Kunde gegeben.
Das wechselseitige Yerhältniss zwischen den Grossmüttern und den Enkel-
kindern pflegt bei uns, wie ich wohl nicht erst aus einander zu setzen brauche,
ein ganz besonders inniges zu sein. Niemand weiss so in die Herzen der Kleinen
einzudringen. Niemand hat ein solches Yerständniss für die kleinen Schmerzen,
welche ihr Herz bewegen, als eine Grossmama. «Wie kommt es,** fragte einst
der Berliner Prediger Frommd, „dass die Grossmütter und die Enkel sich so
ganz besonders gut verstehen und in so reiner, ungetrübter Freude mit einander
verkehren?* und er beantwortete seine Frage selbst: „weil sie beide dem Hinunel
so nahe stehen: die Einen kommen eben erst von ihm her und die Anderen
kehren bald wieder dahin zurück.*
454. Die Orossmutter. 545
Dieses vortreffliche Einverständniss zwischen einer Grossmutter und ihren
Enkelkindern lässt sich in seiner psychologischen Grundlage sehr wohl verstehen.
Es haben sich in den meisten Fallen in dem Leben des Weibes, wenn die Jahre
des reifen Lebensalters heranrücken, recht erhebliche Veränderungen bemerkbar
gemacht. Ihre Kinder, deren Erziehung und Pflege einen so grossen und wich-
tigen Theil ihrer Thätigkeit in Anspruch nahm, sind meist schon ihren Händen
entwachsen und sind in die weite Welt hinausgezogen, oder sie haben ihren
eigenen Herd begründet. Der Gatte, welchem sie so lange Zeit mit treuer Für-
sorge den Hanshalt fährte, ist nicht selten bereits durch den Tod von ihrer Seite
gerissen« Ihr Hausstand ist durch alle diese Veränderungen ein sehr kleiner ge-
worden, dessen Besorgung die an eine fortwährend angestrengte Arbeit und an
einen grossen und sie voll befriedigenden Wirkungskreis gewohnte Frau nur noch
auf wenige Stunden des Tages zu beschäftigen vermag. Oft hat sie auch, durch
die Verhältnisse dazu genothigt, das eigene Heim aufgeben müssen und war ge-
zwungen, das ihr von den Kindern und Schwiegerkindem angebotene Stübchen,
wenn auch mit schwerem Herzen und mit Widerstreben, dankbar anzunehmen.
Da ist es nun kein Wunder, dass eine Leere und Oede sich ihres Herzens be-
mächtigt. Das Gefühl, den Kindern zur Last zu sein, die quälende Empfindung
der absoluten Nutzlosigkeit und Ueberflüssigkeit auf dieser Welt bemächtigt sich
ihrer mit unerbittlicher Gewalt und lässt sie doppelt schwer empfinden, was sie
einst besessen hat und was ihr jetzt unwiederbringlich entrissen ist.
Nun naht die aufregende Zeit heran, wo ihr das Enkelchen geboren wird.
Naturgemäss nimmt sie der Wöchnerin die Sorge für den Hausstand ab, und auch
die durch den neuen Erdenbürger unvermeidlich bedingte Last der Arbeit sucht
sie der jungen Mutter nach Möglichkeit zu erleichtem. Die Enkel entwachsen
den Säuglingsjahren; Grossmütterlein hat ihre unsicheren Schritte zu behüten;
sie spielt mit ihnen und muss ihnen Märchen erzählen. Jetzt wird es ihr zur
unbestrittenen Gewissheit, dass ihr wieder ein Lebensberuf erwachsen ist, und
wieder kommt die Befriedigung der Arbeit über ihre Seele. Ausserdem schwebt
der „Traum der eigenen Tage, die nun ferne sind' vor ihrem geistigen Auge vor-
über. Aber in ganz anderer Weise und in viel grosserer Ausgiebigkeit kann sie
sich jetzt den Enkeln widmen, ab ihr das bei ihren eigenen Eandem möglich
war. Denn damals hatte sie ihre Zeit zu theilen zwischen ihnen, ihrem Gatten
und ihrem Hausstande, jetzt aber gehört ihre ganze Zeit den Enkeln allein. Das
wissen diese auch gar zu gut; denn wenn Papa und Mama sich ihnen auch sehr
häufig nicht widmen können, Grossmütterchen hat immer Zeit für sie und bietet
stets ein aufmerksames Ohr für ihre kleinen Freuden und Bekümmernisse.
Noch Eins kommt hinzu. Die Eltern pflegen doch immer bei allem Thun
und Treiben der Kinder den pädagogischeu Standpunkt im Auge zu behalten,
und manches Verbot und mancher Verweis kann den Kleinen nicht erspart bleiben.
Das ist nun alles bei Grossmütterlein ganz anders; denn sie beschränkt sich in
ihren Vermahnungen gewöhnlich auf das allerkleinste Maass. In diesen Dingen
ist es begründet, dass das Verhältniss zwischen den Grossmüttem und den Enkel-
kindern ein so überaus inniges wird.
Ob das nun wohl bei den Naturvölkern das Gleiche ist? Wir wissen zu
wenig über deren inneres Familienleben, um diese Frage beantworten zu können.
Wenn wir aber sehen, wie bei den verschiedensten auf sehr niederer Culturstufe
lebenden Nationen die Grossmutter sogar zu der Säugamme der Enkel wird, wie
das ja oben ausführlich besprochen wurde, so werden wir wohl nicht irre gehen,
wenn wir in dieser Zärtlichkeit der Grossmütter gegen die Enkel und umgekehrt
der Enkel gegen die Grossmütter nicht ein Produkt der Givilisation, sondern
einen ganz allgemeinen Zug des menschlichen Gemüthes erkennen wollen.
PlosB-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. H. 35
546 LXXIII. Das Weib nach dem Aufhören der Fortpflanzangstilhigkeit
455. Die Schwiegermutter.
Und nun zu dir, du anne vielgeschmähte, stets verkannte Schwieger-
mutter. Die Sprache ist eigentlich viel zu arm, dass sie nur diese eine Be-
zeichnung besitzt. Denn von Rechtswegen müsste eigentlich die Schwiegermutter
des Mannes von der Schwiegermutter der Frau durch einen besonderen Ausdruck
unterschieden werden. Denn ihre Stellung zu den Schwiegerkindem, die Rollen,
welche sie in der Familie spielen, sind durchaus nicht gleichwerthige, und wie
es den Anschein hat, pflegt das Verhältniss zwischen der jungen Gattin und der
Mutter des Mannes gewohnlich das gespanntere zu sein. Das ist ganz besonders
in die Augen fallend, wenn der Mann der älteste oder gar der einzige Sohn einer
Wittwe ist, die schon in verhältnissmässig jungen Jahren den Ehegemahl verloren
hatte. Sie kann es nicht verwinden, dass sie jetzt das Herz ihres Sohnes mit
einer Anderen theilen soll, besonders da diese Theilung noch nicht einmal eine
redliche ist, sondern da sie bei derselben entschieden noch den Kürzeren zieht.
Denn ganz natnrgemäss hat jetzt der junge Ehegatte vielmehr Neigung, sich
mit seiner jungen Frau zu beschäftigen als mit seiner Mutter, und diese tritt
nun in die zweite Linie zurück. Wie anders war dies bisher, wo so viele Jahre
hindurch ihr Sohn ganz ausschliesslich ihr angehörte, wo sie alles mit ihm be-
sprechen und berathen konnte, wo sie für ihn die Mühe und Sorge, aber daftLr
auch mit ihm den steten Umgang hatte, kurz, wo er ihr gleichsam einen Ersatz
gewährte ftir ihren verstorbenen Ehemann!
Das ist nun unwiderruflich vorbei; eine Andere ist an ihre Stelle getreten,
und das verursacht selbstverständlich von vornherein eine Missstinmiung zwischen
den beiden Frauen. Trotz aller aufgebotenen Hingebung und Liebenswürdigkeit
vermag sehr häufig nicht die junge Frau den vorgefassten Groll der Schwieger-
mutter zu besänftigen und ihr Herz zu erobern. Stets hat die letztere die
Ueberzeugung, dass ihr Sohn eine unrichtige Wahl getroffen habe, dass seine
Gattin auf seine geistigen Interessen nicht in hinreichender Weise eingehe, dass
sie ihm nicht gewachsen sei, ihn nicht genügend verstehe, und dass sie in
keiner Weise hinreichend für ihn sorge. Das giebt nun einen Missklang, der
häufig während des ganzen Lebens nicht verhallt. Erheblich gemildert pflegt er
allerdings in vielen Fällen zu werden, wenn aus der Schwiegermutter eine Gross-
mutter wird.
Bei den Süd-Slaven hat nun des Mannes Mutter, wie wir durch Kratiss^
erfahren, vollkommen Recht, wenn sie behauptet, dass die junge Schwiegertochter
ihr des Sohnes Herz ent&emdet. Während der letztere ihr die treue Pflege,
welche sie ihm in den Jahren der Kindheit angedeihen Uess, durch strengsten
Gehorsam zu danken pflegt, der so weit geht, dass er sich durch der Mutter
Willen sogar zu einer Heirath gegen seinen Wunsch und gegen seine Liebe be-
. stinmien lässt, so wird das Alles ganz anders, sobald der Sohn eine Frau ge-
nommen hat. Das drücken auch verschiedene ihrer Sprüchwörterfragen (Pitalica
genannt) aus:
Sahen sich nach langen Jahren wieder einmal zwei Schwestern. Sprach die Aeltere
zur Jüngeren: «Bist Da aber glücklich, wie Dir Dein Sohn so z&rtlich that und Dich nicht
schlägt, so wie mich der Meine I*" Fragte darauf die jüngere Schwester: «Hast Du ihn
beweibt?" — ,0 schon l&ngsf — «Nun, ich habe den Meinigen noch nicht einmal
verlobt.*
Auch fragte man einen jungen Ehegatten: ,6is wann hast Du Deine Mutter z&rtlich
behandelt und geliebt?" Er antwortete: «Habe sie geliebt und gehalst immer, so lange, als
ich mich nicht beweibt hatte."
Den Ghrund für diese Erscheinung giebt die folgende Pitalica:
Es fragte der jüngere Bruder den älteren: ,Auf welche Weise versöhnst Du Deine
Mutter mit Deinem Weibe?" Er antwortete: «Besser ist es, selbst mit der Mutter, als mit
455. Die Schwiegermutter. 547
seinem Weibe sich za verfeinden, denn jede Mutter übt Gnade und Nachsicht, das Weib aber
ist rachsüchtig."
Die Quelle des Missyerhältnisses zwischen der Schwiegermutter und der
„Söhnerin'* ist leicht zu erkennen. Die junge Frau bezieht das Heim ihres
Mannes als Ersatzmännin ihrer Schwiegermutter. Nur das erste Jahr lässt man
sie nach dem Gewohnheitsrechte ihres jungen Lebens froh werden. Nach Ablauf
desselben tritt aber die Schwiegermutter in den Ruhestand, während der Schwieger-
tochter alle Lasten der Wirthschafb zufallen. Darum wird sie in einem süd-
slavischen Liede bei ihrem Einzüge in das Haus ihres Gatten von dessen Mutter
mit den Worten empfangen:
«Lob sei und Dank Dir, Gott und Herr!
Der Du ins Haus die Maid mir schickst,
Mir eine Stellvertreterin!"
Jedoch die Antwort der jungen Frau charakterisirt sofort die Stellung,
welche sie sich im Hause schaffen will:
„Gleich soll ich's Genick mir brechen, da vom Robs hinab,
Wenn wir Jahr für Jahr nicht wechselnd auf die Alpe zieh'n."
Und so scheint ftir gewöhnlich der Bath des jungen Gatten, welchen er
seiner Neuvermählten gab, nicht befolgt zu werden:
,Sei nicht ängstlich, Seele!
Ich will Dich berathen,
Wie Du meiner Mutter
Gunst erwirbst, o Seele!
Straft Dich je die Mutter
Mit bitteren Worten,
Spare jede Antwort.*
Denn oft tritt von vornherein die Schwiegertochter der Mutter ihres
Mannes feindselig entgegen, um sich möglichst viel Arbeit abzuschütteln. Darum
heisst es:
«DasB die Söhnerin träge ist, daran trägt die Schwiegermutter die Schuld,*
während die Schwiegertochter sich beschwert:
«Die Schwiegermutter erinnert sich nicht, dass sie eine Söhnerin gewesen,* —
ein Sprüchwort, das in ganz ähnlicher Fassung sich im Deutschen und auch
im Lateinischen wiederfindet.
Bei den Albanesen hat die Schwiegermutter eine sehr weitreichende Gewalt
über die Schwiegertochter, denn, wie v. Schweiger-Lerchenfeld sagt, kann bei der
Jugend des Ehemannes dessen Mutter sie auch gegen den Willen ihres Eheherm
behalten oder wegschicken.
«Daher ist die junge Frau ihren Schwiegereltern gegenüber äusserst dienstfertig und
liebenswürdig. Sie begleitet sie zur Ruhe und bleibt solange vor dem Lager stehen, bis sie
die Erlaubniss erh<, sich zu entfernen."
Die Albanesen haben das Sprüchwort:
„Die Schwiegermutter nahe bei der Thür ist wie der Mantel beim Dombusch.*
Bei den mittelasiatischen Türken und zwar im Speciellen bei den Kir-
gisen wird der jungen Frau nach Vambery schon frühzeitig Respect vor den
Schwiegereltern empfohlen. Er berichtet hierüber:
.Als von besonderem Interesse dünkt uns schliesslich das Leben der jungen Frau in
der Behausung ihrer neuen Anverwandten. Am Tage der Ankunft wird sie Abends in das
Zelt des Schwiegervaters gebracht. Zwei Frauen nehmen sie unter den Arm und führen sie
unter Begleitung vieler anderen Frauen in das Zelt, wo sie beim Eintritt drei Verbeugpmgen
zu machen und aus dem ihr dargereichten Fett- und Eumissschlauch einige Tropfen ins Feuer
zu giessen hat, nachdem sie vor dem Herde selbst sich dreimal tief verbeugte. Auf das Zischen
der Flamme rufen, die alten Weiber: ,Ot-aulia! Mai-aulia!* (0 ihr Heiligen des Feuers! Ihr
85*
548 LXXIU. Das Weib nach dem Aufhören der Fortpflanzungsf&higkeit.
Heiligen des Fettes!) Die junge Frau setzt sich links neben der Thür des Zeltes nieder, nnc
man singt ihr im üblichen Liede folgende Sätze vor:
Ehre Deinen Schwiegervater, er ist Dein Vater!
Ehre Deine Schwiegermutter, sie ist Deine Mutter!
Ehre Deinen Mann, er ist Dein Herr!
Sei nicht zänkisch u. s. w.
und nachdem sie die üblichen Gomplimente verrichtet, wird sie beschenkt zurück in ilir Z«h
gebracht.''
Die junge Hin du -Frau steht ebenfalls unter strenger Oberaufsicht der
Schwiegermutter, und ihr Spruch wort sagt:
,In der Gegenwart der Schwiegermutter, was ist da der Rang der jungen Frau?*
Die Kohls haben nach NottroU ein Lied, in welchem es heisst:
«Wenn die Schwiegermutter Dich auch schimpft,
Ja nicht, M&dchen, ja nicht
Hänge Dich dann auf."
Aber es scheint auch nicht an erheblichen Anforderungen zu fehlen, welche
man an solche Hindu- Schwiegermutter stellt. Das ersehen wir aus anderen
Spruch Wörtern:
«Die Schwiegermutter hat nicht einmal Beinkleider, und die junge Frau verlangt
ein Zelt und Schirme/
«Die Magd der Schwiegermutter ist die Sdavin von Allen.*
»Die Schwiegermutter ist nach ihrem Dorfe gegangen, und die junge Frau &a^:
Was soll ich essen?'' {v, Heinsberg -Düringsfeld,)
Bei der Pulayer- Kaste in Malabar gehört es zu den Obliegenheiten der
Schwiegermutter, die Schwiegertochter zu entbinden, und auf den Tanembar-
und Timorlao-Inseln geht die junge Frau, schon wenn sie schwanger wird, in
die specielle Pflege der Schwiegermutter über.
Es wurde früher schon auf die Berichte hingewiesen, welche Hering über
die in Japan gebräuchlichen Bücher gegeben hat, die ganz speciell für die
Leetüre der jungen Mädchen und der jungen Frauen bestimmt sind. In denselben
spielt die Besprechung der Pflichten gegen die Schwiegermutter eine ganz herror-
ragende Rolle:
„Im Skogaku lesen wir: „So lange die Frau im Eltemhause bleibt und ihrem Vater
dient, ist ihr Vater fclr sie der Weg zum Himmel; dient sie einem anderen Herrn, so ist dieser
für sie der Weg zum Himmel, und verheirathet sie sich, so ist ihr Schwiegervater und ihre
Schwiegermutter der Weg zum Himmel.' Das Onna Daigaku beginnt mit den Worten:
„Die Jungfrauen haben die Bestimmung, aus ihrem Eltemhause als Bräute in ein an-
deres zu gehen und ihren Schwiegereltern alle Dienste zu erweisen.* Vom Gatten ist zunächst
noch gar nicht die Rede. Und das Onna Chuyo beginnt: „Der Mann nimmt sich eine Frau,
um sie mit sich selbst seinen Eltern gui^ dienen zu lassen." Ja es wird sogar verlangt, dass
die Frau ihre Schwiegereltern viel mehr lieben soll, als ihre eigenen Eltern. Denn das Haus
der Schwiegereltern ist das der Frau vom Himmel bestimmte Haus, da ja heirathen „zurQck-
kehren*' bedeutet. An anderen Stellen heisst es nüchterner, dass die Frau oder ihr Sohn einst
dieses Haus erbe und die Eltern dieses Hauses seien daher ihre eigentlichen Eltern. Diese
Liebe könne ja auch der Frau nicht schwer werden, denn die Schwiegereltern sind ihr anfangs
günstig gesinnt, sonst würden sie sie nicht als Frau für ihren Sohn ausgewählt haben. Es
kommt ganz allein auf die Schwiegertochter an, sich diese Gunst auch zu erhalten. Hier
wird also zu allen anderen Verantwortungen auch noch die für die Gunst der Schwieger-
mutter der jungen Frau aufgeladen. Um diese Gunst nicht zu verlieren, wird sie ermahnt,
sehr sorgföltig zu verfahren, so z. B. die eigenen Eltern nicht so oft zu besuchen und ganz
besonders nicht etwa das elterliche Haus in Gegenwart der Schwiegereltern zu sehr zu loben.
Hat sie ja einmal das Missfallen und den Aerger der Schwiegereltern erregt, so soll sie ver-
suchen, dieselben durch Liebe wieder zu besänftigen."
„Gegenüber diesen unablässig der jungen Frau aufgeladenen Verantwortungen wirkt es
geradezu erleichternd, wenn auch einmal die junge Frau entschuldigt und ein Theil der
456. Des Mannes Schwiegermutter. 549
Schuld an den leicht entstehenden Miss Verhältnissen der Schwiegermatter aufgebürdet wird.
Dies thut der Verfasser der Teikio und zwar mit einer Wahrheit, die nur auf ganz genauer
Menschenkenntniss beruhen kann. Er sagt hierüber: .Der Mann ist grossmüthig und weit-
herzig. Es kommt daher selten vor, dass der Schwiegenrater sein Sohnesweib hasst. Die
Frau dagegen ist engherzig, argwöhnisch, anspruchsvoll, und deshalb kommt es häufig vor,
dass die Schwiegermutter das Sohnesweib hasst.'* Nun wird geschildert, wie das nach und
nach kommt: „Die jungverheirathete Frau dient eine Zeit lang ihrer Schwiegermutter recht
gut. Mit der Zeit aber dient sie ihr nicht mehr so gut, da sie denkt, es genügt, wenn sie
nur ihrem Gatten gut dient. Die Schwiegermutter behandelte anfangs die Schwiegertochter
wie einen Gast und unterwies sie in Allem auf die zarteste Weise. Mit der Zeit aber ver-
minderte sich ihre Liebe, und wenn nun etwas geschieht, was bei der Schwiegermutter einen
wenn auch nur geringen Unwillen erregt, so ist sie sofort mürrisch. Dann wird auch die
Schwiegertochter mürrisch und meldet es zuletzt ihrem Gatten. Dadurch kommt aber der
Hass der Schwiegermutter zum offenen Ausbruch und es kommt zu wirklicher Feindschaft.
Endlich berichtet sie es ihrer eigenen Mutter, welche nur den Worten ihrer Tochter glaubt
und die Schwiegermutter für eine böse hält. Hieraus kann sogar eine Auflösung der Ehe
folgen." Der Verfasser verfällt aber wieder in den Ton der alten Moralisten zurück, wenn
er fortnUirt: „Also liegt der Same der Ehescheidung in der bösen That der jungen Schwieger-
tochter^*. Letzere soll sich also hiemach richten. Zum Tröste wird ihr dabei versichert,
dass die Schwiegermutter nie so Schweres von ihr verlangt, dass sie „die Knochen dabei zer-
bricht.*' Auch werde ihr die Schwiegermutter nie befehlen, einen Wagen zu ziehen, den
Bottich mit Wasser zu füllen oder Steine zu tragen. Nun werden ihr noch die einzelnen
Pflichten eingeschärft. Wenn am Morgen die Schwiegereltern aufwachen, soll ihnen die
Schwiegertochter das Wasser zum Waschen des Gesichtes bringen. Beim Frühstück soll sie
ihnen aufwarten, selbst wenn sie selbst bei Tische von einer Dienerin bedient wird. Auch
die Speisen der Schwiegereltern soll sie selbst bereiten. Wenn sie krank werden, soll die
Schwiegertochter immer bei ihnen sein und sie pflegen. Die Arzneien soll sie selbst bereiten
und darbieten, nachdem sie selbst ein Wenig davon genossen hat — des Giftes wegen. Was
schmutzig wird, soll sie selbst waschen, überhaupt Alles selbst thun. Im Winter soll sie das
Bett der Schwiegereltern warm, im Sommer kühl bereiten, und wenn die Schwiegereltern am
Abend eingeschlafen sind, soll sie noch einmal zu ihnen gehen, um zu sehen, ob es ihnen gut
geht. Wenn sie das Alles thut, so wird die Schwiegermutter Gefallen an ihr finden und es
wird Alles im Hause gut gehen."
456. Des Mannes Schwiegermutter.
Es lässt sieht leider nicht ableugnen, dass diejenige Schwiegermutter, über
welche bei allen Galturvölkern so vieKache und boshafte Spötteleien existiren,
gerade die Schwiegermutter des Mannes isi Der Wunsch von ihrer Seite,
durch die Ehe die Herrschaft über ihre Tochter nicht nur nicht zu verlieren,
sondern auch noch den jungen Ehemann ebenfalls unter ihr Scepter zu beugen,
mag für dieses gespannte Yerhältniss den ersten Anlass gegeben haben.
Bei den Aegyptern geht es so weit, dass sie jede ihnen missliebige Ver-
wandte mit dem Titel Schwiegermutter belegen.
Auch die Chinesen stimmen mit ein, denn sie haben folgendes Sprüchwort:
„Der Frühlingshimmel sieht oft ebenso aus, wie das Gesicht einer Schwiegermutter.'*
Auf den Aaru-Inseln kommt, wie Bibbe berichtet, die Mutter der jungen
Frau gegen Abend des Hochzeitstages nach dem Hause derselben, fangt düaselbst
an zu klagen und zu weinen und erzählt dem Ehemanne, wie viel Schmerzen sie
bei der Oeburt seiner Frau gehabt habe, wie schwer es gewesen wäre, das Mädchen
zu erziehen und sie als Jungfrau zu erhalten, wie ungern sie dieselbe aus dem
Eltemhause habe scheiden sehen. Nachdem der Schwiegersohn seine Schwieger-
mutter eine Zeit lang hat heulen lassen, erweicht sich sein Herz und er giebt
der Trauernden ein Oeschenk, das aus Oold, Porzellan, Perlen, Zeug u. s. w. be-
steht, und damit giebt sie sich dann zufrieden.
Unter den Proben von Yolkspoesie, welche Ernst in Caracas aus Venezuela,
gegeben hat, findet sich ein folgendermaassen von ihm übersetzter Vers:
550 LXXin. Das Weib nach dem Aufhören der Fortpflanzungsfähigkeit.
Durch Dein Fenster möcht ich schleichen,
* Wie die kleinen schlauen Katzen:
Dir würd' ich ein Efisschen geben,
Deine Mutter aber kratzen.
Auf Eeisar begegnet der Schwiegersohn den Schwiegereltern ehrerbietig'.
Auf Eetar besteht zwischen beiden ein ungezwungener Verkehr.
Bei den Santee-Dacota-Indianern mag der junge Mann sich wohl Tor-
sehen, dass er sich mit seiner Schwiegermutter gut stellt. Denn diese hat das
Recht, ihm, wenn er ihr nicht hinreichend gut erscheint, die Tochter einBsu^h
wieder fortzunehmen. Bei den Naudawessiern yerblieb der junge Gatte auf
ein Jahr, bei einigen Abgongin-Stämmen so lange, bis ihm ein Kind geboresn
war, in Abhängigkeit von seinen Schwiegereltern, wobei der neue Haushalt mit
dem älteren vollständig vereinigt wurde.
Umgekehrt gebot bei den Kansas und Osagen die älteste Tochter, sobald
sie heirathete, über das ganze elterliche Hauswesen und sogar über die Matter
und die Schwestern, welche letzteren gewöhnlich gleich an ihren Mann mit ver-
heirathet wurden. Auf diese Weise geriethen die Schwiegereltern nicht seltea in
vollige Dienstbarkeit bei ihrem Schwiegersohne.
Das absonderlichste Verhältniss zwischen dem Schwiegersohne und der
Schwiegermutter finden wir unstreitig aber bei den Indianern an der Nordwest-
küste Amerikas. Denn hier kommt es nicht selten vor, dass der Schwiegersohn
seine Schwiegermutter auf Zeit heirathet. Die Mädchen werden hier nämUch oft
schon am ersten Tage ihres Lebens versprochen, aber erst in ihrem 12. bis 14.
Jahre werden sie wirklich zur Ehe gegeben. Stirbt nun der Vater eines solchen
Mädchens, bevor sie heirathsfahig geworden ist, so muss ihr zukünftiger Gatte
bis zu dem Momente ihrer Heirathsfähigkeit die Schwiegermutter zur Gattin nehmen.
(Jacobsen^ Woldt.)
457. Das Schwlegermutter-Ceremonlell.
Bei sehr vielen Völkern findet sich ein höchst eigenthümliches Geremoniell
in dem Verkehre zwischen den Schwiegereltern und dem jungen Ehepaare, das in
einer Reihe von Abstufungen doch immer klar imd deutlich die Absicht erkennen
lässt, beide so viel als möglich von einander entfernt zu halten. Sie dürfen nicht
mit einander essen, sie dürfen nicht mit einander reden, sie dürfen nicht ihre
Namen und selbst denselben gleichlautende Worte nicht aussprechen, und sie
dürfen bei vielen Nationen sich entweder zeitweise oder sogar während ihres
ganzen Lebens nicht einmal sehen. Andree hat diesen Verhältnissen seine ganz
besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Es kann nicht die Rede davon sein, dass
die eine Nation diese Gebräuche von einer anderen übernommen hätte; denn wir
treffen sie bei Völkern an, die durch weite Meere und Gontinente von einander
getrennt sind.
Bei den auf Djailolo und Halamahera wohnenden Galela und Tobe-
loresen müssen die Schwiegersöhne ihren Schwiegereltern Achtung zollen, sie
Vater und Mutter nennen und gebückt an ihnen vorübergehen.
Auf Ambon und den Uliase-Inseln darf der Schwiegersohn keine Mahl-
zeit mit seiner Schwiegermutter gemeinsam einnehmen, während es den Tobe-
loresen und Galela nur verboten ist, früher behn Essen zuzugreifen als ihre
Schwiegereltern, oder aus deren Töpfen oder Schüsseln Nahrung oder Getränke
zu nehmen. Bei den höheren Kasten im Pendschab (Indien) ninunt der
Schwiegervater nicht einmal einen Schluck Wasser im Hause des Schwiegersohnes
an. (Merk.)
Auf den Seranglao- und Gorong-Inseln dürfen die Schwiegersöhne aller-
dings im Beisein ihrer Schwiegereltern Platz nehmen, aber nur in respectvoller
Entfernung von ihnen; und auf Keisar gilt es als besonders unschicklich, wenn
457. Das Schwiegermutter-Geremoniell. 551
der junge Ehemann am Hochzeitstage den Schwiegereltern gegenüber sitzen wollte;
die Galela und Tobeloresen dürfen letzteres aber überhaupt niemals.
Das Verbot, die Schwiegereltern bei Namen zu nennen, finden wir bei den
Dajaks auf Borneo, im Babar- Archipel, auf den Aaru-, den Luang- und
den Sermata-Inseln. Man hält das auf den drei letzteren Inselgruppen ißr eine
schwere Beleidigung und für eine unerhörte Grobheit. Ebenso wenig darf ein
Aaru-Insulaner den Namen seines Schwiegersohnes aussprechen. Die gleiche
Sitte finden wir auch bei den Eingeborenen Australiens wieder und hier dürfen
sogar gleichklingende Worte nicht ausgesprochen werden. In Afrika ist dieses
Verbot nach Munzinger bei den Bogos und nach Kranz bei den Zulus in Kraft,
jedoch hat es bei den letzteren nur für die Frauen Geltung. Das macht die
Unterhaltung sehr complicirt und schwer verständlich, da auch ganz wie bei den
Kirgisen nicht einmal die männlichen Verwandten des Mannes mit Namen ge-
nannt werden dürfen.
Auch bei den Omaha-In dianern in Nord- Amerika war es in früheren
Zeiten überall Vorschrift für den Mann, mit den Eltern und Grosseltem seiner
Qtittin nicht direct zu sprechen. Er bedurfte dazu der Vennittelung von Frau
und Kind. Ebenso daif eine Frau nicht unmittelbar mit ihres Mannes Vater
sprechen, sondern nur durch den Mann und eins ihrer Kinder. Sind diese nicht
zu Hause, so darf sie aber den Schwiegervater fragen. Diese Sitte hat noch Be-
stand, denn auch heute noch spricht ein Mann nicht mit der Mutter oder der
Grossmutter seiner Frau; sie schämen sich, miteinander zu sprechen. Aber wenn
einmal seine Frau abwesend sein muss, so fragt er bisweilen deren Mutter um
Rath; aber nur wenn keiner da ist, durch den er sie sonst fragen könnte.
Eine ganz besonders weite Verbreitung hat nun dijB Vorschrift, dass die
Schwiegereltern und Schwiegerkinder sich überhaupt nicht sehen dürfen, und zwar
erstreckt sich dieses Gesetz bald auf beide Schwiegerkinder, bald aber auch nur
auf diejenigen vom entgegengesetzten Geschlechte, so dass also die Schwieger-
tochter nicht von ihrem Schwiegervater, der Schwiegersohn nicht von der Schwieger-
mutter gesehen werden darf, und umgekehrt. Auch in der zeitlichen Ausdehnung
dieses Verbotes begegnen wir einigen Verschiedenheiten. Denn während bei einigen
Völkern dieses Verbot während des ganzen Lebens besteht, hat es bei anderen nur
während des Brautstandes und bei noch anderen nur so lange Gültigkeit, bis das
junge Paar eine Nachkommenschaft erzielt hat.
Das letztere finden wir in Nordwest-Australien und bei den Papua von
Neu- Guinea; bei den Ostjaken und bei den Tscherkessen dauert die Ab-
sonderung bis zu der Geburt des ersten Kindes, und bei den Kirgisen drei Jahre
lang; zeitlebens aber behalt das Verbot seine Kraft bei den Katschinzen, bei
den westlichen Hindu, bei den Bogos und Somali in Afrika und bei den
Omaha-Indianern. Bei den Tscherkessen darf sich während der festgesetzten
Zeit das junge Paar von beiden Seiten nicht sehen lassen; bei den Austral-
Negern, den Papua, den Bogos und Somali dürfen der Schwiegersohn und
die Schwiegermutter einander nicht begegnen; bei den Kirgisen und Katschinzen
vermeiden der Schwiegervater und die Schwiegertochter sich zu sehen, und bei
den Omaha-Indianern und Ostjaken besteht das Verbot wechselseitig, so dass
Schwiegervater und Schwiegertochter einerseits und Schwiegersohn und Schwieger-
mutter andererseits sich vor einander verhüllen oder sich ausweichen. Auf die
Erfdllung dieser Vorschrift wird auf das Strengste gehalten. So sagt Vambery
von der Kirgisin:
„Im Allgemeinen darf die junge Frau bei den Kirgisen drei Jahre nach der Hochzeit
weder dem Schwiegervater noch den übrigen männlichen Mitgliedern der Familie sich zeigen,
und wenn sie aach ins Zelt des firsteren tritt, so thut sie dies mit abgewendetem Gesicht
und hält sich einige Schritte fem, über welches Anstandsgefühl der Schwiegervater erfreat,
ihr immer ein Eöbdschasa (vivat!. vivat!) zuruft.*
552 LXXIII. Das Weib nach dem Aufhören der FortpflanzungsfUhigkeit.
Von den Omaha-Indianern wird berichtet:
.Eine Frau erscheint niemals, wenn sie es vermeiden kann, vor dem Manne ihiner
Tochter. Der Schwiegersohn sacht es zu vermeiden, einen Platz zu betreten, wo kein Anderer
ist, als seine Schwiegermutter. In Dakota bemerkte der Ponka Chief Standing Sttffaio,
dass seine Schwiegermutter da sass. Er drehte sich um, zog sein Blanket Qber den Kopr xuxd.
ging in einen anderen Theil des Hauses.'
In Port Lincoln in Australien wurde ein junger Mann, dessen Schwieger-
mutter sich zufallig nahte, von den dabeistehenden Weihern in einem didiien
Kreise umschlossen und er seiher bedeckte, hierdurch gewarnt, sein Gesicht mit
den Händen, während die alte Frau ihre Richtung änderte. (Wilhelmi.) I>er
Missionar van HasseU erzählt, dass in Doreh (Neu -Guinea) einer seiner
Schüler, ein sechsjähriger Knabe, während des Unterrichtes sich wie ein Stück
Holz unter den Tisch fallen liess, weil die Schwiegermutter seines Bruders vor-
überging.
Wenn wir nach der Ursache so absonderlicher Gebräuche fragen, so bleibt
es immer die Regel, zu erforschen, was denn die Leute selber als den Beweg-
grund f&r dieses ihr Handeln anzugeben wissen. Hier sind aber dieGabon-Ne^er
die Einzigen, welche uns eine Antwort ertheilen. Nach Bowditch haben sie
nämlich eine Sage von einer Blutschande, derzufolge sie ein strenges Vermeiden
der Schwiegereltern und Schwiegerkinder verlangen. Nach Fritsd^ ist bei den
Kaffern eben£EJls die Furcht vor Blutschande, welche den besonderen Zorn der
Geister der Verstorbenen heraufbeschwören würde, die eigentliche Ursache fax
dieses strenge Geremoniell. Ob diese Anschauung nun aber für alle die Volker
zutriffb, bei welchen wir dieser Sitte begegnen, darüber haben wir leider keine
Gewissheit. Allerdings hat es ja einen nicht unbeträchtlichen Grad von Wahr-
scheinlichkeit für sich, dass hier Reste und Erinnerungen aus einer Zeitperiode
vorliegen, wo sich der Uebergang vollzog aus einem Communismus der Weiber
zu den gesitteteren Verhältnissen einer eigentlichen dauernden Ehe. Um nun davor
zu schützen, dass ein Rückfalligwerden in die alten, wilden Zustände von Seiten
der Männer sich vollziehen könne, mögen diese strengen Vorschriften im Verkehre
der beiden Generationen mit einander allmählich zur Ausbildung gekommen sein.
LXXIV. Die Greisin im Volksglauben.
458. Das alte Weib.
Es hat eiDmal Jemand den Aussprach gethan: Das Schönste und das Häss-
lichste in der Natur ist das Weib. Allerdings wird man diesem Urtheile wohl
kaum widersprechen können. Denn eine so liebliche, fast mochte ich sagen
poetische Erscheinung ein aufblühendes junges Mädchen zu sein pflegt, einen
ebenso unbefriedigenden, das ästhetische Geföhl bisweilen beinahe verletzenden
Anblick pflegen die Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts darzubieten, wenn
sie in die Jahre des Greisenalters eingetreten sind. Eine hübsche alte Frau, die
den rosigen Schimmer ihrer Wangen, das hellfreundlich Leuchtende ihrer jugend-
frischen Augen noch nicht verloren hat, ist immerhin als eine grosse Seltenheit
zu betrachten. In der bei weitem grössten Mehrzahl der Fälle haben die hohen
Jahre all diese Reize vollständig und unwiederbringlich ausgelöscht; Alles was
uns den weiblichen Körper sonst zu charakterisiren pflegt, ist verschwunden, *und
die Erscheinung wird dadurch eine unweibliche, eine unnatürliche und deshalb
auch, wenigstens für die Kinder und für schwache Gemüther, eine unheimliche
und Furcht erregende. Kommt nun noch hinzu, dass ernstliche Sorge um die
Nothdurfb und Nahrung des Lebens und der Mangel an körperlicher Pflege die
nothige Ordnung im Anzüge, die Reinlichkeit des Körpers und die Sorgfalt in
der Glättung der Haare vermissen lässt, dass die wimperlosen Augenlider durch
chronische Katarrhe geröthet sind und dass der fast zahnlose, in der Ruhe klein
erscheinende Mund, bei dem Sprechen oder bei dem Lächeln plötzlich ungeahnte
Dimensionen annehmend, ein oder zwei ganz besonders lange, beinahe hauerähn-
liche Zähne zur Schau stellt, dass ferner der hin- imd herwackelnde und vom-
übergebeugte Kopf dem alten Weibe nur gestattet, von unten und der Seite her
mit «schiefem Blicke' den ihr Begegnenden anzusehen, und dass die zum Grusse
entgegengestreckte dürre Hand mit ihren gekrümmten Fingern an Thierkrallen
erinnert, dann kann man es wohl verstehen, wie sich der BegrifiF des Ueber-
natürlichen und Dämonischen mit der Erscheinung des alten Weibes verbinden
konnte. Als der Herausgeber seinem siebenjährigen Knaben die Photographie
einer greisen Italienerin (Taf. VIL Fig. 3) zeigte, sagte derselbe sofort: , Nicht
war, das ist doch eine Hexe?* So sagen auch die Süd-Slaven: „Jeiea alte
Mütterchen ist eine Hexe.'' Daher begreift man es auch, dass die Begegnung oder
das Zusammensein mit einem alten Weibe vielfach ab unglückbringend ange-
sehen wird.
So haben die Ehsten die Redensart, wenn sie beim Fahren nicht schnell
genug vorwärtii kommen:
,Da8 Rad hat Eile, auf dem Wagen sitzt ein altes Weib." fv, Beinsherg-Düringafeld,)
554 LXXIV. Die Greisin im Volksglauben.
Dass es eine unglückliche Jagd giebt, wenn dem Jäger schon morgens in
der Frühe ein altes Weib über den Weg läuft, ist wohl ein durch ganz Deutsch-
land verbreiteter Aberglaube. Am besten thut er, wenn er gleich umkehrt and
den ganzen Tag keine Büchse mehr in die Hand nimmt. Auch in Nieder-
Oesterreich glaubt man, dass das Glück des Tages vorbei sei, wenn als Erste
am Tage eine alte Frau das Haus betritt, und in gleicher Weise unheilvoll er-
achtet der Bergmann in Gornwallis eine solche Begegnung vor dem Einfahren
in die Orube. Am schlimmsten aber ist es, wenn in Böhmen ein neuvermähltes
Paar sogleich bei dem Verlassen des Gotteshauses auf ein altes Weib trifft. Dann
ist eine unglückUche Ehe ganz unausbleiblich.
Auch bei den Masuren bedeutet, wie Toeppen berichtet, die Begegnung
mit einem alten Weibe Unglück. Ein Bauer aus der Gegend von Hohenstein
heklagte sich, dass ihm dieses passirt sei und einige Schritte weiter wäre ihnen
die Kette gerissen, der Wagen zerbrochen, und ein Stück Holz hätte beinahe
seinen Bruder erschlagen.
Weinrichius berichtet von einem vornehmen Jünglinge, der ein altes Weib
nicht einmal anzusehen vermochte, und als er einmal gezwungen war, bei einem
Gastmahle solcher Alten gegenüber zu sitzen, so wurde er dadurch so sehr er-
schreckt, dass er in eine Krankheit verfiel und starb. (Cohausen.)
Die Unbehülflichkeit und Hülfsbedürftigkeit des alten Weibes wird nicht
selten als unbequeme Last empfunden. Daher sagt der Deutsche im ünmuth:
,An alten H&asem und alten Weibern ist stets etwas zu flicken/
und der Perser ist der Ansicht, dass die Alte selbst im Tode den Hinter-
bliebenen noch einen Tort anthut, denn er sagt:
„Das alte Weib starb nicht, bevor nicht ein Regentag kam.*
459. Die Beseitigung der alten Weiber.
. Den mit der Versorgung eines alten Weibes verbundenen Unbequemlich-
keiten wissen nun manche Völker auf sehr wirksame Weise aus dem Wege zu
gehen. Sie schlagen nämlich die alten Weiber einfach todt. So herrscht nach
Kahl bei den Rangueles-Indianern in der argentinischen Republik der
Gebrauch, ihrem Gotte Grualitschu Menschenopfer darzubringen, und hierzu werden
mit Vorliebe alte Weiber genommen.
Auch die Feuerländer nehmen, wenigstens in den Zeiten der Hungers-
noth, keinen Anstand, ihre alten Weiber zu tödten und aufzuessen. Darwin be-
richtet darüber:
«Nach den übereinstimmenden, aber völlig unabhängigen Zeugnissen des von Mr. Xoir
mitgenommenen Knaben und Jemmy Button' 8 (ebenfalls ein junger Feuerl&nder) ist es
richtig, dass, wenn sie im Winter von Hunger geplagt "w erden, sie eher ihre alten Weiber
tödten und verzehren, ehe sie ihre Hunde schlachten. Als der Knabe von Mr. Low ge&agt
wurde, warum sie dies thäten, antwortete er: ,Hunde fangen Ottern, alte Weiber nicht.'
Dieser Knabe beschrieb die Art und Weise, in welcher sie durch Halten über Hauch und
daher durch Ersticken getödtet werden; er machte ihr Geschrei zum Scherz nach und be-
schrieb die Theile ihres Körpers, welche als die besten zum Essen betrachtet werden. So
schrecklich ein derartiger Tod durch die Hand ihrer Freunde und Verwandten sein muss, so
ist es doch noch peinlicher, an die Furcht der alten Weiber zu denken, wenn der Hunger
anfängt zu drücken. Es wurde uns gesagt, dass sie häufig in die Berge davon laufen, dass
sie aber von den Männern verfolget und zu dem Schlachthaus an ihren eigenen Herd zurück-
gebracht werden."
Dass ein solches Verfahren die Civilisation nicht gestattet, wird Ton manchen
Völkern, wie es scheint, auf das Schmerzlichste bedauert. Denn sie können
ihre Seufzer über die Zählebigkeit der alten Weiber nicht unterdrücken: So die
Dänen, die Lithauer und die Italiener. Sieben Seelen oder sieben Leben
schreiben ihnen die Toskaner, die Venetianer und die Sardinier zu. Die
460. Die Werthschätznng der alten Weiber. 555
Bergamasker aber sagen sogar, dass die alten Weiber sieben Seelen, ein Seelchen
und noch ein halbes haben, und der Lithauer klagt:
«Ein festes altes Weib, selbst auf der Mühle könnte man sie nicht zermahlen.'
460. Die WerthschStzung der alten Weiber.
Aber es giebt auch Leute, welche es anerkennen, dass auch das Weib
im Älter doch noch fOr den Haushalt von Nutzen sein kann, und so heisst es in
Spanien:
,yDient ein altes Weib nicht als Topf, so dient sie doch als Deckel,"
und in Ehstland sagt man:
„Ein altes Weib, ein Wiegenklotz und eine Gefangene des Kindes."
Die grosste Anerkennung zoUt dem alten Weibe aber der deutsche Yolks-
mund (in der Eifel):
„Eine alte Mutter im Haus ist ein Zaun darum." (v. Beinsherg-Büfingsfeld,)
Ein altes Weib sein eigen zu nennen, wird häufig als etwas sehr unange-
nehmes empfunden. Ein finnisches Volkslied (ÄUmann) bringt sehr deutlich
diese Empfindung zum Ausdruck:
«Gott verschone mich, zu küssen,
Gott behüte mich, zu herzen,
Gott bewahr' mich, zu umfangen,
Zu umfassen, zu umarmen
Ein steinaltes, knochendürres
Mütterlein mit steifen Gliedern,
Schlaffer Brust und welkem Leibe,
Dünnen Schenkeln, dürren Hüften,
HnmpelfÜssen, Zitterknieen,
Schaukelnd-klappemden Gelenken, 1
Ganz erkaltet-starrem Körper!*
Zu dem Verluste der körperlichen Reize gesellen sich nun die Gebresten des
Alters und mit ihnen verbunden in vielen Fällen allerlei Launen und Verstim-
mungen. Da ist nun der Wunsch sehr nahe liegend: Ach, wenn es doch wieder
wie früher wäre! Kehrte doch die rosige Zeit der Jugend noch einmal zurück!
Denn anstatt der Alten wünscht sich mancher, wie es in dem finnischen Liede
weiter heisst:
«Gott vergönne mir, zu küssen,
Gott bescheide mir, zu herzen,
Gott bescher' mir, zu umfangen,
Zu umfassen, zu umarmen
Ein blutjunges, gar geschmeidiges
Mägdelein mit weichen Gliedern,
Straffer Brust und festem Leibe,
Vollen Schenkeln, starken Hüften,
Leichten Füssen, runden Enieen,
Kernig-schmiegsamen Gelenken,
Ganz erglühend warmem Körper!'
Nun hat namentlich im 15. und 16. Jahrhundert dieser heisse Wunsch nach
Verjüngung vielfach die Gemüther bewegt und weit verbreitet war die Sage, dass
es heilkräftige Quellen gäbe, welchen die Zauberkraft innewohne, die entschwun-
dene Jugendfrische zurückzubringen. Dieser Gedanke hat in damaliger Zeit die
Dichter und die Künstler beschäftigt. Hans Sachs träumt von einem solchen
QueU {Schultz^):
«Eins nachts träumt mir gar wol besunnen,
wie ich köm zu eim grossen brunnen
556 LXXiy. Die Greisin im Volksglauben.
von merbelstein polieret klar,
darein das wasser rinnen war
warm und kalt, aus zwelf gülden rören,
gleich eim wiltbad, tunt wunder hören:
Dies wasser hat so edle kraft,
welch mensch mit alter war behaft,
ob er schon achzigjerig was,
wenn er ein stunt darinnen sass,
so teten sich verjüngen wider
sein gmüt, herz und alle gelider."
Das königliche Museum in Berlin besitzt ein ausgezeichnetes Bild von
Lukas CranacKs Meisterhand, das in Fig. 402 wiedergegeben ist. In langen
Zügen lassen sich die alten Weiber zur Heüquelle bringen; auf Karren und Wagen
fahrt man sie hin, auf Tragen lassen sie sich bringen und selbst Huckepack and
an den Füssen schleppt man sie herbei:
,üm den brunnen was ein gedreng,
wan dahin kam eine grosse meng,
allerlei nation und geschlechte'
>
heisst es bei Hans Sachs; und er schildert sehr anschaulich, was diese Alten för
einen Anblick boten und wie sich ihre Gebrechen bemerkbar machten:
,Zusamen kam ein häuf der alten
wunderlich, entig (ungeheuer), ungestalten,
gerunzelt, zanlücket und kal,
zittrent und kretzig überal,
dunkler äugen und ungehöret,
vergessen, doppet und halb töret,
ganz mat, bleich, bogrOcket und krum,
da war in summa summarum
ein husten, reispem und ein kreisten,
ein achizen, seufzen und feisten,
als obs in einem spital wer/
Vertrauensvoll tauchen nun in dem Bilde die Alten ihre welken Glieder in
das heilbringende Wasser. Je mehr sie sich nun der Mitte des weiten quadrati-
schen Beckens nähern, um so mehr nehmen ihre Körperformen au Rundung zu,
und auf der andern Seite des Jungbrunnens entsteigen frische Mädchengestalten
der Quelle, die den Verjüngungsprocess bereits durchgemacht haben. Auch Hans
Sachs sagt von seinen Badenden:
.Die teten alle sich verjüngen:
nach einer stunt, mit freien Sprüngen
sprangen sie aus dem brunnen runt,
schön, wolgef&rbt, frisch, jung und gsunt,
ganz leichtsinnig und wolgeberig,
als ob sie wären zwainzig jerig.**
Von einem jungen Ritter zurechtgewiesen, yerschwinden sie in einem grossen
Zelte, aus dem sie festlich geschmückt wieder hervorgehen. Schmauss und Tanz
und allerlei Kurzweil in Gesellschaft junger Männer wartet ihrer.
Auch ein Kupferstecher des 15. Jahrhunderts, der sogenannte Meister mit
den Bandrollen, hat den fonsjuventutis dargestellt. Auf seinem Bilde finden
sich aber mehrere derb erotische Scenen, und er ist weit davon entfernt, den
feinen Humor Lukus CranacKs zu erreichen.
I
n
d
60
a
558 LXXIV. Die Greisin im Volksglauben.
461. Die Hexe.
Es wurde sclion in einem früheren Abschnitt auf das Dämonische hin-
gewiesen, was so häufig die alten Weiber in ihrer äusseren Erscheinung dar-
bieten, und ich bin auch bemüht gewesen, die Gründe für diese Thatsache aus-
einanderzusetzen. Unter allen Umständen verdient es eine ganz besondere Be-
achtung, wie weit über den Erdball die Annahme verbreitet ist, dass alte Weiber
sich im Besitze übernatürlicher, magischer Kräfte befinden. Der Glaube an Hexen
greift in das graue Alterthum zurück, und diese Weiber haben es wohl ver-
standen, mit ihren Taschenspielergaukeleien selbst den Gebildeten ihres Volke»
zu imponiren. Ich erinnere hier an den Besuch des Königs Saul bei der Hexe
von Endor.
Die Zauberkünste, welche die Circe auf den Odysseus und seine Gefährten
einwirken liess, sind allbekannt, wie auch diejenigen, mit welchen Medea ihrem
Gastfreunde Jason Hülfe brachte. Auch die Römer waren fest überzeugt von
der Zauberkraft der Hexen, wie sich mehrfach aus Virgü ersehen lässt.
Horojg besingt zwei Hexen Namens Canidia und Sagana. Er lässt ein
hölzernes PrtopM^^Bild, das auf einem alten Begräbnissplatze errichtet ist, folgen-
des sprechen (Satiren I. 8):
y,Sah ich doch selbst Canidien hier in schwarzem Gewände,
Aufgeschürzetem Kleid, barfilssig, mit fliegenden Haaren
Wandeln unter Geheul, mit der älteren Sagana. Graunhaft
Machte die Todtenbl&sse das Paar. Mit Nägeln beginnt es
Erdreich auszuscharren, ein kohlschwarz Lamm wie mit Zähnen
Mitten entzwei zu zerreissen. Es floss sein Blut in das Loch, um
Geister heraufzubeschwören, zum Antwortgeben. Und Puppen
Brachten sie, eine von » Wolle, die andere wächsern und grösser.
Jene von Wolizeug sollte den Spruch vollziehen am Knechte.
Flehentlich stand die wächserne da, denn sie sollte sofort hier
Schmählich sterben. Zur Hecate ruft die eine, die andere
Ruft Tisiphonen an. Nun sah man Schlangen und Hunde,
Höllische, ringsum schweifen und schamerröthet den Mond sich.
Um nicht Zeuge zu sein, in Wolkenmassen vergraben.
Will nicht Alles erzählen, die Wechselgespräche der Geister,
Wie sie mit Sagana schwatzten in schaurig pfeifenden Tönen,
Wie sie den Bart eines Wolfs mit dem Zahn einer schillernden Schlange
Heimlich vergruben im Boden, wie drauf von der wächsernen Puppe
Hoch auf flammte das Feuer!*'
Erschreckt hierüber, rächt sich das Götterbild, indem es mit lautem Knalle
hinten zerplatzt:
„Sie liefen der Stadt zu.
Aber Canidia liess ihr Gebiss, und die hohe Capuze
Fiel von Sagand's Kopf und dem Arm entglitten die Kräuter
Sammt den Behexungsbändern."
Die überaus traurige Geistesverwirrung, welche in Europa Jahrhunderte
hindurch viele Tausende von Menschen unglücklich machte, und sie nach un*
säglicher Qual und Herzensangst einem schrecklichen Tode entgegenfÜhrte, wegen
eines angeblichen Bündnisses mit dem Teufel, hat ja gerade unter dem weiblichen
Geschlechte ganz besonders gerast und gewüthet; und unendlich mehr Hexen er-
litten den Feuertod, als männliche Teufelsverbündete. Diese schreckliche Zeit der
Hexenverfolgungen hat schon so viele Bearbeiter gefunden, dass ich hier nicht
ausftihrlich auf dieselben einzugehen brauche.
Es gab bekanntermaassen auch Hexeriche, d. h. Männer, welche sich dem
Teufel verschrieben hatten; aber sie waren in der Minderzahl, und Bodin sagt:
ip ^^r*
461. Die Hexe.
559
.Man lese aber der jenigen Bacher, die von Zauberern geschrieben haben , da werden
sich allzeit fünfPbzig Weiber, die Zauberin oder besessen seind, an statt eines Manns, der
darmit behafft war, finden : wie ichs dann auch hieuor angezeigt habe. Welches zwar meines
bedunckens nicht auss Blödigkeit Weibliches Geschlechts geschieht: Seiteinmal bey jhnen
mehrtheils ein ynerhaltsame Widerspenstigkeit Tnnd Halssstarrigkeit gespürt wird, vnd dass
sie in anssstehung der Folter o£Pb standhafter dann die M&nner sein Sonder es gewinnt
viel mehr dass ansehen, als geschehe es auss krafft ynnd macht einer Viehischen begirlichkeit,
welche das Weib dahin ahntreibet, damit es seinen begirden genug thue oder sich reche."
Fig. 403. Die Hexen nnd Unholde. (Nach UdalricM* TengUr'f „Layenspiegel", 1512.)
Was tnan den Hexen fiir übernatürliche Kräfte und Unthaten zutraute, das
hat ein Arzt des 16. Jahrhunderts, Doctor Johannes Wierus aus der Grafschaft
Cleve, in kurzen Worten zusammengefasst. In der dem Jahre 1586 entstammenden
Uebersetzung des Pfarrherrn Rebenstock zu Giessen lautet diese Stelle folgender-
maassen:
560 LXXIV. Die Greisin im Volksglauben.
.Lamiam beisse ich ein solches Weib, welches mit dem Tenffel ein Bchändtliches, gpraii-
«ames oder imaginirtes Yerbflndtnüss, ans eigenem freyen Willen, oder durch des Teuffels
Anreytzung, Zwang, Treiben, heutiges Anhalten vnd seine Hülff, etzliehe böse Ding, durch
Gedancken, vnheilsams WQndschen, zubegehn vnd zuvollbringen, vermeynet, als dass sie die
Lufft mit vngewönlichem Donner, Blitz vnd Hagel bewegen, vngehewer Vngewitter erwecken,
die Früchte auff dem Felde verderben, oder anders wohin bringen, vnnatürliche Eranckheiten
den Menschen vnd Viehe zufdgen, solche widerumb heylen vnd abwenden, in wenig Stunden
in frembde Landt weit vmbher sdiweiffen, mit den bölen Geistern tantzen, sich mit jhnen
vermischen, die Menschen in Thier verwandeln, vnd sonsten tausenterley wunderbarliche
närrische Ding zeigen vnd zu Werck bringen können."
Der neue Layenspiegel von Udalricus Tengler Tom Jahre 1512 bringt
eine grosse Abbildung, in welcher man das Gebahren der „Vnholden" erkennen kann.
Ich gebe das Bild in Fig. 403 wieder. Das dazu gehörige Kapitel bezeichnet er:
«Von den vnholden oder Häcksen, im Latein phitonisse, oder malefice genannt"
und er giebt darin die Erklärung ab, es:
„sol an solch pOss vnd verkert mensch, Hagel, schäum, reiffen, vnd ander vngestfim
vngewiter, zu Verletzung der frücht, auch den menschen vnd thiere kranckhaiten, oder
schmertzlich verserungen zufügen, von ainem end zum andern faren. Auch vnkeuschait mit
den pOsen gaisten treiben, vnd vil ander vnchristenlich Sachen zu wegen bringen.*
Das ist nun alles in dem Bilde dargestellt. Wir sehen die Hexen auf
Ziegenböcken durch die Lüfte fahren, wir sehen die »Wetterhexe* ein Unwetter
heraufbeschwören, wir sehen die „ Butterhexe ** buttern, d. h. auf übernatürliche
Weise die Butter ihrer Nachbarinnen in ihr Butterfass hinüber leiten, wir sehen
sie mit dem Teufel Unzucht treiben und zwar die unnatürliche Handlung auf
ungebräuchliche Art. In der Mitte führt ein männlicher Zauberer in einem Zauber-
kreise eine Beschwörung aus, und schon kniet der Teufel neben dem Kreise. Obea
wird von einem Manne einem anderen, über dessen Haupte ein Teufel schwebt,
ein Korb mit runden Gegenständen gebracht. Unten befindet sich ein Scheiter-
haufen, auf dem mehrere Hexen den Feuertod erleiden. Zwei Männer in langen
Schauben, wahrscheinlich die Inquisitionsrichter, sehen diesem traurigen Schauspiele
zu, während ein Krüppel auf Krücken dabei steht. Wahrscheinlich ist er der
Meinung gewesen, dass er dem Zauber dieser Hexen sein Siechthmn verdankt.
Ein mit einem Bogen bewaffneter Enkel scheint sein Geschoss gegen die ver-
brennenden Hexen zu richten.
Wenn auch zu den verschiedensten Zeiten die Hexen mit dem Teufel ge-
sellige Gemeinschaft haben können, so war es doch bekanntlich ein ganz bestimmter
Termin, die Walpurgisnacht, in welcher namentlich die allgemeine Zusammenkunft
aller Hexen mit den Teufeln stattfand. Das ist der grosse Hexensabbath, zu
dem uns die emsigen Vorbereitungen ein interessantes Gemälde von F, Francken
d. J, (1581—1642) in dem k. k. kunsthistorischen Hofmuseum in Wien vorführt.
Wir lernen das Bild in Fig. 404 kennen. In einem massig grossen Zimmer, mit
allerhand Zaubercharakteren geschmückt, hat sich viel Weibervolk versammelt.
Eine wohlgebaute Hexe, völlig nackt, fährt soeben, auf einem Besen reitend, zum
Schornstein hinaus. Drei knieende Frauen beten einen kleinen, haarigen Teufel
an, der auf einem niedrigen, durch ein Talglicht beleuchteten Podium steht. In
der einen Hand hält er eine Schale, aus welcher feurige Ringe und Funken auf-
steigen. Andere Weiber kochen in einem riesigen Kessel irgend ein Höllengebräu,
aus welchem ein Widderschädel auftaucht, während Schlangen, Drachen und aller-
hand Ungeheuer über dem Kessel schweben, in welchem ein Weib mit einem
Besen rührt, indess eine andere aus einer Flasche etwas hineingiesst. In der
Mitte des Zimmers ist ein Altar errichtet, an welchem eine Alte aus einem Zauber-
buche Beschwörungen liest. Ein durchbohrter Menschenschädel ist auf dem Altare
über gekreuzten Schwertern niedergelegt; Schlangen, Kröten, Menschen- und Thier-
knochen und fratzenhafte Gebilde sind davor auf der Erde angehäuft.
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Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Anfl. n.
86
562 LXXIV. Die Greisin im Volksglauben.
Eine stehende junge Person nestelt sich ihr Mieder auf; eine andere, auf
einem Stuhle sitzend, ist im Begriff, sich die StrQmpfe auszuziehen. Ihre wohl-
gebildeten Beine sind bis weit über das Knie hin den Blicken enthOllt. Was
die Beiden damit bezwecken, dass sie sich ihrer Kleider entledigen, das wird
durch drei hinter ihnen stehende Weiber erklärt. Die eine derselben ist schon
völlig nackt und hat bereits den Besenstiel in der Hand, den sie als Reitpferd
zu benutzen gedenkt. Daneben steht eine ebenfalls nackte, wohlgebaute junge
Maid, die dem Beschauer die volle Rückseite zuwendet. Eine Alte, mit dem
Salbentopf in der Hand, reibt ihr mit der Rechten den Rücken ein. Das ist
natürlicher Weise die Hexensalbe, welche den Weibern die Fähigkeit verlieh, auf
dem Besen durch die Lüfte zu fahren.
Johannes Wienis^ in welchem wir, trotz seines Glaubens an den person-
liehen Teufel, den ersten unerschrockenen Vorkämpfer gegen den Hexenaberglauben
und gegen die unerhörte Grausamkeit der Hexenverbrennungen verehren müssen,
äussert sich über diese Hexensalbe folgendermaassen:
«Darmit aber der betriegliche Meister vnd Lügen Geist der Teuffel, die Vnholden desto
besser ins Spiel bringen vnd zu seinem Dienst geschickter vnd fertiger machen möge, so bat
er jhnen etliche natürliche Artzeney vnnd Salben, sich darmit zu schmieren, angeben, ynd
beredt, dass sie durch solche Schmieren solche Gewalt bekommen als bald, wenn sie nur
wollen, oben zum Kamin hinauss durch den Lufft zufahren, vnd an Ohrt vnd Ende zukommen»
da mit Tantzon, Singen, herrlichen Mahlzeyten vnd anderer Kurtzweil, aller Freuwden vnd
Lusts pflegen werde, welche Dinge aber alle, der tausentlQstige Geist jhnen im Traum fOrwirfft»
nachdem sie vnwissendt, wegen der Schlaffmachenden Salben, darmit sie sich, seinen Befelch
nach, geschmieret, in den aller tiefesten Schlaff gefallen sind.'
,Was solt doch bey einem solchen groben vnd muthwilligen Verbündtnuss guts befanden
werden? wie kan doch der, durch den Teuffel zugebrachten Schlaff, für wahrhafftig erklärt
vnd vertheidiget werden, solte dann dess Teuffels Fatzwerck vnd Verspottung der Phan-
tasey, statt haben? Es wirdt aber ein jeder, welcher der sachen recht nachsinnet, vnnd alle
Circumstantias betrachtet vnd aussforschet , selbst bekennen müssen, dass es lauter Teuffels
Gespött vnd Verführung der alten Weiber ist, dass sie vermeynen, wie sie in kurtzer Zeyt
weit hin vnd wider fahren mögen, vnd sich durch Anschawung seltzsamer Ding, erlüstigen
vnd erquicken, vnd viel Dings gesehen haben. Dann solches alles bildet jhnen der Teuffel
in Schlaff eyn, dass sie es für wahrhafftig halten, so es doch nichts ist, dass auch die alten
Veteln mit jhren Leiben durch enge Löcher selten fahren können, solchem ist die Vemonfft,
die Philosophia vnnd die Natur selbsten zugegen, eben wie sich dieses auch, dass sie zu
Nachts Bolten zusammen kommen, Täntze vnnd andere Freudenspiel halten, so sie doch in
jhren Bettern, ruhig schlaffendt funden seyn worden, falsch ist, vnd nicht erwiesen mag*
werden: Also lässt sichs auch ansehen, es gebe der Teuffel Gelt auss, aber es ist anders nichts
denn ein lautere Imagination, welche wie ein Staub verschwindet: Ach der losen Obligation
ist doch das, wer wolt doch Glauben drauff geben?'
Wierus ging mit einem für die damalige verblendete Zeit überraschend
klarem Blicke die Einzelheiten des Hexenglaubens durch, und bei jedem einzelnen
Punkte suchte er dessen Unhaltsamkeit, seine physikalische Unmöglichkeit und
seine Ungereimtheit nachzuweisen. Wenn die eingefangenen Hexen, so führte er
aus, nun selber alle diese Unthaten eingestanden hätten, so wären sie theils Tom
Teufel betrogen, der ihrem Gehirne dieses Blendwerk vorgespiegelt habe, theils
auch hätten sie die ihnen zur Last gelegten Schandthaten bekannt, gegen ihre
bessere Ueberzeugung, weil sie lieber den Tod erleiden wollten, als noch ferner
die unsäglichen Qualen der Folter ertragen zu müssen.
Leider ist, wie ja hinreichend bekannt,' die Stimme dieses aufgeklärten
Mannes unberücksichtigt verhallt. Aus. der Feder des Franzosen Bodin, den
wir vorher schon kennen lernten, ersehen eine geharnischte Gegenschrift, welche
Johann Fischart in das Deutsche übersetzte. Diese Abhandlung führt den Titel:
„De Magorum Daemonomania. Vom Aussgelasenen Wütigen Teuffelsheer* u. s. w.
Noch waren die Geister, auch der Gebildetsten in Europa, nicht hinreichend
aufgeklärt, um das Ungeheuerliche dieser scheusslichen Hexenprocesse einsehen
462. Modemer Hexenglaube. 563
zu können. Darüber mussten noch mehr als zwei Jahrhunderte verstreichen und
unaussprechlicher Jammer wurde auch femer noch über die Menschheit verbreitet.
Wir wollen uns diese Grausamkeiten nicht nochmals in die Erinnerung rufen,
aber in dankbarer Anerkennung soll des Dr. Wierus gedacht werden, der einst-
mals mit so unerschrockenem Muthe bestrebt gewesen ist, den gesunden Menschen-
verstand wieder in seine Hechte einzusetzen.
462. Moderner Hexenglanbe.
Der Hexenglaube ist in Europa aber noch nicht vollständig erloschen, und
selbst in Deutschland giebt es noch manch frommes Gemüth, dem die Existenz
von Hexen eine ausgemachte Thatsache ist.
Ueber den Hexenglauben, wie er bei den südslavischen Völkern herrscht,
bei den Serben, den Kroaten, Neu-Slavonen und Bulgaren, hat Krauss*^
eingehende Untersuchungen angestellt:
.Im Allgemeinen hält man die Hexen für schwarze, kraus- und weisshaarige, alte, arg
zerlumpte Weiber. Man stellt sich die Hexen als bOsartige, alte Weiber vor, die aus dieser
Welt nicht scheiden kOnnen, sie hätten denn eher ihren Nebenmenschen recht viel Leiden
zugefügt. Gewöhnlich glaubt man, daas ein Frauenzimmer, ehe sie zur Hexe wird, jahrelang
als Mora (Trut oder Mar) junge Leute beschläft und ihnen das Blut abzapft. In jeder
Hexe haust ein teuflischer Geist, der sie zur Nachtzeit verlässt, sich in eine Fliege, einen
Schmetterling, eine Henne, einen Truthahn oder eine E[rähe, am liebsten aber in eine Kröte
verwandelt. Will die Hexe Jemand einen besonders schweren Schaden anthun, so verwandelt
sie sich in ein reissendes Thier, gewöhnlich in einen Wolf. Ist der böse Geist aus der Hexe
draussen, so liegt ihr Körper völlig wie leblos da, und wenn einer die Lage der Hexe derart
veränderte, dass der Kopf dort zu liegen käme, wo die Füsse liegen und umgekehrt, so würde
die Hexe nimmer zum Bewusstsein gelangen, sondern bliebe für ewig todt."
Man hat nun auch gewisse Anzeichen dafür, ob Jemand eine Hexe sei oder
werde, und eins derselben zeigt sich bereits bei der Geburt:
«Wird ein Kind mit dem Hemdchen geboren, so muss man es allgemein bekannt geben.
Ist das Hemdchen roth, so wird das Mädchen eine Mora (Mar oder Trut), nach der Verhei-
rathung aber eine Hexe, ein männliches Kind dagegen wird ein Hexenmeister; macht man
aber die Sache rechtzeitig kund, so kann das nicht geschehen.' (KraiMsK)
Unter den anderen Kennzeichen einer Hexe steht auch hier obenan, dass sie,
in das Wasser geworfen, nicht untersinkt. Es ist das eine Anschauung, die von
den traurigen Zeiten her, wo der sogenannte Hexenhammer wüthete, sich bis
in die Neuzeit erhalten hat. und auch hiergegen hatte Wierus angekämpft.
In diesem südslavischen Hexenglauben konmien sonst noch übrigens auch
uralte Anschauungen wieder zu Tage:
«Es giebt drei Arten von Hexen. Zur ersten Art gehören die Lufthexen. Diese sind
von sehr böser Qemüthsart; sie sind dem Menschen feindlich gesinnt, jagen ihnen Schreck
und Entsetzen ein und stellen ihnen auf Weg und Steg überall nach. Nächtlicher Weile
pflegen sie dem Menschen au&upassen und ihn so zu verwirren, dass er das klare Bewusstsein
vollständig verlieren muss. Zur zweiten Art gehören die Erdhexen. Diese sind von ein-
schmeichelndem, edlem und zugänglichem Wesen und pflegen dem Menschen weise Rath-
schläge zu ertheilen, damit er dieses thun und jenes lassen möge. Am liebsten weiden sie
Heerden. Die dritte Art bilden die Wasserhexen, die höchst bösartig sind, doch, wenn sie
frei auf dem Lande herumgehen, mit den ihnen begegnenden Menschen sogar gut verfahren.
Wehe und Ach aber demjenigen, den sie im Wasser oder in der Nähe desselben erreichen;
denn sie ziehen und wirbeln ihn so lange im Wasser herum, oder reiten ihn in der Reihe
nach 80 lange, bis er jämmerlich ertrinken muss.* CKrausshJ
Dass in diesem aus Kroatien stammenden Glauben die in das Weibliche
übertragenen Elementargeister, oder, wie Krauss sich ausdrückt, die übliche
DreitheUung der Vilenarten zu Tage tritt, das wird wohl Jeder deutlich er-
kennen. Zum Schlüsse seiner Arbeit macht Krauss noch die folgende interessante
Bemerkung:
36»
564 LXXIV. Die Greisin im Volksglaaben.
.Vergleicht man den sfldslavischen Hexenglauben mit dem abendländischen,
vorzüglich mit' dem deutschen und italienischen, aus welchem die Süd-Slayen so
manche Elemente entlehnt haben, so fllllt es auf, dass in allen den Sagen ein Hexenmeister
nicht erwähnt wird. Femer ist dem Teufelsglauben eine sehr untergeordnete Stellung ein-
geräumt. In den deutschen und italienischen Hexenprocessen spielt der Teufel eine
sehr grosse Rolle. Die Hexen verschreiben sich ihm mit Leib und Seele unter Hersagen be-
sonderer Schwurformeln. Davon ist keine Rede im südslavischen Hexenglauben. Merk-
würdiger Weise wird den Hexen bei den Süd-Slaven die Gabe der Weissagung in keiner
Weise zugeschrieben. Die Vjestice war eben ursprünglich keine Wahrsagerin, sondern
lediglich Aerztin. Die Weissagung erscheint noch heute den Süd-Slaven als nichts Ver-
ächtliches. An gewissen Festtagen' im Jahre, z. 6. am Tage der heil. Barbara und zu Weih-
nachten, weissagen noch gegenwärtig Frauen und Männer, die Frauen z. B. aus Fmcht-
kömem, die Männer aus dem Fluge der VOgel, oder aus den Eingeweiden oder Schulter-
stücken geschlachteter Thiere. Bei den Süd-Slaven gab es offenbar ursprünglich keines-
wegs wie bei den Italienern und Deutschen einen besonderen Stand der Priesterinnen,
Weissagerinnen und Aerztinnen. Das streng demokratisch-separatistische System der Haus-
gemeinschaft (zadruga), der Phratie (bratstvo) und der Phyle (pleme), welches die Süd-
Slaven als uraltes indogermanisches Erbstück bis auf die Jetztzeit zum Theil fest-
gehalten haben, bot der Entwickelung von Priesterinnen-Collegien nicht geringe Hemoinisse.
Zudem nahm und nimmt das Weib im Volksleben der Süd-Slaven eine ganz untergeordnete
Stellung ein. Dem Weibe, das man sich wie irgend einen Gegenstand von ihren Eltern und
Verwandten kaufte, konnte man unmöglich eine höhere geistige Beföhigung einräumen, die
sie über den Mann gestellt hätte. In Folge dessen konnten die Hexenprocesse des Abend-
landes auf dem Balkan keinen günstigen Boden finden. Die mittelalterliche Dämonologie
des Abendlandes fand hier keinen Eingang.*
Nach Toeppen sind bei den Masuren «Frauen, die rothe Augen haben
— besonders alte — , schlimme Leute; sie können hexen und vor ihnen nimmt
sich das ganze Dorf in Acht*. Auch durch den bösen Blick sind besonders die
alten Frauen gefahrlich. Man kann sich schützen, wenn man hinter sie tritt und
hinter ihrem Rücken, ohne ein Wort zu sprechen, dreimal mit dem Zeigefinger
der linken Hand winkt.
An Hexen glaubt die Landbevölkerung in Ober-Bayern, wie Höfler uns
berichtet, ebenfalls noch heute:
,Noch wird im Isarthale Müchmangel der Kühe dem Hexeneinflusse zugeschrieben,
weshalb auch manche Bäuerin die Milch nicht verkaufen will; verkaufte Milch, welche beim
Kochen Übergeht, macht durch die Hexenkrafb auch die Milch im Kuheuter gerinnen; noch
heisst ja das Milchhäutchen .die Hex'; noch werden die , Hexenbesen' auf Flachs- und 6e-
treideäckem aufgesteckt (geweihte „Palmzweige" d. h. Weidenzweige), noch werden die ver-
schiedenen stark riechenden „Hexenkräuter* in den todten Winkeln des Stalles aufgesteckt,
oder gar der schwarze, stinkende Bock eingestellt, um die Hexen von dem Stalle und damit
nach dem Volksglauben auch die Krankheiten fernzuhalten. Noch heute soll deijenige, welcher
Hexenverdaoht hat, 3 Tage lang nichts ausleihen aus dem Hause, und jene Person, welche
nach dieser Zeit zuerst ins Haus kommt, um etwas zu borgen, das ist die üebelwollende, die
Unholdin. Noch wird beim Umschütten des Tischsalzes ein Theil desselben kopfüber nach
hinten geworfen mit den Worten: «Hex bleib hinter mir!" **
Auch in Skandinavien, namentlich in Norwegen, spielen die Hexen,
wie wir durch Äsbjömson erfahren, eine hervorragende Rolle. Sie vermögen
sich in allerlei Qethier zu verwandeln und fügen namentlich ihren eigenen Ehe-
männern an ihrer Habe, an Leib und Leben recht empfindlichen Schaden zu.
Sonntagskinder vermögen sie zu erkennen und ihre Tücke zu Nichte zu machen.
Aber auch noch höher im Norden kommt der Hexenglauben vor, nämlich
in Grönland. Hier constatirte ihn v. Nordenshjöld. Er sagt:
„So wenig die Eskimos auch zum Aberglauben geneigt sind, so suchen sie die Ur-
sachen zu dem Unglück und Missgeschick, von dem sie betroffen werden, doch sehr oft in der
Zauberei, und wie vor noch nicht gar langer Zeit in Europa, so beschuldigte man früher
auch in Grönland hierfür vorzugsweise ältere Frauen. In der Zauberei bewanderte Männer
und Frauen wurden mit dem gemeinsamen Namen Iliseetsok genannt."
Die übernatürliche Macht des Weibes wird auch im südlichen Afrika
463. Die Zauberin, die Wahrsagerin und die kluge Frau. 565
anerkannt: Die Kaffern im Oranje-Freistaat glauben, wie Grütener^
berichtet, das8, wenn ein Mann Jemanden yerflacht, dieses dem Betreffenden
nicht schadet, wenn aber ein Weib ernstlich flucht, dann trifit der Fluch un-
^fehlbar ein.
Bei den Xosa-Kaffern ist nach Kropf der Olaube an Hexen weitver-
breitet. Sie haben sogar zwei besondere Arten von Zauberpriestern, von denen
die einen, die Amagqira awokumbulula, die Gegenstände, mit denen gehext
worden ist, auflinden und entfernen müssen, während die anderen, die Isanuse
oder Amagqira abukali, die «scharfen Aerzte**, die Hexen «herauszu-
riechen*^ haben. Es hat den Anschein, als wenn die Isanuse viel häufiger
Männer als Weiber herausriechen. Das findet auch seine höchst einfache Er-
klärung. Das Eigenthum der als Hexe herausgefundenen Persönlichkeit wird
nämlich von dem Häuptling confiscirt, und da ist es selbstverständlich lohnender,
reiche Männer als arme Weiber herauszuriechen.
Von den Chinesen berichtet Katscher:
«Wie in anderen Ländern, giebt es auch in China Personen, alte Weiber, welche vor-
geben, mit gewissen übernatürlichen Geistern befreundet zu sein und die Seelen der Todten
heraufbeschwören und zur Rücksprache mit Lebenden veranlassen zu kOnnen. In jeder
grösseren chinesischen Stadt giebt es eine Unzahl von Hexen. In einem Theile der Pro-
vinz Kwangtung giebt es eine Art Hexen, Mifukau, welche vorgeben, durch gewisse
Gebete und anderen Hokuspokus den Tod von Menschen herbeiführen zu können. Ihre Dienste
werden zumeist von verheiratheten Frauen in Anspruch genommen, die wegen grausamer
Behandlung oder aus anderen Gründen ihre Eheheiren beseitigen wollen. Die Hexe, an die
man sich wendet, sammelt auf Friedhöfen die Gebeine von Säuglingen und fleht die bösen
Geister der letzteren an, die Gebeine in ihre (der Hexe) Wohnung zu begleiten, wo sie sie
zu einem feinen Pulver zerstösst. Dieses verkauft sie ihrer Kundschaft, die die Weisung er-
hält, es den zu tödtenden Personen täglich in Wasser, Wein oder Thee zu reichen, während
die Hexe die bösen Geister der Säuglinge täglich anfleht, die ihrer Kundschaft verhassten
Personen umzubringen. Zuweilen versteckt man, um desto sicherer zu gehen, einen noch
unpulverisirten Theil der Gebeine eines Säuglings unter dem Bette des ahnungslosen Mannes.
Die Behörden haben wiederholt, und mit Erfolg, den Versuch gemacht, diesem Unfug zu
steuern; Grey berichtet über mehrere Fälle von Massenhinrichtung von Mifukaus.'
463. Die Zauberin^ die Wahrsagerin und die kluge Frau.
Es sind eigentlich nur graduelle Unterschiede, welche die Hexe von der
Zauberin und der Wahrsagerin trennen, und auch die kluge Frau gehört dieser
Sippe an; denn sie versteht es ja, aus allen möglichen Dingen die Zukunft vor-
herzusagen, durch Besprechungen, also durch das Murmeln von Zauberformeln
allerhand Krankheiten und Schäden zu heilen und durch sympathetische Mittel
Yerhexungen unschädlich zu machen.
Speke fand bei dem Könige von Uganda besondere Weiber in Function,
welche bei jeder Audienz, die der Herrscher ertheilt, zugegen sein müssen, um
ihm den bösen Blick abzuwenden. Sie führen den Namen Wabandwa.
PaUas berichtet von Zauberinnen der Kalmücken, welche Uduguhn ge-
nannt werden,
dass sie nicht mit den geistlichen oder heiligen Personen verwechselt werden dürfen,
sondern dass sie niederen Standes sind und dass sie .verabscheuet und die Ausübung ihrer
verbotenen Künste sogar geahndet zu werden pfleget. Sie sollen nur alle Monathe einmal
zaubern, und zwar in deijenigen Nacht, in welcher der Neumond antritt. Sie bedienen sich
keiner Zaubertrommeln, sondern lassen eine Schaale mit Wasser bringen, tauchen ein gewisses
Kraut darin und besprengen zuerst damit die Hütte. Damach haben sie gewisse Wurzeln,
welche sie in jede Hand nehmen, anzünden und mit ausgestreckten Armen allerley Geberden
und gewaltsame Leibesbewegungen machen, wobei sie beständig die Silben Dshi, Eje, Jo, jo
singend wiederholen, bis sie in eine Art von Wuth gerathen, da sie dann auf die vorgelegten
566
LXXIV. Die Greisin im Volksglauben.
Fragen, wegen verlohme Sachen oder zukünftiger Begebenheiten, Antwort geben.* (Aber
auch Männer, Böh genannt, zaubern.)
Auch bei den Kirgisen traf Pallas allerhand Zaubervolk an, nnd nachdem
er dieses aufgezählt hat, so fährt er fort:
.Endlich so giebt es noch Hexen beyderley, am meisten aber weiblichen Geschlechts
(Dshaadugar), welche die Sclayen und Gefangenen bezaubern, so dass sie gemeini^licii
entweder auf der Flucht verirren und wieder in die Hände ihres Besitzers fallen, oder ipv^enzi
sie auch entkommen sind, dennoch bald wieder in Kirgisische Sclayerey gerathen sollen.
Sie raufen zu dem Ende dem Gefangenen einige Haare vom Kopf, fordern seinen Namen
und stellen ihn mitten im Gezelt auf die aus einander gefegte und mit Salz bestreate
Asche des Feuerplatzes. Darauf nimmt die Zauberin ihre Beschwörungen vor, während
welcher sie den Gefangenen dreymal zurücktreten lässt, auf seine Fusstapfen ausspuckt und
jedesmal zum Zelt hinausspringt. Zum Schluss streut sie dem Gefangenen etwas von der
Asche, worauf er gestanden, auf die Zunge und damit hat die Bannung ein Ende. Die Ka-
saken am Jaik glauben fest, dass, wenn ein Gefangener seinen wahren Namen sagt^ diese
Zauberey ohnfehlbar würke."
Zauberer und Zauberinnen spielen auch hei den sibirischen Völkern, bei
den Buräten, Tungusen, Beltiren, Katschinzen u. s. w. eine grosse Rolle.
Ebenso haben die Golden derartige Weiber. Alle diese
sibirischen Zauberfrauen unterscheiden sich aber in ihren
Zauberkünsten nicht von den männlichen Schamanen. Auch
in Bezug auf ihre Kostüme und auf ihre Ausrüstung sind
sie den letzteren fast vollkommen gleich. Sie benutzen
gleich ihnen eigenthümliche Handtrommeln und sie tragen
wie diese bei ihren Amtsverrichtungen phantastische An-
züge, die mit Schellen und Klapperblechen behangen sind.
Ausführliches über diese Schamanen männlichen und weib-
lichen Geschlechts habe ich in meinem Buche über die
Medicin der Naturvölker gegeben. (Bartels^,)
Will eine Goldin Schamane werden, so muss der
älteste Schamane eine weibliche Figur, welche diese Person
darstellt, ungefähr 1 Meter gross in Holz schnitzen. Wenn
diese Arbeit vollendet ist, so hat die Frau die Schamanen-
würde erreicht. Hieraus scheint hervorzugehen, dass es
gänzlich in das Belieben des Ober-Schamanen gestellt ist,
ob er das Weib in den Stand der Schamanen aufnehmen
will oder nicht. Hat er irgend etwas dagegen, so braucht
er ja nur mit dem Schnitzen des Bildes niemals zu Stande
zu kommen; dann kann die Frau auch nie Schamanin
werden. Diese Holzfiguren sind übrigens von einer ganz
erstaunlichen Rohheit. Kapitän Adrian Jacobsen hat eine
solche für das Museum für Völkerkunde in Berlin mit-
gebracht, welche in Figur 405 dargestellt ist.
Die sibirischen Zauberinnen setzen sich durch leb-
hafte Körperbewegungen, durch eintönige Gesänge, durch
das Getöse der Zaubertrommel und durch das Rasseln der
Klapperbleche in einen Zustand extatischer Erregung, der
Fig. 405. Holzfigur
der Golden (Sibirien),
die Schamanen - Candi-
da tin darstellend.
(Aus ^^''J^^^.^^^^^^^ ^®^ an hypnotische Processe erinnert.
Ganz ähnlich war es wohl mit der berühmten Pytkia
in dem Tempel zu Delphi, welche von dem fürchterlichen Lärm, der unter ihrem
Dreifusse gemacht wurde und, wie es scheint, durch ausströmende Gase in einen
Zustand halber Betäubung übergeführt wurde. Der Anwendung des Hypnotismus
zum Zwecke der Wahrsagung, wie er unter dem Namen des Somnambulismus im
vorigen und im Anfange unseres Jahrhunderts eine so grosse Rolle gespielt hat,
begegnen wir noch heute auf einzelnen Inseln des alfurischen Meeres.
463. Die Zauberin, die Wahrsagerin and die klage Frau. 567
Von den Einwohnern der Insel Buru z. B. berichtet Riedel^:
«Will man in Erfahrung bringen, wer Jemanden krank gemacht hat, oder will man
einen Blick in die Zukunft werfen, dann ruft man zwei dessen kundige Weiber, meistentheils
bejahrte Wittwen, in das Haus oder unter einen grossen Baum im Walde. Hier wird ein
Sitzplatz Yon Gabagaba oder ein Stein zum Sitzen für die Eine hergerichtet, indess die Andere
unter dem die Ohren betäubenden LSxm von Tuba und Trommel aufsteht, ein Schwert (Pa-
rang) ergreift und damit allerlei wilde Sprünge mit gross aufgerissenen Augen und offen
herabhängenden Haaren wie eine Furie macht, in einer Art von Extase nach oben und nach
den Seiten und auch in die Augen der zweiten Frau blickt, während der Schweiss in Strömen
von ihrem Körper herabströmt. Dabei schneidet sie sich mit dem Paraog und nimmt dann
einen Stein von der Erde auf, mit welchem sie sich sägend auf die blosse Brust schlägt, so
lange, bis ihre Gefährtin, welche sitzen geblieben ist, in Gonvulsionen verfällt und kataleptisch
wird, das Gefühl ihrer Persönlichkeit verliert und in eine Art von Betäubung und hypno-
tischen Zustand verfällt. In diesem Schlafe wird sie von der Anderen ausgeforscht und über
Alles, was man zu wissen wünscht, um-'Rath gefragt."
, Andere Frauen legen sich einfach unter eine Matte und verfallen nach heftigen con-
vulsivischen Zuckungen in Schlaf. Diese können von Jedem befragt werden. Wenn sie wieder
erwacht sind, so können sie sich an das, was geschehen ist, nicht mehr erinnern. Diese
Frauen sollen, wie man behauptet, bei dem Ausbrechen der Katamenien in einen lethargischen
Schlaf von einigen Tagen verfallen. Sie sind obendrein sehr vergesslicher Natur, weil sie im
Walde durch den männlichen IJjabat oder den bösen Geist überfallen worden sind und mit
ihm den Beischlaf ausgeführt haben. Diesen Zustand nennt man Sanane, auch wohl Ta-
nane, da man sich vorstellt, dass der in dem Berge Sanane hausende Erdgeist in den
Körper des Weibes gefahren ist, um ihr Bewusstsein oder ihre Seele auf einige Zeit daraus
zu entfernen oder zu ersetzen. Diese Weiber sind nur mit einem kurzen, von den Hüften
bis auf die Kniee herabreichenden Sarong bekleidet. Während der wilden Sprünge der Einen
und der krampfhaften Zuckungen der Anderen fallen ihnen die Sarongs wiederholentlich
heruntier und werden ihnen dann von einem der Umstehenden wieder festgebunden.*
Ein ähnlicher Gebrauch herrscht auf den Luang- und den Sermata-
Inseln. Auch hier versetzt man durch Beschworungen und durch Trommelschlagen
eine alte Frau in einen kataleptischen Zustand, in welchem, wie man glaubt, einer
von den Geistern der Vorfahren in sie fahrt, und dann befragt man sie über das,
was in der Geisterwelt vorgeht. Ebenso existiren auf den Eilanden Leti, Moa
und Lakor Weiber, welche sich durch Trommelgetöse hypnotisiren lassen und
dann die Zukunft vorhersagen und Träume deuten können. Sie stehen in hohem
Ansehen und ihre Divinationsgahe schreibt man einer Vereinigung von ihnen mit
dem auserkorenen Geiste zu. (Riedel\)
Unter den Skandinaviern gab es ebenfalls Frauen, welche die schwarze
Kunst und die Kenntnisse von geheimen Kräften und Dingen besassen; ein solches
Weib, das mehr wusste, als Andere, nannte man vala oder völva, spakona,
galdrakona, seidkona. Mit einer derselben, die Thorbiörg hiess und als weise
Frau im Winter .umherfuhr, um den Leuten bei Festschmäusen zu weissagen,
macht uns Wmihold bekannt. Der reiche Bauer ThorkeU lud sie ein, um zu
erfahren, ob das Hungerjahr bald aufhören werde. Am Abend kommt sie an,
von einem entgegengeschickten Manne geleitet. Sie trägt einen dunkeln, mit
Riemen gebundenen Mantel, der von oben bis unten mit Knöpfen besetzt ist, am
Halse Glasperlen, auf dem Kopfe eine Mütze von schwarzem Lammfell, mit
weissem Katzenfell gefuttert; in der Hand hält sie einen Stab mit einem mit
Steinen besetzten Messingknopf. Die Hände stecken in Katzenfell-Handschuhen;
an den Füssen hat sie rauhe Kalbfellschuhe mit langen Riemen und grossen
Zinkknöpfen auf den Enden derselben. Ihren Leib umschliesst ein Korkgürtel,
an dem ein Lederbeutel mit den Zaubergeräthen hängt. Wie sie hereintritt;, wird
sie von Allen ehrerbietig gegrüsst; der Wirth fuhrt sie auf den Ehrenplatz, den
Hochsitz, der diesmal mit einem Polster aus Hühnerfedern bedeckt ist. Die
Seherin nimmt etwas Ziegenmilch und eine aus allerlei Thierherzen bestehende
Speise zu sich; sie ist schweigsam, verheisst jedoch für den nächsten Tag zu
568 LXXIV. Die Greisin im Volksglanben.
weissagen und den Wünschen zu entsprechen. In der That war am nächsten
Abend Alles bereit, was sie zum Zauber bedurfte, nur Frauen fehlten, welche
die zur Schutzgeisterlockung dienenden Sprüche verstehen. Endlich findet sicli
eine, die auf Island dergleichen Sprüche gelernt hatte; weil sie Christin ist,
entschliesst sie sich erst nach langem Bitten, behülflich zu sein. Da schliessen
die Frauen um die Wahrsagerin auf dem vierbeinigen Zauberschemel einen Kreis,
die Gehülfin stimmt ein schönes Lied an und die Wala erklärt nun, die Natur-
geister seien willig geworden. Darauf weissagt sie das baldige Ende des Hanger-
jahres und verkündet Allen das, was sie zu wissen wünschen; schliesslich zielit
sie auf den nächsten Hof, von dem bereits ein nach ihr gesendeter Bote ang^e-
kommen war.
Auch in den norwegischen Erzählungen von Ashjömson werden uns ein
Paar derartige kluge Frauen in ihrem Benehmen vorgeführt. Sie erinnern in
hohem Grade an ihre Schwestern in Deutschland und in den österreichischen
Alpen ländern, deren Einfluss auf das niedere Volk und auf die Geistigarmen
der vornehmen Stände uns überall noch entgegentritt. Ihr Gebiet ist die reiche
Fülle der Beschwörungsformeln zur Bekämpfung von allerlei Krankheiten und
Yerhexungen, deren Macht bisher weder die Erziehung noch die Kirche, noch
auch die aufklärende und bildende Literatur zu beseitigen im Stande ge-
wesen sind.
, Einer ganz besonderen Macht und eines ausserordentlichen Einflusses er-
freuen sich aber die Zanberfrauen, die Govalyi, bei den heutigen Zigeunern.
17. Wlislocki^ schreibt Folgendes über dieselben:
^Die Zauberfrauen der Zigeuner treten gegenwärtig in erster Linie als Helfer, und
zwar als Heilkünstler auf, sowohl fQr Mensch, als auch fQr Thiere. Sie kennen die Zauber-
formeln, durch welche die Misege (das Schlechte, die Krankheitsdämonen) aus dem
Körper der Siechenden vertrieben werden können; sie haben die Macht und Kraft, die Seele
der Menschen ,zu binden und zu lösen", Liebe und Hass zu entfachen und zu vernichten;
und wie die materiellen Angriffe, wissen die Zauberfrauen auch psychische Störungen zu be-
kämpfen. Sie haben also noch immer dieselbe Rolle, die bei Naturvölkern die Priester hatten
vor der Trennung der Seelsorger von den leiblichen. Im Bewusstsein überirdischer Begabung
oder im zuversichtlichen Vertrauen auf die helfende Kraft überirdischer Wesen, wird durch
Kenntniss zauberkräftiger Formeln und Kräuter geheilt.*
,Wie bei der Heilung von Krankheiten, seien dieselben nun materielle oder psychische
Angriffe, muss die Zauberfrau auch in anderen Kenntnissen ihr Können beweisen, um wirk-
same Talismane und Fetische dem Volke vertheilen zu können. Selbst für die täglichen
Lebensbedürfnisse muss sie ihre Macht bekunden, indem sie die Zukunft voraussagt, das Un-
glück abweist, überhaupt durch zauberkräftige Mittel das Gelingen eines Unternehmens fördert.
Nicht nur die Todten zu bannen, sondern auch die Witterung zu regeln, muss die Zauberfrau
verstehen, um ihre Verbindung mit überirdischen Wesen darzulegen."
Eine Zauberfrau kann man bei den Zigeunern auf zwei verschiedene Arten
werden. Die eine Art haben wir früher schon kennen gelernt; sie besteht darin,
dass ein überirdisches Wesen, ein Nivashi (ein Wassergeist) oder ein Pguvush (ein
Erdgeist) mit der Frau geschlechtlichen Umgang hat, und sie nun, um ihr
Schweigen zu erkaufen, in den geheimen Künsten unterrichtet. Würde sie schreien,
dann könnte der Geist sich nicht von der Stelle rubren und es wäre nun eine
leichte Mühe, ihn todtzuschlagen. Um die Wiederkehr des Elementargeistes zu
verhindern, muss die neue Zauberfrau nun neun Tage lang Pferdemilch trinken.
In ihrem Leibe hat sie eine Schlange, die Jeden todten kann, der es versucht,
der Frau etwas zu Leide zu thun.
Die zweite Gattung der Zauberfrauen erlangt ihre Kraft auf andere Weise;
ich lasse auch hier Heinrich v. Wlisloclci^ sprechen:
.Dem Glauben der Zigeuner gemäss giebt es Frauen, die im Besitze übernatürlicher
E[r&fbe und Eigenschaften sind, welche sie theils auf natürlichem Wege erworben, theils aber
ererbt haben. So bringt z. 6. das siebente Mädchen einer durch keine Knaben unterbrochenen
Kinderreihe Eigenschaften mit sich auf die Welt, die anderen Sterblichen abgehen, so z. B.
463. Die Zauberin, die Wahrsagerin und die kluge Frau. 569
sieht es Dinge (vergrabene Schätze, die Seelen Verstorbener u. dergl.), die Anderen unsichtbar
sind. Die meisten Zauberfrauen wurden noch in ihrer zartesten Jugend in der Heil- und
Zauberkunst unterrichtet und erben von ihnen zugleich den Ruf und das Ansehen. Nur ihre
eigenen Töchter können die Zauberfrauen in ihrer Kunst unterrichten, nachdem dieselben
die Anlagen dazu durch Blutvererbuog mit sich auf die Welt bringen, also eine pradestinirte
Zauberkraft schon a priori besitzen, die aber nur dann zum vollen Ausbruch kommt, sich zur
Thätigkeit entfaltet, wenn das betreffende Weib selbst wenigstens schon drei Töchter zur
Welt gebracht hat.*
, Stirbt die Mutter, eine Schwester oder eine Tochter der Zauberfrau, so muss sie das
Wasser aus dem Napfe trinken, den man nach eingetretenem Tode zu den Füssen der Leiche
aufzustellen pflegt, damit .sich die Seele der Verblichenen darin bade**. Trinkt sie es nicht,
80 nimmt die Todte ihre Weisheit mit und sie hat aufgehört, zur Gilde der Zauberfrauen zu
gehören. Um ihre Weisheit, Zauberkraft zu bewahren, steckt sie auch ein angebranntes
Stückchen von den Kleidern der Verblichenen zu sich, die eben nach altem Brauche gleich
nach der Leichenbestattung verbrannt werden. Mit diesem Fetzen räuchert sie sich dann in
der nächstfolgenden Johannisnacht oder Neujahrsnacht auf irgend einem Kreuzwege, um die
noch immer herumflattemde Seele der Verblichenen, die erst nach gänzlicher Fäulniss des
Körpers ins «Todtenreich* eingeht, zu bannen. Aus eben diesem Grunde muss sie die ersten
nenn Tage hindurch nach der Leichenbestattung jedesmal zu Mittag das Grab der Verblichenen
besuchen und Mohnkömer bis zum Grabe auf die Erde fallen lassen, damit die ihr nach-
folgende Seele der Gestorbenen dieselben auflese und keine Zeit habe, sie in ihrer Zauberkraft
zu schwächen."
«Während dieser Zeit muss sie sich des Beischlafs enthalten, damit sie nicht etwa ge-
schwängert ein todtes Kind zur Welt bringe, aus dem ein Lo9olico (Dämon) oder Mulo
(Vampyr) würde, der seine Eltern zu Tode quälen könnte. Häufige Schlnckungen nach Ver-
lauf der erwähnten neun Tage deuten an, dass die Zauberkraft der betreffenden Frau unge-
schwächt, ja im Gegentheil gestärkt und vermehrt sich in ihr befinde.'
Bei diesem Glauben an die übernatürlichen Kräfte der Zauberinnen und bei
der Art und Weise, wie sie von ihrer Zaubermacht Gebrauch machen, müssen wir
es abermals bewundern, wie die Menschen in den verschiedensten Jahrhunderten
und in den verschiedensten Theilen unseres Erdballs doch wieder auf die gleichen
Gedanken und auf analoge Mittel zu ihrer AusfQhrung verfallen sind. Ob jemals
dieser Aberglaube schwinden wird, das mochte ich für sehr unwahrscheinlich
halten.
LXXV. Das Weib im Greisenalter.
464. Die Greisin in anthropologischer Beziehung.
Das Klimakterium ist das Merkzeichen für die Frau, dass die Zeit ihrer
Blüthe auf immer dahingeschwunden ist. Mit mehr oder weniger raschen, aber
mit Schritten, die keine Umkehr mehr zulassen, geht jetzt das Weib dem Oreisen-
alter entgegen. Die äussere Erscheinung einer Greisin ist allbekannt; aber dennoch,
möchte ich glauben, ist es nicht ganz unnütz, dieselbe hier ein Weniges zu zer-
gliedern. Was wohl am meisten in die Augen fallt, das ist der rapide und hoch-
gradige Schwund des Unterhautfettgewebes, der die bei Greisinnen oft so erheb-
liche Abmagerung bedingt und indirect auch die Ursache ist für die Fülle von
Runzeln und Falten, welche wir an dem Antlitz und dem Körper der hochbetagten
Frauen auftreten sehen. Das Unterhautfett nämlich wird allmählich aufgesogen,
es schwindet, es wird weniger; die Haut aber nimmt an diesem Processe der
Verkleinerung nur in ganz geringer, fast unmerklicher Weise Theil, und da sie
nun im Uebermaasse, als eine zu weite Hülle für den abgemagerten Körper vor-
handen ist, da aber Tausende von feinen Bindegewebssträngen sie mit dem von
ihr bedeckten, immer mehr und mehr einschrumpfenden Körper verbinden, so
muss sie nothgedrungen sich runzeln und sich in den verschiedensten Richtungen
in Falten legen.
Dieser Process der Abmagerung, der, wie ich wohl kaum erst zu erwähnen
brauche, naturgemäss doch nur mit einem Wenigerwerden, mit einem Verluste
an Gewebselementen einhergehen kann und der gewöhnlich mit dem Namen des
Altersschwundes, der senilen Atrophie bezeichnet wird, beschränkt sich nun
aber keineswegs allein auf das Unterhautfettgewebe. Auch die Muskulatur, die
Eingeweide, das Gehirn und das Rückenmark, die Nervenstränge, die Lunge und
die Leber, die Milz und die anderen Blut und Lymphe bildenden Organe, ja
selbst die Knochen nehmen daran Theil, und merkwürdiger Weise scheinen ausser
der bereits erwähnten Haut nur das Herz und di^ Nieren hiervon ausgenommen
zu sein.
Aber erhebliche Veränderungen, welche durch das Alter bedingt werden,
finden sich auch an diesen letztgenannten Organen. In der Haut atrophiren die
kleinen Drüsen und hierdurch erleidet sie eine nicht unerhebliche Einbusse an
ihrer Elasticität, sie wird spröde und trocken ; die Nieren zeigen wichtige Altera-
tionen in ihrem feineren anatomischen Bau, und die Muskulatur des Herzens unter-
liegt allmählich einer fettigen Degeneration, welche zum nicht geringen Theile
für die Herzschwäche und die Störungen in der Blutcirculation bei den alten
Frauen die Ursache abgiebt. Charcot sagt:
„Les fibres musculaires de la Tie organique n'echappent pas ä la d^g^neration gpraie-
seuse et voub aurez souvent Toccasion de constater qua les parois musculaires du coeur en
464. Die Greisin in anthropologischer Beziehung. 571
8ont presque toujours atteintes chez les femmes qui meurent & an äge avanc^. A cette
alt^ration du tissu cardiaque se rapportent les phenom^nes d'asystolie qui s'observent si fr6-
quemment chez les vieiUards, alors mdme qu'üs paraissent jouir d'une bonne sante.*
Es wird auch dem in den Gebieten der medicinischen Wissenschaft nicht
bewanderten Leser sofort einleuchten, dass wir uns hier bereits an der Grenze des
Pathologischen, des Krankhaften bewegen, und der Arzt muss daher den bekannten
Ausspruch vollkommen unterschreiben, dass das Greisenalter an sich eine Krank-
heit ist. Wir müssen aber darauf verzichten, uns an dieser Stelle noch ein-
gehender mit den sogenannten Altersveränderungen zu beschäftigen, soweit sie
die anatomische Zusammensetzung der einzelnen Organe und deren physiologische
Leistungen zu verändern und zu beeinträchtigen vermögen, und ich beschränke
mich darauf, die allgemeine äussere Erscheinung, welche die Greisin darbietet, etwas
genauer zu beleuchten.
Da fallen uns, abgesehen von den bereits besprochenen Runzeln und Falten
der Haut, die gebückte, gekrümmte und vornübergebeugte Haltung des Körpers,
die wackelnden und leicht zitternden Bewegungen des Kopfes und der Hände und
der steife und unsichere, fast stampfende Schritt zuerst in die Augen. Die gerade
und aufrechte Haltung unseres Körpers wird bedingt durch die in gleichmässiger
Stärke wirkende Thätigkeit der Bengemuskeln und der Streckmuskeln unserer
Wirbelsäule und des Kopfes. Ln höheren Alter gewinnen die Bengemuskeln das
Uebergewicht und krümmen daher die Wirbelsäule nach vorn, und gleichzeitig
wird auch der Kopf etwas abwärts gebeugt. Der letztere verliert nun aber die
richtige Unterstützung f&r seinen Schwerpunkt und sinkt daher, dem Gesetze der
Schwere folgend, nach und nach noch weiter nach vorn. Auch die Vorwärts-
krümmung der Wirbelsäule steigert sich allmählich, theils durch den Druck des
überhängenden Kopfes und der Schulter, theils dadurch, dass die übermässig ge-
dehnten Streckmuskeln immer mehr von ihrer Contractionsfahigkeit einbüssen,
während die Beugemuskeln immer kürzer werden, theils endlich auch durch directe
Yolumenabnahme der die einzelnen Wirbelkörper mit einander verbindenden Band-
scheiben in ihren vorderen Abschnitten, welche durch die Beugung der Wirbel-
säule einer dauernden Gompression unterliegen, während ihre hinteren Hälfben im
Gegentheil sogar gedehnt und vergrössert werden.
Die ruhige Haltung unseres doch immerhin recht schweren Kopfes kommt
dadurch zu Stande, dass ihn die entsprechenden Muskelgruppen der rechten und
der linken Körperhälfte in gleichmässiger Gontractionsarbeit im Gleichgewicht
erhalten. Diese Gleichmässigkeit der Contractionen geht nun im Alter verloren,
jedenfalls in Folge der im Gehirn und in den Nervensträngen sich einstellenden
atrophischen Processe, und nun contrahiren sich in schneller Folge bald die
Muskeln der einen, bald diejenigen der anderen Seite, und hierdurch wird dann
das Wackeln des Kopfes verursacht, wie wir es bei alten Leuten so gewöhnlich
antreffen.
Die Zitterbewegungen der Hände, im Volksmunde der Tatterich genannt,
sowie die Unsicherheit in der Bewegung der Beine verdanken ihren Ursprung
ebenfalls den Altersveränderungen im Bereiche des Nervensystems. An dem ent-
blössten Körper fällt die gewöhnlich vorhandene grosse Magerkeit, das Welke,
Schlaffe und doch an vielen Stellen wie polirt Glänzende der Haut in die Augen.
An den Fingern und Zehen, an der Kniescheibe, ganz besonders aber an den
Ellenbogen kommt es zu sehr reichlicher Faltenbildung der Haut. Auch die
Bauchhaut hat sich in zahlreiche Falten gerunzelt. Die Muskelgruppen der Ex-
tremitäten sind schlaff und welk; die Rundungen des Körpers sind verschwunden;
die etwas prominenten Theile des Knochengerüstes treten mit erschreckender
Deutlichkeit hervor. Wo einst in stattlicher Fülle und Prallheit die Hinterbacken
Sassen, markiren sich jetzt die grossen, seichten Vertiefungen der Darmbeinschaufeln.
Dadurch erhält auch der schlaffe runzlige After eine so oberflächliche Lage, dass
572
LXXV. Das Weib im Greisenalter.
1
er sofort sichtbar wird, während er bei jungen Weibern tief in der Hinterkerbe
versteckt liegt. Die letztere ist aber jetzt fast spurlos verschwunden.
Auch ein Mons Veneris hat eigentlich aufgehört zu existiren, denn die den-
selben einstmals bedeckende Haut ist jetzt straff über die Schambeinsymphyse
gespannt, während das ihn einstmals bildende Fettpolster völlig geschwunden ist.
Seine Behaarung ist aber erhalten geblieben, und zwar erscheinen die Haare sogar
länger, dicker und massiger als früher, wenn sie auch zum grossen Theile ihren
Farbstoff eingebüsst und die graue Farbe des Alters angenommen haben. Sie
scheinen überhaupt in einem noch höheren Grade widerstandsfähig gegen das
Alter zu sein, als die Kopfhaare, obgleich ja auch diese, wie wir oben bereits
gesehen haben, dem weiblichen Geschlechte um sehr viele Jahre länger erhalten
zu bleiben pflegen, als dem männlichen. Albrecht will, wie schon früher erwähnt,
hierin ein Zeichen von Inferiorität des Weibes gegenüber dem Manne in ver-
gleichend anatomischer Beziehung erkennen. Von den Falten des Bauches wurde
bereits gesprochen; die Bippen und die Schulterblätter treten deutlich hervor,
während die Zwischenrippenräume und die Schlüsselbeingruben tief eingesunken
sind. Die Brüste haben ebenfalls ihr Fett verloren
und hängen in Gestalt grösserer oder kleinerer Haut-
lappen am Brustkorbe herunter (Fig. 406), oder sie
sind überhaupt gänzlich geschwunden mit Ausnahme
der grossen und meistentheils missfarbenen Warzen.
Es bleibt mir noch übrig, über die Verände-
rungen und Umbildungen zu sprechen, welche das
höhere Alter in dem Gesicht der Greisin hervorruft,
und hierbei möge sich der Leser an dasjenige erinnern,
was ich in dieser Beziehung über die Matrone sagte,
auch möge er die auf Taf. VH zusammengestellten
Köpfe von alten Frauen in Augenschein nehmen.
Der Process des Herabrutschens der Wangen,
wie wir uns ausdrücken können, dessen Anfange wir
bereits in der Zeit des Klimakteriums zu beobachten
vermochten, hat jetzt im Greisenalter ganz erhebliche
Dimensionen angenommen. Wie ein schlaffes Segel
hängt die Haut der Wange herab und lässt die Um-
risse des Jochbogens sich deutlich markiren. Die
eigentliche Wölbung der Wange ist so weit nach
unten gelegt, dass sie gleichsam an dem unteren Bande
des Unterkiefers hängt, hier, entsprechend der Ansatz-
stelle des grossen Kaumuskels, einen schmalen, halbwalzenformigen Wust
bildend. Die Nasen-Lippenfurche ist noch erheblich tiefer geworden und reicht
oft bis fast an den unteren Band des Unterkiefers herab. Die Nase er-
scheint dadurch an ihrer Wurzel schmaler als bisher, sie hat aber bedeutend an
Länge zugenommen; auch haben ihre Spitze und die Nasenflügel eine gewisse
Plumpheit erhalten. Durch die so weit nach abwärts reichende Nasen-Lippen-
furche wird aber auch das Kinn vollständig von den Wangen abgegrenzt und
macht nun den Eindruck wie eine dem Untergesicht besonders angesetzte kleine
Halbkugel.
Der Mund hat seine Zahne verloren und die dieselben einstmals beher-
bergenden Alveolen sind allmählich vollkonunen geschwunden. Der Oberkiefer
sowohl als auch der Unterkiefer sind nun also, auch abgesehen von dem Verluste
der Zähne, um ein Stück niedriger geworden, und wenn sie nun mit ihren Kau-
flächen auf einander ruhen, dann hat das ganze Gesicht einen gar nicht unbe-
deutenden Bruchtheil seiner Höhe verloren; die Lippen sinken flach trichterförmig
ein, einen wahren Strahlenkranz von Bunzeln um die Mundspalte bildend, und
Fig. 406. Kaiinas -Indianerin
(Surinam),
obgleich erst 38 Jahre alt, doch be-
reits beginnende Greisenverände-
mngen zeigend.
(Nach Prinz Roland Bonaparte.)
465. Die anthropologpische Bedeutang der Altersverändernngen des Weibes. 573
das der Nase genäherte Kinn ragt nun eine ganze Strecke weiter über die senk-
rechte Medianlinie des Körpers nach vorn hinaus als in früheren Tagen.
Die Farbe des Gesichtes ist meist eine blasse, &hle, erdfarbene. Die bereits
besprochene, unvollkommene Regeneration des Blutes bei alten Leuten und die
bei ihnen so gewöhnlichen Girculationsstörungen tragen hieran die Schuld. Bis-
weilen aber finden wir die Wangen gerade mit einem rosigen Schimmer belebt.
Dieses Leben ist aber nur ein scheinbares; denn die Ursache dieser Wangenröthe
haben wir in Blutstauungen in den mehr oberflächlich gelegenen Gapillargefässen
der Haut zu suchen. Die Augen sind meist getrübt, oft durch chronische Gatarrhe
der Bindehaut geröthet und thränend und machen durch das Auftreten des soge-
nannten Greisenringes, einer ringförmigen, gelblich-weissen Verförbung der Horn-
haut rings um die äussere Peripherie der Regenbogenhaut, einen eigenthümlichen,
fremdartigen Eindruck. Hier und da im Gesicht, besonders aber am Kinn und
an der Unterlippe, treten starke, borstenähnliche Haare auf, und es gehört durch-
aus nicht zu den Seltenheiten, dass bei den Weibern im Greisenalter ein ganz
regulärer, wenn auch etwas dünn gesäter Bart zur Entwicklung gelangt.
465. Die anthropologische Bedeutung der Altersreränderangen
des Weibes.
In dem vorigen Abschnitte habe ich ein Bild zu entwerfen gesucht von den so
«ehr beträchtlichen Veränderungen und Umformungen, welche das Greisenalter in
der gesammten äusseren Erscheinung des Weibes in so charakteristischer Weise
verursacht, und die auf der siebenten Tafel dem Leser vorgeführten Dar-
stellungen von hochbetagten Frauen verschiedener Nationen und Rassen werden
noch zur besseren Yeranschaulichung des Gesagten beitragen helfen. Wenn wir
den so erheblich veränderten Anblick, welchen uns jetzt das Weib darbietet, in
nähere Betrachtung ziehen, so können ich uns einigen hochbedeutenden anthropo-
logischen Thatsachen nicht verschliessen, welche ich an dieser Stelle einer kurzen
Besprechung unterwerfen muss. Die erste dieser Thatsachen lässt sich folgender-
maassen formuliren:
Die Veränderungen des Greisenalters verwischen die Geschlechts-
<;haraktere des Weibes.
Der Leser möge sich vergegenwärtigen, dass Dasjenige, was wir als den
weiblichen Habitus zu bezeichnen gewohnt sind, durchaus keinen angeborenen
Zustand bedeutet. Einem neugeborenen Kinde das Geschlecht anzusehen, selbst-
verständlich wenn man von den Genitalien Abstand nimmt, ist ein Ding der Un-
möglichkeit, und nicht selten noch länger als ein Jahrzehnt hindurch behält das
kleine Mädchen den knabenhaften Typus bei. Bisweilen allerdings lassen schon
verhältnissmässig sehr frühzeitig, mit 6 oder 7 Jahren, die grössere Fülle der
oberen Brustregion und die runden Formen der Hinterbacken, der Schenkel und
der Waden mit Deutlichkeit das weibliche Geschlecht erkennen. Unter allen
Umständen aber ist der weibliche Habitus nichts von vornherein Fertiges, sondern
etwas Werdendes, allmählich sich Entwickelndes.
Je näher die Zeit der Pubertät herannaht, desto deutlicher vollzieht sich die
Differenzirung des geschlechtlichen Habitus, und es ist immer als eine ausser-
ordentliche Seltenheit und damit gleichzeitig als eine Abnormität zu betrachten,
wenn man bei geschlechtsreifen Menschen die Geschlechter noch mit einander zu
verwechseln im Stande ist. Das bleibt nun auch in gleicher Weise för den grösseren
Theil des späteren Lebens bestehen.
Dann aber kommt das Greisenalter heran und lässt die rundlichen Formen
des weiblichen Körpers verschwinden, macht alle Glieder dürr und mager und
zieht tiefe Furchen in das sonst so volle Antlitz. Jetzt ist es wiederum fast
574
LXXV. Das Weib im Greisenalter.
eine Unmöglichkeit, eine sichere Unterscheidung der Geschlechter vorzunehmen,
wenn nicht die besondere Haartracht oder die Eigenthümlichkeiten des Anzuges
oder der Ausschmückung des Körpers das Urtheil unterstützen helfen. Es kommt
noch hinzu, dass, wie wir gesehen haben, dem Antlitze alter Frauen sehr häufig
ein dünngesäter Bart entsprosst, während bei Greisen der Bartwuchs nicht selten
seine einstige Dichtigkeit verliert, und dass die Stimme alter Männer fast immer
höher und quäkender wird als früher, während Greisinnen ein rauheres und tieferes,
mehr an das männliche erinnerndes Organ zu erhalten pflegen. Es bedarf aber
wohl nicht erst der Erwähnung, dass sich alles das soeben Gesagte nur auf die
allgemeine äussere Erscheinung be-
zieht; denn die im Anfange dieses
Werkes geschilderten secundären Ge-
schlechtscharaktere, wie sie das mensch-
liche Knochengerüst uns darbietet,
können naturgemäss auch durch das
Greisenalter nicht verändert und aus-
gelöscht werden.
Aber noch eine zweite Thatsache
von anthropologischer Wichtigkeit
tritt uns entgegen, welche wir folgen-
dermaassen ausdrücken können:
Die Veränderungen des
Greisenalters verwischen die
Rassencharaktere.
Auch diesen Ausspruch wird ein
Blick auf die Taf. VII bestätigen, wo
wir greise Vertreterinnen aus allen
fünf Welttheilen kennen lernen. Ich
glaube kaum, dass es auch dem her-
vorragendsten Anthropologen möglich
wäre, allein aus dem Anblick solcher
(übrigens in ganz ausgezeichneter Por-
traitähnlichkeit gefertigter) Abbil-
dungen mit absoluter Sicherheit die
Nationalität dieser alten Frauen zu bestimmen. Natürlicher Weise darf man aber
nicht vergessen, dass, wenn man solche Greisinnen im Originale vor sich hätte,
der anthropologische Typus der Haare, sowie die Hautfarbe und etwaige Tätto-
wirungen oder sonstige, für bestimmte Völker charakteristische Verstümmelungen
die Diagnose auf die ethnographische Herkunft zu erleichtern vermögen. Immer-
hin verdienen diese beiden eigenthümlichen Wirkungen des Greisenalters die voUe
Würdigung und Beachtung der Anthropologen.
Es ist nun aber absolut unmöglich, über den eigentlichen Termin, zu
welchem der Eintritt des Greisenalters zu erwarten ist, auch nur annähernd eine
für alle Fälle gültige Aeusserung zu machen. Denn in dieser Beziehung herrschen
die allererheblichsten Schwankungen nicht allein bei den verschiedenen Rassen,
sondern auch bei den einzelnen Individuen. Die Einen conserviren sich gut, die
Anderen altem frühzeitig. Wer hätte z. B. die in Fig. 406 dargestellte Kaiinas-
Indianerin für erst 38jährig geschätzt, wer würde es der in Fig. 407 abge-
bildeten Zigeunerin mit ihren unzähligen kleinen Falten und Runzeln ansehen,
dass sie erst 29 Jahre alt ist? Und ähnliche Exemplare bei unserer nord-
deutschen Landbevölkerung und bei unserem grossstädtischen Proletariate aus-
findig zu machen, würde wohl keine sehr grosse Mühe kosten.
Wir hatten gesehen, dass stets bei solchen Nationen die Weiber frühzeitig
zu altern pflegen, bei denen die Frauen in ganz besonderer und übermässiger
Fig. 407. Zigeunerin aus dem turkestanischen
Distriot von Zeravschan,
29 Jahre alt, Greisenveränderung zeigend.
(Nach Photographie.)
465. Die anthropologische Bedeutung der Altersveränderungen des Weibes. 575
Weise mit Mühen und Anstrengungen belastet sind, and auch innerhalb der
hochcivilisirten Völker treflFen wir bei dem überangestrengten Weibe des Land-
manns und des Proletariers ganz die gleiche Erscheinung. Wo wir nun, wie wir
das früher besprochen haben, ein einander ähnlich Werden zwischen Mann und
Weib eintreten sehen zu einer Zeit, welche bei weitem vor den Jahren des
eigentlichen Greisenalters liegt, da müssen wir doch immerhin ein solches Ver-
schwinden des geschlechtlichen Habitus als eine Alterserscheinung in Anspruch
nehmen; es handelt sich hier eben um einen prämaturen, um einen vorzeitigen
Eintritt des Greisenalters.
Wenn nun aber einmal der an-
thropologische Typus der Greisin er-
reicht worden ist, dann muss ich
es als vollkommen aussichtslos er-
klären, eine genauere Bestimmung und
Schätzung ihrer Lebensjahre vor-
nehmen zu wollen. Die Fig. 408 giebt
das Portrait einer 120 Jahre alten
Sioux-Indianerin, der Old Bets
von Minnesota. Wer sie betrachtet,
der muss doch wohl bekennen, dass
man sie in ihrem Aeusseren durch
gar nichts von anderen Greisinnen
zu unterscheiden vermag, seien die-
selben 90, 80, 70 Jahre idt, oder noch
darunter. Diese Thatsache berechtigt
uns zu der Aufstellung eines dritten
anthropologischen Satzes:
Die Veränderungen des Grei-
senalters verwischen und ver-
nichten die Kennzeichen u. Merk-
male, welche für eine Alters-
bestimmung maassgebend sind.
Denn wir dürfen nicht vergessen, dass es in dem ganzen übrigen Leben der
Frau für gewöhnlich doch zu den äussersten Seltenheiten gehört, wenn ein anthro-
pologisch geschultes Auge nicht anatomische Merkmale genug finden sollte, um
mit einem gewissen Grade von Sicherheit das Lebensalter des Weibes bestimmen
zu können. Im höheren Alter aber kommt es vor, wie wir soeben gesehen
haben, dass man sich um ganze Jahrzehnte in der Schätzung vergreifen kann.
Fig. 406. Old Bets, Sionz-Indianerin (Minnesota),
120 Jahre alt. (Nach Photographie.)
LXXVL Das Weib im Tode.
466. Das Sterben des Weibes.
Wir haben bis hierher dem Weibe das Geleit gegeben von seiner ersten
Entstehung im Matterleibe an, durch die Jahre der Kindheit hindurch bis zu
denen der Mannbarkeit, durch die Zeit der Befruchtung und Schwangerschaft
bis in die höheren Lebensjahre und endlich bis in das Greisenalter hinein, und
der Leser könnte wohl der Meinung sein, dass unsere Besprechungen f&glich
hiermit ihren Abschluss finden könnten. Ich würde aber meine Aufgabe doch
für nur unvollkommen gelöst und erledigt betrachten, wenn ich nicht noch der
sterbenden und sogar auch der Frau nach dem Tode die Aufmerksamkeit zu-
wenden wollte.
Die früheren Kapitel haben uns ja doch bereits gelehrt, wie mannigfach und
verschiedenartig das Benehmen, die Behandlung, die Obliegenheiten und die Pflichten
des Weibes bei den verschiedenen Nationen und Rassen sind, was für erstaun-
liche Uebereinstimmungen wir aber andererseits in den Anschauungen und Auf-
fassungen dieser verschiedenen Völker, auch wenn sie absolut nicht stamm- und
rassenverwandt sind, zu constatiren im Stande waren. Und so ist es nach diesen
Erfahrungen von vornherein wohl nicht zu bezweifeln, dass wir auch bei allem
dem, was sich auf das Weib im Tode bezieht, nicht uninteressanten ethnologischen
Parallelen und Controversen begegnen werden.
Wenn wir uns nun femer noch einmal vergegenwärtigen, wie durch das
ganze Leben hindurch das weibliche Geschlecht in anatomischer und physiologischer
Beziehung sowohl, wie auch in pathologischer und psychologischer, in seinem
ganzen körperlichen Bau, wie auch in seinem gesammten Denken und Empfinden
so ganz erhebliche Unterschiede von dem männlichen Geschlechte darbietet, so
werden wir es wohl verstehen können und sogar a priori erwarten müssen, dass
auch das Erlöschen der Lebensfunctionen und das Eintreten des Todes bei der
Frau von den analogen Erscheinungen bei dem männlichen Geschlecht nicht un-
wichtige und uninteressante Abweichungen darbieten muss. Das ist auch den
wissenschaftlichen Forschem auf dem Gebiete des weiblichen Lebens nicht ent-
gangen, und wissenswerth und lehrreich ist, was der verstorbene Gynäkologe
Busch nach seinen eigenen und nach Vigaroux Beobachtungen über den uns hier
interessirenden Gegenstand geschrieben hat:
.Der Gescblecbtsunterschied zwischen dem Manne und dem Weibe zeigt sich auch in
dem Tode. Im Allgemeinen ist das Leben des Weibes dauernder als das des Mannes, und es
ist daher eine natürliche Erscheinung, dass dasselbe den Tod weniger fürchtet als dieser.
Vigaroux will dieses aus der eigenthümlichen Constitution des Weibes erklären: nach ihm
ist die erhöhte Sensibilität fttr dasselbe kein Nachtheil und gereicht demselben vielmehr zum
Vortheil; je heftiger die Empfindungen, um so weniger andauernd sind sie, und zwar weil
467. Der unnatürliche Tod der Weiber. 577
die Weichheit und Schmiegsamkeit der festen Theile ihnen nur einen geringen Widerstand
entgegenzusetzen vermögen. Bei dem Manne hingegen erfordert die Rigidität und Kraft der
festen Theile eine grössere Energie und einen weit höheren Grad Ton Intensit&t der auf diese
einwirkenden Ursachen; die Wirkung ist aber dann auch anhaltender, weil der Widerstand,
den diese Theile zu leisten im Stande sind, viel kräftiger ist, aber oft die Ursachen des
Unterli^ens bedingt. Es vergleicht dieser Schriftsteller das Weib in dieser Beziehung dem
schwachen Rohre, welches, unfähig zu widerstehen, demüthig sein Haupt vor dem heran-
nahenden Ungewitter beugt, und es sanft wieder erhebt, wenn das Ungewitter sich verzogen
hat: der Mann aber gleicht jener hohen Eiche, welche nur deshalb mit fortgerissen wird,
weil sie kräftig genug ist, zu widerstehen. Der Mann opfert sein Leben zwar oft einer Idee,
und ist unempfindlich bei dem Tode Anderer, aber setzt auf diese Todesverachtung selbst
einen hohen Werth, sieht sie als etwas Grossartiges und Männliches an und ist ängstlich vor
dem Tode, der ihn in der Krankheit ergreifen könnte, besorgt. Das Weib hingegen, obgleich
es heftig bei dem Tode Anderer afQcirt wird, und nicht einzusehen vermag, wie der Mann
sein Leben einer Idee opfern kann, achtet ihr eigenes Leben geringer und ist in Krankheiten
sorgloser über den Ausgang. Wir finden bei Frauen nicht so viele Beispiele von Todesver-
achtung und ruhiger, kaltblütiger Ueberleg^ng im Augenblicke des Todes, wie bei Männern,
aber auch niemals so ängstliche Fürsorge für die Erhaltung des Lebens, wenn es durch
Krankheiten gefährdet wird und das Opfern desselben keinen Zweck hat. Der Mann kämpft
gegen den Tod ruhiger, das Weib sieht ihm ruhiger entgegen; wo daher dem Manne kein
Kampf gestattet ist, da wird er ängstlich. Bei grossen Epidemien beobachtet man stets, dass
die Männer ängstlicher erscheinen als die Frauen, dass sie auf alle mögliche Weise dem Ein-
flüsse der epidemischen Krankheit sich zu entziehen suchen, während die Frauen weniger ihre
Lebensweise veiändem und sich willig ihrer Bestimmung unterwerfen. Bei dem Weibe er-
folgt der Tod sanfter und allmählicher und stellt mehr ein Erlöschen des Lebens, eine gleich-
förmige Erschöpfung dar, während bei dem Manne der Tod mehr von den einzelnen Organen
ausgeht und eine stärkere oder schwächere Reaciion hervorruft.*
Es möge sich der Leser hier auch noch einmal an dasjenige erinnern, was in
unserem ersten Kapitel über die Sterblichkeit des weiblichen Geschlechts aus-
einandergesetzt wurde. Ferner möge er nicht vergessen, dass selbstverständlich
die gesammte Lebensweise und die Yerschiedenartigkeiten der Stellung, welche
die beiden Geschlechter in dem Haushalte der Natur einzunehmen haben,
auch ganz andersartige Lebensgefahren für das Weib, als für den Mann be-
dingen müssen. Wir treffen also auch noch in dem Tode Geschlechtsunter-
schiede an, deren anthropologische Bedeutung in keiner Weise unterschätzt
werden darf.
Bei den Zigeunern bedarf das Sterben der Zauberfrau einer absonderlichen
Vorbereitung. Wir lesen hierüber bei v. Wlislocki^:
,Wird nun eine solche Zauberfrau alt und gebrechlich, so bereitet sie sich zur Fahrt
ins Todtenreich vor, indem sie sich die Nägel an Fingern und Fusszehen wachsen lässt. Es
heisst nämlich im Volksglauben, dass eine Zauberfrau gar schwer ins Todtenreich gelangen
kann und sich nur mit ihren langen Nägeln an den Felsenwänden festhalten kann, die sie
eben erklimmen muss, um nach dem Tode ins Jenseits zu gelangen.*
, Stirbt ein Woib, das durch Umgang mit einem Nivaahi (Wassergeist) oder Pguvush
(Erdgeist) Zauberfrau geworden ist, so fährt ein Blitz ins Wasser, der von den Nivashi-LeutGii
aufgefsuigen wird."
Wahrscheinlich liegt hier der Gedanke zu Grunde, dass die Schlange, welche
im Leibe eines solchen Weibes nach dem Beischlaf mit einem der genannten
Elementargeister zurückbleibt, nun mit dem Ableben der Zauberlrau wieder frei
wird, und unter der Gestalt eines Blitzes zu den Wassergeistern wieder zurück-
kehren muss.
467. Der unnatürliche Tod der Weiber.
Mit der Verschiedenheit in der Lebensweise der beiden Geschlechter hängt
es auch zusammen, dass ein unnatürlicher Tod bedeutend häufiger die Manner,
als die Weiber ereilt. Sie erliegen in offener Feldschlacht dem kämpfenden Feinde,
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. II. 87
578 LXXVI. Das Weib im Tode.
oder der heimtückischen Waffe des NebenbiiUers und des Kopfjägers; sie fallen
ak ein Opfer ihrer gefährlichen Jagden, oder sie gehen zu Grande in ihrer Be-
schäftigung mit den Maschinen oder mit den wilden Elementen. Ganz anders ist
das bei dem weiblichen Geschlechte; auch ihm sind unnatürliche Todesarten nicht
erspart, aber ganz anderer Art sind die Ursachen, welche diesen imnatürliclieii
Tod bedingen.
Wir haben in früheren Abschnitten bereits zwei dieser Ursachen und ver-
schiedene Beispiele unnatürlichen Todes bei dem weiblichen Geschlechte kennen
gelernt; die eine basirte auf dem dem Ehegatten zustehenden Rechte, die Ehe*
brecherin umzubringen, und das andere war die Wittwentodtung. Der Ajimaassung*
der Männer genügt es aber nicht immer, allein die Wittwe dem Verstorbenen mit
in den Tod zu geben. Es würde ihm und ihr im jenseitigen Leben an der noth-
wendigen Bedienung fehlen, wenn ihnen keine Mägde zur Seite ständen, und so
erleiden bisweilen ausser der Wittwe auch noch eine Anzahl anderer Weiber den
Tod. Lübboci berichtet;
.Starb ein Häuptling (der Viti-Insulaner), so war es üblich, ihm ein Paar seiner Frauen
und Sclaven . mitzugeben **. Bei Ngavindi's Tode ging Mr. Calvert nach Mb au in der Hoff-
nung, die Erdrosselung der Frauen zu verhindern. Er kam jedoch zu spät. Drei Frauen
waren ermordet. Thakombau hatte der Sitte gemäss den Vorschlag gemacht, seine Schwester
zu erdrosseln, welche die erste Frau des Verblichenen gewesen war; doch hatte die Bevölkerung
von Lasakau gewünscht, sie möge am Leben bleiben, damit ihr Kind ihr Häuptling werde.
Ngavindi's Mutter hatte sich an ihrer Statt erboten und war erdrosselt. Der verstorbene
Häuptling lag in voUem Staate an der Seite einer todten Frau auf einem Brette, der Xeich*
nam seiner Mutter lag auf einer am Fussende stehenden Bahre und eine ermordete Sclavin
inmitten der Behausung auf einer Matte. In den Boden einer nahegelegenen Hütte legte man
zuerst den Leichnam der Dienerin, und dann die drei anderen eingehüllten, zusammen einge-
wickelten Leichen. Die Frauen sind bei solcher Gelegenheit gern zum Sterben bereit, denn
sie glauben, nur auf diese Weise in den Himmel gelangen zu können.*
So berichtete auch Kund aus dem Congo -Gebiete:
,Man kann sagen, dass nahezu vom Pool aufwärts bis zu Falls kein freier, ange-
sehener Mann stirbt, ohne dass einige Weiber und Sclaven getödtet werden. Bisweilen soll
besonders höher hinauf dieser Wahnsinn bei dem Tode eines Mannes bis über 100 Andere
mit in das Grab ziehen."
Von Kafscher wird aus China folgende Sitte berichtet, welche allerdings
nicht ein Todten ist, aber doch eine Art des Lebendigbegrabens:
.Das Innere dieser Mausoleen (der Kaiser) ist sehr geschmackvoll verziert. Einst war
es üblich, geschnitzte Bildnisse von Dienern und Sclavinnen neben den Särgen unterzubringen.
Confucius erklärte in einer seiner Schriften diese Sitte für lächerlich; statt sie in Folge dessen
aufzugeben, missdeutete man die Worte des grossen Weisen dahin, dass es besser wäre, den
todten Regenten lebendiges Gesinde zur Verfügung zu stellen, und so erhielt sich denn
2300 Jahre lang (von 500 vor Chr. bis ans Ende des vorigen Jahrhunderts) der Gebrauch,
jedem verstorbenen Kaiser zu seiner Bedienung ein Ehepaar ins Grab mitzugeben. Die Haupt-
pflichten dieser armen Teufel bestanden in Verbrennen von Weihrauch und in täglich zwei*
maligem Anzünden am Kopf- und am Fussende des Sarges. Es fanden sich immer unbe-
mittelte Leute, die gegen eine von der Regierung ihren Familien zugesicherte Geldsumme be-
reit waren, den Rest ihres Lebens in den kaiserlichen Mausoleen zu verbringen.*
Dass in Massaua der Vater verpflichtet ist, seine Tochter aufzuhängen,
falls sie sich vor der Verheirathung schwängern lässt, das haben wir früher bereits
gesehen.
Auch über die Tödtung der alten Weiber wurde schon an einer früheren
Stelle gesprochen, und einen sehr interessanten Beitrag zu diesem Punkte finden
wir ebenfalls in dem bekannten Werke LubbocVs^ nach welchem ich die Stelle
hier wiedergebe:
«Einstmals erhielt Missionar Hunt von einem jungen Manne (der Fidschi -Insulaner)
eine Einladung zur Beerdigung seiner Mutter. Mr. Hunt leistete der Aufforderung Folge.
Als sich aber der Leichenzug in Bewegung setzte, bemerkte er zu seiner Ueberraschung nirgends
467. Der unnatürliche Tod der Weiber.
579
einen Todten. Auf seine Nachfragen zeigte ihm der junge Wilde seine Mutter, welche mit
ihm ging und ebenso heiter und lebhaft war, wie alle anderen Gftste, und sich offenbar gut
zu amüsiren schien. Er fügte hinzu, dass er seiner Mutter zu Liebe also handeln und dass
sie in Folge dieser Liebe nun im Begriff seien, sie zu beerdigen, und dass nur ihre Kinder
und Niemand anders eine so heilige Dienstleistung vollziehen könnten und dürften. Sie sei
ihre Mutter und sie ihre Kinder, und sie seien daher verpflichtet, sie zu tödten. In solchen
Fällen wird ein etwa 4 Fuss tiefes Grab gegraben. Die Verwandten und Freunde erheben
ihr Wehklagen, nehmen einen rührenden Abschied und begraben das arme Opfer lebendig.
Es ist auffallend, dass Mr. Hunt trotzdem behauptet, die Fidschi -Insulaner behandelten
ihre Eltern freundlich und liebevoll, und in Wirklichkeit halten sie gerade diese Sitte für
einen so grossen Beweis ihrer Liebe, dass eben Niemand als Kinder ihn zu vollbringen ver-
möchten. Sie glauben nämlich nicht nur an ein zukünftiges Dasein, sondern sind auch davon
überzeugt, dass sie, sowie sie aus diesem Leben scheiden, drüben wieder erwachen werden.
Sie haben daher einen überaus triftigen Grund, diese Welt zu verlassen, ehe sie altersschwach
geworden sind.''
Es muss hier auch noch daran erinnert werden, dass bei manchen Völkern
auch, die Frau unter Umständen der Todesstrafe verfallt, um bestimmte Verbrechen
zu sühnen. Auch im Verlaufe unserer Be-
sprechungen sind wir Beispielen hierftir
begegnet. Der Feuertod, der Tod durch
Erhängen oder Ertränken, die Steini-
gung u. s. w. sind aber keine Besonder-
heiten des weiblichen Geschlechts; auch
die Männer sind diesen Todesarten bis-
weilen verfallen. Nur das lebendig Ein-
gemauertwerden, wie wir es oben kennen
lernten, ist mir von Männern nicht be-
kannt.
Eine eigenthümliche Todesart ist
in einer chinesischen Aquarell-Malerei
dargestellt (Fig. 409). Eine Frau, die fast
völlig entkleidet ist, hat man mit den
Händen und den Füssen an einem Pfahle
festgebunden, und gleichzeitig ist sie an
diesem Pfahl mit ihren Haaren aufgehängt.
Brust, Bauch und Arme sind gänzlich
entblösst; ein langer Unterrock deckt die
Hüften, die Schamtheile und die Ober-
schenkel und reicht bis zur halben
Wade herab; die Unterschenkel sind unbe-
kleidet, aber die kleinen verkrüppelten
Füsse stecken in hohen Schuhen mit dicken
Sohlen. Aus der Kleinheit der Füsse
muss man schliessen, dass es sich um eine
Frau aus den vornehmen Ständen handelt.
Vor der Gefesselten, deren Gesichtsausdruck die Todesangst verräth, steht
ein Scherge mit einem spitzen Schwert, dass er soeben im Begriff ist, dem un-
glücklichen Weibe in die rechte Seite zu stossen. In seiner Linken hält er
einen Fächer, den er in Bewegung zu setzen scheint. Vermuthlich fächelt er
Luft gegen die Wunde, um das Sterben weniger schmerzhaft zu machen. Von
dem Kopfe der Delinquentin geht ein langer Stab in die Höhe, der ihr in die
Haare gesteckt zu sein scheint. An ihm ist nach Art einer Schreibfederfahne ein
langes, schmales Papier befestigt, welches mit Schriftzeichen überdeckt ist. Wahr-
scheinlich geben diese letzteren über das Verbrechen der unglücklichen Weibs-
person Auskunft.
87*
Fig. 409. Hinrichtung einer Chinesin.
(Nach einem chinesischen AquareU.)
580
LXXVI. Das Weib im Tode.
468. Der Tod des Weibes durch eigene Uand.
Wir haben bei den civilisirten Völkern eine nicht unerhebliche Anzahl toe
Beispielen, das auch das Weib sich nicht scheut, von Verzweiflung getrieben,
die Hand an das eigene Leben zu legen. Unerwiderte oder verlorene Liebe
ist wohl bei weitem der gewöhnlichste Beweggrund für diese SclireckensthaL
Aber auch der heroische Entschluss, die Keuschheit vor Vergewaltigung zu
retten, hat ja bekanntlich nicht wenige Weiber in den Tod durch eigene Hand
getrieben.
So war es ja auch bei den Weibern der Cimbern die Furcht vor Schändung,
welche sie sich selbst entleiben Hess, als die Krieger des Marius ihre Männer
erschlagen und ihre Wagenburg erobert hatten.
In Johann Stumpffs „Gemeiner loblicher Eydgenossenschafft
Chronik* vom Jahre 1548 ist diese Scene in einem Holzschnitte, vielleicht ron
der Hand Hans Holbeins dargestellt, der in Fig. 410 wiedergegeben ist. Der
dazu gehörige Text lautet folgendermaassen:
Fig. 410. Der M assenselbstmord der Gimbern-Frauen nach der Besiegung durch Mariu*.
(Nach Hans Holbein?) (Au8 StHmpjgTs Chronik. 1548.)
pzeletst als sy sich nit mar enthalten mochtend, habend sy jre waaffen hieuor anff die
Römer jre feynd zugericht, wider sich selbs vnnd die jren gebraucht, do stach ye eine die
andere zetod, ein teil bnndend sich an die rossz, vnd schleifftend sich zetod, etlich er*
wurgtend sich selbs. Ein weyb was vnder jnen die erhanckt zum ersten zween jrer snn, vnd
darnach sich selbs u. s. w.*'
Fetrarchae Trostspiegel fiihrt uns ein unglückliches Weib vor, welche5
sich an einem Balken der Decke aufgehängt hat; ein Teufel ist gerade damit be-
schäftigt, ihr den Schemel unter den Füssen fortzuziehen. (Fig. 411.) Dazu ist
folgender Vers gegeben:
„Yerdruss dess Lebens fleuch bey zeit,
Dann es gewöhnlich Verzweiflung geit.
Viel hülff in Schriffb vnd sonst man findt,
Davon Verdrossenheit verschwindt.**
In dem 9. Abschnitte des vorliegenden Buches wurde schon emmal von
dem Selbstmorde gehandelt, den wir dort in Vergleichung zogen mit den so-
genannten abnormen Ehen. Die folgenden Zeilen werden sich dagegen mit der
Ethnographie des Selbstmordes bei dem weiblichen Geschlechte beschäftigen.
468. Der Tod des Weibes darch eigene Hand.
581
Der Selbstmord der Weiber ist keineswegs als eine traurige Errungenschaft
der Civilisation zu betrachten. Er kommt ebenso gut, wenn, wie es den Anschein
hat, auch nicht in gleicher Häufigkeit, bei den sogenannten Naturvölkern vor,
und in dieser Angelegenheit ist der ethnologischen Forschung noch ein weites
Gebiet der Untersuchung oflFen gelassen. Wir wissen von Indianermädchen,
welche aus unglücklicher Liebe sich von Felsen herabstürzten, wir erfuhren schon,
dass manche Wittwen bei den Tolkotin-Indianern in Oregon sich freiwillig
den Tod gaben, um den Erniedrigungen imd den Quälereien zu entgehen, welche
mit ihrer Wittwenschaft der Landessitte gemäss verbunden waren. Von den
"Wah-Peton und Sisseton Sioux-Indianern in Dakota berichtet Mc Chesney:
,Yor 20 und mehr Jahren war es ein ganz gewöhnliches Yorkommniss, dass, wenn
einer Frau ihr Lieblingskind starb, sie sich mit ihrem Lariot an dem Aste eines Baiimes er-
hängte. Das kommt jetzt sehr selten vor.'
Endlich hören wir von den Munda Kohls in Bengalen durch Nottrotty
dass hier die Weiber bisweilen wegen ganz geringfügiger Ursachen ihrem Leben
durch Erhängen ein Ende machen.
Die Dayakinnen in Borneo werden nach Ling
Roth nicht selten schon durch ein unfreundliches Wort
zum Selbstmorde getrieben. Sie versuchen sich dann zu
vergiften; oft aber ist die Dosis zu gering und ein ihnen
eingezwungenes Brechmittel bringt sie wieder in das Leben
zurück.
Dass oft die jungen Wittwen in Indien freiwillig
aus dem Leben scheiden, um den unsagbaren Plagen und
Zurücksetzungen aus dem Wege zu gehen, welche ihre
Landsleute ihnen angedeihen lassen, das haben wir oben
bereits erwähnt.
Auch bei den Mädchen der Chewsuren ist, wie wir
bereits gesehen haben, der Selbstmord nicht unbekannt, und
zwar dann, wenn sie nicht widerstandsfähig genug gewesen
waren, ihre Keuschheit unverletzt zu erhalten. Auch hier
ist der Tod durch Erhängen am gewöhnlichsten; jedoch
kommt es auch vor, dass sich die Mädchen erschiessen.
Eine aufgezwungene Verehelichung treibt bisweilen
die Basutho-Mädchen in den Tod. Merensky sagt:
, Manche Mädchen, die keinen Ausweg kennen, geben sich aus
Verzweiflung lieber selbst den Tod, als dass sie den Mann heiratheten,
den sie nicht leiden mögen. Meist greifen sie zum Strick und
hängen sich in irgend welcher Waldkluft auf."
Die ausführlichsten Nachrichten über den Selbstmord, wie ihn die Vertrete-
rinnen des weiblichen Geschlechts ausüben, hat uns Doolittle aus China gegeben.
Er berichtet über diesen Gegenstand Folgendes:
^Manche Wittwen entschliessen sich bei dem Tode ihres Ehegatten, denselben nicht zu
überleben und dazu zu schreiten, sich selbst das Leben zu nehmen. Die chinesische Wittwen-
tödtung unterscheidet sich von der indischen dadurch, dass sie niemals durch Verbrennen
statt hat. Die Ausführungsart ist eine verschiedene. Einige nehmen Opium und sterben an
der Seite von ihres Mannes Leichnam. Andere begehen den Selbstmord dadurch, dass sie
sich zu Tode hungern, oder dass sie sich ersäufen, oder dass sie Gift nehmen. Eine andere
bei dieser Gelegenheit zuweilen stattfindende Methode ist die, dass sie sich selbst öffentlich
erhängen, nahe bei oder in ihrem Hause, nachdem sie von ihrer Absicht Eenntniss gegeben
haben, so dass die, welche es wünschen, zugegen sein und zusehen können.*
,Die eigentlichen Ursachen, welche manche Wittwen zum Selbstmord bringen, sind ver-
schieden. Manche werden zweifellos hierzu durch einen hohen Grad Ton ergebener Anhäng-
lichkeit an ihren verstorbenen Eheherm bewogen; Andere durch grosse Armuth ihrer Familie
und die Schwierigkeit, einen ehrenhaften und anständigen Lebensunterhalt zu erhalten ; noch
Andere durch die thatsächliche oder ihnen bevorstehende schlechte Behandlung von Seiten
B^ l^p Jlp"TrT a
r
gÄ"V': ■■■■
,- --^
Fig. 411. Selbstmord
einer Frau. (Aus Petrar
chae Trostspiegel.)
582 LXXVI. Das Weib im Tode.
der Angehörigen ihres Gatten. Gelegentlich, wenn sie arm ist, rathen ihr, oder verlangen
die Brüder ihres verstorbenen Mannes, dass die junge Wittwe wieder heirathen soll. In einem
der Fälle, welcher sich hier Tor ungef&hr J/ihresfrist zutrug, war der Beweggrund, welclier
die junge Wittwe dazu Teranlasste, sich durch öffentliches Erh&ngen selbst zu tödten, da^s
ihr Schwager darauf bestand, dass sie einen zweiten Gatten ehelichen sollte. Als sie aicb
weigerte, dies zu thun, setzte er ihr aus einander, dass bei den ungünstigen Umständen cter
Familie der einzige Weg für sie, sich einen Lebensunterhalt zu beschaffen, nur darin besteHen
könne, dass sie Prostitution triebe. Diese Lieblosigkeit machte sie toll und brachte sie zu
dem Entschlüsse, sich das Leben zu nehmen. Sie setzte eine bestimmte Zeit zur AusfÜhnui^
ihres Vorhabens fest. Am Morgen des festgesetzten Tages besuchte sie einen bestimmten
Tempel, der für die Aufstellung der Gedenktafel und zum ewigen Gedftchtniss der «tagend-
samen und kindlichen *" Wittwen errichtet ist. Sie wurde durch die Strassen auf- und abge-
tragen, in einer yon yier Männern getragenen Sänfte sitzend, in Freudengewänder gekleidet
und einen Strauss frischer Blumen in der fiand haltend. Nach Anzündung yon Weihrauch
und Kerzen vor den Gedenktafeln im Tempel, begleitet yon den gewöhnlichen Eniebeugon^en
und Yemeigungen, kehrte sie nach Hause zurück und am Abend nahm sie sich das Leben
in Gegenwart einer ungeheuren Menge von Zuschauem. Bei solchen Gelegenheiten iat es
gebräuchlich, eine Plattform zu errichten und nach den vier Seiten um sie herum Wasser zu
sprengen. Sie streut dann mehrere Arten von Getreide nach den yerschiedenen Bichtangren
aus. Dieses wird als eine gute Vorbedeutung für Ueberfluss und Reichthum in ihrer Familie
angesehen. Nachdem sie sich auf einem Stuhle auf der Plattform niedergelassen hat, nahen
sich ihr gewöhnlich ihre eigenen Brüder und die Brüder des Ehegatten und bezeigen ihr
ihre Verehrung. Das ist oftmals begleitet von einer Darreichung von Thee oder Wein an sie.
Wenn Alles bereit ist, steigt sie auf einen Stuhl, ergreift einen Strick, welcher sicher an einem
erhöhten Theile der Plattform oder an dem Dache des Hauses befestigt ist, und schlingt den-
selben um ihren Hals. Sie stösst darauf den Stuhl mit den Füssen unter sich fort und wird
auf diese Weise ihre eigene Mörderin."
»Früher gaben, wenn man den cnrsirenden Erzählungen Glauben schenken darf, be-
stimmte Beamte der Regierung dem Selbstmorde ihre Billigung, nicht allein durch ihre Gegen-
wart bei diesen Gelegenheiten, sondern auch dadurch, dass sie an der Verehrung liieilnahmen.
Einmal, so erzählt man, hatte eine Frau, nachdem sie die Verehrungen empfangen, anstatt
auf den Stuhl zu steigen, den Strick um ihren Nacken zu schlingen und sich selbst zu hängen,
sich plötzlich erinnert, dass sie ihre Schweine vergessen habe zu füttern, und sie stürzte mit
dem Versprechen fort, in Kurzem zurückzukehren, ein Versprechen, das sie aber vergass zu
halten. Seit diesem Streiche sind keine Mandarinen mehr an diesem Platze bei der Selbst-
tödtung der Wittwen zugegen.*
.Ein öffentlicher Selbstmord einer Wittwe zieht stets eine grosse Schaar von Zuschauem
herbei. Die öffentliche Theilnahme ermuthigt diesen Gebrauch hinreichend, um ihn als ehren-
voll und verdienstlich anzusehen, ihn aber nicht zu befolgen, ist ein ganz gewöhnliches Vor-
kommen. Die Brüder und die näheren Angehörigen der Wittwe, welche sich auf diese Weise
selbst bereitwillig nach dem Tode ihres Gatten opfert, betrachten dieses als eine Ehre fOr
die Familie, und nicht selten fühlen sie eine Befriedigung darin, sich selbst als ihre Brüder
oder Verwandten auszuweisen."
„Bisweilen entschliesst sich auch ein Mädchen, das mit einem Manne verlobt ist, der
vor dem Hochzeitstage starb, durch öffentliches Erhängen ihr Leben zu opfern, im Hinblick
darauf, dass der Tod besser ist, als gezwungen zu sein, einen Anderen zu heirathen oder
unverehelicht zu bleiben. Wenn sie nicht davon abgebracht werden kann, so bestimmt sie
den Tag ihres Selbstmordes, besucht den Tempel, wie oben berichtet wiurde, wenn er nicht
zu entlegen ist, besteigt die am Hause ihres Bräutigams helgerichtete Plattform und befördert
sich in ganz derselben Weise in die Ewigkeit, wie die Wittwen, welche entschlossen sind,
den Verlust ihres Gatten nicht zu überleben. Der Sarg des Mädchens wird in solchem Falle
gleichzeitig mit dem Sarge ihres Verlobten und an dessen Seite beerdigt."
»Die Namen der Wittwen und Mädchen, welche auf die geschilderte Weise ihr Leben
zum Opfer l^gen, werden in dem Tempel, den sie vor der Ausführung ihres Selbstmordes
besuchen, auf der grossen allgemeinen Tafel aufgezeichnet, oder sie müssen eine eigene Tafel
haben, welche in der gewöhnlichen Form ausgeführt ist, sonst aber so kostbar sein darf, als
man sie haben will, und welche im Tempel bei den übrigen Tafeln aufgestellt wird gegen
Erlegung einer Geldsumme für die laufenden Ausgaben der Einrichtung, oder gegen ein Ge-
schenk für deren Wächter und Aufseher. Weihrauch und Kerzen werden in diesem Tempel
am Iten und 15ten jedes chinesischen Monats zu Ehren der „tugendhaften und kindlichen*
468. Der Tod des Weibes durch eigene Hand.
583
Weiber von dem Adel der Stadt verbrannt, und es ist die bestimmte Verpflichtung gewisser
Mandarinen, persönlich oder durch eine Deputation in jedem Frühjahr und Herbst in diesem
Tempel Opfer darzubringen.*
Dass dem Andenken dieser Weiber bisweilen auch Erinnerungsinschriften
an Ehrenportalen gestiftet werden, davon ist weiter oben bereits die Bede
gewesen.
Auch Kutscher spricht von der grossen Geneigtheit der Chinesinnen zum
Selbstmorde. Nach ihm erzeugt die Vielweiberei in denjenigen chinesischen
Familien, welche ihr huldigen, „Neid, Bosheit, Lieblosigkeit, Hass, und treibt viele
eifersüchtige Weiber zum Selbstmord. Kein Wunder daher, wenn viele Chine-
sinnen sich gegen das Heirathen strauben. Um der Ehe zu entgehen, werden
manche Mädchen Nonnen; Andere ziehen es vor, sich den Tod zu geben.
Fig. 412. Japanerin, sich die Kehle mit einem Schwerte abschneidend.
(Nach einem Japanischen Holzschnitt)
Während der Begierungszeit des Kaisers Taukwang fassten einmal nicht weniger
als 15 Jungfrauen den Entschluss, sich gemeinschaftlich das Leben zu nehmen,
weil sie erfahren hatten, dass sie von ihren Eltern verlobt worden waren. Sie
stürzten sich in der Nähe des Dorfes, in dem sie wohnten, in einen Arm des
Cantonflusses und wurden in einer gemeinsamen Gruft begraben, die man „die
Gruft der Jungfern* nennt. Ein ähnlicher Fall ereignete sich im Jahre 1873
in einem Dorfe nächst Whampoa. Acht junge Mädchen legten ihre besten
Kleider an, banden sich an einander und sprangen in einen Nebenfluss des Can-
tonflusses.''
Zwei chinesische Frauen machten von einem Dampfer gemeinsam den Ver-
such, sich zu ertränken, weil sie in Abwesenheit ihrer Ehemänner ihr Geld und
ihre Juwelen verspielt hatten.
584
LXXVL Dm Weib im Tode.
Diese Angaben DooUtÜes und Kaistkers lassen nns einen tiefen Einblick
in die Seele der chinesischen Franen thon. Es bedarf wohl kaom erst der
besonderen Erwähnung, dass fernere Hittheilnngen in dieser Richtung aach über
andere Nationen f&r die Völkerpsychologie von ganz herrorragender Bedeutnng
sein wfirden.
Den Tod durch Hinabstürzen in den Fluss sucht auch eine junge Weibs-
person auf einem japanischen &rbigen Holzschnitt, den ich in Fig. 414 -wieder-
gebe. Da die Bilder dieser Sammlung meist alle chinesische Geschichten vor-
mhren, wenn auch im japanischen Gewände, so ist die Yermuthung naheHegend,
dass auch die Selbstmörderin eine junge Chinesin darstellen solL üeber die
Ursache ihres Lebensüberdrusses bin ich nicht im Stande, Auskunft zu ^eben.
Vielleicht soll es die geduldige und stets willig gehorsame Jungfrau sein, die
Fig. 413. Japanerin, sich einen Dolch in die Kehle stossend.
(Nach einem japanischen Holzschnitt.)
durch die allmählich unerträglichen Launen ihrer Stiefmutter endlich zur Ver-
zweiflung getrieben wurde. Es ist schon früher von ihr die Rede gewesen.
In den Methoden, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, vermag man bei
den civilisirten Völkern bekanntermaassen im Grossen und Ganzen gewisse Ge-
schlechtsunterschiede zu erkennen. Der Tod durch Erschiessen, das Abschneiden
der Kehle, das Oeffnen der Pulsadern und das Erstechen werden vornehmlich von
Männern benutzt; das Vergiften, das Ertränken und das Erhängen wird von dem
weiblichen Geschlechte bevorzugt. Dass es hiervon auch Ausnahmen giebt, brauche
ich nicht erst anzufahren.
In den Heldengeschichten der Japaner scheint der Selbstmord durch Ab-
schneiden des Halses eine hervorragende Rolle zu spielen; wenigstens sind mir
mehrere japanische Holzschnitte bekannt, welche derartige Auftritte vorf&hren.
468. Der Tod des Weibes durch eigene Hand.
585
£me solche Darstellung ist in Fig. 412 wiedergegeben. Bisweilen tödten sich
mehrere Frauen zugleich und das von ihnen benutzte Instrument ist nicht irgend
ein bequemes Messer, sondern sie führen die Durchschneidung ihrer Kehle mit
Fig. 414. Selbstmörderin. (Nach einem Japanischen Holzschnitt.)
einem grossen Schwerte aus. Aber auch der Dolch wird von ihnen zum Durch-
bohren der Kehle benutzt, wie wir in Fig. 413 sehen, welche gleich der vorigen
Abbildung einem japanischen Romane entnommen ist; derselbe befindet sich im
Besitz des Museums für Völkerkunde in Berlin.
586 LXXVI. Das Weib im Tode.
469. Das Weiberbegräbniss.
Die inferiore Stellang, welche in socialer Beziehung bei fast allen Nationen
das Weib einzunehmen pflegt, wirft weit ihre Reflexe über das Grab hinaus, nnd
selbst bei den hochcivilisirten Völkern, welche sicherlich glauben, dass sie der
Frau, wenn sie gestorben ist, ganz die gleichen Ehren und die gleiche pietätvolle
Erinnerung angedeihen lassen, wie den Männern, genügt ein einfacher Gan^ durch
einen Friedhof, um sich von dem Gegentheile zu überzeugen: die schönsten und
reichsten Denkmäler gehören den Männern, die einfacheren bezeichnen die Oraber
des weiblichen Geschlechts. Es ist das eben eine unausbleibliche Folge davon,
dass der Mann seiner ganzen Lebensstellung nach viel mehr als das Weib ge-
zwungen ist, an die OefiPentlichkeit zu treten, während das Weib mehr in stiller
Verborgenheit wirkt und schaflt und naturgemäss dann auch nur einen bedeutend
kleineren Kreis von Anhängern zu erwerben vermag.
Die Sonderstellung, welche das Weib einnimmt, erkennen wir auch, daran,
dass ihm an manchen Orten an dem gemeinsamen Bestattungsplatze eine ganz
besondere und gesonderte Stelle angewiesen wird. Der weltberühmte S^rab-
nissplatz bei der Certosa von Bologna besteht im Wesentlichen aus vier zu-
sammenhängenden quadratischen Ereuzgängeu, in denen die vornehmen Leute ihre
letzte Ruhe finden. Die von diesen Säulengängen umschlossenen quadratischen
Felder, welche der freie Himmel deckt, nehmen die irdischen Reste der ärmeren
Bevölkerung auf, und zwar ist das eine Quadrat nur für die Männer, das andere
nur für die Erwachsenen weiblichen Geschlechts, das dritte für die Knaben und
das vierte für die Mädchen bestimmt. Und ähnlich mag es noch an manchen
anderen Orten Italiens sein.
Auch bei den Parsi in Indien ist es Vorschrift, dass die weiblichen Leichen
von denjenigen der Männer abgesondert werden. Ihre Begräbnissplätze, welche
Dakhmas oder Thürme des Schweigens heissen, sind auf einsamen, mit schöner
Vegetation bedeckten Anhöhen liegende, sehr breite, aber niedere RundthÜrme,
welche oben vollständig offen und unbedeckt sind. In ihrer Form erinnern sie
an unsere modernen steinernen Gasometer, wenn man sich deren Dach fortdenkt.
Das Innere ist durch ganz niedriges, schwellenartiges Mauerwerk in drei concen-
trische Abtheilungen getheilt, während der Mittelpunkt durch eine weite, runde,
gemauerte Grube gebildet wird. Gleiches Mauerwerk, radiär angeordnet, theilt
die concentrischen Ringe in einzelne Unterabtheilungen. In diese werden die
Leichen gelegt, und zwar gehört der mittlere concentrische Kreis ganz ausschliess-
lich den Weibern, während der innerste die Kinderleichen, der äusserste und
naturgemäss auch grösste die Leichname der Männer aufzunehmen bestimmt ist.
Schaaren von Geiern sitzen harrend auf dem Rande der Umfassungsmauer und
stürzen sich sofort auf jeden neuen Ankömmling, sobald seine Träger diesen Ort
des Schaudems wieder verlassen haben. In wenigen Minuten sind die Weichtheile
aufgezehrt und nur das Knochengerüst ist übrig geblieben. Yarrow hat nach
Zeichnung von Holmes eine Abbildung von einem solchen Thurm des Schweigens
gegeben, den uns die Fig. 415 vorführt.
Niebuhr sagt über den Dakhma bei Bombay Folgendes:
«Die Parsi haben eine besondere Manier, ihre Todten zu begraben. Sie wollen weder
in der Erde verfaulen, wie die Juden, Christen und Mohamedaner , noch verbrannt werden,
wie die Inder, sondern sie lassen ihre Todten in den Magen der Raubvögel verdaut werden.
Sie haben zu Bombay einen runden Thurm auf einem Berge ziemlich weit von der Stadt,
der oben mit Brettern belegt ist. Darauf legen sie ihre Todten, und nachdem die RaubvOgel
das Fleisch davon verzehrt haben, sammeln sie die Knochen unten im Thnrme, und zwar die
Knochen der Weiber und Männer in verschiedenen Beh<nissen. Dies Geb&ude ist jetzt ge-
schlossen, wie man sagt, weil einmal eine junge und schöne Frauensperson, die plötzlich ge-
storben und nach morgenlftndischer Manier gleich begraben war, noch auf diesem Todtenacker
einen Besuch von ihrem Liebhaber erhalten hatte.''
Fi^. 415. Thurm des Schweigens. (Dakhma.)
Begräbnissplatz der Parsi in Indien. (Nach Varrüw.)
588 LXXVI. Das Weib im Tode.
Die Sitte, den Verstorbenen Gebrauchsgegenstände mit in den Tod za geben,
ist eine uralte und weitverbreitete. So werden z. B. nach Mantegajsza mit einer
verstorbenen Kota-Frau (Nilghiri-Gebirge) ein Reisstampfer, eine Sichel, ein
Sieb, ein Sonnenschirm und die täglich von ihr getragenen Ohrringe verbrannt
Mit den Männern verbrennt man andere Gegenstände. Auch in dem Abschnitte,
welcher von der todten Wöchnerin handelt, habe ich noch von manchen der-
artigen Todten-Beigaben zu sprechen.
Toeppen berichtet:
„Einer weiblichen Leiche dürfen in Masuren keine Haarnadeln mit in das Grab ge-
geben werden, weil sonst die zurückbleibenden Angehörigen die heftigsten Kopfschmerzen
bekommen und nicht eher los werden, als bis die Leiche wieder aufgegraben und die Nadeln
entfernt sind. Neulich trat der Fall in Hohenstein ein."
Unter den unendlich vielen Fundstücken, welche die prähistorischen Museen
der gebildeten Welt anfüllen, befindet sich auch eine grosse Menge von Weiber-
geräth. Aber dennoch macht es im concreten Falle gar nicht selten die aller-
erheblichsten Schwierigkeiten, mit unanfechtbarer Genauigkeit zu bestimmen, ob
die vorliegenden Gegenstände einem Weibergrabe oder einem Männergrabe ent-
stammen. Nur für bestimmte, ganz eng umschriebene Gräberfelder haben Lindai-
Schmidt, Tischler, Voss und Bahnsen die ersten diagnostischen Versuche in dieser
Beziehung gemacht, aus welchen man ersehen kann, welche Schwierigkeiten sich
einem solchen Unternehmen entgegenstellen. Etwa dem vorgeschichtlichen Grab-
hügel oder der Aschenurne ansehen zu wollen, ob sie die Ueberreste eines
Weibes oder diejenigen eines Mannes enthalten, ist nun vollends ein Ding der
Unmöglichkeit.
Interessant ist ein Befund, welchen der schwedische Archäologe Nordin
aus Skara vor einigen Jahren feststellen konnte. Er deckte ein grosses Gräber-
feld der älteren skandinavischen Eisenzeit bei Bjers auf der Insel Gothland
auf, und fand dabei, dass daselbst alle Weiber verbrannt, alle Männer unver-
brannt beigesetzt worden sind.
Die Erkenntniss des Geschlechts der beigesetzten Person ist bei gewissen
ägyptischen Sarkophagen und- bei vielen etruskischen Aschenkisten ausser-
ordentlich bequem zu bewerkstelligen. Die ersteren bilden bekanntlich bisweilen
die Form und das Antlitz der Verstorbenen nach, und bei einer Anzahl von
Mumien aus dem 3. bis 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, welche Flinders
Petrie vor Kurzem in Achmim-Panapolis ausgegraben hat, war jedesmal das
gemalte Bildniss der verstorbenen Person in die Mumienbinden eingesetzt.
Bei sehr vielen der etruskischen Aschenkisten ist die Todte in voller
Figur und oft unzweifelhaft mit einer gewissen Portraitähnlichkeit auf dem Deckel
der alabasternen oder thönernen Aschenkiste dargestellt. Namentlich das Museum
in Volterra ist reich an solchen Fundstücken, aber auch in dem so hochinteres-
santen Museo archeologico in Florenz finden sich sehr charakteristische Exemplare.
Eins der schönsten derselben, einen bemalten Terracotta-Sarkophag, aus der alten
Porsenna-StaAi Clusium, dem heutigen Chiusi stammend, gebe ich in Fig. 416
wieder. Auf seinem Deckel liegt in Lebensgrosse die ganze Figur der Verstorbenen.
Und dass es sich hier nicht um eine Idealfigur, sondern um eine Portraitstatue
handelt, darüber kann keinerlei Zweifel obwalten.
Bei manchen Völkern vermögen wir auch zu constatiren, dass schon in der
Art, wie man die Frauen betrauert und wie man sie zu ihrer letzten Ruhe be-
gleitet, sich manche Unterschiede von den bei dem Tode der Männer üblichen
Gebräuchen bemerkbar machen. Es sollen hiervon ein paar Beispiele gegeben
werden. So befolgt man nach Sauer auf den Aleuten mit den Weibern bei
dem Begräbniss weniger Ceremonien, als mit den Männern, und von den Ost-
jaken sagt Pallas:
469. Das Weiberbegräbniss.
589
«Männliche Leichen werden von lauter Männern, weibliche von Weibern nach dem Be-
gräbnissplatze gebracht, welcher anf Anhöhen ausgesucht zu sein pflegt. Im letzteren Fall
gehen nur einige Männer mit, welche das Grab machen."
Von den Kärnthnern berichtet Waizer:
,Bei männlichen Leichen folgen dem Sarge nach den Verwandten zunächst die männ-
lichen Leidtragenden, bei einer weiblichen Leiche die Frauen und Jungfrauen. **
Nach de la Potherie hatten bei den Irokesen von New York die Frauen
und Mädchen die gleiche Bestattung, wie die Männer. Um die Mutter trauerten
aber nur die Tochter, indem sie sich in Lumpen hüllten und ihre Haare nicht
kämmten.
Ziemlich ausführliche Nachrichten verdanken wir Mc Chesney über die
Wah-Peton- und Sioux-In dianer von Dacota. Ich entnehme seinen An-
gaben Folgendes:
, Verstorbenen Kindern werden bei der Beerdigung gekochte Speisen an das Kopfende
des Grabes gestellt, und wurde ein Mädchen begraben, dann kommen sämmtliche Mädchen
Fig. 416. Portraitfignr einer jungen Etraskerin,
anf dem Deckel eines bemalten Terracotta-Sarkophages aus Chiusi (dem alten Clusinm).
Im Museo aroheologico in Florenz. (Nach Photographie.)
des gleichen Alters und essen diese Speisen auf. (Bei Knaben wird diese Ceremonie in gleicher
Weise von den Knaben ausgeübt.) Vor dem Tode wird das Gesicht der Frau^ deren Ableben
man erwartet, mit rother Farbe bemalt. Ist dieses nicht vor dem Tode geschehen, so ge-
schieht es hinterher; darauf wird der Leichnam in einem zu seiner Aufnahme hergerichteten
Orabe bestattet, und zwar in der gleichen Art, wie für den Krieger beschrieben wurde, aber
an die Stelle der Waffen treten Kochgeräthe.'
„Einer verstorbenen Frau wird von der linken Seite des Kopfes eine Haarlocke ab-
geschnitten und von einem der Verwandten sorgfältig bewahrt, in Calico und Musselin ge-
wickelt und in der Wohnung der Verstorbenen aufgehängt; sie wird als der Geist der Ver-
storbenen betrachtet. (Bei Kriegern macht man das Gleiche mit der Skalplocke.) An
•dieses Bündel wird eine Tasse oder ein Geföss gebunden, in das für den Geist der Ver-
storbenen Essen gethan wird. Bei dem Tode von Frauen und Kindern schnitten sich vor
1860 die Frauen das Haar ab, zerhackten sich ihren Körper mit Flintstein und scharfen
Holzstücken und stiessen sich diese durch die Haut der Arme und Beine, wobei sie wie für
einen Krieger schrieen.'
Bei den Chinesen werden Töchter nicht zu den Ahnentafeln ihrer Eltern
zugelassen. Wenn sie sich verheirathet haben, dann müssen sie den Ahnentafeln
Ton der Familie ihres Gatten die religiöse Verehrung zollen. Nach ihrem Tode
wird dann ihre Tafel zu den Tafeln gestellt, welche zu ihrem ältesten Sohne ge-
590
LXXVI. Das Weib im Tode.
hören, aber niemals zu denen, welche von den Familien ihrer Brüder verehrt
werden. (Doolittle.)
Die Leichen der Frauen auf Tanembar und den Timorlao-Inseln werden
mit einem neuen Sarong von Eoliblättern bekleidet und mit Zierrathen ge-
schmückt. Ist die Frau gestorben, dann singt ihr Ehegatte:
Dudilaa ist zornig auf mich; warum? lass er mir sagen, wieviel ich bezahlen soll, dandl
sie wieder in das Leben zurückkehren kann ; was es auch ist, ich muss es bezahlen. (Riedel J
Bei manchen Nationen findet sich auch die Gewohnheit, die Gräber der
Weiber gleich durch gewisse äussere Zeichen von denen der Männer deutlich
unterscheidbar und kenntlich zu machen. lieber diesen Punkt schreibt DaU von
den Gräbern der Inuit von Yukon in Alaska:
,Der Weibersarg ist kenntlich an den bei ihm aufgehängten Kessehi und anderem
Frauengeräth. Sonst ist aber kein Unterschied in dem Begr&bnissmodns der beiden Geschlechter.
Nach dem Tode einer Frau wird im Dorfe 4 Tage, nach dem Tode eines Mannes 5 Tage lang
nicht gefischt/
Das Gleiche gilt von den Ingalik von XJlukuk, von denen wir ein Weiber-
grab in Fig. 417 nach Yarrow darstellen.
Fig. 417. Weibergrab der Ingalik von Ulukuk (Nord-Amerika).
(Nach Yarrow.)
Nach Gibbs sind die Frauengräber der Indianer vom Oregon- und
Washington-Territorium (Canoegräber) kenntlich an einem Napf, einem Kamas-
Stock und anderen Geräthen ihrer Thätigkeit und Bestandtheilen ihres Anzuges.
Ueber die Graber der Türken lesen wir bei Sonntag^ dass ein hermen-
artiger, platter Grabstein am Kopfende und am Fussende aufgerichtet wird. Das
obere Stück des Kopfendes bildet einen Turban, einen Fez oder einen Derwisch-
hut. Die Grabsteine fttr die Frauen haben aber entweder gar keine Kopfzeichen,
oder sie laufen oben in ein Blatt, in eine Muschel oder in irgend eine Arabeske
aus. Diese Verschiedenheit der Grabsteine, je nach dem Geschlechte der Beerdigten,
können wir in Fig. 418 erkennen. Dieselbe stellt einen türkischen Begrabnissplatz
aus Sarajevo in Bosnien dar und in Fig. 420 lernen wir noch einen Theil eines
solchen Begräbnissplatzes, ebenfalls aus Sarajevo, kennen. Die Baldachine decken
Heiligengräber; die hohen, pfeilerartigen Steine bezeichnen die Ruhestatte der
Männer; einige lassen den Turban deutlich erkennen, und durch die Säulen des
einen Baldachins erkennt man einen Grabstein mit dem Derwischhut; hier ist ein
Derwisch beerdigt worden. Frauengräber finden sich ganz im Vordergrunde.
469. Das Weiberbegräbniss.
591
Ihre platten, schmucklosen Grabsteine, die nach oben in ein Dreieck auslaufen,
lassen eine gewisse Aehnlichkeit mit unseren Plättbrettern nicht verkennen.
Sehr beachtenswerthe Angaben über die Gräber der Süd-Slaven verdanke
ich einer brieflichen Mittheilung von Krauss:
.Ein eigentliches Leicbenbegängniss erhält bei dem bulg arisch -serbischen Bauern-
volke nur der Mann. Ihm stellt man auch in der Regel einen Grabstein, während man einer
Frau, besonders der verstorbenen Hausvorsteherin einer Hausgemeinschaft, ein Holzkreuz auf
das Grab pflanzt. Das Jungfrauengrab wird mit Kränzen aus Sandruhrkraut und Basilicum,
hier und da auch mit Myrthenkränzen geschmückt. Männer halten sich von den Leichenfeier-
lichkeiten der Frauen ganz fem ; nur der Vater und die Brüder geben ihr das Geleite mit dem
Zuge der Klageweiber. Die Gespielinnen des Mädchens folgen dem Sarge, alle weiss gekleidet.
Weiss gilt nach der älteren Ueberlieferung als Trauerfarbe. Beim Leichenschmause eines
Mädchens sind alle ihre gewesenen Gespielinnen zugegen."
,In Bosnien habe ich auf katholischen Kirchhöfen ausnahmsweise auch Denksteine
auf Frauengräbern gesehen. Auf jedem Stein sind zwei Brüste roh in Hautrelief ausgemeisselt.
Das Jung&uuengrab hat noch einen Kranz, doch ohne Kreuz. Die grossen alt-bosnischen
Grabsteine gehören nur Männern an, während die alten Frauengräber bloss dicke und etwas
breite, aufrecht stehende Platten ohne Inschrift zeigen. Die Trauerzeit um ein Weib dauert
Fig. 418.
Türkischer Begräbnissplatz in Sarajevo (Bosnien).
(Nach Photographie.)
nicht länger als höchstens 8 Tage. Einer Frau Thränen nachzuweinen, gilt als äusserst
schimpflich.'*
In dem Samoborer Gebirgslande unterschied sich noch vor einigen zwanzig
Jahren die Begräbnissfeier für die Hausfrau von derjenigen für den Hausvorstand
dadurch, dass das Todtenniahl bei dem Dahinscheiden des letzteren mit 12, bei
dem Tode der Hausfrau aber nur mit 10 Suppen eingeleitet wurde. (Krauss.)
Bei manchen Nationen erhalten wir die directe Angabe, dass zwar im All-
gemeinen die weiblichen Todten ganz so wie die verstorbenen Männer bestattet
werden, nur dass die ganze Ausstattung eine geringere ist. Das berichtet z. B.
Ribbe über die Aaru-Insulaner.
Eine absonderliche Form eines Weiberbegräbnisses lernen wir durch Kühn
von Neu-Quinea kennen. Er erzählt:
„An demselben Tage passirte noch ein Unglück, indem eine junge Sclavin einen
giftigen Fisch genossen und daran gestorben war. Unter lautem Geheul ward die Leiche vorm
(Pfahlbau-) Hause im Kahne aufrecht gesetzt und mit einem neuen Rock geschmückt; da sie
im Freien gestorben, so durfte sie nicht ins Haus gebracht werden, damit keine Krankheit
592 LXXVI. Das Weib im Tode.
hinein^eschleppt werde. Die ganze Nacht hindurch wurden monotone Klagelieder, imter-
brechen von plötzlichem Geheul, gesungen, und am andern Tage wurde die Leiche in der
Nähe des Dorfes auf einem kleinen Stück flachen Strandes begraben und ein leichtes Blätter-
dach darüber angebracht.'^
470. Die todte Jungfrau.
Die Menschen, auch wenn sie auf einer nicht sehr hochentwickelten Caltnr-
stufe stehen, haben überall ein feines und sehr ausgebildetes Empfinden fär alle
Ausnahmezustande von dem gewöhnlichen Verlaufe des Lebens; wir haben dafür
ja bereits eine grosse Anzahl von Belegen kennen gelernt. Es kann uns daher
nicht überraschen, dass wir besondere Bräuche, Sitten und Aberglauben aach
bei dem Tode einer imyerehelicht gebliebenen Person, oder einer während der
Schwangerschaft, bei der Entbindung oder im Wochenbett verstorbenen Frau ihre
Wirksamkeit entfalten sehen.
Ein mannbares Mädchen, welches nicht eine Ehe eingeht, führt nach der
Auffassung vieler Völker ein unnatürliches Leben, eine Vita praeter naturam,
und so muss sie, wie sie im Leben von ihren Geschlechtsgenossinnen sich unter-
schieden hat, auch im Tode noch eine Sonderstellung einnehmen.
Von der Lehre Zoroaster^s sprachen wir früher schon, dass ein Mädchen,
welches das 18. Lebensjahr überschritten hat und trotzdem noch keine Ehe ein-
gegangen ist, eine Sünde begeht, welche nicht gesühnt werden kann. Nach ihrem
Tode ist eine solche Jungfrau daher unrettbar der Hölle verfallen. Aus einer
Angabe von du Perron er^hren wir, dass auch die heutigen Parsi noch ^nz
die gleiche Anschauung haben.
Während hier also die Ehelose in die Hölle fahrt, ist gerade im QegentheU
nach christlicher Auffassung in erster Linie der unbefleckten, keuschen Jungfrau
bei ihrem Tode der Himmel erschlossen. Auch heute noch wird an vielen Orten
ihr Leichnam sowohl als auch ihr Sarg oder ihr Grabhügel mit der Brautkrone
geschmückt, um damit anzudeuten, dass sie nun zu einer Braut Christi geworden
ist und dass sie jetzt mit ihrem himmlischen Bräutigam vereinigt wurde. Auf
eine solche Vereinigung haben aber naturgemäss in erster Linie die heiligen
Gottesjungfrauen Ansprüche, welche schon bei ihren Lebzeiten sich dem Erlöser
verlobt hatten. Daher finden wir die letzten Ruhestätten der Nonnen und der
ihnen entsprechenden weiblichen Personen auch immer abgesondert von den Gräbern,
in welchen die Kinder dieser Welt zur letzten Ruhe bestattet wurden.
Aber Wehe auch der Himmelsbraut, welche sich von den fleischlichen Lüsten
verfuhren Hess, ihren Treueschwur zu brechen. Bei lebendigem Leibe wurde sie
begraben, oder man mauerte sie ein und liess sie einem langsamen Erstickungs-
und Hungertode verfallen.
^Das Nonnenloch zu Mönchgut auf Rügen, sagt Sepp, ist unergründlich; dahin
wurden von der Stadt Bergen des Nachts gefallene Nonnen gehracht und versenkt: daher
gehen noch wehklagende Gestalten um.'
In vielen Gegenden Deutschlands glaubt man auch, dass in bestimmten
Seen Nonnenkloster versunken sind, weil die Aebtissin einen Bettler von ihrer
Thüre gewiesen habe. Man hört bisweilen die Glocken läuten, und wer z. B. um
Mittemacht in den Gremasee den Kopf hineinsteckt, der kann die Nonnen auch
singen hören. Solche Klöster liegen zum Beispiel im See bei Tiefenau, im
Nonnensee beim Katzenkopf in Oberschwaben, bei Neuenkirchen im
Odenwald u. s. w. (Sepp,)
Bisweilen sind es auch gewaltsam geschändete Jungfrauen, welche in solchem
See ihr Wesen treiben müssen:
.Der Jungfrauensee verschlingt das Schloss bei Flensburg, dessen Ritter ein
Mädchenräuber war. Man sieht noch die Thurmspitze und hört Glockentöne aus dem Wasser,
um Mittemacht tanzen die einst entehrten Jungfrauen mit klagender Stimme um das Ufer
herum.* (Sepp.)
470. Die todte Jungfrau. 593
In iDdien fahrt die Seele der verstorbenen Braut in die später geheirathete
Frau, entfremdet ihr das Bewusstsein des eigenen Selbst und lässt sie in Folge
dessen sich selbst schmähen, wobei sie in der Person der Verstorbenen redet.
Der Serbe lässt die Seelen der vor ihrer Verheirathung verstorbenen Bräute
nicht zur Buhe kommen, sie stellen als Vilen den Jünglingen nach und tanzen
sie in nächtlichen Tänzen zu Tode. In Siam halten gleichfalls die Seelen ver-
storbener Jungfrauen ihre Tänze in der Dämmerung, wobei sie Denjenigen todten,
der sie dabei überrascht; auch bringen sie kleine Mädchen und Frauen um. Diese
kindertödtende Jung&auenseele kennt auch das griechische Volk in der GeUo.
{Haherland.)
Ganz besonders malt aber der Volksglaube und der Volkswitz das Schicksal
der armen eheverschmähten alten Jungfern aus. In England heisst es, dass die
alten Jungfern Affen zur Hölle führen müssen, und in Ost-Preussen behauptete
man im Anfange dieses Jahrhunderts (und vielleicht auch heute noch), dass sie
nicht in den Himmel kommen, sondern dass sie vor demselben auf der grünen
Wiese ihren Aufenthalt angewiesen erhielten. Auf dieser ist es ihre Bestimmung,
durch die ganze Ewigkeit hindurch den Eoth der Schafe aufzusammeln. Auch
an vielen anderen Orten Deutschlands wird der alten Jungfer, wie Häberland
berichtet, weil ihr Leben ein verfehltes und nutzloses war, auch noch nach dem
Tode seine Beschäftigung zugewiesen, welche ebenso unnütz und den Zweck nie-
mals erfüllend ist. in Strassburg muss sie die Gitadelle einbändeln helfen, in
Basel den Pfarrthurm, in Wien den Stephansthurm abreiben und reinigen,
in Frankfurt »den Parthom bohne*, in Nürnberg den weissen Thurm mit den
Barten alter Junggesellen fegen, in Tyrol das grosse Sterzinger Moos mit den
Fingern nach Spannen ausmessen, und nach Moscherosch in der Hölle Zunder
feilbieten.
.Diesen Gedanken, dass die menschliche Bestimmung ohne die Zeugung von Nach-
kommenschaft nicht erfüllt ist, drückt sinnig der Mflnchener Brauch aus, vor die Thüren
unverheirathet Gestorbener einen Strohwisch zu legen, weil sie keine Körner gegeben haben.*
(Haberland.J
Im Frickthalto herrscht nach Bochhole der Brauch, am Schluss der Fast-
nacht die alten Jungfern zu begraben,
.wobei alle über 24 Jahre alte ledige MSdchen von ihren Barschen auf Fahrwagen
geladen, dann unter grosser Bespannung zum Dorfs hinausgefahren und bei einem Graben
umgeworfen werden.' (Haherlanä.)
Eine unverheirathet gebliebene Mohamedanerin kann unter keinen Um-
ständen in den Himmel kommen, denn nur durch den Ehegatten erlangt die Frau
daselbst den Eintritt. Es heisst im Koran:
Das Paradies der Frau ist unter den Fusssohlen ihres Gatten, „üeber das Schicksal
der Wittwen, der alten und jungen Mädchen schweigt der Koran überhaupt, das sind Wesen,
die überhaupt keine Beachtung beanspruchen können. Nur als Gattin nimmt die Frau eine
gewisse Stellung ein; unverheirathet wird sie stets ein verachtetes Wesen sein, dessen Gebete
und Opfergaben Gott selbst nur mit WiderwiUen annimmt.* (Osman Bey.J
Poetischer sind die Anschauungen, wie sie in Ober-Italien herrschen.
In den Bezirken von Treviso und Belluno glaubt man nämlich, dass die ver-
storbenen jungen Mädchen Brosen im Paradiese pflücken müssen. Deshalb ver*
säumen die Landleute es nicht, ihnen eine Schürze mit in den Sarg zu legen.
(Bastanai.)
In Kärnten werden Jungfrauen in weissen Kleidern aufgebahrt; wenn sie
aber verlobt waren, so zieht man ihnen das Brautkleid an. (Waijser.)
Die Trauer des Himmels über den Tod einer Jungfrau drückt wohl der
folgende in der Provinz Bari in Apulien herrschende Aberglaube aus. Dort sagt
man, wenn es bei dem Tode eines jungen Mädchens regnet, dann müsse es neun
Monate hindurch fortregnen. (Karusio.)
Ploss-Bsrtels, Das Wdb. 5. Aufl. H. 38
594 LXXVI. Das Weib im Tode.
Der Zauber, den die Jungfrau um sich verbreitet, geht nach dem Glauben
der Ober-Bayern auch im Tode nicht verloren. So lesen wir bei Höfler:
,Noch vor wenigen Jahren wurde im Friedhofe zu Tölz der Versuch gemacht, das
Grab einer .reinen Jungfrau*^ n&chtlicher Weile zu Offnen; die als unheimlich geltenden Leute,
welche durch den Besitz eines Leichentheiles derselben gössen Reichthum zu erlangen
hofften, wurden verscheucht.*
.Der alte Holzer am Arzbach wollte mit anderen die Gasse des Rentamtes TOlz^
stehlen. Zu diesem Zweck sachten sie sich sicher zu machen durch den Besitz des linken
zweiten Fingers einer reinen Jimgfrau, deren Grab sie in der Mittemachtsstunde Ofifneten.
Sie hatten einen Erdspiegel (einen auf besondere Art hergestellten Zauberspiegel} bei sich und
hielten ihn vor sich. Da aber der Teufel vor ihnen gestanden und ihnen aus dem Spiegel
zugeschaut hatte, so haben sie die Flucht ergreifen müssen und haben so von dem Gelde ans
der rentamtlichen Gasse nichts erhalten.*
471, Die todte Schwangere.
Wenn wir von der todten Schwangeren handeln wollen, so halte ich es fär
den Leser für übersichtlicher, wenn diejenigen Todesfalle hier unberücksichtigt
bleiben, welche bei unglücklichen Weibern während der Entbindung eingetreten
sind. Ereilt sie hier der Tod, bevor ihr Kind das Licht der Welt erblickte, so
sind sie ja, strenge genommen, auch noch während der Schwangerschaft gestorben.
Aber dennoch nehmen sie eine Sonderstellung ein, und es soll ihnen aus diesem
Grunde ein besonderer Abschnitt gewidmet werden.
Wenn eine Guinea-Negerin schon während der Schwangerschaft stirbt,
so gereicht dies, wie der Missionar Monrad berichtet, deren Familie zu grosser
Schande, da man sagt, dass sie nicht gebären könne; ihr Leichnam wird nicht
begraben, sondern auf das freie Feld geworfen. Monrad schliesst aus dieser
Behandlung, dass die Guinea*Neger schwangeren Frauen eine gewisse Heilig-
keit beilegen.
Ich lasse es dahingestellt sein, in wieweit diese Annahme eine Berechtigung
hat. Aber es mag hier gleich angeführt werden, dass auch bei den Battas in
Tobah Tinging in Sumatra, wie Hagen uns berichtet, mit der Leiche einer
in der Schwangerschaft verstorbenen Frau anders verfahren wird, als mit denjenigen
der übrigen Stammesgenossen. Denn was für eine Bestattungsart auch für ihre
Marga vorgeschrieben sein mag, ihre Leiche wird unter allen Umständen verbrannt
und die Asche in das Meer gestreut.
Wenn auf Bali eine Frau während der Schwangerschaft stirbt, «dann darf
ihre Leiche weder begraben noch verbrannt werden, sondern sie muss zum Zeichen
der grossten Verachtung entweder in eine Rinne geworfen oder in ein zwei Fuss
tiefes offenes Grab oder Grube gelegt werden, nach Balischen Begriffen die
grösste Schande, die Jemandem zu Theil werden kann. Dieses gilt für sdle Stände
und Kasten, auch für die Fürstinnen. (Jacobs.)
Beachtenswerth ist uns die von Krauss berichtete Auffassung der Süd-
Slaven, welche den Glauben haben, dass eine verstorbene Schwangere ihre
Leibesfrucht, welche sie nicht auszutragen vermochte, zu verschenken im Stande
sei. Er sagt:
.Manche Sterile begeben sich auf ein Grab, in welchem eine schwangere Fraa bestattet
worden, beissen Gras vom Grabe weg, rufen die Yerstorbene mit Namen an und bitten sie,
sie solle ihre Leibesfrucht ihnen schenken. Hierauf nehmen sie ein wenig Erde vom Grabe
und tragen diese Erde unter dem Gürtel immer mit sich herum.*
Stirbt bei den Christen in Bosnien eine Schwangere, so erhält das Grab
zu Kopf und zu den Füssen je ein Kreuz, oben ein grosses, unten ein kleines.
(Krauss)
472. Die todte Eroissende. 595
Nach Petroivitsch wird bei den Serben einer wahrend der Schwangerschaft
gestorbenen Frau ein Pflug und ein Spinnrocken mit in das Grab gelegt.
Bei den Basutho müssen schwangere Frauen weit vom Hause im Felde
begraben werden, denn ihre Leichen werden, wie man glaubt, den Regen Yom
Lande abhalten. Da es aber den Angehörigen schrecklich ist, ihre Verstorbenen
so in der Wüste zu wissen, so gebrauchen viele die List, sie im Finstem wieder
auszugraben und sie in den heimischen Beiden von Neuem zu beerdigen. Es
kommt für diese heimliche Exhumirung aber auch noch ein anderer Grund in Be-
tracht. Die Regenzauberer nämlich, und der Häuptling an der Spitze, sind eifrig
hinter solchen Leichen her. Sie scharren dieselben aus und schneiden ihnen den
Unterleib und die Gebärmutter auf. Das Fruchtwasser wird dabei mit grosser
Sorgfalt in bereitgehaltene Gefasse ausgeschöpft; das Kind aber wird einfach
herausgeworfen. , Daheim hat der Häuptling sein ntlu ea dinaka tsa pula, d. h.
„ein Häus, wo Ochsenhömer nach oben schauen''; in diese Homer wird das Frucht-
wasser gegossen und das zieht Regen herbeL Macht man dann Regen, so setzt
sich der Zauberdoctor in jenes Haus und flötet nun auf seiner Pfeife. Auch von
der Gebärenden sammelt man zu gleichem Zwecke den Liquor Amnii." (QriUener,)
Interessant ist eine Bemerkung, welche Niebuhr über die Hindu macht
Er sagt:
.Die Banianen zu Bombay legen ihre Tod ten auf einen Haufen Holz uad verbrennen
sie, und zwar zur Ebbezeit dicht an der See, damit die nächste Fluth die Asche wegspülen
möge. Dies habe ich selbst einige Mal gesehen. Ihre Kinder, die noch nicht 18 Monate alt
sind, werden begraben. Auch sagte man, dass man die verstorbenen schwangeren Weiber
öffnet, das Kind herausnimmt und begr&bt, und die Mutter verbrennt."
472. Die todte Erelssende.
Wenn schon das Sterben einer Schwangeren vor dem eigentlichen Zeitpunkte
der Geburt ein erschütterndes Ereigniss ist, so kann man es doch so recht be-
greifen, was für einen um so tieferen Eindruck auf das Gemüth der Naturvölker
es machen muss, wenn sie sehen, wie ein unglückliches kreissendes Weib, in er-
folgloser Anstrengung ihre Kräfte verzehrend, unfähig ist, das Kind zur Welt zu
bringen, und wie sie, anstatt die Mutterfreuden zu erleben, eines elenden Todes
verbleichen muss.
In Madagascar sieht man den Tod einer Ereissenden als Beweis dafür an,
dass sie bei beginnender Niederkunft dem Gatten nicht aufrichtig eingestanden
habe, wie oft sie ihm untreu gewesen ist.
Wenn bei den Songaren eine Frau bei der Entbindung stirbt, so ist ein
böser Geist daran Schuld; hier muss dann eine Zauberin helfen und die Männer
müssen Beschwörungsformeln beten. (Klemm.)
Starb eine Kreissende bei den alten Mexikanern, so gab man ihr nach
Bancroft «den Titel Mociaquezqui, das ist «muthiges Weib", und sie wuschen ihren
ganzen Körper und wuschen ihr mit Seife das Haupt und die Haare. Ihr Gatte nahm sie
auf die Schultern und mit ihrem langen frei hinter ihm herabhängenden Haare trug er sie
zu dem Begräbnissplatze. Alle alten Hebammen begleiteten die Leiche, marschirend mit
Schild und Schwert, und schreiend, wie zum Angriff vereinigte Soldaten. Sie hatten ihre
Waffen nöthig, denn der Leichnam, den sie escortirten, war eine heilige Reliqaie, welche
viele zu gewinnen brannten; und ein Theil der Jugend kämpfte mit diesen Amazonen, um
ihnen ihren Schatz zu rauben; dieses Gefecht war kein Spiel, sondern ein wahrhaft knochen-
brecbender Ernst. Die Beerdigungsprocession machte Halt mit Sonnenuntergang und die Leiche
wurde beerdigt im Hofe des Cu der Göttinnen oder der himmlischen Weiber, genannt Cioa-
pipilti. Vier Nächte bewachte der Gatte mit seinen Freunden das Grab und yier Nächte
machte die Jugend oder unausgebildete und unerfahrene Soldaten RaubzOge gleich Wölfen
gegen die kleine Schaar.'
88»
696 LXXVI. Das Weib im Tode.
«Wenn eine Ton den k&mpfenden Hebammen oder von den Nachtwächtern Tom Schutz
der Leiche wich, so schnitten sie dieser sofort den Mittelfinger der linken Hand und die Haaxe
vom Kopfe ab. Jedes dieser Dinge, in Jemandes Schild gebracht, machte diesen ungefitam,
tapfer, unüberwindlich im Kriege und blendete die Augen seines Feindes. Hier raubten rin^s
um das heilige Grab gewisse Hexen, Temamacpalitotique genannt, welche es aufzuhacken
und den ganzen linken Arm des todten Weibes zu stehlen suchten; diesen hielten sie !&r einen
mächtigen Talisman bei ihren Unternehmungen und fflr ein Ding, das, wenn sie in ein Haus
kamen, um ihr böses Werk daselbst zu verrichten, gänzlich den Muth der Bewohner hinw^^>
nahm und sie so entmuthigte, dass sie weder Hand noch Fuss rühren konnten, obgleich sie
alles sahen, was passirte. Der Tod der im Kindbett gestorbenen Frau wurde von den Heb-
ammen betrauert, aber ihre Eltern und Verwandten waren voll Freude darüber, denn sie
sagten, dass sie nicht in den Hades oder die Unterwelt käme, sondern in den westlichen
Theil vom Hause der Sonne.''
Sollte bei den Orang hutan in Malacca der Tod der Mutter während
der Entbindung eintreten und das Kind aucli unmittelbar darauf sterben oder
todt geboren werden, so ist es nach Stevens der Gebrauch, dass man beide in
einer Umhüllung und in einem Grabe beerdigt. Dabei wird das Neugeborene
so auf die Brust der Mutter gelegt, dass es mit dem Antlitz nach unten liegt.
(Bartels^)
Sehr viele Yolksstämme vermögen es sich nicht zu denken, dass eine in
der Niederkunft verstorbene Frau im Jenseits Buhe finden könne. Die Ewe-
Neger an der Sclavenküste sind der Meinung, dass solch ein unglückliches
Weib eine von den Göttern verlassene und verstossene Person sei und dass sie
ein Blutmensch würde. Sie bekommt kein ehrliches Begrabniss, sondern sie
wird an einem besonderen Platze beerdigt, welcher nur für die Aufiiahme solcher
Blutmenschen hergerichtet ist. (Zündel.)
Sterben auf Java Frauen während der Entbindung, so härmen sie sich
auch nach dem Tode noch wegen des verlorenen Mutterglücks: sie können nicht
zur Buhe kommen, und da sie von Natur böse sind, suchen sie sich auf Kosten
Anderer das Glück zu verscha£Pen, welches sie nicht gemessen sollten. Wenn sie
kittend durch die Lüfte ziehen und ein Haus bemerken, wo eine Frau ihrer
Stunde harrt, da drängen sie sich um die Wette herzu und suchen in die Frau
zu fahren, um an ihrer Stelle die Mutter&eude zu kosten; die unglückliche Frau
aber wird wahnsinnig. Natürlich werden vorkommenden Falls die Wohnungen
sehr sorgfaltig behütet und bewacht; Feuer werden angezündet, und Wächter
mit brennenden Fackeln in der Hand machen die Bunde, um die Geister zu ver-
jagen, die übrigens unter Umständen auch Männern gefahrlich werden, die auf
dem Punkte stehen, die Treue zu brechen; sie strafen dieselben sehr nachdrücklich,
gewöhnlich durch sehr empfindliche Verstümmelung. (Metzger.)
Nach Haberland glauben die Malayen, dass in der Niederkunft gestorbene
Frauen gleich Statuen im Walde stehen und die Männer an sich locken.
Bei den Battas von Tobah Tinging in Sumatra muss ganz ebenso wie
die gestorbene Schwangere auch die vom Tode ereilte Kreissende verbrannt und
ihre Asche in das Meer gestreut werden. {Hagen)
Der Leiche einer während der Entbindung gestorbenen Frau legt man auf
den Inseln des Seranglao- und Gorong-Archipels, bevor sie in weisse Leine-
wand eingewickelt wird, einen Eris zwischen die Brüste, während ihr in den
Bauch vierzig Nadeln gestochen werden. Auf das Grab werden kreuzweise zwei
Dombüsche gelegt und mit Gomutu- oder Areng-Fasern festgebunden, damit die
Frau kein Budi-Budiana oder Pontianaq werde. Im Üebrigen erfolgt die
Beerdigung in der bei diesem Volke gewöhnlichen Weise. (Riedel^.)
Die Seelen der auf Tanembar- und den Timorlao-Inseln während des
Geburtsactes verstorbenen Frauen gehen nach der Beerdigung um und halten sieb
vorzugsweise am Strande auf. FiUif Tage nach dem Begrabniss gehen zwei alte
Frauen zum Strande, um die Seele der Verstorbenen, die noch kein Nitu ist,
473. Die Niederkunft der Todten. 597
aufzusuchen, wobei sie eine Schüssel mitnehmen, in welche etwas Reis, ein Ei
und Pisang gelegt wird. Mit herzzerreissendem Tone rufen sie die Seele zurück
und nehmen sie in der Schüssel mit nach Hause, damit sie mit den Uebrigen die
Reise nach Nusnitu antreten könne, und sie nicht unterwegs durch böse Geister
gestört werde. Eine Frau, welche bei der Entbindung stirbt, muss nach dem
Glauben dieser Leute eine sehr grosse Sünde begangen haben, z. B. unentdeckte
Blutschande oder Ehebruch. Dafür ist sie nun gestraft worden. {Riedel\)
Stirbt auf Ambon- und den Üliase-Inseln eine Frau während der Ent-
bindung, dann wird ihre Leiche auf eine besondere Weise behandelt, um zu ver-
lundern, dass sie später als Buntiana umgehe, um Männer und schwangere Frauen
zu quälen. Nachdem die Leiche gewaschen wurde, werden Stachehi von Lagu,
oder auch wohl Stecknadeln zwischen die Glieder der Finger und Zehen und in
die Kniee, die Schultern und Ellenbogen gestochen, und nachdem man sie dann
angekleidet hat, werden ihr unter das Kinn und die Achselhöhlen Hühner- und
Enteneier gelegt. Anstatt nun die Leiche mit Netzwerk zu bedecken, wird ein
Theil ihres Haares nach aussen gebracht und der Sargdeckel an dieser Stelle gut
festgenagelt. Der Zweck dieser Maassregel ist, die Leiche im Grabe zurückzuhalten.
Wegen der Domen und Stecknadeln kann sie, wie man glaubt, ihre Gliedmaassen
nicht so gut bewegen, um aus dem Sarge als ein Vogel fortfliegen zu können;
ebenso wird dieses durch das festgenagelte Haar verhindert. Wenn sie die
Yogelnatnr angenommen hat, soll sie auch die ihr beigelegten Eier nicht ver-
lassen. (Riedel\)
Auch bei den Galela und Tobeloresen auf der Insel Djailolo werden
Weiber, die bei der Niederkunft starben, in Netze gehüllt und ihnen Eier in die
Hände und Achselhöhlen gelegt, damit sie später nicht als Oputiana erscheinen,
um Männer zu emasculiren und Schwangeren Leid zuzuf&gen. Vor das Haus, in
dem die schwangere Frau gestorben ist, hängt man ein Stück eines Netzes.
Wenn auf den Keei- oder Ewaabu-Inseln eine Frau während der Nieder-
kunft stirbt, dann wird, wenn das lebende Kind nicht zur Welt gebracht werden
kann, dasselbe innerhalb der Gebärmutter todtgestochen , damit die Frau kein
Bumbun anah odet Pontianaq werde und dann ihren Gatten verfolge, um ihn
zu entmannen. (RiedelK)
Eine ähnliche Sitte, wie die im vorigen Abschnitte von den Banianen
angeführte, giebt Sperschneider auch von den Malabaresen an: Stirbt in Mala-
bar (Indien) eine Frau in Eandesnöthen, ohne zu gebären, so ist es vorge-
schrieben, dass ihr Bauch aufgeschnitten, das Kind herausgenonmien und neben
der Mutterleiche begraben werde.
473. Die Niederkunft der Todten.
Es wurde bereits an einer früheren Stelle dieses Werkes davon gesprochen,
welche Wege man eingeschlagen hat, um auch nach erfolgtem Ableben der Mutter
während der Niederkunft noch nachträglich das Kind zu Tage zu fordern. Aber
auch in solchen Fällen, in denen derartige Versuche unterblieben waren, konnte
man bisweilen beobachten, dass einige Zeit nach dem Eintritt des Todes das Kind
noch nachträglich geboren wurde und sich dann zum grössten Erstaunen der An-
gehörigen unvermuthet zwischen den Schenkeln seiner todten Mutter befiEuid.
So berichtet z. B. Väterius Maximus von einem Epiroten GorguiS, welcher
eher beigesetzt worden, als geboren war. Denn seine Geburt erfolgte in dem
Grabgewölbe, in welches man die Leiche seiner während der Entbindung ge-
storbenen Mutter gebracht hatte.
Auch unter den Orafen von Mansfeld befindet sich einer, von dem man sich
eine ähnliche Geschichte erzählt. Johann David Koehler berichtet dieselbe bei
598 LXXVI. Das Weib im Tode.
der Besprechung eines Georgs-Thalers^ welcher auf dem Revers den heiligen Greorg
zu Pferde und auf dem Avers das behelmte Wappen der Grafen von Mansfdd
und die Jahreszahl 1524 nebst folgender Inschrift führt: G. HO J6ER Y GEBO RK.
H. N. K. S. VLORN.
Er sagt:
,Ich halte aber dafttr, dass nicht bemeldeter Graf, sondern die sämmtlichen Grafenr
eu Manazfdd diesen Thaler haben schlagen, und damit das Andenken ihres wissentlichen
Stamm-Vaters Graf Hoiers des Ersten, K, Heinrich V. Feldherrns, welcher in der Schlacht
beim Welfelsholze A 1115 wider Hertzog LtUhem von Sachsen Graf Wiprecht van Grtntsch
erlegte, erneuern lassen. Denn dieser Held hat Offters zu sagen pflegen. Ich Graf Hoier
ungebohm. Hab noch keine Schlacht verlohm. Majssen derselbe aus seiner todten Mutter
Leibe, ohne jemands Hülfife, selbst soll hervorgekrochen seyn, vid. Tentzels Moral. Unter-
redung A 1689. M. Aug. p. 872 wie denn auch dessen geführtes, grosses Schlacht-Schwert
lange Zeit, gleichsam als ein Paladium, in dem Zeughause auf dem Schlosse zu Manszfeld
soll seyn aufbehalten worden."
Als Ursachen für eine solche postmortale Geburt entwickelt Garmann
folgende Gründe:
,ln cadavere praedominans frigiditas, sanguinis in matre motus interceptus, nutrimenti
quod per os sumit instans corruptio, cadaverisque mox secutura putredo, sanies et foetor
hospitii nt mutet sentinam loco tutiore serio inculcant.*
Busch sagt hierüber Folgendes:
.Was die Geburt nach dem Tode der Mutter betrifft, so nahm man einerseits an, dass
die Geburtsth&tigkeit in der Geb&rmutter noch fortdauern könne, wenn auch der Organismus
abstirbt, gleichwie die Reizbarkeit der Muskeln und Nerven nach dem Tode noch eine Zeit
lang fortw&hrt. Andererseits wollte man die Ausstossung der Frucht aus dem todten Orga-
nismus der Mutter der Entwickelung von Luft in und ausser dem Darmkanale zuschreiben,
indem hierdurch ein Anspannen und Ausdehnen der Banchdecken bedingt und der Inhalt der
Gebärmutter ebenso ausgetrieben wird, wie der Inhalt des Magens oder der Gedärme. Für
die erstere Annahme, dass die Geburtsthätigkeit im Uterus länger andauere, als die übrigen
vitalen Functionen dieses Organs, welche mit dem Tode des Weibes als aufgehoben betrachtet
werden, sprechen mehrere Umstände, indem das ganze Zeugungsgeschäft oft in einem ganz
besonderen Zustande sich befindet und mit dem Zustande des ganzen Organismus in gar keiner
Harmonie stehet; es ist bei schwachen Frauen oft sehr stark entwickelt, bei sonst starken
Frauen hingegen nur schwach. Die Gebärmutter scheint so ein eig^nthümliches Leben zu
fähren und in Bezug auf Gonception, Schwangerschaft und Geburt gegen alle übrigen Zustände
des Organismus ihre Unabhängigkeit bewahren und ihr Leben länger erhalten zu können.'
Gegen diese seine Hypothese scheint ihm der austreibende Einfluss einer
postmortalen Gasentwickelnng im ünterleibe von untergeordneter Bedeutung zu
sein. Dagegen sagt gerade Schroeder in seinem Lehrbuch der Geburtskunde:
,Die Geburt kann Übrigens auch nach dem Tode der Mutter noch spontan erfolgen,
indem das Kind durch den starken intraabdominalen Druck, der sich durch Gasentwickelungen
in der Leiche bildet, ausgetrieben wird."
Wir dürfen hierbei aber auch nicht vergessen, dass Schroeder' s Unter-
suchungen unzweifelhaft nachgewiesen haben, dass von einem bestimmten Zeit-
punkte des Geburtsactes an allein die Bauchpresse die Geburt zu Ende fährt.
Schaltet man ihre Wirksamkeit aus, so macht der Geburtsact einen absoluten
Stillstand.
Eine solche vollständige Aufhebung der Wirksamkeit der Bauchpresse ver-
ursacht nun aber naturgemäss auch der Tod, und der Geburtsact muss nun zum
Stillstande kommen. Es wird aber gewiss nicht wenige Fälle geben, wo die
Geburt sehr schnell ihren Abschluss erreicht haben würde, wenn noch ein paar
Mal die Bauchpresse ihre Thätigkeit zu entfalten vermocht hätte. Kann sie das
nun auch nicht mehr activ, so wird doch sicherlich bisweilen noch passiv eine
solche Thätigkeit der Bauchpresse hervorgerufen, wenn man mit der Gestorbenen
bei den üblichen Waschungen und Umkleidungen und bei der Einsargung Lage-
veränderungen vornimmt, bei welchen der Unterleib der Todten direct durch die
474. Die todte Wöchnerin. 599
Hände der mit ihr Beschäftigten oder durch Annäherung ihres Brustkorbes gegen
den Bauch einen Druck erleidet. Und dann muss natörlicher Weise, besonders
wenn noch ein mehr oder weniger starkes Aufrichten der Verstorbenen erfolgt,
das Kind die mütterlichen Geburtstheile verlassen und zu Tage treten können.
Selbstverständlich wird ftlr eine Reihe von Fällen aber in der intraabdominalen
Gasentwickelung das austreibende Agens zu suchen sein.
Auch Jacobs spricht von der Niederkunft der Todten, die bisweilen auf der
Insel Bali statthat. Wir sahen oben, dass dort das Sterben im Kreissbett für
eine so grosse Schande gilt, dass dem armen Weibe auch nicht einmal ein ehr-
liches Begräbniss gestattet wird.
,War die Schwangeracbafti fährt Jacobs fort, bereits in einem vorgerfickten Stadium,
dann ereignet es sich manchmal bei Multiparen, dass der Fötus durch die Spannung der
durch die Entbindung in abdomine sich entwickehiden Gase noch ausgetrieben wird. In diesem
Falle ist die Schande ausgewischt und dann kann der Leiche noch auf gewöhnliche Weise
die Ehre der Verbrennung zu Theil werden."
Für diese Leute hat die Entbindung der Verstorbenen also nichts Schreck-
liches, sondern sie besitzt sogar einen entisühnenden Charakter.
474. Die todte Wöchnerin.
Nicht minder erschütternd, als das Sterben einer Gebärenden, wirkt es aller
Orten auf die Verwandten und die Freunde ein, wenn dem neugeborenen Spröss-
ling die Mutter, noch bevor sie sich von den Folgen der Entbindung zu erholen
vermochte, durch den unerbittlichen Tod entrissen wird. Je nach der psychischen
Erregung und den sich damit verknüpfenden mystischen Anschauungen wird ein
solches Ereigniss sehr verschiedenartig aufgefasst.
Sowohl die alten Mexikaner, als auch die untergegangenen Ghibchas
schrieben den im Wochenbett gestorbenen Weibern ein glückseliges Leben im
Jenseits zu, (Herrera) Was Sahagun von der im ersten Wochenbett gestorbenen
Mexikanerin erzählt, deckt sich mit den Angaben, welche Bancrofl über die
bei der Niederkunft Sterbenden berichtet. Es liegt daher wahrscheinlich von
Ersterem eine Verwechslung vor. Wenn unter denChibchas in Neu-Granada
ein Mann seine Frau im Wochenbett verlor, so musste er als mitschuldig an dem
Todesfall sein halbes Vermögen an die Schwiegereltern abtreten, das überlebende
Kind aber wurde von diesen auf Kosten des Vaters erzogen. (Piedrahida,)
Seier berichtet von den Mexikanern:
,,Giuapipiltin, ,,die Fürstinnen", auch Ciuateteo, „die Göttinnen*' genannt
sind die Seelen der im Kindbett Gestorbenen und der den GOttem geopferten Frauen, das
weibliche Gorrelat der im Kriege gefaUenen oder auf dem Opferstein ermordeten Krieger.
Sie hausen im Westen und bringen, wenn sie zur Erde bemiedersteigen , Unheil und
Verderben."
Der Tod der Wöchnerin gilt im Allgemeinen als ein grosses Unglück des
überlebenden Gatten. In einem Liede der Mordwinen, dessen Uebersetzung wir
Paasanen verdanken, wird Jemandem ein solches Unglück in der Form einer Ver-
fluchung angewünscht. Diese Verfluchung lautet:
„Möchte deine alte Stute gebaren,
Möchte sie gebären, möchte sie selbst sterbea.
Möchte das kleine Füllen übrig bleiben!
Möchte deine alte Kuh kalben,
Möchte sie kalben, möchte sie selbst sterben,
Möchte das kleine Kalb übrig bleiben!
Möchte deine kleine Gattin geb&ren,
Möchte sie geb&ren, möchte sie selbst sterben,
Möchte das kleine Kind übrig bleiben!'*
600 LXXVI. Das Weib im Tode.
Bei den Magyaren werden Enochenstückchen von Frauen, die in dem
Wochenbett starben, als zauberkrfiftige Talismane benutzt, um eine leichte Biit-
bindung zu erzielen. Sie werden zu diesem Zwecke in ein
herzförmiges Thontäfelchen (Fig. 419) eingebacken und mit
den eigenen Haaren umwunden. Danach muss man sie unter
dem Schlafplatze begraben, (v. WlislockiJ)
Um die Qualen der yerstorbenen Wöchnerin, die ihrer
im jenseitigen Leben harren, zu erleichtem und abzukürzen,
haben die Chinesen nach DooliUle einen eigenthümlichen
Gebrauch. Einige behaupten allerdings, dass er sich nicht
Fig. 419. Thontäfelchen ^^^ ^^^ Wöchnerinnen, sondern überhaupt auf die verstorbenen
mit eingebaokenen verheiratheten Frauen bezieht:
wTchÄttvtSo''^^^ -®'°® Ceremonie, welche als die Blutige Teich-Ceremonie
Amnlet der Magyaren bezeichnet wird, wie Manche es erklären, bezieht sich auf die ver-
zur Erleichterung der heiratheten Frauen, welche sterben, wenn auch mehrere Jahre, nach-
Entbmdnng. ^ dem sie Kinder geboren haben. Andere versichem, es 'besiehe sich
( US ü. tsoc t .) ^^£ solche Frauen, welche vier Monate nach der Geburt eines M&dcbens,
oder einen Monat nach der eines Knaben gestorben sind. Diese be-
haupten, dass die Unreinheit der Frau nach der Geburt eines Knaben sich nur auf einen
Monat, nach der Geburt eines Mädchens auf vier Monate erstreckt Der Chinese glaubt,
dass in der Hölle ein Teich voll Blut sich befinde, in welchen alle verstorbenen verheixatheten
Frauen, oder, wie Einige sagen, Frauen, welche im Kindbett, oder einen oder vier Monate
nach der Entbindung starben, bei ihrem Eintritt in jene Welt eingetaucht werden. Bei
Jungfrauen und verheiratheten Frauen, welche nicht geboren haben, wird bei ihrem Tode
niemals diese Ceremonie ausgeführt. Die Absicht der Blutigen-Teich-Ceremonie ist die, den
Geist einer verstorbenen Mutter von der Strafe des blutigen Teiches zu lösen. Bisweilen
wird sie bei dem Tode einer Familienmutter mehrmals von den Kindern ausgeftthrt Das ist
ein Punkt, in welchem sich ihre kindliche Liebe für die Verstorbene kundgiebt.'' fDoolittle.J
475. Das Begräbniss der im Wochenbett Gestorbenen.
Wir finden den Glauben weit verbreitet, dass die im Wochenbett ver-
storbenen Frauen ganz besonders die Neigung hätten, nach ihrem Tode noch
umzugehen; es bedarf daher besonderer Vorsichtsmaassregeln, um ihnen im Grabe
die Ruhe zu schaffen, oder sie gewaltsam zu zwingen, in demselben ruhig liegen
zu bleiben. Hiermit hängt es wohl theilweise zusammen, dass an vielen Stellen
eine Wöchnerin auf ganz besondere Art beerdigt wird. In manchen FäDen aller-
dings hat es den Anschein, als wenn die Eigenart der Beisetzung nichts Anderes
bezweckte, als die letzte Ehre, die man der Todten erweist, ganz besonders feierUch
zu gestalten.
Wenn in Starkenberg (Prov. Preussen) eme Wöchnerin stirbt, so wird
fie in die Kirche getragen, weil sie nun einmal ihren Kirchgang halten muss.
War das Kind gestorben, so ruhte es neben ihr im Sarge; wenn es am Leben
geblieben war, so wurde es neben dem Sarge getauft; mit grosser FeierHchkeit
unter Gebet und Gesang wird die Verstorbene darauf in die Erde gebettet.
Auch am Lechrain legt man einer jungen Mutter, welche im ersten
Wochenbett mit ihrem Kinde stirbt, dieses in den Arm, und begräbt sie als reine
Jungfrau; Jungfrauen tragen sie zu Grabe und das Jungfrauenkrönlein wird ihr
auf den Hügel gelegt. Bleiben auf diese Weise Mutter und Kind zusammen, so
steht ihnen der EUmmel offen, {v. Leoprechting)
Im oldenburgischen Saterlande wurde früher die Bahre mit dem Sarge
der Wöchnerin nicht auf den Schultern, sondern hängend, mit den Händen, rings
um den Kirchhof und schliesslich zu dem Grabe getragen.
In Kärnten beerdigt man die Wöchnerinnen im Brautkleide oder mit
schwarzem Gewände. (Waizer.)
476. Das Umgehen der todten Wöchnerin. 601
Wenn in Hilchenbach (Westfalen) und der Umgegend eine Wöchnerin
stirbt, so wird ebenso wie in Jeverland (Oldenburg) ein weisses Tuch über
das schwarze Leichentuch und über die Bahre gelegt.
Yon besonderer Bedeutung ist auch das Betttuch, auf welchem die arme
Wöchnerin den Tod erleiden musste. Man legt ihr dasselbe in Hessen auf ihr
Grab und befestigt es mit vier Spiessen an dem Boden, wo es liegen bleibt, bis
es vermodert.
Hieran erinnert der folgende Brauch, der von Clajtis berichtet wird:
,Za Lüttgenrode, einem Dorfe im Kreise Ualberstadt, und einigen umliegenden
Oertem findet beim Begräbniss einer WOchnerin folgender Gebrauch statt. Ist der Sarg ins
Grab gesenkt, so halten vier junge Frauen ein weisses Laken an den Zipfeln so über die
Grabesöfihung, dass die Erde unter demselben eingeschüttet werden kann. Nach Herstellung
des Grabeshügels wird darauf ein weisses, vielfach mittelst Messerstichen durchlöchertes Leinen-
tuch von etwa einer Quadratelle Grösse gelegt und an den Seiten mit Holzh&kchen festge-
pflöckt. Dieses Tuch bleibt bis zur Verwitterung auf dem Grabe liegen."
Auch noch in anderer Weise wird bisweilen das Orab einer verstorbenen
Wöchnerin kenntlich gemacht.
In Schwaben breitet man .ein weissgestricktes Netz über dasselbe, damit
kein Verwundeter darüber gehe. Es erinnert das an ähnliche Gebrauche auf den
Inseln des alfurischen Meeres, welche bei der Beerdigung von Frauen, die
während der Entbindung ihr Leben lassen mussten, in Uebung sind.
In vielen Theilen Deutschlands ist man der Meinung, dass eine Matter,
die im Kindbett stirbt, noch in jener Welt für ihr Eind nähen und waschen
muss. In Tübingen erhält eine Wöchnerin Nadel, Faden, Scheere, Fingerhut
und ein Stück Leinwand, in Reutlingen eine Elle Tuch, ein Ellenmaass, Nadeln,
Faden und Fingerhut mit ins Grab. (Meier.) In Hessen legt man ihr eine
Windel aufs Grab und beschwert dieselbe an den vier Ecken mit Steinen. (Wolf.)
In Lückendorf bei Oybin im Königreich Sachsen giebt man nach Voss
auch heute noch der Sechswöchnerin ein irdenes Töpfchen, einen irdenen kleinen
Tiegel, einen Blechlöffel, einen Quirl, Gries, Nähnadeln und Zwirn, eine Windel,
ein Kinderhemdchen, ein blechernes Kännchen, eine Scheere, einen Kamm, ein
Mandelbrett, eine Mandelkeule und einen Fingerhut mit. Diese Dinge werden
theilweise nur im Modell beigegeben. In den rechten Handschuh steckt man ihr
12 Pfennig als Opfergeld für den auf Erden von ihr nicht mehr ausgeführten
ersten Kirchgang.
Auch in Schwaben ist es Sitte, mit den Kindbetterinnen Scheeren zu be-
graben; werden dieselben wieder ausgegraben, dann verarbeitet sie ein Schlosser
am Gharfreitag, nach anderen am Gründonnerstag zu Krampfringen, die man
gegen Krämpfe trägt; sie werden mit zwei bis drei Gulden bezahlt; kommen sie
vollends von Einsiedeln und sind sie dort hochgeweiht, so fragt man gar nicht
mehr, was sie kosten. (Buch.)
"lieber die Wander-Zigeuner berichtet v. WUslocJci:
»Stirbt eine Frau im Kindbett, so werden ihr unter die Arme je zwei Eier gelegt, wo-
bei die Stammgenossinnen den Spruch hersagen:
Wenn verfault ist dieses Ei,
Auch die Milch vertrocknet sei!
Sie glauben nämlich dadurch zu verhindern, dass Yampyre sich von der Milch der Ver-
storbenen n&hren.*
476. Das Umgehen der todten Wöchnerin.
Das Herz der verstorbenen Wöchnerin hängt an ihrem Kinde, und wir
begegnen vielfach dem Glauben, dass sie nächtlicher Weile ihr Grab verlässt, um
zu ihrem Kinde zurückzukehren.
602 LXXVI. Das Weib im Tode.
Wenn man in Schwaben es unierlasst, ihr die Scheere mit in den Sarg
zu legen, so ist man der festen Ueberzeugung, dass die Wöchnerin wiederkommen
und sie sich selber holen werde. So erschien denn auch die Wöchnerin im
badischen Flehingen, die mit ihrem todten Kinde im Arme bestattet worden^
den Ihrigen und bat, ihr noch Faden, Scheere, Fingerhut, Wachs und Seife mit
in das Grab zu geben, weil sie sonst nicht in jener Welt für ihr Kind das Noth-
wendige nähen und waschen könne.
In Luschtenitz in Böhmen giebt man ebenfalls der verstorbenen Wöch*
nerin Alles mit in das Grab, was sie zur Pflege ihres Kindes nöthig hat, Windeln,
Bettchen, Häubchen u. s. w. Yergisst man von diesen Dingen etwas, so kommt
die Verstorbene des Nachts wieder, um ihr Kind zu waschen, und das setzt sie
solange fort, bis man ihr eine Wanne mit Wasser und Seife vor die Thüre stellt.
(Grohmann.)
In manchen Gegenden Deutschlands glaubt man aber, dass die verstorbene
Wöchnerin unter allen Umständen wiederkehre, wenigstens während der . Sechs-
wochenzeit''. Sie kommt allnächtlich zu ihrem Kinde, um dasselbe zu pflegen
und zu besorgen.
Wenn die Mutter in Thüringen stirbt, so wird daher das Bett derselben
noch neun Mal gemacht, in Schwaben acht Mal; in mehreren Orten der baye-
rischen Ober-Pfalz aber wird noch sechs Wochen hindurch ihr Bett mit aller
Sorgfalt jeden Abend hergerichtet, und ihre Fantoffeln unter die Bettlade gestellt,
weil sie sich, wie man glaubt, allnächtlich um ihr Kind umschaut. (Bavaria,)
Stirbt in Böhmen eine Mutter bei der Geburt, so heisst es dort ebenfalls, dass
sie während der sechs Wochen zu ihrem Kinde kommt und es badet; und wenn
daselbst eine Wöchnerin stirbt, so giebt man ihr Windeln in den Sarg, denn
sie kommt jede Nacht, um ihr Kind trocken zu legen; in anderen Theilen
Böhmens legen die Leute nach dem Tode der Wöchnerin Schwamm und
Wasser neben das Kind, denn sechs Wochen lang erscheint sie um Mittemacht
in weissem Gewände, um ihr Kind zu waschen und zu baden. Ebenso wird in
Hessen das Bett der verstorbenen Wöchnerin jeden Morgen frisch gemacht, und
die Wiege des Kindes bleibt, wenn dieses am I^ben geblieben ist, während jener
Zeit vor dem Bette stehen.
Bei Kommannus lesen wir:
«Sapenititiosae mulieres etiam post mortem puerperae lectum ejus stemere solent,
ac 8i adhuc viveret, ad consummationem usque sex septimanarum, ferunt animam singulis
noctibas cabare in eo,- fossam rmprimere, instar felis cubantis.'
Die Hauskatze also, welche wohl nicht unterlassen haben wird, von diesem,
behaglichen Plätzchen Gebrauch zu machen, scheint nicht unerheblich zu der
Aufrechterhaltung dieses Aberglaubens beigetragen zu haben.
Auch der alte Praetorius (1709) führt in der „gestriegelten Rocken-
Fhilosophia'' den weitverbreiteten Aberglauben an:
.Wenn ein Weib in den Sechs- Wochen verstirbt, muss man ein Mandel-Holz oder ein
Buch ins Wochen-Bett legen, auch aUe Tage das Bette einreissen und wieder machen, sonst
kan sie nicht in der Erden ruhen/
Seine Erklärung für diesen alten Brauch ist von grossem culturgeschicht-
liehen Interesse und macht dem aufgeklärten Manne alle Ehre. Er sagt darüber:
.Dieses ist eine Gewohnheit, die fast an allen Orten des Sachsen-Landes im Ge-
brauch ist, und wo kein Mandel- Holtz zu haben ist, so nehmen sie ein Scheid Brenn-Holtz
oder auch ein Buch, und solte es gleich der Eulenspiegel sejn, auf dass ja etwas, an statt
der Wöchnerin, im Bette liege. Wo nun diese Thorheit ihren Ursprung her bekommen haben
mag, bin ich zwar offt befliessen gewesen zu erforschen, aber nicht stracks hinter den Grund
kommen können. £ndlich aber habe aus vieler Erfahrung, dass niemand anders, als die
eigennützigen Weh-Mütter, diese Narrethey ersonnen haben. Denn wenn zu weilen bey wohl-
habenden Leuten durch göttlichen Willen sichs begiebt, dass die Wöchnerin durch den Tod
von ihrem Manne verabschiedet, oder auch in Eindes-Nöthen samt der Geburt todt bleibet,
476. Das Umgehen der iodten Wöchnerin. 603
da haben von Rechts wegen nach dem Begräbnis, die Weh-Mütter nichts mehr im Hause
zu 8cha£Pen, zumahl, wenn Kind und Mutter zugleich geblieben sind, bekommen auch billicher
massen yon dem ohne das Betrübten und nothdürfftigen Wittwer nichts mehr. Alleine dieses
guten interesse nicht verlustig zu werden, haben sie ersonnen, es müsse die gantze Sechs-
Wochen hindurch täglich das Wochen-Bett von ihnen gemacht werden, so gut, als sey die
Wöchnerin noch am Leben. Und durch dieses Vorgeben bekommen sie Gelegenheit, täglich
ein paar mahl (wenn der Wittwer etwas Gutes zu essen hat) einzusprechen und ihr Ambt
mit Essen und Trinken in acht zu nehmen, und wenn die Sechs- Wochen um sind, und sie
bekommen nicht stracks so viel Lohn, als wenn sie würcklich Mutter und Kind so lange be-
dient hätten, so tragen sie wohl die ehrlichen Männer aus, und reden schimp£Plich von ihnen."
.Wenn nun ein ehrlicher Mann bOse Nachrede vermeiden will, so muss er eine solche
alte Katze lassen nach ihrem Vorgeben hanthieren, und sie noch mit einen guten recompens
davor versehen, weil Mutter Ursel so sorgfältig vor der seligen Frauen ihre sanffte Ruhe im
Grabe ist gewesen. Ob nun gleich dieses wahrhafiPtig von nichts anders seinen Ursprung hat,
als von denen Wehe-Müttern, so ist es doch endlich mit der Zeit zu einem würcklichen Aber-
glauben worden, dass ich auch bey klugen und sonst verständigen Leuten diese Thorheit gar
sancte practiciren gesehen. Und ist billig zu verwundem, das unter gläubigen Christen solche
unchristliche Thaten, die schnurstracks wieder den wahren Glauben streiten, vorgenommen
und getrieben werden' u. s. w.
Bei den Negern der Loango-Küste herrscht nach Pechuel-Loesche der
Glaube, dass die gestorbene Mutter noch über ihre Kinder wache, um sie sowohl
vor bösen Menschen, als auch vor den Geistern zu beschützen.
Wie nach dem Glauben vieler Völker die Entbundene auf eine gewisse Zeit
hin für unrein gilt und es erst einer besonderen Reinigungsfeier bedarf, um sie
wieder in die Gesellschaft der Menschen zurückkehren zu lassen, so ist auch die
verstorbene Sechswöchnerin im Tode noch unrein und bleibt es auch, da sie ja
die Ceremonie der Reinigung nicht mehr erlebte. Als unreine Person wirkt sie
aber auch noch nach ihrem Ableben verunreinigend und schädigend auf die sich
ihr Nahenden. Yon dieser Anschauung vermögen wir noch sehr wohl die Spuren
nachzuweisen. In des getreuen EckartKs unvorsichtiger Heb- Amme heisst es:
«Auch sollen Jungfrauen und Frauens, wenn sie ihre Blüthe haben, diejenigen E^irch-
höfe und Kirchen zu meiden, worauf die SechswOchnerinnen und Soldaten, die ihr Leben vor
dem Feinde gelassen haben, begraben worden sind, denn wann sie über ein solches Grab
gehen, wird sich der Fluss vermehren und zu grossen Bestürzungen Ursache geben. Weswegen
an einer Obrigkeit die Vorsicht zu loben, dass sie die in sechs Wochen verstorbenen Personen
an einem verwahrten Ort absonderlich begraben lassen.'
Die obenerwähnte schwäbische Sitte, durch ein übergelegtes Netz die
Verwundeten vor dem Grabe einer Wöchnerin zu warnen, hat wohl ursprünglich
ganz ähnliche Beweggründe. Vermuthlich glaubte man, dass die Wunden wieder
anfangen würden zu bluten, oder dass sie eine schlechte Beschaffenheit annehmen
könnten, ähnlich wie ja auch die Menstruirende Alles, das sich ihr nahet, ver-
derben lässt.
Aber auch nicht unbedeutende Gefahren können nach den Anschauungen
gewisser Völker den Ueberlebenden durch die im Wochenbette gestorbenen Frauen
erwachsen. Wir haben einzelne solche Beispiele bereits in den Abschnitten über
die todte Schwangere und die todte Kreissende kennen gelernt, und dieser Angst
vor der Gefahr wurde ja auch durch bestimmte Arten, wie man die Leiche zu
beseitigen und unschädlich zu machen suchte, Ausdruck gegeben.
In Steyermark glaubt man freilich, dass eine im Kindbett gestorbene Frau
«vom Mund auf'', also wohl direct, ohne Durchgang durch das Fegefeuer, in den
Himmel komme, aber man ist davon überzeugt, dass ihr bald zwei andere aus
derselben Pfarre nachsterben werden. Mit Recht macht Fossd darauf aufmerksam,
dass dieser Aberglaube sehr wohl seine Ursache in der leider nur zu häufig ge-
machten Erfahrung haben hönne, dass bei der ansteckenden Natur des Kindbett-
fiebers eine directe Uebertr^gung der mörderischen Krankheit durch die Hebamme
auf die nächste kreissende Frau stattzufinden pflegte.
604 LXXVL Bas Weib im Tode.
Die Laoten verfahren mit der Leiche einer verstorbenen Wöchnerin genau
so, wie mit den an epidemischen Krankheiten Gestorbenen. Nets sagt:
,Mai8 toas qu'ils soient de famille noble ou non, sont jet^s au fleave quand ils meurent
d'une maladie ^pid^mique; on agit de m§me pour les femmes qni meurent en couches."
Auf der Insel Nias werden aus den im Wochenbette verstorbenen Weibern,
wie Modigliani berichtet, Plagegeister, oder Dämonen, welche unter dem Namen
der Bechu matiana die Schwangeren quälen und Abortus verursachen können.
Sie werden von den Frauen sehr gefürchtet, und nach Bosenberg müssen diese
stets mit einem Messer bewaffnet sein, um sich vor ihnen zu vertheidigen. Nach
Bosenberg heissen sie auch Sinotachera und sie sollen die Diebe anleiten, mit Ge-
schicklichkeit zu stehlen und durch die kleinsten Löcher in die Häuser einzudringen.
Die Dayaken von Sarawak, an der Nord- und Westküste von Borneo,
glauben ebenfalls, nach Spencer 8t John^ dass die gestorbenen Wöchnerinnen in
Dämonen verwandelt werden, welche sie Mino-kok-anak nennen. Diese finden ihre
besondere Freude daran, die Lebenden zu quälen und zu beunruhigen.
477. Die sEngende Mutter im Tode.
Wir haben bereits gesehen, dass vielfach der Glaube verbreitet ist, eine ge*
storbene Wöchnerin finde im Grabe keine Ruhe, sondern sie müsse allnächtlich
wiederkehren, um ihr Kind zu besorgen und zu pflegen. Natürlicher Weise muss
aber die hauptsächlichste Fürsorge für die zurückgelassene Waise das Darreichen
der Mutterbrust sein.
So ist es Aargauer Glaube, dass jede verstorbene Sechswöchnerin noch
andere sechs Wochen in die Kinderstube zurückkehre, um daselbst das hinter-
lassene Kleine zu stillen; auch einen Niggi (Schnuller) muss man ihr mit bei-
legen, mit dem sie das überlebende Kind des Nachts „geschweigen*" kann; ge-
schieht's nicht, so kann das Kind böse Milch bekommen, eine von Hexen vergiftete ;
man sieht die säugende Mutter nicht, hört aber das Kind schnullen (süggeln).
Für diesen Weg braucht sie das Paar Schuhe, das man ihr mit in den Sarg ge-
geben oder nebenan gestellt hatte. Hat man dies unterlassen, so spukt sie so
lange, bis es gelingt, ihr ein Paar in die Schürze zu werfen. (Bochhoh,)
Auch in Mittel-Franken giebt man der Leiche ein Paar neue Pantoffeln
mit in den Sarg, weil man glaubt, sie bedürfe ihrer, denn sie müsse sechs Wochen
lang in der Nacht kommen und nachsehen, ob ihr Sprössling ordentlich versorgt
werde. (Bavaria.) Dasselbe berichtet Waijser aus Kärnten. Nach einer Elsasser
Sage klagt die verstorbene Wöchnerin: « Warum habt ihr mir keine Schuhe an-
gelegt? Ich muss durch Disteln und Domen und über spitzige Steine!*^ Nach-
dem man ihr ein Paar Schuhe hingestellt, kam sie noch sechs Wochen lang regel-
mässig wieder, um ihr Kind in der Nacht zu stillen. (Stoeber.)
Auch in Masuren glaubt man, wie Toeppen berichtet, dass die bei der
Geburt eines Kindes oder bald darauf gestorbene Mutter jede Nacht vom Himmel
herabkomme, um ihrem Kinde die Brust zu reichen, und zwar thut sie dies auch
hier volle sechs Wochen hindurch. Als Beginn dieser gespenstischen Säugezeit
wird nicht der T^ des Todes gerechnet, sondern derjenige der Beerdigung. Die
Wöchnerin muss also erst im Grabe liegen, bevor sie ihrem hinterlassenen Kinde
diesen Liebesdienst erweisen kann.
ISsxih Beejsenberger herrscht bei den Litthauern ebenfsdls der Glaube, dass
die verstorbene Wöchnerin in jeder Nacht ihr Grab verlässt, um ihrem Kinde die
Brust zu reichen. Sie kann von Niemandem gesehen werden, aber es besteht
kein Zweifel, dass sie sich dabei auf die Wiege setzt, denn diese bleibt hierdurch
mit einem Male stehen und sie kann, so lange die Mutter da ist, nicht mehr
bewegt werden.
478. Der Tod der Mutter tödtet das Kind. 605
Auch unter den Neu-6 riechen besteht die Anschauung, dass die ver-
storbene Mutter sich nach ihrem Säuglinge sehnt. Hierauf bezieht sich eines ihrer
Volkslieder, welches den Fluchtversuch einiger Schatten aus dem Todtenreiche
schildert.
.Drei tapfere Jünglinge entschliessen sich, dem Hades zu entfliehen. Eine liebliche
junge Mutter bittet dieselben, doch auch sie mitzunehmen anf die Oberwelt, denn sie wünscht,
ihr dort zurückgebliebenes Kindchen zu säugen. Die Jünglinge wollen darauf nicht eingehen :
Das Rauschen ihrer Gewänder, das Leuchten ihres Haares, das Klappern ihres Gold- und
Silberschmuckes werden Charos, den schrecklichen Fuhrmann, aufmerksam machen. Allein
jene weiss ihre Bedenken zu beschwichtigen, und so begeben sie sich zusammen auf die Flucht.
Aber plötzlich tritt Charoa ihnen entgegen und packt sie. Da ruft das junge Weib: «Lass
los meine Haare, Charos, und fasse mich an die Hand, und wenn Du meinem Kinde zu trinken
giebst, so versuche ich nicht wieder Dir zu entfliehen." fSchmidtJ
47S. Der Tod der Mutter todtet das Kind.
Wir müssen noch einer Anschauung gedenken, welche leider eine weite
Verbreitung besitzt; es ist die TTeberzeugung, dass ein Kind, dem in so zartem,
jugendlichem Alter die Mutter durch den Tod entrissen wird, selber nicht weiter
zu leben vermöchte. Man thut daher am besten, wenn man den kleinen Erden-
bürger erst gar nicht von seiner Mutter trennt.
So berichtet Bancrofl:
«Wenn bei den Dorachos, einem Indianer stamme vom Isthmus Central-Amerikas,
eine Mutter stirbt, welche noch ihr Kind nährt, so wird ihr das Kind lebend an die Brust
gelegt und mit ihr verbrannt, damit sie es in dem künftigen Leben mit ihrer Milch weiter
s&ugen kann.*
Ebenso wird nach Lubbock bei den Eskimo in TJnalaschka ein Kind,
welches das Unglück gehabt hat, seine Mutter zu verlieren, regelmassig mit der-
selben zusammen beerägt. Auch von den Damara berichtet Livingstone, dass
sie der todten Mutter das Kind mit in das Grab legen.
Eine ähnliche Sitte scheint in Britannien geherrscht zu haben, denn in
den älteren britischen Gräbern finden die Archäologen häufig die Gebeine einer
Frau und eines kleinen Kindes beisammen, und dadurch sind sie zu dem Schlüsse
genothigt worden, dass, wenn eine Frau im Wochenbette, oder während der Säuge-
periode starb, das Kind mit ihr lebendig begraben worden sei.
Stirbt in Australien bei den Eingeborenen die Mutter eines Säuglings, so
wird, wie Gollins und Barrington berichten, das Kind der Leiche der Mutter
lebend in den Arm gelegt und so mit der Mutter gemeinsam begraben. Aber
hier wird schon eine Einschränkung gemacht, denn es wird hinzugesetzt: „wenn
sich f&r das arme Wesen keine Adoptiveltern finden*.
Auch bei den Xosa-Kaffern ist es gestattet, den überlebenden Säugling
umzubringen; aber es wird durchaus nicht immer von dieser Erlaubniss Gebrauch
gemacht; denn Kropf berichtet:
, Stirbt die Frau im Kindbette, so wird das Kind nicht in jedem Falle getOdtet. Es
bekommt die Milch in einem Brustwarzenhut, der von der Antilopenhaut gemacht ist.*
Ist es hier stets die Auffassung gewesen, dass das überlebende Kind doch
ohne die Nahrung und die Pfiege der Mutter elendiglich zu Grunde gehen müsse,
so begegnen wir auch noch anderen Anschauungen, die die Tödtung des Säuglings
zur Folge haben. Man glaubt nämlich bisweilen, dass ein Kind, dem solch ein
Unglück begegnet ist, selbst unheilbringend für die Stammesgenossen werde.
So erzählt Kropf von den Xosa-Kaffern:
,£ine Mutter hatte das Milchfieber. Am Tage ihres Todes stand sie auf und sagte,
auf die Wolken deutend: «Heute wird ein Gewitter kommen.* Deshalb glaubten die Leute,
sie sei behext. Am Nachmittag starb sie. Man begrub ihr Kind lebendig mit ihr, in dem
Glauben, es sei auch behext.'
606 LXXVI. Das Weib im Tode.
Auch in Niaa tödtet man das Kmd, das die Matter bei der Entbindung
oder im Wochenbett verloren hat, denn man glaubt, dass es dazu auserlesen ist,
ein schreckliches und gefahrliches Individuum zu werden. Aus diesem Grunde
wird der arme kleine Weltbürger in einen Sack gesteckt und dieser wird an einem
Baume aufgehängt, und das Kind bleibt nun auf diese Weise im Walde seinem
grausamen Schicksale überlassen. (Modigliani,)
In anderen Fällen straft man es mit dem Tode, weil man es für den Mörder
seiner Mutter betrachtet. Diese Anschauung finden wir bei den Sakalawen in
Madagascar. Das ist der Grund, warum man hier das arme kleine Wesen
lebendig mit der im Wochenbett verstorbenen Frau beerdigt. (Globus 44.)
Die Dayaken in Borneo strafen ebenfalls das Neugeborene mit dem Tode,
wenn die Mutter bei der Entbindung ihr Leben lässt. Roth stellt hierfür die
folgenden Berichte von Legatt und von Rev, Holland zusammen:
„Die Sitte der See-Dayaken forderte (bis eine civilisirte Regiening Bolchen schreck-
lichen Mord verhinderte), dass, wenn die Matter in Folge der Niederkunft starb, das Kind den
Tod erleiden musste, weil es die Ursache von dem Tode der Mutter sei, und deshalb fand
sich Niemand, um es zu säugen oder zu pflegen. Deshalb wurde das Kind lebendig sur
Mutter in den Sarg gelegt, und beide wurden zusammen beerdigt, nicht selten ohne den
Vater zu fragen, welcher die Ausführung dieses Gebrauches hindern und das Eind erhalten
könnte. Keine Frau würde sich bereit finden, solch eine Waise zu säugen, da das ihren
eigenen Kindern Unglück bringen würde. Mir ist ein Fall bekannt, wo eine Frau in Ab-
Wesenheit ihres Gatten von Zwillingen entbunden wurde und unmittelbar nach der Entbindung
starb. Auf Befehl des Grossvaters (väterlicher Seite) wurden beide Kinder mit der Matter
beerdigt." (LegaitJ
«Eine junge Frau starb, nachdem sie Zwillingen das Leben gegeben hatte. Eines der
ELinder starb gleich nach seiner Geburt, aber das andere war ein völlig gesundes Kind. Früh
am anderen Morgen band man das lebende Kind mit den beiden Leichen zusammen und trag
sie zum Begräbnissplatze, wo man das Lebende mit den Todten begrub. Man hörte das
kleine Wesen schreien, als es flussabwärts zum Dschungel gebracht wurde, aber seine Klage-
laute trafen nur taube Ohren und harte Herzen, und nicht Einer fand sich, der das Kind
zurückgebracht und adoptirt hätte. '^ (Holland.)
479. Die wiedergekommene Todte.
Wiedergekommene nnd umgehende Todte spielen in der Mystik sehr vieler
Völker eine ganz heryorragende Rolle, und wir haben in den Torhergehenden
Abschnitten schon manches Beispiel hierfür kennen gelernt. Bald ist es eigene,
schwere, ungesühnte Schuld, die ihre Rückkehr in die Zeitlichkeit veranlasst, bald
ist ein zurückgelassenes Kind die Ursache ihrer Wiederkunft, da sie demselben
Schutz, Pflege und Wartung angedeihen lassen müssen; das eine Mal ist ihr
Wiedererscheinen ganz harmloser Natur, ein anderes Mal aber ist es von Unheil
verkündender Vorbedeutung, und in noch anderen Fällen gehen die Todten um
in der Absicht, den Lebenden directen Schaden zuzufügen. Die waschenden Weiber,
die weissen Frauen, die tanzenden Nonnen und wie diese gespenstischen Erschei-
nungen alle heissen mögen, sind zu bekannt, als dass ich hier noch näher darauf
einzugehen brauchte. Auch was im vergangenen Jahrhundert in der Phantasie
des Volkes eine solche hervorragende RoUe spielte, die lebendig Begrabenen, die
scheintodten Weiber, wUl ich hier keiner eingehenderen Betrachtung unterziehen.
Hier handelt es sich vielmehr um das Wiedererscheinen solcher Frauen, welche
nach der vollkommenen Ueberzeugung der Zeitgenossen in Wirklichkeit gestorben
waren, um aber das blutende Herz des über ihren Verlust untröstlichen Gatten
nicht brechen zu lassen, durch göttliche Gnade wieder in das Leben zurückgerufen
und noch viele Jahre mit ihm in ehelicher Liebe und Treue verbunden geblieben
sind. Als Typus dieser Sagengruppe möge die folgende von Kommannus ange-
zeichnete Geschichte hier ihre Stelle finden:
479. Die wiedergekommene Todte.
607
,In Bayern soll ein Mann ans vornehmem Geschlecht bei dem Tode seiner Gemahlin
einen so tiefen Schmerz empfanden haben und so allem Tröste unzugänglich gewesen sein,
dass er in der Einsamkeit sein Leben hinbrachte. Endlich, da er mit Trauern nicht aufhörte,
sei seine Gattin von den Todten wieder auferstanden, sei bei ihm erschienen und habe gesagt:
, Obgleich ich meinen Lebenslauf schon einmal vollendet habe, bin ich durch Deinen Jammer
doch wieder in das Leben zurückgerufen und habe von Gott den Befehl erhalten, dass ich
Deine Gemeinschaft noch länger geniessen soll, jedoch mit der Bedingung und Bestimmung,
dass unser durch den Tod gelöster Ehebund von Neuem durch feierliche Einsegnung des
Priesters geschlossen werde, und dass Du von Deiner üblen Gewohnheit zu fluchen ablässt;
denn deswegen bin ich Dir entrissen, und ich muss zum zweiten Male aus dem Leben scheiden,
wenn Du wieder solche Worte sagst.' Nachdem dies geschehen war, besorgte sie ihm die
Wirthschafb wie früher, gebar auch noch einige Kinder, erschien aber immer traurig und
bleich. Nach vielen Jiüiren war der Mann mit seinem Abendtrunke unzufrieden und fluchte
auf die Magd. Da verschwand sie aus dem Zimmer, jedoch blieben ihre Kleider wie ein Ge-
spenst an der Stelle stehen, wo die Mahlzeit aufgestellt worden war.''
Fig. 420. MohamedaniBcher Begräbnissplatz in Sarajevo (Bosnien). (Nach Photographie.)
Aach unter den Vorfahren der Grafen von der Asseburg war eine solche
wiedergekommene Todte. Auch sie war schon in der Familiengruft beigesetzt,
und der zurückgebliebene Gatte wollte sich nicht trösten lassen. Als ihm nun
gar einer aus seiner Umgebung zum Tröste sagte, die Verstorbene könnte ja doch
vielleicht noch wiederkommen, da erwiderte er: eher glaube er, dass sein Leib-
ross aus der Dachluke heraussehen würde, ehe er an die Möglichkeit einer
Wiederkehr der todten Gemahlin glauben könne. Bald darauf hörte man das
Getümmel Ton Menschen, welche sich vor dem Schlosse zusammengerottet hatten.
Als man nach der Ursache dieses Auflaufes forschte, erfuhr man, dass diese
Leute nur darüber staunten, warum des Grafen Leibross aus der Dachluke heraus-
sähe, und wie es eigentlich dort hinaufgekommen sei. Das rief dem Grafen
in die Erinnerung zurück, dass bei Gott kein Ding unmöglich sei, und in der
608 LXXVI. Das Weib im Tode.
Nacht kehrte auch seine Gemahlin zurück, mit Leichengewändem angethan,
aber wieder lebend. Der überglückliche Gatte lebte mit ihr noch viele Jahre
in glücklicher Ehe und sie gebar ihm noch mehrere Kinder. Aber sie fiel stets
durch ihre grosse Blässe auf. Ihr Bildniss, sowie dasjenige der nach ihrem ersten
Tode geborenen Kinder soll in dem Dome zu Magdeburg aufgehängt worden
sein, jedoch habe ich dasselbe dort nicht entdecken können.
Aus der Chronik des Neocorus in Ditmarschen vom Ende des 16. Jahr-
hunderts berichtet Kinder:
^Maas Krihkena Frau Grete war verschieden. Da erhoben die Kinder ein so klägliches
und erbärmliches Rufen und Schreien, dass die Seele davon wieder zu ihr kam. Sie lebte
noch Jahre darnach, hatte aber ein sehr scharfes todtenartiges Antlitz, war still und wunder-
lich, gab aber richtige Antworten."
Nach Kinders Angabe soll sich der Glaube, dass durch lautes und Tieles
Schreien ein Sterbender dem Leben wiedergegeben werden könne, auch bis heute
noch in Holstein erhalten haben.
In manchen anderen der alten deutschen Adelsgeschlechter werden den
obigen ganz analoge Familiensagen erzählt, und, wie von einer Seite hervorge-
hoben wurde, haben dieselben eine ganz erhebliche culturhistorische Bedeutung.
Man glaubt nämlich, dass es sich in allen diesen Fällen um eine besondere Cere*
monie der Nobilitirung einer nicht ebenbürtigen Ehe^ttin gehandelt hat. TTeber-
einstimmend ist nämlich in sämmtlichen dieser Geschichten die Angabe, dass die
wieder auferstandene Todte dem Gemahle noch mehrere Kinder gebiert. Auch wird
in allen Fällen der Ehebund des Gatten mit der dem Grabe wieder Entronnenen
vom Priester mit allen vorgeschriebenen Feierlichkeiten von Neuem eingesegnet.
Die ebenfalls übereinstimmende Angabe, dass die Wiederauferweckte wahrend
ihres ganzen zweiten Lebens sich durch eine ganz ausserordentlich bleiche Farbe
ausgezeichnet habe, müssen wir wohl als eine spätere Ausschmückung der Sage
betrachten. Man hielt es eben für erforderlich, dass Jemand, der scnon einmal
todt gewesen war, sich doch in etwas von gewöhnlichen Menschenkindern unter-
scheide, und da war das Bestehenbleiben der Todtenblässe das allerbequemste
Unterscheidungsmerkmal.
480. Der geschlechtliclie Verkehr mit der Todten.
Unzählig und unentwirrbar sind die vielfach verschlungenen Fäden, welche
die Phantasie des Menschen als Richtschnur für die Befriedigung unersättlicher
Wollust gesponnen hat, und dabei unfassbar und nicht zu verstehen für ein ge-
sundheitsgemäss angelegtes Menschengehim. Was dem Einen wonnevolles Ent-
zücken und die höchste geschlechtliche Befriedigung gewährt, das vermag den
gesunden Menschen nur mit Abscheu und Ekel, den Arzt mit tiefstem Mitleid
zu erfüllen. Diese für gewöhnlich als die Nachtseiten der menschlichen Natur
bezeichneten Verhältnisse, von welchen in Folge unzweckmässig angebrachten
Sittlichkeitsgefühls weder die Richter, noch häufig auch die Aerzte in genügender
Weise unterrichtet sind, verdienen in vollstem Maasse die Aufmerksainkeit und
Beachtung der Anthropologen. In dieses Gebiet gehört auch die sogenannte Nekro-
philie oder der geschlechtliche Umgang mit Leichen.
Es muss, wie schon gesagt wurde, für uns unfassbar bleiben, wie die wol-
lüstige Begierde auch nicht einmal dem Gadaver des Mitmenschen Schonung ge-
währte. Aus rein physiologischen Ursachen, welche näher zu erörtern wohl kaum
nothwendig sein dürfte, kann es sich in diesen Fällen natürlicher Weise immer
nur um den Beischlaf eines lebenden Mannes mit einer weiblichen Leiche handeln.
Wir lesen bei t;. Krafft-Ebing:
^Bierre de Baiamant theilte die Geschichte eines Leichensch&nders mit, der sich nach
Bestechung der Leichenwärter zur Leiche eines sechzehnjährigen Mädchens aus vornehmem
480. Der geschlechtliche Verkehr mit der Todten. g09
Hans eingeschlichen hatte. Nachts hörte man im Todtenzimmer ein Geräosch, als wenn ein
Stück Möbel umfalle. Die Matter des verstorbenen M&dchens drang ein und bemerkte einen
Menschen, der im Nachthemd vom Bett der Todten herabsprang. Man meinte zuerst, man
habe es mit einem Diebe zu thun, erkannte aber bald den wahren Thatbestand. Es stellte
sich heraus, dass der Schänder, ein Mensch aus vornehmem Hause, schon öfter die Leichen
junger Weiber geschändet hatte. Er wurde zu lebenslänglichem Kerker verurtheilt."
Ein französischer Sergeant hatte wiederholentlich weibliche Leichen aus-
gegraben, sie zerstückelt, ihnen die Eingeweide herausgerissen und sie wieder be-
erdigt. Bei einer dieser Leichen kam mm das Gelüst an, mit ihr den Beischlaf
auszuführen. Er schreibt selbst darüber an den Gerichtsarzt:
«Ich bedeckte den Cadaver allenthalben mit Küssen, drückte ihn wie rasend an mein
Herz. Alles, was man an einem lebenden Weibe gemessen kann, war nichts im Vergleich zu
dem empfundenen Genuss. Nachdem ich diesen etwa eine Viertelstunde gekostet, zerstückelte
ich wie gewöhnlich die Leiche und riss die Eingeweide heraus. Dann begrub ich wieder den
Cadavar.* ft?. KrafftrEbing.J
In gleicher Weise ist er später noch mit einer Reihe von Leichen verfahren,
die er zum Theil mit seinen Nägeln ausgrub, bis der Arm des Gesetzes ihn er-
reichte. Er sagt dann femer von sich:
.Der Zerstörungstrieb war in mir immer heftiger, als die erotische Monomanie, das
unterliegt keinem Zweifel. Ich glaube, dass ich niemals mit dem Zweck, eine Leiche zu
nothzüchtigen, allein ein solches Wagniss unternommen hätte, wenn ich sie nicht später zer-
stückeln konnte.' (Tarnowsky.)
Wir werden f&r diese Fälle v, KraffUEbing sicherlich Recht geben, wenn
er sagt:
„Die in der Literatur vorkommenden Fälle von Leichenschändung machen den Eindruck
pathologischer, nur sind sie bis auf den berühmten des Sergeant Bertram nichts weniger als
genau beschrieben. In ihrer Motivirung scheinen sie sich an die Kategorie der Lustmorde
anzureihen, insofern gleichwie bei diesen eine an sich grauenvolle Vorstellung, vor der der
Gesunde zurückschaudert, mit Lustempfindungen betont wird.*
Ob diese Erklärung aber für alle Falle passt, möchten wir doch dahin-
gestellt sein lassen. Es ist wohl in hohem Maasse wahrscheinlich, dass es sich
bisweilen um einen lange Zeit ungestillten, gewaltigen Geschlechtstrieb handelte,
der in dem Verkehr mit der weiblichen Leiche die erste sich ihm darbietende
Gelegenheit zu seiner Befriedigung nicht unbenutzt vorübergehen liess. So
sind wohl mit Wahrscheinlichkeit die Fälle zu deuten, wo Mönche, welchen die
Leichenwache übertragen war, die Todte zur Stillung ihrer Lüste verwendet haben.
Es reiht sich hier auch jener Fall an, welcher, wie man Niehuhr erzählte, zu der
Schliessung des Begräbnissthurmes der Parsi bei Bombay die Veranlassung ge-
geben hatte« Eine Jungfrau war gestorben und wurde an diesem Orte des Schreckens
von ihrem Geliebten aufgesucht und beschlafen.
Auf dem Lande im Hundsrück soll es bis vor Kurzem gebräuchlich ge-
wesen sein, dass, wenn eine Braut gestorben war, der Bräutigam mit ihrer Leiche
die Brautnacht feierte.
Die Nekrophilie ist übrigens schon sehr alt, denn wir lesen bereits im
Herodot von den Todtengebräuchen der alten Aegypter:
«Die Weiber von angesehenen Männern giebt man, wenn sie gestorben sind, nicht so-
gleich zur Einbalsamirung, ebenso auch nicht diejenigen Frauen, welche sehr schön sind
und von mehr Ansehen; erst nach Verlauf von zwei oder drei Tagen übergiebt man sie den
Einbalsamirern : es geschieht dies deshalb, damit die Einbalsamirer mit den Frauen keinen
Umgang pflegen. Man erzählt nämlich, dass einer derselben ertappt worden sei, wie
er mit dem frischen Leichnam einer Frau Unzucht trieb, aber von seinen Kameraden ver-
rathen ward.'
Einen schauerlichen, zu unserem Thema gehörenden Gebrauch finden wir
in Afrika. Stirbt nämlich eine Kikamba-Frau und findet aus irgend einer
Ursache bei ihr ein Blutaustritt aus den Genitalien statt, so muss ein fremder
Mann die nächste Nacht bei der Leiche liegen. Morgens findet er eine Milchkuh
Floss-Bartels, Das Weib. 5. Anfl. II. 39
610 LXXVI. Dag Weib im Tode.
in der Nähe angebunden. Diese Sitte wird geheim gehalten und nur im Ge-
heimen ausgefthrt.
Aus einer süd-ungarischen Stadt erzählt v. Wlislocki^ folgende Geschichte:
Es lebte dort eine Wittwe, «die einen Zwitter zum Kinde hatte. Dieser war bereit«
zwanzig Jahre alt, ging in Weiberkleidem hemm, rauchte Tabak und verrichtete Arbeiten
der Mftnner. Er war dabei die Ziebcheibe der Gasseigugend. Im Fasching des angeführten
Jahres (1861) fiel es ihm ein, sich verehelichen zu wollen. Da griff seine Mutter zu einem
Zaubermittel, «um das Geschlecht ihres Kindes in Ordnung zu bringen*. Sp&t Abends g^in^
sie mit dem übrigens starken Zwitter auf den Kirchhof und beide OfEneten dort das Grab nnd
den Sarg einer vor kurzer Zeit beerdigten Jungfrau. Die Mutter hiess nun den Zwitter sich
neben die todte Maid zu legen und die Nacht dort zuzubringen. Der Zwitter that es aach
ohne Furcht und Grauen, nachdem die Mutter ihm noch verschiedene Geheimtrftnke f&r die
Nacht mit ins Grab gegeben hatte, die man am nächsten Morgen im offenen Grabe neben
dem todten Zwitter vorfand. Auf welche Weise der Zwitter ums Leben kam, konnte oder
wollte man Öffentlich nicht kundgeben; soviel aber ist gewiss, dass er an der Leiche eine
Schandthat verübt hatte, um dadurch „sein Geschlecht in Ordnung zu bringen*. Die Mutter
erh&ngte sich am nächsten Tage, nachdem sie ihren Bekannten eingestanden hatte, dass sie
durch dies Mittel ihr Kind ,zu rechtem Manne* habe machen wollen.*
Der alte Kommannus wirft die für unsere Anschauungen höchst sonderbar
klingende Frage auf, was für einer Strafe Diejenigen verfallen müssen, welche sich
der abscheulichen Leidenschaft der Nekrophilie hingegeben haben, und er kommt
zu dem noch sonderbareren Resultate, dass man sie überhaupt nicht strafen dürfe,
da ein todter Mensch nichts mehr gelte und ihm kein Unrecht geschehen könne,
ebenso wenig wie ein an einem Gestorbenen ausgeführter Mordversuch doch nicht
als ein Mord betrachtet werden könne. Allerdings muss auch ich erklären,
dass in der grösseren Mehrzahl dieser immerhin doch nur seltenen Falle diese
Nekrophilen eine Strafe nicht verdienen. Nicht vor den Strafrichter gehören sie,
sondern in das Irrenhaus. Denn fast immer handelt es sich hier um geistig nicht
gesunde Individuen, welche dem Irrenarzte, aber nicht dem Gefängnisse übergeben
werden müssen.
481. Die Schwängerung der Todten.
In hohem Maasse eigenthümlich muss es uns berühren, wenn wir sehen,
dass unsere Yor&hren der Meinung waren, dass solch ein Beischlaf mit der Leiche
unter Umständen bei derselben eine Schwangerschaft herbeiführen könnte. Es ist
naturgemäss nicht Yon jenen so vielfach in den Romanen vergangener Jahrhunderte
auftretenden Fällen die Rede, wo es sich um eine Scheintodte handelte, welche
nach erfolgter Befruchtung wieder zum Leben erwachte und nun nicht wusste,
wie sie zu dem Kinde gekommen war. Hier handelt es sich vielmehr in Wirk-
lichkeit um definitiv Gestorbene.
Eine solche Geschichte finden wir in Kommannus^ de miracalis mortnomm,
welche er den Ghronicis Anglicis des Bogerus nacherzählt:
Ein Krieger auf der Insel Deysa liebte ein Mädchen, ohne dass er jedoch yon dem-
selben erhört ward. Sie stirbt und der Soldat verschafft sich Zutritt zu der Leiche und voll-
fahrt mit der Todten, was ihm die Lebende nicht gewährt hatte. Nach vollzogenem Bei-
schlaf spricht eine Stimme aus dem Leichnam zu dem Leichenschänder, angeblich die des
Satans: , Siehe, Du hast mit mir einen Sohn gezeugt; ich werde ihn Dir bringen." Und
nach neun Monaten, cum tempus pariendi instaret, peperit fUium abortivum. Den brachte
sie dem Vater und sprach zu ihm: , Siehe, das ist dein Sohn, schneide ihm den Kopf ab und
bewahre denselben, wenn du Deine Feinde besiegen willst* u. s. w. Er that das, und dieser
Kopf wirkte wie eine Art Gorgonenhaupt. Später heirathete der Soldat; seine Frau fand
eines Tages den Kopf und warf ihn in den Golf von Satalia, und nun war es mit seinem
Siegen vorbei.
Eine ganz ähnliche Geschichte hat, wie mir Konrad SchottmüUer^ der Mono-
graph des Templerordens, mittheilte, in dem berüchtigten Processe dieses Ordens
482. Die Todienhochzeit. gll
eine wichtige Rolle gespielt, und zweimal wird sie von Michdefi in fast überein-
stimmender Weise berichtet. Das eine Mal ist es ein armenischer Ritter, der
die todte Oeliebte am Tage nach ihrer Beisetzung in dem Grabgewölbe schwängert;
das andere Mal ist es ein Templer, der das von ihm geliebte Mädchen zu dem
genannten Zwecke erst exhumiren muss. Beide Male fordert eine von der Leiche
ausgehende Stimme, dass der Nekrophile nach dem Verlaufe von neun Monaten
wiederkommen und sich sein Kind abholen solle. Er findet dasselbe dann zu dem
festgesetzten Termine zwischen den Beinen der Mutter liegend; in dem einen Falle
ist aber nicht ein vollständiges Kind, sondern nur ein menschlicher Kopf geboren
worden, mit dem die Tempelherren späterhin, wie ihnen von ihren Verfolgern
vorgeworfen wurde, allerlei bösen Zauber getrieben haben sollen.
482. Die Todtenhochzeit.
Es ist eine weitverbreitete volksthümliche Redensart, dass die Ehen im
Himmel geschlossen werden, und doch sind wir gerade gewohnt, den üebergang
in das himmlische Leben, das Sterben, als das wichtigste auflösende Moment f&r
die bestehende Ehe oder auch für die versprochene Yerheirathung anzusehen.
Andererseits heisst es ja auch in der Bibel (Marcus 12, 25):
.Wenn sie von den Todten auferstehen, so werden sie nicht freien, noch sich
freien lassen. '^
Aber dennoch ist der Serbe darauf bedacht, auch die ehelichen Zustände
ftir das Himmelreich zu regeln. Denn wenn bei ihnen ein Mann oder eine Frau
verscheidet, welche zweimal verheirathet gewesen ist, so schlachtet man eine
schwarze Henne und legt sie dem Leichnam in den Sarg. Durch dieses Opfer
soll die Verstorbene die zweite Ehe vergessen und sich in der Ewigkeit sofort an
ihren ersten Lebensgefährten anschliessen. (Krauss.)
Die Serbinnen besitzen aber auch noch ein Verfahren, um den hinter-
bliebenen Gatten zu zwingen, der Frau, die ihm der Tod entriss, die eheliche
Treue zu erhalten. Krauss berichtet hierüber:
, Stirbt eine jnnge Frau und will deren Mntter, dass der verwittwete Eidam keine
zweite Ehe mehr schliessen soll, so löst sie die Hand- und Fussbinden der verstorbenen Tochter
nicht wieder auf; denn so bleibt „das Glück des Mannes in einer neuen Liebe gebunden."
Nebenbei bemerkt, verspricht sich eine Mutter die gleiche Wirkung, wenn sie ihre todte
Tochter mit dem Hochzeits- und Trauungskleide angezogen bestatten lässt."
Es hat nun für unsere ganze Anschauungsweise etwas in hohem Grade Be-
fremdendes, wenn wir hören, dass es Völker giebt, welche nun aber wirklich
Eheschliessungen nach dem Tode vollziehen.
Hier stehen wieder obenan die Chinesen, von denen uns DooJt^^Ie Folgen-
des berichtet:
.OfbmalS; wenn das Mädchen stirbt, bevor der Hochzeitstag herannahte, besonders wenn
dieses beinahe oder gerade in dem Heirathsalter der Fall ist, so wird ein Gebrauch beobachtet,
welcher heisst: „um ihre Schuhe bitten*. Ihr Verlobter begiebt sich persönlich in die
Wohnung ihrer Eltern, und mit Klagen nähert er sich dem Sarge, welcher ihren Leichnam
enthält. Der Sohn bittet darauf um ein Paar Schuhe, welche sie in letzter Zeit getragen
hat. Diese bringt er nach Hause, wobei er, während er durch die Strassen geht oder ge-
tragen wird, drei brennende Stücke Weihrauch in der Hand hält. Wenn er auf dem Wege
nach seiner Wohnung an eine Strassenecke kommt, ruft er ihren Namen und ladet sie ein,
ihm zu folgen. Wenn er zu Hause angelangt ist, unterrichtet er sie hiervon. Den mitge-
brachten Weihrauch stellt er in einen Behälter. Er bereitet in einem passenden Räume einen
Tisch und stellt hinter diesen einen Stuhl. Die Schuhe des verstorbenen Mädchens werden auf
oder unter diesen Stuhl gesetzt. Der ßehälter mit dem aus ihrer Eltern Hause mitgebrachten
Weihrauch wird auf den Tisch gestellt, zusammen mit einem Paar brennender Kerzen. Hier
sorgt er dafür, dass diese zwei Jahre hindurch brennen, wo dann zu ihrem Gedächtniss eine
Tafel in der die Ahnentafeln der Familie enthaltenden Nische angebracht wird. Durch alles
dieses erkennt er sie als sein Weib an.'*
39»
612 LXXVL Das Weib im Tode.
Aber einen noch um vieles merkwürdigeren Gebrauch finden wir ebenfalls
bei den Chinesen, welchen wir mit den Worten Katschers dem Leser vorführen
wollen:
„Höchst sonderbar ist die folgende Sitte auf dem Gebiete der Ehe. Diese wird von
den Chinesen für etwas so Wichtiges und Nothwendiges gehalten, dass sie nicht nur die
Lebenden, sondern auch die Todten verheirathen. Die Geister aller m&nnlichen Kinder^ die
ganz jung sterben, werden nach einiger Zeit mit den Geistern weiblicher Kinder, die in
gleichem Alter aus dem Leben scheiden, vermählt. Stirbt z. B. ein zwÖlQfthriger Siiabe, so
trachten seine Eltern 6 oder 7 Jahre nach seinem Tode, seine Manen mit denen eines g^leich-
alterigen Mädchens zu verehelichen. Sie wenden sich an einen Heiratbsyermittler, der ümen
sein Verzeichniss todter Jungfrauen vorlegt. Nach getroffener Wahl wird ein Astrolog^ za
Käthe gezogen, der den Geistern der beiden Abgeschiedenen das Horoskop stellt. Erklärt er
die Wahl für eine günstige, so bestimmt man eine GlQcksnacht für die Hochzeit. Diese ^ht
folgendermaassen vor sich. Im Geremoniensaale des Elternhauses des todten Bräutigams wird
eine papierene Nachbildung des letzteren in vollem Hochzeitscostüm auf einen Stuhl gesetzt.
Um 9 ühr oder noch später senden die Eltern eine Hochzeitssänfte (aus Palmeminde mit
Papier überzogen) im Namen des Geistes des Jünglings ins Elternhaus der Braut mit der
Bitte, sie mögen dem Geist des Mädchens gestatten, sich in die Sänfte zu setzen, um in ihr
neues Heim gebracht zu werden. Die Chinesen glauben, dass jeder Mensch drei Seelen
habe und dass die eine nach seinem Tode bei seiner Ahnentafel bleibe. Dieser Glaube föhrt
dazu, dass die Ahnentafel der todten Braut vom Ahnenaltar genommen und nebst ihrer
papierenen Nachbildung in die Sänfte gelegt wird. In manchen Fällen werden auch die von
dem Mädchen zu seinen Lebzeiten getragenen Kleidungsstücke ins Elternhaus des verstorbenen
Jünglings Übergefährt. Sofort nach Ankunft des von zwei Musikanten (der Eine spielt auf
einer Laute, der andere schlägt eine grosse Trommel, Tam-Tam) eröffneten Hochzeitszuges
werden Ahnentafel und Papierbraut aus der Sänfte genommen; die Erstere findet ihren Platz
nunmehr auf dem Ahnenaltare des schwiegerelterlichen Hauses; die Papiergestalt wird auf
einen Sessel gesetzt, den man neben deigenigen stellt, auf dem der papierene Bräutigam sitzt.
Sodann rückt man einen mit verschiedenen Speisen besetzten Tisch vor das papierene Braut-
paar, das von einem halben Dutzend taoistischer Priester mittelst mehrerer Lieder und Ge-
bete ermahnt wird, den Ehebund einzugehen und das Hochzeitsmahl zu gemessen. Den
Schlnss der Feier bildet die Verbrennung des papierenen Paares, sowie einer grossen Menge
von papierenen Dienern, Dienstmägden, Sänften, Geldnachahmungen, Kleidern, Fächern und
Tabakspfeifen."
Aber die Chinesen stehen in dieser Beziehung nicht einzig da. Wir lesen
bei Kornmannus:
„Wenn einem Tartaren ein Sohn stirbt, welcher nicht verheirathet ist, und einem
Anderen stirbt eine unverheirathete Tochter, so kommen die Eltern der beiden Verstorbenen
überein, zwischen diesen beiden Todten ein Ehebündmss zu stiften. Der Ehecontract wird
schriftlich aufgesetzt, der Jüngling und die Jungfrau werden auf Papier gemalt und dieses
wird mit beigesteuertem Gelde, Gebrauchsgegenständen und Hausgeräth dem Vulkan geweiht
in dem Glauben, dass die Verstorbenen nun in dem anderen Leben ehelich verbunden sind.
Sie rüsten zu diesem Zwecke auch eine feierliche Hochzeit aus und verschütten von den zn>
bereiteten Speisen hierhin und dorthin etwas, damit der Bräutigam und die Braut auch essen
können. Die Eltern und die Angehörigen solcher Todten glauben, dass sie nun durch die
gleichen verwandtschaftlichen Bande mit einander verknüpft seien, als wenn die Verehelichung
noch bei Lebzeiten der Brautleute stattgefunden hätte.'«
Die gegebenen Berichte werden wohl hinreichend sein, um den Leser in
genügender Weise über diese Verhältnisse zu orientieren, und ich vermag daher
hiermit das vorliegende Kapitel und gleichzeitig auch das ganze Werk zum Ab-
schlüsse zu bringen. Das Eine wird der Leser unzweifelhaft daraus ersehen haben :
Es besteht eine grosse, unüberbrückbare Kluft in anatomischer und physiologischer
Beziehung zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht; aber nicht
minder scharf abgegrenzt tritt uns diese Sonderung in Brauch und Sitte der
Völker entgegen, und in allen Lebensanschauungen, sowie in allen Lebensphasen
sind wir im Stande, sie nachzuweisen; ja nicht einmal der Tod verm^ endgültig
diese Unterschiede zu verwischen und auszugleichen.
483. Schlusswort 613
483. ScUnsswort.
Einen weiten und mühseligen Weg habe ich Knsere Leser gef&hrt, und
trotz der 482 Abschnitte, welche ich ihnen zu bieten Yermochte, weiss ich
sehr wohl, dass ich noch ausserordentlich weit davon entfernt bin, unser Thema
erschöpft zu haben. Es ist wohl überhaupt undenkbar, dass es einen Menschen
geben sollte, der in Wirklichheit Alles, was auf unseren Gegenstand bezüglich
jemals geschrieben worden ist, zu kennen und zu beherrschen im Stande wäre.
Daher ist es im hohen Orade wahrscheinlich, dass man auch mir eine Reihe von
Unterlassungssünden wird nachweisen können. Das Thema ,Weib^ ist eben
unerschöpft und unerschöpflich, und es hat eine gewisse Berechtigung, wenn ein
russisches Sprichwort sagt:
Wenn die Weiber auch von Glas wären,
sie würden dennoch undorebsichtig sein.
(v. Eeinsberg-Büringsfeld.)
Auch wir haben ja an vielen Stellen eingestehen müssen, wie viele Lücken
noch in unserem Wissen unausgefQllt geblieben sind, und wenn diese Besprechungen
die Veranlassung werden sollten, dass an diesen Punkten die wissenschaftliche
Forschung einsetzte, dann hätten diese Zeilen ihren Zweck erreicht. Möge Nie-
mand — ich wende mich hier besonders an die Mediciner — die Gelegenheit,
die sich ihm bietet, bisher Unaufgeklärtes zu erforschen, unbenutzt vorübergehen
lassen; möchte ihm auch nicht die kleinste Beobachtung unwerth zu einer Auf-
zeichnung erscheinen. Er wird es erleben, wie auf diese Weise das wissenschaft-
liche Material unter seinen Händen wächst, und möge er niemals vergessen, dass
nur durch die gemeinsame Arbeit Vieler das nöthige Licht in das bisherige Dunkel
getragen werden kann.
Wir müssen noch einen zweiten Punkt berühren. Der Herausgeber hat bis-
weilen über die erste Auflage dieses Buches die Bemerkung gehört, Ploss habe
bei der Zusammenbringung seines Materialee keine genügende Kritik geübt. Von
diesem Vorwurfe wird auch wohl diese neue Bearbeitung nicht freigesprochen
werden können. Es ist nämlich mit dieser sogenannten Kritik eine ganz eigene
Sache. Bei Gelegenheit von Studien auf anderen Gebieten habe ich mich
wiederholentlich davon zu überzeugen vermocht, dass die eine oder die andere
Angabe eines Autors ganz nach der zur Zeit gerade herrschenden allgemeinen,
wissenschaftlichen Strömung als lächerlich und unglaubwürdig hingestellt wmrde,
während spätere Beobachtungen ihre buchstäbliche Richtigkeit in vollem Maasse
bestätigten. Zuerst aus den wissenschaftlichen Werken ausgemerzt und verachtet,
kamen sie nun plötzlich wieder zu Ehren und Ansehen. So haben spätere
Schriftsteller auch die Angaben des Herodot über das Männerkindbett für
Lügen gehalten und seine Leichtgläubigkeit seinen Berichterstattern gegenüber
vornehm belächelt, und wie glänzend ist er gerechtfertigt, wie hat sich AUes be-
stätigt, was er uns überlieferte!
Und wenn nun wirklich über dasselbe Volk zwei Forscher ganz entgegen-
gesetzte Aussagen machen, welcher von ihnen ist der Glaubwürdigere? Haben
sie nicht vielleicht alle Beide ganz richtig beobachtet, und nur die Gebräuche des
betreffenden Volkes hatten sich geändert, oder es kommt eben alles beides Be-
obachtete vor? Man kann daher nach meiner Meinung mit dieser sogenannten
Kritik nicht vorsichtig und zurückhaltend genug zu Werke gehen.
Zahlreiche Beispiele haben wir für die Thatsache gefunden, dass das Denken
der Menschen, ihr Fühlen und Empfinden auf den verschiedensten Stufen der
Calturentwickelung eine erstaunliche Aehnlichkeit und XJebereinstimmung besitzt,
und dass eine Anschauung, einmal gewonnen, sie mag noch so widersinnig und
unpraktisch sein, nicht selten auf Jahrhunderte hinaus nicht aus dem Volksgeiste
614 433- Schlusswort.
ausgerottet werden kann. So erscheint manche hygienisch-rituelle Gewohnlieit
auf den ersten Anblick hin als ein instinctives Handeln, während sie bei näherem
Zusehen als einfache Nachahmung fremder Sitten oder als XJeberlebsel aus früherer
Zeit betrachtet zu werden verdient.
Aber nicht Alles ist Nachahmung und wir können es nicht verkennen, dass
die gleichen Umstände und Verhältnisse in dem menschlichen Geiste bei den ver-
schiedensten Yölkem sehr häufig die ganz gleichen Gedankengänge anregen und
auslösen, und deshalb mussten wir uns wohl hüten, aus einer Gleichartigkeit der
Sitten und Gebräuche sofort auch einen Rückschluss auf eine ursprüngliche Ver-
wandtschaft der betreffenden Nationen anstellen zu wollen.
Von manchen absonderlichen und scheinbar unerklärlichen Gebräuchen, 'wie
sie sich namentlich an die Hauptabschnitte in dem Leben des Weibes knüpfen,
vermochten wir nicht selten einen Einblick in die denselben zu Grunde liegenden
Gedankengänge zu erhalten durch die vergleichende ethnologische Forschung, durch
die Zusammenstellung und die Untersuchung ähnlicher Maassnahmen bei anderen,
häufig einem ganz fremden Culturkreise angehörenden Völkerschaften. Auch dürfen
wir es nicht verschweigen, dass mancherlei Gewohnheiten und Anschauungen
der Culturvölker durch die analogen Gebräuche der uncivilisirten Nationen von
dem praktischen und gesundheitsgemässen Gesichtspunkte aus nicht unwesentlich
übertroffen wurden.
Das Menschengeschlecht in ursprünglicher Wildheit haben wir auf unserem
Erdballe nirgends zu finden vermocht, und wenn wir hier wiederholentlich von
den Naturvölkern sprachen, so dürfen wir dabei doch nicht vergessen, dass wir
nirgends in ihnen die , Wilden* fanden, von welchen man noch vor wenigen
Jahrzehnten fabelte. Auch die allerrohesten und wildesten Völker zeigten doch
immerhin schon einen gewissen Grad von Civilisation, von primitiven religiösen
Anschauungen, von feststehenden Vorrechten und Pflichten, von Brauch und
Gesetz.
Als die erste Bedingung einer fortschreitenden Culturentwickelung mussten
wir die Sesshaftigkeit der Völker erklären; als wichtigstes Erfordemiss nächstdem
kommt die Bildung der Familie hinzu. Aber auch die Familie als solche kann
ihren civilisatorischen Einfluss nur dann ausüben, sie vermag die Völker nur dann
zu den hohen Stufen einer wahren Gultur hinauf zu leiten, wenn diejenige
die richtige Achtung, Anerkennung und Würdigung erfahrt, welche so recht eigent-
lich als die Trägerin der Gultur innerhalb der Familie bezeichnet zu werden ver-
dient, das ist:
das Weib.
AnliaiLg 1.
Kurzer üeberblick Aber die Tolker und Bässen unseres Erdballs.
Bevor ich auf die Erklärung der Abbildungen näher eingehe, möchte ich
dem Leser in die Erinnerung zurückrufen, dass die Menschen in den verschiedenen
Theilen unseres Erdballs recht erhebliche Verschiedenheiten in ihrer äusseren Er-
scheinung darbieten, nach welchen man sie in grosse Gruppen, die sogenannten
Rassen, eingetheilt hat. Die bekannteste Eintheilung des Menschengeschlechts ist
die von dem alten Blumenhack herstammende in 5 Rassen, in die kaukasische,
die mongolische, die malayische, die amerikanische und die äthiopische
Rasse. Eine genauere Bekanntschaft mit den Vertretern dieser 5 Rassen hat ge-
zeigt, dass dieser Eintheilung manche unleugbare Mängel anhaften, und dieses hat
wiederum eine ganze Reihe von Forschem bewogen, andere Rasseneintheilungen
in Vorschlag zu bringen. Bald waren es nur 2, bald 3, bald 4, bald 6, bald noch
mehr Rassen, welchen man die allgemeine Anerkennung erobern wollte. Die
Hautfarbe, die Eigenthümlichkeiten des Haarwuchses, die Schädelform und die
Sprache haben hierbei als Eintheilungsprincipien gedient.
So gruppirt Häckel die Menschen in nur 2 Hauptabtheilungen, in die Wo 11-
haarigen (Ulotriches) und in die Schlichthaarigen (Lissotriches). Drei
Rassen nahmen bekanntlich nach den Söhnen des Noah die Orthodoxen an: die
Semiten, die Hamiten und die Japhetiten. Im Anschlüsse hieran theilte
Lafham ein in die Japhetiten, die Mongoliden und die Atlantiden, Hamilton
Smith in die kaukasische, die mongolische und die tropische Rasse. Vier
Rassen stellte Reteius auf, die geradzähnigen Langköpfe (orthognathe
Dolichocephalen), die schiefzähnigen Langköpfe (prognathe Dolicho-
cephalen), die geradzähnigen Eurzköpfe (orthognathe Brachycephalen)
und die schiefzähnigen Kurzköpfe (prognathe Brachycephalen). Auch
Htixley unterscheidet 4 Rassen, die australoide, die negroide, die xantho-
chroische und die mongoloide Rasse. Dumerü endlich nahm ausser den 5
Rassen Elumenbach's noch eine sechste, die hyperboräische an.
Friedrich Mutter hat es versucht, sich an Häckel anschliessend, die Eigen-
thümlichkeit der Haare mit dem Bau der Sprache gemeinsam als Eintheilungs-
princip zu verwerthen, und er scheidet die oben erwähnten beiden jffäcierschen
Hauptgruppen in die folgenden ünterabtheilungen :
L Wollhaarige Büschelhaarige (Lophocomi):
Hottentotten, Papua;
11. Wollhaarige Vliesshaarige (Ericomi):
Afrikanische Neger, Raffern;
616
Anhang 1.
Lon-
III. Schlichthaarige Straffhaarige (Euthycomi):
Australier, Arktiker oder Hyperborfter, Amerikaner, Malayen,
golen;
lY. Schliclithaarige Lockenhaarige (Euplocomi):
Dravida, Nuba, Mittellftnder.
Einen neuen Versuch einer Basseneintheilung des Menschengeschlechts Hat
vor einigen Jahren der Pariser Anthropologe J. Deniker^ gemacht. Als Ebiiipt-
eintheilungsprincip nimmt auch er die verschiedene Beschaffenheit der Haare an,
jedoch wird daneben noch die Farbe der Haut und der Augen, die Form der
Nase und der Lippen^ der Qrad der Korperbehaarung und Aehnliches mit in die
Betrachtung hineingezogen. Auf diese Weise kommt er zu der Aufstellung toxi
13 Rassen, welche wiederum in 30 Typen gruppirt werden können. Diese Rassezi
und Typen sind Folgende:
I. Bace Boshimane (KoY-Koin partim.)
Types: 1. Boshiman.
u.
«
Nigritique,
, 2. N^gre (de Soudan).
3. Bantou (Zoulou).
4. Akka.
III.
yi
Melanesienne,
, 5. Mflanesien (Papou).
IV.
n
Negrito,
^ 6. Negrito.
V.
«
Australienne,
,, 7. Australien.
VI.
9
Ethiopienne
(Kauchite, Ghamitique partim.),
VU. Race Melanochroide,
8. Bedja (Galla, Foulla ou Peul,
Nubien).
9. Dravida.
10. Indo- Atiantique ou Asien (Indo-Earo-
p^n, Medit. partim.).
11. Arabe (Aram^en).
12. Berber (Kabyle, Fellah d'Egypte
partim.).
13. Assjnroide (Semito-Iranien).
14. Rh^tien ou Gelto-Ligure (Mediterr.
partim.).
vm.
1»
Xanthochroide,
, 15. Nordique ou Kymri (Scandinave).
16. Kar^tien.
IX.
»
Ouralo-Altaique
(Turco-Finnoise), ,
, 17. Souomi (Finnois occid.).
18. Lapong.
19. Ougrien (Ostjak, Samoyede, Finnois
oriental, Touba).
20. Türe (Turco-Tätare, Touranien).
X.
n
Aino,
. 21. Aino.
XL
9
Indonesienne
(Maleo-Polynesienne), ,
22. Polynesien.
23. Mal^o-Indonesien (Moi, Thal, Naga,
Dayak, Miao-tse).
xn.
9
Mongoloide, ,
, 24. Mongol.
25. Toungouz.
26. Esquimaux.
sm.
»
Americaine, ,
, 27. Peau-Rouge.
28. Indien du Sud.
29. Patagon.
30. Pal^o - Am^ricain (Fu^en, Bodo-
cudo).
Enrzer üeberblick Aber die Völker und Rassen unseres Erdballs. 617
Neuerdings versucht dann auch Vemeau eine Rasseneintheilung, aber nur
wieder in f&nf Gruppen, yon denen er drei als Hauptzweige und zwei ak ge-
mischte Zweige bezeichnet. Es ist:
1. der weisse oder kaukasische Zweig,
2. der gelbe oder mongolische Zweig,
3. der Neger- oder atUopische Zweig,
4. die oceanischen Mischiassen,
5. die amerikanischen Mischrassen.
Die neueste Eintheflung der Menschenrassen gab Johannes Ranke^ im
Jahre 1896. Sie unterscheidet sich von allen froheren dadurch, dass sie bemOht
ist, auch die vorgeschichtlichen Völker mit in die Betrachtung hineinzuziehen.
Ranke ist der Ansicht, dass alle Stamme der Erde in zwei Urrassen zerlegt
werden können.
Die erste Urrasse ist charakterisirt »vor Allem durch eine betrachtliche
GrÖssenentwickelung des Gehirns verbunden mit einer absolut betrachtlichen Him-
schädelbreite; durch relativ mächtig entwickelten Himschadel, namentlich im
Verhältniss zu den Kauwerkzeugen, kleine Zähne, der dritte Molar vielfach ver-
kümmert; starke Knickung der Schädelbasis; Rumpf relativ lang und breit, Arme
und Beine relativ kürzer; Skelett meist grobknochig; Grundfarbe der Haut gelb,
einerseits heUgelb (gleich weiss), andererseits in braun bis schwarz übergehend;
Haare grob bis massig fein, schlicht bis wellig, lockig, auf dem Querschnitt
breit-oval bis annähernd kreisrund; die Farbe der Haare und Augen wechselnd,
überwi^end dunkelbraun bis schwarz, aber im ganzen Verbreitungsgebiet der
Rasse finden sich blonde ELaare und helle bis blaue Augen mehr oder weniger
zahlreich.*
Ranke bezeichnet die Urrasse als die gelbe, grobhaarige, grosshirnige
(euencephale) und weitschädelige (euricephale) Urrasse. Ihr gehören
die Europäer, Asiaten, Nord- Afrikaner und Amerikaner an.
Die zweite Urrasse ist charakterisirt: , durch eine geringere GrÖssen-
entwickelung des Gehirns, verbunden mit einer geringeren absoluten Schädelbreite;
durch relativ mächtig entwickelten Gesichtsschädel im Vergleich mit dem relativ
geringer entwickelten Gehirnschädel, namentlich sind die Kauwerkzeuge voluminös,
Zähne gross, der dritte Molar meist nicht verkümmert; geringere Knickung der
Schädelbasis ; Rumpf relativ kurz und schmal. Arme und Beine relativ länger ;
Grirndfarbe der Haut dunkelbraun bis gelb, andererseits in tie&chwarz übergehend;
Haare fein, wellig lockig bis weiter oder eng spiral gerollt, im Querschnitt schmal-
oval bis bandförmig; die Farbe der Haare und Augen fast ausschliesslich dunkel-
braun bis schwarz, im ganzen Verbreitungsbezirk fehlen, oder finden sich nur ganz
vereinzelt, hellere Augen- und Haarfarben.
Batike bezeichnet diese zweite Urrasse als die schwarze, feinhaarige,
kleinhirnige (stenencephale) und engschädelige (stenocephale) Urrasse.
Ihr gehören die Mehrzahl der Oceanier, ein Theil der Süd-Inder und Indonesier
und die Mittel- und Süd-Afrikaner an.
Der Leser wird aus diesen Aufstellungen ersehen, wie ungemein schwer es
ist, zu allgemein zufriedenstellenden Rassenabgrenzungen des Menschengeschlechts
zu gelangen.
Ich habe es vorgezogen, da bisher keine dieser Rasseneintheilungen die
allgemeine Anerkennung der Forscher zu erlangen vermochte, dem Leser unsere
TTpenköpfe nach den 5 Erdtheilen geordnet vorzuf&hren. Man möge hierbei aber
nicht vergessen, dass die Bevölkerung eines Erdtheils durchaus keine einheitliche
ist, sondern dass man dieselbe, so lange eine allgemeine und gleichmässig aner-
kannte Rasseneintheilung noch nicht existirt, in eine Reihe von Unterabtheüungen
zu sondern pflegt. Die denselben zugerechneten Völker sind im Grossen und Ganzen
durch ihre äussere Erscheinung und durch ihre ethnischen Merkmale mit einander
618 Anhang 1.
eng verbunden, ohne dass man jedoch die Willkür dieser Eintheilnng, namentlicl:
an den durch vielfache Vermischungen verschwommenen Orenzvölkem, zu verkennea
vermöchte. Immerhin geben sie, wenn auch vom Standpunkte der Rassen kimde
kein absolut richtiges, so doch ein ungefähres und bequem übersichtliclies Bild
von den ethnischen Verhältnissen der einzelnen Erdtheile.
Die grösste Gleichmässigkeit in Bezug auf die Bevölkerung finden wir in
Amerika. Hier treffen wir die Indianer vom höchsten Norden bis zum wLnssersten
Süden, von dem nördlichen Eismeer bis zu der Spitze von Feuerland. Je-
doch giebt es auch Anthropologen, welche die nördlichsten Völker, die 'Eekimo
und ihr Verwandten, von den übrigen Amerikanern abtrennen und den Nord-
Asiaten, also den mongolischen Völkern zugesellen wollen. Im AUgem&nen
trennt man die Völker Amerikas der grösseren Bequemlichkeit wegen in folgende
grössere Gruppen:
1. Die Eskimo und die sich an sie anschliessenden Indianer der Nordwest-
küste (die Thlinkiten, Koloschen, Haida, Bella-Coola, Qnadra,
Quacutl-, Aht-Indianer u. s. w.
2. Die Indianer der Vereinigten Staaten und Gentral-Amerikas.
3. Die Indianer Süd-Amerikas, unter denen wieder die Patagonier und
die Peuerländer, sowie die Maya-Völker, denen die alten Mexikaner
und die Peruaner angehörten, eine gesonderte Stellung einnehmen.
Hier schliessen sich noch die angesiedelten Weissen, unter sich verschieden
je nach dem ursprünglichen Mutterlande, sowie die amerikanischen Neger-
völker und Chinesen an.
Die Einwohner Oceaniens werden am besten und übersichtlichsten in
folgender Weise eingetheilt:
1. Die Australier, denen man die jetzt ausgestorbenen Tasmanier zn-
2. Die Papua und Melanesier (Neu-Guinea, Neu-Britannien, Neu-
Irland, die Salomons-Inseln, die Neu-Hebriden, Neu-Caledonien,
Anachoreten, die Loyalitäts-Inseln und die Fidschi- oder Viti-
Inseln bevölkernd. Auch die Negritos oder Aetas (Eetas) der Philip-
pinen und die Mincopies, die Bewohner der Andamanen-Inseln sind
hierher zu rechnen). Von den wilden Stammen in Malacca, welche
unter den Namen der Orang XJtan mehrfach im Texte erwähnt worden
sind, gehören die Orang Semang zu den Negritos, die Orang Belendas,
Orang Djäkun und Orang Laut aber nicht.
3. Die Mikronesier (die Gilbert-, Kingsmill-, Marshalls-Inseln, die
Karolinen-, Pelau-, Ladronen- und Marianen-Inseln bevölkernd).
4. Die Polynesier (die Samoa-, Tonga-, Ellice-, Unions-, Rara-
tonga-, Paumotu-, Marquesas-Inseln bewohnend). Auch die Maori
Neu-Seelands, die Kanaken von Hawaii (Sandwichs-Inseln) und
die Oster-Insulaner müssen als Polynesier angesehen werden.
Die bei weitem grösste Mannigfaltigkeit in Bezug auf seine Bevölkerung
bietet unstreitig Asien dar. Beginnen wir hier mit den in dem vorstehenden
Buche so vielfach genannten kleinen Inseln des alfurischen Meeres, des süd-
östlichen Theiles von dem malayi sehen Archipel, so treffen wir schon hier
oft auf derselben Insel Bewohner an, welche verschiedenen Rassen zugetheilt
werden müssen. Es handelt sich meist um Melanesier, deren nächste Verwandte
man in den Australnegern suchen muss, um mongolische Völker, die sieb
den Chinesen anschliessen, und endlich um malayische Völker. Die Haupt-
Wohnsitze der Malayen sind die Molukken, die Sunda-Inseln, theilweise
auch die Philippinen u. s. w., und selbst Madagaskar ist zum Theil von
Malayen, den Hovas, bewohnt. Die meisten Völker Hinter-Indiens werden
als ein malayo-mongolisches Mischvolk betrachtet.
Kurzer üeberblick über die Völker und Rassen unseres Erdballs. glQ
In dem ostHchen, dem ganzen nördlichen Theile, sowie in dem ganzen
Gentram des ungeheuren asiatischen Continents sitzen die Mongolen, denen
bekanntlich die Chinesen, Japaner, Tibetaner, sowie die Einwohner der
Mongolei, des grösseren Theiles von Turkestan und die ganze sibirische
Bevölkerung angehören. Ob auch die Ainos hierher zu zählen sind, bleibt noch
unentschieden; dass aber Einige auch die Eskimo ftir Mongolen erklären, ist
früher bereits angefahrt worden.
Die Einwohner Indiens zerfallen im Wesentlichen 1. in die Dravida-
Stamme (welch letztere man als die Ureinwohner des Landes betrachtet und zu
denen auch die Bevölkerung Ceylons, die Singalesen, Tamilen und Weddah
gerechnet werden), und 2. in die den Ariern angehörenden Hindu -Völker. Die
letzteren finden sich unvermischt nur noch in der Kaste der Bajputana, während
die übrigen Hindu-Stämme schon ganz erheblich mit Dravidablut durchsetzt
sind. Mit ihnen verwandt sind auch die Zigeuner. Als Tränier, einen Zweig
der Indogermanen, haben wir die Perser, Sarten, Afghanen, Beludschen,
Kurden und Armenier anzusehen, wahrend im Kaukasus ein höchst complicirtes
Gemisch von arischen, iranischen und semitischen Völkern ansässig ist.
Den Uebergang zu Afrika bilden die Araber, sie sind Semiten, wie
auch der grössere Theil der Bewohner der afrikanischen Nordküste, die ge-
wöhnlich als die Berber-Stämme zusammengefasst werden. Hierher gehören
auch die Kabylen und die Tuareg, sowie die heutigen Aegypter. Die Be-
völkerung der Südspitze dieses Erdtheiles, die Buschmänner und Hotten-
totten, werden von den übrigen dunkelfarbigen Afrikanern abgetrennt, und
diese letzteren theilt man wieder in die fast die ganze Südhalfbe des Continents
einnehmenden Bau tu -Völker und die seine centrale Zone occupirenden Fulbe
oder Sudanneger ein.
Die Bevölkerungsgruppen, wie sie Europa bietet, könnten wir wohl eigent-
lich als hinreichend bekannt übergehen. Hier sind es hauptsächlich die germa-
nischen und slavischen Stämme einerseits und die romanischen Stämme
andererseits, denen dann noch die turko-finnischen Stämme (Finnen, Lappen,
Türken und Magyaren) gegenüberstehen. Zu erwähnen sind femer noch die
den alten Kelten entstammenden Basken, Irländer und Walliser, sowie die
vielfach mit semitischem Blute durch die Phönizier, Araber und Mauren
gemischten Bewohner der Inseln und Küsten des Mittelmeeres.
Es wird, wie ich meine, diese flüchtige Skizze zur ungeföhren Orientirung
des Lesers hinreichend sein; um ihm jedoch zu zeigen, wo er in dem vorliegen-
den Buche bildliche Darstellungen aus den genannten Bevölkerungsgruppen zu
finden im Stande ist, möge die folgende kurze TJebersicht hier noch ihre Stelle
finden.
Anhang 2.
üebersicht der abgebildeten Tolker nnd der anthropologischen und
ethnographischen Gegenstände.
Die auf den elf Tafeln dieses Werkes zur Darstellung gebrachten 99 Frauen-
köpfe haben den Zweck, dem Leser in guten, typischen Abbildungen Vertrefcerinnen
des weiblichen Oeschlechts aus allen WelttheUen und von allen Rassen vorzu-
fahren. Es ist hierbei eine ganz besonders grosse Sorgfalt auf genaue Portrat-
ahnlichkeit gelegt worden, und daher wurden diese Kopfe ausnahmslos nach guten
photographischen Aufnahmen gezeichnet. Ebenso wurden die Textabbildungen
soviel als irgend möglich nach scharfen Photographien gefertigt. Hier hat sich
aber aus leicht begreiflichen Gründen dieses Princip nicht für alle Fälle durch-
ftihren lassen; jedoch wurde niemals von demselben abgewichen, wo es dai;^uf
ankam, anthropologische Einzelheiten und Feinheiten des Gesichtes oder des
Körpers zur Darstellung zu bringen. Es sind folgende Lander in den AbbUdungen
vertreten:
Europa.
Germanische Tolker:
Deutsohland: Fig. 1. S.4. Fig. 9. S. 12. Fig. 10. S. 12. Fig. 14. S.16. Fig. 15.
S. 17. Fig. 19. S. 22. Fig. 20. S. 24. Fig. 64. S. 120. Fig. 72. S. 127.
Fig. 166. S. 302. Fig. 168. S. 805. Fig. 169. S. 306. Fig. 395. IL
S. 537.
Ethnographisches und Gulturgeschichtliches: Fig. 2. S. 5. Fig. 115.
S.206. Fig. 116. S. 210. Fig. 183. S. 370. Fig. 185. S. 379. Fig. 186.
S.380. Fig. 187. S. 381. Fig. 188. S. 382. Fig. 189. S. 382. Fig. 206.
S.442. Fig. 210. S.446. Fig. 216. S.476. Fig. 217. S.477. Fig. 225.
S.563. Fig. 227. S.290. Fig. 236. S.606. Fig. 242. S.617. Fig. 243.
S. 618. Fig. 244. S. 619. Fig. 245. S. 621. Fig. 304. ü. S. 245.
Fig. 318. n. S. 296. Fig. 324. H. S. 304. Fig. 325. U. S. 305.
Fig. 329. IL S. 316. Fig. 334. IL S. 339. Fig. 338. H. S. 345.
Fig. 339. n. S. 346. Fig. 383. U. S. 487. Fig. 385. IL S. 513.
Fig. 399. U. S. 541. Fig. 400. IL S. 541. Fig. 401. U. S. 542.
Fig. 402. IL S. 557. Fig. 403. U. S. 559. Fig. 410. IL S. 580.
Fig. 411. n. S. 581.
Oesterreioh, Salzburg, Tyrol, Steyermark: Fig. 11, S. 13. Fig. 16. S. 19.
Fig. 18. S. 21. Fig. 82. S. 142. Fig. 91. 8. S.152. Fig. 92. 2. S.153.
Fig. 93. 5. S. 154. Fig. 94. S. 156. Fig. 118. a. S. 216. Fig. 126. a.
S. 225. Fig. 126. c. S. 225. Taf.VU. 2.
Ethnographisches: Fig. 222. S. 556.
üebersicht der abgebildeten Volker und der anthropolog. u. ethnograph. Gegenet&nde. 621
mederlande:
Ethnographisches and Gulturgeschichtliches: Fig. 211. S. 447. Fig. 213.
8. 463. Fig. 287. S. 607. Fig. 404. II. 8. 561.
Slavlsche Yolker:
-Wendel: Fig. 23. 8. 54.
GtaUiien, Walachei: Taf. II. 4. Taf. ü. 6.
Sussland: Fig. 108. 8. 182. Fig. 144. 8. 247.
Ethnographisches: Fig. 142. 8. 245. Fig. 305. II. 8. 350.
Bosnien: Mg. 49. 8. 106. Taf. U. 5.
Ethnographisches: Fig. 418. IL 8. 591. Fig. 420. U. 8. 607.
Bomanische Tolker:
ItaUen: Taf. n. 2. Taf. YD. S.
Ethnographisches and Galtargeschichtliches: Fig. 3. 8. 6. Fig. 4. 8. 7.
Fig. 117. S. 212. Fig. 145. S. 248. Fig. 146. 8. 249. Fig. 192. 8. 404.
Fig. 205. 8.441. Fig. 207. 8.443. Fig. 208. 8.444. Fig. 209. 8.445.
Fig. 228. 8.591. Fig. 238. 8.608. Fig. 240. 8.610. Fig. 257. 8.682.
Fig. 300. IL 8.181. Fig. 319. IL 8.297. Fig. 320. H. 8.298. Fig. 331.
n. 8. 324. Rg. 335. IL S. 34L Fig. 336. II. S. 343. Fig. 337. IL
8. 344. Fig. 416. IL 8. 589.
Spanien: Taf. U. 8.
Frankreich, Belgien:
Ethnographisches and Galtargeschichtliches: Fig. 282. 8.603. Fig. 241.
8. 611. Fig. 342. IL 8. 368. Fig. 391. K 8. 525.
Tnrko>Finni8che Tolker:
TTÄgam: Fig. 98. 8. 8. 158. Fig. 118. b. 8. 216. Fig. 119. c. 8. 217. Fig. 119. d.
8. 217. Fig. 126. b. 8. 225. Fig. 129. a. 8. 229. Fig. 129 b. 8. 229.
. Fig. 129 c. 8. 229.
Ethno'graphisches: Fig. 419. II. 8. 600.
Iiappland, Finnland, Ehstland: Fig. 149. 8. 270. Taf. II. 7. Taf. II. 8. Taf. IL 9.
Arische Mischyolker:
Gypem:
Ethnographisches: Fig. 299. II. 8. 179.
arieohenlaad: Fig. 91 5. 8. 152.
Äigenner: Fig. 407. II. 8. 574. Taf. IL 1.
Ethnographisches: Fig. 190. 8.384. Fig. 191. 8. 384. Fig. 28L 8. 602. Fig. 253.
8. 637.
Afrika.
Aegypten, Abysslnien, Algler, Tanis, Berberei:
Fig. 12. 8.14. Fig. 13 8.15. Fig. 24. 8.55. Fig. 63. 8.119. Fig. 87. 8.147.
Fig. 92. 4. 8.153. Fig. 92. 6. 8.153. Fig. 124. 8.222. Fig. 141. 8.243.
Fig. 182. 8.368. Fig. 203. 8.489. Fig. 204. 8.440. Fig. 368. H. 8.424.
Fig. 371. n. 8.429.
Taf. L 7. 8. 9. Taf. VIL 4. Taf. IX. 1. Taf. XL 7.
Ethnographisches: Fig. 101. S. 161. Fig. 181. 8. 367. Fig. 259. II. S. 8.
Fig. 298. IL 8.177, Fig. 362. H. 8.391. Fig. 377. H. 8.481. Fig. 378. IL
8. 482.
Sadan:
Fig. 84. 8.81. Fig. 53. 8.110. Fig. 90. 8.151. Fig. 91. 1. 8.152. Fig. 91. 4.
8.152. Fig. 91 6. 8.152. Fig. 92. 7. 8.153. Fig. 99. 8.159. Fig. 107.
8.176. Fig. 109. S. 185. Fig. 110. 8. 188. Fig. 128. d. 8. 221. Fig. 125.
622 Anhang 2.
S. 224 Fig. 130. c. S. 230. Fig. 131. S. 231. Fig. 132. c S. 232.
Fig. 148. S. 267. Tat L 6.
Ethnographisches: Fig. 106. S. 173. Fig. 262. IL S. 35. Fig. 263. IL S. 36.
Oestliche Banta-Tolker:
Fig. 40. 8. S. 97. Fig. 54. 1. S. 111. Fig. 54. 8. S. 111. Fig. 54. 5. S. 111.
Fig. 92. 6. S. 153. Fig. 93. 4. S. 154. Fig. 100. S. 160. Fig. 164.
S. 287. Fig. 308. n. S. 257. Fig. 316. IL S. 282. Fig. 322. IL S. 300.
Ethnographisches: Fig. 54 4. S. 111. Fig. 54 6. S. 111. Fig. 321 H. S.300.
Fig. 323. n. 8.301. Fig. 355. 5. H. S. 382. Fig. 363. U. S. 398.
Westliche Bantu^Tolker:
Fig. 52. S. 109. Fig. 66. S. 122. Fig. 83. S. 144 Fig. 95. S. 156. Fig. 132.
S.232. Fig. 134 8.234 Fig. 136. 8.236. Fig. 140. S. 241. Fig. 150.
8.271. Fig. 152. 8.274. Fig. 155. 8.277. Fig. 156. 8.278. Fig. 162.
8. 284 Fig. 163. 8. 286. Fig. 171. 8. 325. Fig. 301. IL 8. 193.
Fig. 370. IL 8. 427.
Taf. L 4. 6. Taf. IX. 2. Taf. X. 2. Taf. XL 1. 2. 8. 8.
Ethnographisches: Fig. 32. 8.79. Fig. 33. 8.80. Fig. 55. 8. 112. Fig. 219.
8. 516. Fig. 302. H. 8. 195. Fig. 309 H. 8. 259. Fig. 310 U. 8. 259.
Fig. 346. n. 8.370. Fig. 349. D. 8.371. Fig. 384 H. 8.509.
Bnschmann-Hottentotteii- nnd EafferToIker:
Fig. 5. 8. 8. Fig. 17. 8. 20. Fig. 50. 8. 107. Fig. 81. 8. 140. Fig. 88. 8. 148.
Fig. 92. 9. 8. 153. Fig. 93. 6. 8. 154 Fig. 93. 7. 8. 154 Fig. 96.
8. 157. Fig. 97. 8. 158. Fig. 98. 8. 159. Fig. 102. 8. 167. Fig. 103.
S.168. Fig. 120. 8.218. Fig. 121. 8.219. Fig. 133. a. 8.233. Fig. 135.
8.235. Fig. 158. 8.280. Fig. 160. 8.282. Fig. 161. 8.283. Fig.165.a-d.
8. 289. Fig. 354 n. 8. 381. Fig. 369 ü. 8. 426.
Taf. L 1. 2. 8. Taf. IX. 3. Taf. XL 9.
Ethnographisches: Fig. 104 8. 171. Fig. 218. 8. 482.
Asien.
Persien, Syrien:
Taf. VI. 8.
Ethnographisches: Fig. 353. U. 8. 380.
Transkanliasieii, Turkestan, Sibirien:
Ta£ V 1. 2. 8. 4 6 6. 7 8 9 Taf VI 9.
Ethnographisches: Fig. 229. 8. 594. Fig. 230. S. 595. Fig. 268. IL 8. 67.
Fig. 311. n. 8.263. Fig. 326. IL 8.310. Fig. 405. H. S. 566.
Ainos, Formosa, Tibet, Annam, Siam:
Fig. 40. 5. 8.97. Fig. 40. 8. 8.97. Fig. 48. 8.105. Fig. 250. 8.627. Fig. 327. IL
8.314 Fig. 357. IL 8.383. Fig. 375. IL 8.435.
Taf. VI. 2. 8. 4. Taf. VIL 5.
Ethnographisches: Fig. 45. 8. 101. Fig. 306. IL S. 264. Fig. 307 IL 8. 254
Fig. 366 IL 8. 411. Fig. 392 IL S. 531.
Gliina, Japan:
Fig. 27. 8.70. Fig. 28. 8.71. Fig. 70. 8.126. Fig.7L 8.127. Fig. 73. 8.127.
Fig. 74. 8. 128. Fig. 75. 8. 129. Fig. 86. S. 146. Fig. 89. 8. 149.
Fig. 330. IL S. 319. Fig. 333. U. 8. 327.
Taf. VII. 6. Taf. VIII. 1. 6. 8. Taf. X. 7.
Uebersicht der abgebildeten YOlker und der anthropolog. u. ethnograph. GegensiAnde. 623
Ethnographisches: Fig. 29. S, 73. Fig. 37. S. 92. Fig. 76. S. 130. Fig. 193.
S.412. Fig. 194. S.413. Fig. 195. S.414. Fig. 196. S.424. Fig. 199.
S.434. Fig. 200. S. 435. Fig. 201. S. 436. Fig. 202. S. 437. Fig. 214.
S.471. Fig. 220. S.548. Fig. 223. S.558. Fig. 235. S.605. Fig. 246.
S. 623. Fig. 247. S. 624. Fig. 254. S. 260. Fig. 255. S. 662. F^. 256.
S. 663. Fig. 266. IL S. 53. Fig. 267. H. S.67. Fig. 313. H. S. 276.
Fig. 332. n. S. 325. Fig. 358. H. S. 384. Fig. 359. U. S. 385. Fig. 364.
II. S. 408. Fig. 365. fl. S. 409. Fig. 409. IL S. 579. Fig. 412. H.
S. 583. Fig. 413. H. S. 584. Fig. 414. IL S. 585.
Indien, Indonesien:
Fig. 6. S. 9. Fig. 21. S. 40. Fig. 22. S. 41. Fig. 38. S. 93. Fig. 40. 1. S. 97.
Fig. 42. S. 98. Fig. 59. S. 116. Fig. 65. S. 121. Fig. 91. 3. S. 152.
Fig. 92. 3. S. 153. Fig. 93. 2. S. 154. Fig. 93. 8. S. 154. Fig. 122. a.
S. 220. Fig. 122. b. S. 220. Fig. 130. a. S. 230. Fig. 133. b. S. 233.
Fig. 137. S.237. Fig. 151. S.272. Fig. 153. S.275. Fig. 154. S.276.
Fig. 184. S. 374. Fig. 197. S. 431. Fig. 198. S. 433. Fig. 224. S. 559.
Fig. 226. S. 585. Fig. 355. H S. 382. Fig. 372. IL S. 431. Fig. 373.
n. S. 432. Fig. 373. U. S. 432. Fig. 374. IL S. 433. Fig. 376. H. S. 437.
Fig. 379. n. S. 483. Fig. 387. n. S. 516. Fig. 388. H. S. 518. Fig. 398.
n. S. 540.
Taf. VI. 5. 6. 7. Taf. VIL 7. Taf. VUI. 4. 8. Taf. IX. 9. Taf. X. 8. 9.
Ethnographisches: Fig. 35. S. 84. Fig. 36. S. 85. Fig. 77. S. 137. Fig. 80.
S.139. Fig. 111. S.199. Fig. 143. S. 246. Fig. 251. S.632. Fig. 252.
S. 635. Fig. 261. IL S. 28. Fig. 264. TL S. 44. Fig. 269. H. S. 83.
Fig. 303. n. S. 219. Fig. 315. H. S.281. Fig. 340. IL S.359. Fig. 341.
IL S. 360. Fig. 389. IL S. 520. Fig. 390. IL S. 521. Fig. 415. ü.
S. 587.
Amerika.
Weisse: Fig. 167. S. 303.
Nord- nnd Xordwest-Tolker:
Fig. 47. S. 104. Fig. 54. 2. S. 111. Fig. 380. IL S. 484.
Taf. III. 2.
Ethnographisches: Fig. 170. S. 323. Fig. 172. S. 332. Fig. 347. H. S. 370.
Fig. 351. U. S. 379. Fig. 352. H. S. 380. Fig. 417. IL S. 590.
Nord- Amerika:
Fig. 31. S. 77. Fig. 56. S. 113. Fig. 123. c S. 221. Fig. 128. S. 228. Fig.
312. n. S. 271. Fig. 317. U. S. 283. Fig. 355. 2. IL S. 382. Fig. 361.
n. S. 387. Fig. 381. n. S. 485. Fig. 386. IL S. 514. Fig. 408. IL
S. 575.
Taf. m. 1. 3. Taf. VII. 1.
Ethnographisches: Fig. 147. S. 251. Fig. 173. S. 345. Fig. 215. S. 472.
Fig. 248. S. 625. Fig. 265. U. S. 46.
Central- nnd Sfld-Amerika:
Fig. 25. S.56. Fig. 26. S.61. Fig. 43. S.99. Fig. 60. S. 117. Fig. 67. S. 123.
Fig. 68. S.124. Fig. 69. S. 125. Fig. 178. S.361. Fig. 314. IL S. 278.
Fig. 328. IL S. 315. Fig. 345. IL S. 369. Fig. 355. 3. 4. IL S. 382.
Fig. 360. n. S. 386. Fig. 382. IL S. 486. Fig. 406. H. S. 572.
Taf. UI. 4. 6. 6. 8. Taf. Vm. 5. Taf. IX. 4. 5. Taf. X. 4. 6.
624 Anhang 2.
Ethnographisches: Fig. 84. S. 145. Fig. 85. S. 146. Fig. 253. S. 604. Fig.
254. S. 604. Fig. 356. H. S. 383.
Patagonien, Feuerland:
Fig. 179. S. 362. Fig. 180. S. 363.
Taf. m. 7. 9. Taf.Vm. 2. 3. Taf. IX. 6. Taf. X. 5.
Oceanien.
Australisches Festland:
Fig. 8. S, 11. Fig. 30. S. 75. Fig. 40. 6. S. 97. Fig. 51. S. 108. Fig. 91. 2.
S. 152. Fig. 130. b. S. 230. Fig. 138. S. 239. Fig. 157, S. 279. Fig.
343. IL S. 368.
Taf. IV. 1.
Melanesien:
Fig. 7. S. 9. Fig. 39. S. 96. Fig. 40. 2. S. 97. Fig. 40. 7. S. 97. Fig. 41.
S. 98. Fig. 58. S. 115. Fig. 61. S. 118. Fig. 62. S. 118. Fig. 93. 1.
S. 154. Fig. 193. 8. S. 154. Fig. 127. b. S. 226. Fig. 127. c. S. 226.
Fig. 159. S. 281. Fig. 344. II. S. 369.
Taf. IV. 2. 8. Taf. IX. 8. Ta£ XI. 4. 6.
Ethnographisches: Fig. 105. S. 172. Fig. 174. S. 353. Fig. 175. S. 354.
Fig. 176. S. 355. Fig. 177. S. 356. Fig. 249. S. 625.
Hikronesien:
Fig. 57. S. 114. Fig. 92. 1. S. 153. Fig. 396. H. S. 538.
Taf. IV. 4. 5. 6.
Ethnographisches: Fig. 44. S. 100. Fig. 112. S. 200. Fig. 113. S. 201.
Fig. 114. S. 202.
Polynesien:
Fig. 40. 4. S. 97. Fig. 79. S. 139. Fig. 91. 7. S. 152. Fig. 127. a. S. 226. Fig.
139. S. 240. Fig. 212. S. 459. Fig. 350. II. S. 372. Fig. 367. IL
S. 420. Fig. 394. U. S. 536.
Taf. IV. 7. 8. 9. Taf. VU. 8. 9. Taf. X. 3. Taf. XI. 5.
Ethnographisches: Fig. 46. 8,103. Fig. 78. S. 138. Fig. 258. S. 701.
Fig. 260. IL S. 8.
Anhang 3.
Erkltnmg der Tafeln und der Text-Abbildnngeii.
A. Die Tafel -Abbildungen.
Tafel I. AMkanerixmen.
1. Hottentottin, Dienerin des berflhmten Beb ut ho -Häuptlings Sekokuni yom Stamme
der Bapedi.
Nach einer Photographie im Besitse des Herausgebers.
2. Junge BuBchmannsfrau aus der Gegend des Ngami-Sees.
Nach einer Photographie im Besitze des Herrn Missionsdirectors Dr. Ä, Schreiber in B arme n.
8. Xosa-Eafferfrau.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
4. Loango-Negerin.
Nach einer yon Dr. Falkenstein aufgenommenen Photographie; im Besitze des Herrn
Geheimen Sanitfttsrath Dr. Werner in Berlin, aus: Die Loango-Küste in 72 Original-
Photographien, nebst erläuterndem Text von Dr. FaXkensiein. Berlin. 1876.
5. Gongo-Negerin.
Nach einer yon dem Photographen der k. k. österreichischen Mission nach Ost-Asien,
Wühdm Burger y gefertigten Photographie im Besitze der Anthropologischen Gesell-
Schaft yon Berlin.
6. Somali-Frau.
Nach einer yon Charles Nedey (Aden) gefertigten Photographie im Besitze der Anthro-
pologischen Gesellschaft yon Berlin.
7. Berber-Frau.
Nach einer Photographie im Besitze der Anthropologischen GeseUschafb von Berlin.
8. Junge Abyssinierin.
Nach einer yon Dr. BudUa aufgenommenen Photographie im Besitze des Herausgebers.
Vergleiche:
22. Buchta: Die oberen Nil-Länder. Volkstjpen und Landschafben, dargestellt in
160 Photographien. No. 12. Berlin. 1881.
9. Junge Ghawizi (ägyptische Zigeunerin) auf einem Nildampfer aufgenommen.
Nach einer Momentphotographie im Besitze der Anthropologischen Gesellschaft yon
Berlin.
Tafel n. Enropfterlnnen.
1. Griechin aus Attika.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
2. Italienerin.
Nach einer yon Carl Günther (Berlin) aufgenommenen Photographie im Besitze des
Herausgebers.
8. Spanierin.
Nach einer yon Carl CHin^her (Berlin) aufgenommenen Photographie im Besitze des
Herausgebers.
PloBS-Bartels, Das Weib. 5. Aufl. n. 40
626 Anhang 3.
4. Walachisches Bauernmädchen aus Rumänien.
Nach einer Photographie im Besitze der Anthropologischen Gesellschafb von Berlin.
5. Bosniakin, griechisch-katholisches Mädchen, sogenannte Serbin.
Nach einer Photographie im Besitze des Herau$gd)€r8,
6. Galizierin aus der Gegend von Erakau.
Nach einer von J. Krieger (Erakau) aufgenommenen Photographie im Besitze des
Herausgehtrs,
7. Finnin, Mädchen von Earasjok in Finmarken.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgehers.
8. Ehstin.
Nach einer Photographie im Besitze der Anthropologischen Gesellschaft von Berlin.
9. Fjeld-Lappen-Frau aus Eautokeino am Altenfjord im norwegischen Axate
Finmarken.
Nach einer von J. M, Jacoben (Hamburg) aufgenommenen Photographie im Besitze
des Herausgd^ers.
Tafel in. Amerikanerinnen.
1. Comanche-lndianerin. (Indian Territory.)
Nach einer photographischen Aufiiahme im Besitze der Berliner anthropologischen
Gesellschaft.
2. Eskimo-Frau aus Labrador (aus der von Karl Hagenbeck in Berlin gezeigten
Truppe).
Nach einer von J. M. Jaoobsen (Hamburg) aufgenommenen Photographie im Besitze
des Herausgebers,
8. Siouz-Indianerin.
Nach einer von Carl Günther (Berlin) angenommenen Photographie im Besitze de6
Herausgebers»
4. Mayonishas-Indianerin vom Bio Palcäzu j Piches, Peru.
Nach einer photographischen Aufaahme von Georg HÜbner, im Besitze des Herausgebers,
5. Goroados- oder Gayenganga- Indianerin (Provinz Paranä und Rio Grande,
Brasilien.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze der Berliner anthropologiflchen
Gesellschaft.
6. Guyana-Indianerin, ungefähr 25 Jahre alt.
Nach einer photographischen Aufnahme des Herausgehers,
7. Feuerländerin (von der von Karl Hagenbeek in Berlin gezeigten Truppe).
Nach einer von Pierre PeUt (Paris) angenommenen Photographie im Besitze des
Herausgebers.
8. Araucanierin.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
d. Patagonierin vom Stamme der Havaniken aus Punta Arenas.
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl Günther (Berlin) im Besitze d^
Herausgebers.
Tafel IV. Ooeanierinnen.
1. Australierin von Nord-Queensland. (Melanesierin.)
Nach einer von Tuttle (Sydney) aufgenommenen Photographie im Richard- Neuhauss-
Album der Anthropologischen Gesellschaft von Berlin.
2. Frau von den Neu-Hebriden (Melanesien).
Nach einer von Wiüiams (Honolulu) aufgenommenen Photographie im Besitze der
Anthropologischen Gesellschaft von Berlin. (Richard Neuhauss-Album No. 147.)
8. Yiti-Insulanerin (Melanesien).
Nach einer von Alfred Dufty (Sydney) aufgenommenen Photographie im Besitze des
Herrn Dr. Bahse (Leipzig).
4. Eings-Mill-Insulanerin (Mikronesien) von Jazawa.
Nach einer Photographie im Besitze der Anthropologischen GeseUschaft von Berlin.
5. Gilbert-Insulanerin (Mikronesien) von der Insel Maiana (Hall Island).
Nach einer von Dr. Otto Fins^ (Delmenhorst) aufgenommenen PhotograpMe im Be-
sitze der Anthropologischen Gesellschaft von Berlin.
A. Die Tafel-Abbildungen. 627
6. Marianen-lnsulanerin (Mikronesien) von der Insel Saipan.
Nach einer von G. Eiemer, Zahlmeister S. M. S. Hertha aufgenommenen Photographie
im Besitze des Herausgebers,
7. Maori-Frau von Nen-Seeland (Polynesien).
Nach einer von Pulman aufgenommenen Photographie im Besitze der Berliner anthro-
pologischen Gesellschaft. (Eichard Neuhauss-Ätbutn,)
8. Hawaii-Insulanerin von Honolulu (Polynesien).
Nach einer von Williams (Honolulu) aufgenommenen Photographie im Besitze der
Anthropologischen Gesellschaft von Berlin. {Bithard Neuhauss-Älbum No. 197.)
9. Tonga-Insulanerin (Polynesien).
Nach einer von G, Biemer, Zahlmeister S. M. S. Hertha aufgenommenen Photographie
im Besitze des Herausgebers.
Tafel V. Asiatinnen.
1. Kara-Ealmflckin, 19 Jahre alt, aus dem Distrikt von Euldscha (Mandschurei).
Nach einer von Kasanski (Taschkent) aufgenommenen Photographie im Besitze der
G^eUschafb fQr Erdkunde in Berlin.
2. Tatarin.
Nach einer Photographie im Besitze des Professor Dr. W, Joest in Berlin.
8. Kirgisin, 36 Jahre, aus Taschkent (Turkestan).
Nach einer von Kasanski (Taschkent) angenommenen Photographie im Besitze der
G^ellschaft f&r Erdkunde in Berlin.
4. Jakutin im Hausanzuge.
Nach einer Photographie im Besitze des Professor Dr. W. Joest in Berlin.
5. Tungusin.
Nach einer Photographie im Besitze des Professor Dr. W. Joest in Berlin.
6. Üezbekin, 18 Jahre alt, aus dem Distrikt Zerwaschan.
Nach einer von Kasansiu (Taschkent) aufgenommenen Photographie im Besitze der
Gesellschaft für Erdkunde in Berlin.
7. Mandjurin, 44 Jahre alt, aus dem Distrikte von Euldscha (Dschungarei).
Nach einer von Kasanski (Taschkent) aufgenommenen Photographie im Besitze der
Gesellschaft für Erdkunde in Berlin.
8. Golden-Frau, Amur-Mfindnng.
Nach einer Photographie im Besitze des Professor Dr. W, Joest in Berlin.
9. Giljaken-Frau ans Ost-Sibirien von der Mündung des Amur.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
Tafel VI. Asiatinnen.
1. Javanische Prinzessin im alten Hofcostüm. ^
Nach einer von Gapilftn L, F, M, Schulze (B ata via) aufgenommenen Photographie im
Besitze des Herrn Geheimen Sanitätsrath Dr. Ludwig Asehoff in Berlin.
2. Tibetanerin.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
3. Annamitische Frau (Hinter-Indien).
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
4. Frau aus Spiti (im Himalaya).
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
5. Tamil-Mädchen von Golombo (Ceylon).
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
6. Lepscha-Frau aus Sikhim im Himalaya.
Nach einer Photographie in F. Watson und W. Kaye: The People of India. Vol. L
Tafel 48.
7. Parsi-Frau aus Calcutta.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
8. Syrierin aus Bethlehem.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
9. Sartin, 15 Jahre alt, aus Taschkent (Turan).
Nach einer von Kasanski (Taschkent) aufgenommenen Photographie im Besitze der
Gesellschaft ftlr Erdkunde in Berlin.
40»
628 Anhang 8.
Tafel VIL Alte Frauen.
1. Brule-Sioux-Indianerin (Nord-Amerika).
Nach einer phoiographischen Anfiiahme yon Carl Günther (Berlin) im Besitze de^
Herausgebers.
2. Tyrolerin aus Deffreggen (Süd-Tyrol).
Nach einer von Georg Egger (Lienz) aufgenommenen Photographie im Besitse de*
Herausgebers.
3. Sfld-Italienerin.
Nach einer von W. v, Gloeäen aufgenommenen Photographie im Besitze des Herata-
gebers.
4. Araherin aus Aegypten.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
5. Bhotia-Frau aus der Gegend von L^Hassa (Gross -Tibet).
Nach einer Photographie aus Watsan und Kaye: The People of India. Tafel 55.
6. Japanerin.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
7. Frau aus Ladak im Himalaya (Mittel-Tibet).
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
8. Eanakin aus Honolulu (Hawaii- oder Sandwichs-Inseln) (Polynesien).
Nach einer von Dr. Bichard Neuhauss (Berlin) aufgenommenen Photographie im Besiiae
des Herausgebers.
9. Maori-Frau aus Neu-Seeland.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgthers.
Tafel YIII. Misohlinge.
1. Mischling von einem Chinesen und einer vrilden Formosanerin.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
2. Mischling von einem Europäer und einer Chinesin. China.
Nach einer Photographie im Besitze des Professor Dr. Wilhelm Joest in Berlin.
8. Mischling von einem Chinesen und einer Hawaiierin. Prostituirte aus Honolnla,
ungefähr 14 Jahre ali
Nach einer Photographie von Wiüiatns in Honolulu, Hawaii-Inseln, im Besitze
des Dr. Bkhard Neuhauss in Berlin.
4. Mischling (Lip-lap) von einem Europäer und einer Malayin. Java.
Nach einer Photographie im Besitze des Dr. Arthur Baessler in Berlin.
5. Mischling (Cafusa) von Indianer- und Neger-Rasse. Rio Janeiro.
Nach einer Photographie des anthropologisch-ethnologiBchen Albums von C. Dammann.
6. Mischling von einem Europäer und einer Eanakin von Hawaii.
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl Günther in Berlin im Besitze des
Herausgebers.
7. Mischling von einem Europäer und einer Maurin. Marokko.
Nach einer Photographie im Besitze des Dr. Freiherrn von Oppenheim in Berlin.
8. Mischling (Sanglee) von einem Chinesen und einer Tagalin. Philippinen.
Nach einer Photographie im Besitze des Professor Dr. Wilhelm Joest in Berlin.
9. Mischling (Andjera) von Berbern und Arabern. Marokko, bei Tanger.
Nach einer Photographie im Besitze des Dr. Freiherm von Oppenheim in Berlin.
Tafel IX. Das Weib im Eindesalter.
1. Kleine Algerierin aus armer Familie.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
2. D ah ome -Mädchen, West-Afrika, 8 Monate alt.
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl Q^Srnther (Berlin), im Besitze des
Herausgd>ers.
8. Kleines Buschmann- Mädchen im Alter von 8 Jahren.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
4. Guyana-Indianerin, 6 Jahre alt
Nach einer photographischen Aufnahme des Herausgebers.
5. Kleine Araucanierin von Concepcion in Chile.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
A. Die Tafel-Abbildungen. 629
6. Feuerlftnderin, 6 Jahre alt.
Nach einer Autotypie in Hyadea et Deniker: Mission scientifique au Cap Hörn« Paris.
1891. pl. XVII.
.. Beggar-M&dchen, Ost-Indien.
Nach einer photQgraphischen Aufnahme im Besitze des Herausgehers.
8. Kleines Negrita-Mftdchen von den Philippinen.
Nach einer Photographie im Besitze des Professor Dr. Wilhekn Joest in Berlin.
9. Kleines Hindu-M&dchen, Brahminen-Tochter, aus Malabar, westliches Indien.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
Tafel X. Das Weib im Baokflsohalter.
1. Mincopie-Mftdchen von den Süd-Andamanen, 14 — 16 Jahre alt.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
2. Halberwachsene Ga-Negerin aus Accra an der Goldküste (West-Afrika).
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
3. Halberwachsenes M&dchen aus Apia, Samoa-Inseln.
Nach einer photographischen Au&ahme des königlichen Zahlmeisters (S. M. S. Hertha)
G. Riemer, im Besitze des Herausgebers.
4. Halberwachsenes Mädchen der Ahuishiri-Indianer vom Rio Napo in Peru.
Nach einer von Georg Hübner aufgenommenen Photographie im Besitze des Heraus-
gebers.
5. Halberwachsene Fenerlftnderin, nngef&hr 13 Jahre alt.
Aus Hyades et Beniker: Mission scientifique auCapHorn. Paris. 1891. pl. XIH. f. 1.
6. Halberwachsene Guyana -Indianerin, 13 Jahre alt.
Nach einer Photographie des Herausgebers.
7. Halberwachsene Chinesin.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
8. Toda-Mftdchen, Sad-Indien, 14 Jahre alt.
Nach einer Photographie aus W. E. Marshall: A phrenologist amongst the Todas.
London 1873.
9. 'Halberwachsene Malayin ans Malacca.
Nach einer photographischen Anfiiahme im Besitze der Berliner anthropologischen
Gesellschaft.
Tafel XI.
Das Weib in den deutschen Kolonien und deren Naohbarsohaft.
1. Frau von Fernando Po. West-Afrika.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
2. Frau von Aqua-Bell in Kamerun. West-Afrika.
Nach einer photographischen Aufnahme von Sophus WüUams in Berlin, im Besitze
des Herausge>ers.
3. Fante-Frau von der Goldkflste. West-Afrika.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
4. Mädchen von den Admiralitftts-Inseln.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
5. M&dchen von Samoa.
Nach einer von Carl Günther (Berlin) aufgenommenen Photographie im Besitze des
Herausgd>ers.
6. Mädchen von der Gazellen-Halbinsel, Neu-Pommern (Neu-Britannien).
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
7. M&dchen aus Harrar. Ost-Afrika.
Nach einer Photographie im Besitze des Professor Dr. Wilhelm Joest in Berlin.
8. Konde-Frau vom Nyassa-See. Ost-Afrika.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
9. Berg-Damara-Frau. Sfld-West-Afrika.
Nach einer Photographie im Besitze der Berliner anthropologischen G^eUschafk.
630 Anhang 3.
B. Die Text-Abbildungen.
Erster Band.
Fig. 1. Die Entwickelung der Genitalien. Seit?
Die Figur stellt das untere EOrperende eines mensohlichen Embryo aus ungefähr
der sechsten Woche der intrauterinen Entwickelung dar. Man erkennt den Geechlechts-
höcker (später Penis oder Clitoris), femer die Geschlechtsfalten (spätere Hodensackhälften
oder grosse Schamlippen), den Sinus urogenitalis und den Afber.
Die vordere Bauchwand ist entfernt, um die Organe in der Tiefe erkennen zu
lassen. Man sieht die Wirbelsäule, die ZwerchfellswOlbung, die TToZ/f^schen Körper,
aus denen sich die Nieren entwickeln, mit ihren Blinddärmchen und dem Trol/f*schen
Gange, die MüUer'Bchen Fäden, aus denen die inneren Genitalien entstehen, und die
Harnblase 4
Aus Hubert Luschka: Die Anatomie des menschlichen Bauches. S. 245. Fig. 30.
Tübingen 1863.
Fig. 2. Deutsches Weib 5
Nach Älbrecht Dürer: De symmetria partium in rectis formis humanorum cor-
porum. Nürnberg. 1532.
Fig. 3. Nackte Idealfigur eines Mannes, entworfen von l^ieiano VeeeUi
für die anatomischen Werke des Andreas VesaKus 6
Nach dem in dem Werke Yon Lecding: Anatomische Erklärung der Original-
Figuren von Andreas Vesälius etc., Ingolstadt 1783, abgedruckten Original-Holzsclmitt.
Fig. 4. Nackte Idealfigur eines Weibes, entworfen von Tiziano VeceUi
fELr die anatomischen Werke des Andreas Vesälius 7
Gegenstück zu Fig. 3 aus dem gleichen Werke.
Fig. 5. Eörperform einer Zulu-Frau (Mulattin?) unbekleidet mit schlaff
herabhängenden Brüsten. (Man vergleiche Fig. 120) 8
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl Günther in Berlin im Besitze
des Herausgebers,
Fig. 6. EOrperform einer Javanin, unbekleidet, mit massigen, schalen-
förmigen Brüsten 9
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers,
Fig. 7. EOrperform einer Anachoreten-Insulanerin von der Wasan-
Insel (Melanesien), 25 Jahre alt, unbekleidet, mit kleinen conischen Brüsten und
halbkugelig aufsitzendem Warzenhofe 9
Aus «Süd- See-Typen*. Anthropologisches Album des Museum Godeffroy in Ham-
burg. Hamburg 1881. Taf. 18. Fig. 302.
Fig. 8. Die Geschlechtsunterschiede am Schädel. Links Schädel eines
Australiers, rechts einer Australierin, beide von vom gesehen. Man erkennt das
eckigere Verhalten des männlichen und das abgerundetere des weiblichen Schädels . . 11
Aus Alexander Ecker: lieber eine charakteristische Eigenthümlichkeit in der Form
des weiblichen Schädels und deren Bedeutung für die vergleichende Anthropologie. Archiv
für Anthropologie Band I. S. 84. Fig. 26. Braunschweig 1886.
Fig. 9. Die Geschlechtsunterschiede am Schädel« Links ein männlicher,
rechts ein weiblicher Schädel aus einem fränkischen Grabe. Obgleich letzterer zu-
föllig den ersteren an GrOsse übertrifft, sieht man doch, wieviel gerader bei dem weib-
lichen Schädel die Stirn ansteigt und wieviel unvermittelter sie in den Scheitel umbiegt 12
Aus Alexander Ecker wie Fig. 8. S. 86. Figg. 27 u. 28.
Fig. 10. Die Geschlechtsunterschiede am Schädel. Links Schädel eines
Schwarzwälders, rechts einer Schwarzwälderin. Die gerade Stirn, der flachere
Scheitel und das weniger ausgeprägte Gesicht der letzteren ist sehr in die Augen fallend 12
Aus Alexander Ecker wie Fig. 8. 86. Figg. 29 u. 30.
Fig. 11. Die für das weibliche Geschlecht charakteristischen grossen
medianen Schneidezähne des Oberkiefers bei einer jungen Oesterreicherin 13
Nach einer von Carl Günther in Berlin aufgenommenen Photographie im Besitze
des Herausgebers.
Fig. 12. Die für das weibliche Geschlecht charakteristischen grossen
medianen Schneidezähne des Oberkiefers bei einer jungen Maurin aus Algier 14
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgehers,
B. Die Text-Abbildungen. 631
Fig. 18. Die für das weibliche Geschlecht charakteristischen grossen Seite
medianen Schneidezähne des Oberkiefers bei jungen Abjssinierinnen ans
Massaaa 15
Nach einer von Prof. Dr. Oeorg Scfweinfutih ans der Golonia eritrea mitge-
brachten Photographie im Besitze des Herausgebers,
Fig. 14. Die Geschlechtsnnterschiede am knöchernen Becken, Links
ein weibliches, rechts ein m&nnliches Becken in aufirechter Stellung von vom gesehen.
Zu unterscheiden ist das Kreuzbein, das Haftbein oder Darmbein, das Sitzbein, das
Schambein, das Hüftgelenk und die Schamfnge. Man erkennt die beträchtlichere Breite
und Weite des weiblichen Beckens, namentlich auch in dem Beckeneingang und in dem
Beckenausgang 16
Aus Carl Ernst ühnil Hoff mann: Lehrbuch der Anatomie des Menschen. Zweite
umgearbeitete und vermehrte Auflage. S. 208. Figg. 161 u. 162. Erlangen 1877.
Fig. 15. Die Geschlechtsunterschiede am knöchernen Becken. Links
ein m&nnliches, rechts ein weibliches Becken von oben gesehen, wobei die grössere Ge-
räumigkeit des letzteren ganz besonders deutlich wird 17
Aus Carl Ernst Emil Hoffmann wie Fig. 14. S. 209. Figg. 168 u. 164.
Fig. 16. Liegende Europäerin (wahrscheinlich eine Oesterreicherin), die
runden Formen des Körpers und der Extremitäten und die starke Entwickelung der Ge-
sässgegend zeigend 19
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers,
Fig. 17. Die Rundung der weiblichen Schenkel und Kniee bei einem
Kaffer-Mädchen 20
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers,
Fig. 18. Die Rundungen der weiblichen Gliedmaassen bei einer Euro-
päerin (wahrscheinlich einer Oesterreicherin) 21
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers,
Fig. 19. Die Geschlechtsunterschiede an den Gehirnen neugeborener
Kinder. Die Gehirne sind von oben gesehen und haben oben im Bilde ihren Stimtheil
und unten ihren Hinterhauptstheil. Das linke Gehirn gehört einem Knaben, das rechte
einem Mädchen an. Ersteres zeigt einen erheblich grösseren Reichthum an Windungen
als das letztere 28
Nach Büdinger: Vorläufige Mittheilungen über die Unterschiede der Grosshim-
windungen nach dem Geschlecht beim Fötus und Neugeborenen mit Berücksichtigung der
angeborenen Brachycephalie und Dolichocephalie. Beiträge zur Anthropologie und Ur-
geschichte Bayerns. Band L Tafel XXV, Fig. 1 u. 2. München 1877.
Fig. 20. Die Geschlechtsunterschiede im horizontalen Gehirnumfang.
Die Figur zeigt das Verh<niss der Grösse des horizontalen Umfanges des Gehirns beim
Manne (links) zu dexjehigen des Weibes (rechts) 24
Nach Passet: Ueber einige Unterschiede des Grosshims nach dem Geschlecht.
Archiv fOr Anthropologie. Band XIY. Tafel VI, Fig. 6. Braunschweig 1883.
Fig. 21. Hindu-Frau aus Bombay mit einem knopfförmigen Schmuck im
linken Nasenflügel, und schweren Ohrgehängen und Armbändern 40
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers,
Fig. 22. Brahminen-Mädchen aus Bombay mit Ringen im Ohrläppchen und
im Ohrmuschelrande, einen grossen Ring im linken Nasenflügel, mit Halskette und Arm-
bändern und mit dem aufgemalten Zeichen der Kaste an der Stirn 41
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
Fig. 23. Wendin aus dem Spree walde (Gegend von Cottbus) mit männ-
lichem Gesichtsausdruck 54
Nach einer photographischen Aufiiahme des Hofphotographen Albert Schwartz in
Berlin, im Besitze des Herausgebers.
Yig. 24. Beduinen-Frau aus Tunesien mit männlichem Gesichtsausdruck . 55
Nach einer photographischen Aufiiahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 25. Cunivos-Indianerin vom Rio Uouyali in Peru mit männlichem
Gesichtsausdruok und mit Bemalung des Gesichts 56
Nach einer photographischen An&iahme von Oeorg Hübner im Besitze des
Herausgebers,
Fig. 26. Cholos-Mädchen, Mischling von einem Weissen und einer
Indianerin am Marafion in Peru 61
632 Anhang 8.
Nach einer phoiographiBcfaen Aufnahme von Gtorg Hühner im Bedtee des Seit«
Herausgebers,
Fig. 27. Japanisches Mädchen 70
Nach einer photographischen Aninahme im Besitee des Herausgebers.
Fig. 28. Japanische verheirathete Fran mit gemaltem Gesicht, gemalten
Augenbrauen und schwarzgeförbten Z&hnen 71
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers,
Fig. 29. Junge vornehme Chinesin mit kflnsÜich verkleinerten Füssen. . . 73
Nach einer chinesischen Aquarellmalerei im Besitze der Frau OUo Neuhauss
in Berlin.
Fig. 80. Junge Australierin aus Nord-Queensland mit Schmucknarben
auf der Brust 7o
Nach einer photographischen Aufnahme von Bayliss (Sydney), im Besitze des
Herausgebers.
Fig. 81. Indianerin aus Arizona mit bemaltem Geeicht 77
Nach einer photographischen Aufnahme von Buchmion u. Hartwell (Tuscon,
Arizona) im Besitze des Herausgdters.
Fig. 82. Holzgeschnitzte Frauen -Figur von der Loango- Küste,
West-Afrika 79
Mitgebracht von Dr. Gussfeld, Im Besitze des Königlichen Museums för
Völkerkunde in Berlin. Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 88. Holzgeschnitzte Frauen-Figur aus Kiobo im Congo-Gebiete,
West-Afrika, mit Schmucknarben auf der Oberbauchgegend 80
Im Besitze des königlichen Museums für Völkerkunde in Berlin. Nach
der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 84. Moru-Frau aus den oberen Nil-Gebieten mit Schmucknarben aaf
der Stirn, dem Bauche und dem Arme 81
Nach einer photographischen Aufnahme von Ridiard Buchta, im Besitze des
Herausgebers,
Flg. 85. Indische Steinfigur, die Idealgestalt einesWeibes darstellend.
Es ist Sita, das Weib des Ramatsckandra. Ausgegraben im Dorfe Dschindschi in der
Präsidentschaft Madras. Vorderansicht.
Eingesendet von dem Missionar Beierlein. Im Besitze des königlichen Museums
für Völkerkunde in Berlin 84
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 86. Dieselbe wie Fig. 85. Hinteransicht 85
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 87. Junge Japanerin (nach F. W. K, Müller eine chinesische Hofdame) 92
Nach der Darstellung in einem japanischen Holzschnittwerke im Besitze des
Herausgebers,
Fig. 88. Junge Singhalesin 93
Nach einer photographischen Aufiiahme im Besitze des Dr. Paul Ehrenreich
in Berlin.
Fig. 89. Papua-Frau von der Insel Matnpe (Blanche Bai, Bismarck-
Archipel, Neu Britannien), im Anfang der 20er Jahre, mit durchbohrten und stark
ausgedehnten Ohrläppchen 96
Nach einer photographischen Aufiiahme von Otto Finseh im Besitze der Anthro-
pologischen Gesellsellschaft in Berlin.
Fig. 40. Verschönerungen des Gesichts 97
No. 1. Eine Oraon-Gole-Frau aus Chota Nagpor in Bengalen, Verschöne-
rungen am Ohre zeigend. Der äussere Rand der Ohrmuschel ist an mehreren Stellen
durchbohrt und mit eingehängten Ringen verziert. Die Durchbohrung des Ohrläppchens
ist stark ausgedehnt und in derselben wird ein zusammengerolltes Blatt oder Rinden-
stück getragen.
Nach einer Photographie aus J, Forbes Watson and John William Kaye: The
People of India. Volume I. pl. 16. London (India Museum) 1868.
No. 2. Eine junge Süd-Andamanesin mit bemaltem Gesicht Aehnliche Be-
malungen tragen die bis auf ein vor die Schamtheile gelegtes Blatt nackt gehenden In-
sulanerinnen auch auf dem Bauche und auf den Oberschenkeln. Das Kopfhaar ist voll-
ständig abrasirt.
B. Die Text-Abbildungen. 633
Nach einer Photographie im Besitze der Anthropologischen Gesellschaft von Seite
Berlin.
No. 8. Eine Mittn-Frau ans Gentral-Afrika mit Yerschönerongen an den
Ohren nnd an den Lippen: Die Ohren tragen einen grossen Hftngeschmnck in dem
Läppchen nnd ausserdem je 6 Ringe in dem äusseren Rande der Muschel. In die
durchbohrte Oberlippe ist ein grosser Elfenbeinknopf eingelegt ; in der Unterlippe steckt
ein kleinerer.
Nach Georg Schwein furth^: The heart of Africa. Vol. I. p. 407. London 1874.
No. 4. Ein Maori-Mftdchen ans Nen-Seeland mit tättowirten Lippen.
Nach einer Photographie des Riehard Neuhauss Albuma im Besitz der Anthro-
pologischen Gesellschaft von Berlin.
No. 5. Eine Aino-Fran von der Insel Yesso, die an einen Schnurrbart
erinnernde Tftttowirung der Lippen zeigend.
Nach einer Photographie im Besitze dier Anthropologischen Gesellschaft von Berlin.
No. 6. Junge Australierin aus Queensland, einen Knochen in der durch-
bohrten Nasenscheidewand tragend.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgeben.
No. 7. Eine Frau von der zu den Anachoreten-Inseln gehörigen
Waisan-InseL Ihr durchbohrtes Ohrl&ppchen ist zu enormer Länge ausgedehnt, so
das» es wie eine grosse Schleife herabhängt. Mehrere Ringe, den Fingerringen ähnlich,
sind an demselben angebracht. Das Kopfhaar ist vollständig abrasirt
Nach einer Photographie aus: Süd-See-Typen. Anthropologisches Album des
Museum Godeffroy in Hamburg. Taf. 18, Fig 406b. Hamburg 1881.
No. 8. EineLimboo-Frau von den trans-himalayischen Ureinwohnern
aus Nepal in Indien mit grossen Ohrgehängen und einem enormen Nasenringe im
linken Nasenflügel, der durch seine Schwere den letzteren weit herabzieht und dadurch
die Nasenspitze zum Abweichen nach rechts hin zwingt.
Nach einer Photographie aus: The People of India, wie No. I. Vol. H. plate 62.
Fig. 41. Mincopie-Weib von den Andamanen mit bemaltem Körper ... 98
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 42. Hindu-Dienerin mit aufgemaltem Sekten-Zeichen an der Stiin ... 98
Nach einer photographischen Aufnahme von L. Steiner, im Besitze des Herausgebers.
Fig. 48. Cashivos-Indianerin aus Nay Pablo, welche als Kind geraubt und
in den Sitten der Cunivos-Indianer am Rio Pachitea in Peru aufgezogen wurde.
Sie ist im Gesicht bemalt, trägt eine Scheibe in die durchbohrte Nasenscheidewand ein-
gehängt und einen Pflock in einer Durchbohrung der Unterlippe 99
Nach einer photographischen Aufnahme von Georg HiÜmer, im Besitze des
Herausgebers.
Fig. 44. Tättowirung der Unterextremitäten einer Ponapesin. Man
sieht den breiten, von dem Schambergfelde ausgehenden Hüftgürtel über die Hinter-
backen verlaufend. Von der Kitte des Oberschenkels bis abwärts zu den Knöcheln ist
auch die Hinterfläche der Beine tättowirt 100
Aus Otto Finseh: Ueber die Bewohner von Ponap^ (östl. Carolinen). Nach
eigenen Beobachtungen und Erkundigungen. Zeitschrift für Ethnologie, Band XII.
S. 812. Fig. 8.
Fig. 45. Tättowirte Hand einer Oshimanerin. Diese auf der Liu-kiu-
Insel Oshima gebräuchliche Tättowirung wird nur an den Händen und nur bei dem
weiblichen Geschlechte ausgeführt Das Original der Zeichnung wurde von einem
Tättowirer gefertigt 101
Nach L. Doederlein: Die Liu-Kiu- Insel Amami Oshima. MittheUnngen der
deutechen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ost-Asiens. Bd. lU. 1880—1884.
Heft 22. S. 115. Yokohama s. a.
Fig. 46. Tättowir-Instrumente von Neu-Seeland. ^/s natürlicher Grösse 103
Nach W. Joest: Tättowiren, Narbenzeichnen und Körperbemalen. Berlin, 1887. S.67.
Fig. 47. Haida-Indianerin (Britisch Golumbien) mit Tättowirungen an
der Brust, den Armen und den Beinen, welche die Totem-Thiere darstellen 104
Nach James G. Swan: Tattoo Marks of the Haida Indians etc. Fourth Annual
Report of the Bureau of Ethnology 1882—1888. Washington 1886. p. 69. Fig. 26.
Fig. 48. Frau von Formosa mit tättowirten Lippen und Wangen, zum Zeichen
dass sie verheirathet ist 105
634 Anhang 8.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze der Anthropologischen Seite
Gesellschaft in Berlin.
Fig. 49. Katholisches Banernmftdchen ans der Gegend von Zenica in
Bosnien mit t&ttowirten Kreuzen auf dem oberen, unbedeckten Theile der Brust, auf
den Handrücken und auf den Vorderarmen 106
Aus Leopold Glück: Die Tftttowirung der Haut bei den Katholiken Bosniens
und der Hercegovina. Fig. 1. In Moritz ^drn«*« Wissenschaftliche Mittheilungen aus
Bosnien und der Hercegovina, herausgegeben von dem Bosnisch-Hercegovi-
nischen Landesmuseum in Sarajevo. Band H. S. 456. Wien 1894.
Fig. 50. Kaffer- Mädchen aus Natal, dessen Rücken mit drei Gruppen von
knopfförmigen Schmucknarben geziert ist 107
Nach einer Photographie im Besitze des Professor Dr. Wühdm Joest in Berlin.
Fig. 51. Australierin aus Nord-Queensland, 16— 18 Jahre alt, mit Schmuck-
narben auf dem Oberarme 108
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl GünÜher (Berlin) im Besitze
des Herausgebers,
Fig. 52. Rückenansicht einer Dahome-Frau mit Schmucknarben in der
Kreuzbeingegend 109
Nach einer photographischen Aufnahme von Franz Görke im Besitze des
Herausgebers.
Fig. 58. Niam-Niam Mädchen (Central- Afrika) mit breiten Schmucknarben
auf der Brust und zierlichen Schmucknarben am Bauche 110
Nach einer photographischen Aufnahme von Bichard Bttehta aus: Die oberen
Nil-L&nder. No. 89. Berlin. 1881.
Fig. 54. Verschönerungen des Gesichts 111
No. 1. Eine Mangandja-Frau aus Central- Afrika mit Tftttowirungen auf
den Wangen und der Stirn und mit dem grossen, ringförmigen Lippenschmuck, dem
Pelele, durch welchen die durchbohrte Oberlippe enorm ausgedehnt ist, so dass sie be-
trächtlich über die Nasenspitze hervorragt.
Nach David and Charles Livingstone: Narrative of an expedition to theZambesi
and its tributaries, and of the lakes Shirwa and Njassa. p. 115. London 1865.
No. 2. Ein Eskimo-Mädchen aus Alaska mit einem Perlenschmuck in der
Nasenscheidewand , der bis auf die Oberlippe herabhängt. In der durchbohrten Unter-
lippe stecken zwei gekrümmte Ejiochen.
Nach einer Photographie im Besitze der Anthropologischen Gesellschaft
von Berlin.
No. 8. Eine Loobah-Frau (Lubah) vom Volke der Mittu aus Central-
Afrika. Die Stirn und die Nachbarschaft der Augen sind tättowirt; der äussere Rand
der Ohrmuschel ist an zehn Stellen durchbohrt und mit eingesteckten Halmen geschmückt:
ein kleiner Ohrring ziert du Ohrläppchen. In der durchbohrten Oberlippe steckt eine
runde Knochenscheibe, während ein polirter conischer Quarz von 6,5 cm Länge in der
Unterlippe steckt.
Nach Schweinfurth ^ (wie Fig. 40. No. 3) pag. 409.
No. 4. Die Mundverschönerungen einer Bongo-Frau aus Central-
Afrika. Durch die Oberlippe ist ein Kupfemagel und durch die Unterlippe ein Holz-
pflock gesteckt, welcher das Kennzeichen aller verheiratheten Frauen dieses Volkes ist.
Die Mundwinkelpartien der Oberlippe sind in je eine kleine kupferne Klammer (von der
Form breiter Armringe) geklemmt.
Nach Georg Schweinfurth^: Artes Africanae. Tabula UL Fig. 8. Leipzig und
London 1875.
No.5. Eine Mangandja-Frau aus Central-Afrika, lachend. Mansiehtdie
Tättowirung der Stirn, der Jochbeingegend und der Wangen. In dem weit geöffiieten
Munde erblickt man die spitz zugefeilten Zähne, an diejenigen eines Haifisches erinnernd.
Die durch den eingelegten Lippenring, das Pelele, enorm vergrösserte Oberlippe klappt
sich beim Lachen derartig in die Höhe, dass ihr vorderer Rand bis zu der Gegend der
Augenbrauen hinaufreicht. Dabei blickt die Nasenspitze durch das runde Loch des
Pelele wie durch ein Fenster.
Nach Richard Oberländer: Der Mensch vormals und heute. S. 179. Leipzig 1878.
No. 6. Gesichtsverzierung einer Bongo-Frau aus Central-Afrika.
In einem Loche an jedem Nasenflügel steckt ein Halmstück; zwei andere Halme stecken
B. Die TexirAbbildungen. 635
in Löchern der Oberlippe, während in der Unterlippe der fdr die verheiratheien Bongo- Seite
Franen charakteristische Holzpflock steckt
Nach Georg Sehweinfurtf^ (wie Fig. 54. No. 4). Tabula III. Fig. 8.
Fig. 55. Holzgeschnitste Franenfignr (Stnhl) der Balnba im Gebiete
des Lualaba, Afrika. Die Frau hat die Haartracht der Baluba- Frauen; ihre Brüste
sind ziegenenterfthnlich; sie hat einen Nabelbmch und trägt auf dem Bauche und auf
dem Schamberge grosse Schmucknarben 112
Im Besitze des Egl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herauagehers.
Fig. 56. Flathead- (Flachkopf-) Indianerin, Nord- Amerika, mit einem
Kinde, das in der den Yorderkopf flachdrückenden Wiege liegt 113
Handzeichnung von George CaÜin^ im Besitze des Egl. Museums für Völker-
kunde in Berlin. Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 57. Carolinen-Insulanerin von der Insel Buk (Mikronesien),
80 Jahre alt, mit durchbohrten und sehr stark ausgedehnten Ohrläppchen, die mit
vielen Ringen geschmückt sind 114
Nach einer photographischen Aufnahme aus: Südsee-Typen. Anthropologisches
Album des Museums Godeffroy in Hamburg. Taf. 28. Fig. 511.
Fig. 58. Mädchen (20 Jahre alt) von der Insel Mabiak (Jervis-Island)
in der Torres-Strasse mit ursprünglich durchbohrtem und ungeheuer erweitertem,
dann aber aufgeschnittenem Ohrläppchen, so dass dasselbe als langer, schmaler Lappen
herabhängt 115
Nach einer photographischen Aufnahme von Otto Finsehy im Besitze der Anthro-
pologischen Gesellschaft in Berlin.
Fig. 59. Meeree-Frau von den Hügelstämmen in Assam (Indien), mit
durchbohrtem und stark ausgedehntem Ohrläppchen, in welches ein grosser Ring einge-
passt ist 116
Nach einer photographischen Aufnahme aus F, WaUon und W, Kaye: TePeople
of India. Vol. I. Taf. 80. London. 1868.
Fig. 60. Guyana-Indianerin, 19 Jahre alt, welche in der durchbohrten Unter-
lippe eine Stecknadel trägt. Auf dem rechten Auge ist sie blind 117
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 61. Papua-Frau vom Stamme der Gumuloga, von der Insel
Mabiak (Jervis Island) (Torres-Strasse), im Anfang der 20. Jahre, mit ursprüng-
lich durchbohrtem und stark ausgedehntem, später durchgerissenem Ohrläppchen, dessen
lang herunter hängender Rest mit umgelegten Ringen verziert ist. Am rechten Ober-
arme trägt sie einen tief einschnürenden Armring 118
Nach einer photographischen Aufiiahme von Otto Finsch^ im Besitze der Anthro-
pologischen Gesellschaft in Berlin.
Fig. 62. Papua-Mädchen in der Mitte der 20er Jahre, vom Stamme der Motu
aus dem Dorfs Anuapata, Port Moresby aus Südost- (Britisch) Neu-Guinea
mit tief einschneidendem Armringe. (Das corpulenteste Mäddien, das Finsch sah.) . . 118
Nach einer photographischen Aufnahme von Otto Finsch im Besitze der Anthro-
pologischen Gesellschaft in Berlin.
Fig. 68. Fettleibige tunesische Jüdin in der Sabbathskleidung . . . 119
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Heratisgebers.»
Fig. 64. Entzündeter Ballen. Die traurige Folge zu engen und zu spitzen
Schuhwerks. Da die Zehen in dem letzteren keinen Platz hatten, beim Auftreten sich
auszubreiten, so wurden sie allmählich gezwungen, sich über einander zu legen, um in
der engen Schuhspitze untergebracht zu werden. Dabei musste sich, da die grosse Zehe
mit ihrer Spitze der kleinen Zehe entgegengepresst wurde, die Ballengegend derselben
stärker als gewöhnlich hervorwölben und auf diese Weise bot sie der Fussbekleidung
einen neuen Druckpunkt dar. Die Folge des Druckes war eine entzündliche Anschwellung
des gedrückten Ballens, wodurch natürlicher Weise eine Steigerung des Druckes und
damit wieder eine fernere Steigerung der Anschwellung u. s. w. hervorgerufen wird.
Da die Zehen sehr schnell durch Versteifung ihrer Gelenkverbindungen in dieser ab-
normen Lage flxirt werden, so muss diese qualvolle und schmerzhafte Folge menschlicher
Eitelkeit gewöhnlich für das ganze fernere Leben ertragen werden 120
Aus Jdlm E, Erichsen: Praktisches Handbuch der Chirurgie, übersetzt von Oscar
Thamhayn. Seite 894. Fig. 181. Berlin 1864.
636 Anhang 3.
Seite
Fig. 65. Hin du- Mädchen der Sudra- Kaste mit dem aufgemalten Sekten-
Zeichen an der Stirn, mit grossen, schweren Fussringen und mit Ringen auf den Zehen 121
Nach einer photographischen Aufixahme von L, Steiner im Besitze des J7arau#-
gebers,
Fig. 66. Frau von Gabun, Afrika, mit Beinringen, welche die Unterschenkel
▼ollfitändig bedecken 122
Nach einer photographischen Aufnahme von Saphus Williams in Berlin im
Besitze des Herausgebers.
Fig. 67. .Wadenplastik'', künstliche Yergrösserung der Waden bei
einem 19jährigen Mädchen der Guyana-Indianer, welches in Fig. 60 dar-
gestellt ist. Diese Wadeuplastik wird ausgeführt durch fest um die Fussgelenke angelegte,
manschettenartige Binden, welche nicht wieder abgenommen werden, und durch fest um
das Bein dicht unterhalb des Kniegelenks gelegte Binden 123
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 68. Wadenplastik (siehe Fig. 67) bei einer Guyana-Indianerin
in den Zwanzigern 124
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 69. Pirus-Indianerin vom Rio Ucuyali in Peru mit Beinringen dicht
oberhalb der Knöchel, welche tief einschneiden 125
Nach einer photographischen Aufnahme von Georg Hubner , im Besitze des
Herausgebers.
Fig. 70. Vornehme Chinesinnen mit künstlich verkleinerten Fassen ^ . . . 126
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des KgL Museums für
Völkerkunde in Berlin.
Fig. 71. Fuss einer Chinesin niederen Standes. Nach einem in der
Sammlung des Guy's Hospital in London befindlichen Wachsabguss in Vs der natflr-
lichen Grösse gezeichnet und von der Seite und von der Sohlenfläche aus gesehen. Die
Verbildung ist keine so vollständige, wie bei denFfissen der vornehmen Chinesinnen 127
Aus H. Wekker: Die Füsse der Chinesinnen. Archiv f&r Anthropologie.
Band V. Seite 147. Fig. 8. Braunschweig 1872.
Fig. 72. Normaler Menschen fuss mit eingezeichneten Skeletttheilen; zum
Vergleiche mit Fig. 71 und in den gleichen Grössen Verhältnissen 127
Aus H. Welcher: Ueber die künstliche Verkrüppelung der Füsse der Chinesinnen.
Archiv f&r Anthropologie. Band IV. Seite 224. Fig. 27. Braunschweig 1870.
Fig. 73. Fuss einer vornehmen Chinesin mit hineingezeichneten Skelett-
theilen, in demselben Grössenverhältniss wie Fig. 72, nämlich Vs der natürlichen Grösse.
Der Fersentheil des Hackenknochens ist senkrecht nach unten gebogen, so dass er eine
Verlängerung der Unterschenkelknochen darzustellen scheint; die Zehen sind in die Sohle
hineingebogen 127
Aus H. Wekker, wie Fig. 72.
Fig. 74. Linker Fuss einer erwachsenen Chinesin im Zustande voll-
kommen gelungener Verkrüppelung. Die Haut ist entfernt und die Muskeln sind frei-
gelegt. Nach einem Präparate im Museum des College of surgeons in London.
Der Längendurchschnitt ist bedeutend verkürzt und die natürliche Wölbung des
Fnsses durch Biegung der Sohle vermehrt. Die Ferse und die unteren Enden der Mittel-
fussknochen sind ^o viel als möglich einander genähert. Die Keilbeine und das Würfel-
bein sind nach aufwärts verschoben und bilden eine auffallende Erhabenheit an der
Höhe der Wölbung. Die äusseren Zehen sind unter die Sohle gebeugt Die Stellung der
Grosszehe ist verhältnissmässig weniger verändert, ihre Spitze ist jedoch mehr gegen den
medialen Längendurchmesser gerichtet, dessen Ende dieselbe zu bilden scheint .... 128
Nach Ferdinand Junker von Langegg: Eine Beschreibung und Zergliederung eines
künstlich verkrüppelten Chinesen f usses. Archiv für Anthropologie. Band VI. Taf. XIII.
Fig. 9. Braunschweig 1873.
Fig. 75. Rechter, künstlich verkleinerter Fuss einer Chinesin. ... 129
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Kgl. Museums für
Völkerkunde in Berlin
Fig. 76. Eine Chinesin, halb entkleidet in einer Schneelandschalt sitzend und
sich die künstlich verkleinerten Füsse bandagirend 13^
Nach einer chinesischen Zeichnung, veröffentlicht von T. Choutte: Lepansage;
gravure de M. Bapine, d'apr^s une peinture chinoise communiqu6 par le docteur
B. Die Text-Abbildungen. 637
Moraehe^ en Päkin et le Nord de la Chine. Le Tour du Monde. Tome XXXI. Seite
Paris 1876. p. 849.
Fig. 77. Rohe Figur der Vulva, als Schutzzeichen in Fruchtbäume eingeschnitten.
Ambon und die Üliase-Inseln 137
Aus Joh. Gerhard Fried, Biedel: De sluik- en kroesharige Rassen tuschen Selebes
-en Papua. s^Gravenhage. 1836.
Fig. 78. Stein-Relief von der Oster-Insel (Rapanui). Die Sculpturen
befinden sich in halberhabener Arbeit auf einem in einem Steinhause eingemauerten
Stein von 0,45 m Höhe und 0,64 m Breite. Es ist eine Doppeldarstellung des Make-Make,
•des Gottes der Eier, mit daneben gesetzten weiblichen Geschlechtstheilen, um eine eheliche
Oeburt zu bezeichnen 138
Nach Geiseler: Die Oster-Insel. Eine Stätte prähistorischer Gultur in der Sadsee.
Berlin 1883. Taf. XVm.
Fig. 79. Häuptling von der Oster-Insel mit dem tättowirten Bilde der
Vulva seiner Frau oben auf der Brust zum Zeichen seiner Verheirathung 139
Nach Julien Viaud: Expedition der Fregatte La Flore nach der Oster-
Insel 1872. Globus. Band XXUI. S. 67.
Fig. 80. Lingam aus Bengalen. Symbol ^wMoMdeoa oder (7tva und seiner
-Gemahlin Bhavänt, die Verbindung des männlichen und weiblichen Princips darstellend.
Marmorähnliches Gestein mit Bergkzjstallzapfen 139
EOnigl. Museum für Völkerkunde in Berlin. Nach der photographischen Auf-
nahme des Herausgebers.
Fig. 81. Zulu-Mädchen, Süd-Afrika. Die Eine, rückwärtsgekehrt sitzend,
lässt oberhalb des Gesässes, rechts und links von der Wirbelsäule, das Grübchen erkennen,
welches für die Beckenmeesung von Wichtigkeit ist. Die Zweite sitzt mit untergeschlagenem
Beine, wodurch die kräftige massige Entwickelung des Oberschenkels und des Knies be-
sonders auffällig wird. Die halb mit dem Arme verdeckte Brust ist bereits etwas hängend.
Die dritte, fut im Profil stehend, ist, nach dem Zustande der Brüste zu urtheilen,
noch sehr jugendlich; ihre Schultern und ihre Beckengegend sind ebenfalls sehr kräftig
entwickelt 140
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgehers,
Fig. 82. Die Raute der Ereuzbeingegend bei einer Europäerin, wahrscheinlich
einer Magjarin 142
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgehers.
Fig. 83. Dahome-Negerin, ihre einige Monate alte Tochter auf dem Rücken
tragend 144
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl Günther im Besitze des
Herausgeibers.
Fig. 84. Alt-Peruanische Vase im Besitze des KgL Museums für Völkerkunde
in Berlin mit der Darstellung einer Frau, welche ein Kind auf dem Rücken trägt . . 145
Nach Ä. Bastian: »Aus der ethnologischen Sammlung des Eönigl. Mu-
seums zu Berlin. Zeitschrift für Ethnologie. Band IX. Berlin 1877. Taf. V. Fig. 2.
Aus Bloss: Das kleine Kind u. s. w. Fig. 27.
Fig. 85. Alt-Peruanische Vase aus gleichem Besitze mit gleicher Darstellung 145
Nach A. Bastian (wie Fig. 84). Taf. V. Fig. 1. Aus Bloss: Das kleine Kind u. s. w.
Fig. 28.
Fig. 86. Junge Japanerin, ein Kind auf dem Rücken tragend 146
Aus Bloss: Das kleine Kind u. s. w. Fig. 42.
Fig. 87. Weiber aus der Colonia Eritrea; die eine im Knieen Getreide
mahlend, eine andere ein Kind auf der Hüfte tragend 147
Nach einer photographischen Aufnahme von Georg Schweinfurth im Besitze des
Herausgehers,
Fig. 88. Ama-Xosa-Kafferfrau^ bei der Arbeit ihr junges Kind auf dem
Rücken tragend 148
Nach Gustav Fritsch, Aus Blossl^^ Fig. 17. S. 31.
Fig. 89. Japanerinnen in den Reisfeldern beschäftigt; die bei gebückten
Stellungen eintretende Verbreiterung der Gesässgegend zeigend 149
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgehers.
Fig. 90. Morn-Weiber aus den oberen Nil-Ländern, ein ungeheures Miss-
verhältniss zwischen der Länge der Beine und der Kürze des Rumpfes zeigend .... 151
638 Anhang 3.
Nach einer photographischen Aufiiahme von Dr. Bu^rd Buchta, im Besitze der Seite
Berliner anthropologischen Gesellschaft; vergl. obere Nil-L&nder (wie Taf.
L 8.) No. 101.
Fig. 91. Die Unterschiede in dem Körperbau (dem Wuchs) verschie-
dener Rassen 152
No. 1. Ein Makraka-Mädchen aus den oberen Nil-L&ndern.
Nach einer von Dr. Bichard Buchta aufgenommenen Photographie, im Besitze des
Herausgebers, vergl. obere Nil -Lander (wie Taf. I. 8.) No. 78.
No. 2. M&dchen aus Nord- Queensland in Australien.
Nach einer von Carl Crünther (Berlin) aufgenommenen Photographie, im Besitze
des Herausgebers.
No. 8. Ein Dayak -Mädchen ans S am bar an der Sfldwestspitze von Borneo.
Nach einer vom Capit&n L, F. M, Schulze (Batavia) aufgenommenen Photo-
graphie, im Besitze des Herrn Geh. Sanit&tsraths Dr. Ludwig Aschoff in Berlin.
No. 4. Ein Madi- Mädchen aus den oberen Nil- Ländern.
Nach einer photographischen Aufixahme von Dr. Bichard Buchta, im Besitze des
Herausgebers, vergl. obere Nil -Länder (wie Taf. I. 8) No. 49.
No. 5. Venus KalUpygos, griechisches Schönheitsideal weiblicher Körper-
bildung; Marmorfigpr im Museo nazionale (Borbonico) in Neapel.
Nach einer photographischen Aufnahme nach dem Originale, im Besitze des
Herausgebers,
No. 6. Ein Mondü-Weib aus den oberen Nil- Ländern.
Nach einer von Dr. Bi(hard Buchta aufgenommenen Photographie, im Besitze des
Herausgebers, vergl. obere Nil -Länder (wie Taf. I. 8) No. 81.
No. 7. Ein junges Mädchen von Samoa (Polynesien).
Nach einer von «71 Kübary aufgenommenen Photographie, aus: S Cid- See-Typen«
Anthropologisches Album des Museums Godeffroy in Hamburg. Taf. HJ. 298a.
Hamburg 1881.
No. 8. Ein Mädchen aus Wien.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers,
Fig. 92. Die Unterschiede in dem Körperbau (dem Wuchs) verschie-
dener Rassen 153
1. Carolinen-Insulanerin (Mikronesierin) von der Insel Ponap^.
Nach einer photographischen Aufnahme des Godeffroy-kVaMm (Taf. 25. No. 380).
2. Europäerin, wahrscheinlich eine Wienerin.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers,
3. Junge Javanin aus Batavia.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze der Berliner anthropo-
logischen Gesellschaft.
4. und 5. Junge Abyssinierinnen aus Beni Amer in der Colonia Eritrea.
Nach einer photographischen Aufiiahme von Dr. Georg Schweinfurth, im Besitze
der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
6. Konde-Frau vom Nyassa-See, Ost-Afrika.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers,
7. Bari-Mädchen aus den oberen Nil-Ländern.
Nach einer photographischen Aufnahme von Dr. Bi(hard Buchta, im Besitze des
Herausgebers, vergl. obere Nil-Länder (wie Taf. I. 8) No. 39.
8. Junge Europäerin, wahrscheinlich eine Magyarin aus Budapest.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
9. Hottentotten-Frau, ungefähr 22 Jahre alt, wahrscheinlich schwanger.
(Dieselbe wie Fig. 98.)
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 98. Die Unterschiede in dem Körperbau (dem Wuchs) verschie-
dener Rassen 154
1. Melanesierin, ungefähr 25 Jahre alt, von der Anachoreten-Insel Wasan.
Nach einer photographischen Aufnahme des Godeffroy-klhum, (Taf. 18. No. 800.)
2 und 3. Junge Javaninnen aus Batavia.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze der Berliner anthropo-
logischen Gesellschaft.
B. Text-Abbildungen. 639
4. Konde-Frau vom Nyasaa-See, Ost-Afrika. Seite
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
5. Europäerin, wahrscheinlich Wienerin.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers,
6. Zulu-Weib, Süd-Afrika.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
7. Buschmann-Frau, ungef&hr 29 Jahre alt.
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
8. Junges Papua-Mädchen von der Gazellen-Halbinsel von Neu-Bri-
tannien (Neu-Pommern).
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 94. Hinteransicht einer erwachsenen jungen Europäerin (wahr-
scheinlich einer Oesterreicherin) zum Vergleiche mit Fig. 95 dienend 156
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
Fig. 95. Hinter- Ansicht eines Aschanti-Mädchens von 16 Jahren . . . 156
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl CHiMher in Berlin, im Besitze
des Herausgebers.
Fig. 96. Beginnende Steatopygie bei einem ungefähr 8jährigen Busch-
mann-Mädchen aus der Kalahari-Wüste, der Truppe der Fartnt'schen Erd-
menschen angehörend 157
Nach einer photographischen Aufnahme von Professor Dr. Felix von Lust^fit im
Besitze des Herausgebers.
Fig. 97. Hochgradige Steatopygie bei einem Eoranna-Weibe, Süd-
Afrika 158
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze der Berliner anthropo-
logischen Gesellschaft.
Fig. 98. Steatopygie bei einer Hottentotten-Frau von 22 Jahren (dieselbe
Person wie Fig. 92. No. 9) 159
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 99. Steatopygie und Fettleibigkeit bei einer Bongo-Frau, Gentral-
Afrika 159
Aus Georg SchtceinfurÜh (wie Fig. 40 No. 8) Vol. IL p. 121.
Fig. 100. Mädchen von der Zwergrasse der Ewe (StuMmann's Pygmäen
vom Ituri in Ost- Afrika), mit Namen Sh^anayo, ungefähr 20 Jahre alt, mit Stea-
topygie, kleinem Nabelbruch und halbkugelig der Mamma aufiBitzendem Warzenhofe . 160
Nach einer photographischen Aufiiahme des Geheimen Medicinalrath , Professor
Dr. Gustav Früsch in Berlin, im Besitze des Herausgebers.
Fig. 101. Steatopygie bei einer äthiopischen Araberin (Fürstin). Das
Original dieser Darstellung befindet sich auf einer altägyptischen Reliefplatte aus den
Pyramidengräbem von Saqara in Aegypten 161
Aus Johannes Dümichen: Resultate der auf Befehl Sr. Majestät des Königs TFt2^2iti
von Preussen im Sommer 1868 nach Aegypten entsendeten archäologisch-photo-
graphischen Expedition. Theil I. Tafel 57. Berlin 1869.
Fig. 102. Hottentottenschürze. Die vergrösserten, aus der Schamspalte
hervorhängenden kleinen Schamlippen einer (breitbeinig sitzenden) Hottentotten-
Frau 167
Nach einer Photographie im Besitze der Berliner anthropologischen Ge-
sellschaft.
Fig. 108. Hottentottenschürze. Die vergrösserten, aus der Schamspalte her-
vorhängenden kleinen Schamlippen einer (in Rückenlage befindlichen) Hottentotten-
Frau sind möglichst breit aus einander gelegt, um den hohen Grad der Vergrösserung
zu zeigen 168
Nach Tafel III. Fig. 1 der Veröffentlichung von F. Piron und A. Lesueur:
Observation sur le tablier des femmes Hottentottes, und Baphad Blanchard:
Une ^de critique sur la Steatopygie et le tablier des femmes Boschimanes.
Meulan 1883.
Fig. 104. Holzgeschnitzte Figur der Enopneusen im nördlichen Transvaal
(Südost- Afrika). Diese geschnitzte weibliche Figur wurde von dem Director des
Berliner Missionshauses Herrn D. Wangemann von seiner letzten afrikanischen
Inspectionsreise nebst zwei ähnlichen männlichen Figuren mitgebracht und befindet
640 Anhang 8.
sich jetzt in dem Mnaeum des Berliner MissionshaaseB. Er hielt sie für eine Arbeit Seit«
der Bawaenda; sieiat aber von den mit den letzteren zusammenlebenden Enopneasen
gefertigt. Sie stellt eine Enopneusen-Fraa in vollem Ck>8tflm dar; die Schamtheüe
sind mit ziemlicher Sorgfalt ausgearbeitet und lassen deutlich die vergrOsserten und aus
der Schamspalte hervorhängenden kleinen Schamlippen erkennen. Diese Theile werden
gut sichtbar, wenn man die Figur ein wenig vornüber neigt und von hinten her be-
trachtet. So ist sie in der gegebenen Abbildung dargestellt worden. Die Bedeutung
dieser Figuren ist nicht bekannt 171
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 105. Holzgeschnitzte Frauen-Figur aus Neu-Britannien mit klaffen-
der Vulva und daraus hervorh&ngenden stark vergrOsserten Nymphen 172
Im Besitze des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 106. Holzgeschnitzte Figur der Bongo (Central -Afrika). Zur Er-
innerung an eine verstorbene Frau in der Hütte oder am Qrabe aufgestellt, deutlich
die künstlich verlängerte Glitoris zeigend 173
Nach Gewrg Schweinfurtfß (wie Fig. 40. Ne. 4). Tab. VIII. Fig. 5.
Fig. 107. Eine verschnittene Nubierin. Statt des oberen Theils der Scham-
spalte sieht man bei ' der in der Rückenlage mit gespreizten Beinen daUegeuden Frau
eine wulstige, unregelmässige Narbe, während der untere Theil ein rundliches, trichter-
förmiges Loch darstellt 176
Nach Paoh Paneeri: Le operazioni che nell* Africa Orientale si pratioano sugli
organi genitali; in Paolo Mantegaeza: Archivio per TAntropologia e la Etnologia.
m. volume. Tavola V. Fig. 2. Firenze 1874.
Fig. 108. Verschnittene 70jährige Jungfrau aus Rnssland, der Skop-
zensecte angehörend. Die Schamspalte ist zu einem runden, trichterförmigen Loc^e |
verengt; von dessen oberem Rande eine unregelmässige Narbe bis in den Schamberg |
hinein sich erstreckt. Von der oberen Hälfte der grossen Labien, der Glitoris und den ,
kleinen Schamlippen ist keine Spur erhalten 182
Nach E, V, Pelikan: Gerichtlich medidnische Untersuchungen über das Skopzen- '
thum in Russland, üebersetzt von N, Iwanoff. Giessen und St. Petersburg 1876. I
Tafel Xin. 1
Fig. 109. Eine vernähte Nubierin breitbeinig und ganz hintenüber gelehnt
sitzend. Anstatt einer Schamspalte ist nur ein unregelmässiger Narbenstreifen sichtbar 185
Nach Paolo Panoeri (wie Fig. 107). Tavola V. Fig. 1.
Fig. 110. Eine wiederaufgeschnittene .vernäht* gewesene Sudanesin.
Man erkennt den Stumpf der abgeschnittenen Glitoris und jederseits die durchtrennte
Vemähungsnarbe 188
Nach einer nach der Natur gefertigten Zeichnung vom Geh. Medicinalrath, Professor
Dr. Bohert Hartmann (Berlin), welche letzterer dem Herausgeber freundlichst zur Ver-
öffentlichung überlassen hatte.
Fig. 111. Indische Daumenringe mit Spiegel (Arsi), von den Frauen zur
Entfernung der Schamhaare benutzt (Kaschmir). Museum für Völkerkunde in Berlin 199
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 112. Scham-Tättowirung einer Ponapesin (Carolinen-Inseln). Man
sieht, wie die Tättowirung im Stande ist, die Bekleidung zu ersetzen 200
Aus Otto Finsch: üeber die Bewohner von Ponapö (östl. Gardinen).
Nach eigenen Beobachtungen und Erkundigungen. Zeitschrift für Ethnologie. Bd. Xu.
S. 811. Fig. 7. Berlin 1880.
Fig. 118. Scham-Tättowirung einer Pelau-Insulanerin 201
Nach J.S.Kübary: Das Tättowiren in Mikronesien, speciell in den Garo-
linen. In W. Joest: Tättowiren, Narbenzeichnen und Körperbemalen. Berlin 1887.
Seite 78.
Fig. 114. Muster der Scham-Tättowirung der Nukuoro-Insulanerinnen,
welches als Zeichen der weiblichen Geschlechtsreife eintättowirt wird 202
Nach J. S, Kubary (wie Fig. 118). S. 86.
Fig. 116. Die inneren Genitalien des Weibes 206
Nach Joan Dryander: Artzenei-Spiegel. Blatt 22. Franckfurt am Meyn.
{Chr. Egenolph.) 1547.
B. Die Text-Abbildungen. 641
Fig. 116. Eisernes Yotiybild in Krötengestali, die Gebärmufcter darstellend. Seite
Derartige Yotivfigoren werden in manchen katholischen Kirchen aufgehängt, um die
Heilung von Gebärmutterkrankheiten zu erflehen. Das Original befindet sich in dem
Museum in Wiesbaden 210
Aus Handdmann : Der Erötenaberglaube und die Erötenfibeln. Verhandlungen der
Berliner anthropologischen Gesellschaft Zeitschrift f^ Ethnologie. Bd. XIY.
8. (22). Berlin 1882.
Fig. 117. Yotivfigur aus gebranntem Thon. Diese im Museo archeo-
logico in Florenz befindliche, wahrscheinlich aus etruskischer Zeit stammende
Terracotta lässt deutlich den Nabel und die Schamspalte und dazwischen in einem fenster-
artigen Ausschnitte der Bauchdecken die Gebärmutter mit dem Muttermunde erkennen.
Diese Figuren hatten zweifellos einen ganz ähnlichen Zweck, wie die christlichen Yotiv-
bilder (Fig. 117) 212
Nach einer Skizze des Herausgeben.
Fig. 118. Die GrOssen-Typen der weiblichen Brust bei Europäerinnen 216
a. (Wahrscheinlich) eine Wienerin mit starken Brüsten.
b. (Wahrscheinlich) eine Magyarin mit vollen Brüsten.
Nach photographischen Au&ahmen im Besitze des Herauegebers.
Fig. 119. Die Grössen-Typen der weiblichen Brust bei Europäerinnen 217
c (Wahrscheinlich) eine Magyarin mit massigen Brüsten,
d. (Wahrscheinlich) eine Magyarin mit schwachen Brüsten.
Nach photographischen Aufnahmen im Besitze des Herausgebers.
Fig. 120. Zulu- Frau (Mulattin?) im Anzug mit hochgeechobenen , scheinbar
Yollen Brüsten (dieselbe wie Fig. 5) 218
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl Günther in Berlin, im Besitze
des Herausgebers.
Fig. 121. Kaffer-Mädchen aus Na tal (Süd- Afrika) mit hochgradig gewölbten
und vorspringenden Warzenhöfen auf den Brüsten 219
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Professor Dr. W. Joest
in Berlin.
Fig. 122. Die Grössen-Typen der weiblichen Brust bei fremden
Yölkern 220
a. Tinguinanin von llicos Sur (Philippinen) mit starken Brüsten.
b. Javanin (ungefähr 28 Jahre alt) aus dem Eampong Eiyan, District Sama-
rang (Java), mit vollen Brüsten.
Nach photograpldschen Aufnahmen, a. von Schadenberg im Besitze der Berliner
anthropologischen Gesellschaft; b. von C. Dietrkh (Samarang) im Besitze des
Herausgebers.
Fig. 123. Die Grössen-Typen der weiblichen Brust bei fremden
Völkern 221
c. Indianerin aus Arizona mit massigen Brüsten.
d. Bari-Weib (Central-Afrika) mit schwachen Brüsten.
Nach photographischen Aufnahmen, c. von BÜhman und Hartwell^ d. von R. Buchta.
(Die oberen Nilländer No. 87) im Besitze des Herausgebers.
Fig. 124. Tänzerin aus Algerien mit gewölbt den Brüsten aufsitzenden
Warzenhöfen 222
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Dr. jur. Freiherrn van
Oppenheim in Berlin.
Fig. 125. Bari-Weib aus Central-Afrika mit kleinen, halbkugelförmigen
Brüsten und prominirenden, halbkugelförmigen Warzenhöfen 224
Nach einer von Dr. Biehard Bttchta aufgenommenen Photographie im Besitze des
Herausgebers, vergl. Obere Nil-Länder (wie Tafel I. 8) No. 86.
Fig. 126. Die drei Festigkeits-Typen der weiblichen Brust bei
Europäerinnen 225
a. (Wahrscheinlich) eine Wienerin mit stehenden Brüsten.
b. (Wahrscheinlich) eine Magyarin mit sich senkenden Brüsten.
c. (Wahrscheinlich) eine Wienerin mit hängenden Brüsten.
Nach photographischen Aufiiahmen im Besitze des Herausgebers.
Fig. 127. Die drei Festigkeits-Typen der weiblichen Brust bei frem-
den Yölkern 226
PlosB-BartelB, Das Weib. 5. Aufl. 11. 41
642 Anhang 3.
a. Negrita von Luzon (Philippinen) mit stehenden Brüsten. Seite
b. Mincopie-Weib (Süd-Andamanen) mit sich senkenden Brüsten.
c. Samoanerin mit hängenden Brüsten.
Nach photographischen Aufnahmen im Besitze des Herauagf^bers (c. aufgenommen
von C. Günther, [Berlin]).
Fig. 128. Indianerin aus Arizona mit gewölbt den Brüsten anfidtzenden
Warzenhöfen 228
Nach einer photographischen Aufnahme von Dr. Bidiard Neuhauss in Berlin.
Fig. 129. Die drei Formen-Typen der weiblichen Brust bei Euro-
päerinnen 229
a. (Wahrscheinlich) eine Magyarin mit schalenförmigen Brüsten.
b. (Wahrscheinlich) eine Magyarin mit halbkugeligen Brüsten.
c. (Wahrscheinlich) eine Magyarin mit konischen Brüsten.
Nach photographischen Au&iahmen im Besitze des Herausgebers.
Fig. 130. Die drei Formen-Typen der weiblichen Brust bei fremden
Völkern 230
a. Malabaresin mit schalenförmigen Brüsten.
b. Australier-Mädchen, 15 Jahre alt, aus Nord-Queensland, mit halb-
kugeligen Brüsten.
c. Magungo-Mädchen, Gentral-Afrika, mit konischen Brüsten.
Nach photographischen Aufnahmen im Besitze des Herausgebers [b. aufgenommen
von 0. Günther (Berlin); c. aufgenommen von B. Buchta (Die obereren Nilländer No. 72)].
Fig. 181. Neger-Mädchen aus dem ägyptischen Sudan mit grossen, den
Brüsten halbkugelig aufsitzenden Warzenhöfen 231
Nach einer photographischen Aufnahme von Prof. Dr. Georg Schweinfwrih, im Be-
sitze des Herausgehers,
Fig. 132. Aschanti*Mädchen (West- Afrika), 16 Jahre alt, mit bereits
hängenden Brüsten; dieselbe wie Fig. 95 2S2
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl Günther in Berlin, im Besitze
des Herausgebers.
Fig. 138. Die Ziegeneuter-Form der weiblichen Brust bei fremden
Völkern 233
a. Eaffer-Mädchen, Natal.
b. Lepcha-Frau aus Sikkhim im Himalaya.
c. Makraka-Mädchen, Gentral-Afrika.
Nach photographischen Aufnahmen a. im Besitze des Herausgebers^ b. im Besitze
des Egl. Museums für Völkerkunde in Berlin, c. im Besitze des Herausgebers,
aufgenommen von B. Buchta (Die oberen Nilländer No. 78).
Fig. 184. Zwei Loango-Negerinnen (West-Afrika) mit hängenden, asym-
metrischen Brüsten. Die ältere trägt die Brustschnur 234
Nach einer photographischen Aufnahme von Oberstabsarzt Dr. Falkenstein in
Berlin, im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 135. Kaffer-Frau aus Natal (Süd- Afrika) mit grossen, stark hängenden
Brüsten und grossen, in die Wölbung der Brüste hineingezogenen Warzenhöfen .... 235
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Prof. Dr. W. Joest in Berlin.
Fig. 186. Loango - Negerin mit fingergliedähnlicher Brustwarze und abgeflachten
Brüsten 236
Nach einer photographischen Aufnahme des Stabsarzt Dr. Falkenstein, im Besitze
der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 137. Hindu -Frau mit sehr grossen Brustwarzenhöfen 237
Nach einer photographischen Aufnahme von L. Steiner, im Besitze des Herausgebers.
Fig. 138. Junge Australierin (19 Jahre alt, Mutter) vom Stamme Gudang
bei Somerset, Cap-York-Halbinsel, Queensland. Der Warzenhof ist gegen die
Mamma eingeschnürt, und sitzt der letzteren halbkugelig auf 289
Nach einer photographischen Aufnahme von Dr. OUo Finsch, im Besitze der
Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 139. Eanaken-Frau aus Honolulu, Hawaii-Inseln mit sehr grossen
Brustwarzenhöfen 240
Nach einer photographischen Aufnahme von Dr. Bichard Neuhauss (Berlin), im
Besitze des Herausgdfers.
B. Die Text-Abbildnngen. 643
Fig. 140. Loango-Negerin (Südwest-Afrika) mit der Brustschnar. Letztere Seite
ist dicht an der oberen Grenze der vollen, halbcitronenförmigen Brüste fest um den
Thorax gebunden 241
Nach einer von Oberstabsarzt Dr. FciOcenstein (Berlin) aufgenommenen Photo-
graphie, im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 141. Frau ausTunis, die bereits geboren hat, mit hochgradig ausgebildeter
Ziegeneuter-Form der Brust 243
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers,
Fig. 142. Corset der Ossetinnen (Kaukasus). Dasselbe wird den jungen
M&dchen im 7. oder 8. oder im 10. oder 11. Jahre umgelegt und bleibt unverändert
liegen, bis es der Br&utigam in der Brautnacht mit seinem Dolche der Neuvermählten
abschneidet 245
Nach E, Ä. PokrotosJcy: Physische Erziehung der Kinder bei den verschiedenen
YOlkem, vorzugsweise Russlands (russisch). Moskau 1884. Fig. 191. S. 292.
Fig. 143. Tättowirung der Brüste bei den Tanembar-Insulanerinnen.
Die Einwohnerinnen der Tanembar-Inseln im alfurischen Meere sind an der Stirn,
an dem linken Arme, an den Händen und auf der Brust mit besonderen Zeichen tättowirt.
Die Tättowirung der Brdste besteht in einer kreisfiirmigen Einschliessung des Warzen-
hofes, von welcher stemartig gerade oder gebogene Strahlen über den Hügel der Mamma
verlaufen. Zwischen den Brüsten ist ein System von Punkten eintättowirt, welche eine
horizontale Linie bilden, von der zwei Rauten und zwei halbe Rauten (also Dreiecke)
herabhängen. Die Tättowirung oberhalb der Brüste stellt einen stylisirten, sich um-
blickenden Yogel dar . . 246
Nach Joh. Gerhard Frxedr, Riedel^ \ De sluik en kroesharige Rassen, tuschen
Selebes en Papua. Platt XXX. Fig. 13 u. 14. 's Gravenhage 1886.
Fig. 144. Zwanzigjährige russische Jungfrau, zur Skopzen-Secte ge-
hörig. Beide Brüste sind abgeschnitten und an ihrer Stelle besteht jederseits eine
breite Narbe 247
Nach E. V, Pelikan (wie Fig. 108) Tafel IX.
Fig. 145. Martyrium der heiligen Agathe, Gemälde von SebasÜano del
Piombo in der Galer ia Pitti in Florenz 248
Nach einer photographischen Au&ahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 146. Die heilige Agathe, ihre abgeschnittenen BrQste präsentirend. Ge-
mälde von Lorengo Lippi in der Galerie der IJffizien in Florenz 249
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 147. Drei Wassergefässe aus Thon von den Zuni-Indianern der
Pueblos von Arizona, in Gestalt von Weiberbrüsten 251
Nach Fr. H. Cushing, A study of Pueblo Pottery etc. Fourth Annual Report,
Bureau of Ethnology, Washington 1886. p. 512. 513. Fig. 547—49.
Fig. 148. Magungo- Mädchen (Ost- Afrika) im Backfischalter, im Stadium der
ersten Entwickelung der Primär-Mamma mit stark ausgebildeten Brustwarzenhöfen in
Halbkugelform 267
Nach einer von Dr. Bichard Buchta aufgenommenen Photographie, im Besitze der
Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 149. Fjeld-Lappen-Mädchen aus Kautokeina am Altenfjord (Nor-
wegen) im Backiischalter (15 Jahre alt), mit fertig entwickelter Primär-Mamma und
scheibenförmigen Brustwarzenhöfen mit prominenten Brustwarzen 270
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl Günther (Berlin), im Besitze
des Herausgebers.
Fig. 150. Neger-Mädchen von der Loango - Küste (West-Afrika) im
Backfischalter, im Stadium der stark ausgebildeten Halbkugelform der Brustwarzenhöfe,
welche bereits vor Entwickelung der Primär-Mamma eine Neigung zum üeberhängen
zeigen 271
Nach einer photographischen Aufnahme von Oberstabsarzt Dr. FaXkenstein (Berlin),
im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft
Fig. 151. Frau aus der Gegend von Bangalore, Süd-Indien, der dem
Dravidischen Stamme zugehörigen Burulu Kodo Vokaligaru-Secte an-
gehörend, welcher in der Bandi D^vurü-Geremonie bei Gelegenheit der feierlichen
Durchbohrung der Ohren und Nase ihrer ältesten Tochter die Nagelglieder des Ringfingers
und des kleinen Fingers der rechten Hand amputirt worden sind 272
41*
644 Anhang 8.
Nach der nach einer photographischen An&iahme gefertigten Abbildung bei Ferd. Seite
Fawcett: On the Berala Eodo, a Sab-Sect of the Moras Yocaligaru of the
Mysore Province. The Journal of the Anthropological Society of Bombay.
Vol I. 1889.
Fig. 152. Kleines Mädchen ans West-Afrika, angeblich aus Dahome, in
der Periode der zweiten Streckung 274
Nach einer photographischen Aufnahme von Franz Görke (Berlin), im Besitze
des Herausgebers,
Fig. 158. Kleines Mädchen von Celebes, Prinzessin vonWadjo, im
kindlichen Alter nach der Periode der ersten Streckung 275
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers,
Fig. 154. Kleines Mädchen von der Insel Serang (Ceram) in der Periode
der zweiten Streckung mit noch puerilen Brustwarzen 276
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze der Berliner anthropolo-
gischen Gesellschaft.
Fig. 155. Drei Ahuse-Mädchen vom Yolta-River, Gold-Kflste (West-
Afrika) 277
1. Auf der Erde sitzend ein Kind aus der Periode der zweiten Streckung mit noch
puerilen Brustwarzen.
2. Stehend ein fast reifes Mädchen mit fertig entwickelter Primär-Mamma und
halbkugelförmigen Brustwarzenhöfen.
3. Auf dem Stuhle sitzend ein älteres erwachsenes Mädchen.
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
Fig. 156. Neger-Mädchen von der Loango-Küste (West-Afrika) im
Backfischalter in dem Stadium des Ueberganges von der puerilen zur Halbkngelform
der Brustwarzenhöfe 278
Nach einer von Oberstabsarzt Dr. Falkenstein (Berlin) aufjgenommenen Photo-
graphie, im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 157. Australierin aus Nord-Queensland im Stadium der Halbkugel-
form der Brustwarzenhöfe yor Entwickelung der Primär-Mamma 279
Nach einer von Bayliss (Sydney) aufgenommenen Bhotographie im Besitze des
Herausgebers,
Fig. 158. Kaffer-Mädchen aus Natal (Süd- Afrika) im Backfischalter, im
Stadium der stark ausgebildeten Halbkugelform der Brustwarzenhöfe vor Entwickelung
der Primär-Mamma 280
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Prof. Dr. W, Joest (Berlin).
Fig. 159. Andamanen-Insulanerin (Mincopie-Mädchen) im Backfisch-
alter, im Stadium der stark ausgebildeten Halbkngelform der Brustwarzenhöfe vor der
Entwickelung der Primär-Mamma 281
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 160. Kaffer-Mädchen aus Britisch-Kafferland (Süd-Afrika) im
Backfischalter, im Stadium der beginnenden Entwickelung der Primär-Mamma mit halb-
kugelförmigen Brustwarzenhöfen 282
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Professor Dr. Wilhelm
Joest (Berlin).
Fig. 161. Kaffer-Mädchen aus King-Williams-Town, Britisch-Kaffer-
land (Süd-Afrika) im Backfischalter, im Stadium der entwickelten Primär-Mamma mit
halbkugelförmigen Brustwarzenhöfen 288
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Professor Dr. TT. Joest
(Berlin).
Fig. 162. Neger-Mädchen von der Loango-Küste (West-Afrika) im Back-
fischalter, im Stadium der sehr stark ausgebildeten Halbkugelform der Brustwarzenhöfe,
welche bereits vor der Entwickelung der Primär-Mamma eine erhebliche Neigung zum
Ueberhängen zeigen 284
Nach einer photographischen Aufnahme von Oberstabsarzt Dr. Falkenstein
(Berlin), im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 168. Neger-Mädchen aus Chinchoxo an der Loango-Küste (West-
Afrika) im Backfischalter, im Stadium der fertig entwickelten und bereits überhängen-
den Primär-Mamma mit scheibenförmigen Brustwarzenhöfen und prominenten Brust-
warzen 286
B. Die Text-Abbildungen. 645
Nach einer photographischen Aufnahme Ton Oberstabsarzt Dr. FaJkenstein (Berlin), 8«it«
im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft
Fig 164. Akka-M&dchen (Ost-Afrika) im Backfischalter, im Stadium der
fertig entwickelten Primär-Mamma mit scheibenförmigen BrustwarzenhOfen und promi-
nenten Brustwarzen 287
Nach einer photographischen Aufnahme von Dr. Riehard Buchta, im Besitze des
Herausgebers,
Fig. 165. Eaffer-M&dchen, Süd-Afrika; vier Stadien der Entwickelung der
Brüste zeigend.
a. die Knieende, mit der Halbkugelform der BmstwarzenhOfe vor der Ent-
wickelung der primären Mamma.
b. die hinter der vorigen Stehende, mit beginnender Entwickelung der primären
Mamma, aber noch erhaltener Halbkugelform der Brustwarzcmhöfe.
c. die hinter der Sitzenden Stehende, mit fertig entwickelter primärer Mamma
und scheibenförmigen Bmstwarzenhöfen und prominenter Brustwarze.
d. die Sitzende mit fertig ausgebildeten jungfiräulichen Brüsten 289
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgdfers.
Fig. 166. Deutsches Mädchen von 8 Jahren mit vorzeitiger Ausbildung der
Brüste und abnormer Fettleibigkeit 802
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 167. Frühreifes Mädchen, 4^/4 Jahr alt, aus St. Louis (Amerika) . . 303
Nach Zeitschrift für Ethnologie. Band VHI. Tafel XUI. Berlin 1876.
Fig. 168. Frühreifes fast dreijähriges Mädchen aus Dalheim, Ost-
preussen, mit dichter, langer Behaarung der Genitalien 305
Nach einer dem Herausgeber von Dr. Ehlers (Berlin) freundlichst überlassenen
photographischen Aufiiahme.
Fig. 169. Frühreife Berlinerin im fast vollendeten 5. Lebenigahre mit dichter
Schambehaarung, aber puerilen Brüsten 306
Nach einer photographischen Aufnahme von Carl CHinther in Berlin, im Besitze
des Herausgd>er8.
Fig. 170. Kopfputz einer reifgewordenen (zum ersten Male menstruirenden)
Hoskaruth- Indianerin in Vancouver. Er ist aus Cedembast gefertigt und mit
Gattun, Glasperlen und den Schnäbeln eines Fisches, des Seepapagei, behängt 823
Kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin. Nach der photographischen
Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 171. Krobo-Mädchen von der Goldküste (West-Afrika) in der Tracht
der beginnenden Mannbarkeit 325
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgdters,
Fig. 172. Rechte Hälfte einer bemalten Holzwand der Nootka-In-
dianer in Britisch-Columbien, welche bei dem Beifefeste der zum ersten Male
menstruirenden Jungfrau benutzt wird, um letztere, während sie abgesondert auf der
Plattform des Hauses sitzt, zu verbergen. Die Figuren stellen den Donnervogel und
Wale dar 332
Aus Boas, Frans: Second General Report on the Indians of British Co-
lumbia. Sizth Report on the North Western Tribes of Canada. British
Association for the Advancement of Science. London 1891.
Fig. 173. Nordamerikanische Indianerin, wahrscheinlich vom Stamme der
Dacota, abgesondert im Menstruations-Zelte 845
Nach Henry B, Schoolcraft: Indian Tribes of the United States. Part Y.
Plate 3. Capt. 8. Eastman ü. S. Am. delin. Philadelphia 1855.
Fig. 174. Holzgeschnitzte weibliche Figur aus Neu-Britannien,
welcher ein Nashornvogel mit dem Schnabel etwas aus den Geschlechtstheilen zieht . . 353
Im Besitze des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Au&ahme des Herausgebers.
Fig. 175. Holzgeschnitzte weibliche Figur auf einer langen Holz-
planke von einem Absonderungshause für heranreifende junge Mädchen aus
dem Dorfe Snam bei Finschhafen (Neu- Guinea). Ein nur theilweise im Bilde
wiedergegebenes Krokodil beisst in den Kopf der Frau, während ein zweites Krokodil
mit dem Maule etwas aus ihren Geschlechtstheilen zieht 354
546 Anhang 3.
Im Besitze des Kgl. Maseums fflr Völkerkunde in Berlin. Seite
Nach der photographischen Anfhahme des Herausgebers.
Fig. 176. Holzgeschnitate weibliche Figur auf einer langen flolz-
planke von einem Absonderungshause für heranreifende junge Mädchen
aus dem Dorfe Snam bei Finschhafen (Neu-Guinea). Aus ihren Geschlechta-
theilen kriecht eine Schlange herror 355
Im Besitze des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufiiahme des Herausgdfers,
Fig. 177. Holzgeschnitzte weibliche Figur von der Mitte einer langen
Holzplanke von einem Absonderungshause für heranreifende junge Mäd-
chen aus dem Dorfe Suam bei Finschhafen (Neu-Guinea). Aus ihren Ge-
schlechtsiheilen tritt ein rother Gegenstand heraus 356
Im Besitze des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufiiahme des Herausgebers.
Fig. 178. Madchen der Nep-Nep (Botokuden) vom Bio das Pancas
(Brasilien) vollständig nackt auf der £rde sitzend und mit den Beinen ihre Scham-
iheile verdeckend 361
Nach einer von Dr. Faul Ehrenreick (Berlin) aufgenommenen Photographie, im
Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft
Fig. 179. Junges M&dchen der Feuerländer, 18^2 Jfthr alt, ihre Scham-
iheile mit der Hand verdeckend 362
Nach einer photographischen Au&ahme von Hyades und Deniker: Mission
scientifique au Gap Hörn. Paris 1891. PI. XII. Fig. 1.
Fig. 180. Feuerländerinnen im Sitzen sich mit den Beinen die Schamiheile
verdeckend.
Die Kauernde rechts ist ungefähr 40 Jahre; ihre Nachbarin, mit dem 5jährigen
Knaben auf dem Rücken, ist ungefähr 25 Jahre; von der folgenden Frau ist das Alter
nicht angegeben und die geradesitzende Frau links ist ungefähr 30 Jahre alt 363
Nach einer photographischen Aufoahme von Hyades und Deniker^ wie Fig. 140.
PL XVUI.
Fig. 181. Verheirathete Frau der Tornehmen Klasse in Tunis tief
verschleiert, im Strassencostfim, um ins Bad oder zu einem Besuche zu gehen . 367
Nach einer photographischen Anfimhme im Besitze des Herausgebers,
Fig. 182. Manrin aus Algier, verschleiert. Der ausserordentlich feine
Schleier gestattet das ganze Gesicht deutlich zu erkennen 368
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Dr. Freiherm von Oppen-
heim (Berlin).
Fig. 183. Darstellung eines schamhaften Weibes 370
Holzschnitt vom Jahre 1531, aus Johann von Schwartzenberg, Officia M, T, C.
Bl. XXX. b.
Fig. 184. Unverheirathete Igorrotin (Philippinen) vor der Sohlaf-
hütte der Mädchen kauernd 374
Nach einer photographischen Au&ahme von Alexander Schctdetiberg (Manila),
im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 185. Eine Frau mit dem Keuschheitsgürtel, aus einem anonymen
Stich des 16. Jahrhunderts 379
Nach dem Facsimile bei Georg Hirth: Cnlturgeschichtliches Bilderbuch aus drei
Jahrhunderten. Band I. Fig. 379. München, ohne Jahr (1885).
Fig. 186. »Von unehrlicher Vnkeuschheit* 380
Nach einem Holzschnitt aus Francisci Petrarchae Trostspiegel in Glück und Un-
glück u. 8. w. Frankfurt am Mayn (Christ. EgencHfPs Erben) 1584. Cap. CX.
Bl. 201 b.
Fig. 187. Der Planet Venus und die Fenu«-Kinder 381
Nach Barihohmäus Zeitblom, Aus dem mittelalterlichen Hausbuch des Fürsten
Friedrich von Waldburg- Wolfegg, Herausgegeben von dem Germanischen Museum
in Nürnberg. Leipzig. 1866. S. 15.
Fig. 188. Der Tanz 382
Holzschnitt Tom Jahre 1584 aus Petrarchae Trostspiegel in Glück vnd Unglück.
BL21 h. wie Fig. 186.
B. Die Text-Abbildungen. 647
Seite
Fig. 189. Badeleben im 16. Jahrhundert 883
Nach einem Holzschnitt ans GwaUherua Byff: Spiegel nnd Regiment der
Gesnndheit. Franckfort 1544.
Fig. 190. Zanberholz zur Erhaltung der ehelichen Treae der Zigeanerin
(Vorderseite) 884
Nach V, WHsheki: Amulette und Zauberapparate der ungarischen Zelt-Zigeuner
Globus. Band 59. No. 17. Braunschweig 1891.
Fig. 191. Zauberholz zur Erhaltung der ehelichen Treue der Zigeunerin
(Rückseite) 384
Nach V. Wlit^ocki wie Fig. 190.
Fig. 192. Venus obyersa. Sagittal-Durchschnitt durch einen männlichen und
einen weiblichen Körper in coitu, , Teuerem obyersam e legibus naturae hominibus
solam convenire ostendens' 404
Nach einer Handzeichnung von Leonardo da Vinci, veröffentlicht in Lüneburg 1830.
Fig. 198. Lamaistische Ti-dam-Figur (Schutzgottheit) mit seiner Yum
in der Tab-yum-Stellung d.h. cohabitirend.
Dieser Yy-Dam ist der dPal-Khar-lo-tschhen-po oder abgekürzt Khartschen
(sanskrit: Qdmahätsehakra, chinesisch: Küng'teh'td4ün'füh), Er hat einen Kopf mit
8 Gesichtern, 6 Arme und 2 Beine. Mit zwei Armen umf&ngt er seine Yum und bildet
mit den Händen eine Mudrä; mit zwei ferneren H&nden h< er zwei Schlangen, die
ihre Köpfe in seinen Mund g^esteckt haben; in dem dritten H&ndepaar h< er ein
Messer (gri-gug) und einen Donnerkeil (rdo-rje). Mit seinen Füssen zertritt er zwei
Nägas, deren geschworener Feind er ist.
Die Yum steht auf dem rechten Beine und bat das linke um die Weiche des
Y i - d a m geschlungen ; Chinesische Bronzegruppe der Pan<2er-Sammlung im Besitze des
KgL Museums für Völkerkunde in Berlin 412
Nach einer photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 194. Lamaistische Yi-dam-Figur (Schutzgottheit) mit seiner
Yum in der Yab-ynm-Stellung d. h. cohabitirend.
Dieser Yi-dam ist der dPal'Khar-lO'Sdofn'pa oder bDe-mescKhog (sanskrit: ^am-
vara, chinesisch: Sdidng-yoh^ang-fuk), Er wird immer stehend in der Umarmung mit
seiner Yum abgebildet; er hat vier Gesichter, zwei Beine, aber zwölf Arme. Mit zwei
Armen umfasst er die Yum, mit den anderen H&nden hält er als Attribute eine Elephanten-
haut, eine Trommel aus menschlichen Schädeldecken, ein hammerförmig^es Beil, ein Boil-
messer, einen Zauberstab, einen Dreizack, einen Schädel, eine Wurfschlinge und einen
viergesichtigen Kopf Brahmas, welcher den Sieg des Buddhismus über den Brahma -
nismus andeuten soll. Die die Yum umschlingenden Hände halten noch Glocke und
Donnerkeil. Die Yum umschlingt mit den beiden Schenkeln seine Weichen.
Diese Gottheit besitzt eine sehr hohe Wichtigkeit, denn als ihre Menschwerdung
gilt der Tsehangtsehc^Chuhäctu, d.h. der Grosslama von Peking.
Chinesische Bronzegruppe der Pand«r-Sammlung im Besitze des KgL Museums
für Völkerkunde in Berlin 413
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 195. Lamaistische Yi-dam-Figur (Schutzgottheit) mit seiner Yum
in der Yab-yum-Stellung d. h. cohabitirend.
Dieser Yi-dam i&t der dPal'gSang-ba''duS'pa oder Osang-dus (chinesisch:
KuÖm'isü'tsdi-pi-mih'f'uh)', er gehört der milde aussehenden Gruppe mit menschlichem
Gesicht an. Er sitzt breitbeinig 'knieend auf der Erde und hat ebenso wie seine Yum
drei Gesichter und sechs Arme. Als Attribute werden Rad, Schwert und Juvel gehalten.
Die Yum sitzt auf seinem Schoosse und umschlingt mit den beiden Beinen seine Weichen.
Chinesische Bronzegruppe der Ponder-Sammlung im Besitze des KgL Museums
für Völkerkunde in Berlin 414
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgehers.
Fig. 196. Fuchsgeist in Frauengestalt. Der Schatten lässt den Fuchskopf
und die Fuchspfote erkennen 424
Nach einem ficurbigen japanischen Holzschnitt im Besitze des Dr. Paui Ehren-
reich in Berlin.
Fig. 197. Nautsches, Tempel-Tanzmädchen und Prostituirte aus
Kaschmir 481
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgehers,
648 Anhang 3.
Seite
Fig. 198. Betrunkene Tempel-Tänzerin in Bombay 433
Nach einer phoiographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 199. Chinesisches Blnmenschiff, Hoa Thing (schwimmendes
Bordei) 434
Nach einem chinesischen Aquarell im Besitze der Frau 0. Neuhauss in Berlin.
Fig. 200. Inneres eines chinesischen Blumenbotes von Canton .... 4B5
Nach O, Schlegel: A G an ton Flower-boat. Internationales Archiv fOr Btlmo-
graphie. Band VIL Taf. 1. Leiden 1894.
Fig. 201. Gnrtisanen von Yeddo in einer Barke, nach Toyokuni I. Far-
biger Holzschnitt 436
Nach Louis Gonse, L'Art japonais. Tome I. zu pag. 42. Paris 1883.
Fig. 202. Laterne, Sonnenschirm und «Wappen* einer japanischen Prostitnirten 437
Aus einem japanischen Yerzeichniss Prostituirter im Besitze des Herau9gebers.
Fig. 208. M&dchen aus der Sahara von dem Araber-Stamme der Uled
Nail in Algerien.
Die M&dchen dieses Stammes erwerben ihre Aussteuer durch Prostitution. ... 439
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Dr. Freiherm von Oppen-
heim in Berlin.
Fig. 204. Strasse der Uled Nail in Biskra (Algerien), in welcher die dem
Araber-Stamme der Uled Nail angehörenden M&dchen wohnen, die durch Prosti-
tution und als T&nzerinnen, Wahrsagerinnen u. s. w. ihre Aussteuer erwerben 440
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Dr. Freiherrn von Oppenr
heim in Berlin.
Fig. 205. Italienische Curtisane aus der Zeit Papst Fius V. (1565). . . 441
Nach Cesare Vecellio: fiabiti antichi et moderni. Yenezia 1589. p. 24 b.
Fig. 206. Trossweib des 16. Jahrhunderts in der Tracht der deutschen Lands-
knechte 442
Nach dem Stich eines gleichzeitigen, unbekannten deutschen Meisters. Nach
OeorgHirth: Kulturgeschichtliches Bilderbuch aus drei Jahrhunderten, pag. 282.
Leipzig und München o. J.
Fig. 207. Postituirte aus Bologna vom Jahre 1589 443
Nach Cesare Vecellio wie Fig. 205. p. 202.
Fig. 208. Prostituirte von der Insel Rhodos vom Jahre 1589 444
Nach Cesare Vecellio wie Fig. 205. p. 405.
Fig. 209. Prostituirte aus Venedig vom Jahre 1589 445
Nach Cesare Vecellio wie Fig. 205. p. 113.
Fig. 210. Die Nonne b^xu Hans Holbein's To dient auz, in der Gesellschaft ihres
Liebhabers vom Tode überrascht ^
Nach Friedrich lAppmann: Der Todtentanz von Hans Hdbein. No. 35 (Die
Nonne). Berlin 1879.
Fig. 211. Niederl&ndisches Frauenhaus (1500—1555). Oelgem&lde «on /a»
Sanders, genannt Jan van Hemessen, in der Gem&lde-Galerie des Egl. Museums in
Berlin; bezeichnet: .Eine lustige Gesellschaft' ^^
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 212. Hula-Hula-T&nzerinnen aus Hawaii 459
Nach einer photographischen Blitzlicht-Aufiiahme von, CaW Gikn^r (Berlin), im
Besitze des Herausgebers.
Fig. 213. Liebeszauber. Nach einem anonymen Gem&Ide der flandrischen
Schule des 15. Jahrhunderts, das sich in dem Museum in Leipzig befindet ^^
Aus dem Aufsatz von H. Lücke (im Text und in der Ueberschrift ist irr-
thümlich Lubke gedruckt) in C. v, Lüteow, Zeitschrift für die bildende Kunst. Bd. 17.
Leipzig 1882.
Fig. 214. Rache-Zauber einer verlassenen japanischen Braut ^^^
Holzschnitt einer japanischen Encyklop&die im Besitze des EgL Museums für
Völkerkunde in Berlin.
Fig. 215. Liebeszauber von einem Wabeno-Musikbrette der Ghippeway-
Indianer, einen in Liebesekstase die Zaubertrommel schlagenden Wabeno (Zauberer)
darstellend -i'^
B. Die TexirAbbilduogen. 649
Nach Henry f R Schookraft: Hisiorical and Statistical Information respecting the S^^
history, condition and prospecte of the Indian Tribes of the United States.
(Ethnological researches respecting the Red Man of Amerika). Philadelphia 1851-1855.
Fig. 216. Liebes-Orakel in der ^ndr^a^nacht Eine Jungfrau tritt nackt
in das Dunkle, um den zukünftigen Gatten zu erfahren 476
Vom Titelkupfer des Werkes: Die gestriegelte Bocken-Philosophia u. s. w.
Chemnitz 1709.
Fig. 217. Liebes-Orakel in der ^ndreomacht. Eine nackte Jungfrau steckt vorn-
übergebeugt den Kopf in das Ofenloch, um den zukünftigen Gatten zu erfahren. . . . 477
Wie Fig. 216.
Fig. 218. Braut-Schnupftabaksdosen der Basutho (Süd-Afrika). Es sind
kleine Kalebassen mit Perlen übersponnen 482
EgL Museum für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 219. Ausbietung des Jus primae noctis bei einer reifgewordenen
Loango-Negerin 516
Nach einer photographischen Aufnahme von FaJkenatein: Die L o an go- Küste in
72 Original-Photographien nebst erläuterndem Texte. Bl. 8. Berlin 1876.
Fig. 220. Eine Frau, welche keine Kinder erzeugen wird 547
Holzschnitt aus einer japanischen Encyklop&die der Wahrsagekunst, im
Besitze des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 221. Eine Frau, welche Kinder erzeugen wird 548
Japanischer Holzschnitt, wie Fig. 220.
Fig. 222. Votiy-Kröte aus dünnem weissem Wachs gegossen. Bei einem
Wachszieher in Salzburg 1890 gekauft 556
Solche Krötendarstellungen werden von den Weibern in Bayern, Salzburg,
Tyrol und Steyermark als Votivgabe bei bestimmten Heiligen- und Muttergottes-
bildem geopfert, um Fruchtbarkeit zu erlangen oder Krankheiten der Muetter, d. h.
der Gebärmutter zur Heilung zu bringen.
Im Besitze des Herausgebers,
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 228. Chinesische Zauberpriesterin, welche im Lande umherzieht, um
den Weibern Kindersegen zu verschaffen 558
Nach einem farbigen chinesischen Holzschnitt im Besitze des Dr. Paul Ehren-
reich (Berlin).
Fig. 224. «Debata idup", männliche und weibliche nackte Holzfiguren, welche
in Sumatra von unfruchtbaren Frauen wie Kinder auf dem Rücken getragen werden,
um Kindersegen zu erbitten 559
KgL Museum für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 225. Fruchtbarkeits-Zauber. Eine Frau, welche sich die Kleider um
die Beine zusammengebunden hat, mit erhobenen Händen im Regen stehend, während
im Vordergrunde ein knieender Mann aus den Händen Gottes ein Kind erhält .... 563
Holzschnitt vom Jahre 1584 aus Petrarehae Trostspiegel in Glück vnd Vn-
glück, wie Fig. 186.
Fig. 226. Die indischen Zwillingsmädchen Radika und Doodika mit
unvollständiger Trennung des Mittelkörpers. 8^2 Jahr alt aus Orissa, Bengalen . . 585
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgdfers,
Fig. 227. Grabstein der Siebenlinge der Familie JRdm«r in Hameln . . 590
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 228. Die Italienerin Dorothea, während ihrer neunfachen oder
elffachen Schwangerschaft 591
Aus Ambrasius Pari: De Chirurgie ende alle de opera ofte wercken.
Rotterdam 1615. p. 790.
Fig. 229. Amulet der Golden in Sibirien, welches der Schamane bei
Zwillingsgeburten herstellen muss 594
Im Besitze des Herrn ümlauff in Hamburg.
Nach einer photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 280. Hölzerne Doppel-Opferschale der Golden in Sibirien, bei
Zwillingsgeburten benutzt 695
650 Anhang 8.
Im Besitze des Herrn ümlauff in Hamburg. Seltr
Nach einer photographischen Anfnahme des Herausgebers,
Fig. 231. Herzförmiges, figuralverziertes Holztftfelchen der Wander-
Zigeuner der Donau-Länder zur Bestimmung, ob eine Frau schwang'er ist ^.'t
Aus von Wlishcki^, Seite 92.
Fig. 232. Darstellung einer liegenden Schwangeren, über die ein Rexin-
thier hinschreitet 6(l.
£inkratzung auf einer Rennthierschaufel aus den neolithischen Funden von Lan^iie
Basse in Frankreich. Nach Ed. Piette, L* Anthropologie Tome VI. Paris 1895.
Fig. 233. Thonfigürchen der Karayd-Indianer in Brasilien, eine
Schwangere darstellend &H
, Nach einer photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Im Besitze des Egl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 234. Thonfigürchen der Earayä-Indianer in Brasilien, eine
Schwangere darstellend 604
Im Besitze des Egl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach einer photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 235. Schwangere Japanerin im Bade, mit der Leibbinde der Schwangeren
umgürtet Etwas tiefer eine sich rasirende Nonne. Daneben eine Frau ihr Eind in das
Wasser tragend und ein Eind auf den Stufen der Badestube liegend 60i3
Nach einem japanischen Holzschnittwerke v. Hohusai im Besitze d« Herausgebers,
Fig. 236. Schwangere deutsche Patrizierin des 16. Jahrhunderts im
Gespräche mit einer Hebamme, Ton der sie Trost und Unterweisung erhält ... 606
Aus Jac. Rueff: Hebammen-Buch. Frankfurt am Mayn 1581. S. 49.
Fig. 237. Besuch der Maria bei der Elisabeth. Niederländisches Grem&lde
des 16. Jahrhunderts in der Galerie des Louvre in Paris 607
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 238. Besuch der Maria bei der Elisabeth. Gemälde des Sienesen
Giacomo Pacchiarotto in der Academia delle belle Arti in Florenz 60$
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 239. Besuch der Maria bei der Elisabeth. Ans der Holzschnitt-Folge:
Das Leben der Maria von Albrecht Dürer 609
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 240. Diana entdeckt den Fehltritt der Callisto. Gemälde von Tiziano
Vecellio in der Gemälde-Galerie des k. k. kunsthistorischen Hofmusenms in Wien BIO
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 241. Die Entdeckung des Fehltrittes ^et Callisto. Marmorrelief von
Monnat in dem Marmorbade in Cassel 611
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 242. Die Lage des £mbryo in den Eihäuten 6'<'
Aus Jacob Rueff: Hebammen-Buch. Franckfurt am Mayn 1581. S. 26.
Fig. 243. Schematische Darstellung einer schwangeren Frau, mit ge-
öffnetem Bauche und aufgeschnittener Gebärmutter, um das Stürzen des
Eindes im Mutterleibe zu veranschaulichen 61?
Nach einem Eupferstich aus dem anonymen Werke des S* J., M. D.: {Samuel
Janson, Medicinae Doctor.) Eurtze jedoch ausführliche Abhandlung von Erzeugung der
Menschen und dem Einder- Gebähren. Franckfurt am Mayn 1766.
Fig. 244. Schematische Darstellung einer schwangeren Frau, mit ge-
öffnetem Bauche und aufgeschnittener Gebärmutter, um .die rechte und
natürliche Stellung des Eindes im Mutterleibe' nach damaliger Ansicht, d.h.
das Sitzen des Eindes auf dem Muttermunde, zu veranschaulichen 619
Nach einem Eupferstich bei Gottfried Welsch: La Commare del Scipione Mercurio;
Eindermutter- oder Heb-Ammen-Buch. Wittenberg 1671.
Fig. 245. Die abnormen Lagen des Embryo in der Gebärmutter ... 621
Nach Joan. Dry ander ^ Artznei-Spiegel. Franckfurt am Mayn (Chr. Egenoiph).
1547. Bl. 5.
Fig. 246. Japanische Darstellung der Eindeslagen im Mutterleibe.
Bei der stehenden Figur sieht man eine Eopfendelage, bei den beiden Frauen links sind
Beckenendelagen dargestellt. Bei der Frau auf der rechten Seite sollte vielleicht die
Ansatzstelle der Placenta dargestellt werden. Der ganze obere Theil des Bildes ist im
Originale mit Schriftzeichen bedeckt 623
B. Die Text-Abbildungen. 651
Nach einem dem Herausgeber von Professor Dr. Wühelm Joest (Berlin) ge- Seite
sclienkten japanischen Holzschnitt
Fig. 247. Reclame-Fftcher eines japanischen Theehauses in Tokio, eine
Anzahl Ton Weibern mit geöffnetem Bauche darstellend, in welchem man die Lage des
Smbryo oder der Nachgeburt sehen kann. Diese Weiber sind so geschickt angeordnet,
«Lass sich aus fünf Oberkörpern und ebenso vielen Unterkörpern durch yerschiedentliche
Combination derselben neun Frauen constmiren lassen. Ein Knabe sitzt hinter einem
Buche yersteckt 624
Im Besitze des Herrn Dr. Pcud Ehrenreich in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 248. Menschlicher Embryo von einem Wabeno-Musikbrett der
Chippeway-Indianer (Nord-Amerika) 625
Nach Henry B. Schookraft, wie Fig. 215.
Fig. 249. Bemalte Thür aus Niederländisch Neu-Guinea, die rohe Figur
einer sitzenden Frau darstellend, in deren geöffiietem Leibe die Gebärmutter und in dieser
das Kind zu sehen ist 625
Aus F. S, A. de Clercq: Ethnographische Beschrijying van de West- en Nordkust
van Nederlandsch-Nieuw Guinea. Leiden 1893. PI. XXXIX. Fig. 8.
Fig. 250. Eierstockswassersucht bei einer Siamesin aus Bangkok.
In Folge der cystisch entarteten Eierstöcke ist der Bauch zu colossaler Grösse
ausgedehnt und zeigt erweiterte Blutadern der Haut und deutlich, gewöhnlich als
Schwangerschaftsnarben bezeichnete Narbenstreifen 627
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers.
Fig. 251. Pasah Eangkamiak, Yotivhäuschen der Oloh Ngadju auf
Borneo, welche erbaut und in denen HQhner geopfert werden, um schwangere Frauen
vor den Eangkamiak, den Geistern von Frauen, welche während des Gebarens ge-
storben sind, zu schützen, damit diese nicht die Geburt erschweren oder verhindern. . 632
Nach F. Grabowsky: üeber verschiedene weniger bekannte Opfergebräuche bei
den Oloh Ngadju in Borneo. Internationales Archiv ftlr Ethnographie. Bd. L S. 132.
Taf. X. Fig. 4. Leiden 1888.
Fig. 252. Muster auf einem Bambusstück, Tahong, welches die
Schwangeren bei den Orang-Semang in Mälacca als Talisman tragen . . 635
Nach Grünwedel und Vaugltan Stevens, Zeitschrift für Ethnologie. Band XXIV,
1892. Verhandlungen S. 466.
Fig. 253. Stickmuster der Zigeunerinnen Serbiens und Süd-Üngarns,
die Dämonen Tgulo (oben) und Tgaridyi (unten) darstellend, welche mit
ihren Kindern die Schwangeren quälen. Diese Muster werden zur Besänftigung
dieser Dämonen in die Hemdärmel gestickt 637
Aus Heinrich von Wlisloeki: Aus dem inneren Leben der Zigeuner. Berlin 1892.
S. 14. Fig. 8.
Fig. 254. Schwangere Japanerin, welcher die Leibbinde angelegt wird 640
Nach einem Holzschnitt in einem japanischen Buche im Besitze des Egl.
Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 255. Massage einer schwangeren Japanerin, von einem Manne im
Knieen ausgeführt 662
Nach einem Holzschnitt in einem japanischen Werke, welches den Titel führt:
«Wie man bei kranker Familie zu verfahren hat".
Im Besitze des Egl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 256. Massage einer schwangeren Japanerin 663
Nach einem japanischen Holzschnitt im Besitze des Egl. Museums für
Völkerkunde in Berlin.
Fig. 257. Abortus im dritten Monate der Schwangerschaft (Abortus
trimestriB). Die Fruchtblase ist geöffiiet worden, um den Embryo zu zeigen 682
Nach ülyssis Äldrovandi Monstrorum Historia, cum Paralipomenis Historiae Ani-
malium Bartholomaeus Anibrosinus studio volumen composuit. Bononiae 1642 p. 65.
Fig. 258. Hölzernes Götterbild aus Hawaii, das den Namen ÜCopo führt.
Dasselbe ist pfriemenförmig zugespitzt und stark abgenutzt. Es dient dazu, künstliche
Fehlgeburten hervorzurufen und Unfruchtbarkeit der Weiber zu heilen 701
Im Besitze des Egl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
652 Anhang 3.
Zweiter Band« Sei;»
Fig. 259. Aegyptisches Hieroglyphenzeichen, die Geburt darstellend IL 8
Fig. 260. Reliefbild des Gottes der Seeyogeleier Make-Make, Scalp-
turen in halberhabener Arbeit auf den Felsen am Südwestabhange des Rana Eaö aaf
Rapanui oder der Osterinsel. (Man vergleiche Fig. 78. S. 188.) » S
Nach der Zeichnung von /. Weisser in Oeisder: Die Oster-Insel. Eine StSdte
prähistorischer Cultur in der Südsee. Berlin 1888. Taf. 17.
Fig. 261. Thon-Idol von der Insel Nias (Malayischer Archipel) Namans
Adü Fangola oder Adü Ona aläve, eine schwangere Frau darstellend, welches zum
Schutze der Frucht in dem Zimmer der Ereissenden aufgestellt wird, welchem aber
auch die Schwangeren opfern, wenn sie fürchten, von dem Dämon B6chu wuUiänay
d. h. dem Geiste einer während der Entbindung gestorbenen Frau, verfolgt zu sein . 2g
Nach Elio Modigliani: ün viaggio a Nias. Fig. 187. p. 641. Milano 1890.
Fig. 262. Eine Schuli-Negerin (Central-Afrika) niederkommend, mit
Rückenstüize und Vorrichtung zum Anstemmen der Hände und Füsse « S5
Nach Bobert TT. Felkin: üeber Lage und Stellung der Frau bei der Geburt
auf Grund eigener Beobachtungen bei den Neger-Völkern der oberen Nil-Gegenden.
Fig. 18. Marburg 1885.
Fig. 268. Eine Bongo-Negerin (Central-Afrika) niederkommend, mit
horizontaler, einer Reckstange ähnlicher Handhabe • 36
Nach Bobert W. FeUcin (wie in Fig. 262) Fig. 8.
Fig. 264. Indische Gebärhütte. Nach einem Wandgemälde eines Tempels
in Sikhim , 44
Aus The Gazetteer of Sikhim. Edited in the Government Secretariat. Calcutta
1894. Flate VH.
Fig. 265. Gebärhütte der Gomanche-Indianer. Eine Comanche-In-
dianerin kreissend von einer anderen am Leibe gestrichen , 46
Nach G, J, Engelmann: Die Geburt bei den ürvölkem. Uebersetzt von C. Hewnig.
Wien 1884. Fig. 19, welche nach der Skizze des Armeearztes Mi^or W, JET. Forwood
gefertigt wurde.
Fig. 266. Schwangere Japanerin, welche eine schwere Entbindung
haben wird. Grosse Aquarell-Darstellung in einem als physiognomische Studien be-
zeichneten Sammelbande von Handzeichnungen des berühmten japanischen Malers
Maruyama Ohio aus dem 18. Jahrhundert, im Besitze des EgL Museums für
Völkerkunde in Berlin , 53
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgdters.
Fig. 267. Schwangere Japanerin, welche eine leichte Entbindung
haben wird. Grosse Aquarell-Darstellung in einem als physiogpiomische Studien be-
zeichneten Sammelbaude von Handzeichnungen des berühmten japanischen Malen
Maruyama Ohio aus dem 18. Jahrhundert, im Besitze des Egl. Museums für
Völkerkunde in Berlin , 64
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 268. Tzaun, holzgeschnitztes Idol der Golden (Sibirien),
welches im Geburtszimmer aufgestellt wird, um die Schmoren der
Geburtswehen zu mildern; in der Gestalt einer schwangeren Frau , 67
Im Besitze des EgL Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 269. Hebamme und ihre Gehülfinnen, eine Niederkommende
unterstützend 83
Nach einem Wandgemälde eines Tempels in Sikhim.
Aus The Gazetteer of Sikhim, wie Fig. 264.
Fig. 270. Italienische Hebamme des 17. Jahrhunderts vor einer Ereis-
senden, welche sich in deijenigen Geburtsstellung befindet, die sehr dicke Frauen ein-
nehmen sollen , 99
Aus Scipione Mereurio: La Commare oriccoglitrice. Venetia 1621. p. 177.
Fig. 271. Italienische Geburtsscene (16. Jahrhundert). Nach CHulio
Bomano a 100
Aus Ploss^^ S. 19.
Fig. 272. Eine Entbindung im Stehen in Italien im 16. Jahrhundert.
Malerei in einer Majolica-Sohale aus ürbino, einer sogenannten Frauenschale,
B. Die Text-Abbildungen. 653
«codella delle donne, wie sie benutzt wurde, um Wöchnerinnen Stärkungen zu Seite
iDringen. (Man yergleiche Fig. 887 S. 844 die Schale links vom Beschauer.) .... II. 101
Im Besitze des Egl. Kunstgewerbe-Museums in Berlin.
Nach der photographischen Aufhame des Heratugebers.
Fig. 278. Eine Entbindung im Sitzen in Italien im 16. Jahrhundert.
Malerei in einer Majolica-Sohale aus Urbino, einer sogenannten Frauenschale,
scodella delle donne, wie sie benutzt wurde, um Wöchnerinnen Stärkungen zu
'bringen. (Man vergleiche Fig. 887 S. 844 die Schale rechts vom Beschauer.) . . . ^ 102
Im Besitze des Egl. Kunstgewerbe-Museums in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 274. Unterricht in der Geburtshfilfe. Initialen-Miniature aus dem
15. Jahrhundert. Nach einer belgischen Pergamenthandschrift des Galenus in der
königlichen Bibliothek in Dresden ^ 105
Nach Ludwig Choulant: Geschichte und Bibliographie der anatomischen Ab-
bildung nach ihrer Beziehung auf anatomische Wissenschaft und bildende Kunst.
Leipzig 1852. Farbentafel Fig. 2.
Fig. 275. Deutsche Hebamme des 16. Jahrhunderts einer auf dem
-Geb&rstuhl Niederkommenden beistehend. Im Hintergrunde stellen zwei
Männer das Horoscop. Wahrscheinlich gezeichnet von Hans Burgkmair , 111
Aus Jacob Bueff: Hebammen - Buch. Frankfurt a. Mayn (Sigmund Feyer-
•abendt) 1581.
Fig. 276. Deutsche Yolks-Hebamme aus dem Anfange des 18. Jahr-
hunderts, bezeichnet als «die unvorsichtige Kindermutter*. Sie steht vor
•einem Tische, auf welchem neugeborene Kinder liegen, welche sie bei der Geburt in
Stücke gerissen hat. In der Hand hält sie ein Stflck, das wahrscheinlich eine heraus-
gerissene Gebärmutter darstellen soll. Im Hintergrunde sitzt eine Kreissende auf dem
Gebärstuhl , 118
Titelkupfer von «Des Getreuen Ee^rtWs Unvorsichtige Heb- Amme. Leipz. 1715.
Fig. 277. Eine Entbindung im 17. Jahrhundert auf dem Stuhle
•durch den Ghirurgus , 118
Nach einem Kupferstich in dem anonymen Werke des jSi. J,, M, D. {Samuel
Jansan, Medieinae JDoctorJ: Abhandlung von der Erzeugung der Menschen und dem
Kinder-Gebären. Frankfurt am Mayn. 1766. (üebenetzung nach der vierten Hol-
ländischen Ausgabe.) Taf. VI.
Fig. 278. Eine Entbindung im 17. Jahrhundert auf dem Lit de mis^re.
Die Hebamme stützt den Damm bei soeben durchschneidendem Kindskopfe. Nach
einem Stiche von Abraham Bosse , .122
Nach der Abbildung Fig. 280 bei G. J. Witkowski: Histoire des accouchements
chez tous les peuples. Paris s. a. (1888). p. 859.
Fig. 279. Besuch bei einer entbundenen Chinesin. Die alte Hebamme
hält das Kind in den Armen , 185
Nach einem chinesischen Aquarell im Besitze des Dr. Paul Ehrenreich
in Berlin.
Fig. 280. Kreissende Japanerin auf dem Geburtslager, das sich von
dem gewöhnlichen Nachtlager wesentlich unterscheidet. Eine Hebamme und eine Ge-
hülfin sind um sie beschäftigt. (Man vergleiche Fig. 282.) , 188
Nach einem Holzschnitt in einem japanischen Buche im Besitze des Kgl.
Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 281. Die Lagerung der Kreissenden im Bett bei schweren
Entbindungen „ 149
Nach einem Kupferstich in dem Werke: La Gommare del Seipione Mercurio,
Kinder-Mutter oder Heb- Ammen-Buch, Welches aus dem Italienischen in das Teutsche
versetzet Gottfried Welsch, der Artzney Doctor. Wittenberg 1671.
Fig. 282. Kreissende Japanerin auf dem Geburtslager, das sich von
dem gewöhnlichen Nachtlager erheblich unterscheidet. (Man vergleiche auch Fig. 200.)
Nach einem Holzschnitte in einem japanischen Werke, das den Titel fQhrt:
„Wie man bei kranker Familie zu verfahren hat" „ 150
Im Besitze des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 288. Afrikanerin von der Goldküste, im Hocken niederkommend.
Durchpausung einer Gravirung auf einer Kalebasse von der Goldküste „ 151
654 Anhang 3.
Im Besitze des Königlichen ethnographischen Museums in München. Sei^«
Nach einer Durchpausung des Director Dr. Buchner in M fluchen.
Fig.284. Schnitzerei aus Uitscha am Niger (West-Afrika), vielleicht
ein Idol. Die eine der untersten Figuren zeigt eine Frau, welche in knieender
Stellung niederkommt. Der Kopf der Frau dient mit zur Stütze der Plattform, welche
die Hauptgruppe tr>. Ihre nach oben gestreckten Hftnde halten sich am Rande
dieser Plattform fest. Sie liegt auf den Knieen, aber ihr Rumpf ist dabei gerade in
die Höhe gerichtet. Ihre Beine sind leicht gespreizt und aus ihren sehr deutlich zur
Darstellun g gebrachten Schamtheilen tritt gerade nach unten, das Gesicht nach yom
gekehrt, der Eopf und Hals des Kindes hervor II. 152
DasOriginalbefindetsichimMus^e d^EthnographieimTrocaderoinParis.
Nach der Abbildung Fig. 297 bei G, J, Wükowski: Histoire des accouchements
chez tous les peuples. Paris s. a. (1888). p. 414.
Fig.285. Darstellung einer kreissenden Congo-Negerin, welche auf
dem Bauche liegt. Der Kopf des Kindes ist gerade im Durchschneiden begriffen.
Eine knieende Frau ist bereit, das Kind in Empfang zu nehmen. Diese Gruppe bildet
einen Theil einer Schnitzerei, mit welchem Congo-Neger einen ElephantenstoBs-
zahn verziert haben 153
Das Original befindet sich im Mus^e d'Ethnographie in dem Trocadero
in Paris.
Nach der Abbildung Fig. 296 bei O. J, Witkovoski: Histoire des accouchements
chez tous les peuples. Paris s. a. (1888). p. 413.
Fig. 286. Indierin aus Sikhim, im Stehen niederkommend » 153
Nach einem indischen Tempelfresco, wie Fig. 264.
Fig. 287. Alt-Mexikanische Thonfigur, eine Frau darstellend,
welche im Hocken niederkommt. Hamy glaubt, dass es die Geburtsgöttin
Mixtexgue sei , 154
Das Original befindet sich im Besitze des Herrn Damour in Paris.
Nach der Abbildung Fig. 810 bei 6f. /. Witkofoski: Histoire des accouchements
chez tous les peuples. Paris s. a. (1888). p. 423.
Fig. 288. Eine Serang-Insulanerin niederkommend, schwebend mit
den über den Kopf erhobenen Armen an einen Baum gebunden, halb hängend, so
dass die Fussspitzen eben noch den Fussboden berühren , 155
Nach Engelmann (wie Fig. 265) Seite 76. Fig. 11.
Fig. 289. Madi-Negerin, auf der Erde sitzend, niederkommend, wo-
bei sie von einer anderen Frau in der Weise unterstützt wird, dass diese mit ihr
Rücken an Rücken sitzt und die Arme mit denen der Kreissenden verhakt hat . . , 155
Nach der Fig. 4 bei Eöbert W. Felkin: üeber Lage und Stellung der Frau bei
der Geburt. Marburg 1885.
Fig. 290. Deutscher Geb&rstuhl des 16. Jahrhunderts , 156
Nach Jacob Rueff (wie Fig. 242) Seite 52.
Fig. 291. Niederkunft einer deutschen Frau auf dem Geburtsstnhl.
Anonymer Holzschnitt vom Jahre 1513 157
Aus Boeslin: Der swangeren Frauen und Hebammen Rosegarten. Nach Hirth
(wie Fig. 185). Band I. Fig. 430.
Fig. 292. Perserin in Knie-Handlage niederkommend. Vorder- und
Seitenansicht. Nach einer Zeichnung Folak^s , 158
Aus PZ(w«io S. 42.
Fig. 293. Grosser Topf, in Huelva in Spanien als Geb&rstuhl dienend ,. 159
Nach A, B. Simpson: On a deliveiy-pan in use at the present time in Spain.
Edinburgh Medical Journal Vol. XI. Part IL p. 771—773. 1895.
Fig. 294. Niederkunft einer Chinesin. Die junge Mutter sitzt noch auf
dem Gebärstuhle, das Neugeborene wird eben gebadet; eine Frau bringt der Ent-
bundenen eine Erfrischung, während zwei andere Frauen sich mit einem Stück Zeug
zu thun machen, das wahrscheinlich zum Einwickeln des Kindes bestimmt ist . . . , 160
Nach einem chinesischenA quarell im Besitze d. Dr. Paul Ehrenreick in B e r 1 i n.
Fig. 295. Alt-peruanisches Grabgefäss, eine Niederkunft dar-
stellend. Die Frau sitzend, von hinten von einer Person gestüzt; die Hebamme vor
ihr, das Kind empfangend „ 161
Nach Engelmann (wie Fig. 265). Titelbild Fig. 1.
B. Die Text-Abbildungen. 655
Fig. 296. Antike Terracotta-Grnppe, aus Gypern, eine Niederkunft Seite
darstellend. Wahrscheinlich aus der Zeit der phönicischen Herrschaft. Die
Gebärende sitzt auf dem Schoosse einer anderen Person II. 162
Das Original befindet sich im Mus^e Gampana des Lonvre in Paris.
Nach einer Zeichnung von Professor Dr. Etnü Schmidt in Leipzig.
Fig. 297. Hebamme des 16. Jahrhunderts das Kind, den jungen Cicero,
herausziehend , 174
Nach Johann Freiherr von SchwarUenberg : Der Teutsch Cicero, Augspurg
(durch Heinrich Steyner) 1585. Blatt U b.
Fig.298. Alt'&gyptische Entbindungsscene aus der Ptolemäer-Zeit.
Niederkunft der Göttin Bitho, der Gemahlin des Gottes Mandu, mit dem kleinen
Harphre , 177
Basrelief aus dem Mammisi des Tempels von Esneh (Hermonthis).
Nach der Fig. 218 bei G. J. Witkotoski: Histoire des accouchements diez tous
las peuples. Paris s. a. (1888). p. 344.
Fig. 299. Niederkunft auf dem Gebärstuhl. Antike Kalkstein-Gruppe ans
griechischer Zeit Votivgabe aus dem Aphrodite-Tempel von Golgoi (Agios
Photios) auf Cypern. Gefunden von Luigi Palma di Cesnola , 179
Das Original, 6V2 englische Zoll hoch imd 11 8/4 Zoll lang, befindet sich im Metro-
politan Museum of Art in New York.
Fig. 300. Die Geburt des Kaisers Titus, Deckengemälde, in dem Palaste des
TittM auf dem E squilin in Rom , 181
Aus Pto««J0 s. 16.
Fig. 301. Bali-Negerin ,aus dem Waldlande" (Hinterland von
Kamerun) mit grossem Nabelbruch in Folge zu kurzer Abnabelung , 193
Nach einer photographischen Auftiahme von Dr. Eugen Zintgraff (wie S. 153
Zintgraff: Nord-Kamerun. Berlin 1895).
Fig. 302. Holzgeschnitzter Bogenhalter aus TJguha, südwestlich
vom Tanganyika-See, eine weibliche Gestalt darstellend, mit grossem Nabelbruch
und Schmucknarben am Bauche; mit den Händen hält sie ihre Brüste , 195
Mitgebracht von Hermann Wissmann, Königliches Museum für Völker-
kunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgehers,
Fig. 303. Vier Bambus-Messer, wie sie die Kanikar im südlichen
Indien zum Durchschneiden des Nabelstranges, und zwar einzig und
allein zu diesem Zwecke, benutzen. Andere Messer dürfen nicht angewendet
werden „ 219
Im Besitze des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 304. Adlerstcin oder A^tites, Hülfsmittel bei schweren Ent-
bindungen. Es ist Thoneisenstein mit lockerem Kern, in einem Messingstreifen
gefasst und zum Anhängen eingerichtet. Aus dem Besitze eines Bauemdoctors in
St. Zeno bei Reichenhall in Bayern , 245
Eigenthum des Museums für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse
des Hausgewerbes in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 305. Kreissende Russin aus dem Stawropoler Gouvernement.
Sie wird von den helfenden Frauen durch das Gehöft geführt und muss zur Er-
leichterung der Entbindung über die Füsse ihres am Boden liegenden Ehegatten und
über das Krummholz des Mittelpferdes hinwegschreiten „ 250
Nach E. A, Pokrowsky (wie Fig. 142) Fig. 6, S. 44.
Fig. 306. Kreissende Japanerin, der eine Frau in ihrer schweren
Niederkunft mit einer Zauberformel Hülfe bringt , 254
Japanischer Holzschnitt aus einer japanischen Encyklopädie der Wahrsage-
kunst (Yedo 1856), im Besitze des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 307. Zusammengefaltetes Zauberpapier zur Beförderung einer
schweren Niederkunft in Japan , 254
Japanischer Holzschnitt aus einer japanischen Encyklopädie in der Wahr-
sagekunst wie Fig. 306.
656 Anhang 3.
Fig. 808. Niam-Niam-Frau niederkommend. Sie hat am Ufer eines S;
Gewässers aof einem Holzklotze Platz genommen, während drei Freondinxieii snr
Erleichtnng ihrer Entbindung auf Trommeln mnsiciren IL '
Nach Felkin (wie Fig. 262) Fig. 22.
Fig. 809. Rohe menschliche Thonfigürchen ans Agitome im Togo-
Gebiete, welche bei einer bevorstehenden Niederkunft vor dem Dorfe aufgestellt
werden ,2
Mitgebracht von Kling. Kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herauagdters,
Fig. 310. Darstellung einer Schwangeren auf einem Talisman aus
Dahome, welcher die Niederkunft erleichtern soll , 2<
Nach DelafoaseK L'Anthropologie Tome V. p. 571. Paris 1894.
Fig. 811. Hölzernes Idol der Golden (Sibirien), welches man bei
schweren Entbindungen der Ereissenden auf den Leib legt, um die Ge-
burt zu befördern. Es stellt eine weibliche Figur dar, auf deren Bauch sich die
erhaben geschnitzte Figur eines Kindes befindet; 9^2 Kilo schwer 21
Im Besitze des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 812. Niederkommende Kiew a- In dianer in, Tomübergebeu^t stehend
und sich an einem Zeltseile haltend. Während die Hebamme ihr ein Brechmittel in den
Mund bläst, tritt das Kind zu Tage und wird von einer der helfenden Frauen in Em-
pfang genommen , ?'
Zeichnung eines Kiowa-Indianers für den Militärarzt in Port Sill, Capitän
3f. Barher.
Nach Engelmann (wie Fig. 265) Fig. 7.
Fig. 818. „Das Sitzen auf der Matte'. Massage des Leibes zur Beförderung
der Entbindung in Japan , -''
Nach einem japanischen Holzschnitte aus einem Werke im Besitze des E gl.
Museums für Völkerkunde in Berlin. Wie Fig. 282.
Fig. 814. Niederkunft einer mexikanischen Indianerin. Auf einer
Matte knieend hält sie sich an einem Lasso fest, der an einem Balken der Hfltte be-
festigt ist. Vor ihr kniet die Parte», die eigentlich die Dienste einer Hebamme ver- i
richtende Frau, und reibt und drückt den Unterleib der Kreissenden in der Gegend |
des Gebärmuttergrundes. Die hinter der Kreissenden hockende Tenedora stützt mit
ihren Knieen deren Kreuz und umfasst von hinten her ihren Mittelkörper, die Hände |
vor der Herzgrube faltend, wodurch sie einen starken kreisförmig wirkenden Druck
auf den Unterleib der Gebärenden ausübt. (Photographische Aufnahme von San
Luis Potosi.)
Nach Engdmann (wie Fig. 265) Fig. 60.
Fig. 815. Instrument in Backstein, um bei schweren Entbindungen
den Leib zu massiren. (Philippinen-Inseln.) Das Original befindet sich im
Mus^e d'Ethnographie im Trocadero in Paris ir ^
Nach der Abbildung Fig. 449 bei G. J. WWcotoaJci: Histoire des accouchements
chez tous les peuples. Paris s. a. (1888). p. 645.
Fig. 816. Schwere Niederkunft einer Frau in Kerrie am weissen Nil.
Auf einem umgekehrten Topfe hat sie so vor der Hütte Platz genommen, dass sie sich
mit den Händen an den das Dach tragenden beiden Stützpfosten festhalten kann,
während sie die Fusssohlen gegen zwei kurze, in die Erde getriebene Holzstöcke
stemmt. Ein hinter ihr auf dem Rücken an der Erde liegender Mann hat ein Tuch
breit um ihren Unterleib gelegt und zieht mit beiden Händen gleichmässig an dessen
Enden, indess er seine FQsse gegen die Hüftbeinkämme der Kreissenden anstemmt . i
Nach FeOcin (wie Fig. 262) Tafel I. Fig. 5.
Fig. 817. Schwere Entbindung einer Goyotero-Apachen-Frau. Sie
wird von einem unter ihren Armen hindurchgezogenen Lasso über einen Baumast so
weit in die Höhe gezogen, dass sie sich in einer halbschwebenden Stellung befindet.
Eine helfende Frau umschlingt von hinten her ihren Mittelkörper mit den Armen und
übt auf diese Weise einen starken Druck auf ihren Unterleib aus •
Nach Engdmann (wie Fig. 265) Fig. 26.
Fig. 818. Die Ausführung des Kaiserschnittes an der lebenden
Kreissenden in der Mitte des 17. Jahrhunderts nach Scultetus *
B. Die Text-Abbildungen. 657
Nach der Copie bei G, J. WUk&wski Fig. 125 in Histoire des accoaohementa Seite
chez tou8 les peuples. Paris s. a. (1888). p. 269.
Fig. 319. Die Operationsstellnng für den Kaiserschnitt bei mathigen
Kreissenden II. 297
Ans Scipume Mereurio, wie Fig. 281. p. 196.
Fig. 820. Lagerung für den Kaiserschnitt bei einer schwachen
Kreissenden. Die Operation ist fast vollendet und das Kind wird eben heraus-
befördert „ 298
Aus Seipione Mercurio, wie Fig. 281. p. 197.
Fig. 321. Operationsmesser, wie es die Eingeborenen in Kahura in Gen-
tral-Afrika sur Ausführung des Kaiserschnittes benutzen « 800
Nach Felkin (wie Fig. 262) Tafel H. Fig. 19.
Fig. 822. Kaiserschnitt von Eingeborenen in Uganda (Central- Afrika)
ausgeführt. Die durch den Genuas von Bananawein narcotisirte, ungef&hr 20 Jahre
alte Patientin liegt in der Hütte auf einer erhöhten Lagerst&tte. Ein Assistent hält
ihre Füsse fest. An ihrer linken Seite steht der eingeborene Operateur, im Begriffe,
den Schnitt zu führen, während ein an der rechten Seite der Kranken stehender
Assistent bereit ist, einen Vorfall der Dftrme zu verhindern « 300
Nach Felkin (wie Fig. 262) Tafel U. Fig. 17.
Fig. 823. Vernähte Bauchwunde einer Frau in Uganda (Central-
Afrika)^ an welcher der Kaiserschnitt ausgefOihrt worden ist. (Man vergleiche
die beiden vorhergehenden Figuren.) „ 801
Nach Felkin (wie Fig. 262) Tafel IL Fig. 18.
Fig. 324. Silberne Kapsel in Herzform, einen Blutstein bergend,
der als Talisman bei Blutungen benutzt wird. Aus dem Besitze eines «Bauern-
doctors* in St. Zeno bei Reichenhall , 304
Eigenthum des Museums für die deutschen Volkstrachten und Er-
zeugnisse des Hausgewerbes in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers fast in Originalgrösse
dargestellt. Man vergleiche Fig. 325.
^ Fig. 825. Blutstein in silberner Fassung, herzförmige Paste, die als
Talisman bei Blutungen benutzt wird. Aus dem Besitze eines «Bauerndoctors*
'' in St. Zeno bei Reichenhall , 305
'^^^ Eigenthum des Museums für die deutschen Volkstrachten und £r-
l/ Zeugnisse des Hansgewerbes in Berlin.
^ Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers fast in Originalgrösse
^^'\ dargestellt. Man vergleiche Fig. 324.
Fig. 326. Talisman der Giljaken am unteren Amur (Sibirien), welcher
zum Schutze der Wöchnerin in der Hütte aufgehängt wird , 310
Nach einer photograph. Aufnahm^ im Besitze des Prof. Dr. W. Joest in Berlin.
:^'- Fig. 327. Wochenlager einer Siamesin. Die Wöchnerin liegt auf einem
^' niederen Gestell, gegen ein neben ihr angezündetes Feuer gekehrt. Letzteres wird
von einer der helfenden Frauen unterhalten, während eine andere die Glieder des
i^ Neugeborenen zurechtlegt , 814
Nach einer Photographie; aus Ploss^^ S. 15.
;b^ Fig. 328. Roucouyenne-Indianerin (Süd-Amerika) im Dampf-Bade
ri«^ gleich nach der Entbindung. Dasselbe wird hergestellt durch Aufgiessen von Wasser
^^ auf einen rothglühenden Stein , 315
liii':'^ Nach Jules Crevaux^ Von Cayenne nach den Anden. Globus. Bd. XL. S. 70.
'^P Braunschweig 1881.
Qii^ Fig. 329. Räucherung einer deutschen Wöchnerin des 16. Jahr-
p#'< hnnderts „ 816
Aus Joannes Dryander: Artsenei-Spiegel. 1547.
jo. .^' Fig. 330. Japanische Hebamme, das Neugeborene badend. Eine Ge-
^^i<H- hülfin steht, zum Abtrocknen bereit, daneben , 819
^^ Nach einem Holzschnitt in einem japanischen Buche im Besitze des Kgl.
^^^ Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 331. Wochenstube einer vornehmen Florentinerin aus dem
16. Jahrhundert. Die Geburt der Maria, Frescobild im Hofe des Servitenklosters
Santa Annunziata in Florenz, von Andrea del Sarto , 824
Ploss-Bartels, Das Weib. 5. Anfl. II. 42
W'
658 Anhang 3.
Ans A. Wolimann und K. Waermannj Geschichte der Malerei. Band II. Leipsig Seite
1882. S.613. Fig. 357.
Fig. 382. Japanische Wochenstube, als Wochenstube einer Füchsin
dargestellt II. S25
Nach einem japanischen Holzschnitt. Aus A. B. Müford: Geschichten auB
Alt-Japan, übersetzt von J, G. Kohl. Leipzig 1875. Band I. 8. 313.
Fig. 333. Japanische Wochenstube 327
Nach einem Holzschnitt aus einem japanischen Werke über die Hochzeits-
Ceremonien, im Besitze des Herausgebers,
Fig. 334. Deutsche Wochenstube des 17. Jahrhunderts. Bildliche
Darstellung auf einem fliegenden Blatte jener Zeit, betitelt: .Des holdseligen Frauen-
zimmers Eindbeth-Gespr&ch" , 339
Nach dem Facsimile bei Georg Hirth (wie Fig. 185).
Fig. 385. Wochenstube einer vornehmen Sienesin aus dem 16. Jahr-
hundert. Die Geburt der Maria, Frescobild in der Kirche San Bernardino
in Siena, von Girolamo del Pacchia , 341
Aus A. WoUmann und Z. Woermann (wie Fig. 331) 8. 691. Fig. 390.
Fig. 336. Vornehmer Wochenbesuch in Florenz im 15. Jahrhundert.
Gem&lde von Masaccio im Egl. Museum in Berlin 343
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers,
Fig. 337. Zwei sogenannte Frauenschalen, scodelle delle donne,
Majolica-Schalen aus Urbino aus dem 16. Jahrhundert Sie dienten dazu, um Wöch-
nerinnen St&rkungen zu überbringen, und sie sind im Inneren mit Entbindungsscenen
bemalt. Die innere Bemalung der Schale links (vom Beschauer) zeigt das in Fig. 272
wiedergegebene und diejenige der Schale rechts das in Fig. 273 wiedergegebene Bild , 344
Im Besitze des Egl. Kunstgewerbe-Museums in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 338. Die Geburt der Maria von Albrecht Dürer , eine deutsche
Wochenstube des 16. Jahrhunderts darstellend , 345
Nach dem Facsimile bei Georg Hirth (wie Fig. 185).
Fig. 339. Deutsche Wochenstube des 17. Jahrhunderts, wahrscheinlich
von Jost Amman , 346
Aus Bueff^s Hebammenbuch (wie Fig. 242) S. 213.
Fig. 840. «Hadjimat*, Fächer einer Wöchnerin der Battaker von
Tula Toba in Sumatra, aus dem Schulterblatte eines getödteten Feindes gefertigt , 359
KgL Museum für Völkerkunde in Berlin. (Vergl. Fig. 341.)
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 341. Ornament auf dem Hadjimat, dem Fächer der Wöchnerin aus
dem Schulterblatt eines getödteten Feindes. Gefertigt von den Battakern von Tula
Toba in Sumatra , 360
Kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin. (Vergl. Fig. 340.)
Nach genauer Abzeichnung des Originals.
Fig. 342. Kirchgang einer Pariser Wöchnerin des 14. Jahrhunderts.
(Le cort^e de la jeune m^re. Costumes des Farisiens de la fin du quatorzi^me siMe.)
Miniature aus einer lateinischen reren^er-Handschrift König CaW'5 FI. von Frank-
reich, aufbewahrt in der Biblioth^que de FArsenal in Paris , 863
Nach dem Facsimile in Pa%U Lacroix: Moeurs, usages et costumes au mojen-
äge et ä räptM[ue de la renaissance. Paris 1872. Tafel 4.
Fig.343. Junge Queensland-Australierin, welche bereits geboren u. gesäugt
hatte, mit herabhängenden, weichen, von narbenähnlichen Streifen durchsetzten Brüsten , 868
Nach einer von Carl Günther (Berlin) aufgenommenen Photographie, im Besitze
des Herausgebers.
Fig. 344. Junge Papua-Frau in den Zwanzigern vom Stamme Badulega
auf der Insel Badu (Mulgrave Island) in der Torres-Strasse. Sie hat bereits
geboren und gesängt und zeigt an ihren welk herabhängenden Brüsten narbenartige
Streifen um den Warzenhof , 369
Nach einer photographischen Aufnahme von Dr. Otto Finseh, im Besitze der
Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 345. Säugende Araucanerin aus Chile mit strotzend gefüllter Brust,
auf der £rde sitzend mit rechtem untergeschlagenem Beine, auf dem der Säugling halb-
liegend sitzt , 869
B. Die Text-Abbildnngen. 659
Nach einer von Pierre Petit (Paria) aufgenommenen Photographie, aus dem Seite
Nachlasse des Verfassers.
Fig. 346. Messingenes Figürchen der Neger der Sclavenküste (Hand-
rftucherschale). Sie stellt eine Frau dar, welche auf dem Kopf einen Hühnerkorb und
auf dem Rücken, in ein Tuch eingebunden, ihren Säugling trägt. Sie hat ausserordent-
lich verlängerte, herabhängende, ziegeneuterähnliche Brüste ll. 870
Die Figur ist von Lüderitz mitgebracht. Sie befindet sich im Kgl. Museum
für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers.
Fig. 347. Holzgeschnitztes Figürchen der Aht-Indianer in Van-
couver, eine sitzende Frau darstellend, welche bereits geboren und gesäugt hat und
welche ihre lang herabhängenden Brüste mit den Enieen stützt Kinderspielzeug . , 870
Die von A, Jaeobsen mitgebrachte Fig^ ist 18 cm hoch; sie befindet sich in dem
KgL Museum für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 848. Abyssinierin aus der Colonia Eritrea mit welken Brüsten ein
Kind säugend. . . ^ , 871
Nach einer photographischen Aufnahme von Professor Dr. Georg Schtoeinfurth,
im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 849. Loango-Negerin mit ausserordentlich hochgradig entwickelter
Hängebrust 871
Nach einer vom Oberstabsarzt Dr. FaJkenstein (Berlin) in Rincongo, dicht
bei Borna (Loangoküste) aufgenommenen Photographie, im Besitze der Berliner
anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 350. S am 0 an er in von Valealili beim Trocknen der Baumwolle, deren
Hängebrüste bei ihrer vomübergebeugten Haltung weit vom Körper abhängen. . . , 872
Nach photographischer Aufnahme des Marinezahlmeisters (S. M. S. Hertha)
G. Biemer, im Besitze des Herausgebers,
Fig.851. Holzgeschnitztes Figürchender Quacutl-Indianer (Britisch-
Columbien). Kinderspieizeug, eine säugende Frau darstellend , 879
Die von A. Jaeobsen mitgebrachte Figur ist 18 cm hoch und befindet sich im
Kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufiiahme des Herausgebers,
Fig.852. Holzge8chnitztesFigürchenderQuacutl-Indianer(Briti8ch-
Columbien). Kinderspielzeug, eine säugende Frau darstellend , 880
Die von A. Jaeobsen mitgebrachte Figur ist 19 cm hoch und befindet sich im
Kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photographischen Aufnahme des Herausgebers,
Fig. 858. Mainoten -Frau im Libanon, ihr in der Wiege liegendes Kind
säugend, wobei sich ihre linke Achselhöhle auf einen oben an der Wiege angebrachten
Längsstab stützt 880
Nach Lartet, aus Ploss^^ Fig. 98. S. 94.
Fig. 854. Hottentotten-Frau, auf der Erde liegend und ihrem auf
ihrem Rücken hockenden Kinde die Brust über die Schulter reichend.
Bei zwei anderen Frauen sieht man die stark herabhängenden Brüste; eine dieser
Frauen trägt ein Kind auf dem Rücken « 881
Nach Peter KcXb: Caput Bonae Spei Hodiemum. Nürnberg 1719.
Fig. 855. Säugende Frauen „ 882
No. 1. Malayin aus Preanger auf Java, stehend ihr auf der Hüfte reitendes
Kind säugend.
Nach einer photographischen Aufnahme von CapitänF. Schulze (Batavia), im
Besitze des Geh. Sanitätsrath Dr. Ludwig Asehoff in Berlin.
No. 2. Kai-Vav-Its-Indianerin (ein Tribus der Pa-Utah-Indianer, auf
dem Kai-bab-Plateau nahe dem Gran Caüon von Colorado in Arizona), mit
untergeschlagenen Beinen auf der Erde sitzend und ihr Kind säugend. Ein grösseres
Kind steht am Finger lutschend hinter ihr.
Nach einer photographischen Aufnahme des ü. S. topographical and geological
sarvey of the Colorado-River of the West by W. Powell and A. H. Tompson, im
Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
42*
660 Anhang 3.
No. 8. Agengeö-Indianerin aus Brasilien, auf der Erde kauernd und Seite
ihren Säugling in der Wiege auf dem Schoosse haltend. Ein etwas grösseres Kind sitzt
vor ihr.
Nach einer photographischen Aufnahme von Cesar BieioU (Buenos Ayres),
im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
No. 4. Indianerin aus der Provinz San Luis in Brasilien, welche in
der Jugend geraubt war und bei den Agengeö als Sclavin lebte, auf der Erde sitzend
und ihr auf ihrem Schoosse sitzendes Kind säugend.
Nach einer photographischen Aufnahme von Cesar Binoli (Buenos ^Ayrea),
im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
No. 5. Niam-Niam-Frau, stehend und ihr auf ihrer Hüfte reitendes Kind
Nach einer von Dr. Bichard Btuhta aufgenommenen Photographie, im Besitze
des Herausgebers, vergl. obere Nil- Länder (wie Tafel L 8) No. 94.
Fig. 356. Alt-Peruanisches Grabgefäss in Pumacayan gefunden,
welches ein an der Erde sitzendes Weib ihr auf ihrem Knie sitzendes Kind säugend
darstellt H. 383
Aus der Mocecio-Sammlung des Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Nach der photogpraphischen Aufiiahme des Herausgebers,
Fig. 357. Säugende Siamesin nach E, Bocourt , 383
Nach der Illustration im Globus. Bd. YIIL 8. 360. Hildburghausen 1865.
Fig. 358. Träumende Japanerin, im Liegen ihr Kind säugend. . . , 384
Aus einem farbigen japanischen Bilderbuche (wie Fig. 196), im Besitze des
Dr. Paul Ehrenreich in Berlin.
Fig. 359. Chinesin säugend. Kinderstube in einem vornehmen chinesi-
schen Hause « 385
Nach einem chinesischen Aquarell im Besitze des "Dx. Paul Ehrenreich in Berlin.
Fig. 360. Columbianerin (aus San Pablo) Zwillinge säugend. .... 386
Nach Eduard Andrejs Reisen im nordwestlichen Süd-Amerika 1875—1876.
Globus, Bd. XXXYH. S. 245. Braunschweig 1880.
Fig.361. Sioux-Indianerin imStehen einen groBsenKnaben säugend , 387
Nach einer Federzeichnung von George CaÜin, im Besitze des Kgl. Museums für
Völkerkunde in Berlin.
Fig. 362. Alt-ägyptischer Knabe, gemeinsam mit einem Kalbe an
dem Euter einer Kuh saugend „ ^^^
Nach einer ägyptischen Darstellung, wiedergegeben in Fig. 328 bei G, J.
WUkoujski: Histoire des accouchements chez tous les peuples. Paris s. a. (1888). pag. 439.
Fig. 863. Holzgeschnitzter Bogenhalter aus ügüha (Waguha), süd-
westlich vom Tanganyika-See, eine unbekleidete Frau darstellend, welche ihre
strotzenden Brüste mit den Händen präsentirt , 398
YonWissmann mitgebracht. Kgl. Museum für Völkerkunde in Berlin.
Man vergleiche Fig. 302.
Nach der photographischen Aufiiahme des Herausgehers.
Fig. 864. Japanische Frau auf der Erde sitzend und einer vor ihr
knieenden alten Frau die Brust reichend, während ein Kind von hinten her
sie der Saugenden entgegendrängt , 408
Nach einem Holzschnitt in einem japanischen Bilderbuche im Besitze des
Kgl. Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 365. Japanisches Netsukä, elfenbeingeschnitzter Knopf, durch
den die Schnüre der Tasche gezogen werden. Eine Frau säugt eine auf einem
Stühlchen sitzende Alte, während ein Kind sie dieser entgegendrängt , 409
Im Besitze des Kgl. ethnographischen Museums in München.
Nach einer photographischen Au&ahme des Herausgehers,
Fig. 366. Aino-Frau, einen jungen Bären säugend 411
Nach einer japanischen Zeichnung von Fayasi Sivei, copirt bei Mac Bitchie:
The Ainos. Supplement au Tome IV des Archives Internationales d*£thnographie.
Leiden 1892. PI. H. Fig. 9.
Fig. 867. Tanz der Samoaner , 420
Nach einer photographischen Aufnahme des Marine-Zahlmeisters G. Biemer
(S. M. S. Hertha), im Besitze des Herausgehers,
B. Die Text-Abbildungen. ggX
Fig. 368. Jnnge Fellacbin ans Aegypten, mit einem grossen Wasser- Seite
krug anf dem Kopfe II. 424
Nach einer photograpbischen Anfhahme im Besitze des Herausgehers.
Fig. 369. Xosa-Eaffer-Weiber mit Baumaterialien zum Hausbau
bepackt , 426
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers,
Fig. 870. Grobo-Mädchen aus dem Hinterlande der Goldküste
(West- Afrika), 17 bis 20 Jahre alt, in einem grossen hölzernen Mörser mit langen
Holzkeulen Getreide stampfend (Fusu bereitend) , 427
Nach einer photographischen Aufiiahme im Besitze des Herausgehers.
Fig. 871. Araberin aus Algerien, auf einer steinernen Handmühle
Getreide mahlend , 429
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgdters.
Fig. 872. Malayische Mftdchen am Webestuhl arbeitend , 431
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 873. Banao-Frau ihr Kind auf dem Rücken tragend und in
einem grossen Holzmörser Reis stampfend. Aus der Rancherie Bal-
balassan auf Luzon (Philippinen) , 482
Nach einer photographischen Aufiiahme von A. Sehadenberg, im Besitze der
Berliner anthropologischen Gesellschaft
Fig. 874. Malayin von Java, Kokos-Nüsse spaltend , 488
Nach einer photographischen Auhiahme im Besitze des Geheimen Sanitätsrath
Dr. u4wÄo/f (Berlin).
Fig. 875. Pepohoan-Frau (chinesisch- civilisirte Eingeborene) von
Formosa, einen Kleiderstoff aus Gras webend , 485
Nadi einer photographischen Aufnahme von Dr. Eennie (Tamsui), im Besitze
der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 876. Javanische Weiber beim Reiskochen , 437
Nach einer photographischen Aufnahme von Capit&n Fedor Schuhe (Batavia),
im Besitze des Herausgebers.
Fig. 877. Altftgyptische Frauen, welche ihre Eonder theils auf der Schulter,
theUs auf der Hüfte reitend, theils in einer am Kopfe befestigten Kiepe tragen . . , 481
Nach Champollion-Figeac. Aus Plass^^ Fig. 9. S. 25.
Fig. 878. Altftgyptische Klageweiber beim Begrftbniss, welche ihre in ein
Tuch gewickelten Kinder theils auf dem Rücken, theils auf dem Bauche tragen . . „ 482
Nach WiUcinson. Aus PJass^^ Fig. 10. S. 25.
Fig. 879. Beggar-Frau aus Bombay, ihr Kind auf der Hüfte tragend , 488
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 880. Christliche Eskimo-Frau aus Labrador, ihr Kind in der
Kapuze tragend 484
Nach einer photographischen Aufnahme von J, M. Jacobsen in Hamburg, im
Besitze des Herausgebers.
Fig. 881. Flathead-Indianerin (Nord-Amerika), ihr Kind in der
Wiege auf dem Rücken tragend , 485
Nach einer Handzeichnung von Gearge Catlin, im Besitze des Kgl. Museums
für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 882. Canelos-Indianerin vom Rio Pastaza in Peru, ihr Kind in
einem Tuche vor der Brust tragend „ 486
Nach einer photographischen Aufnahme von Georg Hübner, im Besitze der
Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 888. Die Stiefmutter , 487
Holzschnitt vom Jahre 1584 aus Petrarchae Trostspiegel in Glück vnd Vnglück
wie Fig. 186. Bl. 144.
Fig. 384. Amazonen aus Monomotapa (Afrika) , 509
Nach Eduard Lopez aus G. J. Lodewyk: De aanmerkens-waardige Voyagien door
Francoisen, Italiaanen, Deenen, Hoogduytsen, en andere vreemde volkeeren gedaan na
Oost- en West-Indi8n. Het tweede stuk. Leiden o. J.
Fig. 885. Deutsche Wittwe aus dem 16. Jahrhundert, dem Leichenbegftng-
msB ihres Gkktten zuschauend. Holzschnitt von Hans Burghmair , 518
Nach Georg Hirth (wie Fig. 185). Bd. I. Fig. 489.
662 Anhang 8.
Fig. 386. Wittwe der Cliippeway-Indianer mit dem Modell ihres ver- Seit^
fltorbenen Ehegatten im Arme. Dasselbe wird aus ihrem besten Kleide nnd ans dem
Schmnck ihres Mannes gefertigt xmd mnss stets von ihr getragen werden, solange
die Tranerzeit andauert U. 514
Nach E. C. Yarrofo: A fnrther contribntion to the study of the North American
IndiansinJl W. Powell: First annnal report of the Burean of Ethnology to the
Secretary of the Smithsonian Institution 1879—1880. Fig. 82.
Fig. 887. Wittwentracht der Aarn-Insnlanerinnen. Die nähere Be-
schreibung ist im Texte gegeben , 516
Nach Biedel (wie Fig. 143).
Fig. 888. Wittwe der Mincopie (Andamanen), den Sch&del ihres ver-
storbenen Gatten als Trauerzeichen an der Schulter tragend ^ 517
Nach Bichard Andree^ Ethnographische Parallelen und Vergleiche. 8. 136.
Fig. 889. Suttee, Wittwenverbrennung in Indien « 520
Nach einer indischen Malerei, veröffentlicht von H, A, Acworih in The Jour-
nal of the Anthropological Society of Bombay. Vol. II. Bombay 1891.
Fig. 390. Suttee, Wittwenverbrennung in Indien , 521
Nach Charles Coleman: The Mythology of the Hindus. London 1882.
Fig. 391. Gharivari bei der Wiederverheirathung einer Wittwe im
15. Jahrhundert. Fauvel, der Fuchs hält der Wittwe eine Ermahnungsrede . . , 525
Nach einer Miniature aus dem Roman de Fauvel (15. Jahrh.) in der Biblio-
thöque Imperiale de Paris. Aus PatU Lacroix: Les Arts au Moyen-Age et a
Täpoque de la Renaissance. Paris 1869. Fig. 869. p. 477.
Fig. 392. Wittwenbogen, Pai-lu, Ehrenportal, errichtet zum Preise
einer keuschen Wittwe. Peking, China , 531
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers,
Fig. 393. Abyssinische Matrone, bezeichnet als die Amme des Negus.
(Man vergleiche Fig. 397.) , 585
Nach einer Photographie im Besitze des Herausgebers,
Fig. 894. Maori-Frau von Neu -Seeland im Matronen-Alter, die charakte-
ristischen Erscheinungen des herannahenden Alters im Gesichte zeigend « 536
Nach einer von Pultnann aufgenommenen Photographie aus dem Bichard Neu-
hauss Album, im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 395. Deutsche Frau im Matronenalter mit Fettleibigkeit, durch
welche an ihrem Körper Querwülste und Grübchen hervorgerufen werden „ 537
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers.
Fig. 396. Aeltere Frau von den Marianen-lnseln (Insel Saipa), am
Gesicht und Körper die Spuren des herannahenden Alters zeigend 538
Nach einer von dem Zahlmeister S. M. S. Hertha, G. Biemer, aufgenommenen
Stereoscop-Photographie, im Besitze des Herausgebers,
Fig. 897. Abyssinische Matrone, bezeichnet als die Amme des Negus.
(Man vergleiche Fig. 393.) , 539
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des k. und k. Gustos am
Naturhistorischen Hofmuseum in Wien, Josef Szombathy.
Fig. 398. Mincopie-Matrone von den Süd-Andamanen , 540
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze der Berliner anthropo-
logischen Gesellschaft.
Fig. 399. Die Matrone. Profilansicht , 541
Aus Albrecht Dürer: De symmetria partium in rectes formis humanorum cor-
porum. Nürnberg 1532.
Fig. 400. Die Matrone. Hinteransicht „ 541
Aus Albrecht Dürer wie Fig. 899.
Fig. 401. Die Matrone. Vorderansicht „ 542
Aus Albrecht Dürer wie Fig. 399.
Fig. 402. Der Jungbrunnen , 557
Gemälde von Lucas Cranach in dem Kgl. Museum in Berlin. Nach Photogr.
Fig. 403. Die Hexen und Unholde , 559
Nach Udalricus Tengleri Der neu Layenspiegel u. s. w. Augsburg 1512.
Fig. 404. Hexenküche 561
Gemälde von F, Francken d. J. im K. K. kunsthistorischen Hofmuseum
in Wien. Nach Photographie.
B. Die Text-Abbildnngen. 663
Fig. 405. HolzgesclinitBte nackte Figur der Golden in Sibirien, Seite
Ajami genannt, welche die Schamanen-Gandidatin darstellt II. 566
Mitgebracht von Adrian «Tocobseti. EglMasenm für Völkerkunde in Berlin.
Aus Max Bartels: Die Medicin der Naturvölker. Leipzig 1893. S.83. Fig.80.
Nach der photographiachen Aufnahme des Herausgehers,
Fig. 406. Ealinas-Indianerin, Caraibin (Surinam), obgleich erat 88 Jahre
alt, doch bereits beginnende Greisenver&nderungen zeigend „ 572
Nach Prince Holand Bonaparte: Les habitants de Surinam. Paris 1884. PL XV.
Fig. 407. Zigeunerin aus dem District von Zerawschan in Turkestan,
mit den charakteristischen Encheinungen des Qreisenaltere im Gesicht, obgleich sie
erat 29 Jahre alt ist. . . „ 574
Nach einer von Kasanski (Taschkent) aufgenommenen Photographie, im Besitze
der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin.
Fig. 408. Eine 120 Jahre alte Siouz-Indianerin (Minnesota), Ha-za-e-
yan-ke-ujin, bekannter unter dem Namen Old Bets „ 575
Nach einer von Charles Ä, Zimmermann (Minnesota) aufgenommenen Stereo-
scop-Photographie im Besitze der Berliner anthropologischen Gesellschaft.
Fig. 409. Die Hinrichtung einer Chinesin 579
Nach einem chinesischen Aquarell im Besitze der Frau Otto Neühauss
in Berlin.
Fig. 410. Der Massenselbstmord der Gimbern-Frauen nach der Be-
siegung durch Marius • 580
Holzschnitt, wahrscheinlich von Hans Holbein , aus Johann StumpfTs Chronik
der Eydgenossenschaft Züiych. 1548.
Fig. 411. Selbstmord einer Frau durch Erh&ngen , 581
Holzschnitt vom Jahre 1584 aus Petrarchae Trostspiegel im Glück vnd Vnglück
wie Fig. 186.
Fig. 412. Japanerin, welche sich die Kehle mit einem Schwerte
abschneidet « 583
Nach einem japanischen Holzschnitt aus einem Roman im Besitze des Egl.
Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 418. Japanerin, welche sich einen Dolch in den Hals sticht • ,. 584
Nach einem japanischen Holzschnitt aus einem Roman im Besitze des £gl.
Museums für Völkerkunde in Berlin.
Fig. 414. Selbstmörderin, sich in einen Fluss stürzend; wahnchein-
lich eine Chinesin , 585
Holzschnitt aus einem japanischen Werke im Besitze des Dr. Paul Ehrenreich
in Berlin.
Fig. 415. Thurm des Schweigens Pakhma). Begrftbnissplatz der
Parsi, der Feueranbeter, in Indien. Die Beschreibung ist im Texte gegeben . . , 587
Nach H a Yarrow (wie Fig. 386), Fig. 3.
Fig. 416. Bemalter Terracotta-Sarkophag mit der liegenden Portraitfigur
einer jungen Etrusker in als Deckel, aus einem Grabe in Chi usi (dem alten Clusium).
Im Museo archeologico in Florenz „ 589
Nach einer photographischen Aufnahme von Paganori (Florenz), im Besitze des
Herausgebers.
Fig. 417. Weibergrab der Ingalik von ülukuk (Nord-Amerika) . . „ ^^0
Nach H a Tarrow (wie Fig. 808), Fig. 14. 8. 57.
Fig. 418. Der türkische Begräbnissplatz in Sarajevo (Bosnien). Die
mit einem turbanartigen Aufsatze gekrönten Grabsteine sind diejenigen der Mftnner,
die unverzierten diejenigen der Weiber „ 591
Nach einer photographischen Aufnahme von Ignas Königsberg in Sarajevo,
im Besitze des Director Dr. Voss in Berlin.
Fig. 419. Thont&felchen in Herzform mit zwei eingebackenen Enochen-
spittem (A. A.) von einer im Wochenbette Verstorbenen. Amulet der Magyaren
zur Erleichterung der Entbindung » 600
Aus Heinrieh von WliskocJnl.
Fig. 420. Mohamedanischer Begrftbnissplatz in Sarajevo, Bosnien , 607
Nach einer photographischen Aufnahme im Besitze des Herausgebers,
Anhang 4.
Terzeichniss der benntzteii Schriftsteller.
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Albrecht, Panl, Coirespondenzblatt der deutschen Ges. für Anthrop., Ethnol. und Ur-
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Alezander, Wilh., Geschichte des weiblichen Geschlechts etc. Aus dem EngL fid.n.
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Antin ori und Piaggia in Le Globe. 1869. 5, 6, 154.
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Hist. anim. 1. Ul. c. 1.
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2. Audebert, J., Globus 1888, XLIV. No. 18. S. 282.
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2. Azara, y., Reise nach Südamerika. Deutsch von Weyland. Wien 1811.
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666 Anhang 4.
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Sohwartzkünstlem, Vergifftem, Augenverblendem etc.
Wie die yermOg aller Biecht erkant, eingetrieben, gehindert, erkündigt, erforscht, Pein-
lich ersucht md geefaraffb werden sollen. Gegen des Herrn Doctor J. Wier Buch von der
Oeister Verführungen, durch den Edlen vnd Hochgelehrten Herrn Johann Bodin, der Rechten
D. ynd des Parlaments Rhats inn Franckreioh ausgangen.
Und nun erstmals durch den auch Emvesten vnd Hochgelehrten H. Johann Fischart,
-der Rechten D. X. auss Frantzösischer sprach trewlich in Teutsche gebracht vnd nun zum
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fartrefflichen Poeten ynd Oratom Frandsci Petrarehe Trostbücher, von Rath, That, ynd
Artzeney in Glück vnd Ynglück, Nemlich, wie sich ein jeder verständiger Mensch halten soll.
In seiner Wohlfarth nicht vberheben. Desgleichen in Ynglück, Widerwärtigkeit, Angst vnnd
Noth zu trösten wissen u. s. w. Franckfurt am Mayn (in Yerlegung Christ. Egenolffs
Erben) 1584.
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Uebersetzung von BOttger.
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Naturkündigers Bücher und Schrifften von Natur Art und eygenschafft aller Creaturen oder
GeschOpffe Gottes u. s. w. (Johannes Heyden von Dhaun.) Franckfort am Mayn 1584.
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Yol. 2. S. 9. lib. 28. c. 7. 15. 1. 57. c. 6. YH. c. 9.
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2. Plutarch, Hist. phü. lY. 18.
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2. Poestion, J. C, Lappländische Märchen, Yolkssagen, Räthsel und SprichwOrter.
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Das ist: Yon Teuffelsgespenst, Zauberom vnd Gifftbereytem, kurtzer doch gründlicher Bericht,
was für Ynterscheidt vnter den Hexen vnd Ynholden, vnd den Gifftbereytem, im straffen zu-
halten, darmit beydes die Richter im Yrtheil f&llen vnd verdammen nicht zu viel thnn, jhr
Gewissen beschweren, vnd das vnschuldiges Blut zuvergiessen , verhütet werde etc. durch
den Herrn Johannem Wi er um, Medicinae D. Latinisch geschrieben in vnsere
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Dott. — , alla inchiesta interne alle superstizioni e ai pregiudizi esistenti in Italia. eei
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Abth. I. S. 71, 96.
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viel unterschiedene Arten der Fische, vögel vierfilssigen Thiere Gewürm Erd- und Bamn-
fruchte, so hin und wieder in Brasilischem bezirk, und gebiethe, der Westindischen Compa^^e
zu schauwen undt anzutreffen, und daher in den Teutschen Landen fremde und nnbekandt.
Auffs genaweste mit seinen natürlichen Farben, samt behörlichen Nahmen, wie auch karser
untengesetzter Beschreibung, Abgebildet sindt. Alles selbst augenscheinlich zu Lust undt g^e-
fallen Denen sonst newbegierigen Gemüthem bezeignet. In Brasilien Unter der hochlOblichen
Regierung, des hochgebohmen Herrn Herrn Johan Moritz Graffen von Nassau etc. Gnbemator
Capitain undt Admiral General von Zacharias Wagner von Dresden.'
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Zweter, Reinmar ▼., siehe Scherr^. S. 138.
Im gleichen Verlage erschien u. a.:
Die
Medicin der Naturvölker.
Ethnologische Beiträge
zur
TJrsresdilclxto dLer D^edLlolzi.
Von
Dr. Max Bartel89
Suüt&tsratli in Berlin.
Mit 175 Origindl-Holgschnitten im Text.
XII und 361 S. Lex. S«. Preis brooh. 9 Mark, In Halbfranzband II Hark.
Inhaltsübersicht: L Einleitung. — IL Die Krankheit — III. Die Aenste. — 17. Die
Diagnostik der Naturvölker. — V. Die Medicamente und ihre Anwendung. — YL Die
Arzneiverordnungslehre der Naturvölker. — VII. Die Wasserkur. — Vlll. Massa^kuron. —
IX. Verhaltungsvorschriften für den Kranken. — X. Die fibematflrliche Diagnose. —
XI. Die übematflrliche Krankenbehandlung. — XU. Einzelne Gapitel der speciellea
Pathologie und Therapie. — Xm. Die Gesundheitspflege und die Epidemien. — XIV. Die
kleine Chirurgie. — XV. Die grosse Chirurgie.
(Diese 15 Capitel sind in 127 selbständige Abschnitte gegliedert.)
AuBBÜge aus Bespreohungen:
Das Werk verdient es, von allen Freunden der Geschichte, der Völkerkunde und der
medicinischen Wissenschaft mit Aufmerksamkeit gelesen zu werden.
Über Land und Meer,
Die Medicin der Naturvölker wird mit einer staunenswerthen Belesenheit und Kenntniss
der einzelnen Thatsaohen in grossen Zügen geschildert. Zeitschrift für Natunoissenaeh,
Ist also das Buch hauptsächlich f&r Mediciner und Ethnographen geschrieben, so findet
doch auch der Geograph im weitesten Sinne des Wortes viel LesenswerÜies und Interessantes
darin. Mitiheüungen der geogr. OeeeOeehafl Wien.
Es ist dem Buche die weiteste Verbreitung nicht bloss bei den Aerzten und Ethnologen,
sondern bei allen Gebildeten gewiss. Berliner klin. Wodtenechirift,
Ein immenses Material ist in dem Werk verarbeitet, und je mehr man in demselben
liest, um so mehr begreift man, welche grosse Ausdauer und Mühe dazu gehört, das Material
zu sichten und die Uebersicht zu gewinnen, wie sie das Buch zeiflt. . Viele der ethno-
graphischen Gegenstände werden überhaupt zum ersten Male in AobOdungen vorgef&hrt
NaturtoissenechafÜiehe Wochenschrift.
Das sehr reichhaltige Buch möge allen, die sich für die Entwickelung der medicinischen
Anschauungen interessiren, bestens empfohlen sein.
JZ. V« Wyss im CorrespondenMatt für Schweizer Äerste,
Die stren^^ Objectivit&t und die gewissenhafte Vermeidung von bloss speculirenden
Erörterungen bilden einen grossen Vorzug des vorliegenden Buches.
Archiv für ÄnOuropoJogie.
Bartels hat sieh schon in seinem früheren Werke, der Neubearbeitung von H. Plosi*
,Da8 Weib', als Meister im Sammeln, kritischen Sichten und klaren Grupniren und Darstellen
der Thatsachen erwiesen; seine Medicin der Naturvölker ist in gleicher Weise eine übeneicbe
Fundgrube für Jeden, der auf diesem Gebiete der Ethnologie Belehrung sucht.
Peter manna Mittheiktngen.
Dadurch, dass der Mediciner und der Ethnograph sich in der Person des Ver&HerB
vereini|^n, wurde es möglich, eine tüchtige Arbeit zu liefern, die als der erste grössere Ver-
such dieser Art mit der Zeit sich zu einem Standardwerke erweitem muss. GMms,
Auf jeder Seite finden wir interessante Mittheilungen, überraschende Aufschlüsse, und
der Verf. versteht es, durch eine anregende Darstellung und Gruppirung die Klippe der Er-
müdung, wie sie ja eine Aneinanderreihung massenhafter Einzeiheitoi so leicht bewirkt,
glücklich SU vermeiden. Deutsche med. Wochenschrift.
Mit grossem Fleisse und vielem Geschicke hat er es verstanden, des in zahlreichen Einxel-
ansaben zerstreuten Stoffes Herr zu werden und denselben zu einem harmonischen Gesammt-
bilde zusammenzufügen Das Ausland»
Druck von Th. Hoftnann in Oera.
/
573
P 72
T. 2