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Full text of "Das weib in der natur- und völkerkunde"

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RADCUFFE  COLLEGE  LIBRARYI 


Schleskgfsr  Library 
WOMAN'S  ARCHIVES 

Sr.Jtille  Bratm-fogelttein 


DAS  WEIB 

IN  DER 

NATUR-  UND  VÖLKERKUNDE. 


ANTHROPOLOGISCHE  STUDIEN 

VON 

m  H,  PLOSS. 


Fünfte  umgearbeitete  und  stark  vermehrte  Auflage. 


Nach  dem  Tode  des  Verfassers  bearbeitet  und  herausgegeben 

von 

Dr.  Max  Bartels. 

Mit  11  lithographiBohen  Tafeln  nnd  420  Abbildungen  im  Text. 

Zweiter  Band. 


-»^♦^t- 


Leipzlg. 

Th.  Grieben's  Verlag  (L.  Fernau). 
1897. 


Das  Recht  der  Uebersetzong  wird  vorbehalten! 


Inhalt  des  zweiten  Bandes. 


Fortsetzung  der  zweiten  Abtheilung: 
Das  lieben  des  ll^eibes. 

Seite 

XXXV.  Die  reohtseitige  Gheburt 1 

217.  Die  Gebart  im  Allgemeinen  1.  —  218.  Der  sogenannte  Instinct  beim  Gebären 
nnd  seine  wissenschafUich-praKtische  Yerwerthnng  4.  —  219.  Die  Gebart  in  lin- 
scher  Hinsicht  7.  —  220.  Die  Gebort  in  der  Bilderschrift  8. 

XXXVI.  Die  Qeburt  im  religiösen  und  Volks-Qlauben 9 

221.  Der  Mystidsmos  der  Geburt  9.  —  222.  Die  Gebärende  gilt  als  unrein  10.  — 
228.  Die  Gebärende  moss  Rahe  haben  18. 

XXXVn.  Die  Mythologie  der  Gheburt 15 

224.  Die  Entstehung  mythologischer  Anschauungen  über  die  Geburtsyorgänge  15.  — 

225.  Die  Gottheiten  der  Geburt  .bei  den  alten  Gulturvölkem  des  Euphrat-Tigris- 
Gebietes  15.  —  226.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  phönioischen  Völkern  17.  — 
227.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  alten  Aegyptem  18.  —  228.  Die  Gottheiten 
der  Geburt  bei  den  iranischen  Völkern  19.  —  229.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei 
den  Indem  21.  —  230.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  Griechen  22.  —  231.  Die 
Gottheiten  der  Geburt  bei  den  Römern  und  Etruskem  23.  —  232.  Die  Gottheiten 
der  Geburt  bei  den  indogermanischen  Völkern  24.  —  238.  Die  Gottheiten  der  Geburt 
bei  den  Lappen,  Finnen,  Magyaren,  Mordwinen  und  Letten  26.  —  284.  Die  Gott- 
heiten der  Geburt  bei  den  Wotjäken,  Chinesen,  Japanern,  Annamiten,  Niassern  und 
Gilbert-Insulanern  28.  —  285.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  alten  Gulturvölkem 
Amerikas  29.  —  286.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  monotheistischen  Völkern  29. 

XXXVlll.  Die  Stätte  der  Niederkunft 31 

237.  Die  Wahl  des  Ortes,  an  dem  die  Gebärende  niederkommt  31.  —  288.  Das  Allein- 
Gebären  im  Freien  32.  —  239.  Das  Gebären  im  Freien  mit  Hülfe  Anderer  85.  — 
240.  Die  Geburts-Üeberraschung  im  Freien  86.  —  241.  Oeffentliche  Entbindungen 
37.  —  242.  Die  Niederkunft  im  Wohnhause  39.  —  243.  Die  Niederkunft  in  der 
Badstube  41.  —  244.  Die  Gebärhütten  43. 

Xxxix    Die  gesundheitsgemässe  Qeburt  und  ihre  Bedingungen 49 

245.  Sind  die  Geburten  leichter  bei  Gulturvölkem  oder  bei  Naturvölkern?  49.  — 

246.  Der  Verlauf  der  Geburten  in  Australien  und  Oceanien  50.  —  247.  Der  Verlauf 
der  Geburten  in  Asien  52.  —  248.  Der  Verlauf  der  Geburten  in  Afrika  56.  ^ 
249.  Der  Verlauf  der  Geburten  in  Amerika  57.  — -  250.  Der  Verlauf  der  Geburten  in 
Europa  60.  —  251.  Die  Ursachen  und  Bedingungen  eines  leichten  Geburtsverlaufs 
61.  —  252.  Der  Verlauf  der  Mischlingsgeburten  62. 


IV  Inhalt  des  zweiten  Bandes. 

Seite 

XL.  Die  Ersoheinimgen  der  gesundheitsgemässen  Gheburt 64 

258.  Die  Geburtsperioden  64.  —  254.  Die  Wehen  66.  —  255.  Die  inneren  Zeichen 
des  GeburtsTorganges  68.  —  256.  Die  active  Betheüigong  des  Kindes  und  der  Becken- 
knochen bei  der  Geburt  69.  —  257.  Die  normale  Kindeslage  70. 

XTiT.  Die  Helfer  bei  der  Qeburtsarbeit 78 

258.  Die  Entstehung  der  Geburtshfilfe  78.  —  259.  Die  Lebensweise  der  Völker  be- 
einflusst  die  Entwickelung  der  Geburtshülfe  74.  —  260.  Die  üebelstände  der  primi- 
tiven Greburtshflife  76.  —  261.  Der  Ehemann  als  Geburtshelfer  77.  —  262.  Primitive 
Hebammen  78.  —  268.  Die  ersten  Anfänge  einer  gewerbsmässigen  Geburtshfilfe 
79.  —  264.  Degenerirte  Geburtshfilfe  88.  —  265.  M&nnliche  Geburtshelfer  84. 

XIiII.  Die  Gheburtshülfls  im  Alterthnm  und  im  Mihen  Mittelalter  ....  86 
266.  Allgemeiner  Ueberblick  fiber  die  Geschichte  der  Geburtshfilfe  bei  den  euro- 
päischen CulturvOlkem  und  deren  Vorläufern  86.  —  267.  Die  Geburtshfilfe  bei  den 
Juden  des  Alterthums  88.  —  268.  Die  Geburtshfilfe  bei  den  alten  Indem  89.  — 
269.  Die  Geburtshfilfe  bei  den  alten  Aegyptern  92.  —  270.  Die  Geburtshfilfe  bei 
den  Griechen  des  Alterthums  98.  —  271.  Die  Geburtshfilfe  bei  den  alten  ROmem 
95.  —  272.  Die  Geburtshfilfe  zur  Zeit  der  arabischen  Culturperiode  97. 

•»T'TrT   Die   Entwiokelung    der  (Geburtshülfe    in   den   modernen   Cultur- 

ländem  Europas 98 

278.  Zur  Geschichte  der  Geburtshfilfe  in  Italien  98.  —  274.  Die  Entwickelung  der 
Geburtshfilfe  in  Deutschland  und  der  Schweiz  im  Mittelalter  102.  — /275.  Die  Ent- 
wickelung der  Geburtshfilfe  in  Deutschland  und  der  Schweiz  während  des  16.  Jahr- 
hunderts 106.  —  276.  Die  Geburtshfilfe  in  Deutschland  und  der  Schweiz  in  der 
Neuzeit  112.  —  277.  Zur  Geschichte  der  Geburtshfilfe  in  Holland  118.  —  278.  Die 
Entwickelung  der  Geburtshfilfe  in  England  119.  —  279.  Die  Entwickelung  der  Ge- 
burtshfilfe in  Frankreich  121.  « 

XLIV.  Die  Entwickelung  der  Gheburtshülfe  in  dem  übrigen  modernen  Europa    124 

280.  Zur  Geschichte  der  Geburtshfilfe  im  europäischen  Russland  124.  ~  281.  Die 
Geburtshfilfe  in  dem  aussereuropäischen  Russland  126.  —  282.  Die  Geburtshfilfe  in 
Finland,  Schweden  und  Ehstland  127.  —  288.  Die  Geburtshfilfe  bei  den  Sfid-Slaven 
und  Neu -Griechen  129. 

XLV.  Die  Entwickelung  der  Gheburtshülfe  bei  den  heutigen  Culturvölkem 

Asiens 181 

284.  Die  Geburtshfilfe  in  der  Tfirkei  131.  —  285.  Die  Geburtshfilfe  bei  den  Chinesen 
188.  —  286.  Die  Geburtshfilfe  bei  den  Japanern  186. 

XLVI.  Die  Hebamme  im  Volksmunde  und  im  Volksglauben 141 

287.  Der  Name  und  die  Bezeichnung,  die  Bedeutung  und  der  Einfluss  der  Hebammen 
141.  —  288.  Die  Hebamme  im  Aberglauben  144. 

XLVn.  Die  nülüsmittel  bei  normaler  Geburt 146 

289.  Der  Ursprung  der  Hfilfsleistung  146.  —  290.  Die  Körperhaltung  und  die  Lage 
bei  der  Niederkunft  147.  —  291.  üebersicht  der  gebräuchlichen  Körperhaltungen 
während  der  Niederkunft  150.  —  292.  Die  Verbreitung  der  Geburtsstellungen  fiber 
die  Erde  152.  ~  298.  Die  Hülfs-  und  Lagerungsapparate  bei  der  Niederkunft  154.  — 
294.  Der  Gebärstuhl  156.  —  295.  Das  Gebären  auf  dem  Schoosse  161.  —  296.  Die 
Anwendung  von  arzneilich  wirkenden  Mitteln  bei  normaler  Niederkunft  164. 

XLVm.  Manuelle  und  meohanisohe  Hülfbmittel  bei  der  normalen  Gheburt    166 

297.  Die  Behandlung  mit  Salbungen,  Bähungen  und  Waschungen  bei  normaler 
Niederkunft  166.  —  298.  Das  Mitpressen  der  Gebärenden  167.  —  299.  Mechanische 
Hfilfeleistung  bei  normalem  Geburtsverlauf  durch  Drficken  und  Kneten  des  Unter- 
leibes 169.  —  800.  Die  künstliche  Erweiterung  der  Geschlechtstheile  170.  —  801.  Der 
Schutz  und  die  ünterstfitzung  des  Dammes  171.  —  802  Das  Ziehen  an  den  vor- 
liegenden Kindestheilen  178. 

XIalX.  Die  Gtoburtsstellung  im  klassischen  Alterthum 176 

808.  Die  Entbindung  bei  den  alten  Aegyptem  176.  ~  804.  Die  Entbindung  im  alten 
Griechenland  179.  —  805.  Die  Entbindung  im  alten  Rom  181. 


Inhalt  des  zweiten  Bandes.  V 

Seite 

L.  Die  Trennung  des  Neugeborenen  von  der  Mutter 183 

806.  Giebt  es  einen  Instinct  in  der  Behandlung  der  Nachgeburtsperiode?  183.  — 

307.  Die  Durchtrennung  des  Nabelstranges  oder  die  Abnabelung  des  Kindes  184.  — 

308.  Die  Abnabelung  bei  den  Oceaniem  184.  —  309.  Die  Abnabelung  in  Asien 
187.  —  310.  Die  Abnabelung  bei  den  Völkern  Amerikas  190.  —  311.  Die  Ab- 
nabelung  bei  den  afrikanischen  Völkern  192.  —  312.  Die  Abnabelung  bei  den  alten 
Oulturvölkem  194.  —  313.  üeberblick  über  die  Methoden  der  Abnabelung  198. 

IiL  Die  Gheburt8liülfe  der  Naohgeburtsperiode 200 

314.  Die  Ausstossung  der  Nachgeburtstheile  200.  —  315.  Das  Verhalten  der  Natur- 
völker in  der  Nachgeburtsperiode  201.  —  316.  Die  Verzögerungen  bei  der  Aus- 
stossung der  Nachgeburtstheile  202.  —  317.  üebematflrliche  und  sympathetische 
Mittel,  um  die  Ausstossung  der  Nachgeburtstheile  zu  beschleunigen  204.  —  318.  Die 
Nabelschnur  als  Handhabe  zur  Entfernung  der  Nachgeburt  204.  —  819.  Das  Heraus- 
drücken der  Nachgeburtstheile  206.  —  320.  Die  innerlichen  Handgriffe  zur  Ent- 
fernung der  Nachgeburtstheile  208.  —  321.  Die  Ausstossung  der  Nachgeburts* 
theile  bei  den  Japanern  209.  —  322.  Die  Ausstossung  und  Entfernung  der  Nach- 
geburtstheile bei  den  alten  Oulturvölkem  211.  —  323.  Die  Ausstossung  und  Ent- 
fernung der  Nachgeburtstheile  bei  den  heutigen  CulturvOlkern  212.  —  824.  Die 
Entfernung  der  Nachgeburtstheile  in  der  europäLschen  Volks-Geburtshülfe  214. 

LH.  Die  Ethnographie  der  Naohgeburtstheile 216 

325.  Die  Benennungen  der  Nachgeburtstheile  216.  —  326.  Die  Auffassung  der 
Nachgeburtstheile  217.  —  327.  Die  Abnabelung  im  Glauben  der  Völker  218.  — 
328.  Der  Nabelschnuirest  im  Volksglauben  221.  —  329.  Die  Nachgeburt  im  Volks- 
glauben 222.  —  830  Das  Begraben  der  Nachgeburt  224.  —  331.  Anderweitige  Be- 
seitigung und  Beisetzung  der  Nachgeburt  226.  —  332.  Die  Eihäute  im  Volks- 
glauben 228. 

Lin.  Die  fehlerhafte  Gheburt 230 

333.  Die  Auffassung  der  Geburtsstörungen  bei  den  Naturvölkern  230.  —  334. 
Historisches  über  die  Schwergeburten  231.  —  335.  Die  Ansichten  der  Chinesen 
und  Japaner  über  die  Schwergeburten  283.  —  336.  Die  fehlerhafte  Geburt  durch 
die  Eörperbeschaffenheit  der  Gebärenden  234.  —  337.  Die  fehlerhafte  Geburt  auf 
ungewöhnlichem  Wege  237.  —  338.  Geburtsstörungen  durch  die  Nachgeburtstheile  238. 

LIV,  Die  Sohwergeburten  im  Volksglauben 240 

339.  Die  übernatürliche  Hülfe  bei  schweren  Entbindungen  240.  —  340.  Die  über- 
natürlichen Geburtshülfsmittel  bei  den  alten  CulturvOlkern  und  ihren  Epigonen 
242.  —  341.  Die  übernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  den  Deutschen  und  ihren 
Stammesgenossen  244.  —  342.  Die  übernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  den 
romanischen  Völkern  248.  —  348.  Die  übernatürlichen  Greburtshülfsmittel  bei  den 
Völkern  Russlands  und  den  Slaven  249.  —  344.  Die  übernatürlichen  Geburtshülfsmittel 
bei  den  Magyaren ,  Zigeunern  und  Neu -Griechen  253.  —  345.  Die  übernatür- 
lichen Geburtshülfsmittel  bei  den  Japanern  und  Chinesen  254.  —  346.  Die  über- 
natürlichen Geburtshülfsmittel  bei  den  vorcolumbischen  Bewohnern  von  Mexiko  255.  - 
847.  Die   übernatürlichen   Geburtshülfsmittel  bei   den  Indianern  Amerikas   256.  — 

348.  Die   übernatürlichen  Geburtshülfsmittel   bei  den  afrikanischen  Völkern  257.  — 

349.  Die  übernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  den  Völkern  Asiens  260.  —  850.  Die 
übernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  den  Völkern  Oceaniens  265. 

LV.  Die  natOrUohen  Hülfsmittel  bei  fehlerhafter  Geburt 268 

351.  Die  Arten  der  Hülfsleistung  bei  schweren  Geburten  268.  —  352.  Die  Dar- 
reichung innerlicher  Arzneien  bei  schweren  Entbindungen  unter  den  europäischen 
Völkern  269.  —  853.  Die  Darreichung  innerlicher  Arzneien  bei  schweren  Entbindungen 
unter  den  aussereuropäischen  Völkern  271.  —  854.  Aeusserliche  Arzneien  bei 
schweren  Entbindungen  278.  —  355.  Die  mechanisch  wirkenden  Hülfsmittel  bei 
schweren  Entbindungen  274.  —  356.  Mechanische  Hülfe  bei  schweren  Entbindungen 
in  Japan  276.  —  357.  Die  Anwendung  des  äusseren  Druckes  als  Hülfsmittel  bei 
schweren  Entbindungen  277.  —  858.  Das  Belasten  des  Unterleibes  als  Hülfsmittel 
bei  schweren  Entbindungen  280.  —  859.  Das  umschnüren  des  Unterleibes  als 
Hülfsmittel  bei  schweren  Entbindungen  281.  —  360.  Das  Aufhängen  und  das 
Schütteln  der  Ereissenden  als  Hülfsmittel  bei  schweren  Entbindungen  283. 


VI  Inhalt  des  zweiten  Bandes 


Seite 


LVI.  Die  Gheburt  bei  fehlerhafter  KindeBlage  und  die  hierbei  gebräuoh- 

liohen  HandgrifDe  und  Operationen 286 

361.  Die  Anschauungen  über  die  Ursachen  der  fehlerhaften  Kindeslagen  286.  — 
862.  Die  ErmOglichung  der  Geburt  bei  fehlerhafter  Eindeslage  durch  ftusserliche 
Handgriffe  287.  —  868.  Die  ErmOgliohung  der  Geburt  bei  fehlerhafter  Kindeslage 
durch  innerliche  Handgriffe  289.  —  864.  Die  T6dtung  und  Zerstückelung  des  Kindes 
während  der  Geburt  290. 

LVn.  Der  KaiserBOhnitt     292 

865.  Das  Herausschneiden  des  lebenden  Kindes  nach  dem  Tode  der  Mutter  292.  — 
366.  Das  Herausschneiden  des  lebenden  Kindes  aus   der  lebenden  Mutter  294.  — 

867.  Der  Kaiserschnitt  an  der  Lebenden  bei  den  Naturvölkern  299. 

LVin.  Die  Physiologie  und  die  Pathologie  des  Wochenbettes 302 

868.  Die  physiologische  Bedeutung  des  Wochenbettes  802.  —  869.  Die  primftren  €re- 
fahren  der  Wochenbettsperiode  808.  —  870.  Die  Blutflüsse  im  Wochenbett  804.  — 

871.  Die  Bek&mpfung  der  Blutflüsse  im  Wochenbett  bei  den  Naturvölkern  806.  — 

872.  Der  Gebärmuttervorfall  307.  —  873.  Die  Nachwehen  308.  —  874.  Das  Kind- 
bettfieber 809. 

IiIX.  Die  Therapie  des  Wochenbettes 812 

875.  Das  Zurechtlegen  der  Genitalien  im  Wochenbett  312.  —  876.  Die  Räucherungen 
im  Wochenbett  813.  —  377.  Das  Baden  der  Wöchnerin  817.  —  878.  Das  Waschen  und 
das  Schwitsen  der  Wöchnerin  818.  —  879.  Das  Binden  des  Leibes  bei  der  WOchnerin  820. 

TiX.  Das  diätetische  Verhalten  im  Wochenbett 823 

880.  Das  Stehen  und  Sitsen  im  Wochenbett  828.  —  881.  Das  Liegen  im  Wochen- 
bett 326.  —  882.  Ernährung  und  Getränke  im  Wochenbett  bei  den  VOlkem  Europas 
328.  —  888.  Ernährung  und  Getränke  im  Wochenbett  bei  den  aussereuropäischen 
Völkern  330.  —  884.  Mangelnde  Wochenbettspflege  884.  -  885.  Die  Dauer  des 
Wochenbettes  335. 

IiXI.  Das  Ceremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes     388 

386.  Die  Wochenstube  888.  —  887.  Die  Wochenbesuche  340.  —  888.  Die  Unreinheit 
der  Wöchnerin  847.  —  889.  Die  Unreinheit  der  WOchnerin  bei  den  CulturvOlkem 
352.  —  390.  (^eschlechtsunterschiede  in  der  Unreinheit  der  WOchnerin  858.  — 
391.  Wochenbettsgebräuche  354.  —  392.  Der  Aberglaube  des  Wochenbettes  356.  — 
398.  Der  feierliche  Abschluss  der  Wochenbettszeit  bei  den  Naturvölkern  360.  — 
894.  Der  feierliche  Abschluss  des  Wochenbettes  in  Europa  862.  —  395.  Das  Männer- 
kindbett 364. 

IiXn.  Das  Säugen 867 

896.  Physiologisches  über  die  Mutterbrust  867.  —  897.  Die  Milchsecretion  in 
ihrem  Yerhältniss  zu  der  Befruchtung  und  der  Menstruation  872.  —  398.  Das 
Säugen  durch  die  Mutter  874.  —  899.  Die  Dauer  des  Säugens  877.  —  400.  Die 
Stellungen  bei  dem  Säugen  379.  —  401.  Das  Säugen  durch  Vertreterinnen  und 
durch  Ammen  387. 

LXTTT.  Abnorme  Säugammen 891 

402.  Das  Säugen  durch  Thiere  891.  —  408.  Das  Säugen  durch  die  Grossmutter 
892.  —  404.  Das  Säugen  durch  den  Vater  395. 

LZrv.  Die  Mutterbrust  im  Brauche  und  Glauben  der  Volker     397 

405.  Die  Mutterbrust  in  cnlturgeschichtlicher  Beziehung  897.  —  406.  Die  Diätetik  der 
Säugezeit  899.  —  407.  Vorschriften  und  Gebräuche  beim  Säugen  400.  —  408.  Die 
Gefahren  der  Säugenden  401.  —  409.  Die  Gefahren  des  Säuglings  402.  —  410. 
Milchmangel  408.  —  411.  Das  Absetzen  des  Kindes  405. 

LXV.  Ungewöhnlioher  Gebrauch  der  Frauenmilch 407 

412.  Die  Frauenmilch  als  Medicin  und  Zaubermittel  407.  —  413.  Die  Ernährung 
Erwachsener  mit  Frauenmilch  408.  —  414.  Das  Säugen  von  jungen  Thieren  an  der 
Frauenbrust  410. 


Inhalt  des  zweiten  Bandes.  YII 

Seite 

LXVI.  Die  Booiale  Stellung  des  primitiven  Weibes 413 

415.  Die  Entwickelang  der  socialen  Stellung  des  Weibes  aus  Urzust&nden  413.  — 

416.  Die  Fran  im  Cultns  415.  —  417.  Die  sociale  Stellang  des  Weibes  bei  den 
Oceaniem  416.  —  418.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Völkern  Amerikas 
421.  —  419.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  afrikanischen  Völkern  423.  — 
—  420.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Völkerschaften  Asiens  430. 

LXVn.  Die  Booiale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Culturvölkem.  .  439 
421.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  CnlturTOlkem  Asiens  und  ihren 
Nachkommen  439.  —  422.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Aegyptem 
443.  —  423.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Israeliten  444.  — 
424.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  im  klassischen  Griechenland  445.  —  425.  Die 
sociale  Stellung  des  Weibes  im  alten  Rom  448. 

LXVnL  Der  Einfluss  der  religiösen  Bekenntnisse  auf  die  sociale  Stellung 

des  Weibes 451 

426.  Das  Weib  im  Islam  451.  —  427.  Das  Weib  im  Christenthume  454.  —  428.  Das 
Weib  im  heidnischen  Europa  458.  —  429.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  im 
mittelalterlichen  Europa  462. 

TiXTTC.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Culturvölkem  der  Neuzeit    469 

430.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Deutschen  der  Neuzeit  469.  —  431 .  Die 
sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Engländern  der  Neuzeit  470.  —  432.  Die 
sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Spaniern  und  Italienern  der  Neuzeit  472.  — 
433.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Franzosen  der  Neuzeit  474.  —  434.  Die 
sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  slavischen  YOlkem  der  Neuzeit  476.  —  435.  Die 
sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  russischen  Völkern  der  Neuzeit  478. 

LXX.  Das  Weib  in  seinem  Verhältniss  2U  der  folgenden  Generation  .   .    481 

436.  Das  Weib  als  Mutter  481.  —  437.  Das  Weib  als  Stief-  und  Pflegemutter  486. 

TiTTXT.  Das  gesohleohtsreife  Weib  im  Zustande  der  Ehelosigkeit 491 

438.  Die  eheverschmfthte  Jungfrau  491.  —  439.  Die  alte  Jungfer  in  anthropologischer 
Beziehung  492.  —  440.  Die  Ethnographie  der  alten  Jungfer  493.  —  441.  Die  Gottes- 
jungfrau 497.  —  442.  Die  Amazonen  im  Alterthum  501.  —  443.  Die  Amazonen  im 
Mittelalter  505.  —  444.  Die  Amazonen  der  Neuzeit  506. 

IiXXn.  Die  Wittwe 512 

445.  Die  Wittwentrauer  512.  —  446.  Die  WittwentOdtung  519.  —  447.  Heiraths- 
verbot,  Heirathszwang  und  Heirathserlaubniss  der  Wittwen  524.  —  448.  Die  Wittwen- 
rechte  528.  —  449.  Das  Schein-Wittwenthum  532. 

TiXTCTTT.  Das  Weib  naoh  dem  Aufhören  der  Fortpflanzungsffthigkeit .  .  .  533 
450.  Die  Wechseljahre  des  Weibes.  (Das  Klimakterium.)  538.  ~  451.  Die  Matrone 
in  anthropologischer  Beziehung  534.  —  452.  Aeltere  Anschauungen  über  die  Anthro- 
pologie der  Matrone  541.  —  453.  Der  Zeitpunkt  des  Klimakteriums  bei  ausser- 
europäischen  YOlkem  543.  —  454.  Die  Grossmutter  544.  —  455.  Die  Schwiegermutter 
546.  —  456.  Des  Mannes  Schwiegermutter  549.  —  457.  Das  Schwiegermutter- 
Ceremoniell  550. 

TiXTnv.  Die  Greisin  im  Volksglauben 553 

458.  Das  alte  Weib  553.  —  459.  Die  Beseitigung  der  alten  Weiber  554.  —  460.  Die 
Werthschätzung  der  alten  Weiber  555.  — -  461.  Die  Hexe  558.  —  462.  Modemer 
Hexenglaube  563.  —  463.  Die  Zauberin,  die  Wahrsagerin  und  die  kluge  Frau  565. 

LXXV.  Das  Weib  im  Greisenalter 570 

464.  Die  Greisin  in  anthropologischer  Beziehung  570.  —  465.  Die  anthropologische 
Bedeutung  der  Altersveränderungen  des  Weibes  573. 

LXXVX  Das  Weib  im  Tode 576 

466.  Das  Sterben  des  Weibes  576.  —  467.  Der  unnatürliche  Tod  der  Weiber  577.  — 
468.  Der  Tod  des  Weibes  durch  eigene  Hand  580.  —  469.  Das  Weiberbegr&bniss 
586.  —  470.  Die  todte  Jungfrau  592.  —  471.  Die  todte  Schwangere  594.  —  472.  Die 
todte  Kreissende  595.  —  473.  Die  Niederkunft  der  Todten  597.  —  474.  Die  todte 
Wöchnerin  599.  —  475.  Das   Begräbniss   der  im  Wochenbett  Gestorbenen  600.  — 


yni  Inhalt  des  zweiten  Bandes. 

Seite 
476.  Das  Umgehen  der  todten  Wöchnerin  601.  —  477.  Die  s&ugende  Matter  im  Tode 
604.  —  478.  Der  Tod  der  Mutter  tödtet  das  Kind  605.  —  479.  Die  wiedergekommene 
Todte  606.  —  480.  Der  geschlechtliche  Verkehr  mit  der  Todten  608.  —  481.  Die 
Schw&ngening  der  Todten  610.  —  482.  Die  Todtenhochzeit  611. 

483  SohluBSWOPt 613 

Anhang  1 615 

Kurzer  üeberblick  Aber  die  Völker  und  Rassen  unseres  Erdballs. 

Anhang  2 620 

Uebersicht  der  abgebildeten  Völker  und  der  anthropologischen  und  ethnographischen 
Gegenstände. 

Anhang  3 625 

Erklärung  der  Tafeln  und  der  Text-Abbildungen. 
AnTiftTig  4 664 

Verzeichniss  der  benutzten  Schriftsteller. 


XXXV.  Die  rechtzeitige  Geburt. 

217.  Die  Geburt  Im  Allgemeinen. 

In  dem  Leben  der  Frau  spielt  keine  Function  eine  so  bedeutende  Bolle,  wie 
die  Geburt  des  Kindes,  das  Mutterwerden.  Erst  dadurch,  dass  sie  einem  Spross- 
linge  das  Leben  giebt,  erf&llt  sie  so  recht  die  Au%abe,  welche  ihr  in  dem  Haus- 
halte der  Natur  zugewiesen  ist.  Damit  sind  für  sie  nicht  unbedeutende  Ausgaben 
an  Eörperkräften  und  Eörpersäften  verbunden;  aber  es  schliessen  sich  daran  noch 
andere  höchst  wichtige  Anforderungen  für  ihre  körperliche  und  geistige  Thätigkeit. 
Denn  sie  hat  nun  fernerhin  die  Pflege,  die  Ernährung  und  die  Erziehung  des 
Kindes  zu  besorgen. 

Der  eigenÜiche  Vorgang  der  Geburt  ist  für  die  Frau  sowohl,  als  häufig 
auch  für  deren  Familie  ein  tief  eingreifender  und  gewaltig  aufregender.  «Du 
sollst  mit  Schmerzen  Kinder  gebären,*  das  wurde  bereits  der  Eva  verkündet,  und 
unter  recht  empfindlichen  Schmerzen,  welche  wir  mit  dem  Worte  Wehen  be- 
zeichnen, und  mit  der  Aufwendung  nicht  unerheblicher  Kraftanstrengungen  muss 
das  Weib  dem  Kinde  in  das  Dasein  verhelfen. 

Haben  wir  es  hier  mit  einem  Vorgänge  zu  thun,  der  durchaus  ein  animaler 
ist  und  bei  dem  MenschengescUechte  unter  ganz  ähnlichen  Bedingungen  vor  sich 
geht,  wie  in  den  höheren  Abtheilungen  des  Thierreiches,  so  ist  es  doch  so  recht 
die  Aufgabe  der  Anthropologie,  zu  untersuchen,  wie  sehr  sich  eine  Menge  von 
umständen,  die  mit  diesem  Vorgange  verbunden  sind,  als  specifisch  dem  mensch- 
lichen Geschlechte  eigene  darstellen.  Auch  müssen  wir  zu  ergründen  suchen,  ob 
und  welche  Verschiedenheiten  sich  bei  den  einzelnen  Volksstänunen  in  Bezug  auf 
den  Gebäract  nachweisen  lassen. 

Gewisse  körperliche  Eigenschaften  sind  es  zunächst,  welche  beim  Weibe 
den  Geburtsprocess  anders  verlaufen  lassen,  als  bei  den  höheren  Thieren;  der  auf- 
rechte Gang,  der  Bau  des  Beckens  und  der  Gebärorgane  stehen  in  dieser  Be- 
ziehung obenan.  Dann  tritt  aber  auch  noch  das  psychische  Element  hinzu,  welches 
durch  das  regere  Gefühl  und  durch  den  Intellect  im  Weibe  den  Gebäract  ganz 
anders  zur  Auffassung  kommen  lässt,  als  im  Thierweibchen. 

Eine  Vergleichung  des  Geburtsactes  bei  den  Thieren  und  dem  Menschen 
liegt  nicht  im  Plane  unserer  Erörterungen.  Unsere  Aufgabe  ist  es,  vom  anthro- 
pologischen und  ethnographischen  Standpunkte  aus  die  Unterschiede  zu  beleuchten, 
die  sich  in  Bezug  auf  die  Niederkunft  bei  den  verschiedenen  Rassen  und  Volks- 
stämmen nachweisen  lassen. 

Ich  möchte  an  dieser  Stelle  hervorheben,  dass  wir  dem  verstorbenen  Ploss 
das  Verdienst  zuerkennen  müssen,  die  Aufmerksamkeit  der  Anthropologen  und 
der  Gynäkologen  auf  diesen  interessanten  Gegenstand  gelenkt  zu  haben.    Er  ist 

Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  1 


2  XXXY.  Die  rechtxeiiige  Geburt. 

in  verschiedenen  wissenschaftlichen  Abhandlungen*^)  daf&r  eingetreten  und  hat 
als  Erster  aus  der  zerstreuten  Literatur  einschlägige  Angaben  zusammengesucht. 
Ausserdem  hat  er  aber  auch  auf  eigene  Kosten  eine  grosse  Anzahl  von  ethno- 
graphischen Fragebogen  in  die  verschiedensten  Lander  an  solche  Männer  gesendet, 
welchen  sich  die  öel^enheit  zu  genauen  Beobachtungen  dargeboten  hatte. 

Für  die  kritische  Auswahl  des  Materials  muss  man  vor  Allem  bedenken, 
dass  ims  von  Beisenden,  Missionären  u.  s.  w.  oft  nur  die  auffallenden  Miss- 
bräuche zugetragen  werden,  während  ihnen  das  minder  wichtig  erscheinende, 
allgemeine  geburtshülfliche  Verfahren,  in  welchem  vielleicht  manche  Fingerzeige 
ftir  die  naturgemässe  Diätetik  in  der  Geburt  liegen  können,  entgangen  ist  oder 
auch  kaum  der  Mittheilung  werth  erschien.  Dieser  Hinweis  ist  nicht  ungerecht- 
fertigt. Ihm  gegenüber  möchten  wir  den  Wunsch  nach  genauen  Mittheilungen 
äussern,  um  einst  klarer  darin  sehen  zu  können,  ob  wirklich,  wie  behauptet  wurde, 
unsere  geburtshülfliche  Diätetik  etwas  aus  derjenigen  der  Naturvölker  gewinnen 
kann,  und  ob  bei  den  ürvölkem  das  diätetisch  richtig  Gewählte  und  Natur- 
gemässe stärker  und  entschiedener  heimisch  ist,  als  die  unzähligen  Missgriffe, 
welche  bei  vielen  ürvölkem  das  vernünftigste  und  wirklich  naturgemässe  Verfahren 
überwuchert  haben.  Zur  Aufsuchung  solcher  Thatsachen  dienen  schwer  zugäng- 
liche und  zerstreute  Quellen,  Reiseberichte  in  den  verschiedensten  Journalen  und 
aus  allen  Epochen.  Leider  waren  meist  die  Beisenden  in  der  Regel  im  geburts- 
hülflichen  Fache  nicht  genügend  vorgebildet,  um  immer  Nutzbares  beobachten 
und  berichten  zu  können. 

Man  kann  unter  den  Berichten  über  geburtshülfliche  Gebräuche  je  nach 
ihrer  Zuverlässigkeit  und  sachgemässen  Darstellung  drei  Arten  von  verschiedenem 
Werthe  unterscheiden.  Die  werth  vollsten  Nachrichten  liefern  natürlich  die  Aerzte, 
welche  längere  oder  kürzere  Zeit  unter  dem  betreffenden  Volke  prakticirten;  dann 
folgen  Missionäre,  welche  zwar  kein  Verständniss  der  geburtshülflichen  Angelegen- 
keiten haben,  aber  doch  Jahre  lang  Beobachtungen  anstellen  konnten;  zuletzt 
kommen  solche  Reisende,  welche  in  geographischem  oder  naturwissenschaftlichem 
Interesse  unter  den  Völkern  herumziehen.  Wir  dürfen  die  Berichte  nicht  ohne 
Weiteres  nehmen,  wie  sie  sich  bieten,  sondern  wir  müssen  auch  wissen,  wer  der 
Gewährsmann  ist. 

Es  wäre  im  höchsten  Grade  erwünscht,  dass  die  Missionäre,  bevor  sie  unter 
die  zu  bekehrenden  Völkerschaften  sich  begeben,  sich  einige  Kenntnisse  auf  natur- 
wissenschaftlichem und  medicinischem  Gebiete  anzueignen  suchten,  weil  die  Be- 
nutzung derselben  den  besuchten  Völkerschaften  und  ihrer  Mission,  aber  durch  eine 
gesteigerte  Uebung  ihrer  Beobachtungsgabe  auch  der  Wissenschaft  zu  Gute  konmien 
würde.  Derartige  Unterweisung  erhdten  die  Auszusendenden  in  der  Berliner 
Mission  schon  seit  einer  grossen  Reihe  von  Jahren  theils  durch  die  Direction  des 
städtischen  Krankenhauses  im  Friedrichshain  (Berlin),  theils  durch  den  Heraus- 
geber. In  neuester  Zeit  haben  es  manche  Missionäre  selbst  offen  ausgesprochen, 
dass  es  höchst  wünschenswerth  für  sie  sei,  auch  die  Geburtshülfe  praktisch 
ausüben  zu  können.  (Turner.)  Die  englische  Mission  bildet  eigene  Missions- 
ärzte  aus. 

Die  uns  vorliegenden  Berichte  zeigen,  dass  bei  den  Naturvölkern  nicht  von 
einem  rein  exspectativen  Verfahren  in  der  Geburtshülfe  die  Rede  sein  kann,  und 
dass,  namentlich  wenn  sich  aussergewöhnliche  Erscheinungen  bei  der  Geburt  ein- 
stellen, oder  wenn  diese  zu  zögern  scheint,  Hülfeleistungen  angewendet  werden, 
welche  in  vielen  Fällen  nur  als  schädliche  Eingriffe  bezeichnet  werden  können. 
Und  doch  werden  uns  bisweilen  die  Naturvölker  ak  nachahmungswerthe  Beispiele 
für  die  exspectative  Geburtshülfe  empfohlen! 

So   findet   man  in  Handbüchern  der  Geburtshülfe  den  ganz  richtigen  Aus- 

•)  {PI088  4.  5.  6.  7.  8.  10.  12.  15.  18.  19.) 


217.  Die  Greburt  im  Allgemeinen.  3 

Spruch,  dass  die  geeundheitsgemasse  Geburt  als  ein  naturgemässer  physiologischer 
Act  durchaus  keiner  Hülfe  von  Seiten  der  Kunst  bedarf.  Man  stützt  aber  diese 
Ansicht  «auf  die  Millionen  von  Geburten,  welche  alljährlich  ohne  Beistand  der 
Kunst  bei  uncultivirten  Völkern  glücklich  und  ungestört  verlaufen'.  Nach  Maass- 
gabe dieser  Empirie  beschrankt  sich  die  ganze  geburtshülfliche  Leistung  auf  ein 
zuwartendes  Nichtsthun  in  Erwartung  etwaiger  Störungen.  Man  hat  dabei  auf 
die  Chinesen  hingewiesen,  welche,  obgleich  bekanntlich  in  medicinischen  Dingen 
sehr  abergläubisch  und  beschränkt,  ganz  bezeichnend  die  Hebammen  ,  Empfang- 
oder Willkomm- Weiber"  nennen,  weU  dieselben  nach  allgemeiner  Ansicht  nur  die 
Function  haben,  das  Kind  zu  , empfangen*.  Aber  jener  Hinweis  auf  die  „Millionen 
glücklich  verlaufener  Geburten''  bei  Naturvölkern  sollte  doch  verbunden  sein  mit 
einer  Berücksichtigung  der  gewiss  auch  überaus  zahlreichen  schädlichen  Folgen, 
welche  die  unzähligen  Missbräuche  bei  wilden  und  namentlich  auch  bei  halb- 
civilisirten  Völkerschaften  mit  sich  bringen.  Nach  dieser  Richtung  hin  sind  die 
Forschungen  in  der  That  noch  nicht  weit  genug  vorgedrungen.  Es  wäre  die 
Verfolgung  dieser  Angelegenheit  die  Aufgabe  einer  ganz  neuen  Wissenschaft,  der 
Ethnographie  der  Geburtshülfe,  zu  deren  zukünftiger  Begründung  vorliegende 
Arbeit  manche  mühsam  aufgesammelten  Beiträge  liefert. 

Die  Geburt  ist  als  ein  physiologischer  Act  aufzufassen,  welchen  das  Weib 
unter  normalen  Verhältnissen  ebenso  gut  und  leicht  vollzieht,  wie  jede  andere 
körperliche  Function,  und  zu  dem  sie  bei  natürlichem  Verlaufe  irgend  einer 
Hülfe  ebenso  wenig  bedarf,  wie  das  weibliche  Thier.  Man  darf  wohl  annehmen, 
dass  unter  jenen  Verhältnissen,  die  wir  den  Urzustand  des  menschlichen  Ge- 
schlechts nennen,  in  welchem  der  Mensch  auch  nur  wenig  verschieden  vom  höher 
stehenden  Thiere  lebte,  eine  besondere  Hülfeleistung  der  Gebärenden  nur  in  aller- 
beschränktester  Weise  gewährt  worden  ist.  Mindestens  könnten  eine  solche  An- 
nahme diejenigen  nicht  zurückweisen,  welche  entsprechend  der  modernen  Vor- 
stellung eine  Entwickelung  des  Menschengeschlechts  aus  thierähnlicher  Organisation 
zugestäen. 

Dass  ein  Gebären  ohne  Beihülfe  recht  wohl  möglich  ist,  wird  durch  die 
ungemein  zahlreichen  Fälle  bewiesen,  die  noch  heute  unter  unseren  Gulturverhält- 
nissen  vorkommen.  Es  lässt  sich  wohl  behaupten,  dass  durchschnittlich  die  Nieder- 
kunft des  Thieres  leichter  und  schneller  vor  sich  geht,  als  die  des  menschlichen 
Weibes,  welches  unter  unseren  Givilisationsverhältnissen  schon  Manches  von  seinem 
normalen  Zustande  eingebüsst  hat.  Allein  ebenso  muss  man  annehmen,  dass  die 
natürlichen  Kräfke  zur  Ausstossung  der  Frucht  und  zur  üeberwindung  der  dieser 
Ausstossung  etwa  hinderlichen  Widerstände  bei  völlig  normalem  Bau  und  bei 
sonst  nicht  ungünstigen  Bedingungen  fast  ebenso  wirk^im  sind  beim  menschlichen, 
wie  bei  dem  Thier-Weibchen.  Allerdings  haben  schon  Denman  und  Osbom 
Gründe  dafür  angegeben,  dass  das  Thier  leichter  gebäre,  und  Stein  sowie  Hohl 
führten  ebenfalls  diejenigen  mechanischen  und  physischen  Momente,  an,  welche 
den  Unterschied  zwischen  Mensch  und  Thier  im  Gebären  bedingen.  Jedermann 
weiss  jedoch,  um  wie  viel  leichter  die  Weiber  der  niederen  Stände  als  die  der 
glücklicher  situirten  Klassen  für  gewöhnlich  die  Geburten  überstehen.  Sollte  man 
aus  dieser  Thatsache  nicht  schon  einen  Schluss  ziehen  auf  den  Geburtsverlauf 
bei  den  mehr  oder  weniger  cultivirten  Völkern,  zumal  auch  alle  Berichterstatter 
den  raschen  und  leichten  Geburtsverlauf  bei  den  sogenannten  wilden  Völker- 
schaften bezeugen?  Wenn  also  bei  uns  eine  Anzahl  von  Weibern  ohne  alle  Bei- 
hülfe niederkommt,  obgleich  sich  unser  Volk  schon  sehr  von  der  naturgemässen 
Lebensweise  entfernt  und  manche  körperliche  Schädigung  erworben  hat,  so 
dürfen  wir  wohl  kaum,  wie  Prochoumick^  Zweifel  gegen  die  Angaben  so  vieler 
Reisenden  erheben,  die  davon  sprechen,  dass  die  Frauen  Wilder  nicht  selten  ganz 
allein  gebären. 


4  XXXV.  Die  rechtzeitige  Geburt. 

218.  Der  sogenannte  Instinct  beim  Ctobtren  und  seine  wissenschaftlieh 

praktische  Yerwerthnng. 

Wir  müssen  ans  nun  die  Frage  vorlegen,  ob  wir  nicht  auch  durch  Be- 
trachtung der  geburtshülfiichen  Sitten,  welche  die  Naturvölker  befolgen,  einen 
praktischen  Gewinn  flLr  uns  selbst  erzielen  können,  ob  wir  in  dem  Benehmen 
derselben  werthyolle  Fingerzeige  für  ein  besonderes  naturgemässes  Verfahren  zu 
finden  hoffen  dürfen?  Zwar  hat  die  freie  Forschung  auf  dem  Gebiete  irgend  einer 
Wissenschaft  niemals  die  Verpflichtung,  im  Voraus  Rechenschaft  über  den  prak- 
tischen Werth  ihrer  künftig  zu  erwartenden  Ergebnisse  abzul^en.  Doch  ge- 
winnt unsere  Sache  an  Interesse,  wenn  wir  aus  dem  klaren  Erkennen  der  Folgen 
geburtshülflicher  Handlungen,  die  man  bei  verschiedenen  Völkern  beobachtet, 
nicht  nur  für  unser  Wissen,  sondern  auch  für  unser  Können  in  der  Geburte- 
hülfe  manches  Nutzbare  zu  schöpfen  erwarten  darf.  Man  muss  insbesondere 
wohl  die  Frage  stellen,  ob  sich  aus  der  Beobachtung  der  Lebensweise  der 
Naturmenschen  Fingerzeige  für  eine  naturgemässe  Diätetik,  ob  sich  aus  ihrer 
Behandlungsweise  der  Geburt  Grundsatze  iMv  unser  geburtshülfliches  Verfahren 
construiren  lassen? 

Wir  haben  uns  ja  offenbar  in  vieler  Hinsicht  von  der  naturgemässen  Lebens- 
weise entfernt,  gewiss  auch  in  Bezug  auf  die  Lebensweise  und  die  Behandlung 
der  Schwangeren,  der  Gebärenden  und  der  Wöchnerinnen.  Könnten  wir  nun  nicht 
durch  Beobachtung  der  Naturvölker  das  uns  verloren  gegangene  Verständniss  für 
die  naturgemässe  Diätetik  dieser  Zustande  .wieder  erlangen? 

Gulturvölker  schaffen  sich  durch  möglichst  genaues  Beobachten  des  Geburts- 
verlaufs und  durch  zweckmässige  Verwerthung  der  aufgesammelten  Erfahrungen 
eine  rationelle  Geburtshülfe  als  Wissenschaft  und  Kunst.  Die  ürvölker  hingegen 
geben,  wie  man  gewöhnlich  glaubt,  hinsichtlich  ihres  Verfahrens  bei  der  Nieder- 
kunft lediglich  den  Forderungen  des  zwingenden  Bedürfnisses,  der  leitenden  Macht 
eines  Instinctes  nach,  und  je  roher  ein  Volk  ist,  um  so  mehr  wird  bei  ihm  auch 
der  Act  des  Gebarens  in  ähnlicher  Weise  aufgefasst,  wie  die  Niederkunft  bei  den 
Thieren.  (Stein.)  Hier  setzt  sich  kaum  eine  helfende  Hand  in  Bewegung.  Fast 
alles  wird  der  Natur  und  ihren  unermessbaren  Zufälligkeiten  überlassen. 

Aber  sollte  es  denn  keinen  hygieinischen  Instinct  bei  den  Naturvölkern 
geben,  welcher  zum  unbewussten  Ergreifen  der  zweckmässigsten  Maassregeln  auch 
bei  der  Niederkunft  führt?  Sollte  ein  solcher  Instinct  die  gebärende  Frau  nicht 
zur  Wahl  des  für  den  Verlauf  der  Geburt  geeignetsten  Benehmens,  z.  B.  zur  An- 
nahme der  zweckentsprechendsten  Lage  und  Stellung,  sollte  er  die  helfenden 
Personen  nicht  zur  Anwendung  der  passendsten  Manipulationen  bei  der  Unter- 
stützung der  Gebärenden  inspiriren? 

Wenn  wir  etwas  derartiges  nachzuweisen  im  Stande  wären,  dann  liegt  es 
auf  der  Hand,  dass  wir  es  auch  nachzuahmen  und  für  unsere  moderne  Geburts- 
hülfe nutzbar  zu  machen  die  Verpflichtung  hätten.  In  neuester  Zeit  hat  nament- 
lich Engelmann  in  St.  Louis  den  Versuch  gemacht,  aus  dem  Verhalten  uncivili- 
sirter  Stämme  solche  allgemein  gültigen,  den  Instinct  des  menschlichen  Weibes 
beim  Gebären  beweisenden  Maassnahmen  herauszufinden.  Er  hat  sich  der  danken  s- 
werthen  Mühe  unterzogen,  einen  höchst  reichhaltigen  Stoff  zur  Darstellung  zu 
bringen,  welchen  er  unter  Vermittelung  des  Bureau  of  Ethnology  des  Smith- 
sonian  Institution  in  Washington,  durch  die  ärztlichen  Beamten  der  Armee 
der  Vereinigten  Staaten  und  die  Aerzte  der  Indianer-Agenturen,  sowie  aus 
anderen  Bezugsquellen  erhielt.  In  den  Jahren  1881  und  1882  hat  er  schon  in 
einzelnen  amerikanischen  ärztlichen  Zeitschriften  hierüber  einige  Aufsätze  ver- 
öffentlicht, die  er  nunmehr  in  etwas  erweiterter  Gestalt  in  einer  deutschen,  von 
dem  Gynäkologen  Hennig  in  Leipzig  besorgten  und  mit  Zusätzen  vermehrten 
Debersetzung  erscheinen  Hess. 


1 


218.  Der  sogen.  Instmct  beim  Geb&ren  u.  seine  wissensohafblich  praktische  Verwerthung.     5 

Er  stellt  darin  den  folgenden  Satz  auf,  welchen  wir  wohl  als  den  Kern  seiner 
Anschauung  zu  betrachten  haben:  „Ein  grosses  Feld  erofihet  sich  uns  für  die 
Untersuchung  der  Lage,  welche  dem  gebärenden  Weibe  entspricht,  soweit  es  ihr 
Beckenbau  und  die  Stellung  des  Kinderkopfes  erheischen.  Die  Urvolker  haben 
diese  Aufgabe  aus  eigenem  richtigem  GefQhle  gelöst.* 

Allein  es  erscheint  uns  noch  sehr  fraglich,  ob  sich  bei  den  sogenannten  Ur- 
Tolkem  die  gebärenden  Frauen  und  die  ihnen  beistehenden  Individuen  in  jeder 
Beziehung  wirklich  naturgemässer  als  diejenigen  bei  den  GulturYÖlkem  benehmen? 
Ich  glaube  es  nicht  oder  mochte  wenigstens  die  Bejahung  dieser  Frage  sehr  ein- 
schränken. Mindestens  wird  man,  wie  sich  aus  unseren  Untersuchungen  ergeben 
wird,  nur  mit  äusserster  Vorsicht  das  Benehmen  der  sogenannten  Naturvölker  als 
Leitfaden  f&r  die  Zwecke  der  praktischen  Geburtshülfe  benutzen  dürfen. 

Wir  werden  de  Quatrefages  Recht  geben  mOssen,  wenn  er  sagt:  .Der  Mensch 
ist  anch  nicht  ohne  Instinct;  wenigstens  den  Oeselligkeitstrieb  darf  man  dahin 
zählen.  Grosse  Entwickelung  dieser  Triebe,  wie  bei  manchen  Thieren,  sucht  man 
jedoch  beim  Menschen  vergeblich;  dieselben  treten  hier  o£Fenbar  zu  Gunsten  der 
Intelligenz  mehr  zurück." 

An  die  Stelle  des  blossen  Instincts  tritt  beim  Menschen  schon  frühzeitig  ein 
Handeln  nach  Wahl;  und  bei  allen  Völkern,  auch  bei  den  auf  der  niedersten 
Gulturstufe  stehenden,  wird  das  Thun  und  Treiben  nicht  mehr  von  instinctiven 
Vorstellungen,  sondern  von  dem  historisch  entwickelten  Brauche  beherrscht. 
,pWenn  die  entfernten  VorfEihren  des  Menschen  Instincte  hatten,  die,  wie  beim 
Biber,  durch  die  Structur  des  Gehirns  bedingt  werden,  so  sind  dieselben  schon 
lange  weggefallen  und  haben  einer  freieren  und  höheren  Vernunft  Platz  gemacht.* 
(TylorJ  Diese  Worte  wird  jeder  Anthropologe  unterschreiben.  Denn  selbst  das 
rohe  Volk  entfernt  sich  mehr  oder  weniger  vom  wahren  Naturzustand,  sobald  es 
einen  gewissen  Grad  von  geistigem  Leben  in  sich  aufgenommen  hat.  Und  ist  es 
auch  nur  so  weit  in  seiner  geistigen  Entwickelung  fortgeschritten,  dass  es  durch 
einen  nur  einigermaassen  complicirten  Denkprocess  zu  einem  kaum  halben  Ver- 
ständnisse des  physiologischen  Lebens  gelangt  ist,  so  wird  es  auch  auf  eine  mehr 
oder  minder  rohe  und  fehlerhafte  Weise  den  halb  erkannten  Nachtheilen  zu  ent- 
gehen und  vorzubeugen  suchen,  die  das  Wohlbefinden  und  das  normale  Leben  zu 
bedrohen  scheinen.  Und  gerade  der  Geburtsact  hat,  wenn  er  zögert  oder  mit  ab- 
normen Störungen  verbunden  ist,  für  das  Geftlhl  und  den  Geist  von  Naturmenschen 
etwas  in  so  hohem  Grade  Geheimnissvolles  und  Aufregendes,  dass  unter  diesen 
Eindrücken  die  Wahl  des  Richtigen  erheblich  erschwert  werden  muss. 

Die  Cultur  aber  beßhigt  erst  zur  Würdigung  der  wahren  Bedingungen 
physiologischer  Processe  und  lehrt  erst  ein  jedes  Volk  die  allmählich  zur  Gewohn- 
heit gewordenen  diätetischen  Verirrungen  zu  erkennen  und  abzulegen. 

Wir  werden  in  der  That  bei  der  Betrachtung  der  geburtshülflichen  Gebräuche 
der  am  mindesten  civiüsirten  Nationen  auf  Verfahrungsweisen  der  mannigfachsten 
Art  stossen,  die  bei  nur  geringem  ruhigem  Nachdenken  als  o£fenbare  Verirrungen 
von  dem  rechten  Wege  der  Natur  erkannt  werden  müssen.  Und  nur  bei  einer 
ganz  kleinen  Anzahl  von  geburtshülflichen  Gebräuchen  bei  den  Naturvölkern 
vermöchte  man  es  zu  versuchen,  sie  als  Beweise  oder  Stützen  für  oder  wider  eine 
bestimmte  Ansicht  zu  benutzen. 

Aber  wir  müssen  uns  auch  die  Frage  vorlegen:  Giebt  es  denn  überhaupt 
noch  irgendwo  auf  der  Erde  vollkommen  unberührte  Natur-  oder  Urvölker,  welche 
vorzugsweise  durch  den  thierischen  Instinct  geleitet  werden?  Das  müssen  wir 
doch  entschieden  verneinen.  „Den  Menschen  irgendwo  noch  jetzt  im  vnrklichen 
Naturzustande  anzutreffen,  ist  keine  Hoffnung,*^  sagt  WaÜB  mit  Recht,  und  auch 
Bänke  fragt: 

,Wo  bleibt  nun  (nach  Betrachtung  der  yorausgehenden  Rassenbilder)  der  wilde 
Mensch?  Wo  bleibt  der  Wilde,  der  dem  Affen  ähnlicher  ist,  als  dem  Europäer,   der  in 


g  XXXY.  Die  rechtzeitige  Geburt. 

seineii  yerschiedenen  Erscheinungtformen  Torbindende  ZwiBchengUeder  zwischen  der  Tollen 
Menschenbildang  und  dem  Affen  danteilt?* 

Yon  ausschlaggebender  Bedeutung  f&r  unsere  Anschauung  ist  es  nun,  dass 
gerade  bei  den  Vo&em  der  allemiedrigsten  Gulturstufe  kein  einheitliches  Be- 
nehmen der  Weiber  bezüglich  der  Wahl  der  Körperstellung  für  die  Niederkunft 
wahrgenommen  wird.  Selbst  die  zu  einer  Rasse  gehörenden  Völker,  ja  selbst 
die  zu  einem  Volke  (Indianer  Nord-Amerikas)  gehörenden  Stamme  weichen, 
wie  aus  Engdmann's  Mittheilungen  hervorgeht,  so  sehr  von  einander  ab,  dass 
wir  vielmehr  schliessen  müssen,  es  seien  ganz  andere  als  instinctive  Bedingungen, 
die  hier  die  leitenden  Motive  abgeben. 

Sobald  nun  aber  noch  irgend  eine  helfende  Person  der  Gebärenden  rathend, 
unterstützend,  anordnend  oder  sogar  eingreifend  an  die  Seite  tritt,  ist  alles  Ur- 
sprüngliche ausgeschlossen.  ELiermit  beginnt  die  primitivste,  aber  immerhin  schon 
auf  einen  gewissen  Kreis  von  Erfahrung  und  üeberlegung  sich  stützende  Geburts- 
hülfe.  Diese  ist  zwar  kerne  Wissenschaft,  doch  jedenfalls  ein  stückweises  Wissen, 
ein  Glauben  an  traditionelles,  aus  früheren  zum  Theil  recht  schlechten  Beobach- 
tungen geschöpftes  Wissen;  sie  ist  eine  Kunst  zwar  nicht,  doch  immerhin  ein  mit 
rohen  künstlichen  Mitteln  vorgehendes  Gewerbe.  Wenn  auch  nur  die  Mutter  in 
vielen  Fällen  der  Gebärenden  beisteht,  so  glaubt  diese  Helfende  doch  stets  aus 
dem,  was  sie  schon  von  Anderen  über  den  Geburtsverlauf  und  die  nothwendige 
Assistenz  gehört,  sich  eine  Art  Elegulativ  för  ihre  niederkonmiende  Tochter  con* 
struiren  zu  können.  Da  macht  sich  gar  bald  durch  Hin-  und  Herreden,  durch 
die  Autorität  einer  zu  besonderem  Ansehen  gekonunenen  Helferin  ein  maassgebender 
Brauch  in  der  Geburtshülfe  heimisch. 

Einen  Gewinn  für  die  praktische  und  wissenschaftliche  Geburtshülfe  können 
wir  von  diesen  Forschungen  nur  dann  erwarten,  wenn  wir  durch  die  genaueste 
Beobachtung  nicht  nur  der  Behandlungsweise,  sondern  auch  namentlich  der 
Folgen  derselben  für  Mutter  und  Kind  Nutzen  und  Schaden  dieser  Maassnahmen 
völlig  zu  ermessen  vermögen.  Bisher  waren  wir  zwar  nur  im  Stande,  die  schäd- 
lichen Wirkungen  einzelner  grober  Verstösse  gegen  die  Bedingungen  der  Natur 
genauer  zu  beobachten;  doch  stellten  sich  uns  ausserordentlich  viele  geburtshülf- 
liche  Gebräuche  der  Völker  lediglich  als  Verirrungen  des  menschlichen  Geistes  dar, 
deren  verderbliche  Folgen  nicht  ausbleiben  können.  Unsere  weitere  Erörterung 
wird  sich  wie  ein  Verzeichniss  einer  langen  Reihe  von  Irrthümem  und  der  durch 
sie  herbeigeführten  Nachtheile  ausnehmen. 

Hierin  aber  liegt  der  praktische  Gewinn.  Wir  erfahren  dabei  weniger, 
was  wir  zu  thun,  als  vielmehr  was  wir  zu  unterlassen  haben.  So  ist  denn 
der  Vortheil,  den  wir  durch  die  anthropologischen  Forschungen  auf  dem  von 
uns  eingeschlagenen  Wege  für  die  Geburtshülfe  zu  erwarten  haben,  vorzugsweise 
ein  negativer,  den  wir  aber  nicht  gar  zu  gering  veranschlagen  dürfen. 

Dass  wir  aber  auch  manchen  positiven  Nutzen  haben  können,  das  soll 
vorläufig  nur  an  Einem  Beispiele  dargelegt  werden.  Bis  vor  einiger  Zeit  stritten 
sich  die  Gerichtsärzte  über  die  Frage,  ob  eine  Frau  im  Stehen  gebären  könne? 
Hätte  man  beachtet,  dass  bei  so  manchen  Völkerschaften  die  Frauen  regelmässig 
stehend  gebären,  so  wäre  die  Streitfrage  nicht  aufgeworfen  worden  oder  mindestens 
schnell  erledigt  gewesen.  Man  sammelte  um  dieser  Streitfrage  willen  einzelne 
beglaubigte  Beispiele,  und  hätte  ganze  Völkerschaften  als  Zeugen  vorfuhren  können. 
So  kann  man  durch  die  Erkenntniss  dessen,  was  bei  vielen  Völkern  vorkommt, 
auf  leichte  Weise  die  Frage  erledigen,  ob  ein  ähnliches  Vorkommniss  auch  bei 
uns  möglich  oder  unmöglich  ist. 


219.  Die  Gebart  in  lingnisüsclier  Hinsicht.  7 

219.  Die  Geburt  in  lingnistischer  Hinsicht. 

In  den  indogermanischen  Sprachen  zeigt  es  sich,  dass  das  Stammwort  fOr  Gebären 
ein  einheitliches  ist,  dass  sie  also  auch  in  dieser  Beziehung  zusammengehören.  Das  alt- 
deutsche Yerbum  bereu  «-  tragen  kennen  wir  nur  noch  in  .gebären",  .Tragbahre'  u.  s.  w. 
Das  alte  birit  ,er  trägt*  kann  man  zusammenstellen  mit  dem  altslayischen  blretY,  lat. 
fert,  griech.  tpigBi  aus  tpigszo,  zend.  baraiti,  sanskrit.  Vhärati. 

Das  Wort  Geburt  ist  nach  Gritnm's  Wörterbuch  zu  finden  im  Althochdeutschen: 
.kapurt",  agipurt",  und  im  Altsächsischen:  .giburd",  im  Altnordischen:  .burdr*  (masc), 
auch  einfach  ,burt"  bis  ins  16.  Jahrhundert;  wie  englisch  birth,  dänisch  byrd,  schwedisch 
bOrd.  Das  Gebären  (ferre,  parere,  gignere)  ist  ein  Wort,  dem  in  seiner  ältesten  Bedeutung  der 
Begriff  des  Tragens,  Bringens  beiwohnt;  es  kommt  im  Gothischen  als  Gebarian,  im  Alt- 
hochdeutschen als  EipSran,  GibSran,  im  Mittelhochdeutschen  als  Geboren  vor. 

Im  Lateinischen  heisst  die  Zeugerin,  Gebärerin  =  generatriz,  genero  »  zeugen  und 
generatio  «»  die  Zeugung.  Dies  weist  auf  einen  Ursprung  aus  dem  Sanskrit  hin.  Die  Silbe 
gen  bedeutet  in  slä.  Geburt,  Entstehung;  daher  das  lateinische  Wort  ingenium.  Allein  die 
Ethnologie  lässt  uns  im  Stich,  wenn  wir  weiter  fragen,  warum  gerade  diese  Bedeutung  der 
Wurzel  gen  gegeben  wurde.    (TylorO 

Einen  Versuch,  ethnologisch  zu  erklären,  wie  sich  die  Wahl  des  hebräischen  Wortes 
für  Gebären  vollzogen  hat,  machte  Proehovmick;  er  sagt:  .Wie  das  Gebären,  so  tritt  auch  die 
Hülfsbedürftigkeit  beim  Gebären  zugleich  mit  dem  Menschen  in  die  Welt. . .  Schon  die  Genesis 
drückt  dies  in  der  gewiss  nicht  absichtslosen  Zusammenstellung  alles  Anfangs  von  Culturarbeit 
aus,  wenn  sie  ftlr  die  Ackerbestellung  des  Mannes  und  das  Gebären  des  Weibes  dasselbe  Wort: 
^^3^,  (dies  ist  genau  das  lateinische  ,Labor')  gebraucht,  von  Luther  beim  Manne  mit 
,Eummer',  bei  dem  Weibe  mit  ,Sch merzen'  in  Ermangelung  eines  ,Labor*  entsprechenden 
deutschen  Wortes  wiedergegeben.  Und  da  schon  die  Bibel  das  erste  Gebären  in  die  Paradies- 
zeit nicht  verlegt,  da  femer  nach  den  neuesten  Ergebnissen  theologischer  Forschung  wahr- 
scheinlich der  ganze  Schöpfungsabschnitt  der  Genesis  eine  mythische  Darstellung  aus  später 
(nachbabylonisch'er)  Zeit  ist  (Wellhausen)^  so  gewinnt  die  Darstellung  als  philosopÜsche 
Anschauung  der  Rabbiner  über  den  Culturanfang  nur  noch  mehr  an  Bedeutung.  Und  bindet 
sich  das  ,cum  labore*  =>  Gebären  an  das  erste  Auftreten  der  Gattung  Mensch,  so  hat  auch 
die  Schmerzfühlende  Hülfe  und  Trost  gesucht  und  irgend  Jemand  sie  zu  gewähren  sich 
bemüht.  Diese,  wenn  wir  so  wollen,  rein  thierähnlichen  Gefühle  dürfen  wir  auch  bei  der 
grössten  Rohheit  unserer  Vorfahren  voraussetzen,  und  damit  ist  der  Anfang  einer  Geburtshülfe 
eo  ipso  gegeben.* 

Der  Franzose  hat  mehrere  Worte:  .enfanter*  »  donner  le  jour  k  un  enfant;  die  Ge- 
burt =  enfantement,  sowie  travaU;  in  dem  letzteren  kommt  wieder  die  Bedeutung  von  Labor, 
Arbeit,  zum  Vorschein.  Ausserdem  heisst  die  .Entbindung"  =  accouchement,  d.  h«  also:  Sich 
niederlegen.  Offenbar  steckt  hier  eine  Andeutung,  dass  das  Liegen  der  Gebärenden  als  etwas 
zum  Gebären  NOthiges  betrachtet  wurde. 

lAUre  sagt  über  die  historische  Abstammnng  des  Wortes:  .On  voit  par  Thistorique,  que 
accoucher,  ou  s*accoucher  signifie  proprement  se  coucher,  s'aliter;  ce  n'est  que  peu  ä  peu  qu'il 
a  pris  le  sens  ezdusif  de  se  mettre  au  lit  pour  enf anter.  *  Es  ist  dies  ähnlich  mit  dem 
deutschen  Worte  .Niederkommen",  Niederkunft;  auch  hört  man  in  Deutschland  die  Hoch- 
schwangere oft  sagen,  dass  sie  nun  bald  .zum  Liegen  kommen  würde*. 

Auch  in  England  heisst  Geburt  in  erster  Linie  labour  of  a  woman;  femer  ist  .Ent- 
binden" deHvery.  So  tritt  dort  wiedemm  der  Begriff  Labor  auf.  Gebären  heisst:  to  bear 
a  child;  und  Geburt  ist  gleichbedeutend  mit  birth.  Allein  auch  hier  kommt  die  Form  vor 
für:  .Sie  hat  einen  Knaben  geboren":  she  has  been  brought  to  bed  of  a  boy;  demnach 
wurde  auch  wohl  schon  früher  das  Bett  als  Geburtslager  gewählt  Das  Entbinden  aber  hat 
viele  Synonyma:  to  unbind,  to  untie,  to  loose,  to  deliver,  to  disengage,  to  clear  oder  to 
free  from  u.  s.  w. 

In  Tyrol  sagt  man  nach  Zingerle  von  einer  Entbundenen  .der  Ofen  ist  eingefallen". 
Vielleicht  steht  es  hiermit  in  Verbindung,  dass  ein  unfrachtbares  Weib  dort  in  einen  Backofen 
kriechen  muss. 


8  XXXV.  Die  rechtseiidge  (Geburt. 

220.  Die  Geburt  in  der  BUderschrift. 

In  den  ägyptischen  Hieroglyphen  findet  nch  nicht  selten  ein  bildliches  Zeichen, 
welches  die  Geburt  eines  Kindes  darstellt.  Dasselbe  ist  überall  da  typisch,  wo  ein  sich  auf 
Gebftren  oder  Geburt  begehendes  Wort  vorkommt;  es  wird  unmittelbar  nach  diesem  Worte 
angebracht,  um  ansudeuten,  dass  dasselbe  etwas  mit  dem  Gebftract  Zusammenhängendes  ent- 
hält (Fig.  259).  Die  Hieroglyphe  zeigt  eine  knieende  oder  siteende  Frau,  unter  deren  Schenkel 
Kopf  und  Arme  des  Kindes  su  Tage  treten. 


Fig.  258.   Aegyptisohes  HieroglyphenMloheii, 
den  Oebirftct  dantellend. 

Auch  auf  Rapanui,  der  durch  ihre  merkwürdige  prähistorische  Gultur  berühmten 
Oster-Insel,  finden  sich  Darstellungen,  welche  auf  die  Geburt  gedeutet  worden  sind.  Es 
wiederholen  sich  dort  sowohl  auf  den  alten  Steinhäusern  des  Banakao-Kraters,  als  auch  auf 
den  an  vielen  Felsen  befindlichen  Sculpturen  gar  häufig  die  Figuren,  welche  ic^  in  Fig.  260 
wiedergebe. 


Fig.  200.    Reliefbild  des  Gottes  Make- Make ^  eine  Geburt  bezeichnend. 
Oetei-Insel  (nach  Geiseier), 


Sie  sollen  dien  Make-Make,  den  Gott  der  Seevogeleier  personificiren.  Bisweilen  er- 
scheinen die  Beine  erhoben,  bisweilen  horizontal  gerichtet.  Stets  aber  ist  es  eine  Doppel- 
Stellung,  so  dass  zwei  Bilder  des  Gottes  sich  gegenflbergestellt  sind.  Da  nun  der  Make-Make 
in  diesen  Stellungen  das  Weibliche  und  Männliche  repräsentirt,  auch  alle  Kinder  ihm,  dem 
Urerzeuger,  geweiht  werden,  so  soll  dies,  wie  aus  den  Andeutungen  der  Eingeborenen  heraus- 
zuhören war,  die  Geburt  einer  Person  bezeichnen. 

Diesen  Zeichen  gehen  oft  andere,  welche  die  Vulva  der  Frau  vorstellen  sollen,  voraus 
oder  folgen  in  nicht  fernen  Zwischenräumen.  Sie  sollen  constatiren,  dass  die  betreffende  Geburt 
einer  ehelichen  Verbindung  entsprossen  ist.  (GeieeUr),  Es  wurde  hiervon  im  1.  Bande  in 
Fig.  78  eine  Abbildung  gegeben. 

Auch  unter  den  bildlichen  Darstellungen  anderer  schriftloser  Völker  kommen  bisweilen 
Geburtssoenen  vor.  Ich  gehe  auf  dieselben  hier  nicht  näher  ein,  da  ich  an  einer  späteren 
Stelle  auf  sie  zurückzukommen  habe.  Es  können  auch  nur  einzelne  von  ihnen  allenfalls  als 
ein  Ersatz  für  eine  schriftliche  Mittheilung  au^efasst  werden. 


XXXVL  Die  Geburt  im  religiösen  und  Volks-Glauben. 

221.  Der  Mysticismns  der  Geburt. 

In  der  YorstellaDg  ausserordentlich  vieler  Völker  begegnen  wir  übersinn- 
lichen Machten,  welche  mit  der  Geburt  eines  Kindes  in  unmittelbare  Beziehung 
gesetzt  werden.  Die  einen  gpreifen  helfend  und  erleichternd  ein,  andere  aber  er- 
weisen sich  feindselig  und  behindernd.  Je  tiefer  in  der  Cultur  die  Menschen 
stehen,  um  so  mehr  wird  der  Glauben  an  die  bösen  Geister  in  den  Vordergrund 
treten,  welche  der  gebärenden  Frau  Krankheit,  Noth  und  Qefahr  bereiten.  Dann 
liegt  es  nahe,  nach  Mitteln  zu  suchen,  um  solche  Dämonen  zu  yertreiben  und 
unschädlich  zu  machen.  Und  nun  schliesst  sich  das  Vertrauen  auf  höhere  Ge- 
walten an,  auf  die  Götter,  deren  mächtigen  Schutz  man  sich  durch  Gebete  und 
Opfer  verschaffen  kann.  Wir  werden  in  einem  der  nächsten  Kapitel  ausführlich  von 
solchen  Gottheiten  sprechen.  Hier  soll  aber  noch  auf  einzelne  Besonderheiten 
hingewiesen  werden,  welche  sich  hier  und  da  mit  dem  Geburtsacte  verbinden. 

Ernster  Natur  ist  in  dieser  Beziehung  eine  Ansicht,  welche  Angas  aus 
Australien  berichtet.  In  Queensland  haben  die  Weiber  den  Glauben,  dass  die 
Leibesfrucht  ihnen  einen  grossen  Theil  ihrer  Kraft  entzieht,  und  dieser  Anschauung 
entsprechend  soll  es  nicht  selten  vorkommen,  dass  eine  Mutter  ihr  eigenes  Kind 
gleich  nach  der  Geburt  aufiPrisst,  um  auf  solche  Weise  die  ihr  entzogene  Kraft 
in  ihren  Leib  wieder  zurückkehren  zu  lassen.     (Ändree^.) 

Einer  eigenthümlichen  Sage  über  die  Entstehung  der  Geburt  begegnen 
wir  bei  den  Dayaken  im  südlichen  Borneo.  Dieselben  erzählten  Hendrichs 
Folgendes: 

«Unsere  ürgrossmatter  hat  Eier  gelegt  und  durch  Ausbrüten  ihre  Nachkommenschaft 
vermelui».  Als  sie  einmal  vom  Neste  ging,  sagte  sie  zu  ihren  bereits  ausgebrüteten  Kindern : 
Geht  nicht  an  das  Nett!  Diese  aber  nahmen  die  Eier  heraus  und  kochten  sie,  und  siehe  da, 
Menschenkinder  waren  darin.  Als  die  Mutter  zurückkehrte  und  das  Geschehene  sah,  verfluchte 
sie  ihre  Kinder,  und  fortan  hörte  die  Vermehrung  durch  Brüten  auf,  und  die  Menschen 
werden  mit  Schmerzen  geboren." 

Es  sei  hier  noch  eine  abergläubische  Ansicht  erwähnt,  welche  bei  der  Be- 
völkerung von  Philadelphia  herrscht.*  Man  glaubt  dort,  wie  PhiUips  berichtet, 
dass  die  Frau  mit  jeglicher  Entbindung  einen  Zahn  lassen  muss. 

Im  russischen  Volke  ist  man,  wie  Demic  berichtet,  der  Meinung,  dass  der 
Zeitpunkt  der  Niederkunft  geheim  gehalten  werden  müsse.  Das  geht  in  den  nord- 
östlichen Theilen  des  Landes  so  weit,  dass  selbst  die  allernächsten  Anverwandten 
nichts  davon  erfahren  dürfen.  Denn  es  herrscht  der  Glaube,  dass  die  Ereissende 
für  jeden  Menschen,  der  von  der  Entbindung  erfährt,  leiden  müsse,  und  ein  böser 
Mensch  könne  die  Geburt  sogar  unmöglich  machen. 


10  XXXYI.  Die  Geburt  im  religiösen  und  Yolkg-Olauben. 

Im  Volksglauben  der  Indogermanen  knüpfen  sicli  an  die  Gebart  folgende 
mythische  Vorstellmigen,  wie  Sd^wartz  andeutet. 

Scbon  nach  delphischer  Sage  geht  Geburt  nnd  Bogenkampf  unter  dem  heiligen 
Baume  vor  sich,  auf  De  los  aber  umÜEwste  die  yerfolgt  umherirrende  Leto  die  heilige  Pabne 
halt-  und  hfllfesuchend  bei  der  Geburt.  Wie  Mannhardt  in  seinem  .Baumcultus*,  so  weist 
auch  Schwartg  auf  einen  mit  dieser  Xeto-Sage  vielleicht  zusammenhängenden  aberglftubischen 
Gebrauch  in  Schweden  hin:  dort  umfassen  Schwangere  in  ihrer  Noth  den  Värdträd  beim 
Hause,  um  eine  leichte  Entbindung  zu  erzielen.  Mannhardt  glaubt  nftmlich,  dass  diesem 
Brauche  ursprünglich  eine  mythische  Beziehung  zu  Grunde  liegt,  weil  es  in  der  Edda  heisst: 

«Mit  seinen  Früchten 

Soll  man  feuern, 

Wenn  Weiber  nicht  wolln  geb&ren. 

Aus  ihnen  geht  dann, 

Was  innen  bliebe: 

So  mag  er  Menschen  frommen.*^ 

Dazu  kommt  noch  nach  Sehwartty  dass  in  der  YOluspa  der  , Lichtbaum"  geradezu 
«Einderstamm*  heisst,  und  dass  es  noch  ähnliche  mythologische  Thatsachen  giebt,  in  denen 
Bäume  bei  der  Geburt  der  Kinder  als  Substitute  des  himmlischen  Lichtbaumes  gelten  kOnnen. 
Doch  wie  sinnreich  auch  solche  Auslegungen  und  Reflexionen  sein  mögen,  so  bleibt  doch  der 
directe  Zusammenhang  nichts  weiter  als  eine  Hypothese.  Denn  schon  jene  Stelle  der  Edda 
kann  ja  auch  einfach  auf  einen  Volksgebrauch  zurückgeführt  werden,  der  in  der  Vornahme 
▼on  Räucherungen  (sei  es  mit  Tannenzapfen  oder  mit  anderen  aromatischen  Früchten)  an 
die  Geschlechtstheile  der  Schwangeren  besteht,  um  die  Niederkunft  vorzeitig  einzuleiten; 
ein  gewöhnliches  Abtreibe-  oder  Yolksmittel  würde  dann  erst  im  Verlaufe  der  Zeit  eine 
mystische  Bedeutung  erhalten  haben,  ohne  dass  Reminiscenien  aus  alter  mythischer  Zeit  im 
Spiele  sind. 

Bei  einigen  Orang  Djäkun  in  Malacca  begegnen  wir  nach  Stevens  der 
Anschauung,  dass  die  leuchtenden  Jelly-Fische  herumirrende  Seelen  sind,  welche 
auf  die  Geburt  eines  Kindes  warten,  um  in  dieses  hineinzufahren.  Die  Orang 
Laut  glauben  Ton  der  fliegenden  Eidechse,  dass  sie  nach  Geburten  ausspähe,  um 
die  junge,  soeben  auf  der  Erde  ankommende  Seele  zu  veranlassen,  in  dem  Neu- 
geborenen ihre  Wohnung  zu  nehmen.  Die  fliegenden  Eidechsen  sind  der  mythischen 
Eisenden  Eidechse  unterstellt,  welche  die  Lebenssteine  bewacht,  die  der  Schöpfer 
fUr  diesen  Zweck  gemacht  hat.  Kein  Orang  Laut  wird  solches  Thier  todten, 
denn  die  anderen  würden  das  dadurch  rächen,  dass  sie  sich  weigern  würden, 
der  für  ein  neugeborenes  Kind  bei  diesem  Manne  bestimmten  Seele  dieses  zu 
zeigen.    (Bartels^,) 

222.  Die  Gebärende  gilt  als  unrein. 

Wie  an  alle  Sexualvorgänge  des  Weibes  und  namentlich  an  solche,  die  mit 
einem  Abgange  von  Blut  aus  den  Genitalien  verbunden  sind,  sich  in  der  Vor- 
stellung der  Völker  der  BegriflF  der  Verunreinigung  knüpft,  so  finden  wir  die 
gleiche  Anschauung  auch  in  Bezug  auf  die  Niederkunft:  die  gebärende  Frau  gilt 
bei  vielen  wilden  und  halbcultivirten  Völkern  für  unrein.  Die  Wilden  Süd- 
Amerikas  stossen  die  Kreissende  aus  ihrer  Hütte  in  den  Wald,  damit  sie  durch 
ihre  Anwesenheit  nicht  die  Kraft  der  Waffen  schwäche.  Als  Pater  Och  diesen 
Gebrauch  der  Indianer  Brasiliens  abschaffen  wollte  und  darauf  bestand,  dass 
die  Gebärenden  in  der  Hütte  bleiben,  zogen  sie  fort  aus  jener  Gegend;  sie  wollten 
in  keiner  Hütte  mehr  wohnen,  in  der  ein  Weib  geboren  hatte.  Bei  einer  Ent- 
bindung tragen  die  Tschuktschen  alle  Gegenstände,  welche  zum  Jagen  oder 
Fischen  gebraucht  werden,  aus  dem  Hause,  dann  werden  zwei  grosse  Blöcke  Schnee 
auf  einander  gelegt  und  in  das  äussere  Haus  gebracht.  £i  den  oberen  Block 
werden  kleine  Steine  kreisförmig  eingesteckt,  und  es  bleibt  der  Schnee  dort  in 
einer  Ecke  liegen  bis  er  schmilzt.   Die  Bedeutung  dieser  letzteren  Maassregel  ist 


222.  Die  GebSxende  gilt  als  unrein.  11 

nicht  recht  zu  verstehen.  Auch  die  Tungasen  in  Asien  und  die  Thlinkiten 
und  Eoloschen  in  Nord-Amerika  halten  das  gebärende  Weib  f&r  unrein,  und 
die  Nahrung  darf  ihr  nur  von  den  nächsten  weiblichen  Verwandten  gereicht 
werden.    (Krause,) 

Nach  KhUschack  wird  das  Eskimo-Weib  durch  die  Entbindung  auf  volle 
4  Wochen  in  den  Zustand  der  Unreinheit  versetzt. 

Colenson  giebt  an,  dass  die  Maori-Frau  auf  Neu-Seeland  nicht  nur 
selber  durch  die  Geburt  unrein  wird,  sondern  auch  Alles,  was  sie  berührt,  ver- 
setzt sie  in  den  Zustand  der  Unreinheit.  Auf  Hawaii  gebären  die  Frauen  in 
Zurückgezogenheit,  weil  sie  durch  die  Entbindung  unrein  werden.    (Campbell.) 

Die  Au£fa8sung,  dass  durch  die  Niederkunft  die  Frau  einer  derartigen  Ver- 
unreinigung unterliegt,  dass  sie  nur  durch  eine  besondere  Sühne  und  eine  reinigende 
Weihe,  wieder  f&r  die  menschliche  Gesellschaft  unschädlich  gemacht  werden  kann, 
müssen  wir  in  folgender  australischen  Sitte  vermuthen: 

Eine  eingeborene  Frau  in  Australien,  welche  einem  höheren  Range  angehörte,  durfte 
zwei  Monate  vor  der  Geburt  und  einen  Monat  lang  nach  derselben  nicht  mit  ihrem 
£hemaime  zusammenschlafen;  während  dieser  Zeit  wurde  sie  sorgfältig  von  anderen  Ein- 
geborenen getrennt  Sie  lebte  in  eiuem  geheiligten  Hause,  sie  durfte  nicht  kochen,  oder  auch 
nur  mit  ihren  Händen  Speise  berühren;  sie  war  umgeben  von  einem  oder  mehreren  Priestern 
(tolungas),  welche  fort  und  fort  über  sie  beteten.  Noch  ein  oder  zwei  Monate  lang  wurde 
die  Mutter  mit  ihrem  Kinde  isolirt  gehalten  und  von  einem  tolunga  ernährt.  Die  Geremonie 
wurde  noch  weiter  ausgedehnt,  wenn  das  Kind  ein  Knabe  war.    (Staranke.) 

Die  Weiber  der  Hill  Arrians  in  Travancore  werden  nach  Painter  für 
die  Niederkunft  in  eine  besondere  Hütte  verwiesen,  weil  man  sie  in  dieser  Zeit 
für  unrein  ansieht. 

Auch  bei  den  Niam-Niam  in  Afrika  gilt  höchst  wahrscheinlich  die  Frau 
während  der  Entbindung  für  unrein,  denn  sie  muss  dieselbe  ausserhalb  des  Hauses 
in  einem  nahen  Walde  abmachen.     (Piaggia.) 

«Jeder  Neger,  sagt  Schutt^  sieht  die  Frau,  die  demnächst  gebären  wird,  als  unrein 
an;  drei  Wochen  vor  ihrer  Entbindung  muss  sie  das  Dorf  verlassen  und  darf  keiner  mit 
ihr  verkehren;  ohne  jegliche  Hülfe  sieht  sie  meistens  der  schweren  Stunde  entgegen,  und  erst 
nachdem  sie  geboren,  kann  sie  wieder  in  ihre  Hütte  und  in  ihre  gewohnte  Umgebung  zurück- 
kehren."   (Westküste  Afrikas.) 

Es  würden  sich  für  derartige  Anschauungen  unschwer  noch  vielfache  Belege 
namentlich  aus  Afrika  beibringen  lassen.  Und  selbst  in  Europa  begegnen  wir 
ähnlichen  Gebräuchen:  In  Serbien  wird  die  Niederkunft  ohne  die  nöthige  Rück- 
sicht auf  die  Jahreszeit  im  Freien  vollzogen;  still  und  geräuschlos  entfernt  sich 
das  Weib,  um  nach  hergebrachter  Anschauung  das  Haus  nicht  zu  verunreinigen, 
und  sie  kehrt  nach  dem  Abgange  der  Nachgeburt  mit  dem  Neugeborenen  in  der 
Schürze  in  das  Haus  zurück.  (Valenta.)  Auch  in  Russland  wird  sowohl  das 
Kind  als  auch  die  Mutter  als  unrein  betrachtet  und  man  glaubt,  dass  sie  leicht 
dem  Einflüsse  schädlicher  Kräfte  ausgesetzt  sind. 

Ebenso  waren  im  alten  Athen  die  Kindbetterinnen  nach  dem  Ritus  der 
Brauronischen  Artemis  unrein,  so  dass,  wer  sie  mit  der  Hand  anrührte,  von 
den  Altären  aasgeschlossen  war,  wie  derjenige,  der  einen  Mord  begangen  hat. 
(Welcker.)  In  Epidaurus  war  von  Antonin  ftr  die  Angehörigen  des  grossen 
Heiligthums  ein  Gebär-  und  Sterbehaus  errichtet,  um  die  Verunreinigung  des 
Bodens  zu  verhüten.  Auch  Ptfthagoras  mied  (nach  Aleooander  bei  Diogenes  (8, 83)) 
die  Berührung  der  Todten  und  der  Wöchnerinnen  wie  jede  Befleckung;  und  nach 
Porphyrius  war  in  den  Eleusinien  dasselbe  vorgeschrieben.  Ein  eigenes  Qe- 
burtsgemach  hatten  schon  die  alten  Römer,  welche  das  Weib  nicht  nur  während 
der  Menstruation,  sondern  auch  in  der  Entbindungszeit  für  unrein  hielten. 

Auch  bei  den  Juden  war  die  Gebärende  unrein,  und  das  Gleiche  galt  sogar 
auch   von  der  Hebamme,  welche   ihr  Hülfe  geleistet  hatte.    Als  der  Zeitpunkt, 


12  XXXVI.  Die  Geburt  im  religiösen  und  Yolks-Glaaben. 

von  welchem  ab  das  Haas  der  Ereissenden  als  unrein  zu  meiden  war,  wurde  von 
den  Talmudisten  angegeben,  dass  es  diejenige  Periode  sei,  zu  welcher  die  Freun- 
dinnen beginnen  mOssten,  die  Gebärende  unter  den  Armen  zu  stützen.  Dieses  hat 
damit  seinen  Zusammenhang,  dass  die  Tahnudisten  der  Meinung  waren,  in  diese 
Zeit  falle  die  Eröffnung  des  Muttermundes. 

Eine  ganz  eigenthümliche  Absonderung  der  Gebärenden  fand,  wie  Giäierre 
Bicus  de  Gamee  (1379 — 1449)  angiebt,  an  den  Loire -Mündungen  statt: 

Die  Frauen  durften  auf  den  daselbst  gelegenen  Inseln  nicht  geb&ren,  sondern  sie 
mussten  sich,  um  niederzukommen,  jedesmal  auf  das  feste  Land  oder  auf  ein  Schiff  begeben. 
,n  y  a  lä  une  !le  habit^,  et  dans  laquelle  les  femmes  ne  peuvent  accoucher.  Quand  airive 
le  moment  de  la  d^livrance,  on  conduit  la  femme  en  terre  ferme  pour  qu'elle  y  accouche, 
QU  bien  on  la  met  en  mer  dans  une  embarcation,  et  les  couches  faites,  on  la  ramäne  dans 
rüe."  LiebrecfU,  welcher  dieses  Citat  bespricht,  sagt  dazu:  „Wir  begegnen  hier  also  deut- 
lichen Spuren  der  Heiligkeit,  in  welcher  zur  Druidenzeit  die  an  der  Nordwestkfiste  Galliens 
befindlichen  Inseln  gehalten  wurden,  weshalb  die  ersten  Heidenbekehrer  auch  gerade  dort 
ihre  Wohnsitze  aufschlugen."  LiehreefU  erinnert  hier  auch  an  die  druidischen  SamnitOn 
gjnaikes,  welche  nach  Strabo  (I.  lY.)  gleichfalls  auf  einer  an  der  Loire-Mflndung  belegenen 
Insel  wohnten  und,  um  mit  Mftnnem  Umgang  zu  pflegen,  sich  an  das  Festland  begeben 
mussten,  wahrscheinlich  der  Heiligkeit  der  Insel  wegen,  so  dass  sich  vermuthen  l&sst,  dass  sie 
aus  dem  nämlichen  Grunde  ihre  Entbindung  gleichfalls  nicht  auf  derselben  halten  durften, 
um  sie  nicht  zu  verunreinigen.  Auf  alle  F&Ue  zeigt  aber  auch  diese  Sitte ,  dass  die  Frauen 
der  dort  wohnenden  Kelten  bei  der  Entbindung  ftlr  unrein  galten. 

Einen  ganz  analogen  Vorgang  kennen  wir  aus  Alt-Oriechenland:  Die 
Athener  (in  der  88.  Olympiade)  reinigten  die  Insel  Delos  und  verboten  alsdann 
auf  Grund  eines  Orakels,  dass  auf  derselben  eine  Niederkunft  stattfinde;  zu  jener 
Zeit  war  diese  nunmehr  wüste  Insel  bewohnt  und  eine  berühmte  Gultusstatte. 
Man  glaubte  also  auch  hier,  dass  eine  Entbindung  den  Boden  der  geheiligten 
Insel  verunreinigen  könne. 

Den  Osseten  genügt  es  nicht,  die  hochschwangere  Frau  aus  dem  Hause 
zu  entfernen;  sie  muss  in  ihre  Heimath  zurückkehren,  um  dort  ihre  Entbindung 
abzumachen. 

Dieses  ist  eine  Sitte,  welche  wir  aber  auch  bei  einer  Anzahl  anderer  Völker 
finden.  So  wird  z.  B.  von  Kubary  von  den  Einwohnerinnen  der  Karolinen- 
Inseln  berichtet,  dass  sie  nicht  nur  für  jede  Entbindung,  sondern  auch  bei  allen 
Erkrankungen  in  das  Haus  ihrer  Eltern  zurückkehren  müssen. 

Die  soeben  von  den  Ossetinnen  und  von  den  Bewohnern  der  Karolinen- 
Inseln  berichteten  Gebräuche  lassen  aber,  wie  mir  scheinen  will,  auch  noch  eine 
anderweitige  Deutung  zu.  Vielleicht  haben  diese  Leute  gar  nicht  die  Au£Fassung, 
dass  die  gebärende  Frau  das  Haus  des  Ehemaimes  verunreinigen  würde.  Möglicher 
Weise  müssen  wir  in  dieser  Rückkehr  in  das  Elternhaus  vielmehr  noch  alte  Re- 
miniscenzen  an  das  einstige  Bestehen  eines  Matriarchates  erkennen.  Nur  die  Frau 
gehört  dem  Gatten;  sie  ist  durch  den  Brautkauf  in  seinen  Stamm  übergetreten; 
aber  das  Kind,  welches  sie  gebiert,  gehört  wieder  dem  Stamme  der  Mutter  an, 
denn  der  Vater  hat  es  nicht  mitgekauft.  Um  es  nun  dem  mütterlichen  Stamme 
zu  sichern,  muss  von  vornherein  dafür  Sorge  getragen  werden,  dass  es  nicht  unter 
Fremden,  d.  h.  in  dem  Stamme  des  Vaters,  das  Lidit  der  Welt  erblickt.  Nehmen 
wir  eine  solche  Auffassung  als  ursprünglichen  Beweggrund  an,  dann  würde  die 
besprochene  Sitte  ftir  uns  sehr  gut  verständlich  werden. 

In  der  Anschauung  mancher  Völker  ist  weniger  die  gebärende  Frau  unrein, 
als  vielmehr  diejenigen  Stoffe,  welche  bei  der  Entbindung  aus  ihren  Geschlechts- 
theilen  austreten.  So  muss,  wenn  unter  den  Parsen  bei  einer  Frau  die  Ent- 
bindung naht,  diese  auf  einem  eisernen  Bette  hausen,  da  sie  die  anderen  Arten 
von  Betten  verunreinigen  würde;  in  dem  Zimmer,  wo  sie  sich  befindet,  wird 
mehrere  Tage  ein  Feuer  angezündet,  um  die  bösen  Geister  zu  bannen,  (du  Perron.) 
Auch  die  Chinesin  muss,  da  sie  es  für  eine  grosse  Unreinlichkeit  halten  würden, 


228.  Die  Gebärende  muBs  Ruhe  haben.  13 

dass  die  Gebärende  mit  ihrem  Blute  ein  Zimmer  oder  Bett  besudelte,  sich,  wenn 
sie  niederkommen  will,  mit  ihrem  Gebärstahle  in  eine  Wanne  setzen. 

,In  Japan  ist  das  Gebnrtslager  unmittelbar  auf  der  Diele;  dieses  Lager 
bleibt  Ton  Matten  entblösst,  um  letztere  rein  zu  erhalten;  als  Unterlage  dient 
etwas  Baumwollenzeug.*  Hierbei  kommt  wahrscheinlich  auch  wesentiich  die 
Scheu  vor  Verunreinigung  in  Betracht.  Auch  die  Sitte,  im  Badehause  die  Ent- 
bindung abzumachen,  beruht  wohl  auf  ähnlichen  Anschauungen.  Wir  kommen 
sxd  dieselbe  noch  zurück. 

228.  Die  Gebärende  mnss  Buhe  haben. 

Ganz  zweifellos  liegt  der  später  noch  zu  besprechenden  Sitte,  dem  kreissenden 
Weibe  f&r  ihre  Niederkunft  eine  eigene  Gebärhütte  anzuweisen,  ursprünglich  eben- 
fdls  die  Anschauung  zu  Grunde,  dass  eine  Entbindung  im  Wohnhause  dieses 
und  seine  Insassen  yerunreinigen  würde.  Aber  in  einer  gewiss  nicht  geringen 
Reihe  von  Fällen  ist  dieser  Begriff  schon  längst  in  Vergessenheit  gerathen;  der 
"Gebrauch  jedoch  hatte  auch  femer  Bestand,  nun  aber  mit  der  ausgesprochenen 
Absicht,  dem  Weibe  in  ihrer  schweren  Stunde  einen  möglichst  ruhigen  und  un- 
gestörten Aufenthaltsort  zu  schaffen.  Hierdurch  erklärt  es  sich  denn  auch  gar 
nicht  selten,  dass  Niemandem  ausser  den  helfenden  Weibern  der  Zutritt  zu  der 
•Gebärhtitte  oder  bei  anderen  Völkern  zu  dem  Wohnhause,  in  welchem  die  Nieder- 
kunft erfolgt,  gestattet  wurde.  • 

t  Es  ist  nicht  die  Furcht  vor  der  Verunreinigung,  welche  den  Stammesgenossen, 

und  selbst  den  Verwandten  und  sogar  recht  häufig  selbst  dem  Ehegatten  verbietet, 
den  Gebärraum  zu  betreten,  sondern  man  scheut  ihre  Anwesenheit,  weil  sie  schä- 
digend auf  die  KJreissende  und  störend  und  hemmend  auf  den  Geburtsverlauf  ein- 
wirken würden.  Abergläubische  Furcht  vor  dem  bösen  Blick,  vor  magischen 
Gesten  und  bezaubernden  Worten  spielt  hierbei  eine  bedeutende  Bolle.  Darum 
werden  auf  Ambon  und  den  TJliase -Inseln  sogar  auch  alle  Leute  fortgewiesen, 
welche  zufallig  vor  dem  Wohnhause  sich  niedergelassen  haben. 

Dieses  Verbot  für  den  Ehemann,  die  Freunde  und  Verwandten,  das  Gebär- 
zimmer zu  betreten,  findet  sich,  wie  bereits  angedeutet  wurde,  in  weiter  Ver- 
breitung vor.  Wir  treffen  es  im  malayis eben  Archipel  ausser  auf  Ambon  und 
den  üliase- Inseln,  wo  namentlich  der  Schwager  der  Frau  auch  nicht  einmal 
das  Haus,  geschweige  denn  das  betreffende  Zimmer  betreten  darf,  auch  auf 
Serang,  Seranglao  und  Gorong,  auf  Leti,  Moa  und  Lakor,  auf  Eeisar 
und  Eetar  und  auf  den  Aaru-Inseln.  Das  Gleiche  gilt  flir  die  Galela  und 
Tobeloresen  auf  Djailolo  und  auf  den  Sulah-Inseln.  Auf  Tanembar  und 
Timoriao  wird  das  Haus  als  unbetretbare  Stätte  dadurch  kenntlich  gemacht, 
dass  der  Ehemann  an  der  Thür  einen  Zweig  von  dem  Inaan-Strauche  befestigt. 
(Riedel.) 

Vaughan  Stevens  sagt  von  den  Orang-Djäkun  in  Malacca,  dass  sie  an 
einer  in  die  Augen  fallenden  Stelle  ein  Bündel  von  Ejoo -Fasern  (die  Faserhülle 
vom  Blattstiele  der  Arenga-Palme)  aufhängen,  um  den  Vorübergehenden  anzu- 
zeigen, dass  in  der  Hütte  oder  hinter  der  Schutzwand  eine  Frau  sich  in  Kindes- 
nöthen  befinde.  Bei  dem  Anblick  jenes  Zeichens  wendet  jeder  Mann  sofort  um. 
Von  den  Weibern  werden  solche  Faserbündel  von  der  Grösse  eines  Kinder^opfes 
für  diesen  Zweck  stets  vorräthig  gehalten.     (Bartels^.) 

Bei  den  Basuthos  wird  die  Hütte,  in  welcher  eine  Gebärende  sich  be- 
findet, durch  ein  über  der  Thür  befestigtes  Bündel  Rohr  der  allgemeinen  Rück- 
sicht empfohlen.     (Hamy.) 

Auch  bei  den  Topantunuasu,  einem  Volksstamme  auf  Selebes,  darf,  wie 
Riedd^^  berichtet.  Niemand  das  Zimmer  betreten,  in  welchem  die  Entbindung 
stattfindet.  Erst  wenn  das  Kind  gebadet  ist,  darf  der  Vater  hereinkommen  und 
es  besichtigen. 


14  XXXVI.  Die  Geburt  im  religiösen  und  YolkB-Glanben. 

Bei  den  B adagas  im  Nilgiri-Gebirge  (Indien)  yerlassen  die  Manner  so- 
fort, wenn  die  Frau  Geburtsschmerzen  empfindet,  das  Hans  (Jagor)\  ebenso  sind 
bei  den  Georgiern  und  Armeniern,  wo  sich  die  Frau  vor  der  Niederkunft 
am  ganzen  Leibe  reinigt,  die  Manner  bei  diesem  Vorgänge  nicht  gegenwärtig  und 
sehen  selbst  drei  Wochen  nach  der  Entbindung  die  Frau  nicht.  Der  Hotten- 
totte muss,  sobald  die  Geburtshelferinnen,  welche  der  Frau  beistehen  wollen,  seine 
Hütte  betreten  haben,  dieselbe  verlassen  und  sich  wahrend  der  Niederkunft  nicht 
in  derselben  sehen  lassen.  Kommt  er  doch  hinein,  und  es  gelangt  dies  zur  öffent- 
lichen Kenntniss,  so  muss  er  seinen  Freunden  zwei  Hammel  zum  Besten  geben. 
(Kölb.)  Auch  bei  den  Omaha-Indianern  darf  kein  Mann  Zeuge  der  Geburt 
sein.  Der  Mann  und  die  Kinder  gehen  während  dieser  Zeit  in  eine  andere 
Wohnung. 

Bei  manchen  anderen  Stammen  hat  sich  dieses  Verbot  schon  insoweit  ab- 
geschliffen, als  im  Allgemeinen  allerdings  ausser  den  direct  helfenden  Frauen 
Niemand  bei  der  Niederkunft  zugegen  sein  darf,  jedoch  wird  dem  Ehegatten  der 
Zutritt  gestattet.  Das  finden  wir  auf  den  Luang-  und  Sermata-Inseln  und 
auch  in  dem  Haawu -Archipel,  und  auf  den  Babar-Inseln  wird  seine  Anwesen- 
heit sogar  gefordert,  da  er  an  den  Hülfeleistungen  bei  der  Entbindung  einen 
thätigen  Antheil  nehmen  muss,  indem  er  der  Kreissenden  den  Bauch  massirt. 
{Riedd.) 

Aus  Bosnien  berichtet  Glück: 

„Das  Bestreben,  den  Gebnrtsact  wenigstens  vor  den  Männern  im  Hause  geheim  zu 
halten,  tritt  in  Bosnien  überall  auf  dem  Lande  za  Tage.  Sowie  die  Frau  nur  die  Wehen 
verspürt,  werden  die  Männer  unter  allen  möglichen  Vorwänden  aus  dem  Hanse  entfernt.  Der 
Mann  soll  sich  Oberhaupt  in  diese  weibliche  Angelegenheit  nicht  mischen." 

Das  sind  also  Nachklänge  alter  Sitten,  deren  ursprüngliche  Beweggründe 
dem  Volke  vermuthlich  längst  schon  aus  dem  Gedächtniss  entschwunden  sind. 


XXXVIL  Die  Mythologie  der  Geburt. 

224.  Die  Entstehung  mythologischer  Anschannngen  über  die 

GebnrtSTorg^nge. 

In  der  Einleitang  des  Torigen  Kapitels  wurde  bereits  darauf  hingewiesen, 
wie  der  weit  ausgedehnte  Animismus,  welchem  wir  bei  den  Naturvölkern  begegnen, 
die  sie  umgebende  Nalur  mit  geföhrlichen  Dämonen  beyölkert,  deren  Gewalt  sie 
nur  durch  den  Beistand  überirdischer  Mächte  entgehen  können.  Immer  mehr 
und  mehr  nimmt  dann  eine  solche  schutzverleihende  Macht  den  Charakter  und 
die  Gestalt  einer  Gottheit  an,  deren  Hülfe  man  sich  durch  Gebete  und  durch 
Opfergaben  versichern  muss.  Es  wird  uns  daher  auch  wohl  begreiflich,  dass 
gerade  ein  so  aufregender  Vorgang,  v^e  die  Entbindung  der  Frau  ihn  bildet, 
sehr  häufig  ganz  besonderen  Gottheiten  unterstellt  wird,  welche  meist  weiblichen 
Geschlechts,  die  Dienste  ab  Geburtshelferinnen  übernehmen  müssen. 

Bei  der  Vielheit  der  guten  Geister,  die  im  steten  Kampfe  mit  den  Dämonen 
leben,  kommt  es  ja  naturgemäss  allmählich  zu  einer  Theilung  der  Arbeit,  und 
schliesslich  hat  dann  in  der  Weltregierung  ein  Jeder  sein  streng  abgegrenztes 
Gebiet.  Hat  sich  aus  dieser  Vielheit  der  Götter  der  Monotheismus  herausgebildet, 
dann  steht  natürlich  dem  einheitlichen  Gotte  auch  die  alleinige  Macht  über  das 
Wunder  zu,  das  sich  in  dem  Acte  des  Gebarens  vollzieht.  Aber  auch  bei  den 
monotheistischen  Völkern  hat  der  einige  Gott  den  Kampf  mit  dem  bösen  Geiste 
auszufechten,  wobei  ihm  gar  nicht  selten  Hülfsgeister  oder  Heilige  zur  Seite 
stehen. 

Es  ist  eine  bemerkenswerthe  Erscheinung  in  dem  geistigen  Leben  der  Völker, 
dass  die  Gottheit,  welche  nach  ihrem  Glauben  der  Geburt  vorsteht,  auch  in  der 
Zeugung,  diesem  wundersamsten  Naturprocess,  sich  kundgiebt. 

Bei  vielen  Nationen,  welche  in  dem  sinnlichen  Wesen  ihren  eigensten  Ge- 
fühlsausdruck  finden,  vnrd  dann  dieser  Göttin  der  zeugenden  Kraft  die  Verehrung 
unter  der  Befriedignng  des  schamlosesten  Sinnesgenusses  dargebracht.  Wir  werden 
in  den  folgenden  Abschnitten  derartige  Gottheiten  kennen  lernen. 


225.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  alten  CnItnrYolkem  des 
Enphrat-Tigris-Gebietes. 

laicht  nur  die  Griechen  und  ROmer  hatten  eine  die  Gebortehülfe  berührende  Mytho- 
logie, wie  es  fast  scheinen  möchte,  wenn  man  in  v,  Siebold's  Versuch  einer  Geschichte 
der  Gebnrtshülfe  nur  deren  Mythe  behandelt  findet;  vielmehr  sind  alle  alten  Völker  des 
Orients,  d.  h.  ganz  Vorder-  und  Süd-Asiens  sowie  Aegyptens,  im  Besitze  einer  geborts- 
hülflichen  Götterlehre.  Ans  neueren  Forschungen  geht  sogar  hervor,  dass  eine  recht  grosse 
Zahl   alter  Völker  den   Schutz   der  Geburtshülfe  einer  und  derselben  Gottheit  zuschrieben. 


16  XXXYII.  Die  Mythologie  der  Gebort. 

Ihre  Geburtsgottheiten  echeinen  in  vielen  Fällen  identisch  za  sein.  Entweder  hat  somit  ein 
Volk  Ton  dem  anderen  die  Verehnmg  der  GeburtsgOttin  angenommen,  oder  die  betreffenden 
Völker  kamen  anabhängig  von  einander  darauf,  eine  ähnliche  göttliche  Gebartehelferin  in 
ihren  religiösen  YorstellungskreiB  aufzunehmen.  Das  erstere  werden  wir  wohl  als  das  wahr- 
scheinlichere betrachten  müssen. 

Auf  dem  Gebiete  Vorder- Asiens  hausten  in  uralter  Zeit  zwei  Rassen:  eine  mon- 
golisch-turanische,  die  Sumerier,  und  eine  semitische,  die  Chaldäer;  beide  hatten 
ihren  spedfischen  Religionscult  ausgebildet;  doch  die  mongolisch-turanische  Völkerschaft, 
welche  in  frühester  Zeit  Babylon  bewohnte,  war  in  ihrer  Cultur  viel  weiter  vorgeschritten, 
als  zu  gleicher  Zeit  die  semitischen  Völker.  Die  Sumerier  hatten  andere  Götter  als  die 
Chaldäer,  Phönicier,  Araber  u.  s.  w.  Als  jedoch  die  semitischen  Chaldäer  in 
Assyrien  eindrangen  und  sich  Babylon  unterwarfen,  da  konnten  sie  als  minder  cultivirte, 
obgleich  herrschende  Nation  der  mächtig  auf  sie  einwirkenden  Cultur  des  überwundenen 
Volksstammes  nicht  widerstehen.  Vielmehr  nahmen  sie  einen  grossen  Theil  des  ihnen  impo- 
nirenden  Cultus  an.  Die  Istar  wtrde  als  Herrin  des  Himmels,  des  Bodens,  der  Ebene  u.  s.  w. 
in  besonderen  Tempeln  verehrt  In  der  Sintiiuth- Legende  jammert  sie:  «Ich  gebäre  die 
Menschen  nicht  dazu,  dass  sie  wie  Fischbrut  das  Meer  füllen.'  (Sayce,)  Sie  wird  von  Jere- 
miaa  in  der  Bibel  als  AaüUheroih  angeführt  und  erhielt  dann  bei  den  Babyloniern,  Assy- 
rem,  Phöni eiern  u.  s.  w.  den  Namen  Astarie.  Die  phönicische  Astarte,  die  Alles  Ge- 
bärende, hatte  auch  auf  den  Klein- Asien  benachbarten  Inseln  (vor  Allem  auf  Cypern)  be- 
rühmte Cultstätten,  in  deren  Tempelruinen  noch  jetzt  viele  Weihgeschenke  gefunden  werden. 
fPalma  di  Ceanola.J 

Dass  die  Chaldäer  schon  frühzeitig  auch  den  Mondcultus  hatten,  bezeugt  das  Alte 
Testament,  denn  Abraham  fand  denselben  in  der  alten  Stadt  Haran.  Die  Chaosgöttin  der 
Chaldäer  hiess  Thlalat,  welche  mit  der  Eikithyia  identisch  ist,  und  gilt  (bei  Berosus  und 
AhydenusJ  gleichbedeutend  mit  Selene. 

Die  babylonische  Astarte  trat  nicht  nur  als  Göttin  des  Empfangens  und  Gebarens, 
sondern  auch  als  himmlische  Jungfrau,  Königin  der  Nacht,  als  Königin  des 
Himmels  auf.  Mit  ihrem  Namen  verband  man  die  Idee  der  feuchten,  empfangenden,  frucht- 
baren Erde  und  des  befruchteten  und  hinwieder  befruchtenden  Mondes.  Als  Göttin  der 
Fruchtbarkeit  war  sie  die  allgemeine  Mutter,  die  AUgebärerin,  und  trug  als  Symbol  den  weib- 
lichen Gürtel.  In  der  Vorstellung  der  Griechen  identificirte  sich  diese  Göttin  mit  ihrer 
Aphrodite;  hierüber  sagt  Härtung:  „Die  Aphrodite  oder  die  kyprische  Göttin  ist  dem  Namen 
wie  der  That  nach  Eins  mit  der  Aschera,  Astarta^  Asteröth,  Astarte.  In  der  Gegend  von 
Troja  wurde  dieser  Name  in  Adraste  umgedreht." 

Neben  dem  Bei  oder  Bil  der  Babylonier,  dem  Baal  der  Semiten  (Phönicier) 
stand  die  Aschera  der  Syrer,  die  Mylitta  der  Babylonier,  welche  die  Göttin  der  Frucht- 
barkeit, die  gebärende  Naturkraft  war.  Die  Babylonier  verehrten  zuerst  drei  Götter: 
Anul,  Bil  und  Hea  mit  ihren  drei  Frauen  Anat,  Beltis  oder  Mylitta  und  Bavkina,  Die  Frau 
des  Bel^  die  Mylitta,  scheint  noch  angesehener  gewesen  zu  sein,  als  er  selbst;  sie  heisst  die 
grosse  Göttin,  auch  die  Mutter  der  Götter,  und  man  findet  ihre  Tempel  in  Ur,  Warka 
und  Nif f er.  Ausserdem  hatten  die  Babylonier  noch  drei  Götter  und  drei  Göttinnen,  unter 
denen  die  Sonnengöttin  unter  dem  Namen  Ananit  angerufen  wurde.  (Spiegel.)  Bemerkens- 
werth  ist  bei  dieser  Ananit,  dass  nach  Berosus'  Angabe  der  Perser-König  Artaxerxes  den 
-4nattw-Cult  in  Babylon  einführte. 

Zu  Ehren  der  Mylitta  fand  in  Babylon,  wie  Herodot  als  Augenzeuge  berichtet,  reli- 
giöse Prostitution  statt:  Gesetzlich  war  jede  eingeborene  Frau  gehalten,  einmal  in  ihrem 
Leben  den  Tempel  dieser  Göttin  zu  besuchen,  um  sich  dort  einem  Fremden  preiszugeben. 
Viele  der  Damen,  die  vornehm  und  stolz  waren,  verschmähten  es,  sich  mit  den  Frauen  niederer 
Herkunft  zu  vermischen:  sie  begaben  sich  in  verdeckten  Wagen  in  den  Tempel,  wo  sie  Platz 
nahmen,  eine  grosse  Anzahl  Sclavinnen  hinter  sich,  während  die  anderen  Weiber,  den  Kopf 
mit  Kränzen  von  Schnüren  geschmückt,  auf  dem  abhängigen  Erdreich  vor  dem  Tempel  sassen. 
So  bildeten  diese  gleichsam  Alleen,  welche  durch  ausgespannte  Stricke  getrennt  waren,  und 
welche  nun  die  Fremden  durchwanderten,  um  nach  Neigung  zu  wählen.  Wenn  eine  Frau 
dort  Platz  genommen,  so  durfte  sie  denselben  nicht  verlassen,  bevor  ihr  nicht  ein  Fremder 
Geld  auf  den  Schooss  geworfen,  wobei  er  die  Göttin  Mylitta  anrief;  dann  begab  sie  sich  mit 
ihrem  Galan  ausserhalb  der  geweihten  Stätte,  brachte  mit  ihrer  Preisgebung  das  der  Mylitta 
schuldige  Opfer  und  ging  nach  Hause.  Der  Prophet  Baruch  erzählt  schon  zwei  Jahrhunderte 
vor  dem  griechischen  Geschichtsschreiber  Herodot  von  diesem  schimpflichen  Cult  in  denf 
Briefe  des  Jeremias  an  die  Juden,  welche  Nebukadnejsar  in  die  Gefangenschaft  geführt  hatte. 


226.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  phönicischen  Völkern.  17 

Und  ein  halbes  Jahrtausend  nach  Herodot  fand  Strabo  noch  immer  dieses  der  Göttin  ge- 
heiligte «Lager  der  Prostitution*,  einen  weiten,  den  Tempel  umschliessenden  Raum  mit  Zellen, 
Laubg&ngen,  Hecken  und  kleinen  Gärten  versehen. 

Am  unteren  Euphrat  und  Tigris  wohnt  noch  jetzt  eine  eigenthümliche ,  dem  Dua- 
lismus in  der  Religionslehre  huldigende  Secte,  die  Mand&er,  von  denen  Petermann  Näheres 
berichtete;  sie  verehren  die  Rucha,  die  Mutter  des  weltgrossen  Ungeheuers  ür.  Von  dieser 
jRueha,  von  der  alle  Zaubereien  und  bösen  Lüste  kommen  sollen,  lässt  sich  nichts  Gutes  aus- 
sagen, ausser  dass  sie  den  Gebärenden  Beistand  leistet.  So  scheint  denn  diese  Göttin,  wie 
Braun  meint,  gewissermaassen  analog  zu  sein  mit  der  babylonischen  Urnachtgöttin, 
der  geburtshelfenden  Ilidhya  der  Griechen  u.  s.  w.,  die  als  LiUth,  Lamia  u.  s.  w.  ebenfalls 
zum  bösen  Schreckgespenst  geworden  ist. 


226.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  pbonieischen  Yolkem. 

Die  Verehrung  der  Aaiarte  war  von  den  Völkerschaften  des  Euphrat-  und  Tigris- 
Gebietes  auch  auf  die  Phönicier  übergegangen.  Durch  ganz  Syrien  war  ihr  mit  religiöser 
Prostitution  verbundener  Cultus  verbreitet,  doch  meist  huldigten  ihr  die  Frauen,  während  die 
Männer  eine  Gottheit,  aus  der  sich  später  der  Priapua  entwickelte,  verehrten«  Die  Ästarte 
hatte  ihre  Tempel  in  den  Hauptstädten  Phöniciens,  von  welchen  die  zu  Sidon,  zu 
Heliopolis  in  Syrien  und  zu  Aphaca  am  Libanon  die  berühmtesten  waren.  Die  nächt- 
lichen Feste  der  Astarte,  welche  hier  beide  Geschlechter  in  sich  vereinigte,  feierten  Männer 
in  Frauen-,  Frauen  in  Männer-Kleidung.  Die  scheusslichsten  Ausschweifungen  fanden  statt, 
wobei  eine  Schaar  von  Priestern  unter  Musik  die  Geremonien  regelte.  Im  vierten  Jahrhundert 
n.  Chr.  schaffte  Constantin  der  Grosse  diese  Feste  durch  ein  Gesetz  ab  und  zerstörte  den  Tempel 
der  Ästarte  (nach  Eusebiw). 

Durch  die  Phönicier  wurden  der  Ästarte  auch  auf  der  Insel  Cypern  Altäre  errichtet. 
Homer  erzählt,  dass  die  aus  dem  Meere  entsprungene  Aphrodite,  wie  der  glänzende  Stern 
üranta,  den  die  chaldäi sehen  Hirten  in  schönen  Sommernächten  daraus  aufsteigen  sahen, 
zu  ihrem  irdischen  Reiche  die  Insel  Cypern  gewählt  habe,  und  dass  die  Götter  bei  ihrer 
Geburt  sie  ihr  zum  Antheil  angewiesen  hätten.  Ästarte  trat  nun,  wie  in  Babylon  als 
Mylitta,  hier  als  Aphrodite  auf.  Zwanzig  Tempel  errichtete  man  ihr  auf  der  Insel;  zu  Paphos 
und  Amathus  waren  die  berühmtesten,  wo  auch  die  Prostitution  den  höchsten  Grad  ihrer 
Ausbildung  erreichte;  die  Töchter  Cyperns  opferten  zur  Ehre  Gottes  ihre  Keuschheit.  Sie 
spazierten  Abends  am  Meeresufer  und  verkauften  sich  den  Fremden,  welche  auf  die  Insel 
kamen.  Justinus  erzählt,  dass  sie  zu  seiner  Zeit  allerdings  noch  diese  Spaziergänge  beibehalten 
hatten,  allein  das  Geld,  das  sie  einnahmen,  zu  einer  Mitgift  für  ihre  Männer  sparten,  anstatt 
es,  wie  noch  zwei  Jahrhunderte  früher,  auf  dem  Altar  der  Göttin  niederzulegen. 

Als  cyprische  Göttin  trug  die  ^9^art6  auf  dem  Haupte,  ähnlich  der  Isis,  Kuhhömer, 
die  sie  als  Mondgöttin  ankündigten«  Es  waren  ihr  die  Granatäpfel  geweiht  als  Sinnbild 
der  Fruchtbarkeit;  auch  Fische  waren  ihr  Symbol  und  femer  der  Spinnrocken. 

Wenn  sich  nun  mehrere  dieser  Symbole,  namentlich  der  Spinnrocken,  sowie  der  Um- 
stand, dass  ihr  die  Tauben  heilig  waren,  bei  den  Geburtsgottheiten  anderer  Völker  wieder- 
finden, so  entsteht  die  Frage,  in  wie  weit  hier  eine  Uebertragung  stattfand.  Die  Tauben  er- 
innern an  das  Reinigungsopfer  der  Juden,  welches  gleichfalls  in  Turteltauben  dargebracht  wurde. 

In  Kleinasien  gab  es  zu  Zela  und  Comana  im  Pontus,  zu  Corinth,  wie  zu 
Susa  und  Ekbatana  in  Medien,  auch  bei  den  Parthern  Tempel,  in  welchen  Orgien 
gefeiert  wurden.  In  Lydien  bedurfte  es  bald  nicht  mehr  des  Vorwandes  eines  religiösen 
Festes,  um  den  Mädchen  alle  Rücksichtslosigkeit  zu  gestatten,  damit  sie  sich  durch  Pro- 
stitution eine  Mitgift  verdienten. 

In  Phrygien  verehrte  man  die  Cybde,  die  verkörperte  Erde,  die  von  dem  Phallw- 
gotte,  der  Sonne,  ihrem  Manne,  befruchtet  wird;  sie  stellt  zugleich  mit  dem  Bilde  des 
Phallus  die  Naturgöttin  dar:  ihre  Priester  (GdlliJ  entmannten  sich  und  leg^n  weibliche 
Kleidung  an;  im  Herbst  und  Frühjahr  wurden  diese  Gottheiten  in  ausschweifender  Weise 
gefeiert  Weil  die  Fruchtbarkeit  dadurch  entstanden  sein  sollte,  dass  die  Samengefässe  des 
Sonnengottes  auf  die  Erde  gefallen  waren,  deshalb  nahmen  die  Priester  an  sich  selber  die 
Entmannung  vor. 

Die  Sabäer  und  Jezdianen  feierten  eine  der  Venus  ähnliche  Gottheit,  die  Göttin 
der  Zeugung,  der  man  mit  Safran  räucherte  und  deren  Dienst  Weiber  besorgten.  Ihre  Mytho- 
logie kennt  man  noch  wenig. 

Ploss-Bftrtels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    IL  2 


18  XXXVII.  Die  Mythologie  der  Gebart. 

Von  Babylon  auf  verbreitete  sich  der  Astarte-CvltvLS  zu  mehreren  semitischen 
Völkern,  welche  zum  Theil  schon  ihre  eigenen  Zeugungs-  und  Greburtsgottheiten  hatten,  diese 
aber  mehr  oder  weniger  schnell  und  eng  mit  der  Ästarte  Temüschten.  Von  den  PhOniciern 
haben  wir  schon  gesprochen;  sie  trugen  die  Verehrung  dieser  neben  dem  Baal,  dem  Gölte 
des  Befruchtens,  stehenden  Göttin  flberall  hin  in  ihre  Colonien.  und  ebenso  war  neben 
Jahtceh  und  Moloehf  und  neben  dem  am  meisten  verehrten  B€ud  in  Alt -Israel,  der  Cultus  der 
Aschera  zur  Zeit  des  Salomon  und  der  anderen  polytheistischen  Könige  ganz  populär.  Die 
gute  Göttin  Ascheray  die  Baalath  des  Baal,  war  im  Grunde  identisch  mit  Istar,  mit  der 
ul«tatte  der  Babylonier,  der  Tanit  oder  Rübat-Tanit  Garthagos,  mit  der  syrischen 
Göttin  zu  Hieropolis,  der  Baalak  von  Biblos,  der  Derketo  zu  Askalon  und  der  assy- 
rischen Mylitta  (Büit).  Diese  Gattin  des  Beel  (Bdit),  die  Mutter  der  grössten  Götter,  galt 
nach  Menant  denAssyrern  als  die  Göttin,  die  den  Geburten  vorsteht,  und  Herodot  sagt 
ausdrücklich,  dass  die  Aphrodite  der  Assyrer  Mylüta,  und  die  der  Araber  ^2^tto  seL  Die 
südcananäischen  Völkerschaften  scheinen  diese  Göttin  nach  Juda  und  Israel  gebracht 
zu  haben,  bei  denen  sie  bis  zur  babylonischen  Gefangenschaft  verehrt  wurde. 

Die  alten  Araber  beteten  vor  der  Einführung  des  Mohamedanismus  die  Mondgöttin 
Alilath,  auch  Alüta,  arabisch  al-llähat,  als  Göttin  der  Fruchtbarkeit  und  Geburt  an.  Nach 
Herodot  hatten  sie  zwei  Gottheiten:  Orotal  und  Alitat  Herodot  bemerkt,  dass  diese  Gottheiten 
mit  dem  Dionysos  und  der  Urania  identisch  seien.  An  einer  anderen  Stelle  nennt  er  die 
Alilat  auch  Alitta,  Krehl  hat  nun  nachgewiesen,  dass  Orotal  (auch  Urotal)  arabisch  Nuräüa, 
d.  h.  Licht  Gottes,  geheissen  und  die  Sonne  bedeutet  habe,  w&hrend  Alilat  (aUIldhatJ  die 
Göttin  des  Mondes  war  und  nur  deshalb  mit  der  Urania,  sowie  mit  der  Mylitta  (nach 
Herodot  die  Venus  der  Assyrer)  verglichen  werden  konnte.  Krehl  sagt:  »Die  an  der  Küste 
des  mittelländischen  Meeres  ansässigen  Araber  verehrten  als  Gottheiten  die  Sonne  und 
den  Mond  mit  einem  Cultus,  dessen  Formen  von  dem  ursprünglich  einfachen  bereits  verschieden 
waren.  Die  anflLnglich  als  Sitze  und  Erscheinungsformen  der  Gottheit  angesehenen  Gestirne 
des  Tages  und  der  Nacht  verehrte  man  bereits  als  Götter,  welchen  man  die  Veränderungen  des 
Naturlebens,  die  Befruchtung  und  Erzeugung,  Wachsthum  und  Blühen,  Leben  und 
Sterben  zuschrieb.  Als  spätere  männliche  Gottheit  verehrte  man  die  Sonne,  welcher  als 
schwächeres  weibliches  (d.h.  empfangendes  und  gebärendes)  Princip  der  Mond  gegen- 
überstand, dessen  Cultus,  der  ihm  zu  Grunde  Hegenden  Idee  entsprechend,  bereits  Formen 
angenommen  haben  mochte,  welche  denen  der  Culte  desselben  (weiblichen)  Princips  bei  anderen 
Völkern  ähnlich  waren.* 


227.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  alten  Aegyptem. 

Die  Kanaaniter,  welche  die  Hyksos -Dynastie  in  Aegypten  aufrichteten,  brachten 
die  Mylitta  als  MoUdeth  oder  Jöledeth  in  das  ägyptische  Reich.  Hier  fand  sie  unter  dem 
Namen  HUhyia  in  der  Stadt  gleichen  Namens  als  Mond  und  Geburtsgöttin  vorzugsweise 
Verehrung*);  sie  wurde  auch  Soben  genannt,  indem  sie  ganz  mit  der  Pacht  oder  Isis,  der 
einheimischen  Geburts-  oder  Mondgöttin  der  Aegypter,  sowie  mit  der  Neith,  der  Göttin  des 
Weltstoffs  der  Nacht,  als  Geburtshelferin  und  als  Ueberwacherin  des  Welt-  und  Menschen- 
schicksals,  identificirt  wurde.  Vier  Götter,  sagt  Macrobitts,  sind  es,  welche  nach  ägyptischer 
Lehre  der  Geburt  des  Menschen  beistehen:  Dämon,  Tyche,  Eros,  Ananke,  Unter  diesen  sei 
Dämon  die  Sonne  und  Tyehe  sei  der  Mond  — ,  sie,  mit  der  die  Körper  unter  dem  Monde 
wachsen  und  schwinden,  und  deren  immer  veränderlicher  Lauf  die  vielförmigen  Wechsel  des 
Menschen  begleitet.  Diese  alt  ägyptische  Geburtsgöttin,  die  PmM  oder  Pascht,  die  Katzen- 
göttin,  die  auch  als  Bitbastis  bezeichnet  wurde,  hatte  in  Bubastis  einen  sehr  schönen  Tempel. 
Sie  war  auch  zugleich  eine  Liebesgöttin.  Die  jährlich  von  überallher  in  Bubastis  zusammen- 
strömenden Menschen  feierten  Feste,  die  an  Ausgelassenheit  die  Nachtfeste  der  Venus  über- 
trafen. Die  Frauen,  welche  in  Booten  mit  Männern  herbeikamen,  drückten,  wie  es  heisst, 
ihre  Freude  durch  Gesang  und  Geklapper  aus,  und  wenn  die  Herbeischiffenden  zu  einer  Stadt 
gelangten,  stiegen  sie  an  das  Land,  hoben  die  Kleider  auf  und  forderten  auf  diese  Weise  zur 
Liebe  heraus.    Höchst  wahrscheinlich  wurde  diese  Pascht  auch  bei  Geburten  angerufen,  denn 

*)  Nach  der  Ansicht  Einiger  stammt  die  ägyptische  Bithyia  von  der  Anahita  der 
Iranier  her.  Allein  Heinse,  Seiden  (De  Diis  Syr.  IL  S.  161)  und  Voss  (De  Theologia  gentili 
U.  S.  26)  leiten  die  Bezeichnung  der  llithyia  von  dem  Worte  ibD^  die  Geburt,  her  (der 
Stamm  von  l?^). 


228.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  iranischen  Völkern.  19 

die  Isis  (-FaM)  war   eine   den  Kranken  and  Leidenden  heilbringende  Gottheit  und  Herodot 
nannte  sie  Artemis. 

Wir  können  die  Untersuchungen  der  Mythenforscher,  welche  bestrebt  waren,  den  Zu- 
sammenhang dieses  GOtterkreises  darzulegen,  nicht  unbeachtet  lassen.  Von  der  Ilithya  sagt 
Braun,  welcher  die  ganze  Sagenwelt  der  Mythologie  auPAegypten  als  das  Stammland 
zurückfahren  will,  von  wo  sie  dann  über  Babylon  auf  die  anderen  L&nder  übergegangen 
sei,  dass  sie  eine  der  ältesten  Gottheiten  der  Aegypter  war.  Auch  er  erkennt  Ilithyia 
als  ihr  Hanptheiligthum  an.  Ihr  Name  Joledeth  oder  Moledeth,  d.  h.  die  Gebärenmachende, 
war  aber  nicht  ägyptisch,  sondern  semitisch  und  ein  Ueberrest  aus  den  Zeiten  kana- 
anitischer  Herrschaft,  der  Hyksoszeit,  in  welcher  man  in  Iliihyia  der  GOttin  des  Ortes 
Menschenopfer  darbrachte.  Diese  Göttin  war  dargestellt  als  ein  fliegender  Greier  und  hiess 
Mutter  Gottes,  Grosse  Göttin  und  mit  Eigennamen  Soben,  Sie  hält  Pfeil  und  Bogen, 
die  Sinnbilder  der  Geburtsschmerzen,  in  der  Hand.  Dass  Soben  nur  ein  ägyptischer  Name 
für  Bithyia  sei,  dafür  bürgt  auch,  wie  Braun  sagt,  die  Sorge,  welche  die  Soben  in  ägyp- 
tischen Wandsculpturen  einer  gebärenden  Göttin  oder  Königin  (zu  Hermonthis  der 
Kleopatra)  angedeihen  lässt.  Braun  ist  bemüht,  die  Einheit  von  den  Göttinnen  Ilithyia, 
Sehen  und  Pac^t  durchzuführen.  Die  Pacht-Ilithyia  ist  nach  ihm  die  Urranmsgöttin;  der 
innenweltliche  obere  Raum  heisst  als  Göttin  Säte,  d.  i.  die  Hera  der  Griechen;  die  Unter- 
welt aber  ist  Haihor  (Nacht,  Göttin  Nyx),  die  ebenfalls  nur  ein  Theil  der  Urraumsgöttin 
Pacht'Bithyia  sein  soll.  Die  Hathor  trägt  um  den  Hals  ein  weites,  nach  vom  wulstiges 
Halsband  und  hebt  dasselbe  mit  der  einen  Hand  etwas  auf.  Braun  glaubt  darin  einen  Gurt 
zu  erkennen,  welchen  die  Göttin  als  rettenden  Halt  für  Gebärende  und  Versinkende  anbietet, 
denn  es  kehren  Gürtel  und  Halsband  bei  den  I Uthyiaf ormen  Harmonia  und  Lettkothea  wieder. 
Die  Hathor  ist  die  Gemahlin  des  Sonnengottes,  dem  der  Stier  geheiligt  ist,  daher  gebührt 
ihr  symbolisch  die  Kuh,  auch  wird  sie  in  Kuhgestalt  oder  kuhköpfig  dargestellt.  Ein  Ab- 
zeichen der  Urraumsgöttin  Ilithyia  war  auch  der  Mond.  In  der  Stadt  Iliihyia  verehrte 
man,  wie  Eusebius  berichtet,  die  geiergestaltige  Göttin,  und  diese  Geiergestalten  haben  die 
Selene,  die  Erzeugerin  der  Seelen,  bedeutet.  Braun  weist  darauf  hin,  dass  auch  die  chal- 
däische  Chaosgöttin  TThalath  (gleichfalls  Ilithyia)  bei  Berosus  und  Abydenus  als  gleich- 
bedeutend mit  Selene  gilt 

Da  Ilithyia  ägyptisch  auch  Menhi  heisst,  so  vergleicht  Braun  damit  die  babylonische 
Meni,  die  von  der  Septuaginta  mit  Tyche  übersetzt  wird.  Von  dieser  Meni-Tyche  aber 
stammt  nach  Braunes  Ansicht  der  phrygische  Mondgott  Men,  Er  ist  mannweiblich,  wie 
Ilithyia- Tyche,  und  konnte  einerseits  zur  Mondgöttin  Mena  der  Griechen,  andererseits  zum 
Gott  Mani  und  Mond  der  Germanen  werden. 

Von  der  Weltranms-G^ttin  Pacht-Ilithyia  ging  Vieles  auf  die  Isis  Über,  welche  eben- 
falls Tyche  (Schicksal)  genannt  wurde.  Namentlich  ist  auch  die  Geburtshülfe  Sache  der  Isis. 
(ApulJ  Ovid  ruft  sie  für  eine  Gebärende  an,  und  in  dem  grossen  auf  Andres  gefundenen 
Hymnus  nennt  sie  die  Geburtshülfe  als  ihr  Geschäft.  Dem  Namen  Athor,  Athyr  weist  man 
der  Isis  zu  (Plutarch),  und  beide  konnten  leicht  Eins  werden,  da  auch  Isis  als  Herrin  der 
Unterwelt  galt.  Aus  d&r  Isis  gingen  für  die  Griechen  die  Hera,  Persephone  und  Aphrodite 
hervor;  der  I^ia-Tochter  Anath  (BubastisJ  aber  entspricht  die  Artemis, 


228.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  iranischen  Tolkem. 

Bei  den  iranischen  Völkern  Asiens,  den  alten  Persern,  Modern  und  Baktrern, 
wurde  in  der  Religion  Zoroaster's  auch  dem  Monde  eine  Beziehung  auf  die  Zeugung  zu- 
gewiesen; er  soll  den  Samen  des  Viehs,  den  Samen  des  Stiers,  d.  h.  des  erstgeschaffenen  Stiers 
aufbewahren,  er  soll  der  Geburt  vorstehen.  fVendidadJ  Allein  die  Mondgöttin  dieser 
Völker  ist  jedenfalls  noch  vorzarathustrisch  und  ihr  Cult  war,  wie  wir  zeigen  werden,  in 
frühesten  Zeiten  schon  sehr  verbreitet.  Nach  Herodot  erklärten  die  Magier  bei  diesen  Völkern 
den  Mond  für  ihr  Gestirn.  Sie  riefen  als  wohlthätige  Macht  des  Himmels  den  Mond  an, 
wenn  sie  bei  gestörtem  Geburtsverlauf  oder  bei  Wochenbettsleiden  die  vermeintliche  Wirkung 
der  Daeva  oder  Geister  zu  bannen  gezwungen  waren. 

Die  Anaitis,  auch  Anahita  und  Anaia,  auch  Aine,  ist  diese  Mondgöttin  der  Perser, 
der  Cappadocier,  der  Armenier  und  Meder.  Alle  diese  Völker  verehren  den  Mond. 
Die  Armenier  hatten  einen  Haupttempel  dieser  Göttin,  welche  auch  als  Göttin  des 
Wassers  bezeichnet  wird,  zu  Erznidschan  und  in  Thiln.  (Spiegel.)  Diese  Göttin  wurde 
im  11.  und  12.  Jahrhundert,   sogar  bis  zum  15.  Jahrhundert  von  der  Secte   der   Sonnen- 

2» 


20  XXXYII.  Die  Mythologie  der  Qebort. 

sOhne  (Arevordi)  in  der  Stadt  Samosata  und  deren  Umgegend  yerehrt,  einer  Secte,  die 
wahrscheinlicli  mit  der  heutigen  der  Schema ije  identisch  ist  (800  Anhänger  derselben  wohnten 
nach  Dupre  im  AnfiEuig  anseres  Jahrhunderts  in  der  Stadt  Mar  diu).  Den  Cnltns  dieser 
Gottin  hat  Windiscktnann  zum  Gegenstande  seines  besonderen  Studiums  gemacht  und  wir 
beziehen  uns  hier  auf  die  Ergebnisse  seiner  Arbeit. 

Der  älteste  Zeuge  über  die  Änahita  ist  Beroaus  (um  260  v.  CShr.),  welcher  im  8.  Buche 
seiner  chaldftischen  Geschichte  berichtet,  die  Perser  hätten  menschengeetaltige  GM^tter- 
bilder,  deren  Verehrung  ÄrtaxerxeSt  des  Darius  Vater,  eingeführt,  indem  derselbe  der  Aphro- 
dite AnaiHs  Standbilder  zu  Babylon,  Susa  und  Ekbatana,  zu  Damaskus  und  Sardes 
aufgestellt  hätte.  (ClemenaJ  Femer  erwähnt  Polybius,  der  um  205—128  v.  Chr.  lebte,  den 
Tempel  der  Aine  zu  Ekbatana,  der  Metropole  yon  Medien.  Von  diesem  spricht  auch 
IHdonu  von  Charax,  der  ausserdem  als  einen  anderen  Sitz  des  Anaüis^CvltuB  die  Stadt 
Eonkabar  im  oberen  Medien  bezeichnet.  Dass  sich  aber  der  ulna»(t9-Dienst  der  Perser 
und  Meder  auf  Armenien  und  Cappadocien  ausgedehnt  hatte,  lehrt  ;S^ra&o,  der  60  Jahre 
y.  Chr.  geboren  wurde;  er  erzählt,  man  feiere  bei  der  Stadt  Zela  in  einem  der  Anaitis 
errichteten  Heiligthum  alljährlich  Feste,  die  Sakäen,  zum  Andenken  an  die  Niederlage  der 
Saker,  und  .nach  einigen  soll  schon  Cyrua  die  Saker  yemichtet  und  die  Sakäen  eingesetzt 
haben*.  Hiemach  würde  der  Cultus  der  Anaitis  noch  in  die  Zeit  yor  Cyrus  reichen.  Femer 
sagt  Strabo,  dass  yorzugsweise  die  Armenier  die  Anaitis  namentlich  in  Akilisene  ver- 
ehren und  dass  ihr  die  Angesehensten  im  Volke  ihre  TOchter  zur  Prostitution  weihen.  Wenn 
diese  Mädchen,  die  auf  den  Wunsch  ihrer  Eltern  sich  auf  längere  oder  kürzere  Zeit  dem 
Dienste  der  Göttin  geweiht  hatten,  aus  dem  Tempel  austraten,  Hessen  sie  gewöhnlich  auf  den 
Altären  alles  dasjenige  zurück,  was  sie  durch  die  Preisgebung  ihres  Körpers  erworben  hatten. 
Dann  waren  aber  auch  immer  Männer  bereit,  in  den  Tempeln  Erkundigungen  über  die  An- 
tecedentien  der  jungen  Priesterinnen  einzuziehen,  wobei  gewöhnlich  diejenigen,  welche  die 
grOsste  Zahl  von  Fremden  angenommen  hatten,  für  die  Ehe  die  gesuchtesten  waren. 

Der  zur  Zeit  C^mti  lebende  Diodorus  yon  Sicilien  sagt,  die  Artemis  werde  besonders 
von  den  Persern  verehrt,  und  P^mitM  nennt  eine  Religion  Armeniens  Anaitica  und  führt 
einen  Tempel  der  Diana  zu  Susa  an,  in  welchem  das  goldene  Bildniss  der  GOttin  gestanden 
habe.  Ebenso  gedenkt  P2utorcA  der  persischen  Diana  und  des  Attributs  derselben,  der  ge- 
weihten Kühe.  Tacitus  führt  den  Cult  der  persischen  Diana  ebenso  wie  Strabo  auf  Cyrus 
(wie  es  scheint,  den  Aelteren)  zurück. 

Paiuanias  (180  v.  Chr.)  spricht  von  der  t aurischen  Artemis,  welcher  die  Cappa- 
docier  und  Lyder  als  Artemis  Anaitis  Heiligthümer  errichtet  hätten;  er  giebt  auch  eine 
Andeutung  darüber,  dass  griechische  Götterbilder  der  Artemis  durch  die  Perser  kriege 
nach  Persien  als  Beute  kamen.  Höchst  wahrscheinlich  hat  Artaxerxes  zu  jener  Zeit  als 
Neuemng  den  Bilderdienst  der  Anaitis  eingeführt.  Auch  erzählt  Pausanias  von  einem  der 
Artemis  geweihten  Tempel  der  persischen  Lyder  zu  Hierocäsarea,  wo  sich  das  Feuer 
von  selbst  entzünde.  Agathias  bringt  unter  anderen  Andeutungen  über  das  altpersische 
Religionssystem  den  Namen  der  Aphrodite  Anaitis  neben  dem  Gotte  Belus  und  dem  Herakles 
Sandes  zur  Sprache,  wobei  er  der  Ansicht  ist,  dass  der  Cult  dieser  Götter  ein  dem  zara- 
thustrischen  Wesen  vorausgehender  war.  Eine  wichtige  Stelle  findet  sich  bei  Herodot, 
wo  es  heisst:  «Den  genannten  Göttern  allein  opfern  die  Perser  von  Alters  her;  sie  haben 
aber  dazu  gelernt,  auch  der  Urania  zu  opfern,  indem  sie  dies  von  den  Assyrern  gelernt 
und  den  Arabern;  es  nennen  aber  die  Assyrer  die  Aphrodite  Mylitta,  die  Araber  AKtta, 
die  Perser  aber  Mitral  Es  ist  allerdings  auffallend,  dass  Herodot  hier  nicht  die  Anaitis 
erwähnt,  sondern  eine  Göttin  Mitra  nennt.  Dennoch  wird  die  einheimische  persische 
Aphrodite  wohl  keine  andere  als  die  Anaitis  gewesen  sein,  welche  nur  eine  dem  vorder- 
asiatischen Cultus  ähnliche  Form  angenommen  haben  mag,  deren  Gipfel  dann  ihr  Bilder- 
dienst unter  Artaxerxes  wurde. 

Sämmtliche  Zeugnisse  des  klassischen  Alterthums  ergeben  nach  Windischmann* s  Ansicht 
folgendes  Resultat:  Anaitis,  von  den  Alten  vorwiegend  Artemis  und  zwar  die  persische 
Artemis  genannt,  aber  auch  mit  Aphrodite  parallelisirt,  hatte  inmitten  offenbar  zarathustri- 
6  eh  er  Institutionen  und  neben  Wesen  desselben  Religionssystems  (die  Götter  Omanos  und 
Anadatos)  einen  weitverbreiteten  Cultus  in  Persien,  Baktrien,  Medien,  Elymais, 
Cappadocien,  Pontus  und  Lydien.  Ihre  Tempel  sind  zu  Babylon,  Susa,  Ekbatana, 
Konkabar,  zu  Sardes,  Hierocäsarea  und  Hypäpa,  in  Damaskus,  in  Zela,  in 
Akilisene,  einer  armenischen  Provinz.  Ihr  Dienst  wurde  von  Priestern  und  Hierodulen 
versehen  und  war  mit  Mysterien,  Festen  und  unzüchtigem  Wesen  verbunden ;  die  persischen 
Feste,  genannt  die   Sakäen,   werden   mit  ihr  verknüpft;  heilige  Kühe  sind  ihr  gewidmet. 


229.  Die  Gottheiten  der  Gebart  bei  den  Indern.  21 

Artaxerxea  Mnemon  stellte  ihr  zuerst  Bildsäulen  auf  und  führte  dadurch  den  Bilderdienst  in 
Persien  ein;  ihre  Statue  zu  Susa  war  von  massivem  Golde  und  diese  wurde  ein  Menschen- 
alter vor  Christus  im  parthischen  Kriege  geraubt.  Manche  f&hrten  ihren  Cultus  auf  die 
taurische  Artemis  zurück;  Andere  suchten  ihn  schon  in  den  Zeiten  des  Cyrus,  Jedenfalls 
schliesst  die  Angabe:  ^Ärtaxerxes  habe  zuerst  ihr  Bild  aufgestellt'',  einen  bilderlosen  Cultus 
der  Anaüis  ebenso  wenig  aus  wie  bei  den  anderen  Gottheiten.  Die  von  Herodot  bezeugte 
Existenz  einer  Aphrodite  bei  den  Persern  lässt  vielmehr  das  hohe  Alter  desselben  nicht 
bezweifeln. 

Aber  auch  in  den  iranischen  Traditionen  findet  sich  die  Anahita  wieder,  wie 
Windisehtncmn  gezeigt  hat.  Sie  kommt  in  allen  Theilen  des  Zendavesta  unter  diesem 
Namen  vor:  als  ardvi  ^a  Afiahita,  als  GOttin  des  überirdischen  befruchtenden  Wassers,  des 
alle  Fruchtbarkeit  der  Gewächse,  Thiere  und  Menschen  bedingenden  Urquells,  von  wo  alles 
irdische  Gewäeuer  entspringt.  Im  Zendavesta  steigt  sie  zum  Schutz,  zur  Erhaltung  und 
Beherrschung  der  Länder  vom  Schöpfer  herab,  von  den  Sternen,  vom  Berg  Hukaira,  und 
fliesst  zum  See  Vourukascha  hin;  es  wird  ihr  Denken  zugeschrieben,  vier  weisse  Bosse 
führen  sie:  Wind,  Regen,  Wolken  und  Blitz.  Sie  strOmt  so  gewaltig,  wie  alle  Wässer  der 
Erde  zusammen.  Sie  erscheint  in  der  Gestalt  einer  schönen,  rein  geformten  Jungfrau,  erhaben, 
mit  buntem  Glanz  umgeben,  an  den  Füssen  in  goldglänzende  Schuhe  geschnürt.  Auch  trägt 
sie  ein  goldenes  üebergewand,  schweres  Ohrgehäng  und  auf  dem  Kopfe  goldenes  Geschmeide; 
sie  ist  umg^ürtet  und  ihr  Gewand  besteht  ans  kostbaren  Biberfellen.  Als  eine  besondere 
Wirkung  der  Anahita  wird  ferner  im  Zendtexte  angegeben,  dass  sie  aller  Männer  Samen 
reinigt,  aller  weiblichen  Wesen  Fötus  reinigt  zur  Geburt  und  ihnen  Muttermilch  giebt.  Die 
jungen  Mädchen  rufen  sie  an  um  einen  starken  Hausherrn,  die  Schwangeren  und  Gebärenden 
um  glückliche  Geburt.  Nach  Allem  unterliegt  es  keinem  Zweifel^  dass  die  Anahita  der  Zend- 
Schriften  mit  der  Anahit  der  Armenier  und  der  Anaüis  identisch  ist.  Und  ihre  Beziehung 
auf  Befruchtung  und  Geburt  rechtfertigen  ihre  Parallelisirung  mit  Aphrcditef  wie  andererseits 
ihre  Reinigkeit  und  Kraft  diejenige  mit  der  Artemis, 


229.  Die  Oottheiten  der  Geburt  bei  den  Indern. 

Dass  auch  die  alten  Inder  Schutz-  und  Hülfsgottheiten  für  Gebärende  hatten,  geht 
aus  SitsnOa^s  Ayurvedas  hervor.  Denn  bei  schwerer  Geburt  rief  der  Brahmanen-Arzt  in 
seiner  Beschwörungsformel  (Mantra)  die  Gottheiten  an:  Anala  (Gott  des  Feuers),  Pavana  oder 
Bhavani  (Gott  der  Winde),  die  Sonne  und  Vasava  (Indra),  sowie  die  Götter,  denen  Salz 
und  Wasser  gehört:  .Ambrosia,  Mond,  Sonne  und  Indra's  Pferde  mögen,  o  schmerzens- 
reiche Gebärende,  in  Deinem  Hause  wohnen  1*  Die  Bhavani,  welche  die  Liebenden  anrufen, 
und  welcher  zu  Ehren  im  Monat  Phalguni  (Mai)  eine  mit  Blumen  und  Bändern  gezierte  Stange 
aufgestellt  wurde,  galt  den  alten  Indern  als  die  BefÖrderin  der  Geburten.  Dieselbe  Göttin  wird 
als  Mutter  der  Trimurti  dargestellt,  und  die  drei  Glatter,  obgleich  ihre  Söhne,  vermischten 
sich  mit  ihr.  Die  spinnende  Maja  wird  sie  in  den  Umarmungen  Brahma's,  die  Indische 
Venus,  Läkschmif  war  sie  von  dem  feuchten  Wischnu  befruchtet,  und  als  Gemahlin  des 
brennenden  Schitoa  heisst  sie  Bhavani.  Einmal  hatte  er  des  Stieres  Gestalt,  sie  die  der  Kuh 
angenommen,  ein  andermal  wieder  hatten  sie  auf  einem  Baume  als  Taubenpaar  geheckt,  um 
die  ausgestorbene  Schöpfung  wieder  zu  erneuern.  Als  Urheberin  des  Todes  hiess  sie  Kali, 
d.  i.  Schwarze. 

Die  Göttin  Nari  stellt  in  der  brahmanischen  Theologie  der  Hindu  das  reine  Princip 
der  Göttlichkeit  in  doppelter  Natur  dar;  dies  ist  der  ewig  fruchtbare  und  immer  befruchtete 
Keim,  von  dem  Alles  ausströmt,  was  ist;  es  ist  der  Ursprung  allen  Lebens;  es  ist  Hyrouyag- 
harba,  die  goldene  Gebärmutter;  es  ist  das  Princip  der  allgemeinen  Anziehung,  welche 
alle  Wesen  vereinig^,  und  die  man  die  Liebe  nennt;  es  ist  die  unsterbliche  Göttin,  die  Frau 
des  Nara,  der  Geist,  das  weibliche  Princip;  es  ist  die  Mutter  Natur. 

Allmählich  erhielt  Nari  einen  ganz  metaphysischen  Cult,  der  dann  in  der  Epoche  des 
Verfalls  der  brahmanischen  Macht  auf  das  Büd  der  weiblichen  Reproduction  überging, 
während  Nara  die  männliche  Zeugungskraft  darstellte.  Beide  versinnlichten  die  materielle 
Vereinigrung  der  Geschlechter.  Nara  wurde  unter  der  Gestalt  des  Lingam,  des  männlichen 
Zeugungsgliedes,  Nari  unter  der  des  Nahm  an,  des  weiblichen  Zeugungsorganes  verehrt.  Die 
Tempel  (Pagoden),  die  dem  Nara-Lingam  geweiht  waren,  waren  für  die  Männer,  die  der 
Nari-Nahamam  geweihten  Tempel  für  die  Frauen  bestimmt.  Hier  wurden  die  schlimmsten 
priesterlichen  Orgien  gefeiert.    Hier  erwarteten  Priester  und  Priesterinnen,  halb   entkleidet, 


22  XXXYII.  Die  Mythologie  der  Geburt. 

mit  Blumen  bekrftnzt,  von  Wohlgeraohen  duftend,  in  einer  durch  Räucherungen  san  duftenden 
Atmosphäre  die  Vertreter  der  beiden  Geschlechter,  die  su  Opferungen  kamen,  um  zu  Ehren 
des  Gottes  und  der  Göttin  das  Werk  der  Zeugung  zu  yoUbringen.  In  den  Aequinoctien  des 
FrAl^Ahres  und  des  Herbstee  waren  sämmtliche  Einwohner  nenn  Tage  lang  im  Tempel  des 
Nora  und  der  Nari,  der  Fruchtbarkeit  der  Natur  huldigend,  in  ungezügelter  Lust  gegen- 
seitigen Umarmungen  hingegeben.  Alle  trugen  am  Halse  das  Bild  des  Lingam  in  obscOner 
Weise  mit  dem  Nah  am  an  yerbunden.  (JacoUiot,)  Dies  war  der  primitive  Cult  des  Lin- 
gam, der  später  in  Aegypten,  Griechenland  und  Rom  als  Fhallus-  und  als  Friapus- 
Dienst  auftrat. 

Bei  den  jetzigen  Hindus  wendet  man  sich  mit  Gebeten  und  Opfern  bei  den  Geburten 
an  den  Gott  8Ub  oder  Sehivm  (Qiva),  Das  ist  eine  buddhistische  Gottheit,  ein  Gott  der 
fruchtbaren  Natur,  wie  Visehnu,  und  sein  Name  bedeutet  Glttck  oder  Wachsthum.  Als  zeugende 
Kraft  fahrte  ^iva  in  seinem  Banner  den  Stier  als  das  ihm  heilige  Thier;  er  wurde  aber  später 
sogar  im  Bilde  des  Phallus  verehrt  Der  Buddhismus  und  mit  ihm  die  Verehrung  Visäm^s 
und  (^iva's  hatte  sich  im  Gegensatz  zu  dem  von  der  Priesterkaste  aufrecht  erhaltenen  Brah- 
maismus als  eine  dem  Volksbewusstsein  mehr  zusagende  Religion  verbreitet,  und  jene  beiden 
Gottheiten  waren  VolksgOtter  geworden,  gegen  deren  Verehrung  sich  die  Brahmanen  nach- 
giebig zeigen  mussten.  Aber  später  schieden  sich  im  Buddhismus  zwei  Secten,  dieSchiwaiten 
und  Vischnuiten.  Den  Schiwaiten,  welche  vorzugsweise  die  schreckliche  WMvani  ver- 
ehrten, gilt  die  Zeugung  selbst  als  eine  theil weise  oder  gänzliche  Zerstörung;  mit  der  Geburt 
ist  der  Tod  verbunden;  daher  ist  für  sie  die  Bhavani  zugleich  die  Göttin  der  Wollust  und 
auch  die  Göttin  der  Zerstörung  und  des  Todes. 

Unter  den  Schiwaiten  bildete  sich  bald  ein  zügelloser  Phallus-Dienst  aus.  Während 
die  Vischnuiten  mehr  die  weibliche  Zeugungskraft  (den  Mond)  verehren,  beten  die  Schi- 
waiten zur  männlichen  (Sonne).  Anfangs  war  die  Vorstellung  von  der  Zeugung  als  der 
göttlichen.  Alles  schaffenden  Macht  eine  rein  geistige;  mit  der  Ausbildung  des  SchiworJÄenaiM 
aber  wurde  sie  eine  sinnliche;  und  an  den  Festen  von  Sdiiwä's  Gattin,  der  Bhavani  oder 
Parmtit  ergriff  die  Zeugungslust  die  Gemüther  epidemisch ;  es  wurden  mit  Hintansetzung  aller 
Kastenunterschiede  der  Zeugungs-Gottheit  CSakti)  Opfer  gebracht;  die  Zeugungsglieder  Lingam 
oder  Yoni  stellte  man  bildlich  dar.    (Fig.  80.) 

In  Cambodja  heisst  es,  wie  Bastian  sagt:  Unter  den  Erzeugnissen  des  Milchmeeres 
wird  ausser  der  von  dem  Götterarzte  Dhanvantara  getragenen  Amrita  besonders  die  Geburt 
der  Schaumentsprossenen  Lakshmi  gefeiert;  diese  Sri  Lakshmi  wird  als  von  bezaubernder 
Schönheit  geschildert.  Das  Fest  dieser  Göttin  des  Segens  und  Glücks  ist  noch  jetzt  weit 
über  den  Continent  Asiens  verbreitet,  und  ihre  Grenzen  berühren  sich  mit  den  früheren 
der  grossen  Naturgöttin  des  westlichen  Asiens,  die  unter  dem  Namen  der  phrygischen 
Mutter,  der  syrischen  Göttin,  Demeter,  Ceres  oder  Isis  bekannt  war.  Bei  den  Kal- 
mücken werden  beim  Frühlingsfest  der  Göttin  Mysterien  begangen.  Die  Göttin  verwandelt 
sich  auch  in  die  grause  Göttin  Okkün  Tengeri  (Mutter  und  Jungfrau). 


230.  Die  Oottheiten  der  Geburt  bei  den  Orieehen. 

Die  älteste  Göttin  der  Geburten  bei  den  Griechen  ist  die  Eileiihyia  (nach  alter 
pelasgi scher  Form  Eletdho  hei  Pindar),  Das  war  dieselbe  Göttin,  welche  man  in  Medien 
schon  längst  als  Symbol  der  gebärenden  und  allemährenden  Kraft  verehrt  hatte,  und  deren 
Dienst  dann  über  die  asiatischen  Küsten  des  Schwarzen  Meeres  her  sich  nicht  nur 
über  Kleinasien,  sondern  auch  nach  Griechenland  verbreitete.  Herodot  bezeugt,  dass 
die  EHeithyienrYerehnmg  von  den  Hyperboreern  nach  Delos  gebracht  worden  sei;  auch 
gedenkt  er  eines  Hymnos  des  Ölen,  den  auch  PausaniM  kennt,  und  letzterer  führt  an, 
dass  die  Göttin  in  diesem  Hymnos  Eulinas  genannt  worden  sei,  gleichsam  die  Lebens- 
spenderin. Pausanias  sagt,  dass  die  von  den  Hyperboreern  kommende  Eileithyia  der 
Leto  auf  Delos  Hebammendienste  geleistet  habe;  von  dort  aus  sei  ihr  Cultus  auf  andere 
Völker  Übergegangen.  Der  Mond  ist  ihr  Sinnbild  am  Himmel,  denn  er  empfängt  die  Sonnen- 
strahlen und  fördert  die  Erzeugung  und  das  Wachsthum  auf  Erden,  die  Kuh  ist  ihr  sinnliches 
Gegenbild  auf  der  Erde.  So  ist  sie  wohl  auch  wiederum  Eins  mit  der  in  Scythien  ver- 
ehrten Stiergöttin,  die  Taurische  genannt.  Ihr  Hanptsitz  war  Ephesus,  wo  hyper- 
boreische  Mädchen  in  ihrem  Dienste  standen,  und  wo  sie  dann  nachmals  als  Diana  aus 
Ephesus  aufgefasst  wurde. 

Man  stellte  sich  vor,  dass  die  Eileiihyia  nicht  nur  den  Gebärenden  beistand  und  die 


281.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  ROmem  and  Etruskem.  23 

Kinder  zur  Welt  beförderte,  sondern  auch  die  Wehen  selbst  durch  schmerzhafte  Pfeile  sendete. 
Da  man  sie  mit  der  Diana,  der  sp&teren  Jagdgöttin,  verwechselte,  so  glaubte  man  auch,  dass 
sie  mit  ihren  Pfeilen  yorzüglich  die  schwangeren  M&dchen  tödte,  die  ihre  Jungfrau  schaft 
nicht  bewahrt  hatten.  Es  fürchteten  nur  die  jungen  Weiber,  die  zum  ersten  Male  gebären, 
ihren  Zorn. 

Schon  in  Homer's  Ilias  wird  der  EUeiihyia  an  einigen  Stellen  gedacht  und  ihr  jedes- 
mal das  Geschäft  als  Grebxurtshelferin  beigelegt  Sie  kommt  sogar  dort  in  mehrfacher  Zahl 
vor;  dies  deutet  Battuä%&r  dadurch,  dass  es  vielleicht  zwei  Eüeühyien  gab,  eine  günstige 
(Epilyaamenkj  lösende)  und  eine  ungünstige  (Mogostökos,  nlKQug  «S^ivac  ix^vc«).  Auch  bei 
Äristophanes  kommt  diese  Göttin  in  der  zweifachen  Bedeutung  als  Geburts  fördern  de  und 
als  Geburtszurflokhaltende  vor.  (Lysistratos.)  Nach  Theokrit  wird  sie  die  Gürtellösende 
(Ivöl^mvog)  genannt. 

Die  Mythologie  der  Griechen  hatte  aber  auch  noch  andere  Göttinnen  der  Geburts- 
hülfe.  Da  ist  in  erster  Linie  die  Artemis  zu  nennen,  welche  sich  zuerst  dem  Schoosse  der 
Leto  entwand  und  dann  der  noch  kreissenden  Mutter  bei  der  Geburt  des  Apollo  beistand. 
Sie  hat  bei  Homer  noch  keine  Beziehung  zu  der  Geburt^  sondern  gilt  ihm  lediglich  als  Jagd- 
göttin. Erst  später  wird  sie  Geburtshelferin  und  wird  theils  als  Eileithyia,  theils  als  Gehülfin 
derselben  bezeichnet.  Die  Here  war  die  Göttin  der  Ehen,  mithin  auch  die  der  Geburten; 
ihre  Töchter  sind  die  geburtshelfenden  Eileithyien;  in  Argos  erhielt  sie  den  Beinamen 
JEileithyia,  Schliesslich  kommen  auch  noch  die  Göttinnen  Oenetyllides  als  Vorsteherinnen  der 
Zeugung  und  der  Geburt  vor. 

Hier  darf  aber  auch  die  Retterin  der  Schiffbrüchigen,  die  Leukothea  nicht  vergessen 
werden,  denn  nach  Prdler  lässt  ihre  Gleichstellung  mit  der  EUeithyia  und  der  Mater  Matuta 
vermuthen,  dass  sie  gleichzeitig  für  die  Frauen  die  Bedeutung  einer  Entbindungsgöttin  hatte. 
Uebrigens  hat  auch  bei  ihr  die  Herkunft  aus  phönicischen  Ideenkreisen  mancherlei  Wahr- 
scheinliches für  sich.  

231.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  Römern  nnd  Etrnskem. 

Die  Römer  hatten  ihre  Hauptgottheiten  den  Griechen  entlehnt,  allein  die  Zahl  der- 
selben durch  viele  neue  vermehrt.  Sie  nannten  die  Diana  als  Vorsteherin  der  Geburten 
Lucina,  wie  Cicero  den  Timäus  sagen  lässt,  mit  den  Beiwörtern  lucifera,  opifera,opi- 
gena.  Allein  auch  Juno  galt  ihnen  als  Geburtsgöttin  und  als  Schutzpatronin  des  weiblichen 
Geschlechts.  Juno  und  Diana  waren  ihnen  in  dieser  Beziehung  ein  und  dieselbe  Gottheit, 
und  so  fallen  diese,  wie  v.  Siehold  sagt,  mit  der  griechischen  Eileithyia  zusammen.  Die 
Juno  regelte  oder  schützte  die  Menstruation  als  Mena  oder  mit  der  Mena  gemeinschaftlich; 
als  Lucina  wurden  ihr  in  einem  Tempel  und  einem  Haine  am  Esquilinischen  Hügel  Blumen 
von  den  Schwangeren  geopfert,  welch  letztere  der  guten  Vorbedeutung  wegen  nicht  anders 
als  ohne  Knoten  in  den  Gewändern  und  demüthig  mit  aufgelöstem  Haar  der  Göttin  nahten; 
sie  verhütete,  wie  man  glaubte,  den  Abortus.  Die  Lueina  wurde  nicht  nur  bei  den  Ent- 
bindungen angerufen,  sondern  man  setzte  ihr  auch  nach  der  glücklichen  Geburt  des  Kindes 
während  der  ersten  Woche  eine  Mahlzeit  hin,  um  sie  für  das  Kind  günstig  zu  stimmen.  (KisaelJ 

Ausserdem  besassen  die  Römer  noch  mehrere  Dii  nixii,  welche  sie  neben  der  Lucina 
als  Schutzgöttin  anriefen.  Nach  Ovid  sind  dies  drei  Götter,  welche  der  Gebärenden  helfen. 
Ihre  Bilder  standen  auf  dem  Capitol  vor  dem  Tempel  der  Minerva;  sie  wurden  als  auf  den 
Knieen  liegend  abgebildet.  >  ^Mi/iu«  hatte  sie  ans  Syrien  dahin  gebracht.  Nach  BötticKer 
könnten  sich  in  der  Stelle  des  Ovid  die  Nixipares  auf  den  Glauben  beziehen,  dass  nur  Wesen 
von  gleicher  Zahl  wirkten.  Hederich  giebt  an,  dass  sie  von  einigen  auch  Nexi  oder  Nixi  ge- 
nannt werden,  „weil  sie  die  Glieder  der  Frauen,  welche  sich  in  der  Geburt  öffiien  müssen, 
wieder  verbanden  oder  schlössen". 

Femer  schützten  bei  den  Römern  Pilumnm,  Inier cidona  und  Deverra  die  Wöchnerin 
mit  dem  Neugeborenen  insbesondere  gegen  die  nächtlichen  Angriffe  des  Silvanua.  Das  Neu- 
geborene hatte  aber  auch  noch  besondere  Schutzgottheiten:  Cama  oder  Cunia  sorgt  ftlr  die 
Kinder  in  der  Wiege,  Eumina  steht  dem  Säugungsgeschäfte  vor,  Osaipaga  dem  Wachsthum, 
Vaticanua  und  FdMinua  dem  Geschrei  und  dem  Lallen  des  Kindes;  Vitumnus  gab  ihm 
Leben,  Sentinus  und  Sentina  Gefühl,  Vagitanua  das  Athmen  und  Schreien. 

Immer  aber  ist  bei  der  Niederkunft  selbst  hülfreich  die  Lucina ,  die  bald  als  Juno*), 

*)  Plautua,  Aulul.  IV.  sc.  VH.  11.  Terent.  Andria.  IIT.  sc.  1. 15.  Adolph  IlL  sc.  IV.  41. 
Auch  bei  Propert.  Lib.  IV.  eleg.  I.  95.  Cicero,  De  nat.  deor.  Lib.  II.  c,  27.  Ovid.  Fast.  IV.  39. 
Apulej.  Metam.  Lib.  IV.  u.  s.  w. 


24  XXXVU.  Die  Mythologie  der  Geburt. 

bald  als  Diana  *^)  vorkommt  Ihren  Namen  leitet  Cicero  von  Luna,  Mond,  ab.  PUnius  da- 
gegen meint,  derselbe  rühre  von  einem  schon  in  sehr  früher  Zeit  (450  vor  PHniits  selbst)  zu 
Rom  dieser  Göttin  geweihten  Haine  und  Tempel  her:  ,ab  eo  luco  Lucina  nominatur*.  Andere 
aber  bringen  sie  mit  dem  Monde  in  Verbindung.  (Tlvtareh,  Maerohius.)  Hiermit  würde  sie 
als  Diana  erscheinen;  ihr  war  der  Gürtel  heil^;  sie  hiees  als  GürtellOsende  Solvigona, 
denn  Ereissende  mussten  den  Gürtel  ablegen,    (v,  Siebold J 

Eine  glückliche  Geburt  bewirkten  auch  die  Nascio  oder  Natio,  die  Numeria  (yon 
numero,  augenblicklich).  Femer  waren  die  carmentischen  Göttinnen  mit  bei  den  Geburten 
th&tig:  die  Prosa  (Prorsa),  welche  bei  normal  gelagerten  Früchten  Hülfe  brachte,  und  die 
Postverta,  die  bei  fehlerhaiten  (verkehrten)  Eindeslagen  half.  Wenn  Julius  Beer  **)  annimmt, 
dass  den  Römern  sogar  die  verschiedenen  Sch&deUagen  bekannt  gewesen  seien,  und  dass  die 
Carmen  tischen  Göttinnen  (als  dritte  die  Anteverta)  durch  ihre  Namen  die  Geburtslagen 
personificiren  sollen,  so  geht  er  in  dieser  Beziehung  wohl  zu  weit.  Er  verweist  auf  eine  Stelle 
des  Avius  GeUius,  der  aber  nicht  Arzt  war,  in  welcher  die  Fusslage  geschildert  wird.  «Quando 
igitur  contra  naturam  forte  conservi  in  pedes,  brachiis  plerumque  diductis  retineri  solent, 
aegriusque  tunc  mulieres  enituntur.  Hujus  periculi  deprivanti  gratia  arae  statutae  sunt  Romae 
duabus  Carmentibus.**  Aus  dieser  Stelle  geht  eben  hervor,  dass  die  Römer  durch  die  car- 
mentischen Göttinnen  nicht  die  verschiedenen  Schädellagen  personificirten,  welche  sie  be- 
kanntlich überhaupt  nicht  kannten,  sondern  dass  diese  Göttinnen  nur  bei  nach  vom  gekehrter 
glücklicher),  sowie  bei  verkehrter  (unglücklicher)  Lage  angerafen  wurden.  Am  Schluss  der  Stelle 
heisst  es  nämlich:  .Quarum  altera  Postverta  nomina  est,  Prosa  altera  a  recti  perversique 
partus  et  potestate  et  nomine."  Beer  Hess  überhaupt  seiner  Phantasie  allzu  freien  Lauf:  Er 
meinte,  die  Statue  der  Juno  Lucina  habe  die  rechte  Hand  in  deijenigen  Stellung,  wie  eine 
Hebamme,  welche  den  Damm  stützt,  um  des  Kindskopfs  Durchtritt  gefahrlos  zu  machen«  Allein 
es  ist  höchst  unwahrscheinlich,  dass  der  Künstler  eine  solche  Andeutung  hat  machen  wollen, 
denn  es  spricht  sehr  viel  dafür,  dass  die  Alten  die  Unterstützung  des  Dammes  überhaupt 
noch  gar  nicht  gekannt  haben. 

Auch  die  Etrusker  hatten  ihre  besondere  Geburtsgöttin.  Dennis  sagt  darüber:  „Cupra 
war  die  etruskische  Hera  oder  Juno  und  ihre  vorzüglichsten  Heiligthümer  scheinen  zu  Veji, 
Falerii  und  Perusia  gewesen  zu  sein.  Wie  ihr  Gegenstück  bei  den  Griechen  und 
Römern  scheint  sie  je  nach  ihren  verschiedenen  Attributen  unter  verschiedener  Gestalt  ver- 
ehrt worden  zu  sein,  wie  als  Feronia,  TTwlna  oder  Tfiana,  IlithyiarLeükothea,  Den  Namen 
Cupra  erfahren  wir  von  Strahon,  auf  etruskischen  Monumenten  ist  er  nicht  gefunden  worden; 
da  wird  die  Göttin  gemeiniglich  Thalna  genannt,  doch  Gerhard  glaubt,  dass  dieser  Name  sie 
als  Göttin  der  Geburten  und  des  Lichtes  beschreibt.  Ein  berühmtes  Heiligthum  hatte  sie  in 
Pyrgi,  das  einen  grossen  Theil  seiner  Wichtigkeit  «seinem  Tempel  der  Iliihyia  oder  Lucina, 
der  Göttin  der  Geburten*  verdankt  haben  muss,  «ein  Heiligthum,  so  reich  mit  Gold  und  Silber 
versehen  und  mit  köstlichen  Geschenken,  den  opima  spolia  der  etruskischen  Seeräuberei, 
dass  es  die  Habgier  des  Dionysios  von  Syrakus  rege  machte,  welcher  884  vor  Christo  eine 
Flotte  von  sechzig  Schiffen  mit  drei  Ruderbänken  ausrüstete  und  Pyrgi  angriff,  angeblich, 
um  dessen  Seeräuberei  zu  unterdrücken,  in  Wirklichkeit  aber,  um  seine  erschöpfte  Schatz- 
kammer wieder  zu  füllen.  Er  überraschte  den  Platz,  der  eine  sehr  schwache  Besatzung  hatte, 
raubte  dem  Tempel  nicht  weniger  als  tausend  Talente  und  nahm  noch  zum  Belaufe  von 
fünfhunderten  Beute  mit,  nachdem  er  die  Männer  von  Caere,  die  es  zu  befreien  kamen, 
geschlagen  und  ihr  Gebiet  wüste  gelegt  hatte/ 


282.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  indogermanischen  Tolkern. 

Ausser  den  hier  besprochenen  Geburtsgöttinnen  kommen  bei  verschiedenen  Völkern 
indogermanischen  Stammes  drei  Schicksalsgöttinnen  vor,  welche  ebenfalls  bei  der 
Entbindung  und  namentlich  fQr  das  Schicksal  des  Neugeborenen  als  dessen  Schutzgeister  thätig 


♦)  Horat  Carm.  saecular.  15,  u.  Lib.  lU.  carm.  22.    CatuU.  XXXIV.  13.     Virgil,  Bucol, 
IV.  10.    Apukjus,  Met.  Lib.  XI. 

*♦)  Als  Unterstützerin  der  ,Wehenthätigkeit*  sollen  nach  Beer  die  Römer  die  Opa  be- 
trachtet haben,  , welche  sich,"  wie  er  sagt,  , jedoch  mehr  der  Selbstentwickelung  der  Kleinen 
annahm,  zumal  damals  die  Wendungshandgriffe  noch  nicht  bekannt  waren."  Dies  ist  falsch, 
denn  im  Gegen  theil  war  den  Alten  die  Selbstentwickelung  des  Kindes  nicht  bekannt,  wohl 
aber  kannten  sie  die  Handgriffe  zur  Wendung  auf  Kopf  und  Füsse. 


282.  Die  Gottheiteii  der  Gebart  bei  den  mdogermaniscben  Völkern.  25 

sind.  Jedenfalls  deutet  diese  üebereinstimmnng  daranf  hin,  dass  die  Völker  von  gemein- 
schaftlicher Abkunft  seit  alter  Zeit  ihren  mythischen  Vorstellungen  mit  geringer  Abweichung 
treu  geblieben  sind.  Dies  sind  die  Mareien  der  Deutschen,  die  Bcjenice  der  Slovenen, 
die  Sudietzky  der  Czechen  und  die  Mairen  der  Griechen.  Die  Nornen  sind  in  der  skan- 
dinavischen Mythologie  die  Geburtsgöttinnen.  Dabei  ist  jedoch  zu  bemerken,  dass  es  drei 
Arten  von  Nomen  giebt,  und  dass  nur  die  eine  dieser  Arten  als  Geburtsgöttinnen  zu  be- 
trachten ist.  Die  erste  Art  sind  die  Haupt-Narnen,  n&mlich  Urd,  das  Vergangene,  Verandij 
dasWerdende,  und  Sküldj  das  Zukünftige,  welche  überhaupt  das  Schicksal  der  Menschen 
bestimmen.  Die  zweiten,  <Ue  SchiUz-Narnenf  sind  diejenigen,  welche  die  einzelnen  Menschen 
beschützen,  ihre  Handlungen  lenken  und  schon  bei  der  Geburt  ihr  künftiges  Schicksal  vor- 
bereiten, und  daher  auch  als  Geburtsgöttinnen  gelten.  Die  Zauber- Nomen  endlich  sind  alles 
Göttlichen  entäussert  und  sind  nichts  als  Wahrsagerinnen  oder  Hexen.  Mon^s  Ansicht  über 
das  Wesen  der  Nomen  ist  Folgende:  Der  Urda-Brunnen  (d.  i.  der  Brunnen  der  Vergessenheit, 
an  welchem  die  Nomen  wohnen)  ist  ein  Bild  des  Werdens  und  der  Geburt,  und  zwar  der 
organischen;  zunächst  der  menschlichen  Fortpflanzung.  Geburt  und  Weib  sind  unzertrenn- 
liche Gedanken,  daher  sind  weibliche  Wesen  die  Wächterinnen  und  Pflegerinnen  des  Geburts- 
brunnens und  der  Fortpflanzung.  Die  Nomen  sind  ihrem  Namen  nach  Nährweiber;  Brunnen 
und  Brust,  Wasser  und  Milch  sind  im  Glauben  unserer  Voreltern  verwandte  Ideen.  Die  weisse 
Farbe,  die  bei  den  Nomen  so  sehr  bedeutend  ist,  mag  sich,  wie  Mone  meint,  auf  die  Unschuld 
der  Neugeborenen  beziehen;  die  weisse  Eihaut  deutet  auf  die  Geburt  (das  Ei)  und  die  Ent- 
wickelungskreise,  wodurch  die  Emanationen  erscheinen. 

Die  alten  Deutschen  hatten  eine  besondere  Geburtsgottheit  nicht.  In  der  Edda 
ist  Freyija  eine  Göttin  der  Liebe  und  der  schönen  Jahreszeit;  als  Göttin  der  Ehe,  als 
mütterliche  Gottheit  steht  neben  ihr  Frigg  (Simrock);  sie  ist  Odhin's  Gemahlin,  die  Göttin 
der  Hausfrauen  (während  Gefion  die  Göttin  der  Jungfrauen  ist).  Auch  wird  die  Freia  (Freyja) 
als  das,  gebärende  Naturprincip  angesehen;  wie  alle  Repräsentantinnen  desselben  in  der 
Mythologie  anderer  Völker  (Artemie,  Juno,  Athene,  Hekahe  u.  s.  w.),  so  ist  auch  sie  eine 
Spinnerin.  (Nork.)  Es  heisst  auch,  dass  Oddrun  bei  schwerer  Entbindung  geholfen  habe. 
(Grimm.)  Die  JFVeia  ist  die  Mondgöttin,  und  das  feuchte  Mondlicht  gilt  als  gebärendes 
Princip,  weil  es  die  Geburten  erleichtem  soll,  was  wieder  an  die  Diana  Ludna  erinnert- 
Die  Freia,  die  Nachts  am  Horizonte  dahinzieht,  hat  ein  Eatzengespann,  und  die  indische 
Göttin  Sakti  (Bhavani,  welche  dieselben  Functionen  wie  Freia  hat)  reitet  auf  Katzen  und  gilt 
als  Beschützerin  der  Kinder.    (Ward.J 

Bei  den  alten  slavischen  Völkern  war  Siwa  oder  Dziwa  wahrscheinlich  identisch 
mit  der  Venus  der  Römer;  sie  war  die  schönhaarige  Göttin  der  Liebe  und  des  Genusses. 
Nach  Mone's  Erklärung  war  die  Siwa  oder  Dziwa  (welchen  Namen  Frencel  von  dem  pol- 
nischen Zywie,  ernähren;  Zywy,  lebendig,  herleiten  will)  bei  den  Wenden  die  viel- 
brüstige  Mutter  Natur,  die  gebärende  und  ernährende  Erdkraft,  und  ihr  Gemahl,  Zibog, 
der  Gott  des  Lebens.  Nach  Nork  ist  lAbussa  das  weibliche  Naturprincip  der  Slaven, 
welches  zugleich  die  Urheberin  der  Geburten  wie  des  Todes  ist.  Als  Urweib  heisst  sie  Bäba 
(Weib,  an  die  indische  Geburtsgöttin  Bhanani  und  an  Aphrodite  Paphia  erinnernd),  jedoch 
im  Vollmond,  der  die  Greburten  erleichtert,  ist  sie  Zlata  Bäba  (das  goldene  Weib),  All- 
mutter und  Weltamme.  Sie  heisst  dann  auch  Kraso  Pani,  d.  i.  schöne  Frau,  Bacivia:  die 
Gebärerin,  Wesnd:  Frühlingsgöttin,  Prija:  die  Fruchtspenderin  (Freia?)^  Zisa: 
die  Vielbrüstige,  Siwa  (Sif?):  die  Erntegöttin;  in  Polen  auch  Jawine  genannt  (von 
jawai,  das  Getreide). 

Die  Göttin  des  Mondes  ist  bei  slavischen  Völkern  auch  die  Beschützerin  der  Geburten. 
In  Klein-Russland  gilt  das  Erscheinen  des  Mondes  gleichzeitig  mit  einem  Stern  zur  Zeit 
einer  Geburt  ab  glückbringend.  Der  Kasake,  der  zu  dieser  Zeit  geboren  wird,  hat  überall 
Glück,  besonders  in  der  Liebe.  Die  Seele  des  Kindes  steht  in  geheimnissvoller  Verbindung 
mit  dem  Stern.  Ein  fallender  Stern  bedeutet  in  Klein-Russland,  dass  ein  Kind  gestorben  ist. 
Bei  den  alten  Slaven  war  der  Morgenstern  der  Beschützer  der  verheiratheten  Frauen;  sie 
glaubten  auch  an  die  mächtigen  Schicksalsgöttinnen,  welche  die  Fäden  des  menschlichen 
Schicksals  spinnen. 

Die  jetzigen  slavischen  Völker  bezeichnen  die  Schicksalsgöttinnen  als  Geburts- 
göttinnen; bei  den  Slovenen  heissen  dieselben  Bojenice,  Diese  drei  Göttinnen  haben  einen 
leichten  ätherischen  Körper,  kommen  bei  der  Geburt  eines  Kindes  zur  Nachtzeit  an  das  Fenster 
oder  in  die  Stube  der  Wöchnerin  und  verkünden  den  Neugeborenen  ihr  Schicksal.  (Klun.) 
Die  Czechen  in  Böhmen  und  Mähren  glauben  an  die  drei  Schicksalsgöttinnen  oder 
Richterinnen  Sudiecky;  dies  sind  drei  weisse  Frauen,  die  um  Mittemacht  in  die  Stube  kommen. 


26  XXXVn.  Die  Mythologie  der  Geburt. 

wo  ein  Kind  liegt,  oder  vor  das  Fenster,  und  über  das  Schicksal  des  Kindes  berathschlagen ; 
sie  halten  brennende  Kerzen  in  der  Hand,  die  sie  verlöschen,  sobald  sie  das  Urtheil  gesprochen 
haben;  wenn  sie  nahen,  sinkt  Alles  in  tiefen  Schlaf,  nur  fromme  Menschen  haben  die  Gabe, 
sie  zu  sehen.  Wenn  ein  Kind  geboren  wird,  stellt  man  Salz  und  Brod  auf  den  Tisch,  das 
ist  fdr  die  Sudiecky,  Diese  Schicksalsfrauen  werden  im  Yolksmund  auch  bisweilen  mit  den 
wilden  Weibern  identificirt.  welche  die  Kinder  gegen  einen  Wechselbalg  vertauschen.  (Groh- 
mann.J  Die  Sorben-Wenden,  die  in  Altenburg  und  im  Voigtlande  wohnten,  glaubten 
folgendes:  Porenut  wacht  über  das  Kind  im  Mutterleibe;  Zohta  oder  Slota-Baba  ist  die  Ge- 
burtshelferin; zu  Schlotitz  bei  Plauen  hatte  sie  einen  Tempel  oder  heiligen  Hain,  Ziza' 
beschützt  die  Säugenden  und  Siwa  spinnt  den  Lebensfaden,  bis  die  unerbittliche  Marzana 
ihn  abschneidet.    (lAmmer,) 

üeber  die  Geburtsgottheiten  der  Süd-Slaven  äussert  sich  Krauss^: 
„Ursprünglich  unterschied  der  Volksglaube  wohl  genau  zwischen  Geburtsfräulein, 
den  Beschützerinnen  der  schmerzhaften  Geburtswehen  und  der  glücklichen  Niederkunft,  und 
den  Schicksals  fr  äulein,  den  eigentlichen  Schicksalsbestimmerinnen.  Nachdem  die  Slaven 
das  Christenthum  angenommen,  verflüchtigte  sich  die  eigentliche  Bedeutung  der  Geburts- 
dämonen, und  sie  gingen  auf  in  den  SchicksalsgOttinnen.  Erhalten  sind  nur  der  Name  und 
der  Opferbrauch  geblieben.  Bozdanica  ist  der  alts lavische  Name  für  die  Patronin  der 
schwangeren  Frauen.  Die  Bulgaren  und  Serben  haben  ihn  in  diesem  Sinne  schon  ver- 
gessen. Bei  den  Bulgaren  im  Rhodope- Gebirge  nennt  man  die  Wöchnerin  BodeenicaftaJ, 
Bei  den  Slovenen  und  Horvaten  heissen  aber  die  Schicksalsfrauen  auch  Bodjeniase  oder 
Bojenice.  Nach  einem  Zeugniss  aus  dem  15.  Jahrhundert,  scheint  es,  haben  die  Bozdanieen 
bei  den  Bussen  eine  Verehrung  als  Numina  gentilicia  genossen,  denen  man  Lectistemien 
darbrachte.  Man  opferte  zu  gleicher  Zeit  dem  Bogu,  Peruni,  dem  Bodu  und  den  Bodzdanicen 
auf  dem  Tische  Brod,  Käse  und  Honig.  Der  horva tische  Landmann  pflegt  noch  gegenwärtig 
in  der  Geburtsnacht  seines  Kindes  auf  den  Tisch  im  Zimmer,  wo  die  kreissende  Frau  oder 
Wöchnerin  liegt,  Wachskerzen,  Brod  und  Salz  für  die  Bojenicen  hinzusetzen.  Bei  den  Bul- 
garen in  Alt-Serbien  erscheinen  die  Opfer  den  eigentlichen  Schicksalsfruuen  zugedacht. 
Was  die  Gaben  ehedem  bedeutet  haben,  ist  dem  Volke  abhanden  gekommen.  Man  bringt  die 
Opfer  dar,  von  jeder  Gabe  in  Dreizahl,  ursprünglich  mit  Hinblick  auf  die  Dreizahl  der  Schick- 
salsfräulein, meint  aber,  dass  man  dadurch  die  Hexen  vom  Kinde  banne.'' 


233.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  Lappen,  Finnen,  Magyaren,  Mord- 
winen nnd  Letten. 

Die  Lappen  haben  eine  Geburtsgöttin,  Sarakha  genannt,  eine  der  drei  Töchter  der 
JKfader-Gottheit.  Sie  ist  die  eigentliche  Beschützerin  alles  Werdenden,  bis  dasselbe  das  Licht 
der  Welt  erblickt.  Danach  tritt  dann  UaaJca  ein.  Sarakka  bestimmt  und  begünstigt  das 
Wachsthum  der  Frucht;  sie  beschützt  auch  die  Mutter  und  leistet  ihr  bei  der  Geburt  des 
Kindes  Beistand.  Die  Lappen  meinen,  dass  Sarakka  die  Schmerzen  der  Kreissenden  mit- 
empfinde. .Diese  Gottheit,"  sagt  Jessen,  „haben  die  Lappen  stets  im  Munde  und  im  Herzen, 
an  sie  richten  sie  alle  ihre  Gebete,  sie  rufen  sie  in  allen  ihren  Verrichtungen  an  und  erachten 
sie  als  ihren  besten  Trost,  ihre  sicherste  Zuflucht.  Man  erbaute  ihr  wohl  in  der  Nähe  des 
Zeltes  eine  eigene  Wohnung,  bis  die  Stunde  der  Mutter  gekommen  war.  Für  gewöhnlich 
wohnte  sie  im  Zelte  selbst,  bei  der  Feuerstelle,  also  dem  Heiligsten  des  Hauses,  wo  sie  von 
Allem,  was  man  genoss,  ihren  Theil  als  Opfer  erhielt." 

Wöchnerinnen  tranken  vor  ihrer  Entbindung  Sarakka-Wein  und  assen  nach  derselben 
Sarakka-Grütze.  In  die  Grütze  steckten  sie  drei  Stöckchen,  ein  weisses,  ein  schwarzes  und 
eins  mit  drei  Ringen,  darauf  legten  sie  dieselben  auf  zwei  Tage  unter  die  Thürschwelle. 
War  dann  das  weisse  Stöckchen  fort,  so  ging  Alles  gut,  fehlte  aber  das  schwarze,  so  musste 
die  Wöchnerin  sterben.  (Passarge.)  Neben  der  Sarakka,  welche  als  eigentliche  Beschützerin 
alles  Werdenden  galt,  verehrten  die  Lappen  als  zweite  Tochter  der  Macher-Gottheit  die 
Juksakka;  diese  verlieh  dem  Kinde  das  männliche  Geschlecht  und  vermochte  noch  kurz  vor 
der  Geburt  ein  Mädchen  in  einen  Knaben  zu  verwandeln.  Sie  ist  eine  Art  lappischer 
Diana,  aber  der  Runenbaum  stellt  sie  als  altes  Weib  mit  einem  Stabe  statt  des  ursprüng- 
lichen Bogens  dar. 

Bei  den  Finnen  begegnen  wir  verschiedenen  Gottheiten  der  Geburt.  Nach  Boeder  war 
die  finnische  Geburtsgöttin  die  Böugutaja,  und  auch  nach  Kreutzwald  war  das  ZuhÜlferufen 
derselben  früher  in  Allen  tacken,  Wierland  und  Je  r  wen   bei   Kreissenden   ziemlich    ge- 


288.  Die  Gottheiten  der  Gebart  bei  den  Lappen,  Finnen,  Magyaren,  Mordwinen  n.  Letten.     27 

bräachlich.  In  der  Werro sehen  Gegend  aber  ist  Bougtäaja  unbekannt;  für  sie  (oder  fOr 
ihn,  denn  vielleicht  ist  es  ein  m&nnlicher  Gott)  tritt  hier  aber  die  püha  Marja  ein,  die  heilige 
Maria j  welche  um  Hülfe  gebeten  wird. 

In  dem  grossen  Heldengedichte  der  Finnen,  der  Ealewala,  tritt  aber  auch  noch  eine 
andere  GeburtsgOttin  auf,  eine  der  sogenannten  Schöpfungstöchter,  die  Luonnatar,  ein 
Geist,  der  in  den  Lüften  schwebt.    Sie  wird  mit  folgenden  Worten  angerufen: 

.Schöne  Alte,  Schöpfungsjungfrau! 
Schöne,  Du,  mit  gold'nem  Glänze. 
Du,  die  älteste  der  Frauen, 
Du,  die  früheste  der  Mütter! 
Lauf  vom  Knie  Du  hin  zum  Meere, 
Von  dem  Hüftblatt  in  die  Fluthen! 
Nimm  vom  Kaulbarsch  Du  den  Geifer, 
Nimm  die  Glätte  von  der  Quappe! 
Schmier*  damit  die  Knochenhöhlung, 
Streiche  Du  damit  die  Seiten! 
Mach'  die  Jungfrau  frei  vom  Drucke, 
Von  dem  Leibesschmerz  das  Mädchen, 
Von  den  gar  zu  harten  Qualen, 
Von  den  Wehen  ihres  Leibes!* 

Aber  auch  der  finnische  Donnergott  Ukko  muss  in  besonders  schwierigen  Fällen  als 
geburtshelfende  Gottheit  in  Thätigkeit  treten,  und  so  finden  wir  im  unmittelbaren  Anschluss 
an  die  vorigen  Verse  die  folgende  Anrufung: 

„ühko,  Du,  0  Gott  im  Himmel! 

Komme  her!    Du  bist  von  Nöthen! 

Eile  her,  wo  man  dich  rufet! 

Ist  ein  Mädchen  hier  in  Wehen, 

Ist  ein  Weib  mit  Leibesschmerzen 

In  dem  Rauche  einer  Badstub', 

In  dem^Badehaus  des  Dorfes! 

Nimm  die  goldbedeckte  Keule 

In  die  rechte  Deiner  Händel 

Scheuche  alle  Hindemisse! 

Schlage  Du  der  Pforte  Pfeiler! 

Setz'  des  Schöpfers  Schloss  in  Schwanken! 

Mache,  dass  durch  alle  Riegel 

Grosse  gehen.  Kleine  gehen, 

Dass  der  AUerldeinste  wandre!' 

Wir  schliessen  den  Finnen  gleich  die  Magyaren  an,  weil  dieselben  bekanntlich 
stammverwandt  sind.  «Die  Geburtsgöttin  der  heidnischen  Magyaren,  sagt  van  WlitHocki^, 
die  Nagya888ony  oder  Na^yboldogasaeany  (grosse  liebe  Frau),  lebt  auch  noch  im  heutigen 
Volksglauben  fort,  obwohl  sie  in  einigen  Gegenden  durch  sl avischen  Einflnss  von  der  heiligen 
Anna  verdrängt  wird.  Der  Dienstag  ist  ihr  geheiligt.  Die  Boldogasszony  (selige  oder 
liebe  Frau)  ist  die  Tochter  der  Nagyasazony  und  sie  ist  die  Schutzgöttin  der  Wöchnerinnen 
und  der  Kinder.  Nur  in  Gegenden,  wo  die  alles  zersetzende  Cultur  den  echten  Volksglauben 
untergräbt,  wird  die  Boldogasszony  mit  der  heiligen  Maria  vermengt,  die  als  Beschützerin 
der  Weiber  in  den  Vordergrund  zu  treten  beginnt,  indem  ihr  die  Eigenschaften  der  heid- 
nischen Schutzgöttin,  der  Boldogasszony,  beigemessen  werden.    Der  Samstag  ist  ihr  geheiligt." 

Höchst  beachtenswerthe  Analogien  finden  sich  bei  den  Mordwinen  wieder.  Auch 
diese  haben  eine  besondere  Göttin  der  Geburt,  die  Ange-Pat'äi  oder  Bulaman-Pat'äi ,  welche 
unsichtbar  der  Gebärenden  beisteht,  ganz  so  wie  die  Nagyboldogassgony.  Auch  sie  ist  Mutter 
und  auch  sie  giebt  nach  der  Entbindung  die  Pflege  der  Wöchnerin  und  des  Kindes  an  ihr 
untergebene  Gottheiten  ab,  an  die  Ange-Ösaisz  und  die  Niskände-Tewiär,  Auch  noch  eine 
andere  Reihe  gemeinsamer  Züge  lassen  es  sehr  plausibel  erscheinen,  dass  die  Ange-Pat'äi  und 
die  Nagyboldogasszony  ursprünglich  dieselbe  Gottheit  sind.    (v.  Wlisheki^.) 

Von  den  Letten  gieht  Alksnis  an,  dass  die  Göttin  des  Glücks  Xraima  gleichzeitig  auch 
die  Göttin  der  Geburtshülfe  ist.  „Da  die  Laima  es  ist,  welche  den  Geburtsschmerz  lindem 
kann,  welche  es  entscheidet,  ob  die  Wöchnerin  froh  und  munter  ihr  Bett  verlassen,  oder  ob 


28 


XXXVn.  Die  Mythologie  der  Geburt 


sie  nie  mehr  das  Tageslicht  erblicken  wird,  so  wird  sie  von  den  Franen  ganz  besonders  ge- 
ehrt,  und  man  sucht  sie  sich  auf  verschiedene  Weise  geneigt  zu  machen.  Anstatt  eines  harten 
Stuhles  setzen  die  Ehefrauen  ihr  einen  Korb  mit  Wolle  hin,  damit  sie  da  Platz  nehme  und 
den  Frauen  leichte  Tage  beschere."    In  einem  Liede  heisst  es  von  ihr: 

yNicht  Allen  unterbreitet 
Laima  einen  seidenen  Laken; 
Nur  den  Frauen  thut  sie  es 
In  ihren  schweren  Tagen.' 
Neben  ihr  wird  auch  die  MaihHn  oder  die  Mahra  angerufen: 

,Eomm',  Makrin!  ich  bitte  Dich, 

Komm*  mit  kahlen  (blossen)  Fassen! 

Wirst  Du  die  Ffisse  ankleiden,  bleibst  Du  lange, 

Leidet  schwer  meine  Geliebte!" 

,In  einem  anderen  Liede  heisst  es,  die  (Gebärende  sitze  im  Schooss  der  heiligen  Mähfa^ 
weinend  mit  au^elöstem  Haar.  Soweit  man  nach  den  vorhandenen  Quellen  urtheilen  kann, 
ist  zwischen  Laima  und  Mahra  (Mahrina)  kein  bestimmter  unterschied.  Der  Name  Mdhra^ 
gleich  jSfaria,  mag  unter  Einfluss  des  katholischen  Glaubens  in  spftterer  Zeit  an  die  SteUe 
der  Laima  getreten  sein,  denn  die  Besprechungsformeln  lassen  es  ohne  Weiteres  erkennen 
dass  die  lettische  Gottheit  Jxiifna  in  ihrem  Handeln  auffisdlend  nahe  kommt  der  segnenden 
Mutter  Christi:  es  lassen  sich  wenigstens  ftlr  Mahra  keine  besonderen  Functionen  auffinden, 
welche  nicht  auch  der  Laima  zugesprochen  würden."  {Alksnis.) 


234.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  Woljäken,  Chinesen,  Japanern, 
Annamiten,  Niassern  und  Gilbert-Insulanern. 

Die  Wotjaken  haben  wahrscheinlich  ursprünglich  den  Himmel,  Jti,  als  Gott  verehrt 
und  dann  erst  unter  der  Bezeichnung  Inru  das  befruchtende,  himmlische  Regenwetter  ver- 
göttert. Weiterhin  kommt  bei  ihnen  auch  ein  Gott  KylWin  vor,  und  Btuh  meint,  dass  dieser 
Gott  mit  der  Fruchtbarkeit  des  Weibes  in  Zusammenhang  stehe;  denn  das  Zeitwort  kyldyng, 
wovon  kyldis  abgeleitet  ist,  habe  die  verbreitete  Bedeutung  schwanger  werden.  Er  sagt: 
,Die  von  Byischko  genannte  Kaldyni  mumas  (mumi  d.  i.  Mutter)  dürfte  mit  KyWin  zu- 
sammenfallen, und  von  dieser  berichtet  er  dürect,  sie  sei  Umer's  (Inmar's) 
Mutter  und  werde  von  den  wotjäkischen  Weibern  ihrer  Fruchtbarkeit 
und  glücklichen  Entbindung  wegen  angerufen  und  von  den  M&dchen  um 
glückliche  Heirath.  Ihr  werden  bei  einem  öffentlichen  Feste  von  den 
Weibern  weisse  Schafe  geopfert." 

Die  Chinesen  verehren  nach  Pander  die  Göttin  Kaän-yin  als  die 
Göttin  des  Eindersegens  und  nennen  sie  dann  auch  Süng'tsirwidng'mängf 
d.  h.  die  Söhne  schenkende  Jungfrau.  Pander  ist  der  Meinung,  dass 
die  Chinesen  bereits  vor  der  Einführung  des  Buddhismus  eine  ähnliche 
Göttin  besessen  h&tten,  welche  später  mit  der  Kuän-yin  verschmolzen 
wurde.  Von  der  letzteren  haben  die  Chinesen  schöne  Statuetten  in  Por- 
zellan angefertigt,  in  denen  sie  bald  allein,  bald  mit  einem  Kinde  dar- 
gestellt ist.  Die  Figuren  zeigen  eine  sehr  grosse  Aehnlichkeit  mit  Ma- 
donnenbildem. 

Bei  den  Japanern  heisst  diese  den  Weibern  helfende  Gottheit 
Kojasi  Kwannon.  von  Siebold  hat  eine  figürliche  Darstellung  von  ihr  nach 
München  gelangen  lassen.  Dieselbe  hat  um  den  Kopf  einen  Heiligen- 
schein, die  linke  Hand  hält  das  von  der  Brust  herabfallende  OberMeid, 
so  dass  die  nackte  Brust  frei  ist,  die  rechte  Hand  ist  etwas  erhoben  und 
hat  irgend  einen  verloren  gegangenen  Gegenstand  gehalten. 

Die  Annamiten  haben  nach  Landes  zwölf  Göttinnen  der  Geburt, 
die  Müoi  hai  mu  ha,  welche  sie  während  der  Wehen  anrufen. 

Auf  der  Insel  Nias  ist  es  die  Gottheit  Ädii  Fangöla  oder  Adil  Ono  cUdve,  welche  die 
Gebärenden  beschützt.  Sie  wird  nach  Modigliani  von  Thon  gefertigt  und  in  dem  Zimmer  der 
Kreissenden  aufgestellt.    (Fig.  261.) 

Auch  die  Gilbert-Insulaner  haben  nach  Parkinson  solche  Göttin  der  Schwangeren, 
welche  den  Kindersegen  verleiht;  dieselbe  führt  den  Namen  EHbong. 


Pig.2ei.  AditFan^ 
göla  oder  Adü  Ono 
aldve,  die  Gottheit 
der  Geburt  auf  der 
Insel  Nias. 

(Nach  Modigliani.) 


236.  Die  Gottheiten  der  Gebart  bei  den  monotheistischen  Völkern.  29 

Mdke-Mdke,  den  Gott  der  Seevogeleier  bei  den  Osterinsulanern,  haben  wir  als 
Geburtsgottheit  bereits  kennen  gelernt.    (Fig.  78  und  260.) 

Hier  ist  auch  noch  die  schon  früher  erwähnte  Gottheit  der  Neger  inYoruba  (West- 
Afrika)  zu  nennen,  die  unter  der  Form  einer  schwangeren  Frau  verehrt  wird.  In  ihrem 
Tempel  wird  ein  Wasser  aufbewahrt,  das  gegen  Unfruchtbarkeit  und  bei  schweren  Geburten 
heilsam  ist.  

235.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  alten  GultnrTolkern  Amerikas. 

Dass  auch  die  alten  Mexikaner  unter  ihren  zweitausend  Göttern  (wie  Gomara  in 
runder  Summe  schätzte)  eine  besondere  Geburtsgottheit  hatten,  ist  sehr  wahrscheinlich,  denn 
bei  ihnen  stand  jedes  (Geschäft,  wie  Essen  und  Trinken,  Heilen  und  Zaubern,  unter  einem  be- 
sonderen Schutzherm;  sie  hatten  eine  besondere  Göttin  der  Unzucht  und  einen  besonderen 
Gott  der  Hochzeiten  u.  s.  w.  Thatsache  ist,  dass  man  die  Frau,  welche  im  ersten  Wochenbett 
starb,  im  Tempel  einer  bestimmten  Göttin  b^rub.  Da  wir  nicht  einmal  die  Namen  aller 
zwölf  oder  dreizehn  oberen  Götter  der  Mexikaner  wissen,  so  dürfen  wir  uns  auch  nicht 
wundem,  dass  uns  der  Name  und  die  mythologische  Bedeutung  der  mexikanischen  Ge- 
burtsgottheit entging.  Tlaloe  war  der  Sage  nach  der  älteste  Gott  und  zwar  der  Gott  der 
Fruchtbarkeit  der  Felder;  allein  er  wurde  auch,  da  er  Wetter-  und  Wassergott  war,  und  da 
man  die  Krankheitsursache  oft  im  Wetter  fand,  besonders  in  Krankheiten  angerufen,  die,  wie 
man  glaubte,  durch  die  Kälte  bedingt  waren.  Bei  dem  ersten  Bade  des  Neugeborenen  sagte 
die  mexikanische  Hebamme  viele  altherkömmliche  ceremonielle  Segenssprüche  her;  unter 
Anderem  wendete  sie  sich  zum  Kinde  mit  den  Worten:  Nimm  dieses  Wasser,  denn  die 
Göttin  Chäkhiuheurje  ist  Deine  Mutter.*  Die  Chakhiuhcurje  wird  auch  als  Gröttin  des  Wassers 
genannt 

Nach  den  Aufzeichnungen  des  "Pater  Söhagun  erwlkhnt  Seier  eine  Gottheit  der  Azteken 
mit 'Nfkmeri  AyopeckUi  oder  Ayapechcatlt  d.  h,  die,  welche  auf  der  Schildkröte  (oder 
im  Nebel)  ihren  Sitz  hat.  Sie  scheint  eine  Geburtsgöttin  zu  sein,  denn  in  einem  an  sie 
gerichteten  Hymnus  heisst  es:  ,Im  Haus  der  Ayopeehcatl  wird  das  Kind  geboren. '^ 

Seier  sagt  dann  weiter:  .Ohne  Zweifel  bezeichnet  sie  die  Erdgöttin  als  die  Gemahlin 
des  himmlischen  Gottes,  die  Omeciuatl,  die  Gemahlin  des  OmetecutU,  des  Herrn  der  Zeugung, 
die  mit  ihm  im  obersten  zwölften  Himmel  residirt  und  von  dort  her  die  Kinder  in  die  Welt 
schickt' 

Bancroft  macht  die  Angabe:  «Die  Mutter-Göttin,  unter  der  Form  des  Schlangenweibes 
CioaooaU  oder  Ciuacoatl  oder  Cihucusoatl  oder  endlich  QuilaztH,  scheint  für  die  Patronin 
der  Frauen  im  Kindbett  und  speciell  für  diejenigen,  welche  in  demselben  sterben,  gehalten 
zu  -sein." 

Bei  den  Chibchas,  den  Ureinwohnern  von  Neu-Granada,  welche  schon  eine 
höhere  Cultur  besassen,  half  der  Regenbogen  den  Wöchnerinnen  sowohl  als  auch  den 
Kranken.    fWaiU.J  

23tt.  Die  Gottheiten  der  Geburt  bei  den  monotlieistiBclien  Tolkem. 

Fast  mag  es  wie  ein  Widerspruch  klingen,  wenn  wir  bei  Völkern,  welche  dem  Mono- 
theismus huldigen,  von  Gottheiten  der  Geburt  sprechen,  da  sie  ja  doch  nur  einen  einzigen 
Gott  verehren  sollten.  Aber  wir  werden  sogleich  erfahren,  dass  sie  es  wohl  verstanden  haben, 
für  die  besondere  Noth  der  Niederkunft  besondere  Untergottheiten  in  Wirksamkeit  treten  zu 
lassen.  Trotz  aller  Frömmigkeit  ist  bei  ihnen  der  alte  Götter-  und  Dämonenglaube  doch 
noch  nicht  vollkommen  durch  ihren  scheinbaren  Monotheismus  vernichtet  worden.  So 
sind  es  sowohl  in  dem  Judenthum,  als  auch  im  Islam  und  im  Christenthum  schliesslich  nur 
neue  Namen  für  einen  alten  Anschauungskreis,  und  wir  haben  bei  der  Besprechung  der 
Letten  und  Magyaren  ja  bereits  Beispiele  fOr  diese  Thatsachen  kennen  gelernt 

Die  Juden  holten  zur  Beförderung  der  Geburt  aus  der  Synagoge  Männer  herbei, 
welche  im  Geburtszimmer  laut  beteten,  weil  man  das  Erscheinen  der  bösen  lAlith  sehr 
fürchtete.  Die  Perser  rufen  bei  solcher  Gelegenheit  von  den  Dächern  oder  Bethäusem  herab 
ihre  Gebete,  um  die  Frau  von  ihren  Leiden  zu  befreien,  und  die  Türken  begehen  irgend 
einen  kleinen  Act  der  Wohlthätigkeit,  um  unter  Anrufung  des  Propheten  Gott  für  die  Ge- 
bärende günstig  zu  stimmen. 

Bei  christlichen  Völkern  wenden  sich  die  Gebärenden  mit  ihren  Gebeten  um  Hülfe 
vorzugsweise  gern  an  die  Jungfrau  Maria,  die  Mutter  Gottes.    Diese  nimmt  nunmehr  ge- 


30  XXXYIl.  Die  Mythologie  der  Geburt. 

wissermaassen  die  Stelle  der  Juno  Lttcina  ein,  und  eigenthümlich  ist,  dass  in  Rom  dort,  wo 
früher  der  dieser  letzteren  geweihte  Tempel  stand,  jetzt  sich  die  Kirche  Sta.  Maria  Maggiore 
befindet,  in  welcher  unter  den  Reliquien  die  Wiege  (oder  Krippe)  des  Heilandes  aufbewahrt 
wird.  In  der  römisch-katholischen  Kirche  wird  von  den  Kreissenden  als  besondere  Schütserin 
die  heilige  Margaretha  angerufen.  (Blunt.J  Diese  Anrufung  der  heiligen  Margarelha  findet 
beispielsweise  noch  in  Prag  statt.  fQrohmann.J  Die  Russin  hingegen  wendet  sich  mit 
ihrer  Bitte  um  leichtes  Geb&ren  an  die  Mutter  Grottes  zu  Theodore w,  während  man  in 
Russland,  um  fruchtbar  zu  werden,  zu  den  Patronen  Ip<Uiu8  (Hypatius)  und  JRoman  fleht. 
(H.  Schmidt, J  In  verschiedenen  Gegenden  Deutschlands  tritt  die  heilige  Margarethe  ganz 
entschieden  an  die  Stelle  jener  alten  „gürtellOsenden'  Geburtsgöttin.  So  gilt  inScliwaben 
die  «heilige  Margarethe  mit  dem  Drachen*,  welchen  sie  am  Gürtel  führt, als  die  Schützerin 
der  Gebärenden,  welche  sie  in  ihrer  Angst  um  Hülfe  anrufen:  auch  nimmt  man  bei  der  Nieder- 
kunft dort  die  symbolische  Handlung  des  Lösens  des  Gürtels  unter  Anrufung  der  heil.  Margarethe 
vor.  Doch  geht  man  in  Schwaben  ausserdem  auch  zur  Erleichterung  der  Geburt  nach 
Maria  Schein  bei  Pfullendorf.  (Buek.)  Ausserdem  wallt  man  in  Schwaben  nicht 
selten  zu  St.  Christqphorue,  um  diesen  um  eine  gute  Niederkunft  zu  bitten,  z.  6.  nach  Laitz 
bei  Sigmaringen;  femer  gilt  daselbst  St.  Bachus,  in  dessen  geweihter  Kapelle  Kröten  yon 
Eisen  als  Sinnbilder  der  Gebärmutter  hängen,  für  einen  Helfer,  wenn  nämlich  Mutterkrank- 
heiten Yorhanden  sind,  oder  wenn  das  Kind  „viereckig"  liegt  In  Italien,  in  den  Provinzen 
Treviso  und  Belluno,  treten  als  Helfer  der  Kreissenden  die  Heiligen  Libero,  Martino  und 
Vittorio  in  Wirksamkeit 


XXXVni.  Die  Stätte  der  Niederkmift. 

237.  Die  Wahl  des  Ortes^  an  dem  die  Gebärende  niederkommt. 

Die  Statte,  an  welcher  das  Weib  den  Gebartsact  vollzieht,  ist  bei  den  ver- 
schiedenen Völkern  eine  sehr  wechselnde,  und  wir  werden  wiederholentlich  inner- 
halb desselben  Stammes  sehr  verschiedenen  Gebräuchen  in  dieser  Beziehong  be- 
gegnen. Es  ist  daher  nicht  ohne  Weiteres  zulässig,  aus  solchen  Gebräuchen  einen 
Rückschluss  auf  den  Bildungsgrad  der  Bevölkerung  zu  machen.  Allerdings  sorgen 
rohe  Völker  so  wenig  f&r  einen  nach  unseren  Begriffen  passenden  und  den  Be- 
dürfhissen entsprechenden,  auf  alle  Falle  bequemen  Aufenthaltsort,  an  welchem 
die  Ereissende  sich  unter  mehr  oder  weniger  anstrengender  Geburtsarbeit  ihres 
Kindes  entledigen  kann,  dass  die  Frau  nur  eben  die  Wahl  zwischen  Wald  und 
Wiese  oder  dem  Meeresstrande  hat,  wenn  sie  sich  fem  von  ihrer  Wohnung  eben 
Bei  der  Arbeit  oder  auf  der  Wanderung  befindet.  Es  lässt  sich  wohl  annehmen, 
dass  in  der  Vorzeit  die  Frauen  von  Naturvölkern,  die  einst  im  Urzustände  lebten, 
den  Act  des  Gebarens  als  einen  solchen  physiologischen  Vorgang  auffassten, 
welcher  ihnen  keinesw^s  ein  besonderes  diätetisches  Verhalten  nöthig  machte; 
sie  liessen  sich  vielleicht  völlig  sorglos  ebenso  von  der  Geburt  an  irgend  welchem 
Orte,  an  dem  sie  gerade  zufallig  sich  aufhielten,  überraschen,  wie  etwa  die  in 
Wald  und  Feld  lebenden  SäugeÜiiere,  oder  Weiber  unserer  niederen  Bevölkerungs- 
schichten, bei  welchen  sogenannte  Gassengeburten  nichts  gar  so  Sdtenes  sind. 
Während  die  nestbauenden  Vögel  sich  sorgfaltig  unter  der  Leitung  des  Instincts 
auf  die  Zeit  des  Eierlegens  und  Brütens  präpariren,  nehmen  wir  bei  sehr  rohen 
Völkerschaften  kaum  irgend  welche  dem  ähnliche  unbewusste  oder  bewusste  Vor- 
kehrungen wahr.  Die  Natur  gab  ihnen  eigentlich  kaum  ein  anderes  warnendes 
Zeichen  mit,  als  die  sogenannten  Vorwehen,  eine  verhaltnissmässig  schwache  An- 
deutung von  dem,  was  sie  in  baldiger  Zeit  zu  erwarten  haben  und  das  sehr  oft 
als  einfache  Verdauungsstörung  gedeutet  wird.  Es  bemächtigt  sich  dann  dieser 
Frauen  eine  physische  Unruhe;  allein  es  fragt  sich,  ob  das  hiermit  verknüpfte 
Gef&hl  ihnen  deutlich  genug  sagt,  was  nun  geschehen  wird,  und  wie  sie  am  besten 
den  Platz  wählen,  an  dem  sie  ihrem  Kinde  das  Leben  schenken.  Jetzt  giebt  es 
keine  im  wirklichen  Urzustände  lebenden  Völker;  die  jetzigen  Naturvölker  haben 
sich  in  allen  Dingen  schon  Sitte  und  Brauch  geschaffen.  Wir  sind  nur  im  Stande, 
von  diesen  zu  berichten. 

Nehmen  wir  in  den  oben  erwähnten  Fallen  an,  dass  die  Geburt  dort  vor 
sich  geht,  wo  die  wilde  Frau  sich  gerade  bei  ihrer  Arbeit  befindet,  so  sehen  wir 
bei  manchen  Naturvölkern,  dass  die  Schwangere,  welche  ihre  Stunde  heran- 
nahen fühlt,  gerade  die  vorher  erwähnten  abgelegenen  Plätze  absichtlich  aufsucht, 
um  dort  niederzukommen.  Wir  müssen  hierbei  die  Frage  aufwerfen,  ob  wir  in 
solchem  Verhalten  eine  natürliche  Schamhaftigkeit  erblicken  müssen,  ob   es   eine 


32  XXXVm.  Die  StäUe  der  Niederkunft. 

instinctive  Empfindung  giebt,  unter  deren  Einfluss  das  den  B^inn  der  Nieder- 
kunft ahnende  Weib  den  Blicken  ihrer  Umgebung  sich  zu  entziehen  sucht. 

Eine  instinctive  Schamhaftigkeit  glaubt  man  allerdings  schon  bei  den  höher 
stehenden  Säugethieren  bemerkt  zu  haben;  bei  vielen  dieser  Thierarten  geht  das 
Weibchen  bei  Seite  und  verbirgt  sich,  sobald  der  Geburtsact  herannaht.  Die 
Hündin  wirft  ihre  Jungen  möglichst  im  Dunkeln.  Allein  ist  man  denn  auch  hier 
berechtigt,  überhaupt  von  Instinct  zu  sprechen  und  diesen  allezeit  bereiten  dunkeln 
Begriff  eines  „zv^eckmässig  leitenden*  Naturtriebs  herbeizuziehen?  Nach  unserer 
Meinung  ist  dies  hier  nicht  der  Fall;  es  würde,  wenn  die  Voraussetzung  des 
Schämens,  dieses  sittlichen  Momentes,  wegfallt,  wohl  nur  die  Frage  übrig  bleiben: 
Folgt  das  gebärende  Thier,  wenn  es  abseits  geht,  einem  «unbewussten*  Triebe 
oder  einer  wenn  auch  nur  primitiven  Ueberlegung?  Ich  möchte  letzteres  an- 
nehmen. Das  Mutterthier  sucht  sich,  sobald  es  f&hlt,  dass  sich  mit  ihm  ein  dem 
Krankhaften  ähnlicher,  d.  h.  mit  Schmerz  verbundener  Zustand  ereignet,  ebenso 
einen  ruhigen  und  stillen  Platz  aus,  wie  wenn  es  sich  überhaupt  krank  oder  nur 
unwohl  fühlt.  Kranke  Thiere  sind  am  liebsten  allein  und  fliehen  zumeist  in  das 
Verborgene.  Das  ist  jedoch  ohne  Zweifel  ein  Zug  der  Ueberlegung,  ein  Ergebniss 
einfacher  Reflection,  die  im  Leben  des  Thieres  ja  so.  häufig  offenbar  wird.  Dazu 
bedarf  es  nicht  einer  eingeborenen,  unbewusst  wirkenden  und  angeerbten  Neigung ; 
vielmehr  ist  sich  das  Thier  gar  wohl  bewusst,  was  es  thut  und  warum  es  gerade 
dieses  thut. 

Wenn  das  Thierweibchen,  sobald  seine  Stunde  naht,  sich  zurückzieht,  so 
will  es  bei  seinem  Leiden  ungest5rt  sein.  Und  wenn  nun  etwas  Aehnliches  beim 
Menschengeschlechte  geschieht,  wenn  bei  dem  Gefühle  sich  allmählich  steigernder 
Schmerzen  das  Weib  unter  den  Naturvölkern  dem  unheimlichen  und  ungemüth- 
lichen  Treiben  der  Fremden  und  Angehörigen  aus  dem  Wege  zu  gehen  sucht,  so 
geht  sie  von  der  ganz  richtigen  Vorausseteung  aus,  dass  die  Leute,  wenn  sie  ihr 
auch  beistehen  wollten,  doch  immerhin  als  unberufene  ihr  selbst  und  ihrem  zu 
erwartenden  Kinde  mehr  schaden  als  nützen  könnten.  Es  ist  eine  innere  Stimme, 
die  sie  forttreibt  aus  dem  ihr  plötzlich  unangenehm  erscheinenden  Zusauunensein 
mit  anderen  Menschen,  die  ihren  Zustand  nicht  verstehen,  und  von  denen  sie  sogar 
ftlrchten  muss,  irgendwie  bei  ihrer  Geburtsarbeit  in  ungeschickter  Weise  belästigt 
zu  werden.  Allein  diese  innere  Stimme  ist  doch  nichts  völlig  ünbewusstes,  sondern 
sie  beruht  schon  auf  einer,  wenn  auch  nicht  ganz  klaren  Erwägung,  und  ist  dem- 
nach eine  bewusste  Wahl.  Immerhin  gehört  noch  das  sichere  und  zuversichtliche 
GeftLhl  für  die  Frau  dazu,  dass  sie  ihre  Geburtearbeit  allein  und  ohne  fremde 
Hülfe  bewältigen  und  dass  sie  ihrem  Neugeborenen  die  allererste  Pflege  und  Hand- 
leistung selbständig  angedeihen  lassen  wird. 

Dass  aber  nicht  alle  Völker  eine  solche  Schamhaftigkeit  besitzen,  werden 
wir  sehr  bald  kennen  lernen.  Im  TJebrigen  können  wir  die  Völker  gruppiren,  je 
nachdem  sie  unter  freiem  Himmel,  in  ihrer  Behausung  oder  in  einer  besonderen 
Gebärhütte  niederkommen. 

238.  Das  Alleln-Gebären  im  Freien. 

Prochoumick  hat  den  Versuch  gemacht,  ein  solches  Alleingebären,  wie  wir 
es  vorher  geschildert  haben,  in  den  Bereich  der  Fabel  zu  verweisen;  allein  sehr 
mit  Unrecht.  Denn  wir  besitzen  hierüber  Berichte  von  verschiedenen  Reisenden, 
deren  Aussage  zu  bezweifeln  uns  durchaus  nicht  das  Recht  zusteht.  Nach  den 
Angaben  von  Biedd^  gebären  viele  Frauen  ganz  allein  und  ohne  jede  Hülfe  im 
Wfdde  oder  am  Meeresstrande  auf  den  Inseln  Buru  und  Serang,  auf  den  Keei-, 
Tanembar-  und  Timorlao-Inseln,  ebenso  im  Babar-Archipel  und  auf  den 
Inseln  Keisar,  Eetar,  Romang,  Dama,  Teun,  Nila  und  Serua.  Im  Walde 
wählen  die  Frauen  gern  die  Nachbarschaft  eines  Baches,   in   welchem   sie   gleich 


238.  Das  AUein-Geb&ren  im  Freien.  .  33 

nach  der  Niederkunft  sich  und  ihr  Kindchen  baden;  am  Meereestrande  schliessen 
sie  den  Geburtsact  mit  einem  entsprechenden  Seebade  ab.  Auf  den  Tanembar- 
und  Timorlao-Inseln  pflegen  sie  sogar  gleich  im  Meere  sitzend  niederzukommen. 
Auf  allen  diesen  Inseln  ist  aber  auch  die  Niederkunft  im  Hause  und  unter  der 
Beihülfe  pflegender  Frauen  fast  ebenso  gebräuchlich  oder  selbst  auch  noch  ge- 
wöhnlicher. 

Auch  die  Frauen  der  Maori  auf  Neu- Seeland  gebären  einsam  am  Bande 
eines  Baches  in  einem  Gebüsch,  wohin  sie  sich  zurückziehen,  um  alsbald  nach  der 
Niederkunft  sich  selbst  und  das  Kind  im  Wasser  d^  Baches  waschen  zu  können. 
(TuJce.)  Das  Gleiche  berichtet  de  Rienzi^  jedoch  ist  das  nicht  für  alle  Falle 
zutreffend. 

Auch  bei  malayischen  Völkern  findet  man  dasselbe.  Die  Negritas  und 
die  Montescas  auf  den  Philippinen  gebären  nach  MdUafs  Bericht  fast  immer 
,,ohne  alle  Hülfe*'  und  sind  oft  ganz  allein,  wenn  die  Wehen  eintreten.  Dann 
stellen  sie  sich  hin,  den  Unterleib  auf  ein  Bambusrohr  stützend  und  stark  drückend. 
Das  Kind  wird  in  warmer  Asche  aufgefangen,  worauf  sich  die  Mutter  neben 
dasselbe  legt  und  selbst  die  Nabelschnur  zerschneidet.  Alsbald  stürzt  sich  die 
Entbundene  mit  dem  Kinde  in  das  Wasser,  kommt  dann  nach  Haus  und  bedeckt 
sich  mit  Blättern.  Andere  Philippinen-Völker  bedienen  sich,  wie  wir  später 
zeigen  werden,  weiblicher  Hülfeleistung. 

Auch  Pardo  de  Tavera  berichtet  von  der  wilden  Bergbevölkerung  von 
Luzon: 

«Das  Weib  bringt  dort,  wo  es  von  den  Wehen  überfallen  wird,  ruhig  das  Kind  snr  Welt 
und  schneidet  mit  einem  Mnschelscherben  oder  einem  Bambussplitter  die  Nabelschnur  so 
geschickt  ab,  dass  nicht  ein  Tropfen  Blut  verloren  geht.  Einige  Stunden  nach  der  Entbindung 
nimmt  das  Weib  das  neugeborene  Wesen  auf  den  Rücken  und  marschirt  mit  ihm  im  glühenden 
Sonnenbrande  oder  strömenden  Regen  weiter. '^ 

Die  Frauen  der  AI  füren  auf  den  Molukken  begeben  sich  zur  Niederkunft 
in  eine  entfernte  Gabane  und  lassen  sich  von  Niemand  begleiten;  es  kommt  auch 
mehrfach  vor,  dass  eine  Frau  ganz  allein  in  einem  Kahne  befindlich  niederkommt 
und  dann  ruhig  weiter  rudert. 

Bei  den  Nomaden  der  Wüste  in  der  Levante  geht  die  Entbindung 
höchst  einfach  von  statten:  Die  Gebärende,  allein  gelassen,  besorgt  das  Zer- 
schneiden der  Nabelschnur  und  das  Waschen  und  Einhüllen  des  Kindes  selbst, 
(v.  Türk.) 

Von  den  Weibern  der  nordamerikanischen  Indianer  gab  man  schon 
in  älteren  Reisewerken  Folgendes  an:  Es  heisst  bei  Charlevoix^  sie  gebären  „saus 
aucun  secours".  Unjsfer  äussert:  ^11  est  ä  remarquer:  1.  quil  ny  a  parmi  elles 
ni  des  femmes  ni  d'hommes,  qui  accouchent,  2.  qu*elles  accouchent  toutes  seules.* 
Von  den  Frauen  der  Irokesen  sagt  der  Missionär  Lafttau:  Wenn  sie  unterwegs 
von  den  Geburtsschmerzen  überfallen  werden,  so  leisten  sie  sich  selbst  Hülfe  (sonst 
bedienen  sie  sich  des  Beistandes  einiger  anderer  Weiber  der  Cabane),  waschen  ihre 
Kinder  im  nächsten  kalten  Wasser  und  gehen  in  ihre  Gabane,  als  ob  nichts  vor- 
gefallen wäre.  Später  hat  KecUing  bezeugt:  die  Frauen  der  Sioux  ziehen  sich 
allein  in  den  Wald  zurück,  wenn  ihre  Zeit  gekommen  ist,  um  zu  gebären,  üeber 
die  Frauen  der  Dacotah-  und  Sioux-Indianer  berichtet  Schoolcraß  ebenfalls, 
dass  sie  ftlr  gewöhnlich  allein  niederkommen. 

Der  Missionär  Beierlein^  welcher  viele  Jahre  unter  den  Ghippeways  weilte, 
theilte  Ploss  aus  eigener  Wahrnehmung  mit: 

„Bei  ihnen  begiebt  sich  die  Frau,  wenn  sie  Wehen  yerspfirt,  von  ihrer  Arbeit  hinweg, 
sammelt  etwas  Gras  und  Hea  und  geht  ganz  allein  in  den  Wald,  um  zu  gebären.  Das 
Gras  und  Heu  benutzt  sie  dabei  zur  Beseitigong  der  Unreinigkeii  Dann  geht  sie  zum  Wasser 
und  wäscht  sich  und  das  Kind,  setzt  aber  alsdann  ihre  Arbeit  fort* 

Die  Frauen  der  Apache-Indianer  am  Rio  Colorado  kommen  nach 
Schmüjg  „ohne  Hülfe"  nieder.    Ohne  jeden  Beistand  gebären  auch  die  Frauen 

Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    II.  3 


34  XXXVm.  Die  Stftite  der  Niederkunft. 

bei  den  Arrapahoes-Indianern,  wobei  sie  sich  in  ein  6eh5k  zurückziehen. 
Engdmann  berichtet  auch,  dass  mehrere  Aerzte  {Faulkner^  ChoqueUe)  erlebten, 
wie  Sioux-  und  Flachkopf-Indianerinnen  mitten  im  Winter  ganz  allein  ent- 
fernt von  den  Hfltten  auf  dem  Schnee  ihr  Kind  zu  Tage  förderten.  Scham- 
hurgh  sagt: 

,Die  Warran-Indianerin  in  British-Gnyana  entfernt  eich,  sobald  die  Zeit  ihrer 
Niederkonft  naht,  ans  dem  Dorfe,  das  ihre  M&nner  nnd  Verwandten  bewohnen.  Einsam  in 
einer  Hütte  im  Walde  erwartet  sie  den  Dir  sie  gefahrlosen  Moment»  nnd  kehrt  dann  mit  dem 
neugeborenen  Kinde  in  den  Ihrigen  znrAck,  ohne  fremde  Hülfe  in  Anspruch  genommen  eu 
haben.  Anf  einer  meiner  Excursionen  fimd  ich  selbst  eine  solche  WOchnerin/  Ebenso  begiebt 
sich  nach  Schomburgk  die  Macusis-Indianerin  zur  Niederkunft  in  den  Wald,  in  das  Pro> 
▼isionsfeld  oder  in  eine  einsame  Hfitte,  aber  ihre  Mutter  oder  ihre   Schwester   begleitet   sie. 

Recht  poetisch  deutet  der  amerikanische  Dichter  LongfeUow  in  seinem  .Lied  Ton 
Hiawatha'  auf  den  Brauch  bei  Ojibways  und  Dacotahs  hin: 

Unter  Farren,  unter  Moosen, 

Unter  LDien  aui  der  Wiese, 

In  dem  Schein  des  Monds,  der  Sterne: 

Da  gebar  Nokomis  freudig 

Eine  wunderholde  Tochter. 

Ghmz  Aehnliches  findet  man  bei  den  Frauen  einiger  südamerikanischer 
Indianer-St&mme:  in  Guatemala  gebären  nach  de  Lact  die  Weiber  der  In- 
dianer oft  ganz  allein.  Ebenso  sagt  er  von  den  Frauen  in  Yirginien:  Sie 
begeben  sich  allein  in  das  Gehölz,  um  sich  von  ihren  Kindern  zu  entbinden. 
Auch  der  Pater  Och  bezeugt  Aehnliches.    (v.  Murr,) 

Von  den  Frauen  in  Brasilien  sagte  Tiso:  «Ubi  peperint,  secedunt  in  silvam.* 
Von  den  Tupis  und  Tubinambis  berichtete  Thevet  im  Jahre  1575:  «EUes  sont 
en  ce  travail  sans  etre  aid^es  ni  secourues  de  quelque  personne  que  ce  soit.*  Und 
Pater  GumiUa  erzählt  von  den  Indianerinnen  am  Orinoco: 

.Bei  ihnen  besteht  der  Gebrauch  des  Mädchenmords;  deshalb  gehen  sie  heimlich,  wenn 
sie  die  ersten  Schmerzen  fühlen,  an  das  Ufer  des  Flusses  oder  an  den  n&cbsten  Bach  und 
gebären  dort  allein;  kommt  ein  Knabe  zur  Welt,  so  wäscht  sie  sich  und  das  Kind  sorgftltig 
und  ist  sehr  yergnfigt,  ohne  andere  Erholung  und  Räucherung  genest  sie  v^on  der  Geburt; 
kommt  ein  M&dchen  hervor,  so  bricht  sie  ihm  den  Hais  oder  begräbt  es  lebendig,  dann 
wäscht  sie  sich  sehr  lange  and  geht  zu  ihrer  Hütte,  als  ob  nichts  geschehen  wäre.' 

Von  den  Ureinwohnern  Perus  im  untergegangenen  Inca- Reiche  erzahlte 
Garcüasso  de  la  Vega  im  Beginn  des  17.  Jahrhunderts: 

,J*ajoute  ä  cela,  qu'il  n^y  ayait  personne,  qui  dans  cette  occasion  aidät  les  femmes  de 
quelle  qualit^  qu'elles  fussent,  et  que  si  quelqu*une  se  m61oit  de  les  assister  dans  Tenüante- 
ment  eile  passoit  plütot  pour  sorciäre,  que  pour  sage-femme.* 

Ebenso  berichtet  v.  Äeara^  dass  die  Indianerinnen  in  Paraguay,  wo  er 
sich  in  den  Jahren  1781 — 1801  aufhielt,  gebären,  ohne  dass  ihnen  dabei  irgend 
Jemand  beisteht.  Die  Guana-Frau  in  Paraguay  geht  allein  in  den  Wald  oder 
in  das  Feld,  gebiert  dort,  macht  ein  Loch  in  die  Erde  und  begräbt  ihr  Kind 
lebendig^ 

Von  mehreren  Negervölkern  wird  Aehnliches  berichtet:  Ueber  dieQuis- 
sama-Neger  (Angola)  sagt  Hamilton: 

.Bei  dem  Herannahen  der  Entbindung  verlässt  die  Frau,  wie  es  bei  manchen  primitiven 
Stämmen  der  Gebrauch  ist,  das  Haus,  da  sie  die  Idee  hat,  dass  weder  Mann  noch  Weib  sie 
sehen  soll.  So  geht  sie  unerkannt  in  den  Wald,  woselbst  sie  verbleibt,  bis  sie  sich  entbunden 
hat.  Kurz  nach  der  Entbindung  kehrt  sie  in  die  Hütte  zurück,  aber  das  Kind  wird  für  eine 
Weile  verborgen  gehalten;  sie  erzählt  Niemandem  davon  und  eine  Zeit  lang  werden  keine 
Fragen  gestellt.  Sollte  sie  aber  so  unglücklich  gewesen  sein,  eine  missglückte  Geburt  gehabt 
zu  haben,  und  sollte  das  Kind  todt  sein,  dann  läuft  sie  vor  Schreck  weit  weg  von  dem  Schau- 
platz, denn  wenn  sie  entdeckt  würde,  dann  wäre  der  Tod  durch  Gift  ihr  Schicksal.' 


239.  Das  Geb&ren  im  Freien  mit  Hülfe  Anderer.  35 

Bei  den  Balanten,  einem  rohen  Neger-Stamme  in  Senegambien,  müssen 
die  Weiber  auch  im  Walde  gebären.  (Marche.)  Die  Frauen  der  Neger  am  Se- 
negal, welche  es  fiir  eine  Schande  halten,  Schmerzenslaute  bei  der  Niederkunft 
hören  zu  lassen,  gebären  nach   Waldström  ^^muthig  und  ohne  alle  Beihülfe*". 

Bei  den  Maravis  in  Süd-Afrika  geschieht  es  ofb,  dass  eine  Frau  bei  der 
Feldarbeit  von  der  Geburt  überrascht  wird.  Dann  legt  sie  ihre  Hacke  bei  Seite 
und  geht  an  irgend  einen  Ort,  der  gelten  scheint,  wo  sie  ohne  irgend  eine 
Hülfe  das  Kind  zur  Welt  bringt.  Dann  wäscht  sie  sich  und  das  Kind,  lässt  es 
saugen  und  geht  wieder  an  ihre  Arbeit  auf  das  Feld  oder,  wenn  es  spät  ist,  in 
das  Dorf  an  ihre  häusliche  Verrichtung.     (W.  Peters.) 

Die  Wakimbu  und  die  Wanyamwezi  am  Üjiji-See  in  Central-Afrika 
hatten  nach  Speke  und  Burton  ebenfalls  die  Sitte,  dass,  wenn  daselbst  eine  Frau 
bemerkt,  dass  ihre  Niederkunft  naht,  sie  ihre  Hütte  verlässt  und  sich  in  die 
Dschungeln  zurückzieht;  nach  einigen  Stunden  kehrt  sie  zurück,  das  Neugeborene 
in  einem  Sacke  auf  dem  Rücken  tragend.  Näheres  über  diese  Völker  und  ihre 
Nachbarn  gab  dann  Hildebrandt  an,  der  freilich  hier  zumeist  weibliche  Hülfe 
erwähnt. 

FeVcin  berichtet  von  der  Niederkunft  der  Schuli- 
Negerinnen: 

„Ein  Holzklotz  wird  unmittelbar  vor  einen  Baumstamm 
gestellt;  auf  diesen  mit  Gras  belegten  und  Fell  überdeckten 
31/2  Fuss  hohen  Klotz  setzt  sich  die  Frau.  Etwa  2  Fuss  von 
dem  Klotz  und  ebensoweit  von  einander  entfernt  sind  zwei 
Stangen  in  die  Erde  getrieben,  von  welchen  jede  in  der  Hohe 
von  1^2  F118S  von  der  Erde  entfernt  eine  Sprosse  hat,  auf 
welche  beiderseits  die  Frau  ihre  Füsse  stemmt,  während  sie 
sich  mit  den  Händen  an  den  Stangen  festhält.  Nachdem  sie 
einmal  Platz  genommen  hat,  giebt  sie  es  fast  nie  auf,  bis  das 
Kind  ans  Licht  gekommen  ist."     (Fig.  262.) 

Von  den  Arabern  giebt  d'Ärvieux  an: 

,0n  a  soin  des  Princesses,  qnand  elles  accouchent.    II 
n'y  a  point  chez  elles  de  sage-femmes  en  titre:  toutes  les  femmes 
savent  ce  möUer.  Les  femmes  du  commun  n'ont  point  b esoin       ^'«-  ^\i^erkoi!men/*''° ' 
du   secours   de   per  sonne  pour   cela.    Quelques    moments  (Nach  Feikin.) 

apräs  qn*elles  sont  delivröes,  elles  tiennent  le  nombril  de  Ten- 

fant,  coupent  ce  qu'il  y  a  de  trop,  et  apr^   vont  se  laver  avec  lenr  enfani  ä  la  fontaine 
ou  riviäre  la  plus  prochaine." 

Auch  in  Europa  haben  wir  noch  ein  Volk,  welches  die  Weiber  allein  und 
ohne  Hülfe  gebären  lässt:  Die  Frauen  in  Montenegro  bleiben  nicht  einmal  in 
ihrer  armseligen  Hütte,  um  ihre  Niederkunft  abzuwarten;  sie  gebären  mitten  auf 
dem  Felde  oder  in  den  Wäldern  ohne  irgend  eine  Hülfe,  ohne  einen  Seufzer 
oder  eine  Klage  hören  zu  lassen ;  sobald  sie  sich  ein  wenig  erholt  haben,  nehmen 
sie  das  Kind  in  ihre  Schürze  und  waschen  es  im  nächsten  Bache.  {Cotntesse 
Bora  d'Istria.) 

239.  Das  Gebären  im  Freien  mit  Hülfe  Anderer. 

Aber  nicht  immer  wird  eine  solche  Entbindung  im  Walde  ohne  jede  Bei- 
hülfe vorgenommen,  sondern  bei  manchen  Völkerschaften,  welche  den  Wald  als 
Geburtsplatz  erwählen,  wird  die  Schwangere  von  einer  oder  mehreren  helfenden 
Freundinnen  dorthin  begleitet.  So  bleiben  z.  B.  die  Frauen  der  Niam-Niam 
in  Central-Afrika,  wenn  die  Niederkunft  naht,  nicht  im  Hause  ihres  Gatten, 
sondern  sie  begeben  sich  in  den  benachbarten  Wald,  um  hier  unter  dem  Beistande 
ihrer  Gefährtinnen  zu  gebären.     (Äntinori,) 

3* 


36  XXXVIII.  Die  Stätte  der  Niederkunft. 

Von  dem  Bougo-District  erfeihren  wir  durch  Fdhin: 

,da88  hier  eine  Stange  e wischen  zwei  B&nmen  auf  deren  Aeste  horizontal  gelegt  wird, 
80  dass  die  stehende  Frau  sie  oben  mit  ihren  Händen  wie  ein  Reck  erfassen  kann.  (Fig.  263.) 
In  den  Wehenpausen  geht  sie  in  langsamer  Bewegung  auf  und  nieder,  sobald  aber  die  Wehe 
auftritt,  ergreift  sie  jedesmal  die  Stange,  setzt  die  Füsse  aus  einander  und  drängt  nach  unten. 
Die  helfende  Person  kauert  Tor  ihr,  um  zu  verhüten,  dass  das  Kind  zur  Erde  fällt.  Jene 
zwischen  die  Bäume  gelegte  Stange  ist  permanent  und  fttr  jeden  yorkommenden  Geburtsfall 

bereit.  Sobald  die  Geburt  beendet  ist,  baden  Mutter 
und  Kind;  ein  Freundestrupp  begleitet  sie  singend 
und  schreiend  in  das  Wasser;  die  Plaoenta  wird  da- 
bei Ton  einer  an  der  Spitze  des  Zuges  tanzenden 
Frau  getragen  und  so  weit  als  möglich  in  den  Fluss 
geworfen.* 

Ueber  die  Indianer  in  Aeadien  (damals 
Provinz  Neu-Frankreichs)  sagt  DierviUe: 

„Wenn  das  Weib  die  Geburtswehen  empfindet 
und  ihrer  Niederkunft  nahe  zu  sein  glaubt,  so  geht 
sie  aus  der  Hütte  und  begiebt  sich  nebst  einer  Wilden, 
die  ihr  beistehen  soll,  auf  eine  gewisse  Weite  in  den 
Wald,  wo  die  Sache  bald  geschehen  ist.'  Nach 
Engelmann  .stiehlt  sich  bei  den  Sioux,Gomanchen, 
Tonkawas,  Nez-Perc^s,  Apachen,  Cheyennes 
und  mehreren  anderen  Indianer- Stämmen  das  Weib 
hinweg  in  den  Wald,  um  dort  niederzukommen. 
Allein  oder  begleitet  von  einer  Verwandten  oder  be- 
freundeten Frau  verlässt  das  Weib  das  Dorf,  sobald  es  bemerkt,  dass  die  Entbindung  naht; 
sie  sucht  einen  einsamen  Platz  und  bevorzugt  einen  solchen  in  der  Nähe  fliessenden  Wassers, 
wo  die  junge  Mutter  sich  selbst  und  das  Kind  baden  kann,  um  dann,  wenn  alles  vorQber  ist, 
gereinigt  wieder  in  das  Dorf  zurückzukehren." 

Die  Frauen  der  Eingeborenen  Australiens  halten  ihre  Niederkunft  an 
einem  vom  Lager  abgesonderten  Platze  im  Busche,  wohin  ihnen  nur  Frauen 
folgen  dürfen.  Auch  MacgtU  sagt:  j,In  Neu-Holland  kommt  die  eingeborene 
Frau  in  der  Einsamkeit  des  Waldes  nieder  unter  der  Beihülfe  eines  ihr  be- 
kannten Weibes.* 


Fig.  263.  Bongo-Negerin,  niederkommend, 
(Nach  />/^/«.) 


240.  Die  Oebnrts-Ueberraschnng  im  Freien. 

Von  anderer  Bedeutung  sind  natürlicher  Weise  die  Geburten  im  Freien, 
wenn  die  Schwangere  mitten  in  ihrer  Arbeitsthätigkeit  unter  freiem  Hinmiel  Ton 
den  Wehen  überrascht  wird.  Die  Häufigkeit  jedoch,  mit  welcher  sich  die  Frauen 
mancher  Völker  von  der  Niederkunft  überraschen  lassen,  hangt  offenbar  mit  der 
ganzen  Lebensweise  des  Volkes  und  mit  der  culturellen  Stellung  des  Weibes  inner- 
halb desselben  zusammen. 

Schon  von  einer  Frau  der  alten  Ligurier  berichtete  Strabo:  Sie  ging  bei 
ihrer  Feldarbeit  nur  etwas  auf  die  Seite,  um  zu  gebären;  dann  nahm  sie  alsbald 
wieder  ihre  Arbeit  auf,  um  nicht  den  Lohn  zu  verlieren.  De  Charlevoix  sagt 
von  den  Indianern  Amerikas: 

nCe  n*est  jamais  dans  leurs  propres  cahanes,  que  les  femmes  fönt  leurs  couches;  plu- 
sieurs  sont  surprises  et  accouchent  en  travaUlant  ou  en  voyage."  Foiherius  sagt:  .Les  sau- 
vagesses  sont  d*un  temp^rament  si  robuste,  que  si  par  hasard  alles  se  trouvent  obligäes  de 
faire  leur  couche  dans  le  transport  de  leur  cabanes ,  elles  se  reposent  une  heure  ou  deux  et 
enveloppent  l'enfant  dans  une  peau  de  castor  et  continuent  leur  vojage."  Allein  hier  werden 
die  Indianer  zu  sehr  generalisirt,  denn,  wie  namentlich  Engelmann  gezeigt  hat,  sind  die 
Sitten  bei  den  einzelnen  Stämmen  sehr  verschieden. 

Wir  konnten  dergleichen  noch  von  zahlreichen  anderen  Völkerschaften  be- 
richten. Aus  allem  geht  hervor,  dass  es  vorzugsweise  wandernde  Völker  sind, 
deren  Weiber  eben  nicht  im  Stande  und  deshalb  auch  kaum  gewohnt  sind,  einen 


241.  OeffenÜiche  Entbindungen.  37 

besonderen  Platz  aufzusuchen,  denn  jeder  scheint  ihnen  schliesslich  gleich  geeignet, 
zum  Gebären  zu  sein.  Unter  den  in  Asien  nomadisirenden  f&hren  vnx  beispiels- 
weise die  Ostjaken  an;  Müller  sagt: 

«Den  Ostjaken -Frauen,  welche  die  Geburt  sehr  wenig  ästimiren,  begegnet  es  oft,  dass 
sie  im  Winter  yon  einem  Ort  zum  andern  ziehen;  wenn  nun  keine  Jurte  in  der  Nähe  und  die 
Bequemlichkeit  fflr  die  Gebärerin  keineswegs  zu  finden,  so  verrichtet  sie  das  Ihrige  im  Qehen, 
verscharrt  das  Kind  im  Schnee,  damit  es  hart  wird  etc." 

Die  Frauen  der  Araber,  sagt  d'Arvieux^  „accouchent  par-tout  oü  elles  se 
trouvent,  ä  la  campagne,  comme  ä  la  maison/  Die  Kurdinnen  gebären  nach 
Wagner  oft  im  freien  Felde.  Die  Beduinen-Weiber  gebären,  wie  Layard 
bezeugt,  oft  während  des  Marsches  oder  wenn  sie  vom  Lager  weit  entfernt  die 
Heerden  tränken. 

Die  Weiber  der  in  Europa  umherschweifenden  Zigeuner  kommen  ge- 
wöhnlich unter  freiem  Himmel  nieder.  (Qrellmann,)  Auch  von  den  Basken 
sagt  Cordter: 

,Bei  ihnen  hat  schon  mehr  als  ein  Neugeborenes  seinen  ersten  Lebenstag  unter  dem 
Schatten  des  Baumes  verbracht,  unter  welchem  es  zuerst  das  Licht  der  Welt  erblickte,  wfthrend 
die  Mutter  wieder  ruhig  an  die  Arbeit  gegangen  war." 

Angeblich  ertragen  auch  südslavische  Bäuerinnen  die  Niederkunft  mit 
grossem  Gleichmuth.     Vrchne  sagt: 

.Es  kam  öfters  vor,  dass  eine  Schwangere,  die  ins  Grebirg  Holz  lesen  fortgegangen,  im 
Walde  von  den  Wehen  überrascht  wurde  und  ohne  umstände  sich  selbst  Hebammendienste 
leistete  und  das  nackte  Kind  in  ihrem  Schurz  nach  Hause  brachte;  sie  brachte  dazu  noch 
eine  Last  Holz  mit." 

Aehnliche  Fälle  berichten  Ilic  und  Jukic;  doch  Krat^ss  meint,  dass  der- 
gleichen doch  zu  den  Ausnahmen  gehören  möge;  er  glaubt,  dass  JuMc  die  Bos- 
niakinnen  um  jeden  Preis  zu  Heldinnen  stempeln  will,  denn  im  Allgemeinen 
treffe  man  im  südslavischen  Bauernhause  sorgfaltige  Vorbereitungen. 


241.  Oeffentliche  Entbindungen. 

Während  die  Weiber  der  genannten  Völker  im  Allgemeinen  bei  ihren  Ent- 
bindungen ein  wenig  abseits  gehen,  um  sich  den  Blicken  der  Neugierigen  zu  ent- 
ziehen, finden  wir  bei  manchen  anderen  Stänmien  einen  voUstsändigen  Mangel  jeg- 
licher Schamhaftigkeit.  Eine  Niederkunft  gilt  ihnen  als  ein  Schauspiel,  weichem 
Jedermann,  ja  durchaus  nicht  selten  selbst  die  Kinder  beiwohnen  dürfen,  und  ftir 
gewöhnlich  finden  dieselben  sogar  auf  offener  Strasse  statt.  Wenn  ganz  neuer- 
dings Winckel  bemüht  ist,  die  hierauf  bezüglichen  Beobachtungen  als  mehr  zu- 
fallige „ Gassengeburten '^  zu  deuten,  und  Urnen  die  Bedeutung  eines  allgemein 
üblichen  Gebrauches  abzusprechen,  so  geht  er  hierin  zweifellos  zu  weit. 

Vor  aller  Welt  kommt  unter  Anderen  die  Kamtschadalin  nieder. 
Wenigstens  berichtet  der  Naturforscher  Steuer^  dem  wir  so  viele  gute  Beobach- 
tungen verdanken,  dass  in  Kamtschatka  zu  seiner  Zeit  die  Frau  gewöhnlich 
auf  den  Knieen  liegend  in  Gegenwart  aller  Leute  aus  dem  Dorfe  ohne  Unterschied 
des  Standes  und  Geschlechts  gebar. 

Nach  Nichölas  gebären  die  Neu-Seeländerinnen  sogar  ganz  im  Freien, 
vor  einer  Versammlung  von  Personen  beiderlei  Geschlechts  und  ohne  einen  einzigen 
Schrei  auszustossen.  Die  Umstehenden  beobachten  den  Augenblick,  wo  das  Kind 
zur  Welt  konunt,  mit  Aufmerksamkeit  und  schreien,  wenn  sie  es  sehen,  Tane! 
Tane!  Die  Mutter  schneidet  die  Nabelschnur  selbst  ab  und  nimmt  ihre  gewöhn- 
liche Thätigkeit  wieder  auf,  als  wenn  nichts  vorgefallen  wäre.  Diese  Darstellung 
stimmt  nicht  mit  der  von  Tüke,  nach  welcher  die  Mao ri -Frauen  einsam  und 
ganz  allein  im  Busche  niederkommen  sollen. 


38  XXXYin.  Die  Stätte  der  Niederkunft. 

Ein  öffentlicher  Act,  dem  beiwohnt,  wer  gerade  zugegen  ist,  soll  die  Nieder- 
kunft auf  den  Sandwichs -Inseln  sein. 

Von  der  Minkopie-Frau  auf  den  Andamanen-Inseln  wird  ebenfalls  der 
Mangel  irgendwelcher  Zurückhaltung  angeführt,    (de  Eienjgi.) 

Wijngaarden  wohnte  der  Entbindung  einer  Hauptlingsfrau  der  Karau- 
Bataks  in  dem  Gebiete  von  Deli  auf  Sumatra  bei.  Sowie  die  Wehen  ihren 
Anfang  nahmen,  wurde  die  Kreissende  aus  dem  Hause  auf  den  dasselbe  um- 
gebenden unbedeckten  Umgang  (Toerei  genannt)  herausgebracht  und  auf  zwei 
Planken  gelagert.  Bei  ihren  lauten  Schmerzensäusserungen  machte  ihr  eine 
andere  Frau  Vorwürfe:  sie  solle  sich  schämen,  sie  benähme  sich  ja,  als  ob  sie 
geschlagen  würde. 

Von  den  Aaru-Inseln  berichtet  von  Rosenberg: 

,Wexm  eine  Frau  auf  dem  Pankt  steht,  niederzukommen,  werden  Freunde  und  Ver- 
wandte zasammengerufen,  um  bei  der  Geburt  des  Kindes  gegenwärtig  zu  sein.  Die  Gäste 
machen  während  der  Wehen,  wobei  die  Frau  auf  eine  schreckliche  Weise  misshandelt  wird, 
unter  dem  Vorwand,  ihre  Niederkunft  zu  befördern,  einen  höllischen  Lärm  durch  Geschrei 
und  schlagen  auf  Gongs  und  Tiffiu  (kleine  Trommeln).  Ist  das  Eind  eine  Tochter,  so  ent- 
steht grosse  Freude,  weil,  wenn  sich  dieselbe  später  yerheirathet,  die  Eltern  einen  Brautpreis 
empfangen,  von  dem  auch  alle  diejenigen,  welche  bei  der  Geburt  anwesend,  einen  gewissen 
Antheil  bekommen.  Man  feiert  dann  ein  Fest,  wobei  ein  Schwein  geschlachtet  und  eine  un- 
geheure Menge  Arac  getrunken  wird.  Die  Geburt  eines  Sohnes  wird  mit  Gleichgültigkeit 
entgegengenommen.  Die  Gäste  begeben  sich  dann  traurig  und  enttäuscht  nach  Hause, 
und  der  armen  Mutter  wird  öfters  noch  vorgeworfen,  dass  sie  keiner  Tochter  das  Leben 
geschenkt.' 

In  Niederländisch-Indien  sehen  häufig  auch  die  Kinder  bei  Geburten 
zu.  (van  der  Burg.)  Auch  auf  den  Keei- Inseln  hat  während  der  Entbindung 
Jedermann  zu  der  Hütte  Zutritt. 

Bei  den  Wehen  und  der  Geburt  eines  Kindes  bleiben  oft  die  eigenen  und 
selbst  fremde  grössere  oder  kleinere  Kinder  ruhig  mit  der  Mutter  unter  den 
Munda-Kolhs  in  Chota  Nagpore  (Indien)  in  einem  Zimmer,  bis  das  Kind 
geboren  ist;  doch  scheint,  wie  Jdlinghaus  hinzusetzt,  „diese  uns  roh  erscheinende 
Natürlichkeit  keinen  schlechten  Einfluss  auf  die  Sitten  der  Kinder  auszuüben.'' 

Rohere  Stämme  Süd -Indiens  gestatten  weiblichen  Verwandten  und  Be- 
kannten, um  die  Kreissende  zu  sein. 

In  dem  Brahminendorf  Walkeschwar  unweit  Bombay  sah  Haeckel^  wie 
eine  Entbindung  unter  erschwerenden  Umständen  mit  den  sonderbarsten  Instru- 
menten auf  offener  Strasse  ausgeführt  wurde;  ein  Hindu- Konstabier  oder  „Police- 
Man'  hielt  dabei  die  versammelten  Zuschauer  in  Ordnung  und  erklärte  Haeckel 
gefallig  die  Bedeutxmg  des  Actes. 

Ueber  die  Guinea- Neger  berichtete  Purchas  (im  Jahre  1625): 

„Wenn  ihre  Niederkunft  beginnt,  so  stehen  Männer,  Frauen,  Mädchen,  Jünglinge  und 
Kinder  um  sie  her,  vor  deren  aller  Augen  sie  in  schamlosester  Weise  das  Kind  zur  Welt  bringt." 

In  Central-Afrika  fand  FeOcin  bei  mehreren  Negerstämmen  (1879) 
viele  Zuschauer  bei  der  Niederkunft,  aber  Kinder  waren  dabei  nicht  geduldet. 

Bei  den  Stämmen  der  Wüste  Algeriens  wird  die  Frau,  wenn  sie  von  Ge- 
burtswehen ergriffen  wird,  sogleich  auf  die  Strasse  gebettet,  denn  die  Sitte  duldet 
nicht,  dass  die  Geburt  im  Hause  vor  sich  geht;  höchst  wahrscheinlich  gilt  die 
Gebärende  für  unrein  und  muss  deshalb  auf  offener  Strasse  niederkommen,  wo  sie 
von  einer  in  stumme  Schaulust  versunkenen  Volksmenge  umringt  wird;  v,  MaUean 
wohnte  einer  solchen  Entbindung  auf  offener  Strasse  des  kleinen  Oasendorfes  El 
Kantarah  bei 

Auch  in  Amerika  treffen  wir  Aehnliches,  denn  die  Garipanas-Indianerin 
am  Madeira  in  Brasilien  gebiert  angesichts  der  Stammesgenossen.  (Keller- 
Lensinger,) 


242.  Die  Niederkunft  im  Wohnhause.  39 

Vollum  wurde  zu  einem  Umpqua-H&uptling  gerufen.  Er  fand  die  Patientin  in 
einer  Hütte  liegend,  die  roh  hergestellt  war  aus  St&ben  und  Reiaigholz;  der  Raum  war 
bis  zur  Erstickung  mit  Weibern  und  Männern  erfüllt;  er  selbst  konnte  wegen  des  schlechten 
Geruchs,  den  die  schwitzenden  Körper  ausströmten,  verbunden  mit  dem  Rauchen,  kaum 
länger  als  wenige  Augenblicke  in  der  Hütte  verweilen.  Die  Versammelten  schrieen  in  der 
wildesten  Art;  man  klagte  über  das  Unglück  der  Leidenden.  Nicht  viel  besser  ging  es 
froher  bei  den  halbcivilisirten  Einwohnern  Mexikos  bei  Monterey  zu;  allein  in  diesen 
Fällen,  wo  die  Oeffentlichkeit  erlaubt  war,  sind  sonst  in  der  Regel  die  Männer  ausgeschlossen. 
(Engelmann.J 


242.  Die  Niederkunft  im  Wohnhanse. 

Verbleibt  die  Schwangere,  um  ihre  Entbindung  abzuwarten,  in  dem  Wohn- 
hause,  so  begegnen  wir  verschiedenartigen  Gebräuchen,  wie  in  demselben  die 
Wochenstube  hergestellt  wird.  Ein  zutre£Fendes  Bild  der  Localitäten,  in  welchem 
die  Frauen  der  altklassischen  Völker,  die  Griechen  und  Römer,  ihre  Ent- 
bindung abwarteten,  können  wir  nicht  entwerfen.  Denn  jedenfalls  war  die  Oert- 
lichkeit  und  ihre  Ausstattung  eine  ganz  andere  zu  den  Zeiten,  da  diese  Völker 
sich  noch  in  den  frühen  Stadien  ihrer  Gulturentwickelung  befanden,  als  dann,  wo 
sie  schon  ihre  Blüthezeit  gewonnen,  oder  wo  sie  Ton  dieser  wieder  herabgestiegen 
waren.  Auch  wird  gewiss,  wie  bei  allen  Gulturvölkem,  der  Anblick  eines  Ge- 
burtszinmiers  in  den  verschiedenen  Schichten  der  Bevölkerung  ein  wechselnder 
gewesen  sein.  Die  alten  Autoren  sprechen  in  der  Regel  nur  von  den  besseren 
Ständen.  Griechinnen,  die  zu  diesen  gehörten,  gebaren  in  ihren  Gemächern, 
im  Gynäkeion,  das  ihnen  als  Aufenthaltsort  zugewiesen  war.  Bei  den  Römern 
verfügte  sich  die  Gebärende  in  ein  eigenes  Gemach,  wo  kostbare  Decken  ausge- 
breitet waren;  sie  wusch  sich  und  umwand  ihr  Haupt  mit  einer  Binde,  legte 
die  Sandalen  ab  und  legte  sich,  mit  dem  Pallium  bedeckt,  auf  das  zu  ihrer 
Niederkunft  bestimmte  I^ger  nieder.  Sorantis^  der  ein  Buch  über  Geburtshülfe 
schrieb,  giebt  nun  die  diätetischen  Vorbereitungen  an,  mit  welchen  man  den 
Raum  ausstatten  musste,  wenn  er  allen  Anforderungen  in  gesundheitlicher  Hin- 
sicht entsprechen  sollte:  »Die  Gebärende  muss  im  Winter  in  einem  geräumigen 
Zimmer  mit  gesunder  Luft  sich  aufhalten;  in  dem  Zimmer  müssen  die  ver- 
schiedenen Requisiten,  ab  Oel,  Abkochung  von  Foenu  graecum,  flüssiges  Wachs, 
warmes  Wasser,  weiche  Schwämme,  Baumwolle,  Binden,  Kopfkissen,  Biechmittel, 
ein  Gebärstuhl  und  zwei  Betten  bereit  stehen.*  Es  lässt  sich  denken,  dass  bei 
den  niederen  IQassen,  sowie  bei  den  Landbewohnern  im  römischen  Gebiete 
in  dem  Gebärzimmer  keineswegs  nur  annähernd  dergleichen  Vorkehrungen  ge- 
troffen waren. 

Es  lassen  sich  ja  auch  die  Einrichtungen  des  Zimmers,  in  welchem  die  Frau 
niederkommt,  in  unseren  heimischen  Landen  bei  vornehmeren  Städterinnen  oder 
auch  nur  bei  den  Bürgersfrauen  in  keiner  Weise  mit  denjenigen  bei  Bauersfrauen, 
namentlich  in  bestimmten  Gegenden,  vergleichen.  Unter  den  höheren  Klassen  fand 
Ploss  im  Wochenzimmer  zu  London  einen  Comfort,  zu  Paris  einen  Luxus,  wie 
bei  uns  kaum  in  fürstlichen  Familien.  In  deutschen  Bürgerhäusern  wird  meist 
das  Schla&immer  passend  und  angemessen  hergerichtet.  Dagegen  zeigen,  wenigstens 
in  Deutschland,  die  Räume,  in  welchen  die  Kreissende  und  Wöchnerin  kleiner 
Bauern  ganz  gewohnheitsmässig  verharrt,  den  vollständigsten  Mangel  an  bequemen 
Einrichtungen  und  gesundheitlichen  Verhältnissen.  Aus  der  bayerischen  Ober- 
pfalz berichtet  jBrenner-Schäffer  folgende,  gewiss  auch  in  anderen  Gauen  vor- 
kommende, Thatsache: 

.In  den  meisten  Fällen  birgt  das  Bauernhaus  nur  eine  Stube;  darin  weilen  Männer 
und  Weiber,  Knechte  und  Mägde,  Kinder  und  Nachbarn.  Unter  dem  colossalen  Oeconomie- 
ofen,  der  Tag  und  Nacht  gleiche  Hitze,   sei  es  Sommer  oder  Winter,   ausstrahlt,   in  dem  für 


40  XXXVm.  Die  Stätte  der  Niederkunft. 

Mensolien  und  Vieh  Jahr  aus,  Jahr  ein  gekocht  wird,  unter  diesem  stattlichen  Greb&ude,  das 
keiner  Bauernstube  fehlt,  schnattern  G&nse,  krähen  Hühner,  grunzen  Schweine;  hier  wird  das 
Futter  des  Rindviehs  abgebrüht,  dort  Kartoffeln  fQr  die  Schweine  gestossen,  ein  immer 
offener  Wasserhafen,  der  sogenannte  Höllhafen,  entwickelt  fortwährend  qualmenden  Wasser- 
dunst,  während  aus  dem  Rohre  der  Geruch  yerbrannten  Schmalzes,  bratender  Kartoffeln  und 
tausend  andere  Gasarten  das  Zimmer  durchziehen.  In  solcher  Staffage  erblickt  das  Kind  das 
Licht  der  Welt!« 

Offenbar  ist  hiermit  ein  Bild  entworfen,  das  uns  zeigt,  dass  bei  manchen 
uncultivirten  Völkern  die  Frauen  in  passenderen  und  besseren  Localitäten  gebären, 
als  bei  vielen  unserer  Kleinbauern. 

Bei  dem  grossstädtiscben  Proletariate  ist  es  nicht  selten,  dass  die  ganze 
Familie  nur  eine  kleine  Küche  als  gemeinsamen  Wohn-  und  Schlafraum  benutzt, 
während  das  einzige  Zimmer  der  Wohnung  an  eine  Anzahl  unverheiratheter  junger 
Leute,  sogenannter  Schlafburschen  (Arbeiter  oder  auch  Soldaten),  vermiethet  ist. 
In  dieser  Küche  kommen  dann  natürlich  auch  die  Kinder  zur  Welt. 

Wo  bei  etwas  besseren  Familien  der  Armen  nur  eine  Stube  als  gemeinsamer 
Familienaufenthaltsort  zur  Verfügung  steht,  da  weiss  man  sich  bisweilen  zu  helfen, 
indem  man  das  Bett,  die  Lagerstätte  der  Gebärenden,  in  eine  Art  von  Himmelbett 
umwandelt.  So  verfahrt  man  beispielsweise  in  Istrien;  dort  geht  die  slavische 
Frau,  wenn  sie  ihre  Entbindung  herankommen  fühlt,  in  die  Kirche  zum  Gebet, 
danach  begiebt  sie  sich  nach  Hause,  wo  ihr  Bett  rings  herum  mit  Betttüchern 
und  Decken  verhangen  ist.  Denn  da  die  Häuser,  ausser  denen  sehr  wohlhabender 
Familien,  meist  nur  ein  grosses  Zimmer  enthalten,  so  stehen  die  darin  befindlichen 
Betten  sehr  dicht  an  einander  und  sind  weder  durch  Vorhänge  noch  Gardinen 
von  einander  abgetrennt;  der  Mann  tritt  in  diesem  Falle  sein  Lager  der  Wöchnerin 
ab.    (v.  Reinsberg-Düringsfeld.) 

Auch  bei  den  Slovaken  finden  sich  nach  Hein  ganz  bestimmte  Vorhänge 
für  das  Geburts-  und  Wochenbett.  Sie  haben  einen  durchlaufenden  Streifen, 
welcher  mit  reicher  Stickerei  verziert  ist.  Als  Motiv  für  diese  letztere  erscheinen 
ausschliesslich  grosse  stilisirte  Pfauen. 

Aus  Bosnien  berichtet  Glück: 

,In  manchen  Gegenden  des  Occnpationsgebietes  haben  die  Bäuerinnen  die  Gewohnheit, 
gleich  nachdem  sie  die  ersten  Wehen  verspüren,  sich  in  einen  Winkel  des  Hauses  zu  ver- 
kriechen und  erst  dann  wieder  zum  Vorschein  zu  kommeui  wenn  sie  entbunden  sind  und  das 
Kind  selbst  abgenabelt  haben.  ** 

In  Ungarn  geht  die  Entbindung  nicht  im  Bette  vor  sich,  sondern  mitten 
im  Zimmer  auf  der  Erde  über  etwas  mit  Leintuch  zugedecktem  Stroh,  »weil  auch 
Christus  auf  Stroh  geboren  ward*,     (v.  Ssaplovics.) 

V.  Wlislocki^  beschreibt  ausführlich  die  feierliche  Aufstellung  und  Ausrüstung 
des  Bettes,  in  welchem  die  Magyar  in  ihre  Wochen  abhält.  Es  ist  das  jBoldo- 
gasssfony-Bett,  das  Liebfrauenbett,  von  welchem  wir  später  noch  sprechen 
müssen.    Er  sagt  dann  aber: 

,Die  Mutter  bringt  das  Kind  nicht  in  diesem  Bette  zur  Welt  und  wird  erst  nach 
überstandener  Geburt  in  das  Bddogasszony-Beii  gelegt.  Die  Frau  gebärt  mit  dem  Gesicht 
gegen  das  Fenster  und  mit  den  FQssen  gegen  die  Stube,  nicht  gegen  die  Thüre  zugekehrt, 
während  die  Todten  so  aufgebahrt  werden,  dass  die  FOsse  der  Thüre  zugekehrt  sind,  denn 
man  glaubt,  dass  dann  mit  dem  Todten  auch  der  Tod  aus  dem  Hause  weiche." 

Die  Lappländer  weisen  der  Frau  einen  besonderen  Platz  in  der  Hütte  an, 
auf  dem  sie  niederkommt  und  den  während  ihres  Wochenbettes  Niemand  betreten 
darf;  er  ist  links  vom  Eingange  gelegen. 

Die  Gurier  bringen  die  Gebärende  in  ein  Zimmer  ohne  Dielen,  dessen  Fuss- 
boden  mit  Heu  bestreut  wird. 

Zu  ebener  Erde  kommen  auch  die  Weiber  der  Parsis  in  Bombay  nieder, 
wie  der  Parsi  Dosabhoy  Fremjee  berichtet. 


243.  Die  Niederkunft  in  der  Badstube.  41 

Auf  der  Insel  Serang  gebären  die  Frauen  in  einem  abgesonderten  Räume 
des  Hauses;  auf  den  Wat üb ela -Inseln  wird  der  gewöhnliche  Schlafraum  als 
Qeburtsstätte  benutzt.  Die  Aaru-Insulaner  bereiten  der  Frau  fär  die  Entbindung 
einen  abgeschlossenen  Raum  im  Hause,  den  sie  durch  umgestellte  Matten  her- 
richten.   (Eiedd\) 

Viele  Indianer  benutzen  als  Lager  f&r  die  Niederkunft  nichts  als  den 
blossen  Erdboden,  höchstens  wird  ein  Büffelfeil  oder  ein  altes  Tuch  über  den 
Estrich  ausgebreitet,  oder  auch  trockenes  Gras  oder  Unkraut;  jedenfalls  stellen 
sie,  wie  es  eben  kommt,  ein  weiches  und  angenehmes  Lager  auf  dem  Boden  her. 
Eine  sehr  gewöhnliche  Methode  ist  es,  die  Gebärende  auf  eine  Schicht  von  Erde 
zu  legen,  die  mit  einem  Büffelfell  bedeckt  ist.  Die  Rees,  die  Gros-Ventres  und 
Mandans  legen  ein  breites  Stück  Fell  auf  den  Boden,  über  welchen  eine  drei  bis 
vier  Zoll  dicke  Schicht  Erde  aufgeschichtet  wurde,  und  über  diese  wird  dann  das 
Tuch  oder  das  Fell  gelegt,  auf  dem  die  Patientin  kniet.     (Engdmann.) 

Gebiert  die  Xosa-Kaffer-Frau  im  Hause,  »so  hockt  sie  splitternackt  auf 
einem  Haufen  loser  Erde,  damit  nicht  ihre  Kleider  oder  der  Fussboden  ihres 
Hauses  durch  einen  Blutstropfen  verunreinigt  werde.*     (Kropf.) 

Aehnlich  wie  das  oben  Ton  den  Guriern  berichtet  wurde,  sollen  auch  die 
Chinesen  auf  dem  Fussboden  eines  Zimmers  ohne  Dielen  auf  untergeschüttetem 
Heu  gebären.  Letzteres  trifft  jedoch  ohne  Zweifel  nicht  für  alle  Falle  zu,  denn 
wir  werden  später  noch  eine  chinesische  Zeichnung  kennen  lernen,  aus  welcher 
unzweifeKiaft  hervorgeht,  dass  die  Chinesinnen  auch  auf  einem  fussbankartigen 
Stuhle  sitzend  niederkommen;  auch  sagte  eine  früher  beigebrachte  Angabe,  dass 
die  Entbindung  in  einer  Wanne  stattfände. 

Ueber  den  Gebärraum  der  Japanerin  berichtete  das  alte  Buch  Schorei 
Hikki.    Dort  heisst  es  nach  Mitford' s  Uebersetzung: 

.Die  Menblirong  des  Zimmers  der  Wöchnerin  ist  wie  folgt:  Zwei  Zaber,  am  Unterrocke 
hineinzulegen;  zwei  Zuber  fOr  die  Nachgeburt;  ein  niedriger  Armstuhl  ohne  Beine  fOr  die 
Matter,  um  sich  darauf  zu  stützen;  ein  Schemel,  der  von  der  Geburtshelferin,  welche  die 
Lenden  der  zu  entbindenden  Frau  umfasst,  um  sie  zu  unterstützen,  gebraucht  wird,  und  den 
nachher  die  Hebamme  beim  Waschen  des  Kindes  benutzt;  mehrere  Kissen  von  yerschiedener 
Form  und  Grösse,  damit  die  Wöchnerin  ihren  Kopf  nach  Gefallen  stützen  kann:  Vierund- 
zwanzig  Kinderkleider,  zwölf  von  Seide  und  zwölf  von  Baumwolle,  müssen  bereit  gehalten 
werden«  Die  S&ume  dieser  Kleider  müssen  sa&angelb  gefärbt  sein.  Es  muss  auch  eine 
Schürze  für  die  Hebamme  vorhanden  sein,  damit  diese  das  Kind,  wenn  es  von  hohem  Range 
ist,  beim  Waschen  nicht  gleich  auf  ihre  eigenen  Kniee  legt.  Diese  Schürze  sollte  von  einem 
baumwollenen  Schleiertuche  gemacht  sein.  Mit  einem  solchen  feinen,  baumwollenen,  nicht 
gesäumten  Schleiertuche  sollte  auch  das  Kind,  wenn  es  aus  dem  warmen  Wasser  genommen 
wird,  abgetrocknet  werden.' 

Nicht  wenige  Völker  gestatten  den  Frauen  zwar  nicht,  im  Wohnhause 
niederzukommen,  aber  sie  treiben  sie  auch  nicht  in  das  Freie  hinaus,  sondern 
sie  errichten  ihnen  eine  besondere  Hütte,  oder  ein  Zelt,  in  welchem  die  Ent- 
bindung vor  sich  geht.  Wir  werden  dieselben  in  einem  der  folgenden  Abschnitte 
kennen  lernen. 


243.  Die  Niederkunft  in  der  Badstnbe. 

*  Wir  müssen  es  als  eine  besondere  und  ausschliessliche  Eigenthümlichkeit 
russischer  Yolksstämme  anerkennen,  dass  sie  ihre  Kreissenden  weder  im  Wohn- 
hause, noch  auch  in  einer  eigens  für  diesen  Zweck  errichteten  Gebärhütte,  sondern 
in  der  Badstube  niederkommen  lassen.  Das  wird  uns  von  den  Weibern  in  Gross- 
Russland,  von  den  Frauen  der  Letten,  der  Ehsten  und  der  Finnen,  Ton 
den  Weibern  im  wyätkaschen  Gouvernement  und  von  den  Wotjäkinnen  be- 
richtet.    Die  Badstube  spielt   überhaupt  in  der  Cultur  und  in  der  Yolkshygieine 


42  XXXYIU.  Die  Si&tto  der  Niederkunft. 

jener  Stamme  eine  ganz  hervorragende  Rolle.  Sie  ist  nicht  selten  dem  ganzen 
Dorfe  eigen;  immer  aber  ist  sie  nicht  ein  Theil  des  Wohnhauses,  ein  von  diesem 
abgetrenntes  Zimmer,  wie  man  aus  dem  Namen  »Stube*  vielleicht  schliessen 
möchte,  sondern  sie  ist  ein  freistehendes  Häuschen  ohne  Fenster  mit  einem  Ofen, 
dessen  Rauch  nicht  durch  einen  Schornstein,  sondern  durch  kleine  Oefhungen  an 
den  Wänden  ins  Freie  tritt. 

Weiter  oben  wiesen  wir  schon  darauf  hin,  dass  dieser  eigenthümlichen  Sitte 
vielleicht  die  Auffassung  von  einer  Unreinheit  der  Gebärenden  zu  Grunde  liegen 
möchte.  Sonderte  man  sie  in  der  Stunde  der  Entbindung  in  der  Badstube  ab, 
so  wurde  das  Wohnhaus  rein  und  unbefleckt  erhalten,  und  nach  erfolgter  Nieder- 
kunft konnte  durch  ein  purificirendes  Bad  sogleich  die  Unreinheit  von  der  Wöch- 
nerin genommen  werden.  AJJcsnis  hat  eine  andere  Erklärung  f&r  den  Gebrauch, 
der,  wie  wir  aus  seinen  Angaben  ersehen,  bei  den  Letten  bereits  im  Aussterben 
begrifien  ist.    Er  sagt: 

,  Kündigt  sich  die  herannahende  Geburt  durch  Vorwehen  an,  so  wird  schleunigst  eine 
Hebamme  geholt.  Man  sorgt  für  W&rme  im  Zimmer,  und  der  Rücken  der  Frau  wird  oft  an 
einen  warmen  Ofen  angelehnt,  damit  die  Vorwehen  weniger  sie  qu&len.  Dieser  Umstand, 
dass  Wärme  den  Wehenschmerz  lindert,,  wie  auch  derjenige,  dass  man  die  Geheimnisse  der 
Geburt  nicht  vor  vielen  und  möglicherweise  jungen  Leuten  sich  yoUziehen  lassen  wollte,  hat 
es  wohl  bewirkt,  dass  früher  die  Schwangeren  beim  Herannahen  der  Geburt  sich  nach  der 
gut  geheizten  Badstube  begaben,  wo  alle  nöthigen  Froceduren  von  den  Hebammen  leichter 
bewerkstelligt  werden  konnten.  Da  war  Wärme,  da  war  warmes  Badewasser  sogleich  zur 
Hand,  da  war  man  weniger  behindert  durch  störende  Angehörige,  hatte  mehr  freien  Raum 
zum  Handeln  u.  s.  w/ 

Alle  diese  Reflexionen  sind  ja  gewiss  ganz  richtig  und  zutre£Fend,  aber  sie 
brauchen  durchaus  nicht  ursprüngliche,  primäre  zu  sein.  Sehr  wohl  kann  der 
Glaube,  dass  die  Gebärende  unrein  sei  und  dass  sie  verunreinigend  und  unheil- 
bringend auf  das  Wohnhaus  und  seine  Insassen  einwirke,  ihre  Verbannung  in  die 
Badstube  herTorgerufen  haben,  und  erst  hinterher  können  die  Leute  sich  klar 
gemacht  haben,  dass  sie  fttr  die  Kreissende  einen  ganz  zweckmässigen  Platz  ge- 
wählt hätten,  und  es  werden  ihnen  dann  sicher  auch  alle  mit  der  Badstube  ver- 
bundenen Vorzüge  nach  und  nach  zum  Bewusstsein  gekommen  sein.  Trotzdem 
ist  bei  den  Letten  jetzt  die  Badstube,  wie  wir  durch  Äücsnis  erfahren,  als  Nieder- 
kunftsraum ausser  Mode  gekommen  und  er  hält  es  sogar  für  noth wendig,  den 
Beweis  dafür  anzutreten,  dass  man  früher  für  diesen  Zweck  die  Badstube  auch 
wirklich  aufgesucht  habe.  Er  führt  als  Beleg  dafiir  folgende  Stelle  aus  einem 
alten  Volksliede  an: 

,In  die  Badstube  eintretend,  warf  ich  meinen  goldenen  Ring  hin:  nimm  Laimin  das 
goldene  Opfer!  nimm  nicht  meine  Seele!' 

Die  Bäuerinnen  in  Finland  halten  aber  nach  Banun  ihre  Niederkunft 
und  ihr  Wochenbett  bis  auf  den  heutigen  Tag  auf  einem  Strohlager  in  der  Bad- 
stube ab.  Er  giebt  die  üebersetzung  eines  Verses  aus  einem  sogenannten 
Schaukelliede: 

,  Nicht  gedacht  und  nicht  gedeutet, 

Nicht  gemeint  hat^s  so  die  Mutter. 

Auf  dem  Bette  in  der  Badstub, 

Als  sie  auf  dem  Stroh  sich  streckte, 

Auf  dem  Eaff  in  EindesnOthen.* 

Die  Badstube  als  Stätte  der  Niederkunft  wird  auch  in  der  finnischen 
Kalewala  mehrmals  erwähnt.  Die  durch  den  Gennss  einer  Preisselbeere  schwanger 
gewordene  Jungfrau  Marjatta  hat  schon  lange  angefangen: 

«ohne  Schnür*  zu  gehen. 
Ohne  Gürtel  sich  zu  kleiden, 
In  die  Badestub*  zu  gehen. 
In  der  Finstemiss  zu  weilen.* 


244.  Die  Geb&rbütten.  43 

Vergeblich  bittet  sie  die  Matter  und  den  Vater: 

„Gieb  mir  eine  warme  Stelle, 
.  Eine  St&tte,  die  erwärmet, 
Dass  das  Mädcben  sich  dort  rein'ge, 
Dort  das  Weib  die  Weben  trage." 

Aach  im  Dorfe  wird  sie,  als  eine  aosserehelich  Geschwängerte,  mit  den 
Worten  abgewiesen: 

«unbesetzt  sind  nicht  die  Bäder, 
Nicht  die  Stabe  bei  dem  Schilfbacb!* 

und  die  Arme  muss  dann  im  Tannenwalde  niederkommen. 

Eine  andere  Schwangere  sucht  im  Nordlande  Pohjola  Hülfe  und  wird  hier 
heimlich  in  die  Badstube  gebracht: 

,Eam  die  schwarze  Tochter  Tuoni's, 

Sie,  die  garst'ge  Jungfrau  Mand's, 

Hin  zur  Stube  von  Pohjola, 

Zu  der  BadstuV  Sariola's, 

Ihre  Kinder  zu  gebären, 

Ihre  Frucht  dort  zu  erlangen. 

Loühi,  sie  des  Nordlands  Wirthin, 

Nofdlands  Alte,  arm  an  Zähnen, 

Führt  sie  heimlich  nach  der  Badstub', 

Zu  dem  Bade  in  die  Hütte, 

Ohne  dasB  das  Dorf  es  hörte, 

Es  ein  Wort  vernehmen  konnte, 

Heizte  heimlich  ihre  Badstub*, 

Sorgt  fttr  Alles  voller  Eile, 

Sc&miert  mit  Bier  der  Badstub'  Thüren, 

Netzt  mit  Dünnbier  ihre  Riegel, 

Dass  die  Thür  nicht  heulen  möchte, 

Nicht  die  Riegel  laut  ertönen.*    (Schiefner.) 

Sie  steht  dann  auch  der  Gebärenden  bei,  es  beschrankt  sich  jedoch  ihre 
Hülfe  im  Wesentlichen  darauf,  dass  sie  durch  Beschworungen  die  Entbindung 
befördert.  

244.  Die  GebärhUtten. 

Die  Sitte,  der  Kreissenden  für  die  Niederkunft  ein  eigenes,  von  dem  Wohn- 
platze abgesondertes  Heim  zu  scha£Pen,  ist  eine  sehr  alte  und  weitverbreitete. 
Bei  den  taten  Indern  begaben  sich  die  Frauen  aus  den  Kasten  des  Brahma, 
Kshastrya,  Yaisya  und  Sudra  in  das  Entbindungshaus  (Puerperarum domus), 
woselbst  unter  dem  Beistande  von  yier  muthigen  Frauen  unter  vielen  Ceremonien 
die  Entbindung  erfolgte. 

In  dieses  Haus  musste  sich  schon  die  Schwangere  begeben,  imd  es  wurde  dazu  ein 
.glücklicher  Mondtag*  gew&hlt.  Hier  befand  sie  sich,  nach  Suaruta's  Angabe,  im  .Geburts- 
zimmer der  Brahmanen*,  das  aus  Aegle  marmelos,  Ficus  indica,  Diospyros  glutinosa  und 
Semicarpus  construirt  war.  Das  Bett  war  aus  Eameelhaaren  gewebt,  die  Ritzen  des  Hauses 
waren  verstrichen.  Gut  unterrichtete  Dienerinnen  (Hebammen?)  harrten  ihrer.  Die  Thüren 
des  Gebnrtszimmers  mussten  nach  Morgen  oder  Mittag  gelegen  sein.  Dasselbe  war  acht  Ellen 
lang  und  vier  Ellen  breit,  von  W&ohtem  umgeben.  Brahmanen  fül^rten  die  Aufsicht  über  das 
ganze  hygienische  Verhalten  und  die  Beobachtung  der  di&tetischen  Vorschriften.  Hier  ver- 
weilte die  Wöchnerin  noch  einen  halben  Monat  lang  nach  der  Ankunft  des  Kindes. 

Auch  jetzt  noch  fuhrt  man  die  gebärende  Hindu- Frau  in  eine  Gebärhütte, 
doch  wird  sie  hier  nach  Smith  von  ungeschickten  Weibern  durch  Hitze  und  Rauch 

fepeinigt.    Diese  Absonderung  der  Kreissenden   besteht   auch   bei  den  Todas  in 
ndien:   Wenn  bei  ihnen  die  Entbindung  naht,  so  f&hrt  der  Mann  seine  Frau 


44 


XXXYIIL  Die  Stätte  der  Niederkunft. 


in  eine  kleine  Hütte,  die  im  Walde  erbaut  ist,  und  bringt  ihr  dorthin  täglich 
ihre  Nahrung.  Dort  lebt  sie  in  völliger  Zurückgezogenheit  und  unterhält  nur 
mit  einigen  Freundinnen  Verkehr,  welche  ihr  bei  der  Geburt  des  Kindes  Beistand 
leisten.  Desgleichen  enthält  jedes  Dorf  der  Badagas,  die  im  Nilgiri-Gebirge 
in  Indien  wohnen,  eine  besondere  Hütte,  in  der  die  Wöchnerin  nach  der  Gebiui 
des  Kindes  2 — 3  Tage  zu  yerweilen  hat;  während  dieser  Zeit  wird  sie  von  Frauen 
bedient  und  Morgens  und  Abends  gewaschen.  (Jagor.)  Aehnlich  findet  bei  den 
Kaders,  einem  Volke  in  den  Anamally-Bergen,  die  Niederkunft  in  einer  be- 
sonderen, für  diesen  Zweck  erbauten  Hütte  mit  Hülfe  verwandter  und  befreundeter 
Weiber  statt.  (Jagor.)  Auch  bei  den  Hill  Arrians  in  Travancore  wird  für 
die  Hochschwangere  eine  kleine  Hütte  in  geringer  Entfernung  vom  Hause  er- 
In  dieser  muss  sie  ihre  Niederkunft  abmachen   und  16  Tage  darin  ver- 


richtet, 
weilen 


(PaifUer,) 


Fig.  264.    Indische  Gebärhütte.    Nach 

einem  Wandgemälde  eines  Tempels  in 

Sikhim. 


Auf  einem  als  Lebensrad  bezeichneten 
Fresco-Gemälde  eines  Tempels  in  Sikhim  be- 
findet sich  auch  die  Darstellung  einer  indi- 
schen Gebärhütte  (Fig.  264).  Von  der  Insassin 
ist  aber  nichts  zu  sehen. 

Der  Ort,  an  dem  die  Annamitin  in 
Gochinchina  niederkommt,  ist  verschieden 
je  nach  der  socialen  Stellung  der  Gebärenden; 
im  Hause  jedoch  kann  sie  dies  unter  keinen 
Umständen  bewerkstelligen. 

Mondüre  sab,  wie  unglückliche  Mädchen,  so- 
bald ihre  Stunde  gekommen  war,  mitten  auf  der 
Strasse,  gleichsam  coram  populo  lagen,  indem  ihnen 
mittelst  fünf  durchlöcherter  Matten  und  acht  Bambus- 
stäben ein  Schutzdach  bereitet  worden  war.  So 
mussten  sie  2  bis  3  Tage  liegen  bleiben,  wobei  sie 
sich  an  einem  Feuer  wärmten ,  das  ihnen  mitleidige 
Nachbarn  angezündet  hatten  ^und  unter  den  10 — 12 
Latten  unterhielten,  die  den  Unglücklichen  als  Lagerstätten  dienten.  Den  Frauen  der  Hand- 
werker  und  Dienstleute  gewährt  man  gewöhnlich  einen  kleinen  Schmutzwinkel,  den  man  je 
nach  Umständen  ein  wenig  gereinigt  hat.  Wohlhabende  Leute  errichten  für  diesen  Zweck 
im  Hofe,  doch  nahe  der  eigentlichen  Wohnung,  ein  kleines  Bambus-Häuschen,  das  nur  eine 
Thür  und  ein  winziges  Fenster  hat.  Auf  vier  Pfählen  bereitet  man  hier  der  Frau  ein  Lager 
von  Bambus-Latten,  und  damit  ist  alles  geschehen.  Nach  einem  Monat,  während  dessen  die 
Frau  in  dieser  Hütte  verweilt,  wird  diese  niedergerissen  und  oft  verbrannt.  Das  Letztere  ist 
unzweifelhaft  eine  recht  gute  hygieinische  Maassregel. 

Die  Alfuren-Frau  auf  Serang  sucht  sich,  wenn  sie  ihre  Entbindung  er- 
wartet, im  Busche  in  der  Nahe  des  Dorfes,  in  der  Regel  dicht  bei  fliessendem 
Wasser,  einen  passenden  Ort  aus,  wo  die  Geburt  vor  sich  gehen  kann.  Dort 
wird  ein  sogenannter  paparissan,  d.  i.  eine  kleine,  aus  Stöcken  und  Blättern  ver- 
fertigte Hütte,  oder  besser  gesagt,  ein  Schutzdach  hergestellt,  das  vor  B^en 
schützen  kann.  Ein  altes  Weib  bleibt  bei  ihr  und  verrichtet  den  Hebammendienst. 
(Capitän  Schulze.)  Nach  anderem  Berichte  errichtet  der  Ehemann  bisweilen  seiner 
Frau  eine  besondere  Niederkunftsstatte ,  welche  sie  nicht  vor  dem  dritten  Tage 
verlässt;  viele  Frauen  machen  aber  ihre  Entbindung  im  Wohnhause  ab.  Bei  den 
auf  derselben  Insel  wohnenden  Patasiwa-maselo  ist  das  letztere  jedoch  streng 
verpönt.  Diese  benutzen  dieselbe  Hütte,  in  welche  die  Menstruirenden  sich  zurück- 
ziehen müssen,  auch  als  allgemeines  Gebärhaus.  Hier  müssen  die  Frauen  ebenfalls 
noch  drei  Tage  nach  der  Entbindung  ausharren  und  dürfen  erst  in  ihre  Wohnung 
zurückkehren,  nachdem  sie  sich  gebadet  haben. 

In  den  verschiedensten  Gegenden  von  Neu- Guinea  (in  Andai,  Dorei, 
der  K aim an i -Bucht  u.  s.  w.)  wird  die  Entbindung  und  das  Wochenbett  ebenfalls 


244.  Die  Gebärhütten.  45 

in  einer  eigens   für  diesen   Zweck  im  Gesträuche  aufgeschlagenen  kleinen  Hütte 
abgemacht. 

Ebenso  kommen  nach  Moerenhout  die  Weiber  auf  Tahiti  in  einem  beson- 
deren Häuschen  nieder.  Das  Gleiche  gilt  theilweise  auch  von  den  Australie- 
rinnen.    Ich  werde  in  einem  späteren  Abschnitte  darauf  zurückkommen. 

Auf  Neu-Seeland  herrscht  unter  den  Eingeborenen  eine  ähnliche  Abson- 
derung der  Gebärenden. 

Dort  wird  schon  während  der  Schwangerschaft  die  arme  Frau  für  Tabu  erklärt;  sie 
wird  deswegen  von  der  Verbindung  mit  anderen  Personen  abgeschnitten  und  unter  ein  ein- 
faches, aus  Zweigen  und  Blättern  bestehendes  Obdach  verwiesen,  das  kaum  gegen  Regen, 
Wind  und  Sonnenhitze  schützt.  Dort  wird  sie  je  nach  ihrem  Range  von  einer  oder  mehreren 
Frauen,  welche,  wie  sie,  Tabu  sind,  bedient.  Wie  lange  diese  Art  Quarantäne  dauert  und 
welchen  Förmlichkeiten  die  Frau  sich  dabei  unterziehen  muss,  um  wieder  frei  in  der  Gesell- 
schaft auftreten  zu  kOnnen,  ist  unbekannt.  Die  Ausschliessung  dauert  noch  mehrere  Tage 
nach  der  Geburt  fort,  und  in  dieser  Zeit  ist  das  neugeborene  Kind  aller  Ungunst  der 
Witterung  preisgegeben.  Erst  einige  Tage  nach  ihrer  Niederkunft  darf  sie  die  Hütte  ver- 
lassen, (de  EienziJ  Nach  anderer  Nachricht  fNovaraJ  befindet  sich  die  Hütte,  welche  für 
die  gebärende  Maori-Fran  gebaut  wird,  nicht  weit  von  der  Wohnung  der  Familie  und  wird 
für  heilig  gehalten. 

Die  Sandwichs-Insulaner  baqen  in  der  Nähe  der  Wohnung  eine  kleine 
-Gebärhütte,  welche  Tabu,  d.  h.  unbetretbar,  unnahbar  ist. 

In  dieser  kommt  die  Frau,  von  einem  Stück  Zeug  aus  der  Rinde  eines  Maulbeerbaumes 
bedeckt  und  auf  einem  kleinen  Stück  Zeug  auf  der  Erde  liegend,  nieder;  und  der  Mann, 
welcher  sich  in  der  Nähe  der  Entbindungshütte  aufhält,  tritt  hinein,  sobald  er  von  der  Ge- 
burt des  Kindes  benachrichtigt  wird,  um  selbst  den  Nabelstrang  zu  durchschneiden. 

Eine  besondere  Wochenbettshütte  haben  für  die  Frau  nach  der  Entbindung 
während  der  ganzen  Zeit  ihrer  Unreinheit  die  Bewohner  der  Insel  Yap.  (v.  Mi- 
MuchO'Maday.) 

Bei  den  Pschawen  wird  die  Frau  beim  Herannahen  der  Niederkunft  aus 
der  Hütte  gejagt,  und  sie  begiebt  sich  in  eine  weit  abseits  vom  Dorfe  gelegene 
Hütte,  wo  sie  ganz  allein  und  aller  Hülfe  bar  ist.     (Fürst  Eristow.) 

«Bei  den  Chewsuren  verlässt  die  Schwangere,  sobald  die  Zeit  der  Geburt  gekommen 
ist,  das  Dorf  und  begiebt  sich  in  eine  elende,  mit  Langstroh  dürftig  bedeckte  Hütte,  welche 
am  entlegenen  Abhänge  in  1  bis  2  Kilom .  Entfernung  vom  Dorfe  durch  andere  Weiber  her- 
gerichtet wurde;  oft  tragen  drei  an  einan  der  gestützte  Stämmchen  nur  die  seitliche  Stroh- 
bedeckung. Diese  Gebärhütten  heissen  «Satschechi".  Die  Mutter  muss  hier  eigentlich  ohne 
Jede  Hülfe  niederkommen,  doch  gestatten  einige  Chewiuren  jetzt  die  Hülfe  irgend  eines 
anderen  Weibes;  ja  es  kommt  vor,  dass  neuerdings  ein  eigener  Winkel  im  Hause  des  Dorfes 
zur  Niederkunft  hergerichtet  wird.  Derselbe  ist  aber  so  klein,  dass  er  nur  die  Mutter  allein 
aufiiehmen  kann.  Nach  den  altüblichen  Gebräuchen  darf  selbst  der  Mann  seiner  Frau  nicht 
helfen  und  auch  nicht  in  ihre  Nähe  kommen.'    (BaddeJ 

Auch  die  Nord-Asiaten  haben  besondere  Gebär-Zelte.  Das  „unreine  Zelt*, 
in  welchem  bei  den  Samo jeden  die  Frau  niederkommen  muss,  heisst  Samajma 
oder  Madiko.  Steht  bei  den  Ostjäken  eine  Geburt  bevor,  so  zieht  die  Frau  in 
eine  besondere  Jurte  und  lebt  hier,  bis  fünf  Wochen  nach  der  Geburt  des  Kindes 
verstrichen  sind.  (Alexander.)  Die  Giliaken,  welche  am  unteren  Amur  und 
im  nördlichen  Sachalin  wohnen,  verweisen  die  Schwangere  schon  vor  ihrer  Ent- 
bindung in^eine  Hütte  von  Birkenrinde.    Denicker  berichtet: 

.Chez  les  Ghiliaks  la  femme  enceinte  est  entouröe  de  tous  les  soins  possibles,  mais 
une  dizaine  de  jours  avant  la  parturition  pr^sum^e,  on  la  transporte  de  la  maison  dans  une 
<;abane  en  ^corce  de  bouleau  ou  Ton  entretient  un  feu  leger.  Cet  usage  est  strictement  ob- 
serve,  memo  pendant  les  temps  les  plus  froids.  Sa  signification  n*est  pas  bien  daire;  il  ne 
semble  pas  cependant  indiquer  qu'on  considäre  la  femme  en  couche  comme  quelque  chose 
d*impur,  car  apr^s  la  parturition  on  ne  la  soumet  ä  aucune  pratique  purifiante.  Pendant 
tout  son  s^jour  dans  la  cabane,  la  femme  n*est  soign^e  que  par  les  personnes  de  son  sexe,  qui 
Tassistent  pendant  Taccouchement  et  baignent  le  nouveau-nö  dans  la  mgme  cabane  souvent 
par  un  froid  de  quarante  degres  centigrades  au-dessus  de  z^ro.' 


46 


XXXVIU.  Die  St&tte  der  Niederkunft. 


Gleichen  Erscheinungen  begegnen  wir  in  Süd- Amerika.  Barrere  (1751) 
erzählt:  „Wenn  die  Frauen  der  Indianer  in  Guyana  merken,  dass  sie  bald  nieder- 
kommen, so  verstecken  sie  sich  in  einem  kleinen  Walde  oder  in  einer  kleinen 
Hütte/  Von  den  Campas-  oder  Antis-Indianern  in  Peru  am  Amazonen- 
strome erfahren  wir,  dass  sie  beim  Nahen  ihrer  Niederkunft  ihre  Wohnung  ver- 
lassen und  sich  in  eine  kleine,  in  der  Nähe  belegene  Hütte  begeben,  wo  sie  allein, 
ohne  alle  Hülfe  niederkommen. 

Die  Wulwa  (oder  TJlua)  an  der  Moskitoküste  in  Mittel- Amerika, 
ein  gutartiges,  doch  sehr  niedrig  stehendes  Indianervolk,  leben  nicht  in  Dorf ern, 
sondern  zerstreut,  und  es  bilden  nur  zwei  bis  drei  Hütten  eine  Gruppe;  eine  Hütte 
wird  meist  von  drei  oder  vier  Familien  bewohnt,  deren  jede  in  einer  der  Ecken 
ihr  Feuer  für  sich  hat,  an  welchem  sie  ihre  eigenen  Bananen  kocht  und  um 
welches  sie  sich  plaudernd  schaart,  die  Frauen  in  ihrer  entschieden  unvollstän- 
digen Toilette.  Geburten  kommen  jetzt  nur  äusserat  selten  vor,  trotzdem  wird 
die  Frau  noch  immer  genöthigt,  bei  dem  Eintritt  der  Wehen  eine  Hütte  in  Waldes- 
abgelegenheit  zu  beziehen,  wo  sie  von  sich  einander  abwechselnden  Frauen  mit 
Nahrung  versehen  und  gepflegt  wird.     (Wickham,) 


Fig.  265.    Oebärhütte  der  Comanche-Indianer.    Eine  Comauche-Indianerin  kreissend. 

(Nach  Engelmann.) 


Bei  den  Indianern  Nord-Amerikas  sind  die  Gebräuche  verschieden.  Die 
Weiber  der  Chippeways  und  Winnebagos  z.  B.  kommen  im  Winter  in  einem 
besonderen  Zelte  in  der  Nähe  der  Familienhütte  nieder,  während  sie  bei  milderer 
Witterung  zu  diesem  Zwecke  den  Wald  aufsuchen. 

Einige  Sioux -Stämme,  die  Blackfeet  und  die  Uncpapas,  pflegen  eine 
nur  für  den  gelegentlichen  Einzelfall  bestimmte  Hütte  zu  errichten ;  dasselbe  findet 
bei  den  Klamaths,  den  Utes  und  Anderen  statt.  Die  Comanchen  bauen  in 
einer  kleinen  Entfernung  von  der  Niederlassung  und  in  der  Nähe  des  Familien- 
zeltes der  Schwangeren  für  diese  letztere  zum  Zweck  ihrer  Entbindung  einen  be- 
sonderen Zufluchtsraum.     (Fig.  265.) 

«Derselbe  ist  aus  Reisholz  oder  Busch  hergestellt,  sechs  oder  sieben  Fuss  hoch,  mit 
Stecken  im  festen  Boden  versehen;  er  hat  die  Form  eines  etwa  acht  Fuss  im  Durchmesser 
haltenden,  nicht  geschlossenen  Kreises,  wobei  der  Eingang  so  gestaltet  ist,  dass  eines  der  beiden 
Enden  der  Wand  etwas  über  das  andere  Ende  übergreift.  In  einiger  Entfernung  vom  Ein- 
gange hat  man  drei  Pföhle  aus  dünnen  Bäumchen  aufgerichtet,  zehn  Schritt  von  einander 
entfernt  und  vier  Fuss  hoch.  Innerhalb  des  Gebärraums  sind  zwei  rechtwinkelige  Aushöhlungen 
im  Boden  ausgegraben,  zehn  bis  achtzehn  Zoll  in  der  Weite,  und  ein  Pfahl  steht  am  Ende 
einer  jeden  dieser  Vertiefungen.  In  die  eine  derselben  hat  man  einen  heissen  Stein  gelegt, 
in  die  andere  ein  wenig  lose  Erde,  zur  Aufnahme  des  Stuhls  und  Urins.  Der  übrige  Fass- 
boden ist  mit  Kräutern  bestreut.    Dies  ist  ihre  Methode,  einen  Gebärraum  anzufertigen,  wenn 


244.  Die  Gebärhütten.  47 

sie  in  ihrem  Lager  sind;  in  einer  Jahreszeit,  wo  Reisig  und  Laub  ihnen  fehlen,  füllen  sie 
die  Lficken  mit  Kleidungsstücken  aus  oder  bedecken  dieselben  mit  Häuten.  Aber  auf  dem 
Marsche  suchen  sie  nur  einen  natürlichen  Schutz  für  die  Frau  unter  einem  in  der  N&he  be- 
findlichen Baume."    C^^c^^a^^-J 

Die  Indianer  in  der  U in tah- Valley-Agentur  haben  einen  ähnlichen 
Brauch. 

«Bei  den  ersten  Anzeichen  der  nahenden  Geburt  verlässt  die  Kreissende  die  Hütte  ihrer 
Familie  und  sie  errichtet  für  sich  selbst  in  geringer  Entfernung  von  letzterer  ein  kleines 
,wick-e-up',  in  welchem  sie  w&hrend  ihrer  Niederkunft  verbleibt;  zuerst  reinigt  sie  den  Boden 
und  macht  dann  eine  seichte  Vertiefung,  in  welcher  ein  Feuer  angezündet  wird.  Um  dieses 
werden  Steine  ringsum  gelegt  und  erhitzt;  auch  ein  Kessel  mit  Wasser  wird  heiss  gemacht, 
von  dem  sie  h&ufig  und  reichlich  trinkt.  Dais  .wick-e-up'  wird  so  dicht  als  möglich  her- 
gestellt, um  den  Einfluss  des  Temperaturwechsels  zu  verhüten  und  um  den  Schweiss  zu  be- 
fördern.   Beistand  leisten  Weiber  aus  der  Nachbarschaft."     (EngelmannJ 

Die  Frauen  mancher  Indianerstämme  Nord-Amerikas  lassen  sich^  wie 
wir  anführten,  nicht  selten  bei  der  Arbeit  oder  auf  der  Reise  Ton  der  Geburt 
überraschen;  „aax  autres,  dte  qu'elles  se  sentent  pres  de  leur  terme,  on  dresse 
une  petita  hutte  hors  du  village  et  elles  y  restent  quarante  jours  apres  qu'elles 
sont  accouch^es;*^  diese  Sitte  findet  aber,  wie  de  Charlevoix  hinzufügt,  nur  bei  den 
ersten  Entbindungen  statt;  auch  eine  bei  anderen  Völkern  vorkommende  Gewohnheit. 

Kommt  unter  den  Indianerstammen  im  Westen  der  Hudsonsbay,  den 
Athapasken,  den  Hundsrippen-  und  Kupfer-Indianern  ein  Weib  auf  Reisen 
in  Kindesnöthe,  so  wird  ihr  auf  der  Stelle  ein  Zelt  angeschlagen,  und  man 
lässt  sie,  mit  einigen  Lebensmitteln  versehen,  und  mit  der  Nachricht  über 
die  Absicht  und  den  Gang  der  weiten  Reise,  daselbst  zurück,  wo  es  dann  ihr 
selbst  und  ihrem  Glücke  überlassen  wird,  ob  sie  jemals  wieder  zu  ihrer  Horde 
gelangen  wird.    Auch  Heame  meldet: 

,Wenn  unter  den  in  den  nördlichsten  Gegenden  Nord-Amerikas  wohnenden  Indianern 
bei  einer  Frau  die  Geburt  beginnt,  so  errichtet  man  für  sie  ein  besonderes  Zelt,  welches 
von  den  übrigen  so  weit  entfernt  ist,  dass  man  das  Geschrei  der  Ereissenden  nicht  ver- 
nehmen kann;  nur  Frauen  beaufsichtigen  sie  dabei,  kein  männliches  Wesen  darf  in  ihre 
N&he  kommen.' 

Die  Frau  des  Thlinkiten  (Nord-Amerika)  erwartet  ihre  Niederkunft  in 
einer  kleinen  Zweig-  oder  Schneehütte  hinter  dem  Hause.     (Krause.) 

Bei  den  Bilqula  im  nordwestlichen  Canada  muss  die  Frau  für  ihre  Ent- 
bindung eine  zu  diesem  Zweck  errichtete  kleine  Hütte  aufeucheru  Sie  wird  dabei 
begleitet  von  einer  Hebamme  Ton  Beruf  und  nach  erfolgter  Geburt  muss  sie 
10  Tage  lang  in  der  Hütte  verbleiben.     (Report) 

Unter  den  östlichen  Eskimo  geschieht  die  Niederkunft  beim  ersten  Kinde 
in  dem  gewohnlichen  Igloo  (Hütte),  bei  allen  späteren  muss  sie  ein  besonderes, 
zu  ihrem  Gebrauch  gebautes  Igloo  beziehen  (HälT);  der  Mann  darf  bei  der  Nieder- 
kunft nicht  zugegen  sein.  Auch  die  in  den  westlichen  Gegenden  wohnenden 
E  s  k  i  m  o-Frauen  müssen  in  einer  kleinen  Hütte  gebären,  in  welche  sie  zusammen 
mit  dem  Aas  irgend  eines  Thieres,  zumeist  eines  Himdes,  eingeschlossen  werden; 
in  dieser  Hütte  bleibt  die  Kreissende  ganz  allein  und  ohne  Hülfe.  Smith  besuchte 
mehrere  dieser  Hütten,  welche  eine  Wöchnerin  und  ein  Neugeborenes  enthielten; 
und  in  einer  solchen  Hütte  von  besonders  kleinen  Dimensionen  fand  er  eine 
Hündin  und  einen  Wurf  junger  Hunde.  Die  Eskimo-Frau  in  dem  von  Klutschack 
besuchten  Gebiete  wird  schon  vier  Wochen  vor  ihrer  Niederkunft  von  ihrem 
Gatten  getrennt  und  in  eine  separate  Behausung  gebracht,  zu  der  nur  Frauen 
Zutritt  haben. 

Den  Gebrauch  einer  besonderen  Gebärhütte  finden  wir  auch  im  südlichen 
Afrika,  wenn  auch  nur  ganz  vereinzelt,  vor.  Nach  Damberger  bestehen  in  jedem 
Kafferndorfe  besondere  Hütten  für  gebärende  Frauen;  kein  Mann  darf  den 
Räumen  sich  nähern,  und  wenn  eine  Frau  entbunden  Wird,  darf  ihr  Mann  drei 
Tage  lang  nicht  in  ihre  Hütte  kommen. 


48  XXXYIII.  Die  Stätte  der  Niederkunft. 

Auch  in  Europa  ist  schon  im  Alterthum  dafür  Sorge  getragen  worden, 
dass  hülflosen  Ereissenden  ein  ruhiges  Asyl  för  die  Niederkunft  bereitet  werde. 
Den  Ursprung  dieser  Gebäranstalten  haben  wir  im  alten  Griechenland  zu 
suchen.  Es  war  in  Epidaurus  am  Saronischen  Meerbusen,  der  Ebfenstadt 
von  Argolis,  wo  bei  dem  Heiligthum  des  AsUepios  die  ersten  dieser  Zufluchts- 
stätten errichtet  wurden. 

Patisani(i$  berichtet  hierüber: 

sQuumque  Epidaurii  fani  accolae  aegerrime  ferrent,  quod  et  feminae  sub  tecto  non 
parerent,  et  aegri  sub  dio  animam  agerent,  Antonius,  domo  aedificata  incommodum  removit* 
Fuit  itaque  in  posterum  et  ad  moriendum  aegriB  et  ad  pariendum  mulieribus  consecratus 
religione  locus/ 

Es  ward  also  als  ein  Act  der  Religiosität  betrachtet,  dass  man  ebenso  wie 
für  die  Kranken,  auch  für  die  Gebärenden,  wenn  sie  (als  unrein)  der  Hülfe  ent- 
behrten, Pflegestätten  herstellte.  Die  Inder  hatten  zu  den  Zeiten  des  StisnUa, 
der  wahrscheinlich  erst  nach  Christi  Geburt  gelebt  hat,  ebenfalls  besondere  Gebär- 
anstalten, in  denen  die  Kreissenden  Ton  den  Priesterärzten  überwacht  wurden.  Es 
wird  später  noch  davon  die  Rede  sein.  Hiermit  also  beginnt  die  Geschichte  der 
Entbindungs-Institute,  welche,  wie  es  den  Anschein  hat,  auch  im  Mittelalter  in 
Europa  niemals  aufhorten  zu  existiren.  Allerdings  haben  sie  erst  in  unserem 
Jahrhundert  sich  einer  allgemeinen  Verbreitung  und  der  staatlichen  Unterstützungen 
zu  erfreuen. 


XXXIX.  Die  gesnndheitsgemasse  Oebnrt  nnd  ihre 

Bedingungen. 

245,  Sind  die  Geburten  leichter  bei  CnltnrToIkem  oder  bei  Natnryolkem? 

Der  Satz  hat  gewiss  seine  volle  Gültigkeit,  dass  die  Gebarten  bei  jenen 
Völkern  in  normalster  Weise  vor  sich  gehen,  bei  welchen  die  Frauen  sich  durch- 
schnittlich eines  normalen  Körperbaues  erfreuen,  und  wo  auch  in  der  Schwanger- 
schaft allen  physiologischen  Forderungen  Rechnung  getragen  wird.  Von  dieser 
Voraussetzung  ausgehend,  lasst  sich  allerdings  schon  a  priori  annehmen,  dass  die 
sogenannten  Naturvölker,  bei  welchen  die  Weiber  zwar  eine  harte,  aber  den 
Körper  festigende  Lebensweise  führen  und  daher  sich  dabei  auch  eine  verhältniss- 
mässig  grosse  Ausdauer  erwerben,  nur  selten  Störungen  im  Geburtsverlauf  erleben. 
Und  da  denn  auch  in  den  meisten  Beisewerken  angegeben  wird,  dass  bei  den 
uncultivirten  Völkerschaften  die  Frauen  leicht  gebären,  so  wird  man  sich  nicht 
verwundem,  wenn  es  ganz  allgemein  heisst:  Bei  rohen  Völkern  kommen  kaum 
jemals  Geburtsstörungen  vor,  die  Cultur  aber  hat  die  civilisirten  Völker  so  un- 
günstig beinflusst,  dass  ihre  Frauen  häufig  abnorme  Geburten  zu  erleiden  haben. 
Schon  im  vorigen  Jahrhundert  wurden  hierüber  namentlich  von  Unzer  Be- 
trachtungen angestellt.  Allein  auch  hier  muss  man  vorsichtig  untersuchen,  auf 
welchen  Thatsachen  man  fest  fiissen  kann.  Denn  wenn  auch  aus  allen  Berichten 
wohl  zu  schliessen  ist,  dass  die  Frauen  der  wenig  civilisirten  Völker  zumeist 
leicht  gebären,  und  dass  bei  ihnen  relativ  selten  Schwergeburten  vorkonmien,  so 
würde  es  doch  falsch  sein,  anzunehmen,  dass  nur  die  Ctdturvölker  in  Folge  der 
verweichlichenden,  nicht  physiologischen  Lebensweise  unter  dem  Gebäract  durch 
Abnormitäten  zu  leiden  haben.  Ausserdem  kann  man  auch  nicht  allen  Berichten 
unbedingtes  Vertrauen  schenken.     H.  Fritsch  sagt  ganz  richtig : 

,Es  ist  ja  klar,  dass  wenig  mittheilsame  Naturvölker  den  lästigen  Fragen  dadurch  aus- 
weichen werden,  dass  sie  sagen,  es  sei  bei  den  Geburten  keine  Hülfe  nOthig.  Eine  ziemliche 
Vertraulichkeit  gehört  schon  dazQ,  um  hier  auf  wahrhafte  Mittheilungen  hoffen  zu  dürfen. 
Nun  gar  eine  Besichtigung,  Untersuchung  während  dieses  Actes  dürfte  überall  unmöglich  seinl 
Ueberlegt  man  sich  aber,  weshalb  bei  solchen  Völkern  der  Wahrscheinlichkeit  nach  schwere 
Geburten  nicht  häufig  sind,  so  muss  man  zunächst  bedenken,  dass  sehr  enge,  absolut  zu 
enge  Becken  jedenfalls  selten  existiren.  Theils  kommen  die  Enochenkrankheiten  (Rhachitis), 
die  zur  Beckenverengung  führen,  gar  nicht  vor,  theils  sterben  schlecht  gebildete  Individuen 
wegen  mangelnder  Pflege.  Existirt  aber  trotzdem  ein  yerkrflppeltes  Individuum ,  so  ist  nicht 
zu  vergessen,  dass  die  Frau  vielfach  ,Waare'  ist;  eine  schlechte  Waare  wird  bei  grossem 
Angebot  schwerlich  Absatz  finden,  zumal  die  Frau  nicht  am  wenigsten  geheirathet  wird,  um 
zu  arbeiten.  Dann  existiren  auch  vielfache  Berichte,  selbst  Messungen  nnd  W&gungen,  z.  B. 
von  Wemich,  die  beweisen,  dass  die  Elnder  auffallend  klein  sind,  dass  sie  ,ein  wenig  ausge- 
bildetes Hinterhaupt  haben',  dass  ,der  Kopf  sehr  rund',  ,die  Knochen  sehr  schwach  seien*.  Aus 
allen  diesen  Gründen  lässt  sich  annehmen,  dass  schwere  Geburten  zu  den  Seltenheiten  gehören.' 
Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  4 


50  XXXIX.  Die  geBondheitsgemässe  Gebart  und  ihre  Bedingungen. 

Yorzugsweise  müssen  wir  uns  natürlich  in  dieser  Frage  auf  die  Berichte 
von  Aerzten  beziehen,  welche  Gelegenheit  hatten,  yielfach  den  Qebarten  von 
Frauen  minder  civilisirter  Völkerschaften  beizuwohnen  und  auch  die  Lebens- 
gewohnheiten  dieser  Weiber  genau  kennen  zu  lernen.  In  dieser  Beziehung 
scheint  mir  unter  Anderem  dasjenige  sehr  wichtig  zu  sein,  was  schon  vor  längerer 
Zeit  HiUe  Über  seine  Beobachtimgen  bei  Negersclaviitnen  in  Surinam 
sagte,  deren  Geburtsverläufen  er  jahrelang  seine  Aufmerksamkeit  widmen  konnte : 

.Sowie  überhaupt  in  der  ganzen  Welt  die  Frauen  der  unteren  ungebildeten  Volksklassen, 
deren  Körper  von  der  frühesten  Jugend  an  durch  keine  verkehrten,  beengenden  und  Ter* 
drehenden  Bekleidungen  in  seiner  Entwickelung  gestört  wird,  gewöhnlich  leicht  gebären,  so 
ist  dieses  auch  bei  den  Negerinnen  der  Fall.  Ihre  ganze  Kleidung  ist,  scheint  es,  im  Gegen- 
satze zu  der  der  gebildeten  Europäerinnen,  darauf  berechnet,  der  Entwickelung  des  Körpers 
durchaus  nichts  in  den  Weg  zu  legen.  Daher  auch  die  Eingeweide,  von  dem  wachsenden 
Uterus  zurückgedrängt,  Platz  finden,  ohne  den  Uterus  zu  sehr  zu  drücken;  letzterer  kann  sich 
also  ungestört  erweitem  und  die  bedingten  Functionen  zum  Vortheil  der  Mutter  and  des 
Kindes  erfüllen.  Dieses  ist  schon  Grund  genug  für  einen  leichten  normalen  Geburtsact  Die 
Negerinnen  haben  aber  auch  noch  von  der  Natur  den  grossen  Vortheil  eines  weiten  Beckens 
und  eines  weit  nach  hinten  ausgebogenen  Kreuz-  und  Steissbeins  erhalten ,  wodurch  der  Act 
noch  mehr  erleichtert  werden  muss.  Es  ist  hier  höchst  selten  nöthig,  dass  ein  Geburtshelfer 
bei  dem  Gebären  einer  Negerin  behülflich  sein  müsse.  Hebammen,  deren  geburtshülfliche 
Kenntnisse  eben  nicht  gross  sind,  sind  hinlänglich.  Sie  brauchen  auch  meist  weiter  nichts 
zu  thun,  als  die  Nabelschnur  zu  unterbinden,  da  der  Geburtsact  sehr  schnell  und  leicht 
vor  sich  geht* 

JEngdmann  erfuhr  von  einem  Arzte,  der  acht  Jahre  unter  den  canadischen 
Indianern,  und  von  einem  anderen,  welcher  vier  Jahre  unter  den  Oregon-In- 
dianern gelebt  hatte,  dass  sie  während  dieser  Zeit  niemals  von  einem  gestörten 
Geburtsverlaufe  oder  gar  von  einem  Todesfall  im  Wochenbett  gehört  hätten.  Der 
letztere  Berichterstatter  hatte  höchstens  die  Sprengung  der  Eihäute  vorzunehmen. 
Engelmann  sucht  das  günstige  Resultat  bei  diesen  Völkern  dadurch  zu  erklären, 
dass  der  Bau  und  die  Entwickelung  des  Muskelsystems  der  Frauen  kräftig,  und 
dass  die  Lage  des  Fötus  bei  der  beständigen  Bewegung  der  Frau  den  mütterlichen 
Theilen  normal  angepasst  ist.  Auch  weist  er  auf  den  Umstand  hin,  dass  die 
Weiber  nur  in  ihrem  Stamm  oder  in  ihrer  Basse  heirathen,  so  dass  der  Kopf 
des  Kindes  hinsichtlich  seiner  Grösse  und  seines  Durchmessers  dem  mütterlichen 
Becken,  das  er  passiren  muss,  völlig  entspricht. 

Können  wir  nicht  umhin,  den  Preis  leichter  Geburten  den  Naturvölkern  zu- 
zuerkennen, so  werden  wir  in  dieser  Ansicht  noch  mehr  bestärkt,  wenn  wir  uns 
einen  Ueberblick  über  die  einzelnen  Völker  zu  verschaffen  suchen.  Immerhin 
würden  wir  aber  einem  grossen  Irrthum  verfallen,  wenn  wir  annehmen  wollten, 
dass  bei  den  Naturvölkern  schwere  Störungen  des  Geburtsverlaufes  Überhaupt 
nicht  vorkämen,  wenn  es  auch  wohl  zweifellos  zu  weit  gegangen  ist,  zu  behaupten, 
dass  dieselben  ebenso  häufig  oder  sogar  noch  häufiger  als  bei  den  Culturvölkern 
vorkämen.  Allerdings  muss  man  Winckel  Recht  geben,  wenn  er  darauf  aufmerksam 
macht,  dass  allen  Zeitangaben  über  die  Dauer  der  Geburt  nur  ein  sehr  geringer 
positiver  Werth  beigemessen  werden  könne,  weil  sehr  häufig  nicht  die  ganze 
Dauer  der  Niederkunft,  sondern  oft  nur  diejenige  der  Austreibungsperiode  ge- 
rechnet worden  sei.  Immerhin  kann  aber  eine  relative  Bedeutung  auch  solchen 
Berichten  nicht  abgesprochen  werden. 


246.  Der  Verlauf  der  Geburten  in  Australien  und  Oeeanien. 

Ueber  die  Geburtsvorgänge  bei  australischen  Frauen  sammelte  Hooker 
aus  verschiedenen  Gegenden  dieses  Erdtheils  Berichte  ein,  die  darin  übereinstimmen, 
dass  die  Geburt  im  Allgemeinen  leicht  und  schnell  (easy  and  quick)  vor  sich  geht; 
nur  ausnahmsweise  kommt  eine  schwierige  Entbindung  vor,  bisweilen  erstreckt  sie 


246.  Der  Verlauf  der  Geburten  in  Australien  und  Oceanien.  51 

sich  über  zwei  Tage  (Seranke);  nach  anderen  Aussagen  varürt  sie  zwischen  wenigen 
Standen  und  fünf  bis  sechs  Tagen  (Parris);  die  Dauer  der  Geburtsarbeit  ist  kurz 
und  die  Prostration  der  Kräfte  ganz  unbedeutend;  der  Tod  wahrend  der  Entbin- 
dung tritt  nur  selten  ein  (WiUiams);  Marston  giebt  an,  dass  die  Geburt  1 — 2 
Tage,  ein  Anderer,  dass  sie  ^/2 — 3  Stunden  lang  dauert;  ein  Dritter  sagt,  dass 
Alles  in  der  Zeit  von  1 — 4  Stunden  abgemacht  ist  und  dass  nur  selten  eine 
12stündige  Geburtsarbeit  vorkommt.  Die  eingeborene  Frau  in  der  austra- 
lischen Golonie  Victoria,  SB^gt  *Oberländer^  der  sich  viele  Jahre  dort  aufhielt, 
bedarf  nicht  vieler  Vorbereitungen  zu  ihrer  schweren  Stunde;  sie  hat  keine  langen 
Qualen  und  auch  keine  Ruhe  nach  ihrer  Entbindung.  Am  unteren  Flinders- 
River  in  Nord- Australien  gebären  die  Weiber  sehr  leicht;  Todesfalle  aus 
diesem  Grunde  sind  selten.     (Palmer.) 

Bei  den  Maori  auf  Neu-Seeland  dauert  die  Geburt  selten  länger  als 
15  Minuten;  die  Mutter  selbst  wäscht  sowohl  sich  als  das  Kind  mit  Mschem 
Wasser  und  geht  nach  einigen  Stunden  wieder  ihren  gewohnten  Geschäften  nach. 
(Novara.) 

«Der  Geburtsvorgang  bei  den  Eingeborenen  in  Neu-Seeland,  sagt  Tüke,  ist  nicht 
eine  so  sclireckliche  Prüfung,  noch  auch  ein  so  quälender  und  gefahrvoller  Vorgang,  wie  bei 
civilisirten  Nationen.  Er  ist  nicht  von  solchen  Schmerzen  begleitet,  noch  so  sehr  mit  allerlei 
schweren  Folgen  für  die  Frau  verknüpft.  Die  Abwesenheit  aller  Beengungen  der  Civilisation, 
wie  Schnürbrüste  u.  s.  w.,  während  der  Schwangerschaft,  die  natürliche  Lebensweise  und  die 
grössere  Weite  des  Beckens  machen  die  Geburtsschmerzen  kürzer  und  weniger  peinvoll." 

Von  den  Melanesiern  haben  wir  Nachrichten  über  die  Bewohner  der  Viti- 
oder  Fidschi- Inseln;  hier  geschehen  die  Geburten  gleicht"  (WiUiams  und  Cdlvert\ 
und  die  Frauen  sterben  sehr  selten  an  der  Niederkunft,    (de  Rienei.) 

Auch  die  Papuas  an  der  Westküste  von  Neu-Guinea  gebären  nach  Otto 
und  Geissler  leicht,   und  die  Doresen  nach  von  Rosenberg  sogar  «sehr  leicht ''. 

Bei  den  Polynesiern  auf  Samoa  erfolgen  nach  Gräffiie  Geburten  grössten- 
theils  so  leicht,  dass  man  die  Mutter  bald  nachher  an  den  Fluss  gehen  sieht,  um 
ihr  Kind  und  sich  selbst  zu  baden;  und  auch  nach  WilJces  geschehen  auf  dem 
Samoa-Archipel  die  Geburten  nicht  nur  ohne  die  geringste  Ceremonie,  sondern 
auch  «ohne  Unbequemlichkeit  fftr  die  Mutter*.  Äehnliche  Nachrichten  erhielten 
wir  von  den  Sandwichs-Inseln:  Auf  Hawaii  gebären  die  eingeborenen  Frauen 
ohne  Schmerz,  ausgenommen  in  ganz  besonderen  Fallen;  als  sie  die  Frauen  der 
Missionäre  mit  Schmerzen  gebären  sahen,  wunderten  sie  sich  über  diese  Leiden 
und  lachten  darüber,  denn  sie  meinten,  dass  das  Schreien  der  Frauen  der  weissen 
Rasse  nur  eine  Sitte  oder  ein  Gebrauch  derselben  sei.  Auf  Nukahiva  soll  nach 
Langsdorff  das  Geburtsgeschäft  «leicht  und  in  einer  halben  Stunde  beendigt  sein**; 
doch  kommen  nach  seiner  Angabe  auch  zuweilen  schwere  Geburten  vor,  die  in 
widernatürlicher  Lage  des  Kindes  oder  in  Vorfallen  irgend  eines  Theiles  der  Extre- 
mitäten bestehen. 

Auf  mehreren  Inseln  Mikronesiens,  z.  B.  auf  dem  Carolinen-Archipel, 
konnten  die  Berichterstatter  und  Reisenden  (z.  B.  Mertens)  nie  etwas  von  einer 
unglücklichen  Niederkunft  bei  den  eingeborenen  Weibern  in  Erfahrung  bringen; 
störende  Zufälle  scheinen  hier,  wie  sie  sagen,  völlig  unbekannt  zu  sein. 

Aehnliches  erfährt  man  von  den  malayischen  Bewohnern  der  Inseln  der 
Südsee:  Die  Frauen  der  Negritos  (Etas)  auf  den  Philippinen  gehären  leicht 
und  schnell;  auch  geht  bei  den  Tinguinanen,  einem  Malayenstamme  der 
Philippinen,  die  Geburt  ungemein  leicht  von  statten.  (Schadehberg,)  Die 
Alfuren  auf  den  Molukken  liefern  einzelne  merkwürdige  Beispiele,  wie  wenig 
belästigend  für  ihre  Weiber  das  Geburtsgeschäft  ist.    So  liest  man  unter  Anderem : 

«Eine  Frau,  die  allein  in  einem  Kahne  aus  dem  SchloBse  abgegangen  war,  um  sich  auf 
die  andere  Seite  des  Meerbusens  zu  begeben,  wurde  eine  gute  Seemeile  davon  mitten  auf 
dem  Wege  von  der  Geburtsarbeit  überfallen.    Sie  kam  nieder,  und  fuhr  noch  fort  zu  rudern 

4* 


52  XXXIX.  Die  gesundhditsgem&BBe  Grebart  und  ihre  Bedingungen. 

bis  an  das  jenseitige  Ufer.  Daselbst  wusch  sie  ihr  Kind  und  kam  noch  an  demselben  Tage 
wieder  in  das  Schloss.  Ein  andermal  taufte  der  Missionftr  ein  Kind,  dessen  Mutter  mitten 
auf  dem  Flusse,  wo  sie  allein  war,  davon  entbunden  worden.*  Der  Berichterstatter  setit 
hinzu:  «Man  darf  nicht  denken,  dass  diese  Weiber  st&rker  und  frischer  sind  als  andere. 
Die  meisten  sind  vielmehr  klein  und  zart;  sie  haben  aber  diese  Vortheile  der  Geschmeidig- 
keit ihrer  Gliedmaassen  zu  danken,  welche  durch  die  Wärme  der  Himmelsgegend  ausgedehnt 
sind.*     CHistorie.J 

Auf  ähnliche  Ansichten  stossen  wir  allerdings  hier  und  da,  doch  dürfen 
wir  wohl  schwerlich  der  Wärme  des  Klimas  solchen  Einfluss  zuschreiben. 

Auf  Engano  im  malayischen  Archipel  geht  das  Gebären  fast  immer  leicht 
von  statten,  {v,  Bosenberg.)  Die  Weiber  bei  den  Mincopies  auf  den  Anda- 
manen  leiden  selten  durch  Wehen  in  der  Entbindung;  in  der  That  sind  bei  ihnen 
selten  schwere  Entbindungen  bekannt  geworden.     (Man,) 

Die  Einwohner  von  Ambon  und  den  Uliase-Inseln  sowie  von  Eetar 
kennen  zwar,  wie  wir  später  sehen  werden,  Mittel,  um  die  Geburt  zu  beschleunigen, 
sie  wenden  aber,  wie  Riedel^  berichtet,  dieselben  nur  sehr  selten  an,  weil  die 
Entbindungen  sehr  schnell  und  leicht  (zeer  spoedig  en  gemakkelijk)  vor  sich 
gehen.  Auf  Serang  kommen  schwere  Entbindungen  selten  vor,  und  auch  auf 
den  Aaru-Inseln  sind  nur  wenige  Beispiele  davon  bekannt.  Auf  Leti,  Moa 
und  Lakor  sowie  auf  Seranglao  gehen  die  Geburten  leicht  von  statten,  und 
ein  Todesfall  im  Wochenbett  kommt  selten  vor.  Auf  Romang,  Dama,  Teun, 
Nila  und  Serua,  sowie  auf  den  Eeei-  und  den  Watubela-Inseln  kommen 
allerdings  viele  Frauen  allein,  ohne  Hülfe  nieder,  aber  es  sind  bei  den  Eingeborenen 
auch  verschiedenartige  Hülfsmittel  im  Gebrauch,  um  schwere  Geburten  zu  Ende 
zu  fuhren.     (Riedd\) 

247.  Der  Terlauf  der  Geburten  in  Asien. 

Die  Entbindungen  in  Java  verlaufen  gewöhnlich  wunderbar  schnell  und 
glücklich;  häufig  sieht  man  die  junge  Mutter  mit  dem  Kinde  eine  halbe  Stunde 
nach  der  Geburt  nach  dem  Flusse  gehen,  um  sich  und  ihre  Kleider  zu  reinigen. 
(Met^fger.) 

Auch  bei  den  Niasserinnen  sind  nach  Modigliani  für  gewöhnlich  die 
Entbindungen  glücklich,  weil  die  Frauen,  obgleich  sie  nur  klein  sind,  doch  ein 
breites  und  wohlproportionirtes  Becken  besitzen.  Aber  auch  hier  können  üble 
Zufalle  sich  ereignen. 

Bei  den  Singhaies  en  auf  Ceylon  gehen  nach  Schmarda  die  Geburten 
leicht  von  statten.  Wenn  bei  den  Frauen  der  Hindu  in  Ost-Indien  der  Ge- 
burtsverlauf zu  zögern  beginnt,  so  werden  sie  von  den  ungebildeten  Hebammen 
sehr  oft  in  unnatürlicher  Weise  behandelt,  so  dass  der  Process  mehr  gestört  als 
gefordert  wird.  Lautes  Schreien  zur  Zeit  der  Entbindung  ist  in  Indien  den 
Kerala-(Malabar-)Weibem  gestattet.     (Jagor,) 

In  Siam  gehen  die  Geburten  im  Allgemeinen  leicht  vor  sich;  die  Frauen 
sind  in  der  Regel  gut  gewachsen  und  tragen  keine  den  Körper  beengende  Kleidung, 
die  Brüste  bleiben  unbedeckt,  und  es  wird  nur  ein  Gürtel  um  die  Magengegend 
gewunden.  Wenn  jedoch  in  Ausnahmefallen  die  Entbindung  schwer  war,  so  rief 
man  Kemble,  den  Arzt  bei  der  englischen  Gesandtschaft,  zu  Hülfe.  {SchomhurgVs 
mündliche  Mittheilung.) 

Die  Annamiten-Frau  in  Cochinchina  ist  bezüglich  der  bei  der  Geburt 
betheiligten  Organe  anders  gebaut,  als  die  Europäerin,  und  das  Kind  tritt  wie 
durch  ein  in  eine  Platte  gemachtes  Loch  zu  Tage.     Mondiere  setzt  hinzu: 

„On  dirait  qu'ä  Tint^rieur  Tut^rus  vient  s^invaguier  jusque  pr^s  de  la  Symphyse 
pubienne  et  qu*il  n'y  a  qu'un  seul  temps,  douloureux  pour  la  m§re,  le  franchissement  de 
Tanneau  vulvaire." 


247.  Der  Verlauf  der  Geborten  in  Asien. 


53 


In  China  mag  der  Geburtsverlauf  je  nach  den  Ständen  und  Provinzen 
unter  dem  Einflüsse  der  diflEerenten  Lebensweise  sehr  verschieden  sein.  Die  vor- 
nehmeren Chinesinnen,  die  durch  ihre  künstliche  Fussverkleinerung  zu  fast 
stetem  Sitzen  verurtheilt  und  auch  ausserdem  verweichlicht  sind,  scheinen  die 
Geburtsarbeit  minder  leicht  zu  überstehen,  als  die  Arbeiterinnen.  Schon  Epp  fand, 
dass  bei  Chinesinnen  auf  Java  ebenso  wie  bei  jenen  Malayinnen  und  Java- 
nesinnen,  die  eine  vorzugsweise  sitzende  Lebensweise  führen,  das  Geburtsgeschäft 
meist  schwierig  von  statten  geht,  „weil  das  Becken  enger  ist,  während  wegen  des 
günstigen  Baues  des  Beckens  im  Allgemeinen  die  raalayischen  und  javanischen 
Frauen  leicht  gebären.*  Chinesinnen  der  unteren  Stände  gebären,  wie  wir  aus 
mehreren  Beispielen  wissen,  rasch  und  leicht.  Die  Niederkunft  einer  Farmersfrau 
zu  Shanghai  sah  der  Maler  Hüdebrand; 
sie  genas  eines  gesunden  Knäbleins  ohne 
Unterstützung  einer  Wehemutter;  gutmüthige 
Nachbarn  hatten  ihr  ein  Bündel  Reisstroh 
unter  den  Kopf  geschoben,  ein  junges  Mäd- 
chen brachte  eine  Schüssel  Reis  mit  Curry, 
die  Wöchnerin  richtete  sich  auf  und  ver- 
tilgte die  ansehnliche  Quantität  bis  auf  das 
letzte  Körnchen;  dann  wickelte  sie  das  Kind, 
welches  bis  dahin  in  der  scharfen  December- 
luft  auf  den  Fliesen  nackt  dagelegen  hatte, 
in  ihre  Lumpen  und  machte  sich  davon.  Die 
Frage,  warum  bei  den  Frauen  aus  niederen 
Ständen,  z.  B.  Bäuerinnen  und  Dienerinnen, 
die  Geburten  viel  leichter  vor  sich  gehen, 
ds  bei  vornehmen  Frauen,  beantwortete 
ein  chinesischer  Arzt  folgendermaassen 
(Martins): 

,Weil  jene  Personen  von  Jugend  auf  bis  in 
ihr  spätes  Alter  fleissig  und  emsig  mit  irgend  etwas 
sich  beschäftigen,  und  darum  auch  nicht  Zeit  haben, 
an  die  Leidenschaft  der  Liebe  so  viel  zu  denken. 
Ihr  Blut  kommt  durch  Arbeit  und  Bewegung  in 
gehörigen  und  leichten  Umlauf,  ihre  innere  Natur 
bleibt  naturgem&ss  und  unverdorben,  und  sie  ge- 
bären darum  leicht  und  bringen  gesunde  und  starke 
Kinder  zur  Welt.  Deshalb  findet  man  auch  in 
den  höheren  Ständen  und  unter  den  vornehmen 
Frauen  so  viele  schwere  und  unglückliche  Ent- 
bindungen, weil  diese  ihr  Leben  im  Müssiggange 
verbringen  und  es  für  schimpflich  halten,  Hände 
und  Füsse  zu  bewegen." 

Dass  in  Japan  der  Verlauf  der  Geburten  durchaus  nicht  immer  ein  leichter 
und  glücklicher  ist,  das  werden  wir  aus  späteren  Abschnitten  dieses  Buches  noch 
deutlich  ersehen.  Auch  sprechen  dafür  schon  die  an  früheren  Stellen  aufgeführten 
Vorschriften  für  das  Benehmen  der  Frauen  während  der  Schwangerschaft.  Denn 
wenn  man  nicht  häufig  üble  Erfahrungen  gemacht  hätte,  dann  würden  diese 
strengen  Anordnungen  wohl  kaum  getroffen  worden  sein.  Nun  ist  es  natürlicher 
Weise  aber  auch  sehr  wünschenswerth^  bereits  vor  der  Niederkunft  darüber  einige 
Sicherheit  zu  besitzen,  ob  man  bei  der  Schwangeren  auf  eine  leichte  Entbin- 
dung rechnen  kann,  oder  ob  man  erwarten  muss,  dass  dieselbe  eine  schwierige 
werden  wird. 

In  dieser  Beziehung  hat  der  im  vorigen  Jahrhundert  lebende  japanische 
Maler  Maruyama  Ohio   seinen   Zeitgenossen  in  seinen   Aquarellen  entsprechende 


Fig.  266.    Schwangere,  welche  eine 
schwere  Entbindung  haben  wird. 
AqnareU  des  japanischen  Malers  Mamyama 
Ohio.    (18.  Jahrhundert.)    (Nach  Photographie.) 


54 


XXXIX.  Die  gesundheitsgem&sse  Geburt  und  ihre  Beding^ungen. 


Beispiele  vor  Augen  geführt,  aus  denen  sich  dieselben  über  diese  Frage  unter- 
richten konnten.  Diese  Bilder,  jetzt  im  Besitze  des  kgL  Museums  für  Völker- 
kunde in  Berlin,  befinden  sich  in  einer  Sammlung  von  Folio-Zeichnungen,  welche 
der  Maler  als  ,,physiognomische  Studien'^  bezeichnet  hat,  und  welche  den 
Zweck  haben,  dass  aus  ihnen  das  Schicksal  vorhergesagt  werden  kann.  Auf 
unseren  Gegenstand  beziehen  sich  drei  dieser  Aquarelle.  Zwei  von  ihnen  stellen 
eine  Schwangere  dar,  , welche  eine  schwere  Entbindung  haben  wird'  (Fig.  266), 
und  eins  fuburt  eine  Schwangere  vor,  „welche  eine  gute  Entbindung  haben  wird' 
(Kg.  267). 

Die  Schwangeren  sind  fast  vollständig  nackend  auf  der  Erde  knieend  abge- 
bildet; aber  die  Leibbinde  umgiebt  ihren  Bauch  und  ihre  Enden  sind  vom  auf 
demselben  verschlungen.  Die  Schwangere,  welcher  eine  leichte  Entbindung  be- 
vorsteht, hat  frische  Farben,  glatte  Haut 
und  ein  fröhliches,  gesundes  Aussehen.  Die 
Schwangeren  dagegen,  denen  eine  schwere 
Entbindung  droht,  sehen  cyanotisch  und  ge- 
dunsen aus  und  auf  den  Brüsten  zeigen  sich 
eine  Reihe  von  erweiterten  Blutgefässen. 
Man  ersieht  übrigens  aus  diesen  Bildern  auch, 
dass  die  Epilation  der  Achselhaare  in  Japan 
nicht  gebräuchlich  ist. 

Nach  Scheube  erfolgen  bei  den  Ainos 
die  Entbindungen  leicht  und  ohne  irgend- 
welche Kunsthülfe,  und  Todesfalle  im  Wochen- 
bett kommen  bei  ihnen  nach  v.  Siehold 
selten  vor. 

Die  Frauen  in  Kamtschatka  sollen 
sehr  leicht  gebären.  Steiler  war  bei  einer 
Niederkunft  gegenwärtig;  die  Frau  stieg  aus 
der  Hütte,  als  wenn  sie  ihre  gewöhnlichen 
Geschäfte  verrichten  wollte,  und  kam  nach 
einer  Viertelstunde  wieder  mit  ihrem  Kinde 
im  Arme,  ohne  ihre  Gesichtsfarbe  im  min- 
desten verändert  zu  haben. 

Die  Tungusinnen  gebären  nach 
Georgi  leicht. 

Von  den  Frauen  der  Ostjaken  si^te 
MüUer: 

«Die  Zeit  der  Geburt  ästimiren  sie  gar  nicht, 
und  scheint  es,  als  geb&ren  sie  ohne  alle  Schmerzen.'' 
Die  Ostjaken -Frauen,  so  heisst  es  an  anderer  Stelle  (Frevost)  ^  imter- 
brechen  kaum  ihre  Arbeit  oder  Reise,  um  zu  gebären.  Die  Samojedinnen 
sollen,  wie  Pallas  angab,  sehr  leicht  gebären;  und  im  Memoire  sur  les  Samo- 
jedes  vom  Jahre  1762  heisst  es:  ,,Die  Frauen  der  Samojeden  gebären  fast  immer 
ohne  Schmerz."  Von  den  Baschkiren-Weibern  liest  man:  „Les  femmes  basch- 
kires  forteraent  constituees  comme  elles  le  sont  et  avec  leur  rüde  genre  de  vie, 
n'ont  que  bien  rarement  de  couches  laborieuses."  (Russie.)  Bei  den  Tschuden 
(Wessen),  einem  finnischen  Volksstamme  am  Flusse  Ojat,  geht  die  Geburt 
ebenfalls  „leicht  von  statten*.     (Mainow,) 

Bei  den  Kalmücken  in  Astrachan  kommen  schwere  regelwidrige  Geburten 
höchst  selten  vor,  weil,  wie  Meyerson  sagt,  „sie  grösstentheils  ein  gehörig  offenes 
und  bewegliches  Becken  haben  und  zwar  aus  folgenden  Gründen:  Erstlich  werden 
die  Kalmücken  in  der  Kindheit  auf  dem  Rücken  getragen;  zweitens  lernen  sie 
frühzeitig  die  Reitkunst,   und   drittens  haben  sie  vom  zartesten  Alter  an  die  Ge- 


Fig.  267.    Schwangere,  welche  eine 

leichte  Entbindung  haben  wird. 

Aqnarell  des  japanischen  Malers  Maruyama 

Ohio.    (18.  Jahrhundert.)    (Nach  Photographie.) 


247.  Der  Verlauf  der  •Geburten  in  Asien.  55 

wohnheit,  wie  die  Schneider  zu  sitzen,  wobei  die  Beckenknochen  geneigt  sind, 
durch  die  Last  des  Oberkörpers  aus  einander  zu  weichen.  *"  Es  mag  immerhin 
fraglich  sein,  ob  hier  Meyerson  die  richtige  Ursache  der  Leichtigkeit  der  Kal- 
mücken-Geburten fand.  Von  den  Frauen  der  Tataren  in  Astrachan  sagt  er: 
sie  ertragen  die  Geburtswehen  mit  einer  ausserordentlichen  Geduld. 

In  Persien  ist,  wie  Polak^  der  ehemalige  Leibarzt  des  Schah,  an  Ploss 
berichtete,  der  Geburtsact  fast  immer  ein  normaler,  weil  der  Körper  nicht  durch 
Schnürbrüste  eingeengt  wird  und  weil  die  Weiber  auch  die  Kleider  nicht  an  dem 
Bauche,  sondern  an  dem  Hüftbeinkamm  gebunden  tragen.  Die  Frauen  sind  im 
Becken  breit  gebaut,  gerade  gewachsen  und  mittelgross.  Sie  reiten  dort  häufig 
und  zwar  nach  Männerart.  Schon  Chardin  sagte,  dass  in  Persien,  wie  im  Orient 
überhaupt,  die  Geburten  meist  leicht  von  statten  gehen.  Und  Morier  gab  von 
den  Perserinnen  an:  «Sie  sind  oft  bereits  entbunden,  bevor  die  Hebammen  an- 
kommen, und  die  unteren  Klassen  entbinden  sich  selbst.^ 

Von  der  persischen  Provinz  Gilan  am  Kaspischen  Meere  sagt 
Häntesche: 

.Nach  Allem,  was  ich  in  Erfahrung  bringen  konnte,  bin  ich  der  Wahrheit  wohl  nicht 
fem,  wenn  ich  annehme,  dass  abnorme  Geburten  dort  ebenso  häufig  sein  dürften,  als  bei  uns, 
und  dass  ein  grosser  Theil  der  Frauenkrankheiten  dort,  wie  bei  uns,  in  ungeschickten  Ent- 
bindungen (die  nur  dort  stets  vorkommen,  da  die  dortigen  sogenannten  Hebammen  nicht 
einmal  wissen,  was  eine  Untersuchung  ist)  seinen  Grund  hat.  Fälle,  die  bei  uns  durch  die 
Kunst  noch  ilieilweise  wenigstens  glücklich  zu  Ende  geführt  werden  können,  enden  dort 
stets  tödtlich/ 

Bei  den  georgischen  und  armenischen  Frauen  erfolgt  nach  Krebd  die 
Niederkunft  ,in  der  Regel  leicht*'.  Dagegen  giebt  Meyerson  nach  eigenen,  in 
Astrachan  angestellten  Beobachtungen  an:  „Verwöhnt  und  verweichlicht  ertragen 
die  Armenierinnen  die  Geburtswehen  sehr  schwer,  schreien  und  lamentiren 
dabei  zum  Weglaufen/  Nach  Krebd  haben  die  Frauen  der  Nogayer,  wie  es 
heisst,  ein  zähes  Leben  und  gebaren  «in  der  Regel  leicht".  Die  Tscherkessinnen 
sind  nach  Stücker  „sehr  wenig  verwöhnt  oder  sehr  von  der  Natur  begünstigt  bei 
ihren  Entbindungen ''. 

Ueber  Syrien  sagt  der  irische  Missionär  Bobson^  welcher  in  Damaskus 
20  Jahre  lang  weilte,  dass  die  Geburten  daselbst  etwas,  doch  nicht  viel,  leichter 
verlaufen,  als  in  Irland.  Ueber  die  Frauen  in  Aleppo  in  Syrien  äusserte  Bu^sd^ 
dass  ihre  Entbindungen  viel  leichter  als  diejenigen  in  England  sind. 

Die  Beduinen -Frauen  gebären  nach  Layard  sehr  leicht  und  leiden  bei  der 
Entbindung  nur  wenig.  Yon  den  Araberinnen,  welche  gewöhnlich  ohne  alle 
Hülfe  dort  niederkommen,   wo  sie  sich  eben  befinden,   sagt  Chevalier  d*Arvteux: 

,Soit  qu*elles  ne  ressentissent  pas  tant  de  douleurs,  que  Celles,  qni  ont  6t6  61ev6es  d^i- 
catement,   soit,  qu'elles  ajent  plus  de  courage  et  de  patience,  on  ne  les  entend  point  crier." 

In  der  Levante  überhaupt  gehen  nach  v.  Türk  die  Geburten  mit  grosser 
Leichtigkeit  vor  sich,  so  dass  die  Hülfe  der  Kunst  fast  nie  in  Anspruch  genommen 
wird;  er  setzt  hinzu: 

.Manche  wollen  den  Grand  hiervon  nicht  allein  im  EQima,  sondern  auch  in  der  Sitte 
finden,  dass  die  Frauen  von  Kindheit  an  gewohnt  sind,  auf  den  Enieen  mit  über  einander 
geschlagenen  Beinen  und  aus  einander  gebreiteten  Enieen  zu  sitzen;  dazu  kommt  der  Ge- 
brauch der  Dampfbäder  und  dass  die  weibliche  Kleidung  stets  nur  ganz  lose  anliegt.' 
In  seiner  Reise  nach  Palästina  sagt  Hasselquist  (Rostock  1762): 
«Die  Frauenzimmer  hier  im  Lande  gebären  ganz  leicht,  und  selten  hört  man,  dass  eine 
Frau  eine  schwere  Geburt  gehabt,  viel  weniger,  dass  sie  ihr  Leben  dabei  zugesetzt  hätte ;  und 
dies  gilt  besonders  von  türkischen  Frauen.*^  Dies  bestätigt  Oppen?ietm:  , Die  Entbindungen 
der  Frauen  sind,  da  üebercultur  und  Mode  den  Körper  nicht  entstellt  und  verstümmelt,  nicht 
mit  den  Schwierigkeiten  und  Beschwerden  verbunden,  wie  häufig  im  cultivirten  Europa;  sie 
gehen  oft  bei  den  türkischen  Weibern  so  leicht  von  statten,  dass  sie  davon  überrascht 
werden,  ehe  die  Hebamme  dazu  kommt.' 


56  XXXIX.  Die  gesnncUieitsgemftne  Geburt  and  ihre  Bedingnogen. 

Wenn  Bigler  dagegen  die  Bemerkung  gemacht  hat,  dass  die  Türkinnen 
und  Armenierinnen  unverhaltnissmässig  häufiger  als  die  Europäerinnen 
unregelmässige  Oeburten  erleiden,  so  bezieht  sich  dies  T^ohl  hauptsächlich  auf  die 
Frauen  in  Constantinopel  und  anderen  grossen  Städten  der  Türkei,  wo  aller- 
dings nicht  nur  die  von  ihm  beschuldigte  Rhachitis  und  Beckendeformität  häufig 
sein  mag,  sondern  auch  vielleicht  durch  schlechte  Hebammen  Störungen  der  Nieder- 
kunft herbeigeführt  werden.  Auch  macht  wohl  mit  Recht  Eram  auf  die  Ver- 
schiedenheit des  Geburtsverlaufe  in  den  Städten  der  europäischen  Türkei  und 
unter  den  wilden  Yolksstämmen  in  der  asiatischen  Türkei  aufmerksam. 


248.  Der  Terlanf  der  Geburten  in  Afrika. 

Unter  den  Hottentotten  waren  Roser  im  Verlaufe  einer  fast  sieben- 
jährigen Praxis  bei  jährlich  120 — 130  Geburten  nur  zwei  Fälle  vorgekommen, 
wo  die  Mutter  während  der  Niederkunft  starb.  Auch  die  Gelehrten  der  Novara- 
Reise  schrieben  auch  noch  auf  andere  Berichte  gestützt:  „Die  Hottentottin 
gebiert  in  der  Regel  mit  grosser  Leichtigkeit/     Schon  Le  VaiUant  sagte: 

,Bei  den  Hottentotten  sind  die  Geburten  beständig  sehr  glücklich;  weder  Kaiser- 
schnitt noch  Schambeintrennung  sind  ihnen  bekannt,  auch  entsteht  bei  ihnen  niemals  die 
streitige  Frage,  ob  das  Leben  des  Kindes  mit  Gefahr  der  Mutter  zu  erhalten  sei  oder  nicht. 
Sollte  indess,  was  fast  ohne  Beispiel  ist,  der  Fall  sich  zutragen,  so  würde  man  sich  nicht 
lange  mit  spitzfindigen  Distinctionen  aufhalten ,  und  das  Kind  würde  unstreitig  zur  Erhaltung 
der  Mutter  aufgeopfert  werden." 

Bei  den  Nama-Hottentotten  hielt  sich  lange  der  unter  ihnen  geborene 
und  erzogene  Theophüus  Hahn  auf;  derselbe  schrieb  Ploss  auf  seine  Frage: 

«Die  Hottentottinnen  gebären  ausserordentlich  leicht;  es  kommt  oft  vor,  dass  eine 
Frau  sich  selbst  entbindet  und  kurz  nach  der  Entbindung  ihre  Arbeit  wieder  yerrichtet,  als 
wenn  nichts  vorgefallen  wäre.*"  Und  weiterhin  schrieb  dieser  Berichterstatter:  , Unter  den 
Nama-Hottentotten  zeigt  das  weibliche  Geschlecht  bei  Entbindungen  eine  bewunderns- 
würdige Zähigkeit.  Eine  Frau  kam  einst  in  Kindesnöthe  und  war  ohne  jeglichen  Beistand 
allein  zu  Hause.  Sie  jagte  einfach  eine  zurückgebliebene  Kuh  von  der  Lagerstätte  auf,  legte 
sich  in  die  warme  Vertiefung  und  entband  sich  dort  selbst.  Am  Abend  sass  sie,  als  ob  nichts 
vorgefallen  wäre,  rauchend  und  schwatzend  am  Feuer.  Eine  andere,  noch  sehr  junge 
schwangere  Frau  zieht  morgens  mit  dem  Vieh  zu  dem  einige  Stunden  entfernten  Weidenfelde 
hinaus;  des  Abends  kommt  die  Schäferin  und  trägt  einen  jungen  Schäfer,  von  dem  sie  des 
Tags  über  genesen  war,  auf  dem  Rücken.* 

Die  Frauen  der  Betschuanen  gebären,  wie  G.  Fritsch  mittheilt,  leicht, 
und  es  finden  bei  ihrer  Niederkunft  nur  selten  Störungen  statt.  Es  kommt  auch 
hier  vor,  dass  die  Personen  noch  bis  zum  letzten  Augenblicke  im  Felde  arbeiten, 
von  der  Geburt  überrascht  ohne  alle  Hülfe  das  Kind  zur  Welt  bringen  und  mit 
demselben  nach  dem  Dorfe  zurückkehren.  Geburtsstörungen  erscheinen  den  Bet- 
schuanen wegen  der  grossen  Seltenheit  des  Vorkommens  als  etwas  ganz  Unge- 
heuerliches und  bringen  sie  völlig  ausser  Fassung. 

Auch  bei  den  Xosa-Eaffern  geht  die  Geburt  nach  Kropf  durchschnittlich 
leicht  von  statten,  es  kommen  aber  bisweilen  auch  Störungen  vor  und  dann  wird 
die  Frau  fOr  behext  gehalten  und  von  allen  verlassen. 

Selbst  die  Frauen  der  Golonisten  am  Gap  der  guten  Hoffnung  sollen, 
wie  es  heisst,  mit  weit  weniger  Schmerzen  und  mit  geringerer  Gefahr  gebären, 
als  die  Europäerinnen  in  der  Heimath,  ihre  Entbindung  soll  schneUer  vor 
sich  gehen.  Kolhe^  welcher  dies  im  vorigen  Jahrhundert  berichtete,  hörte  während 
der  zehn  Jahre,  wo  er  am  Cap  weilte,  von  keinem  Falle,  wo  eine  Frau  während 
der  Entbindung  gestorben  sei. 

Ueber  den  leichten  Geburts Vorgang  bei  den  Frauen  der  Neger-Völker 
erhielten  wir  schon  in  früher  Zeit  Mittheilungen.    Wie  Bosman  im  Anfange  des 


249.  Der  Verlauf  der  Geborten  in  Amerika.  57 

18.  Jahrhunderts  beobachtete,  bringen  die  Guinea-Negerinnen  die  Kinder  leicht 
und  schnell  zur  Welt.    Er  sagt: 

,Le8  accoachementa  sont  ici  fort  commodes  pour  les  hommes;  car  ce  n^est  nnllemenfc 
la  coutume  que  les  femmes  gardent  longtemps  le  lit,  ou  que  Ton  fasse  aucune  d^pense  soit 
pour  des  repas  on  autrement.  Je  me  trouvai  un  jour  par  hasard  aupr^  d'un  lieu  oü  la 
femme  d'un  N^gre  ^tait  en  travail  d'enfant;  on  ne  lui  entendit  point  faire  de  plainte,  mdme 
au  plus  fort  de  la  douleur,  qui  ne  dura  tout  au  plus  qu'un  quart  d'heure,  et  je  la  vis  le 
m§me  jour  sur  le  bord  de  la  mer  oü  eile  allait  se  laver  sans  penser  plus  k  son  accouchement. 
11  arrive  bien  quelquefois,  qu'elles  sont  oblig^es  de  garder  le  lit  quelques  jonrs,  et  qu'elles 
sont  fort  malades,  mais  cela  est  tres-rare.*^ 

Diesen  im  Widerspruch  mit  den  Angaben  Denamefs  stehenden  Bericht  be- 
stätigte der  an  der  Goldküste  von  1725 — 1727  weilende  Pater  Jean  Baptiste 
Labat.  Dann  schrieb  auch  über  die  Negerinnen  der  Sierra-Leone-KOste  der 
englische  Of&cier  Matthews  ▼.  J.  1786,  dass  die  Beschwerden  der  Gebärenden 
gar  nicht  bedeutend  sind.  Ebenso  gehen  nach  Birkmeyer  an  der  Goldküste 
die  Geburten  »leicht  und  schnell*  von  statten. 

In  neuerer  Zeit  erhielten  wir  in  dieser  Beziehung  besonders  über  die  Sene- 
gal-Negerinnen Bericht.    Von  ihnen  sagt  Murion  d'Ärcenant: 

»Elles  accouchent  h  peu  präs  comme  les  animauz,  et  au  bont  de  deux  ou  trois  jours 
au  plus,  elles  sont  sur  pied." 

Die  Woloff-Negerin  lässt  wahrend  der  Geburtsweheij  (Vasin  va  genannt) 
kein  Jammern  hören;  sie  würde  sich  solcher  Schmerzensäusserungen  schämen,  (de 
Bochebrune.)  Bei  den  Negerinnen  der  Loango-Küste  ist  nach  dem  Zeugnisse 
Pechuel-Loesche's  der  Act  des  Gebarens  kein  besonders  schwieriger. 

Von  den  Neger-Völkern  in  Central-Afrika  schrieb  Bloss  auf  seine  An- 
frage der  verstorbene  Barth,  dass  bei  ihnen  die  Geburten  „in  jeder  Hinsicht  leicht'' 
sind.  Bei  den  Galla  in  Ost-Afrika  gebären  die  Weiber  ebenfalls  leicht.  (Bruce.) 
Unter  den  Somali  gilt  es  nach  Haggenmacher  für  eine  Schande,  wenn  die  Frau 
bei  der  Geburt  ihren  Schmerzen  Ausdruck  giebt. 

Die  Negerinnen  im  Gebiete  der  Nilländer  scheinen  nach  Hartmann  leicht 
zu  gebären,  da  sie  nicht  selten  im  freien  Felde  niederkommen  und  bald  danach 
ruhig  weiter  arbeiten;  allein  sehr  junge,  vernäht  gewesene  Sclavinnen  sollen  durch 
das  Gebären  stark  mitgenommen  werden.  Ueberhaupt  aber,  sagt  Hartmann,  gehen 
bei  solchen  Afrikanerinnen,  welche  die  Kinderjahre  hinter  sich  haben,  die  Ge- 
burten meist  leicht  und  ohne  schlimme  Zufalle  vor  sich. 

In  Aegypten  freilich  leiden  besonders  verweichlichte  Städterinnen  oftmals 
heftig  unter  den  Geburtswehen  und  bedürfen  der  Kunsthülfe,  erliegen  auch  selbst 
öfters  während  des  Actes.  Diese  Dystokien  der  Aegypterinnen  sind  jeden- 
falls nur  deshalb  nicht  selten,  weil  sie  zu  jung,  d.  h.  im  Alter  von  11 — 13  Jahren, 
sich  verheirathen. 

Von  den  eingeborenen  Frauen  Algiers  sagt  Bertherand: 

„Les  Arabes  supportent  les  douleurs  de  la  parturition  avec  un  courage  vraiment  ez- 
traordinaire:  elles  affectent  mgme  de  ne  pas  souffrir  et  de  ne  prof6rer  aucune  plainte.' 

In  Fezzan  verlaufen  nach  Nacktigal  die  Geburten  meist  leicht  und  ohne 
Kunsthülfe.  Auf  den  Canarischen  Inseln  gehen  nach  Mac  Gregor  die  Geburten 
ebenfalls  „sehr  leicht*  von  statten. 


249.  Der  Verlauf  der  Geburten  in  Amerika« 

Bei  den  Feuerländerinnen  soll  nach  Giacomo  Bove  die  geringe  Grösse 
der  Neugeborenen  die  Ursache  sein,  dass  diese  Frauen  ohne  Anstrengung  nieder- 
konmien.  Wenn  bei  ihnen  die  Zeit  gekommen  ist,  verlassen  sie  in  Begleitung 
ihrer  Freundinnen  die  Hütte  und  gehen  zum  nächsten  Gebüsch,  um  dort,  fem  vom 
Anblick  der  Neugierigen,  das  Kind  zur  Welt  zu  bringen. 


58  XXXIX.  Die  geiundheitsgem&ase  Geburt  und  ihre  Bedingungen. 

Die  Patagonier  strengen  nach  Guinnard's  Bericht,  der  drei  Jahre  lang 
in  Gefiuigenschaft  unter  ihnen  lebte,  ihre  Frauen  während  der  Schwangerschaft 
mit  harter  Arbeit  an;  ,daf&r  entschädigt  die  Natur  dieselben  mit  einer  leichten 
Entbindung^. 

Dagegen  gebären  nach  der  Angabe  des  Abtes  Dobrijghoffer  die  Abipone- 
rinnen  in  Paraguay  schwer  und  mit  grossen  Schmerzen,  und  Dohriehoffer  meint, 
dass  dies  bei  allen  Weibern  der  berittenen  Nationen  der  Fall  sei  Das  ist  jedoch 
ein  Irrthum,  da  die  Patagonierinnen  sämmtlich  beritten  sind  und  nach  Gruin- 
nard  u.  A.  wenig  bei  der  Geburt  leiden.  In  Corrientes  (am  Paranä)  gebären 
die  Frauen  nach  Bengger  leicht. 

Männer  und  Frauen,  die  in  Brasilien  viel  mit  Indianern  verkehrten, 
versicherten  Phss,  dass  sich  deren  Frauen,  wenn  sich  der  Trupp  auf  der  Wander- 
schaft befand,  nur  etwas  abseits  begaben,  um  zu  gebären,  und  nach  kurzer  Zeit 
sich  wieder  mit  dem  Neugeborenen  ohne  Weiteres  dem  Zuge  anschlössen. 

Yon  den  brasilianischen  Indianerinnen  sagte  schon  v.  Liebstad^  dass 
sie  ausserordentlich  leicht  gebären.  Und  um  dieselbe  Zeit  äusserte  Thevet  über 
die  Tupis: 

,Les  femmes  des  Toupinambaux,  quand  le  temps  d'enfanter  est  venu,  jettent  quel- 
ques cris.    Elles  sont  en  ce  travail  environ  demi-jours  (les  unes  plus,  les  autres  moins)." 

Doch  scheint  wenigstens  in  einem  Geburtsfalle,  welchen  Lery  bei  einer 
Indianerin  in  Brasilien  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  die  Sache 
nicht  ohne  bedeutende  Schmerzen  und  grosses  WehUagen  abgelaufen  zu  sein, 
denn  er  schreibt: 

„Ein  anderer  Franzose  und  ich  schliefen  in  einem  Dorfe,  als  wir  ungefähr  um 
Mittemacht  ein  Weib  schreien  hOrten,  dass  wir  dachten^  es  wäre  ein  wildes  Thier,  das  es 
verschlingen  wollte.  Als  wir  dann  plötzlich  hinzueilten,  so  fanden  wir,  dass  es  das  nicht 
war,  sondern  dass  die  Arbeit,  in  der  sie  sich  befand,  ein  Kind  zur  Welt  zu  bringen,  sie  also 
schreien  liess.*^ 

üebrigens  sind  auch  nach  vielen  Berichten  gerade  unter  den  Wilden  in 
Brasilien  ganz  barbarische  Entbindungs-Methoden  in  Gebrauch  (Aufhängen  der 
Frauen  zwischen  Bäume  u.  s.  w.),  so  dass  man  doch  annehmen  muss,  dass  die 
Geburten  nicht  gar  selten  schwierig  und  unter  Anwendung  sinnloser  Kunsthülfe 
vor  sich  gehen. 

Die  eingeborenen  Frauen  in  Gayenue  und  Guyana  haben  nach  Bajon 
gewöhnlich  eine  glückliche  Niederkunft.  Diese  älteren  Nachrichten  werden  von 
neueren  Reisenden,  wie  Pritus  v,  Wied  und  v.  Martins  hinsichtlich  Brasiliens, 
und  von  Schomburgk  hinsichtlich  Britisch- Guyanas  bestätigt.  Das  leichte  Ge- 
bären der  Indianerfrauen  unter  den  Parcottes  in  Guyana  bezeugt  auch  L(iet; 
dasselbe  berichtet  er  von  den  Frauen  in  Guatemala,  in  Peru  und  Gumana,  so- 
wie in  der  brasilianischen  Provinz  Gran  Chaco.  „Die  Indianerinnen  in 
Guyana  sind  sehr  wenig  mit  der  Hebammenkunst  vertraut,*  B&gte  Bancroft  i.  J. 
1749,  „allein  die  Natur  hat  solche  zum  Glück  unnöthig  gemacht,  da  sie  kaum 
jemals  von  einer  schweren  Geburt  etwas  wissen.*  Bei  den  Weibern  am  Orinoco 
gehen  die  Entbindungen  nach  Gilt  in  kürzester  Zeit  vor  sich.  Nach  Veigl  ge- 
bären die  Indianerinnen   in  der  Provinz  Maynas  (Ecuador)  ungemein  leicht. 

In  Mittel-Amerika  scheinen  überhaupt  die  Entbindungen  leicht  zu  ver- 
laufen, denn  Du  Tertre  sagte  von  den  Indianerfrauen  auf  den  Antillen:  „Les 
femmes  enfantent  avec  peu  de  douleurs;"  und  von  den  Negerfrauen  daselbst 
heisst  es:  „Elles  accouchent  avec  beaucoup  de  facilitö.*  Ueber  die  Frauen  der 
dortigen  Golonisten  fügt  er  hinzu:  „Elles  ont  des  enfants  de  bonne  heure  et  elles 
accouchent  sans  beaucoup  de  douleurs.*  Zu  Jalapa  in  Mexiko  gehen  die  Ge- 
burten nach  Poyet  glücklich  von  statten;  eine  schwierige  Geburt  ist  höchst  selten. 
Aus  Nicaragua  erfuhren  wir  durch  Bernhard,  dass  dort  die  Frauen  gut  gebaut 
sind   und   ein   weites  Becken   haben,  „deshalb   sind  die  Geburten  daselbst  meist 


249.  Der  Verlauf  der  Gebarten  in  Amerika.  59 

leicht  und  regelmässig/  Doch  kommen  dort  auch,  wie  wir  später  sehen  werden, 
«chwere  Geburten  vor. 

Matt  äussert  in  drastischer  Weise: 

«Entbindungen  habe  ich  unter  den  Indianer  flauen  gesehen,  während  die  WOchnerin 
auf  den  Knieen  lag,  eine  Cigarre  rauchte  und  dabei  den  Rosenkranz  durch  die  Finger 
gleiten  liess." 

Er  rühmt  das  „enorme  Hüftbecken "  dieser  Weiber. 

Die  nordamerikanischen  Indianer  sind  bekanntlich  einer  grossen  Aus- 
dauer in  der  Ertragung  von  Strapazen  fähig.  Für  den  zu  Tode  Gemarterten  ist 
es  ein  Ehrenpunkt,  nicht  den  geringsten  Schmerzenslaut  hören  zu  lassen.  Diese 
Selbstbeherrschung  geht  auch  auf  die  Frauen  über;  denn  die  Weiber  ertragen, 
um  keinen  Feigling  zu  gebären,  die  Wehen  mit  derselben  Standhafbigkeit.  In 
dieser  Beziehung  stimmen  fast  alle  älteren  und  neueren  Nachrichten  überein. 
Unter  vielen  Anderen  berichtete  schon  de  Bacquevüle  de  la  Potherie  von  den 
Frauen  der  Irokesen: 

„Les  jeunes  mariees  parmi  les  Iroquais  fönt  gloire  de  ne  pae  crier  en  accouchement. 
Comme  c*est  une  injure  parmi  les  guerriers  de  dire:  tu  as  fui,  de  m§me  c^est  une  injure  parmi 
les  femmes,  de  dire:  tu  aa  cri6  quand  tu  ^tais  en  travail  d'enfant.' 

Die  Tinne- Indianerinnen  sind  sehr  fruchtbar  und  bringen  ihre  Kinder 
leicht  und  ohne  Hülfe  zur  Welt. 

Morton  sagt  von  den  Indianern  Nord-Amerikas: 

„Selbst  von  den  Frauen  verlangt  man,  dass  sie  die  Geburtswehen,  so  lange  und  so 
schmerzhaft  sie  auch  sein  mOgen  (die  meisten  Geburten  sind  bei  ihnen  freilich  von  leichterer 
Art,  als  bei  uns),  ohne  Stöhnen  oder  Geschrei  ertragen.  Zeigt  die  Frau  eine  solche  Schwäche, 
so  gilt  sie  für  unwerth  Mutter  zu  sein,  und  ihre  Kinder  hält  man  für  Feiglinge." 

Nach  Bush  ist  die  Geburtsarbeit  der  nordamerikanischen  Indiane- 
rinnen „kurz  und  mit  wenig  Schmerzen  verbunden".  Auch  nach  Jame^,  welcher 
eine  Expedition  nach  den  Rocky  Mountains  begleitete,  geht  ebenfalls  dort 
der  Geburtsact  leicht  von  statten.  Die  Athapasken-Frau  im  Osten  der 
Felsengebirge  bringt  ihr  Kind  leicht  und  ohne  Hülfe  zur  Welt  und  arbeitet 
bis  zum  letzten  Augenblicke  der  Niederkunft,  (v.  HeUwäld.)  Abbe  Domenech 
schreibt: 

„Les  Peaux-Rouges  viennent  au  monde  sans  trop  de  peine  et  sans  trop  de  soins. . . . 
Les  douleurs  de  Tenfantement  sont  rarement  longues;  rarement  elles  interrompent  les  occu- 
pations  de  la  femme  en  travail." 

Auch  von  den  Indianer -Weibern  in  G  an  ad  a  sagt  le  Beau^  dass  sie  leicht 
gebären,  und  der  Jesuiten-Missionär  Baegert,  welcher  17  Jahre  unter  den  ca li- 
fo mischen  Indianern  lebte,  berichtet,  dass  deren  Weiber  ohne  Schwierigkeit 
und  ohne  Beistand  und  Hülfe  niederkommen. 

Die  Leichtigkeit,  mit  welcher  In  dianer- Weiber  den  Geburtsact  überstehen, 
schildert  Engelmann  nach  den  ihm  zugegangenen  Berichten: 

^Faulkner^  der  mehrere  Jahre  bei  den  Siouz-Stämmen  lebte,  kannte  eine  Frau,  die 
mitten  im  Winter  in  den  Wald  ging,  um  Holz  zu  holen;  dabei  bekam  sie  ein  Kind,  während 
sie  ging;  sie  wickelte  es  ein,  legte  es  auf  das  Holz  und  brachte  beides,  Kind  und  Holz,  in 
das  mehrere  Meilen  entfernte  Lager  ohne  weiteren  Nachtheil.  Choquette  erzählt,  dass  einst 
ein  Indianertrupp  von  Flat-Heads  und  Eootenais,  bestehend  aus  Männern,  Weibern 
und  Kindern,  sich  auf  einen  Jagdzug  begab;  an  einem  streng-kalten  Wintertage  verliess  eines 
der  Weiber  den  Trupp,  stieg  vom  Pferde,  breitete  ein  Baffelfell  auf  den  Schnee  aus  und  gab 
einem  Kinde  das  Leben,  dessen  Ankunft  sofort  von  der  Placenta  gefolgt  wurde.  Dabei  hatte 
sie,  so  gut  es  eben  ging,  ihre  Aufmerksamkeit  auf  alle  Umstände  gerichtet;  dann  aber  raffte 
sie  das  in  ein  Tuch  gewickelte  Kind  auf,  bestieg  ihr  Ross  wiederum  und  holte  ihren  Trupp 
ein,  bevor  derselbe  noch  ihre  Abwesenheit  gewahr  geworden  war.' 

Die  Eskimo-Frauen  kommen  leicht  nieder  und  sterben  im  Wochen- 
bett nur  selten;  sie  gebären  leicht,  weil  sie  ein  breites  und  tiefes  Becken  haben. 


60  XXXIX.  Die  gesQiidheitsgem&sse  Gebart  und  ihre  Bedingungen. 

(Smith.)  Die  Grönländerinnen  sind  nach  älteren  Berichten  (Baumgarten) 
von  so  harter  Natnr,  dass  man  sie  weder  vor  noch  nach  der  Entbindung  über 
Schmerzen  klagen  hört.    De  Charlevoix  sagt,  dass  sie  „leicht^^  gebären. 


250.  Der  Terlanf  der  Geburten  in  Europa. 

In  Europa  sind  es  verhältnissmässig  nur  wenige  Volker,  und  zwar  nach 
übereinstimmenden  Nachrichten  vorzugsweise  die  minder  cultivirten,  deren  Weiber 
sich  im  Allgemeinen  durchgängig  eines  besonders  leichten  Geburtsverlaufes  erfreuen. 

Hier  beginnen  wir  mit  dem  Norden:  Die  Isländerinnen  « entledigen  sich 
der  Geburt  bald*',  yrie  Baumgarten  sich  ausdrückt.  In  Lappland  kommen  die 
Frauen  ebenfalls  leicht  nieder.  (Historie.)  Von  den  Frauen  in  Ehstland  be- 
richtete Krebel  dasselbe;  und  nach  genauer  Beobachtung  sagt  Holst: 

„Die  Geburten  nehmen  bei  den  £hstinnen  im  Allgemeinen  einen  günstigen  Verlauf. 
Der  Kopf  steht  wegen  der  geringen  Beckenneigung  und  der  weiten  Beckenmaasse  oft  schon 
am  Ende  der  Schwangerschafb  tief  im  Becken,  und  schreitet  auch  die  ErOffhungsperiode  ofb 
langsam  vorwärts,  so  pflegt  der  Verlauf  der  Geburt  nach  Beendigung  dieser  Periode  meist 
ein  rascher  zu  sein,  weil  der  Becken ausgang  normal  ist  und  die  Weichtheile  des  Becken- 
bodens selten  ein  Hindemiss  abgeben.'  Dagegen  sagt  HoUt  über  die  Dauer  der  Geburt: 
,Bei  den  Ehstinnen  sind  die  Wehen  in  der  Regel  normal  und  kräftig,  doch  ftJrdem  sie 
die  Geburt  nicht  in  auffallend  rascher  Weise;  die  Geburtsdauer  war  bei  Erstgebärenden 
durchschnittlich  20  Stunden,  bei  Mehrgebärenden  6,8  Stunden.  Sehr  selten  kommt  Wehen- 
schwäche vor." 

Dass  die  irischen  Frauen  verhältnissmässig  leicht  gebären  und  dass  nur 
eine  geringe  Zahl  von  ihnen  während  der  Geburt  stirbt,  berichtete  schon  im  17. 
Jahrhundert  Graunt. 

Die  Sicilianerinnen  sollen  sich  nach  Finke  ebenfalls  durch  leichte 
Entbindungen  auszeichnen. 

Die  Weiber  in  Minorca  gebären  nach  Cleghom  leicht.  Die  Frauen  der 
Basken  nehmen  an  der  Feldarbeit  kräftig  Antbeil,  und  bei  ihrer  körperlichen 
Kraft  bringen  sie  ihre  Kinder  mit  grosster  Leichtigkeit  zur  Welt. 

Aus  dem  französischen  Dep.  de  la  Creuse  berichtet  Legros^  dass 
bei  den  Frauen  auf  dem  Lande  die  Geburten  ,,ordinairement  facile  et  prompte' 
vor  sich  gehen. 

Die  Frauen  von  Dalmatien  gebären  leicht,  selbst  wenn  sie  auf  einer  Reise 
ganz  allein  sind.     (Finke.) 

Die  Montenegrinerin  kommt  im  Felde  oder  Walde  „ohne  irgend- 
welche Hülfe,  ohne  einen  Seufzer  oder  eine  Klage  hören  zu  lassen",  nieder. 
(Gräfin  Bora  d'Istria.) 

Glück  sagt  von  den  Weibern  in  Bosnien  und  der  Hercegovina: 

„Dass  die  einheimischen  Frauen  in  der  Regel  leicht  gebären,  ist  eine  allgemein  be- 
kannte Thatsache.  Wenn  aber  trotzdem  die  TodesföUe  im  Wochenbett  recht  häufig  sind, 
so  kann  man  dies  zum  grossen  Theile  dem  umstände  zuschreiben,  dass  sich  die  Wöchne- 
rinnen in  diätetischer  Beziehung  absolut  nicht  schonen." 

Auch  Milena  Mraeovic  sagt,  dass  die  Entbindungen  in  Bosnien  im  All- 
gemeinen leicht  verlaufen. 

Boscieunce  hatte  schon  von  diesen  Frauen  gesagt,  dass  wenigstens  die  Mo- 
hamedanerinnen  fast  niemals  fremde  Hülfe  bei  der  Entbindung  in  Anspruch 
nehmen,  Aerzte  dürfen  hierbei  nie  htilfreich  auftreten,  und  nur  vornehmere 
Familien  nehmen  die  Kenntnisse  und  die  Geschicklichkeit  von  Hebammen  in  An- 
spruch. Die  Zigeunerinnen  bringen  ihre  Kinder  gewöhnlich  mit  leichter  Mtthe 
zur  Welt.     (GreUmann.) 

In  Istrien  laufen  die  Entbindungen  „fast  immer  glücklich"  ab.  (v.  Beins- 
berg-Düringsfeld.) 


251.  Die  Ursachen  und  Bedingungen  eines  leichten  Geburtsverlaofs.  gl 

Im  jetzigen  Griechenland  ist,  nach  den  Floss  vom  verstorbenen  Damian 
Georg  in  Athen  zugegangenen  Mittheilungen,  die  leichte  Geburt  viel  häufiger, 
als  in  dem  nördlichen  Europa. 

Um  zu  beurtheilen,  wie  sich  die  Entbindungen  in  dem  civilisirten  Europa 
verhalten,  steht  uns  als  Hülfsmittel  die  Statistik  zu  Gebote,  welche  Ploss^-  ^  in 
mehreren  Arbeiten  zu  verwerthen  gesucht  hat.     Er  kam  zu  dem  Resultate: 

.Das  Unternehmen,  bestimmte  Schlüsse  aus  der  Operationsfrequenz  auf  die  relative 
EörperbeschafTenheit  der  Bevölkerung  ziehen  zu  wollen,  würde  meiner  Ansicht  nach  sehr  ge- 
wagt sein,  obgleich  es  eben  nicht  unmöglich,  ja  sogar  wahrscheinlich  ist,  dass  neben 
anderen  Einflüssen  auch  der  Einfluss  der  Eörperconstitution  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
in  der  Ziffer  der  operativen  Geburtsfiälle  zur  Geltung  kommt.  Da  aber  schon  längst  mit 
Hülfe  der  Statistik  bewiesen  wurde,  dass  Leben,  Kraft  und  Gesundheit  einer  Bevölkerung 
überhaupt  vorzugsweise  von  der  Art  ihrer  Arbeit  und  Beschäftigungsweise,  sowie  von  dem 
Grad  ihres  Wohlstandes  abhängig  sind,  so  wird  sich  auch  bei  ferneren  Untersuchungen  der 
Einfluss  dieser  socialen  Zustände  auf  den  Gebäract  und  auf  die  bei  demselben  nöthige 
operative  Hülfe  mehr  und  mehr  herausstellen.  Die  Differenz  in  der  Operationsfrequenz  von 
Stadt  und  Land  scheint  zum  Theil  mit  von  solchen  Einflüssen  herzurühren."  Er  fand  näm- 
lich, dass  bei  der  städtischen  Bevölkerung  relativ  häufiger  operirt  wird,  als  bei  der  ländlichen; 
hierzu  bemerkte  er:  .Die  Entstehung  dieser  Differenz  lässt  sich  am  besten  durch  den  in- 
direoten  Einfluss  des  Wohlstandes,  der  Beschäftigungs weise  und  des  aUgemeinen  Gultur- 
zustandes  der  Bevölkerung  erklären." 

Jedenfalls  kommt  aber  hinzu,  dass  in  den  Städten  die  Hülfe  weit  eher  zu 
erlangen  ist,  als  auf  dem  Lande. 

Es  ist  bekannt,  dass  auch  in  Deutschland  viele  Frauen  der  arbeitenden, 
kräftigeren  Klassen,  insbesondere  die  der  ländlichen  Bevölkerung,  sehr  leichtfertig 
ohne  Hülfe  niederkommen.    So  schreibt  Flügel: 

,Im  Frankenwalde  macht  die  Niederkunft  in  vielen  Fällen  allzu  wenig  zu  schaffen, 
indem  nicht  nur  viele  Arme,  sondern  auch  Bemittelte  der  Ersparmss  wegen  die  Hebammen 
umgehen  und  für  sich  niederkommen.  Ich  habe  in  den  letzten  Jahren  durch  solche  Sparsam- 
keit mehrmals  den  Tod  der  Gebärenden  erfolgen  sehen.* 

Nach  Flügel  lässt  der  Beckenbau  der  Weiber  im  Franken walde  selten 
einen  Tadel  zu;  Wehenschwäche  ist  aber  ziemlich  häufig.  Dagegen  sind  in 
manchen  Gegenden  Deutschlands  Rhachitis  und  Osteomalacie  (Winckel,  Breishy) 
sehr  gewöhnlich  und  geben  dort  vorzugsweise  Veranlassung  zu  Störungen  des  Ge- 
burtsverlaufes, während  sie  in  anderen  Theilen  des  Landes  selten  sind.  Im  Kreise 
Querfurt  sind  nach  Schraube  die  für  die  Geburt  in  Betracht  kommenden  Theile 
des  weiblichen  Körpers  im  Allgemeinen  wohlgebaut;  es  kommen  daher  auch  nur 
selten  unregelmässige  Geburten  aus  Verengerungen  des  Beckens  vor,  die  Geburts- 
zange wird  nur  höchst  selten  gebraucht  und  es  werden  Wendungen  nur  wegen 
Querhkgen,  die  aber  nicht  durch  abnorme  Beckenverhältnisse  hervorgerufen  sind, 
nothwendig. 

In  Ostpreussen  sind  nach  £t7(2e;&ran<2^  Beckenanomalien  sehr  selten;  aber 
Störungen  der  Geburt,  welche  durch  Wehenschwäche  bedingt  sind,  gehören  nicht 
zu  den  Seltenheiten. 

251.  Die  Trsache  und  Bedingungen  eines  leichten  Geburtsverlanfs. 

Werfen  wir  nun  noch  einmal  einen  Blick  auf  die  von  uns  gesammelten  zahl- 
reichen Angaben  über  den  Verlauf  der  Entbindungen,  so  müssen  wir  zunächst  zu 
dem  Schlüsse  kommen,  dass  das  Klima  einen  nur  ganz  geringen,  oder  gar  keinen 
Einfluss  auf  dieselben  ausüben  kann. 

Um  vieles  wichtiger  ist  in  dieser  Beziehung  die  Lebensweise,  unter  welcher 
die  Entwickelung  des  Körpers  und  namentlich  des  Beckens  und  der  von  ihm  um- 
schlossenen Organe  mehr  oder  weniger  naturgemäss  vor  sich  geht.  Hierin  liegt 
eine  üauptbedingung  fQr  den  günstigen  Ablauf  des  Geburtsvorganges. 


62  XXXIX.  Die  gesondheitsgemässe  Geburt  und  ihre  Bedingungen. 

Der  normale  Bau  des  weiblichen  Körpers  und  die  Energie  der  Muskelkraft 
sind  wahrscheinlich  bei  den  Frauen  der  roheren  Völker  durchschnittlich  häufiger 
zu  finden,  als  bei  den  durch  verkehrte  Lebensweise  und  Verweichlichung  minder 
gut  organisirten  civilisirten  Nationen.  Dazu  kommt  die  geringere  Empfönglich- 
keit  roher  Frauen  für  die  Einwirkung  der  Schmerzen  bei  der  Geburt. 

Fasst  man  die  Niederkunft  als  einen  rein  physiologischen  Vorgang  auf^ 
dessen  Verlauf  einzig  und  allein  von  dem  mehr  oder  weniger  normalen  Verhalten 
der  gebärenden  Frau  abhängig  ist,  so  wird  ohne  Zweifel  nur  dort  die  Mehrzahl 
der  Geburtsfalle  einen  normalen  Verlauf  haben,  wo  in  der  Regel  dem  weiblichen 
Geschlechte  es  vergönnt  ist,  sich  in  physiologischer  richtiger  Weise  zu  entwickeln. 
Dass  dies  bei  Völkerschaften,  deren  Gulturzustand  die  Entwickelung  des  weiblichen 
Körpers  wenig  oder  gar  nicht  beeinträchtigt,  weit  mehr  der  Fall  ist,  als  bei  den 
Völkern,  deren  Sitten  und  Bräuche  schon  von  Jugend  auf  das  Weib  in  falsche 
Bahnen  leiten,  das  ist  wohl  ohne  Weiteres  zuzugestehen.  In  den  Zuständen,  die 
unsere  moderne  Civilisation  vielfach  herbeigeführt  hat,  liegt  der  Grund  der  ge- 
ringen Fähigkeiten,  die  Geburten  leicht  und  gut  zu  überwinden.  Vielleicht  wunle 
in  den  gymnastischen  Uebungen  der  Schulmädchen,  sowie  in  dem  immer  gebräuch- 
licher werdenden  Schwimmen  der  Damen  ein  Weg  der  Besserung  angebahnt. 

Was  aber  das  jetzt  so  moderne  R^idfahren  anbetriffb,  so  sind  von  demselben 
wohl  eher  schädliche  als  günstige  Einwirkungen  zu  erwarten.  Denn  die  schnellen 
Tretbewegungen  führen  zu  Beizungen  des  Genitalapparates;  und  wie  bei  den 
Arbeiterinnen  an  der  Nähmaschine  Störungen  der  Menstruation  und  entzündliche 
Reizungen  der  Gebärmutter  und  der  Eierstöcke  sehr  häufige  Vorkommnisse  sind, 
so  werden  wir  auch  bei  den  Radlerinnen  bald  ähnliche  Zustände  sich  entwickeln 
sehen. 

In  der  Lebensweise  hat  schon  Aristoteles  vorzugsweise  den  Grund  gesucht, 
warum  die  Niederkunft  mehr  oder  weniger  leicht  vor  sich  geht.  Im  vierten  Buche 
seines  Werkes  von  der  Zeugung  und  Entwickelung  der  Thiere  sagt  er: 

.Bei  sitzender  Lebensweise  geht  wegen  Mangels  an  Thätigkeit  die  Reinigung  nicht  vor 
sich  und  die  Wehen  bei  der  Gebart  sind  dann  schwer.  Durch  die  Arbeit  aber  wird  der  Athem 
geübt,  so  dass  er  angehalten  werden  kann,  und  darauf  beruht  es,  ob  das  Gebären  leicht  oder 
schwer  ist.' 

Das  weiter  oben  über  die  Chinesinnen  Gesagte  muss  hierf&r  als  eine  Be- 
stätigung  angesehen  werden. 

In  wie  weit  für  die  grössere  oder  geringere  Leichtigkeit  des  Geburtsactes 
die  Verschiedenheiten  der  Rasse  eine  Rolle  spielen,  ist  noch  nicht  hinreichend  studirt. 
Sehr  wahrscheinlich  ist  es  aber  weniger  die  Rasse  an  sich,  welche  die  grossen 
Unterschiede  im  Geburtsverlaufe  bedingt,  als  vielmehr  die  höheren  oder  geringeren 
Grade  der  Rassenentartung  in  Folge  der  verschiedenen  Sitten,  Gebräuche  und 
Lebensgewohnheiten . 


252.  Der  Yerlanf  der  Mischlingsgeburten. 

Bei  allen  den  Geburten,  von  denen  ich  in  den  vorigen  Abschnitten  ge- 
sprochen habe,  hatten  wir  stillschweigend  vorausgesetzt,  dass  beide  Erzeuger 
der  gleichen  Rasse  angehört  haben.  Wir  müssen  nun  aber  die  Frage  aufwerfen, 
ob  die  Verhältnisse  des  Geburtsverlaufes  verändert  werden,  wenn  die  Eltern  des 
zukünftigen  Weltbürgers  Repräsentanten  verschiedener  Rassen  sind. 

Man  hat  öfters  die  Behauptung  ausgesprochen,  dass  die  Geburten  solcher 
Mischlingskinder  im  Allgemeinen  schwerer  verlaufen,  als  die  Entbindungen,  bei 
welchen  sowohl  der  Vater  als  auch  die  Mutter  derselben  Rasse  entstammen. 
Aber  das  bedarf  noch  mehr  der  sachlichen  Bestätigung  und  ist  mit  allergrösster 
Wahrscheinlichkeit  nur  ftir  bestimmte  Verhältnisse  der  Rassenkreuzung  zutreffend. 


252.  Der  Verlauf  der  Mischlingsgebnrten.  63 

Wenn  nämlich  die  Rasse  des  männlichen  Erzeugers  gegenüber  derjenigen 
der  weiblichen  Erzeugerin  die  kleinere  und  zierlicher  gebaute  ist,  dann  ist  doch 
nicht  einzusehen,  warum  das  Kind,  wenn  es  dem  Vater  in  seinen  körperlichen 
Verhältnissen  ähnlich  ist,  die  Geburtswege  der  Mutter  nicht  sogar  noch  leichter 
und  bequemer  passiren  sollte,  als  wenn  es  von  reiner  (mütterlicher)  Rasse  wäre. 
Hat  es  aber,  was  wir  doch  hier  als  den  ungünstigsten  Fall  betrachten  müssen, 
die  RasseneigenthümUchkeit  der  Mutter  ererbt,  dann  wird  es  doch  die  gleichen 
Aussichten  für  eine  günstige  Geburt  besitzen,  wie  alle  Vollblutkinder  der  mütter- 
lichen Rasse. 

Ganz  anders  gestaltet  sich  allerdings  die  Sache,  wenn  der  Vater  der  grösseren 
Rasse  angehört.  Dann  kann  man  sich  wohl  vorstellen,  dass  das  Kind,  wenn 
es  dem  Vater  gleicht,  wirklich  in  einem  Grössenmissverhältnisse  zu  den  Geburts- 
wegen der  Mutter  steht.  Und  hierfür  sind  wir  in  der  Lage,  ganz  positive  Be- 
weise beizubringen. 

So  konnte  WiUiams  beobachten,  dass  die  Menomonee-Indianerinnen 
bei  ihren  Entbindungen  viel  häufiger  unter  störenden  Zufällen  zu  leiden  haben, 
als  die  Pawnee-Indianer.  Er  suchte  allerdings  den  Grund  hierfür  in  dem  Um- 
stände, dass  erstere  nicht  wie  die  Pawnee- Frauen  in  hockender  Stellung  nieder- 
kommen. Allein  Engelmann  erblickt  gewiss  mit  vollem  Rechte  die  Ursache  darin, 
dass  die  Menomonee-Weiber,  ganz  abgesehen  davon,  dass  sie  ein  viel  weniger 
actives  Leben  führen  als  die  Frauen  der  Pawnee,  auch  bedeutend  häufiger  ge- 
schlechtlichen Umgang  mit  den  Weissen  ausüben  als  die  letzteren.  Von  den 
Umpqua-Indianerinnen  konnte  Engelmann  berichten,  dass  sie  sehr  oft  bei  der 
Geburt  eines  halbblütigen,  von  einem  weissen  Vater  stammenden  Kindes  sterben, 
da  bei  solchen  Mestizen  die  viel  grösseren  Köpfe  den  Durchtritt  durch  das 
mütterliche  Becken  erschweren  oder  auch  gänzlich  unmöglich  machen,  während 
sie  Vollblutkinder  leicht  und  ohne  Schwierigkeit  zur  Welt  bringen.  Wir  haben 
früher  bereits  gesehen,  dass  vielen  Indianerfrauen  sehr  wohl  die  Gefahren  zum 
Bewusstsein  gekommen  sind,  welche  ihnen  bevorstehen,  wenn  sie  sich  von  einem 
Blassgesicht  haben  schwängeren  lassen,  und  dass  sie,  um  diesen  Gefahren  zu  ent- 
gehen, es  vorziehen,  zu  rechter  Zeit  noch  den  Versuch  zu  machen,  durch  ab- 
treibende Mittel  die  Folgen  dieser  Rassenkreuzung  zu  beseitigen. 

SttMmann  berichtet  von  den  Alür  in  Ost-Afrika,  dass  schwere  Geburten 
nur  bei  Mischehen  zur  Beobachtung  kommen. 

Aber  selbst,  wenn  der  Vater  der  grösseren  und  stärker  gebauten  Rasse  an- 
gehört, braucht  deshalb  doch  nicht  in  aUen  Fällen  die  Geburt  des  Mischlings  eine 
besonders  erschwerte  zu  sein.  Denn  wenn  der  letztere  nur  die  Grössenverhältnisse 
der  mütterlichen  Rasse  ererbt  hat,  dann  bieten  sich  für  seine  Geburt  natürlicher 
Weise  dieselben  Aussichten  dar,  wie  für  alle  die  übrigen  Kinder  seines  mütterlichen 
Stammes.  Und  hier  ist  eine  Beobachtung  des  Gynäkologen  Dohm  in  Königs- 
berg von  nicht  geringer  Bedeutung,  welcher  gefunden  hat,  dass  die  Neugeborenen 
(allerdings  innerhalb  derselben,  der  kaukasischen,  Rasse)  in  Bezug  auf  ihre 
Grössenverhältnisse,  und  ganz  besonders  hinsichtlich  der  für  den  Geburtsmechanismus 
so  wichtigen  Dimensionen  des  Kopfes,  viel  häufiger  der  Mutter  als  dem  Vater 
gleichen.  Wir  ersehen  hieraus,  wie  die  Natur  bemüht  ist,  für  die  besprochenen 
Gefahren  ein  wichtiges  Gorrigens  zu  bieten. 


XL.  Die  Erscheinungen  der  gesnndheitsgemässen  Geburt. 

253.  Die  Gebartsperioden. 

Wenn  die  yorliegende  Schrift  auch  nicht  ein  Lehrbuch  der  Geburtshülfe 
zu  werden  beabsichtigt,  so  muss  ich  doch  in  kurzen  Worten  ftir  die  Nicht- 
mediciner  unter  meinen  Lesern  eine  flüchtige  Skizze  von  dem  physiologischen  Ver- 
laufe des  Geburtsactes  entwickehi,  um  ihnen  das  Yerstandniss  der  später  zu  be- 
sprechenden Abnormitäten  und  Störungen  dieses  Vorganges  soviel  als  möglich  zu 
erleichtem. 

In  dem  Verlaufe  der  normalen  Geburt  unterscheiden  die  Aerzte  drei  haupt- 
sächliche Abschnitte,  die  Eröffnungsperiode,  die  Austreibungsperiode  und 
die  Nachgeburtsperiode.  Die  Eröffhungsperiode  zieht  sich  nicht  selten  über 
eine  grössere  Reihe  von  Tagen  hin,  indem  leichte  Zusammenziehungen  der  Gebär- 
muttermusculatur,  welche  mit  leichten  ziehenden  Schmerzen  im  Leibe  verbunden 
sind,  besonders  bei  Ersi^ebärenden  der  civilisirten  Völker  nicht  selten  schon  vor 
dem  eigentlichen  Beginn  der  Entbindung  in  unregelmässigen  Intervallen  eintreten. 
Diesen  umstand  bezeichnet  man  als  die  vorhersagenden  Wehen  oder  die  Vor- 
wehen. Ihnen  folgt  die  Eröffnungsperiode  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes. 
Sie  hat  ihren  Namen  davon,  dass  unter  heftigen  Gontractionen  der  Gebärmutter- 
muskeln der  Muttermund  allmählich  eröffnet  wird.  Während  der  Schwangerschaft 
war  derselbe  verschlossen;  der  Halstheil  der  Gebärmutter  ragte  zapfenartig  in  die 
Scheide  hinab.  Nun  ziehen  die  genannten  Gontractionen  allmählich  den  untersten 
Theil  der  Gebärmutterwand  und  damit  gleichzeitig  den  Hals  der  Gebärmutter  an 
dem  Kinde  soweit  in  die  Höhe,  bis  der  äussere  Muttermund  immer  weiter  und 
weiter  aus  einander  weicht,  so  dass  dem  Kinde  der  Durchtritt  ermöglicht 
wird.  Dabei  verschwindet  der  Halstheil  der  Gebärmutter  gänzlich  für  den  unter- 
suchenden Finger,  da  er  ja  an  dem  Kinde  in  die  Höhe  gezogen  wird;  er  ver- 
streicht, wie  der  Kunstausdruck  lautet.  Die  Zusammenziehungen  der  Gebärmutter 
sind,  wie  gesagt,  von  Schmerzen  begleitet,  und  werden  daher  als  die  Wehen 
bezeichnet.  Während  der  allmählich  zunehmenden  Eröffnung  des  Muttermundes 
wird  die  mit  Fruchtwasser  gefüllte  Eihaut,  von  welcher  das  Kind  umschlossen 
wird,  vor  diesem  als  Blase  durch  letzteren  hindurch  hervorgetrieben.  Das  Be- 
nehmen der  Gebärenden  nennt  man  in  dieser  Periode  das  Kreissen,  was  richtiger 
Kreisen  geschrieben  werden  müsste;  denn  sie  geht  unruhig  im  Kreise  hin  und  her, 
sucht  eine  Stütze  für  ihr  Kreuz,  lehnt  sich  an,  setzt  sich,  oder  sie  legt  sich  auch 
abwechselnd  nieder.  Bei  Mehrgebärenden  oder  bei  kräftigen  Frauen  roher  Völker 
wird  diese  Periode  kaum  beachtet.  Es  bedarf  aber  nicht  erst  der  Erwähnung, 
dass  der  gewöhnliche  Sprachgebrauch  mit  dem  Ausdrucke  Kreissen  den  gesammten 
Geburtsvorgang  im  Ganzen  zu  bezeichnen  pflegt. 


253.  Die  Greburtsperioden.  65 

Nnnmehr  drangen  sich  die  prall  gespannten  Eihäate  gegen  den  Mattermnnd 
an  und  sie  .springen  dann  entzwei,  sie  zerreissen  und  platzen,  und  das  Fruchtwasser 
fliesst  aus  ihnen  heraus  und  geht  durch  die  Schamtheile  der  Frau  nach  aussen.  Das 
bezeichnet  man  ab  den  Blasensprung.  Nur  mitunter  tritt  dieser  Blasensprung  nicht 
ein;  dann  wird  in  solchem  Falle  das  Kind  mit  den  unzerrissenen,  über  den  Kopf  ge- 
spannten Eihäuten  geboren:   das  nennt  man  im  Volksmunde  die  Glückshaube. 

Bei  der  Austreibungsperiode  nehmen  die  Gontractionen  der  Oebärmutter- 
musculatur  ihren  Fortgang,  und  zwar  tritt  die  Zusammenziehung  der  Gebärmutter- 
muskeln nicht  in  der  ganzen  Masse  derselben  gleichzeitig  ein,  sondern  immer  nur 
in  einer  ringförmigen  Zone;  und  während  diese  dann  wieder  erschlafft,  zieht  sich 
die  zunächst  darüber  liegende  Abtheilung  der  Muskeln  zusammen. 

Auf  diese  Weise  bildet  also  die  Zone  der  Muskelcontraction  immer  eine 
horizontale  ringförmige  Figur,  den  Contractionsring,  welcher  immer  höher  an 
der  Gebärmutter  in  die  Höhe  steigt.  Dabei  wird  die  untere  Abtheilung  des  Uterus 
gemeinsam  mit  der  Vagina  zu  einem  schlaffen  Sacke,  durch  welchen  das  Kind 
theils  durch  die  treibende  Kf&ft  der  rhythmisch  wirkenden  Uteruscontractionen, 
theÜB  durch  die  Mitarbeit  der  sogenannten  Bauchpresse  hindurchgetrieben  wird. 
Die  letztere  ist  es  ganz  allein,  welche  den  vorliegenden  Kindskopf  gegen  den  Damm 
(das  Mittelfleisch  zwischen  dem  After  und  der  Schamspalte)  andrängt,  den  letzteren 
auf  diese  Weise  kugelig  hervorwölbt,  das  Steissbein  gerade  streckt  und  die  Scham- 
spalte klaffend  erweitert.  Dabei  wird  ein  Theil  des  Köpfchens  bereits  sichtbar: 
der  Kopf  kommt  zum  «Einschneiden'*. 

Bei  diesem  und  dem  folgenden  Acte,  in  welchem  der  Kopf  unter  dem  Ein- 
flüsse kräftiger  Treibwehen  schliesslich  ganz  durch  die  Schamspalte  vordringt, 
zum  „Durchschneiden''  kommt,  hat  die  Gebärende  eine  nicht  unerhebliche 
körperliche  Arbeit  zu  leisten.  Das  in  Thätigkeit-Setzen  der  Bauchpresse  ist  für 
sie  mit  einer  ausserordentlichen  Krafbanstrengung  verbunden,  wobei  sie  die  Zahne 
zusammenpresst,  die  Blutgefässe  des  Kopfes  sich  strotzend  anfüllen  und  ihr  die 
Augen  weit  aus  den  Höhlen  treten.  Dichte  Schweissperlen  bedecken  ihr  Gesicht; 
die  mit  den  Wehen  verbundenen  Schmerzen  im  Kreuz  und  in  der  Steissgegend 
pressen  ihr  Schmerzenstöne  aus,  welche  mit  den  Wehen  rhythmisch  einsetzen  und 
bei  den  zusammengepressten  Zähnen  einen  grunzenden  Beiklang  haben.  Die  nächst- 
folgenden Wehen  treiben  auch  den  Rumpf  des  Kindes  durch,  und  es  fliesst  der 
Rest  des  mit  Blut  gemischten  Fruchtwassers  ab.  Diese  Periode  ist  mit  bedeutender 
allgemeiner  Aufregung  verbunden,  nur  bei  den  indolenten  Frauen  roher  Völker 
ist  diese  hochgesteigerte  Unruhe,  Angst  und  Schmerzensäusserung  gar  nicht  oder 
nur  wenig  vorhanden.  Nachdem  sich  die  Gebärmutter  des  Kindes  entledigt  hat, 
zieht  sie  sich  in  Gestalt  einer  Halbkugel  in  IQndskopf-Grösse  zusammen;  die 
Mutter  geniesst  einige  Zeit  der  Ruhe. 

Allein  die  noch  in  der  Gebärmutter  befindlichen  Fruchttheile,  die  Eihäute 
und  der  Mutterkuchen,  müssen  noch  durch  erneute  Wehen  ausgestossen  werden. 
Das  pflegt  nach  kurzer  Zeit  zu  geschehen,  meist  schon  ^/4 — ^/^  Stunde  nach  der 
eigentlichen  Geburt;  und  dieses  bezeichnet  man  als  die  Nachgeburtsperiode. 
Die  Gontractionen  des  Uterus  pressen  die  Nachgeburt  unter  der  Mitwirkung  der 
Mutterscheide  und  der  Bauchmuskeln  nach  längstens  wenigen  Stunden  heraus. 
Hiermit  ist  die  Niederkunft  beendet  und  das  Wochenbett  beginnt. 

Mögen  nun  uncivilisirte  Völker  gegen  Schmerzen  auch  noch  so  unempfindlich 
sein,  so  musste  sich  doch  der  Eintritt  der  Wehen  mit  der  denselben  begleitenden 
physischen  Unruhe  den  schwangeren  Weibern  recht  deutlich  bemerkbar  machen, 
und  der  Austritt  von  Schleim  und  Blut  aus  den  Genitalien,  sowie  das  zu  Tage 
treten  des  jungen  Weltbürgers  und  der  Nachgeburt  musste  sie  über  die  Bedeutung, 
über  die  Zusanamengehörigkeit  und  über  die  normale  Reihenfolge  aller  dieser  Er- 
scheinungen um  so  mehr  aufklären,  als  es  ihnen  an  analogen  Beobachtungen  bei 
ihren  Hausthieren  nicht  fehlen  konnte. 

PlosB-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  5 


66  XL.  Die  Encheinungen  der  geenndheitsgemäsaen  Gebart. 

Allein  sowohl  über  die  Gefahren,  die  bei  allen  diesen  Einzelprocessen  drohen, 
als  auch  über  die  Hül&mittel,  die  man  bei  normaler  und  abnormer  Niederkunft 
anzuwenden  hat,  fanden  allerlei  Irrthümer  Eingang.  Die  Störungen  und  Unregel- 
mässigkeiten, die  ja  selten  vorkommen,  werden  für  Wirkungen  übernatürlicher 
böser  Kräfte  gehalten,  weil  die  Naturmenschen  sich  nicht  denken  können,  das«  Ab- 
weichungen von  der  normalen  Geburt  in  pathologischen  Zustanden  der  Kreissenden 
ihre  erl&rende  Ursache  finden» 

Aber  auch  schon  bei  vorgeschrittener  Cultur  war  die  genauere  Auffassung 
der  GeburtsYorgänge  doch  immer  noch  eine  sehr  unvollkommene.  Hierfür  werden 
die  folgenden  Abschnitte  uns  hinreichende  Belege  liefern. 


254.  Die  Wehen. 


Wir  haben  die  physiologische  Bedeutung  und  das  Wesen  der  Wehen  in 
dem  vorigen  Abschnitte  bereits  kennen  gelernt.  Hier  soll  nur  noch  hervorgehoben 
werden,  dass,  wie  überhaupt  die  Empfindlichkeit,  das  Geftihl  für  körperliche 
Schmerzen,  individuell  ausserordentlich  verschieden  ist,  so  auch  die  Empfänglich- 
keit für  den  Wehenschmerz  unter  die  Frauen  der  verschiedenen  Rassen  und 
Völker  sich  in  recht  ungleicher  Weise  vertheilt.  Härtere  Naturen  ertragen  die 
Pein  viel  leichter,  sie  sind  indolenter,  als  die  zarter  disponirten  Constitutionen. 
Die  Französin  reagirt  auf  die  mit  der  Geburt  verbundenen  Schmerzen  meist 
durch  lautere  Aeusserungen  als  die  deutsche  Frau;  diese  aber  stösst  beim  Ein- 
setzen der  Wehen  wieder  andere  Klagetöne  aus  als  eine  Indianerin,  welche 
(nach  Engelmann)  bei  ihrem  stoischeren  Charakter  mehr  ein  tiefer  klingendes 
«Wimmern''  oder  „Wehelaute^  hören  lässt.  Jüdinnen  hingegen  erheben  häufig 
ein  klägliches  Geschrei;  und  schon  in  der  Bibel  (1.  Sam.  IV.  19)  heisst  es  von  der 
kreissenden  Hebräerin:  „sie  krümmte  sich,  als  ihr  die  Wehe  ankam,''  und  dann 
schreit  sie  laut  auf  und  sagt,  indem  sie  die  Hände  ausbreitet:  „Wehe  über  mich, 
denn  meine  Seele  erliegt  den  Mördern.''     {Kotdmann) 

Dass  auch  die  Frauen  der  alten  Sumerer  die  Aeusserungen  ihrer  Geburts- 
schmerzen durchaus  nicht  zu  unterdrücken  gewohnt  waren,  das  erfahren  wir  aus 
einem  der  berühmten  Thontäfelchen,  welche  die  Bibliothek  des  Assurhanhabal 
in  dem  Königspalaste  in  Ninive  zusammensetzten.  Es  heisst  darin  bei  der 
Schilderung  der  Verwirrung,  welche  der  Ausbruch  der  Sintfluth  unter  den  Göttern 
hervorrief,  von  der  Göttin  Istar:  „Istar  schreit  wie  eine  Gebärerin.*  (Sayce,) 
In  einem  finnischen  Volksliede  heisst  es: 

Süss  ist  der  Empf&ngniss  Stunde, 

Bitter  ist  die  Zeit  der  Wehen.  (AUmann.) 

Die  Schmerzenslaute,  welche  bei  den  Wehen  ausgestossen  werden,  rufen  das 
Mitgefiihl  der  Umgebung  wach,  und  bei  den  Her  er  o  heisst  das  Wort  Ozongama 
gleichzeitig  Geburtswehen,  aber  auch  MiÜeiden,  Zuneigung.    {Viehe) 

Vielleicht  ist  bei  den  Frauen  der  Naturvölker  die  Periode  der  Wehen  rascher 
verlaufend,  als  bei  den  Frauen  in  civilisirten  Ländern ;  aber  fehlen  thut  sie  gewiss 
auch  hier  niemals.  Allerdings  gilt  es  oft  für  eine  Schande,  Schmerzenslaute  hören 
zu  lassen,  und  aus  diesem  Grunde  mag  es  manchem  Beobachter  so  erschienen 
sein,  als  ob  die  Wehenschmerzen  überhaupt  nicht  vorhanden  gewesen  wären. 

Der  Jesuit  LaßaUj  welcher  bei  den  Irokesen  Missionär  war,  äussert  sich 
über  die  Geburtsschmerzen  folgendermaassen: 

„Es  scheint  nicht,  als  ob  die  Frauen  hierbei  etwas  ausstehen,  oder  krank  seien.  In- 
dessen mOssen  sie  doch  ebensowohl  wie  andere  Weiber  ihr  Theil  dabei  empfinden,  ja  oft 
sterben  auch  einige  davon.  Den  Schmerz  aber  wissen  sie  mit  einer  bewunderungswürdigen 
Standhaftigkeit  zu  erdulden  und  zwingen  sich,  so  viel  sie  können,  damit  sie  nichts  davon 
merken  lassen.  Bei  unseren  Missionen  hatte  sich  eine  Frau  ihre  Empfindlichkeit  zu  sehr 
merken  lassen;  daher  wenige  Zeit  hernach  einer  von  den  Aeltesten  mit  vieler  Ernsthaftigkeit 


254.  Die  Wehen. 


67 


folgendermaassen  urtheilte,  dass  es  nicht  gut  wäre,  wenn  diese  Frau  mehrere  Kinder  bekommen 
sollte,  indem  sie  doch  nur  lauter  verzagte  Leute  zur  Welt  bringen  würde.    (Baumgarten,) 

Auf  den  Tonga-Inseln,  wo  schwere  Entbindungen  selten  sind,  sah  Mariner 
einmal  eine  Gebärende,  welcher  die  Schmerzen  den  Kopf  verwirrt  hatten,  sich  von 
ihren  Dienerinnen  losreissen  und  ins  Freie  laufen.  Letztere  machten  keinen  Yer*> 
such,  ihr  beizuspringen,  sondern  begnügten  sich,  mit  lauter  Stimme  die  Götter 
anzurufen,  der  Leidenden  eine  schnelle  und  glückliche  Entbindung  zu  yerleihen; 
allein,  als  sie  erschöpft  niedersank,  brachten  sie  sie  nach  Hause,  wo  sie  nach  drei 
Tagen  niederkam,    {de  Bienei) 

Die  Golden  in  Sibirien  besitzen  einen  beson- 
deren Talisman,  welcher  die  Schmerzen  bei  den  Ge- 
burtswehen erleichtert.  Es  kann  wohl  keine  schlagen- 
dere Bestätigung  dafür  geben,  dass  ihre  Weiber  diese 
Schmerzen  sehr  peinigend  empfinden.  Dieses  Götzen- 
bild heisst  Teaun.  Adrian  Jacobsen  hat  es  für  das 
Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin  aus  Ghaba- 
rowka-Troizkoje  mitgebracht.  Das  Idol  ist  eine  in 
Holz  geschnitzte  Figur  von  39  cm  Höhe,  welche  in 
höchst  roher  Weise  eine  hochschwangere  Frau  dar- 
stellt.    (Fig.  268.) 

Auch  die  Hindus  haben  nach  Gerdon  ein  Hülfs- 
mittel,  um  die  Wehen  zu  erleichtem.  Das  ist  der 
Genuss  von  dem  Fleische  des  grossen  Hornvogels 
Meniceros  bicornis.  Derselbe  nistet  in  Baumlöchem, 
wobei  das  Weibchen  vom  Männchen  förmlich  einge- 
mauert und  während  der  ganzen  Brutzeit  durch  einen 
kleinen  Spalt  hindurch  geföttert  wird.  Das  Weibchen 
muss  demnach  ein  eigenthümliches  Wochenbett  abhalten. 

Den  Frauen  der  Orang  Bfilendas  in  Malacca  Q^f^\^^[y^'^\^l^^^^^^^l. 
sind  die  Wehen  ebenfalls,  nach  Stevens^  nicht  unbekannt.     °rimg  der  Gebw^Mbrneraen. 
Sie  haben  dafür  die  Bezeichnung  Tran,  was  wohl  deut-  im  Besitz«  des  kgi.  Musennui  für 
lieh  beweist,  dass  sie  dieselben  stark  genug  empfinden,  um         ^^^^h'^Phoul^pwll^ 
sie  mit  einem  besonderen  Namen  zu  belegen.   (Bartels'^.) 

Ausdrücklich  bemerkt  unter  Anderen  Htüe^  dass  bei  den  Negerinnen  in 
Surinam  die  vorbereitenden  Wehen  fast  niemals  fehlen,  sie  halten  zuweilen  selbst 
länger  an,  als  die  wahren  Geburtswehen.  Diesem  schreibt  HiUe  die  Erscheinung 
zu,  dass  er  bei  diesen  Frauen  ein  unwillkürliches,  plötzliches  Fallenlassen  von 
Kindern,  d.h.  sogenannte  Sturzgeburten,  nie  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte. 

In  zahlreichen  Fällen  kann  man  beobachten,  dass  bisweilen  schon  sechs 
Wochen  vor  der  Geburt  Vorwehen  (Dolores  praesagientes)  die  Schwangere  in 
Unruhe  versetzen.  Die  Aerzte  des  Talmud  haben  das  bereits  gewusst.  B^bbi 
Meir  sagt,  dass  schwierige  Geburten  40  und  50  Tage  dauern;  Rabbi  Jehuda 
spricht  von  einem  Monat;  Rabbi  Schimeon  hingegen  meint,  dass  keine  schwierige 
Geburt  länger  als  zwei  Wochen  dauere;  in  der  Gemara  selbst  aber  wird  gelehrt, 
dass  nur  bei  Krankheit  Dolores  praesagientes  40  oder  50  Tage  vor  der  Ent- 
bindung eintreten. 

Ein  chinesischer  Arzt  (t;.  Jfar^tW)  äussert,  dass  die  gewöhnlichste  Ur- 
sache der  Vorwehen  die  Bewegungen  der  Frucht  im  Mutterleibe  sind,  doch  ent- 
stehen sie  nach  seiner  Annahme  auch  durch  grosse  innerliche  Hitze,  langes  Stehen 
oder  Sitzen,  einen  falschen  Tritt  oder  einen  Stoss  auf  den  Unterleib;  bei  der- 
gleichen Vorgängen  fange  sich  auch  die  Frucht  stärker  zu  bewegen  an.  Diese 
Bewegungen  des  Kindes  oder  diese  Vorwehen  finden  meist  5 — 10  mal  vor  der 
Entbindung  statt,  sie  stellen  sich  gewöhnlich  einige  Tage  vor  der  wirklichen 
Entbindung  ein  und  sind  in  der  Regel  denjenigen  Vorwehen  gleich,  welche  zwei 


68  ^*  I^io  Eracheinangen  der  gesundheitsgemftasen  Geburt. 

Monate  früher  die  Schwangere  befielen.  Dass  dies  keine  wirklichen  Wehen  sind, 
erkennt  der  chinesische  Arzt  daran,  dass  sie  stündlich  an  Heftigkeit  abnehmen ; 
ob  die  Vorwehen  durch  Diätfehler  entstanden,  sagt  ihm  der  Puls;  wenn  sie  yom 
Schreck  entstanden  sind,  so  ist  der  Schmerz  über  dem  Nabel;  ist  aber  Erkaltung 
die  Ursache,  so  ist  der  Sitz  des  Schmerzes  unter  demselben. 

Da  hier  yon  einer  Erk&ltung  als  Ursache  .falscher*  Wehen  die  Rede  ist,  so  scheint 
es,  dass  der  chinesische  Arzt  anf  den  Rheumatismus  uteri  hinweist.  Der  erste  Ge- 
burtshelfer, welcher  den  entzündlichen  Schmerz  von  dem  der  Wehen  unterschied,  ist  Moschion^ 
der  Kap.  45  sagt:  ,Quod  dolor  ab  inflammatione  ortus  cum  strictura  et  siccitate  orificii  uteri 
reperiatur.*  Auch  Soranus  schrieb  ein  Kapitel  über  den  Rheumatismus  uteri,  welches  aber 
verloren  ist.  Vigand,  Gautier  und  Meissner  haben  in  unserer  Zeit  diese  Krankheit  genauer 
besprochen. 


255.  Die  inneren  Zeichen  des  GeburtSTorganges. 

Die  inneren  Zeichen  des  Geburtsvorganges  bestehen  im  Wesentlichen  in  dem 
oben  bereits  geschilderten  Kürzerwerden  und  dem  allmählichen  Verstreichen  des 
Scheidentheiles  der  Gebärmutter  und  in  der  Eröffiiung  des  Gebärmuttermundes. 
Nur  durch  die  innere  Untersuchung  kann  selbstverständlich  Beginn  und  Fort- 
schritt dieser  Processe  erkannt  und  festgestellt  werden.  Das  Unterlassen  dieses 
diagnotischen  Mittels  ist  nicht  nur  bei  rohen,  sondern  auch  bei' solchen  Völkern 
zu  notiren,  die  zwar  Äerzte  besitzen,  denselben  aber  aus  einem  falschen  Scham- 
gefUhle  die  genaue  Exploration  der  Weiber  nicht  gestatten.  Ueber  die  Indianer- 
Völker  erfuhr  Engelmann  nach  vielfältiger  Erkundigung,  dass  kaum  bei  irgend 
einem  derselben  die  Hand  in  die  Scheide  eingeführt  wird;  er  besitzt  genaue  An- 
gaben hierüber  von  den  Umpquas,  den  Pueblos  und  den  Eingeborenen  Mexikos; 
dabei  sagt  er: 

.Das  Einbringen  der  Hand  in  die  Scheide  oder  in  die  Gebärmutter  zu  einem  bestimmten 
Zwecke  ist  auch  anderen  Stämmen  etwas  Unbekanntes.  Höchstens  berichtet  man  in  Bezng 
auf  einige  wenige  Beispiele  von  dieser  Leistung,  nämlich  behufs  Ausdehnung  des  Mittelfleisches 
oder  zum  Herausholen  der  vom  Uterus  zurückgehaltenen  Placenta.'^ 

Dass  sich  mit  der  eintretenden  Geburt  der  Muttermund  eröffnete, 
wussten  bereits  die  israelitischen  Äerzte  des  Talmud.  Es  war  aber  ein  Streit- 
punkt unter  ihnen,  von  welcher  Zeit  an  diese  Eröffnung  stattfinde.  Rabbi  Abbaje 
sagte:  „von  der  Stunde  an,  in  der  sie  auf  den  Stuhl  kommt'';  Rabbi  Huna:  „von 
der  Zeit  an,  wo  Blut  zu  fliessen  beginnt^ ;  Andere:  ,zu  der  Zeit,,  wo  die  Gebärende 
von  ihren  Freundinnen  unter  den  Armen  unterstützt  wird*.  Die  Frage,  wie  lange 
die  Eröffnung  dauern  könne,  beantworten  die  Talmudisten  ebenfalls  verschieden, 
sie  geben  3  Tage  (Rabbi  Abbaje),  7  Tage  (Rabbi  Rabba\  auch  30  Tage  daf&r 
an.  Die  Entscheidung  der  Frage  über  die  Dauer  der  Geburt  war  den  talmudischen 
Aerzten  insofern  wichtig,  ab  bei  einer  Verzögerung  der  Niederkunft  durch  die 
Arbeit  der  Hülfeleistenden  ein  von  der  Geburtszeit  etwa  mit  eingeschlossener 
Sabbath  entheiligt  werden  konnte.  Doch  wurde  für  die  nöthige  Hülfeleistung  am 
Sabbath  Absolution  ertheilt. 

Als  Zeichen  der  eintretenden  Geburt  wurde  unter  Anderem  von  alt- 
römischen  Aerzten  das  Aufgehen  und  Feuchtwerden  des  Muttermundes  ange- 
geben, in  welchem  man  später  die  Kindestheile  fahle.  Es  wurde  von  ihnen  also 
auch  fär  diesen  Zweck  die  Vaginalexploration  gekannt  und  geschätzt.  Bei  anderen 
Völkern  sind  die  Äerzte  mit  dieser  Untersuchungsmethode  nicht  bekannt.  Die 
altindischen  Äerzte  z.  B.  führen  unter  den  Merkmalen  der  Geburt  die  Ergeb- 
nisse der  inneren  Untersuchung  nicht  mit  auf,  obgleich  bei  ihnen  die  Eindes- 
lagen per  vaginam  untersucht  wurden;  sie  führen  als  Geburtszeichen  an:  dass  die 
Frucht  sich  erweitert,  dass  das  Band  des  Herzens  im  Unterleibe  gelöst  wird,  und 
dass  sich  in  der  Lumbaigegend  Schmerzen  einstellen;   dann  tritt  bei  der  Nieder- 


256.  Die  acüve  Betheiligung  des  Kindes  und  der  Beckenknochen  bei  der  Gebort.      69 

kunft  in  der  Krenzgegend  ein  Schmerz  auf,  es  wird  Stuhl  heryorgedrängt  und 
XJrin  und  Schleim  (Phlegma)  aus  der  Scheide  vergossen.     {SusnUa.) 

Soranus  charakterisirt  die  Zeichen  einer  normalen  Geburt  in  folgender 
Weise : 

Um  den  7.,  9.  oder  10.  Schwangerschaftsmonat  fühlen  die  Frauen  eine  Schwere  im 
Hypogastrium  und  Epigastrium,  ein  Brennen  in  den  Genitalien,  einen  Schmerz  in  der  Lumbal- 
und  Cozalgegend  und  in  allen  den  Tbeilen,  welche  unterhalb  des  Uterus  liegen.  Der  Uterus 
steigt  zum  Theil  abw&rts,  so  dass  die  Hebamme  ihn  leicht  erreichen  kann.  Der  Muttermund 
öffiiet  sich.  Wenn  sich*s  aber  zur  Geburt  einstellt,  schwellen  die  Genitalien  an,  es  tritt 
Tenesmus  urinae  ein,  es  fliesst  meist  Blut  aus  den  Geschlechtstheilen ,  indem  die  feinen  Ge- 
fasse  des  Ghorium  bersten.  Wenn  man  den  Finger  einbringt,  so  begegnet  man  einer  um- 
schriebenen Geschwulst,  die  einem  Ei  ähnlich  ist.    fPinoff.J 

Die  japanischen  Aerzte  kannten  bis  vor  einiger  Zeit  die  innere  Unter- 
suchung nicht  und  hielten  sich  demnach  hinsichtlich  der  Diagnose  des  Geburts- 
eintritts an  ähnliche  Erscheinungen  wie  die  alten  Inder.  Erst  Kangawa  scheint 
innerlich  explorirt  zu  haben.  Dies  geht  aus  den  Mittheilungen  hervor,  welche 
V.  Siebold  durch  seinen  Schüler  Mimaeuma  in  Nagasaki  erhielt.  Dahingegen 
sagt  Hureau  de  ViUeneuve^  dass  bei  der  gelben  Rasse  (unter  welcher  er  die 
Chinesen,  Japaner  und  Mongolen  versteht)  die  Geburtshelferinnen  durch  innere 
Untersuchung  recht  wohl  die  Erscheinungen  der  eintretenden  Geburt  erkennen; 
Hureau  meint  aber  wohl  vorzugsweise  die  Hebammen  der  Chinesen;  sie  unter- 
suchen wie  wir  die  Verdünnung,  Verkürzung  und  Weichheit  des  Gebärmutter- 
halses, aber  sie  nehmen  auch  die  phantastischen  Zeichen  des  Pulses  zu  Hülfe. 
Ueber  diese  Zeichen  aus  dem  Pulse  erfahren  wir  Näheres  durch  v.  Martius: 

.Bei  dem  Eintreten  der  Geburt  glaubt  nämlich  als  Zeichen  dieses  Eintrittes  der  chine- 
sische Arzt  ein  starkes  Klopfen  an  der  Wurzel  des  Fingers  wahrzunehmen,  und  die  Frage, 
warum  man  eben  aus  dem  Pulse  des  Mittelfingers  sehen  kann,  dass  der  Zeitpunkt  der  Geburt 
gekommen  sei,  beantwortet  er  ganz  einfach  durch  die  Worte:  «Weil  der  dritte  und  mittelste 
Theil  der  rechten  Hand  der  Frau  mit  dem  dritten  und  mittelsten  Theile  des  Körpers,  nämlich 
der  Geburtstheile,  in  genauestem  Einklänge  harmonirt* 

Aber  auch  die  deutschen  Aerzte  des  16.  Jahrhunderts  nennen  als  Zeichen 
des  Geburtseintritts  ausser  dem  Schmerz  nur  die  Empfindung  von  Aufblähen  und 
Feuchtigkeit  in  der  Gebärmutter  (Rösslin);  sie  hatten  eben&Us  also  keine  innere 
Untersuchung. 

Das  sogenannte  „Zeichnen^S  d.  h.  das  diagnostische  Merkmal  des  Abfliessens 
von  ein  wenig  Blut  in  Folge  der  Einrisse  in  den  Muttermund,  wird,  wie  wir 
sahen,  nur  erst  von  Soranus  erwähnt  und  von  anderen  Schriftsteilem  des  Alter- 
thums  mit  Stillschweigen  übergangen.  Die  Rabbiner  des  Talmud  sprechen  von 
Geburtsfällen,  die  ohne  Blutverlust  verliefen,  und  nannten  solche  Entbindungen 
.trockene  Geburten". 


n 


256.  Die  active  Betheillgimg  des  Kindes  und  der  Beckenknochen 

bei  der  Gebart 

Bei  sehr  vielen  Völkerschaften  finden  wir  die  Anschauung,  dass  zum  Eintritt 
der  Geburt  die  Bewegungen  des  Kindes  mitwirken  müssen.  Schon  Hippökrates 
und  Aristoteles  sprachen  diese  Ansicht  aus,  indem  sie  meinten,  die  Bewegungen 
des  Kindes  zerrissen  die  Eihäute,  so  dass  das  Wasser  abfliesst.  Man  dachte  sich 
also  den  Vorgang  ähnlich,  wie  sich  das  Hühnchen  aus  dem  Ei  be&eit.  Daran 
aber  glaubten  nicht  nur  die  Aerzte  der  alten  Griechen,  sondern  auch  die  Tal- 
mudisten,  und  ebenso  die  Aerzte  bei  den  alten  Indern,  denn  Susruta  sagt  in 
dem  Ayurveda:  Beim  Eintritt  der  Geburt  „erweitert  sich  die  Frucht".  Nicht 
minder  huldigten  die  altrömischen  Aerzte  dieser  Theorie;  so  äusserte  sich  unter 
Anderem  Aetius  (nach  Fhilumenos)^  dass  die  Schwäche  des  Fötus  diesen  selbst 
hindere,   die   nöthigen   Bewegungen  auszuführen,   und   somit  zu   einer  Gteburts- 


70  ^L*  ^io  Erscheinungen  der  gesundheitsgem&saen  Geburt. 

Störung  Veranlassung  gebe:  „com  saltibus  et  motibus  suis  matrem  adjuvare  non 
potest  foetus." 

Eine  ganz  ähnliche  Anschauungsweise  entdecken  wir  bei  den  chinesischen 
Aerzten,  welche  die  Mithülfe  des  Kindes  als  einen  Theil  der  die  Geburt  be- 
wirkenden Kräfte  betrachten.  In  der  von  v,  Martins  übersetzten  chinesischen 
Abhandlung  heisst  es: 

.Mich  dankt  irgendwo  gehOrt  zu  haben,  dass  sogar  die  Alten  behauptet  h&tten,  die 
Frucht  sei  nicht  im  Stande,  aus  eigenen  Kräften  und  durch  sich  selbst  zur  Welt  zu  kommen.' 
„Die  Mutter  muss  das  Herauskommen  ganz  allein  dem  Kinde  überlassen.* 

Wir  begegnen  analogen  Auffassungen  in  Ni^derländisch-Indien, 
in  Aegypten  und  in  Persien,  und  wir  werden  an  anderer  Stelle  auf  die- 
selben zurückkommen. 

Ein  ebenso  allgemein  verbreiteter  Glaube  ist  der,  dass  die  harten  und 
knöchernen  Theile  bei  der  Geburt  gleichsam  von  selbst  aufgeschlossen 
werden.     So  sagt  der  oft  citirte  Chinese: 

,Wenn  die  6eb&rerin  fühlt,  dass  das  Kind  sich  bewegt,  und  sobald  die  Knochen  der- 
selben von  einander  gehen,  dann  muss  sie  sich  schleunigst  auf  ihr  Lager  begeben." 

Der  auch  unter  den  Aerzten  in  Europa  ron  alter  Zeit  her  verbreiteten 
Meinung,  dass  die  Becken- Symphyse  aus  einander  weiche,  d.  h.  die  Lehre  „von 
der  Eröffnung  der  Geburtsschlösser'S  trat  erst  in  der  Mitte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts in  ihrer  „königlich  preussischen  und  churbrandenburgiscnen  Hof- 
Wehemutter^^  die  berühmte  Hebamme  Justine  Siegemundin  kräftig  entgegen. 


257.  Die  normale  Kindeslage. 

Es  ist  bereits  in  einem  früheren  Abschnitte  von  der  Lage  der  Frucht  im 
Mutterleibe  die  Rede  gewesen,  welche,  wie  wir  gesehen  haben,  gewissen  Ver- 
änderungen unterworfen  war.  An  dieser  Stelle  interessirt  uns  nur  die  definitive 
Lage,  welche  das  Kind  bei  der  Geburt  in  der  Gebärmutter  einnimmt.  Die  Aerzte 
haben  dafür  die  folgenden  Bezeichnungen,  welche  dem  zuerst  hervortretenden 
Körpertheile  ihren  Namen  verdanken. 

C  1.  Schadellage. 
\  a.  Kopflagen  <  2.  Gesichtslage. 

1.  Längslagen    >  13.  Stimlage. 

jb.  Beckenendelagen. 

2.  Schieflagen  oder 'Querlagen. 

Dass  unter  den  Kindeslagen  die  Kopflage  nicht  nur  die  häufigste  ist, 
sondern  dass  sie  auch  den  Austritt  des  Kindes  verhältnissmässig  am  leichtesten 
gestattet,  wird  von  allen  Nationen  anerkannt.  Da  man  aber  bei  den  verschiedensten 
Völkern  und  dort,  wo  die  Geburtshülfe  auf  niederer  Stufe  steht,  auch  jetzt  wohl 
noch  die  Geburt  in  der  Kopflage  des  Kindes  für  die  einzig  regelmässige  hielt,  so 
gerieth  man  zu  einer  Reihe  von  eigenthümlichen  Ansichten,  die  zu  sehr  vielen 
falschen  geburtshülf liehen  Handlungen  Veranlassung  gaben.  Man  glaubte,  dass 
in  Fällen  von  unrichtiger  Lage  stets  die  Kunst  helfend  einschreiten  müsse,  denn 
alle  übrigen  Lagen  des  Kindes,  besonders  auch  die  Beckenendelagen,  wurden  ja 
nun  für  falsche  Lagen  erklärt,  welche  die  Geburt  erschweren  müssten.  Es  ist  gar 
nicht  leicht  gewesen,  sich  nach  und  nach  von  diesen  Anschauungen  zu  befreien. 
Auf  diese  Anschauungen  haben  wir  auch  die  früher  besprochenen  Knetungen  des 
Unterleibes  während  der  Schwangerschaft  zurückzuführen. 

Zu  der  Zeit  des  Hippokrates  wurde  nur  die  Kopflage  ftlr  die  normale  ge- 
halten, die  Fuss-  und  Seitenlage  hielt  man  aber  für  diejenigen  Lagen,  bei  denen 
die  Geburt  für  Mutter  und  Kind  eine  schwierige  ist.  Deshalb  behandelte  man 
alle  Geburten,  bei  welchen  das  Kind  nicht  mit  dem  Kopfe  vorlag,  unter  Anwen- 
dung von  unsinnigen  Mitteln   mit   der  Absicht,  jeden   ausser   dem  Kopfe  voran- 


257.  Die  normale  Eindeslage.  71 

tretenden  Kindestheil  znm  Zurücktreten  zu  bringen.  Denn  man  wollte  keine  Ge- 
burt mit  den  Beinen  oder  dem  Steisse  voran  dulden;  man  suchte  yielmehr  in 
diesem  Falle  immer  eine  Wendung  des  Sandes  auf  den  Kopf  herbeizuführen. 

GelstiS,  der  um  Christi  Geburt  in  Rom  lebte  und  von  dem  wir  nicht  ein- 
mal wissen,  ob  er  ausübender  Arzt  war,  hatte  sich  entweder  auf  Grund  eigener 
Beobachtung  oder  yielleicht  nur  im  Anschluss  an  die  Ansichten  der  vor  ihm  zu 
Rom  lebenden  ärztlichen  Schriftsteller  ÄsMepiades  und  Themison  von  jener  Lehre 
des  Hippökrates  losgesagt,  denn  er  schrieb,  dass  auch  Fussgeburten  ohne  Schwierig- 
keiten Tor  sich  gehen.  Der  etwa  um  das  Jahr  70  n.  Chr.  lebende  Flinius  schliesst 
sich  wiederum  der  Ansicht  des  Hippohraies  an. 

Der  Geburtshelfer  Soranus  aus  Ephesus  aber,  welcher  etwa  im  Jahre  100 
n.  Chr.  zu  Rom  wirkte,  fand  die  Fussgeburt  nicht  so  schwierig,  wie  die  anderen 
als  unregelmässig  anzunehmenden  Kindeislagen;  er  sagt,  dass  bei  einer  normalen 
Geburt,  d.  i.  wenn  der  Kopf  oder  die  Füsse  Torliegen,  ein  geburtshülfliches  Ein- 
schreiten nicht  nöthig  sei.  Und  dem  Soranus  schliesst  sich  der  weit  später  lebende 
Moschion  an.  Galenus  aber  kehrte  wieder  zu  der  hippokratischen  Ansicht 
zurück. 

Die  talmudischen  Aerzte  sagten,  dass  diejenige  Kopflage  die  normale 
sei,  bei  welcher  der  grösste  Theil  des  Kopfes  sich  zuerst  zur  Geburt  einstellt. 
Für  diesen  grössten  Theil  des  Kopfes  erklärten  einige  (Nidda)  die  Stirn,  Andere 
(Rabbi  Jose)  die  Schläfe,  noch  Andere  (Raschid)  die  Homer  des  Kopfes,  d.  i.  die 
Tubera  desselben.  Israels  meint,  dass  die  letztere  Ansicht  wohl  als  die  richtigere 
betrachtet  werden  müsse,  da  man  unter  den  „Hörnern  des  Kopfes^^  wohl  das 
Hinterhaupt  yerstehen  müsse,  welches  bekanntlich  bei  regelmässigen  Schädelgeburten 
zuerst  erblickt  wird.  Israels  schliesst  auch  aus  diesen  von  den  talmudischen 
Aerzten  g^ebenen  Bemerkungen,  dass  zu  jener  Zeit  bisweilen  Männer  bei  der 
regelmässigen  Geburt  assistirt  haben  müssten. 

Die  altarabischen  Aerzte  Shaaes^  Äli^  Ävicenna^  Abtdkasem  u.  s.  w.  be- 
zeichneten auch  die  Kopflage  als  die  einzig  normale;  die  deutschen  Aerzte  des 
16.  Jahrhunderts,  Rösslinj  Rueff  u.  s.  w.,  desgleichen. 

In  der  chinesischen  Abhandlung  heisst  es: 

, Sobald  aich  das  Kind  mit  dem  Kopfe  nach  unten  gewendet  hat,  und  der  Moment  seiner 
Gebart  gekommen  ist,  so  wird  dasselbe  auch  gani  bestimmt  auf  die  natürliche  Weise  zum 
Vorschein  kommen.* 

Die  chinesischen  Aerzte  halten  denmach  die  nach  der  freiwilligen  Wendung 
eingetretene  Kopflage  des  Kindes  für  die  regelmässige;  dieselbe  wird  nach  ihrer 
Ansicht  gestört  oder  eine  unordentliche,  wenn  die  Mutter  zu  der  Zeit,  in  welcher 
sich  das  Kind  umwendet,  ihre  Kräfte  gewaltsam  anstrengt,  ebenso,  wenn  das  Kind 
durch  Betasten  und  Drücken  des  Leibes  der  Gebärenden  geängstigt  wird. 

Auch  die  Aerzte  und  Hebanmien  in  Japan  halten  die  Kopflage  des  Kindes 
für  die  regelmässige,  denn  um  diese  herbeizuführen,  wird  von  Urnen  eine  mecha- 
nische Vorbereitung  während  der  Schwangerschaft  angeordnet,  nämlich  das  Am- 
poekoe  (Ambuk),  d.  i.  ein  „Reiben  imd  vorsichtiges  leises  Drücken  oder  besser 
Betasten  des  Unterleibes,  wie  wenn  man  knetet,  nach  den  sicheren  Regeln,  welche 
der  berühmte  Geburtshelfer  Kangawa-Gen-Ets  aufgestellt  hat*\ 

Nach  den  Lehrsätzen  dieses  schon  oft  genannten  Mannes,  welcher  in  Japan 
ein  grosses  Ansehen  hatte,  gehört  zu  den  wichtigsten  Aufgaben  des  Geburts- 
helfers, bei  der  Annäherung  des  regelmässigen  Geburtstermins  genau  zu  erforschen, 
ob  die  Frucht  gerade,  d.  h.  mit  dem  Kopfe  nach  unten,  oder  umgekehrt,  d.  h. 
mit  den  Füssen,  nicht  mit  dem  Steiss,  nach  unten  liegt.  Die  Kindeslage  scheint 
man  in  Japan  als  die  normale  zu  betrachten.  Zu  dieser  Erkenntniss  giebt  JSTan- 
gawa  Folgendes  an: 

.Fühlt  man  auf  dem  Leibe  eine  begrenzte  Anschwellung,  welche  oben  breit  ist  und 
unten  spitz  zuläuft,  so  bedeutet  dieses  eine  gerade  Schwangerschaft;   man  fOhlt  dann  den 


72  ^L*  ^io  Eracheinungen  der  gesundheitsgem&ssen  Gebart. 

Kopf  innerhalb  des  Qnerbeins.  Ist  die  Anschwellung  aber  im  Gegentheil  oben  schmal  and 
unten  breit,  so  ist  die  Schwangerschaft  umgekehrt;  dabei  ist  der  Zwischenraum  zwischen 
der  Frucht  und  dem  Querbeine  so  locker,  dass  man  zwei  Finger  dazwischen  schieben  kann.* 

Diese  und  die  folgenden  Angaben  9ind  offenbar  höchst  ungenau  und  keines- 
wegs den  natürlichen  Verhältnissen  entsprechend,  doch  finden  sie  sich  ganz  ebenso 
in  dem  japanischen  Originale. 

«Fühlt  man  dagegen,'  sagt  Kangawa,  «den  Kopf  in  einem  der  beiden  Schenkel  (der 
Schenkel  wird  von  der  Crista  ilei  an  gerechnet),  so  liegt  die  Frucht  so  schr&ge,  dass  ohne 
künstliche  Einrichtung  auf  jeden  B'all  eine  Querlage  eintreten  würde.  "^ 

Dann  eifert  Kangawa  gegen  die  irrthümliche  Ansicht,  dass  die  Frucht  im  Mutterleibe 
sich  umdrehe.  Denn  wollte  man  diese  Ansicht  festhalten,  so  würde  man  zum  grOssten  Nach- 
theü  für  die  Gebftrende  und  für  das  Kind  sich  der  Hoffhang  hingeben,  dass  die  Querlage  oder 
die  umgekehrte  Lage  sich  vor  Ablauf  der  Schwangerschaft  von  selbst  einrichtet.  In  Folge 
dieses  Irrthums  würde  die  Hebamme  oder  der  Geburtshelfer  ein  rechtzeitiges  Handeln  unter- 
lassen; die  nOthigen  Kunstgriffe  würden  dann  zu  früh  oder  zu  sp&t  angewendet  werden.  Er 
fährt  dann  fort:  «Tritt  bei  einer  umgekehrten  Geburt  zuerst  ein  Bein  ein,  so  ist  Hülfe  mög- 
lich. Hat  dagegen  die  Frucht  in  Folge  von  Einschnürung  durch  Leibbinden  eine  ganz  schiefe 
Stellung  eingenommen,  und  kommt  in  Folge  dessen  zuerst  eine  Hand  zum  Vorschein,  so  muss 
der  Arzt  durch  schnelles  Kneten  die  Theile  in  ihre  richtige  Lage  zurückbringen,  sonst  muss 
das  Kind  unbedingt  sterben  und  nach  ihm  die  Mutter  ebenfalls;  w&re  also  die  Reposition 
durch  Kneten  nicht  gelungen,  so  bliebe  nichts  übrig,  als  die  ganze  traurige  Ausschneidung 
des  Kindes.*  Schliesslich  versichert  Kangawa:  «Männliche  und  weibliche  Früchte  haben  im 
Mutterleibe  ganz  gleiche  Lage  mit  dem  Gesicht  nach  hinten,  mag  im  übrigen  die  Lage  eine 
gerade  oder  umgekehrte  sein.* 

Da  die  mexikanischen  Hebammen  ebenfalls  den  Unterleib  der  Schwangeren 
(vom  7.  Monat  an)  kneten,  „um  im  Falle  einer  Schieflage  das  Kind  in  eine  ge- 
hörige Lage  zu  bringen",  so  scheinen  auch  sie  ähnliche  Ansichten  von  der  nor- 
malen Kiudeslage  zu  haben. 

Bei  den  Bewohnern  Unyoros  (Central-Afrika)  gilt  es  für  günstig,  wenn 
das  Kind  mit  dem  Kopfe  austritt ;  Austritt  der  Füsse  kündet  Unheil  för  die  ganze 
Familie  an.     (Emin  Bey.) 

Von  den  Viti-Inseln  berichtet  Blyth:  Es  kommen  fast  immer  Kopflagen 
vor.  Eine  Hebamme  versicherte  ihm,  dass  niemals  eine  andere  Kindeslage  von 
ihr  beobachtet  worden  sei,  und  nach  ihrem  Alter  musste  sie  eine  reiche  Erfahrung 
besitzen;  aber  sie  hatte  auch  von  Fusslagen  erzählen  hören. 

Die  bessere  Einsicht  in  diese  Verhältnisse  entwickelte  sich  in  Europa  erst 
durch  die  rechte  Benutzung  der  klinischen  Beobachtung  und  der  numerischen 
Methode.  Erst  vor  100  Jahren  gelangte  man  durch  Bo'er^  Merriman^  Batide- 
locgue,  sowie  durch  die  genau  registrirenden  Uebersichten  zahlreicher  Geburten  von 
ClarJce  und  CoUins  (Dublin)  zu  einem  grundlegenden  Material,  auf  dem  dann 
klinisch  und  statistisch  weiter  geforscht  wurde. 

Die  Statistik  ergab,  dass  die  Frequenz  dieser  Lagen  nach  den  Ergebnissen  der  deut- 
schen Gebftranstalten  folgende  ist;  es  kommen  auf  100  Geburten  circa  95  Schädellagen  und 
3  Beckenendelagen,  etwas  über  1/2  (1  :  180)  Querlagen  und  uugeföhr  0,6  (nach  WinckeVs  Zu- 
sammenstellung 1  :  158)  Gesichtslagen.  Legt  man  aber  der  Berechnung  grossere  Zahlen  aus 
allen  Bevölkerungskreisen  in  Deutschland  zu  Grunde,  so  ergaben  sich  (nach  Spiegdberg): 
97,8%  Schädellagen,  OyS%  Gesichtslagen,  l,590/o  Beckenendelagen,  0,78O/o  Querlagen.  Nach 
Joulin  ist  in  Europa  das  Verhältniss  folgendes:  970/o  Schädel-,  0,50/o  Gesichts-,  2,90/o  Becken- 
endelagen, 0,40/0  Querlagen. 


XLI.  Die  Helfer  bei  der  Geburtsarbeit 

258.  Die  Entstehung  der  Oebartshfllfe. 

Es  ist  noch  keine  lange  Zeit,  dass  man  zam  ersten  Male  die  Frage  auf- 
geworfen hat,  wie  sich  denn  die  heutige  GeburtshQlfe  der  civilisirten  Völker  aus 
den  Uranfangen  heraus  entwickelt  hat,  und  was  die  angestrengte  Forschung  bisher 
auf  diesem  Gebiete  zusammenzubringen  vermochte,  ist  noch  sehr  weit  davon  ent- 
fernt, uns  bereits  ein  vollständiges  und  in  sich'  abgeschlossenes  Bild  darbieten  zu 
können.  Jedoch  ist  es  immerhm  schon  etwas,  und  bei  weiterer  Aufmerksamkeit 
auf  diesen  Gegenstand  wird  es  auch  hier  wohl  gelingen,  unsere  Kenntnisse  all- 
mählich immer  mehr  und  mehr  zu  vervollständigen.  Sind  doch  gerade  die  Unter- 
suchungen über  die  Sitten  und  Gebräuche,  sowie  über  die  Handgriffe  und  Hülfe- 
leistungen bei  der  Geburt  von  einem  ganz  hervorragenden  culturgeschichtlichen 
Interesse.  Allerdings  sind  auf  dem  uns  hier  interessirenden  Gebiete  nrgeschichtliche 
Funde  fast  gar  nicht  gemacht  worden,  und  die  zu  Gebote  stehenden  alten  Urkunden 
sind  höchst  spärlich  und  nur  weniges  daraus  ist  für  uns  zu  verwerthen.  Es  würde 
aber  auch  nicht  die  richtige  Methode  sein,  wenn  wir  die  geburtshülfliche  Ge- 
schichtsforschung erst  mit  der  Benutzung  der  frühesten  schrifklichen  Denkmale 
beginnen  lassen  wollten,  obgleich  den  letzteren  natürlicher  Weise  auch  ihre  be- 
deutungsvolle Stelle  eingeräumt  werden  muss:  unsere  Forschung  muss  vielmehr 
ihre  Augen  auf  eine  Yergleichung  der  geburtshülflichen  Sitten  und  Gebräuche 
der  noch  jetzt  auf  dem  Erdball  ld[>enden  Völker  richten.  Denn  wir  dürfen  wohl 
annehmen,  dass  schon,  bevor  jene  ältesten  Schriften  entstanden  sind,  die  Geburts- 
hülfe  eine  Reihe  von  Entwickelungsphasen  erlebte,  über  die  uns  allerdings 
eine  unumstössliche  Auskunft  mangelt,  dass  aber  mancherlei  als  ein  Ueberlebsel 
aus  den  alleraltesten, Zeiten,  als  ein  Rest  aus  früheren  Tagen  sich  in  den  Sitten 
und  Gebräuchen  hier  mid  da  erhalten  hat.  Ganz  besonders  werthvoll  muss  uns 
auch  hier  wiederum  die  Beobachtung  der  jetzigen  Naturvölker  sein,  wenn  wir 
auch  nicht  vergessen  dürfen,  dass  sie  uns  nicht  in  allen  ihren  Gebräuchen  ein 
treues  Spiegelbild  des  Urzustandes  der  Menschheit  geben. 

Schon  längst  vor  dem  Aufblühen  der  Geburt^ülfe  als  Kunst  und  Wissen- 
scbaft  wurden  bei  Schwangerschaft,  Geburt  und  Wochenbett  Sitten  und  Gebräuche 
gehandhabt,  welche  allerdings  wohl  noch  jetzt  bei  manchen  auf  der  Erde  lebenden 
Völkerschaften  heimisch  sind ;  wie  sich  aber  diese  Sitten  aus  den  allerersten  An- 
fängen geburtshülflichen  Thuns  entwickelten,  bleibt  doch  noch  zu  ergründen. 
„Den  Menschen  irgendwo  noch  jetzt  im  Naturzustande  anzutreffen,  ist  keine 
Hofbung.''  Wir  können,  wie  gesagt,  diesem  von  Waite  ausgesprochenen  Satze 
nur  völlig  beistimmen.  Allein  er  setzt  auch  hinzu :  ,  Was  der  Mensch  von  Natur 
ist,  wird  sich  aus  der  empirischen  Beobachtung   der  sogenannten  wilden  Völker 


•^■ 


74  ^I*  I>ie  Helfer  bei  der  Geburtsarbeit 

ergeben,  deren  Leben  zwar  nicht  den  eigentlichen  Naturzustand  selbst  darstellt, 
aber  doch  diesem  mehr  oder  weniger  nahe  kommt/  Die  Völker  diffe- 
renzirten  sich,  kaum  aus  dem  Urzustände  erhoben,  je  nach  der  eingeschlagenen 
Richtung  ihrer  Lebensweise,  in  recht  erheblicher  Weise  in  Sitten  und  Gebräuchen. 
So  sonderten  sich  auch  schon  die  rohesten  Stamme  in  ihrem  geburtshülflichen 
Handeln;  und  zweifellos  musste  schon  bei  der  Mehrzahl  der  jetzt  lebenden  Ur- 
Yölker  die  fortschreitende  Befähigung  zu  immer  höheren  Graden  geburtshülf lieber 
Erkenntniss  führen.  Dies  geschah  aber  nicht  gleichmässig;  auch  ist  an  keinem 
Brauche  specifisch  erkennbar,  ob  er  sich  aus  uralter  Zeit  erhielt,  oder  ob  er  erst  im 
Laufe  der  Zeiten  erworben  wurde.  Dabei  werden  schliesslich  indiriduelle  Gharakter- 
eigenthümlichkeiten,  noch  mehr  aber  die  Berührung  mit  höher  cultivirten 
Nationen,  die  gesammte  Geburtshülfe  eines  jeden  sogenannten  üryolkes  nicht 
unwesentlich  zu  modificiren  vermögen. 

Allerdings  muss  wohl  schon  sehr  früh  eine  Hülfe  beim  Gebären  aufgetreten 
sein,  da  die  Hülfsbedürftigkeit  der  Kreissenden  bei  ihren,  wenn  auch  nicht  inmier 
lauten  Schmerzensäusserungen  das  Mitgefühl  bei  selbst  recht  rohen  Völkern  wach- 
ruft. Anderentheils  mögen  auch  diese  Völker,  wie  Prochawnick  richtig  bemerkt, 
durch  die  Länge  der  Zeit  aus  sich  selbst  heraus  zu  einer  Reihe  .von  Schlüssen 
und  Beobachtungen  gelangt  sein,  welche  einen  Vergleich  der  die  primitive  ge- 
burtshülfliche  Technik  ausübenden  jetzigen  Naturvölker  mit  den  Uranfängen  des 
Menschengeschlechts  kaum  noch  gestatten. 

.Von  der  Geburtshülfe,  die  in  einem  rohen,  rein  mechanischen  Thun  besteht,  bis  zum 
Nachdenken  über  den  Vorgang,  bis  znm  erfahningsgemaasen  Helfen  bei  reg^ären  oder  gar 
irregulären  Geburten,  kurz  bis  zur  Geburtshülfe  und  gar  endlich  bis  zur  berufsmässigen  Aus- 
übung einer  solchen  von  eigens  damit  betrauten  Personen,  das  sind  so  grosse  Culturfortschritte, 
dass  sie  dreist  mit  dem  Riesensprunge  vom  rohesten  Steinmenschen  bis  zum  Eisenarbeiter, 
vom  Höhlenbewohner  bis  zum  Ackerbauer  in  Vergleich  gezogen  werden  dürfen.* 

Die  Beobachtung  des  natürlichen  Geburtsvorganges  und  die  hiermit  ge- 
sammelte Erfahrung  bestimmen  die  Summe  des  Wissens  und  Könnens,  welche 
sich  die  Bevölkerung  auf  dem  Gebiete  der  Geburtshülfe  dadurch  erwirbt,  dass 
theils  beim  Thiere,  theils  am  menschlichen  Weibe  ein  kleiner  Kreis  rein  äusser- 
licher  Erscheinungen  zunächst  nur  ziemlich  oberflächlich  wahrgenommen  wird. 
Mit  diesen  Wahrnehmungen  ausgerüstet,  macht  bei  Naturvölkern  das  junge  Weib 
sich  selbst  zum  eigenen  Nutzen  für  ihr  Thun  und  Lassen  in  der  Stunde  der  Noth 
ein  sehr  einfaches  Schema  für  ihr  Verhalten  zurecht;  und  dieses  Verhalten  wird 
später  noch  durch  den  Bath  erfahrener  Frauen  zu  regeln  gesucht. 


259.  Die  Lebensweise  der  Volker  beeinflasst  die  Entwickelang  der 

Gebartshfllfe. 

Die  Lebensweise  der  Völker  bildet  die  erste  Bedingung  zur  Erreichung  einer 
gewissen  Culturstufe  auch  in  geburtshülflicher  Hinsicht.  Gewiss  ist  es  sehr 
wesentlich  in  dieser  Beziehung,  ob  ein  Volk  von  der  Jagd  oder  von  der 
Fischerei  lebt,  ob  es  nomadisirt  oder  feste  Plätze  bewohnt,  ob  es  endlich  Acker- 
bau oder  Industrie  und  Handel  treibt.  Ein  Volk,  das  in  einem  an  Vegetabilien 
armen  Lande  wohnt,  wird  zum  Jägerleben  hingeführt:  ein  solches  Leben  zieht 
eine  Zersplitterung  der  Bevölkerung  in  kleine  Haufen  nach  sich,  und  die  Ver- 
anlassung zum  Ersinnen  und  Beschaffen  besserer  Werkzeuge  als  einfacher  Jagd- 
geräthe  ist  nicht  vorhanden:  der  Tauschhandel  mit  den  Nachbarstämmen  bringt 
solche  Jagdvölker  in  nur  kurze,  flüchtige  Berührung  mit  einer  anders  ge- 
arteten Cultur.  Eine  Anzahl  wilder  Völker  Nord-  und  Süd-Amerikas,  die 
Schwarzen  im  Inneren  Australiens  und  einige  Völker  Afrikas  gehören  hierher; 
sie   stehen   auf  der   niedrigsten   Stufe   auch  in   geburtshülflicher   Hinsicht.    Ihr 


259.  Die  Lebensweise  der  Völker  beeinflusst  die  Entwickelong  der  Geburtehülfe.        75 

Wissen  über  den  Mechanismus  der  Gebart  und  über  die  zu  leistende  Hülfe  ist  ein 
ganz  unbedeutendes. 

Das  Fiscberleben  befähigt  im  Allgemeinen  die  Völker  zu  einer  etwas  höheren 
Culturstufe,  als  das  reine  Jägerleben.  Die  Geräthe  der  vorzugsweise  Fischerei 
treibenden  Stamme  müssen  etwas  kunstvoller  sein,  und  auch  ihre  nautischen 
Hül&mittel  wecken  bei  ihnen  die  Kunstfertigkeit ;  sie  sind  mehr  auf  die  Beobach- 
tungen der  Naturerscheinungen  hingewiesen;  ihre  Schiffe  und  Kähne  bringen  sie 
leichter  in  Verkehr  mit  Fremden,  und  so  erweitert  sich  ihr  geistiger  Gesichtskreis, 
üeberhaupt  hat  man  die  Beobachtung  gemacht,  dass  bei  wilden  Fischervölkem 
und  Wurzelgräbern  die  Frauen  besser  gestellt  sind,  als  bei  Jägerhorden.  Und  es 
unterliegt  wohl  kaum  einem  Zweifel,  dass  dort,  wo  das  Leben  der  Frau  einen 
grösseren  Werth  hat  und  ihre  sociale  Stellung  eine  günstigere  ist,  im  Allgemeinen 
auch  eine  grössere  Sorge  für  ihre  hygienische  Pflege  entfaltet  wird. 

Die  nomadisirenden  Völkerschaften,  die  mit  ihrer  beweglichen  Habe  in 
grösseren  oder  kleineren  Trupps  meist  auf  Viehzucht  angewiesen  sind,  stehen  in 
geburtshülflicher  Hinsicht  noch  gewöhnlich  auf  einer  sehr  niedrigen  Stufe;  sie 
bürden  den  Frauen,  die  bei  ihnen  meist  in  sehr  geringer  Achtung  stehen,  schwere 
Arbeit  auf  und  verfahren  auch  beim  Geburtsact  auf  recht  rohe  Weise  mit  ihnen. 
Das  ist  eigentlich  zu  verwundem;  denn  die  Beobachtungen,  welche  sie  an  ihren 
Hausthieren  zu  machen  die  Gelegenheit  haben,  und  die  Erfahrungen,  welche  die  bei 
den  Geburten  Hülfe  leistenden  Frauen  einzusammeln  im  Stande  sind,  sollte  ihnen 
eigentlich  einen  wohl  etwas  tieferen  Einblick  in  den  Mechanismus  der  Geburt 
eröffnet  haben.  Bisweilen  tritt  uns  allerdings  auch  eine  etwas  höhere  Erkenntniss 
entgegen. 

Ackerbautreibende  Völker  hingegen  mit  festen  Wohnsitzen  und  einer  ruhigen 
beschaulichen  Lebensweise  schätzen  die  Frau  und  ihr  Leben  in  der  Regel  etwas 
mehr ;  sie  gönnen  ihr  Ruhe  und  Erholung  von  der  Arbeit  und  gehen  etwas  sorg- 
faltiger beim  Geburtsvorgange  zu  Werke.  Sie  beobachten  den  Geburts-Mecha- 
nismus genauer;  insbesondere  aber  suchen  sie  der  Gebärenden  und  dem  Neu- 
geborenen so  viel  als  möglich  Schutz  und  Hülfe  angedeihen  zu  lassen.  Auf  der 
untersten  Stufe  stehen  hier  jedenfalls  die  Völker,  welche  Halbnomaden  sind;  dann 
folgen  diejenigen,  welche  bereits  zur  Cultivirung  des  Bodens  hingeführt  wurden. 
So  könnten  wir  die  Stufenleiter  fortführen. 

Höher  stehen  auf  der  geburtshülf  liehen  Scala  im  Durchschnitt  solche  Nationen, 
die  sich  mit  Handel  und  Industrie  beschäftigen :  ihre  geistigen  Fähigkeiten  sind  mehr 

feweckt,  ihre  Gesittung  ist  grösser.  Desl^lb  ist  auch  bei  ihnen  die  Stellung  der 
ranen  eine  bessere;  und  mit  der  erhöhten  allgemeinen  Gultur  geht  ihre  Einsicht  in 
den  Geburtsvorgang  sowie  ihre  Geschicklichkeit  in  der  geburtshülfUchen  Assistenz 
Hand  in  Hand.  Die  alten  Inder,  deren  Priesterkaste,  die  Brahmanen,  die  ärztliche 
und  geburtshülf  liehe  Praxis  ausübten,  gehören  hierhin,  wie  auch  die  Chinesen  und 
die  Japaner. 

Weiterhin  kommt  aber  eine  HüKe  zu  Stande,  deren  Verfahren  sich  auf  einen 
etwas  grösseren  Kreis  von  Erfahrung  stützt.  Von  da  an  kann  man  je  nach  der 
Entwicklung  des  Wissens  über  den  Geburtsvorgang  und  der  zweckmässig  ange- 
wandten Kunsthülfe  mehrere  Epochen  unterscheiden.  So  wird  man  vielleicht  auch 
einst  in  der  Lage  sein,  die  Völker  nach  verschiedenen  Graden  ihrer  geburtshülf  liehen 
Bildung  ordnen  zu  können.  Aus  der  UnvoUkommenheit  ihrer  geburtshülflichen 
Handlungen  und  Leistungen  können  wir  auf  den  Grad  ihrer  ungenügenden  Er- 
kenntniss und  Würdigung  der  einzelnen  Geburtserscheinungen  schliessen.  Des- 
halb sind  auch  die  geburtehülf liehen  Handlungen  und  Leistungen,  also  die  uns 
beschäftigenden  Sitten  und  Gebräuche  bei  der  Geburt,  ein  Maassstab  für  den  Grad 
der  geburtshülflichen  Kenntniss  und  Einsicht  eines  Volkes  überhaupt. 


76  XLI.  Die  Helfer  bei  der  Gebortsarbeit. 

260.  Die  UebelstSnde  der  prlmitiTen  Gebortslifllfe. 

Es  ist  gewiss  ein  verdienstliches  unternehmen,  möglichst  genau  and  nachdrück- 
lich darauf  hinzuweisen,  wie  traurige,  bemitleidenswerthe  Yerh^tnisse  in  geburtshfilf- 
licher  Beziehung  nicht  bloss  bei  uncivilisirten,  sondern  noch  immer  auch  bei  solchen 
Völkern  herrschen,  die  schon  einen  gewissen  Grad  von  Cultur  erworben  haben. 
Und  darum  ist  folgende  ethnologische  Studie  eine  ideale  Aufgabe,  indem  sie  durch 
eine  realistische  Darstellung  der  geburtshülf liehen  Assistenz  bei  den  yerschiedenen 
Völkern  ein  so  wahres  und  treues  Bild  entwerfen  soll,  dass  Herz  und  Verstand 
des  intelligenten  und  humanen  Lesers  f&r  das  Wohl  und  Wehe  des  weiblichen  Ge- 
schlechts erwärmt  und  interessirt  werden  mögen.  In  den  Stunden,  in  welchen  das 
Weib  ihrem  Kinde  das  Leben  schenkt,  tritt  häufig  die  Hülfeleistung  in  so  unroll- 
kommener,  oft  in  so  sinnloser  Weise  an  ihre  Seite,  dass  ihr  die  Qualen  nicht 
nur  nicht  gelindert,  sondern  im  Gegentheil  sogar  nicht  unerheblich  gesteigert 
werden. 

Es  ist  auch  nöthig  mitzutheilen,  wie  sich  erst  recht  wenige  Völker  im  Verlaufe 
der  geschichtlichen  Entwickelung  bessere  Zustände  auf  dem  Gebiete  der  Geburts- 
hülfe  dadurch  schufen,  dass  das  der  Gebärenden  beistehende  Personal  eine  ihren 
Aufgaben  entsprechende  Ausbildung  erhielt. 

Wenn  wir  nun  die  Frage  aufwerfen,  wie  kann  so  ungemein  grosses  Leiden, 
welches  durch  widersinnige  Assistenz  den  Kreissenden  bereitet  wird,  möglichst  ver- 
hütet werden?  so  ist  dieselbe  nicht  leicht  zu  beantworten.  Denn  alle  Neuerungen, 
die  man  hier  einzuführen  sich  bemüht,  werden  oft  nicht  im  Stande  sein,  die  alt- 
hergebrachten Gewohnheiten  des  Volkes  aus  dem  Felde  zu  schlagen. 

Der  Gedanke  taucht  nicht  zum  ersten  Male  auf,  der  Mission  auch  Aerzte 
beizugeben,  und  hier  und  da  ist  er  schon  verwirklicht  worden.  Wohl  aber  ist 
es  auch  ernstlich  zu  überlegen,  ob  nicht  die  Gattinnen  der  Missionare,  bevor  sie 
in  die  uncivilisirten  Länder  hinausziehen,  eine,  allerdings  nicht  zu  oberflächliche, 
geburtshülfliche  Ausbildung  erwerben  sollten.  Nichts  würde  wohl  den  Lehren 
der  Glaubensboten  die  Herzen  der  Naturvölker  schneller  entgegenführen,  als  solche 
Hülfe  in  der  Stunde  der  Notb. 

Aber  auch  in  den  civilisirten  Ländern  ist  noch  sehr  vieles  der  Verbesse- 
rung würdig.  Die  private  Wohlthätigkeit  für  solche  Zwecke  hat  bisher  verhältniss- 
mässig  wenig  geleistet,  und  doch  sind  die  Stunden  der  Noth,  in  welcher  sich  das  ge- 
bärende Weib  befindet,  gewiss  nicht  geringer  anzuschlagen,  als  diejenigen  der 
Kranken,  welchen  durch  Zuführung  von  freiwilligen  Gaben  an  Hospitäler  fast 
allein  Unterstützung  zugewiesen  wird.  Ein  seltenes,  hervorragendes  Beispiel 
opferfreudiger  Wohlthätigkeit  ist  das  von  einer  Dame  in  Leipzig  (Frau  Trier) 
gegründete  Gebärhaus,  in  welchem  Hebammen  und  junge  Aerzte  klinisch  ausge- 
bildet werden. 

Im  November  1884  wurde  in  Bombay  der  Grundst.ein  zu  einer  für  Heb- 
ammenlehrzwecke  bestimmten  Entbindungsanstalt  gelegt.  Dieselbe  ward  mit  einem 
Aufwände  von  30000  Pfund  Sterling  durch  die  humane  Freigebigkeit  des  Parsen 
Pestonjee  Hcfrmusje  Cama  erbaut,  welcher  längere  Zeit  in  London  gelebt  hatte. 
Mögen  andere  Wohlthäter  nachfolgen!  In  Indien  wurde  im  Jahre  1870  eine 
Hebammenschule  errichtet.  Im  Hospital  des  ärztlichen  Gollegiums  zu  Calcutta 
besteht  eine  Klasse  von  zwölf,  im  Mitford-Hospital  eine  solche  von  drei  zu 
Hebammen  sich  ausbildenden  Frauen.  Ausserdem,  dass  die  Regierung  die  weib- 
lichen Zöglinge  bezahlt,  ist  sie  auch  auf  den  neuen  Gedanken  verfallen,  weib- 
liche Patienten  durch  ein  tägliches  Stipendium  zum  Besuch  der  Hospitäler  auf- 
zumuntern. 


261.  Der  Ehemann  als  Geburtslielfer.  77 

261.  Der  Ehemann  als  Geburtshelfer. 

Einen  wichidgen  Maassstab  ftir  den  Qrad  der  culturellen  Entwickelung,  auf 
welchem  sich  eine  Völkerschaft  befindet,  bieten  diejenigen  Individaen  dar,  deren 
Händen  die  geburtshülfliche  Unterstützung  der  Gebärenden  anvertraut  ist.  Einst 
sagte  der  gelehrte  PlQtner:  „Der  erste  Geburtshelfer  war  Adam^  denn  er  musste 
der  Eva  bei  der  Geburt  assistiren.  ^  So  absonderlich  dieser  oft  citirte  Satz  auch 
klingen  m^,  so  liegt  doch  auch  ein  Stückchen  Wahrheit  in  ihm.  Es  zeigt  sich 
nämlich,  wie  wir  sehen  werden,  dass  bei  manchen  Yolkerschaflen,  unter  denen  die 
Familien  zerstreut  und  in  grossen  Entfernungen  von  einander  getrennt  leben,  der 
Mann  die  geburtshüKlichen  Geschäfte  besorgt.  Wir  müssen  uns  das  Leben  der 
Menschen  in  den  ältesten  Zeiten  der  FamilienbUdung  ungefähr  so  beschaffen  denken, 
wie  wir  es  jetzt  bei  den  rohesten  Völkern  vorfinden. 

Allein  im  allerrohesten  Zustande  assistirt  auch  nicht  einmal  der  Mann  seiner 
Ehegattin.  Vielmehr  bleibt  sie  allein  und  hilft  sich  selbst,  so  gut  sie  dieses  eben 
vermag.  Tausende  und  Abertausende  von  Kindern  werden  auf  solche  Weise  zur 
Welt  gebracht  von  Weibern,  die  nicht  etwa  unversehens  von  der  Geburt  über- 
rascht werden,  sondern  welche  nimmermehr  glauben,  dass  es  überhaupt  nöthig  sei, 
anders  als  allein  niederzukommen.  Der  Ehemann  und  alle  Angehörigen  freuen 
sich  bei  diesen  Völkerstämmen  allerdings  meistens  über  die  Ankunft  eines  Kindes, 
zumal  wenn  es  ein  Knabe  ist;  allein  in  Bezug  auf  die  gebärende  Frau  verhalten 
sie  sich  oft  gänzlich  gleichgültig,  solange  die  Entbindung  eine  normale  ist.  Sie 
betrachten  das  Geschäft  des  Gebarens  als  ein  unbedeutendes  und  sie  sorgen  sogar 
dafür,  dass  sich  die  Frau  während  desselben  von  ihnen  abgesondert  halten  muss. 

Wir  müssen  es  daher  bereits  als  einen  nicht  unwichtigen  culturellen  Fort^ 
schritt  betrachten,  wenn  der  Ehemann  die  kreissende  Gattin  in  der  Stunde  der  Noth 
nicht  verlässt,  sondern  ihr  so  gut  oder  so  schlecht  er  es  eben  versteht,  helfend 
und  sie  unterstützend  zur  Seite  bleibt.  So  berichtet  schon  im  Jahre  1640  Jean 
de  Laet  über  die  brasilianischen  Wilden: 

,Le8  femmes  da  Brasil  accouchent  ^tendues  an  terra  et  la  p^re  ou  un  ami  läve 
renfant  de  la  terra;' 

und  von  denselben  Indianern  schreibt  Lery: 

«Ich  sah  also  dergestalt  selbst,  dass  der  Vater,  nachdem  er  sein  Kind  in  seine  Arme 
genommen,  ihm  erstlich  die  Nabalschnnr  band  und  sie  dann  mit  seinen  Z&hnen  abbiss.  Zum 
Anderen,  so  drfickte  er  mit  dem  Daumen,  da  er  stets  Habammandienste  vertrat,  seinem  Sohne 
die  Nase  ein,  welches  bei  allen  Kindern  geschieht.  Nach  diesem  mahlete  er  es  mit  rother 
und  schwarzer  Farbe  und  legte  es,  ohne  es  einzuwindeln,  in  ein  kleines  baumwollenes  Bett.' 

Von  den  Karay a-Indianern  am  Rio  Äraguya  in  Brasilien  sagt 
Ehrenreich: 

,Daa  Weib  kniet  dabei  auf  den  Hacken,  mit  den  Händen  einen  Pfosten  umfassend, 
während  der  Mann  sie  von  hinten  mit  starkem  Druck  um  den  Leib  packt.' 

Bei  den  nordamerikanischen  Indianerstämmen  ist  ebenfalls  bisweilen 
nur  der  Ehemann  um  seine  Frau  beschäftigt;  beispielsweise  führte,  wie  Schoolcraft 
erzählt,  ein  Ghippeway  an  seiner  Frau  den  Kaiserschnitt  aus. 

Nach  Bosenberg  hilft  in  Mangonus  auf  Neu-Seeland  der  Ehegatte  der 
gebärenden  Frau,  nur  im  NothfaU  vertritt  ihn  irgend  ein  Weib  aus  dem  Stanmie. 
unter  den  Marquesas-Insulanern  auf  Nukahiva  besorgt  der  Mann  das  Durch- 
schneiden des  Nabelstranges  mittelst  eines  scharfen  Steines,  (v.  Langsdorff.)  Auch 
die  Weiber  der  Gorngay  und  Tungu  auf  den  zu  der  Aaru-Gruppe  gehörigen 
Inseln  Kola  und  Kobroor  wurden  bei  der  Niederkunft  von  ihren  Ehegatten 
unterstützt.  Ebenso  kommt  es  bei  den  Lappländern  vor,  dass  der  Mann  die 
Hebammendienste  verrichtet;  denn  Lermius^  welcher  Priester  bei  ihnen  war,  be- 
richtet: „Munere  obstetricis  ipse  maritus  haud  raro  defungitur.^ 


78  ^I*  1^10  Helfer  bei  der  Geburtsarbeii. 

Von  den  Frauen  auf  den  Antillen  in  Mittel-Amerika  berichtet  lAgofiy. 
dass,  wenn  die  Frau  das  Nahen  ihrer  Niederknnft  f&hlt  und  sich  auf  ihr  Bett  legt^ 
der  Mann  sein  Bett  in  einen  anderen  Baum  trägt  und  einen  Nachbar  herbeiruft, 
der  seiner  Frau  ein  wenig  helfen  soll  (nach  TJ^vser). 

Als  eine  Hülfe  bei  der  Geburt  von  Seiten  des  Ehegatten,  wenn  auch  in  sehr 
geringer  Weise,  kann  man  es  betrachten,  wenn  dieser  der  Frau  eine  besondere 
Gfebärhütte  errichtet  oder  ihr  am  Dachbalken  über  ihrer  Lagerstatte  ein  Tau  be- 
festigt, das  sie  während  der  Entbindung  erfassen  kann,  um  besser  die  Pressbe- 
wegungen des  Unterleibes  ausüben  zu  können. 


262.  PrimltiTe  Hebammen. 

Die  Niederkunft  ist  aber  bei  vielen  Yölkem  so  recht  eine  ausschliessliche, 
vor  profanen  Männerblicken  zu  verbergende  Angelegenheit  des  weiblichen  Ge- 
schlechts, dass  es  uns  nicht  Wunder  nehmen  kann,  dass  wir,  wenn  überhaupt 
der  Kreissenden  Hülfe  geleistet  wird,  diese  gewöhnlich  von  weiblicher  Hand  dar- 
geboten sehen.  Meist  sind  es  eine  oder  einige  Freundinnen,  welche  der  Ge- 
bärenden zur  Seite  stehen,  und  als  allgemein  menschlich  müssen  wir  es  betrachten,, 
dass  diese  in  der  Regel  in  etwas  reiferem  Alter  sein  müssen,  unstreitig  deshalb,, 
weil  man  ihnen  so  eine  grössere  Lebenserfahrung  zutrauen  kann.  Hierf&r  haben 
wir  früher  bereits  eine  Reihe  von  Beispielen  kennen  gelernt. 

Auf  einigen  der  kleinen  Inseln  im  malayischen  Archipel  (Aaru -Inseln, 
Leti,  Moa  und  Lakor)  erheischt  die  Sitte,  dass  diese  helfenden  Frauen  ältere 
Anverwandte  der  Familie  sind,  welche  auf  die  Bitten  der  Schwangeren  oder  von 
deren  Ehemann  schon  während  der  Gravidität  f&r  diese  kritische  Stunde  ihre  Hülfa 
zugesagt  haben.  Bisweilen  muss  auch  die  Mutter  die  Hebammendienste  verrichten, 
wie  bei  den  Ewe-Negerinnen  in  West- Afrika,  femer  auf  den  Schiffer- 
Inseln  und  in  Ost-Turkestan.  Auch  bei  einigen  Malayen  herrscht  die 
gleiche  Sitte. 

Der  Maori-Frau  in  Neu-Seeland  steht  bei  der  Geburt  des  ersten  Kindes 
die  Grossmutter  von  mütterlicher  Seite,  oder  wenn  diese  verhindert  ist,  diejenige 
von  väterlicher  Seite  bei,  und  auf  den  Tanembar-  und  Timoriao -Inseln,  so- 
wie bei  der  Pulayer-Kaste  in  Malabar  muss  die  Schwiegermutter  die 
Kreissende  entbinden. 

Einen  neuen  Fortschritt  auf  unserem  Gebiete  haben  wir  zu  verzeichnen,, 
wenn  wir  als  Helferinnen  bei  der  Niederkunft  nicht  einfach  Freundinnen  oder 
weibliche  Verwandte,  sondern  erfahrene  Frauen  angegeben  finden.  So  sind  bei 
der  Entbindung  der  Dayak-Weiber  auf  Borneo  »erfahrene  Frauen*  des  Dorfes 
behülflich,  welche  f&r  diesen  Beistand  Geschenke  erhalten,  {v,  Kiessd)  In  Madras 
in  Indien  sind  nach  dem  Berichte  von  Beierlein  Hebammen  nicht  vorhanden. 
Auch  die  Aleutinnen  im  'russischen  Amerika  behelfen  sich  bei  der  Nieder- 
kunft mit  „weisen  Frauen^^  aus  ihrer  Mitte,  und  schwere  Geburten  fallen  oft  un- 
glücklich aus.    (Ritter.) 

Bei  den  Kabilen  helfen  bei  der  Geburt  erfahrene  Frauen,  deren  Hülfe  man 
schon  vorher  erbeten  hat;  Hebammen  von  Beruf  giebt  es  dort  nicht.  (Ledere.) 
Auch  bei  den  Sudanesen  stehen  nach  Brehm's  mündlichen  Mittheilungen  eben« 
falls  «erfahrene^  Frauen  bei,  und  das  Gleiche  gilt  nach  Mayeux  von  den  Be- 
duinen in  Arabien. 

In  Abyssinien  giebt  es  keine  Hebammen;  jede  alte  Frau  wird  für  eine 
Sachverständige  in  diesem  Handwerke  gehalten,  doch  brüsten  sich  manche  der- 
selben mit  dem  Titel  Hebamme.  (Blanc.)  Auch  nach  Beinisch  wird  dort  die 
Gebärende  „von  alten,  kundigen^  Weibern  unterstützt. 

In  Massau  a  helfen  die  Nachbarfrauen  den  Kreissenden. 


263.  Die  ersten  Anfänge  einer  gewerbsmässigen  Gebnrtshülfe.  79 

In  Guatemala  kommen  nach  BemouUi  sehr  häufig  chronische  Krankheiten 
der  TJnterleibsorgane  nach  den  Entbindungen  Yor.  Er  sucht  den  Grund  hierfür 
in  dem  Umstände,  dass  es  dort  an  geschulten  Hebammen  fehlt  und  jedes  be- 
schäftigungslose alte  Weib  diese  Fum^tionen  zu  übernehmen  pflegt. 

Wie  wenig  vortheilhaft  die  wohlgemeinte  Hülfe  solcher  sogenannten  ep- 
fahrenen  Frauen  für  die  arme  Gebärende  sein  kann,  erfahren  wir  unter  Anderem 
durch  MofUano  über  die  Eingeborenen  der  Philippinen.     Er  sagt: 

,Bien  qne  rimpröyoyance  des  indig^nes  s'oppose  certainement  aux  pratiqnes  qni,  dans 
d'autres  pays,  limitent  la  f^ondit^,  les  familles  sont  gän^ralement  peu  nombreuses.  Les 
d^placements  de  rnt^ms  et  les  m^trites  chroniques,  consequences  de  pratiqnee  violentes  qui 
sont  employ^es  par  les  matrones  du  pajs  pour  peu  qua  raccouchement  soit  laborieuz,  et 
aussi  du  peu  de  repos  que  prennent  les  nouvelles  accouchöes  rendent  celles-ci  steriles  de 
bonne  heure." 

268.  Die  ersten  Anfftnge  einer  gewerbsmässigen  Geburtshftlfe. 

Bei  einigen  Yolksstänmien  finden  wir  aber  auch  schon  die  ersten  Anfange 
eines  geregelten  Hebammeuwesens.  Wir  müssen  dieses  bereits  anerkennen,  wenn 
wir  für  diejenigen  erfahrenen  Weiber,  welche  den  Frauen  in  Eindesnöthen  zur 
Seite  stehen,  einen  besonderen  Namen  vorfinden,  der  diese  ihre  Talente  und 
Fähigkeiten  zum  Ausdruck  bringt.  Solche  besondere  Titulaturen  treffen  wir  auf 
der  £isel  Serang  (Ahinatukaan),  auf  den  Tanembar-  und  Timorlao-Inseln 
(Wata  sitong),  auf  den  Viti-Inseln  (Alewa  vuku)  und  bei  den  Basutho 
(Babele  Xisi);  wir  lernen  später  noch  mehrere  kennen.  Auf  den  Philippinen 
gelangen  manche  Frauen  zu  dem  Rufe  einer  Mabutin  gilot  (guten  Hebamme), 
besonders  wenn  sie  in  der  Praxis  alt  geworden  sind;  man  wendet  sich  in  der 
frühesten  Periode  der  Schwangerschaft  an  ihren  Bath,  allerdings  nur  zur  Be- 
stimmung des  Geschlechts  des  ICindes.  In  geburtshülf  lieber  Beziehung  werden  sie 
uns  als  noch  sehr  unwissend  geschildert. 

Aus  solchen  Stadien  konnte  sich  dann  allmählich  eine  gewerbsmässige  Ge- 
bnrtshülfe herausbilden.  Theils  wird  die  Mutter  ibr  Können  und  Wissen  plan- 
massig  der  Tochter  beigebracht  haben,  theils  haben  aber  auch  wohl  die  älteren 
und  geübteren  Hebammen,  wenn  ihre  Verpflichtungen  sich  ausbreiteten,  jüngere 
Gehülfinnen  nöthig,  welche  von  ihnen  ausgebildet  werden,  die  dann  später  aber 
selbständig  prakticiren  werden. 

Oder  es  kommt  wohl  auch  vor,  dass  die  Person,  welche  die  Gebnrtshülfe 
ausübt,  ihr  Verfahren  gelegentlich  einer  anderen  erfahreneren  Geburtshelferin  Yon 
Profession  abgesehen  und  abgelauscht  hat.  Auch  im  letzteren  Falle  pflanzen  sich 
von  Hebamme  zu  Hebamme,  wenn  auch  nicht  durch  systematischen  Unterricht, 
so  docb  durch  eine  oft  langdauemde  Tradition,  die  geburtshülflichen  Gebräuche 
ziemlich  unverändert  Jahrhunderte  lang  hinter  einander  fort. 

Die  Hülfe,  welche  die  gebärenden  Frauen  der  Stämme  in  der  Wüste 
Algeriens  von  den  Hebammen  erbalten,  beschränkt  sich  darauf,  dass  die 
Hebamme  das  Kind  packt,  wenn  es  halbwegs  dem  Mutterleibe  entrückt  ist;  mit 
beiden  Händen  halt,  oder  drückt  sie  es  dann  wohl  eine  Viertelstunde  in  der  be- 
sagten Stellung  fest:  das  arme  Weib  erhalt  so  einen  Zuwachs  Ton  Qualen,  welche 
die  Natur  ihr  nicht  bestimmt  hatte,  sondern  den  ein  barbarisches  Vorurtheil 
dieser  Wüsten-Araber  ihr  auferlegt,  v.  MaÜean^  welcher  einem  solchen  Vor- 
gange beiwohnte,  meint,  dass  die  Absicht  dieses  Gebrauchs  entweder  eine  falsch- 
▼erstandene  hygienische  Maassregel  sei,  oder  dass  er  eine  mystische  Bedeutung 
habe,  indem  der  Mensch  an  der  Schwelle  seines  Daseins  noch  zwischen  Geboren- 
sein und  Nichtgeborensein  gehalten  werde. 

Nach  Bertherand  aber  sollen  die  Hebammen  in  Algerien  sich  sogar  auf 
die  Wendung  des  Kindes  einlassen. 


80  XLI.  Die  Helfer  bei  der  Gebnrtsarbeit. 

In  Marokko  liegt,  wie  Quedenfeldt  berichtet,  die  Geburtshülfe  ansschliess- 
lich  in  den  Händen  von  Hebammen  (käbla  oder  gäbla)  und  wird  in  der  primi- 
tivsten Weise  ausgeübt.  Zuweilen  wird  eine  Hebamme  auch  mit  dem  Ausdrucke 
t^blba  bezeichnet,  obschon  dies  nicht  ganz  correct  ist.  Teblba  bedeutet  Aerztin, 
weiblicher  Arzt,  und  es  giebt  im  Lande  genug  alte  Weiber,  welche  nicht  nur  bei 
specifischen  Frauenkrankheiten,  sondern  in  allen  Krankheitsfällen  ihren  Geschlechts- 
genossinnen, denen  kein  fremder  Mann  nahen  darf,  quacksalberische  Hülfe  leisten. 
Uteruskrankheiten,  welche  sich  von  einer  Entbindung  herschreiben,  sind  daher 
häufig,  namentlich  chronische  Entzündungen  und  Knickungen  der  Gebärmutter. 

Die  Hebammen  in  Aegypten  sind  meist  sehr  unwissende  Weiber,  für  deren 
'Ausbildung  bis  in  die  neuere  Zeit  wenig  oder  gar  nichts  gethan  wurde.  Die 
Manipulationen  derselben,  das  Drücken  und  Kneten  des  Bauches  der  Kreissenden, 
das  Anlegen  der  Finger  beim  Extrahiren  sollen  auf  höchst  rohe  Art  ausgeführt 
werden.  Gegenwärtig  freilich  bemüht  man  sich,  diese  Hebammen  durch  euro- 
päische, ordentlich  geschulte  unterrichten  und  mit  den  Anforderungen  eines 
kunstgerechten  Dienstes  vertraut  machen  zu  lassen.  {Hartmann)  Noch  bis  vor 
Kurzem,  vielleicht  noch  heute,  bringt  die  Hebamme  nach  Lane^s  Bericht  jedesmal 
ihren  Geburtsstuhl  mit.  Bei  schwierigen  Geburten  verlangen  die  Aegypte- 
rinnen  häufig  eine  Kunsthülfe,  die  ihnen  von  Weibern,  niemals  von  Männern,  in 
der  rohesten  Weise  gewährt  wird;  sie  erliegen  auch  manchmal  während  des 
Actes.     (Hartmann.) 

Bei  der  Besprechung  der  erst  in  den  dreissiger  Jahren  unseres  Jahrhunderts 
gegründeten  Hebammenschule  zu  Abu-Zabel  sagt  Clot-Bey: 

,Hier  werden  hundert  M&dchen  und  Frauen  zu  Hebammen  gebildet,  um  die  Unwissen- 
heit und  den  Aberglauben  der  gegenwärtigen  Hebammen  zu  ersetzen.  Letztere  liessen  nach 
vergeblicher  Anwendung  der  Beschwörungen  und  der  lächerlichsten  und  gefährlichsten  Mittel 
ein  Eänd  zwischen  den  Füssen  der  Ereissenden  hüpfen,  um  den  Fötus  zur  Nachahmung  zu 
reizen.  Die  Geheimmittel  dieser  Matronen  gegen  Unfruchtbarkeit  und  gegen  Schwangerschaft 
werden  auf  gewissenlose  und  leider  wirksame  Weise  gebraucht;  die  Schwangere  glaubt,  weder 
Gott  noch  der  Gesellschaft  f&r  ihre  Frucht  verant wortlich  zu  sein.'' 

Obgleich  in  Massaua,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  sehr  oft  die  Nach- 
barinnen der  Gebärenden  beistehen,  so  finden  sich,  wie  Brehm  an  Ploss  be- 
richtete, doch  ausserdem  auch  noch  eigentliche  Hebammen.  Sie  pflegen  das 
Kind  am  Kopfe  hervorzuziehen,  aber  sie  sollen  sogar  im  Stande  sein,  eine  falsche 
Lage  des  Kindes  zu  erkennen  und  dieselbe  durch  eine  Umdrehung  der  Frucht 
zu  verbessern. 

Bei  den  Suaheli  giebt  es  nsLch  Kersten^s  mündlichen  Berichten  Hebammen, 
deren  Lohn  in  1 — IY2  Thalem  und  in  den  Kleidern  der  Schwangeren  besteht; 
sie  beschränken  sich  auf  Kneten  des  Leibes,  Abnabeln  des  Kindes  u.  s.  w.,  be- 
treiben jedoch  ihre  Sache  geschäftsmässig. 

Bei  den  Bombe  fand  Buchta  ebenfalls  Hebammen  von  Beruf,  und  das 
Gleiche  berichtet  Hewan  von  den  Negern  in  Old-Galabar. 

Unter  den  Basutho  helfen  nach  Angabe  des  Missionär  Grütener  alte  weise 
Frauen,  welche  Babele  Xisi  genannt  werden,  der  Gebärenden  und  dem  Kinde. 
Auch  schon  der  alte  Kolb  erwähnt  die  Hebammen  bei  den  Hottentotten. 

Auch  die  nordamerikanischen  Indianer  haben  nach  Engdmann  theil- 
weise  ihre  besonderen  Hebammen,  so  die  Klamath,  die  Mandan-Indianer,  die 
Gros-Yentres,  die  Nez-Perces,  die  Bees,  die  Glatsops,  die  Fueblos,  die 
Navajos  in  Arizona  und  die  Indianer  der  Quapaw-Agency  in  Mexiko. 

Die  Hülfe  dieser  Hebammen  beschränkt  sich  fast  gänzlich  auf  äussere  Mani- 
pulationen, verbunden  mit  Compression  des  Unterleibes  zur  Auspressung  des 
Kindes ;  dazu  kommen  Incantationen  und  Beschwörungen  durch  den  Medicinmann. 
Nur  wenige  von  diesen  primitiven  Völkern  sind  es,  d.  h.  die  Umpquas,  die 
Fueblos,  die  Eingeborenen  Mexikos  und  der  Facific- Küste,   welche  immer 


268.  Die  ersten  Anfänge  einer  gewerbsmässigen  Gebnrtshülfe.  81 

auch  Manipulationen  innerhalb  der  Scheide  Yomehmen.  Die  EinftLhrung  der  Hand 
in  die  Vagina  oder  in  den  Uterus  ist  den  übrigen  Stämmen  etwas  iJnbekanntes. 
Die  Ausdehiiung  des  Ferinaeum  oder  die  Beseitigung  der  Placenta  von  der  Scheide 
aus  kommen  kaum  je  vor;  die  Nachgeburt  muss,  wenn  Betention  eintritt,  in  dem 
Uterus  zurückbleiben.  Die  Hebamme,  oder  die  älteste  helfende  Frau  beschränkt 
sich  gewohnheitsgemäss  auf  das  Empfangen  des  Kindes.  Jüngere  Weiber  stützen 
den  Kopf,  die  Schultern,  das  Becken  oder  die  Beine  der  Gebärenden;  auch  com- 
primiren  sie  den  Unterleib  derselben,  um  das  Austreten  des  Kindes  zu  befördern. 
Die  Hebammen  in  Mexiko  bearbeiten  bereits  im  siebenten  Monate  der 
Schwangerschaft  den  Bauch  und  den  Rücken  der  Schwangeren  oft  eine  halbe 
Stunde  lang  mit  ihren  Fäusten,  so  dass  das  arme  Weib  sich  oft  unter  den 
Schmerzen  windet. 

Dieser  Bericht  des  Dr.  v.  Uslar^  welchen  v.  Siebold  in  seiner  Geschichte 
der  Geburtshülfe  zuerst  veröfifentlichte,  wurde  Pinoff  durch  eine  deutsche  Frau 
bestätigt,  die  in  Mexiko  gelebt  hat  und  dort  in  ihrem  7.  Schwangerschaftsmonat 
von  einer  Hebamme  das  Anerbieten  erhielt,  sich  nach  der  herrschenden  Sitte  be- 
handeln zu  lassen.  Nur  vornehme  Frauen  und  die  Ausländerinnen  folgen  nicht 
diesem  allgemeinen  Gebrauche.  Das  häufige  Vorkommen  von  Abortus  wird  diesem 
Verfahren  zugeschrieben,  welches  dem  Kinde  eine  gute  Lage  geben  solL  Kommt 
bei  der  Entbindung  eine  Schieflage  vor,  so  fassen  die  Hebammen  die  Gebärende 
bei  den  Beinen  und  schütteln  sie,  damit  das  Kind  eine  Kopflage  einnehmen  soll. 

Wir  haben  noch  die  Verhältnisse  in  Asien  zu  betrachten,  und  hier  erkennen 
wir  sogleich,  wie  sehr  es  die  im  Volke  herrschende  Lebensweise  ist,  welche  auch 
die  Praxis  der  Geburtshülfe  beeinflusst;  denn  bei  einigen  Völkern,  die  zumTheil 
nomadisiren,  zum  anderen  Theil  feste  Sitze  einnehmen,  differiren  diese  beiden  Ab- 
theilungen hinsichtlich  des  Hebammenwesens  ganz  erheblich.  So  giebt  es  bei  den 
Steppen-Tungusen  Hebammen,  wogegen  die  Weiber  der  Wald-Tungusen 
einander  gegenseitig  beistehen  und  der  Hebammen  nicht  bedürfen.  {Geargi.) 
Freilich  kommen  bei  solchen  Hülfeleistungen  noch  recht  bedenkliche  Eingriffe  vor. 
Auch  bei  der  Niederkunft  der  Burätin  ist  eine  Hebamme  gegenwärtig,  deren 
ganze  Hülfeleistung  aber  in  der  Unterbindung  der  Nabelschnur  besteht.     (Kaschin.) 

Die  Aino  in  Japan  nehmen  bei  der  Geburt  meistentheils  die  Hülfe  einer 
Hebamme  (Ikawo  bushi)  in  Anspruch,  (v.  Siebold.)  Dies  ist  in  der  Regel  ein 
älteres  Weib,  welches  mehrere  Male  geboren,  aber  keinen  Unterricht  genossen 
hat,  noch  auch  besondere  Geschicklichkeit  besitzt.  Von  Zeit  zu  Zeit  suchen  auch 
andere  Weiber  die  Hütte  der  Gebärenden  auf,  ohne  sich  aber  helfend  einzumengen. 

Ueber  die  Verhältnisse  bei  den  Japanern  und  in  China  werde  ich  an 
einer  späteren  Stelle  sprechen. 

Wenn  in  Slam  eine  Frau  von  Wehen  befallen  wird,  so  lässt  sie  die  Ge- 
burtsfrau holen  und  mehrere  ihr  bekannte  Weiber;  diese  unterstützen  die  Kreissende 
auf  mannigfache  Weise.  (Hutchinson,)  Nach  Schoniburgk  sind  in  den  grossen 
Städten  die  Hebanmien  schon  so  weit  civilisirt,  dass  sie  in  schweren  FäUen,  deren 
sie  nicht  Meister  werden  können,  bereits  europäische  Aerzte  zur  Hülfe 
herbeirufen. 

Den  Weibern  der  Orang  Belendas  in  Malacca  steht  bei  der  Niederkunft 
die  Hebamme  und  eine  Gehülfin,  oder  an  Stelle  der  letzteren  der  Ehemann  bei. 
(Bartels'^.) 

Auch  in  Laos  existiren  nach  Aymonier  wirkliche  Hebanamen  von  Beruf, 
welche  man  bereits  bei  dem  ersten  Auftreten  der  Geburtswehen  konmien  lässt 

Die  Hebammen  bei  den  Annamiten  in  Gochinchina  schildert  Mondiere 
als  äusserst  hässliche  Weiber:  alt,  mager,  mit  grauem  oder  weissem  Haar,  das  oft 
*rasirt  ist;  sie  gleichen  den  Hexen  aus  MacbefhS  Gewöhnlich  besuchen  sie  die 
Schwangere  schon  einen  Monat  vor  der  zu  erwartenden  Niederkunft  alle  zwei 
bis  drei  Tage,  zuletzt  auch  täglich,  um  ihr  irgend  welche  Nahrungsmittel  zu  ver- 

PloBB-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  6 


g2  XLI.  Die  Helfer  bei  der  Gebortsarbeit. 

ordnen,  hauptsächlich  Aufgüsse  von  Blättern  der  Carica  Papaya  und  einer  Art 
Mentha.  Allein  sie  berühren  und  untersuchen  die  Frau  nicht,  höchstens  palpiren 
sie  den  Unterleib,  falls  die  Schwangere  über  ein  besonderes  Leiden  klagt,  das 
nach  ihrer  Meinung  die  Entbindung  erschweren  könnte.  Erstgebärende  werden 
unter  solchen  Umständen  von  Angst  und  Furcht  erfüllt;  Mondiere  sah  zwei  der- 
selben während  der  Niederkunft  ohne  Blutung  oder  Eklampsie  sterben. 

Auf  Nias  giebt  es  nach  Modigliani  bestimmte  Weiber,  welche  Hebammen- 
dienste verrichten.  Ebenso  haben  nach  Jacobs  die  Einwohner  von  Bali,  nach 
Riedel  die  Sulanesen  ihre  besonderen  Hebammen.  Die  Letzteren  werden  aber 
nur  zu  Erstgebärenden  gerufen. 

In  den  bekannteren  Theilen  von  Niederländisch-Indien  wird  die  Heb- 
amme mit  dem  auch  für  den  BegrifP  «Arzt*"  gebräuchlichen  Namen  Doekoen 
(gesprochen  Dukun)  bezeichnet;  jedoch  wird  hier  in  schweren  Fällen  nicht  selten 
auch  von  den  Eingeborenen  die  Hülfe  europäischer  Hebammen  requirirt. 

Bei  den  Mohamedanern  in  Bagdad  ist  der  Einfluss,  welchen  die  Heb- 
ammen in  den  Familien  besitzen,  ein  ausserordentlich  grosser;  auch  werden  ihre 
HüKsleistungen  im  Ganzen  recht  erheblich  bezahlt.  Von  Wohlhabenden  erhalten 
sie  meist  ein  Honorar  von  50 — 100  Gulden;  sie  begnügen  sich  aber  damit  keines- 
wegs, sondern  sie  erheben  jedesmal  einen  Tribut,  wenn  das  Kind  zu  zahnen,  zu 
gehen  und  zu  sprechen  anfängt.  In  den  Krankheiten,  denen  es  unterworfen  ist, 
werden  nur  sie  consultirt,  und  sie  verordnen  gewöhnlich  ein  aus  bitteren  und  ad- 
stringirenden  Ingredienzien  zusammengesetztes  Universalpulver.  Ihr  Gewerbe  ist, 
wenn  sie  Ruf  haben,  ein  sehr  einträgliches,  so  dass  sie  bald  ein  Vermögen  sammeln. 

Bei  den  Tscherkessen  beschränkt  sich  die  Hebamme  in  ihrer  Dienst- 
leistung darauf,  der  in  knieender  Stellung  Gebärenden  durch  Streichen  des  Leibes 
die  Entbindung  zu  befördern.  (Stücker.)  Aehnlich  ist  das  Verfahren  bei  den 
Kalmücken,  bei  den  Georgiern  und  bei  den  Armeniern.  (Krehel.)  Die 
Karagassen  haben  gleichfalls  besondere  Hebammen,  und  von  den  Baschkiren 
heisst  es: 

„Ce  8ont  toujoars  de  vieilles  Fe  mm  es,  qui  assistent  auz  accoochements ;  elles  ne 
possMent  naturellement  qne  de  connaissances  pratiques.  üne  femme  enceinte  pröf^re  moarir 
en  couches  plutöt  que  de  recourir  d.  un  m^decin,  lors-m&me  que  celai-ci  lui  donnerait  gratui- 
tement  ses  soins." 

Die  Hebammen  in  Persien  sind  nach  Häntzsche  gewöhnlich  ohne  jede 
eigentliche  Vorbildung.  Meist  ist  es  eine  alte  Frau,  gewöhnlich  eine  Wittwe, 
welche  ihr  Geschäft  als  yMämä**  d.  h.  als  Hebamme  eröffiiet.  Bisweilen  sind 
sogar  drei  solche  Hebammen  zugleich  anwesend. 

In  Palästina  zu  Jaffa  findet  man  nach  TobUr  Hebammen,  die  nur  dadurch 
Unterricht  erhalten  haben,  dass  durch  Tradition  eine  Mutter  ihrer  Tochter  einige 
Lehren  beibringt.  Jedoch  behauptet  der  Missionar  Robson  von  den  Hebammen 
in  Damascus,  dass  eine  solche  Vererbung  der  Kenntnisse  wohl  niemals  bei  ihnen 
vorkommt  und  dass  sie  ungeheuer  unwissend  sind. 

Günstigeres  wird  von  den  Hebammen  der  Eingeborenen  auf  den  Carolinen- 
Inseln  im  Stillen  Ocean  berichtet;  sie  werden  als  geschickt  bezeichnet,  und  es 
sollen  dort  nur  wenig  unglückliche  Fälle  durch  ungeschickte  Geburtshülfe  vor- 
kommen. Die  pflegenden  Frauen  erheben  während  der  Wehen  ein  Geschrei  oder 
einen  Gesang,  damit  der  Gatte  die  Klagelaute  seiner  Frau  nicht  höre. 

Auch  auf  den  Neu-Hebriden  existiren  besondere  Hebammen. 

Von  den  Viti-Inseln  berichtet  Blyth:  Die  Fiji-Insulaner  haben  seit 
alter  Zeit  einheimische  Hebammen,  welche  alewa  vuku,  , weise  Frau"  genannt 
werden.  Sie  halten  ihre  Kunst  geheim  und  umgeben  sie  mit  mystischen  Ge- 
bräuchen ;  nur  kurze  Zeit,  bevof  sie  sich  von  ihrem  Berufe  zurückzuziehen  gedenken, 
unterrichten  sie  eine  Nachfolgerin  in  ihrer  Kunst.  In  entlegenen  Gegenden  leisten 
sie  auch  den  europäischen  Frauen  Hülfe. 


264.  Degenerirte  Geburtehülfe. 


83 


.264.  Degenerirte  Oebiirtsliülfe. 

Es  ist  in  hohem  Qrade  wahrscheinlich,  dass  bei  vielen  Völkern,  wo  wir  eine 
derartige  geburtshülf  liehe  Praxis  jetzt  vorfinden,  diese  aus  einer  Epoche  herstammt, 
in  welcher  bei  dem  betreffenden  Volke  zugleich  mit  einer  höheren  Gultur  auch 
eine  bessere  Geburtshülfe  heimisch  war,  dass  aber  mit  dem  Verfalle  der  ersteren 
allmählich  auch  die  Geburtshülfe  verfiel.  Dann  werden  sich  mehr  oder  weniger 
deutliche  Merkmale  des  früher  ausgebildeteren  Zustandes  der  Geburtshülfe  in  dem 
Verhalten  der  Hebammen  wiedererkennen  lassen.  Darauf  deuten  nach  Epp  die 
geburtshülf  liehen  Verhältnisse  bei  den  Völkern  des  ostindischen  Archipels, 
wo  die  geburtshülflichen  Kenntnisse  der  Javanen,  Malayen  und  der  ihnen  ver- 
wandten Stämme  von  der  Zeit  datiren,  da  die  Inder  über  jene  Stämme  herrschten; 
weder  mohamedanische  noch  christliche  Einflüsse  vermochten  verändernd  einzu- 
wirken. Die  eingeborenen  Hebammen  wenden  von  Alters  her  die  verschiedensten 
Verfahrungsweisen  an,  deren  Richtigkeit  von  der  abendländischen  Kunst  erst  all- 
mählich anerkannt  wurde;  in  der  Hauptsache  aber  sind  sie  voll  von  Aberglauben 
und  üben  allerhand  Gebräuche,  welche  nicht  zum  Wesen  der  Geburtshülfe  gehören 
und  zum  Theil  sogar  schädlich  sind.     Epp  sagt: 

„Die  Ergebnisse  der  schändlichen  Behandlung  Gebärender  in  Ostindien  zeigen  sich 
zunächst  darin,  dass  so  viele  Kinder  scheintodt  znr  Welt  kommen  und  manche  Frauen  nur 
zu  frühe  den  Tod  finden." 

Während  nach  dem  Berichte  des  Missionär  Beierlein  in  Madras  das  Volk 
keine  besonderen  Hebammen  hat,  giebt  es  in  Hyderabad  mid  Delhi  Weiber, 
welche  als  Hebammen  bezeichnet  werden.  Diese  gehören,  wie  Smith  aus  Hydera- 
bad berichtet,  gewöhnlich  dem  Telegu- Stamme  an;  ihre  Unwissenheit  ist  ausser- 
ordentlich gross,  und  das  Resultat  dieser  Ignoranz  ist  eine  ungeheure  Sterblichkeit 
unter  den  Gebärenden ;  auch  Eoberton  u.  A.  erzählen  von  der  colossalen  Mortalität 
unter  den  Wöchnerinnen  bei  den  Hindus.  Glaubt  die  ostindische  Hebamme 
chirurgische  Hülfe  nothwendig  zu  haben,  so  schickt  sie,  wie  Smith  sagt,  nach  einer 
ßarbiersfrau,  welche  die  Extraction  und  Embryotomie  verrichtet;  beide  Arten  von 
Weibern  üben  auch  die  Abtreibung  aus ;  und  die  Hebammen  peinigen  die  Wöch- 
nerin in  der  Wochenbettshütte  durch  Hitze,  Rauch,  Durst  und  reizende  Arzneien 
(Pfeffer,  Ingwer  u.  s.  w.).  Aerztliche  Hülfe  wird 
von  den  Hindus  nach  Roherton  nur  im  höchsten 
Nothfalle  in  Anspruch  genommen.  Die  Thätigkeit 
der  Hebamme  in  Sikhim  und  ihrer  Gehülfunnen 
zeigt  uns  ein  Theil  eines  grossen  Teropelbildes, 
welches  als  das  Lebensrad  bezeichnet  ist.  Fig. 
269  giebt  diese  Darstellung  wieder. 

In  Süd-Indien  fand  Shortt^  dass  man  auch 
dort  zum  Beistand  für  die  Gebärende  nach  einer 
Hebamme  schickt;  diese  Frau  hilft  der  Gebärenden 
durch  Einreibungen  mit  Oel  und  durch  Waschungen,  pig,  269.    Hebammen  und  ihre  Gehüi- 

Als  Belohnung  für  ihre  Bemühungen  erhält  sie  hier    finnen,     eine    Niederkommende    unter- 

jeden   Morgen    bis    zum    zwölften   Tage  Oel  und  '^^^'^'^^aus^s^thfrcTnÄ^ 
Betelnüsse,    und   ausserdem  zwei  Pfund   Reis  und 

andere  Speisen,  alte  Kleider  und  eine  Rupie.  Die  Hebamme  übernimmt  also  hier 
auch  die  Abwartung  im  Wochenbett  und  bekommt  dafür  regelmässig  Speisung 
und  Lohn. 

Als  ein  Beispiel,  wie  sich  aus  früherer  Zeit  bei  einem  Volke,  das  sich  von 
der  heimischen  Cultur  losgelöst  hat,  die  altheimische  Volksgeburtshülfe  noch  tra- 
ditionell fortsetzt,  dienen  die  Boers  in  Süd-Afrika,  welche  bekanntermaassen 
von  holländischer  Abkunft  sind,  üeber  das  Hebammen- Wesen  in  den  nordöst- 
lichen Districten  des  Caplandes  giebt  Holländer  Auskunft: 


84  XLI.  Die  Helfer  bei  der  Gebiirtsarbeit. 

I 
.Die  Hebamme  in  den  Ortschaften  der  Boers  ist  die  älteste  Einwohnerin  der  Um- 
gegend. Sie  kennt  die  ganze  Geschichte  der  Gegend  von  Beginn  an  und  kennt  alle  reich 
gewordenen  Eauflente  und  viele  Frauen  aus  langyerschwundener  Zeit.  Aber  sie  ist  unter 
Arbeit,  Umsicht  und  Verschwiegenheit  alt  geworden.  Sie  hat  mehr  Frauen  entbunden,  als 
mancher  Professor  der  Geburtshftlfe  in  Europa.  Und*  hat  auch  manche  Frau  unter  ihren 
H&nden,  schneller  als  nOthig,  das  bessere  Jenseits  erreicht,  die  Todten  sind  stunmi  und  ihren 
Ruhm  und  ihre  Geschicklichkeit  kOnnen  nur  die  Lebenden  verkünden.  Ein  Arzt,  welcher 
nicht  von  ihr  protegirt  wird,  kann  nie  reussiren,  aber  glücklich  ist  jener  Doctor,  der  ihre 
Gunst  erlangt  hat.  Ihre  Kunst  ist  zwar  nicht  auf  der  Hochschule  erlernt,  aber  sie  hat  un- 
endlich viel  erfahren,  Vieles  beobachtet  und  mit  Aufmerksamkeit  sich  umgesehen.  Vielleicht 
hat  sie  sich  in  den  letzten  Jahren  ein  altes  holländisches  Hebammenbuch  vom  Jahre  1749 
mit  grossen  Buchstaben  gekauft,  das  sie  von  jetzt  an  täglich  liest,  und  weiss  auch  alle  die 
wunderthätigen  Zaubertränke  und  Heilsalben  dieses  Buches  aufs  beste  zu  verwerthen.  Ihr 
Wissen  ist  autoritativ.  Unter  allen  Frauen  des  Dorfes  gilt  sie  als  Meisterin,  und  nicht  kann 
sich  ihrem  Einfluss  die  junge,  erst  kürzlich  aus  Schottland  eingewanderte  Dame  entziehen, 
die  in  ihrem  Heimathlande  entsetzt  gewesen  wäre,  wenn  die  Sage-femme  unseres  Städtchens 
sich  ihrem  Bette  genähert  hätte.  In  der  That  haben  die  meisten  dieser  Hebammen  im  Laufe 
der  Zeit  sich  ganz  ansehnliche  Kenntnisse  erworben,  und  wenn  sie  ausserdem,  was  sehr  häufig 
der  Fall  ist,  sorgsam  und  behutsam  sind,  so  schaffen  sie  in  der  Regel  auch  viel  Gutes  und 
nützen  durch  ihre  Geduld  einer  armen  Gebärenden  oft  mehr,  als  ein  junger,  gelehrter  Doctor, 
den  sein  heisses  Blut  und  sein  Drang,  von  sich  sprechen  zu  machen  und  sich  auszuzeichnen, 
leicht  zu  Uebereilungen  hinreisst.  Nebenbei  verkauft  aber  auch  die  Hebamme  noch  ver- 
schiedene Gemüse,  Weintrauben  u.  s.  w.,  die  sie  in  ihrem  Gärtchen  zieht,  und  wird  so  zur 
wohlhabenden  Frau.** 

Auch  die  Hebammen  in  Aegypten  mögen  noch  manche  Traditionen  aus 
cultivirteren  Zeiten  besitzen.  Nach  den  oben  angeführten  Berichten  ist  aber  nicht 
viel  hiervon  zu  bemerken. 


265.  Männliclie  Geburtshelfer. 

Wir  haben  in  einem  früheren  Abschnitte  den  Ehemann  der  Kreissenden 
beistehen  sehen,  so  gut,  oder  besser  vielleicht  so  schlecht  die  Noth  des  Augen- 
blicks es  ihm  eingab.  Bei  manchen  Yolksstämmen  hat  der  Gatte  nun  nicht  die 
eigentliche  Leitung  und  Ueberwachung  des  Geburtsvorganges,  sondern  ihm  fallt 
nur  eine  unterstützende  Bolle  dabei  zu,  während  eine  Hebamme  die  Entbindung 
ausföhrt.     So  berichtet  ilfan  von  den  Mincopies  auf  den  Andamanen-Inseln: 

.Wenn  die  Entbindung  herannaht,  so  ist  es  Sitte,  dass  der  Gatte  und  eine  Freundin 
der  Frau  sie  unterstützen.  Sie  wird  in  eine  sitzende  Stellung  gebracht,  das  linke  Bein  aus- 
gestreckt, das  rechte  Knie  angezogen,  so  dass  sie  es  mit  ihren  Armen  umfangen  kann.  Der 
Gatte  stützt  ihren  Rücken  und  drückt  sie,  wenn  es  gewünscht  wird,  während  die  Freundinnen 
einen  Blätterschirm  über  den  unteren  Theil  ihres  EOrpers  halten  und  ihr  beistehen  nach 
besten  Fähigkeiten  in  der  Entbindung  und  in  der  Entfernung  der  Nachgeburt." 

Auf  den  Philippinen  Überträgt  man  diese  Function  einem  besonderen 
Manne,  welcher  entsprechend  seiner  Verrichtung  als  der  Teneador  bezeichnet 
wird.  Er  umfasst  die  Gebärende  von  hinten  her  und  hält  sie,  während  er  gleich- 
zeitig ihren  Unterleib  drückt,  besonders  den  Fundus  uteri.  Nicht  selten  liegt  hier 
aber  auch  die  Gebärende  auf  einer  Matte.  Dann  steht  der  Teneador  ihr  zu  Häupten 
und  presst  von  hier  aus  den  Muttergrund. 

Etwas  AehnUches  wird  von  den  Kalmücken  geschildert. 

Aber  wir  finden  auch  bei  manchen  Völkerschaften  Männer  als  reguläre  Ge- 
burtshelfer, so  z.B.  auf  Honolulu  auf  den  Sandwichs-Inseln.  Ebenso  haben 
FeOcin  und  Andere  bei  vielen  Neger- Völkern  (Bari,  Madi,  Moru,  Bongo, 
Unyoro),  namentlich  in  schwierigen  Fallen,  Männer  als  Geburtshelfer  angetroffen. 

Von  den  Koibalen  berichtete  Fattas: 

„Sie  sollen  auf  den  Enieen  gebären  und  sich  dabej  yon  einer  Mannsperson  unter- 
stützen lassen;* 


265.  Männliche  Geburtshelfer.  85 

und  von  den  Kalmücken  sagt  er: 

,Sie  haben  bei  der  Gebart  nicht  nur  Wehemütter,  sondern  es  giebt  auch  männliche 
Geburtshelfer,  welche  das  Kind  fangen  und  abwaschen." 

Bei  den  Soongaren,  einem  mongolischen  Yolksstamme  unter  chinesi- 
scher Botmässigkeit,  wird  von  Männern  berichtet,  welche  es  verstehen,  das  fidnd 
im  Mutterleibe  mit  Messerchen  zu  zerstückeln  (Klemm)  ^  und  die  lesghischen 
Hirten  in  den  Gebirgsthalem  Transkaukasiens  sollen  ihre  Schafe  sehr  geschickt 
entbinden  können  und  fuhren  dazu  selbst  Zangen  mit  sich;  sie  sollen  auch  als 
geschickte  Entbindungskünstler  bei  schwerer  Niederkunft  der  Frauen  zuge- 
zogen werden. 

Als  männliche  Geburtshelfer  sehen  wir  auch  bei  vielen  Volksstämmen  die 
Zauberer,  die  Priester  und  die  Medicinmänner  fungiren.  Meistens  handelt  es  sich 
hier  um  Schwergeburten  oder  um  anderweitige  Verzögerungen  des  gewöhnlichen 
Geburtsverlaufes.  Die  Hülfe,  welche  diese  Leute  den  armen  Ereissenden  zu 
bringen  versuchen,  ist  keine  Geburtshülfe  in  unserem  Sinne,  sondern  entsprechend 
ihrem  Berufe  eine  übernatürliche  und  mystische.  Ihre  Manipulationen  und  Ver- 
richtungen müssen  wir  in  einem  späteren  Abschnitte  einer  eingehenden  Betrach- 
tung unterziehen. 


XLII.  Die  Gebnrtshülfe  im  Alterthum  nnd  im  frühen 

Mittelalter. 

266.  Allgemeiner  Ueberblick  über  die  GescMcbte  der  Geburtshflife  bei 
den  enropSischen  Gnltnryolkern  nnd  deren  Yorlänfem. 

Wir  haben  bisher  einen  XJeberbKck  darüber  zu  gewinnen  gesucht,  wie  sich 
das  Hebammenwesen  bei  solchen  Völkerschaften  gestaltet  hat,  welche  auch  heutiges 
Tages  noch  auf  einer  mehr  oder  weniger  niederen  Stufe  der  Culturentwickelung 
sich  befinden.  Bei  ihnen  wird  es  uns  nicht  überraschen,  wenn  wir  sie  nicht  in 
dem  Besitze  einer  systematisch  ausgearbeiteten  Gebnrtshülfe  finden.  Aber  wir 
dürfen  nicht  zu  stolz  den  Kopf  erheben.  Denn  auch  bei  den  Gulturvölkem 
Europas  trefiPen  wir  trotz  der  gesetzlich  eingef&hrten  Ausbildung  und  der  Yon 
einer  staatlichen  Prüfung  abhängigen  Concessionirung  der  Hebammen  doch  noch 
bei  diesen  letzteren  vielfache  Missbräuche,  welche  sich  traditionell  erhalten  haben. 
Aber  glücklicherweise  kommen  derartige  Beminiscenzen  an  eine  rohere  Gultur- 
periode  im  Gegensatze  zu  den  vorher  besprochenen  Volksstämmen  doch  nicht  in 
zu  grosser  Häufigkeit  vor,  und  durch  die  immer  mehr  zunehmende  Aufklärung 
werden  diese  Uebelstände  auch  fernerhin  noch  immer  seltener  werden. 

Wir  wollen  nun  die  geschichtliche  Entwickelung  der  Hebammenkunst  kennen 
lernen,  wie  diese  sich  bei  den  heutigen  Culturvölkern  Europas  gestaltet  hat. 
Hier  können  wir  aber  nur  zu  der  gewünschten  Klarheit  kommen,  wenn  wir  zu- 
gleich auch  einen  Blick  auf  die  Hebammenpraxis  derjenigen  im  Laufe  der  Jahr- 
hunderte untergegangenen  Völkerschaften  werfen,  auf  deren  Wissen  und  Können 
die  moderne  Gultur  Europas  und  seiner  Tochterstaaten  sich  aufgebaut  hat. 
Wir  werden  dabei  auf  ganz  ähnliche  Zustände  stossen,  wie  wir  sie  in  dem  vorigen 
Kapitel  bei  den  sogenannten  Wilden  gefunden  haben.  Aber  aus  diesen  primitiven 
Verhältnissen  haben  sie  sich  glücklich  herausgearbeitet. 

Bei  einigen  alten  Völkerschaften  hat  vielleicht  eine  günstige  Einwirkung 
von  aussen  her  von  Seiten  eines  höher  cultivirten  Volkes  die  Entwickelung  des 
Hebammen  Wesens  erheblich  gefordert.  So  hat  sich  beispielsweise  die  römische 
Hebammenkunst  unter  dem  Einflüsse  der  griechischen  entwickelt,  und  auch 
später  haben  die  Araber  einen  grossen  Theil  ihres  geburtshülf liehen  Wissens  aus 
griechischen  Quellen  geschöpft.  Auf  ihren  Lehren  baute  sich  dann  wieder  die 
wissenschaftliche  Gebnrtshülfe  des  mittelalterlichen  Europa  auf. 

Von  dem  Entwickelungsgange  dieser  Kenntnisse  entwirft  Prochownich  fol- 
gende Schilderung: 

„Aus  dem  stagnirenden  Zustande  der  Gebärhülfe,  über  den  alle  uncultivirten  Völker 
und  auch  eine  Reibe  Culturvölker  nicht  hinausgekommen  sind,  tbat  eine  Reibe  sessbafter, 
böbere  Entwickelung  erstrebender  Volker  den  nächsten  Schritt  weiter.    Vermehrte  Beobachtung, 


266.  Allgem.  üeberblick  üb.  d.  Geschichte  d.  Geburtshülfe  b.  d.  europSischen  Caltaryölkem.    87 

zunächst  natürlich  immer  nur  auf  pathologische  Vorgänge  gerichtet,  führte  zu  bestimmten 
Gebräuchen,  Maassnahmen,  selbst  zu  gesetzlichen  Vorschriften,  namentlich  wo  streitige  Rechts- 
verhältnisse in  Frage  kamen  {Moses,  die  Rabbinen);  damit  war  der  üebergang  zur  Geburts- 
hülfe im  engeren  Wortsinne  gegeben.  Die  .Geburt'  stellt  sich  dabei  als  Ausdruck  von  etwas 
typisch  Beobachtetem  und  schliesslich  in  seinen  Einzelphasen  Bekanntem  dem  ,  Gebären*  als 
einfach  sinnlicher  Wahrnehmung  gegenüber.  Sich  mit  einem  physiologischen  Vorgange  näher 
bekannt  zu  machen,  über  denselben  zu  denken,  konnte  aber  a  priori  nur  Sache  Solcher  sein, 
welche  sich  überhaupt  mit  den. Zuständen,  Leiden  und  Gebrechen  des  Menschen  befassten 
(d.  h.  der  Aerzte,  resp.  Wundärzte),  und  an  diesem  Punkte  setzt  dann  die  männliche  Ein- 
mischung in  das  Fach  der  Geburtshülfe  an,  zugleich  aber  der  Kampf  ohne  Ende,  welchen 
dieser  männlich -ärztliche  Cultur-  und  Veredelungstrieb  unserer  Kunst  mit  seinen  zwei  eng 
verbündeten  Gegnern,  den  weiblichen  Helferinnen  und  der  weiblichen  Schamhaftigkeit, 
allzeit  zu  bestehen  hatte  und  noch  zu  bestehen  hat.  .  .  .  Für  unsere  Kunst  ist  die  weibliche 
Pudicitia  ein  mehr  als  tausendjähriges  Hindemiss  gewesen,  und  erst  einer  überaus  fortge- 
schrittenen Zeit  bei  einigen  hochbegabten  Völkern  ist  es  vorbehalten  geblieben,  wahre  Scham- 
haftigkeit von  falscher,  Decenz  von  Prüderie  zu  trennen,  und  selbst  unter  diesen  ist  diese 
Errungenschaft  eigentlich  nur  ein  Gut  der  wahrhaft  Gebildeten!  War  es  nun  eine  natur- 
gemässe  Consequenz,  wenn  durch  die  Schamhaftigkeit  des  menschlichen  Weibes  die  Geburts- 
hülfe lediglich  in  weibliche  Hände  gerieth,  so  war  es  wieder  eine  logische  Folge  daraus,  dass 
diese  Kunst  auch  als  eine  Domäne  des  weiblichen  Geschlechts  in  Anspruch  genommen  und 
vertheidigt  wird/ 

«Das  Alterthum  kannte  eine  Geburtshülfe  anderer  Art  als  die  weibliche  wenig.  Die 
gesammte  Handhabung  derselben  lag  (hier  ist  jetzt  nur  von  antiken  Gulturvölkem  die  Rede) 
bei  den  Hebammen,  welche  überall  aus  Gewohnheitshebammen  zu  Berufshebammen  wurden. 
Einzelne  derselben  bildeten  sich  durch  Begabung  und  Erfahrungen  zu  recht  tüchtigen  Ver- 
treterinnen ihres  Faches  aus,  und  die  gesammte  Zunft  stand  bei  den  meisten,  auf  Kindersegen 
besonders  Werth  legenden  alten  Völkern  in  hohem  Ansehen.  .  .  .  Wann  und  wie  nun  die 
Aerzte  des  Alterthums  mit  der  Geburtshülfe  in  Berührung  kamen,  lässt  sich  mehr  vermuthen 
als  beweisen.  So  recht  wahrscheinlich  wird  es  gewesen  sein,  wie  so  oft  noch  heute.  Wo 
Hebammen-Weisheit  zu  Ende  war,  sah  man  sich  nach  fernerer  Hülfe  um,  und  es  waren  natur- 
gemäss  solche  Aerzte,  welche  als  Chirurgen  in  gutem  Rufe  standen,  die  citirt  wurden.* 

Auf  zwei  Eigenthümlichkeiten  in  späteren  Culturepochen  macht  Prochotonick  aufmerk- 
sam: Einmal  war  es  die  Zeit  höchster  Machtentfaltung  griechischer  Culturblüthe,  in  welcher 
es  den  vorzüglichen  Aerzten  und  Aerzteschulen  gelang,  einen  Theil  der  Geburtshülfe  und  ein 
beträchtliches  Stück  der  Frauenheilkunde  für  sich  zu  erobern.  Zweitens  regte  auch  mit  der 
Höhe  der  Cultur,  mit  der  grösseren  Freiheit,  welche  dem  Weibe  gegeben  wird,  das  zarte 
Geschlecht  mächtig  die  Schwingen  des  Geistes.  Es  traten  Dichterinnen,  Philosophinnen  und 
ganz  zuerst  solche  Frauen  auf,  welche  trachteten,  Aerzte  zu  werden.  Und  wo  dies  angeht, 
da  nehmen  sie  in  erster  Linie  das  Gebiet  unserer  Kunst  für  sich  in  Anspruch.  Wo  aber  der 
Staat  das  Gesetz,  dass  weder  Sclaven  noch  Frauen  Aerzte  sein  durften,  nicht  aufhob,  da 
blieben  die  Frauen  zwar  formell  .Hebammen*',  aber  sie  studirten  die  Werke  der  Aerzte,  sie 
schrieben  selbst  Bücher  über  ihr  Fach.  Mit  dem  politischen  und  geistigen  Rückgange  ver- 
schwinden diese  Anläufe,  in  Rom  wiederholen  sie  sich  zur  Blüthe  des  Kaiserthums  noch  ein- 
mal, um  dann  bis  zum  Jahrhundert  der  Intelligenz,  in  dem  wir  leben,  bis  auf  geringe  Aus- 
nahmen zu  verschwinden. 

„Und  wie  die  Griechen,"  sa^gt  Prochoumickj  „so  die  Römer,  so  die  Byzantiner,  so 
noch  in  erhöhtem  Maasse  die  Araber.  Alles,  was  geburtshülf lieh  geleistet  wird,  ist  entweder 
Chirurgisches  oder  Hebammenbelehrung.  Einen  Zeitraum  von  weit  mehr  als  tausend  Jahren 
von  der  BlÜthezeit  römischer,  richtiger  romanisirter  Griechen -Cultur,  nahezu  600  Jahre 
von  der  Blüthezeit  arabischer  Medicin  müssen  wir  überschlagen,  um  in  eine  Zeit  zu  gelangen, 
welche  allenfalls  der  vorhippokratischen  für  unser  Fach  ähnlich  genannt  werden  kann." 

Bis  zum  16.  Jahrhundert  befand  sich  die  Geburtshülfe  bei  fast  allen  Völkern 
Europas  fast  gänzlich  in  den  Händen  der  Hebanunen,  von  denen  dieselbe  mehr 
oder  weniger  empirisch  gehandhabt  wurde.  Wenn  ihnen  ausnahmsweise  Aerzte 
beistanden,  so  fiel  denselben  doch  mehr  oder  weniger  nur  eine  nebensächliche 
Bolle  zu.  Nur  die  alten  Inder  gestatteten  den  Aerzten  eine  Theilnahme  an  der 
geburtshülf  liehen  Assistenz.  In  seltenen  Fällen  thaten  dieses  allerdings  auch  die 
Griechen  und  die  Römer. 


gg  XLII.  Die  GeburtBhfllfe  im  Alterihum  nnd  im  frühen  Mittelalter. 

Auf  diese  Weise  wurden  bereits  nicht  zu  unterschätzende  Grundlagen  fUr 
eine  wissenschaftliche  Geburtshülfe  geschaffen.  Im  Mittelalter  gewann  dieselbe 
aber  nur  wenig  an  Ausbildung.  Erst  im  16.  Jahrhundert  nahmen  sich  die  Aerzte 
und  Chirurgen  ihrer  energisch  an,  und  seitdem  wuchs  sie  nach  und  nach  zu  einem 
schonen  wissenschaftlichen  Gebäude  empor,  welches  namentlich  in  unserem  Jahr- 
hundert einen  ganz  bedeutenden  Ausbau  erfahren  hat.  Wir  wollen  uns  jetzt  der 
Betrachtung  des  geburtshQlflichen  Könnens  bei  den  Culturvölkem  des  Alterthums 
zuwenden. 


267.  Die  GeburtsMIfe  bei  den  Juden  des  Alterthums. 

Bereits  aus  den  älteren  Theilen  der  Bibel  erfahren  wir,  dass  die  Juden  des 
alten  Testamentes  einen  eigenen  Stand  von  Hebammen  besassen.  Bei  der  schweren 
Entbindung  der  Bahely  an  deren  Folgen  sie  nach  kurzer  Zeit  starb,  wird  aller- 
dings nur  von  Tröstungen  erzählt,  welche  die  Hebamme  der  Gebärenden  ertheilte. 
Bei  der  Zwillingsgeburt  der  Thamar  legte  die  Hebamme  dem  Kinde,  das  zuerst 
seine  Hand  aus  dem  Mutterleibe  herausstreckte,  einen  rothen  Faden  um  dieselbe, 
um  später  über  die  Erstgeburt  ein  sicheres  XTrtheil  abgeben  zu  können.  Der 
Rahdj  der  Thamar  und  der  Phincha  haben  bei  ihren  schweren  Geburten  aber 
nur  Hebammen  Hülfe  geleistet;  Aerzte  hatte  man  damals  nicht  zu  Rathe  gezogen. 
Auch  als  die  Juden  in  Aegypten  wohnten,  hatten  sie  Hebammen;  denn  Pharao 
wendet  sich  an  zwei  derselben,  an  die  Siphra  und  Pua,  und  befiehlt  ihnen,  alle 
männlichen  Kinder  der  Juden  zu  tödten.  Auf  die  bekannte  Streitfrage,  ob  die 
jüdischen  Hebanmien  jener  Zeit  einen  Gebärstuhl  hatten,  kommen  wir  an  anderer 
Stelle  zurück.  Die  Leistungen  der  Hebammen  beschränkten  sich  hinsichtlich  der 
Pflege  des  Neugeborenen  darauf,  ihm  den  Nabelstrang  zu  durchschneiden,  dasselbe 
zu  baden,  seinen  Körper  mit  Salz  abzureiben  und  es  in  Windeln  zu  wickeln. 

Zu  der  Zeit,  wo  der  Talmud  niedergeschrieben  wurde,  waren  es  auch 
wesentlich  Frauen,  welche  den  Gebärenden  beistanden  und  für  competent  in  Bezug 
auf  die  Beurtheilung  einer  legitimen  Geburt  oder  einer  Erstgeburt  gehalten  wurden. 
Diese  Frauen  heissen  im  Talmud  n^sDn,  d.  i.  Femina  sapiens,  oder  auch  nrii  d.  i. 
Femina  vivida;  und  aus  „Kidduschin'^  ersehen  wir,  dass  die  jüdischen  Heb- 
ammen in  nicht  geringem  Ansehen  standen  und  erfahrene  Frauen  gewesen  sein 
müssen.  Aber  bei  diagnostisch  schwierigen  Fällen  wurden  auch  Aerzte  hinzuge- 
zogen, lieber  die  Entbindungs-Kunst  und  -Gebräuche  dieser  talmudischen  Heb- 
ammen werden  wir  später  im  Einzelnen  berichten.  Wir  führen  hier  nur  an,  dass 
sie  einen  besonderen  Geburtsstuhl  benutzten;  die  Untersuchung  der  Geschlechts- 
theile  mit  dem  Finger  war  ihnen  bekannt;  auch  diejenige  mit  der  ganzen  Hand 
wurde  bisweilen  ausgeübt,  jedoch  wird  dieselbe  widerrathen.  Von  den  abnormen 
Kindeslagen  scheinen  sie  nur  geringe  Kenntnisse  besessen  zu  haben.  In  ihren 
geburtshülf Heben  Handleistungen  wurden  sie  vielfach  von  den  Aerzten,  welche 
immer  Rabbiner  waren,  überwacht  und  beaufsichtigt. 

Israels  fuhrt  eine  Stelle  aus  „Kidduschin"  an,  aus  welcher  hervor- 
geht, dass  ein  Mann  bei  einer  Wendung  sich  betheiligt  hat.  Auch  verweist  er 
darauf,  dass  bei  schweren  Entbindungen  Aerzte  untersucht  haben;  man  sei  dem- 
nach gezwungen,  anzunehmen,  dass  sie,  wenn  sie  explorirten,  überhaupt  auch  bei 
Geburten  thätig  waren. 

Da  bei  den  Juden  des  Talmud  auch  häufig  die  Untersuchung  der  Genitalien 
von  Männern  vorgenommen  wurde,  so  sagt  Israels,  „dass  sie  sich  in  dieser  Be- 
ziehung von  allen  Völkern  des  Alterthums  unterscheiden,  denn  bei  diesen  wurde 
das  Geschäft  stets  nur  Hebammen  übertragen."  Diese  Meinung  Israels  ist  eine 
irrige;  er  hat  die  Geburtshülfe  der  alten  Inder  nicht  berücksichtigt. 


268.  Die  Gebnrtehfllfe  bei  den  alten  Indern.  89 

268.  Die  Geburtshülfe  bei  den  alten  Indern. 

Die  erste  EenntniBS,  welche  wir  über  das  cultarelle  Leben  der  alten  Inder 
besitzen,  stammt  aus  den  heiligen  Büchern  derselben,  aus  den  Y  eden,  deren  erste 
Entstehongszeit  auf  ungefähr  1500  vor  Christus  angenommen  wird.  Schon  da- 
mals besassen  die  Inder  gewisse  Kenntnisse  in  der  Heilkunde  und  sie  hatten  auch 
einen  besonderen  Stand  der  Aerzte,  wie  aus  dem  Rig-Veda  hervorgeht.  Aller- 
dings war  ihre  Behandlung  der  Krankheiten  noch  vielfach  mit  Hymnen  und  Be- 
schwörungsformeln untermischt. 

In  einer  etwas  späteren  Zeitperiode  treffen  wir  die  Priester-Kaste  der  Brah- 
minen  mit  einem  ganz  erheblichen  Schatze  medicinischen  Wissens  ausgestattet; 
auch  besassen  sie  schon  eine  bedeutende  Kunstfertigkeit  auf  chirurgischem  und 
geburtshülflichem  Gebiete.  Diese  Kaste  war  eine  hochgeehrte;  ihre  Schüler 
wurden  ganz  regelmässig,  theils  praktisch,  theils  aus  Lehrbüchern  unterrichtet 
von  Lehrern,  welche  die  nöthigen  wissenschaftlichen,  technischen  und  sittlichen 
Eigenschaften  besassen.  Neben  denselben  gab  es  HeUdiener  für  die  niedere 
Chirurgie,  sowie  auch  Hebanmien. 

Aus  den  alten  Lehrbüchern  dieser  Friesterärzte ,  von  denen  einige  uns  er- 
halten sind,  bekommen  mi  Aufschluss  über  ihr  Wissen  und  über  ihre  Thätigkeit. 
Das  älteste  derselben  ist  Chardka^  das  nur  zu  einem  kleinen  Theil  von  Roth  über- 
setzt ist  und  nichts,  wie  es  schebt,  vom  Verhalten  am  Geburtsbette  enthält.  Da- 
gegen macht  uns  das  von  Susruta  verfasste,  die  Vorträge  des  Dhanvantare  ent- 
haltende Buch  Ayur-vedas  (»Buch  des  Lebens '')  nicht  nur  mit  der  altindischen 
Medicin,  sondern  auch  mit  einer  schon  recht  weit  ausgebildeten  Geburtshülfe  be- 
kannt, welche  nach  Häser's  Ausspruch  derjenigen  der  Hippokratiker  völlig  eben- 
bürtig ist,  obgleich  die  griechischen  Aerzte  über  den  Bau  des  menschlichen 
Körpers  weit  besser  unterrichtet  waren,  als  die  indischen.  Da  die  lateinische 
Uebersetzung  dieses  merkwürdigen  Buches,  die  Hessler  besorgt  hat,  ziemlich  un- 
vollkommen ist,  so  erscheint  es  sehr  dankenswerth,  dass  der  Sanskritforscher 
Vtdlers  sich  der  Mühe  unterzog,  noch  in  verhältnissmässig  hohem  Alter  Medicin 
zu  studiren,  um  den  geburtshülflichen  Theil  aus  Susruta's  Ayur-vedas  in  das 
Deutsche  zu  übertragen. 

Die  Epoche,  aus  der  das  Werk  des  Susruta  stammt,  ist  lange  von  Vielen  aJIzu  früh 
angesetzt  worden  (von  Lassen  600  Jahre,  von  Hessler  sogar  1000  Jahre  vor  Christus),  wo- 
gegen die  vorsichtigen  Vertreter  der  indischen  Alterthnmskunde  die  Entstehung  dieser 
wichtigen  Quelle  in  die  nachchristliche  Zeit  versetzen.  Stenzler  in  Breslau  {HenscheVs  Janus 
1846.  I.  Heft  8)  sucht  zu  beweisen,  dass  man  nicht  im  Stande  sei,  auch  nur  vermuthungs- 
weise  ein  Jahrhundert  auszusprechen;  er  zweifelt  nicht  daxan,  6&as  Susruta's  Werk  ehereinige 
Jahrhunderte  nach  Christi  Geburt  geschrieben  sein  könne,  als  im  10.  Jahrhundert  vor  Christi 
Geburt,  und  giebt  zu  bedenken,  dass  die  Inder  selbst  dem  Werke  eine  verhältnissmassig  späte 
Stelle  in  der  medicinischen  Literatur  einräumen.  Es  würde  ihn  nicht  überraschen,  wenn  sich 
herausstellen  sollte,  dass  das  System  der  Medicin,  welches  im  Susruta  vorgetragen  ist,  Manches 
von  den  Griechen  entlehnt  habe. 

Die  ungefähre  Feststellung  der  Entstehungszeit  ist  wichtig  für  die  Ent- 
scheidung der  Frage,  in  wie  weit  andere  Völker  in  ihren  medicinischen  Anschau- 
ungen aus  dieser  Quelle  geschöpft  haben  können. 

V.  Siebold  hat  in  seinem  ^Versuch  zur  Geschichte  der  Geburtshülfe*' 
gesagt,  „dass  man  im  ganzen  Alterthume  die  Hülfe  bei  Geburten  nur  weiblichen 
Händen  überliess**.  Das  ist  nicht  richtig,  denn  SkXis  SusnUa^s  Schriften  geht  her- 
vor, dass  die  Inder  bei  Entbindungen  die  Hülfe  der  Aerzte  in  Anspruch  n^men. 
VüUers  glaubt,  dass  die  regelmässig  verlaufenden  Geburten  allein  von  Hebammen 
geleitet  worden  sind,  dass  aber  die  Aerzte  bei  abnormen  Entbindungen  gerufen 
wurden,  um  die  hierbei  nöthigen  Operationen  vorzunehmen.  Auch  das  trifft  nicht 
zu,  denn  wir  ersehen  aus  Hesslers  Uebersetzung,  dass  die  Leistung  der  Hebammen 
eine  weit  eingeschränktere  war,  und  dass  die  Aerzte  sogar  auch  die  regelmässigen 


90  XLII.  Die  Gebartshulfe  im  Alterthnm  und  im  frühen  Mittelalter. 

Entbindungen  besorgt  zu  haben  scheinen.  Denn  überall  ist  auch  bei  der  Aus- 
führung kleinerer  Geschäfte  während  der  normalen  Geburt  nur  von  einem  Arzte 
die  Bede,  z.  B.:  «Tum  parturientis  telum  intemum  medicus  inungaf  In  diesem 
und  in  ähnlichen  Fällen  übersetzt  Vidlers  statt  medicus  stets  Hebamme.  Die 
weibliche  Hülfe  bei  der  Niederkunft  beschränkt  sich  nach  Hessler's  Uebersetzung 
lediglich  darauf,  dass  vier  Frauen,  welche  partui  habiles,  d.  h.  beherzt  und  alters- 
reif, und  deren  Nägel  beschnitten  sind,  die  Kreissende  umgeben  (parturientem 
circumgrediantur),  und  dass  eine  alte  Frau  (nach  Vuüers  „eine  von  jenen  Vieren") 
die  Ereissende  zum  Pressen  antreibt.  Vuüers  nennt  die  vier  Frauen  Hebammen 
und  lässt  „eine  von  diesen"  und  nicht  den  Arzt  (wie  Hessler)  die  Einsalbung 
der  Geburtstheile  bei  der  Gebärenden  besorgen.  Während  nun  femer  Vuüers 
den  helfenden  Arzt  erst  bei  gestörtem  Geburtsverlauf  eintreten  lässt,  wird  nach 
Hessler  vom  Geburtshelfer  in  diesem  Falle  ein  „Oberarzt"  zur  Consultation  hin- 
zugerufen : 

^Idcirco  protomedicam  consnlendo  et  snmmam  operam  dando  rem  peragat."  Hessler 
sag^  zur  Erklärong:  nVocabnlnm  ad'faipati  superiorem  (ad'fai)  dominum  (pati)  denotat.  Quis 
vero  in  medendi  arte  summus  sit  dominus,  facile  est  intellectu.  Mihi  quidem  nemo  alius, 
nisi  protomedicus  esse  videtur.  Alibi  ad'bipati  est  princeps,  penes  quem  est  summa  pro- 
testas;  immo  vero  et  summus  Dens  ipse.  Si  quis  igitur  Ad'hipatim  hoc  loco  summum 
De  um  CBrahmaJ  esse  mavult,  qui  sit  invocandus,  equidem  hanc  sententiam  non  prorsus  im- 
pugnabo."  Man  sieht  also,  dass  Hessler  selbst  eine  ganz  bestimmte  Ansicht  in  der  Sache  nicht 
hat.  Dass  hier  aber  von  einem  Protomedicus  die  Rede  sein  kann,  ist  deshalb  wohl  möglich, 
weil  es  in  der  That  bei  den  alten  Indern  eine  höhere  und  eine  niedere  Rangordnung  unter 
den  Aerzten  gab.  Hessler  sagt  in  b.  Comment.  Fase.  U.  S.  4:  „Quamquam  antiquissimorum 
Inder  um  medendi  ars  habebatur  religionis  pars,  et  medici  religiöse  inaugurabantur,  attamen 
non  soli  Brahmanae,  sed  etiam  homines  inferioris  ordinis  (Eshattriya,  Vaisya,  Sudra) 
mysterüs  medicinae  initiari  licebat,  in  quibus  animi  corporisque  indoles  egregia  quae- 
dam  et  praeclara,  et  ad  hanc  artem  exercendam  apta  erat  conspicuo.  Quisque  autem  e  su- 
periori  ordine  quemque  ex  inferiori  inaugurare  potuif  Dass  diese  untergeordneten  Aerzte 
auch  bei  Geburten  beschäftigt  waren,  geht  daraus  hervor,  dass  Susruta  das  Geburtshaus  Con- 
clave  Brahmanarum,  Kshattriyarum,  Vaisyarum  et  Sudrarum  nennt.  Wir  wissen 
auch  durch  Susruta,  dass  die  Inauguration  der  Aerzte  unter  einem  besonderen  Ritus  stattfand. 

Wollen  wir  also  Hessler^s  TJebertragung  folgen,  so  wurden  alle  Geburten 
von  Aerzten  geleitet.  Das  ist  auch  nicht  ganz  unwahrscheinlich.  Denn  die  Brah- 
minen,  welche,  wie  gesagt,  zugleich  Priester  und  Aerzte  waren,  hatten  ja,  was 
VuUers  nicht  mit  erwähnt,  ein  besonderes  „Conclave  obstetriciale  Brahmanarum, 
Kshattriyarum,  Vaisyarum  et  Sudrarum*,  in  das  sie  schon  im  9.  Monat  die 
Schwangere  aufnahmen.  Es  ist  anzunehmen,  dass  dieses  in  ganz  besonderer  Weise 
eingerichtete  Gebärhaus,  welches  „custodüs  et  faustitate  praeditum",  also  gewisser- 
maassen  geweiht  war,  nur  den  Zweck  hatte,  dass  die  Frauen  bei  der  Geburt  und 
im  Wochenbett  abgeschlossen  von  der  Welt  und  frei  von  allen  diätetischen  Stö- 
rungen in  ihrer  Lebensweise,  von  den  Brahmanenärzten  speciell  beaufsichtigt,  ent- 
bunden und  behandelt  werden  konnten.  Diese  Einrichtung  war  offenbar  eine 
religiöse,  an  deren  stricter  Beobachtung  die  Priesterkaste,  wie  aus  SusrtUa's  Dar- 
stellung hervorgeht,  festhielt. 

Die  Priesterärzte  leiteten  also,  wie  es  scheint,  persönlich  den  Geburtsact 
und  das  ganze  Wochenbett  ebenso,  wie  den  an  einem  Mondtage  stattfindenden 
Act  der  Einweihung  der  Amme  des  Sprösslings.  Die  Einweihung  der  Amme  mit 
den  erforderlichen  Segenssprüchen  ist  mitten  im  Texte  des  Susruta  ebenso  an- 
geführt, wie  alle  übrigen  Handlungen  des  Arztes,  während  er  ausdrücklich  die 
Namengebung  des  Kindes  dem  Vater  und  der  Mutter  derselben  zuweist.  VuUers^ 
der  bis  dahin  nur  Hebammen  agiren  lässt,  schreibt,  ohne  anzugeben,  warum  er 
nun  mit  den  Personen  wechselt,  über  die  Handlung  der  Ammenweihe:  „Man  setze 
an  einem  glücklichen  Mondtage  die  Amme^^  u.  s.  w.,  so  dass  es  nach  seiner  Dar- 
stellung nicht  klar  wird,  wer  die  Einweihung  eigentlich  vorgenommen  hat.    Der 


268.  Die  Geburtshülfe  bei  den  alten  Indem.  91 

Grund,  warum  Susrtda  diesen  Act  so  ausführlich  ftir  seine  GoUegen  beschrieb, 
kann  doch  nur  der  gewesen  sein,  dass  er  auch  zu  ihren  Functionen  gehörte. 

Die  Maassnahmen  für  die  bevorstehende  Entbindung  begannen  schon  im  nennten  Monate 
der  Schwangerschaft.  Die  Frauen,  wenigstens  diejenigen  der  höheren  Kasten,  wurden  in  die 
für  die  Entbindung  hergerichtete  Hütte  gebracht,  wo  sie  durch  Waschungen  und  durch 
Salbungen  für  den  Geburtsact  vorbereitet  wurden.  In  dieser  Zeit  mussten  sie  sehr  viel  Hafer- 
echleim  gemessen,  um  durch  dessen  Druck  die  Austreibung  der  Frucht  zu  befördern.  Die 
Entbindung  erfolgte  unter  dem  Beistande  von  vier  Frauen  auf  dem  Geburtsbette.  Der  Nabel- 
strang wird  acht  Querfinger  breit  vom  Unterleibe  abgebunden,  getrennt  und  am  Halse  des 
Kindes  befestigt;  die  zögernde  Nachgeburt  wird  durch  äusseren  Druck  und  dadurch  entfernt, 
dass  eine  starke  Person  den  Körper  der  Kreissenden  schüttelt.  Denselben  Zweck  versuchte 
man  durch  Kitzeln  des  Schlundes  zu  erreichen. 

Nach  der  Entbindung  werden  Mutter  und  Kind  gewaschen ;  die  erste  Muttermilch  hielt 
man  für  imbrauchbar.  Die  Wöchnerin  wurde  nach  anderthalb  Monaten  (nach  Anderen  mit 
Wiedereintritt  der  Menstruation)  ,frei  von  der  Unreinheit,  welche  während  des  Wochenbettes 
an  ihr  hafbet',  entlassen.  Bei  Schwergeburten  wurden  zuerst  Räucherungen  von  übelriechenden 
Dingen,  von  der  Haut  der  schwarzen  Schlange  und  Aehnlichem  angewendet. 

Als  störend  für  den  Geburtsverlauf  betrachtete  man  gewisse  nervöse  Zufälle,  Zusammen- 
ziehung der  Geburtstheile,  Ohnmächten,  durch  Blutverluste  bedingt,  bei  welchen  sie  auch  die 
Tamponade  erwähnen,  femer  Krankheiten  der  Scheide  und  ihrer  Nachbarorgane. 

Unmöglich  wird  die  Geburt  durch  dreierlei  Ursachen:  durch  Verunstaltung  des  Kopfes 
bei  dem  Kinde,  durch  Verunstaltung  des  Beckens  der  Gebärenden  und  durch  eine  falsche  Lage 
des  Kindes.  Als  abnorme  Lagen  bezeichnet  Su^ruta  die  Knie-,  Steiss-,  Schulter-,  Brust-, 
Rücken-,  Seitenlage,  und  die  Vorlage  zweier  Arme  oder  Füsse.  Das  Hauptmittel  zur  Ver- 
besserung aller  dieser  Lagen  ist  die  Wendung  auf  die  Füsse  oder  (z.  B.  bei  Seiten-  und 
Schulterlage)  auf  den  Kopf.  Auf  den  Kopf  soll  auch  bei  Vorlage  der  Arme  gewendet  werden; 
zuweilen  jedoch  gelinget  die  Wendung  auf  die  Füsse  leichter.  Todte  Kinder,  welche  nicht 
auf  normale  Weise  geboren  werden,  sollen,  je  nach  dem  vorliegenden  Theile,  mittelst  scharfer 
Instrumente  zerstückelt  werden.  Sie  werden  als  eine  fremde  Substanz  betrachtet,  welche 
aus  dem  Körper  entfernt  werden  muss,  und  Susruta  bezeichnet  sie  mit  dem  Worte  Sagitta 
oder  Pfeil. 

Susruta  erwähnt  folgende  Operationen,  auf  welche  wir  später  nochmals 
zurückkommen : 

bei  der  Fusslage  die  Extraction;  bei  Vorlage  eines  Fusses  das  Herabführen  des  zweiten 
und  die  Extraction;  bei  Steisslage  die  Wendung  auf  die  Füsse  und  die  Extraction;  bei  Quer- 
lage, wie  es  scheint,  die  Wendung  auf  den  Kopf.  Schulterlage  (Einkeilung  der  Schulter)  und 
Vorlage  beider  Schultern  werden  für  unheilbar  erklärt.  Indess  soll  der  Arzt  versuchen,  die 
vorgelagerten  Theile  zu  reponiren  und  die  Kopflage  herbeizuführen.  Im  schlimmsten  Falle 
soll  das  Absterben  des  Kindes  abgewartet  und  dann  dasselbe  durch  Abschneiden  der  Arme, 
durch  Enthimung  u.  s.  w.  entfernt  werden.  Bei  dem  plötzlichen  Tode  einer  in  der  letzten 
Schwangerschafts-Periode  Verstorbenen  soll  der  Kaiserschnitt  zur  Anwendung  kommen. 

Es  gab  also,  wie  man  sieht,  für  den  indischen  Arzt  eine  Reihe  von  Aufgaben,  die 
nur  auf  Grund  einer  reichen  Erfahrung  gestellt  und  gelöst  werden  konnten;  jedenfalls  war 
letztere  dadurch  gewonnen  worden,  dass  es  den  Priesterärzten  vergönnt  jvar,  eine  grosse  An- 
zahl von  Geburten  in  ihrem  Verlaufe  zu  controliren  und  die  Erfolge  ihrer  überlegten  Anord- 
nimgen  und  Handlungen  als  Fingerzeige  zu  benutzen  und  zur  Grundlage  ihrer  ferneren  Be- 
handlungsweise  zu  machen. 

Da  diese  Aerzte  der  Priesterkaste  angehörten,  so  wird  es  uns  nicht  ver- 
wunderlich erscheinen,  dass  rituell  vorgeschriebene  Hymnen  und  Gebete  ihre 
ärztlichen  Eingriffe  begleiteten. 

Die  Inder  selbst  verlegten  den  Ursprung  ihrer  Heilkunde  in  eine  mythische  Periode. 
Das  erste  medicinische  Werk  soll  ihr  Gott  Brahma  geschrieben  haben,  dann  folgten  Däksha, 
Äsvins  und  der  Gott  Indra,  von  denen  einer  dem  anderen  die  Heilkunde  mittheilte.  Von 
letzterem  erhielt  sie  zuerst  ein  Mensch  Atreya,  und  sie  pflanzte  sich  von  ihm  fort  auf  Agni- 
vesa,  Ckaraka,  Dhanvantare  und  SiisnUa;  die  medicinischen  Werke  (Sanita)  des  Ätreya, 
Agnivesa,  Charaka  existiren  noch  jetzt  in  London,  sind  aber  noch  nicht  übersetzt.  Nur 
^Sttsnita's  Werk  liegt  uns  vollständig  vor.  Man  sieht,  dass  die  Sage  den  ältesten  Lehrern  der 
Medicin  einen  göttlichen  Namen  verlieh,  dass  sich  deren  ursprüngliche  Lehrsätze  von  Schüler 


92  XLII.  Die  Geburtshülfe  im  Alterthum  und  im  frühen  Mittelalter. 

zu  Schüler  fortpflanzten,  dass  aber  auch  diese  Schüler  wahrscheinlich  selbständig  Neues  hin- 
znfQgten.  Immerhin  ist  anzunehmen,  dass  die  Brahmanenkaste,  der  diese  Schüler  angehörten, 
im  Allgemeinen  auf  die  Befolgung  gewisser  geburtshülf  lich-praktischer  Gebräuche  hielt,  und 
dass  namentlich  der  beiden  Aerzte  Dhanvantare^8  und  Suaruta's  Lehren  gprosse  Verbreitung 
bei  den  Indern  hatten. 

Noch  zu  jener  Zeit,  in  welcher  Susnda's  Ayurvedas  geschrieben  warde, 
befand  sich  die  Geburtshülfe  der  Inder  im  Stadium  der  Ent Wickelung,  denn  wir 
finden,  dass  Sasruta  oder  sein  Meister  Dhanvantare  an  einigen  hergebrachten 
geburtshülf  liehen  Dogmen,  wie  z.  B.  denjenigen  über  die  Kindeslagen,  rütteln  und 
selbständige,  bessere  Meinungen  aufstellen.  Wir  blicken  hier  auf  eine  vor  alters- 
grauer Zeit  fortgeschrittene  und  noch  immer  im  Fortschreiten  begriffene  geburts- 
hülfliche  Wissenschaft.  Susruta  liefert  aber  nicht  nur  eine  ziemlich  ausföhrliche 
Diätetik  der  Schwangeren,  der  Gebärenden  und  der  Wöchnerinnen,  sowie  eine 
Pathologie  und  Therapie  ftlr  deren  Erkrankungen,  sondern  er  giebt  auch  die 
erforderlichen  Handgriffe  zur  Vollendung  der  Geburt  bei  verschiedenen  fehler- 
haften Kindeslagen  und  zweckmässige  Vorschriften  für  die  Perforation  und  Ent- 
fernung an,  ja  er  kennt,  wie  wir  sehen  werden,  auch  schon  den  Kaiserschnitt 
nach  dem  Tode. 

In  schroffstem  Gegensatze  zu  diesem  Können  der  alten  Inder  steht,  wie 
wir  gesehen  haben,  die  Ausübung  der  Geburtshülfe  bei  den  jetzigen  Hindus. 
Noch  jetzt  finden  wir  bei  diesen  die  Anrufungen  von  Göttern  während  der  Ent- 
bindung, eine  äusserst  strenge  Diät  und  die  Darreichung  ähnlicher  Gewürze  wie 
früher  im  Wochenbette.  Aber  das  Gebärhaus  der  Brahmanen  ist  jetzt  in  eine 
elende  Wochenbettshütte  umgewandelt,  und  an  die  Stelle  der  erfahrenen  Aerzte 
sind  unwissende  Weiber  mit  ihren  unüberlegten  und  für  die  Kreissenden  nicht 
selten  recht  verhängnissvollen  Eingriffen  getreten. 

Mit  dem  in  Indien  eindringenden  Buddhismus  verlor  sich  allmählich  der 
Einfluss  der  gelehrten  Brahmanen;  aber  noch  die  alte  Legende  der  Buddhisten 
sagt,  dass  Brahma  und  Indra  bei  der  Geburt  des  Buddha  Hebammendienste  ver- 
richtet haben.  Hier  kliugt  wohl  noch  die  Erinnerung  nach,  dass  einst  es  Männer 
gewesen  sind,  welche  den  Gebärenden  Hülfe  leisteten. 


Die  Geburtshftlfe  bei  den  alten  Aegyptern. 

Ueber  den  Stand  der  Geburtshülfe  im  alten  Aegypten  sind  unsere  Kennt- 
nisse sehr  gering.  Dass  aber  schon  in  sehr  früher  Zeit  die  Hülfe  von  Hebammen 
in  Anspruch  genommen  wurde,  das  erfahren  wir  bereits  aus  der  Bibel,  wo  es 
(2.  Moses  1,  19)  heisst: 

„Die  hebräischen  Weiber  sind  nicht  wie  die  ägyptischen,  denn  sie  sind 
harte  Weiber;  ehe  die  Wehemutter  zu  ihnen  konmit,  haben  sie  geboren."  Dem- 
nach mögen  die  Geburten  der  zarteren  Aegypterinnen  minder  leicht  verlaufen 
sein,  als  die  der  Jüdinnen.  Das  erscheint  uns  wohl  begreiflich,  wenn  wir  auf 
alt-ägyptischen  Wandmalereien  und  Sculpturen  die  beängstigend  schmalen  Hüften 
erblicken,  mit  denen  die  Weiber  dargestellt  sind. 

Ob  die  die  Heilkunde  ausübenden  Priester  sich  auch  mit  Geburtshülfe  be- 
schäftigt haben,  darüber  ist  nichts  Genaues  bekannt.  Banz  hält  dieses  für  sehr 
wahrscheinlich,  aber  er  stützt  seine  Meinung  nur  durch  die  Thatsache,  dass  Cdsus 
und  Oalenus  ägyptische  Chirurgen,  wie  Phüoxenm,  Ämmonüis  ÄlexandrinuSy 
Sostratus,  Georgias  u.  s.  w.  erw^nen,  dass  die  Chirurgen  gleichzeitig  auch  viel- 
leicht Geburtshülfe  ausübten,  und  dass  Hermes  Trismegistus  und  Cleopatra  Bücher 
über  Frauenkrankheiten  geschrieben  haben. 

Die  gesammte  Heilkunde  lag  in  den  Händen  der  Priester,  deren  jeder  eine 
besondere  Specialität  ausübte.  Mit  dem  Brande  der  grossen  Bibliothek  zu 
Alexandria  ging  für  die  wissenschaftliche  Welt  ein  grosser  Theil  der  ärztlichen 


270.  Die  Geburtshftlfe  bei  den  Griechen  des  Alterthams.  93 

Quellen  und  Urkunden  verloren.  Von  ihren  literarischen  Werken  ist  uns  aber 
Einiges  doch  erbalten  (Papyrus  in  Berlin,  Leipzig,  Paris,  Leiden);  der  inter- 
essanteste derselben  ist  der  zu  Leipzig  in  der  üniyersitätsbibliotliek  befindliche 
Papyrus  Jßbers,  den  man  aus  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  y.  Chr.  datirt 
und  der  viele  Arzneiverordnungen,  unter  Anderen  auch  gegen  Frauenkrank- 
heiten, enthält. 

Gälenus  hat  über  die  geburtshülf liehen  Kenntnisse  der  Aegypter  kein  sehr 
günstiges  Urtheil  gefallt. 

Es  sind  uns  leider  keinerlei  schriftliclie  Aufzeichnungen  erhalten,  wie  bei 
den  übrigen  alten  Gulturvölkem  des  Orients,  bei  den  Assyrern  und  Babyloniern 
sowie  bei  den  Phöniciern,  die  Oeburtshülfe  gebandhabt  worden  ist.  Dass  die 
letzteren  bei  ihren  weiten  Seefahrten  und  ihren  vielfachen  Golonisirungen  auch  in 
dieser  Beziehung  manche  Gebrauche  fremder  Völkerschaften  kennen  gelernt  haben 
werden,  das  muss  wohl  als  sehr  wahrscheinlich  betrachtet  werden.  Ob  hierdurch 
aber  mit  der  Zeit  ihre  eigene  vaterländische  Oeburtshülfe  beeinflusst  worden  ist, 
darüber  vermögen  wir  natürlicher  Weise  nichts  anzugeben. 


270.  Die  Geburtshülfe  bei  den  Griechen  des  Alterthums. 

Der  Archäologe  Welker  ist  bemüht  gewesen,  einiges  Licht  über  die  Maass- 
nahmen  zu  verbreiten,  welche  auf  geburtshülflichem  Gebiete  in  dem  alten  Griechen- 
land gebräuchlich  waren.  Was  sich  in  den  griechischen  Mythen  und  Sagen 
-findet,  hat  er  dazu  herbeigezogen.  Da  es  sich  um  mythische  Angaben  handelt,  so 
haben  wir  natürlicher  Weise  keine  Sicherheit,  dass  in  dem  gewohnlichen  Leben 
Alles  ganz  ebenso  gehandhabt  wurde.    Einzelnes  davon  besprechen  wir  später  noch. 

Auch  V.  Siehold  hat  Einiges  zusammengebracht. 

Zu  Flaton's  Zeit  (geb.  429  v.  Chr.)  fungirten  als  Hebammen  solche  Frauen, 
welche  über  die  Zeit  des  Gebarens  hinaus  waren;  sie  mussten  aber  selber  Kinder 
geboren  haben.  Ohne  Zweifel  also  nahm  man  an,  dass  etwaige  Beobachtungen 
an  anderen  Weibern  nicht  genügend  wären,  um  sie  für  den  Hebammenberuf  zu 
qualificiren;  die  Erfahrung  am  eigenen  Körper  wurde  noch  für  nothwendig  erachtet. 

Es  finden  sich  bei  den  griechischen  Schriftstellern  zwei  verschiedene  Be- 
zeichnungen für  die  Hebammen.  Das  scheint  dafür  zu  sprechen,  dass  zwei  ver- 
schiedene Klassen  dieser  Frauen  existirten.  Die  eine  würde  dann  die  Maiai  um- 
fassen, die  gewöhnlichen  Hebammen,  deren  Geschäft  es  unter  Anderem  auch  war, 
zu  entscheiden,  ob  denn  überhaupt  eine  Schwangerschaft  bestehe.  Die  höhere 
Klasse  bilden  die  Jatromaiai,  was  wörtlich  Arzt-Hebammen  heisst.  Sie  hatten 
die  Befugniss,  gleich  den  Aerzten  pharmaceu tische  Mittel  in  Anwendung  zu 
ziehen;  auch  gaben  sie  unter  Umständen  Medicamente  ein,  um  einen  Abortus 
oder  eine  Frühgeburt  einzuleiten.  Daneben  war  es  ihre  Function,  zur  Beförderung 
der  Geburt  beschwörende  Gesänge  anzustimmen.  Bei  der  Entbindung  wurden  die 
Göttinnen  angerufen,  denen  das  Wohl  der  Gebärenden  anvertraut  war  {Eüeithyia^ 
Artemis^  Uere). 

Die  Jatromaiai  mussten  auch  feststellen,  ob  die  durch  einen  Geburtsactus 
zu  Tage  geförderten  Wesen  nun  auch  wirklich  Kinder  wären  oder  nicht  (Alethinä 
oder  Eidola).  Aber  auch  noch  ein  anderes  Recht  stand  ihnen  zu,  welches  von 
nicht  geringer  Bedeutung  war.  Sie  hatten  nämlich  zu  bestimmen,  welches  Mädchen 
für  einen  jungen  Mann  die  geeignetste  Gattin  sei,  um  ihm  die  beste  Nachkommen- 
schaft zu  gewährleisten.     Somit  wurden  sie  die  Heirathsstifterinnen. 

Hippokrates  führt  noch  ein  paar  andere  Bezeichnungen  für  die  Hebammen 
an,  Akestrides,  Tamusai,  Omphalotomai,  welche  sich  auf  ihr  Geschäft  beziehen,  den 
Nabelstrang  des  Neugeborenen  zu  durchschneiden.  Nach  der  Angabe  des  Plato 
war  Sokrates  der  Sohn  einer  Hebamme,  die  er  „generosa^^  Phaenarate  nennt. 


94  XLII.  Die  Geburtshfllfe  im  Alterihum  und  im  frühen  Mittelalter. 

Ein  besonderer  theoretischer  Unterricht  für  die  Hebammen  hat  im  alten 
Griechenland  höchst  wahrscheinlich  nicht  stattgefunden.  In  der  Praxis  und 
durch  die  üebung  erlangten  sie  ihre  Oeschickli<£keit.  Der  für  die  Hebamme 
gebräuchliche  Ausdruck  Maia  bedeutet  nach  Hermann  ursprünglich  jede  altere 
Frau  oder  Dienerin  des  Hauses.  Oslander  f&hrt  an,  dass  die  Hebammen  der  alten 
Griechen  der  Gebärenden  ein  Tuch  um  den  Leib  banden  und  diesen  damit  com- 
primirten.  Die  Lacedämonierinnen  sollen  auf  einem  Schilde  niedergekommen 
sein.  In  späterer  Zeit  benutzte  man  sicher  in  Griechenland  ausser  dem  Bett 
wenigstens  bei  gewissen  Fällen  einen  Geburtsstuhl.  Das  neugeborene  Kind  wickelte 
die  Hebamme,  nachdem  sie  es  feierlich  um  den  Hausaltar  getragen  und  unter 
religiösen  Ceremonien  gewaschen  hatte,  in  Windeln  und  Tücher;  doch  verschmähten 
die  abgehärteten  Spartaner  dieses  Einhüllen  des  Kindes. 

Unsere  Kenntniss  über  die  Geburtshülfe  aus  der  Zeit  der  Blüthe  Griechen- 
lands entstammt  zerstreuten  Angaben  in  den  Werken  des  Hippdkrates  (500  bis 
400  Y.  Christus),  v,  Siebold  hat  dieselben  gesammelt.  Danach  scheint  aber  nur 
in  sehr  seltenen  Fällen  die  Hülfe  der  Aerzte  bei  den  Entbindungen  in  Anspruch 
genommen  zu  sein.  Deshalb  konnten  dieselben  auch  nicht  viel  zu  der  wahrhaften 
Förderung  der  Geburtskunde  beitragen. 

„Die  wenigen  geburtshülflichen  Vorschriften  in  den  unechten  Schriften 
des  Hippdkrates  beziehen  sich  nur  auf  ein  ungeregeltes,  rohes  Verfahren,  welches 
wohl  schon  einer  früheren  Zeit  angehören  mochte,  worüber  aber  unser  Hippdkrates 
in  seine  Schriften  nichts  aufgenommen  hat."    (v.  Siebold,) 

Zu  der  Zeit  des  Hippokrates  wurden  zum  Ersätze  der  fehlenden  Eindesbewegungen 
Erschütterungen  der  Gebärenden  vorgenommen;  ebenso  suchte  man  durch  die  Lage  der  Ge- 
bärenden, die  man  auf  dem  Bette  fest  band  und  so  mit  dem  Kopf  nach  unten,  mit  den  Beinen 
nach  oben  kehrte,  bei  zögernden  Geburten  das  Kind  aus  dem  Mutterleibe  herauszuschütteln. 
Bei  falscher  Lage  des  Kindes  vollzogen  die  Aerzte  die  Wendung  auf  den  Kopf  und  zer- 
schnitten das  Kind,  wenn  diese  Operation  nicht  gelang.  Das  Kind  wurde  erst  nach  dem 
Austritt  der  Nachgeburt  abgenabelt;  und  wenn  der  Abgang  der  Nachgeburt  sich  verzögerte, 
gab  man  Niesemittel  oder  band  Gewichte  an  die  Nabelschnur,  oder  Hess  durch  die  eigene 
Schwere  des  Kindes  einen  Zug  auf  die  Nachgeburt  ausüben. 

Einer  etwas  späteren  Zeit  gehört  Herophilus  aus  Chalcedon  in  Klein- 
asien an  (etwa  335  bis  280  v.  Chr.),  welcher  später  als  Lehrer  in  Älexandrien 
glänzte.  Dass  er  ein  praktisch  viel  beschäftigter  Geburtshelfer  war,  geht  aus  den 
Thatsachen  hervor,  dass  er  aus  der  Beschaffenheit  des  Muttermundes  die  Schwanger- 
schaft zu  diagnosticiren  verstand,  seine  Aufmerksamkeit  der  Lehre  von  den  Kindes- 
bewegungen widmete,  die  Frage  über  die  Tödtung  des  Fötus  aufstellte  u.  s.  w. 
Er  ist  (wenn  auch  vielleicht  nur  der  Sage  nach)  unwillkürlich  der  erste  Heb- 
ammenlehrer, denn  es  schlich  sich,  wie  es  heisst,  Ägnodike^  ein  junges  Mädchen, 
in  Mannskleidem  in  seine  Vorlesungen  und  leistete  dann  so  trefflichen  Beistand 
bei  Geburten,  dass  sich  die  Aerzte,  als  sie  nicht  mehr  zu  Frauen  gerufen  wurden, 
beim  Areopag  über  sie  beklagten.  Hierdurch  gab  die  Agnodike  die  Veranlassung 
zur  Emancipation  der  bis  dahin  vom  geburtshülflichen  Unterricht  ausgeschlossenen 
Frauen;  denn  das  ältere  attische  Gesetz  verbot,  Sclaven  und  Frauen  in  der  Heil- 
kunde zu  unterrichten,  dann  aber  wurde  dasselbe  dahin  abgeändert,  dass  auch  ver- 
ständige Frauen  die  Medicin  erlernen  durften.     {Scheffer) 

Von  den  Päoniern,  die  in  Macedonien  lebten,  schreibt  Aelianus: 
,eoruni  uxores  a  partu  statim  e  lecto  surgunt  ad  obeunda  domestica  munia." 
Alexander  der  Grosse^  welcher  von  Griechenland  aus  seine  ausgedehnten 
Kriegszüge  unternahm,  brachte  Europa  mit  den  Völkern  Asiens  in  innigere 
Berührung.  Bis  nach  Indien  erstreckte  sich  sein  grosser  Heereszug.  Allein  das 
reichte  doch  nicht  aus,  um  das  Wissen  und  Können  dieses  grossen  Culturvolkes 
in  geburtshülflicher  Beziehung  in  den  geistigen  Besitz  der  europäischen  Völker 
überzuführen.     Auch  in  umgekehrtem  Sinne  lässt  sich  keinerlei  Beeinflussung  der 


271.  Die  Geburtshülfe  bei  den  alten  Römern.  95 

ßeburtskunde  bei  den  tonangebenden  Nationen  Asiens,  bei  den  Indern,  den 
Chinesen  und  den  Japanern  durch  die  Eroberungszüge  der  Griechen  nach- 
weisen.   

271.  Die  OebartsMIfe  bei  den  alten  Bomern. 

Die  Romer  haben  ihre  Cultur  bekanntermaassen  den  Griechen  zu  danken. 
Das  gilt  auch  für  ihre  Kenntnisse  in  der  6eburtsbülfe,  und  noch  in  späterer  Zeit 
sind  häufig  Griechinnen  als  Geburtshelferinnen  nach  Rom  gekommen.  Sie 
bildeten  einen  eigenen  Stand,  die  Nobilitas  obste tricum.  Sie  behandelten  auch 
die  Frauenkrankheiten,  fungirten  in  Rechtsfallen  als  Sachverständige  und  sie  hatten 
wahrscheinlich  ganz  allein  die  geburtshülf  liehe  Assistenz  in  Händen.  Zu  der  Zeit 
des  Cdsus  aber  zogen  sie  wenigstens  fßr  besonders  schwierige  Falle  auch  er- 
fahrene Aerzte  zu  Rathe. 

Moschions  Hebammenbuch  definirt  die  Hebamme  in  folgender  Weise: 

„Mulier  omnia,  quae  ad  feminas  spectant  edocta,  immo  ei  artis  ipsias  medendi  perita; 
ita  ut  illarum  onmiuxn  morbos  commode  curare  valeat.* 

Nach  Soranus  muss  eine  Frau,  welche  Hebamme  werden  will,  ein  gutes 
Gedächtniss  haben,  um  das  Gegebene  festzuhalten,  arbeitsam  und  ausdauernd  sein, 
sittlich,  um  ihr  Vertrauen  schenken  zu  können,  mit  gesunden  Sinnen  begabt  und 
von  kräftiger  Constitution  sein,  endlich  muss  sie  lange  und  zarte  Finger  mit  kurz 
abgeschnittenen  Nägeln  haben.  Um  aber  eine  gute  Hebamme,  eine  dQlotTj  juata 
zu  sein,  dazu  gehören  nach  Soranus  noch  andere  Vorzüge.  Eine  solche  muss 
sowohl  theoretisch  als  praktisch  gebildet,  in  allen  Theilen  der  Heilkunst  erfahren 
sein,  um  sowohl  diätetische  als  chirurgische  und  pharmaceutische  Verordnungen 
geben,  um  das  Beobachtete  richtig  beurtheilen  und  den  Zusammenhang  der  einzelnen 
Erscheinungen  der  Kunst  gehörig  würdigen  zu  können.  Sie  muss  die  Leidende 
durch  Zureden  aufmuntern,  ihr  theilnehmend  beistehen,  unerschrocken  in  allen 
Gefahren  sein,  um  bei  Ertheilung  des  Rathes  nicht  ausser  Fassung  zu  kommen. 
Sie  muss  femer  schon  geboren  haben  und  nicht  zu  jung  sein.  Sie  muss  anständig 
und  immer  besonnen  sein,  sehr  verschwiegen,  da  sie  Antheil  hat  an  vielen  Ge- 
heimnissen des  Lebens,  nicht  geldgierig,  damit  sie  nicht  um  Lohn  schimp^ich  Ver- 
derben bringe,  nicht  abergläubisch,  um  nicht  das  Wahre  vor  dem  Falschen  zu 
übersehen.  Sie  muss  ferner  dafür  sorgen,  dass  ihre  Hände  zart  und  weich  sind, 
und  sie  muss  sich  nicht  Arbeiten  hingeben,  die  diese  hart  machen.  Sollten  sie 
aber  von  Natur  nicht  so  weich  sein,  so  müssen  sie  auf  künstlichem  Wege  durch 
erweichende  Salben  dazu  gebracht  werden. 

Wie  bei  den  Griechen,  so  wurden  auch  bei  den  Römern  während  der 
Entbindung  bestinunte  Gottheiten  um  Beistand  gebeten,  in  Rom  die  Lucina^  die 
Postverta,  die  Mena  u.  s.  w.     Es  ist  oben  von  ihnen  schon  die  Rede  gewesen. 

Die  Hebammen,  wenigstens  in  der  spät-römischen  Zeit,'  hielten  es  für 
nöthig,  den  Muttermund  zu  erweitem  und  bei  längerem  Stande  der  Blase  die  künst- 
liche Sprengung  derselben  vorzunehmen.  Das  geht  aus  den  Werken  des  Moschion 
hervor,  welche  genauere  Anweisungen  für  alle  diese  Manipulationen  ertheilen. 

Ebenso  lehrt  derselbe,  dass  die  Gehülfinnen  der  Hebammen  dadurch  den 
Austritt  des  Kindes  befördern  sollen,  dass  sie  den  Bauch  der  Gebärenden  nach 
unten  drücken.  Das  Kind  wurde  erst  abgenabelt,  nachdem  die  Nachgeburt  zu 
Tage  gefördert  worden  war.  Zur  Durchschneidung  des  Nabelstranges  bediente 
man  sich  in  früherer  Zeit  eines  Stückes  Holz,  eines  Glasscherbens,  eines  scharfen 
Rohres  oder  einer  harten  Brodrinde.  Die  Anwendung  der  Scheere  und  die  Unter- 
bindung der  Nabelschnur  stammen  aus  einer  späteren  Periode. 

Die  Hebammen  kannten  die  Untersuchung  mit  der  eingeführten  Hand.  Zur 
Entfernung  der  Nachgeburt  scheinen  sie  Niesemittel  in  Anwendung  gezogen  zu 
haben,  auch  hingen  sie  zu  dem  gleichen  Zwecke  Gewichte  an  den  Nabelstrang. 
Moschion  trat  gegen  diese  Maassnahmen  auf.     Erschien  die  Entfernung  der  Nach- 


96  XLn.  Die  GeburtshOlfe  im  AUerthom  und  im  frühen  Mittelalter. 

gebart  auch  mittelst  der  eingeftihrten  Hand  nicht  möglich,  so  liess  man  sie  liegen 
und  abfaulen. 

Früher  noch  als  Moschion  hat  Soranf4S  von  Bphesus  ein  besonderes  Werk 
über  die  Krankheiten  der  Frauen  verfasst.  Es  werden  von  ihm  noch  eine  Anzahl 
von  geburtshülf liehen  Schriftstellern  angeführt,  deren  Werke  aber  verloren  ge- 
gangen sind.**")  Durch  seine  Schriften  hat  er  die  ßeburtshülfe  ganz  wesentlich 
gefordert.  Er  kannte  und  beurtheilte  die  ßeburtshindemisse  in  vieler  Beziehung 
richtig,  beschrieb  die  Diätetik  der  Schwangeren,  Gebärenden  und  Wöchnerinnen 
nach  guten  Grundsätzen  und  benutzte  bei  normaler  und  abnormer  Geburt  einen 
Geburtsstuhl,  den  er  ausführlich  und  als  einen  längst  bekannten  Apparat  beschreibt. 
In  Bezug  auf  die  Betentionen  der  Nachgeburt  und  auf  die  Störungen  im  Geburts- 
verlaufe spricht  sich  in  seinen  Werken  eine  grosse  Erfahrung  aus.  Mit  den  ver- 
schiedenen Kindeslagen  ist  er  vertraut;  er  kennt  die  Reposition  von  vorgefallenen 
Kindestheilen,  die  Wendung  auf  die  Füsse,  die  Erweiterung  des  Muttermundes 
und  die  Zerstückelung  des  Kindes.  Er  verlangt,  dass  ausser  der  Hebamme  noch 
drei  andere  Weiber  der  Gebärenden  Beistand  leisten,  zwei  an  beiden  Seiten,  die 
dritte  hinter  dem  Rücken,  damit  die  Gebärende  von  der  regelrechten  Lage  nicht 
abweiche,  zugleich  müssen  sie  ihr  zureden,  dass  sie  die  Schmerzen  ertrage. 

Auf  diesen  Erfahrungen  und  Lehrsätzen  fiissen  die  späteren  geburtshülf  liehen 
Schriftsteller;  Galenus  (130  bia  200  n.  Chr.),  Phäumenus,  die  Aspasia^  Aetius 
(500  n.  Chr.)  u.  A.  schlössen  sich  an  und  trugen  zur  Verbesserung  der  Geburtshülfe 
nur  noch  Weniges  bei.  Die  Thätigkeit  dieser  Männer  ist  um  so  anerkennenswerther, 
als  ihr  praktischer  Wirkungskreis  ein  beschränkter  war,  und  als  sie  fast  nur  zu 
solchen  Entbindungen  zugezogen  wurden,  bei  denen  sie  die  Natur  in  ihrem  regel- 
mässigen Gange  nicht  mehr  beobachten  konnten;  von  den  Schriften  der  Aspasta^ 
einer  gebildeten  Hebamme,  ist  uns  leider  nur  Einzelnes  aufbewahrt  geblieben. 

Die  Schriften  des  schon  erwähnten  Moschion  sind  von  Valentin  Böse  heraus- 
gegeben worden. 

Durch  Bose'a  Untersuchungen  ist  es  erwiesen  worden,  dass  dieser  scheinhare  Grieche 
Moschion  ursprünglich  der  Lateiner  MtMcio  gewesen  ist,  welcher  zwei  für  die  Hehammen 
hestimmte  Bücher  geschrieben  hat,  denen  die  Werke  des  Soranus  zu  Grunde  liegen. 

In  dem  ersten,  das  von  der  Empf&ngniss  und  von  der  Geburt  handelt,  bezog  er  sich 
auf  die  dem  Sorantis  entlehnten  Respousiones  des  Caelius  Aureltanus,  im  zweiten,  welches 
die  Erkrankungen  der  Frauen  bespricht,  benutzte  er  das  gynäkologische  Hauptwerk  des 
SorantM  und  die  betreffenden  Abschnitte  eines  unbekannten,  30  Bücher  umfassenden  Werkes 
(Triacontas)  über  die  ganze  Medicin.  Die  Eatechismusform  des  ersten  Theils  findet  sich 
im  zweiten  nur  bei  dem  Kapitel  über  die  Dystokien.  Muscio  war  wahrscheinlich  ein  Afri- 
kaner und  hat  vermuthlich  erst  nach  dem  6.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  gelebt. 

Erst  im  15.  Jahrhundert  wurde  sein  ursprünglich  lateinisch  geschriebenes  Werk  in 
das  Griechische  übersetzt;  seitdem  hielt  man  fälschlich  diese  üebersetzung  für  die  Original- 
schrift eines  Griechen  Moschion.  Die  in  der  Gessner -Wol/fschen  Ausgabe  des  Moschion 
befindlichen  Zeichnungen,  die  dann  auch  in  andere  Ausgaben  übergingen,  die  Abbildungen 
des  Uterus  und  seiner  Anhänge,  sind  lediglich  Zugaben  des  späteren  Abschreibers  und  kOnnen 
daher  nur  als  Zeugnisse  für  die  Yorstellungsweise  dieses  letzteren  aufgefasst  werden.    (Haeser.J 

Wir  müssen  zum  Schlüsse  noch  den  FavAusyon  der  Insel  Äegina  erwähnen, 
welcher  zwischen  625  und  690  nach  Christus  gelebt  hat.  Er  überragte  durch 
seine  wissenschaftlichen  Kenntnisse  sehr  erheblich  seine  Zeitgenossen.  Er  war  in 
Alezandrien  ausgebildet  und  brachte  den  grössten  Theil  seines  Lebens  in 
Aegypten  und  Kleinasien  zu.  Sewohl  die  Griechen  als  auch  die  Saracenen, 
die  ihn  vorzugsweise  «den  Geburtshelfer,  Al-cawa-beli*^  nannten,  schätzten 
ihn  ausserordentlich  hoch,  und  die  Hebammen  kamen  aus  fernen  ^Gegenden  zu  ihm, 
um  seines  Rathes  und  seiner  Belehrung  in  schwierigen  Fällen  theilhaftig  zu  werden. 
Er  benutzte  bereits  den  Mutterspiegel  zur  Diagnose  der  Gebärmutterkrankheiten. 

*)  Vergl.  Pinoff  in  HenscheVs  Janus  1847.  II.  S.  735,  sowie  die  Ausgaben  von  Soranus' 
Buch  durch  Ermerius  und  durch  F.  Böse. 


Tafel  in. 

Amerikanerinnen. 


Comanelie-ljidiABeriii. 


Esklmo-Fraii. 

(LalmdoT.) 


3. 
Sioux-Iiidi  ABeriii  • 


MayonisliM-IndiaBeriii« 

(Peru.) 


Coroftdos-Indlaneiiii« 

(Brasilieii.) 


Gnyanft-IndiaBerlD« 


Fenerlftiideriii. 


Araneaiiieriii. 

(Chile.) 


Patagonleiiii. 


Tafel  III. 
AxiierilEaxLerixinezi . 


272.  Die  Geburtshülfe  zur  Zeit  der  arabischen  Goltorperiode.  97 

272.  Die  Oebnrtslifilfe  zur  Zeit  der  arabischen  Gnltnrperiode. 

Mit  dem  Zerfall  der  römischen  Weltherrschaft  ging  vieles  Wissen  und 
Können  in  dem  Abendlande  verloren.  Ein  neues  Aufblühen  der  Künste  und 
Wissenschaften  nahm  dann  aber  von  Arabien  seinen  Ausgang.  Und  als  der 
Islam  allmählich  seine  Herrschaft  über  weite  Oebiete  Europas  ausdehnte,  da 
breitete  sich  auch  der  Einfiuss  arabischer  Gelehrsamkeit  und  Gesittung  in  fast 
allen  damals  bekannten  Landern  aus  und  wurde  für  die  ganze  Gulturentwickelung 
in  allerhöchstem  Grade  bedeutsam.  Die  wissenschaftliche  Geburtshülfe  aber  hatte 
an  diesem  Aufschwünge  keinen  Antheil.  Denn  die  arabischen  gelehrten  Aerzte 
entbehrten  ja  selber  aller  Einsicht  in  den  Geburtsvorgang,  weil  ihnen  die  moha- 
medanische  Sitte  eine  Selbstbelehrung  durch  persönliche  Gontrole  und  Beobachtung 
des  Geburtsvorganges  nicht  gestattete. 

Die  Entbindungen  waren  vollständig,  dem  mohamedanischen  Sittengeeetz 
entsprechend,  den  Hebammen  überlassen,  deren  Kenntnisse  sehr  geringe  waren. 

Nach  AU  Ben  Abbas  (gestorben  994  n.  Chr.),  welcher  Leibarzt  des  Königs  von 
Buita  war  und  ein  die  ganze  Medicin  umfassendes  Werk  geschrieben  hat,  machten 
diese  Frauen  selbst  die  tdlerschwierigsten  Operationen.  Zwar  gaben  ihnen  Aerzte 
in  besonders  complicirten  Fällen  eine  Anleitung,  auch  verordneten  dieselben  Arz- 
neimittel, aber  sie  durften  nie  thätig  eingreifen.  Erst  in  der  alleräussersten  Noth 
wendete  man  sich  an  Chirurgen,  welche,  wie  die  Schriften  des  Abtdkasemj  f  ^^^^i 
und  anderer  Araber  bezeugen,  ebenso  unbekannt  mit  der  Ausübung  der  Geburts- 
hülfe waren.  Mit  mächtigen  Instrumenten  und  Apparaten  nahmen  sie  dann  die 
Extraction  oder  die  Zerstückelung  des  Kindes  vor. 

Nur  Abfd  Hasan  Garib  ben  Said  scheint  sich  vor  seinen  Zeitgenossen  durch 
besondere  Pflege  der  Geburtshülfe  ausgezeichnet  zu  haben.  Sein  um  970  n.  Chr. 
geschriebener  Tractatus  de  foetus  generatione  ac  paerperanim  infantiumque  regimine  liegt 
aber  leider  noch  ungedruckt  im  Escurial. 

Lange  noch  hat  die  arabische  Cultur  in  Europa  ihre  Nachwirkung  ge* 
habt,  als  bereits  das  Mönchsthum  die  Geister  beherrschte.  Für  die  Geburtshülfe 
brachen  auch  jetzt  immer  noch  nicht  bessere  Zeiten  an.  Ungebildeten  Weibern 
war  dieselbe  überlassen.  Zauberformeln  und  abergläubische  Mittel  wurden  viel- 
fach von  ihnen  in  Anwendung  gezogen.  Aerzte  wurden  nicht  hinzugerufen; 
höchstens  bat  man  sie  um  eine  Arznei,  deren  Formel  dann  aber  lediglich  aus 
einem  arabischen  Schriftsteller  stammte.  Die  Schriften  des  Albertus  Magnus, 
welcher  im  13.  Jahrhundert  gelebt  hat,  geben  hierfür  ein  hervorragendes  Beispiel. 
.  So  be8cha£fen  war  damals  die  Geburtshülfe  überall  in  Europa.  Denn  wenn 
die  helfenden  Frauen  ganz  ohne  Instruction  und  Unterricht  blieben,  wenn  kein 
Buch  ihnen  eine  Anleitung  für  ihr  Verfahren  gab,  wenn  sie  völlig  auf  ihre 
eigenen  geringen  Erfahrungen  angewiesen  waren,  so  handelten  sie  voUstandig  im 
Geiste  ihrer  Zeit,  indem  sie  in  schwierigen  Fällen  Beschwörungen  und  Besprechungen 
anwendeten;  denn  die  Ursache  des  Hindernisses  suchten  sie  wohl  inuner  in  einer 
Einwirkung  des  Teufels,  der  Hexen  und  böser  Zauberkräfte. 

Diese  traurigen  Nachwirkungen  der  arabischen  Gulturperiode  wurden  zum 
ersten  Male  unterbrochen  durch  ein  epochemachendes  Ereigniss.  Mondini,  ein 
Professor  der  Medicin  in  Bologna,  hatte  es  im  Jahre  1306  zum  ersten  Male 
und  1315  zum  zweiten  Male  gewagt,  einen  weiblichen  Leichnam  in  öffentlicher 
Vorlesung  zu  zergliedern.  Hiermit  war  der  naturwissenschaftlichen  Beobachtung 
die  Bahn  gebrochen,  welche  allmählich,  aber  sicher  und  unaufhaltsam  das  Licht 
der  Wahrheit  herbeigeführt  hat. 


Ploss-BartelB,  Du  Weib.    5.  Aufl.    II. 


XLIII.   Die  Entwickelung  der  Gebnrtslittlfe  in  den 
modernen  Cnltnrländem  Europas. 

278.  Zur  Oeschiclite  der  OeburtshUlfe  in  Italien. 

Wenn  wir  in  unseren  Betrachtungen  über  die  historische  Entwickelung  der 
Geburtshülfe  jetzt  auf  die  Neuzeit  übergehen  wollen,  so  mögen  die  Verhältnisse 
Yorangestellt  werden,  wie  sie  sich  in  Italien  entwickelt  haben.  War  es  doch 
gerade  Italien  gewesen,  wo  sich  die  wichtigste  Orundlage  für  den  wissenschaft- 
lichen Fortschritt  vollzogen  hatte.  Denn  hier  war  es  ja,  wo  zum.  ersten  Male  die 
anatomische  Untersuchung  an  der  menschlichen  Leiche  in  den  Apparat  der  medi- 
cinischen  Wissenschaft  eingefügt  wurde.  Wir  haben  diese  von  Mondini  in  Bo- 
logna im  Anfange  des  14.  Jahrhunderts  vorgenommenen  Leichenöffiiungen  im 
vorigen  Kapitel  bereits  erwähnt.  Aber  auch  schon  einige  Zeit  vorher  war  Manches 
auf  italienischem  Gebiete  geschehen,  was  die  Geburtskunde  günstig  beinfiusst 
hatte.  Hier  hatte  Salerno  in  Mittel- Italien  das  Gentrum  der  Entwickelung 
abgegeben. 

Aus  der  salernitanischen  Schule  waren  mehrere  Aerztinnen  hervorge- 
gangen. Unter  ihnen  steht  für  uns  obenan  die  berühmte  Trotvia^  welche  ftlr 
die  Verfasserin  der  Schrift  ,De  mi;ilierum  passionibus  ante,  in  et  post  partam*  gehalten 
wird.  Sie  lebte  ungefähr  um  die  Mitte  des  11.  Jahrhunderts;  ihr  Werk  über  die 
Krankheiten  der  Frauen  kennen  wir  aber  nur  aus  einem  im  13.  Jahrhundert  her- 

gestellten  Auszuge.  Dasselbe  zeugt  dafür,  dass  sich  die  Kenntniss  jener  Zeit  in  dem 
ebiete  der  Heilkunde  auf  etwas  mehr,  ab  auf  die  Wirksamkeit  von  Hausmitteln 
ausdehnte,  und  dass  man  namentlich  bestrebt  gewesen  ist,  die  Lehre  von  den  Frauen- 
krankheiten und  auch  die  Geburtshülfe  zu  fordern  und  zu  entwickeln,  wenn  auch 
die  Art  und  Weise,  wie  dieses  gelang,  im  Anfange  noch  etwas  unvollkommen  ge- 
wesen war.     (de  Rienssi.) 

Die  vollständigste  Uebersicht  der  gynäkologischen  und  geburtshülflichen 
Kenntnisse  des  Mittelalters  gewähren  zwei  italienische,  rein  compilatorische 
Arbeiten:  das  Werk  von  Francesco  di  Piedimonte  (in  seinem  Gomplementum 
Mestme\  welches  fast  ganz  auf  HippohrcUes^  OoLenus,  Äristotdes  und  Serapion 
beruht,  und  die  Sermones  des  Nicolo  Falcucci.  (Haeser.)  Diese  Schriften,  ebenso 
wie  die  des  Italieners  Savoncurola^  wurden  am  Ausgange  des  15.  Jahrhunderts 
zu  Venedig  gedruckt. 

Wir  müssen  auch  noch  eines  absonderlichen  Werkes  gedenken,  welches  der 
Aretiner  AemüitAS  Vezositis  in  Hexametern  verfasst  hatte.  Es  fuhrt  den  Titel: 
Gynaecyeseos  sive  de  muliernm  conceptui  gestatione,  ac  partu.  Im  Jahre  1598 
wurde  es  von  dem  ebenfalls  aus  Arezzo  stammenden  Antonius  Blondias^  der 
wohl  eigentlich  Antonio  Biondi  hiess,  in  Venedig    „cum   licentia  Superiorum* 


278.  Zur  Geschichte  der  Geburtshfilfe  in  Italien. 


99 


mit  Argumenten  herausgegeben.  Einen  grossen  Nutzen  werden  die  Hebanmien 
aus  demselben  wohl  kaum  haben  ziehen  können,  da  es  ausserordentlich  schwülstig 
geschrieben  ist  Vielfach  wird  darin  an  die  antiken  Götter  und  gleichzeitig  an 
ChristiiS,  Maria  und  die  Heiligen  appellirt. 

Einen  besonderen  Einfiuss  auch  auf  die  Oeburtshülfe  anderer  Länder  gewann 
Italien  im  17.  Jahrhundert  durch  Veröffentlichungen,  welche  zur  Belehrung  der 
Hebammen  dienten.  Dieselben  wurden  bald  darauf  in  andere  Sprachen  übersetzt 
und  konnten  so  auch  bei  anderen  Völkern  für  die  Aerzte  und  Hebammen  maass- 


Fig.  270. 


Italienische  Hebamme  des  17.  Jahrhunderts  vor  einer  Ereissenden,  in  der  Oeburtsstellong, 
welche  sehr  Dicke  einnehmen  sollen.    (Aus  Scipione  Mercurio.) 


gebend  werden.  Hier  ist  namentlich  das  Werk  des  Scipione  Mercurio  zu  nennen, 
welches  unt^r  dem  Tit^l,  die  goldsammelnde  Hebamme,  La  Gommare 
oriccoglitrice,  im  Jahre  1621  in  Venedig  erschien.  Dasselbe  wurde  von 
Welsch  in  das  Deutsche  übersetzt  und  erlangte  in  Deutschland  auf  lange 
Zeit  eine  hervorragende  Autorität.  In  seinen  Abbildungen  über  die  Eindeslagen 
hat  Mercurio  noch  sehr  viel  künstlich  Gonstruirtes  und  Phantastisches.  Auch 
sind  seine  Darstellungen,  wie  man  die  Kreissende  bei  schweren  Entbindungen 
lagern   solle,  in  hohem  Orade   absonderlich.     So   müssen    nach   seiner   Vorschrift 

7* 


100    XLin.  Die  Entwickelong  der  Geburtshülfe  in  den  modernen  Gnlturlandem  Europas. 

solche  Frauen,  welche  sehr  fett  sind,  sich  auf  den  Fassboden  hinknieen  und  sich 
so  weit  nach  hintenüber  legen,  dass  ihre  Schultern  und  ihr  Kopf  auf  einem  unter- 
geschobenen Kissen  ruhen,  während  die  Ellenbogen  dem  Fussboden  aufliegen  und 
den  Körper  unterstützen  helfen.  Wir  lernen  auf  diesem  Bilde  auch  die  italie- 
nische Hebamme  der  damaligen  Zeit  kennen.  Sie  steht  anordnend  Tor  der  Kreissen- 
den, in  ausgeschnittenem  Kleide,  mit  einer  grossen  Halskette  geschmückt.  (Fig.  270.) 

Für  eingehendere  Studien  über  die  ÖeburtshüKe  in  Italien  müssen  wir  auf 
das  ausführliche  Werk  von  Corradi  verweisen.  Aber  wir  wollen  an  dieser  Stelle 
noch  einiger  Abbildungen  Erwähnung  thun,  welche  sich  auf  unseren  Gegenstand 
beziehen. 

Eine  italienische  Hebamme  aus  dem  16.  Jahrhundert  führt  uns  ein  Bild 
des  Giulio  Romano  (Fig.  271)   vor.     Es    ist    eine   alte    Person,    welche   um   die 


Fig.  271.    Italienische  Oeburtsscene  (16.  Jahrb.). 
(Nach  Gtu/to  Romano.)    (AUB  P/o**^0,) 


Kreissende  beschäftigt  ist,  dieselbe  aufmerksam  betrachtet  und  ihren  Puls  fühlt. 
Die  sorgfältig  vorbereitete  Wiege  steht  neben  dem  Geburtslager,  um  den  zu  er- 
wartenden jungen  Erdenbürger  aufzunehmen.  Zur  Seite  der  Hebamme  befindet 
sich  eine  jüngere  Frau.     {Ploss  nach  d'Arco.) 

Aber  auch  noch  durch  andere  bildliche  Darstellungen  werden  wir  über  die 
Art  der  Geburtshülfe  in  Italien  aufgeklärt.  Im  16.  Jahrhundert  herrschte  in 
Italien  die  Sitte,  den  Wöchnerinnen  in  besonderen  Majolica-Schalen  stärkende 
Nahrung  zu  bringen.  Diese  Gefösse  führten  den  Namen  Puerpera  oder  Sco- 
delle  per  le  donne  (Frauenschalen).  Nach  Po^^m  wurde  die  becherartige  Schale 
mit  Fleischbrühe  gefüllt  und  in  den  Deckel  Eier  gethan.     Sie  sind  mit  bildlichen 


273.  Zur  Geschichte  der  Geburtshülfe  in  Italien. 


101 


Darstellangen  geschmückt,  welche  sich  meistens  auf  die  Pflege  des  Kindes  beziehen: 
Frauen  haben  ein  kleines  Kind  auf  dem  Schoosse  oder  sie  wickeln  ein  solches  in 
Binden  ein.  Bisweilen  aber  finden  sich  im  Inneren  der  Schalen  Entbindungs- 
scenen  dargestellt.  Zwei  derartige  Schalen  aus  Urbino  in  der  Art  des  Oratio 
Fontana  gemalt  und  ungefähr  aus  der  Zeit  von  1530 — 1540  stammend,  besitzt  das 
königliche  Kunstgewerbe-Museum  in  Berlin. 

Die  eine  Schale  (Fig.  272),  auf  der  Aussenseite  mit  liegenden  nackten  Eänder- 
gestalten  geschmückt,  und  mit  abgebrochenem  Fusse,  zeigt  im  Inneren  die  Dar- 
stellung eines  Zimmers,  durch  dessen  Fenster  der  blaue  Himmel  blickt.  Links 
vom  Beschauer  kniet  eine  Frau  vor  einem  Kamin,  um  das  bereits  hell  brennende 
Feuer  noch  mehr  zu  schüren;  daneben  sitzt  ein  kleiner  Hund.    Im  Hintergrunde 


Fig.  272.    Entbindung  im  Stehen,  dargesteUt  auf  einer  Franenschale,  MaJoUca,  des  16.  Jahrhunderts 
aus  Urbino.    Im  Besitze  des  kgl.  Kunstgewerbe-Museums  in  Berlin.    (Nach  Photographie.) 


rechts  wird  von  einer  Frau  das  Bett  zurecht  gemacht.  In  der  Mitte  des  Bildes 
steht  eine  Frau,  die  Kreissende,  in  vollem  Anzüge,  aber  mit  blossen  Füssen  auf- 
recht, die  Hände  halb  erhoben.  Sie  wird  von  hinten  her  von  zwei  ebenfalls 
stehenden  Frauen  unter  den  Armen  gestützt.  Vor  ihr  sitzt  auf  einem  Stuhle,  dem 
Beschauer  den  Kücken  kehrend,  eine  Frau,  welche  die  Hebanunendienste  verrichtet 
und  ihre  Hände  unter  den  Kleidern  der  stehenden  Kreissenden  hat.  Eine  siebente 
Frau  endlich  streckt  der  Kreissenden  von  rechts  her  die  Hände  entgegen.  Hier 
ist  eine  Entbindung  im  Stehen  dargestellt. 

Die  zweite  Schale  (Fig.  273)  ist  becherförmig,   mit   ziemlich  hohem  Fuss; 
sie  ist  aussen  mit  grotesken   Thiergestalten   im   Geschmacke   der  italienischen 


102     XLIII.  Die  Entwickelung  der  Geburtshülfe  in  den  modernen  Culturländem  Europas. 

Renaissance  geschmückt,  zwischen  denen  sich  kleine  Medaillonbilder  befinden.  Das 
Innere  der  Schale  zeigt  nun  ebenfalls  eine  Entbindangsscene,  jedoch  in  etwas 
roherer  Zeichnung,  als  die  Torige.  Eine  Dame  sitzt  auf  einem  Klappstuhl  mit 
geschweiften  Seitenlehnen,  ohne  Bücklehne.  Sie  ist  wie  die  vorige  Kreissende 
vollständig  bekleidet.  Von  hinten  her  stützt  sie  unter  den  Armen,  die  Hände 
seitlich  auf  ihre  Brüste  legend,  ein  hinter  ihr  stehender  Page.  Neben  diesem, 
linker  Hand  von  der  Frau,  stehen  zwei  junge  Frauen  und  links  von  diesen  sieht 
man  ein  aufgeschlagenes  Bett.  Gkknz  im  Vordergründe  links  vom  Beschauer,  rechts 
von  den  Frauen  hockt  ein  nacktes  Kind  auf  der  Erde  und  spielt  mit  einem  Hunde. 
Vor  der  sitzenden  Frau  kniet  auf  dem  linken  Knie,  während  das  rechte  aufgerichtet 
ist,  eine  junge  Weibsperson,  welche,  die  Dienste  der  Hebamme  verrichtend,  ihre 
Hände  unter  den  Kleidern  der  Frau  verborgen  hat. 

Diese  Abbildungen  sind  für  uns  sowohl  in  medicinischer,  als  auch  in  cultur- 
geschichtlicher  Beziehung  in  hohem  Grade  lehrreich.     In  ersterer  Hinsicht  zeigen 

sie,  dass  in  damaliger  Zeit  in  Ita- 
lien nicht  immer  die  gleiche  Posi- 
tion für  die  Kreissende  gebräuchlich 
war,  sondern  dass  verschiedene  Stel- 
lungen in  Anwendung  gezogen  wur- 
den. Die  Entbindung  auf  dem  Stuhle 
hatte,  wie  uns  Abbildungen  aus 
etwas  späterer  Zeit  lehren,  auch  in 
dem  übrigen  civilisirten  Europa 
eine  weite  Verbreitung.  Aber  wir 
sehen  in  unserer  Schale  doch  einen 
recht  erheblichen  Unterschied.  Die 
genannten  Abbildungen  führen  uns 
nämlich,  ganz  wie  die  Zeichnung 
der  ersten  Schale,  die  Hebamme  vor 
der  Kreissenden  auf  einem  Stuhle 
sitzend  vor,  während  auf  dem  Bilde 
der  zweiten  Schale  sie  auf  der  Erde 
knieend   ihre  Hantirungen  ausführt. 

Fig.  273.  Entbindung  im  Sitzen,  dargesteUt  auf  einer  Das  ist  etwas  gänzlich  NeueS,  WO- 
Frauenschale,  Majolica,  des  16.  Jahrhunderts  aus  Ur-   xs«  •      i^  •     j         anderpn     Vollrpm 

bino.     Im    Besitze  des    kgl.   Kunstgewerbe -Museums  in   t^^    ^^^    "®^    ^®f    anaeren     VOlKem 

Berlin.  (Nach  Photographie.)  Jjjuropas  gar  keme  Analogien  be- 

sitzen. 
Gulturgeschichtlich  lehrt  uns  die  erste  Schale,  dass  eine  grosse  ßesellschaft 
von  Weibern  sich  um  die  Kreissende  zu  schaffen  machte;  ganz  ähnlich  sehen  wir 
dieses  auch  in  den  ungefähr  gleichzeitigen  Darstellungen  von  Wochenstuben.  Aber 
wie  wenig  in  der  damaligen  Zeit  die  Entbindungen  das  Licht  der  OeffentUchkeit 
zu  scheuen  pflegten,  das  erkennen  wir  aus  dem  Bilde  der  zweiten  Schale,  wo  der 
Scene  einerseits  ein  spielendes  Kind  beiwohnt  und  andererseits  ein  junger  Page 
sogar  mit  einem  höchst  wichtigen  Assistentenposten  betraut  ist.  Aeholiche  Schalen 
sollen  sich  in  dem  South  Kensington  Museum  in  London  befinden,  jedoch 
sind  dem  Herausgeber  Beproductionen  derselben  nicht  bekannt. 


274.  Die  EntwickelnDg  der  Oebartshfllfe  in  Deutschland  and  der  Schweiz 

im  Mittelalter. 

Wenn  wir  in  diesem  Abschnitte  die  Entwickelung  der  Geburtshülfe  in  der 
Schweiz  gemeinschaftlich  mit  derjenigen  in  Deutschland  betrachten,  so  hat 
das  seinen  Grund  darin,  dass  namentlich  in  dem  späteren  Mittelalter  und  in  dem 


274.  Die  Entwickeliing  der  Geburtshülfe  in  Deutechland  u.  d.  Schweiz  im  Mittelalter.     103 

15.  bis  17.  Jahrhundert  die  culturelle  Entwickelang  dieser  beiden  benachbarten 
Länder  in  medicinischer  Beziehung  eine  grosse  Uebereinstimmung  zeigte. 

Was  die  Vorzeit  des  deutschen  Volkes  anbetrifft,  so  entzieht  sich  das 
damalige  Hebanunenwesen  unserer  Eenntniss,  nur  thun  wir  wohl  nicht  unrecht, 
wenn  wir  annehn^en,  dass  die  uns  von  Tacitus  und  anderen  romischen  Schrift- 
stellern gerühmte  kräftige  Körperbeschaffenheit  der  deutschen  Frauen  keine  be- 
sonderen HQifsleistungen  bei  dem  ßeburtsacte  nothwendig  gemacht  habe.  Der 
Dienst  und  die  Hülfe  bei  den  Geburten  hat  sich  von  den  Leistungen  der  helfen- 
den Weiber  bei  den  jetzt  lebenden  Naturvölkern  wohl  nur  wenig  unterschieden.  Die 
Geburt  stand,,  wie  man  glaubte,  in  der  Hand  der  Göttin  Freya;  die  weisen,  des 
Zaubers  kundigen  Frauen  beschworen  und  besprachen  die  allzu  grossen  Schmerzen 
der  Kreissenden;  schliesslich  beschränkte  sich  die  ^lechanische  Hülfe  gewiss  nur 
auf  das  „Heben''  oder  Empfangen,  auf  das  Abnabeln  und  die  weitere  Behandlung 
des  Kindes. 

In  den  alten  Dichtungen  der  germanischen  Völker  kommt  nur  wenig 
hierauf  Bezügliches  vor.  Wir  treffen  aber  in  der  Edda  als  ein  übernatürliches 
Mittel  zur  Beförderung  der  Entbindung  Mimes  Baum,  den  weder  Feuer  noch 
Schwert  schädigt.    Es  heisst  dort: 

„Non,  Vielgetoandt,  was  ich  Dich  fragen  wollte, 
Ich  wünschte  zu  wissen: 
Was  wirkt  der  Berühmte,  wenn  weder  Feuer 
Noch  Schwert  ihn  schädigt?" 

Die  Antwort  lautet: 

«Vor  Weibern  bring',  die  gebären  wollen, 
Seine  Frucht  ins  Feuer: 
Was  drinnen  sonst  bliebe,  drängt  sich  hervor; 
So  mehrt  er  die  Menschen.* 

Aus  einem  anderen  Qesange  der  Edda  geht  deutlich  hervor,  was  für  eine 
Rolle  in  der  damaligen  Zeit  die  Frauen  spielten,  welche  sich  auf  die  Hebammen- 
kunst verstanden.  Das  ist  „Oddrun's  Klage*";  Wühelm  Jordan  übersetzt  diese 
folgendermaassen: 

Ich  hörte  melden  in  alten  Mären, 
Wie  eine  Maid  gen  Morgenland  kommen. 
Niemand  im  Staube  hienieden  verstand  es. 
Hebend  zu  helfen  der  Tochter  Haderich^s. 

Oddrun  erfuhr  es,  EtzeVs  Schwester, 
Dass  die  Jungfrau  jammre  in  jähen  GeburtsweVn. 
Da  zog  sie  rasch  den  gezäumten  Rappen 
Hervor  aus  dem  Stall  und  stieg  in  den  Sattel. 

Auf  stäubender  Strasse,  gestreckten  Laufes 

Kam  sie  zur  herrlich  ragenden  Halle, 

Und  hastig  den  hungrigen  Hengst  entsattelnd 

Durchschritt  sie  des  Saals  unabsehbare  Länge, 

Und  das  war  der  Ausruf,  mit  dem  sie  anhub:  ^ 

Was  ist  hier  im  Reiche  am  meisten  ruchbar 
Und  lustig  zu  hOren  im  Lande  der  Hunnen? 

Borgny  sprach: 

Borgny  liegt  hier  in  schweren  Geburtsweh'n : 
Dich,  Oddrun,  bittet  die  Freundin  um  Beistand. 

Oddrun: 
Welcher  der  Fürsten  war  Dein  Verführer? 
Weswegen  liegt  Borgny  in  bittem  Weh'n? 


104    XLIII.  Die  Entwickelung  der  GeburtshOlfe  in  den  modernen  Galturländem  Europas. 

Borgny: 
Wilmud  heisst  der  den  Falknern  liold  ist, 
Warm  gebettet  hat  er  die  Buhle 
Der  Winter  ftnf  ohne  Wissen  des  Vaters. 

Nicht  mochten  sie,  mein'  ich,  mehr  noch  sprechen. 
Milden  Gemüths  vor  des  Mädchens  Enieen 
Setzte  sich  Oddrun,  und  nun  sang  Oddrun 
Wirksame  Weisen,  gewaltige  Weisen 
Der  gebärenden  Borgny  zum  Beistande  zu. 

Laufen  alsbald,  dass  der  Boden  erbebte, 

Konnten  die  Kinder,  Knaben  wie  Mädchen  u.  s.  w. 

Nach  YoUbrachter  Entbindung  dankt  Borgny  fflr  die  geleisteten  Dienste: 

So  mOgen  Dir  helfen  huldreiche  Mächte, 

Frigg  und  Freya  und  andere  Äsen, 

Wie  Du  mir  den  Leib  vom  Verderben  erlöset. 

Oddrun: 
Fürwahr,  nicht  dieweü  Du  dessen  würdig, 
Neigt*  ich  mich  nieder,  aus  Noth  Dir  zu  helfen, 
Nur  mein  Gelübde  hab*  ich  geleistet. 
Das  ich  anderwärts  aussprach:  allerorten 
Beistand  zu  bieten  (gebärenden  Frauen), 
Als  hier  das  Erbe  die  Edlinge  theilten. 

Jordan  meint,  dass  der  Eingang  dieses  Liedes  ein  Rest  von  einem  ger- 
manischen Mythus  sei,  der  urverwandt  und  im  Kern  identisch  ist  mit  dem 
griechischen  von  der  Leto  und  ihren  beiden  Zwillingskindem  ApöUon  und 
Artemis.  Er  setzt  die  Oddrun  gleich  der  Eüeithyia  als  Geburtshelferin;  den 
Namen  Oddrun  setzt  er  mit  dem  Wort  Oddr^  Speer,  Dolch,  scharfe  Spitze 
in  Beziehung  als  Ausdruck  der  heftigen  Gemüths-  und  Eorperschmerzen,  welche 
die  Kreissenden  erleiden ;  auch  könnte  man  vielleicht  Oddrun  fttr  den  entsprechen- 
den Namen  der  Gemahlin  des  Odin  halten.  Auch  erinnert  er  daran,  dass  Borgny 
ebenso  wie  Leto  „verborgen"  bedeute. 

Uns  interessirt  es  nun  hauptsächlich,  dass  das  Lied  manche  Aufschlüsse  über 
das  Hebammen wesen  der  Alten  giebt.  Zunächst  geht  aus  demselben  hervor,  dass 
die  germanischen  Völker,  welcheu  das  Lied  angehört,  wussten,  wie  sehr  es  in 
dem  Lande  der  Hunnen,  das  hier  Morgenland  genannt  wird,  an  verständigen 
Hebammen  fehlte.  Hiermit  ist  jedoch  nicht  das  Hunnenreich  an  der  Donau 
gemeint,  sondern  das  echtdeutsche  Hunen-Land,  das  am  Nieder-Bhein  lag, 
in  der  Nähe  des  Franken- Landes;  ftir  dieses  letztere  lag  es  gegen  Morgen, 
ebenso,  wie  fflr  das  Burgunder- Land.  In  dier  Edda  und  in  der  W'öUunga-^s^Q 
ist  Sigurd^s  deutsche  Heimath  als  Huna-Land  bezeichnet.  Die  zufallige  Aehn- 
lichkeit  der  Namen  veranlasste  die  Verwechselung  mit  dem  Hunnen-Reiche. 
Also  spielt  jene  Scene,  die  das  Lied  schildert,  mitten  in  Deutschland. 

Aus  weiter  Feme  muss  dort  eine  befreundete  Frau,  die  mit  der  Sache  Be- 
scheid weiss,  und  sich  derselben  geweiht  hat,  reitend  zu  der  Gebärenden  eilen. 
Hier  angekommen,  orientirt  sie  sich  mit  zwei  Fragen  über  den  Sachverhalt  und 
geht  dann,  ohne  Weiteres  zu  sprechen,  zu  der  Leistung  des  Beistandes  über:  sie 
setzt  sich  vor  die  Kniee  der  Kreissenden  und  singt  Weisen,  welche  die  Wirkung 
haben,  dass  sie  die  Geburt  befördern. 

Interessant  fflr  den  Geburtshelfer  ist  femer,  dass  das  Lied  die  damals  übliche 
Körperstellung  andeutet,  welche  die  Hebammen  wahrend  der  Entbindung  ein- 
nahmen. Sie  setzte  sich  vor  des  Mädchens  Kniee:  und  später  neigt  sie  sich  zu 
ihr  nieder.  Die  wirksamen  Weisen,  welche  sie  der  Gebärenden  zum  Beistande 
singt,  sind  jedenfalls  Beschwörungs-  und  Zauberformeln  gewesen. 


.,Bre- 


274.  Die  Entwickelung  der  Geburtshülfe  in  Deutschland  u.  d.  Schweiz  im  Mittelalter.     105 

Wie  schon  au  einer  früheren  Stelle  erwähnt  wurde,  studirten  die  Aerzie 
im  Mittelalter  auch  in  Deutschland  ausser  den  medicinischen  Werken  des  Alter- 
thums  namentlich  diejenigen  der  arabischen  Schriftsteller.  Einen  erheblichen 
Nutzen  für  die  Geburtskunde  werden  sie  wohl  kaum  daraus  gezogen  haben,  da 
ihnen  ja  auch  die  Hauptsache  dazu  fehlte,  nämlich  die  Gelegenheit  zu  der  prak- 
tischen Ausübung  der  geburtshülf liehen  Handgriffe.  Dabei  herrschte,  wie  auf 
allen  Gebieten,  so  auch  in  der  Medicin  ein  crasser  Aberglaube,  der  sich  in  den 
Schriften  der  damaligen  Zeit  in  den  verschiedensten  Formen  widerspiegelt.  Dahin 
gehört  unter  anderen  das  in  Hexametern  verfasste  Receptbuch  des  Quintas  Sere- 
nus  Samonicus.  Eine  sehr  grosse  Bedeutung  gewann  das  Werk  des  Dominikaners 
Albert  von  BoUstädt:  „De  secretis  mulierum".  Bekannt  ist  der  aus  Schwaben 
stammende  Verfasser  unter  dem  Namen  Albertus  Magnus  (1193  —  1280).  Sein 
Werk  ist  eine  Compilation  aus  Aristoteles y  Avicenna  und  Anderen;  es  wurde  in 
das  Deutsche  übersetzt  und  gewann  eine  ausserordentlich  grosse  Verbreitung. 
Auch  heute  noch  ist  in  dem  deutschen  Landvolke  dasselbe  immer  noch  in 
hohem  Ansehen. 

Aus  der  Feder  des  Arnold  von  Viüanova  (1235  —  1812)  erschien  ein 
viarium^S  das  schon  sehr  verständige  Angaben 
über  geburtshülfliche  Verhältnisse  enthielt,  nament- 
lich über  die  falschen  Kindeslagen  und  ihre  Be- 
seitigung durch  die  Wendung  auf  den  Kopf  oder 
auf  die  Füsse,  über  die  Gefahren  bei  dem  Zurück- 
bleiben der  Nachgeburt  und  über  die  Ausziehung 
des  abgestorbenen  Kindes.  Er  trat  auch  sehr 
energisch  gegen  den  Missbrauch  der  abergläubi- 
schen Mittel,  der  Incantatoria  oder  Beschwörungen 
auf,  welche  er  als  gottlos  bezeichnete.  Bei  der 
damals  noch  herrschenden  Geistesrichtung  ist  er 
natürlicher  Weise  nicht  im  Stande  gewesen,  die- 
selben erfolgreich  zu  bekämpfen.  Der  Prämon- 
stratenser  Thomas  aus  Breslau  und  Andere  be- 
kannten sich  als  eifrige  Anhänger  des  Arnold 
auf  medicinischem  Gebiete. 

Auch  die  oben  erwähnten  Schriften  der 
Italiener  JFrancesco  di  Fiedimonte,  Niccoh 
Foicucci  und  Savonarola  waren  nicht  ohne  Ein- 
fluss  auf  die  Aerzte  in  Deutschland.  So  lehnte 
sich  das  Wissen  und  Können  der  deutschen 
Aerzte  auf  diesem  Gebiete  an  Ausländisches  an. 

Die  geburtshülfliche^  Praxis  lag  in  jenen 
Händen  der  Hebammen.     ~"     " 


Fig.  274.   Unterricht  in  der  Geburtshülfe. 

Miniature  aus  dem  15.  Jahrhundert. 

(Nach  Choulant.) 


Zeiten  aber  nicht  allein  in  den 
Dieselben  hatten  vielmehr  das  Vertrauen,  welches  sie  in 
dem  Volke  genossen,  auch  noch  mit  anderen  höchst  fragwürdigen  Elementen  zu 
theilen.  So  musste  noch  im  Jahre  1580  der  Herzog  Ludwig  von  Württemberg 
durch  eigenen  Erlass  den  Schäfern  und  Hirten  das  Entbinden  verbieten. 

Die  Grossen  und  Vornehmen  verschrieben  im  16.  Jahrhundert  für  ihre 
Frauen  sogar  gute  Hebammen  aus  weiter  Feme.  Der  letzte  Hochmeister  des 
Deutsch  ritt  er- Ordens,  der  nachherige  Herzog  Alhrecht  von  Freussen^  bezog  aus 
Nürnberg  für  seine  Gemahlin  eine  Hebamme.     (Voigt.) 

„Vorurtheile,"  sagt  v.  Siehold  ^  „welche  gegen  die  von  Männern  ausgeübte 
Geburtshülfe  stattfanden,  trugen  wohl  das  Ihrige  mit  dazu  bei,  das  Fach  auf  einer 
niederen  Stufe  zu  erhalten,  indem  dadurch  den  Aerzten  und  Chirurgen  die  Ge- 
legenheit genommen  wurde,  auf  dem  Felde  der  Erfahrung  Bereicherungen  fttr  die 
Geburtshülfe  zu  sammeln.  Wurden  sie  in  Fällen,  welche  die  Hebammen  nicht 
beseitigen   konnten,    hinzugerufen,    so  waren  solche   wenig   zu   der   Anwendung 


106     XLIII.  Die  Entwickelimg  der  Geburiehülfe  in  den  modernen  Cultarlftndem  Europas. 

humaner  Hülfe  geeignet,  sondern  forderten  gewiss  nur  zu  den  rohesten,  Kinder 
zerstörenden  Operationen  auf/^  Die  Aerzte  waren  aber  selber  daran  schuld,  denn 
nicht  Wenige  hielten  es  unter  ihrer  Würde,  an  dem  Geburtsbette  handgreifliche 
Hülfe  zu  leisten. 

Ein  Arzt,  der  ein  gelehrtes  Werk  über  Gjn&kologie  und  Geburtshülfe  schrieb, 
der  Portugiese  Bod,  a  Castro  in  Hamburg  (1594),  sagt  in  seinem  Buche  mit 
dürren  Worten:  „Haec  ars  viros  dedecet/^  und  schon  kurz  zuTor  hatte  in  Frank- 
reich Le  Bon^  welcher  ebenfalls  ohne  praktische  Erfahrung  ein  Buch  über  die 
Geburtshülfe  yerfasste,  die  Forderung  gestellt,  dass  die  Hebamme,  wenn  ihre 
Weisheit  zu  Ende  sei,  nicht  den  Arzt,  sondern  einen  Chirurgen  zuziehen  solle. 
So  befand  sich  denn  eigentlich  die  praktische  Geburtshülfe  nur  in  den  Händen 
der  Hebammen  und  jener  Wundärzte,  deren  Kunst  und  Wissenschaft  häufig  eine 
noch  äusserst  geringe  war. 

Es  muss  jedoch  ein  geburtshülflicher  Unterricht  schon  früher  stattgefanden 
haben.  Wir  ersehen  dieses  aus  den  mit  Miniaturen  geschmückten  Initialen  einer 
Pergamenthandschrift  des  Gcdenus  der  königlichen  Bibliothek  zu  Dresden,  welche 
Choulant  besprochen  hat.  Dieselbe  ist  in  Belgien  und  zwar  wahrscheinlich  in 
Brüssel  im  Anfange  des  15.  Jahrhunderts  geschrieben.  Eine  dieser  Miniaturen 
(Fig.  274)  stellt  einen  auf  einem  Stuhle  sitzenden  Lehrer  und  zwei  zur  Seite 
stehende  Schüler  dar.  Aaf  den  Lehrer  schreitet  eine  vollständig  nackte  hoch- 
schwangere Frau  mit  langherabhängenden  goldblonden  Haaren  zu,  über  welche 
der  Lehrer,  wie  aus  der  Haltung  seiner  Hände  ersichtlich  ist,  unstreitig  einen 
wissenschaftlich  demonstratiren  Vortrag  hält. 


275.  Die  Entwlckelung  der  Geburtshülfe  In  Deutschland  und  der  Schweiz 
während  des  16.  Jahrhunderts. 

Von  dem  16.  Jahrhundert  an  vermögen  wir  eine  recht  günstige  Wendung 
zum  Besseren  zu  erkennen.  Schon  erfahren  wir  von  Geburtshelfern,  welche  von 
der  Bevölkerung  hochgeschätzt  wurden  und  welche  dort  erfolgreich  eingriffen,  wo 
die  Hülfe  der  Hebammen  nicht  ausreichen  wollte.  Ein  bedeutisames  Beispiel  hier- 
für trug  sich  im  Jahre  1516  in  Freiburg  in  der  Schweiz  zu:  Der  aus  Württem- 
berg stammende  Arzt  Alexander  Zite  (auch  Seite  ^  Sye,  Seie  geschrieben)  hatte 
in  Baden  (Canton  Aargau)  prakticirt,  sich  aber  durch  die  „Verläumdung^'  der 
Eidgenossen  beim  Herzog  Ulrich  von  Württemberg  bei  der  R^erung  von 
Freiburg  missliebig  gemacht.  Diese  wies  ihn  daher  aus  der  Eidgenossenschaft 
durch  Verbannung  aus.  Allein  in  der  ersten  halben  Stunde  nach  seiner  Ver- 
haftung kam  eine  Kreissende  in  Baden  nieder,  und  zwar  war  dieser  Geburtsfall 
ein  so  schwieriger,  dass  die  anwesenden  Frauen  nicht  glaubten,  dass  die  Kreissende 
mit  dem  Leben  davon  kommen  würde.  Sie  wendeten  sich  daher  an  den  Land- 
voigt mit  der  Bitte,  den  oft  bewährten  Geburtshelfer  freizulassen,  damit  er  helfend 
eingreifen  hönne,  und  dieses  wurde  ihnen  dann  auch  bewilligt.  Zitz  wurde  also 
zurückgerufen  und  führte  die  Entbindung  glücklich  zu  Ende.  Nunmehr  thaten 
sich  die  Damen  von  Baden  zusammen  und  richteten  eine  Eingabe  an  die  Re- 
gierung mit  der  Bitte,  den  kunsterfahrenen  Mann  aus  der  Schweiz  nicht  weg- 
ziehen zu  lassen,  sondern  ihm  wenigstens  zu  erlauben,  sich  zu  verantworten  und 
ihm  auch  in  dem  Falle  zu  verzeihen,  dass  er  wirklich  etwas  Strafbares  begangen 
habe.    (Meyer-Ahrens.) 

Auch  in  Bezug  auf  das  Gewerbe  der  Hebammen  haben  wir  mit  dem  Be- 
ginne der  Neuzeit  ein  Paar  wichtige  Verbesserungen  zu  verzeichnen.  Die  eine 
derselben  besteht  darin,  dass  allmäUich  für  sie  Besoldungen  aus  dem  öffentlichen 
Säckel  zur  Verfügung  gestellt  werden;  die  andere  bildet  die  Ausarbeitung  be- 
sonderer Hebammen-Ordnungen  und  die  Bestimmung,  dass  die  zur  Niederlasisung 


275.  Die  Entwickelung  der  Geburtahfllfe  in  Deutschland  u.  d.  Schweiz  im  16.  Jahrhundert.     ]  07 

sich  meldenden  Frauen  einer  wissenschaftlichen  Prüfung  sich  unterziehen  müssen, 
und  dass  bestimmte  Aerzte  beauftragt  werden,  ihnen  den  nothwendigen  Unterricht 
zu  ertheilen.  In  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  vermachte  in  Frankfurt  am 
Main  Johann  Leidemann  seiner  Vaterstadt  ein  Legat,  aus  dessen  Ertragnissen 
Hebammen  entschädigt  werden  sollten,  damit  sie  den  Weibern  der  Armen  bei  der 
Entbindung  unentgeltliche  Hülfe  leisteten.  In  Folge  dieses  Legates  wurde  1456 
zum  ersten  Male  eine  Hebamme  angestellt  und  mit  4  Gulden  jährlich  besoldet. 
Diese  Maassnahme  scheint  sich  bewährt  zu  haben,  denn  schon  im  Jahre  1463 
erfolgte  die  Anstellung  einer  zweiten  Hebamme ;  im  Jahre  1479  waren  deren  schon 
vier,  welche  mit  je  2  Gulden  besoldet  wurden,  und  im  Jahre  1488  war  ihre  Zahl 
auf  5  gestiegen.  Diese  Hebammen  waren  damals  sämmtlich  in  der  Altstadt;  sie 
wurden  „Stadt- Ammen'  oder  «des  Rathes  Ammen"  genannt.  Ausser  ihnen  gab 
es  nun  aber  natürlicher  Weise  auch  noch  andere  Hebammen  in  der  Stadt.  Diese 
bedurften  für  ihre  Niederlassung  einer  beim  Bathe  einzuholenden  Erlaubniss,  wobei 
ihnen  mitunter  auch  gestattet  wurde,  dass  sie  sich  vom  Stadtpfarrer  über  die 
Kanzel  verkünden  liessen.     (Kriegk.) 

Diese  Einrichtung  muss  auch  in  anderen  Städten  Nachahmung  gefunden 
haben,  denn  wir  treflfen  im  Jahre  1485  in  Freiburg  in  der  Schweiz  schon  vier 
Stadt-Hebammen  an,  deren  jeder  ein  Stadtviertel  zugewiesen  war.  Sie  erhielten 
eine  Besoldung  von  49  Sons  für  das  Jahr.  Da  man  dort  nicht  immer  die  hin- 
längliche Zahl  geeigneter  Individuen  fand,  und  beispielsweise  im  Jahre  1491  nur 
zwei  besoldete  Hebammen  daselbst  hatte,  so  scheint  man  als  Erforderniss  für  den 
Beruf  schon  damals  eine  besondere  Qualität  der  Gandidatinnen  verlangt  zu  haben. 
Um  das  Jahr  1496  existirte  in  Basel  ein  Gomit^  von  Frauen,  welches  die  Heb- 
ammen beaufsichtigte.  Hierin  lag  schon  der  erste  Keim  zu  einer  erfreulichen 
Besserung.     (Meyer-Ahrens^.) 

Eine  Hebammen-Ordnimg  hatte  schon  im  Jahre  1451  die  Stadtverwaltung 
von  Begensburg  erlassen;  auch  ist  darin  bereits  eine  öffentliche  Prüfung  der 
Bewerberinnen  vorgeschrieben.  Sie  müssen  sich  unter  Anderem  verpflichten, 
sogleich  zu  erscheinen,  wenn  sie  gerufen  werden.  Die  Oberau&icht  über  diese 
Personen  war  auch  hier  „ehrbaren  Frauen"  übertragen. 

In  Frankfurt  am  Main  wird  eine  Prüfung  der  Stadt- Hebammen  durch 
die  Stadtärzte  im  Jahre  1491  erwähnt;  die  Prüfung  der  übrigen  Hebammen  be- 
gann aber  erst  im  Jahre  1499.  (Kriegk)  Eine  solche  Frankfurter  Hebamme, 
allerdings  aus  ein  wenig  späterer  Zeit,  haben  wir  in  Fig.  236  kennen  gelernt. 

Auf  dem  Reichstage  in  Begensburg  im  Jahre  1532  gab  Kaiser  Karl  V. 
die  Halsgerichtsordnung  Carolina.    In  derselben  heisst  es  Art.  35: 

,Da  dann  die  hebamm  all  ir  vorbereitne  Rüstung  darzu  dienlich,  nützlich  und  gut, 
bereit  sol  haben  als  den  Kindstuhl,  sch&rli,  schwanun,  nadlen  und  faden.  ** 

Als  eine  günstige  Folge  der  Aufsicht  und  Aufinerksamkeit,  welche  den  Heb- 
ammen jetzt  von  Seiten  der  städtischen  Behörden  zu  Theil  wurde,  müssen  wir  es 
betrachten,  dass  Aerzte  dazu  veranlasst  wurden,  geburtshülf liehe  Lehrbücher  für 
die  Hebammen  zu  verfassen.  Auch  wurde  in  einigen  Städten  sehr  bald  ein  regel- 
mässiger Hebammenunterricht  eingeführt. 

Die  erste  Instruction  für  die  Hebammen  datirt  vom  Jahre  1480  aus 
Würzburg.  Im  zweiten  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhimderts  veranlasste  Ccdharina 
geborene  Prinzessin  von  Sachsen  und  Wittwe  des  Herzogs  Siegmund  von 
Oesterreich,  später  Qemahlin  Erich' s  /.,  Herzogs  zu  Braun  schweig  und  Lüne- 
burg, welche  1524  zu  Qöttingen  starb,  den  Dr.  Eucharius  Rösslin  in  Worms 
(später  in  Frankfurt  am  Main),  ein  Lehrbuch  für  Hebammen  zu  verfassen. 
Dasselbe  wurde  1513  zu  Worms  gedruckt  und  es  erlangte  in  kurzer  Zeit  eine 
ausserordentlich  weite  Verbreitung.  Das  Buch  bildet  eine  Zusammenstellung  der 
Lehren  des  Hippokrates,  GdlenuSy  Aetius^  Avicenna^  Albertus  Magnus  u.  s.  w.  In 
seiner  Widmung  an  die  Prinzessin  Caiharina  spricht  der  Verfasser  die  Bitte  aus, 


108     XLIII.  Die  EntwickelnBg  der  Geburtshülfe  in  den  modernen  Galiorlftndem  Europas. 

dass  diese  das  Buch  unter  die  ehrsamen  schwangeren  Frauen  und  Hebammen  aus- 
theilen  lassen  möchte. 

Eucharius  Boesdin's:  «Schwangere  Frawen  und  Hebammen  Rosen- 
garten' hat  eine  grosse  Zahl  Ton  Auflagen  erlebt.  Der  Verfasser  suchte  darin 
auch  die  Unkenntniss  und  Fahrlässigkeit  der  Hebammen  zu  bekämpfen.  Er  schreibt: 

Ich  meyn  die  Hebammen  alle  sampt, 

Die  also  gar  kein  wyssen  handt. 

Darzu  durch  yr  Hynlessigkeit 

Kynd  verderben  weit  und  breit. 

Und  handt  so  schlechten  Fleiss  gethon 

Dass  sie  mit  Ampt  eyn  Mort  begon  u.  s.  w. 

—  Hab  ich  mjr  das  zu  Hertzen  genommen 

Gott  zu  Lob  und  uns  zu  frommen 

Den  armen  Selen  auch  zu  trost 

Die  damit  werden  hie  erlost 

Und  nit  so  vil  Mort  wurd  geschehen 

Als  oft  und  dick  ichs  hab  gesehen  u«  s.  w. 

Das  Beispiel  der  Prinzessin  Catharina  fand  Nachahmung.  Zwei  Vorsteher 
der  obersten  Ghirurgengesellschaft  in  Zürich,  die  Meister  Joerg  Müller  und 
Rudolf  CloteTj  veranlassten  den  Steinschneider  Jacob  Euff  oder  Rueff^  mit  dem 
gemeinsam  ihnen  der  Unterricht  und  die  Prüfung  der  Hebammen  übertragen 
war,  einen  populären  Leitfaden  für  Hebammen,  Schwangere  und  Wöchnerinnen 
auszuarbeiten.  iZti^/f  vollendete  diesen  im  Jahre  1554  und  ersuchte  den  Bürgermeister, 
das  Buch  sämmtlichen  Hebammen  und  pflegenden  Frauen  in  der  Stadt  und  auf 
der  Landschaft  zu  schicken.  (Meyer-Ähren^.)  In  Rueff's  Buch  ist  Manches  für 
die  damalige  Zeit  klarer  und  deutlicher  dargestellt,  als  in  Bösslin's  „Rosengarten^^ 
doch  fehlt  es  in  demselben,  das  ebenfalls  viele  Ausgaben  erlebte,  keineswegs  an 
Absurditäten  und  Aberglauben. 

Diese  Verfasser  nämlich  und  die  ihnen  nachschreibenden  Autoren  von  Heb- 
ammenbüchern hatten  selbst  keine  genügenden  Erfahrungen  am  Geburtsbette 
sammeln  können.  Es  blieb  ihnen  daher,  wie  v.  Siebold  bemerkt,  nichts  anderes 
übrig,  als  sich  theils  nach  den  Aussagen  der  Hebammen  und  der  Darstellung 
ihrer  Vorgänger,  welche  aus  denselben  Quellen  geschöpft  hatten,  zu  richten,  theils 
nach  eigenen  Erfindungen  diese  Bücher  auszuschmücken.  Danach  kann  man  den 
geringen  wissenschaftlichen  Werth  eines  solchen  Buches  ermessen.  Immerhin  sind 
trotz  ihrer  Schwächen  diese  Werke  von  nicht  geringer  Bedeutung  für  die  Ent- 
wicklung des  deutschen  Hebammenwesens.  Denn  in  praktischer  Hinsicht  wurde 
Rösslin's  Werk  von  einem  sehr  weittragenden  Einfluss,  und  zu  der  theoretischen 
Belehrung  und  Aufklärung  der  deutschen  Hebammen  hat  es  nicht  unerheblich 
beigetragen. 

Mit  dem  Erscheinen  dieser  Bücher  beginnt  in  Deutschland  die  Einmischung 
der  Aerzte  in  das  Geschäft  der  Geburtshülfe.  Für  uns  sind  sie  die  Quellen  zur 
Erkenntniss  der  Anschauungs-  und  Behandlungsweise,  welche  unter  den  Hebammen 
Deutschlands  zu  jener  Zeit  herrschte.  Eine  wirkliche  Verbesserung  des  Heb- 
ammenwesens in  Deutschland  konnte  freilich  erst  durch  den  weiteren  Ausbau 
der  Hebammenordnungen  und  vor  Allem  durch  die  Errichtung  guter  Heb- 
ammenanstalten in  befriedigender  Weise  erreicht  werden. 

Es  zeugt  aber  schon  von  einem  erheblichen  Fortschritte,  wenn  Walter  Ry/f  *) 
im  Jahre  1545  davon   spricht,   dass   den  Hebammen  von  erfahrenen  Aerzten  der 


*)  Eeiff,  auch  Byff,  Bivius,  Riif,  Biffus  darf  nicht  mit  Jacob  Bueff  verwechselt  werden. 
Nach  HäUer  und  Gessner  wurde  er  wegen  schlechter  Streiche  aus  verschiedenen  Städten  aus- 
gewiesen. In  seinem  «Frawen  Rosengarten*  erscheint  er  als  Plagiator.  Julius  Beer 
(Das  Hebammenwesen  im  Mittelalter  im  Reflex  des  Alterthums  und  unserer  Zeit,  Deutsche 
Klinik  1862,  No.  84,  S.  880)  schreibt  ihn  ßüschlich  „Buff". 


275.  Die  Entwickeloiig  der  Geburtshülfe  in  Deutschland  u.  d.  Schweiz  im  16.  Jahrhundert     1 09 

Unterricht  ertheilt  werde  und  wenn  er  fbr  die  Städte  die  Anstellung  yon  ge- 
schworenen Hebammen  befürwortet.  Dahingegen  erklärte  wie  gesagt  der  Leibarzt 
des  Königs  Karl  IX.,  Joh.  Le  Bon^  in  seinem  Büchlein  »Therapia  gravidarum'  1577 
die  Ausübung  der  Geburtshülfe  für  ein  den  Mann  schändendes  Geschäft. 

Auch  in  Ulm,  Nürnberg  u.  s.  w.  finden  wir  schon  im  16.  Jahrhundert 
ein  geordnetes  Hebammen wesen:  In  Ulm  wurden  die  Hebammen  nach  erhaltenem 
Unterricht  vom  Physikus  geprüft  und  dann  erst  zugelassen,  auch  lag  ihnen  dort, 
wie  an  anderen  Orten,  die  gesnndheitspolizeiliche  Aufsicht  über  die  Frauen  (Pro- 
stituirte)  in  den  Frauenhäusem  (Bordellen)  ob. 

In  Zürich  hatte  bis  zum  Jahre  1554  Jacob  Sueff  die  Aufgabe,  jährlich 
einige  Male  mit  noch  einigen  anderen  Herren  die  Hebammen  zu  „verhören^^  Jetzt 
aber  erhielt  der  Stadtarzt  Conrad  Gessner^  der  berühmte  Naturforscher,  in  einer 
Pflichtordnung,  welche  ihm  für  die  Besorgung  der  Stadtarztschule  ertheUt  wurde, 
den  Befehl,  die  Unterweisung  und  Prüfung  der  Hebammen  zu  übernehmen:  „Des- 
gleichen sol  Er  ouch  die  Hebammen  zu  allen  Fronfasten,  wanü  die  Verordneten 
Ihn  berüfiPend  ald  gebietend,  Sie  zu  behören  (prüfen),  examiniren  und  underrichten 
nach  seinem  besten  Vermögen/^  Die  Befähigung  Gessner's  zum  Hebanunenunter- 
richt  war  gewiss  eine  sehr  geringe,  denn  ihm  selbst  fehlte  die  Erfahrung  in  der 
Geburtshülfe.  Dieser  Unterricht  bestand  darin,  dass  der  Inhalt  eines  Hebammen- 
katechismus Yon  den  Hebammen  hergesagt  werden  musste,  der,  wie  es  scheint, 
schon  um  das  Jahr  1536  benutzt  worden  war;  er  findet  sich  abgedruckt  in 
Johannes  Muralfs 

„Kinder-Büchlein  oder  Wohlbegründeter  Unterricht,  Wie  sich  die  Wehe  Mattem  und 
Wartherinnen  gegen  schwangeren  Weibern  in  der  Geburt,  gegen  denen  Jungen  Kindern  und 
Säuglingen  aber  nach  der  Gebührt  zu  verhalten  haben/    (Zürich  1689.) 

Ausser  diesem  Katechismus  benutzten  die  Züricher  Hebammen  noch  Rueff's 
Hebammenbuch,  wurden  auch  über  ein  Kapitel  dieses  Werkes  geprüft  und  waren 
verpflichtet,  bei  jeder  Geburt  womöglich  das  dritte  Buch  desselben  während  der 
ersten  Qeburtsperiode  durch  eine  wohlbelesene  Frau  vorlesen  zu  lassen.  {Meyer- 
Ährens^.) 

Wir  wollen  als  Beispiel  aus  diesem  Katechismus  wenigstens  eine  Frage  und 
Antwort  vorfuhren.     Der  Stadt-Arzt  oder  Doctor  fragt: 

,So  aber  die  Wasser  gangen  vnd  gebrochen  von  den  Frawen  rünnend  oder  fliessend 
vnd  das  Kind  mit  dem  Häutlein  vnd  seinem  mund  gespührt  vnd  gemerckt  wird,  welches 
natürlich  vnd  recht  ist,  was  ist  dann  £uwer  Amt  und  Handtwürckung?*^ 

Die  Hebanmie  antwortet: 

„So  ich  die  gewüsse  Zeiit  vnd  rechte  Kindswehe  gemerckt,  gespührt  vnd  erlehmet  hab, 
so  tröst  ich  die  Frauw  mit  gelehrten  und  geschickten  werten  vnd  ermannen  Sie  zu  der  Arbeit 
trostlich  vnd  tapfer  zu  sein,  Ich  thun  auch  solches  gegen  den  andern  Frauwen,  was  Ihr  amt 
vnd  arbeit  sein  solle,  demnach  heiss  Ich  die  Frauwen  allesammen  Nider  Kneuen,  vnd  Gott 
den  allmächtigen  bäten  vnd  anruffen,  so  es  die  Zeit  erleiden  mag  mit  einem  andächtigen 
Vatervnser,  damit  er  vns  geben  wolle  vnd  mittheilen  Hilff  trost  vnd  gnad  mit  einer  glück- 
hafftigen  stund,  vnd  wie  bald  wir  gebättet  band  vnd  aufgestanden,  heiss  Ich  im  nammen 
Gottes  die  Fraaw  auf  den  Kindsstuhl  sitzen,  der  vns  dazu  verordnet  ist  worden,  vnd  so  sie 
ordentlich  vnd  geschicklich  gesetzt  ist,  zu  meinem  vortheil  vnd  die  schwanger  Fraw  willig 
ist,  so  ordnen  Ich  eine  Frauw  binden  zu  der  Frauwen  mit  Ihren  armen  Schlagen  vnd  um- 
geben vnd  höfflich  mit  den  bänden  zu  der  Zeit,  den  Kinds  vnd  durchschneidenden  Wehen 
nach  nid  sich  streichen  vnd  sänffbiglich  trucken,  dass  Ich  Sie  dann  als  zu  lehren  schuldig  vnd 
Pflichtig  bin,  demnach  ordnen  Ich  noch  zwo  Frauwen  eine  zur  lingken,  die  ander  zu  der 
rechten  selten,  die  der  Frauwen  zusprächend,  vnd  Sie  freundlich  zu  der  arbeith  ermahnend, 
damit  wo  Ich  Ihren  bedörffe,  Sie  auch  helffen  können,  vnd  so  Ich  die  Schwangeren  Frauwen, 
ordentlich  und  wol  mit  weibem  versehen  vnd  versorget,  so  salb  ich  meine  händ  mit  weissem 
gilgenöl  vnd  suess  Mandelöl  gleich  undereinanderen  vermischt  ouch  Hünerschmaltz,  demnach 
greiff  Ich  mit  meinen  Fingern  zu  der  Frauwen,  vnd  erfahr,  wie  das  Kindlein  geschieben  liege, 
auch  wie  der  inner  weg  der  Bärmutter  gegen  den  vorderen  Leib  gericht,  vnd  bereit  seige, 
wo  sich  das  Kind  ansetzen  werde,  damit  Ich  in  der  g^edi  nach  im  durchschneiden  des  Kindes 


110     XLin.  Die  Entwickelung  der  Gebartshülfe  in  den  modernen  Goltarlftndern  EnropaB. 

leichtlich  zu  dem  aussgang  helffen  möge  mit  böfflicbem  Streichen,  vnd  umbgriffen  dess  Kindes 
vnd  so  mir  dass  Eindlein  also  werden  mag,  so  empfach  leb  dass  also  vnd  lass  es  also  mit 
der  Hilflf  Gottes  werden*  u.  s.  w. 

In  Frankfurt  am  Main  veröffentlichte  im  Jahre  1573  Adam  Lonicerus  die 
erste  üebammenordnung  fBr  diese  Stadt: 

, Reformation  oder  Ordnung  für  die  Hebammen,  Allen  guten  Polizeyen  dienlicb. 
Gestellt  an  einen  Erbaren  Rath  des  Heiligen  Reichs  Statt  Frankfurt^  amMayn,  durch 
Adamum  Lonieerumj  Medicum  Physikum  daselbst.  1578  Gedruckt  zu  Frankfurt  a/M. 
bei  Christian  Egenolff's  Erben,  in  Verlegung  Doct  Ad,  Lanioeri,  M.  Joan.  Knipy  und 
P.  Steinmeyer^ 

Als  ein  Beispiel  ihres  Stiles  möge  hier  das  erste  Kapitel  folgen: 
«Von  erwehlung  der  Person  der  Ammen." 

«Dieweil  wir  alle  durch  den  schmerzen,  von  wegen  des  ersten  falls  und  auferlegten 
«Fluchs  geboren  werden,  und  nicht  weniger  unraths  (Unheils)  in  der  Geburt,  nicht  allein  der 
,  Mutter,  sondern  auch  der  Frucht,  durch  Ungeschicklichkeit  und  Zuweilen  auch  durch  bossheit 
«etlicher  Ammen  wiederfahren  kann.  Soll  man  billich  zur  erwehlung  der  Ammen  fleissig 
«achtung  und  auffsehens  haben,  Als  nehmlich:  Es  soll  diejenige,  welche  zu  einer  Ammen  auf- 
«genommen  wird,  eine  Erbare  Gottesfürchtige  Fraw  seyn,  eines  ehrlichen  Lebens,  guter  sitten 
«und  geberden,  nüchtern,  erbarer  Grestalt  von  angesicht,  glidm&Asiges  Leibs,  sonderlich  gerade 
«gelenck  Hende  haben,  damit  sie  fertig  und  geschicklich  mit  der  Geburt  umbgehen  möge. 
«Nicht  hassig,  nicht  zänkisch,  nicht  neidisch,  nicht  frech,  nicht  hofferdig,  nicht  trotzig  oder 
«bollerig  und  mürrisch  mit  Worten,  Sondern  freundlich,  sanfftmüthig,  tröstlich  Sol  auch  ge- 
«herzt  und  kurzweiliges  gespreches  sein,  dass  sie  den  verzagten  und  kleinmüthigen  nach  not- 
«turfft  köndte  zureden,  ünnd  sie  lustig  und  geherzt  zur  arbeit  machen,  unndt  im  Fall  der 
«not  trOsten  möge.  Sie  soll  auch  eine  Zeit  lang  sich  za  andern  Ammen  gehalten  haben,  dass 
«Bie  in  allen  zuföllen,  so  sich  bei  den  geberenden  zutragen  mögen,  guten  Bericht  und  erfahrung 
«habe,  unnd  schnellen  rath  in  gef&hrlichen  Fällen  zu  geben  wisse.* 

Wir  erfahren  hieraus,  wie  man  sich  zu  jener  Zeit  das  Ideal  einer  Weibs- 
person vorstellte,  welche  ftir  den  Hebammendienst  geeignet  sein  sollte.  Wir  sehen 
aber  anch,  dass  man  es  damals  zu  der  praktischen  und  wissenschaftlichen  Aus- 
bildung einer  Hebamme  fftr  genügend  hielt,  dass  sie  sich  eine  Zeit  lang  zu  anderen 
Hebammen  gehalten  habe.  Im  üebrigen  ist  die  Hebammen-Ordnung  des  Lonicerus 
im  zweiten  Theile  eine  Art  Lehrbuch  für  Hebanmien  und  unterscheidet  sich  in 
den  Lehrsätzen  über  die  Pflege  in  der  Schwangerschaft,  der  Geburt  und  dem 
Wochenbett  nur  wenig  von  BössUn's,  Bueff's  u.  s.  w.  Hebammenbüchem.  Im 
fünften  Kapitel  enthält  das  Buch  verschiedene  „Fragstück^^  an  die  Ammen:  „Wie 
sie  thun,  wann  das  Kind  widersinnig  zur  Geburt  kompt";  „So  das  Kind  Überzwerg 
und  über  ein  seit  liegt"  u.  s.  w.  Die  Prüfungen  der  Hebammen  wurden  vor  der 
„verordneten  Matronen^^  abgelegt,  und  alle  schweren  geburtshülflichen  Falle  waren 
den  Hebammen  oder  einem  Concilium  derselben  überlassen. 

Der  Vollständigkeit  wegen  führen  wir  noch  an,  dass  in  Hamburg  eine 
Rathshebamme  zum  ersten  Male  im  Jahre  1534  erwähnt  wird.  Sie  wohnte  nach 
Ausweis  der  Stadtrechnungen  gratis  in  dem  Keller  unter  der  Bathsapotheke. 
(Gemet.) 

Die  Hebammen-Ordnung  von  Passau  1547  bestimmt  schon  eine  Prüfung 
durch  den  Physikus.  {Frank^  Seit  dieser  Zeit  wurde  die  Abhängigkeit  der  An- 
stellung als  Hebamme  von  der  Ablegung  einer  Prüfung  vor  den  Stadtärzten  in 
Deutschland  und  der  Schweiz  immer  allgemeiner. 

Dagegen  war  noch  im  Jahre  1653  zu  Leipzig  üblich,  dass  die  Gattin  des 
Bürgermeisters  die  Wahl  und  Prüfung  vornahm;  denn  es  heisst  in  dem  Werke 
des  Leipziger  Professors  Welsch: 

„Meins  wenigen  Eracbtens  aber  ist  bei  dergleichen  Wahl  und  Examen  zweierlei  zu  be- 
achten: erstlich  wem  dasselbe  aufzutragen,  und  zum  andern,  wie  und  auf  was  Weise  es  an- 
gestellet,  und  was  darbei  vorgenommen  werden  soll?  Was  das  erste  belangt,  so  ist*s  auch 
bei  dieser  Löblichen  Stadt  wohl  hergebracht,  dass  solche  Wahl  und  Examen  der  Eindermfitter 


275.  Die  Entwickelang  der  Gebortshülfe  in  Deatschland  u.  d.  Schweiz  im  16.  Jahrhundert.     1 1 1 

denen  Bürgermeisters  Weibern  heimgegeben  und  aufgetragen  wird.  Wie  nun  ein  jedweder 
guter  Bflrgermeister  allezeit  dahin  bemühet  ist,  dass  Er,  als  allgemeiner  Stadt-Vater,  die 
Wohlfahrt  seiner  Bürger,  Vermögens  nach,  sucht  und  beobachtet;  also  wird  billig  deroselben 
Weibern  die  Vorsorge  vor  gute  Kindermütter,  weil  einer  ganzen  Stadt  merklich  daran  ge- 
legen,  aufgetragen,   und  ihnen  freigestellt,  ob  sie  solches  vor  sich,  oder  mit  Zuziehung  noch 

anderer  Erbaren,  verständigen  Weibern  werkstellig  machen  wollen Und  haben  dieselben 

hierbey  dieses  absonderlich  zu  bedenken,  dass  sie  in  Erwehlung  einer  Eindermutter  ja  mehr 
auf  Gottesfurcht,  Verstand  und  Geschicklichkeit,  als  auf  Gunst,  und  dass  eine  oder  die  andere 
etwa  bei  ihnen  gedient,   oder  sich  sonst  angeschmiegt,  sehen;   und  ihnen  hemachmals,  wenn 


Fig.  275.    Deutsche  Hebamme  des  16.  Jahrhunderts,  einer  Kreissenden  beistehend. 

(Ans  Jacob  Rueff,) 

durch  Verwahrlosung  der  unerfahrenen  Kindermutter  unglück  geschiehet,  keine  Verantwortung 
in  ihrem  Gewissen  zuwachsen  möge.  Und  weil  diese  Wahl  kein  Kinderspiel  ist,  und  vieler 
Ehrlichen  Eheleute  Freude  und  Leyd,  Glück  und  Unglück  darauf  beruhet,  so  wäre  es  in 
Wahrheit  nicht  zu  widerrathen,  dass  zu  dergleichen  Wahl  und  Examen  ein  Medicus  gezogen 
und  sein  Rath  und  Gutachten  von  der  Frau,  so  Kindermutter  werden  will,  vernommen  würde.* 
Ein  fernerer  Fortschritt  in  der  Entwickelung  der  Geburtshülfe  vollzog  sich 
gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  in  München.  Um  den  nöthigen  Unterricht  in 
der  Hebammenknnst  zu  ertheilen,  wurde  hier  zum  ersten  Male  in  Deutschland 
im  Jahre  1589  eine  6ebärstube  eingerichtet.  Das  geschah  im  Heiligen-Geist- 
Spitale.     (Hofier.) 


112     XLIII.  Die  Entwickelung  der  Geburtshülfe  in  den  modernen  Goltarländem  Europas. 

Bildliche  Darstellungen  von  Hebammen  des  16.  Jahrhunderts  finden  sich  mehr- 
fach in  den  Druckwerken  der  damaligen  Zeit.  Fig.  275  ist  Rueffs  Hebammen- 
Buch  vom  Jahre  1581  entnommen,  und  wahrscheinlich  ist  diese  Zeichnimg  von 
Hans  Burgkmair  entworfen  worden.  Die  Hebanune  sitzt  auf  einem  niedrigen 
Schemel  vor  der  auf  dem  Gebärstuhle  befindlichen  Ereissenden,  welche  von  zwei 
Nachbarinnen  unterstützt  wird.  Alles  ist  ftir  den  Empfang  des  Kindes  vorbereitet. 
Die  Bütte  zum  Baden  und  die  Wasserkanne  stehen  am  Boden  dicht  neben  den 
Frauen;  die  Scheere  zum  Abnabeln  und  der  £näuel  zur  Unterbindung  sind  auf 
einem  Tische  zur  Hand  gelegt.  Im  Hintergrunde  am  Fenster  sitzen  zwei  Männer, 
welche  den  Mond  und  die  Sterne  betrachten  und  mit  astrologischen  Instrumenten 
beschäftigt  sind,  dem  neuen  Weltbürger  das  Horoscop  zu  stellen.  Die  Hebamme 
hat  eine  grosse  Tasche  und  ihre  geburtshülflichen  Instrumente  an  einem  Gürtel 
um  den  Leib  befestigt,  aber  sie  sind  vollständig  auf  das  Gesäss  geschoben,  damit 
sie  bei  der  Entbindung  nicht  hinderlich  sind.  Eine  kurze  ärmellose  Jacke  hat 
die  Hebamme  über  ihr  Kleid  gezogen,  dessen  Aermel  in  die  Höhe  gestreift  sind. 
Auf  dem  Kopfe  trägt  sie  eine  absonderliche  Haube,  die  an  ein  colossales  Barett 
erinnert. 

Die  obrigkeitliche  Belehrung  der  Hebammen  erstreckte  sich  nicht  allein  auf 
die  technischen  Fertigkeiten,  sondern  sie  hatte  das  ernstliche  Bestreben,  auch  dem 
gerade  in  diesem  Stande  noch  tiefwurzelnden  Aberglauben  entgegenzutreten.  So 
heisst  es  beispielsweise  in  der  Gothaischen  Landesordnung  (Beifügung  Part  3  No.  32) 
vom  Aberglauben  und  Unterricht  der  Hebammen: 

,Sie  sollen  Gottes  Wort  fleissig  hören,  das  hoch  würdige  Abendmahl  fleissig  brauchen 
und  was  sie  gefasst  und  gelernt,  zum  Glauben  und  christlichen  Leben  anwenden.  Hingegen 
soll  aber  Aberglauben  und  Missbrauch  Gottes  Namens  und  Wortes  (so  wider  das  erste  und 
andere  Gebot  läuft),  als  da  ist  Segensprechen,  Charakteren  oder  Buchstaben-Zeichen,  sonder- 
liche Geberden  und  Kreuzmachen,  Ablösen  des  Näbeleins  mit  gewissen  Fragen  und  Antworten, 
Anhängen  etlicher  sonderbaren  Dinge  wider  das  abergläubische  Berufen  der  Kinder,  bespritzen 
vor  oder  nach  dem  Bade,  und  dergleichen,  nicht  alleine  an  ihnen  selbst  gänzlich  verboten 
sein,  sondern  auch,  wenn  sie  dergleichen  unchristliches  und  tadelhafbes  Beginnen  an  andern 
Leuten  vermerken,  sollen  sie  dieselben  ernstlich  abmahnen,  auch  ebenfalls  dem  Pfarrer  oder 
Obrigkeit  anzeigen.* 

Auch  die  Augsburger  Hebammen-Ordnung  verbietet  alles  „Segensprechen, 
unnütze  Gewohnheiten  und  Sprüchlein,  sündliche  Gebräuche''.  Sie  fährt  4  lernende 
und  9  besoldete  geschworene  Hebammen  an.  Dazu  kamen  die  für  die  auswärts 
wohnenden  und  die  fürs  „Bl^^^i^haus''  angestellte  Hebamme  und  4  „Fürerinnen^^; 
auch  gab  es  eine  „Stadthebamme^^  Die  Hebammen  mussten  ein  „Hebammen- 
schild^^  an  ihrem  Wohnhause  aushängen;  die  „lemenden^^  durften  jedoch  das  Stadt- 
wappen nicht  darauf  anbringen.  Der  Hebammeneid  war  bei  dem  loblichen  Bau- 
amt zu  leisten.     (Birlinger.) 


276.  Die  OeburtshUlfe  in  Deutschland  und  der  Schweiz  In  der  Neuzelt. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts  erschien  ein  neues  Hebammen- 
lehrbuch aus  der  Feder  der  für  ihre  Zeit  hochbedeutenden  churfürstlich  branden- 
burgischen „Hof- Wehe-Mutter"  Justine  Siegemundin,  Sie  war  die  Tochter  des 
Pfarrers  Elias  Dittrich  in  Schlesien  und  sie  hat  nicht  nur  am  Hofe  des  Ghur- 
fürsten  Friedrich  Wühehn  in  Berlin,  sondern  auch  an  anderen  Höfen  durch 
ihren  Beistand  gewirkt.  Ihr  Werk  wurde  der  medicinischen  Facultät  zu  Frank- 
furt a.  0.  zur  üensur  vorgelegt  und  erhielt  am  28.  März  1689  die  Approbation; 
dasselbe  ist  in  Gesprächsform  abgefasst  und  enthält  bei  aller  Unzulänglichkeit 
doch  immerhin  sehr  verständige,  auf  guter  Beobachtung  beruhende  Lehren.  Ein 
anderes,  minder  tüchtiges  ünterrichtsbuch  verfasste  die  Braunschweiger  Stadt- 
hebamme Anna  Elisabeth  Horenburgin  (1700). 


276.  Die  GeburUhülfe  in  DeaUchland  und  der  Schweiz  in  der  Neuzeit. 


113 


Der  schon  wiederholeDÜich  erwähnte  Medicin^r,  welcher  unter  dem  Pseudonym 
des  getreuen  Eckarth  eine  Anzahl  von  Lehrbüchern  in   der  Form  eines  Romanes 

geschrieben    hat,    betheiligte    sich      K  -nr^  "tTV _/r  r/* — 

auch    in    dieser  Weise  nicht    un-      \{^U  ^XtyS^X\x(l^t 

wesentlich  an  dem  geburtshülflichen 

Unterrichte  in  Deutschland.    Er 

veröfifentlichte   im   Jahre   1715   in 

Leipzig: 

.Des  Getreuen  EckarWs  Un- 
Torsicbtige  Heb-Amme,  In  welcher 
Wie  eine  Heb -Amme  oder  Kinder- 
Mutter,  die  ihr  Gewissen  wohl  in  acht 
nehmen  will,  beschaffen  seyn,  und  wie 
eie  nebst  dem  erforderten  Medice  so- 
wohl denen  ünverheuratheten  als  Ver- 
beuratheten  und  Kindern,  in  ihren  Krank- 
heiten und  Zufällen  getreulich  beistehen 
und  helfen  soll'  u.  s.  w. 

Der  allgemeine  Zustand  des 
Hebammenwesens  in  unserem  deut- 
schen Vaterlande  wird  auch  hier 
als  noch  ziemlich  tiefstehend  be- 
zeichnet, und  das  Titelbild  (Figur 
276)  führt  eine  Hebamme  Tor, 
welche  irgend  einen  ausgerissenen 
Körpertheil  in  der  Hand  hält.  Zu 
ihrer  Seite  steht  ein  Tisch,  auf 
welchem  zwei  nfeugeborene  Kinder 
liegen;  dem  einen  ist  ein  Arm  und 
ein  Bein,  dem  anderen  sogar  der 
Kopf  abgerissen.  Ln  Hintergrunde 
des  Zimmers  sieht  man  ein  Himmel- 
bett und  neben  diesem  hat  eine 
hochschwangere  Frau  auf  einem 
plumpen  Gebärstuhle  Platz  ge- 
nommen. Das  dieses  Titelkupfer 
erklärende  Gedicht  beginnt  mit  den 
Versen: 


Fig.  276.    Deutsche  Volks-Hebamme  ans  dem  Anfang 

des  18.  Jahrhunderts.    Titelknpfer  von  des  getreuen  Eckarth^ $ 

unvorsichtiger  Heb-Amme.    1715. 


Schaut,  Unvorsicbtigkeit  muss  hier  den  kürtzem  ziehen, 

Die  Kinder-Mutter  wird  zur  Kinder-Mörderin, 

Dies  Weib  ist  g^usamer  als  Strigen  und  Harpyen, 

und  giebt  der  Hecathe  viel  hundert  Opffer  hin. 

Sie  reist  der  schwängern  Frau  ein  Stücke  von  der  Mutter, 

Von  denen  Kindern  gar  Haupt,  Fuss  und  Armen  ab. 

Es  qvält  die  Kreisenden  der  lAUth  ünterfutter 

Auf  ihren  Marter-Stuhl,  und  schicket  sie  ins  Grab. 

Ihre  Gottlosigkeit  wird  aber  nicht  straflos  bleiben,  denn: 

Das  Auge  Gottes  hat  die  frevle  That  gesehen, 
Obgleich  mit  Erde  sind  die  Cörper  zugedeckt, 
Es  wird  ein  schwer  Gericht  an  ihr  gewiss  geschehen, 
Das  ihren  frechen  Geist  mit  Angst  und  Jammer  schreckt 

Aber  es  giebt  doch  glücklicher  Weise  auch  Ausnahmen,  denn: 

Die  Wehe-Mütter,  so  vor  Gottes  Zorn  sich  scheuen, 
Thun  alles  mit  Bedacht  und  mit  Vorsichtigkeit, 
Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II. 


114      XLIII.  Die  Entwickelang  der  Geburtahfllfe  in  den  modernen  Caltorl&ndem  Europas. 

Denn  giebt  zu  ihrer  Pflicht  der  HOchste  sein  Gedeyen, 
Und  ist  mit  Rath  und  That  zu  helffen  stets  bereit 
Die  so  wie  S^ra  thun  und  Pua  sich  verhalten, 
Und  denen  Kreisenden  recht  wissen  beyzustehn, 
Auch  mit  Nachsichtigkeit  ihr  schweres  Amt  verwalten, 
Die  werden  Seegens  voll  von  ihrer  Arbeit  gehn, 
Gott  wird  Belohner  sejn  und  ihnen  Häuser  bauen, 
Und  sie  nach  dieser  Zeit  mit  tausend  Lust  erfrenn, 
Wann  jene  noch  allhier  ihr  Elend  werden  schauen, 
Und  dorten  Ach  und  Weh  aus  vollem  Halse  schreyn. 

Das  Buch  ist  ebenso  wie  die  verwandten  Werke  desselben  Verfassers  eine 
reiche  Fundgrube  für  die  Gulturgeschichte  und  ein  Spiegelbild  von  dem  damaligen 
Standpunkte  des  medicinischen  Wissens  und  Könnens.  Wir  werden  noch  wieder- 
holenÜich  auf  dasselbe  zurückzukommen  haben. 

Den  Zustand  der  Oeburtshdlfe  in  Deutschland  während  der  Jahre  1710  bi» 
1720  schildert  Heister  in  der  Vorrede  zu  seiner  Chirurgie  mit  folgenden  Worten: 

,In  den  schweren  Geburten  der  Frauen  hatte  man  damals  auch  noch  meistens  Heb- 
ammen, welche  die  Kinder,  die  natürlich  und  gut  kommen,  zu  holen  oder  zu  empfangen 
wussten ;  in  schweren  Fällen  aber  und  unnatürlichen  Lagen  waren  die  meisten  nicht  nur  von 
diesen  Frauen,  sondern  auch  der  Wundärzte  in  Wendung  und  Herausziehimg  sehr  schlecht 
erfahren;  wenn  diese  je  was  thun  sollten  oder  thäten,  so  kamen  sie  mit  Haken,  und  zerrissen 
auf  eine  erbärmliche  und  erschreckliche  Weise  die  Kinder  im  Mutterleibe  in  viele  Stücken,  die 
sie,  wenn  sie  behörige  Wissenschaft  daran  gehabt  hätten,  noch  sehr  oft  mit  blossen  Händen 
wohl  hätten  bekommen  können:  und  dadurch  verhindern,  dass  nicht  oft,  wie  geschehen,  die 
Gebärmutter  der  unglücklichen  Frauen  mit  ihren  Haken  nebst  den  Kindern  zugleich  wären 
zerrissen  und  ums  Leben  gebracht  worden.* 

Die  ersten  Anfange  eines  praktischen  Unterrichtes  in  der  Geburtshülfe  haben 
wir  oben  schon  kennen  gelernt.  In  grösserem  Maassstabe  wurde  derselbe  vom 
Jahre  1728  ab  in  Strassburg  ausgetibt,  wo  auch  die  erste  geburtshülf liehe  Klinik 
begründet  wurde. 

Dann  begann  auf  Anregung  einsichtsvoller  Aerzte  sich  der  Staat  um  die 
Verbesserung  der  Geburtshülfe  zu  bekümmern,  während  bis  dahin  fast  nur  die 
Stadtgemeinden  hierfür  Sorge  getragen  hatten.  In  Oesterreich  wurde  die  Heb- 
ammenausbildung durch  van  Swieten  1748  eingeführt;  1774  wurde  eine  Pro- 
fessur für  theoretische  Geburtshülfe  in  Wien  gegründet;  in  Berlin  datirt  seit 
1751,  in  Kopenhagen  ebenfalls  seit  1751,  in  Brüssel  seit  1754  dieser 
geburtshülfliche  Unterricht. 

Auf  Grundlage  der  Ton  Joseph  Peter  Frank  in  seinem  «System  einer  voll- 
ständigen medicinischen  Polizei'  (1784—1819;  Suppl.  1823)  aufgestellten  Theorie  eines 
guten  Hebammenwesens  entstand  die  Gesetzgebung  und  das  öffentliche  Recht  des 
Hebammenwesens,  ausgehend  von  den  GoUegiis  medicis. 

Trotz  dieser  Fortschritte  sah  es  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  in  den 
meisten  Gegenden  Deutschlands  mit  der  geburtshülfiichen  Praxis  immer  noch 
seiir  trübselig  aus.  Beispielsweise  führen  wir  den  Ausspruch  eines  westfälischen 
Praktikers,  des  Dr.  FinJce  an: 

,Zam  Erstaunen  gross  ist  die  Abneigung  unserer  Frauen  gegen  einen  Hebammen- 
Meister.  Man  lässt  es  allezeit  bis  aufs  Aeasserste  kommen.  Wird  man  noch  in  den  ersten 
24  Stunden  gerufen,  so  heisst  dies  viel:  gemeiniglich  sind  36  Stunden  wenigstens  passirt. 
Nun  soll  man  denn  auch  gleich  Wander  thun.  Ti'itt  der  Fall  ein,  dass  man  sich  wegen  Er- 
müdung oder  weil  es  unsere  Kräfte  übersteigt,  einen  Gehülfen  ausbittet,  so  ist  es  schier,  die 
Sache  gehe  noch  so  gut  ab,  als  sie  wolle,  mit  unserem  Credit  aus;  man  sagt  nicht:  mensch- 
liche Kräfte  sind  endlich,  sind  nicht  die  eines  Stiers,  sondern  man  sagt:  wenn  ich  den 
letzteren  nur  gleich  hätte  holen  lassen,  so  wäre  ersterer  nicht  nöthig  gewesen  :  er  muss  das 
Werk  nicht  verstehen.  Hier  zu  Lande  vereinigt  sich  Alles,  was  diese  wohlthätige  Kunst 
bei  denen,  die  sie  ausüben,  unangenehm  und  widerwärtig  machen  muss.  Schnöder  Undank, 
schiefe  Beurtheilung  unwissender  Menschen   und  Verläumdungen   sind   oft  die   einzigen  Be- 


276.  Die  Geburtshülfe  in  Deutschland  und  der  Schweiz  in  der  Neuzeit.  115 

lohnungen  för  eine  Eunstanwendung.  die  jeder  Vernünftige  schätzt,  und  die  ich  meinerseits 
längst  würde  haben  liegen  lassen,  wenn  ich  darüber  mit  meinem  Gewissen  nicht  in  einen 
Streit  gerathen  wäre.' 

Bis  in  das  erste  Jahrzehnt  des  laufenden  Jahrhunderts  besassen  die  Uni- 
versitäten Leipzig  und  Wittenberg,  wie  das  ganze  Fürstenthum  Sachsen, 
noch  keinen  staatlich  geordneten  theoretischen  und  praktischen  Hebammenunter- 
richt. Nur  einzelne  incorporirte  Landestheile,  die  Niederlausitz  zuLübben  und 
das  Domstift  Merseburg,  unterhielten  lediglich  für  ihre  Kreise  kleine  und  mangel- 
hafte Bildungsanstalten  ftir  Hebammen.  Die  Frauen,  welche  in  Leipzig  damals 
sich  dem  Hebammendienst  widmen  wollten,  hatten  eine  Zeit  lang  im  städtischen 
Krankenhause  (Jacobshospitale)  Pflegerinnendienste  bei  den  dort  vorkommenden 
Geburten  und  Wochenbetten  zu  leisten;  dabei  genossen  sie  wöchentlich  zwei  Mal 
eine  Unterrichtsstunde  beim  „Stadthebearzt^^  und  wurden  dann  nach  erfolgter 
Approbation  durch  denselben  als  „Beiweiber^^  zunächst  den  älteren  Hebammen 
zur  Unterstützung  und  eventuellen  Vertretung  zugeordnet.  Der  Stadthebearzt 
aber,  dem  der  operative  Beistand  bei  schweren  Geburten,  der  Unterricht  der 
künftigen  Hebammen,  die  Unterweisung  der  Wundärzte  und  Barbiergehülfen  in 
den  gewohnlichen  geburtshülflichen  Verrichtungen  oblag,  hatte  in  Wien  oder 
Paris,  in  Holland  oder  England  sich  die  erforderlichen  Kenntnisse  und  Ge- 
schicklichkeiten aneignen  müssen,  da  ausserdem  genügende  Unterrichtsanstalten 
fehlten.    (Meissner.) 

Aber  bis  in  die  neuere  Zeit  hinein  vertrauen  in  vielen  Gegenden  Deutsch- 
lands die  niederen  und  ungebildeten  Klassen  das  Wohl  ihrer  Frauen  und  Kinder 
noch  immer  mit  Vorliebe  ungebildeten  Frauenspersonen  an.  Die  Thätigkeit  solcher 
Pfuscherinnen  entzieht  sich  dem  beobachtenden  Auge  der  Aerzte.  So  bekennt 
Goldschmidt^  welcher  eine  kleine  Schrift:  aDieVolksmedicin  im  nordwestlichen  Deutsch- 
land* verfasste  und  hierbei  namentlich  über  die  Sitten  in  Oldenburg  berichtete, 
dass  er  über  die  dort  heimische  Geburtshülfe  und  über  die  Behandlung  des  Weibes 
so  gut  wie  gar  nichts  weiss;  er  sagt: 

.Die  Badmooder  oder  die  Hebammschen,  die  allein  den  Scepter  fahren,  wenn  eine 
Frau  in  Eraam  (Wochenbett,  Misskraam,  Misswochen)  kommt^  halten  es  für  gerathener, 
den  Arzt  keinen  Blick  in  die  Art  ihrer  Behandlung  thun  zu  lassen»  und  sie  haben  meist  eine 
solche  Gewalt  über  die  Wöchnerinnen  und  deren  Umgebung,  dass  auch  diese  über  die  Mittel, 
die,  um  die  Geburt  zu  beschleunigen  und  die  Wochenbettsfunctionen  zu  regeln,  angewandt 
sind,  ein  tiefes  Schweigen  beobachten.*^  An  einer  anderen  Stelle  sagt  Goldschmidt:  „In  den 
letzten  Decennien  scheinen  die  «klugen  Frauen',  welche  sich  im  Volke  vorzugsweise  mit 
Eunren  befassten,  etwas  seltener  zu  werden;  die  Hebammen  mit  ihren  Ely stierspritzen  und 
dem  bunten  Gemische  7on  Wissen  aus  der  wissenschaftlichen  und  der  Yolksmedicin  ersetzen 
häufig  ihre  Stelle;  sie  treten  dem  Wirken  des  vorurtheilsfreien  Arztes,  und  zwar  nicht  bloss 
in  den  Eindbettstuben,  oft  eben  so  hindernd  in  den  Weg,  als  die  weisen  Frauen." 

Ein  Bild  von  dem  Umfange  der  Thätigkeit  der  Hebammen  vor  kaum  zwei 
Jahrzehnten  entwarf  Max  Boehr  in  Berlin  in  der  dortigen  Gesellschaft  f£Lr  Ge- 
burtshülfe im  Jahre  1868.: 

.Bei  der  im  Verwaltungswege  geregelten  und  somit  immerhin  relativ  beschränkten 
Zahl  von  Hebammen  ergiebt  es  sich  in  grösseren  Ortschaften  bekanntlich  als  Regel ,  dass 
einige  besonders  bekannte  und  beliebte  Hebammen  übermässig  viel,  andere  verhältnissm&ssig 
wenig  zu  thun  haben;  in  kleineren  Orten  und  auf  dem  Lande  sind  die  vorhandenen  Heb- 
ammen gegen  jede  Goncurrenz  geschützt.  Eine  Hebamme,  die  durchschnittlich  500  Entbin* 
düngen  im  Jahre  macht  (wie  es  in  Berlin  bei  beschäftigten  Hebammen  vorkommt),  hat  mehr 
zu  thun,  als  sie  gewissenhafter  Weise  in  ihrer  subalternen  Stellung  leisten  kann.  Vor  etwa 
20  Jahren  gab  es  in  Berlin  zahlreiche  , Wickelfrauen*,  welche  anstatt  der  Hebammen  be- 
scheidene und  gehorsame  Gehülfinnen  der  Geburtshelfer  waren,  die  ohne  Hebammen  die  Ent- 
bindungen leiteten,  sich  aber  der  Dienste  ungebildeter  «Wickelfrauen'  bedienten.  Zwar  nahm 
sich,  als  man  diesem  Unwesen  steuern  und  den  Klagen  der  unbeschäftigten  ordentlichen  Heb- 
ammen gerecht  werden  musste,  noch  vor  20  Jahren  die  Gesellschaft  für  Geburtshülfe  der  dienst- 
fertigen,  doch  nur  geburtshülfliche  Medicinpfnscherei  treibenden  Wickelfrauen  den  Behörden 

8' 


116      XLin.  Die  EntwickeloBg  der  Geburtshülfe  in  den  modernen  Culturl&ndem  Europas. 

gegenüber  an,  allein  die  alte  Routine  haben  die  Geburtshelfer  doch  selbst  allm&hlich  yerlassen 
und  empfehlen  jetzt  selbst  in  der  Praxis  den  Gebärenden,  Hebammen  zu  Hülfe  zu  rufen,  welche 
gut  ausgebildet,  zugleich  aber  auch  gegen  den  Arzt  bescheiden  und  gehorsam  sind." 

üeber  den  neueren  Zustand  des  Hebammenwesens  in  gewissen  Theilen 
Preussens  giebt  auch  Starke  einen  wenig  erfreulichen  Bericht: 

«Wer  in  ländlichen  Distrikten  thätig  gewesen  ist,  wird  Gelegenheit  gehabt  haben, 
über  die  Unwissenheit  der  Hebammen  Erfahrungen  zu  sammeln.  Nach  den  gesetzlichen  Be- 
stimmungen müssen  die  Hebammen  Berichte  über  ihre  Thätigkeit  abstatten  und  die  Kreis- 
phjsiker  sollen  an  dieselben  Fragen  richten,  um  sich  zu  überzeugen,  ob  die  Hebammen  sich 
auch  weiter  mit  ihrem  Buche  beschäftigen;  ich  weiss  aber  aus  eigener  Erfahrung,  wie  weni^ 
die  Hebammen  ihr  Handbuch  zur  Hand  nehmen,  und  wie  sie  gegen  die  wichtigsten  Regeln 
der  Kunst  Verstössen." 

Starke  fordert,  dass  der  Staat  andere  Ansprüche  an  die  Hebammen  stellen 
soll,  als  bisher,  und  dass  sich  mehr  Tochter  aus  gebildeten  Standen  dem  Gewerbe 
widmen  möchten,  was  unstreitig  mit  Freude  zu  begrüssen  wäre,  in  Berlin  aber 
schon  in  jüngster  Zeit  einen  erfreulichen  Anfang  genommen  hat. 

Für  die  Provinz  Ost-Preussen  hat  Dohm  kürzlich  interessante  Unter- 
suchungen über  die  wilde  Geburtshülfe  angestellt. 

Er  macht  von  der  Differenz  zwischen  den  Geburtenanmeldungen  der  Hebammen  und 
dex^enigen  bei  den  Standesämtern  einen  Rückschluss  auf  die  grosse  Zahl  der  ohne  sachver- 
ständige Hülfe,  d.  h.  also  durch  Pfuscher  Entbundenen.  Im  Jahre  1883  waren  im  Regierungs- 
bezirk Königsberg  von  48169  Gebärenden  nur  24298  von  Hebammen  behandelt;  also  gegen 
50%  waren  ohne  sachverständige  Hülfe  geblieben.  ,In  den  günstigsten  Kreisen  des  Regierungs- 
bezirks beträgt  die  letztere  Ziffer  10 — 80%,  in  den  ungünstigsten,  Neidenburg  und  Orteis- 
bürg,  steigt  sie  auf  88  bezw.  89%.  In  dem  Regierungsbezirk  Gumbinnen  verliefen  im 
Jahre  1881  von  29588  Geburten  11989  =  40%  ohne  Hülfe  der  Hebammen,  in  dem  Jahre 
1882  von  32284  Geburten  19694  ==  ßl%,*  Auch  dort  steigt  im  Kreise  Johannisburg  die 
letztere  Ziffer  auf  89%.  Diese  traurigen  Verhältnisse  stehen,  wie  Dohm  nachweist,  in  directer 
Beziehung  zu  dem  Mangel  an  geschulten  Hebammen. 

Die  Bedeutung,  welche  die  Hebammen  in  jetziger  Zeit  im  Gegensatze  zu 
früher  einnehmen,  kennzeichnet  Walter  ganz  richtig: 

«Die  Ansichten  über  die  Functionen  der  Hebammen  haben  im  Laufe  der  Zeit  wesent- 
liche Aenderungen  erfahren.  Während  die  früheren  Hebammenlehrbücher  die  Hebammen  so 
gut  wie  zu  vollständigen  Geburtshelfern  ausbilden  wollten,  hat  unser  Jahrhundert  entsprechend 
den  immer  wachsenden  Ansprüchen  der  fortschreitenden  Kunst  den  wenig  gebildeten  Hebammen 
eine  immer  bescheidenere  Stellung  am  Kreissbette  zugewiesen.  Immerhin  wurde  noch  bis  vor 
etwa  15  Jahren  das  ganze  Hauptgewicht  des  Unterrichts  auf  die  rein  technische  Seite  der 
Geburtshülfe  gelegt,  und  die  Diagnostik  sowie  die  manuellen  Hülfeleistungen  mit  Einschluss 
einzelner  geburtshülflicher  Operationen  (Wendung,  Placentalösung)  als  wesentlichste  Leistung 
einer  Hebamme  angesehen.  Mit  Erkenntniss  des  infectiösen  Charakters  der  meisten  Puerperal- 
erkrankungen  und  mit  dem  Zunehmen  der  Erfahrung  über  die  Mittel  zur  Verhütung  derselben 
trat  die  erste  medicinische  Regel,  dass  die  medicinische  Hülfe  vor  AUem  nicht  schaden  darf, 
auch  beim  Unterricht  der  Hebammen  noch  viel  mehr  in  den  Vordergrund.  Die  Uebung  des 
Desinfectionsverfahrens  wurde  zu  einer  vollen  Hälfte  aller  Functionen  der  Hebamme.  Die 
Hebamme  ist  danach  nicht  mehr  wie  früher  als  Geburtshelfer,  auch  nicht  zweiter  Klasse  mit 
beschränkter  facultativer  Berechtigung  zur  Ausfährung  geburtshülflicher  Operationen  zu  be- 
trachten, sondern  gewissermaassen  nur  als  Wächter  über  den  Verlauf  der  Geburt  mit  der  Ver- 
pflichtung, bei  jeder  Abweichung  von  der  Norm  ärztliche  Hülfe  zu  fordern.* 

In  der  Schweiz  bestehen  noch  heute  sehr  merkwürdige  Zustande:  Eine 
Wahlversammlung  von  Frauen  fand  1866  in  Oberstrass  bei  Zürich  statt;  es 
waren  ihrer  300  versammelt,  welche  die  Verhandlungen  (Wahl  zweier  Hebammen) 
mit  parlamentarischer  Würde  vornahmen.  Die  Versammlung  wählte  eine  Präsi- 
dentin, bestellte  das  Bureau  und  nahm  dann  die  Wahl  in  geheimer  Abstimmung 
vor.  Nach  der  Verhandlung  fand  ein  einfaches  Bankett  statt,  das  Gedeck  zu 
1  Fr.  50  flapp.,  wozu  der  Gemeinderath  drei  Saum  Wein  gespendet  hatte.  Da 
aber  die  Frauen  dieses  Quantum  nicht  allein  bewältigen  konnten,  so  riefen  sie 
ihre  Männer  zu  Hülfe,   und   ein  fröhlicher  Tanz   beschloss   dann  die  Sitzung  der 


276.  Die  Gebnrtshülfe  in  Deutschland  und  der  Schweiz  in  der  Neuzeit.  117 

Frauen.  Solche  Frauengenieinden  finden  überall  im  Kanton  statt  und  beschranken 
sich  auf  die  Wahl  der  Hebammen,  aber  Ledige  dürfen  daran  keinen  Antheil 
nehmen. 

Im  deutschen  Reiche  geniesst  in  unseren  Tagen  das  Hebammenwesen 
eine  ganz  besondere  Ausnahmestellung.  Denn  während  die  deutsche  Gewerbe- 
ordnung das  ärztliche  Gewerbe  im  Allgemeinen  für  Jedermann  frei  giebt,  be- 
schränkt sie  nach  §§  30,  40  und  53  die  Ausübung  des  Hebammenberufe  auf  die- 
jenigen weiblichen  Personen,  welche  ein  Prüfungszeugniss  von  der  nach  den 
Landesgesetzen  zustandigen  Behörde  erworben  haben.  Dagegen  hat  die  Reichs- 
gesetzgebung unterlassen,  weitere  Bestimmungen  zu  trefiPen,  oder  sonstwie  einen 
einheitlichen  Zustand  fbr  das  Hebammenwesen  zu  schaffen;  yielmehr  ist  die 
Ausübung  des  Hebammengewerbes  gänzlich  den  Bestimmungen  der  Landesgesetze 
in  den  einzelnen  Bundesstaaten  überlassen.  In  neuerer  Zeit  werden  die  dem  Heb- 
ammenstande sich  widmenden  Frauen  in  staatlichen  Hebammenschulen  ausgebildet, 
und  zur  Unterstützung  in  dem  theoretischen  Unterricht  erhalten  sie  ein  besonderes 
Lehrbuch,  ein  Hebammenbuch.  Nach  vollendetem  Lehrcursus  werden  sie  von  ihrem 
Lehrer  geprüft  und  von  dem  Medicinalbeamten  auf  die  Dienstleistung  in  irgend 
einem  District  in  Pflicht  genonunen.  Die  angestellte  Hebamme  aber  steht  unter 
der  Disciplinarau&icht  des  Bezirksarztes,  dem  sie  auch  über  ihre  Thätigkeit  Bericht 
zu  erstatten  hat.  Den  Hebammen  wurde  die  Freizügigkeit  im  deutschen  Reiche 
versagt,  damit  die  Landesbehorden  dafür  sorgen  können,  dass  sich  die  Hebammen 
auch  auf  die  minder  volksreichen  Gegenden  angemessen  vertheilen. 

Mag  es  nun  auch  nützlich  sein,  den  einzelnen  Landesregierungen  die  Ver- 
theilnng  der  Hebammen  und  die  Bestimmung  ihres  Niederlassungsortes  zu  über- 
lassen, so  wäre  doch  eine  gleichmässige  Ausbildung  im  Reiche  und  die  GKiltig- 
keit  des  Prüfungszeugnisses  für  die  sämmtlichen  llinzelstaaten  wünschenswerth, 
damit  es  den  Landesregierungen  möglich  wäre,  bei  etwaigem  Bedarf  für  die  minder 
volksreichen  Gegenden  Hebammen  aus  anderen  Ländern  ohne  nochmalige  Prüfung 
zu  verwenden. 

Auch  andere  Reform- Vorschläge  sind  sehr  zu  beachten:  längere  Dauer  der 
Ausbildungszeit,  freie  Goncurrenz  um  erledigte  Bezirkshebammenstellen,  Errichtung 
grösserer  Provinzial-Hebammen-Lehranstalten,  bessere  Dotirung  der  Hebanmien- 
lehrer,  Verbesserungen  im  Gehalt,  jährliche  Gratificationen  an  strebsame  Heb- 
ammen, unentgeltliche  Lieferung  des  Instrumentariums  und  des  Desinfections- 
Materials,  strengere  Vorschriften  bezüglich  der  Anzeigen  von  Puerperalerkran- 
kungen,  Abhaltung  wiederholter  Fortbildungs-Gurse  für  schon  angestellte  Heb- 
ammen, und  endlich  die  Errichtung  von  Pensions-  und  Invalidenkassen  mit  Staats- 
Unterstützung. 

So  vortrefflich  sich  das  jetzige  Hebammenwesen  in  deutschen  Landen 
während  der  letzten  Jahrzehnte  gegen  früher  in  vieler  Hinsicht  gestaltet  hat,  so 
bedarf  es  doch  in  den  hier  angeführten  Punkten  noch  vielfältiger  Verbesserung. 
Insbesondere  ist  im  Interesse  des  Allgemeinwohls  zu  beklagen,  dass  noch  immer 
verhältnissmässig  wenig  Frauen,  die  mit  besserer  Vorbildung  ausgestattet  sind, 
sich  dem  schönen,  wenn  auch  schweren  Berufe  widmen.  Diejenigen,  welche  sich 
dazu  drängen,  „Aerztinnen''  zu  werden,  könnten  recht  wohl  als  Geburtshelferinnen 
sich  dem  weiblichen  Geschlechte  zu  Gebote  stellen,  ohne  vor  der  landläufigen 
Bezeichnimg  «Hebamme*  zurückzuschrecken.  Die  innere  und  äussere  Bildung  der 
Vertreterinnen  dieses  Berufe  würde  in  kürzester  Frist  das  Ansehen  des  Standes 
im  Volke  heben,  auch  würden  die  wissenschaftlichen  und  praktischen  Leistungen 
in  der  Geburtshülfe  an  Bedeutung  ungemein  gewinnen. 


11g      XLin.  Die  Entwickelang  der  Gebortshülfe  in  den  modernen  Galtorl&ndem  Earopas. 

277.  Zur  Geschichte  der  Geburtshfilfe  in  Holland. 

Eine  interessante  Schilderung  des  Zustandes,  in  welchem  sich  das  Hebammen- 
wesen Hollands  im  17.  Jahrhundert  befand,  liefert  uns  Cornelius  Solingen^  Arzt 
im  Haag,  in  seinem  Werke: 

«Handgriffe  der  Wnnd-Artzung,  nebst  Ampt  und  Pflicht  der  Weh-Mütter*  u.  s.  w.  Aus 
dem  Holländischen  übersetzt.    Frankfurt  a.  0.  1693: 

«Ist  derohalben  kein  Wunder,  dass  manche  reputirliche  Frauens  was  vorsichtig  seynd, 
und  sich  bedenken,  ehe  sie  Hebammen  nehmen,  und  solches  umb  desto  mehr,  weilen  die 
tägliche  Erfahrung  klar  lehret,  dass  dergleichen  gefunden  werden»  die  weder  lesen  noch 
schreiben  können,  und  etliche,  die,  nachdem  sie  ganz  in  Armuth  gerathen,  alsdann  erstlich 
ein  so  hochwichtiges  Amt,  so  oben  hin  bey  eine  oder  die   andere  erfahrene  Hebamme  umb 


Fig.  277.    Holländischer  Geburtshelfer  des  17.  Jahrhunderts,  unter  einem  Laken  eine  Frau  entbindend. 

(Nach  Samuel  yanson.) 

nichts,  oder  umb  das  wenige  so  sie  noch  haben  können  zusammen  schrapen,  lernen;  Und 
wann  sie  vermeynen,  dass  sie  halb  voll  gelernet  seyn,  so  wollen  sie  gleich  selbst  den  Meister 
spielen;  Sonderlich  wenn  sie  nur  zwey  oder  drey  Bürgerfrauen,  oder  eine  andere,  deren  Mann 
von  der  Kunst  ist,  und  nicht  umb  Gewinnst  halber  erlöset  haben,  da  alsdann  ihr  die  Nasen- 
löcher von  Schnarchen,  Pochen  und  Blasen  noch  einmal  so  weit  werden:  Die  aber  so  alsdann 
noch  etwas  lesen  können,  die  bekommen  zuweilen  noch  wohl  schriftlich,  wie  sie  sich  ver- 
halten sollen,  auf  ein  halb  Fell  oder  Pergament  mit  wenig  Buchstaben  beschrieben,  welche 
so  nett  an  einander  gefQget,  und  jedwede  so  trefflich  an  ihren  gehörigen  Ort  gesetzet,  nach 
ihrer  Gewohnheit,  so  dass  es  eine  Lust  ist  zu  lesen.  Dieses  sage  ich  dessfalls,  weilen  der- 
gleichen Instructiones  nicht  aus  f&nf  und  zwantzig  Reihen  bestehen,  mit  dergleichen  £x- 
pressiones,  dass  man  sich  schämen  muss,  wie  ich  dergleichen  noch  bei  mir  in  Verwahrung 
habe,  und  alsdann  gehen  sie  mit  dem  Winde  darauf  zu  seegel,  gleich  als  ob  sie  den  Wind 


278.  Die  Entwickelang  der  Geburtshülfe  in  England.  119 

▼on  den  Lappländern  und  Finnen  in  einen  Tuch  geknüpft,  gekaufft  hätten.  So  gehet  es 
auf  dem  Lande  zu,  allwo  sie  öfters  keinen  bequemen  Stuhl  oder  andere  Nothwendigkeiten 
haben,  wie  ich  darvon,  und  von  ihren  Thun  und  Lassen  in  meinen  historischen  Anmerkungen, 
in  so  vielen  Jahren,  in  welchen  ich  diese  Kunst  getrieben  habe,  viel  und  unterschiedliches 
erfahren  und  angezeichnet  habe.  Jedoch  werden  auch  brave  und  verständige  Hebammen  ge- 
funden, mit  welchen  ich  wohl  practiciret  habe  und  noch  gern  practicire ;  Allein  das  seynd  von 
den  alten  Gästen,  die  was  erfahren  haben.  Damit  man  aber  vorkommen  möge,  dass  die  neuen 
Hebammen,  so  bald  zu  der  Bedienung  eines  solchen  Amptes  nicht  möchten  zugelassen  werden, 
so  haben  einige  Städte  allbereit  eine  gewisse  Zeit  gesetzet,  in  welcher  sie  sich  sollen  bequem 
machen  und  unterweisen  lassen.  Und  wann  sie  nun  einige  Wissenschaft  erlanget  haben,  so 
haben  sie  geordnet,  dass  sie  noch  eine  gewisse  Zeit  unter  einer  klugen  und  erfahrenen  Heb- 
amme müssen  practiciren,  wie  auch  Ursachen  geben  und  Medicamente  ordnen,  so  viel  als 
ihnen  zugelassen  ist,  nehmlich  dass  sie,  weilen  sie  keine  Medicin  verstehen,  keine  inner- 
lichen Medicamente  sollen  geben,  wo  sie  sich  nicht  erstlich  mit  einem  Medice  berathschlagt 
haben'  u.  s.  w. 

Mit  diesen  Worten  leitet  C.  Solingen  sein  Buch:  ^Yon  dem  Ampte  und 
Pflicht  der  Hebammen''  ein;  er  will  unter  den  geschilderten  Verhältnissen  in  diesem 
„kurtzen  und  kleinen  Tractaf  den  Hebammen   einen   guten  Unterricht  ertheilen. 

Noch  zu  jener  Zeit,  wo  man  schon  begann,  Aerzte  als  Geburtshelfer  zuzu- 
lassen, wurde  denselben  das  Geschäft  gar  sehr  erschwert.  So  giebt  der  hollän- 
dische Geburtshelfer  Samuel  Janson  in  seiner  1681  erschienenen  Schrift  eine 
Abbildung  (Fig.  277;,  auf  der  man  Geburtshelfer  und  Kreissende  sich  gegenüber 
sitzen  sieht;  zwischen  ihnen  ist  ein  grosses  Bettlaken  auf  der  einen  Seite  dem 
Operateur  um  den  Hals,  auf  der  anderen  der  Frau  um  die  Korpermitte  gebunden, 
und  unter  diesem  Laken,  dessen  Seiten  von  zwei  Frauen  etwas  gelüftet  werden, 
wird  die  Entbindung  vorgenommen. 


278.  Die  Entwiekelung  der  Geburtshülfe  In  England. 

Aus  den  alten  Zeiten  des  britischen  Inselreiches  haben  wir  an  einer 
früheren  Stelle  bereits  Proben  von  übeniatürlicher  Geburtshülfe  kennen  gelernt. 
Es  handelte  sich  um  Gürtel,  denen  die  Zauberkraft  innewohnt,  die  Entbindungen 
zu  erleichtem.  Schon  Ossian  berichtet  Ton  ihnen.  Solche  Gürtel  wurden  mit 
grosser  Sorgfalt  noch  lange  von  manchen  Familien  in  den  Hochlanden  Schott- 
lands aufbewahrt.  Sie  waren  mit  mystischen  Figuren  und  Zeichen  bedeckt,  und 
die  Anlegung  um  den  Leib  der  Frauen  geschah  unter  Ceremonien  und  Gebräuchen, 
die  auf  ein  hohes  Alterthum  hindeuteten.  In  einer  alten  Dichtung:  Pierce  of 
Ploughman's  Grede,  werden  die  Mönche  beschuldigt: 

„To  maken  wymmen  to  wenen 

That  the  lace  of  oure  ladye  smok  lighteth  hem  of  children.' 

In  den  Acten  einer  Untersuchung  vom  Jahre  1559  kommt  folgende  Fragestellung  vor: 

.Whether  jou  knowe  anye  that  doe  use  charmes,  sorcery,  enchanntments,  invocations,  circles, 

witchcrafts,  soathsayings,  or  any  like  crafU  or  imaginations  invented  by  the  Devyl,  and  in 

the  tyme  of  women^s  travayle.* 

In  John  BaWa  Comedye  concernynge  the  Lawes  vom  Jahre  1538  spricht  der 
, Götzendienst'  Folgendes: 

„Yes,  but  now  ych  am  a  she, 
And  a  good  mydwyfe  perde; 

Yonge  chyldren  can  I  charme, 
With  whysperynges  and  whysahynges, 
With  crossyngee  and  with  loyssynges, 
With  basynges  and  with  blessynges, 
That  Sprites  do  them  no  harmes.' 

In  einem  Unterauchungs-ProtokoUe  der  Provinz  Canterbury  aus  dem  16.  Jahrhundert 
findet  sich  folgende  Frage:  .Whether  any  nse  charmes  or  unlawfiü  prayers,  or  invocations, 
in  latin  or  otherwise,  and  namely,  midwivee  in  the  time  of  womans  travail   with  child?* 


120      XLIU.  Die  Entwickelung  der  GebortahQlfe  in  den  modernen  Caltorl&ndem  Europas. 

.Whether  parsons,  vicars,  or  curates  be  diligent  in  teaching  the  midwives  how  to  Christen 
children  in  time  of  necessity  according  to  the  canons  of  the  church  or  no?* 

Demnach  hat  schon  in  dieser  frühen  Zeit  die  Kirche  in  England  die 
Missbräuche  des  Hebammenwesens  gerügt.  Schon  im  7.  Jahrhundert  war  es  den 
Hebammen  gestattet,  die '  Nothtaufe  vorzunehmen,  doch  nur  unter  dringenden 
Verhältnissen. 

Nach  den  Untersuchungen  von  Aveling  scheinen  in  der  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts die  Frauen  in  England  mit  ihren  ungebildeten  Hebammen  ziemlich 
unzufrieden  gewesen  zu  sein;  man  sah  ein,  dass  sie  eines  besseren  Unterrichtes  be- 
durften. Da  unternahm  es  ein  Mann  (wahrscheinlich  Jonas)  im  Jahre  1587,  eine 
Uebersetzung  von  des  deutschen  Arztes  Rösslin  Hebammenbuch  zu  besorgen; 
dieselbe  wurde  dann  von  Raynalde  unter  dem  Titel  The  woman's  Booke  veröffent- 
licht. In  der  zweiten  Auflage  des  Werkes  vom  Jahre  1540  spricht  sich  der 
Herausgeber  sehr  befriedigt  über  den  Erfolg  desselben  und  über  den  Beifall  aus, 
den  es  unter  den  Frauen  gefunden.  Rösslin*s  Schrift  blieb  lange  die  einzige 
Quelle,  aus  der  englische  Hebammen  ihre  Weisheit  schöpften. 

Viel  scheinen  dieselben  nicht  gelernt  zu  haben,  denn  noch  in  den  letzten 
Zeiten  des  16.  Jahrhunderts  schreibt  Andrew  Boorde  in  seinem  Brevary  of  Health 
über  die  unerfahrenen  Hebammen  Folgendes: 

«In  my  tyme,  as  well  here  in  Englande  as  well  in  other  regions,  and  of  olde  anti- 
quitie,  everj  midwife  shnlde  be  presented  with  honest  women  of  great  gravitee  to  the  Byshop, 
and  that  they  shulde  testify  for  her  that  they  do  preaent,  shulde  be  a  sadde  woman,  wyse 
and  discrete,  havynge  experience,  and  worthy  to  have  the  office  of  a  midwife.  Then  the 
Byshoppe,  with  the  consent  of  a  doctor  of  physick,  ought  to  ezamine  her,  and  to  instmcte 
her  in  that  thynge  that  she  is  ignorant;  and  thns  proved  and  admitted,  is  a  laudable  thynge; 
for  and  this  were  used  in  Englande  there  shulde  not  hälfe  so  many  women  myseary,  nor 
so  many  chyldren  perish  in  every  place  in  Engl  an  de  as  there  be.  The  Byshop  ought  to 
loke  on  this  matter." 

Diese  Stelle  ist  deshalb  merkwürdig,  weil  sie  in  England  zum  ersten  Male 
auf  die  Nothwendigkeit  hinweist,  dass  den  Hebammen  Unterricht  gegeben  werde, 
damit  das  Publikum  eine  gewisse  Garantie  für  deren  Befähigung  erhalte. 

Aus  alten  Quellen  z&hlt  Aveling  eine  Reihe  von  Hebammen  auf,  die  am  königlichen 
Hofe  fungirten  und  einen  Jahrgehalt  erhielten:  Margaret  Cohbe  im  Jahre  1469,  Äliee  Massy 
1503,  Eliz,  Gaynaforde  1523,  Jdh,  Hamulden,  Jane  Scarisbrycke  1530. 

Im  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  prakticirte  Peter  Chatnberlen  in  London 
als  der  erste  und  zwar  sehr  angesehene  Geburtshelfer;  er  erkannte  den  schlimmen 
Zustand  des  damaligen  Hebammenwesens  und  machte  dem  Konig  im  Jahre  1616 
den  humanen  und  verständigen  Vorschlag:  „That  some  order  may  be  settled  by 
the  State  for  the  instruction  and  civil  govemment  of  midwives.**  Wäre  man  auf 
diesen  wohlgemeinten  Vorschlag  eingegangen,  so  würde  England  die  Ehre  ge- 
messen, zuerst  unter  allen  anderen  Staaten  das  Hebammenwesen  geordnet  zu  haben, 
und  es  würde  die  Bevölkerung  dieses  Landes  1 — 2  Jahrhunderte  früher,  als  es 
wirklich  geschah,  unterrichtete  und  controlirte  Hebammen  besessen  haben.  Chatn- 
berlen s  Sohn  erwarb  sich  ebenfalls  treffliche  geburtshülfliche  Kenntnisse  und 
eine  ausserordentliche  Praxis  in  London;  er  schrieb  im  Jahre  1646  ein  berühmtes 
kleines  Buch:  ,A  Yoice  in  Rhama,  or  the  Grie  of  Women  and  Children  echoed  forth  in 
the  CompassionB  of  Peter  Chamberlen^;  hier  beklagte  er  aufs  tiefste,  dass  man  auf 
seines  Vaters  Rathschläge  nicht  eingegangen,  und  die  Noth,  die  durch  die  unge« 
bildeten  Hebammen  herbeigeführt  wurde,  schildert  er  in  überzeugender  Weise. 

Von  einem  unbekannten  Schriftsteller  wurde  im  Jahre  1637  Rueff's  Buch:  ,De  Con- 
ceptione  et  Generatione  Hominia*  ins  Englische  übersetzt  unter  dem  Titel:  ,The  expert 
Midwife".  Das  Yorurtheil  gegen  diese  Klasse  von  Werken  in  der  Muttersprache  war  jedoch 
in  England  noch  immer  recht  gross;  und  der  Autor  musste  sich  in  der  Vorrede  zu  dieser 
Uebersetzung  entschuldigen,  dass  er  das  Werk  unternommen.  Als  interessantes  Document 
zur  Geschichte   des  englischen  Hebammenwesens  existirt  im  British  Museum   ein  Pam- 


279.  Die  Entwickeluog  der  Gebnrtehülfe  in  Frankreich.  121 

phlet  vem  Jahre  1646:  ,The  midwiyes  jnst  complaint,  and  divers  other  wel-affected  gentle- 
women  both  in  dty  and  country,  shewing  to  ihe  whole  Christian  world  the  just  cause  of 
their  long-sufferings  in  theee  distracted  times  for  want  of  trading,  and  their  great  fear  of 
the  continuance  of  it/ 

Wie  in  der  Heilkunde  überhaupt,  so  brach  auch  in  der  Geschichte  des 
englischen  Hebammenwesens  eine  neue,  bessere  Epoche  mit  Harvey  an,  welchen 
Aveling  den  Vater  der  englischen  Geburtshülfe  nennt.  Seine  in  lateinischer 
Sprache  verfassten  Schriften  wurden  im  Jahre  1653  von  seinem  Freunde  George 
EfU  in  das  Englische  übersetzt;  der  wohlthätige  Einfluss  dieser  Arbeiten  auf 
die  geburtshülfliche  Praxis  des  Königreiches  war  ein  ganz  bedeutender.  Unter 
Anderem  zeigte  sich  derselbe  auch  in  dem  Werke  eines  anderen  herTorragenden 
,man-midwife*  (wie  Aveling  sich  ausdrückt),  des  Dr.  Percivcd  WiUughby,  eines 
Zeitgenossen  und  Freundes  von  Harvey, 

Letzterer  beklagt  sich,  dass  die  jüngeren  Hebammen  immer  noch  die  aus- 
treibenden Kräfte  der  Kreissenden  in  unverständiger  Weise  zu  steigern  suchen, 
dass  sie  die  Gebärenden  vor  der  Zeit  sich  auf  den  dreibeinigen  Gebärstuhl  setzen 
lassen  und  dass  sie  die  armen  Weiber  auf  diese  Weise  in  die  höchste  Lebens- 
gefahr versetzen.  Diese  unsinnige  Behandlung  veranlasste  auch  noch  einen  anderen 
ausgezeichneten  Geburtshelfer  jener  Epoche,  WiUiam  Sermon,  ein  aufklärendes 
Lehrbuch  zu  verfassen. 

Wie  ganz  anders  klingen  da  die  ungerechtfertigten  Lobeserhebungen,  welche 
der  Charlatan  Nicholas  Ctdpeper  noch  kurz  zuvor  in  einem  Werke  den  eng- 
lischen Hebammen  darbrachte:  «Werthe  Matronen;  ihr  seid  unter  denen,  die 
meine  Seele  liebt,  und  die  ich  in  meine  täglichen  Gebete  einschliesse''  u.  s.  w. 
Ctdpq^er  hat  freilich  nichts  zur  Beform  der  Geburtshülfe  in  England  gethan. 

Allmählich  wurde  es  in  England  Sitte,  bei  Entbindungen  Aerzte  als  Ge- 
burtshelfer herbeizuziehen;  das  geschah  aber  erst  in  ausgiebigerem  Maasse  um  die 
Mitte  des  18.  Jahrhunderts,  wo  zu  der  Zeit  Smeüie's  und  Hunter' s  zwischen  ihnen 
und  den  Hebammen  ein  hitziger  Kampf  in  Streitschriften  geführt  wurde. 

Nach  Gusserow  befand  sich  noch  im  Jahre  1864  der  Hebammenunterricht  in 
Grossbritannien  in  sehr  schlechten  Verhältnissen.  Da  die  Geburtshülfe  in  den 
besseren  Ständen  fast  gänzlich  in  den  Händen  der  Aerzte  ruhte,  so  waren  wenig  ge- 
bildete Frauen  als  Hebammen  in  den  untersten  Schichten  der  Bevölkerung  beschäftigt. 

In  Dublin  hat  allerdings  die  Gebäranstalt  «wölf  Plätze  fQr  Hebammen- 
Schülerinnen;  aber  es  nahmen  niemals  so  viele  an  dem  Unterrichte  Theil.  Den 
letzteren  hatten  die  Schülerinnen  gemeinsam  mit  den  Studirenden;  sie  erhielten 
jedoch  auch  ausserdem  noch  Anweisung. von  den  Assistenten  der  Anstalt.  Wenn 
sie  sechs  Monate  in  letzterer  waren,  so  erhielten  sie  die  Erlaubniss  zur  Praxis. 

In  London  dagegen  werden  nur  ausserordentlich  wenige  Hebammen  für 
ihr  Geschäft  vorgebildet.  Diesem  Uebelstande  gegenüber  hat  die  geburtshülfliche 
Gesellschaft  Londons  seit  einigen  Jahren  durch  eine  Gommission  Hebammen 
unterrichtet  und  deren  Qualification  durch  eine  Prüfung  festgestellt.  Trotz  des 
privaten  Charakters  dieser  Institution  erfreut  sich  dieselbe  einer  von  Jahr  zu 
Jahr  sich  steigernden  Anerkennung;  binnen  drei  Jahren  stieg  die  Zahl  der  sich 
bei  der  Gesellschaft  zur  Prüfung  meldenden  Hebammen  von  12  auf  44.  Da  jedoch 
die  geburtshülfliche  Gesellschaft  diese  Angelegenheit  nicht  als  ihre  Hauptaufgabe 
betrachtet,  so  wurde  von  ihr  beim  Parlament  ein  Antrag  gestellt,  wonach  es  bei 
Strafe  verboten  sein  solle,  sich  Hebamme  zu  nennen,  ohne  vorher  eine  staat- 
liche Prüfung  bestanden  zu  haben. 


279.  Die  Entwiekelnng  der  Geburtshülfe  in  Frankreich. 

Es  wird  uns  wohl  kaum  überraschen,  dass  die  Zustände  der  Geburtshülfe 
im  mittelalterlichen  Frankreich  sich  wenig  von  denen  des  übrigen  Europa 
unterschieden. 


122      XLIII.  Die  Entwickelang  der  Gebartshülfe  in  den  modernen  Culturländem  Europas. 

Die  Art,  wie  noch  die  Wundärzte  des  14.  Jahrhunderts  die  Oeburtshülfe 
auffassten  und  abhandelten,  ist  am  besten  aus  Guy  von  Chatdiacs  Schriften  er- 
sichtlich. Seine  geburtshülflichen  Mittheilungen  beschränken  sich  auf  die  zwei 
Kapitel  über  die  Ausziehung  des  Fötus  und  über  diejenige  der  Nachgeburt;  alles 
Uebrige  bleibt  den  Hebammen  überlassen. 

Eine  bedeutende  Wendung  zum  Besseren  vollzog  sich  in  dem  16.  Jahrhundert 
durch  den  grossen  Kriegschirurgen  Amhroise  Pare  (geb.  1510),  welcher  dem  ärzt- 
lichen Beistande  in  der  Geburtshülfe  die  Anerkennung  zu  verschaffen  bestrebt 
war.  Auf  die  grosse  Masse  der  Hebammen  scheinen  die  reformatorischen  Lehren 
von  Pare  nur  langsam  eingewirkt  zu  haben,  denn  noch  im  Jahre  1587  veröffent- 
liohte  in  Paris  Gervais  de  la  Touche  ein  Buch  unter  dem  Titel: 

.La  träs-haute  et  tr^s-soaveraine  science  de  Tart  et  de  Pindustrie  naturelle  d*enfanter 
contre  la  maudite  et  perverse  ,imp^ritie  des  femnies^  que  Ton  nomme  sages-femmes  ou  belles- 
märes,  lesquelles  par  leur  ignoronce  fönt  joumellement  p^rir  une  infinite  de  femmes  et  d'en- 
fants  ä  Tenfantement*  etc.    (Paris  1587.) 


Fig.  278.    Entbindung  auf  dem  lit  de  misöre  im  17.  Jahrhundert. 
(Nach  Abraham  Bosse.) 


Dass  Pare*s  Bemühungen  aber  nicht  wirkungslos  waren,  beweist  die  Louise 
Bourgeois^  genannt  Boursier  (geb,  1564),  die  in  Pares  Hebammenschule  im 
Hotel  Dieu  gebildet  war.  Sie  schrieb  ein  Hebammenbuch,  welches  Zeugniss 
für  ihre  Kenntnisse  ablegt  und  dessen  erste  Ausgabe  im  Jahre  1609,  die  zweite 
im  Jahre  1626,  die  dritte  im  Jahre  1642  erschien.  Dieses  Buch  hat  noch  weiter- 
hin auf  das  Wissen  und  Können  der  Hebammen  in  Frankreich  höchst  günstig 
gewirkt;  es  führt  den  Titel  „Observations  diverses  sur  la  st^rilit^,  perte  de  fruit,  foecon- 
dit^,  aecouchements  et  nialadies  des  femmes*  etc.  Es  wurde  erst  in  ziemlich  später 
Zeit  (1644,  also  35  Jahre  nach  seinem  Erscheinen  in  französischer  Sprache)  in 
das  Deutsche  übersetzt  von  Matthäus  Merian  und  hierdurch  in  Deutschland 
allgemeiner  bekannt. 

Die  Aerzte  als  Geburtshelfer  kamen  in  Frankreich  erst  zu  Ansehen,  s^it 
Juies  Clement  die  La  Voliere  im  Jahre  1663  entbunden  hatte  und  dafür  von 
Ludwig  XIV.  mit  Ehren  überhäuft  worden  war.  Von  da  an  nannten  sich  die 
Chirurgen,  welche  Geburtshülfe  trieben,  „accoucheur*,  und  die  männliche  Geburts- 


279.  Die  Entwickelung  der  Geburtshülfe  in  Frankreich.  123 

hülfe  wurde  Modesache.  An  den  übrigen  europäischen  Höfen  gehörte  es  dann 
zum  guten  Ton,  sich  von  einem  Arzte  entbinden  zu  lassen;  man  schickte  auch 
Wundärzte  zum  geburtshülflicheu  Unterricht  nach  Paris,  oder  man  liess  sich 
Pariser  Geburtshelfer  kommen;  so  war  Clement  dreimal  in  Madrid,  um  die 
Gemahlin  Phäipp's  V.  zu  entbinden. 

Eine  Entbindung  im  17.  Jahrhundert  führt  uns  ein  interessanter  Kupfer- 
stich von  der  Hand  des  Abraham  Bosse  vor.  (Fig.  278 )  Er  führt  uns  in  das 
wohleingerichtete  Zimmer  einer  vornehmen  Ereissenden,  deren  Bett  für  ihre  Auf- 
nahme vorbereitet  ist.  Sie  selber  hat  man  neben  dem  helllodemden  Kamine  auf 
einer  Art  von  Operationstisch  gelagert,  welcher  mit  einer  Matratze  bedeckt  ist. 
Das  ist  das  sogenannte  lit  de  misere,  welches  Mauriceau  vorschreibt: 

,ein  Bettlein  von  Gürten,  wol  nieder;  das  setze  man  nahe  zum  Ofen,  wanns  die  Jahr- 
Zeit  erfordert;  nm  welches  Bett  kein  gross  Gedreng  sei,  dergestalt,  dass  man  allenthalben 
drum  herumgehen,  damit  man  der  Erancken  desto  handsamer,  wo  sie  es  vonnöthen  hat, 
helffen  könne.  ** 

Zu  Häupten  und  bei  den  Armen  der  Kreissenden  stehen  vier  helfende 
Weiber  und  ein  Mann  im  Wamms,  mit  der  Mütze  auf  dem  Kopfe.  Man  würde 
ihn  für  den  im  Nothfalle  helfenden  Chirurgus  halten,  denn  ihm  zur  Hand  steht 
auf  einem  Stuhle  ein  grosser  geöffiieter  Kasten  mit  allerlei  Verbandmaterial.  Aber 
eine  Unterschrift  auf  einer  Ausgabe  dieses  Stiches  bezeichnet  ihn  als  den  Ehe- 
mann (Le  mary).  Am  Fussende  des  Bettes  sehen  wir  die  Hebamme,  welche  mit 
ihrer  rechten  Hand  den  Danmi  der  Kreissenden  stützt  und  das  sich  soeben  voll- 
ziehende Durchschneiden  des  Kindskopfes  überwacht.  Die  Entbindung  erfolgt  in 
der  Rückenlage,  wobei  die  Frau  die  Beine,  gespreizt  und  mit  leicht  gekrümmten 
Knieen,  ein  wenig  an  den  Leib  herangezogen  hat. 

Das  Ansehen  der  Aerzte  in  der  Geburtshülfe  war  in  Frankreich  auch  noch 
im  18.  Jahrhundert  grösser  als  in  Deutschland.  Auf  die  Frage,  ob  in  zweifel- 
haften Fällen  das  Urtheil  der  Aerzte  oder  das  der  Hebammen  ein  grösseres  Ge- 
wicht besitze,  entschied  sich  der  Gommentator  der  Carolina,  der  peinlichen  Ge- 
richtsordnung KarVs  F".,  JT.  P.  Kress,  im  Jahre  1721  für  das  letztere,  indem  er 
sagte:  „Les  Accoucheurs  apud  Gallos  quidem,  non  apud  nos  celebrantur.*' 

Wie  es  aber  nach  Angaben  Puejacs  den  Anschein  hat,  herrschen  in  manchen 
Provinzen  Frankreichs  unter  den  Hebammen  im  Volke  doch  noch  mancherlei 
Uebelstände  (Bearbeitung  des  Unterleibs  zur  Verstärkung  der  Wehen,  schleunige 
Ausziehung  der  Placenta  u.  s.  w.),  und  trotz  der  früheren  Entwickelung  einer 
praktischen  und  wissenschaftlichen  Geburtshülfe  würden  die  französischen  Heb- 
ammen gegen  die  meisten  ihrer  deutschen  Berufsgenossinnen  zurückstehen  müssen. 

In  der  Bretagne  galten  noch  vor  einigen  Jahrzehnten  die  Hebanunen  als 
Zauberinnen,  d.  h.  im  guten  Sinne;  sie  übten  ihr  Geschäft  in  der  rohesten  Weise 
mit  abergläubischen  Gebräuchen  aus.  (Perrin,)  Seit  10  vent.  an  IX.  erhält  die 
Hebamme  nach  6  Monaten  Dienst  und  nach  der  Ablegung  einer  Prüfung  das 
Recht  auf  Praxis. 


XLIV.  Die  Entwickelnng  der  Geburtshülfe  in  dem  übrigen 

modernen  Europa. 

280.  Znr  GesM^hichte  der  Oebnrtshfllfe  im  europäischen  Bnssland. 

Wenden  wir  uns  jetzt  den  noch  übrigen  Ländern  Europas  zu,  so  wollen 
wir  mit  der  Betrachtung  der  Verhältnisse  in  Russland  den  Anfang  machen. 
Hier  befindet  sich  meistens  noch  das  Hebammengeschäft  in  den  Händen  ganz  un- 
geschulter und  nur  autodidaktisch  ausgebildeter  Weiber.  In  dieser  Beziehung 
lesen  wir  im  „Ausland^: 

«Hebammen  sind  Seltenheiten  in  kleinen  Städten,  auf  den  Dörfern  existiren  dergleichen 
weibliche  Geburtshelfer  gar  nicht,  und  die  Bauersfrauen  helfen  sich  nach  Gutdünken  und  auf 
Erfahrungen  gestützt  selbst  aus,  und  ein  Arzt  wird,  wenn  sich  nicht  gerade  zuf&llig  einer  im 
Orte  befindet,  selbst  in  bedenklichen  Fällen  nicht  zu  Hülfe  gerufen.  In  den  kleineren  Städten, 
wo  Hebammen  existiren,  sind  dieselben  gewöhnlich  alte  Weiber,  die  sich  auf  dieses  Geschäft 
gelegt  haben,  und  vielleicht  ebenso  viel  verstehen,  wie  die  Bauemweiber  selbst  wissen;  denn 
diejenigen,  welche  dieses  Amt  betreiben,  brauchen  nicht  geprüfte  Hebammen  zu  sein,  da  ein 
£xamen  über  ihr  Wissen  und  ihre  Brauchbarkeit  nicht  abgenommen  wird»  sich  die  Regierung 
überhaupt  gar  nicht  um  das  Geburts-  und  Hebammenwesen  in  den  einzelnen  Gouvernements 
kümmert  und  immer  nur  die  Städte  in  solcher  Hinsicht  einer  Beachtung  würdigt,  die  in  un- 
mittelbarer Berührung  mit  dem  Kaiser  und  seiner  Familie  stehen  oder  durch  ihre  Grösse  als 
Perlen  des  Reichs  angesehen  werden." 

Krehel  schreibt  im  Jahre  1858  über  das  Verfahren,  welches  bei  Entbin- 
dungen eingeschlagen  wird: 

,Die  Gebäreude  hängt  sich  an  eine  nach  Art  einer  Schaukel  über  ihr  schwebende  Quer- 
stange und  erwartet  in  dieser  halb  liegenden  und  sitzenden  Stellung  die  Niederkunft,  hilft 
auch  wohl  durch  Sprünge  nach  oder  sucht  das  Kind  gleichsam  aus  sich  auszuschütteln.  Das 
Kind  fällt  dann  oft  heraus,  ehe  es  die  Hebamme  auffangen  kann,  die  Nabelschnur  reisst  bis- 
weilen ab  oder  der  Uterus  wird  herab  und  nach  aussen  gezogen.  Diese  üblen  Zufälle  ereignen 
sich  auch,  wenn  die  Hebamme  zu  gewaltsam  an  der  Nabelschnur  zieht,  um  die  Nachgeburt 
zu  entfernen.  Ist  auf  solche  Weise  der  Uterus  hervorgezogen,  so  bringt  man  die  arme  Frau 
in  die  Badestube,  legt  sie  auf  ein  Brett  und  dieses  auf  die  Stufen  zur  Dampfbank  so,  dass 
sich  die  Füsse  höher  als  der  Kopf  befinden,  und  hebt  dann  das  Brett  mit  der  Unglücklichen 
schnell  mehrere  Male,  um  durch  Schütteln  ihres  Körpers  die  Gebärmutter  wieder  in  den  Leib 
hineinzuschüttein.  Das  Kind  kommt  nach  den  Begriffen  des  Volkes  gleichsam  zerknillt  zur 
Welt,  deshalb  wird  es  von  der  Hebamme  gerade  gereckt;  sie  reibt  und  schlägt  es  am  zweiten 
oder  dritten  Tage  mit  Birkenzweigbündeln,  drückt  den  Kopf  von  allen  Seiten,  reckt  die  Glied- 
maassen  und  fasst  zuletzt  den  armen  Schelmen  an  den  Füssen,  so  dass  der  Kopf  herabhängt, 
und  schüttelt  ihn  stark  und  schnell  mehrere  Male  hinter  einander,  um  die  Eingeweide  in  die 
rechte  Lage  zu  bringen.*^ 

Diese  Angaben  sind  von  Demic  bestätigt  worden;  sie  werfen  ein  sehr  un- 
günstiges Licht  auf  den  Zustand  der  Geburtshülfe  in  Russland. 


280.  Zar  GeBchichte  der  GeborUhülfe  im  europäischen  Ruasland.  125 

Es  ist  allerdings  der  Versuch  gemacht  worden,  dass  bessere  Verhältnisse 
herbeigeführt  werden.  Schon  im  Anfange  des  18.  Jahrhunderts  wurde  zum  ersten 
Male  eine  deutsche  Hebamme  an  den  russischen  Hof  berufen.  Später  bezog 
man  die  Hebammen  aus  Holland,  weshalb  auch  noch  lange  daselbst  eine  „kluge 
Holländerin*  so  viel  bedeutete,  als  eine  erfahrene  Hebamme.     (Heine.) 

Die  Kaiserin  KcUharina  IL  ordnete  einen  Hebammenunterricht  in  St.  Peters- 
burg an.  Im  Jahre  1782  wurde  das  erste  russische  Hebammenbuch  heraus- 
gegeben. Eine  zweite  Hebammenanstalt  errichtete  man  1839  bei  dem  grossen 
Erziehungshause  in  St.  Petersburg,  v.  Siebold  erzählt  in  den  von  ihm  hinter- 
lassenen  geburtshülf liehen  Briefen,  dass  er  schon  im  Jahre  1844  Gelegenheit  hatte, 
in  Gottingen  eine  russische  Hebamme  zu  examiniren,  über  deren  Kenntnisse 
«r  in  Erstaunen  gerieth.  Aber  so  schöne  Erfolge  nun  auch  schon  durch  diese 
Institute  erzielt  worden  sein  mögen,  so  steht  doch  hier  der  Bildungsgrad  des 
grossen  Haufens  noch  auf  so  niederer  Stufe,  dass  die  besser  gebildeten  Hebammen 
nur  einen  beschränkten  Einfluss  auf  die  Sitten  und  Gebräuche  bei  den  Geburten 
im  gemeinen  Volke  ausüben  können.  Es  kann  ja  auch  das  so  weit  ausgedehnte 
Russische  Reich  kaum   gleichmässig  mit  tüchtigen  Hebammen   besetzt   werden. 

Nach  der  Angabe  des  russischen  Staatskalenders  wurden  im  Jahre  1850 
im  Hebammen -Institute  zu  Moskau  29  und  in  dem  zu  St.  Petersburg  15 
Schülerinnen  und  ebenso  viele  im  Jahre  1851  ausgebildet.  Das  europäische 
Russland  hatte  zu  jener  Zeit  60  Millionen  Einwohner.    Hierüber  schreibt  Ucke: 

„Die  russische  Regierung  stellt  in  jeder  Stadt  eine  Hebamme  an,  und  in  einer 
Oouvemementsstadt  zwei,  deren  Wirkungskreis  sich  fast  nur  auf  die  höheren  Stände  erstreckt; 
das  Volk  nimmt  von  ihnen  keine  Notiz,  doch  kennen  wenigstens  viele  aus  demselben  sie 
dem  Namen  und  ihrer  Thätigkeit  nach.  Die  höheren  Klassen  in  der  Stadt  Samara  suchen 
immer  eine  Hebamme  von  Ruf  und  Glück,  scheuen  den  Accoucheur  nicht  und  rufen  ihn, 
wenn  anders  die  Hebamme  keinen  Fehler  macht,  zur  rechten  Zeit.  Dagegen  die  Bauern, 
Bflrger  und  meisten  Eaufleute  sich  nngelehrter  alter  Weiber  bei  Geburten  bedienen,  welche 
4ie  alierungehobeltsten  Begriffe  vom  Geburtsgange  und  den  Mitteln^  die  befördernd  auf  ihn 
wirken,  haben." 

Je  weiter  die  einzelnen  Theile  des  grossen  Reiches  von  Petersburg  und 
Moskau  abgelegen  sind,  um  so  dünner  sind  natürlich  die  tüchtigen  Hebammen 
gesät.  Und  dem  entsprechend  ist  dann  auch  die  geburtshülfliche  Behandlung. 
Weber  in  St.  Petersburg  schildert  dieselben  mit  folgenden  Worten: 

.Es  wird  der  Administration  nicht  selten  vorgeworfen,  dass  Personen  geduldet  werden, 
die  gewerbsmässig  die  Hebammenkonst  ausüben,  ohne  die  geringsten  Fachkenntnisse  zu  be- 
sitzen, ohne  irgend  einen  Lehrcursus  durchgemacht  zu  haben.  Dagegen  l&sst  sich  sagen,  dass 
alle  möglichen  Maassregeln,  alle  möglichen  Bestrafungen  gegen  Personen  dieser  Art  in  An- 
wendung gekommen  sind,  ohne  auch  nur  den  geringsten  Einfluss  auf  die  Decimirung  dieser 
'Gewerbsklasse  auszuüben.  Daraus  erhellt,  dass  diese  Weiber  ein  unumgängliches  Uebel  und 
dennoch  dabei  ein  Bedürfniss  der  einfachen  Yolksklasse  geworden  sind,  so  dass  ein  Weib  aus 
dem  Volke  ihre  Powitucha  einer  geschulten  Hebamme  vorzieht,  selbst  wenn  letztere  ihren 
Beistand  unentgeltlich  anbietet  und  sie  der  Kurpfuscherin  direct  oder  indirect  doch  ihren 
Batzen  zu  entrichten  hat.  Die  Ursachen  dieser  abnormen  Verhältnisse  sind  in  der  Thätigkeit 
dieser  Weiber  im  Hause  der  Ereissenden  und  Wöchnerinnen  zu  suchen.  Sobald  das  Weib  aus 
dem  Volke,  die  Tagelöhnerfrau,  die  selbst  schwere  Tagelöhnerdienste  verrichtet,  dabei  noch 
Kinder  im  Hause  hat,  zu  kreissen  beginnt,  so  schickt  sie  sofort  nach  ihrer  Powitucha  oder 
Babka,  die  sich  selbst  bei  der  Kreissenden  häuslich  niederlässt  und  nicht  nur  die  Geburt 
leitet,  sondern  auch  sämmtliche  Hausarbeiten  übernimmt;  sie  besorgt  die  ganze  Wirthschaft, 
kocht  für  Mann  und  Kinder,  scheuert,  plättet  und  rührt  sich  den  ganzen  Tag  und  verlässt 
die  Wöchnerin  erst  dann,  wenn  dieselbe  nach  ihrem  Gutachten  im  Stande  ist,  die  Pflichten 
4er  Hausfrau  selbst  zu  übernehmen.  Dabei  hat  das  Honorar  für  all*  diese  Arbeit  und  Mühe 
nicht  etwa  die  Kreissende  selbst  zu  tragen,  sondern  die  Powitucha  begnügt  sich  meist  mit 
-dem  Taufertrage,  wobei  sie  womöglich  selbst  die  Kosten  des  Tractements  trägt.  Die  Tauf- 
eltern, sowie  die  Tanfgäste  und  Zeugen  legen  dabei  ihr  Scherf  lein  unter  die  letzte  ihnen  ser- 
virte  Theetasse,  auch  werden  einige  Münzen  in  den  Waschtrog  versenkt,  der  dem  Neugeborenen 
als  Badewanne  dient.    Diesen  Personen  ist  gesetzlich  schwer  beizukommen,  da  sie  ja  für  ihre 


126        XLIV.  Die  Entwickelang  der  Geburtshülfe  in  dem  übrigen  modernen  Europa. 

Mühe  keine  Bezahlung  yerlangen  und  das  Gesetz  sogar  jeder  Frau  die  moralische  Verpflichtung 
auferlegt,  einer  Ereissenden  beizustehen,  wenn  keine  pririlegirte  Hebamme  bei  der  Hand  ist. 
Alle,  selbst  die  strengsten  administrativen  Maassregeln  werden  deshalb  nicht  im  Stande  sein, 
dieses  Uebel  auszurotten." 

In  dem  russischen  Polen  besteben  nach  Sturm  in  Kaiisch  zwei  Klassen 
Yon  Hebammen,  deren  erste  sich  ans  unterrichteten  Frauen  zusammensetzt.  Sie  sind 
zwei  Jahre  hindurch  in  einer  Hebammenschule  ausgebildet  worden  und  haben  auch 
die  gewöhnlichsten  geburtshülflichen  Operationen  kennen  gelernt,  die  sie  ebenso  wie 
die  Geburtshelfer  ausführen  dürfen.  Ja  diese  Hebammen  besitzen  in  technischer 
Hinsicht  im  Operiren  oft  ein  weit  grösseres  Geschick,  als  selbst  viele  Geburts- 
helfer. Die  zweite  Klasse  von  Hebammen  hingegen,  die  Babka  genannt  werden, 
sind  nur  soweit  unterrichtet,  um  die  gewöhnlichen  Wärterinnendienste  bei  nor- 
malen Geburten  leisten  zu  können;  sie  können  und  dürfen  nicht  operiren  und 
sind  darauf  angewiesen,  in  solchen  Fallen,  welche  unregelmässig  verlaufen  und 
operative  Hülfe  erfordern,  eine  Hebamme  erster  Klasse  oder  einen  Geburtshelfer 
herbeizurufen. 

lieber  das  jetzige  Hebammenwesen  in  Russland  wurde  im  Jahre  1875  von 
der  Section  für  Geburtshülfe  und  Gynäkologie  des  allgem.  Vereins  St.  Peters- 
burger Aerzte  discutirt. 

Hierbei  fahrten  einige  Aerzte  ans,  dass  es  praktisch  nöthig  erscheine,  zwei  verschiedene 
Kategorien  von  Hebammen  auszubilden,  solche  für  die  grossen  Städte  und  andere  für  das 
Land,  und  zwar  mit  dem  unterschiede,  dass  den  letzteren  eine  bessere  Ausbildung  insofern 
zu  Theil  werde,  als  sie  auch  zur  Ausführung  von  Operationen  geschickt  gemacht  würden. 
Von  anderer  Seite  wurde  ausgeführt,  dass  es  in  Russland  schon  jetzt  drei  verschiedene 
Kategorien  von  Hebammen  giebt:  1.  einfache  B&uerinnen,  ausgezeichnete  praktische  Heb- 
ammen, welche,  ohne  auf  irgend  welche  gelehrte  Bildung  Anspruch  zu  machen,  sehr  gut  das 
kennen,  was  sie  kennen  müssen,  und  sich  mit  dem  nicht  abgeben,  was  sie  nicht  wissen; 
2.  halbgelehrte,  welche  ein  gewisses  bescheidenes  Maass  theoretischer  Kenntnisse  besitzen,  die 
sie  nur  unvollkommen  und  oft  genug  zum  Schaden  ihrer  Pflegebefohlenen  zu  verwerthen 
wissen,  und  3.  diejenigen,  welche  in  den  letzten  Jahren  in  der  Akademie  ausgebildet  werden, 
über  deren  praktischen  Werth  noch  keine  genauere  Erfahrung  vorliegt.  Ein  anderer  Arzt 
meinte,  dass  es  in  Russland  nicht  nur  drei,  sondern  noch  mehr  verschiedene  Kategorien  von 
Hebammen  giebt,  da  diese  in  den  verschiedenen  Unterrichtsanstalten  sich  ein  sehr  ungleiches 
Maass  von  Kenntnissen  erwerben;  noch  neue  Kategorien  zu  den  schon  jetzt  bestehenden  hin- 
zuzufQgen,  dürfte  sich  schwerlich  empfehlen.  Schliesslich  wurde  von  dem  Vereine  beschlossen, 
ein  Memorandum  auszuarbeiten,  worin  dem  Medicinalrath  die  Noth wendigkeit  eines  obliga- 
torisch eingeführten  Hebammenbuches  vorgeführt  wird.  Es  ist  demnach  Thatsache,  dass  es 
bis  1875  noch  kein  Hebammenbuch  gab,  das,  wie  in  anderen  Staaten  Europas,  den  Heb- 
ammen Vorschriften  für  ihr  Thun  und  Lassen  gab. 

Die  Verhältnisse,  welche  hier  geschildert  wurden,  werden  an  vielen  Orten 
Busslands  wohl  noch  längere  Zeit  fortdauern. 

Die  russische  Regierung  ist  aber  ernstlich  bemüht,  noch  fortdauernd  für 
Verbesserungen  zu  sorgen.  So  wird  vom  Jahre  1884  an  von  den  Hebammen  der 
ersten  Kategorie  eine  tüchtige  Vorbildung  verlangt,  denn  sie  müssen,  um  zum 
Hebammen-Cursus  zugelassen  zu  werden,  ein  Zeugniss  über  die  bestandene  Prüfung 
auf  einem  Progymnasium  (mit  vier  Klassen)  beibringen. 

Es  ist  das  ein  erfreulicher  Versuch,  die  Frauen  der  gebildeterem  Stände  zum 
Hebammenberufe  heranzuziehen. 


281.  Die  Geburtshülfe  in  dem  auaserenropäisclien  Bassland. 

Wir  wollen  noch  einige  kurze  Bemerkungen  über  die  geburtshülflichen  Zu- 
stände in  dem  aussereuropäischen  Russland  machen.  Die  in  dem  vorigen 
Abschnitte  noch  nicht  in  Betracht  gezogenen  Ehsten  und  Finnen  sollen  später 
noch  berücksichtigt  werden.  An  dieser  Stelle  soll  natürlicher  Weise  nur  von  der 
civilisirten  Geburtehülfe  die  Rede  sein. 


282.  Die  Geburtshülfe  in  Finland,  Schweden  und  Ehstland.  127 

In  den  ehemaligen  russischen  Provinzen  des  nordwestlichen  Amerika, 
in  Neu-Archangelsk  und  Eadiak  wurden  vor  25  Jahren  besondere  Hebammen 
angestellt,  deren  Hülfe  aber  im  allgemeinen  nur  den  dort  lebenden  Bussinnen 
und  den  Greolinnen  zu  6ute  kam.  Die  Eingeborenen  hingegen  mussten  sich 
mit  weisen  Frauen  aus  ihrer  Mitte  behelfen.    Räter,  welcher  dies  berichtet,  sagt: 

.Man  sollte  einige  Aleutinnen  in  dieser  Kunst  unterrichten,  damit  sie  nach  und 
nach  gemeinnütziger  würde  und  den  alten  ungeschickten  Aberglauben  verdrängt.  ** 

Die  Russinnen  der  niederen  Stände  halten  sich  aber,  ganz  wie  die  Aleu- 
tinnen, nicht  gern  an  den  Rath  der  , gelehrten^  Frauen. 

Den  russischen  Weibern  in  Astrachan  stehen  alte  Weiber  bei,  die  in 
der  Schwangerschaft  bei  dem  Verdacht  einer  ungünstigen  Lage  des  Kindes  durch 
Drücken  (prawit)  den  Leib  einzurichten  suchen.  Die  Kreissende  führen  sie  un- 
unterbrochen in  der  Runde  umher  und  ihre  Hülfe  beim  Durchtritt  des  Kindes 
beschranken  sie  nur  auf  die  Unterstützung  des  Dammes;  alsbald  aber  nach  der 
Entbindung  bringen  sie  die  Mutter  und  das  Kind  nach  der  Badstube. 

.Der  Geburtshelfer,"  a&gt  Meyerson,  .ist  für  die  Astrachansche  Frau  schlimmer,  als 
der  Teufel;  selbst  bei  Frauen  der  höheren  Klassen  darf  der  Accoucheur  wohl  Medicin  ver- 
schreiben, aber  durchaus  nicht  selber  Hand  anlegen.  Bei  einem  unregelm&ssigen  Hergange 
des  Geburtsyerlaufes  aberlässt  man  Mutter  und  Kind  dem  lieben  Gott.* 

Dass  aber  die  Fortschritte,  welche  in  Russland  sich  in  der  Ausbildung  der 
Hebammen  vollzogen  haben,  doch  ihre  günstigen  Wirkungen  auch  über  die  euro- 
päischen Gouvernements  hinaus  ausüben,  das  beweist  der  folgende  Vorgang. 

Ungefähr  um  1860  hatten  sich  mehrere  kirgisische  Stämme  an  die  Re- 
gierung zu  St.  Petersburg  mit  der  Bitte  gewendet,  ihnen  einige  mit  der  Oe- 
burtshülfe  vertraute  Frauen  zuzusenden.  Ihr  Gesuch  wurde  bewilligt  und  die 
Regierung  liess  auf  ihre  Kosten  eigens  eine  Anzahl  Frauen  für  diesen  Zweck  aus- 
bilden. Nach  einiger  Zeit  ging  einer  dieser  kirgisischen  Stämme  in  seinen 
Forderungen  noch  weiter  und  petitionirte,  man  möchte  ihm  Frauen  senden,  welche 
nicht  nur  Geburtshülfe  verstehen,  sondern  auch  in  anderen  Zweigen  der  Arznei- 
wissenschaften erfahren  wären.  Eine  Frau,  welche  bereits  dem  Studium  der  Ge- 
burtshülfe oblag,  liess  die  Kirgisen  wissen,  sie  sei  geneigt,  gründlich  die  Medicin 
zu  studiren  und  dann  als  Aerztin  zu  ihnen  zu  kommen,  wenn  sie  ihr  die  Er- 
laubniss  verschaffen  könnten,  die  Akademie  zu  St.  Petersburg  zu  besuchen, 
unter  dem  Einfluss  eines  russischen  Generals  wurde  die  Erlaubniss  ertheilt; 
sofort  sandten  die  Kirgisen  die  Mittel  für  den  Unterricht;  von  Zeit  zu  Zeit 
holten  sie  Berichte  über  die  Gesundheit  und  das  Wohlbefinden  ihrer  Aerztin  ein, 
und  als  sie  im  Sommer  1868  erfuhren,  sie  sei  nicht  wohl,  so  Hessen  sie  besondere 
Mittel  anweisen,  um  etwas  für  ihre  Gesundheit  zu  thun. 


282.  Die  tiebnrtehfllfe  in  Finland^  Scliweden  nnd  Elistland. 

In  Finland  giebt  es  auf  dem  Lande  selten  examinirte  Hebanmien.  Die 
Geburtshülfe  liegt  auch  hier  hauptsächlich  in  den  Händen  alter  Weiber,  welche 
beinahe  nichts  davon  verstehen.  Die  finnischen  Bäuerinnen  sind  aber  mit  ihrem 
Beistande  sehr  zufrieden.  Sobald  eine  Schwangere  Wehen  fühlt,  lässt  sie  die 
Badestube  heizen  und  Stroh  auf  den  Fussboden  legen,  um  sich  dort  das  Lager 
zu  bereiten.  Daselbst  in  Rauch,  Zugwind  und  Hitze  wird  das  Kind  geboren. 
Die  Regierung  ist  aber  bemüht  gewesen,  auch  hier  bessere  Zustände  herbeizu- 
fuhren, und  zu  diesem  Zwecke  ist  im  Jahre  1878  eine  grosse  Hebammen- Lehr- 
anstalt in  Helsingfors  errichtet  worden. 

Ganz  ähnlich  hat  in  Schweden  nach  Ekdund  das  Volk  mehr  Vertrauen 
zu  alten  Weibern  als  zu  Hebammen,  die  es  nur  im  Falle  der  höchsten  Noth  zu 
Hülfe  ruft,  und  viele  Gemeinden  weigern  sich  sogar,  die  zur  Erhaltung  der  Heb- 
ammen nothwendigen  Geldmittel  zu  bewilligen. 


128       XLIV.  Die  Entwickeltmg  der  Geburtshülfe  in  dem  übrigen  modernen  Europa. 

Auch  Yon  den  Ehsten  berichtet  Holst,  dass  bei  ihnen  eine  aus  alter  Zeit 
stammende  Yolks-Geburtshtilfe  heimisch  sei.  Das  rohe  mid  ungebildete  Volk 
wendet  sich  auch  dann,  wenn  es  Hebammen  haben  könnte,  doch  nicht  an  diese, 
sondern  an  ungeschulte  alte  Weiber,  welche  bei  ihnen  als  Hebammen  fangiren. 
Die  gewöhnlichen  Hülfsleistungen  sollen  dieselben  allerdings  nicht  ganz  ohne  Ge- 
schick verrichten;  aber  bei  einem  abweichenden  Geburtsverlaufe  finden  sie  sich 
gar  nicht  zurecht,  und  sie  misshandeln  dann  das  Kind  und  die  Mutter  auf  das 
Entsetzlichste.  Dabei  haben  sie  eine  grosse  Gewandtheit,  durch  Einschüchterung 
der  Angehörigen  die  Herbeirufung  des  Arztes  hinauszuschieben. 

Manche  ihrer  unverständigen  Maassnahmen  werden  wir  später  noch  kennen 
lernen;  hier  sollen  nur  einige  angeführt  werden,  so  das  Aufhängen  an  den  Armen, 
das  Herauf-  und  Herunterzerren  über  ein  treppenartiges  Lager,  das  Quetschen  des 
Leibes,  das  vorzeitige  Sprengen  der  Blase. 

„Bei  Gesichtslage  quetschen  sie  die  Augen  aus  ihren  Hohlen,  zerbrechen  den  Unter- 
kiefer, zerreissen  den  Unterkiefer,  und  bei  Querlagen  reissen  sie  den  Arm  ab,  reissen  Bauch- 
uud  Brusthohle  auf  u.  s.  w.* 

Auch  Krehel  bestätigt,  dass  die  Yolks-Hebammen  der  Ehsten  bei  schweren 
Entbindungen  durch  Zusammenschnüren  des  Leibes,  durch  ein  Halten  in  der  Schwebe 
und  durch  Schütteln  der  Ereissenden  den  Geburtsvorgang  zu  fordern  suchen. 

Aus  allerjüngster  Zeit  liegen  uns  über  den  Zustand  der  Geburtshülfe  bei 
den  Ehsten  eingehende  Nachrichten  von  Alksnis  vor.  Es  war  nicht  leicht,  die 
Angaben  zu  sammeln,  da  „die  Hebammen  über  dieses  ihr  heiliges  Amt  ungern 
mit  Männern  sprechen''. 

,So  habe  ich  denn,"  fährt  Alksnia  fort,  „einige  geburtshülf liehe  Thatsachen  den  Aus- 
sagen von  Frauen,  welche  selbst  geboren  hatten,  entnommen:  sie  berichteten  mir  das  bei 
ihnen  von  ungelehrten  Hebammen  Ausgerichtete.  Andere  Notizen  verdanke  ich  direct  einer 
■  vielbeschäftigten,  ungelehrien  Hebamme,  welche  gerne  die  gelehrten  Hebammen  und  die  Aerzte 
kritisirte,  wobei  sie  sich  selbstverständlich  Mühe  gab,  ihre  eigenen  Kenntnisse  ins  beste  Licht 
zu  stellen.' 

Auf  die  äusserliche  Untersuchung  legen  die  ehstnischen  Hebammen  einen 
geringen  Werth;  die  innere  Untersuchung  der  Gebärenden  üben  sie  aber  fleissig 
und  sie  bestimmen  danach,  ob  das  Kind  mit  dem  Kopfe  oder  mit  dem  Steisse 
voranliegt,  oder  ob  es  sich  um  eine  Querlage  handelt.  Die  letztere  fiirchten  sie 
ausserordentlich.  Bei  der  Untersuchung  kommen  nicht  selten  Irrthümer  vor.  Die 
Scheide  wird  kurz  vor  und  nach  der  Entbindung  mit  einer  Mischung  von  Seifen- 
wasser und  Branntwein  ausgespült. 

„Vor  der  Geburt  wird  gewöhnlich  den  Frauen  ein  Tuch  in  der  Gegend  des  Hypo- 
cardiums  um  den  Leib  geschlungen,  was  das  Gebären  erleichtere.  Die  Geburt  läset  man  in 
den  verschiedensten  Positionen  erfolgen.  —  Nicht  selten  werden  bei  schweren  Geburten  die 
Beine  aber  auch  mit  Gewalt  aus  einander  gezerrt,  wobei  die  Vulva  aus  einander  gerissen  werden 
kann,  was  den  Gebärenden  furchtbare  Schmerzen  bereite,  von  ihnen  aber  geduldig  ertragen 
werden  müsse.  Die  Hebamme  steht  vor  der  Gebärenden,  zwischen  ihren  Enieen,  und  thut 
das  üurige.  Erfolgt  die  Geburt  sehr  schwierig,  so  wird  zur  Anregung  der  Wehen  der  Uterus 
gedrückt;  man  lässt  aber  auch  die  Frau,  bei  ausgespreizten  Beinen,  sich  abwechselnd  auf 
das  eine  und  das  andere  Bein  stellen  und  sich  dabei  etwas  schütteln,  damit  das  Kind  desto 
leichter  herauskomme/ 

AVcsnis  erwähnt  dann  noch  eine  Angabe  des  Dr.  Blau,  «dass  die  ungelehrten 
Hebammen  auch  Versuche  machten,  mit  den  Händen  den  Geburtskanal  zu  dehnen, 
wobei  Verwundungen  vorkämen;  darunter  sind  wohl  Bupturen  des  Dammes  und 
des  Muttermundes  zu  verstehen/ 

Auch  Beschwörungen  spielen  noch  eine  grosse  Bolle  und  mehrere  von  ihnen 
führt  Alksnis  an. 

Eine  Zangenoperation  wird  auch  jetzt  noch  ,als  ein  unnützer,  roher  Eingriff  gekenn- 
zeichnet^ da  doch  das  Kind  meist  so  wie  so  absterbe'.  «Bei  Steisslagen  wird  mit  den  Zeige- 
fingern in  die  Hüftbeuge   eiugefasst  und   nachgeholfen.    Bei  Fusslagen  wird   an  den  Füssen 


283.  Die  Gebnrtshülfe  bei  den  Süd-Slaven  and  Nen-Griechen.  129 

gezogen,  wobei  man  sich  hüten  müsse,  anstatt  eines  Fosses  eine  Hand  zu  ergreifen.  An  einer 
Hand  dürfe  nie  and  nimmer  gezogen  wef den;  präsentirt  sich  dieselbe,  oder  ist  sie  yorgefkllen, 
so  müsse  man  sie  zorückschieben." 

So  erastlich  diese  Hebammen  nun  audi  bemülit  sind,  den  Arzt  von  der 
Ereissenden  fernzuhalten,  so  giebt  es  dennoch  eine  Situation,  in  welcher  dessen 
Hülfe  ihnen  sehr  erwünscht  ist.  Das  sind  die  Querlagen.  In  solchen  Fällen, 
sagte  Alksnis'  Gewahrsmännin ,  wisse  sie  nichts  zu  ihun,  und  sie  wüsste  auch 
nicht,  dass  andere  Hebammen  sich  hierbei  irgendwie  zu  helfen  verständen;  sie 
schicke  dann  einfach  nach  dem  Arzt,  um  der  Verantwortlichkeit  zu  entgehen. 


283.  Die  Geburtshttife  bei  den  Sfid-Slayen  und  Nen-Orieclien. 

Bei  den  südslavischen  Völkerschaften  ist  ebenfalls  die  Fürsorge  des  Staates 
bisher  noch  nicht  im  Stande  gewesen,  die  althergebrachte  Volks-Geburtshülfe  sieg- 
reich aus  dem  Felde  zu  schlagen. 

In  Galizien  giebt  es  viele  Tausende  von  Naturwehemüttem,  alte  Weiber, 
deren  man  im  Dorfe  zwei,  drei  und  mehr  findet,  und  die  in  Ermangelung  einer 
anderen  Beschäftigung  sich  als  Hebamme  gebärden,  doch  auch  jun^e  Weiber, 
deren  Mütter  als  Hebammen  galten  und  auf  die  daher  die  Kunst  sidi  vererbte. 
Diese  Frauen,  deren  ganze  Kunstfertigkeit  kaum  weiter  reicht,  als  dass  sie  die 
Nabelschnur  zu  unterbinden  vermögen,  wissen,  dass  bei  der  normalen  ^eburt  der 
Kopf  des  Kindes  vorangehen  soll.  Daher  halten  sie  alles  fKr  den  Kopf,  was  ihnen 
zuerst  entg^entritt.  Gleich  im  Anfange  der  Entbindung  schmieren  sie  der 
Kreissenden  den  Unterleib  mit  einer  Mischung  von  Branntwein  und  Fett;  dann 
kneten  sie  denselben  und  beräuchem  ihn.  Ausserdem  lassen  sie  die  Gebärende 
bis  zur  Erschöpfung  ihrer  Kräfte  pressen.  Ist  bei  einer  Querlage  ein  Arm  vor- 
gefallen, so  versuchen  sie  an  diesem  das  Kind  zu  extrahiren.  um  eine  zurück- 
bleibende Nachgeburt  kümmern  sie  sich  nicht;  sie  lassen  dieselbe  ruhig  in  Fäul- 
niss  übergehen. 

Bei  den  Slaven  in  Istrien  stehen  nach  v.  Düringsfdd  bejahrte  Frauen 
den  Kreissenden  bei,  welche  die  Kunst,  zu  entbinden,  bereits  von  ihrer  Mutter 
erlernt  haben.  Trotzdem  laufen  hier  die  Entbindungen  f&r  gewöhnlich  sehr  glück- 
lich ab  und  höchst  selten  soll  eine  Frau  im  Wochenbette  das  Leben  verlieren. 

Ueber  Serbien  berichtet  Valenta^  dass  dort  ein  vollständiger  ^Mangel  an 
Hebammen  herrscht,  welche  von  der  Regierung  approbirt  wären.  Die  Bäuerin 
in  Serbien  kommt  im  Freien  nieder  und  bedarf  überhaupt  keiner  Hebamme. 
Wahrend  der  ersten  Tage  des  Wochenbettes  steht  ihr  eine  ältere  Frau  zur  Seite, 
Wittwen  sind  aber  zu  dieser  Function  nicht  zugelassen. 

Auch' in  Bosnien  und  der  Hercegovina  fehlt  es  an  eigentlichen  Heb- 
anunen.  Aeltere  Frauen  helfen  der  Kreissenden  und  eine  Menge  abergläubischer 
Mittel  werden  dabei  in  Anwendung  gezogen.  Wir  werden  einigen  derselben  noch 
später  begegnen.     Glück  sagt: 

.Liegend  gebären  meines  Wissens  in  Bosnien  und  der  Hercegovina  nur  die  Spa- 
niolinnen  (das  sind  die  Jüdinnen).  Das  als  Hebamme  fimgirende  Weib  hält  die  Hände, 
um  das  Kind  vor  dem  Fall  zu  schützen,  und  entfernt  es  gegen  vorne  von  der  Mutter." 

Massage  des  Unterleibes  und  der  Ereuzgegend  wird  auch  hier  bei  zögerndem 
Geburtsverlaufe  ausgeübt,  ausserdem  aber  wickelt  man  die  Krebsende  in  eine 
Decke  und  schüttelt  sie  mehrmals  nach  einander  tüchtig,  um  das  Kind  in  die 
richtige  Lage  zu  bringen.  Um  die  Nachgeburt  kümmern  sich  die  Frauen  nicht; 
sie  warten,  bis  sie  von  selber  abgeht. 

In  Dalmatien  und  zwar  in  Zara  wurde  schon  im  Jahre  1821  eine  Heb- 
ammen-Schule eingerichtet.  Der  Unterricht  erstreckte  sich  auf  ein  Jahr  und 
wurde  in  italienischer  und  illyrischer  Sprache  ertheilt.  Durchschnittlich 
waren  12  Schülerinnen  dort.    Bei  der  geringen  Bevölkerung  Dalmatiens  würde 

PI 08B- Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  9 


130        XLIY.  Die  Entwickelong  der  GeburUhülfe  in  dem  übrigen  modernen  Europa. 

diese  Zahl  hinreichen,  wenn  die  Hebammen  besser  vertheilt,  mehr  überwacht  und 
in  gehörigen  Schranken  gehalten  würden.  Ihre  Behandlung  der  Schwangeren  und 
der  Kinder  hat  Derblich  als  eine  ziemlich  barbarische  geschildert. 

Im  Banat  versieht  nach  v.  Bajacsich  gewohnlich  ein  altes  Weib  die  Heb- 
ammendienste. 

lieber  die  Zustande  in  der  Geburtshülfe  in  Griechenland  besitzen  wir 
Ton  Eton  Nachrichten,  welche  freilich  schon  aus  dem  Anfange  unseres  Jahr- 
hunderts stammen: 

.Die  Hebamme  war  eine  sehr  alte  Frau,  deren  Kenntnisse  und  Erfahrungen  gerühmt 
wurden.  Sie  brachte  noch  eine  Gehülfin  mit,  die  fast  eben  so  alt  war,  wie  sie  selbst  Auch 
brachte  sie  eine  Art  von  Dreifuss  mit,  auf  welchen  sich  die  Gebärende  setzen  musste;  sie 
selbst  sass  vor  der  Gebfixenden  und  empfing  das  Kind,  w&hrend  die  Gehülfin  die  Geb&rende 
von  hinten  um  den  Leib  mit  ihren  Armen  umfasst  hielt.* 

Neuere  Nachrichten  hat  dann  Ploss  durch  Damian  Georg  in  Athen  er- 
halten. Nach  diesen  giebt  es  in  Griechenland  fas£  in  allen  Städten  unterrichtete 
Hebammen,  welche  in  der  schon  vor  vielen  Jahren  in  Athen  errichteten  Heb- 
ammen-Schule ihre  Ausbildung  erhalten  haben.  Auf  dem  Lande  dagegen  üben 
die  Geburtshülfe  praktische  Hebammen  aus,  welche  einen  systematischen  Unter- 
richt nicht  gemessen.  Letztere  entbinden  die  Frauen,  während  diese  liegen  oder 
knieen,  führen  bei  der  Entbindung  die  Hände  in  die  Scheide  ein,  drücken  die 
Schamlippen  nach  hinten  und  reissen  das  Perinaeum  ein.  Bei  zögerndem  Geburts- 
verlaufe wenden  sie  nur  Yolksmittel  an;  sie  wissen  von  falscher  Kindeslage  nichts 
und  üben  keine  instrumentale  Hülfe  aus.  Bleiben  bei  einem  erschwerten  Geburts- 
verlaufe die  Maassnahmen  dieser  Weiber  ohne  Erfolg,  dann  werden  häufig  Schaf- 
hirten zu  Hülfe  gerufen. 


XLV,  Die  Entwickelung  der  Geburtshttlfe  bei  den  heutigen 

Culturvölkem  Asiens. 

284.  Die  Geburtshfilfe  in  der  TflrkeL 

Der  Leser  wird  es  mir  nicht  verübeln,  wenn  ich  die  Türken  nicht  in 
Europa  abhandele,  sondern  wenn  ich  sie  den  Cultnryolkem  Asiens  zuzähle, 
obgleich  die  Nachrichten,  welche  wir  über  ihre  geburtshülflichen  Verhältnisse  be- 
sitzen, fast  lediglich  aus  Constantinopel  stammen.  Wir  werden  eben,  was  hier 
geschieht,  als  ein  annäherndes  Abbild  desjenigen  ansehen  können,  was  auch  bei 
den  asiatischen  Türken  gebräuchlich  ist,  mit  der  einzigen  Einschränkung  aller- 
dings, dass  die  grossstädtischen  Verhältnisse  in  Constantinopel  immer  noch 
als  die  besseren  betrachtet  werden  müssen. 

Die  Geburtshülfe  liegt  hier,  wie  in  der  ganzen  Türkei,  ausschliesslich  in 
den  Händen  der  Hebammen,  da  die  Frauen  der  Türken  ja  bekanntermaassen  von 
emem  Arzte  nicht  entschleiert  gesehen  und  niemals  an  den  Genitalien  berührt 
werden  dürfen. 

Schon  Haaselquist  schrieb  in  seiner  «Reise  nach  Palästina"  im  Jahre  1762:  , Wehe- 
mütter findet  man  sowohl  bei  den  Türken  als  Griechen,  die  aber  ihre  Kunst  bloss  aus  der 
Er&hrung  wissen,  ohne  von  Jemand  Unterricht  genossen  zu  haben.  **  Oppenheim  berichtete 
im  Jahre  1833  sehr  Trauriges  Über  die  Moral  und  die  Intelligenz  dieser  ^b^-caden  genannten 
Hebammen.  In  Constantinopel  begann  zwar  schon  im  Jahre  1844  ein  theoretischer  Unter- 
richt für  Hebammen. 

Dennoch  schildert  in  neuerer  Zeit  Uram  den  Zustand  des  heutigen  Heb- 
ammenwesens im  Orient  noch  als  höchst  ungenügend.  Unterrichtete  Hebammen 
g'ebt  es  nur  in  den  Städten.  Die  Mehrzahl  dieser  Weiber  hat  ein  unehrbares 
»ben  hinter  sich,  bevor  sie  sich  ihrem  neuen  Berufe  zuwenden,  so  dass  ein  Sprüch- 
wort schon  besagt:  ,Jede  Frau,  die  mit  der  Prostitution  begonnen,  endigt  mit 
dem  Stande  der  Hebamme."  Nebenbei  treiben  sie  noch  Kupplergeschäfte,  indem 
sie  sich  sehr  geschickt  in  der  Schliessung  von  Ehebündnissen  zeigen.  Sie  gehen, 
eine  grosse  Ehrbarkeit  heuchelnd,  stets  eiligen  Schrittes,  schwarz  gekleidet  und 
mit  einem  silberbeknopften  Stocke  auf  der  Strasse  einher.  Die  meisten  von  ihnen 
sind  echte  Türkinnen;  aber  auch  Griechinnen  und  Armenierinnen  erfreuen 
sich  beim  Volke  eines  grossen  Ansehens. 

Eram  schreibt: 

,La  sage-femme  insiste  pour  Stre  accompagn^e  de  la  mere  oa  de  la  grande-m^re  de 
Taccouchäe,  pour  rejeter  snr  elles  ime  partie  de  la  responsabilit^  en  cas  d'accident,  et,  au 
besoin,  pour  utiliser  leur  exp^rience,  sachant  bien  qa*ayant  accouchä  elles-mSmes  et  souvent 
assiste  ä  des  accouchements,  lear  concours  poorra  quelquefois  la  tirer  d*embarras.  C^est  un 
moyen  comme  un  autre  de  masquer  son  ignorance.* 

9* 


132      XLV.  Die  Entwickelung  der  Geburtehülfe  bei  den  heutigen  Culturvölkem  ABiens. 

Begreiflicher  Weise  ist  es  ihm  niemals  gelungen,  Zeuge  einer  derartigen 
Entbindung  zu  sein.  Er  konnte  nur  aus  den  vielen  Fallen  schwerer  Frauenkrank- 
heiten, welche  ihm  in  dem  Hospitale  in  Gonstantinopel  zur  Beobachbrng  kamen 
und  die  fast  sämmÜich  als  üble  Folgen  der  Entbindung  betrachtet  werden  mussten^ 
einen  Rückschluss  machen  auf  die  Rohheit,  mit  welcher  die  den  Gebärenden  bei- 
stehenden Weiber  dort  zu  Werke  zu  gehen  pfl^en.  Während  Oppenheim  be- 
richtete: «So  ungeschickt  die  Geburtshelferinnen  sind,  so  finden  im  Ghuizen  doch 
wenig  Unglücksfalle  statt,*  kennt  hingegen  Er  am  zahlreiche  traurige  Folgen  der 
ungeschickten  Hülfeleistung:  in  schweren  Fallen  Tod  des  Fötus,  Riss  der  Gebär- 
mutter, acute  Peritonitis,  Eiterinfection  u.  s.  w. 

Wenn  irgend  ein  Geburtshindemiss  die  Entbindung  verzögert,  so  wartet  die  Hebamme 
geduldig,  unbekannt  mit  den  Mysterien  des  Geburtsmechanismus  und  den  Ursachen  der 
Dystokie.  Wenn  dann  die  Geduld  der  Familie  der  Gebärenden  aufhört,  so  wird  nach  einer 
anderen  oder  auch  gleichzeitig  nach  mehreren  Hebammen  geschickt;  in  solchen  Ffillen  hat 
die  Niederkommende  viel  Glück,  wenn  sie  mit  dem  Leben  davonkommt.  Aber  es  giebt  im 
Orient  auch  Familien,  insbesondere  christliche,  welche  schon  bei  einer  einfachen  Geburtsver- 
zögerung entweder  der  Hebamme  das  Vertrauen  ganz  entziehen  oder  sie  auffordern,  mit  einem 
Arzte  über  den  Fall  zu  sprechen;  dann  wendet  sich  die  Hebamme  entweder  an  einen  unwissen- 
den Charlatan,  oder  der  Bericht,  den  sie  einem  Arzt  über  den  Zustand  der  Gebärenden  bringt, 
ist  so  verworren  und  unklar,  dass  sich  der  Arzt  eine  richtige  Vorstellung  zu  machen  nicht  im 
Stande  ist.  Fragt  der  Arzt  nach  der  Gebärmutter,  so  antwortet  die  Hebamme,  sie  sei  gross; 
fragt  er  dann,  ob  sie  die  Gebärende  untersucht  habe,  so  referirt  sie,  dass  sie  den  Unterleib 
sehr  hart  gefunden  habe.  Wenn  nun  der  Arzt  verlangt,  dass  sie  nun  auch  eine  innere  Unter- 
suchung vornehmen  und  sich  über  den  Zustand  des  Muttermundes  unterrichten  soll,  so  läuft 
sie  eilig  zurück,  steckt  in  gewaltsamer  Weise  ihren  Finger  in  die  Scheide  der  Gebärenden  und 
bringt  dem  Arzte  hierauf  einen  Bericht  über  den  Muttermund,  indem  sie  denselben  mit  einer 
Menge  von  Dingen  vergleicht.  Aber  der  Arzt  will  auch  etwas  über  die  Blase  der  Eihäute 
wissen,  welche  man  im  Muttermund  fühlen  könne ;  die  Hebamme  läuft  abermals  zurück,  unter- 
sucht und  findet  in  der  That  die  Blase  —  oder  die  Geburt  ist  schon  weiter  fortgeschritten, 
vielleicht  sogar  beendet. 

Ein  anderer  Berichterstatter  sagt: 

Die  Hülfe  der  Hebammen,  dieser  ungebildeten  Frauen  aus  allen  Nationen,  welche  die 
unvemQnftigsten  Manipulationen  mit  den  Gebärenden  vornehmen,  erstreckt  sich  nicht  nur  auf 
das  Geschäft  der  Entbindung,  sie  werden  vielmehr  auch  bei  Frauen-  und  Kinderkrankheiten 
zugezogen,  verschreiben  Mittel  gegen  Unfruchtbarkeit  und  erzeugen  so  manche  Gebärmutter- 
krankheit.   Aber  ihr  besonderer  Beruf  ist  der  künstliche  Abortus. 

.Die  Zunft  der  Hebammen  in  Gonstantinopel,"  sagt  Prado,  der  in  dieser  Stadt 
prakticirte,  «besteht  mit  Ausnahme  einiger  Persönlichkeiten,  welche  ihre  Kunst  rechtschaffen 
ausüben,  im  Allgemeinen  aus  verrufenen  und  unwissenden  Frauenzimmern,  welche  vorher  die 
schamlosesten  Gewerbe  ausgeübt  haben  und  endlich  sich  mit  dem  Titel  Mamy  (Hebamme) 
bedecken,  um  dieselben  (reschäfte  raffinirter  und  ungestörter  auszuüben,  oder  um  deren  noch 
schändlichere  zu  unternehmen  mit  der  Grewissheit  der  Unbestraftheit,  welche  ihnen  die  An- 
eignung des  Hebammen- Titels  zusichert.  Diese  unheilvollen  und  schamlosen  Frauenzimmer 
beflecken  täglich  die  Schwellen  angesehener  Häuser  und  entehren  durch  ihre  Gegenwart  die 
achtbarsten  Familien,  indem  sie  diejenigen  zum  Verbrechen  auffordern,  welche  sie  vorher  zu 
Fehltritten  verleitet  haben,  und  die  dann  in  der  Regel  damit  enden,  gänzlich  ihr  Opfer  zu 
werden!  Alle  diese  Vergehen  geschehen  sozusagen  vor  den  Augen  aller  Leute,  und  die  Frauen- 
zimmer der  genannten  Art  sind  nicht  nur  keiner  Ueberwachung  unterworfen,  sondern  trotzen 
selbst  den  Anordnungen  der  bestgesinnten  medicinischen  Autoritäten.*^ 

Prado  sagt  über  die  geburtshülfliche  Praxis  jener  sogenannten  Hebammen: 

.Man  muss,  wie  wir,  diese  Megären  bei  der  Arbeit  gesehen  haben,  vrie  sie  in  Ermange- 
lung von  Abtreibungsgeschäften  es  wagen,  die  zartesten  und  schwierigsten  geburtshülf liehen 
Verrichtungen  mit  jener  schrecklichen  Kühnheit  zu  unternehmen,  welche  sie  ohne  Zweifel  nur 
aus  Unwissenheit  und  in  dem  Gefühle  zu  unternehmen  wagen,  dass  sie  sich  ihrer  Straflosig- 
keit für  alle  Fälle  im  Voraus  bewusst  sind.  Man  kann  annehmen,  dass  das  ganze  Monopol 
des  Abtreibungsgeschäftes  sowie  der  Geburtshülfe  sich  meistens  in  solchen  Händen  concentrirt 
findet.  Ein  tiefes  Geheimniss  herrscht  hier  über  der  Ausübung  der  Geburtshülfe,  und  es  ist 
sehr  selten,  dass  man  hier  die  Hülfe  eines  Geburtshelfers  in  Anspruch  nimmt.' 


285.  Die  Geburtshülfe  bei  den  ChineseiL  133 

285.  Die  Oebnrtslifilfe  bei  den  Chinesen. 

üeber  die  Zoatande,  wie  sie  bei  den  Chinesen  in  der  ersten  Hälfte  unseres 
Jahrhunderts  herrschend  waren,  sind  wir  durch  Schriften  unterrichtet  worden, 
welche  aus  der  Feder  chinesischer  Aerzte  zur  Belehrung  der  Frauen  über  die 
öeburt  und  das  Verhalten  bei  derselben  stammten.  Die  eine  derselben  ist  1810 
von  Behmann^  die  andere  1820  von  v.  Martius  in  das  Deutsche  übersetzt  worden, 
Wir  ersehen  aus  diesen  Büchern,  dass  auch  in  China  die  intelligenten  Aerzte  in 
ganz  analoger  Weise  mit  den  unverständigen  Yorurtheilen  der  Hebammen  einen 
Kampf  zu  bestehen  hatten. 

Die  meisten  populären  Lehrbücher  über  Geburtshülfe  gehen  aus  der  kaiser- 
lichen Druckerei  in  Peking  hervor.  Eins  derselben  betitelt  sich:  Pao-tsan-ta- 
seng-pien,  wie  Rwreau  de  ViUeneuve  schreibt,  oder  Boo-tschan-da-schenn- 
bian,  wie  Rehmann  schreibt.  Der  erstere  Titel  heisst  nach  PatUhier's  Ueber- 
Setzung:  Proteger,  produit,  sortie,  vivant,  livre;  d.  i.  das  Buch,  bestimmt 
zu  schützen  das  Leben  des  Kindes  bei  der  Geburt.  Sein  Motto  ist:  »Die 
Unwissenheit  der  Hebammen  kann  den  Tod  ihrer  Pflegebefohlenen  herbeiführen." 
Dasselbe  Buch,  das  Hureau  de  ViUeneuve  vielleicht  nur  aus  den  Auszügen  des 
Arztes  Hegewald  zu  Philadelphia  kennt,  ist  jedenfalls  das  Original,  von  dem 
Behmann  die  erwähnte  deutsche  üebertragung  besorgte. 

Letzterer  bekam  das  Buch  in  die  Hände,  als  er  eine  russische  Gesandt- 
schaft nach  Irkutsk  begleitete.  Es  war  in  mandschurischer  Sprache  ge- 
schrieben, aus  welcher  es  der  Gesandtschafts-Dolmetscher  in  das  Russische  und 
hiernach  Rehmann  dann  in  das  Deutsche  übertrug.  Es  ist  eine  Anleitung  für 
Schwangere  und  Wärterinnen,  aber  nicht  ein  eigentliches  Hebammenlehrbuch, 
wofQr  es  Hureau  de  Vitteneuve  hält.  Auch  diejenige  populäre  chinesische  Ab- 
handlung über  Geburtshülfe,  welche  v.  Martius  im  Jahre  1820  herausgab,  ist  ur- 
sprünglich in  mandschurischer  (d.  h.  der  chinesischen  Hof-)  Sprache  ge- 
schrieben, und  gleicht  bis  auf  die  katechetische  Form  in  manchen  Punkten  so 
sehr  dem  Pao-tsan-ta-seng-pien,  dass  der  Verdacht  entsteht,  der  eine  chine- 
sische Schriftsteller  habe  hierbei  den  anderen  stark  benutzt.  Auch  von  dieser 
Abhandlung  glaubt  v.  Martius^  dass  dieselbe  weniger  für  Aerzte  und  Hebammen 
bestimmt,  sondern  eher  eine  Art  von  populärem  diätetischem  Handbuche  oder  eine 
Instruction  für  Wärterinnen  sei. 

Etwas  Anderes  sind  die  eigentlichen  Hebammenbücher  in  China,     v.  Mar^ 
Uus  sagt: 

.Die  Frauen,  welche  die  Gebnrtsliülfe  ausüben,  erlernen  ihre  Kunst  ans  besonderen 
hebärztlichen  Büchern,  deren  es  ohnstreitig  mehrere  giebt;  denn  man  hat  daselbst,  so  viel 
hierüber  dem  Auslande  bekannt  geworden,  kein  eigentlich  kanonisches  Werk.  Die  Lehren 
in  dergleichen  hebärztlichen  Büchern  sind  gewöhnlich  in  Form  eines  Katechismus,  d.  h.  in 
Frage  und  Antwort,  abgefasst  und  zu  mehrer  Fasslichkeit  durch  höchst  plumpe  Abbildungen 
erl&ntert.  Sehr  wahrscheinlich  sind  die  dortigen  Hebammen  nicht  im  Stande,  jene  Lehrbücher 
selbst  zu  lesen,  sondern  sie  prägen  sich  ohnmaassgeblich  nach  öfterem  Vorlesen  derselben 
ihren  Inhalt  in  das  Ged&chtniss  und  halten  sich  bei  ihrer  Praxis  an  die  dabei  befindlichen 
Abbildungen.* 

In  dem  chinesischen  Buche,  welches  Rehmann  übersetzte,  heisst  es  bei 
der  Frage,  ob  bei  der  Entbindung  eine  Hebamme  nothig  ist: 

.Man  kann  sie  bei  sich  haben,  aber  ihr  keine  Macht  Über  die  Geb&rende  einräumen; 
denn  der  grösste  Theil  der  Hebammen  ist  dumm  und  unwissend.  Sobald  die  Hebamme  nur 
Über  die  Schwelle  des  Hauses  tritt,  ohne  zu  wissen,  ob  die  Zeit  der  Entbindung  da  ist  oder 
nicht,  fj&ngt  sie  gleich  an,  Heu  auf  die  Diele  auszustreuen,  und  sagt:  Strenge  deine  Kräfte 
an,  der  Kopf  des  Kindes  ist  schon  da!  Oder  sie  reibt  das  Kreuz,  streichelt  den  Bauch,  oder 
steckt  die  Hand  hinein,  um  Versuche  anzustellen,  und  um  dadurch  ihre  Mühe  und  Fürsorge 
zu  zeigen,  und  dass  sie  nicht  müssig,  ohne  etwas  zu  thun,  da  sei.  Gern  möchte  ich  hier  an- 
zeigen, allein  Mitleiden  hält  mich  zurück,  all  das  heillose  Unglück,  welches  verschmitzte  und 
verschlagene  alte  Weiber  anrichten,  bloss  aus  eigenem  Interesse,  indem  sie  ihre  Geschicklich- 


134        XLY.  Die  Entwickelung  der  Geburtshülfe  bei  den  heutigen  Gultarrölkem  Asiens. 

keit  beweisen  wollen.  Schon  die  Benennung  ,H6bamme'  zeigt,  an,  dass  sie  ein  altes  Weib 
ist,  welches  Erfahrung  besitzt,  ein  Kind  bei  der  Geburt  zu  empfangen  und  auf  das  Bett  zu 
legen,  aber  nicht,  dass  sie  die  Kunst  besitzen  sollte,  mit  den  Händen  etwas  zu  bewerkstelligen 
oder  sonst  mit  der  Gebärenden  umzugehen.  In  manchen  reicheren  Häusern  hält  man  dieselbe 
schon  lange  vor  der  Geburt  bei  sich.  Wenn  aber  bei  dem  Vorgänge  etwas  Unangenehmes 
sich  ereignet,  so  holt  man  deren  viele,  und  sie  machen  sich  nur  etwas  ünnOthiges  zu  thun 
und  laufen  hin  und  her.* 

Wir  erbalten  hiermit  aus  der  Feder  des  chinesischen  Arztes  eine  klassische 
Beschreibung  von  dem  Oebahren  dieser  Frauen. 

Solch  eine  Hebamme  lernen  wir  auf  einer  chinesischen  Aquarell -Malerei 
(Fig.  279)  kennen.  Sie  kniet  auf  einem  erhöhten  Podium,  die  Kleidung  durch 
eine  Art  Schürze  geschützt,  und  hält  das  bereits  fertig  bekleidete  Neugeborene 
in  den  Armen.  Die  Waschschüssel,  in  der  es  gereinigt  wurde,  steht  noch  daneben. 
Auf  dem  gleichen  Podium  sitzt  auch  die  Wöchnerin,  aufgerichtet  und  durch 
Kissen  unterstützt.  Drei  Kinder,  wahrscheinlich  die  Geschwister  des  neuen  Erden- 
bürgers des  himmlischen  Reiches,  das  eine  noch  auf  dem  Arm  getragen,  besuchen 
die  Entbundene;  drei  erwachsene  Frauen,  die  eine  rauchend,  machen  ebenfalls  ihre 
Visite.  Eine  vierte  Frau  mit  einem  geschlossenen  Sonnenschirm  trägt  das  eine  der 
Kinder  auf  dem  Arme.    Die  Hebamme  ist  als  alte  weisshaarige  Matrone  dargestellt. 

Die  von  v.  Martins  übersetzte  Abhandlung  spricht  ebenfalls  davon,  dass  „un- 
vernünftige  Hebammen^^   die  Gebärende  antreiben,   ihre  Kräfte  anzustrengen. 

„Noch  schlimmer  ist  es,  wenn  ein  solches  Weib  durch  Betasten  und  Drflcken  des  Efeuzes 
und  des  Bauches  der  Ereissenden  das  Kind  im  Matterleibe  ängstigt,  welches  Alles  von  der- 
gleichen Weibern  nur  in  der  Absicht  unternommen  wird,  um  Versuche  anzustellen,  oder  die 
Wichtigkeit  ihres  Hierseins  zu  bekunden."  Femer  heisst  es  dort:  , Es  ist  wohl  immer  gut, 
eine  solche  Person  in  der  NShe  zu  haben,  allein  man  darf  derselben  über  die  Ereissende 
durchaus  keine  Gewalt  einräumen,  weil  dergleichen  Weiber  gewöhnlich  sehr  uner- 
fahren sind  und  ganz  ohne  Ursache,  bloss  um  sich  wichtig  zu  machen  oder  nicht  müssig 
zu  scheinen,  oder  um  ihre  Erfahrung  zu  zeigen  und  ihre  grosse  Fürsorge  für  die  Gebärende 
zu  beweisen,  durch  unnöthigen  Lärm  dieselbe  ängstigen.**  Und  schliesslich  lesen  wir:  «Da- 
durch sterben  alljährlich  so  viele  Wöchnerinnen,  besonders  Erstgebärende,  dass  sie  sich  so 
unbedingt  auf  die  Erzählungen  der  Hebefrauen  verlassen  und  ihnen  erlauben,  Hand  anzu- 
legen und  die  Natur  in  Unordnung  zu  bringen." 

Die  chinesischen  Hebammen  sollen  allerdings,  wie  v,  Martins  in  China 
hörte,  Yon  einzelnen  sich  mit  dem  Entbindungsgeschäft  befassenden  Aerzten  an 
beweglichen  Phantomen  ftir  ihr  Fach  abgerichtet  werden.  Sehr  ausgedehnt  werden 
aber  wohl  die  Kenntnisse  dieser  Aerzte  auch  nicht  gerade  sein.  Denn  nach 
Hureau  de  VtUeneuve  darf  kein  Mann,  selbst  nicht  der  Ehemann  oder  der  ge- 
wöhnliche Hausarzt,  bei  Lebensgefahr  in  das  Zimmer  der  Gebärenden  treten.  Auch 
Staunton  berichtete  im  Jahre  1797,  dass  es  keinem  Arzte  gestattet  sei,  Gebärende 
zu  beobachten  oder  Oeburtshülfe  auszuüben. 

Von  dieser  strengen  Verordnung  müssen  aber  doch  auch  bisweilen  Ab- 
weichungen möglich  gewesen  sein.    Denn  v.  Martins'  Arzt  erzählt: 

,Ich  habe  in  meinem  Leben,  so  lange  ich  Arzt  bin,  mir  die  Lehren  des  grossen  Manlaa 
zur  unveränderlichen  Richtschnur  gesetzt,  ,und  so  vielen  Geburten  ich  auch  beigewohnt 
habe*,  so  bin  ich  dabei  immer  den  natürlichen  Gesetzen  der  Natur  gefolgt.  Bei  genauer  Be- 
obachtung derselben  hatte  ich  niemals  nöthig,  den  natürlichen  Gang  der  Geburt  zu  stören 
oder  gar  Arzneien  zu  verordnen.  Weil  ich  meine  Methode  gern  allgemein  zu  machen  wünsche, 
80  habe  ich  dieselbe  drucken  lassen.  Die  erste  und  vorzüglichste  Regel,  um  die  leichte  Geburt 
eines  Kindes  zu  f^^rdem,  ist  Ruhe,  Geduld  und  Enthaltung  von  Arzneien.* 

Nach  den  viel  jüngeren  Berichten  von  Hureau  de  VtUenenve  sind  jedoch 
die  chinesischen  Hebammen  nicht  unerfahren  in  der  inneren  Untersuchung;  sie 
können  aus  der  Beschaffenheit  des  Gebärmutterhalses  den  Eintritt  der  Geburt  er- 
kennen; allein  sie  glauben  auch  gewisse  Zeichen  aus  dem  Pulse  immer  noch  als 
Merkmale  für  die  Prognose  und  Diagnose  des  Schwangerschafts-  und  Geburts- 
verlaufs  benutzen  zu  können. 


285.  Die  Geburtshülfe  bei  den  Chinesen. 


135 


Wenn  die  Geburt  ihren  Anfang  nimmt,  so  konmit  die  gerufene  Hebamme 
mit  einer  Gehülfin,  und  mehrere  Freundinnen  der  Familie  stellen  sich  ihr  dann 
zur  Vertagung.  Die  Hebamme  ordnet  zunächst  an,  dass  die  Leute  im  Hause 
keinen  Lärm  machen.  Während  sie  Stillschweigen  gebietet,  breitet  sie  auf  einem 
Möbel   die   zahlreichen  Arzneimittel   aus,   welche   sie  gewohnlich  bei  sich  führt. 


1 

§ 

ja 

S 

i4 


:c8 


O    OD 

53 


11 


I 


0 


Dann  bestimmt  sie  die  Lage  und  Stellang  des  Kindes,  stellt  aus  dem  Aussehen 
des  Gesichts  der  Gebärenden  die  Prognose  für  die  Entbindung,  lässt  die  Kreissende 
erst  umhergehen,  dann  aufrecht  mit  erhobenen  Armen  stehen  und  beim  stärkeren 
Eintritt  der  Wehen  in  die  Stellung  bringen,  die  in  China  beim  Gebäract  ge- 
bräuchlich ist. 


136       XLV.  Die  Entwickelang  der  Geburtshülfe  bei  den  heutigen  CultnrvOlkern  Asiens. 

In  den  Hebammenbüchem  der  Chinesen  werden  folgende  fUnf  Kindeslagen 
unterschieden:  die  Kopflage  nnd  Steisslage,  die  Armlage  und  die  Fusslage,  und 
endlich  die  Rumpf  läge. 

Da  die  chinesischen  Hebammen  die  Kindeslage  mit  Vorlage  des  Kopfes 
oder  beider  Füsse  fQr  die  günstigste  halten,  so  suchen  sie,  wenn  ein  Fuss  oder 
eine  Hand  vorliegt,  oder  wenn  es  sich  um  eine  Querlage  handelt,  jene  günstige 
Lage  herbeizuführen.  Dieses  versuchen  sie  durch  Lagerung  der  Gebärenden  und 
durch  (nicht  naher  angegebene)  Handgriffe  zu  bewerkstelligen.  Bleibt  hierbei  das 
Verfahren  erfolglos,  so  weiss  der  darüber  schreibende  chinesische  Arzt  ,»8elb8t 
kein  Mittel  anzugeben ''.  Zwar  heisst  es,  dass  die  Hebamme  dann,  wenn  das  Kind 
in  solchen  Fällen  abgestorben  ist,  zur  Ausziehung  mittelst  eines  Hakens  und  zur 
Zerstückelung  des  Kindes,  d.  h.  zur  Ablösung  der  Gliedmaassen  und  zum  Zer- 
brechen der  Knochen  schreitet;  doch  ist  auch  über  dieses  Verfahren  nichts  Näheres 
bekannt,  und  es  ist  kaum  anzunehmen,  dass  die  Hebammen  wirklich  selber  zu  der 
Vornahme  dieser  bedeutenden  Eingriffe  schreiten.  Nach  den  Berichten  von  Kerr 
ist  überhaupt  bei  der  praktischen  Geburtshülfe  der  Hebammen  in  Ca n ton  von 
manueller  Hülfe  nicht  die  Rede.  Amulete  aber  spielen  bei  der  Niederkunft  eine 
grosse  Rolle;  so  muss  die  Gebärende  Strümpfe  anziehen,  welche  vom  Dalai  Lama 
zuvor  geweiht  wurden  u.  s.  w.  Bei  verzögertem  Abgange  der  Nachgeburt  reizt 
die  Hebamme  den  Gaumen  der  Frau  mit  einer  Feder,  um  Brechbewegungen  her- 
beizuführen. In  der  v.  Martius^^i^ea  Abhandlung  wird  gesagt,  dass  die  Verzögerung 
des  Abgangs  davon  herrühre,  dass  die  Gebärende  zu  früh  auf  den  Stuhl  kam; 
die  Sache  sei  nicht  gefahrlich,  nur  bedenklich,  erheische  keine  Medicamente, 
sondern  man  solle  nur  die  Nabelschnur  umwickeln,  dann  umbiegen,  hierauf  noch- 
mals fest  zubinden  und  mit  der  Scheere  abschneiden.  Hierauf  werde  in  3 — 5 
Tagen  die  Nabelschnur  vertrocknen  und  ebenso  die  Nachgeburt  vertrocknen  und 
herausfallen. 

Zu  den  Functionen  der  Hebammen  in  China  scheint  auch  die  Beaufsich- 
tigung und  üeberwachung  des  Wochenbettes,  sowie  die  Behandlung  der  in  dem- 
selben vorkommenden  Krankheiten  zu  gehören.  Denn  in  den  erwähnten  chine- 
sischen Schriften  ist  mehrfach  von  diesen  Dingen  die  Rede. 


286.  Die  Oebnrtshülfe  bei  den  Japanern. 

Während  die  Gultur  des  Mikado -Reiches  im  Allgemeinen  ein  Abkömmling 
chinesischer  Bildung  ist,  scheint  dagegen  die  Geburtshülfe  in  Japan  eine 
autochthone  Entwickelung  durchgemacht  zu  haben.  Dies  geht  schon  aus  v.  Sie" 
bold's  Bericht  über  die  Aussagen  seines  Schülers  Jlftma^tmje^a,  Arzt  zu  Nagasaki, 
ziemlich  deutlich  hervor.  Die  Geburtshelfer  Japans  werden  von  keiner  Behörde 
examinirt  und  concessionirt,  während  andere  Aerzte  eine  Art  von  Approbation 
erhalten;  erstere  haben,  wie  Mimcumnea  sagte,  «sich  theoretisch  und  praktisch 
mit  Geburtshülfe  beschäftigt  und  werden  bei  unregelmässigem  Geburtsirerlaufe 
hinzugezogen.*^ 

Bis  etwa  vor  100  Jahren  war  die  Geburtshülfe  in  Japan  fast  ausschliess- 
lich in  den  Händen  von  bestimmten  Weibern,  welche  durch  Tradition  ihre  Kennt- 
nisse fortpflanzten.  Ihr  ganzes  Handeln  entbehrte  jeglicher  wissenschaftlicher 
Grundlage;  es  beschränkte  sich  übrigens  auch  auf  die  aUergewÖhnlichsten  Dienst- 
leistungen, Abschneiden  der  Nabelschnur,  Entfernung  der  Placenta,  Baden  des 
Kindes  u.  s.  w. 

Die  Geburtshülfe  wurde  damals  nur  als  ein  Theil  der  inneren  Medicin  be- 
trachtet. Es  wurden  aber  nur  aligemeine  Theorien  über  die  Lage  und  Entwicke- 
lung des  Embryo  gelehrt,  ohne  dass  man  von  den  Functionen  des  Uterus 
oder  von  dessen  Vorhandensein  irgend  welche  Vorstellung  hatte.    Das  ganze  Wirken 


286.  Die  GebartshOlfe  bei  den  Japanern.  137 

der  Aerzte  bestand   in  der  Verordnung  einer  Anzahl  von  schmerz-  und  krampf- 
stillenden Mitteln. 

Erst  im  Jahre  1765  legte  ein  in  der  Provinz  Omi  ansässiger  Arzt,  Sigen 
Kangawüy  die  Lehren  seiner  Wissenschaft  und  Erfahrung  in  einem  Buche  nieder, 
das  den  Titel  Sang-ron  oder  San-ron  fuhrt,  d.  h.  «Beschreibung  der  Ge- 
burt*. Wir  haben  es  schon  mehrfach  angef&hrt.  Kangawa  hatte  früher  die 
Acupunctur  betrieben,  und  seine  Lehre  stützte  sich  weniger  auf  anatomische  Kennt- 
nisse, als  auf  die  Berücksichtigung  der  bei  der  Acupunctur  in  Betracht  kommen- 
den Punkte. 

Er  hat  auch  das  Am  buk  für  die  Geburtshülfe  benutzt,  eine  seit  Alters  her  in  Japan 
gebräuchliche  Massage,  die  gegen  verschiedene  Krankheiten  helfen  soll.  Er  führte  es  als  ein 
methodisches,  vorsichtiges  und  leises  Drücken  oder  Betasten  des  Unterleibes,  zur  Diagnostik 
der  Schwangerschaft  ein,  sowie  zur  Beförderung  der  Geburt  und  zur  Beseitigung  verschie- 
dener Leiden  der  Schwangeren.  Femer  trat  Kangawa  mit  Erfolg  gegen  den  Gebrauch  des 
Geburtsstuhls  und  gegen  die  üble  Gewohnheit  auf,  dass  man  die  Wöchnerin  noch  eine  ganze 
Woch(9  auf  diesem  Stuhle  ohne  Schlaf  verharren  liess;  er  Hess  die  Frau  in  ein  bequemes  Bett, 
d.  h.  auf  wattirte  Decken  oder  Matratzen  legen  und  empfahl  auch,  dass  das  Wohnzimmer 
besser  als  bisher  gelüftet  werde  u.  s.  w.  Unter  den  geburtshülflichen  Operationen  üben  seit 
Kangawa  die  japanischen  Aerzte  die  Wendung  von  aussen  (Seitai)  aus,  welche  durch  eine 
Art  Ambuk  vollbracht  wird;  sie  eztrahiren  nöthigenfalls  das  Kind  mit  der  Hand  oder  wenden 
die  Zerstückelung  mit  dem  Messer  oder  mit  dem  Haken  an. 

Das  Ambuk  oder  Amboekoe  wird  von  den  Hebammen  ausgeführt,  und 
Mimaeunea  sagt: 

.Zur  Beschleunigung  der  Geburt  drückt  man  zuweilen  den  Leib  mit  grösster  Vorsicht 
und  unter  Befolgung  der  beim  Amboekoe  und  Seitai  anzuwendenden  Regeln  und  Handgriffe.' 

Die  Hebammen  mögen  eben  den  Geburtshelfern  Manches  abgesehen  haben. 

Ein  anderer  Berichterstatter,  ein  russischer  Arzt  in  Hakodade,  schreibt 
1862:  „Die  japanische  Geburtshülfe  liegt  in  den  Händen  alter,  roher  Weiber, 
und  geburtshülf liehe  Operationen  kommen  natürlich  nicht  vor;''  allein  er  erzählt 
auch,  dass  die  Hebammen  die  Wendung  durch  Streichen  des  Unterleibs  machen. 
Er  schiebt  hauptsächlich  dem  Binden  des  Unterleibs  in  der  Schwangerschaft  (um 
das  Kind  möglichst  klein  zu  erhalten)  und  im  Wochenbett  (um  Gongestionen  vom 
Uterus  aus  nach  dem  Kopfe  zu  verhüten),  sowie  dem  üblen  und  zu  kühlen  Lager 
der  Wöchnerinnen  das  häufige  Vorkommen  von  Wochenbettkrankheiten  zu,  während 
dagegen  Scheube  diesen  auch  noch  5  Wochen  nach  der  Entbindung  fortgesetzten 
Gebrauch  der  Leibbinde  ftir  sehr  zweckmässig  erklärt. 

Der  Nabelstran^  wird  nach  Mimaeunea' s  Angabe  in  Japan  wie  bei  uns 
abgeschnitten,  doch  schreibt  man  dem  Gebrauche  des  Eisens  im  Volke  einen  schäd- 
lichen Einfluss  zu  und  benutzt  deshalb  scharfe  Geräthe  aus  Bambus,  Holz  und 
Porzellanscherben,  bei  Reichen  aber  Instrumente  von  edlen  Metallen.  Das  An- 
binden der  Nabelschnur  an  die  Hüften  der  Gebärenden,  damit  die  Nachgeburt 
nicht  zurücktreten  soll,  ist  sicher  ein  altes  Hebammenverfahren.  Mimaeunea 
Bchliesst  seine  interessante  Abhandlung  mit  den  Worten: 

,Wie  sehr  auch  seit  der  aufgeklärten  Zeit  die  Zahl  der  unglücklichen  und  geßlhrlichen 
Geburten  durch  die  YerbeBserungen  in  der  Geburtshülfe  und  Lebensweise  während  der 
Schwangerschaft  abgenommen  hat,  was  man  mehr  als  einem  berühmten  Geburtshelfer  zu 
danken  hat,  so  kommen  doch  während  und  nach  der  Geburt  Unglücksfälle  vor,  wobei  die 
Wöchnerinnen  mit  genauer  Noth  oder  gar  nicht  aus  der  Gefahr  gerettet  werden  können, 
zumal  an  solchen  Orten,  wo  kein  verständiger  Geburtshelfer  oder  Hebamme  gerufen 
werden  kann.' 

Nach  Mittheilungen  Scheube's^  welcher  in  Japan  als  Arzt  thätig  war,  wird 
in  etwa  fünf  Procent  der  geburtshülflichen  Fälle  operative  Hülfe  nSthig.  In  wie 
vielen  Fallen  die  Operationen  glücklich  für  Mutter  und  Kind  ablaufen,  bleibt 
leider  aber  unbekannt.    Er  berichtet,  dass  auch  das  PuerperaLQeber  dort  vorkonunt. 

Dagegen  sind  nach  der  Aussage  des  Dr.  Kauda  in  Tokio  die  japanischen 


138       XLV.  Die  EntwickeluDg  der  Geburtshülfe  bei  den  heutigen  Cultarvölkern  Asiens. 

Frauen  so  gesund,  gut  gebaut  und  schön  entwickelt,  dass  die  Geburt  meist  ohne 
weitere  Hülfe  vor  sich  geht. 

Aehnliches  berichtet  Vedder,  welcher  Leibarzt  des  Prinzen  von  Nagato  und 
Suwo  war.  Die  Geburtshülfe  ist,  wie  er  sagt,  in  Japan  grosstentheUs  in  den 
Händen  von  Frauen,  und  nur  die  Ausfuhrung  grösserer  Operationen  (Wendung, 
Kephalotomie  u.  s.  w.)  bleibt  Männern  überlassen.  Bei  der  Entbindung  kniet  ge- 
wöhnlich in  Japan  die  Kreissende  auf  Matten,  die  mit  Oelpapier  und  altem  Zeuge 
bedeckt  sind,  und  stützt  die  Arme  auf  eine  Unterlage.  Die  Hebamme  drückt  mit 
beiden  Händen  gegen  die  Kreuzbeingegend.  Später  stützt  sie,  um  einen  Vorfall 
des  Afters  zu  verhüten,  diesen  mit  der  Hand.  Sie  fühlt  mit  den  Fingern  in  die 
Scheide,  ob  der  Kopf  kommt,  und  drückt  beim  Durchtritt  des  Kopfes  zur  Ver- 
meidung von  Dammrissen  das  Perinaeum  nach  vorn. 

Dass  die  Japanerinnen  aber  auch  im  Liegen  niederkommen,  das  wurde 
oben  schon  gesagt,  und  solch  eine  japanische  Entbindungsscene  führt  uns  ein 
Holzschnitt  aus  einem  japanischen  Buche  vor,  das  sich  in  dem  kgl.  Museum 
für  Völkerkunde  in  Berlin  befindet.  Er  ist  in  Fig.  280  wiedergegeben.  Hinter 
einem  Schirme,  der  das  Bett   nur   theilweise  verdeckt,  sehen   wir  die  Kreissende 


Fig.  280.    Kreissende  Japanerin,  von  zwei  Frauen  unterstützt. 
(Nach  einem  japanischen  Holzschnitt.) 

auf  ihrem  Lager,  mit  dem  uns  eine  spätere  Abbildung  noch  näher  bekannt 
machen  wird.  Zu  jeder  Seite  des  Bettes  kniet  eine  helfende  Frau,  deren  eine 
ihre  Hände  unter  die  Decke  der  Kreissenden  geschoben  zu  haben  scheint  und  hier 
in  ihrer  Beckengegend  irgend  welche  Manipulationen  vornimmt.  Die  Kreissende 
befindet  sich  in  der  Seitenlage,  und  zwar  ist  ihre  rechte  Seite  nach  unten  gekehrt. 

Eine  Verbesserung  der  geburtshülf liehen  Verhältnisse  in  Japan  ist,  wie 
gesagt,  bereits  von  Sigen  Kangawa  angebahnt  worden;  seine  Nachkommen  haben 
dann  in  demselben  Sinne  weiter  gearbeitet.  Die  Lehren  des  Kangawa^  die  er  im 
San-ron  giebt,  sind  noch  frei  von  europäischem  oder  chinesischem  Einfluss; 
sie  sind  der  Ausfluss  rein  japanischer  Cultur.  Richtige  anatomische  Anschau- 
ungen können  wir  bei  ihm  natürlich  nicht  erwarten. 

Er  nennt  seine  Beschreibung  des  Geburtsverlaufes  und  die  Behandlung  desselben  „  Aus- 
wahl des  Bettes*;  er  unterscheidet  ganz  richtig  die  verschiedenen  Eindeslagen  und  hat  für 
die  verschiedenen  Zufälle  und  Störungen  bei  der  Geburt  fünf  verschiedene  „Manipulationen* 
angegeben,  die  besonders  in  einer  den  Umständen  nach  zu  wählenden  Lage  und  Stellung 
der  Frau,  sowie  in  gewissen  Hantierungen  des  Geburtshelfers  (äussere  Wendung  u.  s.  w.) 
bestehen. 


286.  Die  Geburtshülfe  bei  den  Japanern.  139 

Ueber  das  Können  seiner  ärztlichen  Zeitgenossen  verdanken  wir  Kangawa 
folgende  Schilderung: 

„Die  meisten  Aerzte  unterlassen  alles  active  Handeln,  z.  B.  die  Anordnung  des  ^Sitzens 
auf  der  Matte',  das  ürtheil  über  die  Lage,  das  Leben  oder  Abgestorbensein  der  Fmcht  nnd 
das  dabei  nötbige  Eingreifen  der  Hebammen,  und  kflmmern  sich  nicht  darum;  begegnen  sie 
dann  einmal  einem  schwierigen  Fall,  so  wissen  sie  nicht,  was  sie  thun  sollen,  und  müssen 
Matter  und  Kind  sterben  sehen;  das  ist  aber  nicht  die  Aufgabe  unseres  schmerzlindernden 
Berufes.  Die  Hebammen,  welche  gebraucht  werden,  sind  meist  ganz  unwissende  Wittwen,  die 
nur  das  Abwischen  und  Waschen  kennen,  aber  absolut  unfähig  sind,  zur  Lebensrettung  etwas 
beizutragen.  Deswegen  ist  es  dringend  noth wendig,  dass  die  Aerzte  die  bei  der  Schwangeren 
zu  leistende  Hülfe  und  die  Behandlungsweise  kennen.  Am  dringendsten'  sind  beide  aber  während 
des  Geburtsactes;  hier  kann  der  Geburtshelfer  wirklich  etwas  leisten,  aber  nur  zwei  Zehntel 
der  Hülfe  bestehen  in  medicamentöser  Behandlung,  in  acht  Zehnteln  der  Fälle  dagegen  ist 
mechanische  und  manuelle  Hülfe  nothwendig,  während  die  Aerzte  fast  ausschliesslich  der 
medicamentüsen  Behandlung,  die  doch  nichts  leisten  kann,  ihre  Aufmerksamkeit  zuwenden.' 

Kangawa  scheint  operativ  eingegriffen  zu  haben,  wenn  bis  zum  dritten  Tage 
nicht  die  Entbindung  zum  Abschluss  gekommen  war.  Dann  war  wohl  aber  in 
der  Regel  das  Kind  schon  abgestorben. 

Seine  sogenannten  «fünf  Manipulationen"  sind:  1.  .Das  Sitzen  auf  der  Matte',  d.  h. 
die  bei  normaler  Sch&dellage  anzuwendende  hockende  Stellung  der  Frau  unter  Unterstützung 
derselben  seitens  des  Geburtshelfers  durch  Dammschutz,  Heben  des  Körpers  der  Frau  und  An- 
regung der  Wehen  mittelst  Reibungen;  2.  die  Extraction  des  Kindes  bei  Beckenendelage; 
3.  die  Wendung  des  Kindes  durch  äussere  Handgriffe  bei  Querlage  desselben;  4.  die  Behand- 
lung der  Zwillingsgeburt  durch  Einleitung  des  zunächstliegenden  Kopfes  mittelst  Druck  vom 
Bauche  aus;  5.  die  Anwendung  des  Hakens  (wie  es  scheint  des  scharfen  und  stumpfen,  also 
des  Doppelhakens)  bei  Querlage  des  Kindes  mit  Vorfall  der  Arme  oder  der  Schultern.  Diese 
letztere  Manipulation  wurde  noch  als  Geheimniss  betrachtet,  mindestens  von  Kangawa  nicht 
genauer  beschrieben.  Allein  sie  wurde  seitdem,  wie  es  scheint,  auch  schon  den  Hebammen 
bekannt.     Miyake  wenigstens  berichtet,  dass  diese  den  Haken  benutzen. 

In  Japan  ist  es  Sitte,  dass  der  Beruf  von  dem  Vater  auf  den  Sohn  über- 
geht; die  erste  Unterweisung  erhalten  die  Sohne  aber  oft  nicht  von  ihrem  Vater, 
sondern  von  Freunden  des  letzteren.  Es  giebt  Familien,  in  denen  schon  seit 
Jahrhunderten  eine  bestimmte  Berufsart  sich  fortgeerbt  hat  und  welche  daher 
wegen  ihrer  in  derselben  erlangten  Tüchtigkeit  in  grossem  Rufe  stehen.  Durch 
die  in  Japan  überhaupt  sehr  gebräuchliche  Adoption  wird  dem  Erlöschen  einer 
Kunst  vorgebeugt.  Wie  berühmte  Maler-  und  Aerztefamilien ,  so  giebt  es  auch 
berühmte  Geburtshelferfamilien.  Von  diesen  geniesst  diejenige  ^eiA  Kangatca 
das  grösste  Ansehen.  Seine  Nachkommen  bildeten  bis  jetzt  die  japanische 
Geburtshülfe  weiter  aus.  In  der  Genealogie  folgen  auf  einander:  1.  Sigen  Kangawa 
(nach  Scheube  Kangawa  Sighen\  Verfasser  des  San-ron;  2.  Kengo  Kangawa  (nach 
Scheute  Kangawa  Gentekiy  Adoptivsohn  des  Vorigen),  Verfasser  eines  Nachtrags 
zum  San-ron;  3.  Mä/susadu  Kangawa,  Erfinder  der  Fischbeinschlinge;  4.  Mitjsfu- 
taka  Kangawa^  Erfinder  der  Anwendung  des  Tuches;  5.  MitßUrnori  Ka'hgawa, 
der  jetzige.  Einer  dieser  Nachkommen  ist  zum  , Hof-Geburtshelfer*  befördert 
worden. 

Diese  Nachfolger  des  Kangawa,  welche  aus  seiner  Schule  in  Kioto  hervor- 
gingen, legten  zum  Theil  ihre  eigenen  Erfahrungen  und  Erfindungen  in  beson- 
deren Veröffentlichungen  nieder. 

So  schrieb  schon  der  Erste  derselben  eine  Vervollständigung  des  San-ron,  ein  zwei- 
bändiges Werk,  unter  dem  Titel  San-ron-yoku. 

Der  San-ron  ist  in  4  Bacher  eingeiheilt: 

1.  Von  der  Entwickelung  des  Embiyo,  Theorie  und  Praxis  während  der  Schwanger- 
schaft; 

2.  Ueber  die  Wahl  des  Gebnrtszimmers  und  den  zu  beobachtenden  Sitz; 

3.  Behandlung  nach  der  Geburt; 

4.  Ueber  den  nach  der  Geburt  zu  benutzenden  Stuhl  und  die  Leibbinde. 


140      XLV.  Die  Entwickelüng  der  Geburtshülfe  bei  den  heutigen  GultnirOlkern  Asiens. 

Der  San-ron-yoku  oder  joko  enth&lt  in  2  Bfichem  nnd  24  Kapiteln  Vorschriften 
über  die  Diagnose  der  Schwangerschaft,  die  Untersuchung  der  Gebärmutter,  über  die  Diagnose 
des  Absterbens'  der  Frucht,  über  normale  Milch,  die  Diagnose  der  Eindeslage,  eventuelle 
Reposition  fehlerhafter  Lage,  Diagnose  von  Zwillingen,  femer  das  Bauchkneten,  Wasserent- 
leerung u.  s.  w. 

Es  bildeten  sich  auch  daneben  noch  andere  Geburtshelferfamilien  aus,  bei 
denen  ebenfalls  das  Wissen  und  Können  vom  Vater  auf  den  Sohn  oder  auch  auf 
einen  von  jenem  adoptirten  jüngeren  Verwandten  forterbte.  So  besitzt  Scheube 
ein  zwölf  bändiges  interessantes  Werk  über  Geburtshülfe,  welches  Müeuhara  im 
Jahre  1849  unter  dem  Titel  San-iku-zen-sho  (Buch  der  gesammten  Qe- 
burtshülfe)  herausgab. 

Zahlreiche  Abbildungen  erl&utem  in  demselben  das  operative  Verfahren:  die  Geburts- 
stellung  bei  zögerndem  Geburtsverlaufe ,  bei  welchem  der  Geburtshelfer  die  Expression  übt» 
die  mannigfachen  Handgriffe  des  Ambuk  bei  Querlage  des  Kindes,  die  Art  der  Nachgeburts- 
entwickelung und  auch  einen  merkwürdigen  Zugapparat,  bei  welchem  der  Geburtshelfer  das 
mit  der  Schlinge  im  Uterus  umschlungene  Kind  mittelst  eines  um  eine  Kurbel  gewundenen 
Seiles  herausbefördert.    Auf  alles  dieses  kommen  wir  sp&ter  zurück. 

In  neuerer  Zeit  hat  sich  immer  mehr  der  Verkehr  mit  den  Europäern  ver* 
grössert.  Hiermit  begann  die  Bekanntschaft  einiger  japanischer  Aerzte  mit 
unserer  Heilkunde  und  auch  mit  der  Anwendung  der  Zange. 

Gegenwärtig  giebt  es  in  Tokio  eine  Schule  zur  Belehrung  der  Hebammen: 
auch  können  Lernbegierige  fbr  diesen  Beruf  an  allen  Schulen  bei  den  daselbst 
angestellten  medicinischen  Beamten  Unterricht  erhalten.  Das  Landes-Unterrichts- 
gesetz  vom  9.  Jahre  des  Maiji  (1876)  sagt  Art.  2: 

.Wer  (Geburtshelfer,  Augen-  oder  Zahnarzt  werden  will,  kann  ein  Erlaubnisspatent  er- 
halten, nachdem  er  (sie)  eine  Prüfung  in  allgem.  Anatomie  oder  Physiologie,  endlich  in  der 
Pathologie  derjenigen  Theile  genügend  bestanden,  welche  er  (sie)  zu  behandeln  hat.* 

Dagegen  behauptet  Scheube: 

.Die  Geburtshelfer  nehmen  auch  dem  Staate  gegenüber  insofern  eine  Sonderstellung 
ein,  als  sie  nicht,  wie  das  neuerdings  Aerzte  und  Apotheker  thun  müssen,  zur  Erlangung  der 
Approbation  Examina  abzulegen  haben.  Dasselbe  gilt  von  den  Hebammen.  .Geburtshelfer 
und  Hebammen  werden  nicht  auf  öffentlichen  oder  privaten  Lehranstalten  ausgebildet,  son- 
dern gehen  bei  älteren  Geburtshelfern  resp.  Hebammen  in  die  Lehre.  Die  Schüler  begleiten 
ihre  Meister  auf  die  Praxis  und  suchen  ihnen  dabei  ihre  Kunst  möglichst  abzugucken;  ausser- 
dem Studiren  sie  fleissig  die  kanonischen  Bücher." 

Demnach  ist  die  Erwerbung  einer  Approbation  als  Geburtshelfer  noch  heute 
nur  facultativ;  sie  wird  auch  nicht  auf  Ghrund  einer  Prüfung  in  einer  geburts- 
hülflichen  Klinik  erworben. 

Das  Studium  der  Heilkunde  in  Japan  wird  immer  mehr  und  mehr  nach 
deutschem  Muster  eingerichtet,  und  schon  giebt  es  in  diesem  Lande  eine  grössere 
Anzahl  von  tüchtig  durchgebildeten  Aerzten,  die  mit  denjenigen  Europas  in  volle 
Concurrenz  zu  treten  vermögen.  Somit  wird  auch  wohl  die  Zeit  nicht  mehr  fem 
sein,  wo  auch  die  Ausbildung  und  Instruction  der  Hebammen  in  ähnlicher  Weise 
wie  bei  uns  stattfinden  wird. 


XL  VI.  Die  Hebammen  im  Volksmunde  und  im  Volks- 

glanben. 

^87.  Der  Name  und  die  Bezeichnung^  die  Bedeutung  und  der  Einfluss 

der  Hebammen. 

In  allen  Ländern,  wo  es  Hebammen  -giebt,  die  ihr  Gewerbe  geschäftsmässig 
betreiben,  sind  diese  Franen  nicht  ohne  einen  beträchtlichen  Einfluss  auf  das  all- 
:gemeine  Volksleben.  Nicht  allein,  dass  sie  in  der  Stunde  der  Gefahr  den  Ereissen- 
den  als  Retterinnen  zur  Seite  waren,  sie  bleiben  auch  femer  in  enger  Beziehung 
2u  denjenigen  Familien,  in  welchen  sie  die  Kinder  zur  Welt  befördert  haben. 
Hier  gelten  sie,  und  vielfach  auch  sonst  noch  im  Volke,  als  unbestrittene  Autori- 
täten und  Rathgeberinnen  bei  gefährdeter  Gesundheit  überhaupt.  Durch  ihren 
langjährigen  vertraulichen  Verkehr  in  den  Familien,  durch  ihre  stetige  Antheil- 
nahme  an  jeglichem  Familienereignisse,  durch  einen  gewissen  Grad  von  Menschen- 
kenntniss,  durch  eine  keinen  Widerspruch  duldende  Energie  und  Bestimmtheit  im 
7)ersonlichen  Benehmen,  welche  sie  sich  nach  und  nach  durch  Erfahrung  und 
UebuDg  anzueignen  wissen,  verschaffen  sie  sich  auch  in  moralischer  Hinsicht  ein 
nicht  geringes  Ansehen,  eine  überlegene  Stellung  und  einen  Einfluss  auf  die  ge- 
dämmte Bevölkerung.  Das  Gewerbe  der  Hebamme  wird  somit  zu  einem  hoch- 
vnchtigen  socialen  Elemente. 

Schon  im  Talmud  heisst  die  Hebamme  Majalledeth,  .die  weise  Frau".  Die 
weise  Frau  soll  in  allen  F&llen  von  Noth  und  Krankheit  Rath  wissen;  sie  zeigt  sich  auch 
bereit,  solchen  zu  ertheilen,  und  zwar  keineswegs  bloss  da,  wo  es  sich  um  Frauen-  und 
Einderkrankheiten  oder  irgend  ein  Stück  der  Hebammenkunst  handelt,  sondern  auch  in  allen 
möglichen  schwierigen  und  verfönglichen  Lebenslagen. 

Die  Bezeichnung  fQr  die  Hebamme,  „weise  Frau*,  ist  bekanntermaassen  auch  bei  uns 
gebräuchlich,  und  der  Franzose  nennt  sie  Sage-femme.  Jedoch  muss  hier  daran  erinnert 
werden,  dass  nach  der  Ansicht  Einiger  das  Wort  Sage-femme  von  dem  alten  rOmischen 
Worte  Sagae,  den  Zauberinnen,  hergeleitet  werden  muss,  welche  namentlich  durch  ihre  Ab- 
treibungskünste berüchtigt  waren.    (Galliot) 

Ein  chinesischer  Arzt  sagt:  «Das  Wort  Hebamme  zeigt  schon  an,  dass  sie  ein  altes 
Weib  ist,  welches  Erfahrung  besitzt,  ein  Kind  bei  der  Geburt  zu  empfangen  und  auf  das  Bett 
zu  legen. *  Hingegen  wird  von  anderer  Seite  berichtet,  dass  der  chinesische  Name  für 
Hebamme  soviel  bedeutet,  wie  Empfangsweib. 

In  Cochinchina  sagt  man  zur  Hebamme  Bä-mu,  Bä  ist  der  Ehrenname  für  Frauen 
und  mu  heissen  alte  Frauen.  Die  Japaner  nennen  sie  Samba-san,  das  heisst  ein  verarmtes 
Frauenzimmer. 

Die  Hebammen  bei  den  alten  Aegyptern  wurden  nach  Baas  Meschenu  genannt. 
Die  Griechen  hatten,  wie  wir  früher  schon  sahen,  die  Maiai  oder  die  Jatromaiai,  die 
auch  Akestrides,  Tamusai  oder  Omphalotömoi  genannt  wurden;  die  Hebammen  der 
Römer  hiessen  Obstetrices  oder  auch  ganz  allgemein  Matronae.  Ueber  das  Wort  Ob- 
stetriz  und  seine  ursprüngliche  Bedeutung  ist  gestritten  worden.  Manche  behaupten,  es 
komme  her  von  obstare,  d.  h.  gegenüberstehen;  allein  hiermit  ist  ja  der  Begriff  von  „ Ver- 
hindern *  verbunden,  also  gerade  das  Gegentheil  von  „Helfen".  Man  meint  auf  der  anderen 
Seite,  dass  aus  dem  alten  .ad*  (in  Adstatrix,   d.  i.  Beisteherin)  ein  ,ob'  geworden  sei;    auf 


142  XL  VI.  Die  Hebammen  im  Yolksmunde  und  im  Volksglauben. 

Inschriften  findet  sich  anch  Opstetriz.  Hier  liegt  also  eine  noch  streitige  philologische  Frage 
Tor.  Man  darf  aber  nicht  vergessen,  dass  die  Hebammen  bei  vielen  Völkern  der  Ereissenden 
wirklich  gegenüberstehen. 

Bei  manchen  anderen  Völkern  sind  wir  der  Bezeichnnng  für  Hebamme  bereits  begegnet. 
So  nennen  die  Türken  dieselbe  Ebe-caden  oder  auch  Mamy,  die  Perser  Mama,  die 
algerischen  Araber  Qabela,  die  Tscherkessen  Betia,  die  heutigen  Aegypter  Dayeh, 
die  Basutho  Babele  Xisi.  Auf  den  Philippinen  heisst  die  Hebamme  Mabutin  gilot 
(gute  Hebamme),  bei  den  Alfuren  in  Nord-Celebes  Talohoelanga,  auf  der  Insel  S  er  an  g 
Ahinatukaan,  auf  den  Tanembar-  und  Tim orlao -Inseln  Wata  sitong,  auf  Nias 
Salomo  talu  Bauchreiber  oder  Sangamoi  talu,  Bauchhersteller,  und  bei  den  Ainos 
Ikawobushi,  auf  den  Viti-Inseln  Alewa  vuku,  bei  den  Siamesen  Yi  und  Mohrak- 
sah-eran  oder  auch  Mo -Tarn  d.  h.  Nessel&rzte. 

BcLstian  schreibt  in  seiner  Reise  in  Siam: 

«Hebammen  heissen  Mo-Tam  (Nesselärzte),  entweder  weil  sie  beständig  auf  dem 
Sprunge  sein  müssen  und  auch  Nachts  hierhin  und  dorthin  gerufen  werden  können,  oder  weil 
ihre  Hände  Dinge  berühren,  bei  denen  andere  nicht  wissen  würden,  wie  sie  anzugreifen  seien. 
Auch  scheint  die  Anwendung  der  ürticatio  als  Stimulans  nicht  fremd.' 

Bei  den  Orang  Laut  in  Malacca  giebt  es  nach  Stevens^  in  jeder  Familiengruppe  eine 
oder  mehrere  alte  Frauen,  welche  eines  Rufes  als  Hebamme  geniessen  und  anderen  vorgezogen 
werden.  Die  Hebammen  der  Orang  BSlendas  haben  eine  besondere  Hütte,  welche  un- 
mittelbar auf  dem  Boden  errichtet  ist  und  nicht,  wie  alle  übrigen  Hütten,  erhöht  auf  Bambus- 
pfählen ruht.  Kein  Mann  der  Orang  hü  tan  betritt  dieselbe,  und  für  gewöhnlich  dürfen 
auch  die  Kinder  nicht  hinein,  damit  sie  darin  keinen  Unfug  treiben.  Die  Frauen  haben  aber 
Zutritt.  Die  Thür  ist  besonders  klein  und  niedrig,  damit  man  nicht  hineinsehen  kann.  Wenn 
die  Hebamme  verheirathet  ist,  so  bewohnt  sie  mit  ihrem  Manne  gemeinsam  eine  gewöhnliche 
Hütte;  sie  hat  aber  ausserdem  auch  noch  eine  Hebammenhütte  von  der  beschriebenen  Con- 
struction.  Als  Grund  für  diese  besondere  Bauart  gaben  einige  an,  das  Haua  stehe  so  niedrig, 
weil  die  Hebamme  alt  und  schwach  sei,  andere,  damit  die  Hantu^  die  Gespenster,  nicht 
unter  dieselbe  schlüpfen  könnten,  noch  andere  aber,  und  das  hat  vielleicht  die  allermeiste 
Wahrscheinlichkeit  für  sich,  dass  das  Haus  leicht  kenntlich  sei  und  nicht  aus  Versehen  von 
Unberufenen  betreten  werde.  In  diesem  Hause  kommen  gleichzeitig  auch  die  Weiber  des 
Stammes  nieder  und  machen  darin  ein  Wochenbett  von  vierzehntägiger  Dauer  durch. 

Die  Hebamme  der  Orang  hütan  nimmt  insofern  eine  bevorzugte  Sonderstellung  ein, 
als  sie  von  allen  gemeinsam  von  den  Weibern  der  Ansiedelung  zu  leistenden  Arbeiten  befreit 
ist.  Sind  das  nun  aber  Arbeiten,  wie  Rotang  binden,  Wurzeln  suchen  u.  s.  w.,  bei  welchen 
die  Frauen  aus  dem  Dorfe  hinaus  müssen,  dann  ist  die  Hebamme  verpflichtet,  alle  Kinder  des 
Dorfes  unter  ihre  Obhut  zu  nehmen.  Aber  auch  einzelne  Frauen,  welche  Lasten  holen  müssen, 
bringen  ihr  die  Kinder  für  diese  Zeit  zur  Beaufsichtigung  in  die  Hütte.    (BarteW^.) 

Unter  den  Völkern  romanischer  Zunge  nennt  man  die  Hebamme  bei  den  Spaniern 
und  Portugiesen  Gomadre  (vom  lateinischen  Cummater),  bei  den  Italienern  laCom- 
mare,  auch  Levatrice.  Die  Franzosen  haben  ihre  Sage-femme,  auch  Accoucheuse, 
die  Unterbretagner  ihre  Amiegaise.  In  einem  1587  zu  Paris  von  Gervais  dela  Touche 
verfassten  Werke  wird  auf  dem  Titel  die  Hebamme  ,belle  m^re'  genannt.  In  den  mexi- 
kanischen Provinzen  heisst  sie  Partessa. 

Die  Russen  nannten  die  Hebamme  die  kluge  Holländerin,  weil  wie  gesagt  die 
ersten  gelernten  Hebammen  nach  Petersburg  aus  Holland  kamen;  jetzt  aber  heisst  die 
Hebamme  in  Russland  Powitucha  oder  Babka. 

Babka  wird  sie  auch  von  den  Polen  genannt,  während  die  Wenden  sie  Baba  nennen. 

Die  Engländerin  nennt  ihre  Hebamme  Midwife. 

In  Holland  wird  die  Hebamme  als  Vroedvrouw  bezeichnet.  Im  Schwedischen 
und  Dänischen  heisst  sie  Jordgumma,  Jordemoder,  wörtlich  £rdmutter,  wie  Grimm 
vermuthet  deshalb,  weil  sie  das  Kind  auf  die  Erde  legte  und  es  dann,  wenn  es  der  Vater 
nicht  aussetzen,  sondern  anerkennen  wollte,  auf  dessen  Geheiss  von  der  Erde  aufhob.  Weigandt 
glaubt,  dass  von  einem  gleichen  Gebrauch  der  deutsche   Name  Hebamme  abzuleiten  sei. 

Im  Althochdeutschen  hiess  die  Hebamme  hefianna  oder  hevannüm,  wenn  es 
mehrere  waren;  dies  deckt  sich  nach  Grimmas  Wörterbuch  mit  Hebemutter.  Hierüber 
äussert  sich  Max  Höfler:  ,Die  Umdeutung  des  althochdeutschen  hefianna,  Hebemutter, 
in  hefamm  begann  schon  sehr  früh  und  setzte  sich  im  Mittelhochdeutschen  fest;  im 
12.  Jahrhundert  kommen  bereits  hevammen  in  Deutschland  vor.     Das  Wort  amma  ist 


287.  Der  Name  und  die  Bezeichnung,  die  Bedeutung  und  der  Einfluss  der  Hebammen.      143 

nach  Weigand  durch  Einwirkung  des  Romanischen  auch  im  Hochdeutschen  um  600 
üblich  geworden.  Die  Hebamme  soll  nach  Chrimm  nach  der  Geburt  das  Kind  auf  Befehl  des 
Vaters  gehoben  haben,  womit  dieser  kraft  seines  ältesten  väterlichen  Rechtes  erklärte,  dass 
er  es  leben  lassen  will.' 

Es  finden  sich  die  Formen:  hebam,  hebamme,  höbamme.  Schon  in  der  Carolina 
art.  85  heisst  es,  dass  die  «hebamm'*  all  ihre  Rüstung  gut  bereit  sol  haben. 

Statt  des  Wortes  Hebamme  sagte  man  auch  im  Augsburgischen  früher  .Hef- 
amme'.   CBirlingerJ 

In  späterer  Zeit  haben  sich  dann  in  yerschiedenen  Theilen  Deutschlands  auch  noch 
andere  Bezeichnungen  für  die  Hebamme  eingebürgert,  ernstgemeinte  und  scherzhafte.  So  hat 
die  Hebamme  im  Niederdeutschen  den  Spitznamen  «Mutter  Griepsch';  im  Vogelge- 
birge  heisst  sie  die  .Born  Eller',  im  Steyrischen  Oberlande  das  Hetschenwaberl, 
in  der  bayrischen  Oberpfalz  das  Erücklersweib.  Wehmutter,  auch  wohl  Bade- 
mooder,  heisst  sie  in  Oldenburg.  Wehfrau  nach  iSpte^s  im  sächsischen  Erzgebirge, 
im  Fränkisch-Hennebergischen  nennt  man  sie  die  Ammefrau,  im  Siebenbürger 
Sachsenlande  nach  Fronius  die  Amtfrau. 

Kilitm  führt  noch  die  Synonyma  an:  £indermutter,  Püppelmutter,  weise 
Mutter,  Hebemutter;  nl.  hevemoeder,  hevelmoeder. 

Für  gewöhnlich  stehen  der  Hebamme  noch  eine  Anzahl  dienende  Geister  zur  Seite,  die 
ihres  Winkes  gew&rtig  sind  und  das  Ansehen  ihrer  Meisterin  zu  erhalten  und  zu  vermehren 
wissen.  Das  sind  die  sogenannten  Wickelfrauen,  Wochenfrauen,  Badefrauen,  Bei- 
frauen, Eindsfrauen  u.  s.  w.  HerliciM  in  Stargardt  in  Pommern  erwähnt  im  Jahre 
1628  neben  der  .Kindermutter*  auch  noch  die  Weise müne.  Ihnen  gegenüber  wird  in  einigen 
Theilen  Deutschlands  die  Hebamme  auch  als  die  Grossfrau  bezeichnet.  Sie  ersetzen  und 
unterstützen  bekanntermaassen  die  Hebamme  in  der  Behandlung  der  Wöchnerin  und  des 
Kindes.  In  der  neuesten  Zeit  schliessen  sich  ihnen  die  geschulten  Wochenpflegerinnen  an, 
oder  sie  schlagen  erstere  sogar  aus  dem  Felde.  Sie  vermögen  durch  sorgsame  Achtsamkeit 
ernste  Gefahren  des  Wochenbettes  zu  verhüten. 

Die  Bedeutung  der  Hebammen  ist  cultarhistorisch  durchaus  nicht  zu  gering 
anzuschlagen.  So  lange  die  primitive  Geburtshülfe  allein  in  ihren  Händen  ruhte, 
so  lange  sich  nicht  die  beru&mässigen  Vertreter  der  Heilkunst,  die  Aerzte  per- 
sönlich dem  Fache  der  Geburtshülfe  zuwandten,  so  lange  ruhte  naturgemäss  das 
Wohl  und  Wehe  der  Schwangeren  und  Ereissenden  und  das  Schicksal  der 
kommenden  Generation  einzig  und  allein  in  ihren  Händen.  Diese  Machtstellung 
gaben  sie  nicht  gutwillig  auf,  als  endlich  die  Geburtshülfe  zur  Wissenschaft 
wurde.  Es  entspann  sich  ein  harter  und  schwieriger  Kampf,  welchen  die  Aerzte 
und  die  Chirurgen  mit  den  Hebammen  auszufechten  hatten.  Letzteren  stand 
aber  ausserdem  noch  ein  mächtiger  Bundesgenosse  zur  Seite,  das  war  die  weib- 
liche Schamhaftigkeit. 

In  dieser  Beziehung  sagt  Prochownick: 

,Nur  so,  nur  dann  ist  dieser  ewige  Kampf  überhaupt  zu  begreifen,  wenn  man  die 
natürliche,  naturgemässe  Verschwisterung  dieser  beiden  Factoren  im  Auge  behält,  nur  dann 
ist  Manches,  was  an  unseren  heutigen  Zuständen  noch  recht  beklagenswerth  erscheint,  ver- 
ständlich, wenn  man  das  Culturmoment  der  weiblichen  Pudicitia  als  die  Endursache  des  Streites 
erkennt.  Und  wahrlich,  man  kann  diese  Eigenschaft  des  Weibes,  die  sich  in  den  ältesten 
Mythen  der  meisten  Völker  kundgiebt,  die  in  den  ältesten  Gultururkunden  verzeichnet  steht, 
die  noch  heute  bei  den  rohesten,  entartetsten  Völkern  doch  in  irgend  einer  Weise  nachweis- 
bar ist,  mit  vollstem  Rechte  ein  wichtiges  Culturmoment  in  der  Entwickelung  der  Menschheit 
nennen.  Ihr  Einfluss  hat  überall  auf  die  sociale  Stellung  des  Weibes,  auf  die  fortschreitende 
Achtung  desselben,  auf  die  sittliche  Gestaltung  der  Ehe  und  Familie  gewirkt." 

Wie  schwierig  dieser  Kampf  gewesen  ist,  das  ersieht  man  daraus,  dass  selbst 
Gelehrte  sich  auf  die  Seite  der  Hebammen  stellten.  Gab  doch  noch  im  Jahre  1744 
Philipp  Hecquet  in  Paris  ein  Buch  heraus,  das  den  bezeichnenden  Titel  führt: 
„De  l'ind^cence  aux  hommes  d'accoucher  les  femmes". 

Die  weibliche  Hülfe  wird  zwar  immerdar  am  Geburtsbett  unschätzbar  sein 
und  bleiben.  Allein  sie  hat  doch  ihre  Grenzen  und  sie  muss  sich  dort  nur  in 
zweite  Linie  stellen,  wo  Rath  und  That  des  ärztlich  gebildeten  Mannes  mit  seinen 


144  XLVI.  Die  Hebammen  im  YolkBrnunde  und  im  Volksglauben. 

tieferen  Kenntnissen  und  seinem  umsichtigeren  Handeln  dem  leidenden  Weibe 
allein  die  richtige  Hülfe  gewähren  kann,  und  so  sind  wohl  alle  civilisirten 
Nationen  darin  einig,  dass  sich  die  geburtshülf liehe  Kunst  nicht  mehr  auf  die 
Hebammen  allein  beschränken  darf,  welche  so  lange  Zeit  das  Geburts-  und  Wochen- 
bett als  ihre  ausschliessliche  Domäne  mit  Hartnäckigkeit  in  Anspruch  ge- 
nommen haben. 


288.  Die  Hebamme  im  Aberglauben. 

Die  Ausnahmestellung,  welche  die  Hebammen  in  der  menschlichen  Gesell- 
schaft unbestritten  einnehmen,  ihre  reifere  Erfahrung,  ihr  höheres  Wissen  in 
allerlei  Nothen  des  Leibes  und  der  Seele,  haben  vielfach  dem  Aberglauben  Nahrung 
gegeben,  dass  sie  in  dem  Besitze  der  Kenntniss  von  übernatürlichen  Naturkräften 
sind  und  dass  ihnen  eine  besondere  Befähigung  innewohnt,  durch  allerlei  Geheim- 
mittel Krankheiten  zu  heilen.  Sie  scUiessen  sich  in  dieser  Beziehung  den  Schäfern, 
Schmieden,  Jägern  und  Scharfrichtern  an.  Namentlich  auf  dem  Lande  betreiben 
manche  von  ihnen  eine  ausgedehnte  Kurpfuscherei.  , 

Aber  auch  noch  einen  anderen  Glauben  finden  wir  mit  den  Hebammen  ver- 
bunden. Sie  sind  es  ja,  welche  den  Erdenbürger  aus  dem  unbekannten  Aufent- 
haltsorte der  XJngeborenen  in  das  irdische  Dasein  befördern.  Ihnen  muss  daher 
dieser  Ort  zugänglich  sein,  welchen  andere  Sterbliche  nicht  zu  betreten  vermögen. 
Gewöhnlich  ist  es  irgend  ein  Teich,  aus  dem  die  Hebamme  die  jungen  Kinder 
schöpfen  muss.  Im  Vogelgebirge  wird  sie  von  diesem  Geschäfte  als  die  Born- 
Eller  bezeichnet. 

Von  grossem  Interesse  ist  in  dieser  Beziehung  ein  Glaube,  wie  er  nach  der 
Zeitschrift  «Am  ürdsbrunnen'^  bei  der  Bevölkerung  auf  der  Insel  Amrum 
herrscht: 

„Aus  Gunskölk  (Gänsewasser)  und  Meerham  holen  die  Amrummer  Franen,  von 
der  Hebamme  begleitet,  die  zarten  Kinder.  Die  Kinderfrau  aber,  die  das  Wasser  mit  den 
darin  lebenden  Kindern  beherrscht,  will  die  letzteren  nicht  fahren  lassen  und  schlftgt  mit  der 
Sense  um  sich,  wenn  die  Frauen  herbeikommen,  sich  ein  Kind  zu  holen.  Es  gelingt  den 
Frauen  jedoch  gewöhnlich,  ein  Kindlein  zu  erwischen,  aber  die  holende  Frau  muss  sich's  ge- 
fallen lassen,  von  der  Hüterin  der  vielen  im  Wasser  schwimmenden  Kinder,  die  mit  ihrer 
Sense  weit  ausholt,  am  Bein  verwundet  zu  werden/ 

Einen  absonderlichen  Aberglauben  berichtet  Riccardi  aus  dem  Modene- 
sischen: 

„Um  die  Hebamme  zu  rufen,  müssen  stets  zwei  gehen,  oder  wenn  nur  eine  gehen  kann, 
muss  sie  zwei  Brode  bei  sich  tragen,  um  ,1a  gprazia  di  Dio''  bei  sich  zu  führen,  sonst  bringt 
der  Teufel  den  Weg  in  Unordnung  und  verzögert  dadurch  die  Ankunft  der  Hebamme.' 

Eine  Hebamme,  welche  ein  Kind  getödtet  hat,  muss  nach  einer  in  Wolf- 
ratshausen in  Bayern  herrschenden  Sage  nach  ihrem  Tode  als  Markt-O'schlärf 
in  schweren  Pantoffeln  umgehen.  Das  ist  ein  Gespenst,  das  sich  so  gross  machen 
kann,  als  es  will,  und  nicht  selten  schaut  es  den  Leuten  zu  ihrem  Entsetzen  im 
ersten  Stocke  zum  Fenster  hinein.    (Höfler,) 

Oanz  allgemein  ist  in  Deutschland  noch  heute  die  Sage  verbreitet,  dass 
einst  Zwerge  oder  Unterirdische,  auch  Nixen-  oder  Nickelmänner,  Hebammen  zur 
Entbindung  ihrer  Frauen  holten.  So  heisst  es  z.  B.  in  Thüringen:  Ein  Nix 
holte  eine  menschliche  Hebamme  zur  Nixfrau,  die  entbunden  sein  wollte;  er  be- 
schenkte sie  dann  mit  einer  scheinbar  geringfügigen  Sache,  die  sich  aber  später 
in  Gold  verwandelte.  Weigert  sich  die  Hebamme,  mitzugehen,  so  wird  sie,  wie 
die  Sage  geht,  mit  Gewalt  geholt,  und  man  findet  dann  ihre  Leiche  auf  dem 
Wasser  schwimmen.     (Wucke.) 

Schon  Grimm  hat  diesem  Sagenstoffe  seine  Aufmerksamkeit  gewidmet.  In 
einer  dieser  Sagen   warnt   die  entbundene  Nixfrau   die  herbeigerufene  Hebamme, 


288.  Die  Hebamme  im  Aberglauben.  145 

von  ihrem  Manne,  dem  Nix,  mehr  Geld  anzunehmen,  als  ihr  gebühre;  auch  theilte 
sie  ihr  mit,  dass  ihr  Mann  gewohnlich  das  Kind  am  dritten  Tage  ermorde.  In 
Oesterreichisch-Schlesien  heisst  es,  dass  die  Hebamme  als  Lohn  von  der  Nixe 
Kehricht  erhielt,  der  sich  in  der  Schürze  in  Gold  verwandelte.  (Peter,)  Im 
Badischen  erhielt  die  Hebamme,  welche  im  Mummelsee  eine  Frau  entband, 
als  Lohn  ein  Strohbündel,  das  sie  verächtlich  in  das  Wasser  zurückwarf;  als  sie 
jedoch  nach  Hause  kam,  hatte  sich  ein  in  ihrer  Schürze  zurückgebliebener  Stroh- 
halm in  Gold  verwandelt.    (Klüber,) 

Diese  Sagen  haben  wahrscheinlich  einen  thatsächlichen  EUntergrund:  Jene 
Zwerge,  Kobolde  und  Nixen  sind  vielleicht  die  Ureinwohner,  welche  die  einwan- 
dernden Deutschen  vorfanden  und  unterwarfen:  ein  friedliches  ansässiges  Volk, 
das  sich  viel  mit  Bergbau  und  Erzarbeit  abgab.  Sie  hatten  sich  vor  den  feind- 
lichen Eindringlingen  in  schwer  zugängliche  Schlupfwinkel  zurückgezogen,  und 
sie  werden  ihre  Bedränger  wohl  nicht  selten  durch  Diebstähle  be&tigt  haben. 
Wenn  sie  aber  in  Noth  geriethen,  so  mussten  sie  ihre  Hülfe  suchen,  und  so  wahr- 
scheinlich auch  die  Hülfe  der  Hebammen,  wo  sie  selber  keine  unter  sich  hatten. 

Jene  in  sehr  vielen  Gauen  Deutschlands  verbreitete  Sage,  dass  Nickel- 
männer eine  Hebamme  zur  Nickelfrau  geholt  haben,  damit  sie  bei  der  Entbindung 
helfe,  taucht  unter  den  Feengeschichten  in  Schottland  wieder  auf.  Auch  hier 
wird  zur  Nachtzeit  eine  Hebamme  in  die  glänzend  erleuchtete  unterirdische  Halle 
geholt,  wo  eine  Fee  in  Wehen  liegt.    (FoOc-Lore.) 

Solche  Erzählungen  sind  aber  nicht  allein  auf  europäisches  Gebiet 
beschränkt. 

Landes  berichtet  uns  hierfür  eine  interessante  Sage  der  Annamiten: 

«Es  war  einmal  ein  Tiger,  dessen  Weibchen  sich  in  Kindesnöthen  befand  und  nicht 
entbunden  werden  konnte.  Da  lief  der  Tiger  zu  dem  Hause  einer  Hebamme,  erspähte  den 
Augenblick,  wo  sie  zu  der  ThÜre  heraustrat,  und  trug  sie  zu  der  Stelle  hin,  wo  sich  die  Tigerin 
befand.  Dort  machte  er  der  Hebamme  durch  Zeichen  verständlich,  dass  man  ihrer  Hülfe  be- 
dürfe. Diese  verstand,  dass  er  sie  aufgesucht  habe,  damit  sie  sein  Weibchen  entbinden  solle. 
Sie  sagte  zu  ihm:  „Sieh  nach  der  Seite,  denn  Dein  Blick  setzt  mich  in  Schrecken.''  Der 
Tiger  kehrte  sich  zur  Seite  und  die  Hebamme  schritt  zur  Entbindung.  Als  alles  beendet  war, 
trug  er  sie  wieder  nach  Hause.  Am  Tage  darauf  raubte  er  ein  Schwein  und  brachte  es  der 
Hebamme,  um  ihr  seine  Dankbarkeit  zu  erweisen." 


PlosB-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    JI.  10 


XL VII.  Die  Hülfsmittel  bei  normaler  Gebnrt. 

289,  Der  Ursprung  der  Hülfsleistung. 

Es  ist  wohl  keineswegs  zu  verwundern,  dass  eine  derartig  aufregende  Scene, 
wie  der  Geburtsvorgang  sie  bildet,  die  Umgebung  der  leidenden  Frau  in  die 
grösste  Unruhe  versetzt,  zumal  wenn  die  Entbindung  sich  ungewöhnlich  in  die 
I^nge  zieht  Da  werden  die  Umstehenden  naturgemäss  veranlasst,  in  irgend  einer 
Weise  ihre  Hülfe  anzubieten  und  alles  Mögliche  zu  versuchen,  um  der  Leidenden 
beizustehen  und  den  Process  zu  schnellem  Ende  zu  bringen.  Zuerst  wird  das 
Mitgefühl  in  den  Herzen  dieser  Weiber  rege,  und  dann  schliesst  sich  sofort  die 
Frage  an,  wie  man  wohl  Hülfe  zu  bringen  vermöchte.  Wo  immer  aber  Weiber 
angreifen,  rathen  und  anordnen,  da  pflegt  man  nicht  selten  die  folgerichtige  Ueber- 
legung  zu  vermissen,  besonders  wenn  gleichzeitig  das  Gefühl  mitspricht.  Die 
Einen  werden  sich  vielleicht  mit  einer  freundlichen  Zuspräche  begnügen,  die 
Anderen  aber  —  gewiss  die  Allermeisten  —  werden  mit  möglichster  Yielgeschäffcig- 
keit,  aber  mit  höchst  geringem  Yerständniss ,  sich  durch  Rath  und  That  nützlich 
zu  machen  suchen. 

Manche  wird  aus  früherer  Erinnerung  irgend  ein  Hülfsmittel  in  Vorschlag 
bringen,  das  angeblich  sich  schon  mehrmals  bewährte.  Ist  dasselbe  wiederum  von 
Erfolg,  so  g^t  es  um  so  mehr  als  probat,  und  diese  von  Neuem  gemachte  Er- 
fahrung lasst  seine  Anwendung  dann  in  immer  weitere  Kreise  dringen,  wo  dann 
die  hier  benutzte  Methode  laut  gepriesen  und  weiter  empfohlen  wird.  So  ent- 
wickelt sich  erst  bei  einer  Familie,  sehr  bald  aber  danach  bei  dem  ganzen  Stamme 
ein  feststehendes,  übereinstimmendes  Verfahren,  eine  wirkliche  Volks-Ge- 
burtshülfe. 

Nicht  der  Instinct  ist  es  also,  wie  wir  bereits  weiter  oben  entwickelt  haben, 
welcher  die  uns  hier  interessirenden  Methoden  schuf,  sondern  der  Nachahmungs- 
trieb hat  zufallig  Gewähltes  befestigt  und  stabil  gemacht. 

Die  allererste  Hülfe  besteht  naturgemäss  darin,  dass  man  der  Gebärenden 
eine  Lagerung  bereitet,  welche  allerdings  je  nach  den  herrschenden  Anschauungen 
und  nach  den  Lebensgewohnheiten  des  Volkes  ausserordentlich  verschieden  aus- 
fallt. Zu  dieser  althergebrachten  Lagerung  oder  Stellung  gesellt  sich  dann  eine 
entsprechende  Stütze,  welche  durch  die  dargebotenen  Hände  oder  durch  besondere 
Handhaben  geboten  wird. 

Nun  schliessen  sich  die  Methoden  an,  welche  den  Austritt  des  Kindes  be- 
fördern sollen.  Drücken  und  Kneten  des  Unterleibs,  Umschnürungen  desselben 
u.  s.  w.  spielen  hierbei  eine  grosse  Rolle;  aber  auch  Gebete  und  Beschwörungen, 
um  die  Hülfe  der  Gottheit  zu  erlangen  und  die  Dämonen  zu  beschwichtigen,  zu 
erschrecken  oder  zu  verjagen,  werden  reichlich  in  Benutzung  gezogen.  Man  ver- 
fallt sogar  auf  den  Gedanken,  durch   ein  Schütteln   der  Kreissenden   das  Heraus- 


290.  Die  Eörperhaltuxig  und  die  Lage  bei  der  Niederkunft.  147 

kommen  des  Kindes  ennöglichen  zu  wollen,  und  wo  man  glaubt,  dass  der  Embryo 
selbst  an  seiner  Befreiung  aus  dem  Mutterleibe  mitarbeite,  sucht  man  ihn  durch 
sympathetische  und  reale  Lockmittel  zu  einem  schleunigen  Austreten  zu  bewegen. 
Man  will  aber  auch  die  Körpertheile,  durch  welche  das  Kind  hindurchschlüpfen 
muss,  hinreichend  weich  und  elastisch  machen;  deshalb  werden  Bähungen,  Salbungen 
und  Bäder  angewendet.  Auch  ist  man  wohl  zum  Schaden  der  Kreissenden  bemüht, 
gewaltsam  ,,die  Thore  weit^  zu  machen. 

Eine  Hülfeleistung  bedenklicher  Art  ist  auch  das  Ziehen  an  den  Theilen 
des  Kindes,  welche  zufallig  zuerst  sichtbar  werden. 

Ist  die  Niederkunft  erfolgt,  dann  nimmt  die  Sorge  um  das  Neugeborene, 
die  Abnabelung  und  die  Entfernung  der  Nachgeburt,  sowie  die  fernere  Pflege  der 
Wöchnerin  die  helfenden  Hände  noch  längere  Zeit  in  Anspruch.  Wir  werden  in 
den  folgenden  Abschnitten  uns  eingehend  mit  diesen  Dingen  zu  beschäftigen  haben. 


290.  Die  Körperhaltung  and  die  Lage  bei  der  Niederkunft, 

Wenn  man  die  Bathschläge  der  Geburtshelfer  moderner  Zeiten  erwagt,  wie 
sich  die  Kreissende  zu  bewegen  und  zu  lagern  hat,  so  findet  man  eine  grosse 
Uebereinstimmang  darin,  dass  sie  in  der  sogenannten  Eroffnungsperiode  besondere 
Vorschriften  nicht  zu  befolgen  habe,  dass  aber  noch  vor  der  Beendigung  dieser 
Periode  die  Lagerung  in  das  Bett  empfohlen  wird.  Nun  heisst  es  aUerdings,  dass 
da,  wo  die  Widerstände  des  Geburtscanais  sich  nicht  auffallend  geltend  machen 
und  nicht  verzögernd  wirken,  die  Art  dieser  Lagerung  ziemlich  gleichgültig  sei; 
man  könne  es  der  Gebärenden  überlassen,  wie  sie  liegen  will  {Spiegelberg  u.  A.); 
meist  werde  es  sich  nur  um  die  Seiten-  oder  Rückenlage  handeln.  Allein  man 
wird  doch  auch  gut  thun,  solche  Lagen  zu  wählen,  in  welchen  das  Becken  mög- 
lichst fixirt  und  so  gestellt  wird,  dass  der  vorliegende  Kindestheil  in  der  Becken- 
achse leicht  vorschreiten  kann,  dass  aber  auch  einestheUs  die  unwillkürlichen  Trieb- 
kräfte der  Natur,  namentlich  die  Contractionen  der  Gebärmutter,  völlig  frei  wirken 
können,  anderentheils  das  willkürliche  Mitpressen  der  Gebärenden  in  ergiebiger 
Weise  erleichtert  wird.  Deshalb  wird  von  vielen  Geburtshelfern  für  die  Eröffnungs- 
periode die  Rückenlage  mit  möglichst  stark  erhöhtem  Oberkörper  empfohlen.  Die 
Kreissende  muss  namentlich  in  der  Austreibungsperiode  die  Wehen  , verarbeiten '^ 
können.  Da  heisst  es  denn,  dass  beim  Austritte  des  Kindes  die  Lendenwirbelsäule 
einen  möglichst  stumpfen  Winkel  mit  dem  Beckeneingange  bilden,  also  stark  ge- 
streckt werden  soll.  Mögen  nun  die  Geburtshelfer  über  manche  Punkte  nicht 
ganz  einig  sein  (Schatz,  Lahs  u.  A.),  mögen  auch  manche  nationale  Eigenheiten 
dabei  zum  Vorschein  kommen  (z.  B.  die  Seitenlage  bei  den  Engländern),  so  ist 
doch  immerhin  unter  den  deutschen  Aerzten  darüber  kaum  noch  eine  Meinungs- 
verschiedenheit, dass  man  nach  Maassgabe  des  Fortschreitens  der  Geburt  mit  der 
Lagerung  je  nach  Bedürfniss  in  zwecbnässiger  Weise  wechseln  soll. 

Auch  bei  fast  allen  Völkern  findet  man,  dass  die  Frauen  im  Verlaufe  der  Nieder- 
kunft die  Stellung  und  Haltung  wechseln;  in  der  Periode  der  Vorbereitung 
kann  man  bei  der  Frau  fast  überall  das  unruhige  Gebaren  nachweisen,  welches 
wir,  wie  schon  gesagt,  mit  dem  volksthümlichen  Ausdruck  ^Kreissen*  bezeichnen. 

Schon  die  englischen  Geburtshelfer  White  und  Bighy  beschrieben  das 
Benehmen  der  Kreissenden. 

Der  letztere  sagte,  dass  eine  sich  selbst  Überlassene  Frau  allein  und  auf  dem  Felde 
von  der  Geburt  überrascht,  erst  einige  Zeit  umhergehen,  dann  sich  bald  niedersetzen,  bald 
aber  wieder  aufstehen  und  von  neuem  umhergehen  und  damit  so  lange  fortfahren  wird,  bis 
sie  zu  ihrer  eigenen  Erleichterung  und  zur  Sicherheit  ihres  Kindes  es  nöthig  finden  würde, 
sich  wieder  niederzulegen;  so  werde  die  Geburt  vor  sich  gehen,  und  erst  nach  Vollendung 
derselben  werde  sie  sich  aufsetzen  und  das  Kind  anlegen. 

10* 


148  XLYII.  Die  Hül&mittel  bei  normaler  Gebart 

Dann  haben  Nägele  und  Hohl  in  ihren  Kliniken  entsprechende  Beobachtungen 
gemacht,  und  Schütz  und  Cohen  von  Baeren  in  Posen  suchten  dadurch  die 
, natürliche'  Haltung  der  Gebärenden  beim  Durchtritt  des  Kindes  nachzuweisen, 
dass  sie  Fälle  sammelten,  in  welchen  unglückliche  Mädchen  im  Geheimen  oder 
Verborgenen  niederkamen. 

Bei  einem  Yergleiche  dieser  Alleingeburten  wies  Bicb  aua»  dass  von  100  F&llen,  die 
Cohen  auffand,  50  in  ungewöhnlichen  Stellungen  gebaren:  80  stehend,  18  kauernd  oder  auf 
allen  Vieren  liegend,  2  knieend.  Unter  den  von  Schütz  aufgezählten  Beispielen  hatten  82, 
d.  h.  mehr  als  die  Hälfte,  aasserge wohnliche  Stellungen  gewählt:  14  gebaren  stehend,  16 
hockend  oder  kriechend,  2  knieend. 

Hier  verdient  eine  Notiz  von  Höfler  angefügt  zu  werden,  welche  angiebt, 
dass  noch  vor  ungefähr  50  Jahren  die  Jachenauerinnen  in  Ober -Bayern  in 
hockend-kauernder  Stellung  gebaren,  und  dass  es  dort  für  eine  Schande  galt,  im 
Bett  oder  auf  dem  Gebärstuhle  niederzukommen. 

Wenn  die  Indianerfrau  an  der  Küste  des  Stillen  Oceans  im  Oregon- 
gebiet zu  kreissen  beginnt,  so  benimmt  sie  sich  nach  Field's  Beschreibung 
(Engelmann)  ganz  ähnlich,  wie  ihre  weisse  Schwester,  allein  sie  stöhnt  nicht  bei 
jeder  Wehe,  wie  diese,  sondern  sie  stösst  ein  tiefes  Klagegeschrei,  ein  Winseln 
oder  Weinen  aus.  Legt  sie  sich  aber  dabei  nieder,  so  lehnt  sie  sich  hinten  an, 
und  während  sie  die  Oberschenkel  gegen  den  Rumpf  beugt,  zieht  sie  auch  die 
Unterschenkel  an  sich.  Hierauf  sucht  sie  die  Rückenlage  mit  hochgelagertem 
Kopfe  einzunehmen.  Ihr  Lager  ist  auf  dem  Boden  bereitet,  bei  kaltem  Wetter 
nahe  dem  Feuer.  Sie  liegt,  wie  gesagt,  mit  angezogenen  Beinen,  und  ihre  Kniee 
und  Füsse  werden  jederseits  von  einer  Gehülfin  festgehalten;  sie  selbst  drückt  ihre 
Hände  fest  auf  die  Oberschenkel  und  bei  heftigen  Wehen  gegen  den  Grund  der 
Gebärmutter.  Die  helfende  Frau  lässt  sich  zu  den  Füssen  der  Gebärenden  nieder 
und  stemmt  ihre  Hände  gegen  die  Hinterbacken,  den  Damm,  die  Scham  oder  den 
Unterleib,  je  nachdem  es  ihr  die  Verhältnisse  eingeben.  Bei  fortschreitender  Ge- 
burt wird  der  obere  Theil  der  Gebärmutter  von  einer  der  Beistehenden  zusammen- 
gedrückt. Zögert  die  Entbindung,  so  wird  ein  Verfahren  eingeschlagen,  welches 
wir  später  schildern  werden. 

Auch  die  Cheyennen,  die  Kiowas,  die  Gomanchen  und  die  ostlichen 
Apachen  scheinen  die  Frauen  in  der  Rückenlage  niederkommen  zu  lassen,  wie 
wenigstens  in  einem  Falle  Major  Forwood  sah.  Dagegen  berichtet  ein  Wundarzt 
von  den  Brules,  einem  kleinen  Stamme  der  Sioux-Indianer,  dass  die  Kreissende 
im  Anfange  sitzt  oder  sich  niederlegt;  aber  während  der  Austreibungsperiode 
steht  sie  voUständig  oder  nahezu  aufrecht,  wobei  sie  sich  mit  ihren  Armen  an 
einem  starken  Manne  festhält.  Dies  ist  aber  derselbe  Stamm,  bei  denen  die  Weiber 
auch  gewohnheitsgemäss  stehen,  wenn  sie  Wasser  lassen,  und  sich  setzen,  um  den 
Darm  zu  entleeren,  während  dies  bei  den  Männern  umgekehrt  der  Fall  ist;  dem- 
nach scheint  es,  als  ob  diese  Indianer  überhaupt  ziemlich  abweichende  Sitten 
von  denjenigen  anderer  Stämme  befolgen.    (Engdmann.) 

Wenn  man  dem  Umstände  Rechnung  trägt,  dass  gerade  die  ihrer  eigenen 
Gewohnheit  folgenden  Völker  einen  verhältnissmässig  günstigen  Geburtsverlauf 
aufweisen,  ist  die  Frage  wohl  berechtigt,  ob  sich  die  Frau  der  civiUsirten  Na- 
tionen, welchen  angeblich  das  Naturgefuhl  verloren  gegangen  ist,  das  ursprüng- 
liche Benehmen  dieser  Naturmenschen  zum  Muster  nehmen  darf  und  muss?  Allein 
überall  stossen  wir  doch  bei  den  sogenannten  Naturvölkern  auf  Verhältnisse, 
welche  denjenigen  nicht  gleichen,  unter  denen  unsere  Frauen  leben. 

Die  natürlichen  Geberden  und  freiwilligen  Bewegungen  der  kreissenden  Frau 
scheinen  aUerdings  darauf  hinzuweisen,  dass  in  der  That  die  verschiedenen  Perioden 
des  Gebäractes  ein  verschiedenes  Verhalten  hinsichtlich  der  Lage  und  Stellung 
erfordern.  Leider  findet  man  nicht  immer  in  den  Reiseberichten  genauer  ange- 
geben, ob  bei  den  Völkern  in  ganz  bestimmten  Geburtsperioden  gewisse  Haltungen 
und  Stellungen  des  Körpers  angenommen  werden. 


290.  Die  Körperhaltung  und  die  Lage  bei  der  Niederkunft. 


149 


Sobald  in  einem  Volke  das  Streben  zum  Vorschein  kommt,  der  Gebärenden 
eine  Stellung  anzuweisen,  wird  sich  die  Vorliebe  bald  für  die  eine,  bald  für  eine 
andere  Stellung  entscheiden.  In  China  lässt  die  Hebammenpraxis,  wie  es  scheint, 
die  Gebärende  sich  so  zeitig  als  möglich  auf  einen  Stuhl  setzen  und  mitpressen; 
denn  wenn  das  nicht  allgemein  dort  wäre,  so  würden  nicht  die  chinesischen 
Aerzte  in  dem  von  v.  Martius  und  Rehmann  herausgegebenen  populär-geburts- 
hülflichen  Schriftchen  mit  so  grossem  Eifer  dagegen  auftreten.  Anstatt  dieser 
Methode  empfiehlt  der  chinesische  Arzt  in  der  Martius^Qchen  Abhandlung  die 
Rückenlage  mit  erhöhtem  Kreuz  und  dabei  soll  die  Frau  ruhen  und  schlafen. 
Wenn  es  ihr  aber  nicht  möglich  sein  sollte,  zu  liegen  und  zu  ruhen,  so  erlaubt 
er  ihr,  sich  ganz  so  zu  benehmen,  wie  es  eben  eine  jede  Ereissende  thut.  Das 
Kreissen  beschreibt  er  folgendermaassen.  Sie  kann  sich  ein  wenig  in  die  Höhe 
richten  und  niedersetzen;   es  steht  ihr  auch  frei,   in  der  Stube   umher  zu  gehen; 


Fig.  281.    Lagerang  der  Kreissenden  bei  schwerer  Gebart. 

(Nach  ScipioHe  Mercnrio  und    WeUch^ 


oder  sie  kann  sich  vor  einen  Tisch  oder  Sessel  stellen  und  sich  an  selbigem  fest- 
halten. Erst  in  einer  späteren  Geburtsperiode  soll  sich  die  Frau  legen  und  da- 
nach erst  soll  sie  sich  auf  den  Stuhl  setzen. 

In  ähnlicher  Weise  glaubt  die  Hebamme  Bourgeois  in  ihrem  im  Anfange 
des  17.  Jahrhunderts  erschienenen  „  Hebammenbuche  *"  dem  Bedürfiiisse  der  kreis- 
senden Frau  am  besten  dadurch  Rechnung  zu  tragen,  dass  sie  diese  ihrem  eigenen 
Willen  und  Instincte  völlig  überlässt.  Sie  beklagt,  dass  man  die  Gebärende  so 
oft  nicht  recht  und  bequem  lagere;  man  solle  sie,  so  lange  sie  wolle,  auf  und 
ab  spazieren  lassen,  dann  würde  schon  die  rechte  Zeit  kommen,  wo  sie  sich  legen 
müsse;  bei  diesem  Auf-  und  Abgehen  mögen  die  Gebärende  zwei  starke  Personen 
unter  den  Armen  unterstützen  und  führen,  damit  sie,  wenn  die  Schmerzen  ein- 
treten, aufrecht  erhalten  werde;  auch  könne  sich  die  Frau  auf  einen  niederen 
Stuhl  vor  einen  Tisch  setzen,  damit  sie  sich  beim  Eintritt  der  Schmerzen  auf  die 


150 


XL VII.  Die  Hülfismittel  bei  normaler  Gebart. 


Kniee  (mit  den  Ellenbogen?)  stemmen,  mit  dem  Oberleib  aber  auf  den  mit  einem 
Kissen  belegten  Tisch  lehnen  kann,  danach  aber  dürfe  sie  wiederum  auf  und  ab 
gehen;  manche  Frauen  jedoch  beliebten  es,  sich  bald  auf  das  Bett  zu  legen,  und 
dieses  findet  die  Bourgeois  besser,  als  jene  Art  zu  kreissen,  da  im  Liegen  gewöhn- 
lich die  Geburt  nicht  so  lange  dauert.  Das  Bett  befiehlt  sie  so  zu  machen,  dass 
der  Kopf  und  der  Oberkörper  hoch  liegen. 

In  Welsch's  Uebersetzung  von  Scipione  Mercurio's  Hebammenbuch  finden 
wir  die  Kreissende  im  Bette  in  der  Rückenlage  mit  hochgelagertem  Kreuz  und 
tieferliegendem  Kopfe.  Sie  hält  sich  an  einem  Pflocke  fest,  welcher  an  dem  Bett- 
rande angebracht  ist.  Die  Hebamme  steht  daneben.  (Fig.  281.)  Das  soll  aber 
nicht  für  alle  Fälle  die  zu  wählende  Lagerung  sein,  sondern  es  ist  «der  Abriss 
der  Stellung  und  des  Lagers  einer  schwangeren  Frau  in  einer  lasterhaften  und 
unnatürlichen  Geburt*. 

Es  würde  seine  grosse  Schwierigkeit  haben,  die  Völker  nach  den  bei  ihnen 
gebräuchlichen  Geburt^tellungen  gruppiren  zu  wollen.  Dieses  hätte  auch  nur 
dann  einen  Zweck,  wenn  wir  mit  Sicherheit  angeben  könnten,  dass  die  letzteren 
das  Resultat   Yon   bestimmten   körperlichen   Bildungen   seien.     Abgesehen   dayoti 


Fig.  2S2.    Japanerin  auf  dem  Oeburtslager.    (Nach  einem  Japanischen  Holzschnitt.) 

aber,  dass  dieses  an  und  für  sich  imwahrscheinlich  ist,  dürfen  wir  nicht  ver- 
gessen, dass  sehr  ofb  bei  ganz  nahe  verwandten  Stämmen  ganz  verschiedene, 
andererseits  aber  auch  bei  demselben  Stamme  nicht  nur  eine,  sondern  mehrere 
Geburtsstellungen  gebräuchlich  sind. 

Immerhin  ist  auch  auf  diesem  Gebiete  der  Forschung  insofern  der  Weg 
gebahnt,  als  bereits  mehrere  Aerzte  bemüht  gewesen  sind,  die  hauptsächlichsten 
Stellungen,  welche  bei  den  verschiedenen  Völkern  beobachtet  werden  konnten,  in 
entsprechender  Weise  zu  analysiren  und  zusammenzustellen.  Den  Anfang  machte 
Floss^^;  ihm  folgte  im  Jahre  1884  Engelmann  in  seinem  grösseren,  von  Hennig 
übersetzten  Werke,  und  ein  Jahr  darauf  publicirte  Felkin  seine  bekannte  Schrift. 
Alle  drei  Autoren  haben  durch  zahlreiche  Abbildungen  die  betreflfenden  Verhält- 
nisse erläutert.  Die  Stellungen,  welche  aus  den  von  ihnen  benutzten,  aber  auch 
aus  neueren  Angaben  zu  entnehmen  sind,  lassen  sich  in  die  folgenden  Gruppen 
ordnen,  wobei  man  aber  nicht  vergessen  darf,  dass  hier  auch  manche  verhält- 
nissmässig  selten  vorkommenden  Positionen  ebenfalls  ihre  Berücksichtigung  ge- 
funden haben. 


291.  llebersicht  der  gebränehlicheii  Körperhaltungen  während  der 

Niederkunft. 

Wenn  ich  in  Kürze  eine  Uebersicht  geben  soll  von  den  Körperhaltungen 
und  Positionen,  welche  auf  unserem  Erdball  die  Frauen  bei  dem  Geburtsacte  ein- 
zunehmen pflegen,   so   muss  ich   acht   Hauptarten   aufstellen,   welche  dann,  jede 


291.  Uebersicht  der  gebräuchlichen  Körperhaltungen  während  der  Niederkunft.       151 

für  sich,  wieder  in  eine  Reihe  von  ünterabtheilungen  zerfallen.     Ich  ftihre  diese 
verschiedenen  Arten  der  Kürze  wegen  tabellarisch  auf: 

I.  Liegend: 

1.  wagerechte  Rückenlage  (im  Bett  oder  auf  der  Erde); 

2.  Rückenlage  (auf  dem  Tisch)  mit  herabhängenden  Beinen; 

3.  Rückenlage  mit  erhöhtem  Gesäas  und  üefer  liegendem  Eopf  und  Schultern; 

4.  wagerechte  Seitenlage; 

5.  wagerechte  Bauchlage. 

II.  Halbliegend  oder  hintenübergelehnt  sitzend: 

1.  im  Bett,  mit  schräger  Rückenstütze  (Kissen,  umgedrehter  Stuhl); 

2.  auf  der  Erde        ,  «  »  «  * 
8.  auf  einem  Sessel,  in  den  Armen  einer  dabei  sitzenden  Person; 

4.  ,        ,  ,       zwischen  den  Schenkeln  einer  auf  demselben  Stuhle  sitzenden 
Person; 

5.  auf  dem  Geburtsstuhl  (mit  schi*äger  Lehne); 

6.  auf  dem  Schoosse  einer  anderen  Person  sitzend  und  in  deren  Armen  liegend; 

7.  auf  der  Erde,  zwischen  den  Schenkeln  einer  Person,  in  deren  Armen  liegend; 

8.  auf  einem  Steine,  sich  an  zwei  Pfosten  im  Gleichgewicht  haltend. 


Fig.  283.    Afrikanerin  von  der  Goldküste,  im  Hocken  niederkommend.    Gravimng  auf  einer  Kalebasse 
im  Königlichen  ethnographischen  Mosenm  in  München.    (Nach  einer  Darohpausnng.) 

lU.  Sitzend: 

1.  im  Bett; 

2.. auf  der  strickartig  zusammengedrehten  Hängematte  (wie  in  einer  Schaukel); 

3.  auf  einem  Sessel,  oder  einem  der  Kissen 

a)  frei, 

b)  angelehnt, 

^)  g^gOQ  oiiie  dahinterstehende  Person  gelehnt; 

4.  auf  der  Erde 

a)  frei, 

b)  an  den  Rücken  einer  anderen  Person  angelehnt  und  mit  dieser  die  Arme 
yerschränkend; 

5.  auf  dem  Geburtsstuhl. 


152 


XLYII.  Die  Hülfsmittel  bei  normaler  Geburt. 


IV.  Hockend  oder  kauernd: 

1.  frei,  wie  bei  der  Darmentleerang; 

2.  frei,  aber  von  einer  dahinter  stehenden  Person  am  Kopfe  gehalten; 

3.  frei,  aber  mit  den  H&nden  sich  an  einem  verticalen  Stricke  haltend; 

4.  frei,  aber  die  Hände  auf  .die  Schultern  einer  vor  ihr  sitzenden  Person  gelegt ', 

5.  gegen  den  Rücken  einer  anderen  Person  gestützt. 

V.  Knieend: 

1.  mit  aufrechtem  Oberkörper 

a)  frei, 

b)  mit  den  Händen  an  einer  verticalen  Handhabe  (Strick,  Stab), 

c)  unter  den  Armen  von  einer  anderen  Frau  gestützt; 

2.  mit  hintenübergelegtem  Oberkörper 

a)  eine  wagerechte  Handhabe  haltend, 

b)  gestützt  gegen  die  Brust  einer  an- 
deren Person; 

8.  mit  wagerecht  hintenübergelegtem  Ober- 
körper; 

4.  mit  vorwärts  geneigtem  Oberkörper  auf 
einer  Stütze,  einem  Holzklotze  oder 
einem  Stuhle  ruhend; 

5.  in  Knie-Hand-Lage; 

6.  in  Knie- Ellenbogen-Lage; 

7.  in  Knie-Brust-Lage. 

VI.  Stehend: 

1.  gerade  aufrecht  und  breitbeinig 

a)  frei, 

b)  von  anderen  Personen  gestützt; 

2.  vornübergebeugt; 

3.  hintenübergelehnt,  mit  dem  Rücken 
g^gen  einen  Baum  gestützt. 

VII.  Hängend: 

1.  an  einer  wagerechten  Handhabe  oder 
einem  Baumast  mit  den  Händen  den 
Körper  wie  an  einem  Reck  in  die  Höhe 
ziehend; 

2.  sich  an  einer  grösseren  stehenden 
Person,  diese  umhalsend,  in  die  Höhe 
ziehend. 

VHI.  Schwebend: 

1.  in  Rückenlage,  die  Schultern  durch 
Kissen  unterstützt;  an  einem  imter  dem 
Gesäss  hindurchgezogenen  Tuche  wird 
von  zwei  neben  dem  Bett  stehenden 
Gehülfen  der  Mittelkörper  schwebend 
erhalten ; 

2.  in  senkrechter  Stellung   in   einer  unter  den  Armen  hindurchgezogenen  Siprick- 
schlinge  hängend; 

8.  mit  den  erhöhten  Armen  an  einen  Baum  gebunden  halb  hängend,   so  dass  die 
Fussspitzen  noch  die  Erde  berühren. 
Der  nächste  Abschnitt  soll  in   gleicher  Kürze  zeigen,   wie  diese  Körper- 
haltungen bei  der  Entbindung  über  die  Erde  yerbreitet  sind. 


Fig. 284.  öeschnltzte  Gruppe  aus  Uitscha 
am  Niger  (West-Afrika).  Unten  eine 
knieend  niederkommende  Frau.  Im 
Besitze  des  Musöe  d'Ethnographie  in  Paris. 
(Nach   mtkowski.) 


292.  Die  Yerbreitung  der  Geburtsstellnngen  über  die  Erde. 

Ein  Blick   auf  die  Yorstehende  Zusammenstellung  wird  es  dem  Leser  klar 
machen,   dass  es  weit  über  den  Rahmen  des  Yorliegenden  Buches   hinaus  gehen 


292.  Die  Verbreitung  der  Geburtsstellangen  über  die  Erde. 


153 


würde,  wenn  ich  eine  Analyse  aller  Völker  der  Erde  in  Bezug  auf  die  bei  ihnen 
üblichen  Geburtsstellangen  geben  wollte,  um  so  mehr,  da  gar  nicht  selten,  wie 
bereits  gesagt  wurde,  derselbe  Stamm  unter  Umständen  mehrere  Stellungen  zu 
benutzen  pflegt 

Um  aber  wenigstens  einen  Begriff  davon  zu  geben,  wie  wenig  Regelmässig- 
keit sich  in  diesen  Gebräuchen  nachweisen  lässt,  so  soll  noch  in  einer  kurzen 
Uebersicht  gezeigt  werden,  wie  die  vorher  angeführten  acht  Hauptpositionen  sich 
über  die  verschiedenen  Nationen  vertheilen: 

Die  Frauen  kommen  nieder: 

1.  Liegend  in: 
Europa:   Deutschland,  Frankreich,  Italien,  England,  Schottland,   Schweden, 

Norwegen,  Bosnien  und  Hereegovina  (aber  nur  die  Spaniolinnen); 
Afirika:   Uganda,  Massaua,  Congo  (Fig.  285); 


Fig.  285.    Gongo-Negerin  in  der  Banohlage  niederkommend.    Nach  einer  geschnitzten  Dantellimg  anf 
einem  Elfenbeinzahne  im  Besitze  des  Mnsöe  d'Ethnographie  in  Paris.    (Nach  IVitkowski,) 

Asien:   Indien,  Birma,  Siam,  China,  Sumatra,  Keisar,  Luang-,  Sermata-Inseln; 
Oeeanien:  Australien  (Eingeborene  und  engl.  Ansiedler),  Hawaii; 
Amerika:  Brasilien,  Antillen,  Oregon-Gebiet,  Cheyennen,  Comanchen,  Kiowas, 
Ost-Apachen. 

2.  Halbliegend  oder  hintenübergelehnt 
sitzend  in: 

Europa:  Deutschland,  Italien,  Grossbritannien, 

Irland,    Russland,     Spanien,    Griechenland, 

Türkei,  Cypern; 
Afrika:  Aegypten,  Abyssinien,  Massaua-,  Bari-t 

Madi-,     Kidj-,     Moru-,     Schuli-Negerinnen» 

Old-Calabar; 
Asien:   Palästina,   Syrien,  Arabien,  Süd-Indien, 

China,  Japan  (Fig.  280  und  282); 
Ooeanien:  Hawaii,  Andamanen,  Carolinen; 
Amerika:  Chile,  Peru  (altes  und  neues),  Venezuela, 

Mexiko  (Indianer  und  Mestizen),   Californien, 

Vereinigte    Staaten    (Weisse    und    Indianer), 

Canada  (französische  Ansiedler). 

3.  Sitzend  in: 

Europa:  Spanien,  früher,  in  Deutschland. 

Afrika:  Aegypten,  Abyssinien,  Ost-Afrika,  Madi  (Fig.  289),  Niam-Niam,  Schuli 

(Fig.  261),  Kerrie,  Old-Calabar,  Canarische  Inseln. 
Asien:   Palästina,  Arabien,  Indien,  China,  Ambon-  und  Uliase -Inseln,    Serang, 

Seranglao,   Gorong,   Eeei-Inseln,    Aaru-Inseln,   Luang-Inseln,   Sermata-Inseln, 

Keisar,  Romang,  Dama,  Teun,  Nila,  Serua,  Astrachan; 
Ooeanien:  Australien; 
Amerika:  Guatemala. 


Fig.  286.    Indierin  aus  Sikhim,  im 

Stehen   niederkommend.     (Nach  einem 

indischen  Tempelfresco.) 


154 


XLYII.  Die  HülfiBiuittel  bei  nonnaler  Grebnrt. 


4.  Hockend  oder  kauernd  in: 
Europa:  Grossbritannien,  Russland; 

AfWka:  Ost- Afrika,  KafferD,  Wazegua,  Goldküste  (Fig.  283); 

Asien:   Arabien,  Persien   (Fig.  292),   Nias,   Buru,    Ambon   und   die   Uliase -Inseln, 

Seranglao,  Gorong,  Aaru-Inseln,  Tanembar-  und  Timoriao -Inseln,  Leti,  Moa, 

Lakor,  Eetar; 
Oceanien:  Mikronesien,  eigentliches  Polynesien; 
Amerika:  Guatemala,  Mexiko,  alte  (Fig.  287)  und  heutige  Indianer  (und  Mestizen), 

Neger,  Indianer  der  Vereinigten  Staaten. 

5.  Knieend  in: 

Europa:  Grossbritannien,  Italien,  Spanien,  Griechenland,  Russland; 

Afrika:   Aethiopien,  Abyssinien,  Niger  (Fig. 

284); 
Asien:  Georgien,   Armenien,    Persien,   Kam- 

tsckatka,    Mongolei,  Japan,  Watubela-, 

B  ab  ar- Inseln; 
Oceanien:  Neu-Seeland; 
Amerika:   Nicaragua,   Mexiko  (Indianer  und 

Mestizen),   Vereinigte    Staaten   (Weisse, 

Neger  imd  fast  alle  Indianer). 

6.  Stehend  in: 
Europa:  Deutschland,  Italien; 
Afrika:  Aethiopien,  Darfur,  Somali,  Wakam- 

ba,  Bongo  (Fig.  262),  Hottentotten; 

Asien:  Indien,  Sikhim  (Fig.  269  und  Fig.  286), 
Serang  (Fig.  288); 

Oceanien:  Philippinen,  Neu-Britannien; 

Amerika:  Mexiko  (Indianer  und  Mestizen), 
Vereinigte  Staaten  (Weisse  und  In- 
dianer. 

7.  Hängend  in: 
Europa:  Grossbritannien,  Italien,  Russland; 
Amerika:   Indianer,   Apachen,  Irokesen. 

8.  Schwebend  in: 
Europa:  Deutschland; 
Asien:  Siam,  Ceram; 
Amerika:  Venezuela,  Indianer,  Neger. 

Wir   werden   einige  Geburtsgebräuche  noch   in  den  folgenden  Abschnitten 
näher  kennen  lernen. 


Fig.  287.     Mexikanische  Thonfigur, 

eine  hockend  niederkommende Fraa  darsteUend. 

Im  Besitze  des  Herrn  Damour  in  Paris. 

(Nach  IVitkoviski.) 


293.  Die  Hfilfs-  und  Lagemngsapparate  bei  der  Niederkunft 

Wir  haben  in  der  vorhin  gegebenen  Zusammenstellung  der  bei  der  Geburt 
gebräuchlichen  Positionen  in  Kürze  eigentlich  schon  fast  alle  die  Hülfs-  und 
Lagerungsapparate  kennen  gelernt,  auf  welche  der  Erfindungsgeist  der  Völker  ver- 
fallen ist,  um  die  Geburtsarbeit  zu  erleichtern  und  zu  vereinfachen;  doch  wollen 
wir  hier  noch  einmal  einen  flüchtigen  Blick  auf  dieselben  werfen.  Im  Wesent- 
lichen können  sie  eingetheilt  werden  in  Fixirungsvorrichtungen  für  den  ganzen 
Körper,  in  Handhaben,  in  Fussstützen  und  in  ünterstützungsgegenstände  för  das 
Gesäss,  die  Kniee  oder  den  Rücken,  und  bei  Bauchlagen  flir  die  Brust. 

Als  Fixirungsvorrichtungen  flir  den  ganzen  Körper  müssen  wir  vor  Allem 
die  in  Serang  gebräuchliche  Methode  bezeichnen,  die  Kreissende  mit  den  über 
dem  Kopfe  gekreuzten  Armen  an  einen  Ast  zu  binden  (Fig.  288)  oder  ihr  einen 
Strick  schlingenartig  unter  den  herabhängenden  Armen  hindurchzuziehen,  an  dem 
sie  hängt,  wie  in  Siam,   oder   über   einen  Baumast  in  die  Höhe  gezogen  wird. 


293.  Die  Halfs-  und  Lagerangsapparate  bei  der  Niederkunft. 


155 


wie  bei  den  Coyotero-Apachen.  Nächstdem  sind  die  bei  aufrechtem 
Oberkörper  den  Bücken  stützenden  Bäume,  Pfahle  imd  Hauswände  hierher  zu 
rechnen  (die  Longo  und  Schuli,  Fig.  261,  die  Kaffern  und  die  Bewohner  von 
Dar  für  in  Afrika).  Bei  den  HandObaben  müssen  wir  die  horizontalen  von  den 
yerticalen  trennen.  Die  letzteren  sind  Stricke,  welche  von  den  Dachsparren  der 
Hütte,  wie  auf  den  Inseln  Serang  und  Keisar,  den  Watubela-,  Tanembar- 
und  Timoriao -Inseln  und  im  B  ab  ar- Archipel,  oder  von  einem  schrägen 
Pfahl,  wie  in  Mexiko,  herabhängen, 
oder  es  sind  senkrecht  in  die  Erde  ge- 
steckte Pfähle  (bei  den  Schuli  [Fig.  261] 
und  in  ünyoro  in  Afrika,  bei  den 
Gomanchen  und  den  Schwarzfuss- 
Indianern),  oder  die  Stützpfosten  der 
Hütte  (im  Kerrie  am  weissen  Nil), 
oder  endlich  ein  schräg  gegen  einen  gabe- 
ligen Baum  gestellter  fester  Stock  (bei 
dem  Longo-Stamm  in  Afrika). 

Die  horizontalen  Handhaben  sind 
über  der  Kopf  höhe  angebracht  (ein  Baum- 
ast bei  den  Negerinnen  der  amerika- 
nischen Südstaaten,  ein  auf  zwei  Baum-  ''^_ 
äste  gelegter  Querstab,  wie  eine  Beck-  :rr- 
Stange,  im  Bongo-District  in  Afrika,  z::rz- 
Fig.  262),  oder  sie  sind  für  die  horizontal 
ausgestreckten  Arme  greifbar  (z.  B.  die 
ausgestreckten  Hände  gegenübersitzender 
Gehülfinnen  in  Virginien,  oder  die 
Ellenbogen  einer  Gehülfin,  welche  Rücken 
an  Rücken  mit  der  Kreissenden  sitzt, 
welch  letztere  ihre  Arme  durch  diejenigen  der  Gehülfin  gesteckt  hat  [Fig.  289] 
[Madi,  Afrika],  oder  Stricke,  die  am  Fussende  des  Bettes  befestigt  sind,  in 
Deutschland  und' Virginien,  oder  endlich  eine  wagerechte  dicke  Stange,  die 
auf  erhöhten  Uüterrai^en  liegt  und  durch  zwei  auf  ihren  Enden  sitzenden  Personen 
in  dieser  Lage  fixirt  'wird,  bei  den  Chippeway-Indianern). 

Die  Fussstützen  bilden  bei  den  meisten  im  Bette  niederkommenden  Nationen 
die  Rückwände,  der  Bettstellen,  oder  es  sind  die  Stühle,  auf  denen  die  die  Kreis- 
sende unterstützenden  Personen  dieser  gegen- 
über Platz  genommen  haben,  z.  B.  in  Vir- 
ginien, oder  es  sind  besondere  in  die  Erde 
getriebene  Holzpflöcke,  wie  bei  den  Madi 
und  in  Kerrie  am  weissen  Nil,  während 
bei  den  Schuli  die  Fussstützen  gleich  an 
den  als  Handhaben  dienenden  senkrechten 
Stangen  angebracht  sind  (Fig.  261). 

Die  Ünterstützungsgegenstände  für  die 
Kniee,  den  Rücken  oder  die  Brust  und  das 
Gesäss  sind  Steine,  Holzklötze,  Stühle,  Wannen, 
Töpfe,  Kissen  u.  s.  w.,  oder  das  oben  erwähnte, 
unter  dem  Gesäss  durchgezogene  Tuch  (in  der  Gegend  Yon  Meerane  in  Sachsen). 
Man  hat  auch  ganz  besondere  Gebärstühle  construirt,  von  denen  später  noch  aus- 
führlich die  Rede  sein  soll. 

Ein  besonderes  Gestell  für  die  Niederkunft  war  nach  dem  Berichte  Yon 
Kauda  noch  vor  50  Jahren  in  Japan  gebräuchlich.  (Engdmann.)  Es  macht 
den   Eindruck   wie  ein  grosser,   flacher,   yiereckiger   Karton  mit   senkrecht   auf- 


Pig.  288. 


Serang-Insulanerin,  niederkommend. 
(Nach  Engelmann,) 


Fig.  289.    Madi-Negerin  (Gentral-Afrika), 

bei  der  Entbindung  von  einer  anderen  Frau 

unterstützt.    (Nach  Feikin.) 


156 


XL  VII.  Die  Hfilfsmittel  bei  normaler  Geburt. 


gerichtetem  Deckel  Letzterer  bildete  die  Rückenlehne  für  die  Gebärende.  Jetzt 
werden  hierftir  eine  Anzahl  Yon  Bettstücken  auf  einander  gethürmt,  über  welche 
sich  die  Unterlage  der  £j*ei8senden  hinüberschlfigt. 

In  einem  populären  Werke  über  Gesundheitspflege,  welches  sich  unter  den 
japanischen  Werken  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin  befindet 
und  das  den  Titel  führt:  ^^MVie  man  bei  kranker  Familie  zu  yerfahren  haV\  sind 
ebenfalls  die  Requisiten  zu  dem  Geburtslager  der  Japanerin  abgebildet.  Es  sind 
allerlei  Matratzen  und  Kissen.  Eine  andere  Abbildung  desselben  Werkes  führt 
uns  aber  die  Frau  auf  dem  Lager  liegend  vor.  Dieses  Lager  ist  vollständig  anders 
als  das  gewöhnliche  Nachtlager  der  gesunden  Japanerin.  Wir  finden  hier  aber 
die  Frau  nicht  sitzend,  wie  in  der  weiter  oben  erwähnten  Abbildung,  sondern 
wirklich  liegend  und  zwar  mit  stark  erhöhtem  Oberkörper  (Fig.  282). 


294.  Der  OebärstnhL 

Wir  können  bei  unseren  Besprechungen  nicht  umhin,  auf  ein  Unterstützungs- 
geräth  etwas  näher  einzugehen,  das  yon  sehr  alter  Zeit  her  bei  den  Culturvölkem 
in  der  Geburtshülfe  eine  sehr  wichtige  Rolle  gespielt  hat:  das  ist  der  Gebär- 
stuhl, dessen  Benutzung  in  vielen  Ländern  noch  in  Blüthe   steht;   imd  auch  in 

manchem  deutschen  Gau  fristet  er  noch 
versteckt  sein  Dasein.  Die  älteren  Schrift- 
steller bringen  für  ihn  verschiedenartige 
Bezeichnungen.  Oft  vrird  er  kurzweg 
„der  Stuel"  genannt.  „Der  Wehe- 
stuel*  heisst  er  bei  Welsch^  »der 
Kinds stul*  bei  Jacob  Rueff;  die  Namen 
„Gebärstuhl*  und  „Geburtsstuhl* 
finden  sich  ebenfalls. 

Der  Gebärstuhl   in  Deutschland 
war    ursprünglich     ein    niedriger    vier- 
beiniger Sessel  mit  rückwärts  geneigter 
medriger   Lehne,    dessen   Sitzfläche   von 
vorne   her   einen  so   grossen  und  tiefen 
ovalen  Ausschnitt  enthält,  dass  von  ihr 
überhaupt  nur  noch  ein   schmaler  Rand 
stehen    geblieben   ist,    „kaum  3,  wann 's 
gar    breit   ist,   4   quere  Finger    breit*. 
(EckartVs  Hebanune.)      Im    Laufe    der 
Zeit  hat  er  mehrfach  in  seinen  Formen 
gewechselt. 
Jacob  Rueff  bildet  ihn  ab  (Fig.  290)  und  beschreibt  ihn  f olgendermaassen : 
„Er  8ol  haben  vier  Beyn  oder  Fass,  mit  einem  Rückbrett  hindersich  gehöldet,  mit  einem 
schwartzen  wüllenen  Thuch   vmhencket,  damit  die  Fraw  bedeckt,   vnd   vnden  henimb   ver- 
borgen bleiben  möge,  vnd  die  andern  Weiber,  wo  es  nöten  würde  seyn,  auch  helffen  köndten, 
binden,  fernen,  vnd  zu  beyden  seiten,  wie  das  am  geschicksten  seyn  möcht.    Der  sitz  dess 
Stuls  sol  allenthalben  an  den  enden  mit  linden  thüchlein  vmbbunden  vnd  versorget  seyn, 
damit  die  Fraw  lind  sitze,  au£f  dass  das  Kindt  nicht  verletzt  werde  von  den  Ecken,  sch&rpfPe 
vnd  härte  dess  Stuls,  ob  sich  die  Frauw  zur  zeit  der  noth  zücken  würde,  als  viel  geschieht, 
nicht  on  grossen  schaden.* 

Die  Niederkunft  auf  dem  Gebärstuhle  führen  mehrere  Abbildungen  vor. 
Wir  sehen  dieselbe  in  den  Figuren  275,  276  und  291. 

Nach  der  Ansicht  verschiedener  Gelehrter  haben  sich  bereits  die  alten  Juden 
in  Aegypten  eines  Geburtsstuhles  bedient.  So  deuten  sie  den  Befehl  des  Pharao 
an  die  hebräischen  Hebanmien  (2.  Mosis  1,  16): 


Fig.  290.    Deutscher  Gebärstahl  des  16.  Jahr- 
hunderts.   (Nach  yacffi  R'ueff.) 


294.  Der  GebäratuhL 


157 


,Wenn  ihr  den  ebräischen  Weibern  helfet  und  auf  dem  Stul  (efnoim)  sehet,  dass  es 
ein  Sohn  ist,  so  tödtet  ihn;  ist  es  aber  eine  Tochter,  so  lasset  sie  leben.* 

Diese  Efnoim,  die  nur  noch  einmal  in  der  Bibel  als  Bezeichnung  der 
Topferscheibe  Yorkommen,  werden  von  den  meisten  Bibelauslegem  und  Sprach- 
forschem als  Geburtsstuhl  erklart,  wShrenA  Redslob  der  Meinung  ist,  dass  man 
nicht  übersetzen  müsse,  ^wenn  ihr  auf  dem  Efnoim  sehet, '^  sondern  „wenn  ihr  an 
den  Efnoim  sehet,  dass  es  ein  Sohn  ist,*"  und  das  bedeute,  wenn  ihr  an  den  Steinen, 
d.  h.  an  den  Hoden  sehet,  dass  es  ein  Sohn  ist.  Wir  können  natürlicher  Weise 
in  dieser  Meinungsdifferenz  nicht  die  Entscheidung  treffen.  Als  feststehend  muss 
es  aber  betrachtet  werden,  dass  mindestens  schon  100  Jahre  vor  Christi  Geburt 
bei  den  Israeliten  ein  Geburtsstuhl  nicht  nur  bei  schweren,  sondern  auch  bei 
ganz  normalen  Entbindungen  im  Gebrauch  gewesen  ist.  Die  Talmudisten  nannten 
ihn  Maschbar  (d.  h.  Fractor,  a  vires  feminae  frangendo). 


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- 1 

Fig.  291.    Niederkunft  einer  dentsohen  Fran  anf  dem  Gebnrtastiüil. 

Anonymer  Holzschnitt  vom  Jahre  1513. 

(Ans  Rösslin :  Der  swangeren  Franen  nnd  Hebammen  Rosegarten.    Nach  Hirtk.) 


Ueber  die  Worte  Efnoim  oder  Abnoim,  mit  dem  sich  die  Bibelkritik  be- 
schäftigt hat,  kann  Folgendes  noch  Aufschluss  geben.  Der  Araber  nennt  Stein 
Ghadchar,  doch  auch  Eben,  Abnaim  (d.  h.  Plural);  auch  die  Juden  in  Jeru- 
salem bezeichnen  Steine  mit  dem  Worte  Abnaim  („behauene*"  Steine).  Viel- 
leicht muss  daher  die  zweifelhafte  Bibelstelle  übersetzt  werden,  wenn  ihr  auf 
den  Steinen  sehet  u.  s.  w.  Und  hierfür  ist  es  gewiss  von  grosser  Bedeutung, 
dass  auch  noch  bis  in  die  neuere  Zeit  semitische  Völkerschaften  gebärende 
Frauen  auf  Steine  sich  setzen  lassen.  Nach  der  Beobachtung  des  französischen 
Stabsarztes  Goguel  ist  dies  bei  den  arabischen  Grenzbewohnern  Tunesiens 
der  Fall. 

Derselbe  wurde  im  Jahre  1858  zu  der  Frau  eines  Scheich  gerufen,  die  seit  40  Stunden 
litt;  von  ferne  schon  hörte  er  das  IQagegeschrei,  welches  die  assistirenden  Weiber  bei  jeder 
Wehe  erhoben.     Neben  der  Stange,  welche  in  der  Mitte  das  Zelt  wie  der  Stiel  eines  Regen- 


158 


XLVII.  Die  HülfiBmittel  bei  nonnaler  Gebart. 


Schirms  hält,  lagen  in  einer  Entfernung  von  15  cm  von  einander  zwei  flache  Steine,  auf 
welche  die  Gebärende  ihre  Hinterbacken  stützte;  an  die  Stange  war  ein  Strick  gebunden, 
den  sie  wie  einen  Glockenzug  hielt;  zwei  Weiber  hatten  sie  unter  die  Achsel  gefasst;  bei 
jeder  Wehe  hoben  dieselben  die  Leidende  und  Hessen  sie  dann  fallen,  wie  ein  Müller  den  Sack 
schüttelt,  wenn  er  Mehl  hinein  schüttet.  Goguel  entband  die  Frau  von  einem  todten  Kinde, 
wobei  er  narbige  Verwachsungen  trennen  mnsste.  Er  meint,  dass  jene  beiden  Steine  wohl 
nicht  ohne  Bedeutung  für  die  fragliche  Bibelstelle  sind;  denn  die  Juden  hätten  in  alten 
Zeiten  gleich  den  Arabern  unter  Zelten  gelebt. 

Wichtiger  jedoch  ist  die  schon  von  Ploss^^  angeftlhrte  Thatsache,  dass  ihm 
der  preussische  Consul  JBosen  berichtete:  »Die  Hebammen  in  Jerusalem  ge- 
brauchen noch  jetzt  den  Geburtsstuhl  wie  sonst;  die  Bauern  hingegen  lassen  die 
Gebärenden  sich  auf  ein  Kissen  oder  einen  Stein  setzen.*"  Der  Consul  Gerhard 
gab  ihm  die  Auskunft,  dass  auf  Massaua  im  Rothen  Meer  die  Frauen  aus 
niederen  Ständen  bei  der  Geburt  ebenfalls  auf  einem  Steine  sitzen.  So  darf  man 
wohl  annehmen,  dass  auch  die  Jüdinnen  während  der  Gefangenschaft  in  Aegypten 
zur  Entbindung  auf  Steine  gebracht  wurden  und  zwar  auf  zwei  Steine,  ähnlich 
wie  noch  heute  die  Kalmückinnen  nach  Meyerson^s  Angabe  sich  beim  Kreissen 
zwischen  zwei  Koffer  setzen. 


Fig.  292.    Perserin  niederkommend.    {Ans  PUss^.) 


Auch  müssen  wir  hier  der  Perserinnen  gedenken,  die  nach  Poldk's  und 
Häntzsche^s  Berichten  bei  der  Niederkunft  die  Kniee  und  Hände  auf  je  3  Ziegel- 
steine stützen,  welche  in  einem  geringen  Abstände  von  einander  aufgethürmt  sind 
(Fig.  292).  Es  ist  doch  nicht  ohne  Weiteres  Yon  der  Hand  zu  weisen,  dass  nicht 
auch  die  alten  Jüdinnen  in  Aegypten  auf  die  gleiche  Art  ihre  Entbindungen 
abgehalten  haben  können. 

Auch  bei  den  alten  griechischen  Schriftstellern  (Hippokrates)^siormetL  wir 
den  Gebärstuhl  auffinden,  und  von  hier  eroberte  er  sich  die  antike  und  mittel- 
alterliche wissenschaftliche  Welt.     Soramis  beschreibt  ihn  folgendermaassen: 

,In  -der  Mitte  muss  ein  halbmondförmiger,  verhältnissmässig  weiter  Raum  ausgeschnitten 
sein,  der  weder  zu  gross,  noch  zu  klein  sein  darf,  so  dass  man  bis  zu  den  Hüften  hineinsinken 
kann.  Ist  er  zu  eng,  so  wird  die  weibliche  Scham  gequetscht,  und  das  ist  schlimmer,  als 
wenn  die  Oe£fnung  zu  weit  ist,  denn  diese  kann  man  mit  Lappen  ausitOlen,  die  man  daneben 
steckt.  Die  ganze  Breite  des  Stuhles  sei  hinreichend,  dass  auch  wohlbeleibte  Frauen  darauf 
Platz  haben.  Verh&ltnissmässig  sei  auch  die  Höhe,  denn  bei  kleinen  Frauen  füllt  eine  unter- 
gesetzte Fussbank  den  fehlenden  Raum  aus.  Die  Seitenwände  des  Stuhls  seien  mit  Brettchen 
bedeckt,  die  vordere  und  hintere  Wand  aber  sei  für  den  Gebrauch  bei  Entbindungen  offen. 
Hinten  aber  sei  eine  Lehne,  so  dass  Hüften  und  Weichen  einen  Gegenstand  haben,  denn  wenn 


294.  Der  Geb&rstohl.  I59 

auch  eine  Frau  hinten  steht,  so  kann  doch  leicht  durch  eine  widernatürliche  Lage  der  Ge- 
bärenden die  glückliche  Greburt  des  Kindes  verhindert  werden.' 

Der  Gebärstahl  warde  im  alten  Rom  benatzt  and  Yon  den  alt-arabischen 
Aerzten  ttbemommen.  Darch  diese  kam  er  za  den  enropäischen  Völkern,  'bei 
denen  er  bis  in  nnser  Jahrhandert  hinein  sein  Wesen  trieb  und  hier  und  da  auch 
heute  noch  sein  verborgenes  Dasein  fristet.  Die  hohe  Wichtigkeit,  welche  ihm 
damals  zugeschrieben  wurde,  ersehen  wir  daraus,  dass  viele  geistreiche  Aerzte 
bemüht  gewesen  sind,  Veränderungen,  welche  sie  fiir  Verbesserungen  hielten,  an 
ihm  anzubringen,  und  Küian  konnte  nicht  weniger  als  32  verschiedene  Oeburts- 
stühle  und  8  Geburtsstuhl-Betten  beschreiben,  und  doch  hatte  bereits  im  17.  Jahr- 
hundert sich  die  Opposition  gegen  dieses  Marterwerkzeug  geregt. 

.Wenn  man  die  Gestalt  des  Wehestuhles  betrachtet,  heisst  es  in  des  getreuen  Eckßrth's 
unvorsichtiger  Hebamme,  so  ist  er  wohl  ein  rechter  Wehestuhl  und  Folter-Gerüst.  Wo  die 
Mühselige  ihre  beste  Ruhe  haben  soll,  ist  kaum  3,  wanns  gar  breit  ist  4  quere  finger  breit; 
es  wäre  kein  Wunder,  dass  diese  armen  Leute  den  Rücken  und  Lenden  in  Stücken  zerbrechen, 
und  vor  GrOsse  der  Schmerzen  vergingen.  0  verdammte  Invention,  ich  spreche,  die  höllische 
Proserpina  hat  diesen  Stuhl  erfunden.  ** 

Aber  er  ist,  wie  schon  gesagt,  auch  in  Deutschland  noch  nicht  völlig 
ausgestorben. 

Ein  Arzt  aus  Huelva  im  südlichen  Spanien  hat  Simpson  in  Edinburg 
ein  grosses  Thongeschirr  geschickt,  wie  es  noch  jetzt  in  Spanien  bei  Entbin- 
dungen gebraucht  und  in  „China-Läden^  verkauft  wird.  Es  hat  die  Form  eines 
hohen,  steilen  Topfes,  mit  breitem,  flach  umgeschlagenem  Rande.  Aus  dem  Rande 
sowohl,  als  auch  aus  der  vorderen  Wand  dieses  Topfes  ist  eine  grosse  Stelle  aus- 
geschnitten, welche  ungeföhr  2/3  der  Topf  hohe 
ausmacht.  Simpson  macht  von  diesem  Oeräthe 
folgende  Beschreibung: 

,Das  Gef&ss  ist  aus  starkglasirter  Irdenwaare  ge. 
macht  und  gleicht  vollkommen  dem  Kasten  eines  Nacht- 
stuhls, abgesehen  von  dem  Ausschnitt  an  einer  Seite, 
durch  welchen  die  Hand  zu  dem  Kinde  geführt  werden 
kann.  Es  ist  11^/2  Zoll  tief  im  Inneren  und  ß^/g  Zoll 
am  Boden  weit.  Am  Rande  misst  es  10  Zoll  im  Durch- 
messer und  151/2  Zoll  am  äusseren  Rande  der  Ausladung} 

auf  welcher   die  Patientin   sitzt,   und  welche  2^/4  Zoll 

breit  ist.  Der  Ausschnitt  an  dieser  Ausladung  ist  51/4  Zoll     pig.  293.    Topf  als  Gebäretuhl  dienend, 
breit.    Es  wird  von  den  Eingeborenen  gewöhnlich  als  (Spanien.)   (Nach  Simpson.) 

6a ein  bezeichnet,   derselbe  Ausdruck,  der  auch  einem 

weiten  Geschirr  gegeben  wird,  das  als  Nachtstuhl  oder  Spüleimer  dient.    Manchmal  wird  es 
Recado  genannt,  Gerftth  oder  Werkzeug  oder  Parideras." 

Der  Einsender,  der  zu  einer  Entbindung  gerufen  wurde,  fand  die  Kreissende 
auf  diesem  Geschirre  sitzen  mit  weit  gespreizten  Beinen,  und  vor  ihr  auf  einem 
niederen  Stuhle  eine  Hebamme,  welche  sie  durch  die  Oeffnung  in  dem  Topfe  ex- 
plorirte.  Das  Fruchtwasser,  das  Blut  u.  s.  w.  hatte  sich  am  Boden  des  Oeräthes 
gesammelt. 

Das  erinnert  übrigens  an  die  Angabe,  dass  die  Chinesin  in  einer  Wanne 
niederkommen  müsse.  Hureau  de  ViUeneuve  sagt  allerdings,  dass  die  Chinesinnen 
in  knieender  Stellung  gebären;  es  ist  aber  nicht  ganz  zweifellos,  ob  er  hier  wirk- 
lich Chinesinnen  meint.  Kerr  in  Canton  erwähnt  die  Wanne,  aber  er  sagt,  dass 
in  dieselbe  ein  Stuhl  gestellt  sei,  den  die  Frau  für  ihre  Niederkunft  benutze,  und 
auch  in  der  chinesischen  Abhandlung  von  v.  Martins  ist  von  einem  Stuhle 
die  Rede. 

Dafür,  dass  ein  besonderer  Qebärstuhl  benutzt  wird,  spricht  auch  ein  chi- 
nesisches Aquarell,  dass  ich  in  Fig.  294  wiedergebe.  Allerdings  sieht  man  hier 
nichts  von   einer  Wanne.     Der  Stuhl,   oder  besser  gesagt,   die  kurze  Bank,   auf 


160 


XLVIL  Die  Hülfsmittel  bei  normaler  Geburt. 


welcher   die  eben  Entbundene  sitzt,   macht  den  Eindruck,   als  wenn  sie,   ähnlich 
wie  die   europäischen   Gebärstühle,   für   den   Mittelkörper    einen    Ausschnitt 


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Ausser  in  China  wird  heutigen  Tages  der  Gebärstuhl  in  Syrien,  Aegypten, 
der  Türkei,  Cypern  und  Griechenland  benutzt.  Es  ist  gewiss  beachtenswerth, 
dass  es  sich  hier  fast  ausschliesslich  um  Völkerschaften  handelt,  bei  welchen  im 
gewöhnlichen  Leben  das  Sitzen  auf  Stühlen  etwas  durchaus  Ungebräuchliches  ist. 


295.  Das  Gebären  auf  dem  Schoosse. 


161 


295.  Das  Gebären  auf  dem  Schoosse. 

Es  ist  die  Ansicht  ausgesprochen  worden,  dass  die  absonderliche  Sitte,  auf 
dem  Schoosse  einer  anderen  Person  niederzukommen ,  die  erste  Veranlassung  zu 
der  Erfindung  des  Oeburtsstuhles  abgegeben  habe.  Das  ist  in  hohem  Grade  wahr- 
scheinlich, und  wir  besitzen  sogar  einen  positiven  Beweis,  dass  wirklich  einmal 
der  menschliche  Geist  in  dieser  Weise  thätig  gewesen  ist.  In  Thüringen  stand 
im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  ein  Zimmermann  in  dem  besonderen  Rufe,  dass 
man  auf  seinem  Schoosse  sitzend  sich  leichter  Entbindungen  zu  erfreuen  hätte. 
Er  wurde  in  Folge  dessen  häufig  in  Anspruch  genommen.  Da  ihm  dieses  endlich 
lästig  wurde  und  er  fand,  „dass  er  viel  zu  thun  hätte,  wenn  er  jedem  Narren 
sitzen  mOsste,  der  auf  ihm  kälbern  möchte",  so  kam  er  auf  die  geniale  Idee,  einen 
Geburtsstuhl  zu  construiren,  obgleich  er  niemals  ein  derartiges  Gerath  in  seinem 
Leben  gesehen  oder  davon  gehört  hatte.  (Metzler,)  In  gleicher  Weise  mag  man 
auch  wohl  früher  zu  der  Erfindung  gekommen  sein. 

Der  Gebrauch,  den  Schooss  eines  Anderen  gleichsam  als  Geburtsstuhl  zu  be- 
nutzen, ist  auch  heute  noch,  wenigstens  räumlich,  sehr  verbreitet  und  reicht  bis 
in  die  graue  Vorzeit  zurück.  Schon 
in  der  Bibel  finden  wir  Andeutungen 
dafür.  So  sagt  Rahel  zu  Jacob 
(1.  Mosis  30,  8): 

«Siehe  da  ist  meine  Magd  BiXha; 
lege  dich  zu  ihr,  dass  sie  auf  meinem 
Schoosse  geb&re  und  ich  durch  sie  erbauet 
werde.* 

Allerdings  ist  hier  nicht  von 
der  Hand  zu  weisen,  dass  es  sich  hier 
um  eine  Geburt  per  procuram 
handeln  sollte,  dass  auf  diese  Weise 
das  Kind  der  Büha  gleichsam  zum 
Kinde  der  bisher  unfruchtbaren  Rahel 
gemacht  wurde. 

Dass  auch  die  Damen  im  alten 
Peru  die  gleiche  Position  für  die 
Niederkunft  gewählt  haben,  das  ist 
uns  durch  Engelmann  bewiesen.  In 
den  alten  peruanischen  Gräbern 
wurde  vor  einiger  Zeit  ein  irdener 
Topf  aufgefunden,  auf  welchem  der 
Geburtsact  dargestellt  ist.  Engel- 
mann,  der  diese  «Bestattungsurne' 
(Fig.  295)  im  Jahre  1877  erhielt, 
beschreibt  dieselbe  folgendermaassen: 

,Die  Frau  sitzt  im  Schoosse  eines 
Helfenden.  Ich  kann  nicht  bestimmen, 
ob  dies  der  Gatte  oder  eine  Wärterin,  ob 
es  eine  m&nnliche  oder  weibliche  Person 

ist;  jedenfalls  sitzt  sie  im  Schoosse  einer  Person,  deren  Arme  den  Brustkorb  umschlingen, 
wobei  die  H&nde  fest  auf  den  Fundus  uteri  drücken.  Die  Hebamme  sitzt  auf  einem  niederen 
Sessel  zwischen  den  gespreizten  Schenkeln  der  Gebärenden  und  ist  eben  im  BegrifP,  den  Kopf 
des  Neugeborenen  zu  empfangen.  Dieses  Huaco  genannte  Gef&ss  vergegenwärtigt  eine  Ge- 
burtsscene  genau  so,  wie  sie  bis  auf  den  heutigen  Tag  unter  den  Abkömmlingen  der  Incas 
zum  Austrag  kommt,  und  Dr.  Coates  versichert  mir,  dass  er  während  seines  Aufenthaltes  in 
Peru  nicht  selten  als  Geburtsarzt  zu  thun  hatte,  wobei  stets  der  Gatte  hinter  der  dergestalt 
gelagerten  Frau  stand.' 

Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    II  11 


Fig.  295.    Alt-peruanischei  GrabgefaoB,  eine  Nieder- 
kunft darsteUend.    (Nach  EngeimoHn.) 


162 


XLVn.  Die  Hülfsmittel  bei  normaler  Gebart. 


Ebenso  pflegen  die  Frauen  in  Chile  und  die  Indianerinnen  und  Mestizen 
in  Mexiko  niederzukommen,  obgleich  bei  den  letzteren  auch  noch  andere  Stellungen 
gebrauchlich  sind. 

Auch  bei  den  alten  Römern  wurde  in  dieser  Weise  die  Niederkunft  ab- 
gemacht, aber  nur  als  Nothbehelf.  So  äussert  sich  Moschion  darüber  und  ihm 
folgen  später  die  Italiener  Scipione  Mercurio  und  Savonarola  und  der  Deutsche 
Welsch,  während  der  Franzose  de  la  Motte  sie  wieder  warm  vertheidigte.  So 
lässt  sich  also  f&r  diese  drei  Nationen  in  Bezug  auf  diese  Sitte  der  directe  An- 
schluss  an  das  klassische  Alterthum  nachweisen. 

um  nun  gleich  noch  bei  den  antiken  Völkern  zu  verweilen,  so  mOssen  wir 
erwähnen,  dass  auch  die  alten  Einwohner  Cyperns  den  gleichen  Gebrauch  ge- 
kannt und  geQbt  haben.  Das  beweist  eine  im  Louvre  zu  Paris  befindliche, 
Yon  Ploss  im  Jahre  1878  daselbst  gefundene,  vorher  noch  nicht  beschriebene 
kleine  Gruppe  von  Thonfiguren  aus  Cypern.  Sie  ist  in  einem  Saale  des  Louvre, 
im  Musee  Campana  (Museum  Napoleon  Bonaparte)  aufgestellt  und  ist  be- 
zeichnet: M.  N.  B.  118.  Ile  de  Chypre.  Dargestellt  sind  drei  menschliche  Figuren, 
von  denen  die  Eine  die  Andere  auf  ihrem  Schoosse  hält,  sie  von  hinten  um- 
fassend, während  die  Dritte,  die  einen  cylindrischen  Gegenstand  im  Arme  hat, 
vor  beiden  hockt.  Die  Aufstellung  im  Glasschrank  liess  zunächst  keine  ganz 
genaue  Betrachtung,  nur  eine  einseitige  Ansicht  zu;  allein  Ploss  glaubte  doch 
an  den  flüchtigen,  fast  roh  gearbeiteten  Figuren  'zu  erkennen ,  dass  es  sich  bei 
denselben  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  um  eine  Geburtsscene  handele,  und  dass 
die  Figur  der  Frau,  die  er  für  die  Gebärende  halten  musste,  auf  dem  Schoosse 
einer  anderen  Person  sitzt.  Es  musste  hier  eine  Votivgabe  ftir  eine  glückliche 
Entbindung  vermuthet  werden.  Da  die  Zeit  fehlte,  in  Paris  länger  zu  verweilen, 
um  die  Sache  genauer  zu  erörtern,  so  bat  Floss  Herrn  Prof.  Emä  Schmidt  in 
Leipzig,  den  bekannten  Anthropologen,  die  Gruppe  aufzusuchen  und  genauer  zu 

beschreiben.  Eine  von  Fhss  aufgenommene 
Skizze  der  Gruppe  leitete  ihn  endlich  bei 
seinem  späteren  Besuch  des  Louvre  im  Jahre 
1879  zur  Auffindung  derselben;  auch  gelang 
es  ihm,  sie  näher  zu  betrachten  und  von 
mehreren  Seiten  abzeichnen  zu  dürfen.  Ihm 
verdanken  wir  schliesslich  sowohl  die  bei- 
folgende Zeichnung  (Fig.  296)  als  auch  die 
ausführliche  Beschreibung.  letztere  ist  um 
so  werthvoUer,  als  im  Katalog  des  Musee 
Campana  alle  wissenschaftlichen  Angaben, 
insbesondere  Nachweise  über  den  Finder, 
den  Fundort,  die  Fundzeit  u.  s.  w.  fehlen. 
Schmidt  schrieb  als  Ergebniss  seiner 
Untersuchung: 

«Die  Gruppe  selbst  ist  bis  zum  Kopf  der 
höchsten  Figur  10  Ctm.  hoch,  ihre  Länge  (an 
der  Basis)  betr&gt  10,5  Ctm.,  ihre  Breite  durch- 
schnittlich 4 — 5  Ctm.  Sie  ist  durchweg  ganz 
ausserordentlich  nachlässig  gearbeitet,  so  dass 
selbst  die  gröbsten  Dinge  (Beine)  oft  gar  nicht 
zu  erkennen  sind,  noch  sind  auch  die  Gesichter 
gut  geformt  Sie  besteht  aus  drei  Figuren,  von  denen  zwei  (A  und  B)  in  einem  Sessel  sitzen 
und  zwar  so,  dass  A  die  Figur  B  vor  sich  auf  dem  Schooss  hält;  die  dritte  Figur  C  kniet 
vor  beiden,  mit  dem  Gesicht  ihnen  zugewendet.  Bei  allen  drei  Figuren  sind  die  Hinterseiten 
gar  nicht  ausgearbeitet;  sie  sehen  aus,  als  wenn  sie  mit  dem  Messer  quer  von  oben  nach 
unten  durchschnitten  wären  und  als  ob  nur  die  vordere  Hälfte  stehen  geblieben  wäre.  Alle 
drei  Gesichter  haben  etwas  Weiches,  fast  Liebliches,  Augen,  Nase  und  Mund  sind  bei  Allen 


Fig.  296.    Antike  Terracotta^Gmppe  aus  Gy p ern , 

eine  Niederknnft  darstellend. 

(Im  Mosöe  Campana  des  Louvre  in  Parii.) 

(Nach  einer  Zeichnung  des  Dr.  £mii  Schmidt  in 

Leipzig.) 


295.  Das  Gebären  auf  dem  Schoosse.  163 

gut  angedeutet,  von  Bart  ist  keine  Spur  zu  bemerken.  A  und  B  sind  bis  zum  Leib  herab 
noch  leidlich  gearbeitet,  weiter  unten  aber  flieset  Alles  in  eine  kurze,  dünne,  breite,  nach 
unten  unregelmässig  gestaltete  und  allmählich  in  die  Unterlage  (Sessel)  übergehende  Masse 
zusammen.  A  hat  B  der  ganzen  Länge  nach  vor  sich  sitzen;  mit  der  rechten  Hand  greift  A 
unter  dem  rechten  Arm  von  B  durch  auf  den  Leib  von  B;  der  linke  Arm  von  A  liegt  der 
ganzen  Länge  nach  unter  dem  linken  Arm  von  B.  In  der  Stellung  von  A  ist  ein  gewisses 
Sichanstrengen  ausgedrückt,  während  B  wie  ohnmächtig  den  Eopf  nach  links  heruntersinken 
lässt.  G  ist  ebenfalls  bis  zum  Becken  herab  noch  ziemlich  leidlich  gearbeitet;  unterhalb  aber 
geht  die  Figur  ohne  Weiteres  in  die  Basis  über;  sie  scheint  auf  dem  Boden  selbst  zu  sitzen. 
In  den  Armen  h&lt  sie  einen  »oylindrischen  Gegenstands  der  etwa  bis  zur  linken  Schulter 
hinauf,  nach  unten  aber  nicht  unter  den  rechten  Arm  hinabreicht.  Derselbe  ist  oben  ziemlich 
scharf  abgeschnitten,  ziemlich  regelmässig  geformt,  und  zeigt  insbesondere  keine  Spur  einer 
Einschnürung,  die  man  etwa  als  Hals  deuten  konnte.  Das  seitliche  Profil  von  C,  das  auf 
der  Hinteransicht  besonders  gut  zu  erkennen  ist,  zeigt  eine  schmale  Brust,  eine  fein  einge- 
schnittene Taille  und  breit  ausladende  Hüften.  Die  Unterlage  von  A  und  6  ist  ein  Sessel, 
was  man  bei  der  Vorderansicht  allein  nicht  erkennen  kann.  Die  Beine  desselben  sind  rechts 
und  links  je  mit  einander  verbunden,  vom  und  hinten  aber  von  einander  getrennt.  Die  Ge- 
stalt des  Sessels  geht  aus  der  Zeichnung  deutlich  hervor.  Die  Figuren  sind  röthlich  bemalt 
und  zeigen  Spuren  von  schwarzer  Zeichnung  (an  den  Augen)  sowie  einen  Strich,  der  bei  B 
von  Schulter  zu  Schulter  vom  über  die  Brust  läuft." 

.Wenn  ich  eine  Ansicht  über  die  Bedeutung  der  Gmppe  aussprechen  soll,'  —  so  fährt 
Schmidt  in  seinem  Briefe  fort  —  ,so  muss  ich  gestehen,  dass  ich  glaube,  dass  sich  bei  der 
so  sehr  nachlässigen  Ausführung  der  Grappe  kaum  etwas  Sicheres,  Unanfechtbares  darüber 
sagen  lässt.  Man  muss  sich  mit  Wahrscheinlichkeiten  begnügen.  Zunächst  scheint  mir  die 
Gmppe  sehr  wahrscheinlich  drei  Frauen  darzustellen.  Zwar  fehlen  alle  Andeutungen  von 
Mammae,  doch  spricht  die  weiche  Form  der  Gesichter,  das  Fehlen  von  Bart,  besonders  aber 
die  Rumpfform  von  G  dafür.  Auch  sehen  die  breiten,  flachen  unteren  Partien  von  A  und  B 
mehr  aus  wie  Weiberröcke,  denn  wie  Männerbeine.  Es  fragt  sich,  was  bedeutet  der  cylin- 
drische  Gegenstand,  den  C  im  Arme  h&lt?  Der  proportionellen  Grösse  nach  würde  er  einem 
neugeborenen  Kinde  ganz  entsprechen,  auch  stimmt  damit  die  Haltung;  dass  nichts  vom 
Kopfe  oder  Gliedem  zu  erkennen  ist,  spricht  nicht  dagegen,  dass  ein  Kind  dargestellt  sein 
soll;  es  lässt  sich  leiclit  annehmen,  dass  solches  Detail  bei  der  übrigen  groben  AusfÜhmng 
zu  fein  war  und  deshalb  ganz  vernachlässigt  wurde.  (Man  könnte  an  einen  Phallus  denken, 
doch  würde  dieser  mit  der  ganzen  übrigen  Darstellung  sich  schwer  in  Einklang  bringen 
lassen,  auch  würde  ein  solcher  wohl  kaum  so  zärtlich  im  Arm  gehalten  werden,  wie  ein 
kleines  Kind.)  Handelt  es  sich  hier  um  ein  kleines  Eond,  so  dürfte  die  Grappe  kaum  eine 
andere  Deutung  zulassen,  denn  als  Geburtsscene;  die  auf  den  Leib  von  B  gelegte  rechte  Hand 
von  A,  die  den  Leib  zu  reiben  scheint,  die  augenscheinliche  Erschöpfung  von  B  würde  dazu 
trefPlich  stimmen.  Für  mich  scheint  die  Erklärung  die  wahrscheinlichste  zu  sein,  dass  es 
sich  hier  um  ein  Dankgeschenk  an  die  Geburtsgöttin  für  Hülfe  bei  einer  schweren  Geburt 
handelt.  Solche  Dankesgaben  für  Genesungen  von  Krankheiten  finden  sich  häufig :  das  Museo 
nazionale  in  Neapel  besitzt,  ich  möchte  sagen  Hunderte  von  Brüsten,  Fingern,  Händen, 
Füssen,  Augen  u.  s.  w.,  die  diese  Bedeutung  haben.* 

Kehren  wir  nun  za  den  modernen  Völkern  zurück,  so  haben  wir  die  uns 
beschäftigende  Sitte  bereits  in  Italien,  Frankreich  und  Deutschland  ange- 
troffen, und  noch  in  diesem  Jahrhundert  fand  sie  sich  in  Thüringen,  imVoigt- 
lande  und  in  Holstein.  In  Holland  hatte  man  im  17.  Jahrhundert  sogenannte 
Shott-Steers,  d.  h.  Weiber,  welche  ihren  Schooss  für  derartige  Entbindungen 
herzugeben  pflegten,  (van  Solingen.)  Auch  in  England  und  Russland  kommen 
solche  Entbindungen  vor.    Von  den  Letten  sagt  Älksnis: 

,Oft  lässt  man  den  Ehemann  die  Gebärende  auf  seinen  Schooss  nehmen,  die  Beine 
werden  genügend  von  einander  entfernt  und  eventuell  von  zwei  Personen  an  den  Knieen  in 
dieser  ausgebreiteten  Lage  gehalten.* 

In  Amerika  sind  sie,  ausser  in  den  bereits  genannten  Ländern,  auch  noch 
in  Pennsylvanien,  in  Ohio  und  Virginien  gebräuchlich.  In  Asien  finden 
wir  diesen  Gebrauch  bei  den  Beduinen  und  Kalmücken.  Auch  die  Anda- 
manesen  und  in  Afrika  die  Madi-Neger  haben  analoge  Sitten.  Nicht  immer 
sind   es  Frauen,    welche  der   Kreissenden   diesen   liebescUenst  erweisen.    In   der 

11* 


^f^mm 


164  ILYIl.  Die  Hfilfismittel  bei  normaler  Gebart 

Mehrzahl  der  Fälle  sogar  müssen  hierf&r  Männer  sich  bereit  finden  lassen.  In 
erster  Linie  sind  es  allerdings  die  Ehegatten,  aber  auch  der  Vater  der  Gebärenden 
oder  Freunde  des  Mannes  können  für  diesen  eintreten.  Bisweilen  sind  es  fremde 
Männer,  deren  Schooss  in  dem  Rufe  steht,  die  Entbindung  zu  erleichtem.  Das 
scheint  auch  bei  den  Kalmücken  der  Fall  zu  sein,  bei  welchen  dieser  lebendige 
Oeburtsstuhl  zuvor  von  dem  Gatten  reichlich  bewirthet  werden  muss. 


296.  Die  Anwendung  Yon  arzneilieh  wirkenden  Mitteln  bei  normaler 

Niederkunft. 

Wir  finden  die  Ansicht  weit  verbreitet,  dass  von  dem  Augenblicke  an,  in 
welchem  die  ersten  Anzeichen  der  beginnenden  Geburt  sich  bemerklich  machen, 
die  Kreissende  eine  ganz  besondere  Diät  einzuhalten  hat,  sei  es,  dass  sie  die  Auf- 
nahme von  Nahrung  oder  von  Getränken  überhaupt  gänzlich  meiden  muss,  sei  es, 
dass  ihr  besondere,  angeblich  die  Geburt  beschleunigende  Medicamente  dargereicht 
werden.  So  durfte  im  17.  Jahrhundert  in  Deutschland  die  arme  Frau,  solange 
sie  auf  dem  Geburtsstuhle  zubringen  musste,  absolut  nichts  zu  sich  nehmen,  und 
in  EckartWs  unvorsichtiger  Hebamme  wird  von  einem  Fall  erzählt,  wo  die 
Kreissende  bereits  14  Stunden  auf  diesem  Stuhle  hatte  zubringen  müssen,  und 
obgleich  sie  schon  von  der  ümgebimg  aufgegeben  war,  so  gestattete  man  ihr 
doch  nicht,  einen  Schluck  Wein  zu  trinken,  um  den  sie  inständig  flehte,  bis  ihr 
Mann  trotz  aller  Gegenrede  willfahrete  und  hierdurch  die  Weheuschwäche  be- 
seitigte und  die  Geburt  vollendete.  In  ähnlicher  Weise  muss  nach  Shortt  im 
südlichen  Indien  die  Frau  während  der  Entbindung  fasten. 

Die  Negerinnen  im  Moru-Districte  in  Central-Afrika  dagegen  sucht 
man  dadurch  leistungsfähig  zu  erhalten,  dass  man,  wie  Fdkin  erzählt,  neben  das 
Geburtslager  einen  Topf  stellt,  der  mit  einheimischem,  aus  gemahlenem  Samen 
bereitetem  Bier  gefüllt  ist;  auf  letzteres  werden  Blätter  gelegt  imd  nun  kann  die 
Frau  mittelst  eines  Trinkrohres  nach  Gefallen  daraus  saugen,  um  sich  zu  er- 
quicken. Sobald  auf  den  canarischen  Inseln  die  Geburt  begonnen  hat,  wird 
der  Gebärenden  ein  volles  Glas  Branntwein  zur  Stärkung  gereicht,  aber  auch  die 
Hebanmie  und  die  Gevatterinnen  leeren  dabei  das  ihrige.     (Mac  Gregor.) 

Dagegen  werden  bei  einzelnen  Völkern  manche  der  in  einem  späteren  Ab- 
schnitt anzuführenden  medicamentösen  Hülfsmittel  bei  schwerer  Geburt  von 
den  Hülfeleistenden,  auch  ziemlich  regelmässig  bei  normalem  Geburtsverlauf  in 
Anwendung  gebracht,  weil  man  glaubt,  auch  bei  letzterem  durch  innere  Mittel 
fordernd  Hülfe  leisten  zu  müssen.  So  ist  die  Anwendung  eines  Pfeffertrankes  in 
der  Präsidentschaft  Madras  in  Indien  fast  bei  jeder  Entbindung  im  Gebrauch. 
Auch  auf  der  Insel  Buru  macht  eine  alte  Frau  der  Kreissenden  sofort  eine  Me- 
dicin  zurecht,  welche  das  Extract  von  der  Kaempferia  galanga  enthält,  damit  ihre 
Entbindung  glücklich  von  Statten  gehe.  Die  Kreissende  auf  Ambon  und  den 
U  Hase -Inseln  muss  den  ausgepressten  Saft  der  rohen  Blätter  von  Hibiscus  elatus 
und  Hibiscus  rosa  sinensis  mit  geweihtem  Wasser  trinken,  worüber  eine  dessen 
kundige  Person  folgendes  Gebet  an  die  Gottheit  gesprochen  hat: 

,LasB  die  Kanari-Frucht  fallen,  lasa  die  Krankheit  ans  dem  Körper  verschwinden,  alle 
Krankheiten  wegfliessen,  auf  dass  der  Körper  meiner  Tochter  gesund  bleibe,  auf  dass  ihr 
Körper  erleichtert  werde." 

Andere  trinken  ein  Infuso-Decoct  von  den  Blättern  der  Carica  papaya  oder 
des  Dendrolobium  cephalotes.  (Riedel^)  Die  Sandwichs-Insulanerin  trinkt 
vor  der  Entbindung  reichlich  von  einem  aus  dem  Baste  des  Halo  oder  Hibbcus- 
Baumes  bereiteten  Schleim. 

Wenn  bei  den  Orang  Belendas-Frauen  in  Malacca  die  ersten  Wehen 
eintreten,   so   werden   drei  Pflanzen,  welche  nach  Stevens  Mirian   heissen,   mit 


296.  Die  Anwendung  von  arzneilicli  wirkenden  Mitteln  bei  normaler  Niederkunft.         1 65 

heissem  Wasser  übergössen,  und  von  diesem  Aufgoss  muss  die  Kreissende  reich- 
lich trinken.    (Bartels''.) 

Bei  den  rassischen  Frauen  in  Astrachan  wird  die  Gebart  durch  Dar- 
reichen von  Zimmtwasser  befördert.  (Meyersan.)  In  Guatemala  reicht  die 
Hebamme  der  Gebärenden  heisse  Kräuterabkochungen  und  dazwischen  ab  und  zu 
einen  Schluck  Branntwein. 

In  Nord-Amerika  trinken  die  Indianerinnen  des  Uintathal- 
Districtes  während  der  Entbindung  eine  Menge  heisses  Wasser,  die  Krähen- 
Indianerinnen  von  Montana  verschiedenen  Wurzel-  und  Blätterthee  (Engel- 
mann); am  beliebtesten  ist  der  Thee  von  der  E-say-Warzel,  welche  einer  dem 
Tabak  ähnlichen  Pflanze  angehören  soU.  Häufig  wird  auch  dort  Branntwein  in 
kleinen  Mengen  verabreicht.  Die  Winnebagos  und  Ghippeways  geben  der 
Gebärenden  kurz  vor  dem  Austritt  des  Kindes  einen  aus  einer  Wurzel  bereiteten 
Trank  ein,  der  in  dem  Rufe  steht,  die  Fasern  zu  erschlaffen  und  die  Niederkunft 
zu  erleichtem.  Die  Skokomisch-Districts-Indianer  glauben,  dass  ein  Thee 
von  den  Blättern  der  Bärentraube  die  Triebkraft  der  Wehen  fordere.  Im  alten 
Mexiko  gab  man  die  Abkochung  einer  Wurzel  von  der  Pflanze  Givapacthi, 
welche  etwas  treibende  Kraft  besass;  wurden  jedoch  die  Wehen  zu  heftig,  so 
musste  ein  kleines,  sorgfältig  mit  Wasser  abgeriebenes  Stück  vom  Schwänze  eines 
Opossum  genommen  werden. 

Ausserdem  spielen  Ekel  erregende  und  Brechmittel  bei  sehr  vielen  Völkern 
eine  grosse  Rolle.  Das  mit  dem  Würgen  verbundene  Zusammenziehen  der  Unter- 
leibs- und  der  Zwerchfellmuskeln  soU  die  Austreibung  befördern.  Ekelmittel 
wenden  die  Doekoen  in  Niederländisch- Indien  an:  sie  lassen  die  älteste  bei 
der  Geburt  anwesende  Frau  ihre  Füsse  in  kaltem  Wasser  waschen  und  geben  dies 
oder  noch  weniger  appetitliche  Flüssigkeiten  (Urin)  der  Kreissenden  zu  trinken. 
(van  der  Burg,)  In  Siam  gab  ein  Hofarzt  einer  hochgestellten  Dame  bei  ihrer 
Niederkunft  folgende  Verordnung:  „Reibe  zusammen  Späne  des  Sapan-Holzes, 
Nashomblut,  Tigermilch  (frisch  gesammelt  als  Fund  auf  bestimmten  Blättern  im 
Walde)  und  die  von  einer  Spinne  zurückgelassene  Haut.*  (Engdmann.)  Andere 
Medicamente  werden  wir  später  kennen  lernen,  wenn  von  den  Störungen  des 
Geburtsverlaufes  die.  Rede  sein  wird. 


XL VIII.   Manuelle  und  mechanische  Hülfsmittel  bei  der 

nonnalen  Geburt. 

297.  Die  Behandlung  mit  Salbungen,  Bähungen  und  Waschungen  bei 

normaler  Niederkunft. 

Der  Gedanke  ist  eigentlicli  ein  sehr  naheliegender,  dass  die  Gehurtswege  dem 
andrängenden  Kinde  um  so  bequemer  den  Durchtritt  ermöglichen  müssen,  um  so 
weicher,  nachgiebiger  und  schlüpfriger  sie  sind.  So  erscheint  es  denn  sehr  be- 
greiflich, dass  viele  Völker  darauf  verfallen  sind,  die  Geschlechtstheile  der  Ge- 
bärenden einzusalben  und  einzufetten.     Schon  Susruta  schreibt: 

«Eine  Hebamme  salbe  die  inneren  und  äusseren  Geschlechtstheile  der  Ereissenden  ge- 
hörig ein." 

Auch  Hippokrates  empfiehlt  das  Einölen  der  Scheide.  Ebenso  liess  Soranus 
warmes  Oel  einreiben;  ferner  auch  Moschion,  Äetius,  Pmdus  Aegineta  und  Ävicenna. 

Ihre  Lehren  gingen  dann  auch  auf  die  deutschen  Aerzte  des  Mittelalters 
über.     So  lesen  wir  bei  Bueff: 

«Zum  letzten  sol  die  Hebamme  für  die  Frawen  niedersitzen,  vnd  der  Frawen  jhren 
fordern  Leib  wol  salben  vnd  bestreichen^  mit  weiss  Gilgenöl,  süss  Mandelöl,  vnnd  Hüner- 
schmaltz  ynter  einander  vermischt,  das  denn  trefflich  wol  dienet  denen  Weibern,  die  feisst 
sind,  vnnd  einen  engen  Leib  haben,  auch  denen  zu  den  ersten  Kindern,  auch  denen,  die  einen 
trocknen  Leib  haben.* 

Solche  Gebrauche  haben  sich  noch  erhalten  und  Älksnis  erwähnt  einen  Fall, 
wo  die  lettische  Hebamme  der  Kreissenden  die  Geschlechtstheile  mit  saurer 
Sahne  eingesalbt  hatte. 

Bei  manchen  Völkern  glaubt  man  auch,  dass  die  Entbindung  erleichtert 
werde,  wenn  der  Bauch  der  Gebärenden  solchen  Einsalbungen  unterzogen  wird. 
Li  Guatemala  benutzt  man  hierzu  Oel,  im  nördlichen  Mexiko  wird  der  Unter- 
leib durch  die  Hebamme  mit  dem  Infusum  eines  adstringirenden  Krautes  einge- 
rieben. Auf  den  Babar-Liseln  wird  der  Leib  der  Kreissenden  mit  Kaiapamilch 
bestrichen.  Die  Hebammen  in  Galizien  führen  solche  Einreibungen  mit  einem 
Gemisch  von  Fett  und  Branntwein  aus. 

Einen  IJebergang  zu  den  Bähungen  können  wir  in  den  Waschungen  und 
Uebergiessungen  mit  verschieden  temperirtem  Wasser  erkennen.  Um  die  Ent- 
bindung zu  erleichtem  und  zu  fordern,  reichen  bei  den  Campas-  oder  Antis- 
Indianern  in  Peru  die  helfenden  Frauen  der  Gebärenden  heisses  Wasser,  mit 
dem  sich  dieselbe  wäscht.  (Grandidier.)  In  Australien  hingegen  giesst  eine 
Frau  der  Gebärenden  kaltes  Wasser  auf  den  Unterleib.  (Klemm.)  Auch  die 
kreissenden  Papua-Frauen  werden  nach  Midier  mit  Wasser  begossen. 


298.  Das  Mitpressen  der  Geb&renden.  167 

Die  Anwendang  der  Bähangen  finden  wir  in  sehr  weit  von  einander  abge- 
legenen Theilen  der  Erde.  In  Ost-Preussen  sind  nach  Hüdebrand  Camillenthee- 
Bähungen  gebrauchlich.  Die  Gebärende  wird  dabei  auf  einen  Stuhl  gesetzt  und 
man  stellt  dann  einen  Topf  mit  heissem  Camülenthee  zwischen  ihren  Schenkeln 
aufl  Am  weissen  Nil  unter  den  Kerrie-Negern  ist  es  Brauch,  der  Kreissenden 
ein  ortliches  Dampfbad  in  der  Weise  zu  machen,  dass  man  eine  Vertiefung  in 
den  Erdboden  grabt,  in  welcher  man  ein  Feuer  anzündet;  auf  letzteres  wird  ein 
Topf  gestellt,  welcher  ein^  Krauterabkochung  enthalt.  Hierüber  hockt  sich  dann 
die  Frau  und  lässt  sich  die  Dämpfe  gegen  den  Unterleib  gehen.  Dieses  Mittel 
steht  in  dem  Buf,  die  Entbindung  ganz  erheblich  zu  erleichtem.  Auch  von  den 
Schuli-Negern  wird  es  angewendet.     (Felkin.) 

Der  Gebrauch  der  Dampfbäder  ist  bei  den  Völkern  Busslands  sehr  ge- 
bräuchlich. Es  wurde  ja  weiter  oben  schon  von  der  Niederkunft  in  der  Bad- 
stube gesprochen.  Auch  die  Chinesinnen  wenden  fast  bei  jeder  Entbindung 
eine  Art  von  Dampfbad  an.  Die  Frau  muss  sich  dabei  auf  ihre  Kniee  nieder- 
lassen, welche  auf  einer  Matte  ruhen.  Zwischen  ihre  Beine  wird  darauf  ein  Ziegel- 
stein gelegt,  welcher  in  einem  Ofen  erhitzt  wurde,  derselbe  liegt  aber  weit  genug 
nach  hinten,  um  nicht  die  Hantierungen  der  Hebamme  zu  behindern.  Die  Waden 
der  Kreissenden  sind  vor  der  strahlenden  Hitze  durch  kleine  angelegte  Brettchen 
geschützt.  Dann  giesst  die  Gehülfin  der  Hebamme  auf  den  heissen  Ziegelstein 
reines  oder  mit  aromatischen  Substanzen  vermischtes  Wasser;  die  Wasserdämpfe, 
die  hierbei  entwickelt  werden,  steigen  an  die  Vulva,  indem  sie  der  Bichtung  der 
angelehnten  Brettchen  folgen.  Ausserdem  verbreitet  man  durch  mehrere  ange- 
zündete Feuer  rings  um  die  Gebärende  eine  Atmosphäre  heissen  Dampfes.  Das 
Costüm  der  Frau,  aus  Camisol  und  einem  offenen  Kleide  bestehend,  erlaubt  ihr 
hierbei  völlig  bekleidet  zu  bleiben.  (Hureau.)  In  Cochinchina  wird  in  grosser 
Nähe  der  Kreissenden  ein  Feuer  unterhalten.  Auch  im  Nordwesten  Amerikas 
bei  den  Kenai-Völkem  bringt  man  die  Kreissende  in  eine  Schwitzhütte,  in  der 
ein  Mann  durch  heisse  Steine  eine  hohe  Wärme  unterhält. 


S.  Das  Mitpressen  der  Oebftrenden. 

Das  durch  die  Schmerzhaftigkeit  der  Wehen  bei  der  Kreissenden  hervor- 
gerufene Stöhnen  ist  naturgemäss  stets  mit  einem  Pressen  verbunden.  Aber  das 
Pressen  und  Anstrengen  der  Gebärenden  darf  nur  mit  Maass  geschehen,  wenn  es 
nicht  schädlich  wirken,  sondern  wenn  die  Geburt  in  richtiger  Weise  gefördert 
werden  soll.  Dies  sahen  unter  anderen  schon  die  altindischen  Aerzte  ein.  So 
giebt  schon  Susruia  an,  in  welchen  Perioden  der  Geburt  man  der  Niederkommen- 
den zureden  soll,  mehr  oder  weniger  zu  pressen: 

.Nachdem  man  die  inneren  und  äusseren  Qeburtstheile  der  Gebärenden  gesalbt  hat, 
spreche  man  zu  ihr:  ,0  Glückliche,  strenge  Dich  an,  Du  hast  die  Geburtswehen 
noch  nicht  fiberstanden,  strenge  Dich  an!"  Und  wenn  das  Band  der  Nabelschnur 
gelost  ist:  „Arbeite  nur  langsam  mit  den  schmerzhaften  Lenden,  den  Scham- 
theilen  und  dem  Blasenhalse;'  und  wenn  der  Fötus  herausgeht:  , Arbeite  mehr!* 
endlich,  wenn  der  Fötus  zum  Scheidenausgang  gelangt  ist:  „Arbeite  immer  mehr,  bis 
zur  gänzlichen  Entbindung!* 

Nach  dieser  Uebertragung  VuUer's  beschränkt  SusnUa  die  Anstrengung  der 
Gebärenden  auf  die  eigentlichen  Geburtswehen  und  schreibt  zugleich,  je  nach  dem 
Vorrücken  des  Kindes  aus  den  Geburtstheilen,  ein  stärkeres  oder  schwächeres 
Pressen  zur  Unterstützung  der  Wehen  vor.  Ein  zu  frühes  Pressen  erklärt  er  für 
schädlich,  denn  er  sagt: 

„Durch  unzeitige  Anstrengung  gebiert  die  Ereissende  ein  taubes,  stummes,  mit  ver- 
kehrt stehenden  Kinnbacken  versehenes,  am  Kopfe  beschädigtes,  an  Husten,  Respiration  und 
Schwindsucht  leidendes,  buckliges  oder  monströses  Kind.* 


Igg  XLVni.  Manuelle  und  meclianisclie  Httlfsmitiel  bei  der  normalen  Geburt. 

Auch  die  römischen  Aerzte  wussten,  dass  das  Pressen  der  Gebärenden  nicht 
ohne  eine  gewisse  Vorsicht  geschehen  muss.    Soranus  und  Aetius  schreiben  vor, 

,da88  die  Ereissenden  den  Athem,  so  lange  die  Wehen  dauern,  nach  den  unteren 
Theilen  des  Körpers  pressen  und  nicht  im  Halse  zurückhalten  sollen,  denn  in  diesem  Falle 
entstehe  ein  unheilbares  üebel,  die  Bronchocele/ 

Bösslin  schreibt  in  seinem  Hebammenbuch: 

«Auch  soll  die  Frau  ihren  Athem  anhalten  und  unter  sich  drücken.* 

Auch  Pare  warnt  vor  einem  unzeitigen  Verarbeiten  der  Wehen. 

Bei  den  rohesten  Völkern  beschranken  sich  die  Hülfeleistenden  darauf,  die 
Gebärende  durch  Zureden  zum  Pressen  anzutreiben.  So  wenden  in  Massaua  die 
helfenden  Weiber  keine  geburtsfordemden  Mittel  an,  sondern  gebieten  nur  den 
Niederkommenden,  sich  selbst  anzustrengen  und  mit  Macht  zu  drücken,  um  die 
Niederkunft  zu  beschleunigen.  (Brehm.)  Bei  den  Hottentotten  aber  schlägt 
der  Ehemann  die  niederkommende  Frau,  um  sie  zum  Pressen  anzutreiben.  Aus 
dem  gleichen  Gründe  erschreckt  bei  den  Chewsuren  der  Gatte  die  Gebärende 
durch  unerwartet  abgefeuerte  Flintenschüsse. 

Die  Stellungen  und  Lagerungen,  welche  bei  den  verschiedenen  Völkern  für 
die  Gebärenden  ^s  die  gewohnheitsgemässen  sich  eingebürgert  haben,  scheinen 
besonders  deshalb  gewählt  worden  zu  sein,  weil  man  der  Meinung  war,  dass  so 
das  Pressen,  welches  die  Ereissende  ausführt,  ganz  besonders  erfolgreich  sein 
würde.  Auch  alle  die  weiter  oben  geschilderten  Handhaben,  die  Stricke,  die 
Querstangen,  die  Pfosten  u.  s.  w.  dienen  sämmtlich  ebenfalls  diesem  Zweck. 

Bei  manchen  Völkern  ist  der  gebärenden  Frau  das  Schreien  auf  das  Strengste 
untersagt,  und  wenn  diese  Nationen  bei  ihrem  Verbote  höchst  wahrscheinlich  von 
ganz  anderen  Beweggründen  geleitet  worden  waren,  so  hatten  sie  doch  hierdurch 
eine  nicht  unerhebliche  Steigerung  des  Fressens  erreicht,  denn  der  unterdrückte 
Schmerzenslaut  ist  mit  einer  starken  Pressbewegung  verbunden.  In  Nicaragua 
darf  die  Gebärende  nicht  jammern  und  schreien,  sie  muss  mit  Gewalt  die  Schmerzens- 
äusserungen  unterdrücken,  um  ihre  Mitwirkung  zur  Ausstossung  des  Kindes  nicht 
zu  stören.  {Bernhard.)  Wir  sahen  ja  oben  schon,  dass  bei  den  Karau-Batta- 
kern  in  Deli  auf  Sumatra  eine  Kreissende  von  ihren  Freundinnen  gescholten 
wurde,  weil  sie  Schmerzenslaute  hören  liess. 

Da  bei  den  Guinea-Negern  die  hülfeleistenden  Weiber  das  Schreien  und 
Stöhnen  Gebärender  für  schändlich  ansehen,  so  halten  sie,  um  dem  vorzubeugen, 
den  armen  Geschöpfen  den  Mund  zu.  (Monrad.)  Auch  bei  den  Kalmücken 
verstopft  man  bisweilen  der  Kreissenden  Mund  und  Nase  mit  einem  Tuche  und 
erwartet,  dass  die  Anstrengung,  welche  die  dem  Ersticken  nahe  Frau  macht,  die 
Geburt  beschleunige.  (Krebel)  Ebenso  suchen  die  nordamerikanischen  In- 
dianer dadurch  in  schweren  Fällen  die  Geburt  zu  befordern,  dass  sie  den  Weibern 
Mund  und  Nase  zuhalten.  {Busch,)  Dasselbe  Mittel  kennt  Hippohrates  zur  Be- 
schleunigung des  Abganges  der  Nachgeburt. 

Die  galizischen  Hebammen  lassen  es  an  der  wiederholten  Aufforderung 
nicht  fehlen,  dass  die  Kreissenden  bei  geschlossenem  Munde  kräftig  drängen  und 
pressen  möchten,  und  so  konmit  es  denn  nicht  selten  vor,  dass  die  armen  Weiber 
schon  völlig  erschöpft  sind,  bevor  noch  die  Blase  gesprungen  ist. 

Auch  in  China  wird  in  dieser  Beziehung  vielfach  fehlerhaft  vorgegangen. 
Denn  der  chinesische  Ar;st  sagt  in  der  von  v.  Martius  herausgegebenen  , Ab- 
handlung über  Geburtshülfe'': 

a Leider  geschieht  es  nur  allzu  häufig,  dass  dumme  Hebammen  der  Kreissenden  zurufen: 
, Strenge  Deine  Kräfte  an!*  „Die  Mutter  muss  das  Herauskommen  ganz  allein  dem  Kinde 
überlassen;  denn  strengt  diese  ihre  KrSfte  an,  während  das  Kind  sich  umwendet,  so  wird  die 
Lage  desselben  unordentlich;  nur  in  dem  Fall,  wo  das  Kind  beim  Umwenden  seine  Kräfte  zu 
sehr  angestrengt  haben  sollte,  so  dass  es  zu  sehr  geschwächt  ist  und  stecken  bleibt,  ist  es 
der  Frau  gestattet,  um  dem  Kinde  zu  helfen,  einige  Male  ihre  Kräfte  anzustrengen.  Nur  be- 
nehme sie  sich  ja  hierbei  höchst  vorsichtig  und  behutsam,  sonst  richtet  sie  Schaden  an." 


299.  Mechanische  Halfeleistang  bei  normalem  Geburtsverlauf.  169 

Die  japanischen  Oeburtshelfer  lehren: 

^Das  willkOrliche  Drängen  von  Seiten  der  Ereissenden  ist  nutzlos  und  soll  daher  nicht 
besonders  empfohlen  werden;  vielmehr  muss  das  Drängen  ganz  Yo  sein  und  es  wird  von 
selbst  stärker  und  schnell,  indem  das  T0  sich  oberhalb  der  Frucht  sammelt*  Zum  Verständ- 
niss  dieser  dunkeln  Stelle  ffigt  der  üebersetzer  derselben  hinzu:  «Bei  allen  Naturerscheinungen 
unterscheidet  man  Yo  das  männliche,  active,  und  In  das  weibliche  passive  Princip.  Hier  also 
ist  gemeint,  dass  die  active,  austreibende  Kraft  sich  oberhalb  der  Frucht  sammeln  muss,  um 
dieselbe  auszustossen/ 

299.  Mechanische  Hülfeleistnng  bei  normalem  Oeburtsyerlauf  darch 
Drficken  und  Kneten  des  Unterleibes. 

Es  wurde  oben  schon  von  der  Yielgeschäftigkeit  gesprochen,  welche  die  un- 
gesclinlte  Gebnrtshülfe  sehr  häufig  auf  die  Gebärende  einwirken  lässt.  Der  An- 
schauung, „dass  etwas  geschehen  mttsse*^,  dass  man  nicht  müssig  dabeistehen 
dürfe,  haben  eine  Reihe  von  Manipulationen  ihre  Entstehung  zu  verdanken,  welchen 
wir  an  dem  Geburtslager  begegnen.  Hier  ist  in  erster  Linie  zu  nennen  das  Reiben 
und  das  Streichen  der  unteren  Körperhalfte.  Es  liegt  hierbei  die  Absicht  vor, 
das  Kind  aus  dem  Leibe  herauszustreichen.  Sehr  bald  aber  musste  sich  die  Er- 
fahrung herausbilden,  dass  solche  Frictionen  des  Unterleibes  in  einer  Reihe  von 
Fällen  wirklich  yortheilhaft  sind,  da  sie  Gontractionen  des  Uterus  auslösen.  Da 
ist  es  nicht  zu  verwundern,  dass  sehr  gern  die  helfenden  Frauen  zu  diesem  Mittel 
greifen,  das  in  ihren  Augen  noch  den  Vorzug  der  vollständigen  Unschädlichkeit 
besitzt.  Ausserdem  leisten  sie  auch  noch  durch  dasselbe  der  psychischen  Be- 
ruhigung der  Gebärenden  einen  Dienst,  welche  schnell  von  ihren  Leiden  befreit 
zu  werden  hofil,  da  sie  sieht  und  ftlhlt,  dass  man  überhaupt  ihr  zu  helfen  sucht, 
und  dass  mit  ihr  etwas  vorgenommen  wird. 

So  berichtet  Puejac,  der  seine  Beobachtungen  in  kleinen  Städten  Frank- 
reichs machte,  über  den  dortigen  Hebammenbrauch: 

,Mes  cHentes  exigeaient  que  je  les  aidasse  pendant  lenrs  donlenrs,  c'est-ä-dire  que 
par  de  nombreux  attouchements  et  de  vigoureuses  pressions  sur  le  p^rin^e,  je  sollicitasse  une 
Sorte  d*exacerbation  de  la  part  des  contractions  musculaires  du  plancher  du  bassin,  assurant 
par  ces  moyens  Stre  d^liyr^es  plutöt.* 

Auf  dem  Babar-Archipel  wird  während  der  ganzen  Dauer  der  Entbindung 
der  Gebärenden  von  der  einen  helfenden  Frau  der  Bauch,  von  einer  anderen  der 
Rücken  mit  Kalapa-Milch  bestrichen. 

Aber  auch  noch  kräftigere  Manipulationen  lässt  man  auf  die  Gebärende  ein- 
wirken; unter  diesen  hat  das  Zusammendrücken  des  Unterleibes,  bevor  noch  irgend 
ein  Theil  des  Kindes  herausgetreten  ist,  eine  ganz  besonders  weite  Verbreitung. 
Wir  haben  weiter  oben  schon  Falle  erwähnt,  wo  der  Gatte  oder  ein  anderer  Mann 
den  Leib  der  Kreissenden  umfassen  und  denselben  drücken  muss.  Auch  der  um- 
gelegte Gürtel  muss  einem  ähnlichen  Zwecke  dienen. 

In  Old-Galabar  hockt  die  Hebamme  vor  der  auf  niedrigem  Holzblock 
sitzenden  Gebärenden  und  übt  mit  den  beölten  Händen  einen  steten  sanften  Druck 
auf  die  Seiten  des  Unterleibes  von  oben  nach  unten  und  vom  aus,  damit,  wie  sie 
sagt,  das  Kind  seinen  Weg  nach  abwärts  fijide. 

Die  Neger,  die  Indianer  Californiens,  die  Malayen  auf  den  Philip- 
pinen, die  Kalmücken,  die  Tataren  und  Ehsten  bedienen  sich  verschiedener 
Hül&mittel,  deren  Besprechung  wir  auf  die  Erörterungen  über  die  Schwergeburten 
verschieben  wollen. 

Die  Papua-Frauen,  welche  in  der  Niederkunft  begriffen  sind,  werden 
von  den  ihnen  beistehenden  Frauen  mit  den  Fäusten  über  der  Brust  geknetet. 
(MiiUer.) 

Den  kreissenden  Frauen  der  Orang  Belendas  in  Malacca  wird  nach 
Stevens'  Bericht  in  der  Höhe  der  falschen  Rippen  ein  Tuch  ziemlich  fest  um  den 


170  XLYIII.  Manuelle  und  mechamsche  Hülfsmittel  bei  der  normalen  Geburt. 

Leib  gebunden.  Die  Frau,  welche  zur  Rechten  der  Ereissenden  hockt,  drQckt  von 
oben  nach  unten  auf  den  Unterleib  und  streicht  mit  der  Hand  das  Tuch  vom 
Nabel  abwärts.  Dieses  «Tampoo*  genannte  Herunterdrücken  wird  in  der  Weise 
ausgef&hrt,  dass  der  den  Handgelenken  zunächst  liegende  Theil  beider  Hände  ge- 
braucht und  die  Finger  nach  aussen  zurückgebogen  werden.  Diese  Manipulationen 
werden  mit  nicht  sehr  grosser  Kraft  mehrere  Male  in  geringen  Zwischenräumen 
wiederholt;  sie  sind  sehr  wirkungsvolL    (Bartels'^,) 

Susrtäa  erwähnt  eine  Compression  des  Leibes  bei  dem  normalen  Geburts- 
Yorgange  nicht.  Aber  die  Hebammen  der  Griechen  comprimirten  der  Gebären- 
den den  Leib  durch  Tücher,  welche  sie  um  dieselben  schlangen. 

Moschion  lehrt  den  römischen  Hebammen,  dass  ihre  Gehülfinnen  den  Aus- 
tritt des  Kindes  dadurch  fördern  sollen,  dass  sie  den  Bauch  der  Gebärenden  nach 
unten  drücken.  Auch  noch  Rösslin  sagt  in  seinem  Hebammenbuche:  «Die 
Hebamme  soll  den  Bauch  über  Nabel  und  Hüfte  gemächlich  drücken;"  und 
Rodericus  a  Castro  empfiehlt  das  Drücken  des  Bauches  „ut  infans  ad  inferiora 
depellatur*'. 

Wir  werden  in  einem  späteren,  von  den  schweren  Geburten  handelnden  Ab- 
schnitte noch  genauer  auf  diese  Manipulationen  zurückkommen.  Wir  dürfen  aber 
nicht  vergessen,  dass  in  den  Augen  der  Yolks-Hebammen  bekanntlich  jede  nur 
einigermaassen  zögernde  Geburt  zu  einer  schweren  wird,  welche  ihrer  Meinung 
nach  eine  Nachhülfe  erfordert  Man  greift  deshalb  zu  dem  Mittel,  eine  Vis  a 
tergo  anzubringen.  Und  so  kommen  fast  alle  in  dem  bezeichneten  Abschnitte  zu 
erwähnenden  Yerfahrungsweisen  auch  bei  sonst  normalem  Verlaufe  sehr  häufig, 
bei  einigen  Völkern  sogar  ganz  regelmässig  zur  Anwendung. 


800.  Die  künstliche  Erweiterung  der  Oesclileclitstheile« 

Wir  sprachen  oben  bereits  davon,  dass  man  durch  Einsalben  u.  s.  w.  die 
Geburtswege  nachgiebiger  zu  machen  bestrebt  ist.  Da  ist  dann  der  Schritt  nicht 
sehr  weit  bis  zu  der  Auffassung,  dass  eine  mechanische  Erweiterung  dieser  Theile 
von  einer  ganz  besonders  günstigen  Einwirkung  sein  müsse.  So  hatten  schon 
die  römischen  Hebammen  die  Gewohnheit,  den  Muttermund  mit  der  Hand  zu 
erweitern,  indess  die  Gehülfinnen  den  Leib  der  Kreissenden  nach  unten  drückten. 
Soranus  aber  hält  diese  künstliche  Erweiterung  nur  dann  für  angebracht,  wenn 
die  Wehen  ohne  Erfolg  bleiben,  nicht  aber,  wenn  der  Uterus  contrahirt  ist. 
Celstis  beschreibt  die  Operation  genauer: 

,£x  intervallo  vero  paulum  dehiscit.  Hac  occasione  usus  medicus,  unetae  manus  in- 
dicem  digitnm  primum  debet  inserere  atque  tibi  continere,  donec  itenim  id  ob  aperiatur, 
rursusque  alteram  digitum  demittere  debebit  et  per  easdem  occasiones  alios,  donec  tota  esse 
intus  manns  possit.* 

Moschion  spricht  ebenfalls  von  dieser  Operation: 

«Digito  manus  sinistrae  oleo  inuncto  uteri  orificium  sensim  dilatans  aperiet.* 

Paulus  von  Aegina  und  TertuUian  erwähnen  besondere  Instrumente,  um 
die  Geburtstheile  zu  erweitem.  Diese  Dilatatoria  waren  wie  ein  Mutterspiegel 
geformt  und  man  konnte  sie  aus  einander  schrauben. 

Die  ganze  Listrumentalhülfe  der  römischen  Aerzte  beschränkte  sich  auf 
die  Anwendung  dieses  Speculum  vaginae  {öiöJctQä),  welches  dazu  diente,  die 
Scheide  zu  erweitern,  wenn  sie  durch  Geschwülste  für  das  Durchtreten  des  Kindes 
zu  eng  war.  Dieses  Instrument  ist  in  mehreren  Exemplaren  in  Pompeji  auf- 
gefunden worden.     (Guhl^  Overbeck.) 

Die  arabischen  Aerzte  besassen  ein  dem  jetzigen  Kranioklast  ähnliches 
Instrument,  von  dem  es  bei  Äbulkasis  heisst: 


301.  Der  Schutz  und  die  ünterstatzung  des  Dammes.  171 

«Forma  oontnsoriB,  quo  caput  foetus  contunditur."  Es  wird  auch  abgebildet  in  zwei 
verscbiedenen  Grössen;  von  der  l&ngeren  Form  sagt  ÄbuUcasis:  ,Et  quandoque  conficitur 
longns,  sicut  vides.' 

Dieses  Werkzeug  war  nicht  nur  bei  den  Arabern,  sondern  auch  bei  den 
europäischen  Völkern  im  Mittelalter  sehr  verbreitet.     Ävicenna  sagt: 

,Et  fortasse,  quandoque  indigebis,  ut  aperias  vulvam  ejus  cum  instrumento  os  matricis 
ejus  et  aperiatur.' 

In  Frankreich  beschrieb  zuerst  Pare  mehrere  hierher  gehörende  Instru- 
mente. De  la  Motte  sagt,  dass  zu  seiner  Zeit  die  Hebammen  zum  grossen  Nach- 
theil der  Gebärenden  solche  Beförderungsmittel  der  Geburt  anwendeten.  In 
Deutschland  empfahl  RiAcff  dergleichen  Werkzeuge.  Auch  liess  er  »der  Ge- 
bärenden Leib  Yon  einander  theilen  und  streifen',  oder  wie  Rösslin  es  nennt: 
»das  Schloss  der  Gebärenden  mit  den  Händen  erweitern*^.  Rueff  und  Rösslin 
liessen  diese  Manipulationen  auch  bei  normaler  Geburt  ausfiihren. 

Solche  den  Muttermund  erweiternde  Mutterspiegel  waren  von  da  an  bis  auf 
Mauriceau  im  Armamentarium  der  Geburtshelfer  sehr  gebräuchlich. 

Noch  jetzt  kommen  unter  den  Völkern  ähnliche  Manipulationen  gewiss  nicht 
selten  vor,  ohne  dass  wir  davon  besondere  Kenntniss  erhalten  haben.  In  Guate- 
mala wird  von  der  Hebamme,  welche  während  der  Wehen  ihre  Eniee  gegen  das 
Kreuz  der  auf  dem  Boden  sitzenden  Gebärenden  stemmt,  in  den  Wehenpausen  mit 
den  Händen  und  Fingernägeln  die  Scheide  und  der  Muttermund  gewaltsam  er- 
weitert. Auch  in  Gochinchina  bedienen  sich,  wie  i(fon(2tere  berichtet,  die  Heb- 
ammen eines  ganz  ähnlichen  Verfahrens. 

Bei  den  Indianern  Nord- Amerikas  gehen  die  helfenden  Weiber  (nach 
Engdmann)  gewöhnlich  nicht  mit  der  Hand  in  die  Scheide  ein;  «höchstens  be- 
richtet man  in  Bezug  auf  einige  wenige  Beispiele  von  dieser  Leistung,  nämlich 
behu&  der  Ausdehnung  des  Mittelfleisches  oder  zum  Herausholen  der  vom 
Uterus  zurückgehaltenen  Placenta.*' 

Im  jetzigen  Griechenla.nd  fuhren  die  helfenden  Frauen  die  Hände  in 
die  Scheide  ein,  drücken  die  Schamlippen  nach  hinten^  reissen  das  Perinaeum 
u.  s.  w.    (Damian  Georg.) 

Von  den  diesbezüglichen  Leistungen  der  lettischen  Hebammen  haben 
wir  oben  bereits  ausführlich  gesprochen,  wir  brauchen  ihre  rohen  und  gewalt- 
samen Manipulationen  daher  hier  nicht  noch  einmal  vorzuführen. 


301«  Der  Schatz  und  die  Unterstützung  des  Dammes. 

Von  einer  Unterstützung  des  Mittelfleisches  durch  die  Helferinnen  bei  der 
Geburt  wird  von  den  Beobachtern  der  volksthümlichen  Entbindungskunst  im  Ganzen 
nur  selten  etwas  berichtet.  Eine  desto  grössere  Wichtigkeit  besitzen  daher  die 
positiven  Nachrichten,  welche  zu  unserer  Kenntniss  gelangen.  So  theilt  Tohler 
ans  Palästina  mit: 

«Die  Hebamme  unterstfitzt  sorgfältig  das  Mittelfleisch  mit  der  rechten  Hand  dergestalt, 
dass  diese  den  ganzen  Anus  bedeckt,  um  dem  Einreissen  des  Dammes  vorzubeugen.* 

Die  Hebammen,  welche  den  russischen  Frauen  in  Astrachan  bei  der 
Geburt  beistehen,  unterstützen  ebenfalls  den  Damm.    (Meyerson,) 

Auf  den  kleinen  Inseln  des  östlichen  Indonesiens  ist  die  Gefahr  des 
Dammrisses  wohl  bekannt,  und  die  dort  so  häufig  angewendete  hockende  oder 
knieende  Stellung  bei  der  Entbindung  hat  den  ausgesprochenen  Zweck,  das  Mittel- 
fleisch vor  dem  Zerreissen  zu  schützen.  Aber  auf  Ambon  und  den  üliase- 
Inseln  muss  ausserdem  noch  eine  der  helfenden  Frauen  darüber  wachen.  Auf 
Seranglao  und  Gorong  drückt  die  vor  der  Gebärenden  sitzende  Frau  mit  ihren 
Füssen  gegen  beide  Seiten  der  Partes  genitales.    Nach  einer  vom  Missionär  Beier- 


172  XL VIII.  Manuelle  und  mechanische  Hfilfsmittel  bei  der  normalen  Geburt. 

lein  zu  Madras  gemachten  Mittheilung  stecken  an  der  Ostküste  Ost-Indiens 
die  helfenden  Weiber  der  Gebärenden  eine  Menge  Lampen  und  Lappen  ,in  den 
After".     Dieses  Verfahren  erinnert  an  die  Methode  der  Trottda;  die  letztere  sagt: 

.Praeparetur  pannus  in  modum  pilae  oblongae,  et  ponatur  in  ano,  ad  hoc  ut  in 
quolibet  conatu  ejiciendi  puerum,  illnd  firmiter  ano  imprimatnr,  ne  fiat  hujusmodi  continui- 
tatis  Bolutio.* 

Vielleicht  aber  hat  Beierlein  die  Sache  nicht  richtig  aufgefasst,  und  es 
handelt  sich  hier  nur  um  eine  Unterstützung  des  Perinaeum.    Shortt  sagt  nämlich: 

,In  Süd-Indien  legt  die  Hebamme  Tor  dem  Springen  der  Eihäute  einen  mit  Asche 
gefällten  Sack  unter  den  Damm  der  Gebärenden  als  Unterstützungsmittel  und  um  zu  ver- 
hüten, dass  die  Kleidung  der  Frau  beschmutzt  werde." 

Die  meisten  Völker  scheinen  solche  Vorsichtsmaassregeln  gar  nicht  zu 
kennen.  Li  China  ^machen  sich  die  Hebammen  nur  Unnöthiges  zu  thun  und 
laufen  hin  und  her^,  wie  ein  chinesischer  Arzt  berichtet;  und  auch  in  seinen 
mehrfach  schon  erwähnten  populären  Abhandlungen  wird  die  Unterstützung  des 
Dammes  gar  nicht  erwähnt. 

Ebensowenig  unterstützen  nach  Polak  die  persischen  Hebammen  das 
Perinaeum  der  in  hockender  Stellung  Gebärenden. 

Auch  in  Nicaragua  kennt  man  nach  Bernhard  die  ünterstützang  des 
Dammes  nicht;  dennoch  sah  derselbe  in  diesem  Lande,  wo  er  lange  Zeit  prakti- 
cirte,  niemals  einen  Dammriss.  Dagegen  kommen  nach  Pechuel-Loesche  bei  den 
Negerinnen  der  Loango- Küste  öfters  Einrisse  des  Dammes  vor.  Ebenso 
wenig  mögen  die  altindischen,  die  römischen  und  die  deutschen  Aerzte 
des  MittelsJters  mit  dieser  Manipulation  bekannt  gewesen  sein,  denn  in  ihren 
Werken  findet  sich  keine  Angabe  über  diese  Hülfeleistung. 

Bei  den  Letten  kennt  man  zwar  nach  Äücsnis  eine  Art  des  Dammschutzes, 
9  indem  man  die  flache  Hand  auf  den  Damm  presst*.  In  sehr  wirksamer  Weise 
scheint  dieses  aber  nicht  ausgeführt  zu  werden;  denn  es  heisst  nachher: 

«Dammrisse  werden  durchaus  nicht  gewürdigt,  geschweige  denn  vernäht:  sie  b&tten 
nichts  zu  bedeuten.  Vielleicht  schwebt  hier  noch  der  Gedanke  vor,  dass  sie  die  nächste  Ge- 
burt erleichtem,  so  dass  sie  auch  als  günstig  angesehen  werden  könnten.* 

Der  Dammriss  war  den  alten  Israeliten  wohlbekannt  und  er  wird  schon 
im  1.  Buch  Mosis  erwähnt  (38,  28): 

,I7nd  als  sie  (Thamar)  gebar,  that  sich  eine  Hand  heraus.  Da  nahm  die  Wehemutter 
und  band  einen  rothen  Faden  darum,  und  sprach,  der  wird  der  erste  herauskommen.  Da  aber 
der  seine  Hand  wieder  hineinzog,  kam  sein  Bruder  heraus  und  sie  sprach:  , Warum  hast  Du 
Deinetwillen  solchen  Riss  gerissen?    Und  man  hiess  ihn  Feresi.*^ 

Es  ist  bemerkenswerth,  dass  es  so  lange  den  Geburtshelfern  Europas  ent- 
gehen konnte,  wie  häufig  bei  ganz  regelmässigem  Verlaufe  der  Geburt  der  Damm 
mehr  oder  weniger  einreisst,  und  dass  man  sich  wenig  um  diese  Eventualität 
bekümmerte.  Ist  doch  der  im  Jahre  1731  gestorbene  Giffard  der  erste,  der 
einen  FaU  beschreibt,  in  welchem  er  ,die  Unterstützung  des  Dammes  zur  Ver- 
meidung des  Einreissens  anwandte;  zunächst  erwuchsen  ihm  jedoch  noch  keine 
Nachfo^er. 

Der  erste  Schriftsteller,  welcher  sodann  einen  leichten  Druck  an  den  Damm  von  hinten 
nach  vom  gegen  das  Schambein  hin  vorschlug,  um  das  Andringen  des  Kopfes  gegen  den- 
selben zu  verhindern  und  hierdurch  Dammrissen  vorzubeugen,  war  Puzos  (gest.  1753).^  Diese 
Unterstützung  des  Dammes  wurde  darauf  auch  von  Lewret  eifrig  befilrwortet;  seiner  Em- 
pfehlung verdankt  diese  Methode  im  Jahre  1794  in  Frankreich  Eingang,  w&hrend  in 
Deutschland  Oaiander  und  Stein  1785,  in  England  Smellie  und  Osbame  für  dieselbe 
eintraten. 

Doch  traten  auch  einige  Gegner  {Wiegand,  Mende  u.  A.)  auf.  Leishman  wirft  ein, 
dass  der  auf  den  Damm  ausgeübte  Druck  Girculationsstörungen  zur  Folge  habe,  und  dass 
durch  den  auf  die  mittleren  und  hinteren  Theile  beschränkten  Druck  die  seitlichen  Partien 
des  Dammes  behindert  werden,  ihren  schuldigen  Antheil  zu  der  durch  den  andringenden  Kopf 


302.  Das  Ziehen  an  den  vorliegenden  Eindeatbeilen.  173 

bewirkten  Dehnong  desselben  beizutragen.  Frau  Lachapelle  meint,  dass  durch  Berührung  des 
Dammes  Reflexcontractionen  des  Uterus  ausgelöst  werden,  die  man  ja  gerade  zu  yermeiden 
sucht,  um  nur  den  allmählichen  Durchtritt  des  Kopfes  zu  bewirken;  auch  erwähnt  Dentnan^ 
dass  er  die  ausgedehntesten  Zerreissungen  eintreten  sah,  wenn  die  Ereissende  beim  unruhigen 
Hin-  und  Herwerfen  sich  zeitweise  dem  Druck  der  Hände  entzog.  Femer  erklärt  Goodall 
(Philadelphia)  die  Ablieben  Methoden  zur  Erhaltung  des  Dammes  fQr  unnöthig,  ja  sogar 
für  nachtheilig:  er  schlägt  dagegen  eine  neue  vor;  Hurt  stimmt  ihm  in  vieler  Beziehung  bei. 

Während  sich  noch  die  Geburtshelfer  Europas  über  diese  Angelegenheit 
stritten,  wurde  schon  in  Japan  der  Dammschutz  geübt,  üeber  den  Geburts- 
mechanismus beim  Austritt  des  Kindes  haben  die  japanischen  Geburtshelfer 
folgende  Anschauung: 

Im  Moment  der  Expulsion  dreht  der  Uterus  seinen  Mund  nach  hinten  um,  das  Ver- 
einigungsbein öffnet  sich,  das  Schamfleiech  (Labia  majora)  verschwindet,  E-in  (das  ist  das 
Perinaeum)  dehnt  sich  nach  oben  wegen  der  hockenden,  vom  übergebeugten  Stellung  der 
Frau,  der  Afber  wird  nach  hinten  herausgepresst.  Wenn  nun  das  Kind  aus  dem  Uterus  tritt, 
so  wird  sein  Scheitel  gerade  auf  dem  Perinaeum  stehen;  durch  gewaltsames  Umdrehen  und 
Hervortreten  befreit  es  sich  vom  Geburtsausgang.  Ein  Dammriss  ist  nach  Kangawa,  dem 
berühmten  japanischen  Geburtshelfer,  stets  die  Schuld  der  Hebamme:  sie  hat  dann  den 
Damm  nicht  gehörig  unterstützt;  die  Hebamme  muss,  wie  er  fordert,  während  sie  hinter  der 
vornübergebeugten,  hockenden  Gebärenden  sitzt,  das  Kind  nach  unten  (d.  h.  nach  unserem 
Begriff  nach  vom)  hebeu,  nicht  nach  oben  (d.  h.  hinten),  wo  sich  weiches  Fleisch  befindet, 
das  bei  der  Berührung  mit  dem  Knie  leicht  bersten  kann.  Hat  ein  Dammriss  stattgefunden, 
so  wendet  Kangawa  ein  , hautergänzendes''  Pulver  an,  bestehend  aus  Allium  sativum  ustum, 
Galomel  und  Illicium  religiosum  ustum,  mit  Leinöl  gemischt,  aufzuschlagen.  Diese  Salbe  wirkt 
offenbar  antiseptisch. 

Hier  muss  daran  erinnert  werden,  dass  die  Japanerin  in  hockender  Stellung 
mit  Yornübergebeugtem  Körper  niederkommt.  In  dieser  Position  gleitet  der  vor- 
Uegende  Eindeskopf  am  leichtesten  unter  der  Symphyse  durch,  ohne  zu  sehr 
gegen  den  Damm  zu  drängen. 

Am  unzweckmässigsten  von  allen  den  verschiedenartigen  Stellungen,  welche 
bei  dem  Oebäracte  in  Anwendung  gezogen  werden,  muss  jedenfalls  das  Stehen 
bei  der  Entbindung  bezeichnet  werden.  Denn  bei  ihr  ist  am  ersten  auf  eine 
Verletzung  des  Dammes  zu  rechnen. 


302«  Das  Ziehen  an  den  vorliegenden  Kindestheilen. 

Eine  andere  Manipulation,  welche  leider  bei  den  Yolksstämmen  mit  einer 
noch  unvollkommen  entwickelten  Geburtshülfe  sehr  gebräuchlich  ist,  besteht  in 
dem  Ziehen  an  den  vorliegenden  Kindestheilen.  Dass  dieses  Verfahren  in  einer 
grossen  Reihe  von  Fällen  nicht  allein  dem  Kinde,  sondern  auch  der  Mutter  nicht 
unerhebliche  Gefahren  bringt,  das  bedarf  wohl  keiner  besonderen  Erwähnung. 
Namentlich  sind  es  die  bei  fehlerhaften  Kindeslagen  in  erster  Linie  zu  Tage  ge- 
tretenen, die  „  vorgefallenen  **  Theile  des  Kindes,  welche  bei  der  hiermit  verbundenen 
Langsamkeit  oder  dem  absoluten  Stillstande  des  Geburtsverlaufes  die  helfenden 
Frauen  zu  heftigen  Tractionen  veranlassen,  in  der  Hoffnung,  dass  sie  hierdurch 
die  Entbindung  zu  beschleunigen  und  zu  Ende  zu  f&hren  vermöchten. 

Bei  den  Ehsten  kommt  es  vielfach  vor,  dass  die  Hebammen  an  dem  Kindes- 
theile,  welcher  vorliegt,  auf  äusserst  gewaltsame  Weise  ziehen  und  zerren.  So 
fand  Uolst^  wie  oben  gesagt,  bei  Gesichtslagen  die  Augen  aus  den  Höhlen  heraus- 
gequetscht, den  Unterkiefer  in  der  Mitte  zerbrochen,  den  Mund  zerrissen,  bei 
Querlagen  den  Arm  abgerissen,  ebenso  die  Nabelschnur  von  ihrer  Insertion  los- 
getrennt, und  sogar  die  Bauch-  und  Brusthöhle  aufgerissen. 

Die  Hebammen  der  Letten  haben  die  Regel,  bei  Fusslagen  an  den  Füssen 
zu  ziehen;  man  müsse  aber  vorsichtig  sein,  dass  man  nicht  etwa  eine  Hand  er- 
greift, denn  an  dieser  dürfe  niemals  gezogen  werden.    (Älhsnis,) 


174 


XLVIII.  Manuelle  nnd  mecbanuche  Hülfemittel  bei  der  normalen  Geburt 


Gharakteristiscli  f&r  die  Rohbeit  der  alten  Franen,  welche  beim  niederen 
Volke  ßusslands  den  Gebärenden  beistehen,  ist  folgende  Beschreibung  aus  dem 
Gouvernement  Samara: 

«Liegt  ein  anderer  Eindestheil  vor,  als  der  Kopf,  und  sie  können  ibn  erreichen,  so 
zerren  und  ziehen  sie  daran  nach  Möglichkeit;  es  sind  darum  vorgefallene  Arme  häufiger  als 
sonst  wo  zu  beobachten,  ja  es  ist  mir  ein  Beispiel  bekannt,  wo  auf  diese  Weise  ein  Arm 
abgerissen  wurde."     (Ucke.J 

Auch  bei  den  Wotjäken  ist  es  nicht  ungebräuchlich,  in  unsinniger  Weise 
an  den  vorgefallenen  Kindestheilen  zu  ziehen,  selbst  wenn  es  sich  um  Querlagen 
handelt.    Das  Gleiche  geschieht  nach  Ledere  bei  den  Kabylen. 

Ebenso  ziehen  die  Ainos  auf  Yezo  an  den  bei  falscher  Lage  vorgefallenen 
Kindestheilen;  aber  sie  bedienen  sich  dabei  eines  umgeschlungenen  Biemens  oder 
Strickes,  und  sobald  sich  ein  Arm  oder  ein  Bein  zur  Geburt  stellt,  so  wird  daran 
gezogen,  bis  das  Kind  ganz  oder   stückweise  herausbefordert   ist.    (Engelmann,) 

Wir  begegnen  aber  auch  diesem  Herausziehen  des  Kindes  bei  ganz  normalen 
Kindeslagen,  und  hier  wird  es  bisweilen  in  ganz  durchdachter  und  schonender 
Weise  ausgeftLhrt. 


Fig.  297.    Hebamme,  das  Kind  herausziehend.    (Nach  7.  v.  Sckwartxenberg.) 


Während  die  chinesischen  Aerzte  rathen,  das  Kind  von  selbst  austreten 
zu  lassen,  da  es  hervorkomme,  wie  «eine  reife  Gurke',  wird  in  Japan  nach 
Mimazuma!s  Aussage  auch  bei  regelmässigem  Geburtsverlaufe  dadurch  geholfen, 
dass  man  am  Kinde  mit  der  Hand  zieht.  In  Persien  besteht  die  Hülfe  nach 
Pclak  darin,  dass  die  Hebamme  jeden  Theil,  der  ihr  entgegenkommt,  anzieht. 
Auch  schreibt  Häntesche  von  der  persischen  Provinz  Gilan  am  Kaspischen 
Meere:  „Die  helfenden  Frauen  ziehen  am  Kinde  und  fangen  es  in  einem  Lappen 
auf,  wie  es  kommt. '^  Ebenso  macht  es  die  Hebamme  in  Massaua;  sie  sucht 
das  Kind  sobald  wie  möglich  an  dem  Kopfe  aus  der  Mutter  herauszuziehen. 
(Brehm.)  Bei  den  Römern  zog  die  Hebamme,  wenn  das  Kind  in  normaler  Weise 
kam,  wie  Soranus  sagt,  „mithelfend  beim  Vortreten  einfach  an^S  Im  Mittelalter 
verfuhren  die  Hebammen  ähnlich;  aber  Rösslin  empfiehlt,  sie  sollen  nicht  eher 
an  dem  Kinde  ziehen,  als  bis  es  aussen  sichtbar  sei;  und  Rueff  sagt: 

,Wo  sich  das  Kind  ansetzen  und  stellen  wolle,  soll  die  Hebamme  dasselbe  der  Gerade 
nach  weisen  und  fördern.* 


302.  Das  Ziehen  an  den  vorliegenden  Eindestheilen.  175 

Im  südlichen  Indien  unterstützt  nacli  Shortt  die  Hebamme  den  Kopf  des 
Kindes,  wenn  sicli  dieser  einstellt,  mit  den  Händen.  Ein  gleiches  Verfahren  wird 
wohl  auch  anderwärts  geübt,  namentlich  wird  dies  aus  Gochinchina  von  üfon- 
düre  gemeldet.  In  Monterey  in  Galifornien  zieht  gewöhnlich  die  Hebamme 
mit  einer,  oder,  wenn  sie  kann,  mit  beiden  Händen  an  dem  Kinde.  Sie  führt, 
wie  King  berichtet,  zu  diesem  Zwecke  die  Hände  in  die  Vagina  der  Kreis- 
senden ein. 

Dass  auch  in  Deutschland  früher  die  Hebammen  nicht  selten  recht  roh 
und  gewaltsam  zu  Werke  gegangen  sind,  das  scheint  aus  der  Schilderung  hervor- 
zugehen, welche  uns  der  Verfasser  von  des  getreuen  Eckarth's  unvorsichtiger 
Hebamme  entworfen  hat.  Es  ist  auf  Seite  113  davon  die  Rede  gewesen  und 
Fig.  276  führt  die  Ergebnisse  ihrer  unheilvollen  Thätigkeit  vor. 

Man  darf  diese  Manipulationen  aber  nicht  verwechseln  mit  dem  ganz  un- 
schuldigen Ziehen  an  dem  Kinde,  wenn  dessen  Kopf  und  Schultern  bereits  den 
mütterlichen  Körper  verlassen  haben.  Dann  befördert  es  die  Entbindung  erheb- 
lich, wenn  durch  einen  leichten  Zug  am  oberen  Theile  des  kindlichen  Rumpfes 
dessen  untere  Hälfte  aus  der  Scheide  der  Mutter  herausgeleitet  vnrd.  Das  wird 
von  fast  allen  Hebammen  gemacht,  und  es  ist,  mit  der  nöthigen  Vorsicht  und 
Schonung  ausgeübt,  ein  vollständig  schadloses  Verfahren.  Auch  im  16.  Jahr- 
hundert muss  es  gebräuchlich  gewesen  sein,  wie  ein  Holzschnitt  vom  Jahre  1535 
lehrt  (Fig.  297),  der  sich  in  dem  Werke  „Der  Teutsch  Cicero^^  von  Johann 
Freiherr  von  Schwarteenberg  findet.  Die*  Kreissende,  von  zwei  Frauen  unterstützt, 
sitzt  auf  dem  Gebärstuhle;  die  Hebamme,  auf  einem  niederen  Schemel  vor  ihr 
sitzend,  ist  damit  beschäftigt,  das  Kind  herauszuziehen.  Von  dem  letzteren  sieht 
man  den  Kopf,  das  rechte  Aermchen  und  die  Brust,  welche  auf  der  linken  Hand 
der  Hebamme  aufliegt.  IJebrigens  ist  dieser  junge  Erdenbürger  Niemand  anderes 
als  Cicero  selber,  dessen  Geburt  sich  der  Maler,  wahrscheinlich  Hans  Burgkmair, 
in  dieser  Weise  vorgestellt  hat. 


XLIX.  Die  Gebnrtsstellnng  im  klassischen  Alterthnin. 

803.  Die  Entbindung  bei  den  alten  Aegyptern. 

Wir  wollen  unsere  Besprechungen  über  die  normale  Geburt  nicht  zum  Ab- 
BcUusse  bringen,  ohne  auch  noch  über  die  Art  und  Weise  einige  Auskunft  ge- 
geben zu  haben,  wie  bei  den  Völkern  des  klassischen  Alterthums  die  Entbindungen 
gehandhabt  worden  sind.  Einzelheiten*  darüber  wurden  schon  früher  erwähnt. 
Hier  wollen  wir  noch  einige  Aufklärung  bringen  nach  antiken  künstlerischen 
Darstellungen,  die  sich  glücklicherweise  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  haben. 
Diese  Kunstdenkmäler  gehören  den  drei  wichtigsten  Völkern  des  klassischen  Alter- 
thums an,  den  Aegyptern,  den  Griechen  und  den  Römern,  und  wenn  ihre 
Zahl  auch  nur  eine  geringe  ist,  so  fördern  sie  unsere  Kenntnisse  auf  diesem 
culturgeschichtlich  so  bedeutungsvollen  Gebiete  dennoch  gar  nicht  unerheblich. 

Wir  haben  hier  in  erster  Linie  den  bildnerischen  Schmuck  und  die  In- 
schriften zu  nennen,  wie  sie  sich  in  gewissen  Tempelräumen  des  alten  Aegyptens 
finden.  Die  ägyptischen  Tempel  besitzen  nämlich  nicht  selten  besondere  Neben- 
tempel, Typhonieu,  wie  man  sie  früher  irrthümlich  nannte,  oder  Mammisi, 
wie  ihr  eigentlicher  Name  ist.  In  diesen  Mammisi  finden  sich  allerlei  Darstellungen 
an  den  Wänden,  die  sich  auf  die  Geburt  der  Gottheit  beziehen,  welcher  der  Haupt- 
tempel geweiht  worden  war.  Nach  der  Beschreibung  Champoüions  sind  die  Wand- 
gemälde dieser  Tempelnebenräume  für  die  Geburtshülfe  sowohl  als  auch  ftir  die 
Gulturgeschichte  des  Wochenbetts  und  der  Kindespflege  hochinteressant.  Leider 
aber  haben  die  Aegyptologen  es  bisher  noch  unterlassen,  uns  mit  diesen  merk- 
würdigen Resten  in  genügender  Weise  bekannt  zu  machen.  Aber  aus  den  dürftigen 
Nachrichten  lassen  sich  schon  einige  Bückschlüsse  machen. 

Den  Herrschern  und  Herrscherinnen  Aegyptens  gab  die  Herstellung 
dieser  auf  ihre  Kosten  und  Anordnung  errichteten  Mammisi  die  beste  Gelegen- 
heit zur  eigenen  persönlichen  Verherrlichung,  indem  sie  ihre  Geburt  mit  den 
Göttern  des  Tempels  in  Verbindung  und  zur  Anschauung  brachten.  Einen 
solchen  kleinen  Nebentempel  hat  unter  Anderen  auch  der  Tempel  zu  Luxor; 
an  den  Wänden  desselben  findet  man  mehrere  Basreliefs  mit  Darstellungen,  wie 
die  Königin  Tmauhemwa,  die  Gattin  des  Thutmosis  IV,^  ihre  Schwangerschaft, 
ihre  Niederkunft  und  ihr  Wochenbett  abhält;  und  in  dem  Mammisi,  dem  be- 
sonderen Gebärzimmer,  sieht  man  im  Bilde,  wie  diese  Königin,  auf  einem 
Bette  liegend,  den  König  Amenophis  zur  Welt  bringt.  Hiemach  mag  es  scheinen, 
als  ob  wenigstens  in  den  Ejreisen  höherer  Stände  in  Alt-Aegypten  die  Frauen 
im  Liegen  geboren  haben. 

Dieser  Tempel  zu  Luxor  ist  eines  der  ältesten  Bauwerke  Aegyptens; 
ähnliche  Mammisi  giebt  es  aber  auch  als  kleine  Nebengebäude  bei  den  Tempeln 


Tafel  K. 
Das  Weib  im  Kindesalter. 


1. 

llgerierhi* 


DahoBie-NegeriB*  BrnteknaaM-MUeke«. 


OnyaiiA-IndianeriB. 


IrftoeAnlerin« 

(CUle.) 


FenerlinderlA. 


Beggar-MidelieB. 

(Indien.) 


H«Srit>. 

Brahminen-MUelieii. 

(FUlippinen.) 

(lUlabar.) 

Tafel  IX. 

*Da.s  Weib  im.  Kindesalter. 


Ilo:^ -Bartels. ..'X/-/'^  My/^! 


303.  Die  Entbindung  bei  den  alten  Aegjptem. 


177 


zu  Hermonthis,  Denderah,  Philä  und  Ombi,  und  es  scheint  jeder  grosse 
Tempel  einen  solchen  Neben-Tempel  f&r  die  mythologische  Geschichte  der  Trias 
von  Gottheiten  besessen  zu  haben,  die  man  darin  anbetete.  Zu  Hermonthis 
z.  B.  diente  der  unter  der  Regierung  der  letzten  Cleopatra,  der  Tochter  des 
Ptolamäus  ÄtUetes^  errichtete  Mammisi  zum  feierlichen  Gedächtniss  an  die 
Schwangerschaft  dieser  Königin  und  an  ihre  glückliche  Entbindung  von  Ptotomäus 
Cäsariofii  dem  Sohne  des  JuliiiS  Cäsar. 

Von  dem  Mammisi  zu  Hermonthis  giebt  ChampoUton-Figeac  die 
folgende  Schilderung: 

«Die  Zelle  dee  Tempels  ist  in  zwei  Theile  getheüt,  in  ein  grosses  Hanptgemach  und 
in  ein  ganz  kleines,  welches  das  eigentliche  Heiligthum  war;  in  letzteres  Gemach  gelang^ 
man  durch  eine  kleine  Thür.  Gegen  den  rechten  Flügel  wird  die  ganze  hintere  Mauerwand 
dieses  kleinen  Gemaches  (in  der  hieroglyphischen  Inschrift  der  i^Entbindungsort*  genannt) 
von  einem  Basrelief  eingenommen,  welches  die  Göttin  B^ho,  die  Frau  des  Gottes  MandiAj 
darstellt,  wie  sie  mit  dem  Gotte  Harphre  niederkommt.  Die  Gebärende  wird  unterstfitzt 
und  bedient  von  verschiedenen  Göttinnen  ersten  Ranges;  die  göttliche  Hebamme  holt  das 
Kind  aus  dem  Leibe  der  Mutter,  die  göttliche  S&ugamme  streckt  die  Hände  aus,  um  es  unter 
dem  Beistande  einer  zum  Wiegen  des  Kindes  bestimmten  Wartefrau  entgegen  zu  nehmen. 
Gegenwärtig  ist  Amman  (Ammon-BaJ,  der  Vater  aller  Götter,  begleitet  von  der  Göttin  Saven, 
der  Bithya,  ägyptischen  Ludna,  Beschützerin  der  Gebärenden.  Es  wird  auch  angenommen, 
die  Königin  Cleopatra  sei  gegenwärtig,  deren  Wochenbett  nur  fOr  eine  Nachahmung  des 
göttlichen  galt.  Die  andere  Wand  des  Entbindungszimmers  stellt  dar,  wie  der  neugeborene 
junge  Gott  gestillt  und  erzogen  wird,  und  auf  den  Seitenwänden  sind  die  zwölf  Stunden  des 
Tages  und  die  zwölf  Stunden  der  Nacht  unter  der  Gestalt  von  Frauen,  welche  auf  dem  Kopf 
eine  Stemscheibe  tragen,  abgebildet.  Das  astronomische  Gemälde  der  Decke  dürfte  den  Stand 
der  Gestirne  im  Augenblick  der  Geburt  dieses  Harphre,  oder  richtiger  des  Caesarion  oder 
neuen  Harphre,  angeben.'' 


Fig.  298.    Altägyptisclie  EntbindungSBoene  aus  der  Pioltmäer -Z^ii,    Niederkunft  der 
Göttin  Ritko.    Basrelief  aus  dem  Mammisi  des  Tempels  von  Hermonthis  ^Esneh). 

(Nach  mtkowski.) 


Es  findet  sich  eine  Gopie  dieses  Reliefs  in  dem  Werke  von  Witkowski^ 
welche  in  Fig.  298  wiedergegeben  ist.  Die  Ereissende  liegt  auf  beiden  Knieen 
und  ruht  mit  dem  Gesässe  auf  ihren  Hacken.  Hinter  ihr  steht  eine  weibliche 
Gestalt,  sich  leicht  über  sie  neigend  und  ihre  linke  Hand  an  ihre  linke  Seite 
legend,  während  sie  mit  der  rechten  Hand  den  erhobenen  rechten  Arm  der  Kreis- 
senden  am  Handgelenke  umfasst  hält  Der  ebenfalls  erhobene  linke  Arm  der 
Kreissenden  berührt  mit  der  Hand  den  Nacken  der  helfenden  Frau.  Hinter  dieser 
Letzteren  steht  noch  eine  Frau,  noch  weiter  als  sie  sich  vorbeugend  und  beide 
Arme  vorstreckend,  zum  Zufassen  bereit,  wenn  es  nöthig  werden  sollte.  Dahinter 
steht  gerade  und  aufrecht  eine  menschenköpfige  Göttin,  welche  in  jeder  Hand  einen 
sogenannten  Nilschlüssel  hält  Vor  der  Kreissenden  knieen  hinter  einander  zwei 
Weiber,  deren  hinten  Befindliche  beide  Arme  wie  bewundernd  halb  erhebt,  während 
die  unmittelbar  vor  der  Kreissenden  Knieende  das  Kind  bei  den  Schultern  gefasst 
und  soeben  aus  dem  Leibe  der  Mutter  herausgezogen  hat. 

Bei  Witkowski  findet  sich  noch  eine  zweite  Abbildung,  welche  angeblich 
von  Maspero  stammt  und  ein  Basrelief  des  Tempels  von  Luxor  wiedergiebt,  das 


Floss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II. 


12 


178  XLIX.  Die  Geburtestellung  im  klassischen  Alterthum. 

die  Niederkunft  der  Königin  Mut-em-wat,  der  Gemahlin  TahtUmes  IV.^  vorftthrt. 
Diese  Darstellung  ist  nicht  identisch  mit  der  oben  bereits  erwähnten,  denn  wahrend 
dort  die  Königin  auf  einem  Bette  liegend  beschrieben  wird,  sitzt  sie  hier  auf 
einem  Stuhle  mit  niederer  Lehne.  Eine  vor  ihr  knieende  Frau  halt  ihr  mit  beiden 
Händen  den  vorgestreckten  linken  Arm.  Hinter  dieser  kniet  eine  zweite  Frau, 
welche  einer  wieder  hinter  ihr  Knieenden  ein  auf  ihrer  Hand  sitzendes  Kind  über- 
reicht. Hinter  dieser  Frau  kniet  eine  Vierte,  welche  die  Hände  ausstreckt,  als 
ob  sie  ihrer  Nachbarin  das  Kind  abnehmen  wollte.  Hinter  der  Entbundenen  kniet 
in  gleicher  Stellung  wie  die  Frau  unmittelbar  Yor  der  Letzteren,  d.  h.  nur  mit 
einem  Knie  die  Erde  berührend,  eine  Frau,  welche  den  rechten  Arm  der  Ent- 
bundenen mit  ihren  beiden  Armen  stützt.  Ihr  schliessen  sich  vier  hinter  einander 
stehende  Frauen  an.  In  einem  unter  dieser  Darstellung  angebrachten  Bildstreifen 
knieen  jederseits  fünf  einander  zugekehrte  Göttergestalten.  Die  beiden  Mittleren 
halten  beide  Hände  gen  Himmel;  die  acht  übrigen  halten  mit  der  einen  Hand 
einen  Nilschlüssel  hoch,  während  die  andere,  ebenfaUs  einen  Nilschlüssel  haltende 
Hand  auf  ihrem  Schoosse  ruht. 

Der  Herausgeber  verdankt  der  Freundlichkeit  des  Herrn  Professor  Steindorff 
die  Mittheilung  einer  altägyptischen  Entbindungsscene  (sovrie  auch  die  Er- 
laubniss,  diesdbe  hier  zu  veröffentlichen),  welche,  wenn  sie  auch  mythisch  ist, 
dennoch  ebenfalls  einen  deutlichen  Begriff  davon  '  giebt ,  vrie  sich  in  damaliger 
Zeit  die  bei  der  Geburt  helfenden  Frauen  aufzustellen  pflegten.  Es  handelt  sich 
um  die  Geburt  der  Begründer  der  fünften  Dynastie,  der  drei  Pharaonen  UsrJcaf^ 
Sahure  und  Kekuiy  welche  in  dem  Papyrus  Westcar  des  Berliner  Museums, 
der  aus  der  Periode  von  1800 — 1600  vor  Chr.  Geburt  stammt,  beschrieben  ist: 
Die  Frau  eines  Priesters  wird  von  Geburtswehen  befallen.  Verstört  verlässt  der 
Priester  sein  Haus  und  begegnet  auf  der  Strasse  den  drei  Göttinnen  Isis^  Nqphthys 
und  Hegt.  Diese  firagen  ihn,  warum  er  so  traurig  wäre.  Er  klagt  ihnen  sein 
Leid,  und  darauf  hin  begeben  sie  sich  mit  ihm  in  seine  Wohnung  und  verschliessen 
die  Thür.  Dann  treten  sie  zu  der  Kreissenden;  Nephthys  stellt  sich  hinter  ihren 
Kopf  (es  ist  nicht  gesagt,  ob  sie  sie  unter  den  Armen  stützt),  Isis  stellt  sich 
ihr  gegenüber  (wobei  wir  wieder  an  die  obstetrix  denken  müssen),  und  die 
Hegt  entbindet  die  Priesterfrau.  Da  spricht  Isis  zu  dieser:  „Sei  nicht  stark  in 
ihrem  Leibe,  so  wahr  du  Starke  heissf  Darauf  kam  das  Kind  hervor  auf  ihren 
Armen,  als  ein  Kind,  eine  Elle  lang;  dann  vnichsen  ihm  die  Knochen.  Nachdem 
wuschen  sie  das  Kind  und  dann  schnitten  sie  seinen  Nabelstrang  ab  und  legten 
es  auf  ein  Lager.  Es  erschien  darauf  eine  Schicksalsgöttin  und  sprach  eine  Weis- 
sagung für  das  Kind.  Die  drei  Göttinnen  begaben  sich  danach  von  neuem  zum 
Lager  der  Kreissenden,  stellten  sich  ebenso  auf,  und  unter  derselben  Beschwörungs- 
formel der  Isis  wurde  ein  zweiter  Knabe  geboren,  mit  welchem  ebenfalls  so  ver- 
fahren wurde,  wie  mit  seinem  Bruder,  und  in  gleicher  Weise  wurde  dann  noch 
gleich  der  dritte  Bruder  zur  Welt  gebracht. 

Die  eigentliche  Geburtsgöttin,  die  Entbinderin,  ist  also  die  Heqt^  eine 
Göttin,  welche  mit  einem  Frosch-  oder  Krötenkopfe  dargestellt  vrird.  Ob  sich 
hier  ein  Berührungspunkt  enthüllt  zu  den  oben  besprochenen  Beziehungen,  welche 
auch  heute  noch  nach  dem  Glauben  des  Volkes  zwischen  der  Kröte  und  der  Ge- 
bärmutter bestehen,  das  muss  weiteren  Forschungen  überlassen  bleiben. 

Es  wird  dem  Leser  schon  aufgefallen  sein,  dass  die  Stellungen  bei  der  Ent- 
bindung, soweit  wir  es  aus  diesen  Darstellungen  ersehen,  nicht  inmier  die  gleichen 
gewesen  sind.  Wir  begegnen  der  Kreissenden,  wie  sie  auf  dem  Stuhle  sitzend 
niederkommt,  vrir  treffen  die  Niederkunft  auf  dem  Bette,  und  hier  gesellt  sich 
noch  die  Hieroglyphe  hinzu,  welche,  wie  wir  oben  sahen,  die  Geburt  zu  be- 
zeichnen hat;  diese  stellt  die  Kreissende  hockend  dar,  während  das  Kind  geboren 
wird.  Entweder  müssen  wir  nun  also  annehmen,  dass  mit  der  Zeit  der  Gebrauch 
hier  wechselte,  dass  also  in   verschiedenen  Jahrhunderten   verschiedene  Methoden 


804.  Die  Entbindnng  im  alten  Griechenland. 


179 


gebräuchlich  waren;  oder  man  könnte  sich  auch  vorstellen,  dass  in  den  vornehmsten 
und  edelsten  Geschlechtem  in  dieser  Beziehung  andere  Sitten  herrschten,  als  bei 
dem  gemeinen,  niedrigen  Volke.  Vornehme  Damen  liess  man  vielleicht  auf  ihrem 
Prunkbette  niederkommen  oder  auf  dem  Stuhl,  ganz  wie  sie  selber  es  wünschen 
mochten.  Bei  dem  Volke  aber  im  Allgemeinen,  dessen  Lagerstätten  auch  gewiss 
ziemlich  dürftige  waren,  wird  wohl  die  Niederkunft  in  hockender  Stellung  stets 
die  gebräuchlichste  gewesen  sein.  So  würde  es  sich  dann  auch  einfach  erklären, 
dass  gerade  eine  Gebärende  in  dieser  Stellung  als  Hieroglyphe  für  die  Geburt 
gewählt  worden  ist. 

304.   Die  Entbindung  Im  alten  Oriecbenland. 

Künstlerische  Darstellungen  der  Niederkunft  aus  der  Zeit  des  antiken 
Griechenlands  und  Boms  sind,  soweit  des  Verfassers  und  des  Herausgebers 
Kenntnisse  reichen,  in  ausserordentlich  geringer  Anzahl  auf  uns  gekommen.  Wir 
haben  vorher  schon  eine  plastische  Gruppe  aus  Cypern  wiedergegeben;  ich  glaube 
aber  nicht,  dass  dieselbe  griechischen  Ursprunges  ist.  Sie  ist  ihrer  ganzen 
Erscheinung  und  Ausführung  nach  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  einer  vor- 
grieohischen  und,  wie  ich  glaube,  einer  phonicischen  Bevölkerung  zuzu- 
schreiben. Es  hat  sich  auf  Cypern  aber  noch  eine  zweite,  unfehlbar  eine 
Entbindung   darstellende  Gruppe   gefunden,   deren   ganzer  Habitus  dafür  spricht, 

f/'   ^ 


Fig.  289.    Niederkunft  auf  dem  Gebärstuhl;  antike  Kalkstein-Gmppe  aus  Cypern. 

(Nach  PeUma  di  Cesnola.) 


dass  sie  griechischen  Händen  ihre  Entstehung  verdankt.  Sie  wurde  von  dem 
bekannten  Erforscher  des  alten  Cypern  Luigi  Paima  di  Cesnola  im  Jahre  1871 
in  Agios  Photios  entdeckt,  einer  Localitat,  in  welcher  der  glückliche  Finder 
den  berühmten  Aphrodite-Tempel  zu  Golgoi  wieder  aufgefunden  haben  will. 

In  dem  Werke  di  Cesnola^ s  heisst  es: 

«Bei  dem  nördlichen  Eingange  des  Tempels  zu  Agios  Photios,  zwischen  den  ersten 
und  zweiten  Reihen  grosser  viereckiger  Blöcke  oder  Postamente,  fand  sich  eine  andere  Art 
von  Yotivopfergaben ,  nämlich  kleine  steinerne  Gruppen  von  Fraaen,  welche  kleine  Kinder 
hielten  und  bisweilen  säugten,  von  Kühen  und  anderen  Thieren,  die  mit  ihren  Jungen  ähnlich 
dargestellt  waren.  Eine  andere  übel  zugerichtete  Gruppe  besteht  aus  vier  Personen,  von 
denen  die  eine  ein  neugeborenes  Kind  hält,  während  die  Mutter,  auf  eine  Art  Stuhl  hinge- 
streckt mit  Zügen,  die  noch  von  Wehen  verzerrt  sind,  am  Kopfe  von  einer  Dienerin  unter- 
stützt wird.* 

12* 


180  XLIX.  Die  Gebnrtsstelluxig  im  kUBsiBcfaen  Altertham. 

Eine  treue  Copie  dieser  Gruppe  wurde  im  Jahre  1875  durch  Bibhy  der  Dubliner  ge- 
burtshOlf liehen  G^eelischaft  gesendet,  welche  dieses  Object  fttr  so  wichtig  hielt,  dass  sie  es 
durch  eine  bildliche  Darstellung  zuerst  dem  wissenschaftlichen  Publikum  bekannt  gab.  Auch 
erhielt  die  Edinburger  geburtshfilfliche  Gesellschaft  im  Jahre  1878,  und  später  die  Londoner 
gleiche  Gesellschaft  Copien.  Ebenso  findet  sich  die  Gruppe  in  heliotypischer  Darstellung  in 
dem  grossen  Prachtwerke,  das  dt  Cemdla  über  seine  im  Metropolitan  Museum  of  Art 
zu  New  York  befindliche  Sammlung  yerOffentlicht  hat.  Es  heisst  dort  zu  Volume  I,  Plate 
LXVI,  fi^,  435:  Votiye  offering  of  calcareous  stone,  height,  6^/2  inches;  length,  II8/4  inches. 
Found  in  the  temple  (G  olgoi).  Woman  in  childbirth,  seated,  or  redining,  on  a  low,  square 
chair,  without  back  (similar  to  those  used  at  the  present  day  among  the  Cypriotes).  The 
mother  is  supported  bj  a  femaJe  figure,  of  which  the  head  is  broken  off.  Another  female 
figure,  likewise  headless,  is  squatted  at  the  feet  of  the  invalid,  and  holds  the  new-bom  habe, 
which  has  also  been  greatly  defaced.  The  whole  group,  though  very  much  wom,  was  well 
sculptured. 

Fig.  299  fuhrt  uns  diese  Gruppe  yor. 

Dass  es  sich  hier  wirklich  um  die  Darstellung  einer  Niederkunft  handelt, 
kann  durchaus  keinem  Zweifel  uilterliegen  und  das  ist  auch  yon  den  Geburts- 
helfern in  Dublin  und  Edinburg  anerkannt  worden,  während  Se^tjrmann,  sicher- 
lich mit  unrecht,  diese  Deutung  angezweifelt  hat.  Zwar  ist  die  Gruppe  offenbar 
ausserordentlich  beschädigt;  es  fehlen  die  Köpfe  der  beiden  helfenden  Frauen;  sie 
sind  in  der  Abbildung  nur  andeutungsweise  ergänzt.  Allein  das  Bild  des  sich 
zurücklehnenden,  yon  einer  hinter  ihr  befindlichen  Frau  unterstüzten  Weibes, 
zwischen  deren  Schenkeln  eine  helfende  Frau  mit  dem  Neugeborenen  im  Arme 
sitzt,  lässt  nach  meiner  Ansicht  gar  keine  andere  Deutung  zu,  ab  die  einer  so- 
eben Entbundenen. 

Wir  ersehen  hieraus,  dass  in  damaliger  Zeit  die  Gypriotinnen  auf  einem 
Stuhle  sitzend  niederkamen.  Ob  dieser  ein  gewöhnlicher  Sessel  oder  ein  Gebär- 
stuhl war,  muBs  natürlicher  Weise  unentschieden  bleiben.  Interessant  ist  aber, 
dass  di  Cesnöla  schreibt: 

,Die  gegenwärtigen  cypriotischen  Hebammen  besitzen  ähnliche  niedrige  Stühle,  die 
sie  bei  sich  tragen,  wenn  sie  zu  einer  Entbindung  gehen;  ich  habe  selbst  die  Nebenumstftnde 
gesehen,  wie  sie  auf  Jener  Gruppe  sich  zeigen;  sie  stellt  noch  das  heutige  Gebaren  treu  dar. 
Eine  Beifrau  kniet  hinter  der  Gebärenden  und  hält  deren  Haupt  auf  ihrer  Schulter;  die  Weh- 
frau, welche  vor  der  Hoffenden  und  zwischen  deren  gespreizten  Schenkeln  auf  einem  sehr 
tiefen  Schemel  sitzt,  hat  eben  das  Kind  herausgezogen  und  hält  es  auf  ihren  Armen.  Die 
Stühle,  welche  ich  gesehen  habe,  und  besonders  der  eine,  welchen  die  Hebamme  von  Larnaca 
nach  dem  Hause  unseres  Freundes  brachte,  haben  keine  Kissen,  aber  zwei  Arme,  und  der 
Sitz  ist  zwar  nicht  mit  einem  Loche,  aber  mit  einer  eigenthümlichen  mittleren  Firste  ver- 
sehen, offenbar,  um  die  Schenkel  so  weit  als  thunlich  aus  einander  halten  zu  können." 

PouqueviUe  giebt  aus  Griechenland  eine  Abbildung,  die  er  als  eine  Ge- 
burtsscene  deutet.  Auf  einem  ziemlich  hochbeinigen  Stuhl  ohne  Lehne  sitzt  mit 
zurückgebeugtem  Oberkörper  eine  Frau,  hinter  der  eine  andere  steht,  welche  sie 
im  Rücken  durch  Anlehnen  ihres  Körpers  stützt.  Dabei  scheint  die  Stehende 
die  Entbundene  unter  den  Achseln  zu  halt^.  Vor  den  Füssen  der  letzteren  hebt 
die  Hebamme  das  völlig  nackte  Neugeborene  vom  Boden  auf,  während  eine  da- 
neben stehende  Frau  die  Umhüllung  des  Kindes  bereit  hält  Zwei  andere  Weiber 
beschäftigen  sich  damit,  aus  den  Sternen  unter  Yergleichung  eines  Himmelsglobus 
das  zukünftige  Schicksal  des  Kindes  zu  enträthseln. 

Es  geht  auch  aus  den  hippdkratiscken  Schriften  hervor,  dass  bei  den 
Griechen  die  Kreissenden  unter  gewissen  Verhältnissen  auf  einen  Stuhl  gebracht 
und  im  Sitzen  entbunden  wurden.  Floss^^  hat  hierüber  in  seiner  Monographie 
berichtet.  Schon  Hippokrates  spricht  davon,  dass  die  Gebärende,  wenn  sie  auf 
dem  Lasanon  nicht  sitzen  könne,  dann  auf  einen  Diphros,  d.  h.  einen  Stuhl  ge- 
bracht werden  soll,  der  eine  zurückgebogene  Lehne  und  einen  Sitzausschnitt  hat. 
Es  wurde  dort  angeführt,  dass  Lasanon  wahrscheinlich  einen  Nachtstuhl  bedeutet ; 


305.  Die  Entbindung  im  alten  Rom. 


181 


dass  dagegen  Diphros,  von  welchem  ausser  Hippohrates  dann  noch  Ärtemidorus^ 
Daldianus  und  Moschion^  am  ansflihrlichsten  aber  Soranus^  sprechen,  unzweifel- 
haft ein  eigentlicher  Gebär-  oder  Ereissstuhl  gewesen  ist. 

Wie  der  Gebärstuhl  des  Soranus  beschaffen  war,  das  haben  wir  oben  be- 
reits berichtet. 

Wdcker  ist  der  Ansicht,  dass  die  Frauen  im  alten  Griechenland  auch 
bisweilen  in  knieender  Stellung  niedergekommen  sind,  jedoch  sagt  er  selbst,  dass 
er  dieses  nur  aus  einigen  Mythen  und  Götterbildern  zu  yermuthen  wage.  Nun 
hat  PI088  schon  darüber  Bedenken  ausgesprochen,  und  es  ist  allerdings  schwer 
zu  begreifen,  was  Wdcker  yeranlassen  konnte,  in  der  Marmorfigur  eines  knieenden 
Weibes,  welche  Blouet  auf  der  Insel  Mikoni  entdeckte,  eine  niederkommende 
Leto  erkennen  zu  wollen. 


805.  Die  Entbindung  im  alten  Born. 

Auch  aus  den  Zeiten  der  Rom  er  sind  uns  einige  wenige  Darstellungen  der 
Niederkunft  erhalten.  Welcher  verweist  auf  ein  Bildwerk  in  einem  Golumbarium, 
das  in  einer  Yigna  des  Cav,  Campana  Yor  der  Porta  latina  steht.  Hier  ist 
eine  Gebärende  Yorgeftihrt,  aus  welcher  das  Kind  sich  in  kräftiger  Haltung  heraus- 
streckt. Mit  Recht  fragt  Häser:  «Sollte  nicht  diese  Darstellung  dazu  dienen, 
als  Grabdenkmal  die  Todesart  der  Frau  zu  Yersinnbildlichen?''  Das  ist  in  hohem 
Grade  wahrscheinlich  und  das  Bildwerk  erlangt  auf  diese  Weise  eine  cultur- 
geschichÜiche  Bedeutung. 


Fig.  300.    Die  Gebort  des  Kaieen  Titus. 
(DeokeBgemälde  im  Palut  des  Titns  auf  dem  Esqailinin  Bom.)    (Ans  P/ost^o,) 


Von  SicJder  und  Beinhart  wird  ein  antikes  Deckengemälde  abgebildet 
(Fig.  300),  welches  aus  dem  Palaste  des  Titus  auf  dem  Esquilin  in  Rom  her- 
stammt und  die  Geburt  dieses  Kaisers  zum  Gegenstande  hat.  Das  Kind  soll  eben 
Yon  einer  knieenden  Dienerin  gebadet  werden,  während  ein  alter  SclaYe  Wasser 
in  die  kleine  Wanne  giesst.  Die  hohe  Wöchnerin  liegt  halb  aufgerichtet  und  auf 
den  linken  Ellenbogen  gelehnt,  auf  ihrem  Bette.  Eine  stehende  Frau  halt  ihren 
ausgestreckten  rechten  Arm. 


182  XLIX.  Die  Geburtsstellaog  im  klassischen  Alterthum. 

Die  Copie  einer  ziemlich  späten  römischen  Darstellung  yon  der  Gebart 
des  ÄchiUes  giebt  Baumeister  nach  einer  gewohnlich  als  Brunnenmündung  be- 
zeichneten Marmortafel  des  capitolinischen  Museums  in  Rom.  Die  uns  interes- 
sirende  Scene  zeigt  die  TTietis  auf  ihrem  Bette  sitzend,  die  Füsse  auf  eine  breite 
Fnssbank  gestützt.  Nur  ihre  Hüften  und  Beine  werden  von  einem  Gewände  um- 
hüllt; der  ganze  Oberkörper  nebst  dem  Bauche  ist  nacki  Die  linke  Hand  ist 
auf  das  Lager  gestützt,  die  rechte  hat  die  linke  Brust  gefasst,  und  zwar  zwischen 
Zeigefinger  und  Mittelfinger,  bereit,  sie  dem  Kinde  darzureichen.  Dieses  ruht  auf 
den  Armen  einer  kauernden  Magd,  die  es  eben  einer  Badeschale  enthebt  oder  es 
in  dieselbe  eintauchen  will. 

Wir  ersehen  aus  diesen  Darstellungen,  dass  die  romischen  Damen,  wenn 
auch  der  Gebärstuhl  bekannt  und  in  manchen  Fallen  in  Anwendung  war,  doch 
gewiss  für  gewöhnlich  in  ihrem  Bette  niederkamen,  was  übrigens  auch  von  vielen 
alten  Schriftstellern  bezeugt  worden  ist. 


L.  Die  Trennung  des  Neugeborenen  von  der  Mutter. 

306.  Giebt  es  einen  Instinct  In  der  Bebandlung  der  Nacbgebnrtsperlode? 

Wenn  irgendwo  bei  primitiven  Stammen,  die  auf  der  niedrigsten  Stufe 
menschlicher  Gnltar  sich  befinden,  yon  einem  Instincte  bei  der  Niederkmift  die 
Rede  sein  soll,  so  müsste  sich  derselbe  in  der  sogenannten  Nachgeburtsperiode 
documentiren.  Muss  es  doch  für  rohe  Völker  etwas  ausserordentlich  Ueber- 
raschendes  und  Verblüffendes  haben,  zu  sehen,  dass,  wenn  nun  endlich  nach  allen 
Wehenschmerzen  und  Anstrengungen  das  Kind  aus  dem  Mutterleibe  heraus- 
getreten ist,  es  doch  noch  immer  im  Zusammenhange  mit  seiner  Mutter  verblieben 
ist.  Schon  liegt  das  Neugeborene  vor  der  Mutter  auf  dem  Erdboden,  aber  noch 
führt  von  seinem  Nabel  der  so  absonderlich  aussehende,  eigenthümlich  gallert- 
artige Nabelstrang  in  die  Geschlechtstheile  der  Mutter  zurück  und  liefert  ihr  den 
handgreiflichen  Beweis,  dass  sie  immer  noch  nicht  das  Kiai  vollständig  los  ist, 
dass  es  immer  noch  innig  mit  ihr  zusammenhängt,  kurz,  dass  die  Niederkunft 
noch  nicht  vollkommen  beendet  ist.  Was  beginnt  nun  die  junge,  von  allen  den 
Ihrigen  verlassene  Mutter,  müssen  wir  uns  fragen.  Wartet  sie  ab,  bis  der  Mutter- 
kuchen von  selbst  ihren  Körper  verlässt  und  bis  sie  fühlt,  dass  nun  die  Ent- 
bindung perfect  geworden  ist,  oder  sucht  sie  bereits  vorher  ihren  Zusammenhang 
mit  dem  Kinde  gewaltsam  zu  lösen? 

Wenn  wir  in  dieser  Beziehung  bei  den  Volksstämmen  niederster  Cultur  eine 
vollständige  üebereinstimmung  nachzuweisen  im  Stande  wären,  dann  müssten  wir 
es  natürlicher  Weise  für  erwiesen  betrachten,  dass  hier  im  wahren  Sinne  des 
Wortes  ein  instinctives  Handeln  vor  unseren  Augen  liegt  Aber  auch  hier 
müssen  wir  vriederum  erklären,  dass  eine  solche  Üebereinstimmung  in  den  von 
den  Naturvölkern  in  Anwendung  gebrachten  Maassnahmen  sich  nicht  auffinden 
lässt.  Nach  den  vorliegenden  Beobachtungen  bedienen  sich  dieselben  sehr  ver- 
schiedener Verfahrungsweisen,  so  dass  wir  also  auch  hier  wieder  nicht  berechtigt 
sind,  von  einem  Instmcte  zu  reden. 

Allerdings  dürfen  wir  nicht  vergessen,  dass  selbst  in  dem  höheren  Thier- 
reiche  ein  übereinstimmendes  Benehmen  nicht  nachweisbar  ist.  Bei  den  Kühen 
und  Pferden  z.  B.  zerreisst  die  Nabelschnur,  indem  das  Junge  zu  Boden  fallt  oder 
das  Mutterthier  aufsteht;  das  junge  Schwein  tritt  auf  die  Schnur  und  zerrt  daran, 
bis  sie  zerreisst;  bei  Baubthieren  frisst  die  Mutter  die  Nachgeburt  und  zerkaut 
den  Nabelstrang  bis  in  die  Nähe  des  Nabels. 

Jedenfalls  werden  wir  wohl  das  Richtige  treffen,  wenn  wir  annehmen,  dass 
auch  in  diesem  letzten  Theile  der  Niederkunft  bei  dem  menschlichen  Weibe  nicht 
der  Instinct  das  Handeln  leitet,  sondern  dass  auch  hier  Brauch,  Sitte  und  6e- 
wohnlieit,  oder  auch  wohl  die  Noth  des  Augenblicks  die  Richtschnur  abzugeben 
pflegen. 


184  L.   Die  Trennung  des  Neugeborenen  von  der  Mutter. 

807.  Die  Durchtrennuiig  des  Nabelstranges  oder  die  Abnabelung 

des  Kindes. 

Für  das  Leben  des  Bandes  ausserhalb  des  Mutterleibes  ist  es  nothwendigf 
dass  seine  Abtrennung  yon  den  NachgeburtstheQen  erfolgt,  welche  jetzt  f&r  das 
Kind  nicht  nur  Überflüssig,  sondern  sogar  höchst  gefahrvolle  Anhänge  geworden 
sind.  Denn  wenn  die  Abtrennung  der  Nachgeburtstheile  unterlassen  wird,  so  kann 
es  einestheils  zu  lebensgefahrlichen  Blutungen  kommen,  anderentheils  aber  würde 
sehr  bald  der  Mutterkuchen  einer  &uligen  Zersetzung  unterliegen,  und  die  Producta 
der  Fäulniss  würden  als  ein  bedrohliches  Gift  in  den  Organismus  des  Kindes 
übergeführt  werden. 

Wir  wollen  fürs  erste  davon  absehen,  ob  bei  dem  Neugeborenen  der  Nabel-* 
sträng  vor  dem  Abgange  der  Placenta  aus  dem  Mutterleibe  oder  erst  hinterher 
durchtrennt  wird,  und  wollen  nur  daran  erinnern,  dass  es  wohl  nicht  sehr  zu 
verwundem  ist,  dass  man  überhaupt  dazu  kam,  eine  solche  Trennung  vorzu- 
nehmen. Musste  doch,  wenn  das  Kind  sowohl,  als  auch  der  Mutterkuchen  geboren 
war,  der  letztere  als  ein  sehr  überflüssiger  und  sehr  wenig  appetitlicher  Anhang 
an  dem  kindlichen  Körper  erscheinen,  zu  dessen  Abtrennung  der  lange  und  dünne 
Nabelstrang  um  so  mehr  herausfordern  musste,  als  er  in  seiner  glasigen,  an  eine 
Gallerte  erinnernden  Beschaffenheit  den  Eindruck  hervorruft,  als  wenn  ein  ein- 
facher Fingerdruck  ausreichen  würde,  ihn  zu  zerstören. 

Bekanntermaassen  wird  bei  allen  civilisirten  Völkern  der  Nabelstrang  des 
Kindes,  bevor  man  dieses  von  der  Nachgeburt  abtrennt,  unterbunden,  d.  h.  es  wird 
in  einer  gewissen  Entfernung  von  dem  kindlichen  Körper  ein  Bändchen  fest  um 
den  Nabelstrang  geknotet,  um«  nach  dem  Durchschneiden  des  letzteren  eine  für 
das  Kind  gefahrliche  Blutung  aus  seinen  Geissen  zu  verhindern. 

Das  Unterlassen  dieser  Unterbindung  des  Nabelstranges  vor  der  Durch- 
trennung würde  man  bei  den  heutigen  Gulturvölkem  ganz  allgemein  der  Hebamme 
als  eine  schwere  Unterlassungssünde,  als  einen  dem  Strafgesetze  unterliegenden 
Kunstfehler  anrechnen.  Um  so  mehr  muss  es  uns  Wunder  nehmen,  wenn  wir  er- 
fahren, dass  einige  der  wenig  civilisirten  Yölkerstamme  von  dieser  Unterbindung 
keine  Ahnung  zu  haben  scheinen.  Bei  anderen  ist  sie  bekannt,  aber  es  finden 
sich  in  der  Art  ihrer  Ausführung  mannigfache  Verschiedenheiten. 

Es  soll  in  den  folgenden  Zeilen  dem  Leser  vorgeführt  werden,  was  wir  nach 
den  Angaben  der  Reisenden  über  die  Art  und  Weise  wissen,  wie  bei  den  ver- 
schiedenen Völkern  die  Abnabelung  des  Kindes  vorgenommen  wird,  und  hierbei 
werden  wir  erkennen,  dass  häufig  selbst  bei  demselben  Stanmie  nicht  stets  die 
gleiche  Methode  befolgt  wird,  sondern  dass  mehrere  Formen  der  Abnabelung 
bei  ihnen  in  gleicher  Weise  gebräuchlich  sind.  Wir  beginnen  mit  den  im  All- 
gemeinen als  am  niedrigsten  auf  der  Stufenleiter  menschlicher  Givilisation  stehend 
betrachteten  Volksstfimmen,  mit  den  Australiern  und  Oceaniern. 


308.  Die  Abnabelang  bei  den  Oceaniern. 

Am  Plinders  River  im  nördlichen  Australien  wird,  wie  Paimer  berichtet, 
von  den  Eingeborenen  die  Nabelschnur  ganz  nahe  an  dem  Bauche  des  Kindes 
mit  einer  Muschelschale  abgeschnitten;  eine  weitere  Pflege  und  Behandlung  der- 
selben findet  aber  bei  ihnen  nicht  statt. 

Bei  den  centralaustralischen  Schwarzen  am  Finke-Greek,  nahe  der 
Mac-Donnell-Kette,  bindet  man  vor  der  Entfernung  der  Nachgeburt  um  die 
Nabelschnur  des  eben  geborenen  Kindes  einen  Faden,  sodann  schneidet  man  sie  an 
der  Abbindungsstelle  mit  einem  Steine  durch  oder  trennt  sie  mit  den  Fingernägeln 
ab.     (Kempe.)      Diese   Angabe   stimmt   fast   ganz    überein   mit    den   Berichten, 


>X\'.'  "• 


308.  Die  Abnabelang  bei  den  Oceaniem.  185 

welche  Hooker  aus  mehreren  Theilen  Australiens  einzog;  einer  seiner  Bericht- 
erstatter behauptet  ausdrücklich,  dass  die  australischen  Wilden  von  jeher  stets 
den  Nabelstrang  etwa  1 — 2  Zoll  vom  Nabel  des  Kindes  entfernt  mit  einem  Strang 
der  Muka  (zugerichteter  Flachs)  unterbunden  haben;  dann  erst  wurde  der  Nabel- 
strang auf  ein  Stück  Holz  gelegt  und  hierauf  ungefähr  einen  Fuss  vom  Körper 
des  Kindes  entfernt  mittelst  eines  scharfen,  geschliffenen  Steines  oder  einer  Muschel 
durchschnitten.  Derselbe  Berichterstatter  setzt  hinzu:  „Diese  Sitte  ist  nicht  erst 
durch  die  moderne  Giyilisation  eingef&hrt,  wie  mehrere  Beobachter  angeben.'' 
Die  scharfe  Muschel  (Pipi  oder  Kutai)  wird  zu  diesem  Zwecke  besonders  ausge- 
wählt und  zugerichtet  und  auch  sorgfältig  aufgehoben.  Der  Stein,  welcher  eben- 
fidls  zum  Durchschneiden  diente,  ist  ein  Tuhua  (Obsidian);  man  zieht  ihn  einem 
Messer  oder  einer  Scheere  Yor.  Allein  nach  Ausspruch  Hoolcers  ist  unter  den 
australischen  Eingeborenen  die  Ligatur  wenigstens  nicht  allgemein  gebräuchlich; 
derselbe  sagt: 

„Die  J^geborene  Anstraliens  besprengt  und  bestftubt  ^as  Ende  des  abgeschnittenen 
Nabelttranges  mit  feinem  Holzkohlenpulyer;  einige  bringen  an  der  Nabelschnur  keine  Ligatur 
an,  sondern  reiben  das  Ende  derselben  mit  Asche  und  bestäuben  es  mit  Holzkohle;  auch 
sagt  man,  dass  sie  in  dem  abgeschnittenen  Nabelstrangreste  einen  sogenannten  „Oberhand- 
I^noten"  (oyerhand-knot)  anbringen." 

Etwas  Anderes  berichtet  Freycinet: 

„Der  Vater  des  Kindes,  das  soeben  zur  Welt  gekommen,  erfasst  die  Nabelschnur,  die 
ein  Anderer  mit  einer  Muschelschale  durchschneidet;  dann  wird  die  Wunde  mit  einem  er- 
hitzten Pelikan-  oder  K&nguruhknochen  gerieben." 

Nach  allen  diesen  Berichten  kennen  also  schon  die  Australier  die  ver- 
schiedenen Methoden  zur  Verhütung  der  Blutung:  die  Anwendung  einfacher  Styptica 
(Asche  und  Kohle),  die  Knotenschlingung  und  die  Application  Yon  Hitze  und 
Reibung. 

Ueber  die  Frauen  der  Maori  auf  Neu-Seeland  erfuhr  Hooker,  dass  sie 
stets  in  der  Einsamkeit  gebären  und  keine  Hülfe  haben  weder  zur  Durchtrennung 
des  Nabelstranges  noch  zum  Beseitigen  der  Placenta.  Auch  Nickolas  sagt,  die 
Gebarende  schneide  die  Nabelschnur  selbst  ab ;  und  nach  Dieffenbach  geschieht  dies 
mit  einer  Muschel;  der  üblen  Behandlungsweise  der  Nabelschnur  schreibt  derselbe 
das  häufigere  Vorkommen  der  Nabelbrüche  zu.  Nach  FurAe  wird  der  Nabel- 
strang niemab  unterbunden,  sondern  nur  geknotet.  Auch  die  Neu-Britannie- 
rinnen  knüpfen  nach  Banks  die  Nabelschnur  in  einen  Knoten,  bevor  sie  sie 
durchschneiden. 

Bei  den  Doresen,  einem  Papua-Stamme  auf  Neu-Guinea,  wird  der 
Nabelstrang  mit  einem  zugeschärften  Stück  Bambusrohr  durchschnitten,  (i;.  Bösen- 
herg.)  üeberhaupt  ist  der  Bambus  in  der  Südsee,  wo  er  so  vielfache  Verwendung 
im  Technischen  findet,  auch  zu  solchem  Zwecke  sehr  allgemein  an  Stelle  des 
Messers  oder  einer  Scheere  im  Gebrauch. 

Solch  Bambusstück  benutzen  auch  die  Hebammen  auf  der  zu  den  Neu- 
Hebriden  gehörigen  Insel  Vate.  Die  Durchtrennung  findet  3  Zoll  von  dem 
Kinde  statt  und  der  Nabelschnurstumpf  wird  weder  unterbunden  noch  auch  ein- 
gehüllt.   (Jamieson.) 

Ein  Bambusstück  dient  auch  in  Neu-Galedonien  zur  Durchschneidung  der 
Nabelschnur,  aber  manche  Hebammen  bedienen  sich  hierzu  auch  einer  Muschel. 
Nach  Vinson's  Angabe  durchtrennen  sie  die  Nabelschnur,  bevor  noch  die  Placenta 
geboren  wurde. 

Auf  den  Sandwichs-Inseln  hält  sich  der  Mann  gewöhnlich  in  der  Nähe 
der  Entbindungshütte  auf,  in  welcher  seine  Frau  niederkommt;  sobald  er  benach- 
richtigt wird,  dass  das  Kind  geboren  ist,  eilt  er  hinzu  und  schneidet  mit  einem 
scharfen  Stein  etwa  einen  Fuss  vom  Nabel  des  Kindes  entfernt  die  Nabelschnur 
ab.    Langsdorff^   welcher  dieses  berichtet,  sah  dort  viele  Menschen  mit  grossem. 


186  L*  ^io  Trennung  des  Neugeborenen  von  der  Mutter. 

hervorgewölbtem  Nabel,  einem  Nabelbrüche  gleich.  Er  glaubt,  dass  dieses  die 
Folge  ist  von  der  Art,  wie  man  dort  den  Nabelstrang  behandelt.  Der  Nabel- 
schnnrrest  wird  nämlich  in  einen  Knoten  geschlungen  und  bleibt  an  dem  Kinde 
solange  ungeschützt  hängen,  bis  er  von  selber  abgestossen  wird. 

Während  man  für  gewöhnlich  eine  zu  kurze  Abnabelung,  d.  h.  eine  Durch- 
schneidung  der  Nabelschnur  zu  nahe  an  dem  kindlichen  Korper  fär  die  spätere 
Entstehung  eines  Nabelbruches  verantwortlich  macht,  soll  hier  das  Uebermaass 
im  entgegengesetzten  Sinne,  das  Belassen  eines  besonders  langen  Stückes  der 
Nabelschnur  an  dem  Leibe  des  Neugeborenen  zu  dem  gleichen  Ergebniss  führen. 
Das  ist  eine  Hypothese,  die  noch  einer  genaueren  Prüfimg  bedarf. 

Auf  der  Marquesas-Insel  Nukahiva  führt  der  Ehegatte  die  Durch- 
schneidung mit  einem  Steinmesser  aus. 

Englische  Missionäre,  welche  Tahiti  in  den  Jahren  1796 — 98  besuchten, 
sagen  aus,  dass  dort  die  Frauen  allein  niederkamen,  ohne  dass  Jemand  zu  ihrer 
'ELtiüe  bereit  ist.  Sie  durchtrennten  dann  auch  selber  die  Nabelschnur  des  Kindes 
und  zwar  3  Zoll  von  dem  Körper  des  Letzteren;  vorher  aber  unterbanden  sie  die- 
selbe.   (Moreau.) 

Von  den  Yiti-Inseln  berichtet  Elyth^  dass  die  eingeborenen  Hebanmien 
daselbst  mit  der  Durchschneidung  des  Nabelstranges  zu  warten  pflegen,  bis  auch 
die  Nachgeburt  zu  Tage  getreten  ist.  Dann  nehmen  sie  die  Durchschneidung 
mit  einer  Muschelschale  vor.  Das  fötale  Ende  wird  niemals  unterbunden,  sondern 
wird  nur  locker  in  ein  Stück  von  einheimischem  Zeug  eingewickelt.  Bisweilen 
finden  aus  diesem  nicht  imterbundenen  Ende  Blutungen  statt,  aber  es  werden  keine 
Versuche  gemacht,  dieselben  zu  stillen.  Die  Hebammen  verlassen  sich  einfach 
darauf,  dass  durch  die  Hülfskräfte  der  Natur  diese  Nabelblutung  von  selber  zum 
Stillstande  kommen  würde,  und,  wie  sie  behaupten,  haben  derartige  Hämorrhagien 
niemals  einen  tödtlichen  Ausgang. 

Auch  auf  den  kleinen  Inselgruppen  des  alfurischen  Meeres  spielt  der 
Bambus  bei  der  Durchtrennnng  des  Nabelstranges  eine  grosse  Rolle.  Wir  treffen 
ihn  fast  auf  allen  diesen  Inseln  an,  und  von  Buru,  Eetar,  Ambon,  den  XJliase-, 
Tanembar-  und  Timorlao-Inseln  und  dem  Babar- Archipel  erfahren  wir,  dass 
dieses  Stück  Bambus  scharf  sein  muss.  Auf  der  Insel  Keisar,  sowie  auf  Romang, 
Teun,  Dama,  Nila  und  Serua  benutzt  man  eine  Bambushülse,  auf  den  Watu- 
bela-Inseln  ein  Stück  Palmenholz  und  auf  Seranglao  und  Gorong  ein  Stück 
einer  jungen  Gabagaba  oder  die  Rinde  von  Sagu-Rippen.  Die  Abtrennung  scheint 
hier  meistens  erst  vorgenommen  zu  werden,  nachdem  der  Mutterkuchen  zu  Tage 
getreten  ist;  von  Buru,  den  Watubela-,  Keei-,  Tanembar-,  Timoriao-, 
Luang-  und  Sermata-Inseln  wird  dieses  direct  angegeben.  Von  einer  vor- 
herigen Unterbindung  des  Nabelstranges  erfahren  wir  nur  von  Buru,  Ambon 
und  den  XJliase-Inseln;  auf  diesen  letzteren  benutzt  man  zu  diesem  Zwecke 
Ananasgam. 

Die  Abtrennung  wird  auf  Leti,  Moa  und  Lakor  3  cm,  auf  den  Keei- 
Inseln  4  cm  und  auf  den  Watubela-Inseln  1 — 2  cm  vom  kindlichen  Körper 
entfernt  vorgenommen. 

Auf  den  Uliase-Inseln  und  Ambon  legt  man  auf  die  Nabelwunde  blut- 
stillende Mittel:  Kalk  und  Essig,  auch  wohl  einen  Umschlag  von  Gurcuma  longa 
und  Muskatnuss;  auf  den  Luang-Sermata-Inseln  benutzt  man  hierzu  feingekaute 
Wurzeln  und  Blätter,  auf  den  Babar-Inseln  einen  Brei  von  feingestampften  und 
warm  gemachten  Sirih-Blättem,  auf  Leti,  Moa  und  Lakor  Kalapa-Oel,  und  auf 
Eetar  nasses  Sagomehl  mit  verfaultem  Holz. 

Auf  den  Seranglao-  und  Gorong-Inseln  wird  das  Neugeborene  mit  der 
Placenta  in  lauwarmem  Wasser  gewaschen.  Auf  den  Aaru- Inseln  wäscht  man 
sogar  ausser  dem  Kinde  auch  noch  die  Mutter  mit  lauem  Wasser,  bevor  man  die 
Durchtrennung  des  Nabelstranges  vornimmt.    Auch  hier  wird  die  Durchtrennung 


809.  Die  Abnabelung  in  Asien.  187 

mit  einem  Stückchen  Bambus  ausgeführt.  (Ribbe.)  Auf  den  Babar-Inseb  wird 
vor  dieser  Waschung  und  Abnabelung  erst  das  Kind  von  dem  Vater  durch  Auf- 
heben von  der  Erde  anerkannt.  Als  Badewasser  für  das  Kind  benutzt  man  auf 
Eetar  laues  Wasser  aus  Kalapa-Schalen  oder  aus  Bambus,  und  auf  Keisar  wird 
es  nach  dem  lauen  Wasserbade  mit  feingekauten  Wurzeln  von  Acorus  terrestris 
bestrichen;  auf  beiden  Inseln  wird  ebenfalls  erst  nach  diesen  Proceduren  der 
Nabelstrang  durchgeschnitten. 

Ein  eigenthümliches  Yer&hren  herrscht  auf  den  Inseln  Leti,  Moa  und 
Lakor:  wenn  das  Kind  geboren  ist,  so  dreht  es  die  Frau,  welche  es  in  Empfang 
genommen  hat,  dreimal  links  um  die  Placenta  herum,  in  der  Absicht,  wie  behauptet 
wird,  um  die  Athmung  bequem  zu  machen.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  hier- 
durch eine  Torquirung  der  Nabelstrangblutgefasse  bewirkt  werden  muss;  wir  haben 
hier  also  eine  unbewusst  ausgeführte  Biut^illungsmethode  vor  uns.  Danach  wird 
das  Kind  gebadet  und  erst  nach  der  Geburt  der  Placenta  abgenabelt. 


309.  Die  Abnabelung  in  Asien. 

Die  zuletzt  genannten  Inselgruppen  haben  uns  schon  nach  Asien  hinüber- 
geleitet. 

Von  den  Sulanesen  berichtet  Riedel^  dass  dort  die  Nabelschnur  mit  einem 
Faden  unterbunden  und  mit  einem  Bambusstück  abgeschnitten  wird.  Auf  die 
Wunde  legen  sie  ein  Gataplasma  aus  feingestampftem  Kon  (Gurcuma  longa), 
Bana  (Zingiber  officinale)  und  Bawabote  (Allium  cepa). 

Nach  Hdfrich  wird  der  Nabelstrang  in  Kroe  auf  Sumatra  zuerst  mit  einem 
Faden  oder  mit  der  Faser  einer  Harami  genannten  Pflanze  unterbunden  und 
darauf  abgebissen,  bisweilen  aber  auch  mit  einem  Bambusmesser  durchtrennt.  Auch 
hier  bedeckt  man  die  Wunde  des  Stumpfes  mit  feingeriebener  Gurcuma. 

Auf  Java  gebrauchen  die  Hebammen  bei  dem  Durchschneiden  der  Nabel- 
schnur stets  nur  Bambusmesser.     (Koegd.) 

Bei  den  Minkopies  auf  den  Andamanen-Inseln  wurde  die  Nabelschnur 
bis  vor  Kurzem  mit  Hülfe  einer  Gyrene-Muschel  durchschnitten.  Neuerdings  aber 
benutzen  sie  zu  diesem  Zwecke  ein  Messer.  {Man.)  Ein  Brahmanenstraf ling, 
welcher  1858  zu  diesem  äusserst  rohen  Volke  floh  und  längere  Zeit  unter  ihm 
lebte,  giebt  ausdrücklich  an,  dass  bei  demselben  der  auf  Fingerlänge  abgeschnittene 
Nabelstrang  nicht  unterbunden  wird.     Auch  Jagor  berichtet: 

«Unter  den  Andamanesen  schneidet  die  der  Gebärenden  helfende  Frau  die  Nabel- 
Bchnor  mit  der  scharfen  Kante  einer  Muschelschale  ab;  von  der  NabeUchnor  bleibt  ein  StQck 
von  6  Zoll  Lftnge  zurück;  die  Unterbindung  geschieht  mit  Bindfaden.* 

Auf  den  Philippinen  nehmen  JiB/ch  Schadenberg  Aie  Etas  die  Nabelschnur- 
durchschneidung  mit  einem  Bambusstück  vor;  die  Negritas  bedienen  sich  ausser- 
dem aber  auch  wohl  einer  Austemschale  oder  eines  scharfen  Steines. 

Nach  Jagor  wird  bei  der  südindischen  Sclavenkaste,  den  Vedas,  die 
Nabelschnur  von  der  Mutter  selbst  mit  einem  Rohrmesser  durchschnitten  und  danach 
geknotet.  Bei  der  Pulayer-Sclavenkaste  in  Malabar  wird  die  Nabelschnur  mit 
einem  Messer  oder  einem  Bambus-Spliss  durchtrennt  und  mit  einem  Faden  unter- 
bunden. Bei  den  Badagas,  einem  Volke  im  Nilgiri-Gebirge,  wird  die  Nabel- 
schnur mit  einem  beliebigen  Faden  gebunden  und  mit  einem  Rasirmesser  durch- 
schnitten. Die  Naak  oder  Naya-Kurumbas  im  Nilgiri-Gebirge  unterbinden 
den  Nabelstrang  und  durchschneiden  ihn  mit  einem  Messer  oder  einem  scharfen 
Bambusspahn. 

Eine  andere  Angabe  aus  Süd-Indien  ohne  nähere  Bezeichnung  des  Volks- 
stammes, also  auch  wohl  die  besser  situirten  Klassen  daselbst  betreffend,  ver- 
danken wir  Shortt: 


188  L.  Die  Tremmng  des  Neageborenen  Yon  der  Mutter. 

,,Die  Hebammen  besorgen  dort  das  Abnabeln  erst  nach  dem  Austritt  oder  der  Aus- 
ziehung  der  Placenta;  zuerst  wird  das  Kind  zur  Vornahme  dieser  Procednr  auf  ein  Matr&tzchen 
gelegt,  dann  vier  Zoll  vom  Nabel  des  Kindes  entfernt  um  den  Nabelstrang  ein  Läppchen 
gewunden,  hierauf  die  Nabelschnur  an  der  Placenta  -  Seite  mit  einer  Eomsiohel  zerschnitten 
und  das  Schnittende  mit  verbrannten  Läppchen,  mit  schwarzem  Papier  oder  mit  Asche  und 
Wasser  bedeckt/' 

MarshaU  berichtet  von  den  Todas:  „Der  Nabelstrang  wird  auf  einem  unter- 
gelegten StQck  Holz  mit  einem  Messer  durchtrennt/^    Unterbindung  ist  unbekannt. 

Ueber  die  bei  den  Hindu  herrschenden  Gebrauche  sagte  Sintaram  Sukt- 
hankar:  Der  Nabelstrang  wird  2  Zoll  yon  dem  Nabel  entfernt  mit  einem  Messer 
durchschnitten  und  der  Stumpf  wird  dann  mit  etwas  Moschus  eingerieben.  Darauf 
wird  er  mit  einem  baumwollenen  Faden  unterbunden,  und  dieser  Faden  wird  locker 
um  den  Hals  des  Kindes  geschlungen  und  bleibt  hier  liegen,  bis  der  Nabelschnur- 
rest eingetrocknet  ist  und  sich  von  dem  Körper  des  Kindes  losgelöst  hat.  Dieses 
Abfallen  des  Nabelschnnrrestes  findet,  wie  bei  den  Kindern  unserer  Rasse,  nach 
5  bis  7  Tagen  statt.  Dann  wird  der  Nabel  mit  einem  einheimischen  Zahnpulver- 
präparat  bedeckt  und  oben  auf  ein  Kupferstück  gelegt  und  mit  einem  Zeugstück, 
das  rings  um  den  Leib  gelegt  wird,  befestigt.  Dies  geschieht,  um  Nabelbrüchen 
vorzubeugen. 

üeber  die  Abnabelung  bei  den  wilden  Stammen  yon  Malacoa  hat  Stevens 
interessante  Angaben  gemacht.  Die  Nabelschnur  wird  soweit  entfernt  vom  Körper 
des  Kindes  unterbunden,  dass  das  stehenbleibende  Stück  bis  zu  dem  Knie  herab- 
reicht. Die  Durchschneidung  kann  irgend  eine  Frau  yomehmen;  es  wird  zu 
diesem  Zweck  aber  eine  Unterlage  yon  weichem  Juletong-Holze  verwendet,  welche 
Potong  Pusat  genannt  wird.  Man  darf  zum  Durchschneiden  kein  eisernes 
Werkzeug  benutzen.  Früher  nahm  man  eine  weisse  Schnecke,  jetzt  werden  Bam- 
busmesser, Semilow  genannt,  oder  Messer  aus  dem  Blattstiele  der  Bertam-Palme, 
Tappar  genannt,  von  den  Orang  Semang  verwendet.  Auch  die  Orang  Benüa 
benutzen  Bambusmesser,  welche   die  Form  eines  grossen  Tranchirmessers  haben. 

Am  eigenthümlichsten  sind  die  Instrumente,  mit  welchen  die  Orang  Sinnoi 
die  Nabelschnur  durchtrennen.  Sie  sind  aus  Holz  geschnitzt  und  haben  eine 
grosse  Aehnlichkeit  mit  einer  schmalen  Fuchsschwanzsage.  Das  hölzerne  Sägen- 
blatt ist  durch  einen  schmalen  Talon  mit  dem  zierlichen  Griff  verbunden  und 
trägt  auf  der  Unterseite  eine  doppelte  Reihe  von  Sägezähnen.  Diese  Geräthe 
heissen  Smee  Karr  und  sie  werden  von  der  Hebamme  auch  benutzt,  um  die 
Zaubermuster  auf  die  Bambusgefasse  (Ghit-nort)  aufzutragen,  aus  welchen  die 
Menstruirenden  gewaschen  werden.  Bei  den  Orang  Laut  misst  die  Hebamme 
drei  Breiten  des  Bambusmessers  von  der  Nabelschnur  von  dem  Kinde  aus  ab  und 
unterbindet  hier;  das  entspricht  dreimal  der  Breite  ihres  Mittelfingers.   {Bartels'^.) 

Nach  der  Geburt  des  Kindes  durchschneidet  das  Weib  auf  Formosa  die 
Nabelschnur  einen  Zoll  vom  Körper,  unterbunden  wird  dieselbe  aber  nicht. 

Bei  den  Ainos  wird  die  Nabelschnur  nur  dann  von  der  jungen  Mutter  selber 
durchschnitten,  wenn  sie  zufallig  ihre  Entbindung  allein  durchgemacht  hat.  Sind 
weibliche  Personen  um  sie,  so  übeminunt  eine  derselben  diesen  Dienst;  womög- 
lich aber  eine  der  nächsten  Verwandten,  selbst  wenn  diese  noch  unverheirathet 
sein  sollte;  Männer  thun  dies  niemals.  Man  bedient  sich  dazu  eines  gewöhnlichen 
Messers,  welches  aber  allein  zu  diesem  Zweck  gebraucht  und,  da  nicht  jede 
Familie  im  Besitze  eines  solchen  ist,  von  einem  Hause  ins  andere  ausgeliehen 
wurde.  (Scheuhe^)  Von  einer  anderen  Seite  erfahren  wir,  dass  die  Ainos  die 
Nabelschnur  bis  auf  die  Länge  von  4  Zoll  abtrennen;  und  ein  dritter  Bericht- 
erstatter sagt:  „Nachdem  der  Strang  durchschnitten  worden,  wird  eine  Schlinge 
um  denselben  gelegt.*     (Engdmann.) 

Nach  den  Aussagen  des  japanischen  Geburtshelfers  Mimcumnjga  berichtet 
V,  Siebold  ^  dass  dort  sogleich  nach  der  Geburt  des  Kindes  der  Nabelstrang  in 
ziemlich  ähnlicher  Weise  abgeschnitten  wird,  wie  bei  uns  in  Europa. 


Ä' 


809.  Die  Abnabelung  in  Asien.  189 

Kangawa  sagt,  die  Nabelschnur  soll  3  —  4  San  (d.  i.  0,24  bis  0,32  eng- 
lische Fuss)  vom  Nabel  abgeschnitten  werden.  Nach  Scheubes^  Angabe  geschieht 
jetzt  die  Abnabelang  durch  die  Hebamme  folgendermaassen:  Eine  doppelte  Liga- 
tur von  rohem  Hanf  wird,  drei  Zoll  vom  Nabel  entfernt,  um  die  Nabelschnur 
gelegt  und  diese  mit  einer  Bcheere  durchschnitten;  dieselbe  wird  mit  Galläpfel- 
pulver  bestreut  und  in  Papier  eingewickelt. 

In  China  schneidet  man  in  der  Regel  die  Nabelschnur  mit  einer  Scheere 
durch.  Wenn  aber  das  Kind  scheintodt  geboren  wurde,  „was  sich,  wie  es  in  der 
von  V.  Martina  übersetzten  Abhandlung  heisst,  zuweilen  bei  strenger  Winter- 
kälte ereignet'S  so  wird  eine  besondere  Art  der  Nabelschnurdurchtrennung  yor- 
geschrieben: 

«Man  wickle  dann  das  Neugeborene  unverzüglich  in  gew&rmte  Laken;  hierauf  muss 
man  Papier  zusammenrollen,  selbiges  in  Hanföl  tauchen,  es  ankünden  und  den  Nabel  des 
Eindee  damit  abbrennen.  Durch  dieses  Verfahren  zieht  sich  die  Hitze  des  brennenden  Papiers 
durch  den  Nabel  des  Eindee  in  dessen  Magen,  seine  Lebensgeister  werden  erwärmt  und  das 
Kind  föngt  an  zu  leben.'' 

Das  Brennen  des  Nabelstrangendes  wird  hier  in  einer  ganz  anderen  Absicht 
vorgenommen,  als  beispielsweise  in  Jerusalem,  wovon  wir  später  zu  be- 
richten haben. 

Nach  der  Geburt  der  Placenta  umbindet  die  Hebamme  in  Cochinchina 
mehr  oder  weniger  sorgfaltig  mit  einem  trockenen  Faden  (Seide,  Aloe  oder  was 
sich  eben  f&r  Faserstoff  im  Hause  der  Gebärenden  vorfindet)  den  Nabelstrang  1  cm 
vom  Nabel  entfernt,  und  durch  wiederholte  Pressionen  drimgt  sie  seinen  Inhalt, 
das  Blut  und  die  TF^ar^on'sche  Sülze,  auf  eine  Länge  von  15  cm  nach  der  Pla- 
centa-Seite  zurück.    Das  Durchtrennen  schildert  dann  Mondiere  wie  folgt: 

«Quand  le  d^gorgement  du  cordon  lui  semble  süffisant,  eile  le  coupe  ä  petits  coups  et 
en  sdant,  avec  sa  lame  de  bambou,  voir  m§me  k  la  riguenr  avec  un  tesson  de  porcelaine. 
Elle  pose  alors  vers  la  moitiö  de  la  longaeur  de  la  partie  restante,  c^est-ä-dire  ä  6  ou  7  cen- 
tün^tres  du  nombril,  une  ligature  de  fil  non  cir^,  entortille  tout  le  cordon,  12  ä  15  centi- 
m^tres,  dans  un  morceau  de  papier  chinois,  cir6  ou  vemi,  passe  antour  des  reins  de  Tenfant 
une  petite  bände  d*^toffe  qni  se  neue  par  devant  pour  assugettir  le  tout." 

Bei  der  ansässigen  Bevölkerung  Ost-Turkestans  schneidet  man  die  Nabel- 
schnur genau  in  der  halben  Eorperlänge  des  Kindes  ab.  {SchiagintweiL)  Bei 
den  Mongolen  wird  dieselbe  nach  Prschewdlslci  mit  einer  dünnen  Darmseite  zu- 
gebunden. In  Kamtschatka  wurde  sie,  wenigstens  zu  den  Zeiten  SteUer%  mit 
Zwirn  von  Nesselfaden  unterbunden  und  dann  mit  einem  steinernen  Messer  durch- 
schnitten. 

Von  den  im  Südosten  des  asiatischen  Russland  nomadisirenden  Kal- 
mücken vrird  berichtet  {Klemm\  dass  eine  Frau  die  Nabelschnur  auf  einem 
Brettchen  mit  einem  Messer  durchschneidet,  welches  ihr  als  Eigenthum  verbleibt; 
und  Krehel  sagt  von  denselben:  «Sobald  das  Kind  geboren,  wird  die  Nabelschnur 
unterbunden  und  abgeschnitten.*' 

Ebenso  kurz  äussert  sich  Meyerson  über  die  Kalmückinnen  in  Astrachan: 

«Eine  alte  Kalmückin,  die  sich  Hebamme  nennt,  oder  in  Ermangelung  dieser  die 
Mutter  selbst,  schneidet  die  Nabelschnur  mit  irgend  einem  schneidenden  Werkzeuge  ab.* 

Von  den  tatarischen  Hebammen  daselbst  sagt  derselbe  Autor  nur:  „Ist 
der  Fötus  erschienen,  so  schneiden  sie  die  Nabelschnur  ab.** 

Bei  den  Tataren,  Kurtinen  und  Armeniern  des  Kreises  Schoruro- 
Daralagesk  im  Gouvernement  Eriwan  wird  dem  Kinde  unmittelbar  nach  der 
Geburt  die  Nabelschnur  mit  einem  wollenen,  baumwollenen  oder  seidenen  Faden 
unterbunden,  und  dann  wird  sie  durchschnitten,  gleichgültig,  ob  die  Nachgeburt 
schon  herausgekommen  ist  oder  nicht.  Das  Durchschneiden  vrird  bei  den  Ta- 
taren und  Kurtinen  mit  einem  gewöhnlichen  oder  einem  Basirmesser,  bei  den 
Armeniern  mit  einer  Scheere  voUzogen.     {Organisjane) 


190  ^-  ^^®  Trennung  des  Neugeborenen  von  der  Mutter. 

In  Arabien  kommen  die  gemeinen  Frauen  allein  und  oline  Hülfe  nieder; 
dabei  fand  d^Ärvieux: 

«Quelques  moments  apr^s  qu'elles  sont  delivr^es,  elles  lient  le  nombril  de  Tenfant, 
coupent  ce  qu'il  y  a  de  trop"  etc. 

Bei  den  Nomaden  der  Wüste  in  der  Leyante  schneidet  ebenfalls  die  in 
ihrem  Zelte  allein  gelassene  Gebärende  oft  selbst  die  Nabelschnur  ab,  wie  v.  Türk 
berichtet. 

Die  syrischen  Weiber  warten  nach  der  Geburt  der  Kinder  20  bis  40 
Minuten;  geht  bis  dahin  die  Placenta  nicht  ab,  so  wird  der  Nabelstrang  durch- 
schnitten und  die  Entbundene  ins  Bett  gebracht.     {Engelmann) 


310.  Die  Abnabelung  bei  den  Tolkern  Amerikas. 

unter  den  Yolksstammen  Amerikas  sind  es  namentlich  einige  südameri- 
kanische Indianervölker,  Yon  welchen  uns  ganz  besonders  rohe  und  primitive 
Methoden  der  Abnabelung  berichtet  werden.  Nach  den  Angaben  des  Prinzen 
Max  V,  Wied  und  v.  Martins'  wird  der  Nabelstrang  Yon  den  im  Walde  allein 
niederkommenden  Indianerinnen  Brasiliens  abgerissen  oder  mit  den  Zähnen 
abgebissen.    Auch  de  Lact  sagte  von  den  brasilianischen  Wilden: 

aApr^  le  p^re  coupe  avec  les  dents  ou  avec  quelque  caillou  tranchant  le  boyau  du 
nombril.*^ 

Wir  sehen  hier  also  auch  bereits  ein  etwas  civilisirteres  Verfahren  sich  Ein- 
gang verschaffen.  Piso  berichtete  im  Jahre  1685  von  den  im  nördlichen  Theile 
Süd- Amerikas  wohnenden  Völkern: 

„Infanti  umbilicum  concha  praeddunt  et  una  cum  secundinis  coctum  devoranf 

Bei  den  Papudos  in  der  Gegend  von  Rio  Janeiro  trennt  der  Mann  die 
Nabelschnur  mit  einem  geschärften  Steine  oder  Krystalle.  Nach  Barlaeus  wird 
bei  den  Ureinwohnern  Brasiliens  der  Nabelstrang  auch  mit  einer  scharfen  Muschel 
durchschnitten.  Die  Garipanas-Indianerin  (Brasilien)  durchschneidet  den 
Strang  eigenhändig  mittelst  einer  bereit  gehaltenen  Muschel  mit  geschärftem  Bande 
(KeUer-Leußinger),  die  Roucouyenne-Indianerin  (am  Yary-Fiuss)  mittelst 
eines  Stückes  Bambu,  das  wie  ein  Papiermesser  aussieht.     (Creveaux,) 

In  den  soeben  gegebenen  Berichten  wird  nicht  erwähnt,  ob  auch  der  Nabel- 
strang dabei  unterbunden  wurde,  und  es  hat  den  Anschein,  als  ob  dies  nicht 
der  Fall  ist.  Von  den  Earaya-Indianern  am  Bio  Araguya  in  Brasilien  er- 
fahren wir  ausdrücklich,  dass  es  nicht  geschieht.    Ehrenreich  berichtet  von  ihnen: 

«Ist  das  Kind  zur  Welt,  so  wird  die  Nachgeburt  ruhig  abgewartet,  sodann  der  Nabel- 
Strang  comprimirt  und  etwa  3  Zoll  vom  Körper  mit  einem  starken  Taquaraspahn  durch- 
schnitten. Das  darin  enthaltene  Blut  wird  sorg^tig  ausgepresst,  ,um  den  Starrkrampf  zu 
verhindern*,  und  als  Stypticum  heisse  Asche  und  Pulver  aus  gestossenen  Piranha-Zähnen  auf 
die  Wundfläche  gestreut.  Da  keine  Unterbindung  angewendet  wird,  so  ist  es  nicht  selten, 
dass  das  Kind  sich  verblutet.* 

Allein  bei  vielen  Stämmen  Brasiliens  nehmen  selbst  diejenigen  Völker, 
welche  sich  der  rohesten  Hülfsmittel  zur  Trennung  der  Nabelschnur  bedienen, 
auch  die  Unterbindung  derselben  vor.  Lery  sah  selbst,  dass  ein  Indianer, 
welcher  seiner  Frau  bei  der  Geburt  beistand,  nachdem  er  das  Kind  in  seine  Arme 
genommen,  demselben  erst  die  Nabelschnur  band  und  sie  darauf  mit  seinen  Zähnen 
abbiss.  Die  Warrau-Indianerin  in  British- Guyana,  welche  ganz  allein  in 
einer  Hütte  des  Waldes  niederkommt,  löst,  wie  Schomburgk  berichtet,  den  Nabel- 
strang ebenfalls  mit  den  Zähnen  ab  und  unterbindet  ihn  mit  einer  Schnur  aus 
den  Fasern  der  Bromelia  Karatas;  doch  scheinen  die  Indianerinnen  das  unter- 
binden nicht  recht  zu  verstehen,  und  Schomburgk  erklärt  sich  hierdurch  die  That- 
sache,  dass  er  „an  dieser  Stelle  bei  fast  Allen  Yerkrüppelungen  fand**.    Bei  den 


310.  Die  Abnabelung  bei  den  Völkern  Amerikas.  X9X 

Macuanis  (Stammgenossen  der  Goyatacas  in  Brasilien)  schlingt  die  Matter 
den  fest  zugeschnürten  Nabelstrang  um  den  Hals  des  Kindes,  (v,  Martins.)  Bei 
anderen  Garaiben-Völkem  in  Guyana  und  Surinam  (den  Accawaus,  Woraws, 
Ärrowaueks)  soll,  wie  angegeben  wird,  der  Nabelstrang  nicht  durchschnitten, 
sondern  abgebrannt  werden.  (Finke.)  Demnach  ist  hier  das  Verfahren  gegen 
etwa  drohende  Blutungen  ein  anderes. 

Ueber  die  Stelle,  an  welcher  die  Unterbindung  des  Nabelstranges  vorge- 
nommen wird,  herrscht  unter  den  amerikanischen  Völkern  keine  Ueberein- 
stinunung.  Bald  wird  die  Abnabelung  zu  dicht  an  dem  kindlichen  Körper,  bald 
in  zu  grosser  Entfernung  von  demselben  als  Grund  für  das  häufige  Vorkommen 
von  Nabelbrüchen  angeschuldigt. 

Von  den  alten  Peruanern  im  Inca-Reiche  wissen  wir,  dass  sie  die 
Nabelschnur,  wenn  sie  abgelöst  worden,  « einen  Finger  lang*  am  Eonde  hängen 
Hessen.  (Baumgarten.)  Ueber  die  halbwilden  Hirten  spanischer  Abkunft 
in  Süd-Amerika  berichtet  v,  Aeara: 

.Da  sehr  viele  Frauen  unter  ihnen  ganz  allein  und  ohne  irgend  fremden  Beistand 
niederkommen,  aber  nicht  alle  es  verstehen,  wie  die  Nabelschnur  unterbunden  werden  muss, 
80  habe  ich  eine  grosse  Anzahl  erwachsener  Manns-  und  Weibspersonen  unter  ihnen  gesehen, 
die  einen  vier  Zoll  langen  Nabel  hatten,  den  man  ftir  wer  weiss  was  hätte  halten  können; 
er  war  dabei  weich  und  beständig  geschwollen.' 

Jedenfalls  waren  dies  Nabelbrüche.  Aehnliche  Folgen  von  der  falschen 
Behandlung  des  Nabelschnurrestes  fand  man  in  Mittel- Amerika. 

Auch  in  Guatemala  wird  nach  dem  Austritt  des  Kindes  so  lange  gewartet, 
bis  die  Placenta  geboren  ist.  Nur  ausnahmsweise  wird  gleich  nach  der  Geburt 
des  Fötus  der  Nabelstrang  unterbunden  und  abgeschnitten,  und  darauf  wird  das 
fötale  Ende  desselben  an  einer  Kerzenflamme  verkohlt  und  dann  mit  Gopaiva- 
Balsam  bestrichen.  (BemouUL)  In  Nicaragua  wird  nach  Bernhard  die  Nabel- 
schnur nicht  eher  durchschnitten,  als  bis  die  Nachgeburt  zu  Tage  getreten  ist, 
und  nur  bei  zu  langer  Verzögerung  des  Abganges  der  Nachgeburt  entschliesst 
man  sich  zu  einer  früheren  Unterbindung  und  Durchschneidung  der  Nabelschnur, 
die  aber  in  viel  zu  grosser  Entfernung  von  den  Bauchdecken  vorgenommen  wird, 
so  dass  die  Kinder  einen  starken  Nabel  behalten. 

Ueber  das  Verhalten  der  nordamerikanischen  Indianer  bei  der  Ab- 
nabelung erfahren  wir  Näheres  durch  Engelmann^.  Bei  den  meisten  Indianer- 
Stämmen  wird  der  Nabelstrang  nicht  eher  durchtrennt,  als  bis  die  Placenta  ab- 
gegangen ist.  Bei  den  Kiowas,  Comanches  und  Wichitas  wird,  sobald  die 
Nachgeburt  gekommen  ist,  die  Nabelschnur  in  die  Hand  genommen  und  das  in 
ihr  befindliche  Blut  gegen  die  Placenta  (nicht  gegen  das  Kind)  gestrichen.  Dann 
erst  wird  der  Nabelstrang  durchschnitten  imd  unterbunden.  Auch  die  Blackf  eet, 
Uncpapas,  die  Ober-  und  Nieder-Yanktons  des  Sioux-Volkes  durch- 
schneiden den  Nabelstrang  erst  nach  der  Geburt  der  Placenta.  Die  Flatheads, 
Kootewais,  Grows  und  Greeks  dagegen  schneiden  den  Nabelstrang  sofort  nach 
der  Geburt  des  Kindes  durch. 

Die  Trennung  der  Nabelschnur  vollzieht  die  Apachen-Indianerin  (zwischen 
Rio  grande  del  Norte  und  Rio  Golorado)  meist  selbst  durch  Zerklopfen 
derselben  zwischen  stumpfen  Steinen.  (Schmitz.)  Ueber  die  östlichen  Stämme 
der  Indianer,  die  Gheyennen,  Arrapahoes,  Kiowas  und  Ost-Apachen  (in 
Kansas,  Nebraska  und  Golorado)  meldete  ein  OfScier:  „Die  Indianer  unter- 
binden den  Nabelstrang  einmal  und  schneiden  ihn  dann  fast  einen  Fuss  von  des 
Kindes  Nabel  entfernt  durch.*  Die  Garagut-Indianerinnen  unterbinden  nur 
das  fötale  Ende  des  Stranges,  ebenso  wie  die  Blackfeet  Das  kann  nur  heissen 
sollen,  dass  die  Unterbindung  erst  nach  der  Durchschneidung  der  Nabelschnur 
statt  hat.  Die  Blackfeet  quetschen  aber  ausserdem  noch  die  placentare  Schnitt- 
stelle, um  ein  Ausbluten  der  Placenta  zu  verhindern.    Wahrscheinlich  liegt  hier 


192  L*  I^id  Trennung  des  Neugeborenen  von  der  Mutter. 

wiederum  der  Gedanke  zu  Grunde,  dass  das  Blut,  welches  in  irgend  einer  Be- 
ziehung zu  den  Geschlechtstheilen  steht,  etwas  hervorragend  Verunreinigendes  hat. 

Die  beiden  zuletzt  genannten  Indianer- Stamme  benutzen  nsLch  Engdmann 
in  der  Begel  zum  Durchschneiden  des  Nabelstranges  ein  stumpfes  Instrument, 
so  dass  derselbe  mehr  durchquetscht  als  durchschnitten  wird.  Beiden  Indianern 
von  Alaska  (im  Nordwesten  Amerikas)  wird  der  Nabelstrang,  nachdem  er  an 
zwei  Stellen  unterbunden  ist,  zwischen  denselben  durchschnitten.  (Dali.)  Die 
Eskimos  durchschneiden   nach  Holm   den  Nabelstrang  mit  einer  Muschelschale. 

Bei  den  Shushwap-Indianern  im  Inneren  von  Britisch  Columbia  wird 
die  Nabelschnur  nach  Boas  mit  einem  Steinmesser  durchtrennt.  Nach  der  Aus- 
kunft desselben  Autors  schneidet  bei  den  Songish  oder  Lku^ngen  im  süd- 
östlichen Yancouver  eine  alte  Frau  die  Nabelschnur  mit  einer  zerbrochenen 
Muschel  durch. 

Ueber  die  Entbindung  einer  Feuerländerin  am  Cap  Hörn  liegen  Nach- 
richten von  Uyades  und  Deniker  vor.    Von  dem  Nabelstrang  berichten  sie: 

.Gette  femme  avait  coup^  le  cordon,  ä  11  cm  de  rombilic,  avec  un  firagment  de  coquille 
de  moule  ramassä  sur  le  sol  de  la  hutte  dans  les  d^brü  de  cuisine.' 

Am  S.  Tage  nach  der  Entbindung  berichten  die  genannten  Autoren: 

,Le  cordon  est  desfl^chä  et  ne  tient  plus  4  rombilic  que  par  un  pMoncule  filiforme. 
La  m^re  Ta  ligatnr^  aujourd^hui  k  son  extr^mit^  libre  avec  un  bout  de  ficelle  mince  qui  est 
attachäe  d^autre  part  ä  une  bandelette  de  linge  fiz4e  autour  de  la  jambe  droite  de  Tenfant. 
On  devait  nous  remettre  le  cordon  ombÜical  apr&s  sa  chute:  mais  en  nous  voyant  ce  soir 
Tezaminer  attentivement,  les  femmes,  et  mdme  les  bommes,  pensent  que  nous  voulons  le 
couper  et  protestent  avec  Energie  contre  une  section  qui,  disent-elles ,  entratnerait  sürement 
la  mort  de  Tenfiant.  Elles  ajoutent  que  le  cordon  tombera  tout  seul  la  nuit  prochaine  et 
que  nous  pourrons  alors  Pemporter  sans  inconvenient.* 


311.  Die  Abnabelung  bei  den  afrikanisclien  Yolkern. 

Die  Volker  Afrikas  scheinen  in  Bezug  auf  die  Abnabelung  des  Kindes 
ebenfaUs  auf  mannigüache  Weise  zu  Werke  zu  gehen;  und  selbst  bei  einem  und 
demselben  Volke  befolgen  wohl  hier  und  da  die  einzelnen  Stamme  ihre  eigene 
Methode.  Bei  der  Musterung  derselben  beginnen  wir  an  der  Westküste  des 
Continents. 

Von  den  Bafiote-Negern  der  Loango-Küste  wird  die  Nabelschnur 
doppelt  so  lang  als  das  erste  Daumenglied,  oder  bis  zum  Knie  des  Kindes  abge- 
messen und  mit  einem  scharfen  Splint  vom  Wedelschaft  der  Oelpalme  durchtrennt. 
Dann  setzt  man  sich  um  ein  in  der  Hütte  angezündetes  Feuer  und  lässt  das 
Neugeborene  von  Schooss  zu  Schooss  wandern,  während  man  ununterbrochen  mit 
den  möglichst  erwärmten  Fingern  der  Hand  die  Nabelschnur  drückt  und  auf  diese 
Weise  ihr  Eintrocknen  zu  beschleunigen  sucht.  Dieser  Zweck  wird  innerhalb 
24  Stunden  erreicht,  der  abgestorbene  Rest  mit  dem  Daumennagel  abgestossen 
und  sofort  sorgfältig  in  dem  Feuer  verbrannt.     (PechueULoesdie.) 

Nach  seinen  Beobachtungen  am  Senegal  unter  den  Neger-Völkern  sagt 
Murion  d'Arcenant: 

,La  coupure  du  cordon  ombilical  se  fait  g^n^ralement  assez  mal,  car  presque  tous  les 
enfants  ont  Tombilic  excessivement  dövelopp^,  on  peut  presque  dire  qu'ils  sont  atteints  de 
hemie  ombilicale;  mais  ils  n'y  attachent  aucune  importance:  cbez  les  uns  eile  subsiste,  chez 
d'autres  eile  disparait  avec  le  temps.'' 

Von  der  Behandlung  der  Nabelschnur  bei  den  Woloff-Negern  am 
Senegal  berichtet  de  Bochebrune: 

.Le  cordon  avait  ^tä  pr^alablement  lie,  plus  souvent  tordu  ou  arrach4  par  une  matrone." 

unter  den  Negern  in  Old-Galabar  wird,  nachdem  die  Nachgeburt 
ausgetreten  ist,  die  Nabelschnur  mittelst  eines  Basirmessers  durchschnitten ;  Hewan, 


311.  Die  Abnabelung  bei  den  afrikanischen  Völkern. 


193 


welcher  dies  berichtet,  sagt  nicht,  ob  hierbei  eine  Unterbindung  stattfindet; 
da  seine  Beschreibung  der  geburtshülf liehen  Leistungen  der  Neger  übrigens 
eine  sehr  genaue  ist,  so  dürfen  wir  wohl  annehmen,  dass  sie  keine  Unter- 
bindung machen. 

Zintgraff  hat  die  Gelegenheit  gehabt,  von  einer  Anzahl  von  Bali-Nege- 
rinnen photographische  Aufnahmen  zu  machen.  Sie  sind  zum  Theil  mit  an- 
sehnlichen Nabelbrüchen  ausgestattet,  was  für  eine  sehr  ungeschickte  Art  der 
Abnabelung  bei  diesem  Volke  spricht.  Fig.  301  zeigt  eine  solche  Negerin 
-aus  dem  Waldlande ^. 


Fig.  901.    Bali-Negerin  mit  grossem  Nabelbruch  in  Folge  zn  kurzer  Abnabelung. 
(Nach  Photographie.) 


In  Massaua  am  arabischen  Meerbusen  schneidet  man  nach  Mit- 
theilungen, welche  Ploss  dem  bekannten  Naturforscher  Brehm  verdankt,  die  Nabel- 
schnur ab,  sobald  das  Kind  geboren  ist;  man  lässt  eine  Spanne  lang  am  Nabel 
stehen;  die  Unterbindung  findet  erst  statt,  nachdem  die  Durchschneidung  aus- 
geführt ist. 

Bei  den  Bongo  wird  die  Nabelschnur  sehr  lang  abgeschnitten;  das  ge- 
schieht vermittelst  eines  Messers,  und  zwar  ohne  vorherige  Unterbindung.  (Schwein- 
furth)  Die  Wakamba  nehmen  zur  Unterbindung  der  Nabelschnur  Adansonia- 
(Affenbrodbaum-)Fäden,  die  etwa  2 — 3  Zoll  vom  Nabel  nahe  bei  einander  umge- 
schnürt werden.  Die  Nabelschnur  wird  mit  einem  gewohnlichen  Messer  durch- 
schnitten. Bei  den  Waswaheli  lässt  man  die  Nabelschnur  ebenfalls  sehr  lang 
stehen,  und  sie  trocknet  erst  allmählich  ab.     (Hüdebrand^,) 


Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    U. 


13 


194  L.  Die  Trennung  des  Neugeborenen  von  der  Matter. 

Felkin  und  Emin  Pascha  baben  in  XJnyoro  und  an  den  üfem  des 
Mwutan-Nzige  beobachtet,  dass  man  die  Nabelschnur  mit  einem  scharfen 
Rohrsplitter  sehr  weit  von  dem  kindlichen  Korper  durchtrennt  und  den  hängen- 
bleibenden Rest  dann  auf  den  Leib  des  Kindes  bindet.  Die  Ligatur  ist  vöUig 
unbekannt.  Beiden  Kidj-,  Madi- und  anderen  in  Central-Afrika  wohnenden 
Negern  wird  der  Strang  vier  Zoll  vom  Korper  entfernt,  mittelst  eines  Rasir- 
messers  durchschnitten,  bisweilen  aber  wird  er  durchgebissen;  sollte  die  Nabel- 
schnur bluten,  so  nimmt  sie  die  helfende  Frau  in  den  Mund  und  kaut  sie  zwischen 
ihren  Zähnen,  bis  die  Blutung  steht;  niemals  wird  sie  unterbunden.     (Fdkin.) 

Ueber  die  Wanjamuesi  in  Central-Afrika  äussert  sich  Reichard 
f olgendermaassen : 

,In  der  Behandlang  des  Nabels  sind  sie  sebr  ungeschickt  und  es  kommen  oft 
grosse  Nabelbrüche  vor,  indem  der  austretende  Nabel  b&ufig  so  gross  wie  eine  Weiber- 
brüst  wird/ 

Bei  Weibern  beobachtete  er  dieses  merkwürdiger  Weise  häufiger  als  bei 
Männern,  und  die  ersteren  sehen  dann  aus,  als  wenn  sie  ausser  ihren  beiden  Brüsten 
an  der  normalen  Stelle  auch  noch  eine  dritte  auf  dem  Bauche  hätten. 

Bei  den  Hottentotten  wird  der  Nabelstrang  mit  einer  Sehne  am  Nabel- 
ringe unterbunden,  so  dass  derselbe  abfault  und  dem  Kinde  kein  Schaden  ge- 
schieht.    (Kolh.) 

Kropf  sagt  von  den  Xosa- Kaffern,  dass  die  Gebärende  die  Nabelschnur 
entweder  mit  den  Zähnen  durchbeisst  oder  mit  einer  Seggebinse  abschneidet.  ITm 
den  Stumpf  der  Nabelschnur  wird  dann  ein  Lappen  gewickelt. 

«Dies  Verfahren  ist  die  Ursache  von  den  so  häufig  vorkommenden  Nabelbrüchen  der 
Kinder,  die  aber  später  yersch winden.* 

üeber  die  Berber  in  Kabylien  liegt  eine  kurze  Angabe  von  Ledere  vor, 
dass  man  dort  die  Nabelschnur  abschneidet,  und  dass  deren  Rest  in  8  Tagen  ab- 
fallt.   Letzteres  bedarf  wohl  noch  der  Bestätigung. 

Es  ist  bereits  hervorgehoben  worden,  dass  in  Folge  der  zu  kurzen  Ab- 
nabelung, d.  h.  der  Durchtrennung  der  Nabelschnur  zu  nahe  an  dem  Körper  des 
Kindes,  bei  diesem  letzteren  in  späteren  Jahren  sehr  oft  ein  starker  Nabelbruch 
zur  Entwickelung  kommt.  Das  sahen  wir  bei  den  Xosa-Kaffern,  wo  diese 
Brüche  angeblich  später  wieder  verschwinden  sollen,  und  bei  den  Wanjamuesi 
und  den  Bali- Negern,  bei  denen  dieselben  aber  bestehen  bleiben.  Auch  bei 
anderen  Yölkem  in  Afrika  wird  diese  Missbildung  häufig  beobachtet  und  es  hat 
beinahe  den  Anschein,  als  wenn  in  den  Augen  dieser  Leute  die  Existenz  eines 
Nabelbruches  als  eine  besondere  Schönheit  betrachtet  wird.  Auf  einer  grossen 
Zahl  ihrer  Holzschnitzereien  ist  der  Nabelbruch  zur  Darstellung  gebracht.  Der 
in  Gestalt  eines  Weibes  geschnitzte  Stuhl  der  Baluba,  den  uns  Figur  55  vor- 
führt, giebt  hierfür  ein  gutes  Beispiel.  Auch  Fig.  802  führt  uns  einen 
derartigen  Nabelbruch  vor.  Diese  Holzschnitzerei,  ebenfalls  ein  Weib  dar- 
stellend, bildet  einen  Bogenhalter,  welchen  Wissmanr^  aus  üguha,  südwestlich 
vom  Tanganyika-See,  mitgebracht  hat.  Er  befiindet  sich  jetzt  im  Museum 
für  Völkerkunde  in  Berlin.  Auch  eine  grosse  Zahl  von  Fetisch-Figuren  lässt 
ganz  ähnliche  Yerhältnisse  erkennen. 


312.  Die  Abnabelung  bei  den  alten  Gnlturvölkern. 

Es  verlohnt  sich  wohl  der  Mühe,  von  hier  aus  einen  vergleichenden  Blick 
auf  die  alten  Culturvölker,  auf  die  Aegypter,  Juden,  Inder,  Griechen, 
Römer,  Araber,  zu  werfen  und  zu  untersuchen,  was  für  Sitten  und  Gebräuche 
bei  ihnen  in  Bezug  auf  die  Abnabelung  herrschend  gewesen  sind. 


312.  Die  Abnabelung  bei  den  alten  Cultorvölkern. 


195 


**^ 


Fig.  302.    Holzgeschnitzter  Bogenhalter  aus  Ugaha,  eine  weibliche  Gestalt  mit  grossem  Nabelbrnch 

darstellend. 
(Mnsenm  fär  Yölkerkonde»  Berlin.)    (Nach  Photographie.) 


13* 


196  L-  I^io  TreniiQng  des  Nengeborenen  von  der  Mutter. 

Bei  den  alten  Aegyptern  geschah  die  Durchschneidung  des  Nabelstrangs 
mittelst  eines  Steines,  wie  uns  Herodot  berichtet. 

Die  Juden  der  Bibel  betrachteten  das  Abschneiden  der  Nabelschnur  als 
durchaus  nothwendig,  das  unterlassen  dieser  Handlung  galt  ihnen  als  äusserste 
Vernachlässigung  des  Kindes,  welche  nur  bei  verächtlichen,  fut  thierisch  lebenden 
Menschen  vorkommen  könnte.    Denn  beim  Propheten  Hesekid  (16,  4)  heisst  es: 

, Deine  Geburt  ist  also  gewesen:  Dein  Nabel,  da  Du  geboren  wurdest,  ist  nicht  ver- 
schnitten; 80  hat  man  Dich  auch  mit  Wasser  nicht  gebadet,  dass  Du  sauber  würdest"  u.  s.  w. 

Die  Unterbindung  wurde  vorgenommen,  damit  das  Kind  sich  nicht  ver- 
blute, wie  denn  von  dem  Mädchen  gesagt  wird,  dessen  Nabelstrang  nicht  unter- 
bunden war: 

,Da  ging  ich  an  Dir  vorfiber  und  sah  Dich  zappeln  in  Deinem  Blute,  und  ich  sprach 
zu  Dir  in  Deinem  Blute:  Lebe!' 

TJebrigens  muss  dies  Alles  ziemlich  kunstgerecht  ausgef&hrt  worden  sein, 
da  der  Nabel,  worauf  schon  Friedreich  aufmerksam  macht,  mit  der  runden  Schale 
eines  Mischkruges  verglichen  wird  (Kotdmann)^  und  im  hohen  Liede  SalO" 
monis  heisst  es  bekanntb'ch: 

«Dein  Nabel  ist  wie  ein  runder  Becher^  dem  nimmer  Geti^k  mangelt. * 

Bei  den  Juden  des  Talmud  wurde  sofort  nach  der  Entbindung  die  Ligatur 
des  Nabelstranges  und  die  Durchschneidung  desselben  ausgeführt.  Israels  spricht 
die  Yermuthung  aus,  dass  die  Aerzte  zu  diesem  Zwecke  sich  eines  Messers  be- 
dient hätten. 

Oehen  wir  zu  den  Indern  über,  so  erfahren  wir  von  Susrtäa  in  der  von 
VuUers  besorgten  ITebersetzung,  dass  er  die  helfende  Frau  anweist,  „sie  soll,  wenn 
das  Band  der  Nabelschnur  gelöst  ist,  der  Gebärenden  zurufen :  Arbeite  nur  langsam 
mit  den  schmerzhaften  Lenden,  den  Schamtheilen  und  dem  Blasenhalse. "  Man 
kann  diese  Stelle  kaum  anders  deuten,  als  dass  die  Abnabelung  des  Kindes  noch 
vor  dem  Austreten  der  Nachgeburt  ausgeftthrt  worden  war.  In  Hessler^s  Ueber- 
setzung  wird  dagegen  angegeben,  dass  nach  der  Geburt  des  Kindes  der  Arzt  die 
Schamtheile  der  Gebärenden  mit  Schlangenhäuten  oder  mit  Vaugueria  spinosa 
räucherte  und  eine  Wurzel  der  Goldblume  aufband.  Hier  entsteht  zunächst  die 
Frage,  ob  diese  Bäucherung  mit  Schlangenhäuten  etwa  zur  Linderung  der  Schmerzen 
oder,  wie  später  in  Europa  ganz  ähnliche  Räucherungen,  zur  Beförderung  des 
Abganges  der  Nachgeburt  dienen  sollten?     Dann  aber  heisst  es: 

.In  manibus  et  pedibus  sustentet  puerperam  valde  splendidam  expertemque  sagittae 
(embryonis).' 

Es  ist  fraglich,  ob  hier  unter  „Sagitta'^  die  ganze  Frucht  mit  der  Nach- 
geburt oder  nur  das  neugeborene  Kind  zu  verstehen  ist.  Man  gab  bei  den  alten 
kriechen  der  Kreissenden  ja  ebenfalls  zur  Beförderung  des  Austritts  der  Placenta 
.im  Bett  eine  vom  Kopfende  her  nach  unten  zu  möglichst  abschüssige  Lage,  und 
vielleicht  unterstützte  (sustentat)  der  indische  Arzt  die  Kreissende  zu  gleichem 
Zwecke  und  in  ähnlicher  Weise.  Es  ist  also  nicht  unwahrscheinlich,  dass  man 
zunächst  nach  der  Geburt  des  Kindes  in  Alt-Indien  den  Abgang  der  Nach- 
geburt abwartete  und  förderte,  bevor  man  zur  Trennung  des  Kindes  von  letzterer 
schritt.  Hierauf  soll  man,  nachdem  das  Kind  mit  Butter  überstrichen  worden, 
den  Nabelstrang  acht  Querfinger  lang  vom  Nabel  entfernt  mit  einem  Faden  unter- 
binden, abschneiden  und  das  am  Kinde  befindliche  Nabelschnurstück  um  den  Hals 
des  Kindes  binden. 

Bei  den  Griechen  wurde  zu  Hippokrates'  Zeiten  die  Nabelschnur  höchst 
wahrscheinlich  in  der  Regel  erst  nach  dem  Abgange  der  Placenta  durchschnitten. 
Denn  in  dem  Buche  de  Superfoetatione^  wird  das  Verfahren  geschildert,  das 
man  zur  Entfernung  der  Nachgeburt  einzuschlagen  hat,  sobald  die  Nabelschnur 
abgerissen  ist,  oder  sie  Jemand  vor  der  Zeit  durchschnitten  hat;  auch  wird  dann 
der  Rath  ertheilt,  bei  scheintodt  geborenen  Kindern  die  Nabelschnur   nicht  eher 


312.  Die  Abnabelung  bei  den  alten  Cnltnryölkem.  197 

zu  dorcbschDeiden,  bis  sie  nrinirt,  oder  geschrieen,  oder  geniest  haben;  man  solle 
das  Kind  aber  abnabeln,  wenn  die  Nabelschnur  pnlsirt,  wenn  das  Kind  sich  be- 
wegt, oder  wenn  es  schreit  oder  niest.  Za  Aristoteles^  Zeit  bildete  das  Ab- 
sclmeiden  der  Nabelschnur  einen  Theil  des  Geschäftes  der  Hebammen,  wie  auch 
aus  ihrem  Namen  Omphalotomai,  Nabelschneiderinnen,  hervorgeht.  Der 
Nabelstrang  wurde  aber  zuvor  mit  einem  wollenen  Faden  unterbunden. 

Bei  den  Römern  lehrt  Soranus^  dass  das  Ende  des  Nabelstrangs  mit  einem 
Faden  zusammengebunden  werde,  damit  nicht  eine  Hämorrhagie  entstehe,  da  so- 
wohl Blut  als  Luft  aus  dem  Körper  der  Mutter  in  den  des  Kindes  überginge. 
Bis  dahin  unterbanden  die  Hebammen  die  Nabelschnur  stets  fest  mit  einem  lei- 
nenen Faden ;  er  selbst  räth,  hierzu  lockere,  zusammengewundene  Wolle  oder  eine 
andere  weiche  Substanz  zu  nehmen,  da  ein  Leinenfaden  durch  Druck  auf  die 
weichen  Theile  unerträgliche  Schmerzen  mache.  Auch  berichtet  er,  dass  Einige 
den  Nabel  mit  einem  heissen  Bohre  oder  dem  breiten  Ende  einer  Sonde  gebrannt 
haben;  dies  verwirft  er  wegen  der  hierdurch  verursachten  Schmerzen  und  der 
Entzündung.  Wenn-  die  Nachgeburt  im  Uterus  noch  zurückbleibt,  so  sollen  zwei 
Ligaturen  am  Nabelstrang  gemacht  und  derselbe  in  der  Mitte  durchschnitten 
werden,  damit  auf  diese  Weise  eine  Hämorrhagie  sowohl  von  Seiten  der  Mutter 
als  auch  des  Kindes  verhütet  werde. 

Mit  Sarantis  beginnt  überhaupt  erst  eine  rationelle  Methode  der  Abnabelung, 
wenngleich  noch  mit  allen  Mängeln  der  Zeit  behaftet,  welche  der  genaueren 
physiologischen  Einsicht  entbehrte.  Er  schreibt  vor,  sogleich,  nachdem  sich  das 
Kind  vom  Geburtsacte  erholt  hat,  zur  Omphalotomie,  d«  h.  zu  der  Durchschnei- 
dung des  Nabelstrangs  zu  schreiten.  Dabei  soU  die  Nabelschnur  vier  Finger  vom 
Bauche  entfernt  mit  einem  scharfen  Instrumente  abgeschnitten  werden  und  nicht 
mit  stumpfen  Werkzeugen,  um  jede  «Contusion"  (Zerrung,  TCseidAcjßievov)  zu 
verhüten.  Das  Goagulum  des  Blutes  soll  man  aus  dem  zurückgebliebenen  Theile 
der  Nabelschnur  auspressen  und  sie  der  Gefahr  der  Verblutung  wegen  strafiF  mit 
Wolle  umwickeln.  Den  am  Kinde  hängenden  Rest  soll  man  in  geölte  Wolle  ein- 
hüllen, in  die  Mitte  des  Körpers  legen,  und  nach  drei  oder  vier  Tagen,  wenn  er 
abgefallen  ist,  das  Geschwür,  welches  sich  an  dem  Leibe  gebildet  hat,  zuheilen. 
Die  meisten  Frauen  in  damaliger  Zeit  bedienten  sich  hierzu  gebrannter  und  zu 
Pulver  geriebener  Schnecken,  oder  Zwiebeln,  oder  der  Sprungbeine  von  Schweinen ; 
Andere  legten  eine  gebrannte  kühlende  Bleimasse  auf,  damit  das  Geschwür  eine 
Narbe  ziehe  und  durch  deren  Schwere  ein  schönes  Nabelcavum  gebildet   werde. 

Die  arabische  Heilkunde  folgte  im  Allgemeinen  dieser  Methode.  Nach 
der  Anweisung  des  Avicenna  soll  die  Unterbindung  der  Nabelschnur  vier  Zoll 
vom  Nabelringe  entfernt  ebenfalls  durch  eine  Ligatur  mit  gereinigter  WoUe  vor- 
genommen werden  (Lana  munda,  quae  bene  et  eubtiliter  alt  retorta,  ne  doleat).  Aus  den 
Schriften  des  Abtdkasem,  welcher  1122  starb,  erfahren  wir,  dass  zu  seiner  Zeit 
in  Spanien  die  Hebammen  den  durchschnittenen  Nabelstrang,  statt  ihn  zu  unter- 
binden, mit  dem  Glüheisen  brannten,  um  eine  Blutung  zu  verhüten.  Es  herrschten 
also,  wie  v.  Siebold  bemerkt,  damals  zu  gleicher  Zeit  beide  Methoden,  die  Unter- 
bindung und  das  Brennen. 

Unsere  alten  deutschen  Hebammen-Lehrbücher  wurden  bekanntlich  nach 
den  Schriften  früherer  Zeiten  zurecht  gemacht;  Bösslin^  Bueff  u.  A.  hielten  sich 
ganz  einfach  an  Vorbilder  aus  römischer  Zeit,  auch  in  der  Behandlung  des 
Abnabelungsgeschäftes.  So  wurde  von  der  Hebamme,  nach  Bösslin^  der  Nabel- 
strang vier  oder  auch  drei  Finger  vom  Leibe  des  Kindes  entfernt  unterbunden 
und  dann  abgeschnitten;  nach  Btieff  geschah  die  Unterbindung  mit  zweifachem 
Faden,  und  zwar: 

„nahe  bey  dem  Eindt,  anff  vier  zwerch  Finger  breit  auff  das  vieleet,  ...  je  näher  aii 
des  Kindts  Leiblein,  je  besser  es  ist,  denn  es  giebt  ein  hübsches  enggewachsenes  Näbelin.* 

Französische  Aerzte  jener  Zeit  unterbanden  und  durchschnitten  erst  den 


igg  L.  Die  Trennung  des  Neugeborenen  von  der  Mutter. 

Nabelstrang,  nachdem  die  Nachgeburt  zu  Tage  gefördert  worden;  wenigstens  lehrte 
dies  Ämbroise  Pare. 

Dann  entwickelte  sich  unter  den  Geburtshelfern  ein  Streit  darüber,  ob  die 
Trennung  des  Nabelstranges  sofort  nach  der  Geburt  des  Klindes  erfolgen  solle, 
oder  ob  man  dasselbe  noch  einige  Zeit  mit  der  pulsirenden  Nabelschnur  in  Yer- 
bindung  lassen  soll,  damit  es  durch  die  letztere  noch  einen  Theil  des  Placentar- 
Blutes  erhalte.  Für  das  Letztere  war  schon  Levre^  eingetreten ;  er  empfahl,  «den 
Nabelstrang  nicht  früher  zu  durchschneiden,  als  bis  das  Kind  geschrieen  hat,'' 
besonders  wenn  es  blass  ist,  damit  es  noch  der  Hülfe  des  Mutterblutes  geniesse. 
Nach  Bu4in  wird  Blut  durch  Ansaugen  bei  der  Athmung  in  den  kindlichen 
Körper  eingef&hrt,  und  Schücking  glaubte,  dass  die  treibende  Kraft  in  dem  Druck 
der  sich  contrahirenden  Gebärmutter  liege. 

Im  Jahre  1733  bestritt  in  einer  unter  DehmePs  Autorität  in  Halle  ver- 
fassten  Dissertation  Joh.  H,  Schtdee  die  Nothwendigkeit  der  Unterbindung  des 
Nabelstranges;  er  empfahl  jedoch,  dieselbe  trotzdem  nicht  zu  unterlassen.  Zier- 
mann  ging  noch  weiter;  er  veröffentlichte  im  zweiten  Jahrzehnt  unseres  Jahr- 
hunderts eine  Schrift,  in  welcher  das  Unterbinden  des  Nabelstrangs  als  «Urgrund 
der  häufigsten  und  gefährlichsten  Krankheiten  des  Menschengeschlechts''  bezeichnet 
wird.     Wölfart  schrieb  das  Vorwort  hierzu. 

In  der  Vorrede  zur  Uebersetzung  von  Holberg*s  Lustspiel:  »Die  Wochen- 
stube', welche  im  Jahre  1822  erschien,  erwähnt  auch  der  dänische  Dichter 
Oefdenschläger  diese  ärztliche  Gontroverse;  es  heisst  bei  ihm: 

.Die  Doctoren  zanken  sich  jetzt,  ob  man  den  Nabelstrang  vor  oder  nach  der  Gebart 
abschneiden  soll,  welches  für  eine  arme  Wöchnerin  noch  ärgerlicher  sein  muss,  als  das  Doctor- 
latein  und  den  Quacksalber  Meister  Bonifacius  anzuhören/ 

Bei  den  Volks-Hebammen  im  Kreise  Memel  war  es  nach  Hildebrandt's 
Angabe  noch  vor  Kurzem  die  Regel,  dass  sie  die  Nabelschnur  nicht  unterbanden, 
sondern  sie  legten  nur  lose  ein  Bändchen  um  dieselbe  und  gaben  dann  Acht,  dass 
das  Kind  nicht  verblute;  man  sagte  im  Volke:  «Es  ist  dies  besser,  damit  aller 
ansteckende  Stoff  aus  dem  Korper  entweichen  könne/ 

Ueber  das  Verfahren  bei  den  Letten  liegt  uns  ein  Bericht  von  Alksnis  vor: 

«Die  Abnabelung  wird  mit  einem  scharfen  Instrumente  vorgenommen;  das  zum  Kinde 
gehörige  Nabelende  wird  mit  einem  Faden  unterbunden.  War  dagegen  das  Elind  «ganz  blau', 
so  lässt  man  es  noch  einige  Minuten  unabgenabelt  zwischen  den  Schenkeln  der  Mutter  liegen, 
bis  es  auflebt.  Dr.  Blau  schreibt,  dass  einige  Frauen  das  Kind  nicht  früher  abnabeln,  bis 
die  Placenta  herausgekommen  sei.* 

Bei  dem  griechischen  Landvolke  wird  die  Abnabelung  des  Kindes,  wie 
Damian  Georg  an  Ploss  berichtete,  erst  nach  der  Geburt  der  Placenta  vorge- 
nonunen.  Dann  wird  aber  zuerst  die  Nabelschnur  durchschnitten,  und  der  am 
Kinde  haftende  Nabelschnurrest  wird  dann  erst  unterbunden;  seine  Spitze  wird 
darauf  noch  besonders  gebrannt. 

Nach  Glück  wird  in  Bosnien  und  der  Hercegovina  die  Nabelschnur  von 
einer  helfenden  Frau  mit  einem  Endchen  Seide  oder  Wolle  unterbunden  und 
darauf  mit  einem  Messer  oder  einer  Sichel  abgeschnitten.  Eine  Scheere  ist  für 
diesen  Zweck  verpönt  aus  Gründen,   von  denen   ich  später  noch  sprechen  werde. 


818.  Ueberbllck  fiber  die  Methoden  der  Abnabelung. 

Wenn  wir  einen  recapitulirenden  Blick  auf  die  Reihe  der  soeben  gemachten 
Angaben  werfen,  so  müssen  wir  bekennen,  dass  wir  hier  keineswegs  im  Stande 
sind,  eine  regelmässige  Stufenfolge  geburtshülflicher  Entwickelung  nachzuweisen. 
Wir  können  vielmehr  bei  nahe  benachbarten  und  in  gleich  niedrigen  Culturstadien 
sich   befindenden   Völkern   ganz  verschiedenartige   Maassnahmen  erkennen.     Die 


313.  üeberblick  über  die  Methoden  der  Abnabelung.  199 

einen  durchtrennen  den  Nabelstrang  bereits,  vordem  die  Placenta  den  mütterlichen 
Körper  verlassen  hat;  andere  wiederum  warten  erst  diesen  Zeitpunkt  ab,  bevor 
sie  die  Durchschneidung  vornehmen.  Aber  auch  diese  letzteren  verhalten  sich 
durchaus  nicht  gleichmSssig.  Ein  Theil  von  ihnen  nimmt  sofort  nach  der  Geburt 
der  Placenta  die  Abnabelung  vor;  andere  wiederum  unterziehen  vorher  das  Neu- 
geborene und  bisweilen  auch  noch  den  Mutterkuchen  gewissen  Einsalbungen  und 
Waschungen,  über  welche  natürlicher  Weise  doch  immer  eine  ziemliche  Zeit  ver- 
gehen muss,  so  dass  also  das  Kind  noch  relativ  lange  mit  der  Nachgeburt  in 
Verbindung  gelassen  wird. 

Bei  vielen,  auch  sehr  rohen  Völkern  finden  wir  besondere  Methoden  im 
Gebrauch,  um  nach  der  Durchschneidung  des  Nabelstranges  Blutungen  aus  dem- 
selben zu  verhindern.  Mit  Pflanzenfasern  oder  mit  Faden  werden  reguläre  Unter- 
bindungen gemacht;  von  anderen  wird  ein  Knoten  in  den  Nabelstrang  selbst  ge- 
schlungen, oder  das  Kind  wird  in  einer  bestimmten  Richtung  mehrmals  um  die 
Placenta  herumgedreht,  so  dass  eine  feste  Zusammendrehung  der  Nabelblutgefasse, 
eine  Torquirung,  wie  der  chirurgische  Ausdruck  lautet,  eintreten  muss.  Das  Alles 
erscheint  aber  anderen  Völkern  wieder  noch  nicht  sicher  genug:  sie  behandeln 
den  Nabelschnurstumpf  mit  besonderen  blutstillenden  Medicamenten,  oder  sie  ver- 
kohlen ihn  sogar  in  einer  Flanmie.  Wie  viele  traurige  Erfahrungen  mögen  vor- 
hergegangen sein,  bis  diese  uncivilisirten  Menschen  das  Einsehen  gewannen,  dass 
man  den  lebensgefahrlichen  Blutungen  vorbeugen  müsse,  und  bis  sie  es  lernten, 
dass  diese  Methoden  zu  dem  erwünschten  Ziele  ftihren! 

Ueberrascbend  bleibt  es  immerhin  auf  den  ersten  Augenblick,  dass  es  doch 
noch  so  viele  Völker  giebt,  welche  einfach  die  Durchtrennung  des  Nabelstranges 
vornehmen,  ohne  irgend  eine  Unterbindung  auszuführen,  welche  die  Verhinderung 
einer  Blutung  beabsichtigt.  Sehen  wir  uns  aber  etwas  genauer  die  Art  und 
Weise  an,  wie  sie  den  Nabelstrang  durchtrennen,  so  finden  wir,  dass  sie,  sich 
selber  allerdings  unbewusst,  in  der  gewählten  Durchtrennungsart  das  Blutstillungs- 
mittel gefunden  haben.  Wenn  Schlagadern  durchgerissen  oder  entzweigequetscht 
werden,  dann  schnurrt  ihre  innerste  Schicht  wie  ein  geschnürter  Tabaksbeutel 
zusammen  und  verschliesst  das  nun  entstandene  Loch  in  der  Arterie  so  voll- 
kommen, dass  kein  Blut  aus  ihr  herausfliessen  kann.  Um  solche  Durchreissungen 
und  Durchquetschungen  handelt  es  sich  nun  aber  bei  denjenigen  Stämmen,  welche 
ohne  eine  vorherige  Unterbindung  den  Nabelstrang  durchtrennen.  Wir  haben 
ja  gesehen,  dass  sie  denselben  entweder  zerreissen,  oder  dass  sie  ihn  mit  den 
Nägeln  durchkneifen,  mit  den  Zähnen  durchbeissen,  mit  Steinen  entzweiklopfen, 
oder  mit  Steinmessem,  Muscheln  oder  Holzstücken  durchschneiden.  Das  sind 
alles  mehr  oder  weniger  stumpfe,  quetschende  und  zerreissende  Werkzeuge. 
Und  so  wird  uns  die  ^gabe  MalUxt's  über  die  Negritas  der  Philippinen 
wohlverständlich,  welcher  sagt,  dass  die  durch  ihre  Art  der  Durchschneidung 
des  Nabelstranges  mit  einem  scharf  geschnittenen  Stück  Bambusrohr,  mit 
einer  Austemschale  oder  einem  Steine  verursachte  Zerreissung  der  Häute  und 
Gefässe  die  Blutung  mit  grösserer  Sicherheit  stillt,  als  die  Anlegung  irgend 
einer  Ligatur. 

Erst  als  die  Menschen  es  lernten,  sich  für  diesen  Zweck  scharfschneidender 
Gegenstände  zu  bedienen,  da  waren  sie  auch  gezwungen,  zu  blutstillenden  Maass- 
nahmen  ihre  Zuflucht  zu  nehmen,  und  als  solche  haben  wir,  abgesehen  von  den 
Unterbindungen,  die  Knotungen  des  Nabelstranges,  sowie  das  Verkohlen  des  Nabel- 
strangstumpfes mit  der  directen  Flamme  oder  durch  glühend  gemachte  Gegen- 
stände, und  das  Bestreuen  der  Schnittfläche  mit  blutstillenden  Mitteln  kennen  ge- 
lernt. Auch  das  Kneten  des  Nabelstrangrestes  muss  hierher  gerechnet  werden, 
weil  hierdurch  ein  rasches  Vertrocknen  desselben  hervorgerufen  wird. 


LI.  Die  Geburtshülfe  der  Nachgeburtsperiode. 

314.  Die  Ausstossnng  der  Nachgeburtstheile. 

Aus  Oründen  der  bequemeren  Uebersicht  habe  ich  der  Abnabelung  des  Neu- 
geborenen ein  besonderes  Kapitel  gewidmet,  obgleich  dieselbe  streng  genommen 
eigentlich  auch  zu  den  geburtshülflichen  Handgriffen  gehört,  welche  in  der  so- 
genannten Nachgeburtsperiode  ausgeführt  werden  müssen.  Jetzt  haben  wir  nun 
noch  von  der  Ausstossnng  der  Placenta,  der  Nachgeburt  oder  des  Mutter- 
kuchens zu  sprechen.  Es  wird  uns  nicht  besonders  überraschen,  dass  man  bei 
vielen  Naturrölkern  sich  nicht  besonders  hierum  kümmert,  da  man  ja,  wie  wir 
gesehen  haben,  auch  mit  der  eigentlichen  Entbindung  sich  nicht  gerade  besondere 
umstände  macht.  In  dem  einen  wie  in  dem  anderen  rrocesse  wird  eben  wesentlich 
auf  die  erfolgreiche  Thätigkeit  der  physiologischen  Austreibungskräfte  gerechnet. 

Nur  selten  melden  die  Reisenden  von  Blutungen  in  der  Nachgeburtsperiode, 
die  durch  das  Zurückbleiben  der  Placenta  oder  auch  nur  weniger  Reste  von  Ei- 
hauttheilen  bei  den  Naturvölkern  entstanden  wären,  oder  von  septischen  Infectionen 
derselben.  Es  ist  wohl  denkbar,  dass  hier  eine  die  spontane  Austreibung  hin- 
dernde Atonie  überhaupt  zu  den  äussersten  Seltenheiten  gehört.  Und  das  muss 
uns  zu  der  Frage  führen,  in  wie  weit  man  denn  überhaupt  auch  den  Gebärenden 
bei  den  Culturvölkem  die  Nachgeburtsperiode  durch  helfende  Eingriffe  abzukürzen 
genöthigt  ist. 

Schon  Vogler  in  Weilburg,  der  im  Jahre  1797  seine  Erfahrungen  ver- 
öffentlichte, empfahl  eine  rein  exspectative  Methode  und  er  überliess  die  Aus- 
stossnng der  Nachgeburt  in  den  allermeisten  Fällen  der  Natur. 

In  unserer  Zeit  hat  auch  Schröder  den  Nachweis  geliefert, 

,da88  die  Lösung  der  Nachgeburt  und  ihre  Aosstossung  aus  dem  Hohlmuskel  (üterus- 
körper  bis  zum  Contractionsring)  mit  grosser  Sicherheit  und  in  nicht  zu  langer  Zeit  (5 — 15 
Minuten)  durch  die  Naturkr&fte  gelingt,  dass  aber  die  Nachgeburt  im  schlaffen  Durchtritts* 
schlauch  (unteres  üterinsegment,  Mutterhals  und  Scheide)  bei  ganz  ruhigem  Verhalten  der 
Ereissenden  sehr  lange  liegen  bleiben  kann/ 

Die  Blutung  ist  hierbei  eine  sehr  massige.  Ein  Aufrichten  der  Gebärenden, 
ein  sanfter  Druck  auf  den  Unterleib,  oder  ein  leichter  Zug  an  der  Nabelschnur 
ist  für  gewöhnlich  ausreichend,  um  die  Nachgeburt  zu  Tage  treten  zu  lassen. 

misi  darf  sich  nicht  verwundem,  wenn  die  Nachgeburtsperiode  gar  häufig 
in  ihrer  Bedeutung  unterschätzt  wird.  Nachdem  das  Kind  geboren  ist,  scheint 
zunächst  der  Gebärenden  und  ihrer  Umgebung  die  Hauptsache  überstanden  zu 
sein.  Man  beschäftigt  sich  mit  dem  Neugeborenen,  und  man  hat  nur  wenig  Acht 
darauf,  dass  noch  bedrohliche  Ereignisse  folgen  können.  Unbekannt  mit  diesen 
drohenden  Gefahren,  wartet  man  zunächst  geduldig  ab.  Doch  der  aus  den  Ge- 
schlechtstheilen  heraushängende  Nabelstrang  muss  auch  der  UnerfieJirensten  zeigen. 


315.  Das  Verhalten  der  Naturvölker  in  der  Nachgebnrtsperiode.  201 

dass  noch  nicht  alles  vorüber  ist,  nnd  das  fährt  dann  zu  allerlei  Manipulationen, 
um  möglichst  bald  die  junge  Wöchnerin  von  dem  überflüssigen  Dinge  zu  befreien. 
Auch  die  Geburtshülfe  unseres  Jahrhunderts  hat  verschiedene  Regeln  und 
Methoden  angegeben,  um  die  Nachgeburt  schnell  und  sicher  aus  dem  mütterlichen 
Körper  zu  entfernen,  jedoch  ist  hier  nicht  der  Ort,  näher  auf  dieselben  einzugehen. 
Wir  müssen  das  den  geburtshülflichen  Lehrbüchern  überlassen.  Wir  haben  aber 
zu  untersuchen,  wie  sich  in  dieser  Beziehung  die  Naturvölker  benehmen. 


315.  Das  Yerhalten  der  Naturvölker  in  der  Nachgebnrtsperiode. 

In  der  Frage,  welche  uns  hier  beschäftigt,  würden  uns  gerade  diejenigen 
Völker  die  interessantesten  Aufschlüsse  zu  geben  vermögen,  bei  welchen  die  Weiber 
während  der  Niederkunft  sich  voUständig  selbst  überlassen  bleiben.  Leider  sind 
wir  aber  von  diesen  gerade,  da  sie  ja  ohne  Zeugen  gebären,  begreiflicher  Weise 
ohne  nähere  Berichte.  Wie  wir  aber  früher  gesehen  haben,  so  gebären  nicht 
bei  allen  niederen  Volksstämmen  die  Frauen  ohne  befreundete  Hülfe;  und  so  sind 
auch  über  den  Abgang  der  Nachgeburt  vereinzelte  Nachrichten  zu  uns  gedrungen. 

Wenn  bei  den  Negern  in  Old-Galabar  das  Kind  geboren  ist,  so  lässt 
man  es  ruhig  zwischen  den  Schenkeln  der  Mutter  liegen  und  wartet  geduldig  ab, 
bis  die  Nachgeburt  kommt,  wenn  auch  dieselbe  lange  Zeit  auf  sich  warten 
lassen  sollte. 

Die  Nachgeburt  wird  auch  bei  den  Abyssinierinnen  nicht  künstlich  ent- 
fernt. Die  Frau  gebiert  in  der  Knie  -  Ellenbogenlage  und  sie  verharrt  in  der- 
selben Stellung,  bis  die  Nachgeburt  abgegangen  ist.    (Blanc.) 

Auch  bei  den  Wakamba  und  den  ihnen  benachbarten  Stämmen  wird  für 
gewöhnlich  die  Placenta  nicht  auf  eine  künstliche  Weise  entfernt. 

Nach  Hildebrandt  trinken  die  Somali  nach  der  Entbindung  warmes  Schaf- 
talg. Durch  die  abführende  Wirkung  desselben  wird  der  Austritt  der  Nachgeburt 
befördert. 

Bei  den  Negersclavinnen  in  Surinam  folgt  nach  HiUe  die  Nachgeburt 
gewöhnlich  sehr  schnell  dem  Kinde;  besondere  HlÜfsmittel  zur  Entfernung  der- 
selben scheinen  bei  ihnen  nicht  nöthig  zu  werden. 

Bei  den  Indianerinnen  scheint  im  Allgemeinen  die  Ausstossung  der  Pla- 
centa schnell  und  mühelos  vor  sich  zu  gehen;  sonst  wäre  es  ja  nicht  möglich, 
dass  die  Weiber,  wenn  sie  auf  der  Wanderschaft  niederkommen,  gleich  nach  der 
Entbindung  dem  Stamme  nacheilen  und  sich  wieder  mit  ihm  vereinigen  könnten. 
Solche  FäUe  sind  aber  wiederholentlich  und  in  glaubwürdiger  Weise  berichtet. 
Kommen  ausnahmsweise  aber  doch  Verzögerungen  im  Abgange  der  Nachgeburt 
vor,  so  suchen  sie  schnell  und  energisch  einzugreifen.  Einige  Stämme  nur,  wie 
die  Menomenies,  die  Bach-Indianer  und  die  Krähen-Indianer,  aber  auch 
die  Indianer  in  Mexiko  lassen  sich  nach  den  Berichten  von  Engdmann  dadurch 
weiter  nicht  in  Unruhe  versetzen,  sondern  sie  warten  geduldig  ab,  bis  die  Placenta 
herausgefault  ist.  Das  führt  dann  bisweilen  zu  pyämischen  Erkrankungen,  denen 
die  armen  Weiber  erliegen.  Es  sind  aber  auch  Beispiele  bekannt,  wo  die  In- 
dianer energischer  eingreifen. 

In  Australien  setzt  sich,  wie  von  CoUins  mitgetheilt  wurde,  die  Frau 
nach  Ankunft  des  Kindes  in*ein  kleines,  zu  diesem  Zwecke  bereitetes  Loch  und 
wartet  hier,  bis  die  Nachgeburt  abgeht;  nach  der  Beschreibung  nimmt  sie  dabei 
eine  Stellung  ein,  wie  bei  einer  Defacation  auf  freiem  Felde.  Das  ist  sicherlich 
ein  ganz  zweckentsprechendes  Verfahren,  da  in  dieser  Körperhaltung  die  Bauch- 
presse ganz  besonders  wirken  kann. 

Auf  Neu-Galedonien  durchtrennen  nach  Vinsan  die  helfenden  Frauen  vor 
der  Oeburt   der  Placenta  den  Nabelstrang   und   befestigen  dann   dessen  an  dem 


202  LL  Die  Geburtshalfe  der  Nachgeburteperiode. 

Mutterkuchen  hängenden  Theil  an  der  grossen  Zehe  der  Mutter,  der  Natur  die 
Ausstossung  aus  der  Gebärmutter  überlassend.  Sobald  bei  den  Papuas  auf  der 
Insel  Noefoor  bei  Neu-Ouinea  das  Kind  geboren  ist,  lässt  man  dasselbe 
liegen,  bis  die  Nachgeburt  folgt,  und  dann  erst  schneiden  die  helfenden  Frauen 
den  Nabelstrang  mit  einem  scharfen  Bambusmesser  ab.  Oft  stirbt  das  Kind  vor 
Kälte,  wenn  es  zu  lange  in  solchem  Zustande  auf  die  Nachgeburt  warten  muss. 
Van  HasseU  berichtet,  dass  einmal  bei  einer  jungen  Frau  nach  tagelangem  Leiden 
die  Nachgeburt  in  Stücken  zum  Vorschein  kam,  nachdem  allerlei  Mittel  ange- 
wendet worden  waren,  um  dieselbe  herauszubefördem. 

Schwans^  in  Fulda  veranlasste  eine  Frau  aus  Sumatra,  welche  sich  unter 
seiner  Au&icht  befand,  sich  ganz  so  zu  benehmen,  wie  es  bei  Entbindungen  in 
ihrer  Heimath  gebräuchlich  ist:  Sie  liess  sich  nach  der  Geburt  des  Kindes  den 
Unterleib  mit  etwas  Oel  einreiben,  machte  sodann  eine  drängende  Anstrengung, 
und  dabei  ging  die  Placenta  sofort  ab. 

Auch  die  Tataren  in  Astrachan  überlassen  nach  der  Angabe  Meyerson's 
den  Abgang   der  Nachgeburt  der  Natur;   das  Kind  wird  aber   sofort  abgenabelt. 


316.  Die  Terzogernngen  bei  der  Ansstossnng  der  Nachgeburtstheile. 

Die  Beobachtung,  dass  ein  zu  lange  Zeit  fortgesetztes  zuwartendes  Verhalten 
bei  zögerndem  Abgange  der  Placenta  gewisse  Gefahren  mit  sich  bringen  kann, 
mag  nun  wohl  auch  unter  denjenigen  Völkern  gemacht  worden  sein,  die  in  ge- 
burtshülf lieber  Hinsicht  auf  einer  niederen  Stufe  stehen.  Wenn  sie  dann  zu 
Hülfsmitteln  greifen,  so  ist  es  wohl  der  naturgemässe  Gang,  dass  zuerst  die  ein- 
fachen ausprobirt  werden.  Man  fordert  die  Entbundene  auf,  eine  andere  Körper- 
haltung anzunehmen,  man  sucht  die  Kraft  der  Bauchpresse  zu  steigern,  man 
schüttelt  die  Frau  u..  s.  w.  Solche  Mittel  werden  auch  wohl  combinirt,  um  die 
Wirkung  um  so  sicherer  zu  erreichen.  Manipulationen,  welche  Erbrechen  be- 
wirken, Mittel,  welche  ein  Niesen  hervorrufen,  werden  sehr  gern  in  Anwendung 
gezogen.  Auch  kräftige  Exspirationen  anderer  Art  veranlasst  man  die  Wöchnerin 
auszuführen. 

Eine  Aenderung  der  Stellung  lassen  viele  Indianer-Stämme  die  Ent- 
bundene annehmen,  damit  die  Nachgeburt  von  ihr  geht.  Die  Crows-India- 
nerinnen  und  die  Creek-Indian  erinnen  kommen  auf  dem  Bauche  liegend 
nieder;  aber  sofort  nach  der  Ankunft  des  Kindes  springen  sie  auf  und  stützen 
sich  auf  einen  Stecken,  wobei  sie  die  Beine  weit  aus  einander  spreizen.  Dies 
geschieht  in  der  Absicht,  damit  das  Blut  frei  abfliesse  und  damit  die  Placenta 
schneller  und  leichter  zu  Tage  trete.  Auch  die  Weiber  der  Gattaranguts 
erheben  sich  nach  der  Niederkunft  aus  ihrer  knieenden  Stellung  und  richten  sich 
auf  ihre  Füsse  auf,  weil  sie  der  Meinung  sind,  dass  hierdurch  der  Abgang  der 
Nachgeburt  befördert  werde.  Solcher  Beispiele  lieasen  sich  noch  mehr  beibringen. 
Auf  den  Sandwich 8 -Inseln  lässt  man  die  Frau,  welche  im  Sitzen  nieder- 
gekommen ist,  eine  zusanmiengekauerte  Stellung  einnehmen;  da  das  Kind  erst  ab- 
genabelt wird,  wenn  die  Placenta  zu  Tage  getreten  ist,  so  muss  es  dabei  von 
der  Hebamme  gehalten  werden.  Man  lässt  daselbst  aber  auch  die  Entbundene 
sich  auf  die  Füsse  stellen,  um  den  Abgang  des  Mutterkuchens  zu  erleichtem. 

Zur  Unterstützung  dieser  Maassnahme  sucht  man  aber  auch  noch  die  Thätig- 
keit  der  Bauchpresse  wirksam  zu  steigern  durch  die  Erregung  von  Uebelkeit  und 
Erbrechen.  Die  Frau  steckt  sich  den  Finger  in  den  Hals,  oder  die  Hebamme 
zieht  ihr  die  Zunge  stark  zum  Monde  heraus,  bis  sie  aufstösst  oder  erbricht. 

So  wird  in  Süd-Indien  nach  Shortt  bei  zögerndem  Abgange  der  Placenta 
die  Gebärende  von  der  Hebamme  angewiesen,  eine  Locke  ihres  Haares  zu  kauen, 


316.  Die  YerzOgerongen  bei  der  Ausstossung  der  Nachgeburistheile.  203 

wodurch  XJebelkeit  und  BrechneigUDg  entsteht.  Bei  den  Birmanen  ist  nach 
Mardegcusea  ein  ganz  ähnliches  Verfahren  gebräuchlich. 

Man  benutzt  zu  dem  gleichen  Zweck  aber  auch  noch  viel  unappetitlichere 
Dinge;  z.B.  steckt  man  in  Argentinien  die  Spitze  einer  Gerte  in  den  Mund, 
die  vom  Schweisse  eines  Pferdes  beschmutzt  ist.  Mantegcusea^  sah  in  Bolivia 
einer  Frau  in  einem  Nachtgeschirr  Wasser  reichen,  in  welchem  man  zuvor  vor 
ihren  Augen  schmutzige  Strümpfe  wusch. 

Gleich  nach  der  Geburt  des  Kindes  bekommt  die  Mexikanerin  gewöhnlich 
eine  Eomgrützabkochung  zu  trinken.  Aber  auch  abführende  und  ekelerregende 
Mittel  sind  dort  bekannt,  um  die  Placenta  herauszufordern.  Die  dortige  India- 
nerin muss  gleich  ein  Quart  rohe  Bohnen  geniessen;  diese  sollen  dann  im  Leibe 
quellen  und  so  den  Mutterkuchen  zum  Abgehen  zwingen. 

Auch  die  Reflexbewegung  des  Niesens  wird  als  ein  sehr  wirksames  Hülfs- 
mittel  in  Anwendung  gezogen. 

Zur  Erregung  des  Niesens  wenden  bei  zögerndem  Placentaabgange  die 
Gros-Ventres- In  dianer  ein  reizendes  Pulver  an,  dessen  "Wirkung  auf  die 
Contraction  der  Muskeln  selten  ausbleibt.  Die  Bus  und  Mandans  benutzen 
hierzu  die  Früchte  der  Ceder,  das  Gastoreum  oder  den  Knopf  am  Schwänze  der 
Klapperschlange,  wobei  sie  das  Gastoreum  in  Brechen  erregenden  Mengen  geben. 

Die  vorher  schon  angedeuteten  Erschütterungen  des  Körpers  werden 
gar  nicht  selten  in  höchst  barbarischer  Weise  vorgenommen: 

Wenn  z.  B.  bei  den  Kirgisen  des  Gebietes  Semipalatinisk  die  Nachgeburt  nicht 
kommen  will,  so  werden  der  Frau  lederne,  sehr  weite  Beinkleider  angezogen,  welche  zugleich 
den  ganzen  Rock  umhüllen,  dann  wird  sie  einem  Kirgisen  auf  das  Pferd  gesetzt  und  dieser 
sprengt  mit  ihr  weit  über  Berg  und  Thal,  begleitet  von  den  hinter  ihm  lärmenden  und 
schreienden  Einwohnern  des  Auls.  „Aber  wozu  hilft  denn  das?*  fragte  die  Berichterstatterin. 
„Nun,  mitunter  hilft  es,  mitunter  stirbt  die  Frau,"  antwortete  ruhig  die  Erzählerin.  Wenn 
die  Frau  von  diesem  wilden  Ritt  lebend  heimkehrt,  so  ist  sie  zum  mindesten  ohnmächtig; 
der  „Baksa*  (ein  den  Schamanen  ähnlicher  Arzt)  reibt  ihr  die  Stirn  mit  den  Händen,  zieht 
ihr  die  Zunge  hervor  und  giebt  ihr  eine  Ohrfeige.  Erwacht  sie  dabei  nicht  aus  ihrer  schweren 
Ohnmacht,  so  wird  ein  Schmied  herbeigebracht,  der  auf  seinem  Amboss  glühendes  Eisen 
tüchtig  hämmern  muss,  dass  Funken  nach  allen  Seiten  fliegen;  dasselbe  wird  der  Kranken 
auch  nahe  ans  Gesicht  gebracht;  dabei  redet  ihr  der  „Baksa*  zu:  sie  solle  antworten:  „Ich 
danke,  Herr."  Endlich  kommt  das  geplagte  Weib  zu  sich  und  stammelt:  „Ich  danke,  Herr.'' 
Der  Schmied  steckt  ihr  dann  eine  eiserne  Feile  in  den  Mund,  damit  sie  dieselbe  mit  den 
Zähnen  festhalte,  dann  hat  das  arme  Weib  endlich  Ruhe.    (Globus,) 

Auch  bei  den  Neu-Oriechen  wird  die  Gebärende  sogleich  nach  der  An- 
kmift  des  Kindes  über  den  Oebärstnhl  mehrere  Male  von  der  Gehülfin  mit  starkem 
Arme  emporgehoben,  worauf  man  sie  wieder  heftig  herabfallen  lasst;  diese 
Erschütterungen  worden  so  lange  fortgesetzt,  bis  die  Nachgeburt  erschien,  was 
auch  bald  geschah;  von  Moreau  wird  hinzugefügt:  „Dieses  Verfahren  ist  allge- 
mein und  nicht  schädlich/ 

Sowohl  die  Indianerinnen  in  Mexiko  als  auch  die  Weiber  des  niederen 
Volkes  kommen,  wie  Engdmann  berichtet,  in  hockender  oder  knieender  Stellung 
nieder.  Bei  den  Indianerinnen  folgt  die  Nachgeburt  dann  schnell;  die 
Mexikanerinnen  aber  müssen  meistens  längere  Zeit  auf  den  Abgang  der 
Placenta  warten,  und  so  lange  müssen  sie  auch  in  ihrer  unbequemen  Stellung 
verharren.  Bisweilen  vergeht  darüber  eine  halbe  Stunde,  oft  geht  sogar  eine  ganze 
Stunde  hin.  Zögert  aber  auch  dann  noch  die  Nachgeburt,  so  erfasst  eine  der 
beistehenden  Frauen  die  junge  Mutter  mit  den  Armen  und  schüttelt  sie  kräftig 
auf  und  nieder.  Solch  ein  Schütteln  ist  in  dem  gleichen  Falle  auch  bei  den 
dortigen  Indianerinnen  üblich. 

Wenn  beiden  Indianerinnen  der  Misqually-Agentur  sich  der  seltene 
Fall  einer  Placentaretention  ereignet,  so  benutzen  sie  ein  Dampfbad.    Eine  Ver- 


204  ^^'  I^ie  Gebortshülfe  der  Nachgeburtsperiode. 

tiefung  wird  in  den  Boden  gemacht  und  mit  heissen  Steinen  ausgeflillt,  die  mit 
Fichtennadeln  bedeckt  werden.  Dann  wird  Wasser  darauf  gegossen  und  die  Frau 
setzt  sich  über  dieses  Dampfbad  einige  Minuten  lang.  Dieses  einfache  Verfahren 
schlägt  selten  fehl. 

317.  llebernatflrliclie  und  sympathetische  Mittel^  nm  die  Ansstossnng  der 
Nachgeburtstheile  zu  beschleunigen. 

Es  ist  nicht  zu  verwundem,  dass  auch  übernatürliche  und  sympathetische 
Hülfsmittel  in  der  Nachgeburtsperiode  ihre  sehr  wichtige  Rolle  spielen,  und  es 
ist  wohl  zu  verstehen,  wie  die  durch  den  Glauben  an  ihre  Wirksamkeit  bedingte 
Erwartung  und  Spannung  zu  unbewussten  Muskelcontractionen  führen  und  wie  auf 
diese  Weise  nun  wirklich  der  angestrebte  Erfolg  zu  Stande  kommen  kann. 

Zaubersprüche,  um  die  Nachgeburt  zum  Heraustreten  zu  veranlassen,  wurden 
schon  von  den  Aerzten  der  alten  Inder  benutzt.     Stengler  hat  darüber  berichtet. 

In  Entre-Bios  in  Argentinien  legt  man  nach  Mantegaeea  unter  das 
Geburtsbett  einen  Pferdeschädel  in  der  Weise,  dass  das  Maul  dem  Fussende  zu- 
gekehrt ist.  Das  soll  den  schnellen  Abgang  der  Nachgeburt  bewirken.  Auch 
lässt  man,  um  dieses  Ziel  zu  erreichen,  kleingeschnittene  Stückchen  von  Silber- 
münzen und  Scherben  von  Ofenkacheln  zusammen  kochen  und  die  Suppe  da- 
von trinken. 

Auch  in  Deutschland  kennt  man  solche  magisch  wirkenden  Tränke  und 
sympathetischen  Mittel.  In  Schwaben  muss  die  junge  Mutter  eine  Abkochung 
von  drei  lebendig  zerstossenen  Krebsen  trinken,  wenn  die  Nachgeburt  nicht  in 
der  Zeit,  wie  man  erwartet  hat,  abgehen  will.  (Bück,)  In  der  Bheinpfalz 
lässt  man  die  Wöchnerin  aufstehen,  einen  Stock  in  die  Hand  nehmen,  ihres 
Mannes  Hut  aufsetzen,  und  dann  sich  wieder  niederlegen.  Wir  sehen,  wie  hinter 
dieser  Sympathie  wieder  ein  wirksames  Mittel  steckt.  Das  ist  nämlich  der  Ueber- 
gang  von  der  liegenden  in  die  aufrechte  Stellung,  dessen  erfolgreiche  Wirksamkeit 
wir  ja  früher  bereits  besprochen  haben. 

Hören  wir  durch  Bartsch^  dass  in  Mecklenburg,  wenn  die  Nachgeburt 
nicht  kommen  will,  der  Ehemann  sich  den  Bart  rasiren  und  ihn  mit  dem  Seifen- 
schaum seiner  Gattin  zu  essen  geben  muss,  so  haben  wir  hierin  wiederum  eine 
Ekelkur  zu  erkennen. 

318.  Die  Nabelschnur  als  Handhabe  zur  Entfernung  der  Nachgeburt. 

Es  liegt  gewiss  ftir  ein  Naturkind  sehr  nahe,  den  aus  den  Genitalien  heraus- 
hängenden Nabelstrang  als  die  naturgemässe  Handhabe  zu  betrachten,  um  durch 
einen  kräftigen  Zug  an  ihr  die  Nachgeburt  zu  Tage  zu  fordern.  Das  ist  ein  Ver- 
fahren, welches  uns  in  der  That  bei  einer  ganzen  Anzahl  von  Völkern  begegnet. 

So  erzählt  Engelmann  von  den  Ainos,  dass,  wenn  das  "Neugeborene  ab- 
genabelt ist,  die  Frau  ruhig  in  ihrer  Lage  verharrt,  bis  die  Nachgeburt  zum 
Vorschein  kommt.  Für  gewöhnlich  geht  das  schnell  von  Statten.  Zögert  aber  die 
Nachgeburt,  so  zieht  sie  die  als  Hebamme  fungirende  Alte  an  dem  Nabelstrang- 
ende heraus.  Dieses  Verfahren  hat  gar  nicht  selten  höchst  gefährliche  Blutungen 
zur  Folge. 

Auch  bei  den  Chinesen  ziehen  nach  Kerr  die  Hebammen  die  Placenta 
mit  Gewalt  heraus,  was  den  Tod  vieler  Frauen  zur  Folge  hat. 

In  der  persischen  Provinz  Gilan  wird  nach  Häntesche  ebenfalls  die  Nach- 
geburt durch  Zug  am  Nabelstrange  entfernt. 

In  Unyoro  (Central-Afrika)  sterben  viele  Frauen  an  Blutungen,  während 
und  nach  der  Geburt,  welche,  wie  Emin  Pascha  vermuthet,  durch  Zerrungen  an 
der  Placenta  entstanden  sind. 


818.  Die  Nabelschnur  als  Handhabe  zur  Entfernung  der  Nachgebart.  205 

Nach  Krebe£s  Angabe  geschieht  auch  in  Russland  die  Entfernung  der 
Nachgeburt  dem  Volksgebrauche  gemäss  durch  gewaltsames  Ausziehen,  «wodurch 
häufig  Inversionen  und  Vorfälle  erzeugt  werden  **;  auch  lässt  man  dort  zur  For- 
derung des  Geschäftes  warmes  Wasser  trinken.  In  Frankreich  herrscht,  wie 
Tuejac  in  kleinen  Städten  der  Provinz  fand,  der  unter  den  Hebammen  sehr  ver- 
breitete Gebrauch,  dass  die  Nachgeburt  sofort  nach  der  Geburt  des  Kindes  aus- 
gezogen wird,  obgleich  schon  Bauddocque  und  die  Frau  LachapeUe  dieses  Ver- 
fahren energisch  verdammten. 

Aus  Jerusalem  berichtet  Bösen: 

.Wenn  bei  der  Geburt  die  Nachgeburt  nicht  rasch  folgt,  so  taucht  die  Hebamme  die 
Finger  in  Olivenöl  und  legt  die  Hand  an  die  Scheidenmfindung ,  um  die  Nachgeburt,  wenn 
«ie  in  die  Scheide  herabsteigt,  mit  den  Fingern  zu  fassen.  Wenn  die  Nachgeburt  der  Scheiden- 
mündang  nicht  nahe  kommt,  dann  bindet  die  Hebamme  die  Nabelschnur  mit  einem  Bindfaden, 
dessen  anderes  Ende  an  den  Fuss  der  Geb&renden  gebunden  wird;  das  Kind  wird  in  ein  Lein- 
tuch gewickelt,  bis  die  Nachgeburt  zum  Vorschein  kommt.'' 

Bei  den  Cheyenne-  und  Arrapahoes-Indianern,  deren  Frauen  die 
Bückenlage,  in  der  das  Kind  geboren  wird,  auch  in  der  Nachgeburtsperiode  bei- 
behalten, wird  niemals  abgewartet,  dass  die  Placenta  durch  die  eigene  Kraft  der 
Oebärmutter  ausgestossen  wird.  Sie  suchen  sie  vielmehr  sofort  durch  ein  starkes 
Ziehen  am  Nabelstrange  herauszubefordem.  Unter  diesem  rohen  Verfahren  wird 
dann  das  unglückliche  Weib  nicht  selten  das  Opfer  einer  starken  Blutung. 

Auch  bei  den  Dacota-Indianern  wird  gewaltsam  am  Nabelstrange  ge- 
zogen, was  häufig  sehr  schlimme  Folgen  hat 

Die  mexikanischen  Indianer  und  die  ungebildete  weisse  Bevölkerung 
Mexikos  hat  nach  den  Berichten  von  Engdmann  und  Harrison  ebenfalls  die 
imverständige  Methode,  stark  an  dem  Nabelstrange  zu  ziehen.  Viele  Frauen 
sollen  dort  sterben,  weil  sie  nicht  von  der  Nachgeburt  befreit  werden  können. 

Wenn  wir  diese  Berichte  lesen,  so  muss  es  uns  verwundern,  dass  nicht  doch 
-diese  primitiven  Geburtshelferinnen  sich  von  der  grossen  Gefährlichkeit  ihres  Ver- 
fahrens überzeugen  mussten.  Wahrscheinlich  hat  das  darin  seinen  Grund,  dass 
sehr  häufig  die  Nachgeburt  bereits  aus  der  Gebärmutter  ausgestossen  war  und 
bereits  gelöst,  aber  noch  ungeboren  in  der  Scheide  lagerte.  Zieht  man  sie  dann 
am  Nabelstrange  heraus,  dann  ist  das  natürlicher  Weise  eine  ganz  ungefährliche, 
harmlose  Sache.  Verhängnissvoll  wird  dieses  Anziehen  nur  in  den  selteneren 
Fällen,  wo  die  Placenta  noch  ungelöst  in  der  Wand  der  Gebärmutter  haftet. 

Dass  aber  auch  manchen  Naturvölkern  die  Geföhrlichkeit  dieser  letzteren 
Methode  nicht  verborgen  geblieben  ist,  das  erfahren  wir  durch  Engdmann,  Bei 
einigen  In  dianer- Stämmen  Nord-Amerikas  findet  allerdings  ein  derartiges 
Ziehen  am  Nabelstrange  statt;  doch  geschieht  dies  überall  mit  ganz  ausserordent- 
licher Vorsicht  und  sie  machen  davon  nur  in  sehr  seltenen  Fällen  Gebrauch.  So 
werden  beispielsweise  bei  den  Crow-Indianern  und  bei  den  Greeks  diese 
Tractionen  am  Nabelstrange  stets  nur  mit  geringer  Kraft  ausgeübt.  Finden  sie 
einen  Widerstand,  so  lassen  sie  lieber  die  Nachgeburt  zurück,  bis  sie  durch 
Fänlniss  ausgestossen  wird.  Fälle  von  pyämischer  Infection  sollen  dabei  sehr 
selten  sein. 

Stetige  und  nicht  zu  heftige  Tractionen  am  Nabelstrang  machen  auch  die 
Papagos-Indianer.  Bei  ihnen  fand  Smart  Gelegenheit,  einen  GeburtsfeU  kennen 
zu  lernen,  in  welchem  die  Placenta  3 — 4  Tage  zurückgeblieben  war: 

Er  fand  die  der  Frau  beistehenden  Weiber  in  grosser  Unruhe.  Die  Patientin  lag  auf 
einer  Seite  mit  heraufgezogenen  Enieen;  der  Arzt  liess  sie  eine  ausgestreckte  Lage  annehmen 
und  ezplorirte  sie  mit  der  Hand:  ein  Buckskin-Strang  von  der  Länge  einer  Peitschenschnur 
war  am  abgeschnittenen  Ende  des  Nabelstranges  befestigt,  während  das  andere  Ende  deA- 
«elben  um  die  grosse  Zehe  geschlungen  war,  so  dass  beim  Ausstrecken  des  Beines  ein  Zug  an 
4er  Placenta  erfolgte.  Der  Arzt  fand  keine  Adhäsion,  und  es  gelang  ihm  leicht,  durch  Ein- 
itihren  der  Hand  in  den  Uterus  die  Placenta  zu  entfernen. 


206  L^-  ^^^  Geburtshülfe  der  Nachgeburteperiode. 

319.  Das  Heransdrflcken  der  Nachgeburtstheile. 

Es  müsste  wunderbar  erscheinen,  wenn  der  menschliche  Geist  nicht  auch 
darauf  verfallen  sein  sollte,  den  äusseren  Druck  als  Hiilfsmittel  für  die  Ausstossung 
der  Nachgeburt  in  Anwendung  zu  ziehen.  Denn  erstens  ist  es  schon  an  sich 
sehr  wahrscheinlich,  dass  man  bei  den  Völkern  gleichsam  von  selbst  darauf  hin- 
geleitet wird,  die  noch  im  Uterus  befindliche  Nachgeburt  durch  ein  Zusammen- 
pressen des  Unterleibes  auszuquetschen.  Zweitens  aber  ist  hervorzuheben,  dass 
in  der  Heilkunde  sehr  vieler  roher  und  halbcivilisirter  Völker  bekanntermaassen 
ein  Knetverfahren  ausserordentliches  Vertrauen  geniesst,  so  dass  man  es  bei  den 
mannigfachsten  Störungen  und  Leiden  in  Gebrauch  zieht.  Dieses  Kneten,  das  wir 
als  Massage  bezeichnen,  wird  in  ganz  Asien  sowohl  von  den  Arabern,  Indern 
und  Persern,  als  auch  von  den  Japanern  und  Chinesen  geübt  zur  Heilung 
und  Kräftigung.  Die  Japaner  haben  das  Ambuk  direct  in  ihre  Geburtshülfe 
eingeführt,  um  bei  Querlage  die  Wendung  von  aussen  zu  machen.  Auf  den  Sand- 
wichs-Inseln heisst  das  Kneten  der  ermüdeten  Glieder  , Lome-Lome*'  und  wird 
nach  dem  Berichte  Buchners  kunstgerecht  meist  von  den  Händen  eingeborener 
Mädchen  als  Theil  der  landesüblichen  Gastfreundschaft  ausgeführt.  Es  liegt  nun 
sehr  nahe,  anzunehmen,  dass  an  vielen  Orten  der  Erde  die  Beobachtung  gemacht 
wurde,  welchen  guten  Erfolg  das  Kneten,  Beiben,  Drücken  und  Streichen,  kurz 
die  Massage,  auf  die  im  Unterleibe  noch  fühlbare  Geschwulst,  auf  den  noch  die 
Nachgeburt  enthaltenden  Uterus  hat;  denn  die  massirende  Person  muss  sehr  bald 
wahrgenommen  haben,  wie  schnell  unter  ihren  Händen  durch  einen  verhältniss- 
mässigschwachen  Druck  die  Placenta  zum  Vorschein  gebracht  wird. 

Wenn  bei  den  australischen  Schwarzen  am  Pinke-Creek  die  Nach- 
geburt nicht  von  selber  kommt,  so  wird  der  Leib  der  noch  in  horizontaler  Lage 
befindlichen  Wöchnerin  in  der  Gegend  der  Gebärmutter  mit  den  Händen  geknetet 
und  diese  Stelle  nach  abwärts  gedrückt.     (Kempe.) 

Bei  den  Longo-Negern,  bei  denen  die  Gebärende  sich  an  einer  schräg- 
stehenden Stange  anhält,  legt  sich  dieselbe  in  der  Bückenlage  auf  die  Erde,  so- 
bald der  Austritt  der  Placenta  zögert,  und  lässt  sich  von  einer  anderen,  zu  ihrer 
Seite  knieenden  Frau  den  Unterleib  kneten.  (Felkin.)  Dagegen  stemmt  in 
Unyoro  bei  langsamem  Verlauf  die  Frau  selbst  ihren  Unterleib  auf  das  breite 
Ende  eines  Pfahles,  den  sie  gegen  die  Erde  stützt,  und  indem  sie  nun  rhythmisch 
den  Körper  vor-  und  rückwärts  neigt,  bewirkt  sie  eine  abwechselnde  Zusammen- 
pressung des  Gebärmuttergrundes,  um  so  die  Placenta  herauszudrängen. 

Bei  den  Wanika  im  östlichen  Afrika  giesst  man  zunächst  aus  einer  ge- 
wissen Höhe  Wasser  auf  den  Unterleib ;  erscheint  dann  die  Nachgeburt  nicht,  so 
muss  sich  die  Frau  in  Knie-Ellenbogenlage  begeben;  es  wird  nun  um  ihren 
Unterleib  ein  Tuch  geschlungen,  durch  welches  man  einen  Stock  steckt,  und  in- 
dem man  denselben  wie  einen  Knebel  dreht,  schnürt  man  den  Unterleib  durch 
intermittirenden  Druck  zusammen. 

Aehnlich  verfahrt  man  auch  in  Darfur.  Hier  liegt  die  Entbundene,  der 
die  Placenta  nicht  abgehen  will,  geradegestreckt  auf  dem  Rücken.  Ueber  den 
Unterleib  kommt,  ihn  ganz  umfassend,  ein  breites,  langes  Tuch.  Rechts  und  links 
zur  Seite  der  Frau  sitzt  je  eine  Helferin,  welche  das  eine  Ende  des  Tuches  an- 
zieht und,  um  eine  gehörige  Compression  des  Uterus  zu  erzielen,  mit  einem 
Fusse,  dicht  an  der  Entbundenen,  auf  das  Tuch  tritt,  es  gleichzeitig  möglichst 
stark  anziehend. 

Bonnar  hatte  Gelegenheit  zu  sehen,  wie  die  Kaffer-Frau  von  der  Nach- 
geburt befreit  wird: 

Die  Hebamme  fasste  die  Entbundene  unter  den  Achseln,  schleppte  sie  bis  in  die  Mitte 
der  Hütte,  wo  sich  letztere  halb  aufgerichtet  hinsetzen  musste,  die  Beine  ausgestreckt  und 
abducirt.    Die  Hebamme  postirte  sich  nun  hinter  sie,  ballte  ihre  Fäuste,  umfasste  die  Ent- 


319.  Das  Heraasdrücken  der  Nachgeburtstheile.  207 

bundene  mit  ihren  Armen  und  bearbeitete  den  Unterleib  mit  ihren  Fäusten,  indem  sie  den 
Uterus  vom  Grunde  gegen  die  Symphyse  knetete.  Nach  dreimaligem  Ejieten  trat  die  Nach- 
geburt  hervor.    Eine  Nachblutung  trat  nicht  ein  und  auch  keine  sonstige  Störung. 

Nach  Wossidlo  schnüren  die  Eaffernfrauen  der  Gebärenden,  nachdem  das 
Kind  zu  Tage  getreten  ist,  ein  Tuch  so  fest  um  den  Unterleib,  dass  die  Ent- 
bundene kaum  athmen  kann,  und  dann  befördern  sie  so  die  Nachgeburt,  ohne 
vorher  die  Nabelschnur  zu  unterbinden  und  das  Kind  abzunabeln,  heraus. 

In  Jaffa  wird  nach  Tdbler  der  Gebärenden  nach  der  Niederkunft  ein 
Gläschen  Aquavit  gegeben  und  dann  wird  von  den  Hebammen  die  Nachgeburt 
durch  einen  mit  Ans&engung  ausgeführten  Druck  auf  den  Nabel  herausbefordert. 

In  Cochinchina  unter  den  Annamiten  beseitigt  die  Hebamme  die  Nach- 
geburt, indem  sie  sich  an  einem  Balken  des  Daches  mit  den  Händen  festhält  und 
mit  ihrem  Fusse  den  Unterleib  der  Gebärenden  in  der  Gegend  des  Nabels  tritt, 
um  die  Gebärmutter  zusanmien  zu  pressen  und  die  Nachgeburtstheile  aus  ihr 
heraus  zu  drücken.  Dieses  Manöver  wiederholt  sie,  indem  sie  ihren  Fuss  nach 
und  nach  immer  näher  der  Symphyse  aufsetzt,  so  dass  durch  den  stetig  vor- 
schreitenden Druck  die  Placenta  allmählich  herausgedrängt  wird.  Darauf  kommt 
die  Hebamme  herab  und  sucht  mit  den  Händen  die  etwa  noch  in  der  Scheide 
vorhandenen  Reste  zu  entfernen;  allein  sie  wiederholt  auch  die  Pressionen  mit 
den  Füssen,  sobald  sie  es  noch  für  nützlich  halt  und  sie  noch  immer  Reste  in 
der  Gebärmutter  vermuthet.     Mondiere^  der  dies  berichtet,  setzt  hinzu: 

aCes  pressions  faites  avec  le  pied  m*ont  parut  excessivement  penibles  pour  la  femme.* 

Bei  den  Birmaninnen  wird  in  schwierigen  Fällen  in  ganz  ähnlicher  Weise 
verfahren.  Vorher  macht  man  aber  den  Versuch,  durch  Schlagen  des  Unterleibes 
zum  Ziele  zu  kommen. 

Das  Drücken  und  Kneten  des  Unterleibes  ist  auch  bei  manchen  Indianer- 
Stämmen  gebräuchlich,  so  z.  B.  bei  den  dem  grossen  Volke  der  Sioux  ange- 
hörigen  Uncpapas,  Yanktonais  und  Schwarzfuss-Indianern.  Wenn  der 
stetige  Druck  von  oben  nach  unten  und  das  Kneten  des  Unterleibes  nicht  zu 
dem  erwünschten  Ziele  fahrt,  so  wird  der  Bauch  mit  den  geballten  Fäusten  be- 
arbeitet. Auch  bei  den  Kutenais-Indianern  wird  der  Leib  der  jungen  Mutter 
geknetet,  um  den  Austritt  der  Nachgeburt  zu  veranlassen.  Bei  den  Brule,  den 
Loafer,  Ogalalla,  Wazahzah  und  mehreren  anderen  Sioux- Stämmen  wird 
die  Placenta  oft  unmittelbar  nach  dem  Kinde  herausbefordert  durch  das  all- 
mähliche Zusammenschnüren  eines  breiten  Ledergürtels,  welcher  um  den  Leib 
geschlungen  wird,  sobald  das  Kind  erschienen  ist.  Von  einer  Sioux -Frau,  die 
Taylor  entband,  berichtet  er: 

«Kaum  hatte  ich  den  Nabelstrang  durchschnitten,  so  stellte  sie  sich  aufrecht  auf  ihre 
Füsse,  schlang  sich  einen  5  Zoll  breiten  Ledergürtel  um  Hüfte  und  Bauch  und  zog  ihn  auch 
mit  aller  Kraft  zusammen;  inzwischen  war  die  Blutung  sehr  reichlich;  doch  nach  kurzer  Zeit 
fiel  die  Placenta  auf  den  Boden,  die  Blutung  stand,  der  Uterus  war  fest  contrahirt  und  die 
Frau  setzte  sich  ruhig  nieder,  als  ob  nichts  AussergewÖhnliches  passirt  sei.  Der  Gürtel  wurde 
erst  am  nächsten  Morgen  abgelegt.'' 

Sobald  in  der  TJintah-Valley-Agentur  die  Indianerin  das  Kind  in 
der  dort  üblichen,  knieenden  Position  geboren  hat,  stellt  sie  sich  auf  die  Füsse 
und  legt  sich  ein  zusammengefaltetes  Tuch  auf  ihren  Unterleib;  dann  lehnt  sie 
sich  über  einen  dicken  Stock  und  stenmit  ihren  Körper  gegen  denselben;  so  übt 
sie  einen  ganz  bedeutenden  Druck  auf  die  Unterbauchgegend  aus  und  bewirkt 
durch  diese  Methode  ohne  allen  Beistand  die  Austreibung  der  Placenta. 

Die  Makah -Weiber  unweit  der  Neah-Bay  kommen  ohne  Hülfe  im  Sitzen 
nieder.  Wenn  aber  das  Kind  geboren  ist,  dann  erscheint  eine  alte  Frau,  welche 
hierin  Erfahrung  besitzt,  und  ^eselbe  sucht  dann  sofort  durch  Pressen  und  Be- 
arbeiten des  Unterleibes  die  Placenta  zum  Austritt  zu  veranlassen. 

Die  Brule-  und  die  Warm-Spring-Indianerinnen  verharren  auch  nach 
der  Geburt  des  Kindes  in  der  aufrechten  Stellung,   in   welcher  sie  niederkamen. 


208  L^'  ^^^  Geburtshülfe  der  NachgeburUperiode. 

Die  hinter  ihnen  stehende  Geburtshelferin  drückt  dann  zur  Entleerung  der  Nach- 
geburt von  aussen  her  den  Muttergrund  mit  den  Händen,  und  verbindet  mit  diesem 
Druck  eine  Art  von  schüttelnder  Bewegung.  Solcher  äusserlichen  Manipulationen 
bedienen  sich  auch  die  Ghippeway-Indianer. 

Die  Indianerinnen  in  der  Laguna  Pueblo  erzielen  den  Druck  auf  den 
Unterleib,  der  die  Nachgeburt  heraustreiben  soll,  dadurch,  dass  sie  heisse  Steine 
auf  denselben  packen.  Auch  heisse  Tücher  werden  aufgelegt,  und  die  Frau  muss 
einen  Thee  von  Kornblüthen  trinken.  Ausserdem  wird  aber  auch  noch  der  Bauch 
mit  den  Händen  gerieben. 

Die  Pah-Ütah,  die  Navajos  und  die  Apache -Indianer  fähren  das 
Beiben  des  Unterleibes  nicht  als  ein  eigentliches  Kneten  aus,  sondern  mehr  unter 
der  Form  von  Einsalbungen.  Hierzu  bedienen  sie  sich  bestimmter  Fette  und  be- 
sonderer Kräuterabkochungen. 

Wiederholentlich  finden  wir  auch,  dass  die  Weiber  die  Tractionen  am  Nabel- 
strange mit  der  Massage  des  Bauches  verbinden.  Bei  den  Pacific-Indiane- 
r innen  übt  der  helfende  Medicin-Mann  einen  sanften,  aber  erträglich  festen  Zug 
am  Nabelstrange  mit  der  einen  Hand  und  Compressionen  auf  den  Körper  der 
Gebärmutter  mit  der  anderen  Hand  aus.  Zu  derselben  Zeit  presst,  wenn  dies  für 
nöthig  gehalten  wird,  eine  Gehülfin  sanft  den  Unterleib,  indem  sie  beide  Hände 
mit  ausgespreizten  Fingern  über  denselben  legt. 

Auch  bei  den  Indianerinnen  der  Skokomish-Agentur  wird  ein 
Druck  auf  die  Gegend  des  Uterus  und  ein  sanfter  Zug  am  Nabelstrange  ausge- 
übt, um  die  Placenta  herauszubef5rdem. 

Die  Bies-,  Gros-Ventres-  und  Mandan-Indianerinnen  werden 
in  knieender  Position  entbunden,  in  der  dann  auch  die  Placenta  zu  Tage  tritt; 
doch  wenn  sie  nicht  schnell  zum  Vorschein  kommt,  so  zieht  der  Accoucheur, 
während  er  den  Bauch  mit  der  mit  Schildkrotenfett  bestrichenen  Hand  sanft  und 
leise  ein  wenig  reibt,  zart  und  stetig  am  Nabelstrang. 

Die  Cattaran gut s- Weiber  stellen  sich  gleich  nach  der  Niederkunft  auf 
die  Füsse.  Wenn  dann  die  Placenta  nicht  sofort  von  ihnen  geht,  so  beginnt 
man  mit  Tractionen  am  Nabelstrange  und  übt  gleichzeitig  einen  Druck  auf  den 
Unterleib  von  oben  nach  unten  aus,  während  die  Gebärende  ihre  aufrechte 
Stellung  beibehält. 

Die  Comanche  suchen  in  ähnlicher  Weise  durch  ein  Kneten  und  Zu- 
sammendrücken des  Leibes  und  durch  leichtes  Ziehen  am  Nabelstrange  die 
Placenta  zu  entfernen;  aber  sie  stellen  auch  Versuche  an,  die  letztere  mit  der 
Hand  zu  erreichen,  wobei  sich  sowohl  die  Patientin  als  auch  die  Assistentin 
betheiligen. 

Die  Gheyennes  gehen  erst  zu  der  Massage  des  Unterleibes  über,  wenn 
der  Zug  am  Nabelstrange  erfolglos  bleibt.  Umgekehrt  verfahren  die  Ghippe- 
way-Indianer; sie  ziehen  die  Placenta  am  Nabelstrange  heraus,  wenn  ihre 
äusserlichen  Manipulationen  nicht  die  erhoffte  Wirkung  haben. 


320.  Die  innerlichen  Handgriffe  zur  Entfernung  der  Nacligebnrtstlieile. 

Dass  bei  den  Naturvölkern  unter  Umständen  auch  innerliche  Handgriffe 
ausgeführt  werden,  um  die  zurückgebliebene  Nachgeburt  aus  der  Gebärmutter  zu 
entfernen,  dafür  liegen  uns  einzelne  Berichte  vor,  und  wenn  dieselben  auch  nur 
spärlich  sind,  so  besitzen  sie  doch  für  uns  eine  nicht  zu  unterschätzende  Wich- 
tigkeit. 

Hamilton  hat  beiden  Omaha-Indianern  von  Fällen  von  schwerer  Ent- 
bindung gehört,  in  denen  Weiber  als  Hebammen  functionirten  und  die  ange- 
wachsene Placenta  mit  Geschicklichkeit  entfernten. 


321.  Die  AusBto88ung  der  Nachgeburtfitheile  bei  den  Japanern.  209 

Anch  die  Papagos-Indianer  scheinen  die  Placenta  mit  der  eingeftihrten 
Hand  zu  beseitigen,  wenn  sie  nicht  durch  die  Kräfte  der  Natur  schnell  genug 
ausgestossen  wird. 

Die  Eutenais-Frau  kniet  bei  der  Geburtsarbeit,  und  die  helfenden  Weiber 
kneten  ihren  Bauch  dabei  nach  abwärts,  und  fahren  auch  nach  dem  Austritt  des 
Kindes  hiermit  fort,  um  die  Nachgeburt  zu  entfernen.  Geht  dieselbe  aber  nicht  hier- 
durch ab,  so  ftihren  sie  die  Hand  in  die  Vagina  ein  und  beseitigen  so  die  Placenta. 
Der  Gebärenden  geben  sie  eine  unbekannte  Wurzel  ein,  um  die  Blutung  zu  stillen. 
Die  letztere  darf  aber  ihrer  Meinung  nach  nicht  gleich  yoUständig  ins  Stocken 
kommen;  deshalb  wählen  sie  die  Dosis  des  Mittels  so,  dass  nach  dem  Verlaufe 
einer  halben  Stunde  von  der  Entbundenen  eine  zweite  Gb^be  genommen  werden 
muss.  Auch  unter  dem  niederen  Volke  Mexikos  sind  Leute,  welche  im  Noth- 
fall  mit  der  eingeführten  Hand  die  Placenta  entfernen. 

Die  Hebammen  in  Indien  sollen  sogar  zu  instrumenteller  Hülfe  ihre  Zu* 
flacht  nehmen  und  unter  Umständen  die  Nachgeburt  mit  einer  Sichel  herauszu- 
befordem  suchen. 

Auf  Ceylon  entfernen  nach  King  die  Hebammen  die  Nachgeburt  augen- 
blicklich nach  ^er  Entbindung,  und  von  den  Alfuren  auf  Celebes  wird  be- 
richtet, dass  daselbst  die  Placenta  durch  eine  Priesterin  entfernt  wird.  Ob  dieses 
aber  durch  Einführen  der  Hand  oder  mit  Instrumenten  oder  auf  irgend  eine  andere 
Weise  ausgeföhrt  wird,  darüber  ist  nichts  Näheres  angegeben. 

Wir  verdanken  JBlyth  den  folgenden  Bericht  über  die  Viti-Insulane- 
rinnen.  Der  Nabelstrang  wird  erst  durchtrennt,  wenn  die  Nachgeburt  geboren 
ist,  was  gleichzeitig  mit  dem  Kinde,  oder  bald  nachher  zu  geschehen  pflegt.  Bei 
zögernder  Geburt  der  Placenta  wird  der  Nabelstrang  am  Schenkel  der  Frau  be- 
festigt, damit  er  nicht  wieder  nach  oben  in  den  Leib  zurückschlüpfen  könne. 
Dann  führt  die  Hebamme  ihre  Hand  in  die  Scham  ein,  um  die  Nachgeburt  zu 
entfernen.  Hat  sie  hierbei  aber  einige  Schwierigkeit,  so  erklärt  sie,  dass  die 
Placenta  angewachsen  sei,  und  giebt  ein  Infus  der  in  Fiji  häufig  wachsenden 
Ndanindnani.  Das  muss  in  wenigen  Minuten  helfen,  und  nun  f&hrt  die  Hebamme, 
von  Neuem  ihre  Hand  in  die  Scham  und   entfernt  die  Nachgeburt.    Blyfh  sagt: 

«Hier  ist  nicht  die  Bede  von  einer  gewaltsamen  Trennung  der  Nachgeburt  mit  der 
Hand,  und  zweifellos  ist  das,  was  die  Fiji- Hebammen  Adhäsion  nennen,  nur  einfach  ein 
Fall  von  Retention  oder  von  verzögerter  LoslOsung  von  der  Geb&rmutterwand." 


321.  Die  Ausstossnng  der  Nachgebnrtstheile  bei  den  Japanern. 

Die  Japaner  haben  es  wohl  verdient,  dass  wir  ihr  Verfahren,  die  Ent- 
bundene von  der  Nachgeburt  zu  befreien,  in  einem  besonderen  Abschnitte  be- 
trachten. 

Die  Japanerin  kommt  gewohnlich,  wie  wir  früher  schon  berichtet  haben, 
in  einer  knieenden  Stellung  nieder,  während  ihr  Rücken  durch  Matratzen  gestützt 
wird.  Ist  das  Kind  geboren,  so  legt  die  Hebamme  zwei  Schlingen  an  den  Nabel- 
strang und  knotet  sie  za.  Zwischen  den  beiden  Knoten  schneidet  sie  durch  und 
erwartet  den  Austritt  der  Nachgeburt.  Zögert  ihr  dieselbe  zu  lange,  so  übt  sie 
einen  Druck  auf  den  Unterleib  aus  und  zieht  dabei  an  dem  NabeMrangende. 

üeber  die  Placenta  bemerkt  der  Geburtshelfer  Kangawa^  dass,  wenn  sie 
2  bis  3  Tage  im  Leibe  zurückbleibt,  sie  in  Fäulniss  überginge.  Vorher  sei  die 
Gefahr  nur  gering;  wenn  aber  diese  Unannehmlichkeit  einü'äte,  dann  müsse  man 
die  Nachgeburt  durch  entsprechende  Eingriffe  herausbefördem.  Sollte  jetzt  die 
Wöchnerin  Schwindel  bekommen,  so  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  sie  sterben 
wird,  eine  grosse;  ungefähr  wie  5  oder  6  zu  10.  Dann  müsse  man  erst  den 
Schwindel  heilen,  bevor  man  die  Nachgeburt  zu  entfernen  sucht.  Dauert  der 
Schwindel  4  Stunden  an,  dann  ist  der  tödtliche  Ausgang  unvermeidlich. 

Ploss-Bftrtels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    H.  U 


210  LL  Die  Geburtahülfe  der  Nacbgeburtsperiode. 

Nun  giebt  Kangawa  die  folgende  Vorsclirift: 

,Zum  Herauaholen  der  Placenta  muss  der^Arzt  die  Rückseite  kneten,  wie  den 
Bauch;  denn  beim  Kneten  des  Bauches  contrahirt  sich  die  Placenta  und  kann  so  starke 
Contractionen  machen,  dass  das  Schnittende  (des  Nabelstrangs)  in  den  Leib  zurückkehren 
kann.  Der  Grund,  weswegen  der  Mutterkuchen  im  Leibe  zurückbleibt,  ist,  weil  er  die  höchste 
Stelle  einnimmt,  und  deshalb  soll  man  nicht  unnütz  kneten,  sonst  bekommt  man  ihn  Tielleicht 
gar  nicht  heraus.  Der  gewöhnliche  Arzt  sagt,  dass  die  Placenta  sich  durch  den  Eintritt  des 
Blutes  yergrüssem  und  dadurch  ihr  Austritt  verhindert  werden  kann.  Dies  ist  aber  falsch; 
denn  die  Placenta  zieht  sich  im  Gegentheil  im  Leibe  zusammen  und  hat  keinen  Grund,  sich 
zu  vergrOssem;  vielmehr  rührt  die  StOrung  eher  vom  zu  starken  Anziehen  der  Leibbinde  her; 
deshalb  soll  man  die  Leibbinde  nach  der  Geburt  verbieten.  Ein  anderer  Ghmnd,  weshalb  die 
Placenta  2—3  Tage  nicht  kommt,  kann  der  sein,  dass  die  Frau  schon  vorher  schwach  war 
und  dass  diese  Schwäche  durch  die  Geburt  noch  gesteigert  worden  ist;  bringt  man  in  solchem 
Falle  die  Placenta  unvorsichtig  heraus,  so  stirbt  die  Frau.  Man  lasse  sie  im  Gegentheil  ruhig 
auf  dem  Rücken  und  auf  hohen  Kissen  liegen  und  fühle  dann  unterhalb  des  Nabels  nach  dem 
Klopfen  der  Gefässe;  ist  dieses  schwach,  so  versuche  man  das  Herunterbringen  der  Placenta 
nicht,  sondern  gebe  der  Frau  Pupalia  geniculata  oder  Aconitum  variegatum;  nach  zwei 
Stunden  wird  dann  das  Klopfen  stärker  und  man  kann  die  Extraction  versuchen.  Ebenso  soll 
man  nach  einer  künstlichen  Geburt  mit  dem  Herausholen  der  Placenta  etwas  warten,  sonst 
wird  der  mütterliche  Dunst  ruinirt  (d.  h.  die  Kraft  der  Mutter  wird  zu  sehr  angegriffen). 
Man  muss  ftbr  die  Entfernung  der  schlechten  Flüssigkeit  (des  Wochenflusses)  grosse  Sorge 
tragen,  sonst  kOnnte  grosser  Schaden  entstehen.*^ 

Wir  er£Ekhren  durch  Kangawa  auch,  welche  Ursachen  er  ffir  maassgebend 
hält,  um  eine  Betention  der  Placenta  zu  bedingen: 

.Es  giebt  zwei  Fälle,  in  denen  die  Placenta  schwer  kommt:  1.  Wenn  die  Frau  ganz 
schwach  ist,  so  ist  durch  die  Geburt  die  Kraft  erschöpft  und  richtet  sich  nicht  wieder  auf, 
um  die  Placenta  herauszutreiben.  2.  Wenn  die  Frau  zwar  zuvor  gesund  war,  aber  ihre  Kraft 
durch  eine  schwere  künstliche  Geburt  erschöpft  ist.  Wird  der  Arzt  zu  einem  solchen  Zu- 
stande gerufen,  so  hat  er  den  Puls  zu  fühlen;  ist  er  klein  und  dünn,  so  darf  man  die  Nach- 
geburt nicht  gleich  herabholen;  man  muss  erst  Panax  (Ginseng)  oder  Aconit  geben,  und  erst, 
wenn  der  Puls  stärker  geworden  ist,  darf  man  die  Placenta  herabholen,  sonst  verliert  man 
sicher  die  Kranke.*^ 

Bedauerlicher  Weise  behauptet  Kangawa^  die  Methode,  welche  er  anwende, 
sei  so  schwierig,  dass  er  dieselbe  weder  schriftlich  noch  mündlich  zu  beschreiben 
vermöchte;  das  thue  ihm  ausserordentlich  leid,  da  nicht  weniger  als  40  bis  50 ^/o 
der  Frauen  durch  Nichtherabkommen  der  Nachgeburt  stürben.  Seinen  Schülern 
wolle  er  aber  zeigen,  wie  er  die  Manipulation  ausftthre,  und  er  fordere  dieselben 
auf,  seine  Handgriffe  nicht  in  Vergessenheit  gerathen  zu  lassen. 

Es  ist  wohl  zu  vermuthen,  dass  Kangawa  mit  wohlberechneter  Absicht  so 
geheinmissvoll  that.  Wahrscheinlich  wollte  er  sein  Geheimniss  nur  auf  den 
kleinen  Kreis  seiner  Söhne  und  Schüler  übertragen,  um  diesen  grössere  Einnahmen 
zu  sichern. 

In  welcher  Weise  die  japanischen  Aerzte  die  Nachgeburt  lösen,  wird  in 
dem  zwölf  bändigen  Werke  des  Miteuhara  auch  bildlich  dargestellt ;  dieses  Buch  ist 
im  Jahre  1849  gedruckt  und  befindet  sich  im  Besitz  Dr.  Scheube's  in  Leipzig, 
welcher  Folgendes  berichtet:  Nach  dem  Austritt  des  Kindes  wird  der  Leib  ge- 
rieben, um  die  Placenta  herauszubefördem  (ähnlich  der  Cred^*schen  Methode); 
geUngt  dies  der  Hebanmie  nicht,  so  tritt  der  Geburtshelfer,  welcher  bisher,  falls 
überhaupt  ein  solcher  zugegen  war,  den  blossen  Zuschauer  spielte,  in  Action,  in- 
dem er  mit  der  einen  Hand  den  Leib  reibt  und  mit  der  anderen  am  Nabelstrange 
zieht.  Folgt  der  Mutterkuchen  dann  noch  nicht,  so  wird  dieser  mit  einer  beson- 
deren Zange  oder  auch  mit  einer  Fischbeinschlinge  extrahirt. 


322.  Die  Ausstossuiig  u.  Entfernung  d.  Nachgeburtstlieile  bei  den  alten  GulturvOlkern.      211 

322.  Die  Ausstossung  und  Entfernung  der  Nachgeburtstheile  bei  den 

alten  Gulturyolkem. 

Wir  wollen  uns  jetzt  den  alten  Culturvölkern  zuwenden,  um  zu  sehen,  wie 
sie  sich,  gestützt  auf  eine  immerhin  schon  ausgebildetere  Geburtshülfe,  in  der 
Nachgeburtsperiode  verhalten  haben.  So  finden  wir,  dass  auch  bei  ihnen  mancherlei 
Maassnahmen  gebrauchlich  waren,  welche  heute  durchaus  nicht  unsere  Billigung 
erfahren  würden. 

Schon  Hippökrates  und  seine  Nachfolger  hielten  es  für  nöthig,  gegen 
Placentaretentionen  mit  verschiedenen  Mitteln  vorzugehen;  allein  ihre  Indicationen 
waren  ganz  andere,  als  die  in  den  vorigen  Abschnitten  erörterten.  Sie  trennten 
das  Kind  nicht  eh^r  von  dem  Mutterkuchen,  als  bis  derselbe  spontan  oder  durch 
Kunsthülfe  zu  Tage  getreten  war;  deshalb  suchten  sie  bei  der  Anwendung  von 
Beförderungsmitteln  wohl  vorzugsweise  möglichst  bald  die  Ausstossung  der  Nach- 
geburt zu  veranlassen,  um  die  Abnabelung  des  Kindes  so  schnell  als  möglich 
vornehmen  zu  können.  Wahrscheinlich  war  hierbei  sehr  vielmehr  die  Bücksicht 
auf  das  Neugeborene,  als  die  Fürsorge  für  die  junge  Wöchnerin  maassgebend. 
So  hat  sich  schon  früh  die  Gewohnheit  eingebürgert,  sehr  schnell  die  Nachgeburt 
zu  extrahiren.  Hippökrates  liess  hierbei  die  Entbundene  auf  dem  Lasanum  sitzen, 
oder,  wenn  sie  dieses  nicht  konnte,  auf  einer  Sella  recubitoria  perforata,  also  auf 
einem  Geburtsstuhle  mit  zurückgebogener  Lehne  und  einem  Sitzausschnitte  in  der 
Gegend,  wo  die  Schamtheile  zu  liegen  kommen.  Nur  dann,  wenn  die  Schwäche 
der  Frau  das  Sitzen  verbot,  empfahl  er  ein  am  Kopftheil  sehr  erhöhtes  Bett. 

Dann  wendete  er  bei  zOgemdem  Abgange  Errhina,  d.  h.  Niesemittel  an,  oder  hängte 
ein  Gewicht  an  den  Nabelstrang,  gab  reizende  Arzneimittel,  wie  Ganthariden,  legte  Pessi 
emmenagogi  ein,  reichte  das  Pulver  einer  getrockneten  Placenta,  Testikel  von  einem  Pferde, 
Urin  vom  eigenen  Manne,  Eselsklauen,  die  Zunge  eines  Chamäleons,  den  Kopf  von  einem 
Huhn  u.  s.  w.  Auch  wird  das  lybische  Sylphium,  jenes  berühmte  und  räthselhafte  Heil- 
mittel und  Gewürz  der  Alten,  als  ein  Mittel  empfohlen,  um  den  Abgang  der  Nachgeburt  zu 
befördern;  man  liess  eine  Abkochung  des  Samens  in  der  Menge  einer  halben  Dattel  in  Wein 
einkochen  und  trinken.  Zu  demselben  Zwecke  wurde  auch  der  Saft,  bohnengross  in  Wasser 
gelöst  angewendet.  Femer  wird  im  Buche  .über  die  jungfräulichen  Krankheiten*  (De  bis 
quae  ad  virgines  spectant)  zum  Abgang  der  Nachgeburt  empfohlen :  Samen  der  gelben  Veilchen 
und  Portulaksamen  (avdqaxvrfj  gestossen  und  mit  Wein  gemischt  Auch  empfiehlt  er  ein 
ganz  besonderes  Mittel  zur  sanften  und  allmählichen  Entfernung  der  Nachgeburt.  Das  Neu- 
gebornne  soll  vor  der  Mutter  auf  mit  Wasser  gefüllte  Schläuche  gelegt  und  diese  sollen  an- 
gestochen werden.  Während  sie  sich  nun  entleeren  und  mit  dem  Kinde  senken,  wird  die 
Nachgeburt  durch  das  Gewicht  des  noch  mit  ihr  durch  die  Nabelschnur  in  Verbindung  be- 
findlichen Kindes  herausgezogen.  Hippökrates  war  aber  auch  oft  genöthigt,  die  Nachgeburt, 
wenn  ihr  Abgang  sich  allzusehr  verzögerte,  ganz  liegen  zu  lassen,  denn  er  spricht  davon, 
dass  sie  durch  Fäulniss  aufgelöst  am  sechsten  bis  siebenten  Tage  abging. 

Von  vielen  geburtshülf liehen  Schriftstellern,  die  nach  HippoJcrates  lebten, 
wurden  mancherlei  Mittel  zur  Beförderung  des  Nachgeburtsabgangs  angerathen, 
wie  wir  durch  Sorantis  erfahren.  Euryphon  empfahl  Diuretica  (Dictamnus,  Salvia 
triloba),  Pessi  haemagogi  aus  Struthion,  Iris  Illyrica  und  Ganthariden,  sowie  Er- 
schütterungen des  Körpers.  Andere  wenden  Bähungen  an  aus  Asphalt,  Menschen- 
haaren, Hirschhorn,  Galbanum,  Artemisia.  Stration  liess  ein  Gemisch  von  Narden, 
Cassia,  Prasium  (Marrubium),  Artemisia,  Dictamnus,  Susinum,  Bösen  u.  s.  w.  in 
einem  Gefass  erhitzen,  die  Dämpfe  aber  durch  eine  Röhre  zu  den  Geschlechts- 
theilen  leiten.  Manticis  liess  das  Kind  zwischen  die  Schenkel  der  Mutter  legen 
und  durch  dessen  Schwere  und  Bewegungen  die  Nachgeburt  ans  der  Gebärmutter 
herausziehen. 

Auch  noch  bei  den  Römern  galt  es  als  Regel,  die  Nabelschnur  nicht  so- 
gleich nach  der  Geburt  des  Kindes,  sondern  erst  nach  der  flerausbeforderung  der 
Nachgeburt  zu  durchschneiden.  Celsus  lehrte,  der  Arzt  solle  mit  der  linken  Hand 
ganz  gelinde  an  der  Nabelschnur  ziehen  und  mit  der  rechten  längs  derselben  bis 


212  -L^*  ^i®  GebortshÜlfe  der  Nachgeburtsperiode. 

zu  ihrem  Ursprünge  an  der  Nachgeburt  vordringen,  und  indem  er  nun  das  äusserste 
Ende  anzieht,  löst  er  alle  Gefasse  und  Häutohen  mit  der  Hand  von  der  Gebar- 
mutter ab  und  befördert  jene  ganz  heraus. 

Soranus  schreibt  dagegen  vor,  das  Kind  mit  der  einen  Hand  zu  halten, 
während  die  andere  durch  sanfte  Tractionen  am  Nabelstrange  die  Placenta  lost. 
Gelingt  die  Entfernung  der  Placenta  auf  diese  Weise  nicht,  so  soll  man  den 
Nabelstrang  durchschneiden,  dann  die  mit  Oel  bestrichene  Hand  in  das  Orificium 
uteri  einftihren  und  auf  diese  Weise  die  Placenta  herausbefördem.  Findet  man 
sie  angewachsen,  so  soll  man,  ohne  Gewalt  anzuwenden,  die  Placenta  mit  der  ein- 
geführten Hand  allmählich  bald  hierhin,  bald  dahin  wenden  und  dann  erst  durch 
einen  kräftigen  Zug  lösen.  Man  darf  die  Placenta  nicht  gerade  ausziehen,  um 
einen  Vorfall  der  Gebärmutter  zu  verhüten.  Findet  man  das  Orificium  ver- 
schlossen, so  soll  man  zunächst  Injectionen,  nöthigenfalls  auch  warme  Gataplasmen 
und  Inunctionen,  in  schweren  Fällen  Schnupfpulver  aus  Pfeffer,  auch  Räucherungen 
mit  Cassia,  Narde,  Artemisia,  Iris,  Sabina,  Dictamnus  u.  s.  w.  anwenden.  Bleiben 
aber  auch  diese  Mittel  erfolglos,  dann  muss  die  Nachgeburt  liegen  bleiben,  bis 
dieselbe  durch  Fäulniss  abgeht 

Fast  ganz  dasselbe  Verfahren  findet  man  bei  PhüumentiS ,  Aetius  und 
Moschion. 

Ävicenna  hält  nicht  in  allen  Fällen  das  gleiche  Verfahren  f&r  angebracht. 
Je  nach  den  Umständen  soll  man  bald  die  Placenta  sofort  entfernen,  bald  ihre 
Herausbeförderung  abwarten  und  der  Natur  überlassen;  auch  soll  man  mittelst 
Injectionen  die  Auflösung  der  Placenta  zu  fördern  suchen. 

Die  Talmudischen  Aerzte  haben  nach  Israels  entweder  von  der  Lösung 
der  Placenta  nichts  gewusst,  oder  sie  haben  jedes  künstliche  Einschreiten  ver- 
worfen. Aber  sie  theilen  Fälle  mit,  in  welchen  die  Placenta  10,  ja  24  Tage 
nach  der  Geburt  des  Kindes  zurückgeblieben  ist.  Kotelmann  dagegen  ist  der 
Ansicht,  dass  die  Entfernung  der  Nachgeburt  durch  manuelle  Hülfe  bewerkstelligt 
wurde,  da  im  Talmud  dafür  Ausdrücke  gebraucht  werden,  die  ein  „Herausziehen^ 
andeuten.  Auch  schloss  er  daraus,  dass  die  Placenta  als  „Nachgeburt,  die  zwischen 
den  Beinen  hervorgeht'',  bezeichnet  wird,  dass  die  Juden  die  Abnabelung  des 
Kindes  vor  der  Entfernung  der  Nachgeburt  vorgenommen  hätten. 


323.  Die  Ausstossung  und  Entfernung  der  Nachgeburtstheile  bei  den 

heutigen  Cultnrvölkern. 

Sollen  wir  unsere  Betrachtungen  zum  Abschlüsse  bringen,  so  erübrigt  es 
noch,  auch  die  heutigen  Culturvölker  mit  zu  berücksichtigen  und  zu  sehen, 
durch  welche  Entwickelungsphasen  die  heute  gültigen  Anschauungen  sich  hin- 
durcharbeiten mussten. 

Als  Mittel,  um  den  Abgang  der  Nachgeburt  zu  befördern,  empfahl  Albertus 
Magnus  im  13.  Jahrhundert:  Knoblauch  in  Wein  gesotten  zum  Bestreichen  des 
Bauches,  ein  Dampfbad  von  Hühnerfedern  für  die  Geburtstheile;  innerlich  wurde 
Holzwurz  mit  Wein,  Stichwurz  mit  Eberwurz  gepulvert  in  Regen wasser  gegeben; 
auch  gelbe  Violblumen  in  Wasser  gekocht,  Zimmtrinde  in  Wasser,  Andorn,  Saft 
vom  spitzigen  Wegerich,  gepulverter  Achat  zum  Getränk,  Polley  zur  Speise 
standen  in  hohem  Ansehen. 

Eucharius  Bösslin  stellt  als  Regel  auf,  dass  die  Nachgeburt  ohne  besondere 
Kunsthülfe  abgeht: 

„Das  sechst  Capitel  sagt,  wie  man  das  Buschlin  d.  h.  die  Nachgeburt  von  einer  frawen 
bringen  soll,  ob  es  nit  selbs  mit  der  Geburt  kommen  wolt.*^  Er  giebt  an:  „Zu  Zeiten  kompt 
das  Buschelyn  oder  Nachgeburt  mit  dem  kynd,  auch  zu  Zeyten  bleibt  es  da  hynden.*'  Letzteres 
ist  nach  ihm  der  B'all,  wenn  die  Mutter  krank  oder  zu  schwach  ist,  um  die  Nachgeburt  aus- 


828.  Die  AuBBtossang  u.  Entfernung  d.  Nachgeburtatheile  bei  d.  heutigen  CulturvOlkern.    213 

dracken  zu  können,  oder  wenn  die  Nachgeburt  «inwendig  in  der  Bermutter  veat  angebunden 
unn  gehefft  ist;*^  auch  wenn  das  Wasser  aus  der  Gebärmutter  abgeflossen  oder  der  Ausgang 
derselben  «ingestrupfft ,  eng  und  von  schmerzen  wegen  geschwollen  ist."  In  diesen  Fällen 
muss  die  Hebamme  die  Nachgeburt  entfernen,  weil  die  Gebärende  sonst  krank  wird,  weil  die 
zurückbleibende  Nachgeburt  leicht  fault.  Später  freilich  räth  BössUnj  wenn  alle  die  von  ihm 
zur  Entfernung  der  Nachgeburt  angewandten  Mittel  nichts  fruchten,  über  das  Zurückbleiben 
derselben  keine  grosse  Sorge  zu  haben,  ,dann  in  kurtzen  tagen  zerfleusst  es  vnd  gadt  hinweg, 
als  ein  fleyschwasser.*  Bei  Nachgeburtszögerung  durch  Gebärmutterverschluss  soll  Oel  und 
Schmalz  innen  eingerieben  werden;  bei  Gebärmutter  Verengung  trinken  sie  Wachholder  beeren 
und  Gummi  Galban  in  Wein;  bei  fester  Anhaftung  der  Nachgeburt  sollen  Räucherungen  mit 
verschiedenen  balsamischen,  schlecht-  oder  wohlriechenden  Stoffen,  z.  B.  mit  Asa  foetida, 
Bibergeil,  Menschenhaar,  Eselshufen,  yorgenommen  werden;  dann  soll  die  Frau  auch  den 
Athem  anhalten  und  Niesemittel  von  Nieswurz  und  Pfeffer  nehmen.  Dann  lehrt  BössUn  aber 
auch  den  Handgriff  zur  Wegnahme  der  Nachgeburt:  „So  soll  die  Hebamme  senfftiglichen 
ziehen  darumb,  das  es  nit  abbrech.  Vnd  ob  es  in  sorg  war  das  es  abbrechen  wolt,  so  soll 
die  Hebamm  als  wyl  sie  begriffen  hat,  bynden  der  frawen  oben  an  das  Beyn,  nit  zu  hart 
oder  zu  luck,  besunder  in  rechter  mass,  das  es  nit  brech  auch  nit  wyderumb  bind  sich  ziehe. 
...  Vnd  ob  es  in  der  Bermutter  vest  gehofft  wem,  so  soll  die  Hebamm  es  subtilichen  ab- 
schelen  on  grossen  schmerzen  der  frawen  vnnd  sol  es  nit  schlecht  vnder  sich  ziehen,  darumb, 
das  die  Bermutter  nit  hyenach  gang.  Sonder  sie  soll  es  syttiglichen  ziehen  oder  besayz 
ziehen  von  eyner  Seiten  zu  der  andern,  ye  ein  wenig  und  aber  ein  wenig  biss  es  wol  g&- 
lediget  werd." 

Die  Methode,  nach  welcher  die  Frau  Bourgeois  die  Nachgeburt  zu  entfernen 
lehrt,  ist  folgende: 

„Nachdem  das  Kind  geboren  ist,  soll  man  dasselbe  gut  bedecken  und  hinlegen  (also 
die  Nabelschnur  nicht  abbinden  und  abschneiden);  dann  soll  man  den  Bauch  der  Gebärenden 
betasten  und  hierdurch  erforschen,  auf  welcher  Seite  die  Nachgeburt  liegt;  auf  dieser  Stelle 
soll  man  eine  Hand  halten  oder  auch  einer  erfahrenen  Frau  befehlen ,  die  Hand  dort  aufzu- 
legen; sollte  sich  nun,  wie  gewöhnlich  geschieht,  die  Nachgeburt  fest  in  die  Seite  gesetzt 
haben,  so  soll  sie  mit  der  Hand  sanfb  aus  der  Seite  in  die  Mitte  des  Bauches  geführt  und 
geschoben  werden,  während  man  mit  der  anderen  Hand  den  Nabelstrang  hält**  Zur  Unter- 
stützung des  Abgangs  der  Nachgeburt  lässt  dabei  die  Bourgeois  die  Gebärende  in  die  Hand 
blasen,  oder  sie  stedct  ihr  den  Finger  in  den  Hals  zur  Erregung  von  Erbrechen,  oder  sie 
befiehlt  der  Frau  zu  drücken,  als  ob  sie  zu  Stuhl  gehe.  Sollte  dies  alles  nicht  bald  die  ge« 
wünschte  Wirkung  haben,  so  giebt  sie  der  Frau  ein  rohes  Ei  zu  essen,  um  Erbrechen  hervor- 
zurufen. Sollte  das  nicht  helfen,  so  muss  die  Frau  eine  Tinctur  von  Hollunderblüthen  be- 
kommen. Dämpfe  von  Asa  foetida,  Castoreum,  auf  Kohlen  verbrannt,  einathmen.  Mit  solchen 
Mitteln  ist  sie  bei  mehr  als  zweitausend  Weibern  zum  Ziele  gekommen  und  hat  nur  in  zwei 
Fällen  nOthig  gehabt,  durch  Einführung  der  Hand  die  Nachgeburt  herausznbefOrdem. 

Während  man  im  Alterthum  bei  Zurückhaltimg  der  Placenta  mehr  die  ex- 
spectative  Behandlung  anwendete,  was  die  Aerzte  auch  noch  bis  in  das  16.  Jahr- 
hundert befolgten,  empfehlen  Ämbr.  Pari^  Rodericus  a  Castro,  Scipione  Mercurio 
die  Herausnahme  der  Placenta  schon  vor  dem  Abnabeln.  Auch  im  17.  Jahrhundert 
blieben  Jtfatirtceou,  Deventer^  Peu  u.  A.  bei  diesem  letzten  Verfahren.  Wenn 
man  durch  Zug  am  Nabelstrang  nicht  zum  Ziel  gelangte,  so  ging  man  mit  der 
Hand  ein.  Bei  sehr  fester  Adhärenz  empfiehlt  der  Pariser  Arzt  Mauriceau  aber, 
der  1660 — 1709  wirkte,  lieber  ein  Stück  Placenta  zurückzulassen. 

Eine  neue  Periode  in  der  Geschichte  der  Geburtshülfe  begann  mit  der 
These,  welche  der  yerdienstvolle  holländische  Anatom  jßuyscA  aufstellte.  Er 
glaubte,  einen  besonderen  Muskel  im  Grunde  des  Uterus  entdeckt  zu  haben,  dessen 
Aufgabe  es  sei,  die  Placenta  nach  der  Geburt  auszutreiben.  Daran  knüpfte  er  die 
Lehre,  dass  man  niemals  versuchen  solle,  die  Placenta  künstlich  zu  entfernen,  da 
durch  solche  Eingriffe  leicht  Vorfall  und  Inversion  des  Uterus  entstehe. 

Vom  Anfang  des  18.  bis  zum  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  bestanden  zwei 
Parteien;  die  eine  wollte  ein  actives,  die  andere  ein  abwartendes  Verfiahren. 

De  la  Motte^  Fried  der  Aeltere,  Giffardy  StneUie,  Mursinna  u.  A.  f&hrten 
sogleich,  theilweise  vor  dem  Abnabeln  des  Kindes,  die  Hand  ein,  sobald  der 
Mutterkuchen  dem  Zuge  am  Nabelstrange  nicht  folgen  wollte. 


214  LI.  Die  Gebortshülfe  der  Nachgeburteperiode. 

Andere,  wie  Buy  seh,  Pasta  ^  Crante^  Lebmacher  ^  PlenJcj  Äepli^  Oshome, 
Saxtorph  verhielten  sich  dagegen  passiv.  Diese  letzteren  haben  das  Verdienst, 
die  Nachtheile  eines  gewaltsamen  Verfahrens  in  das  rechte  Licht  gestellt,  den 
Ursachen  der  Reteation  nachgespürt  und  den  physiologischen  Vorgang  in  Fällen 
des  sehr  verspäteten  Abgangs  der  Nachgeburt  geschildert  zu  haben. 

Noch  im  Beginn  des  19.  Jahrhunderte  waren  die  Stimmen  sehr  getheilt. 
Boer^  V,  Siebold,  Froriep  suchten  wie  Wigand  die  manuelle  Wegnahme  so  viel 
als  möglich  zu  umgehen.  Oslander^  Kutan,  Hohl,  Boivin,  Dubois,  sowie  die 
geburtshülf liehe  Gesellschaft  zu  Berlin  setzten  den  Zeitraum  für  die  Indication 
der  Wegnahme  auf  ein  bis  drei  Stunden  fest.  Auf  die  jetzt  gebräuchlichen  Me- 
thoden kann  hier  nicht  näher  eingegangen  werden. 


324.  Die  Entfernung  der  Nachgebnrtstheile  in  der  europäischen 

Yolks-Geburtshülfe. 

Einem  grossen  Irrthum  würde  man  unterliegen,  wenn  man  annehmen  wollte, 
dass  die  durch  die  wissenschaftliche  Erfahrung  festgestellten  Methoden  in  Bezug 
auf  die  Entfernung  der  Nachgebnrtstheile  nun  auch  in  allen  Schichten  der  heutigen 
Gulturvölker  bereits  einen  festen  Boden  gewonnen  hätten.  Und  selbst  in  Deutsch- 
land kann  man  noch  mancherlei  Maassnahmen  zur  Entfernung  der  Nachgeburt 
begegnen,  die  sich  nur  wenig  oder  gar  nicht  von  den  Manipulationen  unterscheiden, 
wie  wir  sie  bei  rohen  Volksstämmen  in  den  vorhergehenden  Abschnitten  kennen 
gelernt  haben.     Wir  wollen  nur  einige  Beispiele  geben. 

Wenn  in  Steyermark  die  Nachgeburt  nicht  schnell  genug  zu  Tage  treten 
will,  so  nimmt  die  Hebamme  spirituöse  Einreibungen  am  Unterleibe  der  Ge- 
bärenden vor.  Natürlicher  Weise  werden  hierdurch  Zusammenziehungen  der  Ge- 
bärmutter ausgelost.  Fördert  dieses  Verfahren  nicht  schnell  genug,  so  fühlen  sich 
nach  Fossel  die  Hebammen  auch  berufen,  mit  der  Hand  in  die  Geschlechtstheile  ein- 
zugehen und  selber  die  Lösung  der  Nachgeburt  vorzunehmen.  Hierbei  lassen  sie 
nicht  selten  Placentareste  zurück,  welche  dann  die  Ursache  heftiger  und  lebens- 
gefährlicher Entzündungs-Processe  abgeben. 

Wenn  in  der  Pfalz  die  Nachgeburt  zu  langsam  kommt,  so  lassen  manche 
Hebammen  die  Kreissende  husten  oder  in  die  Hand  hauchen,  andere  dagegen 
reiben  nur  den  Leib  sanft  und  träufeln  noch  zuvor  etwas  Melissengeist  auf. 
(Patdi.)  Um  den  Abgang  der  Nachgeburt  zu  erleichtern,  lässt  man  im  Sieben- 
bürger Sachsenlande  die  Eindbetterin  aus  Leibeskräften  in  ein  Glas  blasen 
(Deutsch-Kreuz),  oder  sie  muss  sich  in  die  linke  Seite  drücken,  oder  die  Heb- 
amme reibt  den  Leib  der  Frau  mit  einem  Besen.     (Hülner.) 

Aus  Griechenland  berichtet  Dammn  6r6or^,  dass  dort  die  Hebammen  der 
Landbevölkerung  die  Nachgeburt  durch  Druck  auf  den  Unterleib  entfernen.  Will 
sie  diesem  Druck  nicht  folgen,  so  sucht  man  Würgebewegungen  auszulösen,  in- 
dem man  der  Frau  die  Finger,  oder  ihren  eigenen  Zopf  in  den  Mund  steckt. 
Auch  lässt  man  die  Entbundene  in  eine  leere  Flasche  blasen,  um  hierdurch  unter 
der  Wirkung  der  Zwerchfellzusammenziehungen  einen  intra-abdominellen  Druck 
herbeizuführen. 

In  Serbien  bekommt  die  Frau  sofort  nach  der  Entbindung  ein  Weinglas 
voll  Oel  zu  trinken;  dadurch  soll  die  Loslösung  der  Nachgeburt  beschleunigt 
werden.     (Petromtsch.) 

Ueber  die  Mohamedanennnen  in  Bosnien  und  der  Hercegovina  be- 
richtet Glück: 

«Ist  endlicli  das  Kind  geboren,  abgenabelt  and  abgewaschen,  und  geht  die  Nachgeburt 
nicht  gleich  ab,  so  erhält  die  Wöchnerin  eine  Schale  Oel  zu  trinken,  oder  man  Iftsst  sie  in 
eine  Flasche  blasen;  hilft  das  nicht,  so  wird  der  Unterleib  massirt,  oder  die  Gebärende  wird 
gebäht." 


324.  Die  Entfernung  der  Nachgebnrtstbeile  in  der  europftiachen  Volks-Geburtshülfe.    215 

Im  Gouvernement  Perm  erhält  die  Ereissende,  wie  Demic  angiebt,  wenn 
die  Nachgeburt  zögert,  einen  Thee  von  Jnncus  filiformis  L.  zu  trinken;  in  Klein* 
Bussland  macht  man  ihr  Umschläge  von  Asarum  europaeum.  Im  Gouvernement 
Tomsk  benutzt  man  als  innerliches  Mittel  den  gestossenen  Samen  von  litho- 
spermium  arvense  und  of&cinale,  aber  man  giebt  auch  heimlich  der  Gebärenden 
einige  Läuse  mit  Asche  ein.  Nach  Ljesenjevic  werden  anderen  Ortes  auch  zwei 
Glaschen  frisch  ausgepresster  Pferdeknollen  zum  Trinken  gegeben.  Da  hätten 
wir  also  wiederum  die  Ekelkuren.  In  anderen  Gegenden  versucht  man,  nach 
Demic^  warme  Bäder  und  Einspritzungen.  Die  Entfernung  der  Nachgeburt  mit 
der  Hand  wird  nur  in  seltenen  Fallen  geübt,  wobei  auch  die  Massage  des  Uterus 
durch  die  Bauchwand  ausgef&hrt  wird. 

An  das  Ende  der  von  der  Placenta  herabhängenden  Nabelschnur  bindet  man 
in  anderen  Theilen  Busslands  allerhand  Gegenstände:  einen  Löffel,  einen  Schuh 
oder  auch  einen  Ziegel,  und  lässt  die  Mutter  damit  umhergehen.  Durch  die 
Schwere  dieser  Dinge  soll  die  Nachgeburt  herausgezogen  werden. 

Alksnis  berichtet  von  den  Letten: 

,  Damit  die  Placenta  sich  rasclier  ablöse,  lässt  man  die  Frau  in  eine  leere  Flasche  blasen, 
man  Iftsst  sie  husten  oder  drückt  auch  ein  Wenig  auf  den  Fundus  uteri.  Ausserdem  wird  noch 
häufig  an  dem  Nabel  gezogen.  In  den  Fällen,  wo  die  Placenta  sich  nicht  rasch  ablöst,  wird 
sie  auch  von  den  ungelehrten  Hebammen  manuell  durch  einen  inneren  Eingriff  in  den  Uterus 
gelöst.  Wie  oft  durch  diese  Operation  inficirt  wird,  das  ist  eine  andere  Sache.  £s  gäbe  sehr 
böse  Folgen  fftr  die  Frauen  (sagte  seine  Berichterstatterin),  wenn  ein  Stttckchen  von  der  Nach- 
geburt in  der  Gebärmutter  haften  bleibe.  Doch  seien  auch  Fälle  beobachtet  worden,  wo  die 
Placenta  so  lange  im  Uterus  geblieben  sei,  bis  sie  zu  faulen  angefangen  habe.*^ 

Im  Kaukasus  setzt  sich  bei  zurückgehaltener  Nachgeburt  eines  von  den 
gegenwärtigen  Weibern  auf  den  Unterleib  der  Mutter,  und  indem  sie  dann 
hüpfende  Bewegungen  macht,  übt  sie  einen  starken  Druck  auf  Unterleib  und 
Uterus  aus. 


LH.   Die  Ethnographie  der  Nachgebnrtstheile. 

325.  Die  Benennangen  der  Nachgeburtstheile. 

Es  warde  an  einer  früheren  Stelle  schon  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass 
der  Embryo  im  Mutterleibe  von  einer  häutigen  Umhüllung  umgeben  ist,  welche 
man  im  wissenschaftlichen  Sprachgebrauche  als  die  Fruchtblase  oder  die  Ei- 
häute bezeichnet.  Diese  Fruchtblase  liegt  nun  aber  nicht  lose  und  unbefestigt 
in  der  Gebärmutterhöhle,  sondern  sie  ist  an  einer  Stelle  besonders  eng  mit  ihr 
verschmolzen,  so  dass  hier  eine  innige  Verbindung  des  Blutaustausches  zu  Stande 
kommt.  Diese  Stelle  erscheint  rundlich  und  dabei  flach,  scheibenförmig  wie  ein 
Kuchen  oder  «Fladen*,  und  sie  wird  von  Alters  her  die  Placenta  oder  der 
Mutterkuchen  genannt.  Aus  ihm  entspringt,  wie  wohl  allgemein  bekannt  ist, 
ein  langer  Strang,  der  sich  mit  seinem  anderen  Ende  in  den  Nabel  des  Kindes 
einsenkt.  Das  ist  der  Funiculus  umbilicalis  oder  der  sogenannte  Nabel- 
strang. Er  hat  ein  an  Gallerte  erinnerndes  Aussehen  und  in  ihm  verlaufen  die 
Blutgefässe,  welche  den  Blutkreislauf  der  Mutter  mit  demjenigen  des  Embryo 
vermitteln. 

Da  der  Mutterkuchen  mit  den  Eihäuten  und  mit  dem  an  ihm  haftenden 
Nabelstrang  ftir  gewöhnlich  erst  nach  der  Geburt  des  Kindes  aus  dem  mütter- 
lichen Uterus  ausgestossen  wird,  so  hat  man  diese  Gebilde  im  Allgemeinen  als 
die  Nachgeburtstheile  oder  auch  wohl  abgekürzt  als  die  Nachgeburt  be- 
zeichnet.   Scipione  Mer curia  hat  dafür  den  Namen  le  seconde  eingeführt. 

Der  deutsche  Name  ist  sehr  alt,  denn  schon  Jacob  JRueff  bespricht  in  seinem 
Hebammen-Buch  ,,die  Fällein  vnterschiedlich,  die  Nachgeburt  genannt'.  Auch 
bei  Eucharius  Rösslin,  bei  Herlicius  (1628),  in  der  anonymen  Uebersetzung  des 
Mauriceau  (1687)  und  in  „des  getreuen  EckartVs  unvorsichtiger  Hebamme"  (1715) 
findet  sich  der  Name  Nachgeburt  oder  Nachgeburth. 

Eckarth  und  Welsch  sprechen  aber  auch  noch  von  der  Äfft  er  bürde, 
Mauriceau' s  Uebersetzer  von  dem  Bürdlein.  Rösslin  hat  für  die  Nachgeburt 
auch  noch  die  Bezeichnung  Büschelin  eingeführt;  so  heisst  es  bei  ihm: 

„Wenn  die  Frau  in  Arbeit  ist  vnd  ersclieint  das  erst  feil  in,  jnn  dem  das  Kind  liegt, 
das  man  nennet  das  Büschelin  oder  Nachgeburt,  so  nahet  die  Geburt.* 

In  Schwaben  sagt  man  nach  Bück  das  Nachwesen,  in  Steyermark 
heisst  die  Nachgeburt  nach  Most  Buchtl  oder  Nestl. 

Für  den  Nabelstrang  ist  auch  der  Name  Nabelschnur  in  ganz  gleicher 
Häufigkeit  in  Gebrauch.  Welsch  spricht  auch  von  der  Nabelschnure,  Bueff 
nennt  sie  das  Nabelgertlein,  und  der  Uebersetzer  Mauriceau^s  spricht  von  der 
Nabel-Senne  oder  der  Senne. 


326.  Die  Auffioflsiing  der  Nachgeburtsiheile.  217 

Für  die  Unterbindung  und  die  Darchtrennung  der  Nabelschnur  hat  sich 
ganz  allgemein  die  Bezeichnung  des  Ahn  ab  eins  eingebürgert.  Bei  Mauriceau 
lesen  wir  daf&r  den  Ausdruck  abledigen,  und  bei  Herlidt^  ledigen. 

Bei  den  Letten  wird  die  Nachgeburt  nach  ÄlJcsnis'  Angabe  oträ  puse 
genannt,  das  heisst  wörtlich  die  andere  Hälfte.  Wir  werden  hierdurch  hinüber 
geleitet  zu  einer  besonderen  Auffassung,  wie  sie  uns  in  dem  nächsten  Abschnitt 
bei  den  Baliern  entgegentreten  wird. 


326.  Die  Auffassung  der  Nachgeburtstheile. 

Wir  haben  soeben  in  Erfahrung  gebracht,  dass  die  Letten  die  Nachgeburts- 
theile als  „die  andere  Hälfte"  der  Frucht  betrachten. 

Die  Eingeborenen  der  Insel  Bali  haben,  wie  Jacobs  berichtet,  den  Glauben, 
dass  die  Nacl^eburt  ein  Bruder  oder  eine  Schwester  von  dem  neugeborenen 
Kinde  sei.  Stirbt  Jemand,  so  nehmen  sie  an,  dass  die  Seele  seiner  Nachgeburt 
ihm  auf  halbem  Wege  entgegenkommt,  um  ihn  nach  dem  Himmel  Indras  zu 
weisen. 

Wir  haben  noch  einer  Auffassung  zu  gedenken,  welche  weit  über  die  Erde 
verbreitet  ist.  Das  ist  die  Anschauung,  dass  die  Nachgeburt,,  wenn  sie  die  Gebär- 
mutter bereits  verlassen  hat,  aber  noch  nicht  völlig  geboren  ist,  selbständig  in 
die  Uterushöhle  zurückzukriechen  oder  aufzusteigen  vermöchte.  Damit  steht  es 
in  Zusammenhang,  dass  so  häufig  berichtet  wurde,  wenn  die  Nabelschnur  durch- 
schnitten ist,  müsse  ihr  placenbäres  Ende  an  dem  Schenkel  der  Gebärenden  be- 
festigt werden.     So  ertheilt  Rösslin  den  Rath: 

<  »Vnd  wenn  sich  na  verleget  (verzögert)  das  Büschelin,   vnd  nicht  ausgehet,   so  solta 

nicht  fast  strecken   oder  ziehen,   sondern  binde  es  oben  an  beide  beine  oder  sonst  etwan, 
also  dass  es  nicht  wider  vber  sich  steige.* 

Aehnlich  heisst  es  bei  Herlicius: 

,So  dann  durch  die  Gnade  Gottes  das  Kind  glücklich  in  die  Welt  kommen,  sol  die 
Hebamme  oder  Weisemüne  das  Kind  bald  ledigen,  den  Nabel  drey  Finger  breit  von  dem 
Leibe  des  Nabels  der  Frawen  an  jhren  Schenckel  binden,  auff  dass  die  Nachgeburt 
nicht  hinter  sich  fahre,  vnd  darnach  bey  der  Frawen  verharre,  welches  vmb  der  corruption 
vnd  faule  willen,  die  Fraw  von  jhrer  vemunfit  bringen  möchte,  sintemahl  ein  grosser  stanck 
daraus  erfolget,  welcher  das  Heupt  und  Hertze  sehr  beleidiget.* 

Analog  ist  auch  der  Vorschlag  von  Welsch,  welcher  auch  das  placentare 
Ende  der  Nabelschnur  räth  an  das  Bein  der  Wöchnerin  zu  binden  oder  von  einer 
der  beistehenden  Frauen  halten  zu  lassen,  „damit  die  Afterbürde  der  Kindermutter 
nicht  entwischen  könne^S 

Obgleich  nun  Mauriceau  an  solch  ein  Zurückkriechen  der  Gebärmutter  nicht 
mehr  glaubt,  vermag  er  sich  doch  noch  nicht  von  der  althergebrachten  Methode 
frei  zu  machen.    Er  giebt  den  Rath: 

.dass  sein  übrig  Trnmm,  mit  einer  kleinen  Saite  an  des  Weibs  -  Schenckel  geknüp£Ft 
(werde),  nicht  so  wol  aus  Beysorg  sie  möchte  wieder  hinein  in  die  Beermutter  schlüpffen, 
als  zu  verhüten,  dass  sie  ihr  nicht  üngelegenheit  mache,  wenn  sie  ihr  zwischen  den  Beinen 
h&nget* 

Ganz  derartige  Anschauungen,  wie  sie  früher  in  Europa  herrschten,  finden 
wir  auch  bei  anderen  Yolksstämmen  wieder.  Mimaeunea  sagt  von  den  Japa- 
nern: Die  abgeschnittene  Nabelschnur  wird  mit  einem  Bande  an  der  Hüfte  der 
Gebärenden  befestigt,  damit  die  Nachgeburt  nicht  zurücktritt,  während  man  der 
Frau  einige  Ruhe  gönnt  Nach  der  Angabe  Kangawa's  war  es  bis  zu  seiner  Zeit 
in  Japan  Sitte,  dass 

«die  Alte,  welche  bei  der  Geburt  half,  die  Nabelschnur  nach  der  Geburt  des  Kindes 
abschnitt  und  sie  einige  Zeit  lang,  mit  irgend  einem  Gegenstande  beschwert,  heraushängen 
liees,  damit  sie  nicht  wieder  aufsteigen  könne.* 


218  LII*  ^^0  Ethnographie  der  Nachgeburtstheile. 

Kangawa  aber  sagt  in  seinem  Buche  San-ron,  dies  sei  nicht  nothwendig, 
denn  da  die  Schnur  keinen  Grund  zum  Aufisteigen  habe,  so  sei  es  auch  nicht 
nothig,  sie  davon  abzuhalten. 

Bei  den  Flatheads,  den  Eootewais,  den  Crows  und  Creeks  in  Nord- 
Amerika  ergpreift  die  Entbundene  sofort  nach  der  Durchtrennung  des  Nabel- 
stranges dessen  placentares  Ende  mit  der  Hand  und  halt  es  sorgfaltig  fest,  damit 
es  nicbt  wieder  in  den  Uterus  zurQckschlüpfen  könne. 

Die  Clatsops  legen  um  den  Unterleib  der  Patientin  sofort  nach  der  Geburt 
des  Kindes  eine  Bandage,  „um  zu  verhindern,  dass  die  Placenta  zurück  in  •  den 
Körper  tritt". 

Auch  bei  den  Yiti-Insulanerinnen  haben  wir  aus  dem  Berichte  von  Blyth 
ersehen,  dass  ihre  Hebammen  nach  erfolgter  Abnabelung  den  aus  dem  Körper 
der  Mutter  hervorhängenden  Rest  des  Nabelstranges  an  deren  Schenkel  anbinden, 
aus  Furcht,  dass  er  wieder  in  den  Leib  zurückschlüpfen  möchte. 

Ganz  besondere  Anschauungen  und  Gebräuche  herrschen  in  Bezug  auf  die 
Nachgeburt  nach  Modigliani  auf  der  Insel  Nias.  Die  Nachgeburt  führt  dort  den 
absonderlichen  Namen  Gä'a  nono  oder  aw5  nono.  Nono  kommt  von  ono,  Sohn, 
und  ga'a  bedeutet  Bruder  oder  Schwester;  awö  heisst  Begleiter.  Dieser  Name 
erinnert  uns  an  den  oben  erwähnten  Glauben  der  Bali  er.  Sowie  der  Kopf  des 
Kindes  bei  der  Geburt  erscheint,  muss  sich  die  Kreissende  auf  die  Kniee  legen 
und  in  dieser  Stellung  verharren,  bis  die  Nachgeburt  herausgekommen  ist.  Zögert 
dieselbe,  so  wird  die  Nabelschnur  nicht  durchschnitten,  sondern  das  an  derselben 
hängende  Kind  wird  zwischen  die  Beine  der  Kreissenden  gelegt,  während  diese 
selbst  sich  hintenüber  neigen  muss.  Sie  bekommt  Salzwasser  mit  Kokosöl  zu 
trinken  und  der  Leib  wird  ihr  fest  mit  einem  Tuche  oder  mit  Baumrinde  um- 
schnürt. Dieses  geschieht  aber  nicht  etwa,  wie  bei  anderen  Völkern,  in  der  Ab- 
sicht, die  Placenta  herauszupressen,  sondern  nur  um  die  Gebärmutter  zu  verhindern, 
dass  sie  wieder  gegen  das  Herz  aufsteige,  und  um  die  Nachgeburt  zu  tödten. 
Denn  sie  halten  diese  für  lebendig  und  sie  sind  der  Meinung,  dass  sie  nur  dann 
den  Körper  der  Kreissenden  verlassen  könne,  wenn  sie  gestorben  sei. 


827.  Die  Abnabelung  im  Glauben  der  Tolker. 

Die  organischen  Bildungen,  durch  welche  das  neugeborene  Kind  mit  dem 
mütterlichen  Organismus  in  Verbindung  stand,  und  die  ihm  nun  nach  der  voll- 
endeten Entwickelung  zu  einem  selbst&idigen  Individuum  nicht  mehr  zum  Fort- 
leben nöthig  sind,  erhalten  im  Volksglauben  eine  mystische  Bedeutung  für  das 
gesammte  übrige  Leben;  man  hält  sie  für  Symbole  zur  Gewähr  eines  dauernden 
Glückes,  sowie  für  einen  schützenden  Talisman  in  Gefahren,  und  in  dieser  Be- 
ziehung schätzt  man  sie  hoch  und  werth.  Das  Auffallendste  dabei  ist,  dass  der 
Aberglaube  in  dieser  Hinsicht  sich  fast  über  die  ganze  Erde  verbreitet  findet  Er 
tritt  beinahe  überall  auf  und  nimmt  hier  und  da  nur  eine  besondere  Gestalt  und 
Form  an,  die  aber  doch  nur  Variationen  über  ein  und  dasselbe  Thema  darstellt. 
Eine  üebersicht  über  dieses  interessante  Gebiet  des  Aberglaubens  gab  Bloss  bereits 
in  seinem  Buche:  „Das  Kind  in  Brauch  und  Sitte  der  Völker";  wir  ver- 
mögen aber  an  dieser  Stelle  nur  flüchtig  darauf  einzugehen. 

Mystische  Anschauungen  treten  uns  bisweilen  schon  bei  der  Abnabelung 
entgegen,  wenn  wir  sehen,  dass  dieselbe  nur  in  einer  ganz  bestimmten  Weise  vor- 
genommen werden  darf,  oder  dass  die  Vertreter  der  Gottheit  es  sind,  die  Priester 
oder^  die  Priesterinnen,  denen  die  Durchschneidung  des  Nabelstranges  vorbehalten 
geblieben  ist.     So  berichtet  Moerenhout  aus  Tahiti: 

.Nachdem  die  Frau  geboren  und  mit  ihrem  Kinde  ein  möglichst  heisses  Dampfbad  ge- 
nommen hat  und  darauf  noch  zur  Abkühlung  in  ein  kaltes  Bad  gegangen  ist,  begiebt  sie  sich 
mit  dem  Neugeborenen   in   den  Marae  (Tempel),   wo  nach  einem  Opfer  der  Priester  die 


BBBB^BBBi^i^aaea 


327.  Die  Abnabelang  im  Glauben  der  Völker.  219 

Nabelschnur  bis  auf  ein  Stück  von  10  Zoll  Länge  vom  Kinde  abschneidet,  die  dann  im  Marae 
begraben  wird." 

Auch  bei  deuAlfuren  auf  Coleb  es  wird  xiBch  Diederich  die  Unterbindung 
und  Durchschneidung  des  Nabelsiranges  von  der  Priesterin  ausgeführt. 

Es  ist  von  dem  Standpunkte  der  Völkerpsychologie  aus  von  einem  ganz 
hervorragendem  Interesse,  dass  wir  bei  manchen  Volksstämmen  besondere  rituelle 
Vorschriften  nachzuweisen  vermögen  Über  die  Art  der  Instrumente,  mit  denen 
allein  die  Durchschneidung  des  Nabelstranges  und  die  Abtrennung  des  Neugeborenen 
von  den  Nachgeburtstheilen  vorgenommen  werden  muss.  Entspricht  das  Material, 
aus  welchem  diese  schneidenden  Werkzeuge  gefertigt  sind,  nicht  der  Culturstufe, 
welche  wir  im  üebrigen  bei  dem  betreflfenden  Vol&stamme  vorfinden,  so  werden 
¥Fir  wohl  keinen  Fehlgriff  thnn,  wenn  wir  hierin  die  Ueberlebsel  aus  primitiven 
Urzuständen  wiederzuerkennen  versuchen. 

Wir  haben  ja  bereits  gesehen,  wie  z.  B.  das  aus  einem  Bambusrohre  ge- 
fertigte Messer  in  dem  ganzen  indischen  Archipel  für  die  Durchtrennung  der 
Nabelschnur  eine  ganz  hervorragende  Rolle  spielte;  und  doch  würden  manche  der 
Volksstämme,  bei  welchen  wir  dieses  Bambusmesser  vorfinden,  sehr  wohl  im  Stande 
sein,   hierzu   auch  schneidende  Werk- 


zeuge aus  Metall  zu  benutzen.  Auch  bei 

dem  kraushaarigen  Zwergvolke  der  Ka- 

nikar  in   den  Wäldern  des  südlichen 

Indiens  fand  Jagor^  Bambusmesser  vor, 

die  zu  dem  genannten  Zwecke  dienten. 

Die  Nabelschuur  wird  bei  diesen  Leuten  imihm  ■ 

niemals  mit  einem  anderen  Instrumente  ^gn^g^^^^^^^^^^^^^^^ 

als  mit   einem   derartigen  Rohrmesser         ^ig.  8oe.  Bamb^s-Messer  der  Kanikars 

durchschnitten,  und  andererseits  dürfen  (^ach  Photographie.) 

diese  letzteren  niemals  zu  einem  anderen 

Zwecke  verwendet  werden.    Dieselben  sind  nach  den  im  königlichen  Museum  für 

Völkerkrmde  in  Berlin  befindlichen  Exemplaren  in  Fig.  303  abgebildet  worden. 

Hier  ist  auch  an  daqenige  zu  erinnern,   was  oben  von  den  wilden  Stämmen  aus 

Malacca  berichtet  wurde.     {Bartels'^,) 

Sehr  interessant  in  dieser  Beziehung  ist  eine  Angabe  von  Schomburgk  über 
die  Macusis-Indianer  in  Britisch  Guyana.  Hier  ist  das  Geschäft  der  Durch- 
schneidung des  Nabelstranges  der  Mutter  oder  der  Schwester  der  Gebärenden  vor- 
behalten und  zwar  besteht  ein  Unterschied  in  den  benutzten  Instrumenten,  je 
nachdem  das  Neugeborene  ein  Knabe  oder  ein  Mädchen  ist.  Ist  es  ein  Knabe,  so 
wird  zu  der  Durchschneidung  der  Nabelschnur  ein  scharfgeschnittenes  Stück  eines 
Bambusrohres  genommen;  wenn  aber  ein  Mädchen  geboren  ist,  so  muss  die  Nabel- 
schnur mit  einem  Stück  Pfeilrohr  (Gynerium  saccharoides)  durchschnitten  werden. 
In  beiden  Fällen  wird  dann  hinterher  die  Unterbindung  mit  ebem  baumwollenen 
Faden  ausgeführt. 

Soranus  berichtet,  dass  zu  seiner  Zeit  die  Hebammen  die  Nabelschnur 
mittelst  eines  scharfen  Rohres,*  einer  Muschel,  einer  dünnen,  harten  Brodkruste 
oder  mit  den  Nägeln  durchschnitten,  und  er  setzt  hinzu,  dass  sie  die  Anwendung 
des  Eisens  zu  diesem  Zwecke  für  xmheilvoU  hielten.  Entweder  war  vielleicht  hier- 
bei eine  abergläubische  Reminiscenz  aus  der  vormetallischen  Zeit  (Steinzeit),  oder 
auch  die  bewusste  Vorsicht  maassgebend,  dass  Blutungen  aus  der  Nabelschnur 
besser  verhütet  werden,  wenn  dieselbe  durch  stumpfere  Werkzeuge  gleichsam  zer- 
quetscht, als  wenn  sie  durch  einen  scharfen  Schnitt  getrennt  wird. 

Nach  den  Angaben  des  Japaners  MimcuBunjua  bedient  man  sich  auch  in 
seinem  Vaterlande  zur  Durchschneidung  der  Nabelschnur  nicht  des  Eisens,  weil 
ihm  das  Volk  einen  schädlichen  Einfluss  auf  die  Wimden  zuschreibt.  Man  ge- 
braucht dazu  scharfe  Geräthe  aus  Bambus,  Domen  vom  Orangenbaum  und  Porzellw- 


220  L^-  ^^  Ethnographie  der  Nachgebortsiheile. 

Scherben,  bei  Yomehinen  aber  Messer  von  Gold  oder  Silber;  nur  die  Geburts- 
helfer bedienen  sich  hierfür  der  gewöhnlichen  Messer. 

In  der  Hercegovina  und  bei  den  Bosniaken  wird,  wie  Glück  berichtet^ 
die  Nabelschnur  niemals  mit  einer  Scheere  durchschnitten,  weil  man  fürchtet,  dass 
sonst  das  folgende  Kind  ein  Mädchen  sein  würde.  Um  diesen  Uebelstand  zu  ver- 
meiden, bedient  man  sich  eines  Messers  oder  einer  Sichel. 

Bei  den  Neu-Seeländern  hat  das  Abschneiden  des  Nabelstranges,  wie 
schon  Shartland,  Hooker  u.  A.  bezeugen,  eine  tiefere  Bedeutung.  Auch  Bastian 
(Inselgruppen  Oceaniens)  hat  Näheres  darüber  mitgetheilt:  Fand  nämlich  dieser 
Vorgang  auf  einem  Steine  statt,  so  war  die  Bedeutung,  dass  der  künftige  Mann 
als  Kämpfer  ein  Herz  von  Stein  haben  sollte;  fand  er  auf  einer  Keule  statt,  so 
bedeutete  dies  den  Muth  im  Streite;  bei  dieser  Geremonie  hielt  der  Priester 
den  Nabelstrang  in  der  Hand  und  sprach  die  Anrufung  über  denselben.  Da* 
gegen  wurde  in  Samoa  der  Nabelstrang  des  Mädchens  auf  einem  Zeugklopfer 
abgeschnitten. 

Bei  der  Durchschneidung  der  Nabelschnur  halten  die  Armenier  unter  die- 
selbe ein  Stück  Brod  oder  eine  Münze,  die  Kurdinnen  dagegen  ein  Stück  ge- 
trockneten Kuhmist.  Das  geschieht,  damit  das  Kind  während  seines  Lebens  stets 
vom  Glück  begleitet  sei.    {Organisjans.) 

Wenn  auf  den  Inseln  Leti,  Moa  und  Lakor  der  Nabelstrang  des  Kindes 
durchschnitten  wird,  so  muss  der  Ghrossvater  oder  die  Grossmutter  einen  Namen 
flüstern.  Wenn  dann  die  Nabelwunde  nicht  blutet,  so  wird  dieser  Name  für  das 
Kind  gewählt;  tritt  aber  eine  Blutung  ein,  dann  muss  ein  anderer  Name  gesagt 
werden.    {Riedd^) 

Bei  den  Sulanesen  stellt  nach  Riedel  die  Hebamme  unmittelbar  vor  der 
Abnabelung  an  das  Neugeborene  die  Frage:  „Willst  Du  so  heissen?^^  Dabei  wird 
je  nach  dem  Geschlechte  des  Kindes  ein  männlicher  oder  ein  weiblicher  Name  ge- 
nannt. Giebt  das  Kind  dann  einen  Ton  von  sich,  so  wird  das  als  Zustinmiung 
aufgefasst  und  das  Kind  behält  dann  diesen  Namen.  Wenn  es  sich  aber  ruhig 
verhält,  dann  wird  ein  anderer  Name  ausgesucht. 

Die  Existenz  von  mystischen  Anschauungen  müssen  wir  auch  wohl  voraus- 
setzen, wenn  wir  von  folgender  Methode  hören,  welche  auf  den  Aaru-Inseln 
zur  Behandlung  der  Nabelschnurwunde  gebräuchlich  ist.  Hier  muss  die  junge 
Mutter  alle  Tage  einige  Tropfen  von  ihrer  Milch  auf  die  Nabelschnurwunde 
fallen  lassen. 

Bei  den  Agahr,  einem  Stanmie  der  Dinka-Neger,  wird  die  Nabelschnur 
der  Neugeborenen  mit  sieben  scharfen  Strohhalmen  durchschnitten  und  von  dem 
ausfliessenden  Blute  einige  Tropfen  auf  die  Zunge  der  Mutter  gestrichen,  damit, 
falls  später  bei  Streitigkeiten  die  Mutter  böse  Worte  gegen  ihr  Kind  schleudere, 
diese  am  eigenen  Blute  sich  brechen  (der  Vater  dagegen  mag  die  Kinder  im  Zorn 
selbst  verfluchen,  seine  Worte  haben  nach  der  Meinung  dieses  Volkes  keine  Kraft. 
Emin  Bey).  Wenn  wir  hier  die  Nabelschnur  in  eine  mystische  Beziehung  ge- 
bracht finden  zu  Streitigkeiten  zwischen  Mutter  und  Kind,  so  stossen  wir  später 
bei  asiatischen  Völkern  ebenso  wie  in  Europa  auf  eine  Beziehung  des  Nabel- 
schnurrestes zu  Rechtsstreitigkeiten. 

Auch  gegen  bestimmte  Krankheiten  schützt  das  Blut  aus  der  Nabelschnur: 

«quamobrem  peritae  obstetrices  natis  infantibus  ex  vena  umbilici  jangam  resecta  gpittas 
ad  minimum  tres  atatim  per  os  infnndont,  securiB  postea  et  per  omnem  vitam  suam  ab  in- 
sultibuB  epüeptids  liberam  judicaris."    (Mylius,) 

Das  für  die  Unterbindung  des  Nabelstranges  benutzte  Material  unterliegt 
bisweilen  ebenfalls  bestimmten  rituellen  Vorschriften. 

In  Jerusalem  unterbinden  die  Hebammen,  wie  Floss  durch  eine  Mit- 
theilung des  preussischen  Gonsuls  Rosen  erfuhr,  die  Nabelschnur  erst,  nachdem 
die  Nachgeburt   zum  Vorschein   gekommen  ist.    Sie  lassen   eine  Länge  von  drei 


328.  Der  Näbelschnurrest  im  Volksglauben.  221 

Finger  breit  als  Nabelschnarrest  am  Kinde,  wickeln  das  Ende  in  Baumwolle  und 
binden  darum  einen  Faden.  Dieser  darf  nicht  ohne  Baumwolle  sein;  man  nimmt 
zu  diesem  Behufe  einen  Baumwollen-  und  einen  Zwirnsfaden  zusammen  und 
wickelt  beide  um  die  Watte,  welche  die  Nabelschnur  umhüllt;  dann  wird  diese 
abgeschnitten  und  mit  einem  Lichte  angebrannt,  um  einer  Blutung  aus  dem  Nabel- 
strange vorzubeugen. 

Bestimmte  Zustande  an  der  Nabelschnur  haben  ebenfalls  ihre  wichtige  mystische 
Bedeutung.  So  gilt  die  ümschlingung  als  ominös,  wo  die  Nabelschnur  wie 
«ine  Schlmge  sich  um  den  Hals,  den  Kumpf  oder  eine  der  Extremitäten  des  Kindes 
gelegt  hat.  Ein  mit  der  Nabelschnur  umschlungenes  neugeborenes  Kind  wird  bei 
den  Igorroten  (auf  Luzon,  Philippinen)  sofort  begraben,  da  der  Olaube 
herrscht,  ein  solches  Wesen  würde  in  späteren  Jahren  den  Eltern  nach  dem  Leben 
trachten.  (Meyer^.)  Wir  haben  ja  bereits  in  den  Kapiteln,  welche  von  der 
Schwangerschaft  handelten,  allerlei  Maassnahmen  kennen  gelernt,  um  die  Leibes- 
frucht vor  dieser  Gefahr  zu  bewahren. 

Noch  jetzt  herrscht  im  Frankenwalde  der  Aberglaube,  dass  viele  Knoten 
in  der  Nabelschnur  viele  Kinder  bedeuten,  und  dass  man  dieselbe  nicht  zu  kurz, 
sondern  lang  genug  abschneiden  müsse,  damit  die  Weiber  nicht  stockig  oder  eng- 
brüstig werden.    (Flügel,) 

Es  wurde  oben  bereits  erwähnt,  dass  die  Bambusmesserchen,  mit  welchen 
•die  Kanikars  im  südlichen  Indien  die  Nabelschnur  des  Kindes  durchtrennen, 
niemals  zu  irgend  einem  anderen  Zwecke  in  Gebrauch  genommen  werden  dürfen. 
In  der  Landschaft  Kroe  auf  Sumatra  wird  nach  einem  Berichte  von  Hdferich 
•das  betreffende  Bambusmesser  mit  der  Placenta  zusammengepackt  und  mit  ihr 
gemeinsam  beseitigt,  wie  wir  später  erzählen  werden. 

Wenn  bei  den  Sulanesen  die  Hebamme  die  Nachgeburt  begraben  und  die 
Wöchnerin  gebadet  hat,  dann  giebt  sie  die  Erklärung  ab,  wer  der  Vater  des 
Kindes  ist.  Dieser  oder  einer  von  seinen  männlichen  Blutsverwandten  muss  darauf 
•das  Bambusmesser,  womit  die  Nabelschnur  durchschnitten  wurde,  an  einem  Bambus- 
speer befestigen,  wie  man  ihn  zum  Spiessen  der  Haifische  braucht.  Diesen  Spiess 
steckt  der  Mann  in  einen  Kalapa-Baum,  einen  Darian-Baum  oder  einen  Sagu-Baum, 
und  durch  diese  Geremonie  wird  das  Kind  vor  den  Dorfgenossen  von  seinem  Vater 
■anerkannt.    Der  Baum  bleibt  Eigenthum  des  Kindes.    (Biedel^^.) 


328«  Der  Nabelschnarrest  im  Volksglauben. 

Ein  ganz  besonders  grosses  Interesse  knüpft  sich  an  den  sogenannten  Nabel- 
schnurrest, d.  h.  an  dasjenige  Stück  der  Nabelschnur,  welches  an  dem  kindlichen 
Körper  zurückgelassen  wird,  dort  schnell  einschrumpft  und  vertrocknet  und  um 
•den  fünften  Tag  herum  von  selber  abzufallen  pflegt  Er  wird  dann  in  den  meisten 
Fällen  in  besonderer  Weise  verpackt  und  auf  das  Sorgfaltigste  aufbewahrt.  Er 
ist  ein  wirksames  Amulet  im  Kriege  und  auf  Beisen;  er  erhält  das  Leben,  schützt 
vor  Krankheiten  und  heilt  solche,  wenn  er  gepulvert  als  Medicin  eingegeben 
wird.  Er  sichert  den  günstigsten  Erfolg  in  Rechtsstreitigkeiten  und  stärkt  den 
Verstand.  Nur  bei  wenigen  Völkern  finden  wir  eine  Gleichgültigkeit  gegen  diese 
Reliquie  aus  dem  Mutterleibe,  die  sie  einfach  fortwerfen.  Auf  Leti,  Moa  und 
Lakor  wird,  wie  wir  früher  bereits  angaben,  nur  für  die  Knaben  der  Näbelschnur- 
rest verwahrt,  derjenige  der  Mädchen  aber  fortgeworfen. 

Von  den  Sulanesen  berichtet  Biedd^^: 

.Den  später  abgefallenen  Nabelstrang  bewahrt  man  in  einem  Eober,  um  von  dem 
Knaben,  wenn  er  herangewachsen  ist,  am  Bauch  oder  am  Halse  getragen  zu  werden;  der  der 
Mädchen  wird  sofort  begraben.*' 

Auf  Serua  begraben  sie  ihn  am  Feuerplatze  des  Hauses.    Absichtlich  ver- 


222  ^n*  ^i®  Ethnographie  der  NachgeburUtheile. 

nichtet  wird  er  bei  den  Bafiote-Negerinnen  der  Loango -Küste;  sie  werfen 
ihn  in  das  Feuer,  am  ihn  zu  verbrennen,  denn  „wenn  die  Batten  ihn  fressen,  so 
wird  das  Kind  ein  ganz  schlechter  Mensch*'.     (Pec^ael-Loesche.) 

In  Liberia  pflegt  man  nach  BiUtikofer  häufig  den  abgetrockneten  Nabel- 
schnurrest in  einem  Leinwandläppchen  als  Talisman  um  den  Hals  zu  hängen. 

Auch  bei  den  Letten  wird  nach  ABcsnis  der  Nabelschnurrest  sorgfaltig 
bewahrt,  und  geht  er  verloren,  so  hat  das  für  das  Kind  eine  unglückliche  Vor- 
bedeutung. 

Dagegen  berichtet  Scheute: 

,Die  vertrockneten  und  abgefallenen  Nabelschnurstücke  ihrer  Kinder  trägt  bei  den 
Ainos  die  Mutter  zeitlebens  in  einem  Säckchen  auf  der  Brust  und  nimmt  sie  mit  sich  in 
das  Grab.* 

Landes  schreibt  von  den  Annamiten: 

nQuand  le  cordon  ombilical  tombe,  on  le  conserve  avec  soin.  II  sert  ä  composer  un 
rem^de  contre  la  fievre  qui  atteindrait  Tenfant  dans  ses  premieres  annöes.** 

In  Japan  wird  der  Nabelstrang  von  dem  Mutterkuchen  getrennt,  dann  in 
mehrere  Schichten  weissen  Papiers  und  endlich  in  einen  Bogen  Papier  gewickelt, 
welcher  die  vollen  Namen  der  Eltern  enthält.  In  dieser  Verpackung  wird  er  zu 
den  Archiven  der  Familie  gelegt.  Stirbt  ein  Kind,  so  wird  er  mit  demselben 
beerdigt;  erreicht  es  das  Alter  Erwachsener,  so  trägt  es  ihn  beständig  bei  sich 
und  wird  schliesslich  zugleich  mit  ihm  begraben.  (Engelmann,)  Wir  können  auf 
diese  doch  immerhin  mehr  das  Kind  als  das  Weib  betreffenden  Verhältnisse  an 
dieser  Stelle  nicht  weiter  eingehen. 

Einer  Absonderlichkeit  müssen  wir  aber  gedenken,  wie  sie  sich  bei  den 
Bugis  und  den  Makassaren  auf  dem  südlichen  Celebes  findet.  Hier  wird 
unter  gewissen  Umständen  ein  künstlicher  Nabelstrang  hergestellt.  Er  hal  die 
Länge  von  ^/4  Meter,  die  Dicke  eines  starken  Daumens  und  ist  aus  einer  blauen, 
einer  rothen  und  einer  weissen  Schnur  nach  Art  eines  Zopfes  zusammengeflochten. 
Er  hängt  aus  der  Mitte  eines  kleinen  rothen  Baldachins  herab,  der  mit  Gold- 
flittem  behängt  ist.  Ein  derartiges  Exemplar  besitzt  das  Museum  für  Völker- 
kunde in  Berlin. 

Unter  diesem  Baldachine  nehmen  in  Makassar  die  Leute  Platz,  welche 
unter  den  Einfluss  der  Geister  zu  gelangen  wünschen.  Das  ist  der  Weg,  wie  sie 
zu  Bis  SU  d.  h.  zu  Zauberpriestern  oder  Zauberpriesterinnen  werden  können. 
Dieser  Nabelstrang  spielt  dann  später  bei  den  Festen  der  Zauberpriester  eine 
grosse  Rolle;  er  ist  das  Sinnbild  des  Lebensanfangs,  der  Repräsentant  eines  be- 
ginnenden Lebens.  Bei  den  Bissu  der  Bugi  wird  er  an  dem  Bette  aufgehängt 
an  einem  besonderen  Platze,  welcher  als  „die  Schlafkammer  der  Geister" 
bezeichnet  wird.  

329.  Die  Nachgeburt  im  Volksglaaben. 

Wir  sind  durch  dasjenige,  was  wir  in  früheren  Abschnitten  gesehen  haben, 
bereits  weit  genug  in  die  Anschauungen  und  Empfindungen  niederer  Bevölkerungs- 
schichten eingedrungen,  um  mit  Bestinuntheit  erwarten  zu  können,  dass  sich  auch 
an  die  aus  der  Gebärmutter  zu  Tage  getretene  und  von  dem  kindlichen  Körper 
bereits  abgetrennte  Nachgeburt  eine  Reihe  von  verschiedenartigen  imd  uns  wunder- 
bar und  absonderlich  erscheinenden  Gebräuchen  knüpfen  werden.  Und  dass  auch 
die  Verzögerungen  in  dem  Austritte  der  Nachgeburt  bei  manchen  Völkern  den 
Einflüssen  böser  Geister  und  Dämonen  zugeschrieben  werden,  das  wird  uns  nicht 
gerade  Wunder  nehmen. 

So  berichtet  Detnic  von  den  Kirgisen,  dass,  wenn  die  Nachgeburt  zu  lange 
auf  sich  warten  lässt,  sie  sich  bemühen,  den  bösen  Geist,  der  sie  an  dem  Hervor- 
treten hindert,   zu  vertreiben.     Zu  diesem  Zwecke  bringen  sie  in  die  Kibitka  ein 


329.  Die  Nachgeburt  im  Volksglauben.  223 

Pferd  mit  lichten  Augen,  dessen  Maul  man  gegen  die  Brust  der  Mutter  neigt, 
oder  sie  bringen  einen  Uhu  herein  und  nöthigen  ihn,  zu  schreien,  in  der  Meinung, 
dass  das  Oeschrei  dieses  Vogels  die  bösen  Geister  verscheuche,  oder  sie  bedecken 
den  nackten  Leib  der  Kranken  mit  einem  stacheligen  Strauche  (Tschingil),  um 
die  bösen  Geister  mittelst  Stichen  auszutreiben.  Wenn  diese  Verfahren  nicht 
nützen,  holt  man  den  Baksa  (Zauberer);  dieser  wirft  sich  wüthend  auf  die  Kranke 
und  schlägt  sie  mit  einem  Stocke,  um  die  bösen  Geister  aus  ihr  zu  verjagen.  Nur 
in  den  äussersten  Fallen  entfernen  sie  die  Nachgeburt  mit  der  Hand. 

Von  den  Kreissenden  bei  den  Xosa-Kaffern  sagt  Kropf: 

.Wehe  aber  der  armen  Frau,  wenn  die  Nachgeburt  nicht  gleich  mit  dem  Kinde  zum 
Vorschein  k&me  — ,  sie  würde  sogleich  als  behext  angesehen,  ohne  Hülfe -gelassen  werden  und 
elendiglich  umkommen.' 

Auch  zu  besonderen  Zauber-  und  Heilzwecken  verwendet  man  die  Nach- 
geburt. Wir  werden  bei  den  Javanerinnen  ihre  Befähigung  kennen  lernen, 
innerlich  genossen  Fruchtbarkeit  zu  bewirken.  Im  russischen  Gouvernement 
Orenburg  wird  sie  ebenfalls  besonders  geehrt.  Sie  wird  vorsichtig  in  die  Erde 
vergraben.  Wenn  man  sie  ausgräbt  und  die  Nabelschnur  nach  unten  kehrt,  so 
wird  die  Wöchnerin  keine  Kinder  mehr  bekommen.  Wenn  man  später  die  Nach- 
geburt wieder  umwendet,  so  kann  man  die  Zauberei  wieder  unwirksam  machen. 
Die  Hebamme  dreht  wohl  auch  die  Nachgeburt  um,  wenn  die  Eltern  ein  Kind 
anderen  Geschlechts  sich  wünschen. 

Nach  Most  gilt  seit  uralten  Zeiten  in  Steyermark  das  Blut  des  frischen 
Mutterkuchens  und  Nabelstranges  als  Mittel  gegen  Mutter-  und  Feuermale,  und 
das  Pulver  einer  gedörrten  oder  zerstossenen  Nachgeburt  soll  als  Arznei  bei 
Epilepsie,  Fraisen  und  Veitstanz  wirksam  sein.  Vor  mehr  als  hundert  Jahren 
wurde  die  getrocknete  Nachgeburt  einer  Erstgeburt  in  den  Apotheken  dispensirt. 
Hennig  erzählt: 

.Hier  in  Sachsen  hat  noch  vor  wenigen  Jahren  im  Stillen  eine  Person  unter  dem 
Schaffotte  eines  Verbrechers  eine  Nachgeburt  frisch  verzehrt,  um  sich  von  der  Fallsucht  zu 
heilen.'    (Engehnann.) 

Im  Obolensker  Gouv.  glaubt  das  Volk,  dass  dem  Neugeborenen  gewisse 
Krankheiten  angeboren  seien,  welche  man  mit  dem  Sammelnamen  rodimec  (Fraisen) 
bezeichnet;  um  sie  von  den  Fraisen  zu  befreien,  legt  man  den  Neugeborenen  die 
Nachgeburt  auf  den  Kopf  und  wäscht  sie  mit   dem  Urin  der  Mutter.     (Demic.) 

Auch  eine  gewisse  Vorbedeutung  legt  man  der  Placenta  bei.  Z.  B.  glaubt 
man  in  manchen  Gegenden  Deutschlands,  dass  wenn  die  Nachgeburt  gross  ist, 
die  Wöchnerin  sehr  reichlich  MUch  haben  werde,  während  eine  kleine  Placenta 
einen  Mangel  an  Milch  vorhersage. 

Wie  wunderbar  und  geheimnissvoll  vielen  Volksstämmen  die  Nachgeburt 
erscheint,  das  vermögen  wir  auch  aus  der  Art  und  Weise  zu  ersehen,  wie  sie 
dieselbe  zu  beseitigen  pflegen. 

Allerdings  fehlt  es  auch  nicht  an  solchen  Nationen,  welche,  gewiss  nicht  in 
Folge  höherer  Aufklärung,  sondern  einfach  aus  Indolenz,  die  Nachgeburt  ohne 
Weiteres  fortwerfen.  Doch  wenn,  wie  Engdmann  berichtet,  einige  nordameri' 
kanische  Indianerstämme,  wie  die  Gomanchen,  die  Nachgeburt  im  Geheimen 
bei  Seite  bringen,  so  liegt  hierin  sicherlich  schon  der  Keim  zu  mystischen  Be- 
ziehungen verborgen. 

So  muss  bei  den  Bombe,  einem  Niam-Niam-Volke,  der  Priester  die 
Placenta  auffangen  und  sie  heimlich  fortschaffen.    {Biichta.) 

Wir  werden  in  den  folgenden  Abschnitten  kennen  lernen,  was  ftir  Gebräuche 
in  Bezug  auf  die  Beseitigung  der  Nachgeburtstheile  bei  den  verschiedenen  Volks- 
stänmien  herrschen. 


224  L^  ^^^  Etiinographie  der  Nachgeburtstheile. 

^  330.  Das  Begraben  der  Nachgeburt. 

Unier  den  Methoden,  die  Nachgeburt  aus  dem  Wege  zu  schaffen,  erfreut 
sich  entschieden  das  Begraben  derselben  der  weitesten  Verbreitung  auf  unserem 
Erdkreise,  und  aus  mancherlei  dabei  in  Anwendung  gezogenen  Maassnahmen  können 
wir  ersehen,  dass  es  sich  nicht  um  eine  einfiiche  Beseitigung  handelt,  sondern 
dass  sich  ganz  bestimmte  mystische  Begriffe  damit  verbinden.  Das  treffen  wir 
schon  bei  den  Annamiten  in  Gochinchina  an.  Hier  hüllt  nach  Beendigung 
der  Entbindung  die  Hebamme  die  Nachgeburt  und  die  Blutcoagula  in  die  ab- 
geschnittenen Fetzen  der  Bekleidung  der  Wöchnerin  und  die  bei  der  Entbindung 
beschmutzte  Watte  ein  und  legt  alles  zusanmien  auf  ein  wenig  Sand  in  die  Nahe 
eines  am  Fusse  des  Bettes  stehenden  Ofens.  Am  Abend  oder  in  der  Nacht  holt 
sie  dieses  Packet  und  vergräbt  dasselbe  an  einem  Orte,  der  bei  Gefahr  böser 
Zufalle  für  die  Wöchnerin   nur   der  Hebamme   bekannt  sein   darf.     (Mondiere.) 

Auch  bei  den  Negern  der  Loango -Küste  wird  die  Stelle,  wo  die  Mutter 
oder  eine  der  Angehörigen  die  Nachgeburt  begräbt,  geheim  gehalten.  Allerdings 
glaubt  PechueJrLoesche^  dass  diese  Geheimhaltung  nur  durch  das  Anstandsgefühl 
bedingt  wird. 

Auf  den  Tanembar-  imd  Timorlao-Inseln  wird  die  Placenta  in  ein 
Körbchen  gepackt  und  in  ein  Loch  unter  dem  Hause  gelegt,  das  mit  einem  Steine 
zugedeckt  wird.  Zuvor  aber  opfert  man  Sirih-pinang.  Hier  herrschen  aber  auch 
noch  andere  Gebräuche,  welche  wir  bald  kennen  lernen  werden. 

Die  Watubela-Insulanerinnen  legen  die  Placenta  in  einen  irdenen  Topf, 
wo  sie  mit  Küchenasche  und  mit  der  Schaale  derjenigen  Kalapanuss  vermengt 
wird,  deren  Inhalt  zum  Bestreichen  des  neugeborenen  Kindes  benutzt  wurde. 
Dieser  Topf  wird  mit  Baumrinde  oder  mit  Kattun  verschlossen  und  unter  einen 
grossen  Ficusbaum,  oder  unter  einen  Kaiapa-  oder  Manggabaum  gestellt. 

Auf  Ambon  und  den  TT liase- Inseln  reinigt  man  die  Placenta  sorgfaltig, 
wickelt  sie  in  weisse  Leinwand  oder  Baumrinde  und  thut  sie  in  einen  irdenen 
Topf  oder  in  eine  Kaiapahülse  mit  drei  Löchern.  Dann  wird  sie  begraben  und 
auf  diesen  Fleck  stellt  man  sieben  Damar-Fackeln,  welche  sieben  Nächte  hinter 
einander  angezündet  werden,  während  Derjenige,  welcher  das  Anzünden  besorgt, 
Blumen  über  diese  Stelle  streut. 

Die  Eingeborenen  der  Sula- Inseln  legen  die  Nachgeburt,  nachdem  sie.  mit 
Asche  und  Pisangblüthen  in  ein  Pisangblatt  gewickelt  worden  ist,  in  eine  Kalapa- 
nuss, welche  dann  mit  einem  Gomutu-Tau  festgebunden  wird.  Eine  der  Geburts- 
helferinnen trägt  sie  dann  mit  bedecktem  Kopfe  hinaus  und  begräbt  sie  dicht  bei 
der  Wohnung.  Unterwegs  darf  sie  kein  Wort  sprechen  und  Niemandem  Rede 
stehen,  sonst  wird  das  Kmd  heulerich.  Auf  der  Stelle,  wo  die  Placenta  begraben 
ist,  pflanzt  man  eiaen  Gaga-Baum  und  zündet  dort  vier  Nächte  hinter  einander 
Damar-Fackeln  an. 

Auch  die  Tanembar-  und  Timorlao-Insulaner  begraben  die  Placenta  und 
zwar  in  einem  Körbchen  unter  einem  Sagu-  oder  Kalapabaam,  welcher  dadurch 
das  Eigenthum  des  Kindes  wird.  Ebenso  begräbt  man  auf  Serang  die  Nach- 
geburt unter  einem  Baume.     (Riedel^,) 

Auf  Djailolo  und  Halamahera  begräbt  die  Frau,  welche  der  Gebärenden 
geholfen  hat,  die  Nachgeburt,  welche  mit  dem  Kinde  gebadet  wurde,  irgendwo; 
die  Mohamedaner  pflanzen  einen  Kaiapabaum  darauf.  (Riedel,)  In  anderen  Theilen 
von  Niederländisch- Indien  wird  die  Nachgeburt  mit  allerlei  Zuthaten,  wie 
Tamarinden,  Essig  u.  s.  w.  begraben. 

Auf  Bali  wird  nach  Jacobs  die  Nachgeburt  unmittelbar  vor  dem  Hause 
begraben.  Man  packt  sie  dazu  in  eine  Klappernuss,  deren  Mark  herausgenommen 
ist.  Auf  der  Stelle,  wo  sie  begraben  ist,  wird  vierzig  Tage  lang  eine  Palita  ge* 
brannt  und  Speisen,  Sirih  und  Wasser  werden  daselbst  niedergesetzt. 


880.  Das  Begraben  der  Nachgeburt.  225 

Bei  den  Laoten  in  Siam  besteht  die  Sitte,  die  Nachgeburt  stets  am  Fusse 
der  zur  Hausthür  führenden  Treppe  zu  vergraben. 

Bei  den  Marolong  in  Süd- Afrika  wählt  man  hierzu  den  Boden  der  Hütte 
und  bestreicht  ihn  dann  dick  mit  Schafdünger.    (Joest) 

Die  Masai  begraben  die  Nachgeburt  unter  der  Lagerstätte  der  Mutter. 
(HOdehrandfi.) 

Bei  den  Kalmücken  wird  nach  Klemm  die  Nachgeburt  in  der  Kibitke 
tief  in  der  Erde  yergraben.  Auch  in  Klein-Russland  vergräbt  man  die  Nach- 
geburt imter  dem  Fussboden  in  der  Hütte,  wo  man  schläft,  und  bestreut  sie  mit 
Gerste.  (Sumzow.)  Ebenso  wird  sie  in  Orenburg  begraben.  Wir  kommen 
darauf  später  noch  zurück. 

Aus  anderen  Theilen  Busslands  berichtet  Demic: 

Die  Nachgebart  wird  sorgf&ltig  verborgen,  in  ein  eigenes  Gef&ss  gelegt,  mit  Erde  be- 
streut und  vergraben,  sonst  würde  das  Kind  eine  schwere  Krankheit,  zumeist  einen  Eiterungs- 
prooess  erleiden.  .Idi  selbst  beobachtete  im  Eijewer  Gouv.  im  Kreise  Radomysel,  wie 
einmal  eine  Hebamme  nach  der  Entbindung  die  Nachgeburt  in  den  Hofraum  trug,  beim  Zaune 
eine  Grube  grub  und  etwas  murmelnd  selbe  verscharrte.  Ich  vernahm  niu:  die  Worte:  Geh* 
zu  Grande,  geh'  zu  Grunde!  Auf  meine  Frage  erkl&rte  mir  die  Hebamme,  dass  sie  ,ihn' 
vertreibe;  offenbar  den  bösen  Greist." 

Von  den  Letten  sagt  Alksnis: 

«Nicht  selten  wird  die  Placenta  im  Stall  im  Dünger  begraben,  manchmal  aber  auch 
in  der  Gartenerde,  damit  sie  weder  vom  Vieh,  z.  B.  von  den  Schweinen,  noch  von  Menschen 
berflhrt  und  entehrt  werde.* 

Aehulich  berichtet  Kreutewald  von  den  Ehsten: 

.Die  Nachgeburt  wird  fast  überall  im  Sohafstall  unter  dem  Dünger  vergraben,  wodurch 
die  Schafe  besser  gedeihen  und  bei  der  Schur  woUreicher  werden  sollen.  Aus  demselben 
Grunde  wird  das  bei  der  Geburt  aufgefangene  Fruchtwasser  und  etwaige  Blut  in  den  Vieh- 
stall  getragen  und  dort  ausgegossen,  wodurch  namentlich  der  Milchertrag  bei  den  Kühen  ver- 
mehrt werden  soU.* 

Auch  in  Bosnien  und  der  Hercegovina  wird  die  Nachgeburt  in  vielen 
Fallen  bqpraben.  Das  muss  nach  Glück  aber  so  geschehen,  dass  kein  Thier  und 
namentlich  kein  Hund  oder  keine  Katze  sie  berühren  kann,  weil  dies  der  Mutter 
oder  dem  Kinde  Unglück  bringen  würde. 

In  Steyermark  wird  nach  Most  die  Nachgeburt  im  Keller  des  Hauses 
bqpraben. 

Auch  in  Zwiefalten  in  Schwaben  sagt  man:  Die  Nachgeburt  solle  man 
nicht  im  Freien,  sondern  unter  Dach  im  Hause  oder  Stall  begraben.    (Birlinger.) 

In  Oldenburg  wird  das  Begraben  der  Nachgeburt  heimlich  vorgenommen 
und  besondere  Sprüche  werden  dabei  gesagt. 

Einige  Volker  machen  bei  diesem  Begräbniss  der  Nachgeburt  sogar  einen 
geschlechtlichen  Unterschied;  sie  verfahren  anders  je  nachdem  das  Neugeborene 
ein  Knabe  oder  ein  Mädchen  war. 

Die  Nachgeburt  wird  in  Japan  in  einem  Oefasse  von  vorgeschriebener  Ge- 
stalt aus  der  Stube  gebracht;  gehörte  sie  einem  Knaben  an,  so  legte  man  eine 
Stange  indischer  Tusche  und  einen  Schreibpinsel  hinzu,  was  bei  einem  Mädchen 
wegfallt.  In  jedem  Falle  bringt  man  den  Mutterkuchen  tief  in  die  Erde,  so  dass 
die  Hunde  ihn  nicht  ausscharren  können.    (Engdmann,) 

In  Unyoro  (Central-Afrika)  wird  die  Placenta  eines  männlichen  Kindes 
an  der  inneren  linken  Seite  der  Thür  im  Inneren  der  Hütte  vergraben.  Die  Pla- 
centa lebender  Zwillinge  wird  in  dem  Hofe  vier  Tage  lang  aufbewahrt  und  dann 
in  Procession  beseitigt.  (Emin  Bey.)  In  Uganda  bei  den  Madi-  und  Kidj- 
Negern  begrabt  man  die  Placenta  aussen  vor  der  Hütte,  auf  der  einen  Seite  die 
der  Knaben,  auf  der  anderen  die  der  Mädchen.     (Fdkin.) 


Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    II.  15 


226  Ln*  ^®  Ethnographie  der  Nachgeburtstheile. 

881.  Anderweitige  Beseitigung  und  Beisetzung  der  Nachgeburt. 

Bei  manchen  Volkerschaften  treffen  wir  auf  die  merkwürdige  Sitte,  dass  die 
Nachgeburt  unschädlich  gemacht  und  vernichtet  werden  muss.  So  wird  sie  bei 
den  Indianern  am  Copperflnss  im  nordwestlichen  Amerika  sofort  nach  der 
Entbindung  öffentlich  verbrannt.     (Jacöbsen,) 

In  Norwegen  wird  die  Nachgeburt  von  der  Neuentbundenen  selbst  mit 
einem  Messer  durchstochen  und  dann  von  der  Hebamme  verbrannt.  Geschieht 
dies  nicht,  so  entsteht  daraus  der  Unhold  Uthor^  der  sich  klein  und  gross,  auch 
sichtbar  und  unsichtbar  machen  kann,  der  greulich  schreit  und  besonders  seiner 
Mutter  nachstellt,  um  ihr  das  Leben  zu  nehmen.    (Liehrecht) 

Auch  beiden  Zelt-Zigeunern  Siebenbürgens  muss  die  Nachgeburt  und 
auch  das  Eindspech  verbrannt  werden,  damit  dieselben  nicht  von  bösen  ürmen 
(Feen)  weggenommen  werden  können,  die  dann  daraus  Vampjre  erzeugen,  welche 
das  Kind  quälen  und  foltern,     {v.  Wlislocki) 

Dass  die  brasilianischen  Indianerinnen  die  Nachgeburt  aufessen,  be- 
richtete bereits  der  alte  Piso^  wie  wir  oben  sahen.    Auch  Engdmann  erzählt: 

„Die  Eingeborenen  Brasiliens  verzehren  womöglich  im  Geheimen  das  Organ,  welches 
eben  in  einsamer  Geburt  zur  Welt  kam.  Werden  sie  beobachtet,  so  verbrennen  oder  be- 
statten sie  es.*' 

Auch  in  Thüringen  verbrennt  man  die  Nachgeburt  im  Ofen,  und  im 
Frankenwalde,  besonders  im  oberen  Walde,  wird  die  Nachgeburt  sehr  häufig 
verkohlt,  indem  man  sie  in  einem  alten  Topfe  wochenlang  am  Feuer  stehen  lässt, 
bis  die  im  Bauche  glänzend  schwarze  Kohle  alhnählich  verschwindet.  {Flügd.) 
Auf  Java  verbinden  die  eingeborenen  Frauen  mit  der  Nachgeburt  einen 
sonderbaren  Aberglauben;  sobald  eine  Frau  niedergekommen  und  die  Nachgeburt 
von  ihr  gegangen  ist,  setzen  sich  die  herbeigekommenen  Weiber  in  der  Hütte  in 
einen  Kreis  zusammen  und  loosen,  welche  von  ihnen  das  Glück  hat,  die  Nach- 
geburt zu  erhalten;  diejenige,  welche  das  Loos  trifft,  kocht  und  isst  dieselbe,  denn 
hierdurch  erhält  sie  die  nächste  Anwartschaft,  ein  Kind  zu  bekommen,  v.  Eck- 
stedty  der  dieses  dem  verstorbenen  Phss  mittheilte,  behauptet,  dieses  selber  mit 
angesehen  zu  haben. 

MofUano  berichtet  von  den  Eingeborenen  der  Philippinen: 

,D^  qne  Taccouchement  est  terminö,  la  m^re  coort  se  plonger  dans  un  ruisseau  voisin 
avec  Tenfant,  pratiqoe  constante  qui  contribue  poor  one  large  part  ä  la  disparition  de  la 
race.  En  sortant  de  ce  bain,  la  märe  brüle  le  placenta,  en  recueille  les  cendres  et  les  avale 
en  les  d^layant  dans  un  peu  d'eau,  afin  d'assurer  une  bonne  sante  k  son  enfant." 

Seht  weit  verbreitet  finden  wir  den  Gebrauch,  die  Nachgeburt  vor  ihrer 
Beseitigung  in  besonders  sorgfaltiger  Weise  zu  umhüllen  und  zu  verpacken,  und 
gar  nicht  selten  ist  ihre  Fortschaffung  mit  grossen  Feierlichkeiten  verbunden. 
Sie  wird  dann  entweder  im  Hause  an  einem  hervorragenden  Platze  verwahrt,  oder 
an  einer  besonders  wichtigen  Stelle  innerhalb  des  Hauses  vergraben,  wie  ich 
Letzteres  schon  besprochen  habe. 

Die  Aar u- Insulanerinnen  verpacken  die  Nachgeburt  in  der  BlüthenhüUe 
des  Pinang  und  verwahren  sie  dann  irgendwo  oben  im  Hause. 

Nachdem  auf  den  Seranglao-  und  Gorong-Inseln  die  Placenta  gewaschen 
worden  ist,  werden  einige  Nachbarskinder  in  das  Haus  gerufen  und  mit  einer 
Kalapanuss  mit  trockenem  Sagu  bewirthet.  Dieser  festliche  Act  heisst  tarlotu. 
Nach  der  Mahlzeit  holt  der  Vater  des  Neugeborenen  etwas  Erde  von  einer  be- 
sonderen Stelle,  und  diese  thut  die  Frau,  welche  bei  der  Niederkunft  half,  zu- 
sammen mit  der  Nachgeburt  in  einen  irdenen  Topf  und  legt  auch  die  Schale  der 
soeben  leer  gegessenen  Kalapanuss  dazu.  Diesen  Topf  stellt  sie  neben  den  Koch- 
platz; dort  bleibt  er  40  Tage  stehen  und  wird  dann  irgendwo  aufgehoben.  {Biedd\) 

In  Steyermark  wird,  wie  gesagt,  die  Placenta  begraben,  oder  auch  unter 
dem  Dachboden  in  einem  Oefasse  der  Trocknung  ausgesetzt. 


381.  Anderweitige  Beseitigung  und  Beisetzung  der  Nachgeburt.  227 

Alksnis  sagt  von  den  Letten: 

«Auch  die  Placenta  muss  an  bestimmten  Orten  aufbewahrt  werden,  soll  das  Kind  ge- 
deihen. Sie  wird  in  einem  Körbchen  irgendwo  aufgehängt,  z.  B.  im  Stall.  Es  kommt  vor, 
dass  die  Wöchnerinnen,  sobald  sie  aufstehen  können,  die  Placenta  sehen  wollen;  dann  wimmelt 
sie  aber  meistens  schon  von  Würmern.' 

Die  Nachgeburt  wird  auch  begraben,  wie  wir  oben  schon  berichteten. 

Von  den  Wakamba-Geburtshelferinnen  in  Ost-Afrika  wird  die  Nachgeburt 
in  ein  Bündel  Gras  gepackt  und  in  den  Wald  getragen. 

In  Mecklenburg  schüttet  man  sie  an  die  Wurzel  eines  jungen  Baumes, 
und  in  Pommern  muss  man  sie  nach  Jahn  an  die  Wurzel  eines  Obstbaumes 
graben,  dann  wächst  das  Neugeborene  so  rasch  und  kräftig,  wie  der  Baum. 

Diese  eigenthümliche  Beziehung  zwischen  der  Nachgeburt  und  den  Bäumen 
finden  wir  bei  manchen  anderen  Völkern  in  der  Weise  ausgesprochen,  dass  sie 
die  Placenta  nicht  unter,  sondern  auf  bestimmten  Bäumen  beisetzen.  Auf  Buru 
wird  sie  vorher  in  Leinewand  gewickelt  und  auf  Serang  mit  Eüchenasche  ver- 
mischt, auf  Eetar  aber  ungereinigt  in  ein  Körbchen  geUian  und  auf  allen  drei 
Inseln  von  einer  der  helfenden  Frauen  auf  die  Zacken  eines  der  höchsten  benach- 
barten Bäume  gelegt.  Bei  den  Keei-Insulanerinnen  wird  die  Nachgeburt  eben- 
falls mit  Asche  vermischt  und  dann  in  einen  Topf  gepackt,  den  man  auf  dem 
Baume  deponirt,  und  zwar  muss  dieses  ein  Wawu-Baum  sein  (Ficus  altimeraloo 
Bxb.).  Auf  Leti,  Moa  und  Lakor  muss  sich  der  für  diesen  Zweck  ausgewählte 
Baum  ausserhalb  der  Dorfinauem  befinden;  die  Nachgeburt  wird  dazu  in  einen 
Korb  gelegt.  Bei  den  Serua-Insulanem  besorgt  dieses  Aufhängen  ein  Mann. 
Nach  der  Geburt  wird  auf  dem  Sawu-  oder  Haawu-Archipel  (Niederl.  Indien) 
die  Placenta  in  einem  Körbchen  oder  in  einem  irdenen  Topfe  verwahrt  und  vom 
Ehemanne  oder  Vater  an  einem  Baume  aufgehängt.  {Biedel,)  Auf  Keisar  darf 
dieser  nur  ein  hoher  Baum  auf  der  Westseite  des  Hauses  sein.  Die  Nachgeburt 
wäscht  man  vorher  und  packt  sie  mit  AsQhe  vermischt  in  ein  Körbchen.  Die 
Tanembar-  und  Timoriao- Insulaner,  von  denen  wir  bereits  einige  andere  Ge- 
bräuche kennen  gelernt  haben,  stecken  die  Placenta  bisweilen  auch  einfach  in  ein 
Gebüsch.  Besondere  Vorschriften  gelten  dagegen  auf  den  Luang-  und  Sermata- 
Inseln.  Hier  darf  die  Placenta,  welche  in  heisse  Leinewand  gepackt  wird,  nicht 
eher  in  den  Zweigen  des  höchsten  Baumes  befestigt  werden,  als  bis  der  Nabel- 
schnurrest abgefallen  ist.  Bis  zu  diesem  Zeitpunkte  muss  sie  im  Hause  aufge- 
hoben werden. 

Beachtenswerth  ist  der  Gebrauch  im  Ba bar- Archipel.  Die  Nachgeburt 
wird,  wie  wir  das  ja  auch  bereits  anderwärts  trafen,  mit  Küchenasche  vermischt 
in  ein  Körbchen  gethan.  Dann  müssen  dieses  aber  sieben  Frauen,  jede  mit  einem 
Parang  bewaffnet,  in  einem  Citrus  hystrix-Baum  aufhängen.  Diese  Frauen  sind 
bewaffnet,  um  die  bösen  Geister  einzuschüchtern,  damit  sie  nicht  an  die  Placenta 
kommen  und  dadurch  das  Kind  krank  machen.  Hierbei  müssen  auf  Dawaloor 
die  Frauen,  wenn  das  Neugeborene  ein  Knabe  ist,  einen  Sehamgürtel  auf  der 
Schulter  tragen. 

Wir  haben  noch  solche  Falle  zu  erwähnen,  in  denen  die  Placenta  den 
Wellen  übergeben  wird. 

Sobald  bei  den  Bongo-Negern  die  Geburt  beendet  ist,  baden  Mutter  und 
Kind;  ein  Freundestrupp  begleitet  sie  singend  und  schreiend  in  das  Wasser;  die 
Placenta  wird  dabei  von  einer  an  der  Spitze  des  Zuges  tanzenden  Frau  getragen 
und  so  weit  als  möglich  in  den  Fluss  geworfen.     {Felkin.) 

In  Ghartum  (Sudan)  wird  die  Nachgeburt  mit  dem  Gefass,  in  das  sie 
vorher  gelegt  wird,  in  den  Nil  geworfen  und  jeder  Vorübergehende  muss  ihr 
einen  Stein  nachwerfen. 

Auch  in  verschiedenen  Theilen  von  Niederländisch-Indien  ist  es  ge- 
bräuchlich, die  Nachgeburt  in  die  See  zu  werfen.    Auf  Ambon  und  den  üliase- 

15* 


228  ^^  ^^®  Ethnographie  der  Nachgeburtstheile. 

Inseln  darf  die  Frau,  welche  hiermit  beauftragt  ist,  weder  rechts  noch  links  sehe 
und  um  ihren  Zweck  richtig  zu  erreichen,  muss  sie  rechts  hin  (^ehen  und  da 
mit  Niemandem  reden.  Dass  es  als  ein  Beweis  der  ehelichen  untreue  von  Seite 
der  Frau  angesehen  wird,  wenn  die  Nachgeburt  auf  dem  Wasser  treibt,  das  wun 
bereits  früher  angegeben.  Wenn  auf  den  Aaru-Inseln  die  Geremonie  der  Namez 
gebung  vorüber  ist,  nimmt  diejenige  Frau,  welche  vier  Tage  lang  das  Kind  rei 
pflegt  hat,  die  Placenta,  setzt  sich  in  ein  Boot  und  senkt  dieselbe,  nachdem  b 
weit  vom  Lande  gerudert  ist,  in  das  Meer,  g^^n  Belohnung  eines  Masikbecken^ 
einiger  Teller  und  kupferner  Armbänder.    {Riedd\) 

Nach  van  der  Burg  legt  man  in  Niederländisch-Indien  die  Nachgeburt 
auf  ein  kleines  Bambusfloss,  welches  mit  Blumen  und  Früchten  gescliniückb  ud 
mit  Kerzen  erleuchtet,  den  Fluss  hinabtreibt,  ein  Opfer  für  die  Kaimans,  welche 
die  Seelen  der  Vorfahren  in  sich  beherbergen. 

Helfrich  erzahlt,  dass  in  der  Landschaft  Kroe  auf  Sumatra  die  Nachgei^nzt 
gemeinsam  mit  dem  Messerchen,  womit  die  Nabelschnur  durchschnitten  wurde, 
in  eine  kleine  Binsenmatte  gewickelt  und  dann  in  den  Fluss  geworfen  wird.  Diese 
Matte  muss  die  Frau  bereits  während  ihrer  Schwangerschaft  flechten. 

Die  Bosniaken  haben  ebenfalls  den  Gebrauch,  die  Nachgeburt  in  em 
fliessendes  Wasser  zu  werfen;  aber  sie  begraben  sie  wohl  auch,  wie  ich  oben 
berichtete. 

In  fliessendes  Wasser  wird  nach  Schleicher  auch  in  Thüringen,  in  der 
Gegend  von  Jena,  die  Nachgeburt  geworfen. 


.  Die  Eihäute  im  Yolksglanben. 

Wenn  wir  die  Eihäute  auch  als  einen  eigentlich  dem  Kinde  und  weniger 
dem  Weibe  zugehörigen  Theil  betrachten  und  auf  die  ausführliche  Besprechung 
verweisen  müssen,  welche  dieser  Gegenstand  in  der  dem  Kinde  gewidmeten  Ah- 
handlung  des  verstorbenen  Ploss  gefunden  hat,  so  wollen  wir  andererseits  doch 
auch  nicht  hier  mit  absolutem  Stillschweigen  über  diese  Angelegenheit  luo- 
weggehen. 

Das  Kind  befindet  sich  während  seiner  Entwickelang  im  Mutterleibe  nicht  frei  in  am 
Hohbraum  der  Gebärmutter,  sondern  es  wird  von  feinen,  durchsichtigen  Häuten,  den  Ei- 
häuten, umschlossen,  innerhalb  derer  es  in  einer  wässrigen  Flüssigkeit,  dem  Fruchtwasser, 
schwimmend  wie  in  einer  Blase  liegt.  (Fig.  242.)  Bei  der  Gebart  wird  für  gewöhnlich  dieeß 
blasige  Umhüllung  mit  ihrem  untersten  £nde  in  erster  Linie  aus  der  Gebärmutter  heraus- 
gedrängt, wobei  sie  zu  platzen  pflegt.  Dabei  fliesst  dann  das  Fruchtwasser  ab  und  das  Kiod 
gleitet  allmählich  aus  den  Eihäuten  heraus,  die  dann  erst  später  gemeinsam  mit  der  Placenta 
geboren  werden. 

Bisweilen  aber  ereignet  es  sich,  dass  die  Eihäute  nicht  platzen  oder  doch  an  dem 
Kinde  hängen  bleiben  und  dass  das  letztere  noch  von  den  Eihäuten  verhüllt  geboren  wird' 
Man  sagt  dann,  es  sei  mit  der  Glückshaube,  mit  der  Westerhaube  oder  dem  Wester- 
hemdlein  geboren.  Im  Modenesischen  nennt  man  das  la  camisa  ä  la  Madäma,  d.b. 
camicia  della  Madonna,  das  Muttergotteshemdlein.  Dieser  Zustand  galt  und  gilt  im  Volke 
auch  noch,  fast  in  ganz  Europa,  als  ein  glückverheissendes  Zeichen  für  das  Neugeborene. 
Die  Glückshaube  wird  sorgfältig  aufbewahrt,  in  vielen  Gegenden  sogar  als  Amulet  dauernd 
am  Halse  getragen,  und  sie  muss  jedenfalls  dem  Täufling  beigelegt  werden ,  damit  sie  heuzi- 
lieh  mitgetauft  wird.  Sie  bringt  allerhand  Glück  und  schützt  vor  allerlei  Unglück,  und  zwar 
naturgemäss  in  erster  Linie  Denjenigen,  der  in  ihr  geboren  wurde.  Aber  ihre  wirksame  Kraft 
überträgt  sich  auch  auf  Andere,  weshalb  sie  nicht  selten  von  den  Hebammen  gestohlen  und 
ihren  eigenen  Kindern  gegeben  wurde.  Auch  ein  grosser  Handel  wurde  damit  getriebeni 
namentlich  in  England,  wo  sie  sog^r  durch  öffentliche  Anfragen  in  der  Times  zu  Y&af^^ 
gesucht  wird.  Im  Jahre  1779  zahlte  man  in  England  für  solchen  ,Caul*  20  Guineer, 
während  im  Jahre  1848  der  Preis  bis  auf  6  Guineen  gesunken  war.  Sehr  eigenthümlich  i>; 
die  Beziehung,  welche  diese  Glückshaube  zu  den  Juristen  hat.    Man    schrieb  ihr  schon  ^'^ 


382.  Die  Eih&ate  im  Volksglauben.  229 

den  alten  Römern  die  Kraft  zu,  den  Advocaten  glückliche  Beredtsamkeit  zu  verschaffen, 
und  in  gleichem  Ansehen  stand  sie  im  17.  Jahrhundert  in  Dänemark  und  steht  sie  heute 
noch  in  England. 

Auch  in  der  Provinz  Bari  muss  man  die  Glückshaube  sorgfältig  trocknen  und  in  einem 
Beutel  verwahren.  Dann  kann  sie  das  Kind,  dessen  Vater  oder  dessen  Mutter  oder  auch 
andere  Verwandte  tragen;  stets  wird  ihnen  dieses  Glück  bringen.    (Karuaio.) 

In  der  alfurischen  See,  auf  den  Luang- und  Sermata-Inseln,  legt  man  der  Glücks- 
haube keinerlei  Bedeutung  bei.  Die  in  ihr  geborenen  Kinder  gemessen  keinerlei  Vorzug  vor 
den  gewöhnlichen  Kindern,  und  die  Glückshaube  wird  mit  der  Nachgeburt  zusammen  in  weisse 
Leinewand  verpackt  and,  wenn  der  Nabelschnunest  abgefollen  ist,  mit  diesem  in  den  Zacken 
des  höchsten  Baumes  beigesetzt. 

Dagegen  werden  bei  den  Sulanesen  Bänder,  die  mit  dem  «Helm*  geboren  wurden, 
als  glücklich  angesehen;  die  Eihäute  werden  getrocknet  und  aufbewahrt  und  gelten  als  ein 
wichtiges  Schutzmittel  im  Kriege.    (Eiedel^^.) 

Bei  den  Topantunuasu  in  Gelebes  nennt  man  die  Glückshaube  ebenfalls  den  Helm. 
Auch  hier  wird  sie  vom  Vater  sorgfältig  getrocknet;  auch  hier  dient  sie  als  ein  schützendes 
Amulet  im  Kriege;  und  solche  Bänder  sind  den  Eltern  sehr  erwünscht.    (B%edel^\) 

Fisehart  nennt  die  Haube  das  „Kinderpelglin*;  bei  den  Isländern  aberführt  sieden 
Namen  Fylgia,  und  sie  glauben,  in  ihr  habe  der  Schutzgeist  oder  ein  Theil  der  Seele  des 
Kindes  seinen  Sitz;  die  Hebammen  hüten  sich,  sie  zu  schädigen,  und  graben  sie  unter  die 
Schwelle  ein,  über  welche  die  Mutter  gehen  muss.  Wer  diese  Haut  sorglos  wegwirft  oder 
verbrennt,  entzieht  dem  Kinde  seinen  Schutzgeist.  Ein  solcher  Schutzgeist  heisst  Fylgia  (weil 
er  dem  Menschen  folgt),  zuweilen  auch  Forynja  (der  ihm  vorausgeht),    f/.  Grimm.) 

Bei  den  Serben  heisst  die  Glückshaube  .Koschillitza",  Hemdlein,  und  ein  mit  ihr  ge- 
borenes Kind  nennen  sie  .Vidovit*.  Nach  Kraust  nennen  die  S  erben  das  , Glückshemdehen" 
sretna  kosuljica.  Ein  Mädchen  bei  den  Süd-Slaven,  das  mit  solchem  Hemdchen  zur 
Welt  gekommen  und  es  getrocknet  als  Amulet  mit  sich  trägt,  braucht  damit  einen  Burschen, 
der  ihr  gefäUt,  auch  nur  zu  berühren  und  zwar  auf  einer  blossen  Stelle  des  Körpers,  so  wird 
der  Bursche  wie  wahnsinnig  sich  in  das  Mädchen  verlieben.    (Krausi^.) 

Von  den  Bosniaken  berichtet  Qlück  folgende  absonderliche  Gewohnheit:  .Wird  ein 
Knabe  in  der  Haube  geboren,  so  schneidet  man  die  Haut  desselben  unter  der  Achsel  auf  und 
legt  die  Haube  darauf,  damit  sie  anwächst."  Das  Kind  ist  dann  sicher  vor  Verzauberung  und 
ist  kugelfest. 

In  Polen  sagt  man,  nach  demselben  Gewährsmann,  von  einem  Menschen,  dem  Alles 
gelingt:  ,er  ist  in  der  Haube  geboren.* 

Höchst  eigenthümlich  und,  wie  es  den  Anschein  hat,  ziemlich  vereinzelt 
dastehend  ist  ein  Aberglaube,  welchen  Ulrich  Jahn  ans  Pommern  berichtet* 
Wenn  hier  ein  Kind  mit  der  Glückskappe  geboren  wird,  so  muss  dieselbe  zu 
Pulver  verbrannt  imd  dem  Säugling  mit  der  Milch  eingegeben  werden;  sonst 
wird  er  ein  Nachzehrer  oder  Neuntödter. 


Lm.  Die  fehlerhafte  Geburt. 

.  Die  Anffassuiig  der  Gebnrtsstorungen  bei  den  Nataryolkern. 

Alle  Störungen  des  normalen  Geburtsyerlaufs  pflegt  man  als  fehlerhafte 
Geburten,  als  Schwergeburten,  oder  als  Dystokien  zu  bezeichnen.  Wenn 
nun  auch,  wie  es  den  Anschein  hat,  bei  den  Naturvölkern  die  Entbindungen  im 
Allgemeinen  leicht  verlaufen,  so  kommen  doch  immerhin  auch  bei  ihnen  bisweilen 
Gebnrtsstorungen  vor,  und  schon  aus  der  eigenthümlichen  Diätetik,  welche  bei 
verschiedenen  Yolkem  den  Schwangeren  und  Gebärenden  vorgeschrieben  wird,  lässt 
sich  schliessen,  welche  Ansichten  bei  ihnen  über  die  Ursachen  einer  schwierigen 
und  gestörten  Entbindung  herrschen.  Denn  die  von  ihnen  angeordneten  Vorsichts- 
maassregeln  deuten  darauf  hin,  dass  sie  ganz  bestinmite  Störungen  f&rchten  und 
zu  vermeiden  suchen.  Ein  genaues  Bild  ihrer  Vorstellungen  über  das  Zustande- 
konunen  der  Geburtshindemisse  lässt  sich  freilich  noch  nicht  entwerfen.  Auch 
muss  man  annehmen,  dass  den  rohen  Völkern  bei  ihrer  unvollkommenen  Natur- 
beobachtung meistens  nur  ein  ganz  dunkler  Begriff  von  den  Bedingungen  eines 
regelmässigen  oder  unregelmässigen  Vorganges  vorschwebt. 

Jedoch  müssen  in  erster  Linie  die  falschen  Eindeslagen  auch  schon  den 
niederen  Rassen  bei  einigem  Nachdenken  als  vorzügliche  Ursachen  erschwerter 
Niederkunft  erscheinen.  Hierauf  deuten  mit  Sicherheit  die  so  weit  verbreiteten 
Manipulationen  hin,  welche  bei  vielen  von  ihnen  bereits  während  der  Schwangerschaft 
zur  Verbesserung  der  Kindeslage  angewendet  werden.  Dass  ihnen  aber  auch  der 
so  wichtige  störende  Factor  der  Wehenschwäche  nicht  unbekannt  ist,  das  ersehen 
wir  daraus,  dass  sie  dem  natürlichen  Geburtsmechanismus  durch  allerlei  Modifica- 
tionen  eines  künstlich  angebrachten  Druckes  auf  den  Unterleib  zu  HQlfe  zu  kommen 
suchen.  Bei  manchen  Völkern  begegnen  wir  auch  der  Anschauung,  dass  das  Kind 
selber  nicht  in  hinreichender  Weise  seine  Schuldigkeit  thue  und  dass  es  sich 
nicht  genügend  anstrenge,  um  den  Mutterleib  zu  verlassen.  Und  gar  nicht  selten 
wird  irgend  ein  hindernder  Zauber  für  die  unerklärliche  Geburtsverzögerung  ver- 
antwortlich gemacht. 

Die  Aerzte  in  den  Indianer-Agenturen  Nord-Amerikas  berichten,  dass 
die  Indianer  sehr  wohl  eine  gewisse  Vorstellung  von  dem  Hergange  bei  Ge- 
burtsstörungen haben  und  dass  sie  demgemäss  auch  die  Hülfe  einrichten.  Die 
Papagos-lndianer  stellen  sich  vor,  dass  der  Charakter  des  Fötus  einen  guten 
Theil  Schuld  an  einer  etwa  vorkommenden  Verzögerung  bei  der  Entbindung  trage; 
je  bedeutender  die  letztere  sei,  um  so  schlimmer  sei  das  Gemüth  des  Kindes;  daher 
sei  es  f&r  den  ganzen  Stamm  besser,  wenn  Mutter  und  Kind  sterben,  tds  dass 
zum  Schaden  des  Volkes  eine  solche  Nachkommenschaft  das  Licht  der  Welt  er- 
blicke.   {Engelmann.) 


Sd4.  Historisches  über  die  Schwergeburten.  231 

Es  ist  den  Natunrölkem  auch  nicht  unbekannt,  dass  ein  gewisses  Missver- 
haltniss  in  den  Grössendimensionen  des  Kindes  gegenüber  denjenigen  der  Oeburts- 
theile  der  Mutter  ein  recht  erhebliches  Hindemiss  f&r  die  Entbindung  abzugeben 
vermag.  Wir  haben  bei  der  Besprechung  der  Mischlingsgeburten  dafür  einige 
Belege  zusammengestellt. 

Dort,  wo  die  Aerzte  nur  wenig  bei  der  GeburtshQlfe  praktisch  betheiligt 
sind,  wird  es  auch  sehr  an  einer  klaren  Erkenntniss  der  einzelnen  Ursachen  der 
Geburtsstörung  mangeln.  Schon  die  griechischen  Aerzte  (Hippokrates  u.  A.) 
hatten,  da  die  Behandlung  der  naturgemassen  Geburt  lediglich  den  Hebammen  zu- 
fiel, keine  Gelegenheit,  den  regelmässigen  Verlauf  der  Niederkunft  recht  kennen  zu 
lernen;  sie  wurden  nur  dazugerufen,  wenn  die  Geburtsstörung  schon  eingetreten 
war:  ihre  Vorstellung  vom  unregelmassigen  Geburtsprocess  musste  demnach  in 
vielen  Dingen  eine  unrichtige  sein.  Und  wenn  wir  in  den  geburtshülflichen 
Schriften  des  Aetius  finden,  dass  Phüumenos^  welcher  die  Geburtsstörungen  und 
ihre  Ursachen  beschrieb,  seinen  GoUegen  empfiehlt,  „alle  diese  Ursachen  von  der 
Hebamme  zu  erforschend^,  so  erkennt  man,  wie  sehr  sich  auch  die  römischen 
Aerzte  auf  das  unzulängliche  Referat  der  Hebammen  zu  verlassen  genöthigt  waren. 

Einen  noch  schlimmeren  Zustand  finden  wir  in  der  arabischen  Periode  der 
Geschichte  der  Geburtshülfe.  Denn  die  mohamedanischen  Frauen  waren  durch 
Sitte  und  Vorurtheil  völlig  abgeneigt,  männliche  Hülfe  in  Anspruch  zu  nehmen. 
Zu  wie  traurigen  Ergebnissen  aber  dergleichen  Berathungen  führen  zwischen 
Aerzten,  welche  die  Gebärende  nicht  sehen,  und  Hebammen,  welche  die  Gebärende 
zwar  behandeln,  die  Ursachen  der  Geburtsstörung  jedoch  nicht  fanden,  das  kann 
zum  Schaden  der  unglücklichen  Weiber  noch  heute  im  Orient  beobachtet  werden. 


334.  Historisclies  Aber  die  Schwergebnrten. 

Während  zuerst  unter  den  griechischen  Aerzten  HippoJcrates  nur  von  der 
falschen  Eindeslage  als  Ursache  der  Geburtsstörung  (Dystokie)  spricht,  kennen  die 
späteren  medicinischen  Schriftsteller  schon  mehrere  andere  die  Entbindung  ver- 
zögernde Veranlassungen.  Dass  aber  auch  Difformitäten  des  Beckens  ab  Geburts- 
hindemiss  wirken  können,  ist  ihnen  nicht  zum  Bewusstsein  gekommen,  obgleich 
dieses  nach  Häser's  Angabe  sogar  schon  den  indischen  Aerzten  bekannt  ge- 
wesen ist. 

Nach  Aristoteles  leiden  bei  der  Entbindung  besonders  diejenigen  Frauen, 
welche  viel  sitzen  und  keine  gute  Brust  haben,  so  dass  sie  den  Athem  nicht  wohl 
anhalten  können.  Der  geburtshOlfliche  Schriftsteller  Charystius  DioUes^  dessen 
Schriften  verloren  gegangen  sind,  meinte,  wie  wir  durch  Soranus  erfahren,  dass 
Erstgebärende  und  junge  Frauen  verhältnissmässig  schwer  gebären,  dass  ein  ver- 
härteter und  verschlossener  Muttermund,  eine  bedeutende  Grösse,  sowie  der  Tod 
des  Fötus  eine  Geburtsstörung  abgeben  können,  und  dass  feuchte  und  warme 
Frauen  schwer  gebären.  Cleophantus  sagt  in  seinen  ebenfalls  verlorenen  Schriften, 
dass  alle  Frauen  mit  breiten  Schultern  und  engen  Hüften  eine  schwere  Geburt 
erleiden,  bei  denen  das  Kind  nicht  mit  dem  Kopfe,  sondern  mit  einem  anderen 
Körpertheile  vorliegt.  Herophilus  beschuldigt  als  Ursache  der  Dystokie  den  Ge- 
bärstuhl, wie  Simon  der  Magnesier  oft  gesehen  habe. 

Soranus  theilt  die  Ursachen  ein  in  cUejenigen,  welche  von  dem  Kinde,  und 
diejenigen,  welche  von  dem  Organismus  der  Mutter,  oder  endlich  auch  solche, 
welche  von  den  Geschlechtstheilen  ausgehen: 

Die  Mutter  kann  durch  psychischen  Einfluss,  durch  GeraflthsafiPecte,  sowie  aus  physischen 
Gründen  eine  Störung  erleiden,  z.  B.  durch  Dyspepsie,  Dyspnoe,  Hysterie,  zu  fette  Beschaffen- 
heit und  zu  bedeutende  Grösse  des  Körpers,  breite  Schultern  und  enges  Becken;  das  Eind 
aber  kann  allgemein  oder  in  einzelnen  Theilen  (Wasserkopf)  zu  gpross  sein,  es  können  mehrere 
Kinder  vorhanden  sein;  der  Embryo  kann  abgestorben  sein  und  unterstützt  dann  die  Geburt 


232  LIIL  Die  fehleriiafte  Gebort. 

nicht,  und  endlich  kann  es  eine  falsche  Lage  haben,  üeber  die  falschen  Eindeslagen  sprechen 
wir  qp&ter  ausfCLhrlicher.  unter  den  von  den  Geschlechtstheilen  herrührenden  Ursachen  des 
unregelmftssigen  Gebnrtsverlaafes  fUirt  Saranus  an:  Kleinheit  und  Engigkeit  des  Mutter- 
mundes oder  Mutterhalses,  Verschluss  der  Geschlechtstheile,  schiefe  Stellung  der  Gebärmutter 
oder  des  Gebftrmntterhalses,  Entzündung,  Abscesse  oder  Verhärtung  dieser  Theile;  ferner  za 
grosse  Dicke  oder  Dünne  der  Eihäute,  vorzeitigen  Abfluss  des  Fruchtwassers;  auch  Blasen- 
steine,  Enochenauswüchse  des  Beckens,  Verknöcherung  der  Symphysen  und  zu.  grosse  Weite 
des  Beckens  können  seiner  Angabe  nach  eine  Geburtsstörung  herbeiführen. 

Soranus  bespricht  in  einem  ganzen  Kapitel  die  Frage:  Weshalb  die  meisten 
Kinder  in  Rom  an  Rachitis  leiden?  Gleichzeitig  hat  er,  wie  Pinoff  nachweist, 
zuerst  über  die  Enge  eines  difformen  Beckens,  sowie  über  die  za  grosse  Weite 
desselben  gesprochen.  Daher  ist  anzunehmen,  dass  im  alten  Rom  rachitische  Ver- 
bildungen  des  weiblichen  Beckens  keine  seltenen  Erscheinungen  gewesen  sind. 
Auch  findet  sich  bei  Soranus  eine  Angabe  des  Cleqphanttis  ^  dfiss  Frauen  mit 
breiten  Schultern  und  schmalen  Hüften  schwer  gebaren,  weil  bei  ihnen  der  Blasen- 
sprung erst  mit  dem  Eintritt  der  heftigeren  Wehen  erfolge. 

Erst  bei  Soranus  finden  wir  ein  rationelles  Verfahren,  welches  sich  auf  eine 
wirkliche  Erkenntniss  von  den  Ursachen  der  Geburtsstörungen  stützt. 

Bei  zu  grosser  Weite  des  Beckens  liess  er  die  Frau  sich  auf  die  Kniee  legen,  damit 
die  GebSxmutter,  auf  das  Epigastrium  gestützt,  mit  dem  Gebärmutterhalse  in  gerader  Richtung 
verharre.  Dieses  Verfahren  schlug  er  auch  bei  fetten  und  fleischigen  Personen  ein;  dasselbe 
wurde  für  solche  Fälle  bei  den  Arabern  und  den  Deutschen  des  Mittelalters  beibehalten. 
Wenn  der  Muttermund  verschlossen  gefunden  wurde,  so  wendete  Soranus  erweichende  Mittel 
an:  Einreibungen  mit  Gel,  Abkochungen  von  Foenum  graecom,  Malven,  Leinsamen;  er- 
weichende Injectionen;  Eataplasmen  auf  die  Regio  pubis,  das  Epigastrium  und  die  Lenden; 
wenn  diese  Mittel  nichts  nützen,  so  soll  die  Gebärende  auf  dem  Stuhle  sanft  bewegt  werden, 
ohne  dass  man  ihren  Körper  starken  Erschütterungen  aussetzt  Als  psychisches  Beruhigungs- 
mittel dienen  dem  Soranus  Tröstungen  und  Ermahnungen,  die  Schmerzen  zu  ertragen.  Bei 
eintretender  Ohnmacht  sind  kräftigende  Mittel  anzuwenden.  Wenn  eine  Geschwulst  an  den 
Geschlechtstheilen  die  Ursache  der  Behinderung  für  die  Entbindung  abgiebt,  so  soll  sie  mit 
den  Fingern  entfernt  oder  ausgeschnitten  werden.  Zurückgehaltene  Fäces  sollen  durch 
Klystiere,  Urin  durch  den  Katheter  entleert  werden;  vorliegende  Blasensteine  soll  man  mittelst 
des  Katheters  vom  Blasenhalse  nach  der  Höhle  der  Blase  bringen.  Das  verschlossene  Ghorion 
soll  man  mit  den  Fingern  zerreissen  und  bei  zu  frühem  Abfluss  des  Fruchtwassers  Ein- 
spritzungen mit  Gel  in  die  Scheide  machen.  Auch  über  das  Verfahren  bei  falschen  Kindes- 
lagen wird  von  Soranus  ausführlich  gesprochen. 

Einen  anderen  Arzt  jener  Zeit,  PhüumenoSy  dessen  Schriften,  wie  schon 
gesagt,  leider  nicht  im  Originale  auf  uns  gekommen  sind,  lernen  wir  ans  den 
Werken  des  Äetms  kennen,  welcher  sich  wiederholentlich  auf  ihn  beruft.  Er 
unterschied  für  die  Geburtsstorungen  vier  wesentliche  Gruppen,  nämlich  solche, 
die  von  der  Mutter,  solche,  die  von  dem  Kinde,  solche,  welche  Ton  den  Nach- 
geburtstheilen,  und  solche  endlich,  die  von  den  äusseren  Verhältnissen  hervor- 
gerufen werden.  Die  von  der  Mutter  ausgehenden  Ursachen  sind  nach  ihm: 
Leiden  der  Seelenthätigkeit,  allgemeine  Schwäche  des  Körpers,  Kleinheit  der  Gebär- 
mutter, Enge  des  Oeburtsganges,  Schieflage  der  Gebärmutter,  Fleischauswüchse 
am  Muttermund,  Entzündung,  Äbscess,  Verhärtung  desselben,  zu  feste  Eihäute, 
zu  früher  Abgang  des  Fruchtwassers,  Harnsteine  und  zu  grosse  Fettleibigkeit  der 
Gebärenden.  Auch  sprach  Phüumenos  von  einer  zu  festen  Verbindung  der  Scham- 
beine, welche  die  nöthige  Erweiterung  bei  der  Entbindung  nicht  zulassen  könne. 
Er  fand  femer  eine  Geburtsstörung  durch  Druck  auf  den  Uterus,  veranlasst  von 
einer  fehlerhaften  Beschaffenheit  der  Lendengegend,  durch  Kothansammlungen  im 
Mastdarm  und  Urinretention  in  der  Blase,  oder  durch  zu  hohes  oder  zu  jugend- 
liches Alter  der  Kreissenden. 

Das  Kind  giebt  die  Veranlassung  zu  Störungen  des  Geburtsverlaufes,  wenn 
es  eine  zu  bedeutende  Grösse  besitzt  oder  wenn  es  sich  um  eine  Missgeburt 
handelt.    Aber  auch  eine  zu  grosse  Schwäche  des  Fötus  oder  sein  Tod   können 


335.  Die  Ansichten  der  Chinesen  nnd  Japaner  über  die  Schwergeburten.  233 

die  Ursache  ftir  die  erschwerte  Entbindung  abgeben,  da  dann  die  activen  Be- 
wegungen des  ICindes  fehlen^  welche  man  fär  den  Geb&ract  durchaus  nothwendig 
erachtete. 

Eine  Störung  der  Geburt  kann  auch  erfolgen,  wenn  Zwillinge  sich  gleich- 
zeitig am  Muttermunde  einstellen.  Nicht  minder  hinderlich  sind  Abweichungen 
Yon  der  naturgemassen  Lage  des  Fötus,  d.  h.  von  der  Kopflage,  bei  welcher  die 
oberen  Extremitäten  nach  den  Schenkeln  herabgestreckt  liegen.  Von  diesen 
falschen  Lagen  der  Kinder  haben  wir  später  ausfOhrlich  zu  sprechen. 

Auch  zu  dicke  oder  zu  dünne  Eihäute  können  eine  Geburtsverzögerung 
machen,  und  endlich  schrieb  man  auch  den  Jahreszeiten  und  der  Witterung  be- 
sondere Einflüsse  auf  den  Verlauf  der  Entbindungen  zu. 

Die  arabischen  Aerzte  des  Mittelalters  haben  in  Bezug  auf  die  Erkennt- 
niss  der  Geburtsstörungen  kaum  einen  Schritt  vorwärts  gethan.  Äbtdk<isem  unter- 
scheidet als  Ursachen  ftlr  die  Erschwerung  des  Geburtsvorganges  solche,  welche 
der  Mutter,  solche,  welche  der  Frucht,  solche,  welche  dem  Fruchtwasser,  der  Nach- 
geburt oder  schädlichen  Aussendingen  zur  Last  gelegt  werden  müssen;  es  können 
aber  auch  mehrere  derselben  combinirt  zur  Wirksamkeit  gelangen.  Dass  auch 
ein  verengtes  Becken  ein  Geburtshinderniss  abzugeben  vermöge,  das  ist  Abtdkasem 
noch  nicht  zum  Bewusstsein  gekommen.  Die  Kopflage  des  Kindes  gilt  ihm  als 
die  einzig  richtige,  und  in  dieser  Beziehung  steht  er  also  auf  einem  niedrigeren 
Standpunkte  als  seine  Vorgänger  im  Alterthum,  welche  die  Fusslage  des  Embryo 
doch  wenigstens  als  eine  der  natürlichen  ähnliche  Lage  anerkannten. 

Avicenna  spricht  unter  den  Binderungsgründen  für  eine  normale  Entbindung 
auch  von  der  parva  matrix,  und  ausserdem  erwähnt  er  noch  die  via  constricta 
valde  in  creatione.  Schon  v.  Siebold  hat  darauf  hingewiesen,  dass  Avicenna 
mit  diesen  Ausdrücken  wahrscheinlich  das  verengte  Becken  meint. 

Khaees  schliesst  sich  in  der  Eintheilung  der  Geburtsstörungen  vollständig 
den  Lehren  des  Aetius  an,  aber  auch  er  erwähnt  die  parvitas  matris  und  er 
erkennt  neben  der  Kopflage  auch  die  Fusslage  als  normale  Kindeslage  an. 

Die  deutschen  Aerzte  des  16.  Jahrhunderts,  Rösslin^  H^ffi  Rueff  n.s.'w.^ 
fussen  ganz  auf  den  Ansichten  der  römischen  Schriftsteller.  In  seinem  Heb- 
ammenbuche lehrt  Rösslinf  dass  die  Hebamme  die  Blase,  wenn  sie  nicht  von  selbst 
springen  will,  zwischen  ihren  Fingern  oder  mit  Messer  und  Scheere  öfihe.  Hat 
sie  diese  Oeffnung  zu  früh  gemacht,  so  soll  sie  die  Scheide  mit  Gilgenöl  oder 
Schmalz  schlüpfrig  machen.  Ist  der  Kindskopf  gross,  so  wird  gerathen,  die  Vagina 
und  den  Eingang  der  Gebärmutter  mit  der  gewölbten  Hand  sanft  zu  erweitem. 
Bei  Geburten  mit  einem  anderen  Theile  als  dem  Kopfe  voran  wird  eine  später 
zu  beschreibende  manuelle  Hülfe  empfohlen. 


335.  Die  Ansichten  der  Chinesen  nnd  Japaner  über  die  Schwergebnrten. 

In  den  populären  Schriften  der  chinesischen  Aerzte  werden  die  Ursachen 
der  Anomalien  des  Geburtsverlaufes  in  ziemlich  ausführlicher  Weise  besprochen. 
In  der  von  Rehmann  übersetzten  Abhandlung  ist  der  Verfasser  bemüht,  dem  in 
China  weit  verbreiteten  Aberglauben  entgegenzutreten,  dass  die  Entbindung  sich 
bisweilen  über  zwei  Jahre  hinziehen  könne.  Er  hebt  dag^en  ganz  besonders 
hervor,  dass  nichts  die  Geburt  verhindern  könne,  wenn  der  rechte  Zeitpunkt  für 
sie  gekommen  sei.  Es  gäbe  aber  doch  gewisse  Zustände,  welche  verzögernd  auf 
den  Geburtsverlauf  einzuwirken  vermöchten,  z.  B.  wenn  es  dem  Kinde  an  Kräften 
fehle.  In  diesem  Falle  müsse  man  die  Frau  im  Bette  schlafen  lassen,  damit  sich 
das  Kind  stärke,  üeberhanpt  könne  das  Liegen  der  Mutter  nicht,  wie  die  Mei- 
nung unter  den  Chinesen  sei,  die  Geburt  stören,  auch  selbst  dann  nicht,  wenn 
das  Kind  schon  mit  dem  Kopfe  nach  unten  liege.    Nach  des  Verfassers  Meinung 


234  Lni.  Die  fehlerhafte  Geburt. 

ist  es  auch  irrig,  anzunehmen,  dass  ein  Aengstigen  des  ICindes  für  die  Entbindung 
störend  sei,  denn  auch  während  der  Schwangerschaft  habe  das  Kind  sich  nicht 
geängstigt.  Femer  meine  man  im  Volke,  dass  die  Gebärende  die  Schmerzen  der 
Wehen  nicht  gut  aushalten  könne,  doch  solle  man  daran  denken,  dass  die  Freuden- 
mädchen die  Schmerzenslaute  beim  Gebären  unterdrücken,  um  die  Geburt  zu  ver- 
heimlichen, demnach  würden  wohl  auch  andere  Frauen  die  Geburtsschmerzen  mit 
Geduld  ertragen  können. 

Eine  Störung  des  Geburtsyerlaufes  verursache  aber  eine  falsche  Lage  des 
Kindes,  wie  sie  durch  Anstrengung  der  Gebärenden  entstehe.  Ganz  besonders 
hemmend  ist  es,  wenn  das  Kind  mit  den  Händen  oder  Füssen  oder  mit  dem 
Bücken  hervorkomme.  In  diesem  Falle  sollen  die  Hände  und  Füsse  sanft  zurück- 
gebogen werden  und  die  Gebärende  soll  man  nöthigenfalls  zur  Sammlung  der 
Kräfte  schlafen  lassen.  Femer  könne  bei  übermässiger  Anstrengung  der  Gebärenden 
ein  n^Ann*^  heraustreten,  womit  der  Verfasser  wahrscheinlich  andeuten  will,  dass 
übermässiges  Pressen  die  Veranlassung  zu  einem  Brachschaden  werden  könne. 

ünregelmässiges  Verhalten  und  Krankheit  in  der  Schwangerschaft,  schlechte 
Kost,  hitziges  Fieber,  Beischlaf,  hitzige  Speisen  und  Getränke,  sowie  auch 
Erkältung  können  ebenfalls  die  Ursache  werden,  dass  die  Entbindung  abnorm 
verläuft. 

Bei  den  Japanern  giebt  Kangawa  als  ein  sehr  gewöhnliches  Geburts- 
hindemiss  die  Anfüllung  des  Mastdarms  mit  trockenen  Fäcalmassen  an.  Man  er- 
kennt sie  bei  der  DigitcSuntersuchung  durch  die  Scheide.  Er  empfiehlt  in  solchem 
Falle,  den  mit  Honig,  oder  auch  mit  Leim,  Zuckerwasser  oder  Fett  bestrichenen 
Finger  in  den  After  einzuführen,  um  die  Kothballen  zu  entfemen. 

Gegen  die  Annahme  der  älteren  japanischen  Geburtshelfer,  dass  die  üm- 
schlingung  der  Nabelschnur  die  Entbindung  hindem  könne,  spricht  sich  Kangawa 
entschieden  aus.  Er  sagt,  dass  das  Geburtshindemiss  immer  durch  Kothmassen 
verursacht  werde,  denn  er  habe  gefunden,  dass  stets  die  Geburt  unbehindert  vor 
sich  ging,  wenn  auch  die  Nabelschnur  um  die  Schultern  des  Kindes  geschlungen 
war.  Er  erklärt  es  auch  für  eine  irrige  Meinung  seiner  Vorgänger ,  dass  der 
Grund  dafür,  dass  die  Nabelschnur  sich  um  den  Hals  des  Fötus  schhnge,  in  einem 
Umfallen  der  Mutter  während  der  Schwangerschaft  gesucht  werden  müsse.  Denn 
da  die  Umschlingung  so  häufig  vorkomme,  dass  sie  unter  10  Geburten  7  bis 
8  mal  beobachtet  werde  (!),  so  dürfe  man  doch  nicht  annehmen,  dass  die  Mutter 
jedesmal  umgefallen  sei. 

336.  Die  fehlerhafte  Geburt  durch  die  Eorperbeschaffenheit  der 

Gebärenden. 

Wenn  wir  von  der  Körperbeschafienheit  der  Gebärenden  als  Ursache  fehler- 
hafter Geburten  zu  sprechen  haben,  so  wird  der  folgende  von  Stammler  ausge- 
sprochene Satz  wohl  dasjenige  zum  Ausdruck  bringen,  was  von  vielen  Seiten  auch 
heute  noch  geglaubt  wird.     Dieser  Satz  lautet: 

n  Schwieriges  Gebären  und  Gebärunvermögen  mussten  vor  der  Entwickelung  der  Cultur 
des  Menscheogeschlechtes  zu  den  Seltenheiten  gehören,  und  erat  mit  dem  Vorschreiten  der 
üblen  Seiten  der  CivilLsation  und  der  an  dieselben  sich  knüpfenden  Krankheiten,  Erankheits- 
anlagen  und  Krankheitserwerbungen  konnte  auch  krankhaftes  Gebären  seinen  Anfang  nehmen 
und  so  häufig  werden,  dass  unter  den  civilisirten  Völkern  ein  vOllig  günstiges  Niederkommen 
zur  seltenen  Ausnahme  warde.*^ 

Entspricht  das  nun  den  thatsächlichen  Verhältnissen,  oder  ist  es  nur  der 
Ausfluss  der  landläufigen  Vorstellung,  dass  die  Wilden  doch  bessere  Menschen  sind? 

Um  diese  Frage  zu  entscheiden,  müssen  wir  in  erster  Linie  im  Auge  be- 
halten, dass  bei  der  geringen  Pflege,  welche  wilde  Völker  ihren  Kindern  ange- 
deihen  lassen,  die  schwächlichen  unter  denselben  einem  frühen  Tode  verfallen  sind. 


386.  Die  fehlerhafte  Gebart  durch  die  EOrperbeschaflfenheit  der  Gebärenden.        235 

Die  üeberlebenden  haben  dann  insgemein  eine  yerhaltnissmässig  kräftigere,  von 
firüh  an  in  dem  Kampfe  ums  Dasein  gestählte  Constitution,  durch  welche  sie  so- 
wohl in  der  Jugend,  als  auch  namentlich  in  dem  Alter,  wo  die  Frauen  gebären, 
jede  Unbill  leichter  ertragen.  Sehr  richtig  heisst  es  in  einem  Berichte  des 
Missionars  Casali:  «Was  bei  den  Basuthos  die  ersten  Jahre  überlebt,  muss  an 
sich  kerngesund  sein.*'  Es  liesse  sich  das  Gleiche  auch  von  vielen  anderen 
Völkern  sagen. 

Ein  fernerer  Grund  fär  die  grössere  Leichtigkeit,  mit  welcher  die  Frauen 
wilder  Völkerschaften  den  Gebäract  überstehen,  liegt  wohl  darin,  dass  überhaupt 
die  Körperentwickelung  der  Frauen  bei  jenen  Völkern  durchschnittlich  mehr  in 
normalen  Verhältnissen  bleibt,  als  bei  den  durch  eine  unzweckmässige  Lebensweise 
von  Generation  zu  Generation  immer  schwächer  werdenden  und  minder  gut  sich 
entwickelnden  weiblichen  Kindern  in  den  Gulturländem. 

Der  chinesische  Arzt  Rehmanns  äussert  die  Meinung: 
«Ehedem  war  es  eine  leichte  Sache  zu   gebären,   die  Menschen  haben   dieselbe  aber 
selbst   schwer  gemacht;   es  war  vordem  dieses  ein  gewöhnliches  und  sanftes  Geschäft;  jetzt 
hat  man  dasselbe  aber  f&rchterlich  gemacht,   nnd  eben  dadurch  sind  unglückliche  Geburten 
entstanden." 

Auch  der  Chinese,  dessen  Schrift  v.  Martius  übersetzte,  beschuldigt  die 
Lebensweise  für  die  Erschwerung  der  Geburt,  und  er  weist  darauf  hin,  dass  un- 
glückliche Entbindungen  bei  den  niederen  Volksklassen  (Bauerfrauen)  viel  seltener 
vorkommen  als  bei  den  Vornehmen. 

Es  verdient  eine  besondere  Beachtung,  dass  die  Weiber  uncivilisirter  Völker 
selbst  die  unzweckmässigsten  Manipulationen  bei  der  Geburt  wider  Erwarten  gut 
aushalten.  So  macht  MdUat  über  das  gewaltsame  Verfahren  bei  der  Niederkunft 
der  Malayinnen  die  Bemerkung: 

,Wie  oft  hat  mich  nicht  die  Beobachtung  aller  dieser,  dem  Anscheine  nach  barba- 
rischen Verfahrungsweisen  mit  Verachtung  nnd  mit  Furcht  erfüllt,  während  mir  oft  genug 
der  Ausgang  bewies,  dass  die  von  diesen  Naturärzten  angewendeten  Mittel  von  vollem  Erfolg 
gekrönt  wurden.* 

Engelmänn  schreibt: 

«Die  th&tige  Lebensweise  der  Indianerinnen  erkl&rt  die  Leichtigkeit,  mit  der  sie 
niederkommen;  sie  verrichten  eben  jegliche  Arbeit,  daher  Knochengerüst  und  Muskeln  gleich- 
maasig  ausgebildet  werden;  die  Frucht,  unabiftssig  geschüttelt,  wird  wahrscheinlich  in  die 
Lage  getrieben,  in  welcher  sie  sich  den  mütterlichen  Theilen  am  besten  anpasst,  und  wird, 
einmal  im  langen  Durchmesser  angelangt  von  den  strammen  Bauchw&nden  der  Mutter  fest- 
gehalten —  so  muss  die  Entbindung  gut  ausgehen.  Ausserdem  heirathet  das  Mädchen  nicht 
aus  ihrem  Stamme  heraus,  daher  passt  das  Köpfchen  der  Frucht  auf  das  Becken,  welches  sie 
verlassen  soll.  Sobald  von  dieser  Regel  abgewichen  wird,  giebt  es  auch  Störungen  (Misch- 
lingsgeburten  bei  Umpqua-Indianern  verliefen  schwer).  Demnach  häng^  die  leichte  und 
schnelle  Oeburt  solcher  Frauen  von  drei  umständen  ab:  erstens  heirathen  sie  nur  ihres 
Gleichen,  daher  die  Früchte  einen  den  mütterlichen  Geburtswegen  entsprechenden  Umfang 
behalten;  zweitens  giebt  es  nur  gesunde,  kräftige  Körper;  drittens  lässt  die  thätige  Lebens- 
weise, welche  sie  führen,  nur  Kopf-  oder  Steisslage  zu." 

Nach  diesen  Ausföhrungen  könnte  es  den  Anschein  haben,  als  wenn  der 
von  Stammler  aufgestellte  Satz  in  Wahrheit  das  Richtige  getroffen  habe.  Aber 
schon  Engdmann  schliesst  seine  Angaben  mit  den  Worten: 

«Sollte  einmal  die  Lage  fehlerhaft  sein,  so  ist  es  um  die  Mutter  ge- 
schehen, oder  sie  macht  eine  äusserst  beschwerliche  Niederkunft  durch.  Das 
querliegende  Kind  kann  ebenso  gut  als  nicht  geboren  werden  und  erliegt  mit  seiner  Mutter." 

Durch  diesen  Ausspruch  wird  es  doch  in  Frage  gestellt,  ob  bei  allen 
sogenannten  ürvölkem  günstige  Bedingungen  zum  regelmässigen  Vorkommen 
leichter  Entbindungen  herrschen.  Sehr  wichtig  ist  in  dieser  Beziehung,  was  Felkin 
über  seine  Erfahrungen  äussert: 

«Man  ist  ziemlich  allgemein  der  Ansicht,  dass  die  luxuriösen  Gewohnheiten,  welche  die 


236  LIU-  Die  fehlerhafte  Geburt. 

Ciyilisation  mit  sich  bringt,  einen  hOchst  sch&dlichea  Einfluss  auf  die  Entbindung  auaflben. 
Nachdem  ich  jedoch  unter  etwa  40  central-  und  ostafrikanischen  Stämmen  unter« 
suchungen  anzustellen  Gelegenheit  gehabt  habe,  bin  ich  zu  der  üeberzeugung  gekommen,  dass 
schwere  Geburten  unter  uncivilisirten  Rassen  viel  h&ufiger  vorkommen,  als  man  bis  jetzt  an- 
genommen hat.  Ich  war  anfangs  der  Meinung,  dass  die  Neigung  des  Beckeneingangs  bei  der 
Wahl  der  Lage  der  Ereissenden  von  Einfluss  wäre ;  ich  habe  mich  aber  aberzeugt,  dass,  trotz« 
dem  es  in  dieser  Neigung  viele  Unterschiede  giebt,  sie  doch  von  keiner  Wichtigkeit  sind,  da 
der  Unterschied  im  Ganzen  nur  etwa  4^  beträgt* 

Wir  dürfen  allerdings  nicht  verkennen,  dass  es  sich  bei  diesen  Angaben 
Fdkin's  doch  nur  nm  annähernde  Schätzungen  handelt  und  nicht  um  exakte, 
statistische  Thatsachen. 

Bei  einer  Anzahl  der  Yolksstämme  Afrikas  müssen  wir  in  dem  früher  aus- 
führlich erörterten  Gebrauche  der  Yemahung  ein  Hindemiss  für  den  Geburts- 
verlauf  erkennen.  Das  wurde  auch  durch  v.  Beurmann  bestätigt.  Das  Gleiche 
gilt  nach  Brehm  von  Massaua;  aber  hier  kommt  auch  noch  ein  zweiter  störender 
Factor  hinzu,  das  ist  das  sehr  jugendliche  Alter,  in  welchem  dort  die  Frauen 
ihre  erste  Entbindung  durchzumachen  pflegen.  Mindestens  30  Procent  der  Erst- 
gebärenden sollen  dabei  zu  Grunde  gehen. 

Bei  den  Negerinnen  wird  nicht  selten  durch  die  Elephantiasis,  welche 
auch  die  weiblichen  Genitalien  befallt,  eine  Erschwerung  fllr  die  Entbindung 
herrorgerufen.  Gerade  die  Beschneidung  der  Mädchen  soll  für  das  Auftreten  der 
Elephantiasis  an  den  Geschlechtstheilen  eine  Gelegenheitsursache  abgeben. 

Von  den  Indianern  Süd-Amerikas  hat  schon  Alexander  v,  Humboldt 
das  seltene  Vorkommen  Missgestalteter  hervorgehoben,  und  auch  v.  Martius  con- 
statirte  bei  ihnen  eine  grosse  Stärke  und  Festigkeit  des  Knochengerüstes  und  die 
ausserordentliche  Seltenheit  von  Rückgratsverkrümmungen.  Auch  in  Chile 
findet  sich  nach  Molina  keine  Rachitis,  und  Berth.  Seemann  macht  auf  das 
seltene  Vorkommen  von  Difformitäten  bei  den  Eskimos  der  Behring-Strasse 
aufmerksam. 

Wie  es  nun  trotzdem  mit  den  Entbindungen  steht,  das  hat  schon  Enget- 
mann  ausgesprochen.  Nach  der  Aussage  Dobrufhoffer's  sollen  die  Abiponerinnen 
in  Paraguay  ausserordentlich  schwer  gebären.  Er  sucht  die  Ursache  hierfür  in 
ihrem  häufigen  Reiten,  und  er  behauptet,  dass  die  Weiber  aller  berittenen  Nationen 
schwere  Entbindungen  durchzumachen  hätten.  Hierbei  beruft  er  sich  auf  die  Er- 
klärung des  Leibarztes  Yngenhotuif  in  Wien,  dass  bei  jungen  Weibern,  welche 
viel  reiten,  durch  das  lange  Sitzen  und  Rütteln  das  Steissbein  zusammengedrückt 
und  hart  werde.  Eine  weitere  Bestätigung  hat  diese  Angabe  noch  nicht  gefunden 
und  gegentheilige  Ansichten  haben  wir  früher  schon  angeführt 

Nach  Praslow,  welcher  mehrere  Jahre  lang  in  Galifornien  prakticirte, 
sind  zu  Monterey  Krankheiten  der  Geschlechtsorgane,  namentlich  Leukorrhoe, 
Prolapsus  uteri  und  Menstruationsstörungen  häufig;  „die  beiden  erstgenannten 
XJebel  verdanken  ihre  Entstehung  ohne  Zweifel  der  überaus  rohen  Behandlungs- 
weise,  welcher  die  Gebärenden  der  Sitte  des  Ortes  gemäss  unterworfen  werden.* 
Unter  den  Indianern  Californiens  ist  die  Gebärende  nach  dem  Berichte  des 
.Statistical  Report  on  the  sickness  and  mortality  in  the  United  States  army  from  1855 — 1860* 
(Washington)  denselben  Uebeln  und  Zufallen  ausgesetzt,  wie  unter  den  civilisirten 
Völkern  Europas.  Engdmann's  Angaben  berichteten  wir  schon  oben;  derselbe 
setzt  hinzu: 

«Von  den  Indianern  wird  gelegentlich  die  Härte  tind  ünnachgiebigkeit  des  soge- 
nannten Mittelfleisches  als  Gebortshindemiss  erwähnt,  was  die  Hebammen  zu  manuellen  Er- 
weiterungen der  Gebnrtstheile  veranlasst.* 

Auch  auf  den  Inseln  des  malayischen  Archipels  und  der  Süd-See  hat 
man  Falle  von  schweren  Geburten  beobachtet,  und  wo  uns  directe  Nachrichten 
fehlen,  da  geben  bisweilen  gewisse  Maassnahmen,  welche  man  mit  solchen  Frauen 
macht,   die  während  der  Entbindung  starben,  den  Beweis,   dass  es   bei   den  Ge- 


337.  Die  fehlerhafte  Grehort  auf  ungewöhnlichem  Wege.  237 

burten  dieser  Naturvölker  doch  nicht  immer  so  glatt  abgeht,  als  man  ursprüng- 
lich glaubte. 

in  der  Türkei,  wie  in  einem  grossen  Theile  des  Orients,  ist  es  Gebrauch, 
die  Kinder  während  des  ersten  Halbjahres  in  Bandagen  fest  einzuschüren;  die 
Folge  davon  ist: 

,que  la  plupart  des  Orientaux  sont  de  petite  taille  et  qne  leurs  membres,  pr^entant 
nne  coorbure  tr^-consid6rable,  fönt  ressembler  leur  marche  k  Tallure  ridicule  du  canard.* 

Nach  RigUr  ist  in  Constantinopel  Rachitis  häufig  und  daher  finden  sich 
auch  oft  Difformitäten  des  weiblichens  Beckens,  in  Folge  deren  unr^elmässige 
Geburten  unter  türkischen  und  armenischen  Frauen  häufiger  als  unter  euro- 
päischen sind.  Trotzdem  wird  nach  den  Erfahrungen  einer  in  Constantinopel 
vielbeschäftigten  Hebamme,  Mde  Messani,  die  Wendung  wegen  einer  Querlage  des 
Kindes  selten  nöthig.  Rigler  meint,  dass  hierauf  die  sitzende  Lebensweise  und 
die  Enthaltung  der  Schwangeren  von  jeglicher  Arbeit  Einfluss  haben  mag. 

Dahingegen  macht  Damian  Georg  für  die  bisweilen  vorkonunenden  Schwer- 

feburten  in  dem  heutigen  Griechenland  gerade  die  sitzende  Lebensweise  der 
rauen  verantwortlich.  Ausserdem  beschuld^  er  aber  auch  noch  die  unzweck- 
mässige Auswahl  der  Speisen  während  der  Schwangerschaft  und  bestimmte  Mani- 
pulationen, welche  die  Hebammen  an  den  Schamlippen  und  in  der  Vagina  vor- 
nehmen. 

Eine  Angabe  von  Montana  über  den  Einfluss  des  tropischen  Klimas  auf 
diß  eingewanderten  Europäerinnen  der  Philippinen  möge  hier  noch  ihre 
Stelle  finden: 

,L*immunit6  relative  des  Europa ens  &  T^gard  du  cUmat  ne  conceme  que  les  hommes ; 
les  femmes  europ^ennes  sont  loin  de  präsenter  la  m^me  r^sistance.  L'an^mie  «urvient  chez 
alles  beaucoup  plus  rapidement  et  ne  tarde  pas  &  6tre  aggrav^e  par  des  leucorrh^s  et  par 
des  menstruations  d'une  abondance  excessive.  La  f^condit^  n'est  pas  atteinte,  mais  les  accou- 
chements  sont  souvent  dif&ciles;  ils  sont  rendus  fort  loiigs  par  Tinertie  de  Tat^rus,  et  de- 
viennent  souvent  mortels  par  les  hömorragies  incoercibles  qui  les  suivent.' 


337.  Die  fehlerhafte  Geburt  auf  ungewöhnlichem  Wege. 

Bevor  wir  das  Kapitel  von  den  schweren  Geburten,  welche  durch  die  kör- 
perliche Beschaffenheit  der  Gebärenden  bedingt  sind,  verlassen,  müssen  wir  auch 
noch  der  Entbindungen  gedenken,  welche  auf  ungewöhnlichen  Wegen  zu  Stande 
kommen.  Hier  steht  natürlicher  Weise  obenan  die  Entbindung,  welche  durch  die 
Bauchdecken  der  Mutter  hindurchgeht,  oder  mit  anderen  Worten  die  Entbindung 
durch  den  Kaiserschnitt.  Da  ich  derselben  aber  bei  ihrer  grossen  Wichtigkeit 
und  bei  dem  hohen  culturgeschichtlichen  Interesse,  welches  sie  darbietet,  ein  ganz 
besonderes  Kapitel  zu  widmen  gedenke,  so  kann  ich  sie  an  dieser  Stelle  über- 
gehen. Auch  einige  andere  Strassen,  welche  das  Kind  bei  der  Entbindung  ge- 
nommen haben  soll,  wollen  wir  eben  nur  kurz  hier  erwähnen,  da  sie  nur  in  den 
phantastisch  -  mythologischen  Anschauungen  einiger  Völker  eine  Rolle  spielen. 
Hierher  gehört  die  äeburt  der  Athene  aus  dem  Haupte  des  Zeus,  die  Geburt  des 
Bac(Jius  aus  Jupiters  Seite,  die  Geburt  des  Buddha  aus  der  Achselhöhle  seiner 
Mutter,  und  die  Geburt  der  Eskimos  durch  die  Bauchdecken  ihres  Yaters,  der 
durch  den  Genuss  des  mystischen  roggenen  Härings  schwanger  geworden  war. 

Wir  können  aber  nicht  die  Geburten  durch  den  After  mit  Stillschweigen 
übergehen,  da  sie  einstmals  eine  grosse  Aufregung  in  Frankreich  und  in  Rom 
heraufbeschworen  haben.  Es  mag  hier  jedoch  zuvor  daran  erinnert  werden,  dass 
man  bisweilen  im  Volke  von  ganz  normal  gebauten  Frauen  erzählen  hört,  dass 
sie  ihr  Kind  durch  den  After  geboren  hätten.  In  der  Mehrzahl  dieser  Falle 
handelt  es  sich  hier  um  Erstgebärende,  welche  während  der  Entbindung  bei  dem 
Hindurchtreten  des  Kindes   durch   die   natürlichen  Gebortswege  eine  hochgradige 


238  ^III«  ^^^  fehlerhafte  Gehurt. 

Zerreissung  des  Dammes  erlitten  haben.  Solch  ein  Dammriss  kann  non  durch  die 
vordere  l^tdarmwand  hindurch  bis  in  den  After  hineinreichen,  und  auf  diese 
Weise  wird  dann  allerdings  der  After  mit  in  die  Geburtswege  hineingezogen,  so 
dass  es  eine  gewisse  Berechtigung  hat,  wenn  man  hier  von  einer  Geburt  durch 
den  After  sprechen  will. 

Aber  in  seltenen  Fällen  kann  bei  bestimmten  Missbildungen  der  Geschlechts- 
theile  nun  wirklich  eine  Entbindung  durch  den  After  zu  Stande  kommen.  Der- 
jenige dieser  Falle,  welcher  die  grösste  Berühmtheit  erlangt  hat,  wurde  von 
Louis  in  Paris  beobachtet.  WitJcowski  schildert  denselben  nach  Lefort  folgender- 
maassen: 

,TJne  jeune  fille  avait  des  organes  de  la  g^n^ration  cacb^s  par  une  imperforation  qui 
ne  permettait  aueune  introduction.  Gette  femme  fut  r^gl^e  par  Tanus.  Son  amant,  devenu 
tr^s  pressant,  la  supplia  de  s'unir  k  eile  par  la  seule  Toie  qui  fut  praticable.  Bientöt  eile 
devint  m6re.    L^accouchement  ^  terme  d'un  enfant  bien  conformä  eut  Heu  par  Tanus." 

Louis  stellte  darauf  eine  These  auf:  De  partium  extemarum  generatioxd  inser- 
ventium  in  mulieribus  etc.  und  schloss  derselben  die  Erzählung  dieses  Falles  an.  „Le 
Parlement,  föhrt  Witkowski  fort,  rendit  un  arr^t  par  lequel  il  d^fendait  de  sou- 
tenir  cette  these.  La  Sorbonne  interdit  Louis  ä  cause  de  cette  question  quil 
adressait  auz  casuistes:  In  uxore,  sie  disposita,  uti  fas  sit  vel  non  judicent  tbeologi 
morales?'' 

Der  Papst  Benedict  V.  nahm  sich  der  Sache  an  und  ertheilte  Louis  die  Ab- 
solution, worauf  seine  These  im  Jahre  1754  gedruckt  wurde. 

„Ce  pape  pensait  avec  les  P.  P.  Cucufe  et  Toumemine  qu'une  fille,  privee 
de  la  Yulye,  devait  trouver  dans  Tanus  le  moyen  de  remplir  le  Yoeu  de  la  re- 
production.* 

Aehnliche  Falle  sollen  sich  aucb  in  Brahanfs  Trait^  d*accouchements 
citirt  finden.    Derselbe  war  mir  nicht  zugänglich. 

Wenn  wir  später  von  detn  Kaiserschnitte  zu  sprechen  haben,  dann  werden 
wir  sehen,  dass  möglicherweise  bereits  den  Rabbinern  des  Talmud  Geburten 
durch  den  After  bekannt  gewesen  sind. 


338.  Oebnrtsstomngen  durch  die  Nachgeburtstheile. 

Es  wurden  weiter  oben  bereits  die  Hülfeleistungen  erwähnt,  welche  man 
unter  den  Naturvölkern  bei  zögerndem  Abgange  der  Nachgeburt  in  Anwendung 
bringt.  Man  thut,  wie  wir  dort  sahen,  meist  zu  viel.  Dass  auch  bei  ihnen  in 
seltenen  Fällen  die  Nachgeburt  durch  Krampf  der  Gebärmutter  oder  durch  Ver- 
wachsung mit  derselben  wohl  bisweilen  zurückgehalten  werden  könne,  das  soll 
natürlicher  Weise  nicht  geleugnet  werden.  Allein  in  der  Regel  existiren  diese 
Störungen  nur  in  der  Vorstellung  der  hülfeleistenden  Weiber.  Merkwürdig  genug 
ist,  dass  weder  die  alten  Hebräer  des  Talmud,  noch  die  alten  Inder  von  der 
Wegnahme  der  Nachgeburt  bei  normaler  Entbindung,  ebenso  wenig  auch  von 
einer  Verzögerung  ihres  Abganges  sprechen. 

Als  eine  erhebliche  Störung  und  Verzögerung  der  Geburt  haben  die  Japaner 
Yor  Kangawa  die  Umschlingung  der  Nabelschnur  betrachtet.  Gegen  diese  An- 
sicht macht,  wie  wir  oben  sahen,  Kangawa  aber  in  seinem  Buche  San-ron 
energische  Opposition. 

Wenn  auf  den  Viti-Inseln  bei  der  Niederkunft  nicht  schnell  die  Berstung 
der  Eihäute  vor  sich  geht,  so  setzt  die  Hebamme  ihre  Finger  in  die  Ohren  des 
Kindes  und  zieht,  oder  sie  stösst  gegen  die  Schultern  der  Frau,  um  sie  zur  Be- 
schleunigung der  Geburt  anzutreiben,  und  ruft  ihr  gleichzeitig  zu:  «strenge  dich 
an,  unterstütze  uns.*^  Innere  Beschleunigungsmittel  werden  aber  nicht  ange- 
wendet.   {Blyth.) 


388.  GeburtastOrungen  durch  die  Nachgebortstheile.  239 

Von  dem  künsÜichen  Sprengen  der  bei  dem  Gelmrtsacte  in  den  Muttermund 
hervorgedrangten  Fruchtblase  sprechen  die  altindischen  Aerzte  nicht  Galen 
erkannte  bereits,  wie  nachtheilig  der  zu  frühe  Abgang  des  Fruchtwassers  sei. 
Aber  bei  'den  alten  Romern  (Aetius)  wurde  die  Blase  wahrscheinlich  oft  genug 
mittelst  eines  Scalpells  oder  des  Fingernagels  von  den  Hebammen  zu  früh  ge- 
sprengt. Der  Araber  Bhaees  rath  den  Hebammen,  da,  wo  es  noth  thut,  die 
Eihäute  mit  den  Nägeln  oder  mit  einem  kleinen  Messer  zu  öffnen.  Dasselbe  lehrt 
auch  Äbtdkasem.  Die  deutschen  Aerzte  zu  Bösslin's  Zeit  kennen  ebenfalk  das 
Sprengen  der  Eihäute  mit  den  Fingern,  sowie  mit  Messer  oder  Schere. 

Auch  heute  noch  in  Deutschland  wird  dieser  sogenannte  künstliche 
Blasensprung  sehr  häufig  ausgeführt,  und  nicht  selten  kann  man  bemerken, 
dass  zu  diesem  Zwecke  ein  Fingernagel  besonders  lang  zugespitzt  getragen  wird. 

Bei  den  Ehstinnen  ist  nach  Holst  dieses  frühzeitige  Sprengen  der  Frucht- 
blase ein  ganz  gewöhnlicher  Gebrauch  der  helfenden  Frauen,  und  in  der  Meinung, 
die  Blase  vor  sich  zu  haben,  trennen  sie  bisweilen  mit  den  Fingernägeln,  mit 
Messern   und  sonstigen  Apparaten  die  Schädelbedeckungen  bis  auf  die  Knochen. 

Die  Volkshebanmien  der  Letten  dagegen  warnen  nach  ÄUcsnis  davor,  «die 
Eihäute  vorzeitig  zu  sprengen,  weil  dadurch  die  Erweiterung  der  Geburtsw^e 
beeinträchtigt  werde.  Man  lässt  die  Blase  lieber  selbst  springen,  oder  zerreisst 
sie  eventuell  mit  dem  Fingernagel. '^ 

In  Süd-Indien  werden  die  Eihäute  nicht  gesprengt;  dies  wird  der  Natur 
überlassen,  und  man  wartet  nach  Shortt's  Bericht  geduldig  ab,  bis  dieses  von 
selbst  geschieht. 


LIV.  Die  Schwergeburten  im  Volksglauben. 

S39.  Die  fibernatürliche  Hfilfe  bei  scliweren  Entbindungen. 

Durch  die  Aeusserungen  von  Schmerz,  durch  das  Stöhnen  und  Winden, 
durch  die  Bemühungen,  sich  der  Frucht  zu  entledigen,  das  Pressen  und  Stemmen, 
Erscheinungen,  die  an  der  Gebärenden  fast  immer  in  höherem  oder  geringerem  Grade 
wahrgenommen  werden,  ist  die  Niederkunft,  zumal  bei  niedrig  stehenden  Völkern, 
ein  für  die  Umgebung  in  hohem  Grade  aufregender  Vorgang.  Das  Angstgef&hl 
sucht  und  findet  einen  gewissen  Trost  und  Halt  in  dem  Glauben,  dass  übernatür- 
liche Mächte  und  Kräfke  hier  zu  helfen  vermögen;  und  dieser  Glaube  gewährt 
eine  Hülfe,  die  nach  geistiger  Richtung  hin  auch  in  der  That  nicht  unwirksam 
ist.  Dies  geschieht  nach  Zweck  und  Form  in  mehrfacher  Art:  bald  wird  die 
mystische  Behandlung  beruhigend  auf  die  Gebärende  wirken,  sei  es  durch  Gebet, 
sei  es  durch  Zaubersprüche,  durch  welche  man  die  übernatürliche  Kraft  der  Geister 
und  Dämonen,  je  nachdem  es  gute  oder  böse  sind,  herbeizurufen  oder  zu  bannen 
hofft.  Bald  wird  man  aber  auch  die  Psyche  der  Kreissenden  antreiben  zu  selbst- 
thätiger  Mitwirkung,  indem  sie  durch  Schreck  zu  plötzlicher  Anstrengung  ihrer 
Kräfte  genöthigt  wird.  Bald  sind  es  sympathetische  Mittel,  die  durch  das  ihnen 
geschenkte  Vertrauen  die  Gebärende  zu  einem  geduldigen  Ausharren  veranlassen. 
Bald  aber  kommt  auch  die  eigenthümliche,  bei  vielen  Völkern  herrschende  Vor- 
stellung zur  Geltung,  dass  das  Kind  im  Mutterleibe  selbstthätig  zum  Austritt 
mithilft,  imd  dass  man  es  daher  sympathetisch  zu  grösserer  Thätigkeit  durch  das 
Vorhalten  eines  guten  Beispiels  anspornen  muss,  wenn  man  bei  ihm  den  Mangel 
an  solcher  selbstÖiätigen  Mithülfe  voraussetzen  kann.  Solch  sympathetisches  Ver- 
fahren aber  wirkt  geduld-  und  hoffhungerregend  und  denmach  psychisch -be- 
ruhigend auf  die  Gebärende. 

Wenn  wir,  was  in  den  nächsten  Abschnitten  statthaben  soll,  diese  über- 
natürlichen Hülfsmittel  kennen  lernen  werden,  so  finden  wir  die  verschiedenartigsten 
und  auf  den  ersten  Anblick  nicht  selten  in  hohem  Grade  absurd  und  sinnlos  er- 
scheinenden Gebräuche  bei  den  verschiedenen  Nationen  durch  einander  gewürfelt. 
Bei  näherer  Betrachtung  lassen  sich  aber  auch  in  diesem  scheinbar  unentwirrbaren 
Chaos  ein  paar  Grundanschauungen  herausfinden,  welchen  alle  diese  absonderlichen 
Maassnahmen  untergeordnet  werden  können  und  auf  welche  wir  jetzt  etwas  näher 
eingehen  müssen.  Es  sind  drei  grosse  Gruppen,  in  welche  wir  diese  Hülfsmittel 
einzutheilen  vermögen.  Die  erste  Gruppe  umfasst  die  Einwirkung  der  Götter 
und  der  bösen  Geister  und  Dämonen  auf  die  Geburt;  der  zweiten  Gruppe  ge- 
hören die  sympathetischen  und  allegorischen  Handlungen  an,  welche  man  mit 
der  Gebärenden  vorninmit,  und  in  die  dritte  Gruppe  endlich  haben  wir  solche 
Vornahmen  zu  rechnen,  welche  in  einer  directen  Beziehung  zu  dem  noch  unge- 
borenen Kinde  stehen. 


389.  Die  abernatfirliche  Hfllfe  bei  schweren  Entbindungen.  241 

In  der  Gruppe  Yon  Handlungen,  welche  den  Glauben  an  eine  Einwirkung 
der  Götter  oder  der  Dämonen  zur  Grundlage  haben,  nimmt  selbstverständlich  das 
Vertrauen  auf  die  helfende  Macht  einer  gütigen  Gottheit  und  das  hiermit  im  Zu- 
sammenhange stehende  Vorgehen  die  erste  Stelle  ein.  Gewohnlich  ist  es  der  oberste 
Gott  überhaupt,  der  hier  nur  zu  helfen  vermag,  jedoch  hat  sich  bei  nicht  wenigen 
Völkern  allmählich  auch  der  Glaube  an  bestimmte  Gottheiten  der  Geburt 
herausgebildet,  von  denen  wir  ja  bereits  die  wichtigsten  in  einem  früheren  Kapitel 
kennen  gelernt  haben.  Sie  müssen  durch  Gebete  angefleht  oder  durch  Opfer  oder 
Gelübde  gewonnen  werden.  Beides  ist  aber  nicht  selten  nur  durch  die  Mithülfe 
von  besonderen  Mittelspersonen,  vorzüglich  natürlicher  Weise  durch  die  Priester 
und  Priesterinnen  zu  ermöglichen.  Bisweilen  muss  auch  eine  aufrichtige  Beichte 
aller  auf  den  Geschlechtsact  bezüglichen  Sünden  nicht  nur  von  Seiten  der  Kreis- 
senden, sondern  auch  von  Seiten  ihres  Ehegatten  vorangehen.  Hilft  dann  die 
Gottheit  nicht,  d.  h.  nimmt  die  Geburt  einen  unglücklichen  Ausgang,  dann  ist 
diese  Beichte  eine  unvollständige  und  unaufrichtige  gewesen. 

Ganz  anders  muss  man  natürlich  mit  den  feindlichen  Gewalten  der  Dämonen, 
der  Geister  und  Gespenster  verkehren.  Allerdings  sucht  man  auch  sie  bisweilen  durch 
Gebete  und  Opfer  zu  beschwichtigen;  allein  fCn  wirksamer  hält  man  es  doch,  sie 
durch  Zaubersprüche  zu  bannen  und  sie  durch  Amulete  fem  zu  halten.  Man 
verschliesst  auch  wohl  alle  Eingänge  des  Hauses,  um  ihnen  den  Eintritt  zu  ver- 
wehren, oder  man  hindert  sie  durch  einen  abgrenzenden  Faden  oder  Kreidestrich, 
der  Kreissenden  nahezukommen.  Nicht  selten  auch  wird  der  Versuch  gemacht, 
mit  Gewalt  die  bösen  Dämonen  von  dem  Hause  oder  Zelte  fernzuhalten.  Das  ist 
ftir  gewöhnlich  das  Amt  des  Ehegatten  und  seiner  Freunde,  die  mit  Geschrei 
und  Geheul  und  mit  vielen  Lufthieben,  oder  auch  wohl  mit  Schüssen  die  Dämonen 
aus  der  Nachbarschaft  der  Gebärenden  fortzujagen  bestrebt  sind. 

Manche  Gebräuche  vermögen  wir  nicht  anders  zu  deuten,  als  dass  man  durch 
sie  bestrebt  ist,  die  verfolgenden  Dämonen  auf  eine  falsche  Fährte  zu  führen. 
Dahin  muss  man  wohl  die  Sitte  rechnen,  die  Kreissende  nicht  in  der  eigenen, 
sondern  in  einer  fremden  Wohnung  niederkommen  zu  lassen.  Vielleicht  ist  zum 
Theil  auch  auf  solche  Anschauungen  der  Gebrauch  der  Gebärhütte  zurückzuführen : 
Die  Dämonen  belagern  das  Wohnhaus,  um  sich  der  Gebärenden  oder  ihres  Kindes 
zu  bemächtigen,  und  sie  finden  das  Haus  leer,  die  Kreissende  ist  vor  ihren  gierigen 
Blicken  versteckt  und  kann  ihnen  auf  diese  Weise  entgehen.  Auch  giebt  es  noch 
ein  anderes  Mittel,  welchem  wohl  ähnliche  Anschauungen  zu  Grunde  liegen:  Die 
Dämonen  dringen  in  das  Gebärzimmer  ein,  aber  sie  finden  dort  nicht  die  von 
ihnen  verfolgte  Frau,  sondern  einen  Mann,  der  natürlicher  Weise  ihre  Gelüste 
nicht  reizt.  Dieser  Mann  aber  ist  die  Kreissende,  welche  die  Kleider  ihres  Ehe- 
herm  angelegt  hat. 

Die  sympathetischen  Mittel,  welcher  man  sich  bedient,  sind  ebenfalls  sehr 
mannigfacher  Art.  Obenan  steht  hier  aber  die  Auffassung,  dass  der  Schooss  der 
Mutter  sich  nicht  zu  öffnen  vermöge,  wenn  nicht  Alles  in  ihrer  Umgebung  los 
und  offen  ist.  Daher  vermag  man  durch  üebereinanderlegen  der  Kniee  oder 
durch  Falten  oder  gar  Verhaken  der  Hände  die  Geburt  des  Kindes  unmöglich 
zu  machen.  Auch  müssen  alle  Schlösser  imd  Deckel,  ja  bisweilen  alle  Thüren 
des  Hauses  geöffnet  werden,  und  vor  Allem  muss  die  Kreissende  in  feierlicher 
Weise  des  hauptsächlichsten  Zwanges  ihres  Leibes,  nämlich  ihres  Gürtels,  sich 
entledigen. 

Es  kommen  dann  gewisse  allegorische  Handlungen  hinzu :  Der  Ehemann,  der 
doch  eigentlich  die  Schuld  trägt  an  der  die  Frau  beschwerenden  Bürde,  spricht 
sie  durch  eine  Zauberformel  von  derselben  los,  oder  hilft  ihr  durch  gewisse 
mystische  Berührungen.  Die  Frau  muss  bestinunte,  ihr  sonst  ungewohnte  Wege 
machen,  oder  durch  bestimmte  Engen  hindurchkriechen,  wahrscheinlich  weil  auch 
das  Kind  solche  Enge  passiren  soll.    Aus  dem  Schoosse  dei;  Kreissenden  muss  ein 

Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aafl.    II.  16 


242  L^^-  ^^  Schwergeburten  im  Volksglauben. 

Thier  fressen,  oder  ein  Mensch  Nahrung  entnehmen,  wahrscheinlich  um  dadurch 
zu  bewirken,  dass  auch  das  Kind  mit  der  gleichen  Leichtigkeit  dem  Mutterschoosse 
entnommen  werde.  Hieran  reiht  sich  die  allegorische  Uebernahme  der  Geburts- 
schmerzen durch  helfende  Weiber,  welche  sich  entweder  wirklich  körperliche 
Schmerzen  bereiten,  oder  durch  Mitstöhnen  oder  Mitklagen  dieselben  zu  empfinden 
sich  den  Anschein  geben. 

Diesen  sympathetischen  Mitteln  sind  auch  diejenigen  zuzuzählen,  welche 
am  Körper  getragen  oder  mit  ihm  in  Berührung  gebracht  werden  müssen,  die 
aber  nicht  im  Sinne  eines  Amulets  wirken;  und  es  schUessen  sich  ihnen  die 
rein  psychischen  Mittel  an,  der  Gesang,  die  Musik  und  das  Erschrecken  der 
Kreissenden. 

Auch  die  Mittel,  welche  das  noch  ungeborene  Kind  veranlassen  sollen,  sein 
altes  Heim,  den  Mutterleib,  zu  verlassen,  sind  verschiedenartig,  konunen  aber  doch 
immer  darauf  hinaus,  das  Kind  hervorzulocken.  Man  klimpert  ihm  mit  Geld 
etwas  vor,  man  lässt  ihm  etwas  vortanzen,  damit  es  sich  zu  ähnlichen  Tanzbe- 
wegungen veranlasst  ftihle  und  auf  diese  Weise  zum  Mutterleibe  hinaustanze. 
Vielleicht  sollen  auch  die  Schläge,  welche  bei  manchen  Völkern  der  Ehegatte 
gegen  die  Kreuzgegend  der  Kreissenden  führen  muss,  dem  Kinde  gelten  und  das- 
selbe zu  energischen  Bewegungen  anregen.  Bisweilen  muss  der  Vater  sich  dem 
Schoosse  der  Kreissenden  nähern  und  dann  entfliehen,  damit  das  Kind  suchen 
soU,  ihm  zu  folgen.  Als  Lockmittel  fEir  das  Kind  legt  man  auch  wohl  der  Ge- 
bärenden die  Kleider  des  Ehegatten  vor  oder  man  staffirt  eine  Puppe  mit  den- 
selben aus.  Das  Alles  sind  im  Glauben  der  Völker  untrügliche  Mittel,  und  man 
muss  auch  hier  wieder  erstaunen,  wie  man  im  Stande  ist,  die  gleichen  Ideen- 
combinationen  zu  verfolgen  bei  Nationen,  welche  durch  weite  Meere  und  Gon- 
tinente  von  einander  getrennt  sind. 


340.  Die  flbernatflrliclieii  GeburtshflljDsmittel  bei  den  alten  Culturyolliem 

nnd  iliren  Epigonen. 

Bei  den  alten  Hebräern  galt  die  Lilith  aia  ein  ganz  besonders  gefahr- 
bringender Dämon  für  die  Gebärenden  und  Wöchnerinnen.  (Landau^  Bergel.) 
Sie  wusste  der  Sage  nach  die  Trennung  des  ersten  Menschenpaares  schlau  zu 
benutzen  und  Adam  an  sich  zu  fesseln.  Bald  darauf  aber  entfloh  sie  dem  ihr 
überdrüssig  gewordenen  Liebesverhältnisse  und  wollte  nicht  wieder  zu  Adam  zu- 
rückkehren. Auf  JehovaKs  Befehl  wurde  sie  jedoch  von  den  drei  Engeln  Senoi^ 
Sansenoi  und  Samangdof  aufgesucht  und  ihr  der  Befehl  ertheilt,  sich  wiederum 
mit  Adam  zu  vereinen.  Weigere  sie  sich,  so  solle  sie  täglich  hundert  ihrer 
Kinder  durch  den  Tod  verlieren;  sie  wählte  das  letztere.  Um  den  Verlust  ihrer 
Kinder  zu  rächen,  sucht  sie  immerwährend  neugeborene  Menschenkinder  in  ihren 
ersten  Lebenstagen  zu  erwürgen;  nur  da,  wo  sie  die  Namen  jener  drei  Engel 
findet,  wagt  sie  keinen  feindlichen  Angrifl^. 

Dieser  uralte  Glaube  hat  sich  erhalten,  und  noch  heute  hängen  orthodoxe 
Juden  an  den  Wänden  des  Geburtszimmers  Zettel  auf,  auf  welchen  diese  Namen 
geschrieben  sind.  Schon  in  der  Bibel  (Jesaias  34,  14)  kommt  dieses  Gespenst  vor. 
In  Deutschland  lassen  jetzt  noch  manche  Judenfamilien  einen  Kreidestrich  um 
die  Kreissende  ziehen  und  schreiben  an  die  Thür: 

,Gott  lasse  das  Weib  einen  Sohn  gebären  und  diesem  ein  Weib  werden,  die  der  Eva 
und  nicht  der  Lilith  gleicht." 

Auch  ruft  man  sechs  Männer  aus  der  Synagoge,  welche  in  dem  Gebärzimmer 
beten  müssen.  Die  Jüdinnen  im  bayerischen  Franken  beissen  zur  Erlangung 
einer  leichten  Entbindung  die  Stiele  der  Paradiesäpfel  ab.     (Majer.) 

Von  den  Jüdinnen  in  Bosnien  und  der  Hercegovina  berichtet  Glück: 

,Bei  den  Spaniolinnen  wird  gleich  bei  dem  Eintritte  der  ersten  Wehen  ein  kleiner 
Betrag  als  Almosen  gespendet  und  eine  Schale  Oel,  nachdem  sich  die  Kreissende  in  demselben 


340.  Die  Qbernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  d.  alten  Coltoryölkern  u.  ihren  Epigonen.     243 

wie  in  einem  Spiegel  angeschaut  hat,  in  den  Tempel  geschickt.  Zieht  sich  die  Gebart  in  die 
Länge  und  fürchtet  man,  dass  die  Geb&rende  zu  Grande  gehen  könne,  so  vergräbt  man  ihre 
Kopfbedeckung  im  Grabe  eines  verstorbenen  Anverwandten,  liest  vor  ihr  den  Wochenabschnitt 
aus  dem  Buche  der  Propheten,  öfinet  die  Bundeslade  im  Tempel,  oder  lässt  schliesslich  über 
ihrem  Bette  den  sogenannten  Schofar  blasen  [ein  abgeplattetes  Widderhorn,  das  man  am 
langen  Tage  bläst,  um  die  Barmherzigkeit  Gottes  anzurufen].  Ausser  diesen  specifisch  spa- 
niolischen  Mitteln  werden  selbstverständlich  auch  die  Mittel,  welche  bei  andersgläubigen 
Frauen  gebraucht  werden,  angewendet.* 

Wenn  bei  den  kaukasischen  Juden  die  Geburt  nicht  erfolgen  will,  so 
nimmt  man  Erde  vom  Grabe  einer  Person,  welche  im  Verlaufe  der  letzten  vierzig 
Tage  gestorben  ist,  thut  die  Erde  in  ein  Glas  mit  Wasser  und  giebt  davon  der 
Kreissenden  zu  trinken;  hilft  dieses  Mittel  nicht,  so  holt  man  noch  einmal  Erde, 
aber  tiefer  aus  dem  Grabe,  und  verfahrt  wie  früher.  Aber  dies  geschieht  Alles 
ohne  Wissen  der  Rabbiner,  welche  ein  derartiges  Heilverfahren  nicht  billigen. 
Die  Juden  in  Griechenland  halten  Geschrei  in  der  Nahe  der  Gebärenden  für 
geburtsbefordernd.     (Damian  Georg.) 

In  dem  alten  Griechenland  wendeten  die  Hebammen,  wie  wir  durch  PUxto 
im  Theaitetos  erfahren,  ausser  gewissen  Arzneien  auch  das  Anstimmen  von  Ge- 
sängen an,  ,um  die  Geburtsschmerzen  zu  erregen,  aber  auch  zu  besänftigen,  wenn 
sie  wollen.*^  Licktenstädt  ist  ebenso  wie  SMeiermacher  und  Welcker^  geneigt, 
bei  inäöeiv  an  blosse  Zaubersprüche  zu  denken.  Auch  v.  Siebold  stimmt  dieser 
Ansicht  zu.  Thierf eider  sen.  hat  zu  beweisen  gesucht,  dass  hier  ein  wirkliches 
Absingen  gewisser  Sprüche  und  Worte  Ton  religiöser  oder  mystischer  Bedeutung 
ohne  Zauber  stattfand.     Er  sagt: 

«Theils  aus  dem  Verfahren  des  Thrakischen  Orpheus  und  seiner  Anhänger,  der 
Orphiker,  welche  durch  Gesänge  Krankheiten  heilten,  theils  aus  dem  früheren  Tempeldienste 
des  ÄskUpios  zu  Trikka,  Epidauros,  Melos  und  an  mehreren  anderen  Orten,  theils  aus 
der  noch  zu  Platon's  Zeit,  besonders  an  den  Orten,  wo  Orakel  sprachen,  wie  zu  Harma 
oder  Enopia,  und  bei  grossen  Festen  vorgekommenen  Heilungen  kannte  man  allgemein  die 
grosse  Wirksamkeit  des  religiösen  Gesanges  und  hing  mit  Vertrauen  an  gewissen,  mit  reli- 
giösen Weihen  ausgesprochenen,  vielleicht  oft  unverständlichen  mystischen  Worten,  die  ur- 
sprünglich ein  Gebet  zu  einem  Heilgott,  späterhin,  als  der  ursprüngliche  Sinn  verloren  ge- 
gangen und  Aberglaube  an  die  Stelle  des  Glaubens  getreten  war,  eine  magische  Formel  sein 
mochten,  üebrigens  wird  kein  Kenner  psychischer  Heilkräfte  die  Möglichkeit  der  den  heiligen 
und  magischen  Gesängen  (inqtdaC)  zu  Heilzwecken,  die  ursprünglich  immer  Worte  mit  Gesang, 
im  späteren  Gebrauche  wohl  auch  gesanglose  Worte  {X6yoi)  waren,  zugeschriebenen  Wirkungen 
leugnen.* 

Die  griechischen  Frauen  hielten  während  der  Wehen  einen  Palmenzweig 
in  der  Hand;  da  die  Palme  das  Zeichen  des  Sieges  war,  so  glaubten  sie  auch, 
dass  ein  solcher  Zweig  die  Kraft  besitze,  die  Beschwerden  der  Entbindung  über- 
winden zu  helfen. 

Dass  das  Losen  des  Gürtels  für  einen  die  Geburt  fordernden  Zauber  galt, 
und  dass  deshalb  die  griechischen  Dichter  die  Eüeithya  auch  als  LysiaönS^ 
die  Gürtellösende,  bezeichneten,  ist  schon  weiter  oben  angeführt  worden.  Die 
Erstgebärenden  weihten  ihren  Gürtel  der  Artemis. 

In  Rom  brachten  die  Gebärenden  den  Göttinnen  Lucina ^  Postversa^  Mena 
XX.  s.  w.  Gelübde.  Ging  die  Niederkunft  schwer  von  Statten,  so  glaubte  man  sie  zu 
erleichtem,  wenn  der  Ehemann  unter  Gebeten  seinen  Gürtel  um  die  Frau  gürtete, 
dann  aber  ihn  wieder  abnahm  und  sich  selbst  umlegte.  Auch  warf  man  über 
das  Haus,  in  welchem  die  Gebärende  lag,  einen  Wurfspiess,  durch  welchen  schon 
ein  Mensch,  ein  wildes  Schwein  und  ein  Bär  getödtet  worden;  noch  besser  sollte 
dazu  eine  Lanze  benutzt  werden,  die  aus  dem  Körper  eines  Menschen  gezogen 
worden  war  und  den  Erdboden  nicht  berührt  hatte.  In  Rom  galten  als  Amulete 
für  Gebärende  die  Gebärmutter  der  Maulesel  und  der  Schmutz  aus  deren  Ohren; 
Soranus  sagt,  diese  Dinge  sollen  durch  Antipathie  wirken,  aber  ihre  Wirkung  sei 
trügerisch. 

16* 


244  ^^^-  ^^  Schwergebuiten  im  YolkBglaaben. 

Es  war  im  Alterthum  ein  weitverbreiteter  Aberglaube,  dass  böse  Menschen 
im  Stande  wären,  durch  einen  geschickt  ausgef&hrten  Zauber  die  Entbindung  zu 
stören  oder  gar  zu  vereiteki.  Namentlich  war  es  das  Falten  der  Hände  auf  dem 
Knie  des  einen  Beines,  das  über  das  andere  übergeschlagen  war,  welches  solch 
einen  hemmenden  Zauber  yerursachte.     Plinius  spncht  bereits  davon: 

,Neben  Schwangeren,  oder  wenn  sonst  Jemand  operirt  wird,  zu  sitzen  nnd  die  Finger 
wechselseitig  in  einander  zu  fügen,  ist  ein  Zauber.  Man  sag^,  dies  sei  zuerst  bei  der  Nieder- 
kunft der  Älkmene  mit  dem  Hercules  an  den  Tag  gekommen.  Noch  schlimmer  ist  es,  wenn 
man  die  (so  gefalteten)  Hände  um  ein  oder  beide  Kniee  schliesst;  femer,  wenn  man  das  eine 
Bein  Über  das  andere  schl&gt,  so  dass  Knie  auf  Knie  liegt.  Darum  haben  unsere  Vorfahren 
diese  Stellung  in  allen  Versammlungen  in  Krieg  und  Frieden  imtersagt,  weil  sie  alle  Geschäfte 
hindere.    Auch  verboten  sie,  dass  Jemand  bei  Opfern  oder  Gelübden  sie  so  zeige." 

Aber  schon  in  Homers  Ilias  (19.  114)  wird  auf  diesen  Zauber  angespielt. 
Es  heisst  dort  von  der  kreissenden  AOcmene: 

„Jene  trug  ein  Knäblein  und  jetzt  war  der  siebente  Monat. 

Dies  nun  zog  sie  (die  Hera)  ans  Licht  unzeitig  annoch  und  hemmte 

Dort  der  Älkmene  Geburt,  die  Eileithyia  entfernend.* 

Here  übte  hier  der  Sage  nach  diesen  geschilderten  Zauber  aus,  bis  Gälanthis 
als  Wiesel  in  das  Gebärzimmer  lief  und  Here,  durch  dasselbe  erschreckt,  die 
Hände  aus  einander  nahm.  Nun  war  der  Zauber  gelöst  und  Herakles  war 
geboren. 

In  Schwaben  glaubt  man  auch  heute  noch  an  den  Zauber,  dass,  wenn 
Einer  seine  kleinen  Finger  einhakt,  Weiber  nicht  gebären  können;  deshalb  muss 
man  dies  ebenso  vermeiden,  wie  die  Römer  das  Falten  der  Hände  im  Oeburts- 
zimmer  unterlassen  mussten. 

Vielleicht  ist  es  ein  missverstandener  Nachklang  dieses  Aberglaubens,  wenn 
in  Nieder-Bayern,  wie  Patwer  berichtet,  die  Hebammen  den  Ehegatten  einer 
schwer  niederkonmienden  Frau  veranlassen,  ihre  Kniee  an  einander  zu  drücken. 

Bei  den  alten  Indern  gab  man  nach  Susrtäas  Ayurvedas  der  Kreissenden 
die  Früchte  von  der  Myristica  moschata  in  die  Hand,  um  ihr  die  Niederkunft  zu 
erleichtem;  auch  wurde  sie  von  Knaben  umgeben  und  mit  Segenssprüchen  und 
Glückwünschen  begrüsst.  Konnte  das  Kind  nicht  ausgezogen  werden,  so  sprach 
der  Arzt  eine  Beschwörungsformel: 

„Ambrosia,  Mond,  Sonne  und  Indra's  Pferde  mögen,  o  schmerzensreiche  Gebärende, 
in  Deinem  Hause  wohnen!" 

Hierbei  wurde  von  ihm  insbesondere  Ändta^  der  Gott  des  Feuers,  Pavana, 
der  Gott  der  Winde,  die  Sonne  und  Vasava  (Indra)^  sowie  die  Götter,  denen 
Salz  und  Wasser  gehört,  um  Linderung  für  die  Kreissende  gebeten.  Erst  wenn 
dieses  erfolglos  blieb,  schritt  man  zi|r  Zerstückelung  des  Embryo. 


341.  Die  fibernatttrlichen  GeburtshttUbmittel  bei  den  Deutschen 
und  ihren  Stammesgenossen. 

Von  den  Zaubermitteln  der  alten  Germanen,  welche  die  Entbindung  be- 
fördern sollten,  haben  wir  bereits  gesprochen,  als  wir  von  ihrer  Geburtshülfe 
handelten.  Sicherlich  hat  es  lange  gedauert,  bis  das  Christenthum  dieses  Zaubers 
Herr  geworden  ist.  So  wurde  im  Hennegau'schen  zu  Leptinae  im  Jahre  784 
ein  Goncil  gehalten,  auf  welchem  nicht  weniger  als  30  heidnische  Bräuche  und 
altgermanische  Sitten,  die  nun  plötzlich  zu  Unsitten  geworden  waren,  anathe- 
matisirt  wurden.  Unter  diesen  verbotenen  Gebrauchen  heisst,  wie  Rochhöle  her- 
vorhebt, der  neunzehnte:  «Von  dem  Strohbündel".  Zur  Erklärung  dient 
Folgendes:  Es  ist  bekannt,  dass  die  germanische  Freya^  die  blüthenreiche 
Mutter  der  Erde,  die  Göttin  der  Natur,  nicht  allein  als  Schutzgöttin  der  Liebenden, 
sondern  auch  der  Ehen,   ebenso  als  Schützerin  der  gebärenden  Frauen  galt.     Ihr 


341.  Die  übernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  d.  Deutschen  u.  ihren  Stammesgenossen.    245 

war  das  Labkraut  (Galium  verum)  besonders  heilig,  ein  Kraut,  welches  noch  heute 
im  Volke  als  ,, Unserer  lieben  Frau  Bettstroh''  bezeichnet  wird.  Ein  Strohbündel 
davon,  eben  das  in  jenem  Goncile  verurtheilte,  wurde  schwangeren  Frauen  in  das  Bett 
gelegt,  um  die  Entbindung  zu  erleichtem.  Wenn  nun  nach  dem  Glauben  unserer 
heidnischen  Vor&hren  die  Götter  nicht  selten  in  Gestalt  von  Aehren  und  Halmen 
die  Betten  der  Sterblichen  heimsuchten,  so  dachte  man  sich  in  diesem  Strohbündel 
wohl  die  hohe,  helfende  Göttin  selbst  gegenwärtig.  Und  ab  nach  dem  Einzüge 
des  Christenthums  in  Germanien  die  heilige  Jungfrau  Maria  die  Erbschaft 
der  altgermanischen  Göttin  antrat,  wurde  der  alte  heidnische,  den  christlichen 
Priestern  natürlich  verhasste  Brauch  trotz  aller  Verbote  und  Goncile  noch  lange 
beibehalten,  nun  freilich  unter  ihrem  Schutze,  und  man  nannte  das  Labkraut- 
Bündel  fortan  das  Bettstroh  Unserer  Lieben  Frauen,  oder  auch  das 
„Marien-Bündel''.  Dass  man  übrigens  auch  ganz  im  Einklänge  mit  dem  Gesagten 
noch  in  viel  späteren  Jahrhunderten  aus  dem  Kraute  einen  Trank  bereitete,  „um 
der  kindenden  Frau  Nachwehen  zu  heilen '',  sagt  uns  Brugger^s  handschriftliches 
Receptirbüchlein. 

Aber  auch  übernatürliche  Hülfsmittel  anderer  Art  sollten  die  Entbindung 
erleichtem.     Rueff  führt  in  dem  Kapitel  seines  Hebammenbuches,  welches 

«lehret  etliche  sonderliche  vnd  natürliche  Stück  vnd  Artzneyen,  so  die  natürliche  Ge- 
burt fördern,  leicht  vnd  ring  machen  sollen,  so  sie  wider  den  gemeinen  Brauch  der  Natur 
gehindert  werden** 

unter  anderen  Mitteln  auch  an: 

,Item,  der  Adlerstein,  wie  du  weisst,  gebraucht  vnd  angebunden  an  die  lincke  Hüfft. 
Auch  der  Jaspis  ist  darzu  probirt/ 

Dieser  Adlerstein  oder  Aetites  wird  schon  von  Tlinim  und  später  von 
dem  Bischof  Marbodnis  als  Hülfe  bringend  bei  der  Kiederkimfb  erwähnt.  Nach 
Plinius  wird  er  im  Neste  der  Adler  gefunden,  und  ein  altes  Flugblatt  sagt 
von  ihm: 

.inwendig  ist  er  hohl  und  hat  einen  kleinen  Stein  oder 
Kern  in  sich,  welcher,  so  man  ihn  schüttelt,  einen  Klang  von 
sich  giebt.  Es  seynd  diese  Steine  von  mancherlei  Gestalt, 
etwelche  rund,  etwelche  langlicht  u.  s.  w/ 

In  dem  mittelalterlichen  Steinbuche  aus  der 
Kosmographie  des  Zäkarijä  ihn  Muhammad  ihn  Mah' 
müd  (d-Kaawtni  heisst  es  von  dem  Stein  „Geburts- 
helfer* oder  Mushil  alwiladat: 

^Aristoteles  sagt:  Dies  ist  ein  indischer  Stein.  Wenn 
man  ihn  schüttelt,  hört  man  im  Inneren  das  Geräusch  eines 
anderen  Steins.  Seine  Fundgrube  ist  im  Lande  Hind  in  einem 
Berg  zwischen  der  Stadt  Kumär  und  dem  Meere.  Man  lernte 
seine  Eigenschaft,  die  Entbindung  zu  erleichtem,  durch  den 
Geier  kennen.  Wenn  nÄmlich  für  den  Geier  die  Zeit  des  Eier-  „  Fig.  304.  Adle  rate  in  bei 
legens  herannaht,  geräth  er  in  Folge  der  übermässigen  An-  ?chl?rl°™dt^^^^^ 
strengung  in   die   äusserste   Lebensgefahr,  ja   bisweilen  stirbt  (Nach  Photographie.) 

er  vor  Schmerz.     Unter   diesen  Umständen  fliegt  der  männ- 
liche Geier  zu  jenem  Berg,  nimmt  von  diesem  Stein  und  legt  ihn  unter  das  Weibchen.    Dies 
lernten  nun  die  Leute  von  Hind  vom  Geier,  und  wenn  also  einer  Frau,  welche  die  Geburts- 
wehen peinigen,   von  diesem  Stein  untergelegt  wird,   so  erleichtert  er  ihre  Entbindung,   und 
ebenso  bei  jedem  Thier.*    (Buska,) 

Nach  demselben  arabischen  Autor  giebt  es  auch  noch  mehrere  andere 
Steine,  welche  die  Niederkunft  erleichtern,  wenn  man  sie  der  Kreissenden  an  den 
Schenkel  bindet.  Das  thut  z.  B.  der  Onyx,  die  Meerbutter,  und  der  Smaragd. 
Der  letztere  schützt  die  Gebärende  zugleich  vor  der  Fallsucht,  also  vor  den 
während  der  Entbindung  bisweilen  vorkommenden  eklamptischen  Zufällen.  Der 
Magnet  befördert  ebenfalls  die  Geburt,  wenn  »ihn  eine  Frau,  welche  in  Wehen 
liegt,  an  ihre  rechte  Brust  hängt ''.     {Bushx) 


246  LIV.  Die  Schwergeburten  im  Volksglauben. 

Ein  schönes  Exemplar  eines  Adlersteines,  welches  sich  in  dem  Besitze  eines 
.Bauerndocters''  in  der  Nähe  von  Reichenhall  in  Bayern  befand,  und,  wie  der 
Augenschein  lehrt,  viel  in  Gebrauch  gewesen  ist,  hat  Herr  von  CMingensperg-Berg 
in  Kirchberg  bei  ßeichenhall  dem  Museum  für  deutsche  Volkstrachten 
und  Erzeugnisse  des  Hausgewerbes  in  Berlin  als  Geschenk  überwiesen. 
Dieser  in  Fig.  304  fast  in  natürlicher  Grosse  dargestellte  Stein  hat  eine  flach- 
gedrückte Bimenform;  seine  Oberfläche  ist  uneben  und  hockerig,  und  an  einzelnen 
Stellen  bemerkt  man,  dass  von  derselben  etwas  abgeschabt  worden  ist,  vermuthlich, 
um  es  als  innerliches  Medicament  zu  verabreichen.  Es  ist  ein  braungelber  Thon- 
eisenstein  mit  einem  lockeren  Kern  in  der  Mitte,  ein  sogenannter  Klapperstein. 
Ein  schmaler,  ausgezackter  Streifen  von  Messingblech  umhiebt  seinen  Rand,  und 
derselbe  besitzt  oben  einen  Ring,  so  dass  der  Stein  als  Anhänger  getragen  werden 
kann.  Auch  er  wurde  also  wahrscheinlich  mit  Hülfe  dieser  Oese  auf  die  linke 
Hüfke  gebunden. 

Bei  Tabernaemontaniis  heisst  es:  Natterwurz  auf  die  Dieche  (Hüfte)  ge- 
bunden soll  behülflich  sein  den  Weibern,  welchen  das  Gebären  hart  ankommt. 
(Grimm,) 

Aus  einer  Wolfsthurner  Handschrift  des  15.  Jahrhunderts  veröffentlicht 
Oswald  von  Zingerle  folgenden  Segen: 

,Daz  ain  fraw  ringklich  nider  chöm. 

Das  ein  fraw  ringklich  oder  leichtlich  nider  komm,  so  soll  man  diese  wort  schreiben 
an  ein  zedel  vnd  lege  sie  der  frawen  auff  denn  bauck;  De  viro  vir,  de  virgine  virgo,  vicit  leo 
de  tribu  Juda,  Maria  peperit  Christum,  Elizabeth  sterilis  Johannem  baptistam. 
Adjuro  ie,  infans,  per  patrem  et  filium  et  spiritum  sanctum,  si  masculus  es  vel  femina,  ut 
ezeas  de  wulua.    Ezinanite,  ezinanite! 

Vnd  wann  das  kint  geboren  ist,  so  soll  mann  alsbalde  die  zedel  von  der  frawenn  lejb 
nemmen  mit  den  geschribnenn  werten.* 

Man  würde  einem  grossen  Irrthume  verfallen,  wenn  man  glaubte,  dass  solch 
ein  Aberglaube  heute  in  Deutschland  unmöglich  wäre.  In  Bayern  fand 
J".  Ä  Schmidt  bei  schweren  Geburten  unter  dem  Kopfkissen  der  Frau  ein  Tuch, 
welches  ein  Gebetbuch  enthielt,  betitelt:  „Geistliche  Schildwacht''.  Gedruckt  im 
Jahre  1840  bei  Louis  Enslin;  darin  steht: 

,,Wer  dies  Gebet  bei  sich  trSgt,  der  stirbt  nicht  plötzlich  etc.,  und  jede  schwangere 
Frau  wird  leichtlich  gebären  und  das  Kind  vor  Gott  und  Menschen  angenehm  sein.*" 

Auch  muss  man  daselbst  nach  Hoefler  etwas  von  einem  Frauenthaler  ab- 
schaben und  dieses  einnehmen,  um  schwere  Entbindungen  zu  erleichtem. 

In  Schwaben  rufen  die  Schwangeren  den  heil.  Christophortis,  die  Kreissen- 
den den  heil.  Bochus  an,  wenn  sie  vergebens  natürliche  Mittel  angewendet  haben. 
Auch  legt  man  Gebärenden  Geierfedem  unter  die  Füsse. 

Vor  Allem  aber  wird  die  heilige  Margarethe^  die  den  Drachen  an  ihrem 
Gürtel  fuhrt,  angerufen.  St  Margaretha  hat  den  »lösenden  Gürtel*.  Man  nimmt 
eine  Schnur,  oder  ein  Schnupftuch,  bindet  es  der  Kreissenden  in  den  drei  höchsten 
Namen  um  die  Hüften  und  lässt  sie  unter  Anrufung  der  heil.  Margaretha  pressen. 
Dies  erinnert  an  den  Gürtel  der  Juno  Lucina  und  an  den  Starkegürtel  der  Gridur, 
Greth  oder  Graith;  auch  wallfahrtet  man  in  Schwaben  zur  Erleichterung  der 
Geburt  nach  „Maria  Schrei*  bei  PfuUendorf.  (Bück,)  Dieser  Gürtel  der  Ge- 
bärenden aus  halbzollbreitem  Hirschleder  mit  einer  Schnalle  zum  Schnüren  ist 
noch  in  der  Gegend  von  Aulen dorf  in  Schwaben  allgemein  im  Gebrauch; 
und  auch  anderwärts  in  Schwaben  werden  gegen  Krämpfe  und  wilde  Wehen 
aus  Werg  oder  Hanf  gedrehte  Bänder  um  den  Leib  je  ein  bis  zwei,  und  um  die 
Beine,  die  Arme  und  den  Kopf  je  eins  gelegt;  man  darf  sie  nicht  an-  oder  ab- 
streifen, man  soll  sie  „unverdanks*  verlieren.     (Birlinger,) 

In  Schildturn,  wo  die  drei  heiligen  Jungfrauen  Ainbeth^  Barheth  und 
WiUbeth  verehrt  werden,   erlangen   unfruchtbare  Eheleute  Kinder   und  gebärende 


341.  Die  übernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  d.  Deutschen  u.  ihren  StammQsgenossen.  247 

Frauen  eine  glückliche  Entbindung,   wenn  sie  die  dortige  silberne  Wi^e  in  Be- 
wegung setzen.    (Panzer.) 

Auch  in  Steyermark  giebt  es  viele  sympathetische  Mittel  zur  Erleichterung 
der  Geburt.  Beim  Herannaheu  der  Wehen  legt  man  gewisse  Gegenstände  unter 
das  Kopfkissen,  betet  zur  heiligen  Margaretha^  oder  zum  heil.  Rochtis^  oder  trinkt 
„Johanniswasser^^  (das  am  Tage  Johann,  Evang,^  d.  h.  am  27.  December  geweiht 
wurde).  Auch  kleben  sich  Kreissende  Heiligenbilder  auf  den  Leib,  halten  ein 
Gebetbuch  in  den  Händen,  z.  B.  die  vorher  schon  erwähnte  „Geistliche  Schild- 
wacht^^  Gegen  schwache  Geburtswehen  wird  eine  Gemsrose,  das  ist  eine  zur 
Brunstzeit  beim  Gemsbock  dicht  hinter  der  Kniekehle  angeschwollene  Drüse  von 
penetrantem  Gerüche,  der  Kreissenden  in  die  Hand  gegeben.  Die  Drüse  wird  zu 
diesem  Zwecke  von  den  Jägern  ausgeschnitten  und  getrocknet.  Bei  verzögerter 
oder  schwerer  Niederkunft  lässt  die  Hebamme  die  Kreissende  dreimal  um  einen 
Tisch  herumgehen,  bindet  ihr  einen  „Frauenbindthaler^^  oberhalb  des  Handgelenks 
auf  oder  lässt  sie  abgeschabte  Theilchen  von  einem  solchen  Thaler  einnehmen  (zu 
Nebelbach).  Zur  Erleichterung  der  Entbindung  legen  sich  im  Ennsthale 
Frauen  einen  Nattembalg,  einen  Hasenbalg  oder  die  Haut  eines  zwischen  den 
Frauentagen  geschossenen  Hirsches  um  den  Leib.  Weibermilch,  heimlich  der 
Kreissenden  eingegeben,  hilft  die  Wehen  verkürzen.  Eine  Mannsperson  muss  ein 
Stück  unvollständig  gespaltenes  Brennholz  regelrecht  spalten  (in  Köflach),  und 
im  Ennsthale  muss  Jemand  eine  Schindel  auf  dem  Dache  umwenden  und  ver- 
kehrt wieder  hineinstecken. 

Während  der  Geburt,  so  glaubt  man  in  der  Rheinpfalz,  vertreibt  die  so- 
genannte Rose  von  Jericho,  in  Wasser  getaucht  und  zum  Riechen  gegeben, 
die  heftigen  Schmerzen.  Sie  trägt  den  Namen  Rosa  oder  Anastatica  Hierochun- 
tina  und  heisst  in  Bologna  Muttergottesrose  (Rosa  della  Madonna),  und  auch 
hier  schreibt  ihr  das  Volk  die  wunderbare  Eigenschaft  zu,  die  Niederkunft  zu  er- 
leichtem. Ab  Grund  giebt  man  an,  dass  sie  bei  feuchtem  Wetter  ihre  Stengel 
nach  allen  Seiten  ausbreitet,  bei  heiterem  aber  kugelförmig  zusammenzieht,  und 
sie,  wenn  sie  auch  trocken  ist,  von  Neuem  ausdehnt,  sobald  sie  in  laues  Wasser 
gelegt  wird.  Sobald  daher  in  der  Gegend  von  Bologna  bei  einer  Kreissenden 
die  ersten  Wehen  eintreten,  stellt  man  diese  Rose  mit  der  Wurzel  ins  Wasser,  da 
man  glaubt,  dass  in  der  Zeit,  welche  die  Rose  braucht,  um  sich  auszudehnen,  alle 
Schmerzen  vorübergehen,     {v.  Reinsherg-Düringsfeld.) 

Im  Harz  muss  eine  Schwangere,  wenn  sie  über  die  rechtmässige  Zeit 
hinausgeht,  Hafer  in  ihre  Schürze  thun  und  denselben  einem  Schimmel  zu 
fressen  geben  und  ihn  dabei  bitten,  für  ihre  baldige  Entbindung  zu  sorgen.  Dieser 
Gebrauch  findet  sich  schon  in  der  »Gestriegelten  Rocken-Philosophie*  (von  Prä- 
torius)  vom  Jahre  1709,  einem  Buche,  welches  die  Thorheiten  des  in  Deutsch- 
land grassirenden  Aberglaubens  zu  bekämpfen  suchte.  Sicherlich  klingt  hier  noch 
das  alte  Heidenthum  nach,  denn  der  Schimmel  galt  den  Germanen  als  des 
Wodan  heiliges  Thier  und  ein  Pferdehaupt  schützte  sie  vor  dem  bösen  Zauber 
TJebelwollender  und  vor  den  Dämonen. 

Im  Yoigtlande  Hessen  sich  früher  die  Kreissenden  von  dem  Nachtwächter 
ein  geistliches  Lied  vorsingen,  der  ungeheissen  sich  zu  diesem  Zwecke  bei  ihnen 
einstellte.  Jetzt  macht  man  alle  Schlösser  im  Hause  auf,  reicht  der  Frau  Kümmel, 
der  zu  Johanni  um  die  zwölfte  Stunde  gepflückt  wurde;  auch  räuchert  man  sie 
mit  Zwiebeln,  pröpelt  und  legt  den  Segen  auf  die  Brust  der  Mutter.*     (Köhler.) 

Wenn  in  Pommern  eine  Frau  nicht  gebären  kann,  so  muss  man  nach 
Jahn  auf  einen  hölzernen  Teller  schreiben: 

,Mit  Gott  dem  Vater  such'  ich  Dich, 

Mit  Gott  dem  Sohn  find'  ich  Dich. 

Mit  Gott  dem  heiligen  Geist  vertreib'  ich  Dich." 


248  ^^'  ^io  Schwergeburten  im  Volksglauben. 

Danach  muss  misui  es  mit  Wein  abwaschen  und  der  Frau  zu  trinken  geben. 
Auch  gewisse  mystische  Buchstaben  schreibt  man  auf  und  lässt  sie  in  gleicher 
Weise  trinken,  oder  legt  es  zu  der  Gebärenden. 

Bei  den  Sachsen  in  Siebenbürgen  soll  kurz  vor  der  Entbindung  die 
schwangere  Frau  von  einer  Truhe  springen,  in  eine  gläserne  Flasche  blasen,  oder 
mit  den  Füssen  an  die  Thüre  stossen,  dann  geht  die  Geburt  leichter  von  Statten. 
(ßchurosch)  Sobald  die  Niederkunft  beginnt,  werden  alle  Schlösser  an  Thüren 
und  Kästen  im  Hause  sofort  aufgeschlossen. 

In  Rosenau  legte  mau  vor  50  Jahren  der  Gebärenden  einen  Silberzwanziger 
und  etwas  Dillkraut  in  das  Bett  und  sie  sagte  dann:  ,Ech  läien  äf  Salver  och 
Dali,  men*  kän'd  sol  sen,  wä  ech  wäll."  Wenn  die  Gebärende  vor  dem  Herde 
niederkniet,  so  geht  die  Geburt  leichter  von  statten  (Deutsch-Kreuz).  Geht 
die  Geburt  schwer  vor  sich,  so  wäscht  man  die  Glocke  auf  dem  Kirchthurm  ab 
und  giebt  der  in  Geburtswehen  befindlichen  Frau  von  diesem  Wasser  zu  trinken. 
(St.  Georgen.     HiUner) 

Auch  in  Norwegen  werden  nach  Liebrecht^  wenn  die  Entbindung  bevor- 
steht, alle  Knoten,  die  sich  im  Hause,  z.  B.  an  Kleidern  u.  s.  w.  befinden,  auf- 
gemacht. Wenn  es  den  Anschein  hat,  dass  die  Niederkunft  eine  schwierige  sein 
würde,  so  -muss  der  Ehemann  einen  Schlitten,  einen  Pflug  oder  etwas  der  Art 
entzwei  hauen. 

Ebenso  darf  bei  den  Lappen  nach  FtiUner  keine  gebärende  Frau  einen 
unaufgeknüpften  Knoten  an  ihrer  Kleidung  haben. 

Äsbjömson  sagt,  dass  das  schon  den  Alten  bekannte  Zusammenf&gen  der 
Hände  um  die  Kniee,  um  die  Entbindungen  zu  hindern,  auch  norwegischer 
Aberglaube  sei.  Grundtvig  meint  aber,  dass  dieser  Zug  durch  unwillkürliche 
Schulreminiscenz  in  die  Sage  des  Volkes  beim  Aufzeichnen  derselben  hineinge- 
kommen wäre. 

In  Holland  werden  die  witte  Juffers  von  den  witten  Wibern  unter- 
schieden, die  einen  ganz  entgegengesetzten  Charakter  haben  sollen;  während  die 
ersteren  oft  Gebärende  und  Kinder  entführen,  stehen  die  witten  Wiber  den  Kind- 
betterinnen hülfreich  zur  Seite.    (Wolff.) 

Bei  der  vlämischen  Bevölkerung  von  la  Campina  (Kempen)  in  der 
belgischen  Provinz  Brabant  werden  bei  der  Niederkunft  ängstlich  alle  Aus- 
gänge des  Zimmers  geschlossen,  in  dem  sich  die  Gebärende  befindet,  damit  eene 
kwade  band  nicht  unter  irgendwelcher  angenommenen  Gestalt  heimlich  herum- 
schleichen könne.  Ist  die  Entbindung  schwer,  so  hängt  man  der  Kreissenden  ein 
geweihtes  Band  mit  einer  Reliquie  an  den  Hals,  welche  fast  jede  Familie  besitzt 
und  als  Schatz  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  bewahrt,  Soll  die  Hebamme  oder 
ein  Arzt  geholt  werden,  so  geht,  wenn  es  spät  Abends  oder  Nacht  ist,  der  Bauer 
sicherlich  nicht  allein,  sondern  nimmt  sich  einen  oder  zwei  Begleiter  mit,  die 
sich  gleich  ihm  mit  tüchtigen  Stöcken  bewaffnen,  um  sich  gegen  jeden  Zauber 
schützen  zu  können,    (v.  Düringsfeld.) 


842.  Die  fibernatflrlicheii  GeburtshüllDsimittel  bei  den  romanischen 

Tolkem. 

Uebernatürliche  Hülfsmittel  zur  Beförderung  der  Geburt  sind  schon  in  dem 
mittelalterlichen  Italien  gebräuchlich  gewesen.  So  empfahl  Trotula  das  Halten 
eines  Magnets  in  der  rechten  Hand,  Korallenschnüre  um  den  Hals  zu  legen,  das 
^  Album  quod  invenitur  in  stercore  accipitris*,  einen  im  Bauche  oder  Neste  der 
Schwalbe  gefundenen  Stein  zu  tragen  u.  s.  w.  Von  Franz  von  Piemont^  Lehrer 
zu  Neapel  (um  1340),  werden  mit  grossem  Vertrauen  als  geburtsfördemd  gerühmt: 
Magnesia  mit  Esels-  und  Pferdeklaueuasche  bestreut,  in  die  linke  Hand  genommen; 


843.  Die  übernatürlichen  GebortshülfBinittel  bei  den  Völkern  Russlands  u.  den  Slaven.      249 

der  Psalm  ^Miserere  mei  Domine''  bis  zu  den  Worten  vDomine  labia  mea  aperis'' 
wurde  von  der  Gebärenden  getrunken,  indem  derselbe  erst  mit  Feder  und  Tinte 
niedergeschrieben,  dann  mit  Wasser  abgespült  und  nun  eingegeben  wurde!  In 
das  rechte  Ohr  wurde  «Memor  esto  Domine*  u.  s.  w.  nebst  drei  Paternoster  ge- 
sprochen; oder  es  wurde  das  ,|Dixit  Dominus  Domino  meo*  auf  „ Charta  non  na^** 
geschrieben,  von  einer  Jungfrau  mit  einem  wollenen  Faden  durchzogen  und  um 
den  Hals  der  öebärenden  gehängt. 

Vielfach  wurden  bei  gefahrlichen  Entbindungen  geweihte  Heiligenbilder  oder 
Reliquien  umgehängt  oder  verschluckt,  (v.  Siebold.)  In  dem  Buche  «Lilium  medi- 
cinae^  fuhrt  der  Lehrer  zu  Montpellier,  Semard  von  Gordon  (1285),  unter  den 
geburtsfSrdemden  Mitteln  besonders  auch  „superstitiosa"  auf;  und  der  Lehrer  zu 
Oxford,  Johannes  Gaddesken  {ISOQ)^  rühmt  in  seiner  «Rosa  anglica'^  ebenso  wie 
die  Trotüla  Magnete  und  Korallen. 

Bei  den  heutigen  Italienern  sind  nach  Nicolai  die  sogenannten  Gonceptions- 
zettel  von  besonderer  Wichtigkeit  für  die  Empföngniss  und  für  die  Geburt,  wenn 
dieselben  mit  dem  heiligen  Dreikonigs- Wasser  benetzt  worden  sind,  und  wenn 
nachher  ein  Gebet  zu  Ehren  der  Geburt  Christi  und  der  unbefleckten  Empfängniss 
Maria,  oder  drei  Vaterunser,  drei  Ave  Maria  und  dreimal  «Sei  Gott  dem 
Vater  u.  s.  w/  sanmit  einem  Glauben  und  darauf  ein  volles  Amen  gefolgt 
sind.  Wenn  die  Frau  kurz  vor  der  Niederkunft  einen  solchen  verschlingt,  so  soll 
das  Kind  denselben  öfters  mit  auf  die  Welt  bringen,  indem  er  entweder  an 
der  Stirn  oder  zwischen  den  Lippen  oder  zwischen  den  Fingern  des  Neugeborenen 
sitzt,    {Finke), 

Im  Modenesischen  muss  man  nach  Biccardi  bei  schwerer  Entbindung 
geschwind  eine  schwarze  Henne  schlachten,  sie  ausnehmen,  halb  durchtheilen 
und  der  Kreissenden  nach  Art  einer  Haube  auf  den  Kopf  setzen,  dann  wird  alles 
gut  gehen. 

Aus  den  Provinzen  Belluno  und  Treviso  berichtet  Bastanei^  dass  man 
zur  Erleichterung  der  Geburt  am  Bettpfosten  ein  Bildniss  von  S.  Libero  be- 
festigte, so  dass  es  den  Kopf  der  Kreissenden  berührt  (perche  la  paziente  possa 
al  piü  presto  liberarsi).  Auch  das  umgürten  der  Gebärenden  mit  dem  geweihten 
Strick  des  heiligen  Franciscus  beschleunigt  die  Entbindung.  Ein  ferneres  Mittel 
besteht  darin,  dass  man  in  eine  mit  glühenden  Kohlen  gefüllte  Wärmpfanne  wirr 
durch  einander  am  Ostertage  geweihte  Olivenblätter,  Wachskerzen,  Heiligen- 
und  Madonnenbilder  aus  Papier,  Hühnerfedem  und  Haare  von  dem  Ehegatten 
wirft  und  damit  die  Kreissende  von  unten  nach  oben  räuchert.  Als  sehr 
wirksam  wird  es  auch  betrachtet,  wenn  man  der  Frau  ein  Grucifix  auf  den 
Magen  legt. 

In  Frankreich  glaubt  man  die  Niederkunft  zu  befördern  und  zu  erleichtem, 
wenn  man  den  Gürtel  der  Frau  an  die  Glocke  der  Kirche  bindet  und  diese  drei 
Schläge  läuten  lässt.  (Boddin.)  Es  soll  auch  in  der  Meinung  des  französischen 
Volkes  die  Geburt  sehr  befördern,  wenn  die  Ehefrau  die  Hosen,  die  Strümpfe  oder 
die  Stiefeln  ihres  Mannes  anlegt.    (Thiers.) 


343.  Die  ttbematflrlichen  Oeburtshttlfsmittel  bei  den  Völkern  Basslands 

und  den  Slaven. 

Bei  den  Völkern  Russlands  herrschen  noch  vielerlei  mystische  Gebräuche 
zur  Erleichterung  der  Niederkunft.  Im  Gouv.  Wilna  z.  B.  halt  die  Hebamme 
der  Kreissenden  ein  angezündetes  Wachslicht  vor  das  Gesicht;  ausserdem  klopft 
sie  mit  einem  Besen  an  die  Zimmerdecke;  sie  wendet  sich  damit  an  den  Haus- 
geist^ den.  Beschützer  der  Familie.  In  ähnlicher  Weise  klopft  die  Kreissende 
während  der  Wehen  dreimal  mit  der  Ferse  an  die  Schwelle  der  Hütte.    In  Klein- 


250 


LIV.  Die  Schwergeburten  im  Volksglauben. 


Russland  beobachtet  man  die  Sitte,  die  Kreissende  über  eine  Ofenbrücke  nnd 
eine  Schaufel  zu  fahren.  In  einen  Aermel  des  Hemdchens,  welches  dem  Neu- 
geborenen angezogen  wird,  bindet  man  ein  Stückchen  Ofenlehm,  einige  Kohlen 
und  etwas  Kleingeld.  An  einigen  Orten  in  Süd-Russland  föhrt  man  bei  schweren 
Geburten  die  Kreissende  an  einen  Tisch,  dessen  Rand  mit  Salz  bedeckt  ist.  Man 
ist  aber  bemüht,  den  Zeitpunkt  der  Geburt  vor  den  Verwandten  zu  verheimlichen. 
(Sunjsow.)  Im  Gouv.  Poltawa  fuhrt  man  die  Frau  über  einen  rothen  Gürtel. 
In  den  Gouy.  Charkow  und  Perm  erheben  die  Hausgenossen  einen  falschen 
Lärm  und  schreien  Feuer!  An  vielen  Orten  Russlands  und  Serbiens  öffnet 
man  im  ganzen  Hause  alle  Schlösser,  bindet  alle  Knoten  auf  und  löst  den  ge- 
flochtenen Zopf  auf.  Meist  sucht  die  Frau  sich  zu  verbergen,  um  dem  «bösen 
Blick"  zu  entgehen. 

Wenn  im  Stawropoler  Gouvernement  eine  Frau  zu  kreissen  beginnt,  so 
erscheint  die  ihr  als  Hebamme  dienende  alte  Frau  im  Hanse  und  betet  vor  den 
Heiligenbildern.     Darauf  führt   sie  die  Kreissende  durch    das  Zimmer   und    durch 


Fig.  305.    Kreissende  Bassin  (Stawropoler  Gouvernement), 
zur  Erleichterung  der  Entbindung  über  die  Füsse  ihres  am  Boden  liegenden  Gatten  fortschreitend. 

(Nach  Pakrowsky.) 


das  ganze  Gehöft;  und  sagt  zu  ihr:  „Betrachte  dir,  meine  Liebe,  den  Ort,  wo  du 
gebären  sollst.^^  Obgleich  der  Gebärenden  bereits  die  Füsse  versagen,  muss  sie  doch, 
von  noch  einer  anderen  Frau  unterstützt,  weiter  umhergehen,  und,  um  eine  schwere 
Entbindung  zu  erleichtern,  muss  der  Mann  sich  mit  dem  Gesichte  auf  die  Erde 
legen  und  die  Frau  muss  über  ihn  hinwegsteigen  (Fig.  305).  Dieser  Gebrauch 
des  Hinwegschreitens  über  die  Füsse  des  Ehegatten  oder  auch  über  die  Thür- 
schwelle  findet  sich  nach  Barsow's  Aussage  auch  im  Rjäsanskischen  Gouverne- 
ment. Im  Wiätkaischen  Gouvernement  führt  man  nach  der  Angabe  Ossohin's 
die  Ereissende  ebenfalls  umher  und  legt  ihr  zur  Erleichterung  der  Entbindung 
das  Krummholz  des  Pferdegeschirrs  in  das  Bett.     (PokrowsJcy.) 

Im  Dorfe  Korablenko  (Gouvernement  Rjäsan)  werden  bei  schweren  Ge- 
burten Trauungslichter  angezündet;  man  giebt  der  Gebärenden  Hafer  zu  trinken 
und   löst   ihr   die  Haarzopfe  auf.     Am   Flusse    Orel   (Russland)    werden   nach 


843.  Die  übomatürlichen  Geburtshalfsmittel  bei  den  Völkern  Rasslands  u.  den  Slaven.     251 

Barsaw  die  Schlosser  aufgemacht  und  die  Säcke  geöfiPnet;  hilft  das  nicht,  so 
wird  der  Geistliche  um  den  „Kirchengürtel*  gebeten,  damit  die  Ereissende 
mit  demselben  umgürtet  werde.  Der  Gürtel,  dessen  wichtige  Bedeutung  in  allen 
Regionen  des  Ostens  bekannt  ist,  spielt  auch  heute  noch  eine  grosse  Bolle.  Ohne 
Zweifel  lasst  sich  dieser  Brauch  auf  folgende  Thatsache  aus  alter  Zeit  zurück- 
fuhren: 

In  dem  Buche  Ton  JEZer&er^^ß/m,  Rerum  Moscovitarum  Comentarii  (Basi- 
leae  1556),  findet  sich  in  dem  Abschnitte  «de  feris*,  welcher  vom  Unterschiede 
des  Ur  und  Bison  handelt,  folgende  Stelle,  nachdem  zuvor  die  Rede  von  dem 
TJr  war,  dem  Stammvater  unseres  zahmen  Rindes,  dessen  feste  Haut  gerühmt  wird: 

,Hoc  certum  est,  in  precio  haberi  cingnlos  ex  uri  corio  factos  et  persuasum  est  vulgo 
honun  praecinctae  partam  promoveri.  Atque  hoc  nomine  regina  Bona,  Sigismundi  Äugusti 
mater,  duos  hoc  genus  cingnlos  mihi  dono  dedit:  quorum  alterum  serenissima  domina  mea 
Romanorum  Regina,  sibi  a  me  donatnm,  clementi  anima  accepit/ 

Das  Anzünden  der  Hochzeitskerze  vor  dem  Muttergottesbilde  ist  auch  in 
Orel  gebräuchlich,  aber  ausserdem  wird  dort  auch  noch  der  Pope  gebeten,  das 
Haupttnor  der  Kirche  zu  offnen. 

Im  Gouvernement  Archangelsk  trinkt  die  Frau  Wasser,  über  das  Zauber- 
formeln gesprochen  sind,  in  denen  es  heisst:  die  Mutter  Gottes  möge  herunter- 
steigen vom  himmlischen  Throne,  sie  möge  ihre  goldenen  Schlüssel  nehmen  und 
bei  der  Dienerin  Gottes  N.  N.  das  fleischliche  Thor  offnen  und  das  Kind  auf  die 
Welt  herauslassen.     Mit  demselben  Wasser  wird  die  Kreissende  gewaschen. 

In  Ehstland  muss  nach  Demic  die  Kreissende  eine  Schüssel  auf  ihren 
Knieen  halten,  aus  welcher  die  anderen  essen  müssen.  Auch  giebt  man  dort  dem 
Ehegatten  des  Abends  viel  Bier,  das  mit  Ledum  palustre  gemischt  ist,  zu  trinken, 
und  wenn  er  dann  fest  eingeschlafen  ist,  so  kriecht  die  Kreissende  heimlich 
zwischen  seinen  Beinen  durch. 

Bei  den  Letten  spielen  Beschworungen  bei  zögernder  Entbindung  eine 
grosse  Rolle.  Alksnis  hat  uns  einige  derselben  mitgetheilt.  Auf  die  Eröffnung 
des  Muttermundes  beziehen  sich  wahrscheinlich  die  folgenden: 

«Wanderer,  Wanderer,  stehe  auf,  setze  dich  in  den  Wagen,  nimm  die  Leine  in  die 
Hand,  fahre  nach  Hanse!  Eilet,  eilet,  die  Pforte  zu  Gfiiien!  Jetzt  fahren  Edelleute,  wie 
Fische  in  der  Du  na!* 

Oder: 

„Schliesse  anf,  Jesus,  die  Bergpforte!  Der  Reisende  steht  schon  auf  dem  Wege,  damit 
er  hindurchschreiten  kann!" 

Auf  das  Hervorwölben  der  Fruchtblase  spielt,  wie  es  scheint,  die  folgende 
Beschwörung  an: 

.Schiesse  hervor,  grüner  Hecht,  aus  dem  See!  Herren  fahren,  Herren  fahren,  die 
goldenen  Segel  wOlben  sich!' 

Der  grüne  Hecht  sowohl  als  auch  die  Herren  sollen  das  auf  der  Wanderung 
in  das  Leben  befindliche  Kind  bedeuten,  während  die  goldenen  Segel  die  Ei- 
häute sind. 

TJm  vernünftige  Kinder  zu  haben  und  leicht  zu  gebären,  bindet  bei  den 
Serben  die  Braut  schon  vor  dem  Gange  in  die  Kirche  zur  Trauung  alle  Knoten 
an  den  Kleidern  auf.  Bei  der  Niederkunft  werden  ebenfalls  an  den  Kleidern  alle 
Knoten  aufgebunden,  und  selbst  das  geflochtene  Haar  wird  aufgelöst.  Vor  dem 
Gebären  muss  die  Frau  aus  den  Schuhen  ihres  Mannes  Wasser  trinken.  Auch 
wird  durch  die  Hemdbrust  ein  Ei  auf  den  Boden  geworfen,  nachher  wird  das 
Hemd  von  oben  nach  unten  zerrissen.  Ueber  die  Frau  wird  ein  Gewehr  losge- 
schossen, um  das  Kind  im  Mutterleibe  zur  Bewegung  anzuspornen.  Oder  es  wird 
ein  Sack  auf  die  linke  Seite  umgekehrt  und  aus  diesem  muss  die  Frau  Wasser 
trinken.  Auch  wird  durch  das  Hemd  ein  wenig  Pulver  auf  das  Feuer  geworfen. 
Femer  trägt  der  Serbe  seine  Frau   bei   der  Niederkunft   ein   wenig  im  Zimmer 


252  LIY.  Die  Schwergeborten  im  Volksglauben. 

herum,  wobei  er  spricht:  «Ich  gab  Dir  die  Last,  ich  will  Dich  auch  von  der- 
selben befreien.'  Dann  blast  er  ihr  auch  dreimal  in  den  Mund  und  die  Frau 
thut  dasselbe  ihrem  Manne;  dieses  muss  aber  so  angestellt  werden,  dass  der  Mann 
sich  nicht  erinnert,  warum  sie  dies  thut.  Zu  demselben  Zweck  zieht  man  die 
Frau  durch  einen  Reif  hindurch,  welcher  von  selbst  an  ;einem  Fass  gesprungen 
ist.  Wenn  die  Wehen  anfangen,  stark  zu  werden,  so  muss  die  Gebärende  in  ein 
Rohr  blasen;  auch  muss  sie  aus  dem  Munde  ihres  Mannes  Wasser  trinken.  Die 
gebärende  Frau  wird  mit  einem  Stocke,  durch  welchen  man  einen  Frosch  von 
einer  Schlange  befreit  hat,  auf  ihre  Kreuzgegend  geschlagen.  Dies  Mittel  wird 
als  besonders  günstig  betrachtet,  nicht  nur  für  die  Frauen,  sondern  auch  far  die 
gebärenden  Thiere.  Der  Mann  stellt  sich  in  die  Mitte  des  Zimmers  und  die  Frau 
muss  zwischen  seinen  Beinen  hindurchkriechen,  während  er  sie  mit  dem  Hoch- 
zeitskleid auf  die  Kreuzgegend  schlägt.    (Petrawitsch.) 

Unter  den  Zaubermitteln,  welche  die  südslavischen  Hebammen  in  Bos- 
nien, in  der  Hercegovina  u.  s.  w.  nach  dem  Bericht  von  Krauss^  anwenden, 
ist,  ausser  den  hier  angeführten  Mitteln  und  dem  Beten  eines  Vaterunsers,  Fol- 
gendes zu  melden:  sie  kochen  10  Eier  so  lange  in  siedendem  Wasser,  bis  die 
Eier  ganz  zerspringen;  dann  geben  sie  der  Gebärenden  das  Wasser  zu  trinken. 
Man  löst  jeden  Knoten  an  ihren  Kleidern  und  flicht  ihr  Haar  aus  einander.  Man 
beräuchert  die  Kreissende  mit  gerösteten  Meerzwiebel-Schalen.  Man  lässt  sie  aus 
ihres  Mannes  Hemd  unberührtes  und  sonst  zu  gar  nichts  gebrauchtes  Quellwasser 
trinken.  Auch  lässt  man,  wie  in  Serbien,  ein  Ei  durch  den  Busen  faUen  und 
zerreisst  ihr  das  Hemd  tooi  Busenlatz  bis  zum  Randsaum.  Hier  tritt  auch 
wiederum  ein  Brauch  auf,  der  an  einen  ähnlichen,  im  Harz  heimischen  erinnert 
(dass  ein  Pferd  aus  dem  Schoosse  Kreissender  frisst):  Wenn  das  Weib  zur  Zeit 
ihrer  Schwangerschaft  weidende  Stuten  sah,  befürchtet  man,  sie  könnte  wie  eine 
Stute  elf  Monate  schwanger  gehen.  Damit  dies  nicht  geschieht,  führt  man  ihr 
ein  männliches  Füllen  zu,  dem  sie  in  ihrem  Schoosse  über  die  Hausschwelle  Salz 
zu  lecken  giebt. 

Glück  führt  von  den  Gebräuchen  in  Bosnien  noch  die  folgenden  als  ge- 
burtsfordernd  an: 

,  Verzögert  sich  die  Geburt  aus  irgend  einem  Grunde,  so  heizt  man  vor  allem  das 
Zimmer  und  befiehlt  der  Kreissenden,  sich  in  der  Nähe  des  warmen  Ofens,  respective  des 
Feuers,  Bewegung  zu  machen,  mit  einer  Holzhacke  in  der  rechten  und  einer  Spindel  in  der 
linken  Hand.  Diese  Maassregel,  welche  ich  selbst  seiner  Zeit  in  Foca  gesehen  habe,  wurde 
mir  dahin  gedeutet,  dass  man  das  Kind  anlocken  will.  Ist  es  nämlich  ein  Knabe,  so  wird 
es  der  Hacke,  ist  es  ein  Mädchen,  so  wird  es  der  Spindel  nachlaufen.  Oder  es  wird  der  Frau 
unversehens  ein  rohes  Ei  auf  den  Nacken  gelegt,  damit  es  längs  des  Rückens  herabrolle.  Von 
sympathetischen  Mitteln  seien  hier  noch  einige  erwähnt:  das  Aufreissen  des  vorderen  Hemden- 
schlitzes, das  LOsen  aller  Knöpfe  an  den  Kleidern  und  der  Haarflechten  der  Kreissenden, 
das  Bestreichen  des  Unterleibes  mit  den  Zipfeln  der  Tücher,  welche  sich  Frauen,  die  bereits 
geboren  haben,  um  den  Leib  gebunden  haben,  ein  leichter  Schlag  mit  dem  Gürtel  eines 
Mädchens  auf  das  Kreuz  der  Gebärenden  [wobei  eine  besondere  Formel  zu  sprechen  ist],  das 
Lösen  der  Zöpfe  eines  Mädchens  über  der  Kreissenden,  das  Auflegen  eines  Kammes  auf  den 
Unterleib,  ein  Schluck  Wasser  aus  der  Beschuhung  des  Mannes,  das  Lecken  der  Asche  von 
einer  Holzschaufel  und  schliesslich  das  Streuen  von  Nüssen  zwischen  die  Beine  der  Gebärenden, 
wahrscheinlich  als  Lockmittel  für  das  Kind,  welches  mit  denselben  spielen  soll." 

.Ist  die  Noth  sehr  gross,  so  lässt  man  bei  den  Mohamedanern  beide  Thüren  der 
nächsten  DSamia  (Moschee)  öffnen,  giebt  den  Armen  Almosen  und  füttert  herrenlose  Hunde. 
Von  den  ausserordentlich  vielen  Amuleten,  die  angewendet  werden,  kenne  ich  leider  nur  zwei, 
die  aber  sehr  wirksam  sein  sollen,  und  zwar  die  ersten  vier  Sätze  der  84  Sure,  welche  auf  den 
Unterleib  gebunden  werden,  und  das  folgende  Amulet,  von  welchem  der  Kreissenden  je  ein 
Exemplar  in  die  Hände  gegeben  wird: 


844.  Die  übernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  den  Magyaren  u.  s.  w.  253 


2 

7 

2 

i  » 

7 

7        1 

2 

9 

'  1 

«Ein  Schluck  Wassers  vom  heiligen  Bronnefk  Abazemzem  (es  soll  das  derselbe  Brunnen 
sein,  den  ein  Engel  der  vertriebenen  Hagar  in  der  Wüste  zeigte,  als  ihr  Sohn  lamael  dem 
Verachmachten  nahe  war;  jeder  Mekka-Pilger  bringt  bekanntlich  wenigstens  eine  Flasche 
dieses  wunderthätigen  Wassers  nach  Hause,  um  gegen  alle  Eventualitäten  damit  versorgt  zu 
sein),  und  ein  Stückchen  angezündeter  Kerze  vom  Grabe  Mohamed'a  sind  die  ultima  refrigia 
in  GeburtsnOthen  bei  Mohamedanerinnen.* 

Wenn  eine  Slavin  in  Istrien  fühlt,  dass  ihre  Entbindung  nahe  sei,  so 
eilt  sie  in  die  Kirche,  um  zu  beichten,  zu  communiciren  und  eine  Messe  zu  Ehren 
der  heiligen  Jungfrau  zu  hören,  deren  Schutz  sie  sich  anbefiehlt;  dann  geht 
sie  nach  Hause,  um  zu  gebären,     (v.  Düringsfdd.) 

Bei  den  Polen  um  Krakau  glaubt  man,  dass  Kreissende  vor  den  AngrifiFen 
der  Nixen  durch  die  Glockenblume  geschützt  werden.    (Kopemichi) 


S44.  Die  flbernatflrlichen  Oeburtshfllfsinittel  bei  den  Magyaren,  Zigennern 

und  Nen-Oriechen. 

In  Ungarn  glaubt  die  junge  Frau  schon  bei  der  Trauung  etwas  zur  Ver- 
hütung schwerer  Geburten  thun  zu  können.  Zu  diesem  Zwecke  springt  sie  nach 
der  Copulation  beim  Herabspringen  vom  Wagen  auf  ein  mit  Mehl  gefülltes  Säck- 
chen. Durch  diesen  Zauber  sollen  die  Entbindungen  so  leicht  werden,  wie  das 
Ausschütteln  des  Mehls  aus  dem  Sacke,    (t;.  Gsaplovics) 

Von  den  Zelt-Zigeunern  in  Siebenbürgen  berichtet  v,  Wlislocki:  So- 
bald die  Geburtswehen  eintreten,  löst  man  jeden  Knoten  an  den  Kleidern  der 
Frau  und  an  ihrer  Umgebung.  Der  Mann  zerlegt  die  Axt  oder  den  Hammer  und 
lässt  dann  vermittelst  eines  Schilfrohres  oder  eines  Strohhalmes  aus  seinem  Munde 
einige  Tropfen  Wasser  in  den  Mund  seiner  Gattin  laufen.  Bei  schweren  Geburten 
kommen  die  Stammesgenossinnen  der  Gebärenden  zu  Hülfe  und  jede  Ton  ihnen 
lässt  ein  Ei  zwischen  den  Beinen  derselben  hindurchfallen,  wobei  folgender  Spruch 
gemurmelt  wird: 

Eichen,  Eichen  ist  rund, 

Alles  ist  rund, 

Kindchen  komm  hervor  gesund! 

Gott  der  Herr  ruft  dich  hervor! 

Bei  den  Neu-Griechen  öffiiet  die  Hebamme  alle  Schlösser  des  Hauses,  der 
Thüren,  der  Kisten  und  Koffer,  denn  man  glaubt,  dass  nur  dann,  wenn  Alles  ge- 
öffiiet  ist,  die  Geburt  gut  vor  sich  gehen  könne.  Auch  durfte  Sonnini^  als  er  bei 
einer  Geburt  anwesend  war,  vor  Beendigung  derselben  das  Zimmer  nicht  yer- 
lassen,  und  niemand  durfte  in  das  Zimmer  hineingehen,  denn  man  fürchtet,  dass 
dadurch  die  Entbindung  gestört  werden  könne.  (Moreau,)  Wenn  trotzdem  die 
Geburt  nicht  Tor  sich  geht,  so  nimmt  man  seine  Zuflucht  zu  dem  Ehemann  der 
Gebärenden,  welcher  alle  Hindemisse  glücklich  beseitigt,  indem  er  der  Frau  drei 
Schlage  mit  seinem  Schuh  auf  den  Kücken  giebt  und  dabei  mit  lauter  Stimme 
ruft:  lylch  bin  es,  der  dich  belastet  hat,  jetzt  entlaste  ich  dich!*"  Zur  Erleichterung 
der  Niederkunft  wird  während  des  Kreissens  das  Haus  mit  einer  Pflanze  bestreut, 
welche  Ton  der  handähnlichen  Form  /ägi  navoQlag  genannt  wird.  Das  ist  wohl 
auch  eine  symbolische  Handlung,  ohne  dass  man  eine  arzneiliche  Wirkung  von 
dieser  Pflanze  erwartet. 


254 


LIY.  Die  Schwergebtirten  im  Volksglauben. 


Nach  der  MittheiluDg  von  Böser  in  Athen  wird  hier  und  da  in  Griechen- 
land nach  altem  Brauch  in  dem  Augenblicke,  wo  das  Kind  durchtreten  soll, 
einem  Hahne  der  Kopf  abgeschnitten:  Böser  meinte,  man  konnte  dabei  vielleicht 
an  das  Opfer  für  den  Aesktdap  denken,  dem  der  Hahn  bekanntlich  heilig  war. 


345.  Die  flbernatflrliclien  Oeburtshfllfsmittel  bei  den  Japanern  und 

Chinesen. 

Es  wird  uns  nicht  überraschen  können,   dass  wir  auch  bei  den  Japanern 
und  bei  den  Chinesen  auf  übernatürliche  Geburtsbeforderungsmittel  stossen. 

In  Japan  verschlucken  Schwangere  vor  der  Entbindung  ein  Stückchen  Papier, 
auf  welchen  der  Schutzpatron  der  Gebärenden  abgebildet  ist,  in  der  Hoffnung, 
so  einer  leichten  Entbindung  entgegen  zu  gehen;    Andere  trinken  in  dieser  Ab- 


Fig.  306.    Kreissende  Japanerin,  der  eine  Frau  in  ihrer  schweren  Niederkunft  mit  einer  Zauber- 
formel Hülfe  bringt.     (Nach  einem  Japanischen  Holzschnitt.) 

sieht  eine  Abkochung  von  ungeborenen  Hirschkälbern,   die  getrocknet,  zerstossen 
und  dann  gekocht  werden.    In  manchen  Tempeln  werden  auch  Papiere  unter  dem 
Namen  Setzu  Bun  verkauft.     Diese  Worte  sind  in  chinesischen  Zeichen  auf 
ihnen  geschrieben.     Wenn  die  Gläubigen  das  Geld  in  den  Kasten  geworfen  haben, 
werden   diese   Papiere    an   einem  erhöhten   Orte   aufgehängt, 
aber   durch   einen  Priester   mit  einem  Fächer   in  beständiger 
Bewegung  gehalten,  so  dass  es  schwer  ist,  ein  solches  Papier 
zu   erhaschen.     Hat  man   eins   bekommen,   so  schneidet  man 
beide  Schriftzeichen   aus   einander,   und  darauf  wird  die  eine 
Fig.  307.    Zusammenge-  Hälfte  in  ganz  kleine  Stückchen  geschnitten  und  herunterge- 
BeÄmÄeÄw^  schluckt;  das  befördert  die  Geburt.   Das  Wort  Setzu  Bun  selbst 
ren  Niederkunft.    (Nach  bezeichnet   den  Gebrauch,  dass  man  am  Vorabend  des  neuen 
^^*Hoiach^tt.f  ^"^     "^^^^^   Erbsen   streut,  um   die   bösen  Geister   zu   vertreiben. 
(Miyahe.) 
In  der  früher  schon  erwähnten  japanischen  Encyclopädie   der  Wahr- 
sagekunst (Yedo  1B56)  befindet  sich  die  Darstellung   einer  Kreissenden,   vor   der 
eine  Frau  kniet   und   in   den  Händen  einen  Gegenstand   hält,   der  wahrscheinlich 
ein  zusammengefaltetes  Papier  bedeuten  soll.  (Fig.  306.)    Herr  Dr.  F.  W.  K,  Muller 


J:^^      — =^ 


346.  Die  übernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  den  vorcolumb.  Bewohnern  von'Mexiko.    255 

hatte  die  Freundlichkeit,  mir  den  dazugehörigen  Text  folgendermaassen  zu  über- 
setzen : 

.Zauberformel,  zu  gebrauchen,  wenn  die  Frau  nicht  gebären  kann.  Man  schreibt  diese 
Formel  nieder  und  faltet  rothes  und  weisses  Papier,  gleich  der  Form  dieser  Zauberformel. 
Dann  l&sst  man  es  verschlucken,  zur  Zeit,  da  die  Frau  nicht  geb&ren  kann.  Schnell  wird 
dann  die  Geburt  vor  sich  gehen.* 

Das  in  der  Form  der  Zauberformel  zusammengefaltete  Papier  ist  in  Fig.  307 
dargestellt.  Von  den  mit  Schriftzeichen  markirten  Stellen  desselben  müssen  die 
beiden  Zipfel  roth,  die  beiden  kleinen  Bezirke  weiss  sein.  Die  Zauberformel  endet 
mit  den  Worten:  ,kyü  kyu  nyo  ritsu  rei*,  was  nach  Hepburn  ungefähr  bedeutet: 
,DaB  mag  so  sicher  sein  als  das  Gesetz";  eine  Formel,  welche  allen  geschriebenen 
Zaubersprüchen  und  Beschwörungen  angehängt  wird. 

Sowohl  bei  leichten,  als  auch  bei  schweren  Entbindungen  spielen  in  China 
Amulete  eine  grosse  Rolle.  Zauberer  und  Zauberinnen  müssen  den  bösen  Geist 
bannen;  die  Gebärende  zieht  besondere  Strümpfe  an,  welche  bei  dem  Dalai  Lama 
bestellt  und  von  ihm  vorher  geweiht  worden  sind;  oder  sie  verschluckt  Pillen  von 
Papier,  auf  welches  besondere  Zaubersprüche  geschrieben  stehen.  (Staunion.)  Ein 
chinesischer  Arzt,  rath,  das  in  China  während  der  Geburt  gebräuchliche  Beten 
zu  unterlassen: 

,Man  hüte  sich,  dass  man  in  ihrer  Gegenwart  zu  beten  anfange,  oder  den  Himmel  und 
die  Heiligen  anrufe;  noch  weniger  schicke  man  gar  nach  einem  Hochang.*     fv.  Martius,) 

Vielmehr  soll  sich  die  Kreissende,  wie  der  Arzt  verlangt  ruhig  verhalten, 
geduldig  sein,  und  man  soll  ihr  Trost  zusprechen. 

Die  Miaotse  in  der  Provinz  C  an  ton  beten  bei  schwerer  Niederkunft  zu 
den  Dämonen,  denn  nur  diesen  wird  eine  Störung  des  Geburtsverlaufes  zuge- 
schrieben. Daher  sind  Medicamente  in  diesem  Falle  nicht  im  Gebrauch.  Um  die 
Dämonen  zu  versöhnen,  wird  bei  dieser  Gelegenheit  ein  Huhn  vom  Priester  ge- 
opfert.    {Kröscjgyh) 

346.  Die  übernatürlichen  Oebnrtshttlfsinittel  bei  den  Torcolnmbischen 

Bewohnern  Yon  Mexiko. 

üeber  die  Gebräuche,  welche  die  mexikanischen  Indianer  vor  der  Zeit 
der  spanischen  Eroberung  bei  den  Niederkünften  der  Frauen  beobachteten, 
liegen  die  Berichte  einestheils  von  Ferdinand  Cortez^  anderentheils  von  Biego 
Garcia  de  Pdlacio  YOT^  welcher  letztere,  ein  hoher  Begierungsbeamter  in  Central- 
Amerika,  1576  über  die  Provinzen  Honduras  und  San  Salvador  dem  Könige 
von  Spanien  Nachricht  gab. 

Wenn  die  Gebärende  die  Hebamme  gerufen  hatte  und  nicht  niederkommen 
konnte,  so  musste  sie  ihre  Sünden  beichten,  namentlich  ob  sie  sich  eines  Ehe- 
bruchs schuldig  gemacht  habe.  Ging  die  Geburt  nun  nicht  von  Statten,  so 
holte  man,  sobald  die  Frau  den  Namen  des  Ehebrechers  genannt  hatte,  aus 
dem  Hause  des  letzteren  die  Decke  und  Beinkleider  desselben  und  umgürtete 
damit  die  Kreissende.  Konnte  sie  hierauf  noch  nicht  gebären,  so  rief  man  den 
Mann  und  liess  auch  diesen  beichten,  und  wenn  auch  dieses  nicht  helfen  wollte, 
so  nahm  man  dessen  Mantli  (eine  Art  Unterhose)  und  die  Beinkleider,  die  er  trug, 
und  legte  sie  der  Gebärenden  auf  den  Leib,  und  der  Mann  opferte  Blut  von  den 
Ohren  und  der  Zunge.  Beforderte  auch  dieses  die  Geburt  noch  nicht,  so  opferte 
die  Hebamme  von  ihrem  eigenen  Blute.  Dabei  spritzte  sie  es  nach  allen  Wind- 
richtungen, wobei  sie  Gebete  und  Zauberformeln  sprach.     {Hack) 

Bancroft  berichtet  ausserdem: 

»Wenn  die  Entbindung  einer  Frau  schwierig  und  gefährlich  zu  werden  schien,  so  sagte 
die  Hebamme  zn  der  Fran:  ,Sei  stark,  meine  Tochter,  wir  können  nichts  für  Dich  than.  Hier 
sind  zQgegfen  Deine  Matter  nnd  Deine  Angehörigen,  aber  Du  allein  mosst  dieses  Gesch&fb  zu 
Ende  f[Lhren.    Sieh  zu,  meine  Tochter,  meine  wohlgeliebte,  dass  Du  ein  starkes  und  muthiges 


256  I^IV.  Die  Schwergeburten  im  Volksglauben. 

und  mannhaftes  Weib  bist;  sei  gleich  der,  die  zuerst  Kinder  geboren  hat,  gleich  Cioacoatl, 
gleich  QuilaztU^  Und  wenn  dann  nach  einem  Tage  und  einer  Nacht  die  Frau  das  Kind 
nicht  herausbringen  konnte,  so  nahm  sie  die  Hebamme  von  allen  anderen  Personen  abseits 
und  brachte  sie  in  einen  abgeschlossenen  Raum  und  sprach  viele  Gebete,  indem  sie  die 
Göttin  Cioacoatl  anrief  und  die  Göttin  YoalticiÜ  und  andere  Göttinnen.'' 


347«  Die  übeinatürliclien  Oeburtshfll&mittel  bei  den  Indianern  Amerikas. 

Wenn  wir  in  den  vorigen  Abschnitten  bei  manchem  Aberglauben  an  analoge 
Gebräuche  bei  den  alten  Calturvölkem  erinnert  wurden,  und  wenn  sich  die  An- 
nahme nicht  von  der  Hand  weisen  liess,  dass  es  sich  hier  um  eine  directe  üeber- 
tragung,  um  unbewusste  Erinnerungen  an  frühere  Zeitperioden  handelt,  so  werden 
wir  auch  bei  den  zum  Theil  auf  recht  niederer  Stufe  befindlichen,  aussereuro- 
päischen  Völkern  Aehnliches  finden,  ohne  dass  hier  von  derartigen  Reminiscenzen 
die  Rede  sein  kann.  Wir  können  hier  nur  annehmen,  dass  unter  ähnlichen  Ver- 
hältnissen der  menschliche  Geist  zu  den  gleichen  Gedankengängen  und  zu  ähn- 
lichem Handeln  veranlasst  worden  ist. 

Der  Payagua-Indianerin  in  Süd-Amerika  hilft  bei  der  Niederkunft 
in  der  Regel  Niemand;  wenn  sich  jedoch  die  Geburt  verzögert  oder  ihre  Nach- 
barinnen sie  dabei  stöhnen  hören,  so  kommen  diese  mit  kleinen  Schellen  oder 
lüappern  in  der  Hand  herbei  und  schütteln  diese  eine  kurze  Zeit  so  stark 
sie  können;  hierauf  gehen  sie  wieder  fort  und  überlassen  die  Gebärende  ihrem 
Schicksale.  Auch  von  den  Mbayas  in  Paraguay  wird  durch  v.  Aeara  das 
Gleiche  berichtet. 

Bei  den  Galibi-Indianern  in  Guyana  sammeln  sich  diejenigen,  welche 
die  übernatürliche  Hülfe  bringen  wollen,  nicht  um  die  Kreissende,  sondern  um 
den  Gatten,  und  während  die  Frau  draussen  niederkommt,  füllt  sich  die  Hütte 
des  Ehemannes  mit  Freundinnen  in  geräuschvoller  Weise  an,  und  ein  eingeborener 
Medicin-Mann  lässt  dabei  eine  Trommel  ertönen,  um  den  bösen  Geist  auszu- 
treiben.   {Boussenard) 

üeber  die  Hülfsleistung  bei  schwerer  Entbindung,  welche  bei  den  öst- 
lichen Indianersippen  heimisch  ist  (in  Kansas,  Colorado  und  Indianer- 
land), d.  h.  bei  Cheyennen,  Arrapahoes,  Kiowas,  Comanchen  und  Ost- 
Apachen,  machte  ein  Arzt  folgende  Mittheilungen: 

.Unterdess  machte  der  Oberarzt  des  Stammes  in  einer  benachbarten  Hütte  gewaltige 
Anstrengungen,  der  Ereissenden  dorch  Mittel  zu  helfen,  welche  ich  nicht  sehen  durfte,  deren 
Inswerksetzung  man  jedoch  deutlich  vernehmen  konnte.  Die  Ceremonie  wurde  abseits  in  einer 
geschlossenen  Hütte  abgehalten  und  bestand,  so  viel  ich  ermittelte,  in  Trommeln,  Singen, 
Jauchzen,  Tanzen,  um  das  Feuer  laufen,  darüber  springen,  mit  Messern  hantiren  und  anderen 
Possen.  Diese  Art  ärztlicher  Hülfe  ist  bei  den  Indianern  sehr  gebräuchlich  und  wird  stets 
mit  Ernst  und  feierlich  und  mit  vollem  Vertrauen  auf  ihre  Wirksamkeit  gehandhabt.  Der 
leitende  Gedanke  ist  der,  dass  Krankheit  ein  in  den  Kranken  einkehrender  böser  Geist  ist 
und  aus  ersterem  durch  magische  Kräfte  oder  durch  Schmeichelworte  ausgetrieben  oder  ver- 
scheucht werden  muss.^    (Engümann,) 

Ein  andermal  wurde  der  Kreissenden  vom  Zauberer  scheinbar  etwas  in  den 
Mund  geblasen,  um  ihr  Muth  einzuflössen  und  sie  vor  Unheil  zu  bewahren. 

Bei  den  Indianern  Nord- Amerikas  muss  bisweilen  auch  eine  Gemüths- 
erschütterung  der  zögernden  Natur  zu  Hülfe  kommen.  Ein  Arzt,  der  einer  Co- 
man  che -Frau  beistand,  berichtet,  dass  bei  derselben  die  Wirkung  des  Schreckens 
die  Entbindung  beschleunigen  sollte: 

ff  Sie  wurde  heraus  aus  dem  Lager  gebracht,  und  Eiasehahy^  ein  bekannter  Kriegsheld, 
bestieg  ein  flinkes  Pflerd;  kriegsgemäss  bemalt  und  ausgerüstet,  sprengte  er  auf  sie  los  und 
parirte  erst  in  dem  Augenblicke,  wo  sie  erwartete,  durchbohrt  und  zerstampft  zu  werden. 
Wie  berichtet  wird,  erfolgte  auf  diese  fürchterliche  Muthprobe  unmittelbar  die  Austreibung 
der  Frucht.*"     {Engelmann,) 


848.  Die  übernatürlichen  Geburtsbülfismittel  bei  den  afrikanischen  Völkern. 


257 


Schon  ältere  Autoren  erzählen  von  einem  ähnlichen  Verfahren;  so 
de  Charlevoix:  Wenn  bei  den  Indianern  Nord-Amerikas  die  Niederkunft  einer 
Frau  langwierig  ist,  so  yersammelt  sich  die  Jugend  des  Ortes  vor  der  Hütte  der 
Gebärenden  und  erhebt  ein  plötzliches  furchtbares  Geschrei:  ,,et  la  surprise  lui 
cause  un  saisissement,  qui  lui  procure  sur  le  champ  sa  d^livrance/ 

Schoolcraft  veröflFentiicht  einen , Bericht  über  die  Dacota-Indianer,  in 
dem  es  heisst: 

,Bei  schweren  Entbindungen  wird  der  Gebrauch  von  zwei  bis  drei  gepulverten  Gliedern 
der  Klapperschlange  als  sehr  wirksam  gerühmt.  Nach  dem  Grunde  gefragt,  sagte  der  Medicin- 
Mann:  Ich  nehme  an,  dass  das  Kind  die  EQapper  hört,  und  dass  es  denkt,  die  Schlange 
kommt,  und  sich  beeilt,  ihr  aus  dem  Wege  zu  gehen.* 

In  der  argentinischen  Republik  macht  man  bei  schwerer  Niederkunft  auf 
dem  Bauche  der  Gebärenden  ein  Kreuz,  und  zwar  mit  dem  Fusse  eines  Menschen, 
der  Johannes  heisst.     (Mantegcusza.) 


348.  Die  übernatfirlichen  Oebnrtshfllfsmittel  bei  den  afrikanischen 

Tolkern. 

Von  den  Bombe  in  Gentral-Afrika  berichtet  Buchta,  dass  sie  bei  schweren 
Entbindungen  die  Hülfe  der  Zauberer  anzurufen  pflegen. 

Auch  bei  den  Niam-Niam  wird,  wenn  die  Geburt  schwierig  zu  werden 
beginnt,  der  Zauberarzt,  der  zugleich  Wahrsager  ist,  gerufen.  Bevor  er  der 
Kreissenden  seine  Unterstützung  angedeihen  lässt,  theilt  er  ihr  mit,  welche  Ant- 
wort über  ihr  Geschick  ihm  die  Vorzeichen  gegeben  haben.  Ausser  diesem  fuhrt 
Piaggia  auch  noch  an,  dass  auch  die  Ehemänner  eine  Art  Augurium  anwenden, 
um  über  den  Verlauf  der  Entbindung 
etwas  zu  erfahren,  wenn  ihre  Frauen 
von  Geburtsschmerzen  befallen  wer- 
den. Sie  tauchen  dann  einen  Hahn 
mit  dem  Kopfe  unter  Wasser  und 
setzen  ihn  so  eine  Zeit  lang  der  Ge- 
fahr des  Ertrinkens  aus.  Kommt 
derselbe  noch  lebend  zum  Vorschein, 
so  ist  dies  ein  gutes  Zeichen  für  die 
Zukunft,  ist  er  jedoch  todt,  so  be- 
deutet dies  Unglück.  Nach  Felkin 
trommeln  und  musiciren  die  Weiber 
bei  der  Entbindung  der  Niam- 
Niam-Frauen  (Fig.  308),  und  wäh- 
rend der  Niederkunft  einer  Kidj- 
Negerin  ertönt  lauter  Gesang  der 
Freundinnen  fort  und  fort,  und  sie  thun  Alles,  um  ihr  Muth  einzuflössen. 

In  Abyssinien  wird,  nach  jS2anc,  während  die  Geburt  vor  sich  geht,  von 
den  die  Frau  umgebenden  Personen  fortwährend  geschrieen;  auch  „Sympathiseurs'^ 
stehen  in  grosser  Anzahl  rings  umher«  Ist  dort  die  Entbindung  eine  schwere,  so 
zieht  der  Vater  seine  Sandalen  aus,  umschreitet  barfuss  das  Haus  und  führt  mit 
der  Breite  seines  Schwertes  Hiebe  auf  die  Aussen  wand,  während  im  Inneren  des 
Hauses  die  helfenden  Frauen  ein  Gebet  an  die  heilige  Maria^  die  Schützerin  der 
Mütter,  anstimmen.     (Rheinisch,) 

Nimmt  bei  den  Somali  die  Niederkunft  nicht  den  gewöhnlichen  Verlauf 
und  furchtet  man  Gefahr  für  Mutter  und  Kind,  so  wird  irgend  ein  Amulet  oder 
ein  Rosenkranz  aus  den  Zähnen  des  Halicore  über  dem  Eingange  des  Hauses  auf- 
gehängt.   (Haggenmacher,)     Patditschke  berichtet  von  demselben  Volk: 


Fig.  d08.    Niam-Niam-Fraa, 

am  Flusse  auf  einem  Klotze  sitzend  und  niederkommend, 

indees  Freundinnen  musiciren.    (Nach  Feikin.) 


Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II. 


17 


258  LIY.  Die  Schwergeburten  im  Volksglauben. 

,Naht  die  Stunde  der  Niederkunft,  so  leisten  der  Kreissenden  Freundinnen  Hülfe,  in- 
dem sie  ihr  w&hrend  der  Geburtswehen  ermunternde  Worte  und  Segenssprüche  zuflüstern, 
wohl  auch  chirurgische  Dienste  leisten.* 

Kreissenden  Sennarierinnen  bindet  man  nach  Hartmann  eine  Schlangen- 
haut, besonders  von  der  Riesenschlange  (Python),  um  den  Leib,  spricht  religiösen 
Segen  über  sie  und  behängt  sie  mit  Amuleten.  Das  Behängen  mit  Amuleten  ist 
bei  vielen  Neger -Stämmen  gebräuchlich. 

Das  Beichten  eines  etwaigen  Ehebruchs  bei  der  Niederkunft  wird  nach  Sue 
auch  in  Madagascar  geübt,  und  man  glaubt  fest,  dass  die  Gebärende  sterben 
müsse,  wenn  sie  dem  (hatten  nicht  wahrheitsgemäss  berichtet ,  ob  sie  auch  mit 
anderen  Männern  Umgang  gepflogen  habe.  Wenn  dort  eine  Gebärende  stirbt,  so 
ist  man  überzeugt,  dass  sie  etwas  verheimlicht  hat. 

Wie  es  in  Marokko  unter  den  Zeltbewohnern  bei  schweren  Entbindungen 
zugeht,  hat  Bohlfs  durch  Befragen  in  Erfahrung  gebracht.  Zuerst  lässt  man  zu 
der  Kreissenden  einen  Fakih  kommen,  der  durch  Weihrauch  und  fromme  Sprüche 
den  Teufel  zu  bannen  versucht,  denn  der  Teufel  ist  auch  in  Marokko  die  Ur- 
sache allen  Uebels,  und  somit  auch  der  zögernden  Niederkunft.  Hilft  das  nichts, 
so  schreibt  man  Koransprüche  auf  eine  hölzerne  Tafel,  wäscht  sie  dann  ab  imd 
lässt  die  Kreissende  dieses  Spülwasser  trinken.  Bleibt  auch  dieses  Verfahren 
ohne  Erfolg,  so  werden  Koransprüche  auf  Papier  geschrieben,  zerstampft  und  mit 
Wasser  gemischt  der  Leidenden  eingegeben.  Aber  manchmal  hat  der  Satan  das 
Weib  derart  in  Besitz  genommen,  dass  er  selbst  durch  das  heilige  Buch  nicht 
ausgetrieben  wird.  Dann  werden  allerlei  Amulete  angeordnet,  z.  B.  die  in  ein 
Ledersäckchen  eingenähten  Haare  eines  grossen  Heiligen,  die  man  der  Kreissenden 
auf  die  Brust  legt,  oder  Wasser  vom  Brunnen  Semsem  (der  in  der  Mitte  des 
heiligen  Tempelgebietes  von  Mekka  sich  befindet  und  nach  Snouck  Hurgronje 
ein  leichtes  Bitterwasser  enthält),  welches  man  ihr  zu  trinken  giebt.  Von  diesem 
Brunnen  wurde  ebenfalls  schon  gesprochen.  Es  wird  der  Kreissenden  auch  etwas 
Staub  aus  dem  Tempel  in  Mekka  auf  ihr  Ruhebett  gelegt.  Dann  lässt  bisweilen 
der  Teufel  seine  Beute  fahren  und  die  Entbindung  geht  glücklich  zu  Ende. 

Es  konunen  aber  auch  genug  Falle  vor,  wo  der  Iblis  (Teufel)  derart  sich 
des  Weibes  bemächtigt  hat,  dass  er  keinem  Mittel  weichen  will ;  die  Hülfsweiber 
nehmen  dann  selbst  den  Kampf  mit  ihm  auf.  Unter  Beschwörungen  und  fort- 
während rufend:  Rhamek-Lah!  (Gott  erbarme  sich  Deiner!)  wird  die  Frau  er- 
griffen, ein  starkes  Band  wird  um  ihren  Rücken  und  unter  ihren  Achseln  hin- 
durchgeschlungen und  so  wird  sie  in  die  Luft  gezogen.  Dadurch  will  man  die 
Wehen  beschleunigen,  und  zeigt  sich  dann  ein  Theil  des  Kindes,  entweder  der 
Kopf  oder  die  Füsse,  so  versuchen  sie,  diese  Theile  zu  ergreifen  und  durch  starkes 
Reissen  und  Ziehen  das  Kind  zu  Tage  zu  befordern.  Nur  selten  gelingt  das; 
meist  wird  das  Kind  zerrissen  und  fast  immer  ist  der  Tod  der  Mutter  die  Folge 
dieses  barbarischen  Verfahrens. 

In  Aegypten  wenden  die  Hebammen  Beschwörungen  an,  auch  lassen  sie 
ein  Kind  zwischen  den  Schenkeln  der  Kreissenden  hüpfen  und  tanzen,  um  den 
Fötus  zur  Nachahmung  zu  reizen.    (Clot  Bey.) 

An  der  Loango-Küste  werden  bei  schweren  Entbindungen  die  Nachbar- 
hütten rücksichtslos  geräumt,  die  Kinder  aus  dem  Dorfe  fortgeschickt,  und  die 
Assistirenden  erheben  ihre  Stimme,  um  durch  allgemeinen  Lärm  die  Klagelaute 
der  Kreissenden  zu  übertäuben.  (Pechud-Loesche.)  Kommt  dort  eine  Königin 
nieder,  so  muss  ein  ganz  Unbetheiligter  einen  Reinigungseid  auf  die  Treue  der 
Gebärenden  trinken. 

Bei  den  Woloff-Negern  muss  jedes  Weib,  welches  der  schweren  Stunde 
entgegensieht,  den  Erzeuger  des  Kindes  nennen,  widrigenfalls  sie  in  ihren  Nöthen 
ohne  j^liche  Hülfe  bliebe;  ja  Mutter  und  Kind  liesse  man  zu  Grunde  gehen, 
wollte   sich   erstere  gegen  jene  Sitte   auflehnen.    (Höfler.)    Der  von  ihr  ausge- 


348.  Die  übernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  den  afrikanischen  Völkern. 


259 


sprochene  Name  wird  dann  dem  neuen  Erdenbürger  gegeben.  Dabei  pflegen  die 
Eltern  und  Nachbarn,  welche  in  einem  Gemache  der  Hütte,  oder,  wenn  dieselbe 
aus  einem  einzigen  Räume  besteht,  auf  der  Schwelle  der  Thür  niederzuhocken, 
einen  monotonen  Gesang  anzustimmen  und  dazu  in  regelmässigen  Zeiträumen  in 
die  Hände  zu  klatschen. 


Fig.  309.    Menschliche  Thonflgürchen,  welche  in  Agitome  (Togo)  bei  bevorstehender  Niederkunft 

vor  dem  Dorfe  aofgesteUt  werden. 
(Mnseum  für  Yölkerkonde  in  Berlin.)    (Nach  Photographie.) 


Bei  Agitome  im  Togo-Gebiete  fand  Kling  kleine  menschliche  Figürchen 
aus  Thon,  welche  bei  einer  bevorstehenden  Entbindung  vor  dem  Dorfe  aufgestellt 
werden.  Sicherlich  sollen  auf  diese  Weise  die  Weiber  bei  der  Niederkunft  ge- 
schützt und  beschirmt  werden.  Ob  diese  Figuren,  die  von  unglaublicher  Rohheit 
sind,  Wachtposten  sein  sollen  gegen  andringende  Dämonen,  oder  ob  sie  den 
letzteren  als  Ersatzmänner  für  die  Niederkommende  dargeboten  werden,  darüber 
steht  bis  jetzt  noch  nichts  fest.  Das  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin  ist 
durch  Kling  in  den  Besitz  solcher  Figuren  gekommen,  welche  in  Fig.  309  vor- 
geführt werden. 

Aus  einer  grossen  Zahl  von  Talismanen,  welche  Dylowsky 
von  seiner  Sendung  nach  Fernand-Yaz  aus  Dahome  mit- 
brachte, beschreibt  Delafosse^  einen  derselben,  der  bestimmt  ist, 
die  Niederkunft  zu  erleichtem.  Wahrscheinlich  ist  dieser  »Harz", 
dieser  Talisman,  wie  alle  die  übrigen,  von  den  Haussa-Mara- 
buts  hergestellt  und  mit  arabischen  Formeln  beschrieben; 
ausser  den  Schriftzeichen  befindet  sich  auch  die  Darstellung 
einer  weiblichen  Figur  darauf  (Fig.  310),  welche  früher  bereits 
(Seite  ,604  Bd.  I)  erwähnt  worden  ist: 

Der  Talisman  «repr^sente  une  n^gresse  enceinte,  dot^e  de  tous 
las  apanages  de  80n  sexe  et  de  son  ^tat,  tele  qu'ils  apparaissent  d'habi- 
tude  snr  les  dames  du  continent  noir:  seins  longa  et  tombants,  ventre 
gonfl^  en  forme  d^outre,  rien  ne  manque  ä  cette  peu  esth^tique  Sil- 
houette.*^ 


Fig.  310. 


DarsteUang 


DeUfosse  giebt  von   der  daneben  geschriebenen  Zauber-  elStL^TlSSman"'  aSf 


Dahome,  zur  Erleich- 


formel  folgende  XJebersetzung: 

,C'est  Lui  (Dieu)   dont  nous  implorons  le  secours:   Explication:   *^^  J®^^^^®^^^^ 
Tu  ^criras  k  la  femme  enceinte,  qui  portera  un  fruit  dans  un  6tat  avanc^,  *^      '  vosse  .) 

ce  qui  suit: 

,Qu*  Il(la)  prot^ge,  Dieu,  Dieu,  Dieu,  Dieu  le  Diligent,  le  Diligent,  le  Dili- 
gent,  Celui  qui  entend  tout,  Celui  qui  entend  tout,  Celui  qui  entend  tont,  le  Constant, 
le  Gonstant,  le  Constant!  Dis:  C^est  Lui  le  Dieu  unique,  le  Dieu  6ternel:  II  n*a 
pas  enfant^,  et  n'a  pas  ^t6  enfante;  H  n*a  point  d'egal.  Salut,  salnt,  salut,  salut,  salut, 
salut,  salut,  salut  sur  le  sceau  de  Hayifoua,    Sois  heurenx  en  Dieu,  qn*il  soit  exalt^! 

17* 


260  ^^^*  ^i®  Schwergeburten  im  Volksglauben. 

^Margani  Hayifoua. 

„Sois  heoreuz  en  Dieu,  qa*  II  soit  exalt^!' 

Mit  Recht  bedauert  Ddafosse^  dass  nicht  angegeben  ist,  womit,  und  an 
welcher  Stelle  ihres  Körpers  der  Schwangeren  diese  Formel  aufgeschrieben  werden 
muss.     Die  Schrifbzeichen  sind  in  kabbalistischer  Weise  gesetzt. 


349.  Die  übernatflrlichen  OebnrtshfiUismittel  bei  den  Tolkern  Asiens. 

Wenn  bei  den  Türken  eine  Frau  in  Kindesnöthen  ist,  so  begiebt  sich  der 
Ehemann  mit  seinen  Freunden  in  die  öffentlichen  Schulen;  dort  machen  sie  dem 
Schulmeister  ein  Geschenk  und  bitten  ihn,  den  Schülern  Urlaub  zu  gewähren;  das 
soll  die  Niederkunft  erleichtem.  Auch  kaufen  zu  gleichem  Zweck  die  Väter  einen 
Vogel  und  geben  ihm  die  Freiheit.     (Turpin.) 

Damian  Georg  berichtet  ausserdem,  dass  die  in  das  ßebärzimmer  Ein- 
tretenden ein  Stück  aus  dem  Koran  niederschreiben  und  dieses  in  eine  Stubenecke 
legen,  um  die  Entbindung  zu  beschleunigen. 

Eine  Entbindungsscene  bei  einer  samaritanischen  Dame  in  Jerusalem 
beschreibt  Türk  folgendermaassen: 

aAm  Abend  vor  meiner  Abreise  von  Jerusalem  baten  mich  einige  Personen,  unver- 
züglich nach  der  Wohnung  einer  samaritanischen  Dame  zu  eilen.  Inmitten  eines  weiten 
Saales  erblickte  ich  dort  in  einem  altmodischen  Lehnstuhle  eine  leidende  Matrone,  eingehüllt 
in  eine  Masse  von  Gewändern  und  umgeben  von  nahe  an  fünfzig  Frauen,  theils  Bekannte, 
theils  Dienerinnen.  Sie  reichte  mir  den  Puls,  er  ging  voll  und  stark ;  die  Haut  war  kalt  und 
feucht.  Ich  wollte  einige  Fragen  an  sie  richten ,  als  ein  Theil  der  Anwesenden  mich  mit 
lärmender  Ungeduld  zur  Thüre  zog  und  mich  um  meinen  unverzüglichen  Beistand  beschwor. 
Aus  ihren  verwirrten  Worten  hatte  ich  nichts  entnehmen  können,  als  dass  das  üebel  noch 
neu  war,  ihre  Geberden  dagegen  Hessen  mich  auf  ein  Unterleibsübel  schliessen.  Kaum  war 
ich  aber  auf  dem  Hausflur  angelangt,  als  sich  ein  plötzliches  Freudengeschrei  vernehmen  liess. 
Man  bestürmte  mich  mit  Danksagungen  für  den  günstigen  Erfolg  meines  Besuches,  und  zu 
gleicher  Zeit  erfuhr  ich,  dass  man  mich  herbeigerufen  hatte,  damit  ich  durch  Anwendung  von 
Medicin  einer  schweren  Entbindung  zu  Hülfe  komme.  Schon  der  Lehnstuhl ,  der  bei  anderen 
Gelegenheiten  nur  höchst  selten  gebraucht  wird,  hätte  mich  mit  dem  eigentlichen  Sachverhalt 
bekannt  machen  müssen,  wäre  nicht  in  diesen  Klimaten,  wo  die  Entbindungen  mit  einer 
solchen  Leichtigkeit  geschehen,  dass  die  Hülfe  der  Kunst  fast  nie  in  Anspruch  genommen  zu 
werden  braucht,  die  Anwesenheit  eines  Arztes  und  überhaupt  einer  männlichen  Person  bei 
einem  solchen  Act  streng  untersagt.  Selbst  die  Hebammen  sind  überflüssig  und  der  gewöhn- 
liche Beistand  ist  die  Mutter  oder  eine  bejahrte  Dienerin. ** 

Vamhery  sagt  von  den  mittelasiatischen  nomadisirenden  Türken: 
«Da  die  Frau  der  Nomaden  während  der  ganzen  Schwangerschaft,  ja  selbst  in  den 
letzten  Tagen  mit  keiner  Arbeit  und  Anstrengung  verschont  wird,  so  wird  sie  von  den  ersten 
Wehen  bisweilen  inmitten  ihres  Tagewerks  überrascht.  Die  erste  Hülfe  wird  selbstverständlich 
von  den  älteren  Frauen  des  Auls  geleistet,  die  darauf  bedacht  sind,  mittelst  Zaubermittel  die 
Leidende  vom  schädlichen  Einfluss  des  Älbasti  (wörtlich  Scheindruck),  dieses  Unheil  bringen- 
den Geistes  zu  befreien,  zu  welchem  Behufe  die  von  der  schwangeren  Frau  schon  längst  am 
Halse  getragenen  Tumars  (Amulete)  zurechtgelegt  und  angehaucht  werden.  Kommen  die 
Wehen  heftiger,  so  wird  eine  beliebige  in  Bereitschaft  gehaltene  Nuszscha  (Talisman)  in 
Wasser  getaucht  und  der  Gebärenden  zum  Trinken  dargereicht,  in  der  Annahme,  dass  die 
geistige  Wunderkraft  des  Wortes  auf  die  schwarze  Tinte  übergegangen  sei  und  diese  nun 
unmittelbar  wirken  werde.  An  anderen  Orten  versucht  man  es,  den  bösen  Albasti  mittelst 
Lärm  zu  verscheuchen,  indem  man  an  die  äusseren  Wände  des  Zeltes  mit  Stäben  klopft,  wild 
zu  schreien  und  zu  heulen  anfängt,  oder  wo  Schusswaffen  zur  Verfügung  stehen,  fortwährend 
Flinten  abfeuert;  während  man  dort,  wo  der  Islam  noch  nicht  feste  Wurzel  gefasst,  als  üeber- 
bleibsei  aus  dem  alten  Schamanenglauben  dem  Öjkarasi  (der  böse  Geist  des  Zeltes)  ins  lodernde 
Feuer  geworfene  Fettstücke,  und  zwar  vom  beliebten  Lammfett,  opfert,  und  hilft  Alles  nichts, 
so  wird  schliesslich  das  Zauberband  (bag)  angewendet,  indem  die  in  Kindesnöthen  Liegende 
von  starker  Manneshand  an  einen  Siarick  gebunden  wird,  so  zwar,  dass  die  Arme  noch  lange 


349.  Die  übernatürlichen  Gebnrtshülfsmittel  bei  den  Völkern  Asiens.  261 

nachher  Striemen  aufweist:  denn  hiermit  soll  nach  uralter  Türkensitte  dem  bösen  Geist 
die  Kraft  genommen  und  sein  Einfluss  unschädlich  gemacht  werden.*^ 

Die  Soongaren  schreiben  schwere  Gebarten  dem  Einflasse  böser  Geister 
za;  in  solchen  Fällen  geht  dann  ein  Mann  schnell  am  die  Hütte  hemm  and  schreit 
aas  allen  Kräften,  mit  einem  Knüttel  fechtend:  „Qarr  Tchetkürr",  d.h.  ^Teufel 
fort*';  dabei  beten  die  Anwesenden  zu  den  Göttern,  während  die  Weiber  ihre 
Kanst  an  der  Leidenden  versachen.  Die  Geistlichkeit  hält  sich  dabei  möglichst 
fem  und  dient  den  Vomehmen  höchstens  mit  gewissen  Amaleten,  womnter  ge- 
weihte Strümpfe,  Ablasszettel  a.  s.  w.  eine  Rolle  spielen.     (Klemm.) 

Wenn  bei  den  Kalmücken  die  Entbindung  nahe  ist,  so  wird  ihr  Götze 
aufgestellt  and  demselben  eine  Lampe  angezündet.  (Krebel.)  Zögert  aber  die 
Niederkunft,  so  ruft  man  einen  Zauberarzt;  dieser  hängt  der  Gebärenden  ge- 
schriebene Gebete  und  Zaubersprüche  um  den  Hals  und  um  den  Leib,  damit  durch 
diese  der  Teufel,  welcher  die  Entbindung  hindert,  vertrieben  werde.  Gleichzeitig 
wird  der  Leib  der  Gebärenden  durch  einen  hinter  ihr  stehenden  Mann  zusammen- 
gepresst.    (Meyerson.) 

PaUas  sagt: 

,Wenn  bei  den  Kalmücken  ein  gemeines  Weib  gebähret,  so  wird  ein  Geistlicher  ge- 
rufen, welcher  die  gehörigen  t an  gu  tischen  Gebete  bey  dem  Zelte  verlesen  muss.  Der  Mann 
der  Gebährerin  spannt  indessen  um  sein  Zelt  ein  Netz  auf  und  muss,  bis  das  Kind  gebohren 
ist,  mit  einem  Knüttel  in  der  Hand  ein  beständiges  Luftgefecht  um  das  Zelt  her  machen  und 
rufen  Gart  Tschetkirr  (fort  Teufel),  um  nemlich  den  satanischen  Boten  abzuhalten.  Bey  Vor- 
nehmen werden  so  viele  betende  Pfaffen  auf  die  Hut  gestellt,  dass  diese  Wacht  schon  hin- 
reichend ist,  um  die  bösen  Geister  zu  vertreiben.'' 

Bei  den  Baschkiren  und  Kirgisen  wird  ftir  die  Niederkunft  fast  immer 
ein  Teufelsbeschwörer,  Wahrsager  oder  Zauberer  hinzugerufen.     (Krebd,) 

Zdleski  berichtet: 

,Les  femmes  des  Eirghises  reclament  souvent  un  präsent  des  voyageurs  qu^elles  ren- 
contrent.  On  am^ne  volontiers  des  ötrangers  pr^  des  femmes  en  couches,  dans  Tid^e  que  lenr 
pr^sence  facilitera  la  venue  an  monde  de  Fenfant;  ils  fönt  un  tapage  extraordinaire,  con- 
vaincus,  que  Tefiroi  aide  &  la  d^livrance  de  la  m^re.' 

Frau  Atkinson^  welche  mehrere  Jahre  unter  den  Kirgisen- Stämmen  des 
ostlichen  Sibiriens  lebte,  sagt,  dass  man  die  Kreissenden  mit  Stöcken  schlägt, 
um  den  Teufel  von  ihnen  auszutreiben. 

Wenn  bei  den  Kirgisen  im  Gebiet  Semipalatinsk  die  Niederkunft  nicht 
von  Statten  geht,  so  werden  zuerst  alle  Weiber  aus  der  Jurte  der  Gebärenden 
Terjagt,  weil  man  annimmt,  dass  unter  ihnen  ein  Weib  böse  und  vom  Schaitan 
(Satan)  besessen  sei  Innen  aber  versammeln  sich  die  Männer  und  um  die  Jurte 
herum  stellen  sich  alle  übrigen  Einwohner  des  Auls  auf.  Man  schreit,  lärmt, 
schiesst,  schlägt  mit  Peitschen  um  sich,  ja  mitunter  schlägt  man,  jedoch  nur  zum 
Schein,  auf  die  Gebärende.  Nun  ruft  man  einen  „Dargon*  d.  h.  einen  mit  der 
Wirkung  der  Arznei  vertrauten  Mann,  also  eine  Art  Arzt,  häufiger  aber  einen 
«Baksa'  (eine  Art  Schamane).  Dieser  spielt  auf  einem  Saiteninstrumente,  „kobysa*, 
geräth  in  Verzückungen,  und  in  diesem  Zustande  kann  er  heilen.  In  ausnahms- 
weise schweren  Fällen  holt  man  sogar  zwei  Baksen  herbei.  Es  können  auch 
Frauen  Baksen  werden,  doch  findet  man  das  selten. 

Die  vom  Baksa  geübte  Ceremonie  geht  in  folgender  Weise  vor  sich:  Alles  Feuer  wird 
verlöscht  bis  auf  das  in  der  Mitte  auf  dem  Herde  befindliche.  Die  Kranke  wird  bei  diesem 
letzteren  niedergelegt,  während  der  Baksa,  in  ein  weisses,  langes  Hemd  gekleidet,  niederkniet 
und  seine  Eobysa  (ein  dreisaitiges,  mandolinenartiges  Instrument)  vor  sich  stellt.  Zuerst  be- 
ginnt er  langsam  sich  hin-  und  hemeigend  auf  dem  Instrumente  zu  spielen :  von  Zeit  zu  Zeit 
schüttelt  er  es,  dass  die  metallischen  Anhänge  an  demselben  klingen;  dann  singt  er  mit 
zitternder  Stimme  eine  wilde,  fremdartige  Melodie.  Ab  und  zu  wird  der  Gesang  durch  un- 
artikulirte  laute  Schreie  unterbrochen;  ab  und  zu  hört^  die  Begleitung  des  Instrumentes  auf. 
Endlich  ist  Alles  still,  aber  nur  einen  Moment:   der  Baksa  springt  mit  rollenden  Augen  und 


262  lilV'.  Die  Schwergeburten  im  Volksglauben. 

verzerrtem  Gesichte  auf,  wirft  das  Instrument  von  sich  und  f&ngt  an  im  Kreise  um  die  Jurte 
zu  gehen;  offenbar  ist  er  seiner  Sinne  nicht  mächtig.  Er  geht,  er  strauchelt}  er  f&llt  auf  die 
Umstehenden,  er  erhebt  sich  wie  in  Krämpfen,  dann  springt  er  in  die  Höhe,  ergreift  irgend 
ein  Kissen  mit  den  Zähnen  und  schleudert  es  fort;  kurz  er  rast.  Wenn,  wie  es  vorkommt, 
gar  zwei  Baksen  herbeigezogen  worden  sind,  so  ist  das  Rasen  erst  recht  toll;  sie  suchen  ein- 
ander zu  überbieten;  sie  beissen  sich,  werfen  sich  mit  glühenden  Feuerbränden  u.  s.  w.  und 
hören  nicht  früher  auf,  als  bis  der  schwächere  Baksa  kraftlos  zusammensinkt.  Unterdessen 
soll,  nach  der  Meinung  der  Kirgisen,  in  Folge  dieses  Rasens  die  Geburt  vor  sich  gehen. 
[Globus  1881.) 

Um  die  Entbindung  zu  erleichtem,  nehmen  die  S am o jeden  -zu  folgenden 
Mitteln  ihre  Zuflucht:  Die  leidende  Frau  muss  einem  alten  Weibe  beichten,  ob 
sie  vor  der  Heirath  gegen  die  Keuschheit  gesündigt,  oder  ob  sie  später  dem 
Manne  untreu  gewesen  ist,  und  zwar  muss  sie  die  Anzahl  der  Falle  aufzählen. 
So  viel  mal,  als  dies  stattgefunden,  so  viel  Knoten  bindet  die  Alte,  geheimniss- 
voll  etwas  dazu  murmelnd,  in  eine  dünne  Schnur.  Einer  ähnlichen  Beichte  muss 
sich  der  Ehemann  zur  gleichen  Zeit  einem  alten  Manne  gegenüber  unterwerfen, 
der  ebenfalls  Knoten  bindet  und  noch  besonders  den  Gatten  befragen  muss,  ob 
er  nicht  vielleicht  seine  Gelüste  an  Hündinnen  und  Rennthierkühen  befriedigt  hat, 
worüber  auch  Knoten  gebunden  werden,  wenn  es  der  Fall  gewesen  ist.  Hiemach 
wird  die  Zahl  der  Vergehen  der  Ehegatten  verglichen,  die  Differenz  von  der 
grösseren  Knotenzahl  abgeschnitten  und  das  Stückchen  Knotenschnur  der  in  der 
Entbindung  Befindlichen  auf  den  Unterleib  gelegt.  Wenn  beide  Theile  nichts 
verhehlt  haben,  so  muss  bei  der  Anwendung  dieses  Mittels  die  Entbindung  leicht 
von  Statten  gehen,  wenn  sie  aber  trotzdem  noch  stockt,  so  hat  wahrscheinlich 
eine  der  Ehehalfben  etwas  verheimlicht,  also  fehlen  ein  oder  auch  wohl  mehrere 
Knoten,  die  aufgebunden  werden  müssten.  Die  Leiden  sind  die  Sühne  für  die 
Sünde,  die  der  Schuldige  nicht  gebeichtet  hat;  nur  das  aufrichtige  Eingeständniss, 
die  Reue  gleichsam,  kann  die  Strafe,  die  Leiden,  erleichtern,     {v.  Struve.) 

PaUas  sagt  über  diesen  Gegenstand: 

,Ja  die  übelste  von  allen  Gewohnheiten  bey  der  Niederkunft,  wo  wider  die  europäi- 
schen Schonen  eyfem  würden,  ist,  dass  die  Samojedinnen  alsdann  in  Gegenwart  einer 
Gehülfin  und  des  Mannes  beichten  müssen,  ob  und  mit  wem  sie  eine  kleine  Liebessünde  be- 
gangen haben;  welches  sie,  aus  Furcht,  durch  die  geringste  Zurückhaltung  eine  schwere  Gre- 
burt  zu  leiden ,  treuherzig  thun  sollen.  Sie  haben  auch  von  dem  Bekänntniss  keine  üblen 
Folgen  zu  befürchten,  sondern  der  Mann  geht  nur  zu  demjenigen,  auf  welchen  das  Bekänntniss 
der  Gebärerin  fällt,  und  lässt  sich  vor  die  unerbetene  Beyhülfe  eine  kleine  Entschädigung 
zahlen.  Ist  der  Thäter  ein  naher  Verwandter,  so  verschweigt  das  Weib  nur  den  Nahmen, 
und  der  Mann  weiss  alsdann  schon,  von  wem  er  die  Schuld  einzufordern  hat.*^ 

Führen  diese  gegenseitigen  Geständnisse  nicht  die  Niederkunft  herbei,  so 
muss  irgend  etwas  verschwiegen  sein  und  dann  wird  der  Schamane  (Tadibe)  ge- 
rufen, der  die  schuldigen  Häupter  nennt.     {Krebel) 

Bei  den  Golden  fand  Adrian  Jacobsen  ein  hölzernes  Götzenbild  in  der 
Gestalt  einer  Frau,  auf  deren  Bauche  sich  die  Gestalt  eines  Kindes  befindet.  Das- 
selbe leistet  Hülfe  bei  erschwerten  Entbindungen  .und  zu  diesem  Behufe  wird  es 
der  Kreissenden  auf  den  Leib  gelegt.  Man  kann  es  wohl  begreifen,  dass  diese 
Methode  nicht  ohne  günstige  Einwirkung  ist,  denn  erstens  wird  es  wohl  durch 
seine  Kälte  wirken,  andererseits  hat  es  aber  auch  bei  einer  Länge  von  73  cm 
das  nicht  unbeträchtliche  Gewicht  von  beinahe  9^/2  Kilogramm;  und  dass  eine 
solche  Last  auf  den  Leib  gelegt  den  Uterus  zu  starken  Zusammenziehungen  an- 
zureizen vermag,  das  lässt  sich  wohl  leicht  begreifen.  Dieses  Idol  befindet  sich 
jetzt  in  dem  kgl.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin:  es  ist  in  Fig.  311  ab- 
gebildet, und  es  hat  bereits  früher  seine  Erwähnung  gefunden  (S.  623  Bd.  I). 

Wenn  bei  den  Altajern  eine  Frau  gebären  soll,  so  versammeln  sich  die 
weiblichen  Verwandten  in  der  Jurte  der  Mutter,  während  die  Männer  sich  in  der 
Gegend  der  Jurte  aufhalten.    Diese  Männer  haben  offenbar  die  Aufgabe,  die  bösen 


349.  Die  übernatürlichen  Gebortshülfismittel  bei  den  Völkern  Asiens. 


263 


Geister  zu  vertreiben,  denn  sie  erheben,  sobald  die  Wehen  beginnen,  ein  furcht- 
bares Geheul  und  Geschrei,  laufen  um  die  Jurte  herum  und  feuern  Flintenschüsse 
ab.    Dieser  Lärm  währt  bis  zur  Geburt  des  Kindes.    (RacUoff.) 

Bei  schweren  Entbindungen  werden  von  den  Ainos  in  Japan,  ebenso  wie 
bei  allen  Vorkommnissen,  wo  menschliche  Hülfe  nicht  ausreicht,  die  ,,Inawo^  und 
kleine  Opfer,  aus  Hirse  und  dergleichen  bestehend,  den  Eamoi  vorgesetzt.  Die 
Eamoi  sind  Hülfsgeister  und  die  Inawo  sind  Stäbe  aus  Ahomholz,  an  deren  Ende 
dünne,  zu  Büscheln  sich  kräuselnde  SpShne  geschnitzt  sind;  sie  gelten  als  Symbole 
der  Schutzgeister.  Ausserdem  wird  der  Leib  der  Kreissenden  mit  getrocknetem 
Bärendarm  umwickelt.   Dieses  Mittel  ist  auch  den  Japanern  bekannt,   (v.  Siebold) 

Li  Persien  bittet  man  gewohnlich  während  der 
Entbindung  auf  den  Dächern  AUdh  um  die  Vollendung 
des  Geburtsactes.  Auch  legt  daselbst,  wenn  der 
Kindskopf  lange  in  der  Krönung  stecken  bleibt,  die 
Hebamme  schöne  Sächelchen,  Süssigkeiten  und 
Wäsche  in  den  Schooss  der  Mutter  und  sie  ruft 
dem  Kinde  im  Mutterleibe  zu:  „So  komm,  so  komm!« 
{Polak.) 

Li  Kazwin  im  westlichen  Persien  schiesst  man 
Flinten  ab,  wenn  eine  Frau  in  den  Wehen  liegt,  um 
die  Dämonen  zu  vertreiben,  während  die  Weiber  zu 
gleichem  Zwecke  einen  Säbel  neben  die  üjreissende 
legen  und  auf  dem  flachen  Dache  des  Hauses  eine 
Reihe  als  Soldaten  angezogener  Puppen  durch  Fäden 
in  Bewegung  setzen.  WiU  trotzdem  das  Kind  nicht 
erscheinen,  so  lässt  der  Ehemann  einen  Schimmel  von 
der  nackten  Brust  seiner  Frau  Gerste  fressen.  Manche 
Pferde  haben  durch  ihre  glückliche  Einwirkung  auf 
die  Geburt  einen  ganz  besonderen  Ruf  erlanjjt,  und 
es  kommt  vor,  dass,  wenn  in  einem  Doife  zwei 
Bäuerinnen  gleichzeitig  von  Geburtswehen  befallen  wer- 
den, ihre  Männer  sich  um  das  heilbringende  Thier 
prügeln.    (Dietdafoy.) 

Bei  den  jetzigen  Parsen  muss  während  der 
Wehen  drei  Tage  und  drei  Nächte  lang  ein  grosses 
Feuer  brennen,  um  die  Daeva,  die  bösen  Geister  zu 
vertreiben  (DuncJcer);  dieser  Gebrauch  ist  durch  Zoro-  __ 

a^er'^  Religionsgesetze  bestimmt,  und  er  kehrt  auch  bei    Fig.  3ii.   Hölzernes  idoi  der 
den    nomadisirendeü    Zigeunern    in   Siebenbürgen      Golden  (Sibirien),  das  bei 

.j  -o-j«  1X1.  MX.         j       -c^  j«       schweren  Entbindungen  der  Kreis- 

wieder.     Bei  diesen  letzteren  soll  aber  das  r  euer   die    senden  auf  den  Leib  gelegt  wird. 
Dämonen  weniger  von  der  Kreissenden,   als  vielmehr   im  Besitze  des  kgi.  Museums  für 
von  dem  neugeborenen  Kinde  abhalten,  wozu  auch  noch         ^^(NMh^Photogrepiüe.)'^ 
besondere  Beschwörungsverse  zu  singen  sind. 

Die  jetzigen  Hindus  lassen  bei  herannahender  Entbindung  einen  feuer- 
anbetenden Fakir  kommen,  welcher  Gebete  an  den  Gott  Sieb,  Schiwa  oder  Chewa 
vor  dem  Hause  der  Gebärenden  richten  muss,  um  eine  glückliche  Niederkunft  zu 
bewirken.  {Eenouard  de  St.  Croix.)  Bei  schwierigen  Geburtsfällen  wird  bisweilen 
ein  Magier  zu  Hülfe  gerufen,  der  damit  beginnt,  den  Unterleib  der  Kreissenden 
mit  einem  Stecken  zu  bearbeiten,  um  den  Teufel  auszutreiben.     (Ärnoth.) 

Lässt  sich  bei  den  Chewsuren  das  Stöhnen  der  Niederkommenden  längere 
Zeit  vernehmen  und  liegt  eine  Schwergeburt  vor,  so  naht  sich  der  Gatte  vor- 
sichtig dem  Orte  und  erschreckt  sie  durch  Flintenschüsse.     (Rddde.) 

Bei  den  Pschawen  hat  man  ganz  dasselbe  Mittel.  Die  Frau  muss  dort 
ganz   allein  in   einer  entlegenen  Hütte  niederkommen.     Geht   die  Geburt   schwer 


264  LIY-  ^ie  Schwergeburten  im  Volksglauben. 

von  Statten,  und  man  erkennt  dies  an  dem  kläglichen  Oewimmer  nnd  Geschrei 
des  armen  Weibes,  so  schleichen  sich  Männer  in  die  Nähe  der  Hütte  und  feuern 
dort  ihre  Gewehre  ab,  um  die  Leidende  zu  erschrecken  und  dadurch,  wie  sie 
glauben,  die  Entbindung  zu  erleichtem.     {Fürst  Eristow.) 

Bei  den  kaukasischen  Völkern  christlichen  Bekenntnisses  betrachtet  man 
die  Jungfrau  Maria  als  Schutzgottin  der  Gebärenden.  Unter  den  Guriern  wird 
am  Kopfende  des  Geburtsbettes  das  Bild  der  heiligen  Maria  aufgestellt,  und  ein 
Priester  liest  das  Evangelium,  bis  die  Entbindung  vor  sich  geht.  {Krebd.)  Bei 
den  Georgiern  versammelt  sich  während  der  Niederkunft  einer  Frau  eine  Menge 
ihrer  Anverwandten  und  betet  bei  brennenden  Lichtem  vor  einem  Muttei^ottes- 
bilde.  Um  die  Geburt  zu  erleichtem,  umwindet  man  das  Bett  mit  einem  aus  dem 
Haare  einer  schwarzen  Ziege  gedrehten  Faden. 

Das  Herauslocken  des  Kindes  aus  dem  Mutterleibe  ist  auch  in  Nieder- 
ländisch-Indien  bekannt.  Hier  muss  sich  der  Ehegatte  zwischen  die  gespreizten 
Beine  der  Kreissenden  stellen  und  dann  fortlaufen,  damit  das  Kind  nach  seinem 
Vater  verlange  und  ihm  schleunigst  zu  folgen  versuche.  Ist  der  Vater  abwesend, 
so  wird  sein  Kopftuch  auf  einer  Stange  befestigt,  um  durch  diese  Puppe  das 
Kind  zu  täuschen.  Auch  sucht  man  das  letztere  durch  Klappem  mit  Geldstücken 
in  einem  Kupferbecken  oder  durch  Einbringen  von  Geld  und  einem  Töpfchen  mit 
Reis  vom  in  die  Genitalien  der  Mutter  hervorzulocken.     {van  der  Burg.) 

Bei  mühsamen  Geburten  wird  auf  den  Sula-Inseln  durch  Spsdten  von 
Pinang  oder  durch  Schneiden  der  Ingwerwurzel  nachgeforscht  oder  Rath  gepflogen, 
was  die  Ursache  davon  sein  könnte,  und  danach  werden  die  Maassregeln  genommen. 
Wenn  z.  B.  die  Kreissende  Uneinigkeiten  mit  ihren  Eltern  gehabt  hat,  dann 
müssen  diese  Gesicht  und  Hände  in  einem  Becken  mit  Wasser  waschen  und  dabei 
geloben,  nach  günstigem  Verlauf  der  Geburt  den  Nitu  oder  Niaha  ein  Opfer  zu 
bringen.  Ein  Theil  dieses  Wassers  wird  der  Kreissenden  zu  trinken  gegeben, 
während  das  Uebrige  über  ihren  Kopf  geschüttet  wird.  Bei  gutem  Verlaufe 
werden  die  nächsten  Blutsverwandten  und  der  Geistliche  bewirthet,  welch  letzterer 
vorher  vor  dem  Sirih-pinang-Trog,  welcher  in  der  Mitte  des  Hauses  oder  bei  dem 
Hauptpfeiler  steht,  ein  Gebet  spricht.  Auch  wird  bei  dieser  Gelegenheit  das  Haus 
mit  dem  von  dem  Geistlichen  geweihten  Wasser  besprengt,  woftir  letzterer  ein 
Geschenk  von  40  bis  150  Cents  bekommt.     {Riedel^^ 

Als  ein  die  Niederkunft  störender  Geist  gilt  auf  den  Inseln  des  Sawu-  oder 
Haawu- Archipels  in  Niederländisch-Indien  der  Wango^  den  man  durch 
Domgebüsch  vom  Eindringen  in  das  Haus  abzuhalten  sucht.     {Riedel.) 

Auf  Nias  hat  man  bei  der  Kreissenden  ein  Idol  Namens  Adü  Fangola 
oder  Ädit  Ono  aläve  in  der  Form  eines  schwangeren  Weibes  stehen.  Diese  Gott- 
heit schützt  das  Neugeborene,  sie  bewahrt  aber  auch  die  Schwangeren  vor  den 
Nachstellungen  des  Dämons  Bechu  matiana.    {Modigliani.) 

Die  Ureinwohner  der  Philippinen  (die  Aetas  und  Negritos)  fürchten, 
wie  de  Rienei  berichtet,  den  PatianaJc.  Das  ist  ein  Dämon,  der  der  Schwangeren 
und  dem  Kinde  nach  dem  Leben  trachtet.  Um  diesen  unschädlich  zu  machen, 
verschliesst  der  Mann,  wenn  die  Geburtswehen  am  heftigsten  sind,  sorgfaltig  die 
Hütte,  zündet  ein  grosses  Feuer  an,  entäussert  sich  der  wenigen  Kleider,  die  ihn 
bedecken,  und  schwingt  wüthend  den  Kampilan,  bis  seine  Frau  entbunden  ist. 
Auch  der  Ostmng  oder  Asuang  ist  ein  ähnlicher  Dämon. 

Den  Patianäk  schildern  die  Tagalen  von  zwerghafter  Gestalt,  der  Osuang  erscheint 
bald  als  Hund,  bald  als  Katze  oder  Küchenschabe,  bei  den  Tagalen  und  Pampangos  auch 
in  Yogelgestalt.  Die  Nahrung  beider  besteht  aus  Menschenfleisch,  Wenn  in  einem  Hause 
eine  Niederkunft  stattfinden  soU,  dann  erscheinen  diese  beiden  Dämonen,  begleitet  von  dem 
Vogel  Tictic,  der  ihnen  als  Spion  imd  Wegweiser  dient.  Der  Gesang  dieses  Vogels  in  der 
Nähe  einer  Hütte,  in  der  eine  Schwangere  oder  Kreissende  wohnt,  galt  daher  als  eine  \)6ae 
Vorbedeutung.    Der  Osuang  flog  herbei,  setzte  sich  auf  das  Dach  des  Nachbarhauses,  und  von 


350.  Die  übernatürlichen  Geburtshülfsmittel  bei  den  Völkern  Oceaniens.  265 

dort  ans  streckte  er  seine  Zange  bis  in  das  Hans  der  WOchnerin  und  zog  durch  die  Mastdarm- 
Öffnung  dem  neugeborenen  Kinde  die  Ged&rme  heraus,  so  dass  es  eines  elenden  Todes  sterben 
musste.  Der  Patianak  will  weniger  den  Tod  des  Kindes  herbeiführen,  obwohl  er  dies  auch 
mitunter  thut,  er  liebt  es  vielmehr,  die  Geburt  zu  erschweren  oder  unmöglich  zu 
machen,  und  ist  viel  mehr  der  Wöchnerin  als  dem  Kinde  geföhrlich.  Gewöhnlich  setzt  er 
sich  auf  einen  Baum,  der  in  der  unmittelbaren  N&he  eines  Hauses  steht,  in  welchem  die  Ge- 
bärende weilt,  und  lässt  einen  monotonen  Gesang  erschallen,  wie  ihn  die  Schiffer  beim  Rudern 
singen,  um  dem  verderblichen  Begannen  der  Unholde  entgegenzuarbeiten,  bedienen  sich  diese 
Leute  verschiedener  MitteL  So  schleppen  sie,  um  die  Dämonen  zu  überlisten,  die  Schwangere, 
wenn  die  Geburtswehen  eintreten,  in  ein  fremdes  Haus.  Gewöhnlich  verstopft  man  Thüren 
und  Fenster,  um  das  Eindringen  des  Patianak  und  Osuang  zu  verhindern,  so  dicht,  „dass  vor 
Hitze  und  Gestank  Gesunde  krank  werden  und  Kranke  schwer  genesen*^.  Dieser  Gebrauch 
hat  sich  selbst  in  jenen  Gegenden  erhalten,  wo  der  Aberglaube  selber  erloschen  ist,  hier  „hat 
man  in  der  Furcht  vor  Zogluft/  wie  Jagor  fand,  „eine  neue  Erklärung  für  einen  alten  Brauch 
gefunden." 

Da  besonders  der  Patianak  vor  allem  Nackten  eine  grosse  Scheu  besitzt,  so  besteigt 
der  Ehegatte,  bei  dessen  Weib  die  Geburtswehen  eintreten,  vollständig  nackt  oder  nur  mit 
einem  Schurze  bekleidet  das  Dach  seines  Hauses;  er  ist  mit  Schwert,  Schild  und  Lanze 
bewaffnet;  ähnlich  ausgerüstete  Freunde  stellen  sich  um  und  unter  die  (auf  Pfählen  ruhende) 
Hütte;  alle  beginnen  mit  rasender  Wuth  in  die  Luft  zu  hauen  und  zu  stechen;  dadurch  werden 
nach  ihrem  Glauben  die  Unholde  in  Angst  versetzt  und  ziehen  sich  wieder  zurück.  Buzeta 
und  Bravo  erwähnen,  dass,  wenn  bei  den  Tagalen  die  Geburt  schwer  von  Statten  ging,  sie 
mit  reichlicher  Pulverladung  versehene  Mörser  in  unmittelbarer  Nähe  der  Wöchnerin  wieder- 
holt abfeuern;  vielleicht  geschieht  dies  auch  in  der  Absicht,  den  Patianak  und  Osuang  zu 
verscheuchen.  Nach  St,  Croix  suchten  früher  die  Tagalen  durch  rings  um  die  Hütte  er- 
richtete Feuer  sich  vor  den  Ungeheuern  zu  schützen.  Erst  durch  die  Taufe  wird  nach  Maa 
das  neugeborene  Kind  vor  jenen  bösen  Geistern  gerettet,  deshalb  pflegen  sie,  wenn  sie  das 
Kind  zur  Taufe  tragen,  Räucherwerk  anzuzünden,  um  den  Osuang  zu  verscheuchen.  Wenn 
auch  besonders  in  der  Umgebung  solcher  Orte,  wo  die  Indier  vielfach  mit  Weissen  in  Be- 
rührung kommen,  dieser  Glaube  erloschen  zu  sein  scheint  (oft  aber  nur  verheimlicht  wird  aus 
Furcht  vor  dem  Pfarrer),  so  sind  doch  viele  der  an  denselben  anknüpfenden  Bräuche  erhalten 
geblieben,  und  in  entlegenen  Dörfern  treiben  der  Patianak  und  Osuang  immer  noch  ungestört 
ihr  Wesen.    (Blumentritt.) 

Von  den  Annamiten  berichtet  Landes: 

„Dans  un  accouchement  difßcile,  lorsque  la  femme  est  en  grand  p^il,  le  p^re  se  pro- 
steme  en  appelant  Tenfant  et  le  conjurant  de  naltre.*" 


350.  Die  übernatflrliclien  Geburtshfllfsmittel  bei  den  Tolkern 

Oceaniens. 

Auf  dem  Festlande  von  Australien  begegnen  wir  zur  Erleichterung 
schwerer  Entbindungen  einem  eigenthümlichen  Verfahren,  das  als  ein  Sympathie- 
Zauber  durch  Schmerzübertragung  auf  andere  Personen  angesehen  werden  muss. 
CöUins  berichtet  nämlich,  dass  eine  Frau  der  Gebärenden  ein  kleines  Bändchen 
um  den  Hals  bindet  und  mit  dessen  Ende  ihre  eigenen  Lippen  reibt,  bis  sie  bluten; 
sie  glauben,  dass  dadurch  der  Schmerz  von  der  Kreissenden  abgeleitet  wird.  Eine 
zweite  helfende  Frau  giesst  der  letzteren  ausserdem  von  Zeit  zu  Zeit  kaltes  Wasser 
auf  den  Leib. 

In  Neu -Britannien  ist  nach  Danks  im  Hause  bei  der  Niederkunft  stets 
ein  Zaubermittel  aufgehängt,  um  die  Geburtswehen  möglichst  milde  zu  machen, 
und  das  Kind  vor  bösen  Geistern  zu  schützen. 

Auf  den  Neu-Hebriden  bedient  man  sich  bei  schweren  Entbindungen 
gewisser  Beschwörungsceremonien.  Da  aber  auch  directe  geburtshülfliche  Hand- 
griffe mit  denselben  verbunden  sind,  werden  wir  erst  später  auf  sie  zurück- 
kommen. 


266  I^IV".  Die  Schwergeburten  im  Volksglauben. 

Wenn  auf  Samoa  die  Geburt  sich  verzögert,  so  wird  dem  Ehemanne  die 
Schuld  beigemessen: 

«man  vermutbet,  dass  er  anderen  Frauen  nachlief,  während  seine  Frau  schwanger  war; 
wenn  aber  all  das  Zamen  auf  den  zerknirschten  Sünder  nichts  hilft,  so  beginnt  man  sich  zu 
erinnern,  dass  die  Wöchnerin  manchmal  unartig  gegen  ihre  Schwiegereltern  war;  sie  war 
geizig  mit  Nahrung  oder  unsinnigen  Mundes.  Alle  dergleichen  Vergehen  werden  nach  der 
Meinung  des  Volkes  bei  der  Niederkunft  bestraft. '^    (Kübary.) 

Turner  sagt,  dass  bei  der  Entbindung  einer  Samoanerin  ihr  Vater'  oder 
ihr  Ehemann  anwesend  ist  und  den  Hausgott  Moso  um  einen  glücklichen  Verlauf 
anfleht.  Dabei  verspricht  er  ihm  Opfergaben,  welche  entweder  in  Matten,  einem 
Canoe  oder  in  Lebensmitteln  bestehen. 

Die  Maori  auf  Neu-Seeland  wenden  bei  verzögerter  Niederkunft,  neben 
Scarificationen  des  Unterleibes,  Beschworungen  und  Zaubermittel  an.  Auch  bei 
ihnen  herrscht  der  Glaube,  dass  bei  einer  langwierigen  Entbindung  irgend  eine 
Schuld  die  Kreissende  belaste.  Sie  muss  irgend  eine  Pflichtverletzung  auf  ihrem 
Gewissen  haben,  sei  es,  dass  sie  dem  Ariki  (Haupt  der  Familie)  geflucht,  das 
Tabu  missachtet  oder  Ehebruch  getrieben  habe.  Sie  wird  nach  ihrer  Schuld  be- 
fragt, und  wenn,  wie  dies  gewöhnlich  der  Fall  ist,  sie  eine  solche  bekennt,  so 
sammelt  man  Kräuter  von  den  heiligen  Gründen  ihrer  Voreltern,  und  nachdem 
man  dieselben  über  einem  Feuer  geröstet  hat,  legt  man  sie  auf  des  Weibes  Kopf, 
und  ihr  Zauberpriester  (Tolunga)  stimmt  während  der  ganzen  Dauer  ihrer  Nieder- 
kunft Gesänge  und  Gebete  an.     (Parris,) 

Auf  Ambon  und  den  Uliase-Inseln  werden,  um  die  Niederkunft  zu  er- 
leichtem, auf  den  Platz,  wo  die  kreissende  Frau  hockt,  alte  Kleidungsstücke  des 
Mannes  gelegt,  damit  das  Kind  die  Transpiration  des  Vaters  bemerken  und,  hier- 
durch angelockt,  schneller  heraustreten  soll.  Bei  schweren  Entbindungen  auf 
Serang  werden  alle  Kisten  und  Körbe,  die  verschlossen  und  festgebunden  sind, 
geöffnet  und  aufgebunden,  und  die  Patalima-Männer  stecken  ein  trockenes  Stück 
eines  Pisangblattes,  worin  Tabak  eingerollt  ist,  in  das  Dach  der  Wohnung  und 
sagen  dabei: 

.Kommt,  Väter,  kommt,  Grosseltem,  kommt,  Mütter!  Seht  Alle  nieder  auf  Eure  Tochter, 
die  niederkommen  muss;  habt  Mitleiden  mit  ihr  und  helft  ihr  rasch.'' 

Auch  wird  auf  erschreckliche  Weise  auf  die  Tiha  geschlagen,  um  die  bösen 
Geister  zu  verjagen. 

Die  der  Kreissenden  helfenden  Frauen  auf  den  Luang-  und  Sermata- 
Inseln  wimmern,  um  ihr  Muth  einzuflössen.  Alle  Thüren  werden  geöffiiet,  auch 
diejenige  des  Gebärzimmers;  aber  ausser  dem  Ehemanne  hat  niemand  das  Recht, 
einzutreten.  Bleiben  die  Wehenschmerzen  lange  aus,  dann  hat  die  Mutter  der 
Gebärenden  früher  verbotenen  Umgang  gepflogen,  und  sie  muss  sich  dann  ihre 
Füsse  selbst  mit  Wasser  waschen  und  dieses  ihrer  kreissenden  Tochter  zu  trinken 
geben.  Wenn  auf  den  Wat üb ela -Inseln  die  Manipulationen  der  bei  der  Nieder- 
kunft helfenden  Frau  erfolglos  bleiben,  dann  bringt  der  Gatte  dem  Sobosobo 
einige  kostbare  Zierrathen  und  andere  Geschenke  und  ersucht  ihn,  die  Hülfe  vom 
„Grossvater-Sohn"  zu  erbitten,  unter  dem  Versprechen,  diesem  eine  Mahlzeit  zu 
opfern,  bestehend  aus  je  einem  Teller  mit  gekochtem  Reis,  mit  gekochtem  Djagong, 
gekochtem  Pisang,  gekochtem  Katjang,  Sagu,  Sirih-Pinang,  einem  gerösteten  Huhn 
und  einem  Bambusgliede  mit  Tua,  dem  Safte  des  Kalapa-Baumes.  Nach  glücklich 
erfolgter  Entbindung  bringt  er  das  Gelobte,  stellt  es  vor  dem  Hause  unter  freiem 
Himmel  auf,  nimmt  etwas  von  jedem  Gericht  und  wirft  es  auf  die  Erde,  während 
er  den  Rest  mit  dem  Sobosobo  verzehrt,  um  die  Gemeinschaft  mit  dem  , Gross- 
vater-Sohn* zu  bekräftigen.  Auch  hier  werden  während  der  Niederkunft  alle 
Kisten  und  Körbe  geöffiiet  und  der  Frau  die  Kleider  des  Mannes  unter  die 
Kniee  gelegt. 


850.  Die  übernatürlichen  Gebnrtshülfsmittel  bei  den  Völkern  Oceaniens.  267 

Die  Aaru- Insulaner  und  die  Einwohner  von  Eetar  verjagen  die  die  Ent- 
bindung störenden  und  das  Kind  zurückhaltenden  bösen  Geister  durch  Trommel- 
lärm. Ist  auf  den  Inseln  Leti,  Moä  und  Lakor  die  Niederkunft  schwer  und 
bleibt  das  Kneten  des  Unterleibes  ohne  Erfolg,  dann  wird  durch  einen  in  dieser 
Kunst  erfahrenen  alten  Mann  „die  Thür  geöffiiet^S  d.  h.  das  Augurium  eines 
jungen  Huhnes  um  Rath  gefragt.  Er  nimmt  zu  diesem  Zwecke  Sirih,  Pinang 
und  Beis  und  legt  dieses  Alles  auf  ein  Blatt.    Darauf  betet  er: 

,0  üpnlera,  habt  Mitleid  nnd  macht  die  Thür  auf,  damit  das  Segel  herontergelassen 
und  der  Stein  gelöst  werden  kann.'' 

Dann  schneidet  er  dem  Huhn  ein  Stück  vom  Kamm  und  etwas  Fleisch  unter 
den  Flügeln  ab  und  legt  dieses  mit  auf  das  Blatt.  Das  Huhn  wird  darauf  auf- 
geschnitten und  das  Herz  untersucht.  Lauft  die  Ader  inwendig  fleckenlos  durch, 
dann  ist  das  ein  gutes  Zeichen,  werden  aber  weisse  Funkte  daran  gesehen,  dann 
muss  die  Probe  noch  einmal  gemacht  und  im  Nothfalle  sogar  zum  dritten  Male 
wiederholt  werden.  Ist  auch  dieses  dritte  Orakel  ungünstig,  dann  glaubt  man, 
dass  die  Frau  sterben  müsse,  was  übrigens  in  Wirklichkeit  nur  sehr  selten  vor- 
kommt.   {Biedel\) 


LV.  Die  natürlichen  Htüfsmittel  bei  fehlerhafter  Geburt. 

351«  Die  Arten  der  Httlftleistmig  bei  schweren  Geburten. 

Als  in  einem  früheren  Kapitel  die  Hülfsmittel  bei  der  normalen  Geburt  be- 
sprochen wurden,  da  musste  ich  bereits  darauf  aufmerksam  machen,  dass  manche 
derselben  der  normalen  und  der  fehlerhaften  Niederkunft  gemeinsam  sind  und 
dass  von  den  uncivilisirten  Völkern  jegliche  Geburt,  die  nicht  mit  einer  ihren 
Wünschen  entsprechenden  Schnelligkeit  und  Schmerzlosigkeit  verläuft,  sofort  als 
eine  fehlerh^e  betrachtet  wird.  Dann  glauben  sie  gleich,  dass  es  nöthig  sei, 
zu  allerlei  Hulfsmitteln  ihre  Zuflucht  zu  nehmen. 

Manche  dieser  Mittel  sind  nun,  wie  wir  nicht  leugnen  können,  durchaus 
nicht  unzweckmässig  .erdacht,  und  dieses  gilt  besonders  von  den  mechanischen 
Hülfsleistungen.  Hierbei  spielen  die  Massage,  die  Knetungen  und  die  Erschütte- 
rungen des  Körpers,  sowie  die  TTmschnürungen  und  die  Belastungen  des  Unterleibes 
eine  ganz  hervorragende  Rolle.  Aber  aucl|  mancherlei  Arzneien  werden  wir  kennen 
lernen,  welche  bei  verlangsamtem  Geburtsverlaufe  mit  grösserer  oder  geringerer 
Berechtigung  der  Kreissenden  eingeflösst  werden.  Es  scheint  ganz  unzweifelhaft 
zu  sein,  dass  einigen  derselben  eine  ganz  specifische  Wirkung  auf  die  Muskulatur 
der  Gebärmutter  zugeschrieben  werden  muss.  Andere  dagegen  mögen  vielleicht 
mehr  indirect  durch  Erregung  von  Uebelkeit  oder  durch  Steigerung  der  Darm- 
bewegungen auch  den  Uterus  zu  stärkeren  Zusammenziehungen  veranlassen  und 
die  Thätigkeit  der  Bauchpresse  steigern.  Das  Gleiche  gilt  wohl  auch  von 
der  Mehrzahl  der  äusserlich  angewendeten  Medicamente,  und  namentlich  von  den 
Räucherungen;  doch  mögen  diese  auch  als  nervenstärkende  oder  als  Niesemittel 
ihre  Wirksamkeit  entfalten. 

Von  einer  sehr  wichtigen  Gruppe  der  Beförderungsmittel  bei  einem  stocken- 
den Geburtsverlaufe  habe  ich  bereits  in  ausführlicher  Weise  in  dem  vorigen 
Kapitel  den  Leser  unterhalten,  das  sind  die  psychisch  wirkenden  Mittel.  Dass 
auch  diese  durch  ein  starkes  Fesseln  der  Aufmerksamkeit  und  die  hierdurch  be- 
dingte gesteigerte  Anspannung  der  gesammten  Muskulatur  sehr  wohl  ein  die  Ge- 
burt beförderndes  Moment  abzugeben  im  Stande  sind,  das  wurde  bereits  hervor- 
gehoben. Diese  psychisch  wirkenden  Mittel  gewährten  uns  aber  auch  einen 
tiefen  Einblick  in  das  Fühlen  und  Denken  der  Völker,  und  sie  gaben  uns  von 
Neuem  den  Beweis,  wie  oft  die  gleichen  Ideengänge  bei  verschiedenen  Nationen 
auftreten  und  wie  lange  Zeit  hindurch  ein  einmal  gefasster  Aberglaube  bei  dem- 
selben Volke  mit  Zähigkeit  haften  bleibt,  wenn  auch  seine  cultureUe  Entwickelung 
eine  vollständig  andere  geworden  ist. 


852.  Die  Darreichung  innerlicher  Arzneien  bei  schweren  Entbindungen  der  Europäer.      269 

852.  Die  Darreichung  innerlicher  Arzneien  bei  schweren  Entbindungen 
unter  den  europäischen  Yolkem. 

In  einem  früheren  Abschnitte  haben  wir  bereits  eine  grosse  Reihe  von 
Medicamenten  kennen  gelernt,  welche  theils  in  äusserlicher,  theils  in  innerlicher 
Anwendung  dazu  bestimmt  sind,  die  Entbindung  zu  imterstützen  und  zu  beschleu- 
nigen. Und  dieses  fanden  wir  nicht  allein  bei  solchen  Nationen,  welche  in  der 
Gultur  schon  relativ  grosse  Fortschritte  gemacht  hatten,  sondern  auch  bei  noch 
ziemlich  tief  in  der  Entwickelungsscala  stehenden  Yolkem.  Es  ist  daher  be- 
greiflich, dass  auch  für  solche  Fälle,  in  denen  der  Oeburts verlauf  erheblichere 
Störungen  und  Verzögerungen  erleidet,  derartige  Arzneimittel  zu  Hülfe  genommen 
werden.  Machen  wir  uns  die  Wirkungen  dieser  Mittel  klar,  so  sind  dieselben 
ganz  ähnliche,  wie  die  früher  besprochenen,  und  manches,  was  bei  dem  einen 
Volke  unter  allen  Umständen  bei  jeder  Entbindung  in  Gebrauch  gezogen  wird, 
konunt  bei  einer  anderen  Nation  erst  dann  zur  Anwendung,  wenn  der  Geburts- 
verlauf eine  Stockung  erleidet. 

Die  innerlich  angewendeten  Mittel  kann  man  eintheilen  in  diätetisch-arznei- 
liche zur  Stärkung  und  Hebung  der  Kräfte,  in  Schmerzen  beruhigende  und 
lindernde  und  in  die  Wehen  zu  grösserer  Energie  anregende  Mittel.  Die  äusser- 
lichen  Mittel  zerfallen  in  Einreibungsmittel^  Räuchemngsmittel  imd  Pessarien. 

Die  Anwendung  von  Medicamenten  zur  Erleichterung  einer  schweren  Ent- 
bindung finden  wir  schon  zu  Plato's  Zeiten  in  Griechenland  im  Gebrauch, 
allerdings  noch  unterstützt  durch  Zaubersprüche.  Die  Hippokratiker  schätzten 
das  Silphium  sehr  hoch,  das  später  ganz  vergessen  wurde;  es  wurde  erbsengross 
in  Wein  genommen.  ( Welcher .)  Die  Römer  wendeten  zu  dem  gleichen  Zwecke 
die  Granatäpfel  an,  und  bei  ihnen  spielten  auch  Abkochungen  von  Foenum  graecum 
eine  grosse  Bolle. 

Bei  den  arabischen  Aerzten  des  Mittelalters  wuchs  die  Zahl  der  geburts- 
fordernden  Mittel.  Wir  können  hier  nicht  näher  auf  dieselben  eingehen.  Der 
arzneiliche  Ueberfluss  häufte  sich  aber  ganz  erstaunlich  in  dem  mittelalterlichen 
Europa.  Von  den  Medicamenten,  welche  Trotüla  rühmt,  sei  hier  ausser  dem 
Foenum  graecum  der  Theriak  und  die  Artemisia,  in  Wein  genossen,  hervorgehoben. 

In  Deutschland  nahm  man  im  13.  Jahrhundert  innerlich  Honigwasser, 
Myrrhen,  Foenum  graecum  u.  dergl.  mit  Wein  oder  Bier,  auch  Bilsenkraut, 
Natterwurz  oder  Bibergeil  mit  Pfefiferwasser,  sowie  Gassia  fistula  in  Wein,  dann 
auch  noch  Pillenmischungen  mit  balsamischen,  ätherisch-öligen  und  scharfen  Mitteln 
(Zimmt,  Sevenbaum,  Raute,  Pfeffer  u.  s.  w.)  in  grosser  Zahl. 

Auch  in  der  Haus-Apotheke  der  heutigen  europäischen  Völker  finden 
wir  manches  absonderliche  geburtshülf liehe  Mittel.  So  nehmen  die  Neu- 
G riechen  nach  Damian  Georg  zur  Beförderung  einer  schweren  Entbindung  zwei 
Unzen  Mandelöl  innerlich. 

In  Bosnien  und  der  Hercegovina  hat  man  ausser  den  früher  schon  be- 
sprochenen übernatürlichen  Mitteln  auch  noch  Medicamente  für  die  kreissende 
Frau,  deren  Niederkunft  ins  Stocken  geräth.     Glück  schreibt: 

,Zum  Trinken  bekommt  sie  entweder  Wasser,  welches  Pulver  von  gebranntem  und 
gereinigtem  Hanf  enthält,  oder  ein  Decoet  von  Gartenminze  mit  Honig,  oder  schliesslich  ein 
Gemenge  von  geschabter  Seife  und  Oel,  welches  mit  einem  Eibischwurzelabsud  verdünnt  und 
theilweise  gelöst  ist.  Sieben  Körner  vom  Mutterkorn  in  schwarzem  Kaffee  werden  sehr  gelobt, 
aber  recht  selten  gegeben.  Geschabter  Meerschaum  im  Wasser  wird  bei  den  Mohamedanem 
h&ufig  gebraucht." 

Die  Dänen  wendeten  in  früherer  Zeit  BasiUcum  an,  welches  Simon  PanUi 
in  seiner  Flora  Danica  deshalb  «Herba  parturientium*'  nennt;  femer  waren  auch 
Lavendel,  weisse  Lilien,  Lothospermum  Pulegium  (ein  Löffel  voU  in  der  Speise  zu 


270  LV.  Die  natürlichen  HOlfsmittel  bei  fehlerhafter  Gebart. 

nehmen),  sowie  Bernsteinol  oder  die  getrocknete  Leber  eines  Aales  nach  Thomas 
BarthoUnm*  Angabe  im  Gebrauch.    , 

In  England  pflegten  die  Schwangeren  früher  in  den  letzten  Wochen  der 
Gravidität  getrocknete  Feigen  zu  essen,  um  sich  vor  einer  schweren  Entbindung 
zu  schützen.    (Linne.) 

Eine  grosse  Reihe  von  innerlich  zu  nehmenden  Medicamenten  wird  uns  von 
Pallas^  DemiCy  Krebel  und  Anderen  als  in  Russland  gebräuchlich  aufgezählt. 

Nach  PaUas  ist  bei  den  Russen  geschabter  und  mit  Wasser  getrimkener 
Belugen  stein  ein  beliebtes  Hausmittel  zur  Beförderung  schwerer  Geburten.  Er 
findet  sich  im  Hinterleibe  der  grossen  Store  des  Gaspischen  Meeres.  Ebenso 
gebraucht,  aber  noch  höher  geschätzt,  ist  der  Kabannoi  Kamen,  der  Ham- 
blasenstein  der  Wildschweine. 

Femer  spielen  auch  Artemisia  valg^is  (Wladimir,  Wologod),  Hanfsamenöl  al& 
Brechmittel,  Thee  von  Aconitum  napellus  (Kiew),  Samen  von  Lithospermium  off.  (Perm^ 
Tatarinnen),  Seeale  comutum  oder  Tincturen  oder  Aufgüsse  von  Zimmet  (Samara), 
Seifenwasser  oder  Oel  mit  Bibergeil  oder  mit  Schiesspulver  als  Getränk  eine  grosse  Rolle. 

In  Ehstlaitd  trinken  die  Ereissenden  Baldrianthee,  Bier  oder  auch  Kirchen- 
wein, in  anderen  Theilen  Busslands  auch  das  Decoct  einer  Handvoll  Artemisia 
absyilthii  auf  2  Gläser  Wein,  wovon  sie  dann  jede  halbe  Stunde  ein  Viertel 
Weinglas  verbrauchen.  Die  Abkochung  von  Ghenopodium  botrys  L.  wird  in 
Klein-Bussland  als  Sedativum  bei  schweren  Geburten  angewendet.  Höchst 
originell  ist  der  von  Demic  berichtete  Gebrauch,  dass,  um  die  Entbindung  zu  be- 
fördern, an  manchen  Orten  der  Ehegatte  ein  Gemenge  von  Senf,  Pfeffer,  Meer- 
rettig,  Salz,  Hirsebrei  und  Zucker  zu  essen  verpflichtet  ist. 

Die  Letten  geben  nach  Älksnis  der  Kreissenden  zur  Beschleunigung  einer 
zögernden  Niederkunft  einen  mit  Spiritus,  Wein  oder  Bier  hergestellten  Auf- 
guss  von  Birkenknospen  zu  trinken.  Auch  soll  bisweilen  das  Mutterkorn  An- 
wendung finden» 

Ein  altes  deutsches  Yolksmittel,  das  als  geburtsbefordemd  galt,  ist  Wein^ 
worin  Beblaub  gesotten  wurde.  (Apoteck.)  Beckher  erwähnt,  dass  eine  Abkochung 
von  Wachholderbeeren  in  Wein,  mit  Honig  vermischt,  die  Entbindung  beschleunigen 
soll.  Yon  einem  Aufguss  der  Foleyminze  wird  Gleiches  gerühmt.  (Hengstmann.) 
Ein  anderes  deutsches,  auch  noch  1836  gebrauchtes  Yolksmittel  ist,  dass  die 
Kreissende  einen  Tassenkopf  voll  von  dem  Urin  ihres  Mannes  trinkt;  dieses 
Mittel  hatte  schon  1549  Kunrath  empfohlen.  (Suchier.)  Das  ist  natürlich  eine 
Ekelkur. 

Manche  der  auch  heute  noch  im  Yolke  gebräuchlichen  Medicamente  lassen 
sich  auf  die  Anweisungen  der  mittelalterlichen  Hebammenbücher  zurückführen. 
Wir  können  das  hier  nicht  im  Einzelnen  verfolgen.  So  sind  in  Schwaben  und 
auch  noch  in  manchen  anderen  Landestheilen  die  Niesemittel  noch  im  Gebrauch. 
Die  schwäbischen  Yolkshebammen  geben  ausserdem  der  Kreissenden  Frauen- 
milch zu  trinken;  wenn  dieses  heimlich  geschieht,  dann  wird  sie  leicht  gebären 
können.     (Buch) 

In  der  Pfalz  wendet  man  als  wehenfördemd  Thee  von  Ghamülen  und  Kümmel 
an  und  giebt  auch  Klystiere  von  diesen  Substanzen;  die  Kreissende  bekommt 
Wein  und  Kaffee,  besonders  letzteren;  »wenn  das  Kind  in  die  Welt  scheint*,  d.  h. 
wenn  es  in  der  Krönung  steht.  (Pauli.)  Kurz  vor  der  Entbindung  trinkt  in  der 
Bheinpfalz  die  Schwangere  Branntwein,  um  sich  zu  betäuben.  In  der  Göt- 
tinger Gegend  galten  ds  Anregungsmittel  der  Wehen  einige  Tassen  starker 
Kaffee  oder  etwas  Wein  oder  Branntwein,  auch  nahmen  die  Bauerfrauen  zuweilen 
einen  Esslöffel  voll  zerquetschten  Braunkohlsamens  mit  Kaffee  ein,  oder  ein  Glas 
voll  lauen,  trüben  Wassers,  worin  Hühnereier  hart  gesotten  worden  sind.  (Osiander.) 
Im   nordwestlichen  Deutschland,   in  Oldenburg   u.  s.  w.,   wenden   die  Land- 


353.  Die  Darreichung  innerlicher  Arzneien  bei  schweren  Entbindungen  u.  s.  w.  271 

hebammen  gleichfalls  Branntwein  und  Kaffee  als  geburtsbechleunigend  an.  (Gold- 
Schmidt.)  Im  Siebenbürger  Sachsenlande  sucht  man  die  Gebärende  durch 
Wein  oder  Branntwein  zu  stärken,  dem  häufig  Safran  zugesetzt  ist.    (HiUner,) 


353.  Die  Darreichung  limerliclier  Arzneien  bei  schweren  Entbindungen 
unter  den  aussereuropSischen  Yolkem. 

Von  manchen  Yolksstämmen  ausserhalb  Europas  liegen  uns  ebenfalls  Be- 
richte Yor  über  die  Darreichung  innerlicher  Arzneien,  durch  die  sie  eine  stockende 
Entbindung  wieder  in  Gang  zu  bringen  und  zu  Ende  zu  führen  versuchen. 

Von  den  Viti-Inseln  erzählt  de  Bienei^  dass  die  als  Medicin-Männer  fun- 
girenden  Priester  den  Gebärenden  während  der  Wehen  die  Abkochung  eines 
bestimmten  Holzes  zu  trinken  geben.  Die  Garaiben  reichen  bei  einer  schweren 
Niederkunft  der  Kreissenden  den  ausgepressten  Saft  von  der  Wurzel  eines  be- 
sonderen Schilfes;  „wenn  die  Frauen  davon  getrunken,  werden  sie  augenblicklich 
entbunden.  *     (Baumgarten,) 

Wie  weit   bei  diesen  Medicamenten   die  Wirkimg  auf  Rechnung  der  Sug- 

f;estion  zu   schieben   ist,   das   vermögen  wir  zur  Zeit  noch  nicht  zu  entscheiden, 
mmerhin   ist   es  ja   aber   doch  nicht  ausgeschlossen,    dass  diesen  vegetabilischen 
Stoffen  in  Wirklichkeit  Heilwirkungen  innewohnen. 

Bei  den  Kiowa-Indianern  in  Nord- 
Amerika  bläst  nach  Engelmann  die  Heb- 
amme der  Kreissenden  ein  Brechmittel  in 
den  Mund.  Fig.  312  führt  uns  diese 
Scene  vor  nach  der  Zeichnung  eines  Ein- 
geborenen. 

In  Venezuela  wird  die  gepulverte 
Wirbelsäule  des  Zitteraals  (Gymnotus 
electricus)  als  ein  die  Geburt  beförderndes 
Mittel  verabreicht,  angeblich  stets  mit 
gutem  Erfolge.  Man  bringt  dort  die  ge- 
heimnissvolle elektrische  Wirkung,  deren 
Sitz  man  fälschlich  in  den  Nerven  des 
Rückenmarks  sucht,  mit  dem  Nervensystem 
überhaupt  in  Verbindung.     (Sachs,) 

Allein  es  giebt  in  Amerika  auch 
vegetabilische  Volksmittel,  die  als  weheu- 
treibend  gelten.  So  erhält  z.  B.  in  Guate- 
mala schon  bei  beginnender  Niederkunft 
die  Kreissende  Kräuterabkochungen  zu 
trinken;  lassen  ihre  Kräfte  nach,  so  giebt  man  ihr  Branntwein,  und  wenn  die 
Entbindung  zu  zögern  scheint,  so  werden  der  Kreissenden  von  allen  Seiten  die 
verschiedensten  Mittel  eingegeben,  als  Oel  mit  Zwiebeln,  spanischer  Pfeffer  mit 
Knoblauch,  grosse  Stücke  Lehm  oder  Mörtel,  Wein  oder  Branntwein  u.  s.  f. 
(BemouUi.)  Ein  nordamerikanisches  Volksmittel  ist  die  Abkochung  der  Rinde 
von  Ulmus  fiilva  (slippery  Elm).    {Oslander.) 

Wenn  sich  die  Entbindung  einer  Omaha-Indianerin  2 — 3  Tage  hinzieht, 
so  wird  ein  Medicin-Mann  gerufen,  der  ihr  eine  sehr  bittere  Medicin  eingiebt  und 
sie  verlässt,  sowie  sie  dieselbe  getrunken  hat.  Es  sind  ungefähr  2bis30mahas, 
welche  dieses  Medicament  kennen;  es  heisst  Niaci°  ga  maka^  Menschen 
bringende  Arznei.  Hat  der  Medicin-Mann  dieselbe  2  bis  3 mal  vergeblich 
gegeben,  so  sagt  er,  schickt  zu  einem  anderen.  Der  andere  giebt  dann  dieselbe 
Medicin. 


Fig.  312.  Niederkommende  Kiowa- Indianerin, 
vornübergebeugt  stehend,  auf  einen  Stock  gestützt. 
Die  Hebamme  bläst  ihr  ein  Brechmittel  in  den  Mund. 
Nach  der  Zeichnung  eines  Kiowa  -  Indianers. 
(Nach  Engtlntann.) 


272  LV.  Die  natürlichen  Halfsmittel  bei  fehlerhAfter  Geburt. 

Bei  Entbindungen  gebrauchen  die  Abyssinier  eine  dort  sehr  gewöhnliche 
Saftpflanze,  die  Endabolla  (Kalanchoe  glandtd.  Höchst.),  deren  Frucht,  zerquetscht 
und  mit  Honig  gemischt  genossen,  Gontractionen  des  Uterus  erregen  soll.  (Courbon.) 
In  Nubien,  im  Sennaar  und  dem  Sudan  benutzt  man  Mär^b  (Maghreb),  Wurzel- 
stücke  von  Andropogon  circinnatus  (Gymbogon  arabicum),  besonders  bei  zögern- 
den Wehen  der  Kreissenden.  {Hartmann,)  in  Oberägypten  wird  die  schwierige 
Geburtsarbelt  durch  Umhängen  oder  Essen  von  Opium  zu  erleichtern  gesucht. 
(Klunzinger.)  Bei  schwacher  Wehenthätigkeit  verordnet  man  in  Fez z an  eine 
Maceration  von  Meluchia-Blättem  in  Oel.    {Nachtigal.) 

Eine  noch  ganz  jugendliche  Niam-Niam-Prinzessin,  Mutter  zweier  Bänder, 
hatte,  wie  Blackwood  nach  Frau  Petherik  berichtet,  1858  eine  sehr  schwere 
Niederkunft;  hierbei  gaben  ihr  ihre  Leute  zu  verstehen,  dass,  wenn  sie  ihres 
Ehemannes  Blut  trinken  würde,  die  Geburt  gut  von  Statten  gehen  würde.  Der 
Ehemann  öffnete  sich  sogleich  eine  Ader  und  die  junge  Kannibalin  sog  mit  Gier 
das  fliessende  Blut. 

Von  den  Hottentotten  erzählte  KoJb,  dass  sie  zur  Ermöglichung  einer 
stockenden  Entbindung  der  Kreissenden  eine  Abkochung  von  Tabak  in  Kdi-  und 
Schafmilch  zu  trinken  geben. 

Bei  den  alten  Ghinesen  sammelten  die  Frauen  das  Kraut  Feu-i,  das  ist 
nach  La  Charme  der  Wegebreit,  welcher  den  Frauen  die  Geburt  erleichtem  soll. 
{Flath)  Die  jetzigen  Ghinesen  benutzen  bei  unregelmässigen  und  schweren  Ge- 
burten ausser  dem  Ning-kuen-tschi-pao-tan,  womit  sie  überhaupt  sämmtliche  Frauen- 
leiden bekämpfen,  auch  noch  als  Getränk  die  Abkochung  einer  Apium-Art.  {Schwarz) 

In  der  chinesischen  Abhandlung,  welche  v,  Martius  übersetzt  hat,  heisst  es: 

«Frage:  hat  man  denn  nicht  Arzneien,  die  man  einnehmen  kann,  um  die  Entbindung 
zu  erleichtem?  Antwort:  Nein,  alle  und  jede  Arznei,  wäre  sie  auch  die  älteste  und  seltenste, 
ist  schädlich:  so  wie  bei  der  Geburt  etwas  Ungewöhnliches  und  Ausserordentliches  sich  zeigt, 
so  ist  Schlaf  die  erste  und  vorzüglichste  Arznei. '^ 

Wie  sehr  man  sich  aber  dort  auf  die  Wirkung  Yon  Medicamenten  yerliess, 
beweist  eine  Angabe  von  du  Halde^  der  sogar  eine  bei  ihnen  gebräuchliche  Medicin 
zur  Verbesserung  von  falschen  Kindeslagen  aufßihrt. 

In  der  Provinz  Karazan,  westlich  von  West-Yünnan,  giebt  es,  wie 
Marco  Polo  (Hartmann)  erzählt,  grosse  Schlangen,  deren  Galle  man  zur  Be- 
schleunigung der  Geburt  der  Kreissenden  eingiebt. 

Von  geburtsbeschleunigenden  Mitteln  benutzte  man  in  Japan  die  folgenden: 

Eine  Mischung  aus  gleichen  Theilen  Levisticum  officinale,  Levisticum  senkin,  Citrus 
fuBca  und  Angelica  im  Infuss;  oder  ein  Infusum  von  gleichen  Theilen  Amygdalae  persicae 
tostae,  Paeonia  rubra,  Paeonia  montana,  Pachjma  Cocos  und  Cinnamomum. 

Diese  Arzneimittel  verwirft  Kangawa. 

«Die  Zeit  der  Geburt  ist  von  der  Natur  bestimmt  und  können  wir  nichts  thun,  um  sie 
zu  beschleunigen;  die  sogenannten  Geburtsbeschleunigungsmittel  beruhen  daher  auf  Irrthum 
oder  Täuschung,  und  es  bat  höchstens  einen  Sinn,  wenn  wir  durch  Stärkung  der  Mutter  die 
Dauer  der  Geburt  abkürzen  wollen.' 

Die  Golden  in  Sibirien  bereiten  einen  Trank  aus  Wurzeln,  welcher  der 
Kreissenden  zu  einer  schnellen  Entbindung  verhelfen  soll. 

Die  Parsen  wenden  zu  gleichen  Zwecken  nach  du  Perron  ebenfalls  allerlei 
Tränke  an. 

In  der  Präsidentschaft  Madras  in  Indien  benutzt  man  zur  Beförderung  der 
Niederkunft  den  Pfeffer.  Er  wird  dazu  in  einem  irdenen  Gefasse  über  einem  Feuer 
gebrannt,  gepulvert,  mit  heissem  Wasser  übergössen   und  getrunken.     {Beierlein.) 

In  Aleppo  in  Syrien  wird  ein  mit  Tabaksrauch  durchzogener  bräunlicher 
Letten,  eine  Erdart,  Terebat-hälebieh,  von  den  Kreissenden  zur  Erleichterung  der 
Endbindung  gegessen;  Ehrenberg  fand  darin  einen  geringen  Kalkgehalt  und  keiner- 
lei organische  Beimischungen. 


354.  Aeusserliohe  Arzneien  bei  schweren  Entbindungen.  273 

354.  Aeusserliche  Arzneien  bei  schweren  Entbindungen. 

Nicbt  minder  gross,  wie  zu  dem  innerlichen  Gebrauche  von  Arzneisto£Fen, 
finden  wir  das  Zutrauen  zu  der  äusserlichen  Wirkung  derselben.  So  benutzten 
die  Griechen  und  Römer  medicameniöse  Bougies  oder  Pessi,  welche  man  in 
die  Scheide  und  auch  in  den  Muttermund  eiolegte.  Serapion,  welcher  ein  Buch 
Ober  schwere  Geburten  schrieb,  giebt  eine  Formel  zur  Bereitung  von  ,Sief  longis*' 
an  aus  gleichen  Theilen  Myrrhen,  Helloborus  niger,  Opoponax,  Fei  taurl  von 
diesem  Sief  sagt  er: 

,Qaem  snpponat  ipsum  mulier;  deBcendet  enim  tone  embryo,  sive  sit  vivus  sive 
mortnus.' 

Das  Wort  Sief  lautet  im  Arabischen  Schlaf  und  wird  nach  Poldk  noch 
jetzt  in  Persien  oft  gehört. 

Auch  die  alten  Araber  besassen  einen  grossen  Arzneischatz  äusserlicher 
Medicamente.  So  empfiehlt  Ali  ben  Ahhas:  Oeleinreibnngen,  Bäder,  den  Gebrauch 
des  Diptam,  aber  auch  den  von  Schwalbennestern,  Raucherungen  von  Maulesel- 
hufen u.  s.  w.  Rhcufes  und  ÄlmOccisem  riethen  an:  Oeleinreibnngen,  Scheiden- 
injectionen,  Dampfbäder,  Niesemittel  u.  s.  w. 

Albertus  Magnus  nennt  als  Mittel  zum  leichten  Gebären,  die  zu  seiner  Zeit 
(im  13.  Jahrh.)  im  Schwange  waren:  Bilsenkrautwurzel  an  die  linke  Hflfte  oder  das 
gesottene  Kraut  von  Rothbnck  an  die  rechte  Weiche  gebunden;  zerriebene  Lor- 
beerblätter auf  den  Nabel,  während  die  Beine  in  Aschenwasser  gesetzt  sind; 
Holzwurz  mit  Wein  und  Baumöl  auf  den  Bauch  gestrichen.  VarigtMna  (Prof.  zu 
Bologna  1802  f)  empfiehlt  als  geburtsfSrdemd  Rebhühnereier  in  die  Scheide  zu  legen. 
Solche  absonderlichen  Yerordnmigen  wiederholten  sich  bei  den  Verfassern  der 
ältesten  deutschen  Hebanmienbücher  {Rösslin^  Bueff  u.  s.  w.),  welche  ausser 
Niesemitteln  Räucherungen  mit  stinkenden  Stoffen  (Galbanum,  Bibergeil,  Euhwolle, 
Schwefel,  Opoponax,  Tauben-  oder  Habichtsmist  u.  s.  w.)  verordneten. 

In  Bosnien  und  der  Hercegovina  legt  man  der  Kreissenden,  deren  Nieder- 
kunft zögert,  frische  Edelraute  auf  den  Unterleib.     {Glück.) 

Bancroft  berichtet  von  den  Meewoc-Indiauern  in  Gentral-Galifornien, 
dass  sie  bei  schweren  Entbindungen  der  Frau  ein  Pflaster  von  heisser  Asche  und 
nasser  Erde  auf  den  Leib  legen. 

In  England  war  es  früher  Gebrauch,  dass  man  der  Gebärenden  gestossene 
Lorbeeren  mit  Oel  gemischt  auf  den  Nabel  legte  {I)enman\  oder  ein  passend  ge- 
formtes Stück  Knoblauch  in  den  After  applicirte.     {Oslander.) 

In  Ober-Aegypten  steckt  man  bei  schwacher  Wehenthätigkeit  der  Frau 
ein  kleines  Stückchen  Opium  in  die  Genitalien.  In  einigen  Gegenden  bekleben  sie 
den  Bauch  der  Kreissenden  mit  den  zarten  Häutchen  aus  den  Hühnereiern.  {Demic.) 

Muralt  in  Zürich,  der  als  erster  in  der  Schweiz  in  den  Jahren  1671  und 
1676  je  eine  Leiche  obducirte,  zog  die  Haut  derselben  ab  und  liess  sie  gerben. 
Bei  wachsendem  Monde  mit  einer  Salbe  eingerieben,  hielt  er  die  Letztere  für  ein 
besonders  wirksames  Beförderungsmittel  bei  zögerndem  Geburtsverlaufe,  wenn  sie 
der  Kreissenden  als  Leibbinde  mngelegt  wurde. 

Bei  den  heutigen  Griechinnen  soll  nach  Damian  Georg  der  Glaube  herr- 
schen, dass  ein  Aderlass  ander  Muttervene  eine  schwere  Entbindung  erleichtere; 
es  ist  damit  eine  Blutader  an  der  grossen  Zehe  gemeint. 

Unter  den  äusserlich  anzuwendenden  Hülfsmitteln  zur  Beförderung  der 
Niederkunft  spielen  Räucherungen  und  Dämpfe,  Einreibungen  mit  Salben  u.  s.  w. 
bei  vielen  Völkern  eine  grosse  Bolle.  Schon  die  alten  Araber  {Bhatfes,  Abtdkasem) 
benutzten  Bäucherungen.  Wenn  eine  Australierin  bei  der  Entbindung  ohn- 
mächtig wird,  so  räuchern  sie  ihre  Stammesgenossen  über  dem  Hangi,  einer  Art 
von  Ofen.    {Hooker.) 

Flo88-Bartel8,  Das  Weib.    5.  Anfl.   II.  18 


274  LY.  Die  natfirlichen  Hfilfsmittel  bei  fehlerhafter  Geburt. 

Dampfbäder,  gewöhnlicb  mit  aromatischen  Substanzen,  gebrauchen  sowohl 
die  Russinnen,  als  auch  die  Gebärenden  in  Gochinchina,  wenn  die  Entbindung 
nicht  fortschreiten  will. 

Medicamentose  Raucherungen  sind  auch  in  Guatemala  gebrauchlich;  dort 
wird  die  Gebärende  über  ein  Kohlenbecken  gestellt,  in  welchem  Weihrauch  und 
dergleichen  verbrannt  wird.  (Bemotdlu)  Das  Räuchern  des  Unterleibes  geschieht 
in  Galizieu  bei  allen  schweren  Entbindungen. 

In  Bosnien  und  der  Hercegovina  wird  bei  einer  erschwerten  Niederkunft 
ein  Stein  erwärmt  und,  mit  Oel  begossen,  in  die  Nähe  der  Genitalien  gelegt,  auch 
wird  ein  Topf  mit  warmem  Wasser  in  dieselbe  Gegend  gestellt    (Glück.) 

Von  früher  Zeit  her  ist  Aehnliches  in  Deutschland  Brauch.  In  Ulm 
sah  van  Helmont  die  todte  Frucht  nach  Räucherungen  mit  faulen  Weintrauben 
abgehen;  und  noch  jetzt  glaubt  man  nach  Bück  in  Schwaben,  dass  man  das 
abgestorbene  Kind  abtreiben  kann,  wenn  man  die  Frau  mit  Rossschmalz  von 
unten  herauf  räuchert.  In  der  Pfalz  stellt  man  nach  Patdi  bei  Krampf  wehen 
mitunter  einen  Eimer  voll  hoissen  Wassers  mit  Quendel,  Ghamillen  und  Zwiebel 
unter  den  Gebärstuhl,  und  giebt  davon  auch  Klystiere;  hier  und  da  schüttet  man 
dabei  Branntwein  in  einen  irdenen  Teller,  zündet  ihn  an  und  lässt  den  Dunst 
davon  in  die  Schamtheile  gehen. 

Warme  Bäder  und  Einreibungen  mit  warmem  Oel  gehören  zu  den  ältesten 
Hülfsmitteln  der  Entbindung  {Äetius  u.  s.  w.);  in  Tyrol  soll  man  den  Unterleib 
mit  Murmelthierfett  einreiben  (Osiander);  auch  in  Galizien  spielt  das  Bestreichen 
des  Leibes  mit  einer  Mischung  von  Fett  und  Branntwein  eine  grosse  Rolle.  Bei 
In  dianer- Stämmen,  z.  B.  den  Pawnies,  bläst  ein  ,Arzt^  den  Tabaksrauch,  den 
er  aus  einer  Pfeife  zieht,  mit  seinem  Munde  unter  die  Kleider  oder  unter  die 
Decke  der  Gebärenden.  (Engdmann.)  Hierbei  spielen  wahrscheinlich  aber  mystische 
Anschauungen  ihre  Rolle. 

Bäder  werden  bei  schweren  Entbindungen  auch  von  den  Mokschanen  im 
Pjensker  Gouvernement  in  Russland  angewendet  und  zwar  wird  denselben 
Gomarum  palustre  L.  zugesetzt.    {Demic,) 

Schliesslich  konmit  auch  hier  und  da  eine  Wasserbehandlung  zur  Anwendung; 
z.  B.  sind  beiden  Parsen  zur  Unterstützung  bei  schweren  Entbindungen  allerlei 
Waschmittel  im  Gebrauch.  Unter  den  Gampas-In dianern  in  Peru  reichen  die 
der  Gebärenden  helfenden  Frauen  dieser  heisses  Wasser,  mit  welchem  sie  sich 
wäscht,  um  die  Entbindung  zu  befördern. 

In  Süd-Indien  reibt  die  Hebanune  die  Kreissende  mit  Oel  ein  und  wäscht 
den  Rücken,  die  Lenden  und  die  unteren  Extremitäten  derselben  mit  warmem 
Wasser.    (Shortt.) 

Zu  Doreh  auf  Neu-Guinea  wird  die  Gebärende  von  zwei  anderen  Weibern 
gehalten  und  von  einer  dritten  so  lange  mit  kf^tem  Wasser  begossen,  bis  das 
Kind  geboren  ist.    (de  Bruijnkops) 


355.  Die  mecliaiilscli  wirkenden  Hftlfsmittel  bei  schweren  Entbindungen. 

Der  Gedanke,  durch  mechanische  Einwirkung  einen  abnormen  Zustand  des 
Korpers  zu  bessern  und  zu  beseitigen,  ist  ein  sehr  nahe  liegender  und  hat,  wie 
die  von  den  verschiedenen  Yölkem  geübten  Methoden  der  Massago  beweisen,  eine 
ausserordentlich  weite  Verbreitung  gefunden.  Dass  nun  dies  so  beliebte  Volks* 
heibnittel  schon  ausserordentlich  früh  auch  in  der  Geburtshülfe  Einlass  fand,  ist 
mindestens  recht  wahrscheinlich.  Denn  es  wird  wohl  überall  dort,  wo  von  den 
Helfenden  zur  Linderung  der  Schmerzen  der  Unterleib  der  Gebärenden  gerieben 
und  geknetet  wurde,  beobachtet  sein,  dass  durch  Erregung  der  Nerven  kräftigere 
Zusanmienziehungen  der  Uterusmuskeln  und  hierdurch  erfolgreiche  Steigerungen 
der  Wehenthätigkeit  hervorgerufen  wurden.    Man  musste  femer  auch   leicht  auf 


855.  Die  mechanisch  wirkenden  Hülfsmittel  bei  schweren  Entbindongen.  275 

die  Idee  kommen,  dass  man  das  Kind,  welches  von  selber  nicht  den  Mutterleib 
verlassen  wollte,  gewaltsam  durch  einen  Druck  von  aussen  aus  dem  Uterus  heraus- 
schieben könne. 

Die  Art  und  Weise,  wie  dieser  Druck  von  den  verschiedenen  Volksstämmen 
angewendet  wird,  ist  durchaus  nicht  eine  übereinstimmende.  Der  Druck  kann  ein 
sanft  beginnender,  allmählich  aber  sich  steigernder  sein,  er  kann  aber  auch  von 
vornherein  mit  einer  gewissen  Gewaltsamkeit  ausgeübt  werden.  Der  Druck  kann 
femer  ein  regionärer,  d.h.  nur  eine  engumschriebene  Körperstelle  treffender  sein; 
er  kann  aber  auch  als  ein  circulärer,  den  Körper  rings  umgreifender  in  Anwen- 
dung kommen.  Endlich  kann  er  ein  continuirlicher  sein,  der  auf  andere  Körper- 
stellen hinüberwandert.  In  dem  letzteren  Falle  lässt  man  ihn  dann  gewöhnlich 
von  der  Gürtelgegend  auf  den  Unterbauch  übergehen. 

Einen  Gegenstand,  der  in  seinem  Behälter  zurückgehalten  wird,  kann  man 
nun  aber  auch  noch  auf  andere  Weise  zu  entfernen  suchen,  nämlich  dadurch,  dass 
man  den  Behälter  heftig  schüttelt,  um  den  Gegenstand  herauszuschleudern.  Diese 
Methode  finden  wir  nun  ebenfalb  als  ein  Hülfsmittel  bei  erschwerten  Entbin- 
dungen von  verschiedenen  Nationen  in  Anwendung  gezogen.  Die  Schüttelbe- 
w^ungen,  welche  man  dabei  mit  der  Kreissenden  vornimmt,  sind  entweder 
Schwingungen  in  seitlicher  Richtung  oder  von  unten  nach  oben,  während  die 
Kreissende  sich  in  einer  horizontalen  Lage  befindet;  oder  die  Schwingungen  werden 
derartig  ausgeführt,  dass  die  in  vertikaler  Stellung  befindliche  Kreissende  nach 
oben  gehoben  wird.  Die  Gedankengänge,  welche  diesen  Methoden  zu  Grunde 
liegen,  sind  natürlicher  Weise  nicht  ganz  die  gleichen.  In  den  ersteren  Fällen 
nämlich  glaubt  man  zweifellos  durch  die  Schüttelbewegungen  das  Kind  in  eine 
günstigere  Lage  zu  bringen.  In  dem  zweiten  Falle  dagegen  hofft  man  das  in 
der  Gebärmutter  stillliegende  Kind  gewaltsam  aus  dem  Mutterleibe  herauszu- 
schleudern: 

Sehen  wir  die  besprochenen  Hülfsmittel  an,  so  ist  es  das  Streichen  und 
Drücken  des  Leibes,  die  künstliche  Ersetzung  der  vis  a  tergo,  welches  die  weiteste 
Verbreitung  gefunden  hat.  Auch  schon  die  griechischen,  die  römischen  und 
die  arabischen  Aerzte  haben  solche  äusserlichen  Handgriffe  empfohlen.  Ebenso 
waren  dieselben  auch  den  Aerzten  des  16.  Jahrhunderts  bekannt. 

So  empfiehlt  Bodertcus  a  Castro  1594  den  Hebammen,  den  Bauch  zu 
drücken,  und  Jacob  Bueff  schreibt  in  seinem  Hebammenbuche: 

«Doch  soll  ein  geschickte  Frouw  zu  dieser  zyt  hmter  iren  der  schwängern  fronwen 
ston/  sy  mit  beiden  Armen  umgeben/  un  hart/  geschicklich  vnd  hoflich  trocken/  das  Kind  mit 
sich  siriffen  vnd  strychen/  ynd  nit  ob  sich  tringen  noch  fachten  lassen/  so  lang  bis  dem  Kind- 
lein von  der  not  vnd  statt  geholffen  wird.* 

Einigermaassen  methodisch  scheint  Johann  van  Hoom  die  äusseren  Hand- 
griffe zu  diesem  Zwecke  ausgebildet  zu  haben;  er  sagt: 

,Weil  sie  aber  innerhalb  einiger  Stunden  mit  ihrer  Arbeit  nichts  ausrichteten,  so 
trachtete  man  die  Geburt  mit  auswärtiger  Hülfe  zu  befördern.  Man  legte  sie  auf  ein  be- 
quemes Kreissbette,  unter  denen  Hüften  wurde  eine  Handquehle  geschoben,  worbei  zwei  Per- 
sonen sie  in  die  Höhe  heben  konnten,  wann  es  nOthig  war,  und  die  Wehe  ankam,  schöbe 
die  in  der  Seite  liegende  Gebärmutter  mitten  in  dem  Leibe,  mit  der  flachen  Hand  auf  dem 
Bauche  geleget,  stiess  man  nach,  wann  die  Wehe  kam,  und  dergleichen  mehr.  Welche  Hand- 
griffe ich  oftermalen  habe  gesehen,  dass  sie  gar  viel  zu  der  Entbindung  beygetragen  und  ge- 
holffen haben." 

Später  kamen  diese  Methoden  wieder  in  Vergessenheit  und  erst  wieder  im 
Jahre  1812  fand  Wigand  in  Hamburg,  dass  man  durch  äusseren  Druck  die 
Lage  des  Kindes  verbessern  könne ;  allein  seine  Entdeckung  wurde  anjEsrngs  wenig 
beachtet. 

Die  Expression  des  Kindes  führte  dann  im  Jahre  1867  KristeUer  in  Berlin 
in  die  geburtshülf liehe  Praxis  ein,  um  durch  äussere  Handgrifife  bei  Wehenschwäche 
die  Vorwärtsbewegung  des  Kindes  zu  bewirken. 

18* 


276 


LV.  Die  natürlichen  HOlfsmittel  bei  fehlerhafter  Grebort. 


356.  Mechanische  Hftlfe  bei  schweren  Entbindungen  in  Japan. 

Den  Japanern  waren  schon  lange  Zeit  die  günstigen  Wirkungen  äusserer 
Handgriffe  bekannt  und  durch  einen  derselben,  den  Seitay,  Tersucbten  sie  sogar 
die  Wendung  zu  machen.  Wenn  bei  normaler  Lage  des  Kindes  durch  den 
Mangel  von  Wehen,  durch  Kothansammlungen  im  Mastdarm  oder  ein  ähnliches 
Hindemiss  die  Entbindung  keine  Fortschritte  machte,  dann  empfahl  Kangatoa 
ein  Verfahren,  welches  er  als  «das  Sitzen  auf  der  Matte''  bezeichnet  hat: 

„Man  lässt  die  Kreuzgegend  von  den  Umstehenden  ohne  ünterlass  reiben;  der  Schmerz 
steigt^  dann    allm&hlich  herab,   es  entsteht  Drang  znr  Eothentleemng.    Nun  macht  man  den 


Fig.  318. 


Das  Sitzen  auf  der  Matte.    Massage  des  Leibes  zur  Befördemng  der  Entbindung  in  Japan. 
(Nach  einem  Japanischen  Holzschnitt.) 


(sehr  breiten)  japanischen  Gürtel  los  und  lässt  die  Frau  sich  so  setzen  (japanisches 
Hocken),  dass  die  Fersen  zu  beiden  Seiten  der  Hinterbacken  liegen  (der  aufgerichtete  Ober- 
körper ruht  demnach  auf  den  unter  dem  Steiss  gekreuzten  Unterschenkeln).  Der  Arzt  sitzt 
▼or  der  Frau,  lässt  dieselbe  sich  nach  vorn  neigen,  ihre  Arme  um  seinen  Nacken  schliessen 
und  sich  auf  seine  Schultern  stützen.  Er  umwickelt  dabei  seine  rechte  Hand  mit  einem 
Tuche,  schiebt  sie. zwischen  die  beiden  Schenkel  der  Frau,  stützt  mit  der  Handfläche  das 
Steissbein ;  so  lässt  man  nun  die  Frau  sitzen,  umfasst  mit  dem  linken  Arm  ihren  Körper,  und 
bei  jeder  Wehe  hebt  der  Arzt  seine  rechte  Hand,  während  er  gleichzeitig  mit  dem  linken 
Arm  den  Körper  der  Frau  etwas  hebt.  Nach  einigen  Wehen  nimmt  er  das  die  rechte  Hand 
umwickelnde  Tuch  ab  und  führt  den  Zeige-  und  Mittelfinger  in  die  Scheide  ein,   und   zwar 


857.  Die  Anwendung  des  äusseren  Druckes  als  flülfsmittel  bei  schweren  Entbindungen.    277 

so,  dass  die  Finger  vom  After  aus  nach  vom  und  oben  gehend  eindringen,  um  die  Lage  des 
Kindes  zu  erforschen.  Man  fühlt  dann  den  Muttermund  nach  innen  contrahirt;  der  noch  mit 
Membran  bedeckte  Kindskopf  fühlt  sich  an  wie  ein  feuchtes  Tuch.  Ist  der  Kopf  schon  ausser- 
halb der  Gebärmutter,  so  muss  der  Geb&rmuttermund  schon  geöffnet  sein  und  der  noch  mit 
Haut  bedeckte  Kopf  ist  leicht  zu  fühlen.  Vor  dem  Wassersprung  strotzt  die  mit  Wasser 
gefüllte  Membran;  ist  sie  dann  zum  Platzen  bereit  und  macht  dies  der  Frau  heftige  Schmerzen 
im  Kreuz  und  in  den  Schenkeln,  als  ob  sie  zerreissen  wollten,  so  muss  der  Arzt  w&hrend  der 
Spannung  mit  dem  Fingernagel  kratzen.  Ist  der  Abfluss  von  Wasser  genügend,  so  fühlt  sich 
die  Frau  um  die  H&lfte  erleichtert 

«Der  Wassersprung  ist  das  Zeichen  fSr  die  Geburt;  je  kräftiger  die  Frau  ist,  um  desto 
schneller  wird  die  Geburt  vor  sich  gehen.  Der  Arzt  soll  auf  einer  kleinen  Bank  sitzen,  mit 
beiden  Knieen  den  Leib  der  Mutter  festhalten,  so  dass  das  Kind  keinen  Raum  hat,  sich  auf 
die  Seite  zu  neigen.  Die  Untersuchung  mit  der  rechteil  Hand  und  das  Umfassen  des  Leibes 
mit  der  linken  geschieht  so,  wie  oben  angegeben  ist.'' 

.Sobald  die  Frucht  aus  der  Gebärmutter  herausgetreten  ist,  stGsst  der  Scheitel  gegen 
den  Damm  der  Mutter,  der  Anus  wölbt  sich  aus,  der  Schmerz  erreicht  seinen  höchsten  Grad, 
der  Puls  verlegt  sich  von  der  Radialarterie  in  die  Fingerspitzen  (?),  die  Frau  sieht  Feuer  im 
Auge;  plötzlich  springt  der  Kopf  mit  einer  gewaltsamen  Drehung  aus  der  Gebärmutter  heraus. 
Das  Zerreissen  des  unteren  Theils  der  Scheide  (Dammriss)  geschieht  in  dem  Moment  der  ge- 
waltsamen Drehung,  wenn  die  Hebamme  den  Anus  nicht  gedrückt  hat;  sie  hat  also  Schuld 
daran.  Deshalb  ist  auch  die  Unterstützung  mit  der  rechten  Hand  ein  sehr  nothwendiger 
Bestandtheil  des  ,Sitzens  auf  der  Matte*;  aber  auch  das  Umfassen  mit  dem  linken  Arm  und 
das  Heben  der  Frau  ist  ebenfalls  sehr  wichtig,  und  endlich  soll  der  Arzt  mit  seiner  Schulter 
einen  Druck  auf  die  Präcordialgegend  ausüben.*' 

,£ine  andere  Methode  besteht  darin,  dass  man  den  Anus  der  Frau  von  hinten  durch 
die  Hebamme  unterstützen  lä^st;  hierbei  sitzt  der  Arzt  ebenfalls  vor  der  Frau,  hält  den 
Leib  zwischen  seine  Kniee  und  streicht  mit  seinen  Handseiten  yerschiedene  Male  vom 
Rücken  bis  zum  Nabel.  Kommt  nun  das  Kind  gegen  den  Anus  hin,  so  lässt  man  die  Heb- 
amme ihre  Finger  kreuzen  (wie  zum  Gebet)  und  damit  von  hinten  den  Anus  stützen;  gegen 
den  Bauch  wird  ein  leichter  Druck  ausgeübt;  ist  der  Schmerz  zu  stark,  dann  muss  etwas 
fester  gedrückt  werden.'' 

Hiermit  wird  demnacli  ausser  der  möglichst  energisch  wirkenden  Damm- 
unterstütznng  und  der  darch  Reibung  veranlassten  Wehenerregungen  eine  Art 
von  Expression  der  Frucht  angewendet. 

Dieses  Sitzen  auf  der  Matte  stellt  zweifellos  ein  Holzschnitt  vor,  welcher 
sich  in  einem  japanischen  Werke  über  häusliche  Gesundheitspflege  findet.  Der- 
selbe ist  in  Fig.  313  wiedergegeben  worden. 


357.  Die  Anwendung  des  Süsseren  Druckes  als  Hülfsmittel  bei  schweren 

Entbindungen. 

Wir  haben  schon  darauf  aufmerksam  gemacht,  was  für  eine  hochwichtige 
Rolle  der  Druck  von  aussen  in  der  Bekämpfung  von  erschwerten  Entbindungen 
spielt.  Auch  wurde  schon  auseinandergesetzt,  dass  er  durchaus  nicht  immer  in 
gleicher  Weise  zur  Anwendung  kommt.  Wir  beg^pien  einer  ganzen  Reihe  von 
Uebergangen,  von  der  leisen  Berührung  mit  den  Fingerspitzen  und  dem  sanften 
Streichen  an,  bis  zu  dem  festen  Umschlingen  mit  den  Armen  und  selbst  bis  zu 
Stossen  mit  Fäusten  und  Knieen.  Auch  besonderer  mechanischer  Vorrichtungen 
zu  der  Ausübung  des  Druckes  wird  nicht  selten  Erwähnung  gethan.  In  den  fol- 
genden Angaben  sollen  einige  bemerkenswerthe  Beispiele  folgen. 

Die  chinesischen  Hebammen  üben  nach  Hureau  de  Vüleneuve  das  so- 
genannte Kong-fu  aus,  das  in  einem  leisen  Kitzeln  und  Streicheln  und  Drücken 
mit  den  Fingerspitzen  besteht.  Die  Hebamme  nimmt  diese  Manipulationen  zugleich 
mit  den  Zusammenziehungen  der  Gebärmutter  vor,  sie  berührt  dabei  aber  nicht 
nur  den  Unterleib,  sondern  auch  die  Leisten,  die  Weichen  und  die  Unterrippen- 
gegend.    In  Folge  dieser. bald  regelmässigen,  bald  unerwartet  sich  folgenden  Be- 


278 


LV.  Die  natürlichen  Hülfsmittel  bei  fehlerhafter  Geburt. 


rührungen,  und  unterstützt  durch  regelmässige  und  abgemessene  Athemzüge  der 
Gebärenden^  soll  die  Kreissende  fast  keine  Schmerzen  bei  der  Niederkunft  em- 
pfinden. 

Nach  Häntesche  führen  die  persischen  Hebammen  in  der  Provinz  Oilan 
zur  Beschleunigung  einer  erschwerten  Entbindung  streichende  Bewegungen  am 
Bauche  aus  und  sie  pflegen  dabei  die  Ereuzgegend  zu  reiben. 

Schon  die  alten  Araber  {Bhaees)  riethen^  den  Unterleib  zu  streichen;  und 
auch  bei  den  Tscherkessen  suchen  die  Hebammen  durch  Her  unterstreichen  am 
Leibe  die  Gebärende  von  dem  Kinde  zu  befreien. 

In  der  Speelmans-Bai  auf  Neu-Guinea  wird  die  Gebärende  von  den 
helfenden  Frauen  unausgesetzt  auf  Brust  und  Bücken  gerieben.  Auf  Ambon  und 
den  U  Hase -Inseln  werden  der  Kreissenden  die  Lenden  und  der  Rücken  massirt. 
(Riedel\) 

Auch  in  dem  südlichen  Indien 
ist  solche  Massage  der  Kreissenden  Sitte. 
Energischer  ist  schon  das  Kneten  und 
Drücken,  das  sich  einer  weiten  Aus- 
breitung erfreut. 

So  drücken  nach  Hasskarl  die 
Hebanmien  in  Java  der  Gebärenden 
den  Unterleib.  Bei  den  Alfuren- 
Weibern  auf  Serang  sucht  man  auch 
durch  Pressen  und  Drücken  des  Leibes 
erschwerte  Entbindungen  zu  ermög- 
lichen. Auf  Nias  wird  der  Bauch  der 
Kreissenden  von  oben  nach  unten  ge- 
knetet, um  die  Entbindung  zu  er- 
leichtem. 

In  Monterey  in  Californien 
muss  sich  zur  Beschleunigung  der  Ent- 
bindung ein  starker  Mann  hinter  die 
Kreissende  setzen,  welcher  mit  seinen 
Händen  auf  den  Bauch  greift  und  bei 
jeder  Wehe  einen  kräftigen  Druck  aus- 
übt in  der  Absicht,  durch  äussere  me- 
chanische Kraft  die  Wirkung  der  Gebär- 
muttercontractionen  zu  erhohen.  Wenn 
die  Gebärende  und  die  den  Unterleib 
drückenden  Assistenten  ermattet  sind, 
so  wird  jene  auf  ihre  Kniee  auf  den 
Erdboden  gelegt,  doch  ohne  ihr  eine  jener  vermeintlichen  Nachhülfen  zu  er- 
lassen.   (King.) 

Engelmannj  dem  wir  die  Fig.  314  verdanken,  macht  von  dem  in  Mexiko 
gebräuchlichen  Verfahren  folgende  Beschreibung: 

„Die  Kreissende  kniet  auf  der  ihr  unterbreiteten  Decke  By  welche  aus  einem  mit  baum- 
wollenem Zeuge  C  und  einer  Zarape  Z  belegten  Schaffelle  besteht.  Auf  das  eine  Ende  wird 
ein  Kissen  H  gelegt,  worauf  die  Frau  in  der  Rückenlage  nach  der  Entbindung  ihren  Kopf 
legt.  Die  Stellung  der  Frau  ist  die  knieende,  wobei  sie  sich  an  den  Strick  oder  Lasso  L 
hält,  welcher  vom  Balken  W  herabhängt.  Zwei  Gehülfinnen  verrichten  die  üblichen  Hand- 
griffe. Die  Partera,  die  Erfahrenere  und  ältere  von  jenen,  kniet  vor  der  Kreissenden;  ihre 
Aufgabe  ist,  den  Uterus  zu  behandeln,  dessen  Grund  zu  drücken  und  zu  reiben,  zeitweise  die 
Hand  auf  die  Scham  zu  legen  und  das  Steissbein  geschmeidig  zu  machen.  Die  Jüngere  (Tena- 
dora)  kniet  hinter  der  Frau,  drängt  ihre  Kniee  an  deren  Hüften  und  übt  durch  Falten  ihrer 
Hände  über  deren  Magen  einen  Kreisdruck  aus,  während  die  kundigere  Partera  knetet.  In 
schwierigeren  Fällen  übernimmt   die  Tenedora  eingreifendere  Obliegenheiten.    Da  erhebt  sie 


Fig.  314.    Niederkunft  einer  mexikanischen 

Indianerin, 

knieend  and  sich  an  einem  vom  Balken  herabhängenden 

Lasso  haltend,  von  zwei  helfenden  Frauen  geknetet. 

(Nach  Engelmann.) 


357.  Die  Anwendung  des  äusseren  Druckes  als  Hülfsmittel  bei  schweren  Entbindungen.    279 

die  Gebärende  an  den  Armen,  schüttelt  sie  wie  einen  Sack  und  l&sst  sie  fallen,  unterwegs 
fängt  sie  sie  theilweise  wieder  auf,  wobei  der  MutterkOrper  während  des  Knetens  einen  Ruck 
und  plötzlichen  allseitigen  Druck  erfährt.' 

In  einigen  mexikanischen  Familien  erhält  man  die  Frau  aufrecht  mit 
leicht  gebogenen  Enieen  und  Hüften,  wobei  sie  die  Füsse  weit  aus  einander  spreizt, 
während  sie  sich  an  zwei  herabhängenden  Tauen  halt.  Carson^  der  dies  an 
Engelmann  berichtet,  f&gt  hinzu,  dass  auch  vom  Kneten  Gebrauch  gemacht  wird, 
eine  Binde  aber  nie  in  Anwendung  kommt. 

Das  Kneten  des  Leibes  nehmen  nach  Kersten  auch  die  Hebammen  der 
Szuaheli  in  Ost-Afrika  Yor,  sowie  auch  die  Wakamba  und  Waswaheli. 

In  Old-Galabar  wird  auch  schon,  wie  es  scheint,  bei  jeder  regelmässigen 
Geburt  der  Bauch  der  sitzenden  Gebärenden  durch  die  vor  ihr  hockende  Heb- 
amme von  oben  nach  unten  und  Yom  mittelst  der  beolten  Hände  zusammen- 
gepresst,  damit  das  Kind  seinen  Weg  nach  abwärts  finde.    (Hewan,) 

Haben  bei  einer  Kirgisin  des  Gebietes  Semipalatinsk  die  Wehen  be- 
gonnen, so  versammeln  sich  alle  anderen  Frauen  des  Auls  bei  ihr,  um  ihr  be- 
hülflich  zu  sein.  Kurz  bevor  die  Niederkunfl  erfolgen  soll,  giebt  man  der 
Kreissenden  ein  an  der  Wand  befestigtes  starkes  Band  in  die  Hand,  damit  sie  sich 
daran  halten  kann.  Sie  kniet  dann  nieder,  zwei  Weiber  unterstützen  sie;  eine 
Dritte  umfasst  sie  von  hinten,  stemmt  das  eine  Knie  in  das  Kreuz  und  drückt  mit 
beiden  Händen  auf  ihren  Leib. 

Die  kreissende  Kalmückin  kauert  am  Fussende  des  Bettes  und  hält  sich 
an  einer  von  der  Decke  herabhängenden  Stange  fest.  Eine  hinter  ihr  stehende 
Frau  umfasst  mit  beiden  Armen  ihren  Leib  und  übt  auf  denselben  einen  Druck 
aus.  Bisweilen  versieht  den  gleichen  Dienst  ein  kräftiger  Mann,  den  der  Ehegatte 
vorher  reichlich  bewirthet  hat.  Dann  wird  die  Kreissende  von  diesem  Manne  auf 
seine  Kniee  gesetzt    {Krebd.) 

Nach  Meyerson  setzt  sich  die  Kalmückin  von  Astrachan,  sobald  ihre 
Kräfte  beim  Kreissen  nachlassen,  zwischen  zwei  Koffer,  während  ein  robuster  Mann 
von  hinten  her  ihren  Leib  umfasst  und  denselben  kräftig  zusammendrückt. 

Der  kreissenden  Lappen- Frau  leistet  der  Ehemann  Hülfe.  In  der  letzten 
Geburtsperiode,  sobald  der  Kopf  sich  in  der  Genitalspalte  zeigt,  stellt  die  Kreissende 
sich  auf  die  Füsse  und  stützt  sich  mit  der  Achselgrube  auf  einen  ausgepannten 
Strick  oder  auf  eine  dünne  Stange.  Der  hinter  ihr  stehende  Gatte  stützt  das 
Kreuz  mit  den  Knieen,  um&sst  mit  beiden  Händen  den  Leib  und  drückt  ihn  zur 
Zeit  der  Wehen.    (Drsheweteki.) 

Man  würde  sich  nun  gewaltig  täuschen,  wenn  man  annehmen  wollte,  dass 
dieses  Drücken  immer  auch  mit  der  nothigen  Vorsicht  geschieht.  Von  den  Ein- 
geborenen von  Neu-Galedonien  schreibt  Bochas^  dass  sie  zur  Beschleunigung 
schwieriger  Entbindungen  einen  heftigen  Druck  auf  den  Unterleib  ausüben  und 
ihn  sogar  mit  den  Fäusten  traktiren.  Auch  die  Gebärende  in  Neu-Guinea  wird 
von  Weibern  des  Dorfes  dadurch  unterstützt,  dass  diese  sie  über  der  Brust  mit 
den  Fäusten  kneten. 

Aber  nicht  nur  mit  den  Fäusten  allein  werden  die  armen  Weiber  bearbeitet, 
sondern  sogar  mit  den  Knieen  und  Füssen.  Li  Australien  pflegt  nach  Hooher 
ein  Medicin-Mann  (Tolunga)  der  Gebärenden  zu  helfen.  Er  presst  seine  Kniee 
gegen  deren  Brust,  und  lässt  den  Druck  immer  weiter  nach  unten  einwirken,  bis 
das  Kind  geboren  ist.  Dabei  sitzt  die  Kreissende  aufrecht  und  die  helfende 
Person  umschlingt  ihren  Unterleib  mit  den  Händen.  Nach  Marston  dagegen 
helfen  bei  schwierigen  Entbindungen  zwei  Frauen,  die  sich  mit  der  Gebärenden 
niederlegen  und  sie  dabei  in  ihre  Mitte  nehmen.  Die  Eine  legt  ihre  Kniee 
hinterwärts  der  Gebärenden  in  das  Kreuz,  die  Andere,  an  der  Vorderseite  der 
Gebärenden  liegend,  wartet  den  Eintritt  einer  Wehe  ab  und  stösst  dann  mit  ihren 
Knieen  den  Unterleib  der  Gebärenden. 


280  LV.  Die  natürlichen  Hülftmitiel  bei  fehlerhafter  Gebnrt. 

Wenn  bei  den  Noefoorezen  die  Niederkanft  nicht  schnell  genug  von 
Statten  geht,  so  kneten  die  yersammelten  Weiber  den  Unterleib  der  QebSrenden 
und  treten  denselben  mit  ihren  Füssen;  van  HasseU  sah  mehrere  gef&hrliche 
GtebnrtsfaUe,  die  hierdurch  höchst  ungünstig  verliefen;  in  der  äussere ten  Noth 
wurde  er  um  Rath  gefragt. 

Bei  den  Alfuren  auf  Serang  legt  man  in  solchen  schwierigen  Fällen  die 
Niederkommende  auf  den  Bauch  und  tritt  ihr  auf  dem  Rücken  herum. 

Bei  den  ausnahmsweise  schwer  verlaufenden  Geburten  der  Frauen  der  Etas 
(Negritos  auf  den  Philippinen)  wird  eine  ältere  Frau  des  Stanmies  herbei- 
geholt, die  den  linken  Fuss  auf  den  Leib  der  Gebärenden  setzt  und  mit  dem- 
selben drückend  mittelst  der  rechten  Hand  das  Kind  an  das  Tageslicht  befördert. 
(Schadehberg.) 

In  Siam  legt  man  die  Gebärende  auf  den  Rücken  und  zu  jeder  Seite  ihres 
Bettes  befindet  sich  eine  helfende  Frau,  welche  abwechselnd  den  Bauch  der 
Ereissenden  nach  abwärts  und  rückwärts  pressen.  Führt  dieses  innerhalb  3 — 5 
Stunden  nicht  zum  Ziele,  so  gehen  sie  zu  folgender  Methode  über:  Eine  Frau 
steigt,  auf  ihre  Freundinnen  sich  stützend,  auf  den  Unterleib  der  Gebärenden  und 
geht  auf  demselben  auf  und  ab,  ihre  Füsse  so  einsetzend,  dass  sie  immer  etwas 
höher  als  der  Fötus  zu  stehen  kommen.  Lässt  auch  dieses  Yerfieihren  im  Stich, 
dann  wird  als  letztes  Mittel  die  Gebärende  mittelst  einer  Binde,  die  unter  den 
Armen  hindurchläufb,  aufgehängt,  an  diese  klammem  sich  mehrere  Weiber  —  und 
dies  f&hrt  immer  zum  Ziele,  d.  h.  entweder  das  Perinaeum  wird  durch  den  vor- 
tretenden Kopf  zerrissen,  oder  der  Kopf  geht  in  Trümmer,  wie  Hutchinson  bei 
mehreren  Neugeborenen  fand. 

Bei  den  Annamiten  in  Gochinchina  überlässt  die  Hebamme  in  den  ge« 
wohnlichen  GeburtsfSUen  die  ganze  Arbeit  der  Austreibung  des  Kindes  dem  Uterus. 
Stockt  aber  ausnahmsweise  die  Entbindung,  so  drückt  sie  mittelst  ihrer  Füsse  auf 
den  Uterus,  wie  sie  bei  Beseitigung  der  Placenta  stets  zu  machen  pflegt.  Mondiere 
fand  in  einem  solchen  Falle  die  Gebärende  gestorben,  den  Uterus  gerissen  und 
das  Kind  in  der  Bauchhöhle  liegend.  Er  durfte  den  Bauch  nicht  eröfhen,  um 
den  wahrscheinlich  noch  lebenden  Fötus  zu  Tage  zu  fördern. 

Auch  in  Afrika  finden  wir  das  Treten  der  Kreissenden  und  zwar  bei  den 
Waswaheli  und  den  Wakamba.  Dieses  findet  nach  Hildebrandt  statt,  indem 
sich  das  helfende  Weib  auf  den  Brustkasten  der  auf  dem  Rücken  liegenden 
Kreissenden  stellt  und  mit  den  Zehen  auf  den  Unterleib  drückt.  Bei  den  Guinea- 
Negern  suchen  nhch  Morand  die  helfenden  Freundinnen  und  verwandten  Frauen 
durch  Stösse  und  Fusstritte  in  die  Magengegend  den  Gebäract  abzukürzen. 


358.  Das  Belasten  des  Unterleibes  als  HUftmittel  bei  schweren 

Entbindungen. 

Es  war  wohl  nicht  sehr  schwer,  darauf  zu  kommen,  dass  man  den  Druck 
auf  den  Bauch  der  Gebärenden,  welcher  die  stockende  Entbindung  befördern  soll, 
anstatt  durch  die  Einwirkung  der  Hände  und  Füsse,  auch  durch  aufgelegte  Lasten 
ausüben  könne.  Den  Uebergang  hierzu  finden  wir  in  West- Afrika  bei  den 
Negern  am  Senegal  und  bei  den  Einwohnern  von  Kabylien.  Wenn  bei  den 
letzteren  die  Niederkunft  langsam  von  Statten  geht,  so  legt,  wie  Ledere  berichtet, 
eine  Frau  ihren  Kopf  auf  den  Leib  der  Gebärenden  und  drückt  auf  diese  Weise 
den  Leib  derselben  zusammen,  um  so  den  Austritt  des  Kindes  zu  fördern.  Bei 
den  Senegal -Negern  setzt  sich  zu  gleichem  Zweck  die  helfende  Frau  der 
Kreissenden  auf  den  Leib. 

In  Algerien  legt  man  nach  Bertherand  der  Kreissenden  eine  grosse,  schwere 
Holzplanke  auf  die  Nabelgegend,  und  die  helfenden  Weiber  stellen  sich  auf  die 
letztere,  um  das  Kind  herauszupressen. 


859.  Das  XJmselmüren  des  Unterleibes  als  Hülfsmittel  bei  schweren  Entbindungen.    281 

Bei  den  Tatarinnen  in  Astrachan  legt  bei  zögernder  Entbindung  die 
Hebamme  der  Frau  ^^  schwere  Lasten '^  auf  die  Nabelgegend.     (Meyerson.) 

Der  Alfurin  in  Serang  wird  nach  Schuhe^  wenn  sie  nicht  niederkommen 
kann,  der  Leib  mit  grossen  Steinen  und  ähnlichen  Dingen  beschwert. 

Die  malayischen  Hebammen  auf  den  Philippinen  legen  der  Gebärenden 
nach  MaUat  warme  Backsteine  auf  den  Unterleib,  die  sie  mit  aller  Kraft  drücken. 
Die   Oreek- Indianerinnen    in   Nord- Amerika   belasten    den   Leib    der 
Ereissenden  mit  einem  drückenden  Polster. 

Es  muss  hier  auch  noch  daran  erinnert  werden,  dass  die  Golden  in 
Sibirien,  wie  wir  oben  besprochen  haben,  der  Kreissenden  zur  Beförderung  der 
Niederkunft  einen  holzgeschnitzten  Götzen  von  grosser  Schwere  (Fig.  311)  auf 
den  Bauch  zu  packen  pflegen. 

Bisweilen  wird  auch  der  nöthige  Druck  mit  Hülfe  eines  Stockes  ausgeübt. 
Maüat  sagt  Ton  den  Negritas  und  Montescas  auf  den  Philippinen,  denen 
bei  ihrer  Niederkunft  keine  helfende  Freundin  zur  Seite  steht,  dass  sie  im  Stehen 
niederkommen  und  dabei  ihren  Unterleib  stark  druckend  auf  ein  Bambusrohr 
stützen. 

Die  Indianerinnen   in  Alaska   nehmen  bei  schweren  Entbindungen   die 
Knie -Ellenbogenlage   ein,    wobei    sie    sich    mit    dem  Bauche  auf  einen  Stock 
legen,   dessen   eines  Ende   eine  Gefährtin  festhält,  um 
sie  im  Drangen  zu  unterstützen.^  (Ball.) 

Bei  den  Winnebagos  und  den  Ghippeway- 
Indianern  wird  der  Bauch  der  knieenden,  mit  dem 
Gesicht  abwärts  vorgebeugten  Gebärenden  auf  ein  Quer- 
holz oder  Tau  gelegt,  und  dann  wird  letztere  durch 
mehrere  Helfende  langsam  über  dieses  Holz  oder  Tau  Fig.  3i5.  Instrument  EurMas- 

rrAfl/^VinKpn  »age  des  Leibes  bei  schweren 

^VBt«uuu6u.  Entbindungen.    (Philippinen.) 

Das   erinnert  an  eine  Maassnahme  der  Ehsten,  (Nach  wakowski,) 

die   nach   Holst   die  Kreissende    über   ein    stufenartig 
construirtes  Lager  herabzerren. 

Ganz  besondere  Erwähnung  verdient  noch  eine  Sitte  Ton  den  Philippinen. 
Dort  wird  bei  schweren  Entbindungen  der  Leib  der  Kreissenden  mit  einem  In- 
strumente aus  Backstein  massirt,  welches  die  Gestalt  eines  Fisches  hat.  Solche 
Instrumente  besitzen  die  ethnographischen  Museen  von  Paris,  München  und 
Berlin.  Das  Spedmen  aus  dem  pariser  Museum  ist  in  Fig.  315  dargestellt. 
Wie  mir  Max  Buchner  mittheilte,  werden  diese  Instrumente  inManilla  auf  dem 
Topfmarkt  verkauft.  Man  hat  ihm  dort  aber  mitgetheilt,  dass  sie  zur  Beförderung 
der  Entbindung  der  Kreissenden  in  die  Genitalien  gesteckt  würden.  Wenn  diese 
Angabe  den  Thatsachen  entspricht,  dann  würden  sie  also  den  Maassnahmen  zuzu- 
rechnen sein,  durch  welche  die  Geburtswege  gewaltsam  erweitert  werden.  Ihre 
Anwendung  zu  äusserlichem  Druck  will  mir  bei  ihrer  grossen  Dicke  allerdings 
plausibler  erscheinen. 


859.  Das  Umschnttreii  des  Unterleibes  als  Httifsmittel  bei  schweren 

Entbindungen. 

Wir  haben  schon  mehrfache  Belege  dafür  kennen  gelernt,  dass  die  bei  der 
Niederkunft  helfenden  Personen  die  Arme  um  den  Leib  der  Kreissenden  schlingen, 
um  so  durch  einen  circulären  Druck  den  Austritt  des  Kindes  zu  befördern.  Die 
Arme  werden  aber  allmählich  erlahmen,  wenn  die  Entbindung  sich  in  die  Länge 
zieht,  und  da  musste  es  denn  einfacher  erscheinen,  dass  man  sich  in  solchen 
Fällen,  wo  der  circuläre  Druck  auf  den  Unterleib  zur  Beendigung  der  Geburt  er- 
forderlich  erschien,   gleich  von  vorne  herein  eines  umschlingenden  Gürtels,  eines 


282 


LV.  Die  natürlichen  Halfsmittel  bei  fehlerhafter  Geburt. 


Riemens,  eines  Tuches  oder  ähnlicher  Dinge  bediente.  Auch  hierfür  stehen  uns 
einige  Beispiele  zur  Verfügung,  und  eines  derselben  haben  wir  schon  bei  den 
Orang  Belendas  in  Malacca  kennen  gelernt.    (S.  169.) 

So  wird  auch  bei  den  Nez-perc6s-  und  den  Gros- Ventres-Indianerinnen 
in  Nord-Amerika  der  Leib  der  Gebärenden  mit  einem  breiten  Gurt  umwunden, 
welchen  die  an  beiden  Seiten  stehenden  Gehülfinnen  bei  jeder  Wehe  fest  anziehen 
und  ihn  etwas  abwärts  gleiten  lassen.  (Engdmann)  Auch  die  Pa-Utah  legen 
einen  Ledergürtel  oberhalb  des  Gebärmuttergrundes  an,  und  drei  bis  vier  Frauen 
streifen  denselben  je  nach  dem  Fortschreiten  der  Wehen  immer  tiefer  herab, 
damit  die  Frucht  nicht  zurQckschlüpfe. 

In  Monterey  in  Californien  sitzt  die  Niederkommende  und  hält  sich  an 
einem  Seile  fest,  das  vom  Querbalken  des  Daches  zu  ihr  herabhängt.  Rings  um 
ihren  Leib  wird  ein  breites  Handtuch  gewunden,  die  Enden  desselben  werden 
hinten  gekreuzt  und  den  assistirenden  Weibern  übergeben,  welche  angewiesen 
werden,  das  Tuch  zusammen  zu  schnüren,  wenn  die  Anschwellung  des  Leibes 
während  der  Wehen  herabsteigt,  und  es  fest  zu  halten  bis  zu  dem  Eintritte  der 

nächsten  Wehe,  um  zu  yerhüten,  dass 
die  Geschwulst  des  Bauches  in  der 
Wehenpause  wiederum  zunimmt. 
(Engdmann.) 

Bei  den  Eingeborenen  an  der 
mexikanischen  wenze  der  Ver- 
einigten Staaten  besteht  die 
HüKeleistung,  welche  eine  als  Heb- 
amme fungirende  Frau  mit  einer 
Assistentin  der  Kreissenden  leistet, 
in  einem  Zusammendrücken  des  Unter- 
leibes mittelst  eines  seilartig  zu- 
sammengedrehten Linnens.  Gleich- 
zeitig wird  der  Bauch  mit  den 
Armen  umschlungen  und  die  Gebär- 
mutter auf  diese  Weise  zusammen- 
gepresst 

In  Guatemala  wird  sogleich 
beim  ersten   Auftreten   der   Wehen 
oberhalb   des   Utenis    eine  schmale 
Leibbinde  so  fest  als  möglich  angelegt,   damit  das  Kind  nicht  nach   oben   aus- 
weichen könne. 

Fdkin  sagt: 

„Eine  besondere  Geburtsstellung  nebst  Hülfeleistung  eines  Mannes  habe  ich  zu  Kerrie 
am  weissen  Nil  gesehen.  Sie  wird  angewendet,  wenn  die  Gebärende  sehr  lange  Geburts- 
wehen ohne  Erfolg  gelitten  hat  (Fig.  316).  Zwei  PflOcke  werden  in  den  Fussboden  innerhalb 
der  Thflr  der  Hütte  getrieben.  Die  Kreissende  setzt  sich  zwischen  den  Thürpfosten  auf  einen 
umgekehrten  Topf,  indem  sie  ihre  Füsse  gegen  die  PflOcke  stemmt  und  sich  mit  den  H&nden 
an  den  Thürpfosten  festh&lt.  Dann  wird  ein  breites  Tuch  rings  um  ihren  Unterleib  ge- 
schlungen und  in  kurzer  Entfernung  hinter  sie  legt  sich  ein  Mann,  setzt  seine  Füsse  fest 
gegen  ihre  Beckenknochen  und  zieht  in  wechselnden  Tractionen  am  Tuch.  Eine  Freundin 
nimmt  zum  Empfange  des  Kindes  zwischen  ihren  Schenkeln  Platz." 

Auch  in  Jaya  kommt  die  Umschlingung  der  Ereissenden  vor.  Wie  Ploem 
daselbst  dem  Botaniker  Kuntee  berichtete,  werden  die  Ereissenden  dort  manchmal 
bekniet  und  mit  Tüchern  u.  s.  w.  umschnürt,  um  einen  bösen  Geist  zu  vertreiben, 
der  das  Eind  zurückhält. 

Die  Eirgisen  wickeln  um  den  Leib  einen  Strick  und  ziehen  ihn  so  lange 
an,  bis  die  Geburt  vor  sich  geht. 


Fig.  316.    Schwere  Niederkunft  einer  Frau  in  Kerrie  am 

weissen  Nil. 

Während  sie  auf  einem  Topfe  sitzend  Stützpunkte  für  Hände 

und  FtLsse  hat,  übt  ein  am  Boden  liegender  Mann  mit  einem 

Tuche  einen  Druck  auf  ihren  Leib  aus. 

(Nach  FeiktH.) 


360.  Das  Auf  h&ngen  u.  d.  Schütteln  d.  Ereissenden  als  Hülfsmittel  b.  schweren  Entbindungen.    283 

Aus  SQd-Deutschland,  und  zwar  aus  Aulendorf  in  Baden,  giebt  JStV- 
linger  an,  dass  der  Gebärenden  ein  Gürtel  aus  ^/2  Zoll  breitem  Hirschleder  mit 
einer  Schnalle  zum  Schnüren  um  den  Leib  gelegt  wird,  um  die  Niederkunft  zu 
beschleunigen. 


860.  Das  Aufhängen  und  das  Sehfltteln  der  Ereissenden  als  Hfllfsmlttel 

bei  schweren  Entbindungen. 

Bei  der  allgemeinen  Besprechung  der  mechanisch  wirkenden  Hülfsmittel, 
welche  die  Niederkunft  zu  beschleunigen  bestimmt  sind,  wurden  die  Erschütte- 
rungen des  Körpers  der  Ereissenden  schon  erwähnt.  Ich  komme  auf  dieselben 
in  dem  Folgenden  sogleich  noch  etwas  ausführlicher  zurück.  In  den  gleichen 
Ideenkreis  gehören  auch  bestimmte  Manipulationen,  welche  man  als  das  Auf- 
klängen der  Gebärenden  bezeichnen  kann.  Offenbar  soll  bei  dem  hängenden  Körper 
der  Frau  das  Kind  durch  die  Wirkung  der  Schwere  gezwungen  werden,  sich  nach 
unten  in  die  Geburtswege  herabzusenken.  Ist  dieses  dann  erst  glücklich  erzielt, 
dann  hofft  man,  dass  das  Kind  nun  auch  femer  unter  geeigneter  Hülfeleistung 
den  natürlichen  Ausgang  des  mütterlichen  Unterleibes  passiren  werde. 

So  ist  es  in  Nord-Amerika  bei  den  Coyotero-Apachen  nach  Engel- 
mann gebräuchlich,  fast  bei  allen  Entbindungen  die  Kreissende  in  Bändern  auf- 
zuhängen, welche  ihr  unter  den  Armen  hindurchgezogen  sind.  Die  Helfenden 
fassen  sie  dann  in  ihre  Arme  und  streichen  ihr  mit  beträchtlicher  Kraft  den  Leib 
in  der  Richtung  nach  unten  zu.  In  Fig.  317 
ist  eine  solche  Entbindung  dargestellt. 

Auch  bei  den  Indianerinnen  der 
mexikanischen  Grenze  wird  bisweilen 
ein  Seil  unter  den  Armen  hindurchge- 
schlungen, das  dann  an  einen  Querbalken 
befestigt  wird;  so  kommen  sie  also 
hängend  nieder. 

Wenn  bei  den  Zeltbewohnerinnen 
in  Marokko  die  Geburt  trotz  der  ange- 
wendeten abergläubischen  Mittel  nicht  Yon 
Statten  geht,  so  wird  die  Kreissende 
Ton  den  helfenden  Weibern  ergriffen,  ein 
starkes  Band  wird  ihr  um  den  Rücken 
und  unter  die  Achseln  hindurchge- 
schlungen  und  so  zieht  man  sie  dann  in  die 
Luft.  Dadurch  wollen  sie  die  Wehen  be- 
schleunigen, und  zeigt  sich  ein  Theil  des 
Kindes,  entweder  der  Kopf  oder  die  Füsse, 
so  versuchen  sie  diese  Theile  zu  ergreifen 
und  durch  starkes  Reissen  und  Ziehen 
das    Kind    zu    Tage    zu    fördern.      Nur 

selten  gelingt  das,  meist  wird  das  Kind  zerrissen,  und  fast  inmier  ist  der  Tod  der 
Mutter  die  Folge  dieses  barbarischen  Verfahrens.    (RoJdfs.) 

Nach  Bertherand^s  Bericht  hängt  man  in  Algerien  zur  Beschleunigung 
der  Entbindung  die  Kreissende  an  ihren  Armen  zwischen  den  Stangen  des  Zeltes 
auf,  presst  ihr  den  Mittelkörper  zusammen  und  drückt  den  Bauch  Yon  oben 
nach  unten. 

Auch  bei  den  Tataren  in  Astrachan  hängt  man  nicht  selten  die  Nieder- 
konunende  an  ihren  Armen  auf  und  schnürt  danach  den  Leib  mit  Handtüchern 
zusanmien.  Meyersan,  der  dieses  berichtet,  sagt  auch,  dass  wenn  der  Hebamme 
die  Geburt  regelwidrig  erscheint,  sie-  angeblich  die  Kreissende  auf  der  Erde  herum 


Schwere  Entbindung  einer  Coyotero- 
Apachen-Frau, 
hängend  mit  starkem  Dmck  anf  den  Leib. 
(Kach  EngelmaHH.) 


284  I'V.  Die  natürlichen  Hfllfemittel  bei  fehlerhafter  Geburt. 

drehen  oder  an  den  Füssen  aufhangen  soU.  Er  hat  diese  Procedur  nie  selbst 
mit  angesehen  und  schenkt  diesem  Berichte  wenig  Glauben. 

Der  landesfürstliche  Arzt  Grigorjev  kam  eines  Tages  in  einem  russischen 
Dorfe  mit  drei  Hebammen  zusammen,  welche  beriethen,  wie  man  einer  Ereissenden 
helfen  könnte,  die  schon  drei  Tage  sich  marterte;  sie  beschlossen,  sie  in  einem 
Backofen  heiss  zu  warmen  und  dann  mit  dem  Kopfe  abwärts  aufzuhängen. 

Bei  dem  russischen  Landvolke  hängt  sich  nach  Holst  die  Gebärende  an 
eine  Querstange,  die  an  Stricken  wie  eine  Schaukel  befestigt  ist,  und  sucht  auch 
wohl  in  dieser  halb  liegenden,  halb  sitzenden  Stellung  durch  Sprünge  die  Geburt 
zu  beschleunigen  und  das  Kind  gleichsam  aus  sich  herauszuschütteln.  Dabei  er- 
eignet es  sich  natürlich  nur  zu  oft,  dass  das  Kind  herausföllt,  ehe  es  die  Hebamme 
auffangen  kann,  oder  dass  die  Nabelschnur  abreisst,  oder  der  Uterus  nach  aussen 
gezogen  wird. 

Auch  bei  den  Ehsten  hält  man  die  Frau  in  der  Schwebe  und  schüttelt  sie, 
und  presst  ihren  Leib  zusammen. 

Hier  finden  wir  also  bereits  Uebergänge  zu  dem  Schütteln  der  Kreissenden. 

Einige  andere  Berichte  haben  wir  von  Demic: 

Im  Wologoder  Gouv.  ergreifen  sie  die  Kreiasende  bei  den  H&nden  und  Füssen  und 
schaukeln  sie,  oder  man  legt  sie  mit  dem  Rücken  auf  eine  Bank,  hebt  sie  mit  den  H&nden, 
die  man  unter  das  Becken  und  die  Oberschenkel  führte,  in  die  Höhe  und  schüttelt  sie  kr&ftig. 

Im  Nordosten  von  Russland  führt  man  die  Kreissende  um  den  Tisch  herum,  der 
Mann  legt  sich  auf  den  Fussboden  und  man  lässt  sie  über  ihn  hinwegspringen;  oder  ein 
starker  Mann  nimmt  die  Frau  auf  seinen  Rücken,  sie  bei  den  Händen  festhaltend,  l&ufb  mit 
ihr  im  Zimmer  herum  und  schüttelt  sie,  so  viel  er  kann;  oder  man  legt  sie  auf  den  Boden, 
bindet  die  Füsse  unter  den  Knöcheln  mit  Fetzen  zusammen  und  zieht  den  Kopf  abwärts,  die 
FüBse  aufwärts. 

Die  Erschütterungen  der  Kreissenden  waren  im  alten  Griechenland  als 
Beschleunigungsmittel  der  Entbindung  Eehr  beliebt.  Man  schlug  ein  Tuch  um 
die  Oebärende  und  schüttelte  sie  dann  wenigstens  zehn  Mal  tüchtig  durch;  dann 
lehnte  man  die  Gebärende  im  Bette  zurück,  so  dass  ihr  Kopf  abwärts,  die  Beine 
aufwärts  lagen,  und  die  hülfeleistenden  Weiber,  welche  nunmehr  die  Beine  der 
auf  die  Schultern  gestellten  Kreissenden  hielten,  schüttelten  dieselbe  im  Bette 
wiederholentlich  hin  und  her.     (Hippokrates.) 

Bei  den  Geburtshelfern  der  alten  Römer  waren  diese  Manipulationen  nicht 
beliebt;  Soranus  widerrieth  diese  Conquassationen  der  Griechen;  auch  PatUtiS 
Atgineta  verwarf  in  dieser  Beziehung  die  Rathschläge  des  Hippokrates  und  rieth 
das  Tragen  in  einer  Sänfbe  als  ein  weit  milderes  Mittel  an. 

Auch  in  dem  heutigen  Indien  wird  nach  Shortt  die  Kreissende,  die  nicht 
niederkommen  kann,  am  Unterleib  mit  Lampenöl  eingerieben  und  dann  geschüttelt. 

Im  westlichen  Amerika  wird  bisweilen  die  Gebärende  in  einer  wollenen 
Decke  ebenfalls  geschüttelt,  die  an  den  vier  Enden  tou  starken  Männern  gehalten 
wird.    (Engdmann.) 

Die  Indianerinnen  an  der  Grenze  von  Mexiko  fassen  bisweilen  die 
Kreissende  an  den  Lenden,  und  versuchen,  das  Kind  herauszuschütteln. 

In  Nive,  einer  in  der  Südsee  gel^enen  Insel,  soll  die  bedenkliche  Sitte 
geherrscht  haben,  dass  die  bei  der  Geburt  helfenden  Weiber  den  Uterus  der 
Wöchnerin  vermittelst  eines  Rohres  mit  Salzwasser  füllten,  und  dann  die 
Kreissende,  den  Kopf  nach  unten,  möglichst  heftig  hin  und  her  schwenkten,  an 
welcher  Procedur,  wie  leicht  begreiflich,  nicht  wenige  Frauen  gestorben  sein 
sollen.     (Hood.) 

Eine  besondere  Art  von  Erschütterungen  hat  der  im  Jahre  1466  in  Padua 
verstorbene  Professor  Johann  Michael  Savonarola  vorgeschlagen.  Die  Gebärende 
soll  tanzen,  abwechselnd  bald  auf  einem,  bald  auf  dem  anderen  Fusse;  sie  soll 
schreien,   die  Wehen  aber  sollen  im  Stehen  oder  im  Knieen  abgewartet  werden, 


360.  Das  Auf  h&ngen  n.  d. Schütteln  d.  Kreisaenden  als  Hülfsmittel  b.  schweren  Entbindungen.  285 

während  die  Oebärende  an  dem  Halse  eines  starken  Weibes  bangt;  dabei  soll  die 
Hebamme  den  Bauch  drücken  und  mit  der  beölten  Hand  die  Geburtstheile  zu 
erweitern  suchen. 

,Im  Kijewer  Gouv.  Iftsst  man  die  Kreissende  eine  Bank  Überspringen  oder  schwere 
Gegenstände  heben,  und  zugleich  muss  sie  starken  Branntwein  mit  Pfeffer  trinken." 

Auch  das  Prellen  finden  wir  als  geburtsbefSrderndes  Mittel  im  Gebrauch. 
Die  Kreissende  wird  dazu  auf  ein  Leintuch  gelegt,  das  Yon  Tier  starken  Männern 
gehalten  wird.  In  Italien  ist  diese  Manipulation  schon  Ton  der  Trotula  vor- 
geschlagen, allerdings  erst  wenn  der  Tod  des  Kindes  bereits  erfolgt  war.  Bei 
diesem  Prellen  soll  der  Kopf  der  Gebärenden  bald  hierhin,  bald  dorthin  etwas 
erhoben  und  das  Tuch  an  den  entgegengesetzten  Zipfeln  stark  angezogen  werden. 
Vielleicht  ist  dies  auch  das,  nach  Buch^  in  Schwaben  herrschende  Verfahren, 
wo,  wenn  das  Kind  «yierecldg*  liegt,  die  Kreissende  »über-  und  übertrolef*  wird; 
eine  nähere  Beschreibung  fehlt.  In  einem  Districte  des  sächsischen  Erzge- 
birges fand  Leopold^  dass  man  ein  Tuch  unter  der  Kreuzgegend  der  Frau  hin- 
durchgezogen hatte  und  diese  letztere  durch  zwei  Personen  je  nach  dem  Eintritt  der 
Wehen  bsJd  hob,  bald  senkte,  um  ihr  das  Verarbeiten  der  Wehen  zu  erleichtem. 

In  Entre  Rios  in  der  argentinischen  Republik  wird  die  Kreissende 
auf  einen  Poncho  gelegt,  um  sie  gehörig  schütteln  zu  können.    {Mantegckeza.) 


LVL  Die  Geburt  bei  fehlerhafter  Kindeslage  nnd  die  hierbei 
gebränchlichen  Handgriffe  nnd  Operationen. 

361.  Die  Ansehauungen  fiber  die  Ursachen  der  fehlerhaften  Eindeslagen. 

Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  die  Kenntniss  von  den  falschen 
Kindeslagen  sich  schon  frühzeitig  entwickelt  hat.  Und  wenn  die  Auffassung  der- 
selben auch  gewiss  noch  eine  ziemlich  yerworrene  war,  so  sprechen  doch  viele 
der  Maassnahmen,  welchen  sich  die  Weiber  oft  noch  recht  niedrigstehender  Volker 
während  der  Gravidität  unterziehen  müssen,  mit  voller  Deutlichkeit  dafür,  dass 
man  damit  die  Absicht  verbindet,  für  den  Embryo  im  Mutterleibe  die  richtige 
Lage  herbeizufilhren.  Wir  haben  das  früher  bereits  besprochen,  und  wir  haben 
gesehen,  dass  auch  hier  sich  vielfach  Mystisches  mit  untermischt. 

Steuer  berichtete  aus  Kamtschatka,  dass  dort  eine  Frau  drei  Tage  lang 
in  Geburtsschmerzen  lag  und  das  Kind  endlich  doppelt  gebogen,  nämlich  mit  den 
Hüften  zuerst,  also  durch  eine  Selbstentwickelung,  wie  der  Kunstausdruck  heisst, 
auf  die  Welt  kam.  Die  Zauberer  schrieben  die  Ursache  dieser  unnatürlichen  Lage 
des  Kindes  dem  Vater  zu,  der  zu  der  Zeit,  als  das  Kind  geboren  wurde,  einen 
Schlitten  machte  und  das  Holz  über  seinen  Knieen  gebogen  hatte. 

In  der  Bibel  wird  schon  im  ersten  Buche  Mosis  (38.  27)  von  einer  falschen 
Kindeslage  berichtet:  Von  dem  einen  Zwillingskinde  der  Thamar  war  das  Händ- 
chen vorgefallen,  das  die  Hebanmie  mit  einem  Faden  umwand.  Das  Kind  zog 
das  Händchen  wieder  zurück,  und  der  andere  Zwilling  wurde  vor  ihm  geboren. 
Hier  finden  wir  die  älteste  Beobachtung  einer  Selbstwendung  aufgezeichnet. 

Die  talmudischen  Aerzte  scheinen  die  spontane  Wendung  eines  in  falscher 
Lage  befindlichen  Kindes  ebenfalls  gekannt  zu  haben,  wenigstens  deutet  Israels 
eine  Stelle  des  Talmud  so.  Später  hat  auf  dieses  seltene  Vorkonmien  erst  im 
Jahre  1785  der  englische  Geburtshelfer  Benman  die  Aufmerksamkeit  der 
Aerzte  gelenkt. 

Die  altindischen  Aerzte  nahmen  vier  falsche  Kindeslagen  an,  welche  sie 
als  „Keil'',  „Klaue'',  „Gitrone''  und  „Stock"  bezeichneten;  dies  waren  Querlagen; 
nur  die  Kopflage  und  wohl  auch  die  Fusslage  galten  ihnen  als  normal.  Susruta 
steUte  dagegen  acht  unregelmässige  Kindeslagen  auf,  je  nach  dem  Kindestheil,  der 
dem  Muttermunde  zunächst  gelagert  ist.  Nach  der  Vorstellung  der  Inder  war 
eine  solche  Lage  nur  dadurch  möglich,  dass  ein  im  Mutterleibe  umherziehender 
Vayu  (Luft)  den  Fötus  in  Verwirrung  gebracht  hatte.  Doch  konnte  nach  Stisruta 
auch  durch  falsche  Einstellimg  des  Kopfes,  sowie  durch  Vorlegung  der  Schulter 
und  des  Beckens  die  Geburt  ungünstig  und  künstliche  Hülfe  nöthig  werden. 

Soranus  erkannte  nur  die  Kopflage  als  die  normale  an.  Als  fedsche  Lagen 
waren  ihm  bekannt  die  Schief-  oder  Querlage,  die  Vorlagerung  eines  oder  beider 
Arme,  sowie  die  Spreizung  der  Schenkel  des  Kindes.     Die  Fusslage  ist  zwar  auch 


362.  Die  Ennöglichung  d.  Gebnrt  bei  fehlerhafter  Kindeslage  durch  äuaserl.  Handgriffe.   287 

abnorm,  aber  weniger  bedenklich;  von  den  Querlagen  ist  diejenige  die  günstigste, 
in  der  die  Seite  des  Kindes  vorliegt;  sie  gestattet  die  Wendung  auf  den  Kopf 
oder  auf  die  Füsse.  Dagegen  ist  die  doppelte  Lage  die  schlechteste,  besonders 
wenn  die  Lendenwirbel  vorliegen,  während  bei  der  Vorlagerung  des  Bauches  die 
Entfernung  der  Eingeweide  (Evisceration)  und  dann  die  Extraction  ausgeführt 
werden  könne. 

Die  altarabischen  Aerzte  Bhaj^es^  Äli^  Ävicenna,  AbvHkasem  u.  s.  w. 
fussten  im  Allgemeinen  fast  ganzUch  mit  wenig  Abweichungen  auf  den  Lehren 
ihrer  griechischen  und  römischen  Vorgänger.  Ausser  der  Kopflage  waren 
ihnen  alle  übrigen  Kindeslagen  ebenfalls  widernatürlich;  sie  suchten  sich  dabei 
auf  mannigfache  Weise  zu  helfen. 

Auch  die  deutschen  Aerzte  des  16.  Jahrhunderts  hatten  noch  recht  un- 
klare Begriffe  von  den  abnormen  Kindeslagen.  In  ihren  Werken  wiederholen  sich 
fast  immer  die  gleichen  absonderlichen  Abbildungen.  Man  ersieht  daraus,  was  für 
eine  geringe  Vorstellung  selbst  die  gelehrten  Leute  der  damaligen  Zeit  Ton  den 
realen  Verhältnissen  besassen. 

Nach  der  v.  Jlfar^eus'schen  Abhandlung  eines  chinesischen  Arztes  sind  die 
Ursachen  einer  schlechten  Kindeslage  in  den  unzeitigen  Anstrengungen  der  Ge- 
bärenden und  in  dem  falschen  Benehmen  der  Hebammen  zu  suchen,  welche  letztere 
durch  Betasten  und  Drücken  des  Bauches  und  des  Kreuzes  der  Kreissenden  das 
Kind  beunruhigen  und  ängstigen.  In  solchen  Fällen  komme  zuweilen  zuerst  ein 
Fuss  oder  eine  Hand  zum  Vorschein,  oder  das  Sand  stemme  sich  im  Mutterleibe 
in  die  Quere  und  bleibe  solchergestalt  auf  der  einen  oder  der  anderen  Seite  in 
den  Knochen  der  Mutter  stecken. 

Die  japanischen  Aerzte  kannten  schon  im  vorigen  Jahrhundert  sowohl 
die  Fuss-  und  Steisslagen,  als  auch  die  Querlagen  des  Kindes,  und  zwar  weit  besser, 
als  die  chinesischen  Aerzte.  Sie  verstanden  es  auch,  in  solchen  FäUen  operative 
Hülfe  zu  leisten.  Sie  lenkten  auf  eine  falsche  Kindeslage  schon  während  der 
Schwangerschaft  ihr  Augenmerk  und  suchten  ihr  durch  bestimmte  Manipulationen 
vorzubeugen.  Der  oftgenannte  Kangawa  und  seine  Schüler  nahmen  an,  dass  die 
Querlage  des  Kindes  durch  die  in  Japan  damals  während  der  Schwangerschaft 
so  gebräuchliche  Leibbinde  entstehen  könne,  aber  auch  durch  Krümmungen  der 
Schwangeren  und  ausserdem  durch  Druck,  sowie  femer  durch  den  übermässigen 
Genuss  von  Speisen  und  durch  psychische  Einflüsse. 

Zum  Schlüsse  geben  wir  noch  eine  beachtenswerthe  Notiz  aus  dem  vorigen 
Jahrhundert,  aus  der  hervorzugehen  scheint,  dass  an  der  grösseren  oder  geringeren 
Häufigkeit  von  fehlerhaften  Kindeslagen  die  Lebensweise  der  Schwangeren  nicht 
ohne  Einfluss  ist. 

,In  einigen  Gegenden,  sagt  Finke,  z.  6.  in  der  Grafschaft  Tecklenburg  und  im 
Hochstift  Osnabrück,  wo  sehr  viel  Leinwand  bearbeitet  wird,  und  wo  fast  in  jedem  Hause 
ein  Weberstuhl  vorhanden  ist,  und  wo  die  Frauenspersonen  das  Weben  allein  verrichten,  be- 
merkt man  schwere  Geburten  oft  und  die  Wendung  wird  hier  nicht  selten  erfordert;  wenig* 
stens  fand  ich  10  Mal  die  Wendung  nöthig,  wenn  einmal  eine  Zangenentbindung  vorfiel. 
Ich  gebe  dem  Druck  die  Schuld,  den  der  schwangere  Leib  vor  dem  Webstuhl  erleidet,  — 
wenigstens  weiss  ich  keine  andere  Ursache.  Denn  hier  im  Lingenschen  ist  es  umgekehrt; 
aber  hier  webt  man  nicht.* 

Aehnliche  Berichte  kommen  jetzt  auch  aus  manchen  anderen  Fabrikdißtricten. 


362,  Die  Ermoglichung  der  Gebart  bei  fehlerhafter  Kindeslage 
dnrch  änsserllche  Handgriffe. 

Wie  man  bei  vielen  Völkerschaften  bereits  während  der  Gravidität  sich 
bemüht,  durch  Kneten  und  Drücken  des  Leibes  dem  Kinde  die  richtige  Lage  zu 
verschaffen,  so  giebt  man  auch  bei  manchen  Nationen,  selbst  wenn  bei  der  Nieder- 


288  L^'  ^^®  Geburt  bei  fehlerhafter  Kindeslage  u.  d.  hierbei  gebräuchl.  Handgriffe  u.  Operationen . 

kanft  sich  das  Kind  als  qaer  im  Matterleibe  liegend  erweist,  die  Hoffnung  noch 
nicht  au^  durch  äusserliche  Handgriffe  dasselbe  in  eine  f&r  die  Gebart  günstigere 
La^e  hineinzuzwingen.  Und  wie  es  den  Anschein  hat,  sind  diese  Versuche  bis- 
weilen wirklich  von  dem  gewünschten  Erfolge  gekrönt. 

Da  selten  eine  schwangere  Frau  im  D  a mar a- Lande  nicht  Gelegenheit  nimmt, 
sich  aus  irgend  einem  Grunde  massiren  zu  lassen,  so  werden,  wie  Büttner  be- 
hauptet, alle  fehlerhaften  Lagen  der  Frucht  bald  entdeckt;  und  im  Allgemeinen 
scheinen  diejenigen  Frauen,  welche  sich  dort  mit  der  Geburtshülfe  abgeben,  ein 
beneidenswerthee  Glück  zu  besitzen,  die  Wendung  auf  den  Kopf  durch  rein  äussere 
Handgriffe  zu  vollziehen,  wie  Metzger  mehrere  Male  gefunden  zu  haben  glaubt 
Darum  scheuten  sich  auch  die  Frauen  der  Weissen  durchaus  nicht,  die  eingeborenen 
Hebammen  zu  Hülfe  zu  rufen.  Im  Damara-Lande  sind  es  übrigens  zumeist  sehr 
Yomehme  Frauen,  welche  als  Hebammen  fungiren.  Die  Kenntniss  der  Massage- 
Handgriffe  pflanzt  sich  traditionell  von  der  Mutter  auf  die  Tochter  oder  auf  eine 
andere  jüngere  Verwandte  fort.  Zuweilen  massiren  auch  wohl  einzelne  Männer, 
doch  wird  dann  kein  Geheimniss  mit  der  Sache  getrieben. 

In  schwierigen  Geburtsfallen  soll  bei  den  Wotjäken  (Buch)  ein  in  solchen 
Dingen  erfahrenes  Weib  durch  die  Bauchdecken  hindurch  die  I^ge  des  Kindes 
zu  verbessern  suchen. 

Bei  Erstgebärenden  und  bei  schweren  Geburten  mit  natürlichen  und  wider- 
natürlichen Kindeslagen  suchen  sich  die  Naturwehemütter  in  Galizien  durch 
wiederholtes  Schmieren  (mit  einer  Mischung  von  Branntwein  und  Fett)  zu  helfen, 
das  in  einem  gewaltsamen  Kneten  des  Unterleibes  besteht. 

Auf  der  zu  den  Neu-Hebriden  gehörenden  Insel  Vate  stehen  Zauber- 
priesterinnen,  sogenannte  Mitimauri,  der  Gebärenden  bei,  wenn  die  Entbindung 
zu  zögern  beginnt.  Zu  diesem  Zwecke  giesst  die  Mitimauri  Wasser  in  ein  Gefass 
und  mischt  die  Milch  einer  jungen  Kokosnuss  hinzu.  Darüber  macht  sie  magbche 
Ceremonien,  die  man  „na  koroen*^  nennt.  Nachdem  sie  Zaubersprüche  über  das 
Wasser  gesprochen,  bläst  sie  ihren  Athem  auf  dasselbe;  dies  heisst  das  Wasser 
«koroen'*.  Auch  die  Milch  der  Kokosnuss  wird  «korot*^.  Dann  sind  Wasser  und 
Milch  zur  Anwendung  fertig.  Ein  Theil  davon  wird  der  Patientin  zum  Trinken 
gegeben;  ein  anderer  Theil  dient  zu  folgendem  Gebrauch:  Die  Mitimauri  korot 
zuerst  ihre  Hände  und  reibt  dann  das  korote  Wasser  mit  der  Kokosmilch  über 
den  Unterleib  der  Patientin  mit  der  Absicht,  die  Haut  desselben  weicher  und 
geschmeidiger  zu  machen.  Hierauf  bemüht  sie  sich,  durch  sanftes  Reiben  und 
Stossen  das  Kind  zu  heben  und  zu  drehen,  so  dass  die  Füsse  sich  nach  oben,  der 
Kopf  nach  unten  wenden.  Sie  vergewissert  sich  mit  ihren  Händen  über  die  Lage 
der  Füsse  und  des  Kopfes.  Der  Spruch,  der  bei  der  Koro-Geremonie  als  Zauber 
gilt,  lautet  nach  der  Angabe  des  Missionär  Macdondld  etwa  folgendermaassen: 

„Natar,  Natur,  treib  es  aus!  Für  wen  soll  es  ausgetrieben  werden?  Es  boU  fOLr  A  (der 
Patientin  Name)  ausgetrieben  werden!  Es  soll  das  kleine  Kind  für  B.  (der  Name  des  Ehe- 
mannes) ausgetrieben  werden,  damit  es  herab  auf  den  Boden  komme!  Was  ist  das  fCLr  ein 
Koro?    Es  ist  ein  guter  (oder  wirksamer)  Koro!" 

Ist  das  Alles  geschehen,  so  wiederholt  die  Mitimauri  das  Anblasen  des  Wassers 
und  der  Kokosmilch,  und  ebenso  korot  sie  ihre  eigenen  Hände,  mit  welchen  sie 
das  Kind  wendete;  auch  bläst  sie  auf  den  Unterleib  der  Patientin.  Die  Einge- 
borenen glauben  fest  an  die  Krafb  dieses  Koro.     (Jamieson.) 

In  Klein- Asien  versucht  man  das  Kind  dadurch  in  die  richtige  Lage  zu 
bringen,  dass  man  die  Kreissende  in  ein  Betttuch  legt,  das  von  vier  Frauen  ge- 
hoben und  geschaukelt  wird. 

Der  Italiener  Antonio  Cermissone^  welcher  1441  starb,  gab  bei  falschen 
Kindeslagen  den  Rath,  dass  die  Hebamme  die  Beine  der  Kreissenden  über  ihre 
Schultern  nehmen  solle,  so  dass  die  Kniekehlen  der  letzteren  auf  den  Schultern 
aufliegen;  in  dieser  Haltung  soll  dann  die  Hebamme  sanfte  Schüttelbewegungen 
mit  der  Frau  vornehmen. 


863.  Die  EtmflgiifJnmg  der  Gebort  bei  fehlerbailer  Kindedage  duck  imieiliehe  Handgriffe.    289 

Wenn  bei  den  altgriecliisclieii  Aearzten  Sure  Mittel,  eine  fehlerhafte 
Kindeslage  zu  Terbeesern,  nicht  zum  Ziele  geführt  hatten,  so  wurde  die  Gtobfirende 
anf  dem  Bette  festgebunden  nnd  letzteres  entweder  am  Kopfende  oder  am  Fass- 
ende in  die  Hohe  gehoben  und  dann  t&chtig  geschüttelt,  om  dem  Kinde  eine 
bessere  Lage  zn  schaffen. 

In  Algerien  wird  im  gleichen  Falle  die  Fraa  an  ihren  Beinen  in  die  Höhe 
gehob«!  oder  man  walzt  sie  anf  der  Erde  hin  und  her. 

War  bei  den  Chinesen  die  fiiüsche  fondeshige  diagnosticirt,  so  schreibt 
die  Ton  v.  Martius  übersetzte  Abhandlung  ror: 

,Msii  rnnis  die  Mutter  in  diesem  Falle  bekntsam  auf  ihr  Lager,  auf  den  Rftcken  lang 
hinlegen  mid  die  kerrorstebenden  Theile  des  Kindes  Tordchtig  lorilckbiegen.  Der  Mutter 
aber  mnas  man  dorch  knisen  Scblnmmer  Zeit  vergOnnen,  neae  Kr&fte  zu  sammehi;*  ue  darf 
aber  nicht  xa  fett  einwchlafen.  Gelingt  das  Zurückbringen  der  yorgefallenen  Kindestheüe 
nicht,  BO  läBst  der  chinesische  Aizt  der  Geb&renden  eine  Schale  von  der  Dschurura-Frucht 
reichen  und  sie  alsdann  mit  dem  ünterleibe  zecht  hoch  legen,  bis  das  Cnd  von  selbst  sum 
Yorsehein  kommt.  In  dem  Falle  aber,  dass  sich  die  Ereissende  nicht  niederlegen  will,  sagt 
der  Chinese:  «Dann  weiss  ich  selbst  kein  Mittel  mehr.* 

Du  Halde  errohnt  noch  eine  andere  chinesische  Yorschrifi;: 
,Pour  les  femmes,  loisqu^elles  enfantent  leur  firuit  de  travers,  ou  que  les  pieds  de 
Fenfiint  sortent  les  premiers:  Prenex  une  Drachme  de  Ginseng,  autaat  d^encens  puW^ris^  du 
mineral  appell^  Tan-cha,  le  poids  d*une  demie  once.  Broyes  le  tout  ensemble:  pnis  däüjei 
le  avec  un  blanc  d*oeuf  et  du  jus  de  gingembre  verd,  environ  une  demie-cniller,  et  donnei-le 
froid  ä  la  personne  malade.  La  mhre  et  Fenfant  seront  aussitCt  soulsg^;  le  remMe  op^ 
sur  le  champ.* 

863.  Die  Ermogliehnng  der  Geburt  bei  feUerhafter  Sindeslage  dnreh 

innerliche  Handgriffe. 

Sehr  firfihzeitig  schon  scheint  man  die  Ueberzengong  gewonnen  zu  haben, 
dass  die  ansserlichen  Handgriffe,  wie  wir  sie  im  Torigen  Al^hnitte  besprachen, 
doch  sehr  oft  nicht  ausreichend  sind,  die  normale  Lage  des  Kindes  herbeizuführen. 
Und  so  kamen  die  bei  der  Gebart  hülfireiche  Hand  leistenden  Personen  allmählich 
dazu,  durch  das  Zurückschieben  der  yorgefallenen  Theile  des  Kindes  in  den  Mutter- 
leib und  durch  die  Einführung  der  Hand  in  die  Geschlechtstheile  der  KreLssenden 
das  Kind  zurechtzurQcken  und  aus  seiner  abnormen  Stellung  in  die  naturgemasse 
umzuwenden.  Auf  diese  Weise  wurde  dann  schliesslich  doch  noch  die  Entbindung 
möglich  gemacht. 

Es  ist,  wie  Israels  annimmt,  in  hohem  Ghrade  wahrscheinlich,  dass  bereits 
den  talmudischen  Babbinem  die  Wendung  des  in  fehlerhafter  Lage  befindlichen 
Kindes  bekannt  gewesen  ist.  Er  beruft  sich  hierbei  auf  die  Stdle  des  Tractat 
Kidduschin,  wo  Bdbhi  Ekasar  sagt: 

.Porrexit  dominus  mannm  suam  in  intestina  serrae  suae  et  coecavit  foetum,  qui  est  in 
utero  ejus;  liber  est.    Qua  re?    quia  lex  dixit:  et  corrupit,  donec  intendat  corrumpere.* 

Pinoif  halt  es  für  zweifelhaft,  ob  hier  Yon  einer  Wendung  die  Bede  ist; 
er  hält  es  nicht  für  ausgeschlossen,  dass  es  sich  hier  um  eine  Fruchtabtreibung 
handelt. 

Die  alt-indischen  Aerzte  verstanden  sich  bei  Querlagen  auch  bereits  auf 
die  Wendung,  die  sie  je  nach  den  vorliegenden  Umst&nden  auf  den  Kopf  oder 
auf  die  FOsse  machten.  Bei  Steissgeburten  führten  sie  beide  Beine  herab  und 
extrahirten  dann  an  diesen  das  Kind.  Bei  der  einfachen  Fussgeburt  holten  sie 
das  hinaufgeschlagene  Fnsschen  herunter,  um  dann  ebenfalls  an  beiden  Beinen  die 
Eztraction  des  Kindes  vorzunehmen. 

Auch  die  alt-griechischen  Aerzte  versuchten  bei  Steiss-  und  Quer- 
lage, sowie  bei  Yorlagerung  der  Extremitäten  die  Wendung  auf  den  Kopf 
zu  machen. 

PlOBS-Bartels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    n.  19 


290 '  L^I*  ^^6  Geburt  bei  fehlerhafter  Kindeslage  u.  d.  hierbei  gebräuchl.  Handgriffen.  Operationen. 

Aus  den  Mittheilnngen  Yon  Miyake  ersehen  wir,  dass  die  japanischen 
Aerzte  sehr  eingehende  Kenntnisse  von  der  Wendung  besitzen.  Kangawa  giebt 
über  die  f&r  dieselben  nothwendigen  Handgrifife  die  allereingehendsten  Vorschriften. 
Auch  sind  besondere  Instrumente  erfunden,  bestehend  aus  geöhrten  Fischbein- 
stabchen,  um  mit  deren  Hülfe  seidene  Schnüre  um  den  Körper  des  Kindes  inner- 
halb des  Mutterleibes  herumzuführen  und  auf  diese  Weise  das  Kind  in  eine  günstige 
Stellimg  zu  ziehen.  Alle  diese  Operationen  sollen  möglichst  verdeckt  gemacht 
werden,  um  das  Schamgefühl  der  Kreissenden  zu  schonen.  Der  Arzt  sitzt  am 
Fussende  des  niedrigen,  aus  Steppdecken  auf  der  Matte  gebildeten  Bettes,  auf 
welchem  die  Kreissende  in  der  Rückenlage  mit  ausgestreckten  Beinen  liegt,  den 
unteren  Theil  ihres  Körpers  bis  zur  Zehenspitze  mit  einer  Decke  yerhüllt.  Nun 
streckt  der  Arzt  seine  Beine  zwischen  den  Beinen  der  Frau  derartig  aus,  dass 
seine  Fusssohlen  sich  gegen  ihre  Hinterbacken  stützen,  so  dass  er  die  Beine  der 
Oebarenden  mit  den  seinigen  auseinanderhalten  und  alle  Manipulationen  unter  der 
Decke  yerrichten  kann. 

Es  scheinen  aber  auch  manche  im  üebrigen  noch  sehr  rohe  Völker  mit  den 
Handgriffen  für  die  Wendung  des  Kindes  innerhalb  des  Mutterleibes  durchaus 
nicht  unbekannt  zu  sein.  So  sollen  z.  B.  die  Kalmücken  schon  seit  langer  Zeit 
die  Wendung  bei  schweren  Entbindungen  auszuführen  yerstehen. 

Die  helfenden  Weiber  bei  den  heutigen  Griechen  rufen  in  Fällen  von 
fehlerhaften  Kindeslagen  Schafhirten  zu  Hülfe.  Auch  bei  den  Lesgiern  im 
Thale  Ton  Jagubly  im  Kaukasus  werden  nicht  selten  in  schweren  Fallen  Schaf- 
hirten zur  Entbindung  herbeigerufen.  Nach  v,  SeycUitz  sind  dieselben  sehr  ge- 
schickt im  Entbinden  der  Schafe  und  sie  bedienen  sich  zu  dem  letzteren  Zwecke 
sogar  besonderer  zangenartiger  Instrumente. 

Emin  Pascha  fand  in  IJnjoro  in  Afrika  Männer,  welche  im  Stande  waren, 
bei  dem  Vorfall  der  Arme  die  Reposition  und  die  Wendung  auszuführen. 

Nach  Brehms  mündlichen  Mittheilungen  gehen  die  helfenden  Frauen  in 
Massaua  (Ost-Afrika),  wenn  sie  eine  falsche  Kindeslage  finden,  mit  der  Hand 
in  die  Geschlechtstheile  ein  und  drehen  die  Frucht  um.  Auch  heisst  es  von  den 
Hebammen  in  Algerien,  dass  einige  von  ihnen  es  verständen,  noch  nach  dem 
Abgange  des  Fruchtwassers  die  Wendung  auszuführen. 


364.  Die  TodtoDg  nnd  Zerstttckelung  des  Kindes  während  der  Gebnrt. 

Wir  haben  weiter  oben  bereits  gesehen,  dass  durch  ein  rohes  und  unver- 
ständiges Ziehen  an  den  vorgefallenen  Kindestheilen  nicht  selten  diese  von  dem 
kindlichen  Rumpfe  abgerissen  werden.  Dergleichen  unliebsame  Vorkommnisse 
geschehen  natürlicher  Weise  unbeabsichtigt.  Aber  die  Geburtshülfe  sieht  sich  in 
seltenen,  besonders  ungünstigen  Fällen  auch  bisweilen  genöthigt,  mit  vollem  Vor- 
bedachte das  Kind  im  Mutterleibe  zu  tödten  und  zu  verstümmeln,  so  dass  es 
schliesslich  stückweise  geboren  wird.  Es  sind  dies  gewöhnlich  nur  solche  Fälle, 
in  denen  die  Grössenverhältnisse  des  Kindes  und  vor  allen  Dingen  seines  Kopfes 
so  ganz  erheblich  diejenigen  der  mütterlichen  Geburtswege  übertreffen,  dass 
ein  Hindurchtreten  des  Kindes  durch  die  letzteren  zu  einer  physischen  Unmög- 
lichkeit wird. 

Wollte  die  Wendung  nicht  gelingen,  so  schritt  man  in  Indien,  wie  Susruta 
vorschreibt,  zu  der  Zerstückelung  des  Embryo.  Lag  der  Kopf  vor,  so  perforirte 
man  den  Schädel,  enthimte  ihn  und  zog  das  Kind  danach  mittelst  eines  Hakens 
aus;  wenn  jedoch  die  Schulter  vorlag,  so  wurde  die  Zerstückelung,  die  Embryo- 
tomie  ausgeführt.  Zur  Eröffnung  des  Schädels  bediente  sich  Susruta  besonderer 
Instrumente,  des  Mantalagra  (krummes  Messer)  und  des  Angulisastra  (Fingermesser, 
vielleicht  schneidender  Ring,  ähnlich  dem  jSimpson'schen  Ringscalpell).     Zur  Zer- 


364.  Die  Tödtung  und  Zerstückelung  des  Kindes  während  der  Geburt.  291 

Stückelung  diente  das  speerförmige  Sankn.  Nur  ein  in  der  Anatomie  bewanderter 
Arzt  soll  nach  Susrtäa  diese  so  leicht  die  Mutter  gefährdenden  Instrumental- 
Operationen  Yomehmen.  Eine  sorgfaltige  diätetische  und  arzneiliche  Nachbehand- 
lung der  Wöchnerin  folgte  danach,  deren  Befinden  der  Arzt  noch  vier  Monate 
lang  beaufsichtigte. 

Auch  die  altgriechischen  Aerzte  kannten  bereits  die  Embryotomie,  sie 
f&hrten  dieselbe  aber  nur  aus,  wenn  das  Kind  schon  abgestorben  war.  Bei  dem 
Vorfall  der  Extremität  eines  abgestorbenen  Kindes  schnitt  man  diese  ab  und 
suchte  die  Wendung  auf  den  Kopf  auszuf&hren.  Wenn  dieses  nicht  gelang,  so 
schritt  man  zur  Zerstückelung  des  Kindes.  Hierzu  wurden  als  Instrumente  das 
Machairion  (gekrümmtes  Messer,  yielleicht  ähnlich  dem  Mantalagra  der  Inder), 
das  Piestron  (zum  Zerbrechen  der  Kopfknochen)  und  der  Eklyster  (ein  Haken  zimi 
Ausziehen  des  Kindes)  benutzt. 

Soranus  schrieb  ebenfalls  Yor,  dass  Yorgefallene  Extremitäten  abgeschnitten 
werden  sollten,  selbst  wenn  das  Kind  noch  am  Leben,  das  Leben  der  Mutter  aber 
gefährdet  war.  Diesem  Abschneiden  folgte  die  Embryotomie,  und  zum  Ausziehen 
bediente  er  sich  eines  spitzen  Hakens,  welcher  Embryulkos  hiess. 

Die  Yerschiedenen  weichen  Theile  des  Kindes  wurden  angebohrt,  worüber 
gewisse  Regeln  gegeben  werden.  Dieser  Operation  folgte  eine  aufmerksame  Nach- 
behandlung, wie  schon  Yor  Soranus  die  Geburtshelferin  Aspasia  und  später  Äetius 
angegeben  haben.  Auch  das  operatiYe  Yeriahren  bei  Wasserkopf  des  Fötus  ist 
Yon  Soranus  genau  beschrieben. 

Die  Juden  nach  Chr.  Oeburt  durften  nach  TertuUian  das  Kind  tödten, 
wenn  dessen  Kopf  noch  nicht  sichtbar  war  und  das  Leben  der  Mutter  in  Gefahr 
schwebte. 

So  lange  das  Kind  noch  sich  Yöllig  im  Mutterleibe  befand,  wurde,  ihrer  An- 
sicht nach,  jede  Verzögerung  der  Niederkunft  nur  durch  das  Kind  selber  Yeranlasst; 
denn  sie  glaubten,  dass  dasselbe  zur  Geburt  mithelfen  müsse;  in  diesem  Falle  be- 
drohte das  Kind  das  Leben  seiner  Mutter  und  man  opferte  dso  das  Kind,  um  die 
Mutter  zu  retten.  War  jedoch  der  Kopf  des  Kindes  als  der  grösste  Theil  des- 
selben geboren,  so  gaben  die  Aerzte  des  Talmud  nicht  mehr  dem  Kinde  die  Schuld 
der  GeburtsYerzögerung,  sondern  sie  sahen,  dass  das  Hindemiss  in  der  Mutter 
liege  und  dass  das  Kind  in  diesem  Falle  nicht  geopfert  werden  dürfe.  Bei  der 
Zerstückelung  schnitt  man  die  Yorliegenden  Extremitäten  ab  und  suchte  die  inneren 
Organe  des  Kindes  herauszuschneiden. 

Nach  Krebel  führen  auch  die  Heilkünstler  der  Soongaren  die  Zerstückelung 
eines  Kindes,  das  nicht  geboren  werden  kann,  mit  dem  Messer  aus. 

Yon  den  Dacota-Indianern  berichtet  Schoolcraft  einen  Fall,  in  welchem 
die  Hand  des  Kindes  Yorgefallen  war.  Nach  20  Stunden  wurde  angenommen, 
das  Kind  sei  todt,  und  um  das  Leben  der  Mutter  zu  retten,  wurde  der  Arm  ab- 
geschnitten und  das  Kind  in  Stücken  herausgebracht.  Die  Operation  wurde  you 
Weibern  ausgeführt,  welche  nichts  Yon  diesem  Geschäfte  Ycrstanden,  aber  der  Tod 
wäre  so  wie  so  erfolgt. 


19* 


LVII.  Der  Kaiserscimitt. 

365.  Das  Heraassehneldeii  des  lebenden  Kindes  nach  dem  Tode  der  Mntter. 

Man  sollte  meinen,  dass  der  Gedanke  ein  sehr  naheliegender  wäre,  dass  wenn 
die  Matter  während  der  Niederkunft,  ohne  ihr  Kind  geboren  zu  haben,  in  Folge 
von  Ueberanstrengung  and  Entkräftang  oder  aas  ähnlichen  Gründen  stirbt,  doch 
immer  noch  nicht  auch  gleichzeitig  das  noch  Ungeborene  von  dem  Tode  ereilt 
zu  sein  braucht,  und  dass,  wenn  man  es  schnell  aus  seinem  organischen  Gefangniss 
zu  befreien  sich  bestrebt,  sein  zartes  Leben  noch  erhalten  werden  könne.  Aber 
eine  solche  Einsicht  hat  sich  doch  nicht  gerade  bei  sehr  vielen  Völkern  Bahn 
gebrochen.  Auch  heute  noch  sucht  man  in  Palästina  nur  durch  einen  an  den 
Mund  der  Todten  gehaltenen  Schlüssel  das  Kind  zu  entfernen.  (Tobkr.)  In  Japan 
wird  vom  Volke  niemals  der  Kaiserschnitt  nach  dem  Tode  gestattet  (v.  Siehold)^ 
in  Persien  ebenfalls  nicht  (nur  ausnahmsweise  führte  ihn  Poldk  einmal  aus). 
Unter  den  heutigen  Mohamedanern  ist  die  Ausübung  des  EaLserschnitts  nach 
dem  Tode  durch  Sidi  Khelif  untersagt,  dessen  Autorität  für  jeden  guten  Musel- 
mann vollwichtig  ist.  Ja,  dies  Gesetz  geht  noch  weiter,  denn  es  verordnet,  dass, 
wenn  durch  einen  ungehorsamen  Arzt  ein  Sodserschnitt  ausgeführt  werden  und 
dabei  ein  Kind  lebend  zu  Tage  kommen  sollte,  man  das  Neugeborene  alsbald 
tödten  müsse,  denn  dasselbe  sei  kein  Geschöpf  Gottes,  sondern  des  Teufels,  denn 
„Leben  könne  nicht  von  Todten  geboren  werden*.  {Rique)  Der  Koran  verbietet 
ausdrücklich  das  Oe&en  der  Leichen;  der  Körper  soll  selbst  dann  nicht  geöffnet 
werden,  „wenn  der  Todte  die  kostbarste  Perle,  die  ihm  nicht  gehörte,  verschluckt 
gehabt  hätte'.  Aber  es  dringt  doch  wohl  allmählich  auch  hier  die  Oivilisation 
durch,  und  es  werden  bereits  Einschränkungen  dieses  strengen  Gesetzes  zugelassen. 
Denn  Oppenheim  giebt  an: 

,Nur  in  dem  Falle,  dass  eine  Schwangere  stirbt,  und  das  Kind  Zeichen  des  Lebens  von 
sich  giebt,  ist  es  erlaubt,  den  Kaiserschnitt  zu  machen." 

Es  unterliegt  aber  wohl  kaum  einem  Zweifel,  dass  einzelnen  Nationen  bereits 
in  sehr  hohem  Alterthume  dieser  Kaiserschnitt  an  der  Verstorbenen  zur  Kenntniss 
gekommen  war.  Rosenbaum^  ist  sogar  der  Meinung,  dass  der  Ursprung  dieser 
Operation  bereits  bei  den  alten  Aegyptern  gesucht  werden  müsse.  Wenn  er  für 
diese  Ansicht  nun  auch  den  directen  Beweis  zu  erbringen  nicht  im  Stande  ge- 
wesen ist,  so  spricht  es  doch  für  seine  Anschauung,  dass  den  ägyptischen  Balsa- 
mirem,  deren  regelmässiges  Geschäfb  es  ja  war,  den  Leib  der  Todten  zu  öffnen, 
die  etwaige  Anwesenheit  eines  noch  lebenden  und  sich  bewegenden  Kindes  doch 
kaum  entgangen  sein  kann,  und  dass  sie  dasselbe  dann  doch  ganz  sicherlich  aus 
der  Gebärmutter  herausgeschnitten  haben  werden. 

Ob  wir  berechtigt  sind,  anzunehmen,  dass  auch  die  Griechen  den  Kaiser- 
schnitt an  der  Verstorbenen  auszuführen  verstanden,  ist  schwer  zu   entscheiden. 


865.  Das  HerauBschneiden  des  lebenden  Kindes  nach  dem  Tode  der  Matter.  293 

Dass  ihnen  die  Sache  selbst  aber  nicht  unbekannt  war,  das  beweist  der  alte 
M3^hns  von  der  Geburt  des  Dionysos,  welcher  aus  dem  Leibe  der  von  dem  Blitze 
getödteten  Semde  geschnitten  und  in  den  Leib  des  Zetis  versetzt  wurde,  der  ihn 
darauf  mit  Hülfe  der  Athene  und  der  Eüeithyia  gebar.  Auch  ÄsJdepios  soll  nach 
Pindar^  und  Lychas  nach  Virgü  aus  dem  Leibe  der  Mutter  geschnitten  worden  sein. 

Nach  Stisruta  nahmen  die  indischen  Aerzte  den  Kaiserschnitt  vor,  sobald 
sie  äusserlich  am  Unterleibe  der  plötzlich  verstorbenen  Gebärenden  Bewegungen 
vom  Kinde  bemerkten. 

In  Rom  hatte  schon  Numa  Pompüius  die  sogenannte  Lex  regia  gegeben, 
welche  lautet: 

Mulier  qnae  praegnans  mortua  ne  humari  antequam  partus  ei  exicidator  qnei  secos  faxit 
spem  animantis  cum  gravida  occisae  reus  esto.    {MarceUuB,) 

Ob  diesem  Gesetze  nun  aber  auch  Folge  gegeben  wurde,  vermögen  wir 
nicht  zu  beweisen.  Jedenfalls  steht  es  aber  fest,  dass  der  Gesetzgeber  von  der 
Möglichkeit  der  Bettung  des  noch  lebenden  Kindes  einer  hochschwanger  ver- 
storbenen Frau  vollkommen  überzeugt  gewesen  sein  muss. 

Später  scheint  in  dem  kaiserlichen  Rom  die  Sectio  caesarea  in  Vergessen- 
heit gerathen  zu  sein,  und  vielleicht  ist  die  Annahme  von  Schwarz^  zutreffend, 
dass  erst  mit  der  Ausbreitung  des  Ghristenthums  und  mit  der  Einführung  des 
Sacraments  der  Taufe,  welches  dem  Leben  des  Kindes  einen  höheren  Werth  und 
ihm  die  Seligkeit  verlieh,  der  Kaiserschnitt  wieder  Aufiiahme  fand.  Papst  Benedict 
gab  noch  in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  eine  Vorschrift,  in  welcher 
der  Zweck  der  Operation  und  die  bei  derselben  anzuwendenden  Vorsichtsmaass- 
regeln  genau  angegeben  worden  sind. 

Die  Rabbiner  des  Talmud  wussten,  dass  der  Fötus  nicht  inmier  zugleich 
mit  der  Mutter  stirbt.  Sie  führen  ein  Beispiel  auf,  wo  man  bemerkt  hatte,  dass 
das  Kind  im  Leibe  der  verstorbenen  Mutter  sich  dreimal  bewegte.  Allein  sie  be- 
trachteten einen  solchen  Fötus  für  nicht  erbfähig,  denn  sein  Leben  und  seine 
Bewegungen  seien  gleich  demjenigen  des  abgeschnittenen  und  sich  gleichfalls  noch 
bewegenden  Schwanzes  einer  Eidechse.  Eine  zum  Tode  verurtheilte  Schwangere 
wurde  ohne  Rücksicht  auf  ihr  Kind  hingerichtet;  sass  die  Schwangere  aber  sdion 
in  der  Geburtsarbeit  auf  dem  Kreissstuhle,  so  wurde  ihr  Kind  zuvor  getödtet  und 
sie  selbst  dann  hingerichtet;  denn  man  nahm  an,  dass  das  £[ind,  wenn  es  leben 
blieb,  noch  nach  dem  Tode  der  Mutter  geboren  werden  könne,  und  solch  ein 
Ereigniss  hielt  man  für  etwas  Schändlicheres,  als  das  Tödten  des  reifen  Kindes 
im  Leibe  einer  verurtheilten  Mutter.  Wurde  eine  Frau  auf  dem  Kreissstuhle 
während  der  Geburtsarbeit  vom  Tode  überrascht,  so  wurde  (nach  Ausspruch  der 
Rabbiner  Nachman  und  SchemueT)  der  Kaiserschnitt  vorgenommen;  man  schritt  zu 
dieser  Operation  selbst  an  einem  Sabbath,  trotz  der  Gefahr,  ihn  dadurch  zu  ent- 
heiligen. Sie  verletzten  den  Sabbath  in  dieser  Hinsicht  sogar  dann,  wenn  Leben 
oder  Tod  der  Mutter  noch  zweifelhaft  war,  denn  sie  glaubten  nicht,  bis  zum  Ab- 
lauf des  heiligen  Tages  warten  zu  dürfen,  um  des  Kindes  Leben  zu  retten.  In 
diesem  Falle  holten  sie  ein  Messer  von  einem  öffentlichen  Orte.    (Israels.) 

Bemard  von  Gordon  (1285)  und  Guy  de  Chatdiac  (1868),  beide  in  Mont- 
pellier, lehren,  dass  an  einer  schwangeren  Verstorbenen  der  Kaiserschnitt  ge- 
macht werden  solle;  sie  glaubten,  dass  der  Fötus  noch  einige  Zeit  nach  dem  Tode 
der  Mutter  fortleben  könnte,  und  suchten  deshalb  den  Mund  und  die  Gebärmutter 
derselben  offen  zu  erhalten,  damit  die  Luft  zu  dem  Kinde  dringen  könne. 

Diese  sonderbare  Meinung  herrscht  noch  jetzt  unter  dem  Volke  im  Franken- 
walde. Wenn  dort  eine  Hochschwangere  stirbt,  so  soll  man  ihr  den  Mund  mit 
einer  Spanne  oder  Spreize  offen  halten,  damit  die  Luft  zum  Kinde  kommen  kann 
und  dieses  nicht  erstickt,  bis  der  Doctor  kommt  und  hilft.    (Flügel,) 

Der  Kaiserschnitt  wird  in  einem  Landrechte  vom  Jahre  1389  aus  Ybach 
im  Canton  Schwyz  erwähnt: 


294  LVIL  Der  Kaiserschnitt.  , 

,Ein  ehelichs  Kind,  so  von  seiner  Matter  g^chnitten  wird,  erbt  sin  Vater  und  sin 
Matter,  so  es  sie  überlebt  und  menschlich  Gestalt  hat,  and  das  Kind  erben  sin  nächste  Fründ 
von  der  y&terlichem  March.  Wenn  man  aber  nit  glaaben  weit,  dass  das  Kind  gelebt  hat, 
oder  menschliche  Gestalt  hatte,  moss  man  das  durch  zwei  ehrliche  Kandschafber  Manns-  oder 
Weibspersonen  beweisen  können,  die  es  bei  ihren  Eiden  bethüren.    (Fasabind.) 

Wenngleich  ein  Fall  Yon  Kaiserschnitt,  der  zu  jener  Zeit  im  Canton  Schwyz 
wirklich  ausgeführt  worden  wäre,  nicht  bdcannt  ist,  so  beweist  doch  immerhin 
die  Existenz  dieses  Gesetzes,  dass  die  Gesetzgeber  den  Kaiserschnitt  nicht  allein 
kannten,  sondern  dass  sie  auch  voraussetzten,  diese  Operation  würde  vorkommenden 
Falles  mit  Erfolg  ausgeübt. 

Der  Kaiserschnitt  nach  dem  Tode  der  Mutter  spielt  auch  in  dem  deutschen 
Epos  seine  Rolle.  Wir  verdanken  Alwin  SchuUz^  eine  Schilderung  des  hofischen 
Lebens  zur  Zeit  der  Minnesinger.  Darin  citirt  er  ein  Epos:  Tm^an,  das  von 
Eühard  gedichtet  ist.  Die  Stelle,  welche  fftr  uns  Interesse  bietet,  schildert  die 
Niederkunft  der  Blanchefiür^  als  sie  den  Tristan  unter  dem  Herzen  trug.  Die 
Niederkunft  war  eine  derartig  schwere,  dass  die  arme  Blancheflür  in  der  Geburts- 
arbeit ihren  Oeist  aufgab.     Der  Dichter  schildert  das  mit  folgenden  Worten: 

,Dö  wart  ir  also  rehte  w6 
Das  sie  nemen  moste  den  tod: 
Von  dem  kinde  qaam  ir  die  not, 
Do  sneit  man  dem  wibe 
Einen  son  üz  ihrem  Übe.' 

Eine  Erinnerung  an  den  altindischen  Kaiserschnitt  fand  Niebuhr  bei  den 
Hindus.  Sie  ftOirten  ihn,  wenn  die  Kreissende  gestorben  war,  aus,  weil  das 
Gesetz  vorschreibt,  dass  Kinder  in  einem  Alter  von  weniger  als  18  Monaten  be- 
graben würden,  die  Mütter  hingegen  der  üblichen  Verbrennung  anheimfielen. 

Auch  in  Mala  bar  muss  man  nach  Speerschneider  das  £nd  aus  dem  Leibe 
der  verstorbenen  Mutter  herausschneiden,  damit  es  neben  dieser  begraben  werde. 

Aus  Unyoro  berichtete  Emin  Pascha^  dass  man  hier  ebenfalls  den  Leib  der 
Frau,  welche  in  der  Geburtsarbeit  ihren  Geist  aufgiebt,  mit  dem  Messer  eröffnen 
müsse,  um  das  Kind  daraus  zu  entfernen,  gleichzeitig  ob  es  noch  lebe  oder  bereits 
abgestorben  sei  Die  Unterlassung  dieser  Vorschrift  wird  von  dem  Häuptling 
schwer  geahndet,  da  sie  von  böser  Vorbedeutung  f&r  das  Dorf  ist.  Ziegen, 
Binder  und  selbst  Frauen  werden  dem  Schuldigen  als  Strafe  abgenommen. 

Wir  müssen  noch  einer  entsetzlichen  Art  des  Kaiserschnittes  gedenken, 
wie  er  nach  Krauss^  in  verbrecherischer  Absicht  zur  Ausführung  kommen  soll. 
Krauss  sagt: 

.In  Bosnien  pflegen  Diebe  und  Einbrecher  am  liebsten  ein  im  siebenten  Monat 
schwanger  gehendes  Weib  abzuschlachten,  aufzutrennen  und  das  aus  dem  Mutterleibe  aus- 
geweidete Kind  in  lange  schmale  Streifen  zu  schneiden  und  diese  Stücke  g^t  zu  dOrren. 
Wollen  sie  dann  wo  nächtlicher  Weise  ein  Haus  ausplündern,  so  zünden  sie  eins  von  den 
gedörrten  Fleischstücken  als  Kerze  an,  und  räumen,  glaubt  man,  ungestört  das  Haus  aus; 
denn  alle  Hausbewohner  schlafen  baumfest,  wie  ausgestorben,  und  Niemand  kann  erwachen, 
bevor  nicht  die  Räuber  abgezogen  sind." 

Dieser  furchtbare  Aberglaube  war  im  Jahre  1889  noch  in  Kraft. 


366.  Das  Herausschneiden  des  lebenden  Kindes  aus  der  lebenden  Mntter. 

Es  war  sicherlich  kein  kleiner  Entschluss,  der  in  früherer  Zeit  dazu  geführt 
hat,  das  Kind  aus  dem  Leibe  der  Verstorbenen  herauszuschneiden.  Um  wieviel 
staunenswerther  aber  ist  der  Muth,  welcher  in  dem  Herzen  chirurgisch  ungeübter 
Völker  aufkeimte,  die  Hand  auch  an  die  lebende  Mutter  zu  legen.  War  der 
Kaiserschnitt  an  der  Todten  einmal  gefunden,  dann  konnte  allerdings  auch  der 
Gedanke  aufkeimen,  dass  man  durch  einen  kühnen  operativen  Eingriff,  mit  scharfem 


866.  Das  Herausschneiden  des  lebenden  Kindes  aus*  der  lebenden  Mutter.  295 

Schnitte  die  Banchdecken  der  Matter  and  die  Wandung  des  Uterus  spaltend,  die 
noch  am  Leben  befindliche  aber  dem  schweren  Geburtsacte  beinahe  erliegende 
Ereissende  von  dem  Kinde  befreien  und  auf  diese  Weise  die  bis  dahin  unmögliche 
Entbindung  auf  blutigem  und  unnatürlichem  Wege  zu  Ende  ffthren  könne. 

Zu  dieser  kühnen,  blutigen  That  scheinen  sich  schon  die  alten  Rabbiner 
entschlossen  zu  haben.  Mawnsfeld  hat  auf  eine  Stelle  der  Mise hna,  des  ältesten 
Theiles  Yon  dem  Talmud  hingewiesen,  wo  von  dem  Joze  Dofan  die  Rede  ist. 
Das  bedeutet  nach  Mannsfeld  den  , Wände-Schnitt',  welcher  an  der  Lebenden 
ausgeführt  worden  sei.  Gegen  die  Opposition  von  Fulda  und  C.  J,  v.  Siebold 
trat  Israds  dieser  Ansicht  bei;  nach  ihm  ist  Joze  Dofan  unzweifelhaft  «ein  Kind, 
welches  durch  die  Seite  der  Matter  geboren  worden ''f  und  er  sucht  zu  zeigen, 
dass  nach  den  Gommentaren  der  Mischna  die  Juden  des  Alterthums  den  Kaiser- 
schnitt auf  zweifiEiche  Methode  ausführten;  wenn  die  Talmudisten  keine  Thatsachen 
erwähnten,  so  ist  nach  Israels  daraus  noch  nicht  zu  schliessen,  dass  sie  nicht 
mit  solchen  bekannt  gewesen  seien. 

Ohne  die  bis  dahin  geführten  Verhandlungen  zu  berücksichtigen,  kam  Beich 
auf  diese  Talmudstelle  zurück: 

,Bei  einem  Joza  Dofan,  d.  h.  bei  einem  durch  die  Seiten  wand  Herausgekommenen, 
galten  für  die  Frau  keinerlei  Bestimmungen  der  Reinigung  und  Nichtreinigung ,  auch  ist  sie 
kein  Opfer  schuldig.* 

Dieser  Ausspruch  wird  von  zwei  Gommentatoren  erklärt:  Baschi  (um  1029 
bis  1097  n.  Chr.)  sagt: 

,  Durch  Sam  wurden  ihre  Eingeweide  geö&et;  das  £[ind  herausgezogen  und  die  Frau 
geheilt." 

Ueber  die  Bedeutung  des  „Sam*"  wurde  gestritten,  ob  dies  Wort,  welches 
eigentlich  eine  „geistige  Substanz^  heisst,  als  Instrument,  Medicament  oder  Aetz- 
mittel  aufzufassen  sei.  Dann  sagt  an  anderer  Stelle  Maimonides  (um  1135  bis 
1204  n.  Chr.): 

.Die  Lenden  der  Frau  wurden,  wenn  die  Geburt  ihr  schwer  fiel,  gespalten,  so  dass 
das  Kind  von  da  herausging." 

Eine  dritte  Stelle  der  Mischna  lautet: 

„Der  Joze  Dofan  und  der  nach  ihm  kommt  (d.  h.  der  sp&ter  geboren  wird),  sind  beide 
keine  Erstgeborenen,  weder  in  Bezug  auf  Erbschaft,  noch  auf  Priesterthum." 

Hierzu  bemerkt  Maimonides: 

„Dies  ist  nur  so  mOglich,  dass,  nachdem  bei  einer  zwillingsschwangeren  Frau  die  Seite 
gespalten  worden  und  ein  Kind  herausgegangen  ist,  die  Frau  nachher  daa  zweite  gebar  und 
starb;  was  aber  einige  behaupten,  dass  hier  eine  spätere  Geburt  gemeint  sei,  dafür  weiss 
ich  keine  Erklärung  und  es  ist  mir  sehr  befremdend. '^ 

Später  machte  Bawüjski  auf  eine  Stelle  aufmerksam,  in  welcher  Babbi 
J.  Lewi  unter  Joze  Dofan  ein  Neugeborenes  Terstand,  welches  „aus  dem  After 
zur  Welt  kam**.  Hierdurch  hielt  sich  Bamtjski  fQr  berechtigt,  anzunehmen,  dass 
überhaupt  bei  Joze  nicht  an  einen  Kaiserschnitt  gedacht  werden  dürfe,  sondern 
dass  damit  Geburten  gemeint  seien,  bei  denen  das  Kind  durch  einen  Riss  im 
hinteren  oberen  Theile  der  Scheide,  durch  einen  bis  an  den  After  reichenden 
Centralriss  des  sogenannten  Mittelfleisches  geboren  wurde.  Es  wurde  von  solchen 
F&llen  früher  schon  gesprochen.  Steinschnepder^  Seligmann,  Kotdmann  und  Israels^ 
verwerfen  aber  diese  Ansicht,  und  sie  blieben  dabei,  dass  Joze  Dofan  sich  auf 
den  Kaiserschnitt  an  der  Lebenden  beziehe.  Andere  Autoren  erwähnten  Stellen 
des  Talmud,  in  welchen  von  trächtigen  Thieren  die  Bede  ist,  bei  denen  durch 
Aufreissen  der  Flanken  das  Junge  zu  Tage  gefördert  wurde.  Hiermit  sei  be- 
wiesen, dass  die  Juden  auch  an  Thieren  eine  dem  Kaiserschnitt  ähnliche  Ope- 
ration Yomahmen. 

Der  verstorbene  Fürst  in  Leipzig  schrieb  an  Ploss  auf  dessen  Anfrage 
folgenden  Bericht: 


296 


LVII.  Der  Kaiserschnitt 


.Flanken -Geburt  oder  Kaisersclinitt?  Fürs  Erste  ist  zu  merken,  dass  die  Mischna 
(150  V.  Chr.)  nicht  von  einem  Bauch-  oder  Gebärmutterschnitt  spricht,  sondern  von  einer 
Flanken-  oder  Seitengeburt,  wie  lö'n  fiOti^  oder  auch  löi*^  "^7?  *^—  heisst.  Die  Hauptstellen 
über  die  Wände-Geburt  bei  Menschen  und  Thieren  finden  sich  Nidda  cap.  lY  Anfong,  und 
Becherot  cap.  VIII,  wo  von  Joze  Dofen  oder  einer  Flankengeburt  bei  Menschen  oder 
Thieren  verhandelt  wird.  Weil  in  der  Bibel  bei  der  Geburt  immer  Peter  Rächern,  d.h. 
Oeffhung  der  Gebärmutter  steht,  so  warfen  die  Traditionslehrer  im  2.  Jahrh.  n.  Chr.  die  Frage 
auf,  ob  eine  Geburt,  die  nicht  durch  die  Gebärmutter  (Rachem),  sondern  durch  die  Flanke 
geschehen,  als  legale  Geburt  in  Bezug  auf  Reinigung,  Erstgeburt,  Opfer  u.  dgl.  biblisch  zu 
betrachten  sei.  Dass  die  Mischna  eine  Flankengeburt  nicht  nur  für  möglich,  sondern  auch 
für  thatsächlich  vorgekommen  gehalten,  dass  auch  eines  der  Zwillinge  so  geboren  werden 
kann,  dass  man  Thiere  geschlachtet,  um  die  lebende  Geburt  herauszuholen,  das  sieht  man  aus 
dem  Zusammenhang  der  weitläufigen  Discussion.  Der  Talmud  bei  seiner  Erläuterung  der 
Mischna  führt  zu  vielen  in  der  Mischna  erwähnten  Abnormitäten  von  Geburten  selbst  erlebte 
Thatsachen  an.  So  z.  B.,  dass  bei  Zwillingsgeburten  das  zweite  erst  33  Tage,  einmal  erst 
3  Monate  nach  der  ersten  Geburt  gekommen  u.  s.  w.,  und  es  scheint  nur  zufällig,  dass  zur 
Flankengeburt  kein  Factum  angeführt  ist.  Wie  aber  eine  solche  Flankengeburt  be- 
wirkt wurde,  darüber  steht  nichts  in  der  Mischna  und  im  Talmud,  und  was 
die  späteren  Commentatoren  darüber  sagen  CBeschi,  Mannsfeld,  Bertinoro  u.  A.), 
hat  keinen  Werth,  da  sie  nur  ihre  subjective  Ansicht  auss.prechen." 


Fig.  318.    Die  Ausführang  des  Kaiserschnittes  an  der  lebenden  Kreissenden,  in  der  Mitte  des 
17.  Jahrhunderts.    (Nach  Scuitetus.) 


Wann  in  Europa  zum  ersten  Male  der  Kaiserschnitt  an  einer  Lebenden 
ausgeführt  wurde,  das  ist  nicht  mit  Sicherheit  festzustellen.  Einen  solchen  soll 
bereits  Nicolaus  de  FaUconiis  (geb.  1412)  berichtet  haben,  jedoch  hat  schon  v.  Siebold 
dargethan,  dass  diese  Angabe  nicht  stichhaltig  ist.  Auch  soll  um  das  Jahr  1500 
der  Schweineschneider  Jacob  Nuffer  seine  Frau  und  das  Kind  durch  die  Sectio 
caesarea  gerettet  haben.  Man  nimmt  aber  jetzt  allgemein  an,  dass  es  sich  hier 
nicht  um  einen  Kaiserschnitt  im  gewohnlichen  Sinne,  sondern  um  eine  Eröffiiung 
der  Bauchhöhle  bei  einer  Eztrauterinschwangerschafb  handelte. 

Wie  erst  im  Jahre  1581  diese  Operation  von  Frangois  Rousset  befürwortet 
wurde,  und  wie  sie  dann  Eingang  fand,  wollen  wir  hier  nicht  ausführlich  be- 
sprechen.    Jedenfalls  ist  die  erste  gut  beglaubigte  E^aiserschnittoperation  von  dem 


366.  Das  Herausschneiden  des  lebenden  Kindes  aus  der  lebenden  Mutter. 


297 


Chirurgen  Tratdmann  am  21.  April  1610  zu  Wittenberg  vollzogen  und  von 
Daniel  Sennert  beschrieben  worden.    (Wachs.) 

Auch  in  Tölz  wurde  nach  Höfler  im  Jahre  1673  ein  Kind  ,todt  von  der 
Mutter  Katharina  Hoherdeitner  geschnitten  **. 

In  mehreren  Werken  des  17.  Jahrhunderts  finden  sich  Abbildungen  von 
dem  Kaiserschnitt  an  der  lebenden  Mutter,  von  denen  ich  zwei  nach  Scipione 
Mercurio  und  eine  nach  ScuUetus  hier  wiedergebe.  Das  Bild  des  Scultetus 
(Fig.  318)  zeigt  die  Frau  bekleidet  im  Bette  liegend;  nur  ihr  Bauch  allein  ist 
entblösst.     Zwei  Assistenten  halten  ihre  Arme;  ein  dritter  hat  ein  Brett  mit  Ver- 


Fig.  319.    Die  Operations-Stellung  für  den  Kaiserschnitt  bei  einer  muthigen  Kreissenden. 

(Aus  Scipione  Mercurio.) 


bandzeug;  solches  liegt  auch  auf  einem  niederen  Schemel.  Der  Operateur  steht 
an  der  rechten  Seite  des  Bettes  und  schneidet,  wie  es  scheint,  mit  einem  Rasir- 
messer  den  Leib  der  Schwangeren  linksseitig  vom  Nabel  in  der  Längsrichtung  ein. 
Zur  Zeit  aber  hat  er  nur  einen  oberflächlichen  Schnitt  durch  die  Hautdecke  ge- 
führt.   Weibliches  Hülfispersonal  ist  nicht  zugegen. 

Die  Figuren  319  und  320  sind  dem  Scipione  Mercurio  entnommen.    Wenn 
die  Patientin  tapfer  ist,  so  soll  sie  auf  dem  Bettrande  sitzen,  wie  es  in  Fig.  319 


298 


LYII.  Der  Kaiserschnitt. 


dargestellt  ist.  Vier  unerschrockene  Jünglinge  oder  Jungfrauen  sollen  dem  Ope- 
rateur helfen;  drei  derselben  halten  die  Gebärende  an  dem  Oberkörper  und  den 
Armen  fest,  und  zwar  von  den  Seiten  und  von  hinten  her.  Der  vierte  Gehülfe 
.soll  am  Boden  knieen  zwischen  den  Schenkeln  der  Gebärenden,  und  er  soll  die 
letzteren  von  der  Hinterfläche  her  fixiren.  Die  Schnittlinie,  rechter  Hand  vom 
Nabel,  entsprechend  dem  äusseren  Rande  des  geraden  Bauchmuskels,  soll  sich  der 
Arzt  mit  einer  guten  Tinte  vorzeichnen,  damit  sein  Messer  nicht  abweicht;  auch 
soll  er  mit  der  Tinte  drei  bis  fünf  Querb'nien  ziehen,  um  die  Stellen  zu  markiren, 
wo  er  die  Näthe  anlegen  muss. 


Fig.  320.    Lagerang  für  den  Kaiserschnitt  bei  einer  schwachen  Ereissenden. 
(Alis  Scipione  Mtrcurio^ 


Ist  die  Ereissende  aber  schon  schwach,  dann  soll  man  sie  in  die  Lage 
bringen,  wie  sie  in  Fig.  320  dargestellt  ist.  Man  bringe  die  Patientin  zu  Bett 
und  lagere  sie  durch  untergelegte  Kissen,  dass  sie  eine  halbsitzende  Stellung  ein- 
nimmt. Diese  Position  sei  auch  für  solche  gut,  welche  sich  vor  dem  Blute 
fürchten.  Ueber  die  Ausfiihrung  der  Operation  und  über  die  nothwendige  Vor- 
bereitung der  Schwangeren  werden  genaue  Vorschriften  gegeben.  Scipiane  Mer- 
curio  giebt  aber  den  Batb,   mit   gr5sster  Vorsicht   erst   zuvor  den  Kräftezustand 


367.  Der  Kaisenchniit  an  der  Lebenden  bei  den  Naturvölkern.  299 

der  Gebärenden  zu  prüfen,  ob  sie  auch  noch  im  Stande  sei,  einen  solchen  Ein- 
griff zu  überstehen.  Halt  er  sie  hierfür  nicht  mehr  für  geeignet,  so  soll  er  lieber 
von  der  Operation  Abstand  nehmen  und  sich  mit  ehrenvollen  Entschuldigungen 
zurückziehen.  Denn  wenn  die  Frau  während  des  Kaiserschnittes  sterben  sollte, 
so  würde  man  sicherlich  ganz  allein  diesem,  und  nicht  der  schweren  Entbindung 
die  Schuld  zuschieben. 

Bei  der  Gebärenden  in  Fig.  319  sieht  man  die  Schnittlinien  vorgezeichnet; 
in  Fig.  320  ist  bereits  der  Uterus  eröffiiet,  und  der  Operateur  ist  eben  im  Begriff, 
das  Kind  aus  demselben  herauszubefordem. 

Als  besondere  Guriosa   mögen   die   folgenden  Falle  ihre  Erwähnung  finden. 

Im  Jahre  1880  schrieb  die  Wiener  medicinische  Wochenschrift  auf  Grund 
eines  angeblich  durch  die  Polizeiorgane  amtlich  erörterten  Berichtes  des  Dr.  V. 
Gjargjetvic  aus  Belgrad: 

unweit  der  serbischen  Grenze  in  Pritschtina  konnte  eine  Tagelöhnerin  trotz  drei- 
tägiger qualvoller  Wehen  nicht  gebären;  in  der  Verzweiflung  ergriff  sie  das  Rasirmesser  ihres 
Mannes,  yollf&hrte  mit  demselben  an  sich  den  Kaiserschnitt  und  Hess  sich  die  Wunde  durch 
eine  Nachbarin  wieder  zunähen.  Nach  einigen  Monaten,  als  der  Referent  den  Fall  besprach, 
befanden  sich  Mutter  und  Kind  vollkommen  wohl. 

lieber  ein  ganz  ähnliches  Vorkommniss  berichtet  v.  Guggenherg,  Es  handelte 
sich  um  eine  87  Jahre  alte  Frau  zu  Biela  bei  Bodenbach,  welche  den  Kaiser- 
schnitt an  sich  selber  machte. 

Am  Ende  ihrer  achten  Schwangerschaft  traten  die  Wehen  rechtzeitig  ein,  hörten  aber 
nach  24  Stunden  wieder  auf.  Dann  folgten  Krampfanflllle,  grosse  Schmerzen  und  eine 
colossale  Auftreibung  des  Bauches,  während  die  Kindesbewegungen  verschwanden.  Die  Frau 
glaubte,  dass  sie  sterben  müsse.  Da  ergriff  sie  ein  Rasirmesser  und  schnitt  sich  langsam, 
Schicht  für  Schicht,  die  Bauchdecken  und  die  Wand  der  Gebärmutter  durch.  Dann  zog  sie 
das  abgestorbene  Kind  aus  der  Wunde  hervor,  schnitt  die  Nabelschnur  ab  und  hob  schliesslich 
die  Nachgeburt  heraus.  Der  hinzugerufene  v.  Guggenberg  vernähte  die  Wunde  und  legpte 
einen  Verband  an;  die  Frau  genas  nach  kurzem  Krankenlager. 

Harris  hat  neuerdings  noch  drei  andere  Fälle  aus  der  Literatur  zusammen- 
gestellt. Nur  in  einem  derselben  starb  die  betreffende  Person  an  den  Folgen  des 
operativen  Eingriffs.  Mehrmals-  aber  wird  von  schweren  Verletzungen  berichtet, 
welche  durch  das  Messer  dem  Kinde  im  Mutterleibe  beigebracht  worden  sind. 

Die  ungeheuren  Fortschritte,  welche  unter  dem  segensreichen  Schutze  der 
antiseptischen  Yerbandmethode  die  operative  Gynäkologie  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten zu  verzeichnen  hat,  sind  auch  dem  Kaiserschnitt  zu  Gute  gekommen. 
Namentlich  war  es  der  Italiener  Porro^  welcher  es  gelehrt  hat,  fast  schadlos 
das  Kind,  dessen  Geburt  auf  dem  gewöhnlichen  Wege  unmöglich  ist,  aus  dem 
Mutterleibe  herauszuschneiden  und  gleichzeitig  die  Gebärmutter  mit  den  Eier- 
stöcken und  ihren  übrigen  Anhängen  zu  entfernen,  so  dass  die  Mutter  nicht  später 
durch  eine  erneute  Schwangerschaft  von  Neuem  in  Lebensgefahr  versetzt  werden 
kann.  Porro's  Methode  hat  bereits  in  einer  grossen  Anzahl  glücklich  verlaufener 
Fälle  den  an  sie  gesteUten  Erwartungen  in  vollständig  befriedigender  Weise  zu 
entsprechen  vermocht. 

367.  Der  Kaiserschnitt  an  der  Lebenden  bei  den  Naturvolliern. 

Der  Gedanke,  durch  den  Kaiserschnitt  die  in  der  Geburtsarbeit  fast  unter- 
liegende Frau  von  dem  Kinde  zu  befreien  und  auf  diese  Weise  womöglich  die 
Mutter  und  das  Kind  am  Leben  zu  erhalten,  ist  nicht  das  ausschliessliche  Eigen- 
thum  der  Gulturvölker.  Wir  finden,  dass  einzelne  ziemlich  rohe  Nationen  auf  die 
ganz  gleiche  Idee  gekommen  sind. 

Ein  SeitenstQck  zu  dem  im  vorigen  Abschnitte  beschriebenen  Fall  von  v.  Gug- 
genberg wurde  von  Mosely  aus  West-Indien  berichtet. 


300 


LVII.  Der  Kaiserschnitt. 


Eine  Sclavin,  die  nicht  gebären  konnte,  führte  an  sich  selber  mit  einem  schlechten 
Messer  den  Kaiserschnitt  aus.  Die  Operation  lief  glücklich  ab,  und  als  die  Sclavin  wieder 
eine  Schwangerschaft  vollendet  hatte,  wollte  sie  die  Operation  wiederholen. 

Häufig  besprochen  warde  auch  die  Geschichte,  wo  ein  Chippeway- In- 
dianer an  seiner  Frau  den  Kaiserschnitt  machte,  Kind  und  Mutter  rettete  und 
beide  in  seinem  Schlitten  nach  seinem  Dorfe  am  Soult  gebracht  hat.  Schoolcraß 
hat  dort  oft  den  Mann  und  die  Frau  gesehen.  Da  dieser  Operation  selbst,  soviel 
bekannt,  keine  zuverlässigen  Zeugen  beiwohnten,  so  ist  noch  immer  die  Frage, 
ob  hier  ein  Fall  von  wirklichem  Kaiserschnitt  vorliegt. 


Fig.  321.    Operationsmesser,  in  Kahura  (Central-Afrika)  zum  Eaisei-schnitt  benutzt. 

(Nach  Ff/ktH,) 


Unzweifelhaftere  Nachrichten  besitzen  wir  aber  aus  XJnganda  in  Central- 
Afrika  durch  Felkiny  welcher  berichtet,  dass  dort  durch  besondere  Operateure 
und  zwar  bisweilen  mit  günstigem  Erfolge  der  Kaiserschnitt  ausgeführt  wird. 
Das  Messer,  welches  dabei  im  Jahre  1878  zu  Kahura  benutzt  wurde,  hatte  die 
Form  eines  convexen  Bisturi  (Fig.  321).  Felkin  wohnte  selbst  einem  solchen 
Falle  bei,  den  er  auch  bildlich  dargestellt  hat  (Fig.  322). 

«Die  Frau,  eine  20jährige  Erstgebärende,  lag  auf  einem  etwas  geneigten  Bette,  dessen 
Kopfseite  an  der  Hattenwand  stand.  Sie  war  durch  Banana-Wein  in  einen  Zustand  von  Halb- 
betäubung versetzt  worden.  Völlig  nackt  war  sie  mit  dem  Thorax  durch  ein  Band  an  das 
Bett  befestigt,  während  ein  anderes  Band  von  Baumrinde  ihre  Schenkel  nieder-  und  ein  Mann 
ihre  Knöchel  festhielt.  Ein  anderer  an  ihrer  rechten  Seite  stehender  Mann  fixirte  ihren 
Unterleib.  Der  Operateur  zu  der  linken  Seite  hielt  das  Messer  in  seiner  rechten  Hand  und 
murmelte  eine  Incantation.  Hierauf  wusch  er  seine  Hände  sowie  den  Unterleib  der  Patientin 
mit  Banana-Wein  und  alsdann  mit  Wasser. 

Nachdem  er  dann  einen  schrillen  Schrei  ausgestossen,  der  von  einer  ausserhalb  der  Hütte 
versammelten  Menge  erwidert  wurde,  machte  er  plötzlich  einen  Schnitt  in  die  Mittellinie, 
ein  wenig  oberhalb  der  Schambeinverbindung   beginnend,  bis   kurz  unter  den  Nabel.     Die 

^^ _  Wand  sowohl  des  Bauches  als  auch  der  Gebär- 

'^''"^^^iiLtMi^l^'H^ A  ^1'  tft^j^JititM^^  \^M1^0t^^     mutter  war  durch  diese  Indsion  getrennt  und 
"  ^  '  das  Fruchtwasser  stürzte  hervor;  blutende  Stellen 

der  Bauchwand  wurden  von  einem  Assistenten 
mittelst  eines  rothglühenden  Eisens  touchirt. 
Der  Operateur  beendete  zunächst  schleunig  den 
Schnitt  in  die  Uterus  wand;  sein  Gehülfe  hielt 
die  Bauch  wände  bei  Seite  mit  beiden  Händen, 
und  sobald  die  Uterinwand  getrennt  war,  hakte 
er  sie  mit  zwei  Fingern  aus  einander.  Nun 
wurde  das  Kind  schnell  herausgenommen,  und 
nachdem  es  einem  Assistenten  übergeben  wor- 
den, durchschnitt  man  den   Nabelstrang. 

Der  Operateur  legte  das  Messer  weg,  rieb  den 
Uterus,  der  sich  zusammenzog,  mit  beiden  Händen 
und  drückte  ihn  ein  oder  zwei  Mal.  Zunächst  führte  er  seine  rechte  Hand  durch  die  Incision  in 
die  Uterinhöhle,  und  mit  zwei  oder  drei  Fingern  erweiterte  er  den  Gebärmutter-Cerviz  von 
innen  nach  aussen.  Dann  reinigte  er  den  Uterus  von  Gerinnseln,  und  die  Placenta,  die  in- 
zwischen gelöst  war,  wurde  von  ihm  durch  die  Bauchwunde  entfernt.  Der  Assistent  bemühte 
sich  ohne  rechten  Erfolg,  den  Vorfall  der  Därme  durch  die  Wunde  zu  verhüten.  Das  roth- 
glühende Eisen  benutze  man  noch  zur  Stillung  der  Blutung  an  der  Bauchwunde,  doch  wurde 
dabei  sehr  schonend  verfahren.  Während  dem  hatte  der  Hauptarzt  seinen  Druck  auf  den 
Uterus  bis  zur  festen  Zusammenziehung  desselben  fortgesetzt;  Nähte  wurden  an  die  Uterus- 
wunde nicht  angelegt.  Der  Assistent,  welcher  die  Bauchwände  gehalten  hatte,  Hess  dieselben 
nun  loss,  und  man  legte  eine  poröse  Gras-Matte  auf  die  Wunde.  Die  Bande,  welche  die  Frau 
fesselten,  wurden  gelöst,  sie  selbst  auf  den  Bettrand  gewendet  und  dann  in  den  Armen  eines 


Fig.  322. 


Kaiserschnitt  in  Uganda  (Central- 
Afrika).    (Nach  J^f/Jktn.) 


367.  Der  Kaisenclmitt  an  der  Lebenden  bei  den  Naturvölkern. 


301 


Assistenten  anfgericbtet,  so  dass  die  Flüssigkeit  ans  der  Bauchhöhle  auf  den  Fussboden  ab- 
fliessen  konnte.  Dann  wurde  sie  wieder  in  ihre  frühere  Lage  gebracht,  und  nachdem  man 
die  Matte  hinweggenommen,  die  auf  der  Wunde  lag,  wurden  diie  Ränder  der  Wunde,  d.  h. 
der  Bauchwand  an  einander  gelegt  und  mittelst  sieben  dünner,  wohlpolirter  eiserner  Nägel, 
die  den  Acupressur-Nadeln  glichen,  mit  einander  verbunden.  Dieselben  wurden  mit  festen 
Fäden  aus  Rindenstoff  umwunden  (Fig.  823).  Schliesslich  legte  man  über  die  Wunde  als 
dickes  Pflaster  eine  Paste,  die  durch  Kauen  von  zwei  verschiedenen  Wurzeln  und  Ausspucken 
der  Pulpa  in  einen  Topf  hergestellt  war,  bedeckte  das  Ganze  mit  einem  erwärmten  Bananen- 
Blatte  und  vollendete  die  Operation  durch  eine  feste,  aus  Mbugu-Bast  bestehende  Bandage. 
Während  des  Anlegens  der  Nadeln  hatte  die  Patientin  keinen  Schrei  ausgestossen,  und  eine 
Stunde  nach  der  Operation  befand  sie  sich  ganz  wohl. 

Die  Temperatur  der  Kranken  stieg  in  den  nächsten 
Tagen  nicht  bedeutend  (in  der  zweiten  Nacht  101  F.),  der  Puls 
auf  108.  Zwei  Stunden  nach  der  Operation  wurde  das  Kind 
angelegt.  Am  dritten  Morgen  wurde  die  Wunde  verbunden 
und  man  entfernte  einige  Nadeln,  die  übrigen  am  fünften  und 
sechsten  Tage.  Die  Wunde  sonderte  wenig  Eiter  ab,  den  man 
mittelst  einer  schwammigen  Pulpa  entfernte.  Am  elften  Tage 
war  die  Wunde  geheilt. 

Wir  haben  im  vorigen  Abschnitte  schon  gesehen, 
dass  auch  die  Mythen  der  alten  Griechen  den  Kaiser- 
schnitt erwähnen,  jedoch  nar  denjenigen  nach  dem  Tode 
der  Mutter.  Nadi  der  Legende  soll  auch  Budddh 
durch  die  rechte  Seite  oder  durch  die  Achselhöhle  Fig.  3523.  vemähte  Bauchwunde 
seiner  Mutter  geboren  worden  sein.  Die  heilige  Sage  eineraj&hrigenFrauin Uganda, 
der  Mandaeer  kennt  aber  auch  den  Kaiserschnitt  an  Ser''*KVi;eV8Vhn^'tt*auÄt 
der  Lebenden.  war. 

.Die  Gemahlin  des  Königs  Säl  wurde  schwanger,  konnte  Q^wiYi  Ftikin.) 

aber  das  Kind,  weil  es  zu  gross  war,  nicht  zur  Welt  bringen; 
sie  war  dem  Tode  nahe.     Da  erscheint  dem  Säl  die  Simurg 

und  r&th  ihm,  seiner  Gattin  eine  Medicin,  aus  Hyoscjamus  bestehend,  einzugeben,  wodurch  sie 
in  einen  Todesschlaf  fiel  und  gefühllos  wurde.  Als  dies  geschehen,  wurde  ihr  der  Leib  auf- 
geschnitten, und  der  grosse  kräftige  Sohn,  welcher  den  Namen  Rüstern  erhielt,  herausgenommen. 
Darauf  nähte  man  den  Schnitt  wieder  zu;  Simurg  legte  ihren  Flügel  darüber  und  bald  war  die 
Wunde  geheilt.  Man  hielt  auch  der  Wöchnerin  etwas  vor  die  Nase,  durch  dessen  Geruch  sie 
wieder  erwachte.    (Petermann.) 

I  So  interessant  diese  Mythe  auch  ist,  so  wäre  es  doch  wohl  voreilig,  daraus 
den  Schluss  ziehen  zu  wollen,  dass  von  diesen  Leuten  in  ähnlicher  Weise  solche 
Operationen  ausgeführt  worden  sind. 


LVni.  Die  Physiologie  und  die  Pathologie  des  Wochenbettes. 

368.  Die  physiologische  Bedeutung  des  Wochenbettes. 

Man  kann  von  einem  Wochenbette  eigentlich  logischer  Weise  bei  solchen 
Völkern  nicht  sprechen,  wo  die  Frauen  sofort  nach  ihrer  Niederkunft  ihre  ge- 
wohnte Beschäftigung  wieder  aufnehmen,  wo  sie  also  gar  nicht,  wie  das  bei  den 
Gulturvölkem  die  Regel  ist,  eine  bestimmte  Anzahl  von  Tagen  im  Bette  zu- 
bringen. Im  medicinischen,  im  physiologischen  Sinne  aber  bedeutet  die  Wochen - 
bettsperiode,  das  Puerperium,  wie  der  fachmännische  Ausdruck  lautet,  einen 
ganz  bestimmten  Zeitabschnitt  in  dem  Leben  des  Weibes,  ganz  gleichgültig,  ob 
sie  sich  in  demselben  eine  Pflege  angedeihen  lässt,  oder  nicht.  Diese  Wochen- 
bettsperiode beginnt  in  dem  Augenblick,  wo  nicht  nur  das  Kind,  sondern  auch 
die  Nachgeburt  den  mütterlichen  Körper  verlassen  hat,  und  dieselbe  ist  in  ana- 
tomischer Beziehung  charakterisirt  durch  den  Rückbildungsprocess  der  6e- 
burtstheile. 

Dass  die  Oebämiutter,  in  welcher  während  neun  langer  Monate  das  Kind 
sich  entwickelte,  wuchs  und  zur  Reife  gelangte,  sowohl  in  ihrem  anatomischen 
Bau,  als  auch  in  ihrer  Form  und  Grösse  recht  erhebliche  Veränderungen  erleiden 
musste,  das  wird  auch  für  den  Nichtmediciner  leicht  verständlich  sein.  Nun  wird 
die  Wochenbettsperiode  bis  zu  dem  Augenblick  gerechnet,  wo  alle  durch  die 
Schwangerschaft  und  den  Geburtsact  veränderten  Abtheilungen  der  Geschlechts- 
organe wieder  zu  ihrer  normalen  Gestalt  zurückgekehrt  sind.  Zu  diesem  Behufe 
muss  in  allererster  Linie  die  Gebärmutter  sich  stark  zusammenziehen  und  sich 
ganz  erheblich  verkleinem;  ihre  Höhle  muss  einen  neuen  Schleimhautüberzug  ge- 
winnen, und  diejenige  Stelle  in  ihrem  Inneren,  an  welcher  der  Mutterkuchen  ge- 
sessen hat,  muss  sich  vernarben  und  verheilen.  Dabei  wird  von  dieser  Stelle  eine 
blutig  geftLrbte  Wundflüssigkeit  abgesondert,  welche  später  einen  schleimigen 
Charakter  annimmt.  Das  sind  die  Lochien  oder  das  Lochialsecret,  welches  durch 
die  Geschlechtstheile  seinen  Ausgang  nimmt  und  gewöhnlich  als  Wochen fluss 
bezeichnet  wird.  Er  dauert  so  lange  an,  bis  die  geschilderten  Rückbildungs- 
processe  innerhalb  der  Gebärmutterhöhle  ihren  Abschluss  gefunden  haben. 

Auch  der  Muttermund,  der,  wie  der  Leser  sich  erinnern  wird,  während  der 
Entbindung  sich  weit  eröfihen  musste,  wobei  der  ganze  Scheidentheil  des  Uterus 
verstrich  und  verschwand,  muss  sich  ebenso  wie  dieser  letztere  in  alter  Weise 
wiederherstellen.  Nicht  minder  haben  die  Mutterscheide  und  die  äussere  Scham 
während  der  Schwangerschaft  und  der  Niederkunft  sehr  beträchtliche  Veränderungen 
erlitten.  Durch  den  Druck  des  Kindes  auf  die  grossen  Blutgefässe  des  Baudbes 
war  der  Blutkreislauf  in  diesen  Theilen  gehemmt,  Schwellungen  und  Auflocke- 
rungen bildeten  sich  aus  und  ihre  Durchmesser  wurden  erheblich  erweitert.  Auch 
sie   müssen  sich  wieder  zusammenziehen,  an  Straffheit  und  Festigkeit  gewinnen, 


369.  Die  primären  Gefahren  der  Wochenbettsperiode.  303 

bedeutend  kleiner  und  enger  werden  und  wieder  eine  geregelte  Blutcirculation  er- 
halten. Dies  Alles  muss  zu  Stande  kommen  und  vollendet  sein,  bevor  man  die 
Wochenbettsperiode  im  physiologischen  Sinne  als  abgeschlossen  betrachten  darf. 
Da  hierüber  aber  einige  Wochen  vergehen,  wenigstens  bei  den  Frauen 
unserer  Rasse  (bei  den  ttbrigen  Frauen  wahrscheinlich  auch,  doch  fehlt  es  hier 
noch  an  Untersuchungen),  und  da  bei  uns  die  Neuentbundenen  den  ersten  Abschnitt 
dieser  Periode  im  Bette  zuzubringen  pflegen,  so  hat  sich  für  diese  Zeit  der  Name  ^ 
Wochenbett  und  für  die  Frau  die  Bezeichnung  als  Wöchnerin,  Puerpera, 
herausgebildet. 

369.  Die  primftren  Gefahren  der  Wochenbettsperiode. 

Die  in  dem  vorigen  Abschnitt  geschilderten  Veränderungen  und  Umwälzungen, 
welche  in  dem  Körper  der  jungen  Mutter  vor  sich  gehen,  sind  so  erhebliche  und 
eingreifende,  dass  bei  allen  civilisirten  Nationen  mit  vollem  Rechte  die  letztere 
als  eine  der  Schonung  Bedürftige,  gleichsam  als  eine  Kranke  betrachtet  wird. 
Wir  finden  aber  auch  bei  vielen  immerhin  noch  recht  rohen  Völkern  eine  ganz 
analoge  Anschauung.  Eine  ganz  besondere  Pflege  und  Aufmerksamkeit  von  Seiten 
der  Wöchnerin  und  ihrer  Umgebung  erfordert  aber  die  allererste  Abtheilung  der 
Wochenbettsperiode;  denn  sie  ist  es,  welche  bei  einiger  Unachtsamkeit  und  bei 
unverstandigem  Verhalten  nicht  selten  die  grössten  Gefahren  för  die  Gesundheit 
und  selbst  f&r  das  Leben  der  Neuentbundenen  mit  sich  bringt. 

In  erster  Linie  sind  es  die  Gebärmutterblutungen,  die  Metrorrhagien,  welche 
kurze  Zeit  nach  der  erfolgten  Entbindung  eintreten  können.  Sie  föhren  schwere 
Ohnmächten,  oder  selbst  den  Tod  durch  Verl)lutung  herbei.  Wenn  aber  die 
Frau  den  starken  Blutverlust  überlebt,  so  hat  sie  nicht  selten  auf  lange  Zeit  in 
Folge  der  Blutarmuth  mit  schwerem  Siechthum  zu  kämpfen.  Die  Quelle  der 
Gebärmutterblutungen  ist  an  der  Placentarstelle  zu  suchen.  Hier  standen  die 
Blutgefässe  der  Mutter  in  offener  Communication  mit  denjenigen  des  Matter- 
kuchens, und  wenn  der  letztere  sich  ablöst,  um  geboren  zu  werden,  so  öffnen  sie 
sich  frei  in  die  Höhle  der  Gebärmutter.  Normaler  Weise  ist  nun  mit  der  Los- 
lösung der  Placenta  eine  starke  Zusammenziehung  der  Gebärmutterwand  ver- 
bunden, wodurch  die  erwähnten  Gefassmündungen  zum  Verschlusse  gebracht  werden. 
Treten  diese  Zusammenziehungen  nicht  in  normaler  Weise  ein,  so  bleiben  die  Ge- 
fassmündungen offen  und  dann  erfolgt  die  Blutung. 

Eine  fernere  Gefahr,  welche  ebenfalls  in  unregelmässigen  oder  mangelhaften 
Gontractionen  der  Uterusmuseulatur  ihre  Ursache  hat,  erwächst  dadurch,  dass 
bestimmte  Theile  der  Gebärmutter  ihre  normale  Festigkeit  nicht  wieder  erhalten 
und  dass  hierdurch  der  Uterus  in  eine  fehlerhafte  Lage  geräth.  Aus  diesem 
Grunde  finden  wir  bei  manchen  Völkern  die  Sitte,  bald  nach  der  Entbindung 
durch  Drücken  und  Kneten  die  Gebärmutter  wieder  ,auf  ihre  richtige  Stelle'' 
zu  bringen. 

Ein  zu  weites  Klaffen  des  Muttermundes  und  der  Scheide  kann  einen  Vor- 
fall der  Gebärmutter  herbeiführen,  darum  sehen  wir,  dass  auch  diese  Theile  ihre 
sorgfaltige  Berücksichtigung  finden.  Durch  solches  Klaffen  kann  aber  auch  ein 
Eindringen  von  Luft  und  damit  von  Fäulniss-  und  Krankheitserregern  in  die 
Geburtstheile  zu  Stande  kommen,  wodurch  die  schreckliche  Gefahr  des  Kindbett- 
fiebers bedingt  werden  kann.  Es  hat  aber  den  Anschein,  als  wenn  die  uncivUi- 
sirten,  auf  einer  niederen  Gulturstufe  lebenden  Völker  einen  hohen  Grad  von 
Immunität  gegen  die  gefährliche  Erkrankung  besitzen. 

Allerdings  nicht  ge&hrlich,  aber  für  die  Entbundene  recht  schmerzhaft  und 
beunruhigend  sind  die  sogenannten  Nachwehen.  Auch  gegen  diese  weiss  die 
Volksmedicin  wirksamen  Bath.  Wir  werden  uns  mit  allen  diesen  Dingen  in  den 
folgenden  Abschnitten  noch  eingehend  zu  beschäftigen  haben. 


304  LVIII.  Die  Physiologie  und  die  Pathologie  des  Wochenbettes. 

370.  Die  Blutflflsse  im  Wochenbett. 

Die  primären  Gefahren  des  Wochenbettes  sind  in  ihren  Erscheinungen  der- 
maassen  auffallig,  dass  es  uns  nicht  verwundern  kann,  wenn  wir  ihre  Erkenntniss 
auch  bei  niederen  Bevölkerungsschichten  weit  verbreitet  finden.  Von  ganz  be- 
sonders bedrohlicher  Bedeutung  sind  die  Blutungen,  welche  kurz  nach  der  Ent- 
bindung die  Wöchnerin  befallen.  Vtdlers  berichtet,  dass  die  alt-indischen 
Aerzte  verschiedene  Mittel  dagegen  benutzten. 

Sie  pulverisirten  ein  StQckchen  Erde  aus  dem  innersten  Gemache  des  V orrathshauses ; 
auch  machten  sie  ein  Pulver  von  Rubia  manjith,  Grislea  tomentosa,  der  Blüthe  der  doppelten 
Jasmine,  der  Resina  von  Shorea  robusta  und  dem  CoUjrium  Rasandschana ;  dieses  Hessen  sie 
mit  Honig  auflecken.  Ein  Pulver  aus  der  Rinde  von  Ficus  indica  oder  aus  Korallen  musste 
mit  Milch  getrunken  werden.  Das  Pulver  der  Nymphaea  caerulea  oder  des  Scirpus  Eysoor- 
Grases,  der  Trapa  bispinosa  und  der  Radix  Njmphaeae  gaben  sie  mit  gekochter  Milch,  oder 
mit  einem  Decoct  der  Blätter  von  Ficus  glomerata  und  frischem  Arum  campanulatum.  Es 
wurde  auch  Reismehl  mit  Zucker  und  Honig  getränkt  und  mit  Ficus  indica  gegeben.  Gleich- 
zeitig steckte  man  ein  Tuch  in  die  Scheide. 

Quintus  Serenus  Samonicus^  welcher  212  n.  Chr.  in  Rom  gestorben  ist, 
liess  bei  Blutfiüssen  im  Wochenbett  Schröpfköpfe  an  die  Brüste  setzen. 

Ein  russischer  Arzt  aus  Hakodade  schreibt  von  den  Japanern,  dass 
sie  bei  starker  Blutung  nach  der  Geburt  die  Scheide  mit  Watte  (nach  v.  Siebold 
mit  Leinwand)  tamponiren;  danach  binden  sie  die  Unterschenkel  dicht  unterhalb 
der  Haften  mit  einem  Tuche  fest  und  lassen  eine  Abkochung  von  der  Rosa 
rugosa  trinken. 

Nach  Tohler  kommen  in  Pa^lästina  starke  Blutungen  nach  der  Entbindung 
recht  häufig  vor  und  zwar  von  einer  solchen  Heftigkeit,  dass  sie  nicht  selten  zum 
Tode  führen.  Rosen  schrieb  an  FlosSy  dass  zur  Verhütung  solcher  Zufalle  die 
Hebammen  der  Wöchnerin  einen  breiten  Oürtel  fest  um  den  Leib  legen  und  sie 
so  zwei  Stunden  nach  der  Entbindung  im  Bette  aufrecht  sitzen  lassen,  „damit 
das  Blut  nicht  mehr  komme*. 

In  Deutschland  hat  die  Volksmedicin  sehr  verschieden- 
artige Maassnahmen  und  Heilmittel  bei  den  Gebärmutter- 
blutungen im  Wochenbett.  So  giebt  man  in  Schwaben 
einer  Gebärenden,  welche  eine  Metrorrhagie  bekommt,  ein 
paar  Löffel  des  eigenen  Blutes  ein,  das  sie  verliert.  In  der 
Rheinpfalz  wird  eine  Axt  oder  ein  Beil  unter  die  Bett- 
stelle gelegt,  „damit  das  Herzblut  nicht  entfliesse'*;  oft  wird 
auch  von  einer  alten  Frau  über  den  blossen  Leib  der  Ge- 
bärenden gestrichen  unter  Nennung  der  drei  höchsten  Namen 
Flg.  saTTiiberne  "^^  ^^^^  Hersagung  des  Spruches: 
Kapsel,     einen    Blut-  ,Wü8t  Blut,  geh  fort,  Herzgeblüt,  an  deinen  Ort." 

dem  Besitro'elnes „Bauern^  1°^  Frankenwalde  und  auch  in  verschiedenen  anderen 

doctors"  in  St.  Zeno  bei  Gegenden    Deutschlands    ist    ein    ziemlich    gewöhnlicher 
(Na^h  Photo^phie.)       Volksgebrauch  das  Binden  der  Arme  und  Beine  am  Ellen- 
bogen und   am  Knie    bei  Gebärenden,  in  der  Absicht,  eine 
Blutung   oder   eigentlich   eine  Verblutung   zu  verhindern.     Man  hört  oft  eine  zu 
geringe  Geburtsblutung  als  Ursache  späteren  Erkrankens  beschuldigen. 

Von  den  Zeiten  des  Alterthums  und  des  Mittelalters  hat  sich  noch  in 
einzelnen  Gegenden  Deutschlands  der  Glaube  an  die  heilwirkende  Kraft  gewisser 
Steine  bis  in  die  Neuzeit  hinübergerettet.  Wir  haben  den  Adlerstein  bereits 
kennen  gelernt,  aber  auch  der  Blutstein  gehört  hierher.  Derselbe  braucht  nur 
von  der  blutenden  Frau  fest  mit  der  Hand  umschlossen  zu  werden,  selbstverständ- 
lich unter  gehöriger  Anrufung  Gottes  und  der  Heiligen,  so  wird  die  Blutung 
sofort  zum  Stehen  gebracht  werden.  Auch  vorbeugend  muss  die  Ereissende  in 
Oberbayern,   wie  Höfler  berichtet,   einen  Blutstein   in  der  Hand  halten,  damit 


370.  Die  Blutaosse  im  Wochenbett.  305 

sie   sich   vor   dem    «XJeberlaufen   des  Herzblutes*   schütze.     Das  Umhängen  des 
Blutsteines  hatte  ebenfalls  mit  den  gleichen  Gebeten  die  gleiche  Wirkung. 

Das  Museum  für  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse  des 
Hausgewerbes  in  Berlin  hat  solchen  Blutstein  von  Herrn  von  Chlingensperg- 
Berg  in  Kirchberg  bei  Beichenhall  zum  Geschenk  erhalten.  Derselbe  hatte 
sich  längere  Zeit  in  dem  Besitze  eines  ^Bauemdoctors*^  in  St.  Zenp  bei  Beichen- 
hall befunden.  Er  ist  platt,  herzförmig,  und  wird  von  einer  silbernen,  ebenfalls 
herzförmigen  Kapsel,  welche  Fig.  324  fast  in  Originalgrosse  darstellt,  derartig  um- 
schlossen, dass  seine  eine  Breitseite  und  der  Rand  vollständig  verdeckt  bleiben, 
während  die  andere  Breitseite,  ä  jour  gefasst,  frei  zu  Tage  liegt  (Fig.  325). 

Der  Stein  ist  platt,  undurchsichtig  und  röthlichgelb 
und  mit  einer  Anzahl  von  ganz  kleinen  unregelmässig  ein- 
gesprengten, blutrothen  Punkten  durchsetzt.  Ein  rundes 
Bohrloch,  das  durch  ihn  geführt  ist,  vermuthlich  zum 
Zwecke  des  Anhängens,  als  er  noch  nicht  gefasst  war,  er- 
scheint gleichmässig  grau.  Die  von  fachmännischer  Seite 
vorgenommene  Untersuchung  hat  ergeben,  dass  der  Stein 
ein  künstliches  Oemenge  ist,  eine  Paste,  wie  sie  in  ähn- 
licher Weise  die  Goldarbeiter  zu  Unterlagen  und  Einlagen 
benutzen. 

Bei  starken  Blutungen  aus  dem  Uterus  lässt  man  auch  Fig.  325.  Biutstein  in 
in  Steyermark  die  Gebärende  den  Blutstein  in  der  Hand  b^^®' ^SS°^,*^uer^ 
halten;  das  ist  aber  ein  Botheisenstein.  Hier  benutzt  man  docton*'  in  st.  Zeno  bei 
aber  auch  noch  andere  Methoden.  Die  Wöchnerin  muss  z.  B.  (N^h  Photomphie.) 
eine  Petersilienwurzel  in  die  Hand  nehmen,  oder  man  &ngt 
das  Uterinblut  auf,  trocknet  es  über  Feuergluth,  pulvert  es  und  giebt  davon  der 
Kreissenden  ein.  Auch  gelten  gestossene  ^Gams-Erikeln"  (Gemsenhörner),  sowie 
die  Abkochung  von  Täschelkraut  (Caps.  burs.  past.)  als  blutstillend. 

In  manchen  Fällen  umwickelt  man  auch  den  linken  kleinen  Finger  und  die 
rechte  grosse  Zehe  mit  eipem  Hanfzwim,  reibt  den  Unterleib  mit  gewärmtem 
Schnaps  ein  und  legt  auf  den  «kleinen  Bauch"  ein  Säckchen  voll  Kellererde; 
dann  verbietet  man  der  Entbundenen,  die  Arme  über  den  Kopf  zu  erheben,  weil 
man  darin  eine  hauptsächliche  Störung  der  Nachwehenthätigkeit  erblickt. 

Auch  Segenssprüche  und  Beschwörungen  sollen  in  Steyermark  den  Blut- 
floss  der  Entbundenen  sistiren.    Eine  solche  Beschwörungsformel  lautet: 
.Ich  N,  N.  stehe  dir  N.  N,  bei. 
Was  Gott  geredet  hat,  bleibt  ewig  wahr, 
Dein  Blut  soll  stehen  ganz  nnd  gar, 
Dein  Blut  wird  stehen  ganz  gewiss, 

So  wie  Jesus  Christus  am  Stamme  des  heiligen  Kreuzes  gestorben  ist, 
So  wird  dein  Blut  auch  stehen  gewiss. 
Es  ist  vollbracht,  es  ist  vollbracht,  es  ist  voUbrachi* 
Hierauf  sind  drei  Vaterunser  und   Ave  Maria  und   der  „ Glaubengott **    zu 
sprechen.    (Fossd,) 

Die  Hebammen  in  Galizien  suchen  solche  Blutungen  durch  die  Kälte  zu 
bekämpfen,  die  sie  in  der  Form  von  Umschlägen  auf  den  Leib  anwenden. 

Die  Letten  sind  nach  Alksnis  rathlos  bei  solchen  Blutungen;  höchstens 
nehmen  sie  zu  Beschwörungen  ihre  Zuflucht;  z.  B.: 

„Die  Söhne  Gottes  machton  eine  Klete, 
Sie  legton  goldene  Sparren; 
Ich  will  die  kupferne  Pforto  verschliessen  — 
Nicht  ein  Tropfen  wird  mehr  fliessen." 
Hiemach  wird  neunmal  Amen  gesagt. 


Ploss-Bartelfl,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  20 


306  LYni.  Die  Physiologie  und  die  Pathologie  des  Wochenbettes. 

371.  Die  BekSmpfang  Ser  Blutflflsse  Im  Wochenbett  bei  den  NatnrTolliem, 

Auch  die  Naturvölker  haben  mancherlei  Mittel,  um  den  Blutfiüssen  nach 
der  Entbindung  vorzubeugen  oder  sie  zu  bekämpfen.  Die  Hebammen  der  Anna- 
miten  benutzen  dazu  eine  besondere  Art  der  Massage. 

Mondiere  berichtet  darüber: 

,£ii  Premier  lieu,  la  patiente  couch^e  sur  le  dos,  la  sage-femme  appuie  asses  l^gäremeni 
im  pied  sur  la  poitrine,  puis  eile  descend  peu  ä  peu,  et  qaand  eile  est  rendue  ä  la  hauteur 
du  nombril,  eile  monte  alors  sur  le  ventre  de  la  femme  avec  les  deux  pieds,  se  suspend  de 
nouveau  k  la  poutrelle  par  les  deux  mains  et  pi^tine  le  ventre  de  Taccouch^e  ä  peu  pr^ 
comme  un  vigneron  foule  sa  vendage.  Ges  preesions  ^nergiques,  dirig^s  de  haut  en  bas, 
pendant  lesquelles  les  deux  pieds  se  maintiennent  rapprochäs  et  s'avancent  lentement  sans 
cesser  de  se  toucher,  fönt  contracter  l'ut^rus  et  le  vident  du  sang  et  des  däbris  qu*il  pourndt 
contenir.  Ce  peut  dtre  une  bonne  chose,  mais  les  manoeuvres  sont  d'une  yiolence  excessive. 
Puis  raocouch^e  s^ötend  sur  le  ventre,  et  le  m§me  massage  est  pratiquä  avec  les  pieds  depuis 
les  faules  jusqu*au  niveau  des .  vert^bres  lombaires,  oü  le  foulage  avec  les  deux  pieds  se 
renouvöle." 

Auf  den  Philippinen  legen  nach  MaUat  die  malayischen  Hebammen 
der  Entbundenen  den  Biguis  auf  den  Leib,  einen  Tampon,  der  durch  starke 
Gompression  in  seiner  Lage  erhalten  wird.  Stellen  sich  aber  trotzdem  Gebär- 
mutterblutungen ein,  so  werden  die  Entbundenep  mit  aller  Kraft  von  den  Heb- 
ammen an  den  Haaren  gezogen. 

Auch  auf  den  kleinen  Inselgruppen  im  alfurischen  Meere  triifft  man  Vor- 
sorge für  etwaige  Gebärmutterblutungen.  Hauptsächlich  soll  hier  die  Wärme 
einwirken,  durch  die  man  das  Blut  zur  Gerinnung  bringen  will.  Zu  diesem  Be- 
hiife  lagern  sich  die  Wöchnerinnen  derartig,  dass  sie  mit  den  Geschlechtstheilen 
direct  gegen  das  Herdfeuer  gekehrt  sind.  Auf  den  Luang-  und  Sermata-Liseln 
liegt  die  Frau  dabei  mit  ihrem  Hintertheile  dem  Feuer  so  nahe,  dass  nicht  selten 
Verbrennungen  vorkommen.  Auch  auf  den  Babar-Inseln  nähert  sich  die  Wöch- 
nerin dem  Feuer  so  sehr,  dass  ihre  Schamhaare  versengen.  Bei  manchen  dieser 
Insulaner  sind  aus  ähnlichen  Gründen  auch  Räucherungen  im  Gebrauch,  auf  die 
wir  in  einem  späteren  Abschnitte  zurückkommen  werden. 

Die  Einwohnerinnen  der  Tanembar-  und  Timorlao-Inseln  suchen  den 
Metrorrhagien  durch  den  Genuss  des  Saftes  von  Aroan-Blättem  vorzubeugen. 
Ebenso  wird  auf  den  Eeei-Inseln  eine  Abkochung  von  Carica  papaya  getrunken. 

Auf  Keisar  und  den  Aaru-Inseln  wird  es  aber  gerade  gewünscht,  das  Blut 
etwas  in  Fluss  zu  bringen,  um,  wie  sie  glauben,  die  unreinen  Stoffe  dadurch  schneller 
zu  entfernen.  Zu  diesem  Zwecke  isst  auf  den  Aaru-Inseln  die  Entbundene  nichts 
als  Reis  mit  Ealapa-Milch  gekocht;  auch  brauchen  viele  täglich  den  ausgepressten 
Saft  von  Carica  papaya.  Die  Keisar-Insulanerin  nimmt  nach  der  Entbindung 
aus  dem  gleichen  Grunde  ein  Bad  in  einem  Walser,,  welchem  fein  geknetete  Blätter 
von .  Vitex  pubescens  beigemischt  sind,  und  danach  trinkt  sie  etwas  Arac  mit  der 
beissenden  Uruh,  der  Frucht  einer  Pfefferart.    (BiedelK) 

Die  einheimischen  Hebammen  auf  den  Viti-Inseln  sind  ebenfalls  mit  den 
Mutterblutangen  im  Wochenbette  wohlbekannt.  Sie  haben  Elyth  darüber  Fol* 
gendes  mitgetheilt: 

.Wenn  nach  der  Geburt  eine  Mutterblutung  eintritt,  was  bisweilen  vorkommt,  so 
werden  die  G^nnsel  aus  der  Vagina  und  vom  Muttermunde  entfernt  und  die  Wöchnerin 
unmittelbar  zu  einem  Flusse  geführt,  wo  sie  baden  und  ihre  äusseren  Theile  waschen  muss. 
Ist  die  Frau  zu  schwach,  um  zu  einem  Bache  gefOhrt  zu  werden,  so  wird  das  Verfahren  im 
Hause  ausgeführt.  Die  Application  von  kaltem  Wasser  wird  in  manchen  Fällen  in  Zwischen- 
räumen von  vier  Tagen  nach  der  Geburt  ausgeführt  und  stets  hat  sie  die  Blutstillung  zur 
Folge.  Der  Hebamme  war  kein  Fall  bekannt,  wo  eine  solche  Blutung  zum  Tode  geführt 
hätte,  und  je  mehr  Blut  verloren  geht,  für  desto  besser  wird  es  gehalten.* 


372.  Der  Gebarmuttervorfall.  307 

PaUas  sagt: 

„Man  erzählt  von  armen  Ostjaken,  dass  sie  ihren  Weibern,  wenn  de  auf  der  Reise 
an  einem  Ort  niederkommen,  wo  sie  wegen  Mangels  an  Lebensmitteln  nicht  verweilen  können, 
eine  gute  Portion  gekochten  Fischleim  eingeben,  wovon  sich  der  Blntgang  geschwind  stopfen 
soll.    Ich  stehe  aber  nicht  fOr  die  Wahrheit  dieser  Ersfihlung." 

Nach  Hamilton  hört  der  Blutfluss  bei  den  Omaha-Indianerinnen  in  Folge 
des  Oebrauches  von  Bädern  in  wenig  Tagen  auf  und  dauert  selten  länger  als 
10  Tage.  La  Fleche  giebt  an,  dass  die  Wöchnerin  vor  dem  Aufhören  des  Blut- 
flusses nicht  sprechen  darf. 

Bei  den  Santees  sucht  nach  Engelmann  die  Entbundene  dadurch  einer 
Blutung  vorzubeugen,  dass  sie  sich  selber  ein  Douchebad  macht.  Zu  diesem 
Zwecke  ftUlt  sie  ihren  Mund  mit  Wasser  und  bläst  es  mit  aller  Krafb  gegen 
ihren  Bauch,  bis  die  Blutung  zum  Stehen  kommt. 

Bei  den  Negersciavinnen  in  Surinam  sind  nach  ^iKe  Blutungen  nach  der 
Oeburt  sehr  selten,  und  wenn  sie  doch  einmal  vorkommen,  so  sind  sie  dann  ge- 
wöhnlich noch  ganz  unbedeutend. 


372.  Der  OebSrmutteiTorfall. 

Die  rohen  Manipulationen,  welche  bei  vielen  Völkern  mit  der  Kreissenden 
vorgenommen  werden,  gehen  nicht  immer  schadlos  vorüber;  in  nicht  gar  zu  seltenen 
Fällen  ist  die  Entbindung  von  einem  Prolapsus  oder  selbst  von  einer  ümstülpung 
der  Gebärmutter  gefolgt  So  hat  Mac  Gregor  auf  den  canarischen  Inseln 
Oebärmuttervorfalle  häufig  beobachtet  und  zwar  vornehmlich  unter  den  Frauen 
der  höheren  Stände. 

Auch  in  der  Türkei  sind,  wie  Oppenheim  berichtet,  Vorfalle  der  Gebär- 
mutter und  der  Scheide  in  Folge  schwerer  und  überstürzter  Entbindungen  keine 
seltenen  Vorkommnisse. 

Die  Wolo  ff- Neger  innen  sollen  ebenfalls  häufig  am  Prolapsus  uteri  leiden, 
während  sich  derselbe  bei  den  daselbst  lebenden  Europäerinnen  nur  selten  findet. 

Bei  der  Landbevölkerung  in  Russland  werden  nach  Krebel  von  den  Heb- 
ammen Vorfall  oder  ümstülpung  der  Gebärmutter  während  der  Entbindung  häufig 
verursacht.  Hieran  ist  ihr  gewaltsames  Vorgehen  schuld,  der  Ereissenden  im 
Hängen  das  Bind  gleichsam  auszuschütteln  oder  durch  heftigen  Zug  an  der  Nabel- 
schnur die  Nachgeburt  herauszuzerren.  Ist  auf  solche  Weise  der  Uterus  hervor- 
gezogen, so  bringt  man  die  arme  Frau  in  die  Badestube,  legt  sie  auf  ein  Brett 
und  stellt  dieses  so  auf  die  Stufen  der  Dampf bank,  dass  sich  die  Füsse  höher 
als  der  Kopf  befinden.  Dann  senkt  und  hebt  man  das  Brett  mit  der  Unglück- 
lichen schnell  mehrere  Male,  damit  ihr  Körper  in  derselben  Richtung  geschüttelt 
werde.  Auf  diese  Weise  glaubt  man  die  Gebärmutter  wieder  in  den  Leib  hinein- 
schütteln zu  können,  ungefähr  wie  ein  Kissen  in  seinen  Ueberzug. 

Nicht  selten  scheint  zu  der  Zeit,  wo  die  pseudohippokratischen  Schriften 
verfasst  wurden,  im  alten  Griechenland  durch  das  sinnlose  Verfeihren  der  Ge- 
burtshelfer ein  Vorfall  der  Gebärmutter  herbeigeführt  worden  zu  sein.  Denn  in 
einer  dieser  Schriften,  .De  exaectione  foetus',  wird  auch  über  den  während  der  Ent- 
bindung .  zu  Stande  gekommenen  Prolapsus  uteri  gesprochen.  Auch  die  Zerstücke- 
lung des  Kindes  im  Mutterleibe  scheint  eine  Gelegenheitsursache  für  den  Gebär- 
muttervorfall abgegeben  zu  haben;  Soranus  nämlich  behandelt  in  seinen  Werken 
den  ,  Vorfall  der  Gebämmtter  nach  der  Embryotomie''  sehr  ausführlich.  Es  war 
schon  vor  ihm  manches  Geburtshelfers  Auge  auf  diesen  Gegenstand  gerichtet, 
denn  wir  erfahren  von  ihm  die  Ansichten  und  Methoden  des  Herophütis,  Eury^ 
phon^  Euenor^  Diodes  und  Straton^  die  er  zum  grössten  Theil  verwirft.  Er  selbst 
liess,  wenn  eine  Blutung  bei  Prolapsus  uteri  vorhanden  war,  kalte  Umschläge 
machen  und  versuchte  dann  die  Reposition.     (Pinoff.) 

20* 


308  LYIII.  Die  Physiologie  und  die  Pathologie  des  Wochenbettes. 

Bei  den  Japanern  erklärt  Kangawa^  dass  der  Prolapsus  uteri  während  der 
Entbindung  stets  die  Folge  eines  unvorsiclitigen  Vorgehens  sei.  Es  rührt  dies,  wie 
er  sagt,  davon  her,  dass  man  zu  früh,  bevor  der  Fötus  in  seine  richtige  Stellung 
gekommen  ist,  die  Kreissende  hat  pressen  und  drängen  lassen,  so  dass  das  Yer- 
einigungsbein  (S3rmph7sis)  sich  nicht  öffiiet,  wie  es  doch  geschehen  müsste,  wenn 
der  Uterus  sich  umgedreht  hat;  das  Kind  ist  dann  noch  mit  dem  Uterus  bedeckt, 
und  wenn  es  heruntertritt,  so  drängt  es  den  Oebärmuttermund  mit  herab.  Aber 
auch  wenn  das  Eind  schon  geboren  ist,  könne  noch  ein  Oebärmuttervorfall  ent- 
stehen, wenn  bei  dem  Herausbefordem  der  Nachgeburt  die  Frau  zu  unnützem 
Drängen  veranlasst  wird. 

Die  Reposition  des  Uterus  nahm  Kangawa  in  folgender  Weise  vor: 

.Man  l&sst  die  Frau  die  Rückenlage  einnehmen;  dann  setzt  sich  der  Arzt  (japanisch 
niederhockend)  anf  die  rechte  Seite  der  Frau,  indem  er  seinen  linken  Fuss  auf  die  Boden- 
fläche aufsetzt  und  den  Schenkel  gegen  die  rechte  Hüfte  der  Frau  stützt;  dann  muss  die  Frau 
mit  beiden  Armen  den  Nacken  des  Arztes  umfassen,  wodurch  sie  etwas  vom  Boden  erhoben 
wird ;  jetzt  schiebt  der  Arzt  seine  rechte  Hand  zwischen  beide  Oberschenkel  der  Frau,  welche 
diese  schon  aus  einander  gehalten  hat,  und  während  er  die  Frau  mit  der  linken  Hand  von 
hinten  stützt,  fasst  er  mit  der  rechten  den  vorgefallenen  Theil,  legt  ihn  auf  den  Handteller, 
schliesslich  hebt  er  sich  etwas,  wodurch  die  Frau  ebenfalls  gehoben  wird;  hierdurch  beugt 
die  Frau  den  Kopf  hintenüber,  die  Lenden  werden  gestreckt,  der  Leib  gespannt;  diesen 
Augenblick  benutzt  der  Arzt,  um  die  Gebärmutter  zurückzuschieben.*  Li  ähnlicher  Weise 
verfährt  Kangawa  bei  dem  Vorfall  des  Darms.  ,Im  Falle  jedoch,  dass  die  Frau  schon  vorher 
an  einem  Prolapsus  ani  gelitten  hat  und  dieser  nach  der  Geburt  mit  grossem  Schmerz  vor- 
gefallen ist,  lasse  man  die  Frau  sich  gegen  die  Wand  oder  gegen  den  Balken  so  stellen, 
dass  Nasenspitze,  Brustbein  und  Zehen  gleichmässig  sie  berühren.  Kann  sie  nicht  allein  stehen, 
so  lasse  man  sie  durch  Jemanden  unterstützen.  Der  Arzt  tritt  nun  hinter  sie,  knetet  mit 
beiden  Händen  die  Hinterbacken,  bedeckt  dann  mit  der  Hand  den  Prolapsus  und  schiebt  das 
Rectum  allmählich  ein,  was  schnell  und  gut  gelingt.* 

Ausser  diesem  Gebärmuttervorfall  können  durch  die  rohen  Manipulationen, 
welche  man  mit  den  Ereissenden  vornimmt,  ihnen  auch  noch  anderweitige  Schä- 
digungen zugefügt  werden.  Oppenheim  berichtet  aus  der  Türkei,  dass  dort 
vielfach  Zerreissungen  der  Mutterscheide  und  des  Mittelfleisches  beobachtet  werden. 
Von  Monterey  in  Californien  hören  wir  durch  King,  dass  die  armen  Weiber 
nach  der  Entbindung  ofb  vollkommen  erschöpft  daliegen  und  dass  der  lange  dau- 
ernden, rohen  Behwdlung  der  weichen  Theile  gewöhnlich  Entzündungen  und 
Eiterungen  folgen.  Auch  aus  anderen  Theilen  der  Erde  würden  sich  wohl  ähn- 
liche Beobachtungen  herbeibringen  lassen. 


373.  Die  Nachwelten. 

Die  oben  bereits  erwähnten  Zusammenziehungen,  welche  nach  der  Aus- 
stossung  des  Kindes  und  der  Nachgeburt  die  Gebärmuttermuskulatur  ausfuhren 
muss,  um  den  Uterus  möglichst  schnell  zu  contrahiren  und  zu  verkleinem,  werden 
von  der  Wöchnerin  als  wehenartige  Schmerzen  empfunden  und  werden  mit  dem 
Namen  der  Nachwehen,  oder  wenn  sie  ganz  besonders  schmerzhaft  sind,  als 
Krampfwehen  bezeichnet.  In  manchen  Gegenden  Deutschlands  nennt  man 
sie  auch  „wilde  Wehen **  oder  „wilde  Wasser*'.  Man  besitzt  dagegen  allerlei 
krampfstillende  Volksmittel.  Auch  gegen  die  bisweilen  während  oder  gleich  nach 
der  Entbindung  eintretenden  Krämpfe  wird  in  ähnlicher  Weise  vorgegangen.  Im 
nordwestlichen  Deutschland,  wo  das  Volk  plattdeutsch  spricht,  wenden 
die  Landhebammen  dagegen  die  sogenannten  „Terminmittel'  an. 

Mit  dem  Worte  „Termin*  oder  „Tramin"  werden  alle  „Krämpfe'  bezeichnet;  es 
kommt,  wie  Oöldschmidt  meint,  wahrscheinlich  von  dem  Worte  Tormina  (nrsprQnglich  Bauch- 
grimmen) her,  daa  schon  Cdaus  gebrauchte  und  das  dann  aus  der  wissenschaftlichen  Medicin 
in    den  Mund  des  Volkes   überging.    Zu   den  Terminmitteln  gehören   vor  Allem  „Winruh* 


374.  Das  Kindbettfieber.  309 

(Raute),  als  friscb  aasgepressier  Saft,  oder  als  Thee,  Rohlei  oder  Rohlegg  (Schafgarbe,  Achillea 
millef.),  Ram  oder  Franzbranntwein  mit  Zucker,  oder  mit  Schiesspulver,  Mehl  von  Ziegel- 
steinen; oder  man  holt  ein  sogenanntes  Traminpulver  von  einem  Quacksalber,  das  gewöhnlich 
aus  Ziegelmehl  und  aus  Knochen  von  ungeborenen  Hasen,  Maulwürfen  und  blindgeborenen 
jungen  Thieren,  z.  B.  M&usen,  besteht;  oder  man  schickt  nach  einem  Mittel  in  die  Apotheke, 
wie  Korallenpulver,  Hirschhorn  u.  s.  w.;  und  in  manchen  Apotheken,  die  solche  Traminpulver 
führen,  bestehen  dieselben  aus  den  wunderbarsten  Mischungen;  viele  enthalten  Gold,  auch 
Mistel  (Yiscum  album),  die  den  alten  Kelten  und  Germanen  heilig  war,  und  Paeonia. 
Auch  werden  alle  Mittel,  die  ,for  de  Winne'  sind,  d.  h.  Carminative,  als  Traminmittel  ge- 
geben, z.  6.  KflmmelOl,  Anissamen,  Wermuth,  Fenchelsamen. 

Schmerzhafbe  Nachwehen  bekämpft  man  in  Steyermark  durch  Ein- 
reibungen des  Unterleibes  mit  Olegorbranntwein,  Melissengeist  oder  Hoffmanns- 
tropfen,  worauf  der  Leib  mit  Tüchern  fesigebunden  wird.  Auch  giebt  man  der 
Neuentbundenen  ein  Gläschen  Schwarzbeerschnaps  mit  warmem  Wasser  gemengt 
zu  trinken. 

Um  die  Nachwehen  zu  verhüten,  werden  in  Franken  der  Gebärenden 
3  mal  je  drei  Tropfen  ihres  eigenen  bei  der  Geburt  abfliessenden  Blutes  in  einem 
LöiBFel  voll  Wasser  gegeben.  Auch  in  Schwaben  muss  die  Wöchnerin,  welche 
Metrorrhagie  bekommt,  hiergegen  ein  paar  Löffel  des  Blutes  einnehmen,  das  sie 
verliert.  (Bück.)  Femer  legt  man  zu  diesem  Zwecke  ihr  die  noch  warme  Placenta 
oder  in  Schmalz  gebackene  Eier  auf  den  Unterleib.  Dies  ist  der  Mauriceau'Bche 
Eierkuchen,  welchen  auch  noch  Schmitt  emp&hl.  Oder  man  legt  der  Frau  die 
Hosen  ihres  Ehegatten  auf  den  Unterleib.    (Majer.) 

In  der  Pfalz  werden,  wie  Patdi  berichtet,  gegen  heftige  Nachwehen  ge- 
wärmte Deckel  aufgelegt,  auch  wendet  man  Chamillen  innerlich  und  in  Klystieren 
an,  reibt  Mohnöl  oder  Bilsenkrautöl  ein  und  giebt  zuweilen  Mohnsamenöl  zu  trinken. 
Auf  dem  Lande  binden  die  Hebammen  deshalb  ausserdem  auch  noch  den  Leib 
der  Neuentbundenen. 

In  Georgien  bekämpft  man  die  Nachwehen  dadurch,  dass  die  umgebenden 
Weiber  die  Wöchnerin  zu  schrecken  suchen. 

In  Russland  wird  nach  Demic  im  Gouv.  Woronjez  Safran,  im  Gouv. 
Tomsk  Yeronica  beccalunga  gegen  die  Nachwehen  angewendet.  Mohrrüben  sind 
im  Kiewer  Gouvernement  gebräuchlich  und  man  nimmt  auch  das  Pulver  von 
Alchemilla  vulgaris  in  Wasser,  „damit  die  Gebärmutter  nicht  schwach  werde*. 

Bei  den  Ehsten  glaubt  man,  dass  es  auf  die  Nachwehen  beruhigend  wirkt, 
wenn  man  der  Wöchnerin  einige  Tropfen  von  dem  Blute  innerlich  giebt,  welches 
bei  der  Unterbindung  der  Nabelschnur  abgetropft  war. 

Bei  dem  Eintritt  der  Nachwehen  wird  bei  einigen  Zigeunerstämmen 
Siebenbürgens  die  Kindbetterin  mit  verfaultem  Weidenholz  geräuchert,  zu 
welchem  Behufe  dasselbe  angezündet  und  der  Qualm  oder  Rauch  unter  die  Decke 
der  Leidenden  hingeleitet  wird.  Gleichzeitig  pflegen  die  dabei  beschäftigten  Frauen 
den  Spruch  herzusagen: 

Rasch  tmd  rasch  fliegt  der  Rauch 

Und  der  Mond  der  fliegt  auch! 

Haben  sich  gefunden, 

Du  sollst  drum  gesunden; 

Wenn  der  Rauch  vorhei, 

Sei  von  Schmerzen  frei, 

Sei  von  Schmerzen  frei!    (v.  Wlislockt^.J 


374.  Das  Kindbettfieber. 

Die  erheblichste  aller  Gefahren,  welchen  die  arme  Wöchnerin  ausgesetzt  ist, 
bleibt  unbestritten  das  Kindbettfieber.  Es  ist  eine  Blutvergiftung,  welche 
durch  das  Eindringen  von  niederen  Organismen,  von  sogenannten  Fäulnisserregern 


310 


LYIII.  Die  Physiologie  und  die  Pathologie  des  Wochenbettes. 


in  die  Blutbahn  der  Frischentbundenen  hervorgerufen  wird.  Mit  Hülfe  einer  auf 
das  Sorgfaltigste  durchgeführten  Antiseptik  hat  man  es  bei  den  civilisirten  Nationen 
gelernt,  diese  in  früheren  Zeiten  so  enorme  Oeissel  des  Menschengeschlechts,  welche 
mehr  Opfer  forderte  als  die  Cholera,  auf  einen  fast  verschwindenden  Procentsatz 
herunterzudrücken.  Bei  den  uncivilisirten  Nationen  scheint  gegen  alle  septischen 
Erkrankungen,  zu  denen  ausser  den  accidentellen  Wundkrankheiten  auch  das  Kind- 
bettfieber gehört,  ein  hoher  Orad  von  Immunitat  zu  bestehen.  Dass  diese  Im- 
munität keine  ganz  vollkommene  ist,  das  werden  wir  in  einem  späteren  Abschnitte 
n  kennen  lernen.    Wir  werden  daselbst  sehen,  dass  sich  bei  manchen 

der  sogenannten  Naturvölker  ganz  bestimmte  feststehende  Maass- 
nahmen  ausgebildet  haben,  wie  mit  solchen  unglücklichen  Frauen 
verfahren  werden  muss,  welche  im  Wochenbett  gestorben  sind. 
Eine  Erkenntniss  der  Infectionsgefahr  für  die  Wöchnerinnen  haben 
wir  vielleicht  auch  schon  darin  zu  erblicken,  wenn  wir  durch 
Pardo  de  Tavera  erfahren,  dass  auf  Luzon  die  Hebammen  so- 
fort nach  der  Geburt  des  Kindes  ihren  Fuss  auf  die  äusseren  Oe- 
schlechtstheile  der  Entbundenen  setzen,  um  das  Eindringen  von 
Luft  in  die  inneren  Genitalien  zu  verhüten. 

Als  Ursache  der  gegen  das  Feuer  gekehrten  Lage  der 
Serang-Insulanerin  nach  der  Entbindung  geben  die  Eingeborenen 
an,  dass  man  auf  diese  Weise  dem  Kindbettfieber  vorbeugen 
könne.     (Riedel^.) 

XJeber  die  Frauen  auf  den  Fiji-Inseln  erfahren  wir  das 
Folgende  durch  Blyth: 

«Accidentelle    Wochenbetterkrankungen    kommen    bei    den    Fiji- 
Frauen   nicht  vor;   der   einzige  unerwartete  Znstand   von   einiger   Be- 
deutung,  dem  sie  unterworfen  sind,   ist  ein  Aufhören  des  Wochenflusses 
1 1         ■  ungefähr  ein  oder  zwei  Tage  nach  der  Entbindung.    Das  giebt  die  Ver- 

^^^  anlassung   zu  einem  Anfall  von  Frösteln,   welchem  Fieber,   Kopfschmerz, 

^F  Durst  und  ähnliche  Symptome  wie  bei   europäischen  Frauen  nach  der 

UIj  ^        gleichen  Ursache   folgen,   während   eine  Empfindung   dadurch  verursacht 
jH^r  wird,  als  ob,  um  den  Ausdruck  der  einheimischen  Hebammen  zu  benutzen, 

^^H  eine  Orange  im  Magen  herumrollte.    Diese  Empfindung  wird  wahrshein- 

^^^1  lieh   durch   die  in  der  Gebärmutter  zurückgehaltenen  Lochien  verursacht. 

^^^1  Die  sofort  eingeleitete   Behandlung   besteht   darin,  dass   die   Hebamme 

^P^^  erstens  ein  oder  zwei  Feuer  anzündet,   welche  das  Lager  der  Wöchnerin 

einschliessen,  und  dass  sie  femer  der  Kranken  heisse  Bananenblätter  auf- 
legt, bis  der  Wochenfluss  sich  wieder  einstellt/ 

Zum  Schutze  im  Wochenbett  wird  bei  den  Giljaken  am 
unteren  Amur  ein  besonderer  Talisman  aufgehängt,  welcher  in 
Fig.  326  nach  einer  photographischen  Aufnahme  dargestellt  ist. 
Wenn  sich  unter  den  Ainos  in  Japan  bei  der  Wöchnerin 
ein  sehr  starkes  Fieber  einstellt,  so  giebt  man  ihr  2 — 3  Mal  täglich  eine  Ab- 
kochung von  der  Eine- Wurzel  ein.     (v.  Siebold.) 

Ich  kann  es  mir  nicht  versagen,  hier  auch  noch  den  Bericht  von  Schneegans 
über  eine  eigenthümliche  Auffassung  des  Kindbettfiebers  bei  den  Sicilianern 
folgen  zu  lassen: 

,ln  concreterer  Weise  sehen  wir  übrigens  die  alten  mythologischen  üeberlieferungen 
heute  noch  unter  dem  Volke  spuken«  In  der  nächsten  Nähe  von  Messina  erhebt  sich  eine 
von  einer  Kuppel  gekrönte  Kirche;  man  nennt  sie  la  Grotta;  hier  soll  in  heidnischer  Zeit 
ein  Tempel  der  Diana,  oder  auch  ein  Heiligthum  der  Nymphen  oder  Sirenen  gestanden 
haben.  Von  Odysseus  wissen  die  Schiffer  dieser  Küstengegend  natürlich  nichts;  was  und  wer 
die  Sirenen  waren,  das  haben  sie  längst  vergessen;  und  doch,  wenn  sie  zum  Fischfang  aus- 
gefahren sind  und  wenn  die  wettergebräunten  Seeleute  zurückkehren,  hört  man  sie  bisweilen 
nachdenklich  zu  ihren  Weibern  sagen:  „Die  Sirene  hat  wieder  gesungen!*  Und  hat  die 
Sirene  gesungen,   so  bedeutet  dies  was  ganz  besonderes;   dann   kommt  nämlich  eine  Seuche, 


Fig.  326.  Talisman 
der  Oiljaken  am 
unteren  Amur  zum 
Schutze  des  Kind- 
bettes. 
(Nach  Photographie.) 


374.  Das  Eindbettfieber.  311 

die  namenÜich  den  sich  in  guter  Hoffnung  befindlichen  Frauen  gefährlich  ist;  Wöchne- 
rinnen und  Neugeborene  sterben  in  diesem  Jahre.  Nicht  nur  unter  dem  Schiffer- 
volke ist  der  Glaube  an  den  Sirenengesojig  verbreitet,  er  dringt  bis  in  die  Stadt,  und  heisst 
es  eines  Morgens,  die  Sirene  habe  gesungen,  so  kann  man  sicher  darauf  zählen,  dass  eine 
Anzahl  Frauen,  die  sjch  eben  unter  die  Bedrohten  rechnen,  aus  Messina  in  ein  höher  ge- 
legenes Städtchen  auswandert,  wo,  wie  sie  glauben,  der  Fluch  des  Sirenengea&ngea  sie  nicht 
erreichen  kann.  Was  die  Schiffer  eigentlich  unter  dem  Singen  der  Sirene  verstehen,  habe 
ich  nicht  zu  ermitteln  vermocht;  die  Antwort  lautet  einfach:  wir  haben  es  gehört.  Die  Sirene 
singt  auch:  nicht  gerade  bei  stürmischem  Wetter,  so  dass  man  annehmen  könnte,  es  sei  ein 
besonderes  Pfeifen  des  Windes  oder  Rauschen  der  tobenden  Wellen  —  nein,  dieses  sonderbare 
Singen  ertönt  meistens  bei  ganz  ruhigem  Wetter,  und  keine  Macht  des  Himmels  oder  der 
Erde  würde  im  Stande  sein,  den  Schiffern  auszureden,  dass  sie  es  gehört  haben.  Dass  dieser 
Aberglaube  ein  Ueberbleibsel  der  alten  griechischen  Zeiten  ist,  wird  wohl  niemand  be- 
streiten; woher  anders  käme  dem  ungebildeten  Fischervolk  der  Gedanke  an  einen  ^Sirenengesang 
als  aus  den  Ueberlieferungen  der  griechischen  Mythologie?  Sonderbar  bleibt  es  Jedenfalls, 
dass  gerade  diese  ganz  untergeordneten  Halb-  oder  Viertelsgötter  sich  durch  die  Jahrhunderte 
im  Munde  des  Volkes  erhielten,  während  Zeus  und  Poseidon  und  sogar  Aphrodite  längst 
daraus  verschwunden  sind.* 

Schneegans  nimmt  hier  wohl,  wie  mir  scheint,  einen  zu  ausgesprochenen  klassisch- 
griechischen  Standpunkt  ein.  Nach  meiner  Meinung  handelt  es  sich  hier  um 
ein  höchst  interessantes  üeberlebsel,  welches  um  Vieles  älter  ist,  als  das  Griechen- 
thum  in  Sicilien.  Ganz  sicherlich  gehören  auch  die  Sirenen^  wie  so  viele 
andere  halbthierähnliche,  halbmenschenahnliche  Gottheiten,  einer  Jahrhunderte  hin- 
durch vor  der  griechischen  auf  den  Inseln  des  Mittelmeeres  herrschenden 
Cultur  an,  von  der  uns  ihre  auf  Gemmen  dargestellten  Bildnisse,  die  sogenannten 
Inselsteine,  Zeugniss  ablegen.  Es  scheinen  dieses  alles  verderbenbringende 
Gottheiten  gewesen  zu  sein,  die  der  griechische  Olympier  mit  seiner  Schaar  in 
unbedeutende  Nebenrollen  zurückgedrängt  hat.  Von  ihrem  Wesen  wissen  wir 
leider  sehr  wenig.  Wahrscheinlich  steht  es  mit  der  einst  herrschenden  Anschauung 
von  der  dämonischen  Wirkung  der  Sirenen  im  Zusammenhange,  dass  die  alten 
griechischen  Mythologen,  welche  sie  zweifellos  aus  einer  früheren  Religion  über- 
nommen hatten,  sie  als  die  Gespielinnen  der  Persephone^  also  der  Todesgöttin, 
aufgefasst  haben. 


LIX.  Die  Therapie  des  Wochenbettes. 

375.  Das  Zurechtlegen  der  Genitalien  im  Wochenbett. 

Die  ausserordentliche  Grössenzunahme,  welche  die  Gebärmutter  während  der 
Schwangerschaft  erleidet,  und  die  plötzliche  Formyeränderung,  welche  darauf 
durch  cUe  Entbindung  hervorgerufen  wird,  konnte  sehr  leicht  zu  dem  Gedanken 
föhren,  dass  nun  etwas  Besonderes  geschehen  müsse,  um  die  verschobenen  und 
gezerrten  Geburtstheile  in  ihre  richt^e  Lage  und  Form  zurückzubringen. 

SusrtUa  lehrt,  dass  der  Uterus  während  der  Geburtsarbeit  herabgetreten 
sei;  um  ihn  an  seinen  alten  Platz  zu  schieben,  soll  man  den  Finger  mit  Haaren 
umwickeln  und  das  Collum  Uteri  abwischen,  oder  mit  der  geölten  Hand,  deren 
Nägel  gut  beschnitten  sind,  die  Gebärmutter  reponiren.  Zu  dem  gleichen  Zwecke 
wurden  auch  die  Hände  und  Füsse  der  Wöchnerin  mit  der  gepulverten  Wurzel 
von  Gocus  nucifera  bestrichen  und  ihr  Kopf  mit  dem  Milchsaft  einer  Euphorbia 
besprengt. 

Auch  in  Palästina  herrscht  die  Anschauung,  dass  man  nach  einer  Nieder- 
kunft die  Geschlechtstheile  wieder  in  Ordnung  bringen  müsse.  Zu  diesem  Zwecke 
begleitet  die  Hebamme,  wie  Tobler  berichtet,  die  Wöchnerin  auf  ihrem  ersten 
Gange  in  das  öffentliche  Bad;  dann  wird  die  Frau  auf  den  Boden  gelegt  und  die 
Hebamme  fährt  ihr  darauf  einen  festen  Körper,  dessen  Zusunmensetzung  ihr  6e- 
heimniss  ist,  in  die  Scheide  ein,  und,  um  denselben  recht  hoch  hinau&utreiben, 
stemmt  sie  ihren  Fuss  gegen  die  Genitalien  der  Wöchnerin  und  zieht  deren  Füsse 
gewaltsam  an  sich. 

Auf  Ambon  und  den  Üliase-Inseln  wird  sofort  nach  der  Entbindung  der 
Uterus,  wie  sie  sagen,  ,an  seinen  Platz  gestellt^.  Man  glaubt  damit  einen  Vor- 
fall der  Gebärmutter  zu  verhüten. 

Auch  auf  den  Luang-  und  Sermata-Inseln  wird  der  Uterus  «gehörig  zu- 
rechtgelegt* und  dann  die  Wöchnerin  zehn  Tage  lang  mit  feingekauter  Kaiapa 
eingerieben.  Eine  ähnliche  Massage  ist  aus  dem  gleichen  Grunde  auf  den  Aaru- 
Inseln  und  auf  den  Inseln  Leti,  Moa  und  Lakor  gebräuchlich.     (RiedelK) 

Unter  den  Galela  und  Tobeloresen,  welche  auf  Djailolo  und  den 
benachbarten  Inseln  Niederländisch-Indiens  wohnen,  muss  die  Wöchnerin 
zehn  Tage  hinter  einander  mit  warmen  Steinen,  welche  mit  Kalapanuss  in  ein 
Tuch  gewickelt  sind,  gedrückt  werden,  um  das  sogenannte  weisse  Blut  auszu- 
pressen.   (Biedel.) 

AUcsnis  berichtet  Folgendes  von  den  Letten: 

.Nicht  selten,  wenn  irgendwelche  Abnormit&ten  im  Wochenbettverlauf  sich  einstellen, 
erklären  die  alten  Hebammen,  .dass  die  Gebärmutter  aufgeblasen  sei",  .dass  sie  nicht  an 
ihrem  Orte  liege",  .dass  sie  sich  emporgerichtet  habe*,  «dass  sie  auf  das  Herz  sich  begeben 
habe*  u.  s.  w.,   und  erbieten  sich,  diesem  Zustande  dadurch  abzuhelfen,   dass  sie   .die  durch 


376.  Die  B&ucherungen  im  Wochenbett.  313 

die  Geburt  verlagerten  inneren  Organe'  wiederum  manuell  «zurecbtatellen  und  an  einander 
f&gen*  wollen.  Dazu  dienen  verschiedene  Manipulationen,  welche  dem  «Streichen'  nahe- 
kommen und  gewisse  Handgriffe  der  Massage  des  Abdomens  repräsentiren;  sie  werden  nicht 
selten  in  der  Badestube  ausgeführt.  Dr.  Blau  schreibt,  dass  hierbei  auch  die  verwundeten 
Geschlechtstheüe  berührt  würden,  dass  somit  auch  innere  Eingriffe  in  den  Oeschlechtskanal 
stattfinden,  welche  leider  allzuoft  Wochenbettfieber  im  Gefolge  hatten.* 

Auch  gegen  die  Erschlaffung  der  Scheide  sind  eine  Anzahl  Ton  Maass- 
nahmen  gerichtet.  SusrtUa  lies  Einspritzungen  machen  von  einem  höchst  com- 
plicirten  Medicament.  Dasselbe  wurde  hergestellt,  indem  man  einen  Liqueur  mit 
Pfeffer,  weissem  Senf,  Gostus,  Cocus  nucifera,  Euphorbien-Milchsaft  und  Hefe 
mischte;  das  musste  dann  eine  Zeit  lang  stehen  und  Tor  dem  Gebrauche  wurde 
noch  Oel  mit  weissem  Senf  hinzugesetzt. 

Auf  Ambon  und  den  IT  Hase- Inseln  gebraucht  man,  um  die  Mutterscheide 
zu  reinigen,  oder,  wie  sie  sich  äussern,  dieselbe  zusammenzuziehen,  die  Abkochung 
von  einigen  bestimmten  'Blättern  (Ghavica  betle,  Sygyzium  Jambolanum  und 
Psidium  guajava).  Die  Tanembar-  und  Timorlao-Insulanerinnen  werden  nach 
der  Entbindung  an  den  Genitalien  mit  einem  lauen  Auszug  tou  Yitex  pubescens 
gewaschen.  AufEetar  benutzt  man  f&r  diese  Waschung  den  Saft  der  gekochten 
Blätter  von  der  Chavica  betle.     (Riedel^,) 

Um  die  Vagina  nach  der  Entbindung  zu  contrahiren,  schmieren  die  Somali 
in  Ost-Afrika  halbgelöschten  Kalk,  die  Waswaheli-Frauen  zuweilen  Citronen- 
saft  in  die  Vagina.  {Hildebrandfi,)  Bei  den  Loango-Negern  reinigt  und  reibt 
die  Wöchnerin  die  Genitalien,  bis  jede  Absonderung  aufhört,  mit  Blattbüscheln 
von  Ricinus  communis  unter  Anwendung  Ton  Wasser.     {Pechud-Loescke.) 

Eine  Reihe  von  anderen  Maassnahmen,  welche  ähnliche  Zwecke  verfolgen, 
namentlich  die  Räucherungen  und  die  Umschnürungen  des  Unterleibes,  werden 
wir  in  späteren  Abschnitten  noch  kennen  lernen. 


376.  Die  BUncherungen  im  Wochenbett. 

Wir  begegnen  bei  einer  Anzahl  von  Völkern  der  eigenthümlichen  Sitte,  die 
Frischentbundenen  einer  regulären  Räucherung  auszusetzen.  Der  diesem  Gebrauche 
zu  Grunde  liegende  Gedanke  wird  uns  durch  die  Einwohner  von  Ambon  und 
den  Uliase -Inseln  verständlich,  welche  es  geradezu  aussprechen,  dass  sie  hier- 
durch die  Blutung  aus  der  Gebärmutter  zu  stillen  und  auf  die  während  des  Ge- 
burtsactes  gedrückten  und  gequetschten  Theile  der  äusseren  Scham  lindernd  ein- 
zuwirken beabsichtigen.  Die  Wöchnerin  verharrt  hierbei  in  derselben  Stellung, 
welche  sie  für  die  Niederkunft  eingenommen  hatte,  knieend  mit  gespreizten  Beinen, 
und  dann  wird  unter  ihre  Genitalien  ein  mit  Essig  gefüllter  irdener  Topf  gestellt, 
in  welchen  man  drei  heisse  Steine  legt,  die  nun  einen  erheblichen  Dampf  ent- 
wickeln. Auf  den  Tanembar-  und  Timoriao -Inseln  stellt  sich  die  Wöchnerin 
breitbeinig  über  einen  Feuemapf,  für  den  der  Ehemann  das  Brennholz  bringen 
muss,  um  so  den  Rauch  gegen  ihre  Genitalien  gehen  zu  lassen.  Auf  den  Inseln 
Romang,  Dama,  Teun,  Nila  und  Serua  bettet  man  die  Entbundene  auf  ein 
erhöhtes  Lager,  unter  welchem  der  Gatte  ein  Feuer  erhalten  muss,  damit  die 
Lochien  aufhören.  (BiedelK)  In  Tahiti  wird  nach  Wüsan  und  Moerehhout  die 
eben  entbundene  Frau  nebst  ihrem  Kinde  in  ein  möglichst  heisses  Dunstbad  ge- 
bracht und  gleich  darauf  kalt  gebadet.  Nach  Ändersan's  Angabe  ist  dieses  Dunst- 
bad dazu  bestimmt,  die  Frau  vor  lästigen  Nachwehen  zu  schützen.  Bei  den 
Tobeloresen  sitzen  die  Wöchnerinnen  täglich  einige  Stunden  mit  den  entblössten 
Genitialien  über  einem  steinernen  Geföss  mit  Wasser,  in  welches,  um  eine  Art 
Dampfbad  zu  erzeugen,  glühende  Steine  geworfen  werden.     (Riedel.) 


814 


LIX.  Die  Therapie  des  Wochenbettes. 


Zu  Dorei  auf  Neu- Guinea  werden  die  Wöchnerin  und  ihr  Kind  alsbald 
nach  der  Geburt  gebadet  und  darauf  neben  ein  so  starkes  Feuer  und  so  nahe  an 
dasselbe  gesetzt,  als  die  Mutter  immer  auszuhalten  yermag.     (de  Bruijhkops.) 

Den  Chinesinnen  (Hureau)  legen  die  Hebammen  zwischen  die  Schenkel 
einen  heissen  Ziegelstein,  mit  dem  sie  aromatische  Dämpfe  erzeugen.  Nachdem 
die  Annamiten-Frau  in  Cochinchina  entbunden  ist,  wird  sie  Ton  der  Heb- 
amme mit  einem  in  Wasser  (von  der  Temperatur  der  umgebenden  Luft)  ge- 
tauchtes Linnen  umhüllt. 

Sie  muBs  sich  auf  den  Rücken  legen;  man  schneidet  von  der  Matte  und  von  ihren 
Kleidern  Alles  ab,  was  von  Blut  verunreinigt  und  durchnässt  worden;  man  setzt  die  Oefen 
mit  Holzkohle  in  Thätigkeit,  welche  auf  oder  unter  die  Hürde  gestellt  werden,  die  der 
Wöchnerin  als  Bett  dient;  und  auf  diesem  Bett  und  in  derselben  Hütte  muss  die  Frau,  ohne 
sich  zu  waschen,  als  höchstens  an  den  äusseren  OeschlechtstheUen,  unausgesetzt  während 
20  bis  80  Tagen  liegen.  Jene  heizenden  Oefen  unter  dem  Bette  verursachen  oft  an  den 
Hinterbacken  der  Frau  Verbrennungen  ersten,  bisweilen  sogar  zweiten  Grades,  aber  die  Wärme, 
welche  sie  entwickeln,  trocknet  nach  Mondüre  die  Lochien-Absonderung  bis  zu  einem  Grade 
ans,  dass  sich  vielleicht  minder  häufig  Wochenbetts-Erkrankungen  entwickeln. 


Fig.  S27.    Woohenlager  der  Slam esin.    (Nach  Photographie,  ans  P/ost  ».) 

Eine  nähere  Beschreibung  des  siamesischen  Verfahrens,  von  dem  schon 
Marco  Polo  berichtete,  und  durch  welches  die  Wöchnerin  30  Tage  lang  einem 
wahren  Fegefeuer  ausgesetzt  wird,  liefert  House: 

„Auf  dem  Boden  der  Wochenstube  wird  eine  herbeigeholte  oder  extemporirte  Feuerstatt 
aus  einem  flachen  Kasten  errichtet,  oder  ein  einfaches  Gestell  aus  Bohlen  oder  Stämmen  des 
Bananenbaumes,  viereckig,  etwa  3  Fuss  lang,  4  Fuss  breit,  im  Innern  6  Zoll  hoch  mit  Erde 
gef&llt.  Hierauf  werden  nahezu  handgelenkbreite  Holzscheite  ziun  Feuer  angelegt  Längs 
der  einen  Seite  dieses  länglichen  Vierecks  und  dicht  daran  in  gleicher  Höhe  mit  dem  Feuer 
wird  ein  6  bis  7  Fuss  langes  Brett  und  auf  dieses  eine  rohe  Matratze  gelegt;  auf  dieser  oder 
dem  blanken  Brette  kommt  das  unglückliche  Weib  ganz  nackt  zu  liegen,  abgerechnet  einen 
schmalen  Tuchstreifen  um  ihre  Haften,  weiter  schützt  sie  nichts  gegen  das  Feuer,  an  welchem 
eine  Ente  braten  würde  (Fig.  827).  Darauf  setzt  sie  als  Selbstbratenwender  Vorder-  und 
Hinterleib  dieser  ausserordentlichen  Hitze  aus.  So  bringen  einen  Monat  lang  die  Wöchnerinnen 
nicht  nur  in  Siam,  wo  auch  nur  heisses  Wasser  den  Durst  der  Leidenden  löschen  darf, 
sondern  auch  fast  aUe  Stämme  der  indochinesischen  Halbinsel  und  des  Bangkok  zu. 
Die  Gambodjanerinnen  bringen  es  noch  zu  höherer  Ausbildung,  denn  sie  bringen  ihr 
Ruhelager,  die  Bank  aus  Bambusstäben,  worauf  sie  liegen,  nicht  entlang  dem  Feuer,  sondern 
wirklich  über  demselben  an,  so  dass  Rauch  und  Hitze  mit  voller  Wirkung  aufsteigen." 


376.  Die  R&acheruDgen  im  Wochenbett. 


315 


Die  mohamedanischen  Malayen  beobachten  diese  Sitte  gerade  so,  wie 
die  buddhistischen  Siamesen;  sie  scheint  also  nicht  religiösen  Ursprungs  zu 
sein.  Bowing  nimmt  an,  dass  ihr  der  unbestimmte  Gedanke  der  Reinigung  zu 
Grunde  li^e,  und  wir  können  ihm  hierin  wohl  beistimmen.  Nach  Uouse  hat  der 
Brauch  den  einzigen  Nutzen,  dass  die  Frau  sich  wenigstens  einen  Monat  lang  von 
den  häuslichen  Geschäften  fernhalten  muss. 

Schlagintweit  berichtet,  dass  in  Birma  die  Wöchnerin  sogleich  nach  der 
Geburt  des  Kindes  mit  Gelbwurzel  eingerieben  imd  dann  durch  heisse  Steine, 
durch  Wärmpfannen,  sowie  durch  warme  Zudecken  zum  Schwitzen  gebracht  wird, 
unter  ihrem  Lager  wird  ein  Kohlenbecken  angezündet,  auf  das  man  stark  riechende 
Kräuter  wirft  Nach  einem  anderen  Berichte  muss  sie  mit  völlig  entblösstem 
Körper  5  bis  10  Tage  hinter  einander  imausgesetzt  auf  der  Seite  am  Feuer 
liegen  und  zwar  so  dicht,  dass  oft  durch  die  Hitze  auf  ihrer  Haut  ein  Ausschlag 
entsteht.  Schlagintweit  giebt  femer  an,  dass  die  Wöchnerin  schon  am  7.  Tage 
einem  Dampf  bade  ausgesetzt  werde.  Ein  grosser  Topf  mit  kochendem  Wasser 
wird  unter  einen  Sitz  gestellt,  auf  welchem  die  Frau,  in  Matten  und  Tücher  ge- 
hüllt, eine  volle  Stunde  ausharren  muss.  Am  8.  Tage  geht  sie  dann  wieder  an 
ihre  gewohnte  Beschäftigung. 


Fig.  828.    Wöchnerin  derRouconyenne-Indianer  (Süd- Amerika)  im  Dampf  bade. 

(Nach  Crevaux.) 


Auch  die  Roucouyenne-Indianerin  am  Yary-Fluss  in  Süd-Amerika 
muss  gleich  nach  der  Niederkunft  ein  Dampfbad  nehmen.  Zu  diesem  Zwecke 
lefft  sie  sich  in  eine  Hängematte,  unter  welcher  glühend  gemachte  Steine  aufge- 
schichtet werden.  Die  letzteren  werden  dann  mit  kalt^  Wasser  übergössen, 
wodurch  eine  starke  Entwickelung  von  Wasserdämpfen  veranlasst  wird.  (Fig.  328.) 
Nach  Bied  muss  sich  die  Indianerin  von  Los  Angeles  in  Galifornien 
ebenfalls  gleich  nach  ihrer  Entbindung  einer  Bäucherung  unterziehen.  Diese 
Vornahme  hat  die  Bedeutung  einer  Reinigungsceremonie  für  Mutter  und  Kind. 
Das  hierbei  eingeschlagene  Verfahren  ist  folgendes: 

Mitten  in  dem  Fnssboden  der  Hfitte  wird  ein  Loch  ausgegraben  und  darin  ein  Feuer 
entzündet,  in  welchem  grosse  Steine  bis  zur  Rothgluth  erhitzt  werden.    Ist  das  Holz  zu  Asche 


316 


UX.  Die  Therapie  des  Wochenbettes. 


verbrannt,  so  wirft  man  Büschel  yom  wildem  Farrenkrant  darauf  und  deckt  das  Ganze  mit 
Erde  zu,  so  dass  nur  eine  kleine,  schomsteinartige  Oefifnung  erhalten  bleibt,  üeber  diese 
muss  sich  die  Mutter  stellen,  mit  ihrem  Kinde  auf  dem  Arm,  dicht  von  einer  Matte  umhüllt. 
Dann  giesst  man  Wasser  durch  die  Oeffnung  und  verursacht  dadurch  einen  ungeheuren  Dampf. 
Durch  die  Hitze  wird  die  Frau  zuerst  gezwungen,  zu  hüpfen  und  zu  springen,  und  dann  folgt 
eine  reichliche  Transpiration.  Ist  kein  Qualm  mehr  hervorzurufen,  dann  legt  sich  die  Wöch- 
nerin mit  dem  Kinde  auf  den  Erdhaufen  nieder,  bis  die  Procedur  von  Neuem  wiederholt 
wird,  was  8  Tage  lang  Morgens  und  Abends  geschieht. 

Bei  den  Goroados  in  Süd-Amerika  wird  nach  v.  Spix  und  v.  Martins 
die  Wöchnerin  mit  ihrem  Kinde  durch  einen  Priester  mit  Tabak  geräuchert. 
Wir  dürfen  hierbei  nicht  vergessen,  dass  bei  den  Indianern  Amerikas  ein 
feierliches  Tabakrauchen  zu  Ehren  der  Gottheit  bei  keiner  rituellen  Handlung 
zu  fehlen  pflegt. 

Von   den  Wöchnerinnen   in  Abyssinien   berichtet  JBZanc,   der  Gefangener 

des  Königs  Theodor  in  Magdala  war,  dass  sie  sich  gleich  nach  der  Entbindung 

^^^^_____^^.,,^^__^^^^^__^^^^^^^     auf  ein  hölzernes  Buhebett  legen,   unter  dem 

i^:->^  man  aromatische  Kr&uter  aufhäuft  und  diese 

f^  in  Brand  versetzt.    Dichter  Qualm  hüllt  dann 

j£^V  die  Unglückliche  ein,  die  von  kräftigen  Männern 

^^  auf  ihrem  Lager  festgehalten  und  am  Entfliehen 

gehindert  wird.    (Bechtinger.) 

In  Algerien  räuchert  man  die  Genitalien 
der  Wöchnerin  mit  Kuhmist,  den  man  auf 
glühende  Kohlen  wirft. 

Auch  die  Bogos  in  Afrika  räuchern 
die  Wöchnerin,  und  zwar  aus  rituellen  Gründen, 
um  sie  einem  Processe  der  Reinigung  zu  unter- 
ziehen. 

Im    Sennaar    werden    nach    Hartmann 
^'■w6cL\\1^n'Z\ljlSZ^i.T'''''   Raucherungen  der  öenitaUen  bei  der  Wöch- 
(Aus  Dryandtr:)  ueriu  durch  mehrere  Tage  angewendet«    Man 

bedient  sich  dazu  der  Acacia  ferruginea,  von 
welcher  man  glaubt,  dass  sie  eine  stärkende  Einwirkung  auf  die  Geschlechts- 
theile  habe. 

Bei  den  Somali  wird  nach  TaiHfischkt 

„die  Wöchnerin  über  und  über  mit  Decken  und  Matten  verhüllt,  unablässig  mit  riechen- 
den Hölzern  und  Weihranch  ausgerftuchert,  gewaschen  und  mit  rührender  Z&rÜichkeit  be- 
handelt. Indessen  erhebt  sie  sich  nach  fünf  bis  sechs  Tagen  bereits  aus  dem  Wochenbette 
und  trachtet  ihren  Geschäften  wieder  nachzugehen,  doch  meidet  sie  M&nnergesellschaft,  das 
Neugeborene  in  einem  Baumwollenwust  auf  dem  Rücken  tragend.* 

Auch  bei  den  Samojeden  wird  die  Frau  durchräuchert,  doch  erst  am 
Schlüsse  des  Wochenbettes.  Bei  den  letzteren  liegt  diesem  Verfahren  ebenfalls, 
wie  bei  den  Bogos  und  den  Cor.oados,   der  Begriff  der  Reinigung  zu  Grunde. 

Den  gleichen  Zweck  hat  bei  den  Hindus  die  Durchräucherung  der  Wöch- 
nerin und  der  Wochenbettshütte.  Aus  therapeutischen  Bücksichten  wurde  aber 
bei  den  alten  Indern  die  Entbundene  durchräuchert;  sie  benutzten  hierzu  Echites 
antidysenterica,  Cucurbita  lagenaris,  Sinapis  dichotoma  und  Schlangenhäute. 

In  früheren  Zeiten  waren  auch  in  Deutschland  Räucherungen  der  Wöch- 
nerin (und  auch  der  Menstruirenden)  sehr  gebräuchlich.  lieber  ein  Kohlenbecken 
wurde  ein  Trichter  gesetzt,  oder  der  Apparat  war  so  construirt,  dass  der  Trichter 
mit  dem  Becken  ein  einziges  Stück  bildete.  Diesen  Apparat  stellte  man  unter 
einen  Stuhl,  auf  den  die  Wöchnerin  sich  setzen  musste.  Sie  wurde  ganz  in 
Decken  eingehüllt,  so  dass  nur  noch  ihr  Kopf  zu  sehen  war.  Fig.  329  zeigt  solche 
Verhüllte  nach  einer  Abbildung  in  Joannes  Dry anderes  Artzenei- Spiegel  vom 
Jahre  1547. 


877.  Das  Baden  der  Wöchnerm.  317 

877.  Das  Baden  der  Wöchnerin. 

Wir  haben  bereits  einige  Beispiele  kennen  gelernt,  dass  mit  den  Räuche- 
rungen  der  Begriff  der  Reinigung  der  soeben  Niedergekommenen  verbunden  ist. 
Die  allerschnellste  und  ein&cnste  Reinigung,  allerdings  ftir's  erste  im  realen  und 
nicht  in  dem  übertragenen  religiösen  Sinne,  ist  aber  unstreitig  das  Bad.  Und 
dass  wirklich  die  Weiber  vieler  halbcivilisirten  Nationen  sofort  nach  der  Nieder- 
kunft im  ersten  besten  Wasser,  das  sich  ihnen  darbietet,  ein  Reinigungsbad 
nehmen,  das  haben  wir  bereits  in  einem  früheren  Abschnitte  erfahren. 

Die  Reinigung  der  Wöchnerin  bei  den  Völkern  Ost-Afrikas,  den  Wa- 
kamba  und  ihren  Nachbarn,  den  Wakikuyu  u.  s.  w.,  geschieht  gewöhnlich  nur 
durch  Waschungen  mit  warmem  Wasser. 

Bei  den  Loango-Negern  ninunt  die  junge  Mutter  an  einem  gegen  Neu- 
gierige geschützten  Orte  neben  der  Hütte  zahlreiche  Bäder.  Zu  diesem  Behufe 
setzt  sie  sich  in  eine  Vertiefung  in  der  Erde,  welche  mit  Matten  ausgekleidet  ist, 
und  dann  lasst  sie  sich  mit  den  hohlen  Händen  abwechselnd  kaltes  und  warmes 
Wasser  auf  den  Leib  schütten,  der  danach  auch  noch  gedrückt  und  geknetet  wird. 

Blyth  sagt  von  den  Viti-Insulanerinnen:  „Die  Kindbetterin  badet  im 
Hause  an  dem  der  Entbindung  folgenden  Tage,  sowie  auch  am  zweiten  und  dritten, 
aber  am  vierten  und  an  den  folgenden  geht  sie  zum  Flusse  zum  Baden.  ** 

Die  Wöchnerin  bei  den  Igorroten  auf  Luzon  muss  nach  Meyer  die  ersten 
10  Tage  hindurch  mit  ihrem  Kinde  täglich  mehrmals  baden. 

Zweimal  täglich  badet  auch  bei  den  Badagas  im  Nilgiri-Gebirge  die 
Wöchnerin,  aber  nur  während  2  bis  3  Tagen.  Bei  den  Naya-Kurumbas  in 
dem  gleichen  Gebirgslande  wird  nach  Verlauf  eines  halben  Tages  die  Mutter  und 
das  Kind  mit  warmem  Wasser  gewaschen.     (Jagor,) 

In  Ost-Turkestau  nimmt  nach  ScJdaginiweit  die  Wöchnerin  erst  am 
14.  Tage  ein  Bad;  dann  legt  sie  auch  neue  Kleider  an  und  sie  darf  nun  Besuche 
empfangen. 

Bei  den  Omaha- Indianern  wird  die  Wöchnerin  im  Sommer  mit  kühlem, 
im  Winter  mit  lauem  Wasser  gewaschen  und  täglich  zweimal  muss  sie  baden. 

Eine  Wöchnerin  bei  den  Feuerländern  am  Cap  Hörn  konnte  liyades 
beobachten.     Er  berichtet  darüber  Folgendes: 

,Le  jour  mdme  de  raccouchement,  la  m&re  est  all^e  seule  prendre  d'heure  en  heure 
quatre  bains  de  mer,  le  premier  qaatre  heures  apräs  sa  d^livrance.  Noas  avons  asdstd,  4 
51^  du  soir,  au  dernier  de  ses  bains,  qui  ä  dur^  un  quart  d'heare  et  s'est  pass^  comme  suit. 
La  mer  est  haute  4  ce  moment:  sor  la  plage,  la  nouvelle  accouch^e  se  d^shabille  rapidement 
(son  costmne  consistait  en  un  vieuz  gilet  de  chasse,  par-dessus  une  vieille  chemise),  en  tour- 
nant  le  dos  ä  la  lame;  eile  entre  ä  reculons  dans  la  mer,  de  mani^re  k  avoir  de  Teau  jusque 
sous  les  seins.  Elle  se  lave  alors,  avec  les  deux  mains,  tont  le  corps,  et  sp^cialement  le  cou, 
las  aisselles,  la  poitrine  et  les  parties  genitales.  Cela  fait,  eile  se  l^ve  et  vient  s'accroupir, 
toijjoiirs  Bur  ses  talons  et  toumant  le  dos  ä  la  lame,  un  peu  plus  prte  du  bord  de  la  plage, 
de  mani^re  ä  avoir  de  Teau  jusqu'aux  genoux.  Elle  reste  une  minute  dans  cette  position  et 
ne  se  lave  plus  que  les  parties  genitales,  et  moins  qu*auparavant.  Elle  se  l^ve  encore  pour 
aller  8*accroupir  dans  la  mßme  position,  tout  au  bord  de  la  plage,  n*ayant  de  Teau  que  jus- 
qu'aux  cheyilles  au  moment  de  Tarriv^e  de  la  yague:  il  en  r^sulte  une  esp^ce  de  doucbe 
vaginale.  L'accouch^e  reste  dans  cette  position  plusieurs  minutes,  sans  se  layer.  Elle  nous 
dit  alors  que  c'est  son  quatriäme  et  demier  bain  de  la  joum^e,  que  les  bains  pr^c^dents 
^taient  identiques  ä  celui-ci,  et  que  les  jours  suivants  eile  en  prendra  deuz  par  jour;  eile 
ajoute,  que  toutes  les  femmes  fuägiennes  en  fönt  autant  apr^s  leur  accouebement." 

„La  temp^ratnre  de  Tair  ^tait  alors  -f-  2,7^,  celle  de  Teau  de  mer  -|-  4,70;  le  vent 
4tait  vif:  N.-N.-O.  5m  par  seconde.  Le  pouls  de  raccouch^e  au  sortir  de  son  bain  ^tait  ä  84. 
Quelques  minutes  avant  le  bain,  eile  ^tait  all4e,  comme  d'habitude,  puiser  de  Teau  ä  100  m 
de  sa  hutte,  avec  deuz  autres  femmes  qui,  d'ailleurs,  ne  s'occupaient  pas  d'elle." 

Am  11.  Tage  nahm  sie  ihr  letztes  Bad  und  am  13.  Tage  brachte  sie  den 
ganzen  Tag  in  ihrer  Piroge  beim  Fischfange  zu. 


318  LIX.  Die  Therapie  des  Wochenbettee. 

Auch  die  Weiber  der  Orang  Laut  in  Malacca  waschen  sich,  wie  Stevens 
berichtet,  schon  eine  halbe  Stunde  nach  der  Niederkunft  in  der  See  und  sie  gehen 
schon  nach  wenigen  Tagen  ihrer  gewohnten  Beschäftigung  nach.    (Bartels''.) 


378.  Das  Waschen  und  das  Schwitzen  der  Wöchnerin. 

Häufiger  noch  als  die  Sitte  des  Badens  treffen  wir  die  Gewohnheit  an,  dass 
die  Wöchnerin  sich  bestimmten  Waschungen  zu  unterziehen  hat,  denen  nicht 
selten  medicamentöse  Substanzen  beigemischt  sind. 

So  nimmt  die  Gampas-Indianerin  (Peru)  sofort  nach  der  Geburt  eine 
Waschung  mit  dem  Aufguss  Ton  Huitoch,  einer  adstringirenden  Frucht,  vor; 
dies  sind  die  Genipaäpfel  einer  Rubiacea,  die  wohl  eine  Blutung  verhindern  sollen. 
(Qrandidier.) 

Bei  den  mexikanischen  Indianern  fährte  nach  der  Angabe  des  Diego 
Garcia  de  Falacio  (1576)  am  12.  Tage  nach  der  Geburt  die  Hebamme  die  Wöch- 
nerin an  den  fluss,  um  sie  zu  baden,  und  weihte  das  Wasser  mit  Gacao  und 
Capöl,  damit  es  ihr  nicht  schaden  möge. 

Die  Wöchnerin  in  der  südindischen  Sclaven-Kaste  der  Yedas  wäscht 
sich  vom  11.  Tage  an  täglich  mit  warmem  Wasser  und  Turmerik  und  reibt  dann 
ihren  Körper  mit  Oel  ein.  Vom  30.  Tage  an  verrichtet  sie  wieder  harte  Arbeit ; 
das  Waschen  aber  wird  einen  Monat  lang  fortgesetzt.    (Jagor.) 

Bei  der  Nay er- Kaste  in  Indien  besorgt  das  tägliche  Waschen  mit  warmem 
Wasser  eine  Dienerin,  die  ihr  zuvor  den  Körper  mit  Ricinusöl  einreibt  und  sie 
knetet.  Das  Oel  wird  rein  oder  mit  Kräutern  gemischt  verwendet;  ein  Arzt  oder 
Sterndeuter  schreibt  die  zu  verwendende  Sorte  und  die  Dosis  vor.    (Jagor.) 

Von  den  Wöchnerinnen  der  Orang  Bglendas  in  Malacca  sagt  Stevens^ 
dass  sie  täglich  von  der  Hebamme  aus  einem  mit  besonderen  Zaubermustem  be- 
malten Bambusgefasse  gewaschen  werden,  aber  man  darf  10  Tage  lang  dazu  kein 
kaltes  Wasser  nehmen.    (Bartels'^.) 

Die  Wöchnerinnen  bei  den  Parsen  waschen  sich  mit  dem  für  reinigend 
gehaltenen  Kuhurin;  des  gleichen  unappetitlichen  Medicamentes  muss  sich  auch 
die  Entbundene  bei  den  Hottentotten  bedienen. 

Bei  den  Kirgisen  des  Gebietes  Semipalatinsk  erhebt  sich  die  Wöchnerin 
nach  drei  Tagen  vom  Lager,  wenn  ihre  Kr^te  es  erlauben,  und  geht,  auch  im 
Winter,  in  die  Badestube;  im  Sommer  wäscht  sie  sich  daselbst  mit  einem  Auf- 
guss von  Haidekraut. 

In  recht  erheblichem  Gegensatze  hierzu  steht  die  Sitte  in  Jerusalem, 
dass  die  Wöchnerin  sich  die  ersten  8  Tage  überhaupt  nicht  waschen  darf;  später 
aber  ist  es  ihr  erlaubt,  jedoch  darf  sie  nur  warmes  Wasser  dazu  benutzen.  Am 
20.  Tage  wird  sie,  nach  der  Mittheilung  des  arabischen  Dolmetschers  Baud  d 
Kurdi  an  Gonsul  Bosen^  in  das  Bad  gebracht,  und  ihr  dort  nach  der  Waschung 
zunächst  der  Rücken  und  dann  der  übrige  Körper  mit  einem  Pulver  von  aro- 
matischen Substanzen,  als  Zinunt,  Muskatnuss  u.  s.  w.,  stark  eingerieben. 

Dass  mit  den  im  vorigen  Abschnitte  besprochenen  Räucherungen  ein  starkes 
Transpiiiren  der  Wöchnerin  in  den  meisten  Fällen  unvermeidlich  und  mx  nicht 
selten  ganz  direct  beabsichtigt  worden  ist,  das  haben  wir  im  vorigen  Abschnitt 
bereits  gesehen.  Wir  finden  dieses  übermässige  Schwitzen  z.  B.  im  Gouv.  Ar- 
changel und  in  anderen  Gegenden  Russlands.  Hier  geht  die  Wöchnerin  mit 
dem  Kinde  sofort  in  die  Badestube,  um  zu  schwitzen;  das  wird  4  bis  6  Stunden 
lang  fortgesetzt  und  drei  Tage  hinter  einander  wiederholt.  Auch  in  Astrachan 
sucht  nach  Meyerson  die  Entbundene  mit  dem  Kinde  unmittelbar  nach  der  Nieder- 
kunft die  Badestube  auf;  »hier  werden  beide  gepeitscht  und  gerieben;  dann  bringt 
man  sie  beide  in  ein  Federbett ''. 


378.  Das  Waschen  und  das  Schwitzen  der  Wöchnerin. 


319 


In  Japan  war  es  allgemeiner  Gebrauch,  dass  die  Wöchnerin  am  6.  Tage 
nach  der  Entbindung  ein  warmes  Bad,  gewöhnlich  mit  einer  Beimischung  von  Salz, 
nahm,  und  dann  durch  warmes  Zudecken  eine  starke  Transpiration  hervorzurufen 
bemüht  war.    Kangawa  eiferte  im  vorigen  Jahrhundert  gegen  diese  Sitte: 

^Man  sieht  dann,''  sagt  er  in  seinem  Bache  San-ron,  ,dass  die  bis  dahin  ganz  gesunde 
Wöchnerin  von  Manie,  Delirien,  Fieber,  Exanthemen  und  dergl.  plötzlich  befallen  wird;  sie 
ist  dann  meist  unheilbar  und  wird  durch  die  schwächste  Krankheit  hingerafft.  Bei  der  Be- 
handlung der  Geburt  bin  ich  hinsichtlich  aller  anderen  Yorschrifben  nicht  sehr  streng  gewesen, 
wohl  aber  muss  ich  das  beim  Bade  sein,  weil  ich  zu  viel  Unheil  davon  befürchte.  Nach  S 
Tagen  soll  man  mit  einem  in  Wasser  getauchten  Tuche  allen  Schmutz  abwischen,  und  zwar 
erst  die  noch  bedeckte  untere  Eörperhälfte  und  dann  die  obere  für  sich.  So  wird  der  Körper 
gereinigt  und  die  Wirkung  ist  wie  die  eines  Vollbades,  aber  es  können  sich  so  keine  ,  Diebs* 
Winde*  einschleichen.* 

Die  Neugeborenen  in  Japan  werden  aber  gleich  von  der  Hebamme  in 
einem  Holzzober  gebadet,  und  zwar  setzt  die  Hebamme,  wie  der  in  Fig.  33Q 
wiedergegebene  japanische  Holzschnitt  zeigt,  dabei  ihre  Füsse  mit  in  das  Bade- 


Fig.  330.    Das  Baden  des  Neugeborenen.    (Nach  einem  Japanisohen  Holzschnitt.) 


wasser.  Auf  einem  Bilde,  das  wir  später  kennen  lernen  werden,  finden  wir  die 
gleiche  Situation.  Wir  müssen  hierin  also  wohl  eine  besondere  japanische  Sitte 
erkennen.  Vielleicht  hat  dieselbe  den  Zweck,  die  Temperatur  des  Bades  zu  con- 
troliren,  ähnlich  wie  bei  uns  die  Landhebammen  mit  dem  entblössten  Ellenbogen 
fahlen,  ob  das  Badewasser  die  gehörige  Wärme  besitzt. 

Bei  der  deutschen  Landbevölkerung  ist  das  Schwitzen  im  Wochenbett 
noch  weit  verbreitet.  Soll  es  aber  von  Erfolg  begleitet  sein,  so  muss  es  ordent- 
lich und  gründlich  geschehen.  Flügel  berichtet  vom  Frankenwalde  und  Gold- 
Schmidt  aus  dem  nordwestlichen  Deutschland,  dass  dabei  der  Ausbruch  eines 
Frieselausschlags,  des  sogenannten  Wochenbettfrieseis,  nicht  selten  ist.  Wolf- 
Steiner  schreibt  von  .der  bayerischen  Oberpfalz,  dass  dort  in  den  grossen 
Himmelbetten  viele  Wöchnerinnen   zu  Qrunde  gerichtet  würden.     Sie  müssen  in 


320  Ll^*  ^i®  Therapie  des  Wochenbettes. 

den  ersten  Tagen  des  Wochenbettes  beständig  schwitzen,  nnd  um  dieses  zu  be- 
werkstelligen, werden  sie  mit  schweren  Federbetten  belastet  und  mit  Massen 
warmen  Thees  getrankt.  Dadurch  entstehen  häufig  Frieselbläschen,  die  bei  yer- 
nünfbigem  Verhalten  sonst  im  Wochenbett  eine  höchst  seltene  Erscheinung  sind. 
Werden  nun  von  einer  sorgsamen  Nachbarin  solche  Bläschen  entdeckt,  so  werden 
die  Decken  noch  vermehrt,  der  Thee  wird  noch  heisser  und  freigebiger  gereicht, 
damit  der  Friesel  ja  herausgeht,  imd  es  wird  dadurch  nicht  nur  der  Friesel,  son- 
dern auch  nicht  selten  die  Seele  der  Wöchnerin  fbr  immer  herausgetrieben. 


379.  Das  Binden  des  Leibes  bei  der  Wöchnerin. 

Manche  Völker,  namentlich  solche,  bei  welchen  in  allen  Lebenslagen  das 
Massiren  eine  hervorragende  Bolle  spielt,  halten  es  fQr  durchaus  erforderlidi,  dass 
auch  in  der  Periode  des  Wochenbettes  die  Frau  gehörig  ^^estrichen  und  geknetet 
werde.  Da  dieses  Verfahren  aber  natürlicher  Weise  nicht  Tage  und  Nächte  hinter 
einander  fortgesetzt  werden  kann,  da  man  aber  andererseits  einen  stetig  auf  den 
jetzt  nach  der  Entbindung  schlaffen  und  nicht  selten  von  Darmgasen  aufgetriebenen 
Unterleib  einwirkenden  Druck  f&r  wünschenswerth  halt,  so  finden  wir  bei  vielen 
Nationen  die  Sitte,  der  Wöchnerin  den  Unterleib  durch  fest  angelegte  Binden 
einzuschnüren. 

Die  allermildeste  Form  dieser  Behandlungsmethode  finden  wir  im  östlichen 
Turkestan.  Hier  wird  unmittelbar  nach  der  Entbindung  den  Weibern  die  innere 
Seite  eines  frisch  abgezogenen  und  mit  adstringirenden  Pflanzensäften  eingeriebenen 
Schaffelles  auf  den  Bauch  gel^t,  um  eine  Zusammenziehung  des  Leibes  und  ein 
Schlankwerden  desselben  zu  bewirken,     {ßchlagintweit.) 

Dieses  erinnert  an  ein  Verfahren,  das  WitkowsJci  nach  Jacques  DuvcU  citirt: 

«Quelques-imes  appliquent  rarri^re-faix  snr  le  ventre,  soudain  qull  a  ^tä  tire.  Mais 
il  est  meillenr  et  de  trop  plus  certain,  d'avoir  an  moaton  noir,  qni  sera  escorchö  tout  vif,  en 
la  chambre  de  la  malade,  poor  de  la  peaa  toute  ohaude,  parsemöe  de  poudre  de  roses  et  de 
myrtiles,  lui  envelopper  les  reins  et  le  bas  ventre.  Et  sous  los  exträmit^s  de  ladite  peau 
sera  ötendue  la  peau  d'un  li&vre,  qui  par  semblable  sera  tir^e  dudit  animal  yivant,  lequel 
sera  ä  Pinstant  ögorg^,  et  le  sang  re9U  dans  sa  peau,  pour  d'icelle  tonte  ohaude  et  sanglante 
couvrir  tout  le  ventre  inf^rieur.  A  raison  que  ce  sang  tout  chaud,  qui  est  r^put^  grossier 
et  mölancolique,  d'une  grande  vertu  de  conforter  la  matrice  et  parties  adjacentes,  qui  mesmes 
oste  les  rides  du  ventre.** 

Wifkowshi  erzählt  dann  noch  nach  Dionis^  dass  bei  der  ersten  Niederkunft 
der  Dauphine  AnnorMaria-Victoria  von  Bayern  im  Jahre  1682  ihr  Leibarzt 
Clement  ihr  den  Leib  mit  dem  frisch  abgezogenen  Fell  eines  schwarzen  Hammels 
einhüllen  wollte. 

,11  fallait  que  Top^ration  du  boucher  se  fit  dans  une  chambre  voisine  de  celle  de 
raccoQch^e;  or,  il  arriva  que  le  mouton  tout  sanglant  suivit  son  bourreau  jusqu^aupres  du  lit 
de  la  Dauphine.  L'efi&oi  que  produisit  ce  spectacle  fit,  qu'on  renon9a  k  cette  pratique 
aus  autres  couches  de  la  Dauphine.* 

Wenn  bei  den  Kirgisen  des  Gebietes  Semipalatinsk  die  Oeburt  beendet 
ist,  wird  der  Leib  der  Frau  mit  Binden  gewickelt. 

Nach  der  Entbindung  wird  der  malayischen  Wöchnerin  auf  der  Insel 
Luzon  (Philippinen)  ein  dicker  Gharpiebausch  auf  den  Unterleib  mit  einem 
dicken  Bande  befestigt.  (Pardo  de  Tavera.)  Auch  die  Igorrotin  muss  daselbst 
nach  Meyer  S  Wochen  hindurch  nach  der  Entbindung  eine  Leibbinde  tragen. 

Im  südlichen  Indien  wird,  wie  Shortt  berichtet,  der  Frau  sogleich  nach 
der  Niederkunft  ein  Stück  von  ihrem  Kleide  wie  eine  Binde  um  Becken  und 
Bauch  geschlungen. 


879.  Das  Binden  des  Leibes  bei  der  Wöchnerin.  321 

Das  Binden  des  Leibes  hat  in  Niederländisch-Indien  erst  statt,  wenn 
die  Wöchnerin  einige  Tage  nach  der  Niederkunft  zum  ersten  Male  ihr  Lager 
verlässt.  Van  der  Burg  giebt  an,  dass  sie  hierzu  ein  langes,  schmales  Tuch  be- 
nutzt, welches  zu  diesem  Zwecke  mit  einem  Ende  an  einen  Pfosten  befestigt  wird, 
während  sich  die  Frau  Tom  anderen  Ende  aus  durch  Drehungen  um  sich  selbst 
hineinwickelt. 

Eine  Frau  aus  Sumatra,  welche  Schwarz  in  Fulda  entband,  sollte  ihm 
dieses  Einwickeln  vormachen. 

Sie  liess  sich  am  1.  Tage  des  Wochenbettes  von  der  Hebamme  den  Leib  leicht  ein- 
binden und  legte  am  2.  Tage  sich  selbst  eine  Leibbinde  anf  folgende  Weise  an:  Ein  ca.  eine 
Elle  breites  und  16  Ellen  langes  Stflck  Flanell  klemmte  die  Frau  an  seinem  einen  Ende  aus- 
gebreitet zwischen  die  Eammerthür  und  deren  Pfosten,  der  Art,  dass  sie  die  Thür  schloss  und 
das  in  seiner  Breite  festgehaltene  Ende  in  die  entgegengesetzte  Ecke  des  Zimmers  brachte. 
Dieses  legte  sie  an  ihrem  Unterleibe  glatt  an  und  hielt  es  unter  der*  Brust  und  Über  dem 
einen  Trochanter  fest.  Sodann  bewegte  sie  sich,  wie  ein  Kreisel  sich  drehend,  der  Kammer- 
thQre  zu,  wodurch  sie  immer  mehr  Flanell  auf  ihren  Unterleib  aufwickelte,  bis  sie  an  die 
Thür  kam,  dieselbe  öffnete  und  das  Ende  der  Binde  an  sich  befestigte.  Am  vierten  Tage 
musste  ihr  die  Hebamme  die  beiden  Lendengegenden  nach  der  Leisten-  und  SchoosgQgend 
hin  einige  Male  gelind  streichen,  um  das  stockende  Blut  wieder  in  Bewegung  zu  setzen  und 
auszuleeren. 

Auf  Ambon  und  den  Uliase-Inseln  wird  sofort  nach  der  Zurechtstellung 
der  Gebärmutter,  wenn  die  Niederkunft  vollendet  ist,  der  ünterbauch  mit  einem 
Bande  festgebunden.    {Riedel^) 

Bei  den  Wöchnerinnen  der  Orang  Belendas  in  Malacca  wird  nach 
Stevens  der  Leib  bisweilen  mit  einer  Rindenbinde  oder  mit  einem  zusammenge- 
legten Lendentuche  gebunden.  Dieses  findet  aber  nicht  immer  statt.  Auch  bei 
den  Orang  Laut  bindet  sich  die  Wöchnerin  noch  einen  Monat  hindurch  die 
Magengegend  mit  einem  Sarong.     {Bartels^) 

Li  Japan  wird  nach  Kangawa  jedesmal  gleich  nach  der  Entbindung  der 
Unterleib  in  der  Nabelgegend  sehr  stark  eingeschnürt,  und  zwar  auf  hundert  Tage, 
in  der  Absicht,  Gongestionen  vom  Uterus  aus  nach  dem  Kopfe  zu  verhüten. 

Uewan  sagt,  dass  der  Negerin  in  Old-Galabar  sofort  nach  der  Nieder- 
kunft ein  Handtuch  dicht  oberhalb  der  contrahirten  Gebärmutter  fest  imi  den 
Leib  geschlungen  wird. 

Auch  der  Leib  der  Omaha-Indianerin  wird  gleich  nach  der  Entbindung 
mit  einer  Binde  gebunden.  Beiden  Ghirguanos-Indianern  in  Süd-Amerika 
legt  man  die  Entbundene  mit  dem  Gesicht  auf  den  Boden  und  schnürt  ihr  den 
Unterleib  mit  einem  Strick  fest  zusammen.     (Thacar.) 

Sannini  schreibt  aus  dem  heutigen  Griechenland,  dass  man  der  Entbun- 
denen eine  breite  leinene  Binde  massig  fest  um  den  Leib  schlingt,  die  vom  Busen 
bis  zu  den  Lenden  reicht;  hierdurch  sollen  die  Weiber  ihrem  Unterleibe  eine 
gefallige  Form  bewahren. 

Li  Galizien  „unterbindet*  man  die  Gebärmutter,  d.h.  man  legt  unterhalb 
des  Gebärmutterkörpers  einen  aus  grober  Leinewand  gedrehten  Strick  rings  um 
den  Unterleib  herum.  Bisweilen  wird  auf  den  letzteren  auch  noch  ein  Topf  wie 
ein  Schröpfkopf  aufgesetzt. 

Der  Hamburger  Arzt  Rodericus  a  Castro  berichtet  im  An&nge  des  17. 
Jahrhunderts,  dass  die  Portugiesinnen  gleich  nach  der  Entbindung  den  Bauch 
mit  einer  Binde  zu  umgeben  pflegten;  vielleicht  kam  diese  Sitte  durch  ihn  auch 
in  Deutschland  auf;  er  war  nämlich  selber  ein  Portugiese.  Dieses  Binden 
ist  auch  heute  noch  in  vielen  Gegenden  Deutschlands  gebräuchlich;  Patdi  be- 
richtet es  aus  der  Pfalz,  Hildebrandt  aus  Ost-Preussen,  und  auch  in  der 
Mark  Brandenburg  wird  es  geübt. 

PlosB-Bartels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    U.  21 


322  LI^*  ^io  Therapie  des  Wochenbettes. 

In  Gross-Brltannien  ist  überall  die  Anlegung  des  Binder  in  Gebrauch; 
auch  in  den  Gebärhäusem,  z.  B.  in  Dublin,  wird  er  sogleich  nach  der  Nieder- 
kunft angelegt  und  taglich  gewechselt  Diese  Vorrichtung  besteht  in  einem  sehr 
breiten  Stück  Zeug  (meist  Leinwand),  das  rings  um  den  Leib  angelegt  und  sehr 
fest  zugebunden  oder  mit  Nadeln  festgesteckt  wird;  nach  vom  befindet  sich  dar- 
angenäht wie  eine  Schürze  ein  zweites  Stück  Zeug,  das  vor  die  Genitalien  zwischen 
die  Schenkel  zu  liegen  kommt  zur  Aufnahme  des  Lochialsecrets. 

In  Paris  ist  es  allgemeine  Sitte,  nach  der  Entbindung  den  Leib  mit  einer 
zusammengelegten  Serviette  zu  bedecken  und  durch  ein  Handtuch,  welches  um 
den  Rücken  gelegt  imd  vorn  mit  Nadeln  zusammengeheftet  wird,  zusammenzu- 
ziehen und  zu  unterstützen.     (Osiander.) 

In  Steyermark  legt  man  der  Entbimdenen  schwer^Leintücher  auf  den 
Leib,  um  die  Entwickelung  eines  Hängebauches  zu  verhütet.  Auch  pflegen 
manche  Hebammen  daselbst  «das  Kreuz  der  Entbundenen  einzurichten^,  indem 
sie  einen  anhaltenden  Druck  auf  deren  Ereuzbeingegend  a\isüben;  letzteres  wird 
von  Fossel  aus  dem  Sulmthale  berichtet. 


LX.  Das  diätetische  Verhalten  im  Wochenbett. 

380.  Das  Stehen  und  Sitzen  im  Wochenbett. 

Bei  vielen  Völkern  sind  wir  der  Sitte  begegnet,  dass  sofort  nach  der  Nieder- 
kunft die  Entbundene  sich  auf  die  Füsse  stellte  und  nicht  selten  sogar  gleich 
wieder  umherging.  Nicht  immer  ist  dieses  nur  der  Ausdruck  der  Indolenz  und 
der  mangelnden  Wochenbettspflege;  bisweilen  wird  es  in  der  wohl  bedachten  Ab- 
sicht ausgeführt,  den  Abgang  des  Wochenflusses  durch  die  aufrechte  Stellung  zu 
befordern  und  zu  beschleunigen. 

An  der  Küste  des  Stillen  Oceans  verlangen  einige  Indianer-Stamme, 
dass  die  Wöchnerin  den  grössten  Theil  des  Tages  aufbleibt;  sie  wandelt  um  das 
Lager,  bisweilen  ausruhend;  hierbei  bedient  sie  sich  eines  Stockes;  sie  geht  langsam 
und  beugt  den  Körper  oft  vor,  wobei  sie  den  Unterleib  oberhalb  der  Gebär- 
mutter gegen  das  obere  Ende  des  Stockes  stemmt.  Mit  diesem  Verfahren,  das 
3 — 4  Tage  fortgesetzt  wird,  beabsichtigt  man,  einen  leichteren  Abflnss  der  Lochien 
herbeizu^hren.     Nachblutungen  sollen  hierbei  nicht  beobachtet  worden  sein. 

Häufiger  wie  dieses  Stehen  und 'Gehen  finden  wir  das  Sitzen  im  Wochen- 
bett. Van  der  Burg  sagt  von  der  Wöchnerin  in  Niederländisch-Indien,  dass 
sie  zuerst  mit  lauem  Wasser  gewaschen  und  übergössen  wird,  und  dann  ruht  sie 
einige  Stunden  in  halbsitzender  Stellung  aus.  Es  ist  ihr  dabei  nicht  gestattet, 
zu  schlafen,  und  man  hindert  sie  daran  durch  fortwährendes  Ziehen  an  ihren 
Haaren.    Erst  nach  einigen  Tagen  steht  sie  auf. 

Die  Abyssinierin  kommt  nskch  Blanc  in  der  Knie  -  Ellenbogenlage  nieder; 
danach  aber  wird  sie  auf  ein  Lager  gebracht,  wo  sie  in  sitzender  Stellung  aus- 
harren muss. 

Auch  bei  den  Mincopies  auf  den  Andamanen  bringt  die  Wöchnerin, 
wie  Man  berichtet,  die  ersten  3  Tage  in  sitzender  Stellung  auf  einem  kleinen 
Lager  zu,  gestützt  durch  allerlei  Gegenstände.  Jagor  fand  eine  Andamanesin 
am  ersten  Tage  nach  der  Entbindung  am  Erdboden  sitzend;  der  Oberkörper  war 
gegen  ein  in  den  Boden  eingeschlagenes  Bambusgestell  gelehnt;  sie  säugte  ihr 
Kind,  und  ihr  Unterleib  war  mit  einem  Blatte  der  Fächerpalme  (Licuala  peltata) 
bedeckt. 

Die  Heidelberger  Handschrift  des  Sachsenspiegels,  welche  im  12.  Jahr- 
hundert geschrieben  ist,  zeigt  in  einer  Abbildung,  dass  in  dieser  Zeit  auch  in 
Deutschland  das  Sitzen  im  Wochenbette  Sitte  war. 

Um  das  Jahr  1512  malte  in  Florenz  Andrea  del  Sarto  im  Hofe  des  Ser- 
vitenklosters  Santa  Annunziata  ein  Freskobild,  das  die  Geburt  der  Maria 
darstellt.  (Fig.  331.)  Die  Costüme  und  sicherlich  auch  die  Portraits  sind  der 
Zeit  des  Malers  entnommen,  und  wir  haben  in  dem  Gemälde  die  Wochenstube 
einer  vornehmen  Florentinerin  zu  erkennen.  Auch  hier  finden  wir  die  Wöch- 
nerin aufrecht  auf  ihrem  Lager  sitzend. 

21« 


380.  Das  Stehen  und  Sitzen  im  Wochenbett. 


325 


Ein  chinesischer  Arzt  empfiehlt  in  seiner  Abhandlung: 
«Unmittelbar  nach  der  Entbindung  darf  keine  Wöchnerin  sich  niederlegen,  sondern 
sie  muss  aufrecht  im  Bette  sitzen.  Damit  der  Mutter  aber  dieses  Aufrechtsitzen  nicht  zu 
beschwerlich  fällt,  weil  sie  von  der  Geburtsarbeit  abgemattet  ist,  müssen  hinter  ihrem  Rücken 
gehörige  Polster  und  Kissen  angebracht  werden.  Auch  lasse  man  sie  bei  Leibe  die  Füsse 
nicht  etwa  lang  ausstrecken,  sondern  man  sehe  darauf,  dass  die  Entbundene  die  Eniee  auf- 
wärts  biege.  In  dieser  Lage  muss  die  Wöchnerin  ganz  ruhig  sich  verhalten  und  die  Augen 
fest  zumachen;  aber  sie  hüte  sich  ja,  fest  einzuschlafen,  weil  sonst  gar  leicht  eine  geiUhrliche 
Wallung  des  Geblüts  erfolgt,  welche  heftige  Ohnmacht  bewirken  könnte. *"  Jedes  Geräusch 
soll  vermieden  werden,  damit  die  Wöchnerin  nicht  erschrecke;  vor  rauher  Luft  und  vor  Zug- 
wind soll  man  sie  schützen;  da  aber  auch  für  frische  Luft  gesorgt  werden  müsse,  so  solle 
man  viermal  tfiglich  die  Wohnstube  mit  starkem  Essig  räuchern. 


Fig.  332.    Japanische  Wochenstabe,   als  Woohenstabe  einer  Füchsin  dargestellt. 
(Nach  einem  Japanischen  Holzschnitt.)    (Aus  Mit/ord.) 

In  Japan  mnsste  die  Wöchnerin  auf  dem  sogenannten  Wochenbett-Stahle 
verharren.  Derselbe  ist  aus  5  Brettern  zusammengesetzt;  ein  Brett  bildet  die 
Bücklehne,  zwei  sind  auf  den  Seiten,  eins  ist  an  der  Vorderseite  und  das  f&Dfte 
bildet  den  Boden.  Alle  sind  durch  Binnen  verschiebbar,  so  dass  sie  gewechselt 
werden  können.  Nachdem  die  Placenta  entfernt  ist,  legt  man  eine  Strohmatte 
auf  den  Stuhl,  bedeckt  diese  mit  einer  Matratze  (futon,  eine  Art  Steppdecke)  und 
lässt  dann  die  Frau  aufstehen  und  nach  dem  Stuhle  gehen,  um  sich  darauf  zu 
setzen.  Hier  verharrt  die  Wöchnerin  7  Tage  in  sitzender  Stellung.  Sie  darf  den 
Kopf  nicht  nach  vom  neigen,  und  es  ist  ihr  auch  nicht  erlaubt,  zu  schlafen. 

Kangawa  eiferte  schon  im  vorigen  Jahrhundert  gegen  diese  Unsitte,  deren 
Ursprung   er  nicht   kennt,   von   der   er  jedoch  glaubt,   dass  sie  sich  erst  in  ver- 


ÜSI.  Das  Liegen  im  Wochonbett. 


327 


Lt  der  Culturvölker  Eitropaa  werden  wir  später   noch 
Hier    soll    noch    von    einigen    ausserenropäischen 


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1  Nord-Amerikas  legt  man  nach  Engelmann  gleich  nach 
ein  Lager  am  Boden  der  Hütte,  wobei  sie  gehörig  in 
Decke  gewickelt  wird.  Bei  kaltem  Wetter  rückt  man  das 
atier  heran,  um  dt©  Frau  vor  Erkältnng  und  Fieber  zu 
-?  4 — 5  Tage  verharreu;    dann  kehrt    8ie   an   die  gewohnte 


328  L^'  ^^  di&ietische  Verhalten  im  Wochenbett. 

Die  Madi-  und  Eidj-Negerin  wird  gleich  nach  der  Entfernung  der  Nach- 
geburt an  die  Seite  des  in  der  Hütte  entzündeten  Feuers  gebracht  und  auf  ein 
Bett  niedergelegt,  welches  von  Qras  gemacht  und  mit  Fell  bedeckt  ist.   {Fdkin.) 

Bei  den  Georgiern  legt  man  nach  der  Geburt  die  Entbundene  auf  ein 
Lager  von  Heu,  während  der  Geistliche  das  Haus  mit  heiligem  Wasser  weiht. 
(Eichwald.) 

Auch  bei  den  Kirgisen  des  Districtes  Semipalatinsk  wird  die  Wöchnerin 
alsbald  nach  der  Geburt  auf  ein  Lager  gebracht,  auf  welchem  sie  halb  liegend, 
von  Kissen  umgeben,  ruht;  auf  besonderen  Wunsch  wird  es  ihr  auch  gestattet, 
sich  zu  legen. 


Ernährung  und  Getränke  Im  Wochenbett  bei  den  Yolkern  Europas« 

Bei  den  europäischen  Völkern  hat  sich  schon  seit  sehr  langer  Zeit  eine 
besondere  Wochenbetts-Emährung  herausgebildet. 

Li  Frankreich  giebt  man  der  Neuentbundenen:  Eine  Tasse  Bouillon,  etwas 
Wasser  mit  etwas  rothem  Wein  vermischt,  oder  Zuckerwasser  mit  einem  Thee- 
löffel  voll  Pomeranzenblüthenwasser.  Auch  Wasser  mit  Gapillär-  und  Altheesyrup, 
eine  Tisane  von  Lindenblüthen,  Quecken  wurzeln  und  Süssholz,  oder  eine  Abkochung 
von  rother  Gerste  sind  im  Gebrauch. 

In  England  erhält  die  Wöchnerin  grünen  Thee  mit  Milch  oder  Wasser, 
worin  geröstetes  Weizenbrod  eingeweicht  ist  (toast-water),  oder  eine  Abkochung 
von  Gerstengraupen  (barley- water).     (Osiander.)  ^ 

Die  Italienerin  in  der  Provinz  Bari  darf,  wenn  sie  in  den  Wochen  ist, 
40  Tage  hindurch  keine  Fische  essen.     (Karusio,) 

Der  Wöchnerinnen-Trank  der  Galizierin  besteht  aus  Branntwein,  Honig 
und  Fett,  oder  aus  einem  Aufguss  verschiedener  Gewürze,  welche  die  Eigenschaft 
haben  sollen,  die  Eingeweide  wieder  in  Ordnung  zu  bringen. 

In  Deutschland  giebt  man  vieliach  der  Neuentbundenen  Ghamillenthee, 
Fenchelthee,  Fliederthee,  Hafergrütze,  Milch  mit  Wasser  oder  auch  Warmbier. 

Am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  gab  man  der  Wöchnerin,  wie  es  in  des  ge- 
treuen EckartKs  unvorsichtiger  Hebamme  heisst,  gleich  nachdem  man  sie  vom 
Gebärstuhle  in  das  Wochenbett  gehoben  hat, 

«eine  warme  Suppe  oder  Brühe  von  gestossenen  HOhneni,  Kalbfleisch  oder  BindfleiBch, 
mit  ein  wenig  Gewürze  von  Muscaten-Blüth,  Galgant,  Zittwer  und  Nagelein,  oder  wo  die 
Mittel  nicht  seyn,  eine  Langwel  (Govent)  Nachbiersuppe  mit  sogenannten  neunerlei  Gewflrz 
angemacht.* 

Ehemals  verkaufte  man  sehr  allgemein  in  Deutschland  in  Specereiläden 
und  Apotheken  ein  zusammengesetztes  Gewürzpulver,  das  man  „Eindbettpulver* 
nannte.  Die  Regierung  von  Luzern  erliess  im  Jahre  1418  eine  Vorschrift,  nach 
welcher  die  Krämer  dieses  Pulver  bereiten  sollten:  Ingwer,  Zimmt,  Nelken, 
Pfeffer  (langen  und  kurzen),  Maten  (Macis),  Pariskömli  (Grana  Paradisi),  Muchanter 
(Muscatnuss),  Zucker  und  Safran;  ein  anderer  Stoff  durfte  darin  nicht  enthalten 
sein,  und  die  Krämer  mussten  alljährlich  schworen,  dass  sie  nur  vorschriftsmässig 
bereitetes  Pulver  verkaufen.  Ueber  die  Quantitäten  der  einzelnen  Stoffe  kam  dann 
im  Jahre  1483  eine  neue  Verordnung  heraus.  (Meyer-Ahrens,)  Dieses  aroma** 
tische  tt Kindbettpulver*  erinnert  an  die  Behandlung  der  Wöchnerin  bei  den  alten 
Indern. 

In  Schwaben  wird  Aloe  in  abführenden  Mengen  für  Wöchnerinnen  viel- 
faltig benutzt.     (Bück.) 

Es  ist  erst  wenige  Jahrzehnte  her,  dass  die  Aerzte  in  Deutschland  den 
Wöchnerinnen  eine  etwas  kräftigere  Diät  angedeihen  lassen,  während  man  die- 
selben früher  mit  schmalen  Wochensuppen  ernährte.  Das  war  um  das  Jahr  1600 
allerdings  anders,  wenigstens  in  Tyrol,  wie  uns  Hippditus  Guarinonius  in  seinen 
, Greueln  der  Verwüstung  menschlichen  Geschlechts*  erzählt: 


382.  Ernährung  und  Getränke  im  Wochenbett  bei  den  Völkern  Europas.  329 

.Jetzt  hör  ein  erbärmliche  Klag  einer  Kindbetterin,  so  eine  geborne  Zflllers  Thalerin 
geführt  hat,  welliche  zu  einem  vermflglichen,  auch  wol  bekandten  Bawren,  bey  Schwatz  auf 
dem  Galtsan  wohnhaft,  verheurat,  und  zum  ersten  in  die  Eindelbeth  kommen  wäre,  derer 
ihr  Pflegamb  inner  Tag  und  Nacht  swölff  mal,  und  nit  wenig  zu  fressen  gab.  Nun  begab 
es  sich,  dass  diese  Kindbetterin  dberauss  sehr  traurig  worden,  und  die  meiste  Zeit  mit 
seuffzen  und  weynen  verbrachte  und  niemandt  auss  ihr  bringen  kundte,  was  sie  doch  zu 
sollichem  grossen  trauren  bewegte;  als  aber  über  zwey  Wochen,  zwey  ihrer  befreunden  auss 
Zu  11  er  st  all  zu  ihr  in  die  Kindelbett  kommen,  und  befunden,  dass  sie  in  denen  ersten  14  Tagen 
am  Bauch  und  Leib  nicht  auf  Züllerstallerisch  an-  und  auffgeloffen  war,  bespracheten  sie 
die  Pflegamb,  ob  sie  nit  genug  zu  essen  hette,  oder  was  ihr  doch  gebreste?  Als  aber  die 
Amb  zur  Antwort  geben,  sie  hette  bisher  noch  kein  Kindbetterin  gehabt,  die  so  viel  als  diese 
anff  einmal,  und  zu  so  viel  malen  gefressen  hette,  fuhr  ihr  die  Kindbetterin  in  die  Red,  und 
schier  ins  Haar,  sprechend,  mit  nichten,  sie  leugt  in  ihren  Halss,  sie  giebt  mir  nicht  mehr 
als  zwölff  mal  unter  Tag  und  Nacht  zu  essen,  das  eben  die  Ursach  meines  Seufiftzens  und 
stets  werenden  weynens  ist.  Hierüber  die  andern  zwo  ihre  gross  batzende  nebenbäurin  sampt 
ihr,  die  Amb  todt  haben  wollten,  und  ernstlich  gebotten,  das  sie  hinfüro  ihr  nicht  weniger, 
als  24 mal  solte  zu  fressen  geben.* 

Wir  erfahren  aber  aach,  in  welcher  Weise  diese  absonderliche  Wochenbetts- 
diät eingerichtet  war: 

«Wann  aber  auch  jemand  insonderheit  gern  ein  Fress-Ezempel  der  Edlen  Frawen  in  der 
Kindelbeth  wüste,  dem  will  ich  unter  vielen  eins  erzehlen.  Diese  in  ihrem  Sinn  fast  klug 
und  massig,  und  viel  eingezogener  in  der  Kindelbeth,  als  die  andern  Frawen  lebete.  Und  weil 
sie  hatt  gehört,  dass  die  Dewung  (Verdauung)  im  Magen  zu  morgens  früe  bey  süssem  Schlaff 
geschehe,  darumben  nam  sie  morgens  früe  umb  drey  Uhr  oder  ein  wenig  davor  ein  Suppen 
mit  drei  Eyr,  und  ihren  Specereyen  drein,  schlieffe  darauf  bis  auf  fünff  Uhr,  und  weil  sie  zu 
solcher  Stund  ihr  Kind  saugen  solte,  damit  ihr  nit  etwan  ein  Ohnmacht  oder  Schwache  zu- 
gieng,  namb  sie  ein  Eyrmuss  von  drei  Eyren,  sampt  einer  guten  Hannen  Suppen  zu  ihr.  Umb 
die  siebne  bracht  ihr  die  Pflegamm  ein  par  frische  Eyr.  Umb  die  nenne  ein  guts  Dotter- 
süpple  mit  Specereyen  und  etliche  Streiblen,  mit  eim  guten  trunck  gerechten  Traminer,  der 
wermet  die  Mutter  wol.  Hierauff  folgt  das  Mittagmahl  mit  einem  Coppen,  etlich  gebratene 
Vögel,  ein  wild  Hännele,  und  zum  Beschluss  eine  silberne  Schal  mit  Wein  und  Brot  über- 
schütt,  mit  einem  Triset,  das  ist,  mit  zucker  und  allerley  Specereyen  unter  einander.  Hierauf 
gieng  ein  Schlaff le,  nach  wellichem  wieder  das  Kiod  saugete,  und  sie  umb  ein  Uhr  etliche 
Brandküchlen,  sampt  einem  guten  trunck  wein  zu  sich  name.  Umb  die  drey  folget  die  Mörend 
oder  Jausen,  nemlich  ein  gebratenes  Cöpple,  neben  eim  Schüsseln  voll  kleiner  Fischlen, 
Grundlen  und  Ffrillen  unter  einander,  dann  man  diese  gar  für  gesondt  holt,  und  die  Märend 
ohne  das  etwas  seltzames  und  lustigers  als  die  andern  Mahlzeiten  seyn  soll.  Der  Märend  Be- 
schlus  war  ihr  Wein  und  Brot  mit  Triset.  Umb  fElnf  uhr,  als  das  Kind  wieder  saugen  solle, 
der  schwäche  für  zu  kommen,  ein  gutes  Eyrküchle,  und  ein  trunck  Wein,  hierauff  das  Nacht- 
mahl mit  fünf  oder  sechs  Speissien,  gesottens  und  gebratens,  auch  mit  etlichen  kleinen  Äsch- 
lein oder  Förchlen  oder  gerösten  Dolmen,  weil  diese  gar  gesondte  Fischlen  für  die  Kindbetterin 
seyn  sollen.  Und  damit  sie  desto  lustiger  zum  essen  wer,  ladet  und  beruffet  sie  ihren  Mann 
zu  ihr,  der  ihr  Gesellschaft  leistete.  Umb  sieben  Uhr  gegen  Nacht  trank  sie  nichts,  dann 
eine  gute  Coppensuppen.  Um  neun  Uhr  vor  dem  Schlaff,  und  vor  dem  Kind  saugen,  nam  sie 
wiederumb  ein  Plan  voll  Brandküchlein  zu  ihr,  dann  sie  sagte,  dass  sie  auff  die  Nacht  fein 
schwämmig  und  ring,  und  gut  zu  verdeuwen  seyn,  und  beschlösse  mit  einem  Wein  und  Brot, 
und  Triset.  Wann  sie  aber  umb  Mittemacht  erwachte,  Hesse  ihr  ein  gutes  Dottersüpple  mit 
Specereyen  machen.  Und  war  der  Beschluss  ihres  überauss  massigen  und  eingezogenen  Lebens 
in  der  Kindelbett" 

In  manchen  Gegenden  Deutschlands  glaubt  man  im  Volke  auch  heute 
noch,  dass  es  nöthig  sei,  die  Kräfte  der  Wöchnerin  durch  reichliche  Nahrung 
schnell  wieder  herzustellen.  Im  Frankenwalde  nimmt  die  Wöchnerin  nicht 
selten  Bier  maassweise,  oder  Wein  in  beträchtlichen  Mengen  zu  sich.  Dort,  in 
Schwaben  und  in  vielen  Gegenden  Süd-Deutschlands,  treibt  man  insbesondere 
eine  unnatürliche  Schwelgerei  mit  der  sogenannten  Gevattersuppe,  indem  Gevatters- 
leute.  Verwandte  und  Freunde  abwechselnd  der  Wöchnerin  während  des  ganzen 
Verlaufs  des  Wochenbettes  gutschmeckende  Gerichte  bringen.  Im  Frankenwalde 
bestehen   dieselben   zumeist  aus  Eingemachtem,  mit   oder   ohne  Wein.     (Flügel.) 


330  LX.  Das  diätetische  Verhalten  im  Wochenbett. 

In  Schwaben  besteht  die  Kindbettsuppe  aus  einem  vollständigen  Essen;  Käse, 
Weissbrod  und  Braunbier  spielen  jedoch  die  Hauptrolle  dabei,  und  fernerhin 
schenken  hier  die  Gevattersleute  der  Frau  Weissbrod,  Zucker  und  Kaffee.  (Birlinger,) 
Im  nordwestlichen  Deutschland  giebt  man  der  eben  Entbundenen,  um  sie  so- 
gleich wieder  zu  kräftigen,  alsbald  ein  Gläschen  Franzbranntwein,  und  auch  an 
manchen  Orten  in  Oldenburg  eine  in  Butter  gebratene  Schnitte  Schwarzbrod. 
{Goldschmidt)  Zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  klagt  Finke  über  die  Diät 
der  Wöchnerinnen  in  Westfalen.  Während  dieselben,  so  lange  die  Schwanger- 
schaft dauert,  in  keiner  Weise  ihre  Speisen  und  Getränke  ändern,  dadurch  aber 
ünterleibsbeschwerden  erzeugen,  müssen  sie  vom  Augenblicke  der  Entbindung  an 
Biersuppen  mit  Pumpernickel,  Eiern,  Butter  und  Zucker  gekocht,  mehrere  Male  des 
Tages  geniessen,  um  Milch  zu  bekommen;  nun  aber  verdauen  sie  dies  nicht,  und 
es  entstehen  in  Folge  dessen  allerlei  Beschwerden. 

Dagegen  werden  nach  dem  allgemeinen  Brauche  in  Steyermark  die 
Frauen  während  der  ersten  vier  Tage  des  Wochenbettes  bei  schmaler  Kost  ge- 
halten, und  selbst  die  Fleischbrühe  darf  nicht  gewürzt  sein.  Der  fünfte  Tag 
aber  bringt  die  übliche  Hühnersuppe,  welche  Freundeshand  der  Wöchnerin 
spendet.     {Fossel) 

In  der  Pfalz  auf  dem  Lande  werden  nach  Fatdi  die  Wöchnerinnen  durch 
beständiges  Trinken  von  Chamillen-  oder  HoUunderthee  oder  Weinsuppen  ge- 
martert. In  den  Städten  daselbst  ist  man  aber  schon  etwas  klüger;  man  gestattet 
der  Wöchnerin  den  Genuss  von  Hühner-  und  Kalbsschenkelbrühen  und  von 
schleimigen  Suppen  aus  Gerste,  Reis  oder  Hafergrütze.  Auch  WoUblumenthee 
mit  Milch  und  später  etwas  Wein  mit  Wasser  giebt  man  ihr,  um  ihre  Kräfte 
zu  unterstützen. 

3SS.  Ernährnng  und  Getränke  Im  Wochenbett  bei  den  aussereuropälsehen 

Tolkern. 

Auch  bei  vielen  Völkern,  welche  sich  auf  nicht  sehr  vorgeschrittener  Cultur- 
stufe  befinden,  wird  die  Wöchnerin  in  ihren  Lebensbedingungen  als  dermaassen 
verändert  angesehen,  dass  sie  eine  ganz  besondere  Ernährung  und  Verpflegung  für 
sie  für  durchaus  erforderlich  halten. 

Bei  den  Mincopies  auf  den  Andamanen-Inseln  wird  dem  Weibe  bald 
nach  der  Entbindung  warmes  Wasser  zu  trinken  gegeben;  sie  wird  dann  mit 
Fleischbrühe  oder  mit  Wasser  ernährt,  in  welchem  Muscheln  und  Fische  gekocht 
wurden.  Nach  einiger  Zeit  erhält  sie  nach  Wunsch  Fische,  Muscheln,  Yams  oder 
Früchte,  aber  kein  Fleisch.     {Man,) 

Auf  den  Vi ti- Inseln  darf  nach  Williams  und  Calvert  die  Wöchnerin  nur 
bestimmte  Speisen  geniessen.  Auf  Neu-Seeland  erhält  sie  Wasser,  in  welchem 
Pipis  gekocht  worden  ist,  oder,  wenn  dieser  Gegenstand  mangelt,  wird  er  durch 
Saudistel-Abkochung  ersetzt.    {Marston.) 

Sofort  nachdem  das  Kind  geboren  ist,  verlässt  der  Samoaner,  der  seiner 
Frau  bei  der  Entbindung  beistand,  das  Haus,  um  ganz  junge  Kokosnüsse  zu 
pflücken;  er  entzündet  dann  ein  Feuer  im  Kochhause  und  bereitet  eine  aus  Ar- 
rowroot  bestehende  Masoa-Speise,  die  er  seiner  Frau  und  den  Verwandten  bringt. 
{Ktibary,) 

Die  malayische  Wöchnerin  in  Luzon  geniesst  Reis,  der  in  Wasser  gekocht 
ist;  wenn  es  die  Mittel  gestatten,  kommt  auch  ein  Huhn  auf  den  Tisch.  In  diesem 
Falle  wird  das  Huhn  im  Wasser  ersäuft,  um  so  alle  Luft,  die  (nach  ihrem  Glauben) 
sich  im  Körper  dieses  Thieres  vorfindet,  herauszutreiben,  sonst  könnte  die  Wöchnerin 
Schaden  erleiden.     {Pardo  de  Tavera.) 

Die  in  Fulda  entbundene  Sumatranerin  trank  zuerst  etwas  Thee  und 
forderte  sich  nach  einer  Stunde  eine  beträchtliche  Quantität  gequetschten  Reis  mit 
Rindfleisch;  dieses  war  dann  ihre  tägliche  Nahrung. 


383.  Ernährung  und  Getränke  im  Wochenbett  bei  den  ausaereuropäischen  Völkern.    331 

Nach  Schlagintweit  werden  der  Birmanin,  wenn  sie  niedergekommen  ist, 
die  Speisen  stark  gewürzt  und  gesalzen.  Am  dritten  Tage  wird  ängstlich  jedes 
Geräusch  im  Wochenzimmer  vermieden,  weil  dies  den  Blutwechsel  störe. 

Bei  den  Orang  Belendas  in  Malacca  darf,  wie  Stevens  berichtet,  die 
Wöchnerin  zehn  Tage  lang  kein  kaltes  Wasser  trinken.  Dafür  erhält  sie  einen 
warmen  Aufguss  von  Mirian  Sejok  zum  Getränk.  Dieser  soll  die  Zusammen- 
ziehung der  Genitalorgane  beschleunigen.  Während  der  ersten  fünf  Tage  ist  ihr 
nur  eine  Knollenart,  Namens  Kadi,  sowie  Reis  und  Pisang  zu  essen  erlaubt. 
Heisse  und  gewürzte  Brühen  sind  ihr  ganz  besonders  streng  verboten.     {BarteW.) 

Bei  der  Nayer- Kaste  in  Indien  geniesst  die  Wöchnerin  täglich  in  3  Mahl- 
zeiten, um  7  Uhr  Vormittags,  7  Uhr  Abends  und  Mittags  nach  der  Waschung 
Reis,  Curry,  Chi  und  Buttermilch.  {Jagor.)  Die  Frau  bei  der  Pulayer-Sclaven- 
Kaste  erhält  zur  Nahrung  Reis,  und  wenn  es  zu  beschaffen  ist,  Fisch  und  Ge- 
flügel; ausserdem  Morgens  und  Abends  ein  Kügelchen,  bestehend  aus  einem  Brei 
von  Panäshe,  das  ist  der  eingedickte  Saft  der  Palmyra-Palme  mit  schwarzem 
Pfeffer.  Bei  den  Veda  in  Travancore  muss  die  Wöchnerin  zur  Stärkung 
10  Tage  lang  eine  Abkochung  von  Reis,  Tamarinden  und  Pfeffer  trinken.    {Jagor,) 

Bei  den  Hindus  lässt  man  die  unglücklichen  Wöchnerinnen,  wie  Renouard 
de  St.  Croix  angiebt,  hungern  und  dursten  bis  zum  fünften  Tage;  man  giebt 
ihnen  allenfalls  etwas  trockenen  Reis,  doch  kein  Wasser,  wenn  auch  die  fürchter- 
lichste Hitze  herrschen  sollte.  Roherton  sagt,  dass  sie  ein  Pulver  aus  schwarzem 
Pfeffer,  Cubeben  und  Ingwer  erhalten,  das  sie  später,  mit  lauem  Wasser  zu  einer 
Paste  angerührt,  einnehmen  müssen. 

In  Madras  giebt  man  nach  der  Angabe  des  Missionar  JBeterJeen  einen  Trank 
aus  heissem  Wasser  mit  gestossenem  Pfeffer. 

In  den  portugiesischen  Besitzungen  Indiens  erhält  die  Wöchnerin  am 
10.  Tage  des  Wochenbettes  als  Reinigungsmittel  ein  Getränk,  das  aus  5  Secre- 
tionen  der  Kuh  zusammengesetzt  ist. 

Die  alten  Inder,  bei  welchen  das  Selbststillen  der  Mütter  nicht  Sitte  ge- 
wesen zu  sein  scheint  (da  Susruta  meist  von  Ammen  spricht),  nehmen  bei  der 
Kost  in  den  ersten  Tagen  des  Wochenbettes  auf  den  bevorstehenden  Milchandrang 
Rücksicht: 

.Denn  da  in  3  bis  4  Tagen  die  Milch  eintritt,  so  soll  die  Wöchnerin, "  wie  Susruta 
anrilth,  ,am  ersten  Tage  nur  Honigbutter,  mit  Panicum  dactylum  gemischt,  drei  Mal  erhalten; 
erst  nach  dem  dritten  Tage  soll  sie  Milch  mit  Butter  und  Honig  gemischt  (zwei  Mal  täglich 
80  viel,  wie  in  eine  Hohlhand  geht)  gemessen.*  Sie  erhielt  dann  zunächst  «windtreibende 
Species*,  und  .wenn  sie  mit  den  übrigen  Fehlem  behaftet  war",  so  lange  die  Lochien  flössen, 
ein  Pnlver  von  verschiedenen  Pfeffersorten,  Ingwer  u.  s.  w.  in  warmem  Znckerwasser,  von  da 
an  drei  Nächte  lang  Oerstenschleim  in  Oel  oder  Milch,  und  erst  alsdann  erlaubte  man. Reis 
mit  Fleischbrühe,  Gerste  und  andere  stärkemehlhaltige  Speisen.  Stammte  die  Wöchnerin  aus 
öder  Gegend,  so  Hessen  die  altindischen  Aerzte  nur  geklärte  Butter  oder  Oel,  als  Getränk 
auch  das  Decoct  von  Piper  longum  u.  s.  w.  gemessen,  und  sie  musste  drei  bis  fünf  Nächte 
beständig  mit  Oel  gesalbt  werden.  (Noch  jetzt  sind  der  Genuss  des  Pfeffertranks  und  die 
Einsalbnngen  der  Wöchnerin  Sitte.)  War  die  Frau  hingegen  kräftig,  so  Hess  man  sie  drei 
bis  feinf  Nächte  sauren  Reisschleim  trinken,  und  darauf  gab  man  ihr  eine  fettige  Speise- 
mischung. 

Die  chinesischen  Aerzte  rathen  der  Wöchnerin,  unmittelbar  nach  der 
Entbindung  ein  Spitzglas  vom  Urin  des  Kindes  zu  trinken.  Alsdann  erhält  sie 
dünngekochte  Fleischbrühe  mit  Zwieback.  Fleisch  aber  ist  ihr  verboten,  nament- 
lich Schweinefleisch  darf  sie  vor  dem  10.  Tage  nicht  geniessen,  ebenso  wenig 
Hühner-  und  Enteneier.  Uebrigens  verordnen  die  Aerzte,  dass  sie  „nur  gesunde 
und  frische  Nahrung"  zu  sich  nehmen  dürfe,  hitzige  Getränke  und  scharf  ge- 
salzene Speisen  aber  müsse  sie  meiden. 

Die  Wöchnerin  in  Japan  erhält  eine  bekannte  japanische  Speise,  Miso 
genannt,   aus  Reis,  Bohnen  und  Salz  bereitet.     Nach   Kangmva  sollen   weisse 


332  LX.  Das  diätetische  Verhalten  im  Wochenbett 

Pflaumen  and  schwarze  Bohnen  während  des  Wochenbettes  nicht  gegessen 
werden,  weil  erstere  durch  ihre  Säure  die  Wochenreinigung  stören,  letztere  die 
Wirkung  der  Medicamente  hindern  könnten.  Aromatische  Mittel  sollen  während 
des  Wochenbettes'^  nicht  gebraucht  werden. 

In  den  ersten  f&nf  bis  sechs  Tagen  darf  nach  v.  Siebold  die  Wöchnerin  bei 
den  Ainos  nur  Hirsebrei  und  Lachs  gemessen. 

Die  Perserinnen  nehmen  während  der  ersten  drei  Tage  nur  Vegetabilien, 
viel  Zucker  und  Butter  zu  sich.  (Polak.)  Die  Eoräkinnen  verzehren  etwa» 
Fleisch  und  Blut  von  dem  Rennthier,  welches  der  Ehemann  bei  ihrer  Entbindung 
geopfert  hatte. 

Ist  bei  den  Ghewsuren  das  Kind  zur  Welt  gekommen,  so  bringen  Ver- 
wandte, gewöhnlich  kleine  Mädchen,  und  zwar  zur  Dämmerungszeit,  der  Entbun- 
denen MUch,  Käse  und  das  landesübliche  Brod.  Dieses  letztere  ist  das  gröbste, 
was  im  Kaukasus  gefunden  werden  kann.     (Badde.) 

Die  Wöchnerin  bei  den  Kirgisen  im  Gebiete  von  Semipalatinsk  erhält 
am  3.  Tage,  nachdem  sie  ein  Bad  genommen  hat,  „Surpa'^  zu  trinken,  d.  h.  eine 
Bouillon  aus  Schaffleisch,  welche  mit  Zimmt  bestreut  ist;  auch  Ingwer,  Gfalgant, 
und  eine  Wurzel  Namens  Sarbug  wird  hinzugesetzt.  Diese  Wochensuppe  erhält 
sie  bis  zum  8.  Tage. 

Die  Kalmückin  in  Astrachan  geniesst  während  der  ersten  3  Wochenbetts- 
tage, nach  Meyerson^  keine  andere  Nahrung,  als  die  Brühe  gekochter  Schafsftisse. 
Nach  KreheCs  Angabe  isst  die  Kalmückin  unmittelbar  nach  der  Geburt  ein 
wenig  SchafQeisch,  nach  und  nach  mehr,  aber  viel  Fleischbrühe. 

Bei  den  nomadisirenden  Stämmen  in  Kleinasien  gilt  die  Wurzel  der  Rubia 
tinctorum  als  ein  Mittel,  das  den  Wochenfluss  befördert,  wenn  er  ins  Stocken 
gerathen  ist. 

In  Jaffa  giebt  nach  Tolleres  Bericht  die  Hebanmie  der  Entbundenen,  noch 
bevor  die  Placenta  entfernt  ist,  ein  Gläschen  voll  Olivenöl  zu  trinken,  und  bis- 
weilen wird  auch  etwas  Branntwein  hinterher  gegeben.  In  Jerusalem  erhalt 
die  Wöchnerin  gleich  nach  der  Entbindung  Branntwein  mit  Muskatnuss  oder 
Wein  mit  Olivenöl,  nach  3  bis  4  Stunden  giebt  man  ihr  Chamillenthee  oder 
HüHnersuppe,  in  seltenen  Fällen  auch  wohl  Chocolade;  40  Tage  lang  darf  sie 
kein  frisches  Wasser  trinken,  sondern  dasselbe  muss  abgekocht  und  mit  Orangen- 
blüthe  versetzt  sein. 

Die  Negerin  in  Old-Galabar  erhält  gleich  nach  der  Entbindung  eine 
grosse  Mahlzeit,  die  ihr  Ehemann  während  der  Geburtsarbeit  zubereitet  hat  imd 
von  der  sie  reichlich  zu  sich  nimmt.  (Hetvan.)  Die  Guinea-Negerinnen  ge- 
niessen  im  Wochenbett  nach  Purchas  etwas  Oel  und  Manioc  oder  Getreide. 

Sofort  nach  der  Entbindung  giebt  man  der  Wöchnerin  bei  den  Woloff- 
Negern  eme  Calebasse  voll  eines  Getränkes  aus  geronnener  Milch,  Palmöl,  Zucker 
und  Tamarinden-Pulpa,  oder  dem  Saft  der  Baobab-Früchte,    {de  Bochebrune.) 

Die  Guinea-Negerin  im  Bissago-Archipel  erhält  eine  Kürbisschale 
voll  von  einer  Abkochung  aus  Reis,  Mais,  Palmwein  und  Malagutta-Pfeffer 
(Amonum  granum  paradisi). 

In  Central-Afrika  darf  nach  Felkin  die  Wöchnerin  eine  Woche  hindurch 
kein  Fleisch  geniessen. 

Die  Diät  der  Wöchnerin  bei  den  Wakamba  und  deren  Nachbarvölkern  in 
Ost- Afrika  ist  wenig  verschieden  von  der  des  gewöhnlichen  Lebens.  Bei  den 
Waswaheli  und  Nyassa-Negern  nimmt  sie  stark  mit  Gayenne- Pfeffer  und 
ähnlichen  Dingen  gewürzte  Speisen  zu  sich.    (Hüdebrandt^,) 

Während  der  ersten  8  Tage  des  Wochenbettes  darf  bei  den  Basutho  die 
Frau  keinen  Schluck  Wasser  erhalten.  Erst  am  4.  Tage  ist  ihr  gestattet  Wasser 
zu  trinken,  denn  die  Leute  sagen:  «das  Wasser  wird  sie  tödten,  sie  wird  sterben.* 


883.  Ernährung  und  Getr&nke  im  Wochenbett  bei  den  ausserenropäischen  Völkern.     333 

Der  Missionar  Griltener  konnte  nicht  erfahren,  aus  welchen  Gründen  diese  Vor- 
stellung entstanden  ist. 

üeher  die  Diät  der  Wöchnerin  bei  den  Ovaherero  bestehen  sehr  absonderliche 
Torschriften: 

Gleich  am  Tage  der  Geburt  wird  ein  Stück  Vieh  geschlachtet,  welches  je  nach  den 
Vermögensyerhältnissen  des  Vaters  ein  Schaf  oder  ein  Ochse  ist.  Der  Hals,  die  langen  Rippen 
mit  dem  betreffenden  RCLckentheil  ist  fOr  die  Männer,  doch  dürfen  die  Frauen,  aber  nicht  die 
Wöchnerin  davon  essen.  Von  dem  Übrigen  Fleisch  dürfen  Männer  nicht  essen.  Das  Fleisch 
für  die  Wöchnerin  heisst  ongarangandye.  Die  Brust  und  ein  Oberschenkelknochen  wird  weg- 
gesetzt, bis  der  Nabel  des  Kindes  abgefallen  ist.  Bis  zu  diesem  Zeitpunkt  darf  auch  das 
Fleisch  für  die  Wöchnerin  nur  an  der  hinteren  Thüre  ihrer  Hütte  gekocht  werden.  Gleich 
mit  dem  ersten  Fleisch,  welches  gekocht  wird,  muss  eine  Kniescheibe  mit  einem  daran- 
sitzenden Stück  Fleisch  in  den  Topf  gethan  werden.  Die  Wöchnerin  darf  aber  dieses  Fleisch 
nicht  essen,  sondern  muss  es  in  ihrer  Schüssel  unberührt  liegen  lassen,  bis  der  Nabelstrang  des 
Kindes  abgefallen,  dann  darf  es  von  Jedermann  gegessen  werden.  Wenn  die  Wöchnerin  auch 
hauptsächlich  nur  Fleischbrühe  trinkt,  so  darf  die  Fleischschüssel  doch  nicht  leer  werden. 
Ebenso  muss  sie  stets  gegohrene  Milch  in  dem  neben  ihr  stehenden  Milcheimer  haben. 
(Danner,) 

Hat  die  Malgaschen-Frau  einen  Knaben  geboren,  so  darf  die  Mutter 
iängere  Zeit  kein  Fleisch  von  einem  männlichen  Thiere  essen;  ist  es  aber  ein 
Mädchen  gewesen,  so  muss  sie  die  weiblichen  Thiere  vermeiden.  Erst  nach  der 
Entwöhnung  entbindet  sie  der  Priester  von  diesem  Zwange.     {Audebert) 

In  den  Nilländern  erhalten  die  Wöchnerinnen  Wermuth,  Chamillen, 
Eümmelabkochung  u.  s.  w.  zur  Förderung  des  Lochienflusses,  und  man  beschwert  die 
Wöchnerin  mit  fetten  und  stark  gewürzten  Speisen.  In  Därfür  giebt  man  ihr 
Mittags  Huhn  und  Madideh  oder  Dokhubrei  mit  Alöb  (der  adstringirenden  Frucht 
von  Balanites  aegyptiaca)  oder  die  Pulpa  der  Adansonia. 

In  Ober-Aegypten  bekommt  die  Frau  sogleich  nach  der  Entbindung 
Schmelzbutter  mit  Honig  und  Hornklee  (belbe),  und  täglich  muss  sie  wenigstens  ein 
Huhn  oder  ein  gutes  Stück  Fleisch  verzehren,  welches  ihr  die  Nachbarinnen  und 
Freundinnen  spenden.    (Klunzinger,) 

In  Kordofan  reicht  man  ihr  ein  aus  Milch,  getrockneten  Datteln  und 
Natron  bereitetes  Getränk.  (Ignaz  PaUme.)  Bei  denSzuaheli  isst  sie  nach  der 
Geburt  Reis  mit  safranähnlicher  Substanz  und  Honig,  dann  Reis  mit  Fleischbrühe, 
wie  die  gewöhnlichen  Leute.  (Kersten.)  InAbyssinien  bekommt  die  Wöchnerin 
als  Medicament  ein  grosses  Glas  Butter  mit  Honig  und  Gewürz  gemischt,  welches 
sie  hinunterschlucken  muss;  häufig  erregt  diese  Arznei  ein  leichtes  Erbrechen. 
(Blanc.) 

Auf  Massaua  an  der  Ostküste  Afrikas  giebt  man  der  Entbundenen  als- 
bald nach  der  Niederkunft  eine  Tasse  der  hier  immer  flüssigen  Butter  zu  trinken, 
und  wiederholt  dieses  während  des  Wochenbettes.  Aber  auch  mit  anderer  Nahrung 
wird  die  Wöchnerin  gut  verpflegt.    (Brehm.) 

Bei  den  Maxurunas  in  Süd-Amerika  darf  die  Wöchnerin  kein  Fleisch 
Ton  Affen,  sondern  nur  das  von  Hoccos  essen,  (v.  Martins.)  Unmittelbar  nach 
der  Niederkunft  trinkt  die  Frau  der  Antis  oder  Campas  am  Amazonenstrome 
den  schwarzen  Aufguss  des  adstringirenden  Genipa- Apfels  oder  Huitoch,  mit  dem 
sie  sich  auch  wäscht.  (Grandidier.)  Die  Indianer  in  Chile  geben  nach  Marg- 
gtaf  von  lAehstad  den  Wöchnerinnen  Fleisch  zu  essen,  damit  sie  die  Kräfte  bald 
wieder  erlangen. 

Die  Indianerin  am  Orinoco  dagegen  muss  während  des  Wochenbettes 
fasten,  bis  zu  der  Zeit,  wo  dem  Kinde  der  Rest  der  Nabelschnur  abgefallen  ist. 
(Abt  GilL)  Auch  die  Wöchnerin  in  Los  Angeles  in  Californien  darf  die 
ersten  3  Tage  hindurch  keine  Nahrung  zu  sich  nehmen;  als  Getränk  erhält  sie 
nur  warmes  Wasser. 


334  L^*  ^^  diätetische  Verhalten  im  Wochenbett. 

384.  Mangelnde  Wocbenbettspflege. 

Es  kann  füglich  bei  solchen  Volkern  von  einer  Wochenbettspflege  überhaupt 
nicht  die  Rede  sein,  wo  die  Weiber  fast  unmittelbar  nach  der  Niederkunft,  als 
wenn  gar  nichts  geschehen  wäre,  wieder  an  ihre  tägliche,  gewohnte  Arbeit  zu 
gehen  pflegen.  Wir  haben  an  einer  früheren  Stelle  bereits  sehr  zahlreiche  Bei- 
spiele hiei^r  kennen  gelernt.  Der  ursprüngliche  Beweggrund  f&r  ein  solches, 
in  unseren  Augen  unerhört  rücksichtsloses  Verfahren  ist  wohl  darin  zu  suchen, 
dass  auf  den  allerniedrigsten  Stufen  der  Civilisation  das  Hauptbedingniss  für  eine, 
wenn  auch  nur  ganz  oberflächliche  Wochenpflege  mangelt,  nämlich  die  Sesshafbig- 
keit.  Die  auf  steter  Wanderung  befindlichen  Stämme  können  nicht  eines  nieder- 
kommenden Weibes  wegen  Halt  machen;  sie  müssen  weiter,  bis  sie  das  vorge- 
steckte Ziel  des  Tages,  das  ihnen  Schutz,  Nahrung  und  namentlich  Wasser  ge- 
währt, glücklich  erreicht  haben.  Und  so  bleibt  auch  der  soeben  Niedergekommenen 
nichts  Anderes  übrig,  als  mit  dem  Neugeborenen  beladen,  so  gut  es  eben  gehen 
will,  den  Stammesgenossen  zu  folgen.  Denn  die  Trennung  von  ihnen,  die  Ein- 
samkeit ist  auf  solcher  Gulturstufe  der  sichere  Tod.  So  finden  wir  es  noch  heute 
nach  Oberländer  in  Australien,  in  der  Provinz  Victoria,  so  bei  vielen  In- 
dianern, und  nach  Musters  auch  bei  den  Patagoniern,  wo  die  Weiber  kurze 
Zeit  nach  der  Niederkunft  wieder  zu  Pferde  steigen  und  dem  Stamme  nachjagen. 

Aber  auch  bei  vielen  sesshaften  Völkern,  und  selbst  bei  solchen,  welche 
bereits  eine  recht  hohe  Gulturstufe  erreicht  zu  haben  glauben,  vermissen  wir  gar 
nicht  selten  eine  richtige  Pflege  und  Schonung  während  der  Wochenbettsperiode. 

Eine  südslavische  Bäuerin  in  Bosnien,  die  in  der  Nacht  geboren  hatte^ 
sah  Jukic  schon  am  nächsten  Tage  am  gefrorenen  Bache  barfuss  das  Eis  auf- 
hacken ;  Krauss  hält  dies  bei  der  Abhärtung  der  Frauen  gegen  Erkältung  für 
keineswegs  verwunderlich.  Auch  die  Indianerinnen  gehen  sofort,  nachdem  sie 
ihr  Reinigungsbad  unmittelbar  nach  der  Entbindung  genommen  haben,  wieder  an 
die  Arbeit.    (Baumgarten.) 

Wie  wenig  die  Wotjäkin  daran  denkt,  nach  der  Niederkunft  sich  eine 
Zeit  lang  zu  schonen,  hat  Buch  aus  eigener  Anschauung  geschildert: 

,Bei  Gelegenheit  wotj&kischer  Hochzeitsfeierlichkeiten  fuhr  ich  jeden  Tag  hinaus 
nach  dem  Dorfe  Gondyrgurt  (im  wotjäkischen  Gonv.),  und  stellte  mein  Pferd  immer 
bei  demselben  Bauer  ab.  An  einem  dieser  Tage  war  ich  nun  sehr  erstaunt,  sein  ganzes  Ge* 
höft  schlafend  zu  finden ;  sein  Vater  lag  auf  dem  Hofe,  er  selbst,  ein  sonst  tüchtiger  Mensch, 
lag  im  Flur  auf  dem  Gesichte  und  schnarchte.  Ich  hielt  es  anfänglich  für  die  Folgen  der 
benachbarten  Hochzeit.  Im  7immer  jedoch  fand  ich  die  Hausfrau  beschäftigt  mit  dem  Ab- 
räumen der  Reste  eines  Schmauses;  sie  wirthschaftete  flink  in  der  Stube  herum  und  berichtete 
mir,  dass  heute  Taufe  gewesen  sei;  .da  liegt  das  Neugeborene,  willst  Du  es  Dir  ansehen?' 
sagte  sie.  Aber  gestern  Abend  sah  ich  Dich  ja  noch  ganz  munter  kochen  und  backen,  ant- 
wortete ich  sehr  erstaunt,  wie  hast  Da  denn  das  so  rasch  abgemacht?  ,Je  nun,''  sagte  sie,, 
^in  der  Nacht  gebar  ich,  am  Morgen  wurde  das  Kind  in  die  Kirche  gebracht  und  getauft,, 
darauf  kamen  die  Taufgäste,  da  musste  ich  kochen  und  backen ,  denn  wer  hätte  das  sonst 
besorgen  sollen?"  Wird  das  bei  Euch  immer  so  gemacht?  fragte  ich  noch  immer  sehr  er- 
staunt. „Natürlich,"  meinte  sie,  .wer  wollte  sonst  den  Männern  das  Essen  kochen  und  backen^ 
denn  wer  hätte  das  sonst  besorgen  sollen?"  Buch  ging  fort  auf  die  Hochzeit,  und  es  dauerte 
nicht  lauge,  so  war  die  Frau  auch  da,  trank  ab  und  zu  ein  Gläschen  Kumyska  und  befand 
sich  augenscheinlich  wohl.  Sie  hatte  in  ähnlicher  Weise  früher  schon  sechs  .Wochenbetten"^ 
durchgemacht,  wenn  man  sich  dieses  unter  solchen  umständen  nicht  ganz  passenden  Ausdruckes 
bedienen  will,  und  erfreute  sich  stets  einer  ausgezeichneten  Gesundheit." 

Pallas  sagt  von  den  Kalmückinnen: 

.Die  Wöchnerin  sieht  man  schon  oft  den  zweiten  Tag  nach  der  Geburt  ausreiten  und 
alle  Geschäfte  abwarten,  sie  darf  sich  aber  im  Anfang  nicht  anders  als  mit  verhülltem  Haupt 
zeigen,  und  kann  auch  vierzig  Tage  lang  nicht  beim  Gottesdienst  erscheinen." 

Einen  gleichen  Mangel  jeglicher  Pflege  der  Wöchnerin  finden  wir  auf 
manchen  Inseln  des  alfurischen  Meeres  und  der  Südsee,  z.B.  auf  Samoa 


385.  Die  Daner  des  Wochenbettes.  335 

(Wiüces)^  den  Marquesas-Inseln  (v.  Langsdorff)  und  Hawaii.  Auf  den 
Philippinen  geht  auch  die  Malayin  gleich  nach  der  Entbindung  an  die 
Arbeit  (aber  nicht  die  Negrita).  (Blumentritt)  Das  Gleiche  finden  wir  bei 
den  Alfuren  auf  Serang,  und  es  wiederholt  sich  hei  den  südlichen  Afri- 
kanern, den  Namaqua  und  Betschuanen. 

Im  ganzen  südlichen  China  und  in  Ganton  (wo  etwa  300,000  Menschen 
beständig  in  Booten  auf  dem  Flusse  leben)  werden  die  Passagierboote  nur  von 
Frauen  geführt,  die  sehr  arm,  meist  ledig,  aber  wenig  moralisch  sind  und  ein 
sehr  hartes  Loos  haben.  Oft  haben  sie  ein  drei  Tage  altes  Kind  auf  dem  Rücken, 
während  ihre  übrigen  fünf  bis  sechs  Jahre  alten  Kinder  vorn  im  Boote  mit  kleinen 
Rudern  arbeiten;  und  dabei  müssen  sie  selber  die  schwere  Arbeit  des  Rudems 
verrichten. 

Trotz  der  geringen  körperlichen  Pflege  bieten  aber  diese  Bootsfrauen  ein 
eclatantes  Beispiel  von  der  ungemeinen  Fruchtbarkeit  der  Chinesinnen;  denn 
Beinhold  fand  in  Hongkong,  Macao  und  Canton  unter  zehn  Bootsfrauen  stets 
neun  mit  einem  Kinde  auf  dem  Rücken,  wahrend  die  Mutter  oft  selbst  noch  ein 
Kind  zu  sein  schien. 

Von  den  amerikanischen  Eingeborenen  haben  wir  bereits  gesprochen; 
sie  halten  fast  alle  eine  Schonung  nach  der  Niederkunft  ebenfalls  für  absolut 
unnöthig. 

Doch  wir  haben  in  dieser  Beziehung  gar  nicht  nothwendig,  so  in  der  Feme 
zu  suchen.  Denn  auch  die  Frauen  unseres  norddeutschen  Proletariats  sieht 
man  gar  nicht  selten  schon  am  zweiten  oder  spätestens  am  dritten  Tage  ihre 
schwere  Arbeit  wieder  aufnehmen,  und  ganz  ähnliche  Gebräuche  herrschen  in  der 
Oberpfalz  (Brenner- Schaeffer)  und  in  Bayern  auf  dem  Lande.  (Fuchs.)  Auch 
im  Siebepbürger  Sachsenland  wird  an  manchen  Orten  auf  dem  Lande  der 
Wöchnerin  nicht  die  gehörige  Ruhe  gegönnt  und  nicht  die  nöthige  Pflege  ge- 
widmet; oft  muss  die  „Arme**  gleich  nach  der  Entbindung  vom  Bette  aufstehen,  die 
Büffelkühe  melken  und  das  Hauswesen  besorgen,  wodurch  sie  dann  nicht  selten 
in  eine  schwere  Krankheit  verfällt  imd  ihr  ganzes  Leben  lang  mit  einem  siechen 
Körper  behaftet  bleibt.  Gewöhnlich  hütet  eine  Wöchnerin  auf  dem  Lande  das 
Bett  etwa  drei  bis  acht  Tage. 

Kein  Wunder  ist  es,  dass  ein  solcher  Mangel  an  Rücksicht  auf  den  durch 
die  Schwangerschaft  und  die  Entbindung  geschwächten  Körper  nicht  ohne  ernst- 
liche Nachtheile  vorübergeht.  Ein  schnelles  und  ganz  überraschendes  Welken 
und  Verblühen  ist  die  ganz  gewöhnliche  Folge  dieser  Schonungslosigkeit,  und  es 
ist  keine  ganz  seltene  Erscheinung,  dass  man  Frauen,  welche  die  Dreissig  noch 
kaum  erreicht  haben,  für  alte  Matronen  in  den  Sechzigern  ansieht.  Aber  auch 
an  dem  Genitalapparate  entwickeln  sich  durch  das  zu  frühe  umhergehen  sehr 
häufig  Senkungen  oder  Lageveränderungen  der  Gebärmutter,  Vorfall  der  Scheide 
u.  8.  w.,  welche  für  das  ganze  spätere  Leben  eine  dauernde  Quelle  von  Krank- 
heiten und  Siechthum  abgeben. 


385.  Die  Daner  des  Wochenbettes. 

Es  bedarf  nach  den  vorherigen  Auseinandersetzungen  kaum  erst  der  Be- 
merkung, dass  die  Dauer  des  Wochenbettes  bei  den  verschiedenen  Völkern  eine 
sehr  verschiedene  ist.  Wie  viel  oder  wie  wenig  Schonung  die  Frischentbundene 
sich  angedeihen  lässt,  dafür  ist  nun  aber  durchaus  nicht  etwa  die  Rasse  ent- 
scheidend. Im  Gegentheil,  wir  finden  in  dieser  Beziehung  bei  nah  verwandten 
und  benachbarten  Völkern  gar  nicht  selten  ein  sehr  verschiedenartiges  Verhalten. 
Es  sind  eben  auch  hier  althergebrachter  Brauch  und  alte  Gewohnheit,  welche 
diese  Verhältnisse  beherrschen. 


336  '    ^^'  ^^  diätetische  Verhalten  im  Wochenbett. 

Zwei  Erscheinungen  sind  es  aber,  welche  vielleicht,  bei  manchen  Nationen 
wenigstens,  hier  bestimmend  eingewirkt  haben  mögen.  Die  eine  ist  der  blutige 
Ausfluss  aus  den  Geschlechtstheilen  der  Mutter,  und  die  zweite  die  allmähliche 
Schrumpfang  und  der  schliessliche  Abfall  des  Nabelschnurrestes.  Waren  der  eine 
oder  der  andere  dieser  Processe  beendet,  dann  hielt  man  wohl  die  Wochenbetts- 
zeit für  abgeschlossen.  Und  hieraus  erklärt  sich  vielleicht  auch  die  bei  so  vielen 
Völkern  auf  nur  wenige  Tage  berechnete  Schonung  der  Wöchnerin. 

So  wird  auf  den  Watubela-Inseln  an  dem  Tage,  wo  der  Nabelschnurrest 
abge&llen  ist,  die  Wöchnerin  in  feierlicher  Weise  zum  Baden  geführt. 

Ueber  die  Dauer  des  Wochenflusses  bei  fremden  Rassen  wissen  wir  leider 
bis  jetzt  ganz  ausserordentlich  wenig.  Bei  den  deutschen  Frauen  pflegt  er  vom 
5.  Tage  ab  seine  blutige  Farbe  allmählich  zu  verlieren;  er  besteht  aber  als  blass- 
rosa  gefärbter  schleimiger  Ausfluss  gar  nicht  selten  noch  3  bis  4  Wochen  lang. 
Als  von  sehr  kurzer  Dauer,  respective  nur  wenige  Tage  anhaltend  wird  ims  von 
Riedel^  der  Wochenfluss  der  Frauen  auf  Ambon  und  den  Üliase-Inseln,  auf 
Serang,  Tanembar  und  Timoriao,  auf  Leti,  Moa  und  Lakor  und  auf  den 
Watubela-Inseln  geschildert.  In  Guinea  und  Gayenne  hören  nach  Bajon 
bereits  am  dritten  Tage  die  Lochien  zu  fliessen  auf. 

Der  Wochenfluss  der  Viti-Insulanerinnen  dauert  nach  Blyth  zehn  Tage  an. 

In  Mexiko  dagegen  dauert,  vfiQ  Engdmann  berichtet,  der  Wochenfluss  bei 
den  Eingeborenen  meistens  bis  zum  40.  Tage,  und  erst  nach  dem  Ablauf  dieser 
Zeit  wagen  die  Frauen  ein  Bad  zu  nehmen.  Es  hat  also  den  Anschein,  als  ob 
hier  wirklich  bei  verschiedenen  Rassen  ein  verschiedenartiges  Verhalten  sich  nach* 
weisen  liesse. 

Ueber  die  minimale,  gleich  Null  zu  betrachtende  Dauer  des  Wochenbettes, 
wo  man  die  Entbundenen  an  demselben  oder  spätestens  am  nächsten  Tage  wieder 
bei  der  gewohnten  Arbeit  findet,  haben  wir  bereits  vorher  gesprochen.  Eine  2 
bis  3  Tage  andauernde  Wochenbettsruhe  gewähren  sich  die  Formosanerinnen 
nach  Turner  auch  die  Samoanerinnen,  und  das  Gleiche  finden  wir  bei  der 
Mohamedanerin  in  Bagdad  und  in  Siam.  3  bis  4  Tage  schonen  sich  die 
Madi  und  Kidj  im  äquatorialen  Afrika,  und  ebenso  die  Russinnen,  die 
Tatarinnen  und  die  Kalmückinnen  in  Astrachan,  die  niederen  Perse- 
rinnen und  die  Lappenfrauen.  Die  letzteren  stehen  dann  auf  und  gehen  viele 
Meilen  weit  zu  Fuss,  um  ihr  Kind  selbst  zur  Taufe  und  in  die  Kirche  zu  tragen. 
Scheffer  schrieb  : 

„Cum  baptismate  plerumque  festinant  sie  nt  femina  Lapponica  octo  aut  quatuordecim 
dies  post  labores  partus  iter  faciat  longissimam,  per  juga,  montium  altissima,  per  lacas  vastos 
et  profundas  sylvas,  cum  infante  suo  ad  sacerdptem." 

Aber  Leemius,  welcher  Priester  bei  "ihnen  war,  giebt  als  Beispiel  ihrer  Ab- 
härtung an: 

aQuod  cum  apud  Altenses  in  Finmarchia  occidentali  curio  essem,  mulier  qnaedam 
lapponica  quinto  post  puerperium  die  circa  festem  natalium  Christi  per  montes  perpetuis 
nivibos  coopertos  ad  me  venerit,  rogitans  ut  se  pro  more  ecclesiae  nostrae  in  templo  solemniter 
indneerem." 

Erst  nach  dem  Ablauf  von  6 — 8  Tagen  darf  die  Wöchnerin  bei  den  wilden 
Völkern,  die  von  Tonkin  (Provinz  Thang-hoa)  abhängig  sind,  ausgehen,  um 
sich  zu  baden;  bis  dahin  verharrt  sie  in  der  Nähe  des  Herdes.  (Pinabd.)  7  Tage 
schont  sich  die  nomadisirende  Kalmückin  und  8  Tage  die  Japanerin.  10  Tage 
lang  bleibt  bei  den  Thlinkiten  in  Nordwest-Amerika  die  Wöchnerin  in  der 
aus  Zweigen  oder  aus  Schnee  hergestellten  Gebärhütte  (nach  Krause  allerdings 
nur  5  Tage),  und  auch  die  besser  situirte  Perserin  pflegt  10  Tage,  die  Syrierin 
in  Aleppo  10 — 12  Tage  der  Ruhe.  Aber  bei  manchen  halbcultivirten  Völkern 
finden  wir  auch  eine  erheblich  längere  Wochenbettsdauer:  so  bleibt  bei  den 
Wazegua  in  Abyssinien   und   bei  den  Armenierinnen   in   Astrachan   die 


Tafel  Vra. 
Mischlinge. 


1.  2.  3. 

Chlnese-Forniosaneriii.  Earopfter-Chinesin.  Chinese-lüuiAkln. 

(Formosa.)  (China.)  (Honolulu,  Hawaii.) 


4.  5.  6. 

Earopfter-Jayanlii.  (Lip-Lap.)  Cafasa.  Enropler-Kanakin. 

(Ja^.)  (Indianer-NegcT-MischblQt,  Rio  (Hawaii.) 

Janeiro.) 


7.  8.  9. 

EaropAer-Manriit.  Chinese-Tafalin.  Andiera. 

(Maroooo.)  (Meniza-Sangley,  Philippinen.)        (Berber-Araber-]fi8chblat,]faroooo.) 


Tafel  Vra. 
Misdiling-e. 


rv'Lb -i^ arce LS . _ Xv^  /^r/r'. 


iWCi  A;  ot  V  \.  A  Funk«  Ir-ipsy 


385.  Die  Dauer  de«  Wochenbettes.  387 

Wöchnerin  14  Tage  zu  Bett,  auf  den  Watubela-Inseln  20  Tage,  auf  denKeei- 
und  Seranglao-Inseln  40  Tage. 

Auf  dem  Carolinen-Archipel  badet  die  Wöchnerin  zwei  Tage  nach  der 
Niederkunft  in  süssem  Wasser,  aber  erst  nach  Verlauf  von  5 — 6  Monaten  beginnt 
sie  wieder  ihre  Arbeit.     (Mertens.) 

Die  Weiber  der  Koloschen  und  Potowatomi  werden  20  Tage  lang  nach 
der  Entbindung  sorgfaltig  vor  Kälte  geschützt,  und  die  Negersclavinnen  in  Su- 
rinam (Ludwig)^  in  Brasilien  und  in  den  Vereinigten  Staaten  {Lyell)  be- 
freit man  4  Wochen  lang  von  der  Arbeit.  In  Laos  in  Ost-Asien  dauert  nach 
Bock  das  Wochenbett  einen  Monat. 

Bei  den  Albanesen,  welche  in  Sirmien  im  kroatischen  Grenzlande  ein- 
gewandert sind,  bleibt  die  Wöchnerin,  wenn  sie  nicht  die  einzige  Frau  im  Hause 
ist,  drei  Wochen  daheim,  backt  kein  Brod,  kocht  nicht  und  geht  sechs  Wochen 
nicht  in  die  Kirche.  Erst  nach  dieser  Zeit  läset  sie  sich  vom  Priester  vor  der 
Kirche  einsegnen  und  in  dieselbe  einfahren  und  betet  für  ihr  Kind  um  gutes  Ge- 
müth,  Gesundheit  und  Verstand.    (Kramherger) 

An  der  Südwestküste  der  malayischen  Halbinsel  bleibt  die  Hebamme  40 
Tage  bei  der  Wöchnerin;  dann  erst  unterzieht  sich  letztere  der  gesetzlichen 
Reinigung  und  den  vorgeschriebenen  Gebetübungen  und  kehrt  nun  zu  ihren  ge- 
wohnten Pflichten  zurück.    (Bird.) 

Auch  in  Seranglao  muss  die  Wöchnerin  40  Tage  liegen.  Bemerkenswerth 
ist  es,  dass  bei  manchen  Völkern  im  ersten  Wochenbette  andere  B^eln  und  Vor- 
schriften gelten  als  später. 

In  Massaua  am  arabischen  Meerbusen  z.  B.  pflegen  Mehrgebärende  sich 
bald  wieder  an  die  Arbeit  zu  begeben,  und  das  Gleiche  gUt  für  die  Erstgebärende, 
wenn  sie  im  zweiten  Jahre  der  Ehe  oder  noch  später  niederkommt.  Findet  die 
Entbindung  aber  bereits  im  ersten  Jahre  der  Ehe  statt,  so  währt  das  Wochenbett 
so  lange,  bis  dieses  erste  Jahr  verflossen  ist.  (Brehm.)  In  Palästina  ist  die 
Sache  gerade  umgekehrt.  Hier  geniesst  die  Erstgebärende  nur  7 — 10  Tage  der 
Schonung,  während  bei  späteren  Niederkünften  das  Wochenbett  auf  40  Tage  aus* 
gedehnt  wird. 

Die  Omaha-Indianerin  geht,  wenn  sie  kräftig  ist,  gleich  nach  der  Ent- 
bindung an  ihre  gewohnte  Arbeit;  ist  sie  aber  angegrifiTen,  so  darf  sie  sich  drei 
Wochen  schonen. 

Auf  den  Aaru-Inseln  kennt  die  Entbundene,  wie  Ribbe  sagt,  kein  Wochen- 
bett; schon  am  selben  Tage  geht  sie  ihren  häuslichen  Geschäften  nach,  das  Haus 
darf  sie  aber  erst  nach  dem  40.  Tage  verlassen ;  sie  darf  nämlich  den  Erdboden 
vorher  nicht  betreten. 


PIoss-Bartels,  Du  Weib.    5.  Anfl.    II.  22 


Tafel  Vm. 
Mischlinge, 


Chlnese-Forniosaneritu 

(Fonnoaa.) 


Earopier-Chinesin. 

(China.) 


Chlnese-Kanakin. 

(HoBOlula,  Hawaii.) 


Earopfter-JaTAüin«  (Lip-Lap.) 
(Java.) 


5. 

CafiisA. 

(Indianer-Keger-Misohbliit,  Rio 
Janeiro.) 


Europier-Kanakin. 

(HawaU.) 


Enrop&er-Maurin. 

(Maroooo.) 


Chinese-Tagaliib 

(Meniza-Sangley,  Philippinen.) 


Andiera. 

(Berber-Araber-Muchblat ,  Marocoo.) 


Tafel  Vm. 
Misdiling-e, 


P51  ^1:..  - B Oll cU .  Jy^U  ^M*//^ 


Tith.u'..tvF:AFiirikBlPip2y 


340  LXI.  Das  Ceremozdell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

Kühle  für  eine  nackte  Wöchnerin  und  einen  zarten  Säugling  wohl  nicht  allzu  gesund  sein 
können.' 

EigenthQmliche  Gebräuche  herrschen  in  dieser  Beziehung  auch  bei  den 
Ovaherero  in  Süd-Afrika.  Wir  haben  noch  mehrfach  von  ihnen  zu  sprechen. 
Viehe  schreibt  von  ihnen: 

.Nach  der  Geburt  eines  Kindes  bleibt  Mutter  und  Kind  in  der  Onganda  (Dorf),  aber 
aus  ihrem  Hause  muss  sie  auch  in  diesem  Falle  noch  am  selben  Tage  hinaus,  und  es  müssen 
sich-  um  ihretwillen  yiele  fleissige  Hftnde  regen.  Es  muss  noch  am  Tage  der  Entbindung  eine 
Hütte  für  sie  hergerichtet  werden.  Diese  kommt  unmittelbar  an  das  heilige  Haus  zu  stehen 
und  zwar  an  der  Südseite,  wenn  das  Kind  ein  Knabe  ist,  und  an  der  Nordseite,  wenn  das 
Kind  ein  Mädchen  ist.  Die  Hütte  hat  zwei  Eingänge,  einen  an  der  Westseite,  welcher  also 
dem  Okumo  zugewendet  ist,  und  einen  diesem  gerade  gegenüber.  Eigentlich  soll  die  Wöchnerin 
einen  ganzen  Monat  in  dieser  Hütte  bleiben,  in  den  meisten  Fällen  aber  verlässt  sie  dieselbe 
schon  nach  einigen  Tagen.  Doch  hat  sie  auch  unter  Umständen  viel  länger  darin  zu  ver- 
weilen, z.  B.  wenn  das  Haupt  der  Familie  verreist  ist;  denn  bei  ihrem  Umzug  in  ihre  eigent- 
liche Wohnung  muss  derselbe  unbedingt  zugegen  sein.  Während  ihres  Aufenthaltes  in  der 
Hütte  darf  sie  sich  nur  des  östlichen  Einganges  bedienen,  weil  es  ihr  nicht  gestattet  ist, 
nach  dem  Okumo  zu  sehen.  Während  dieser  Wochenzeit  wird  die  Frau  als  heilig  be- 
trachtet (,uzera*).* 

Wir  kommen  später  noch  hierauf  zurück,  aber  wir  müssen  an  dieser  Stelle 
noch  eine  Angabe  des  Missionars  Dannert  erwähnen: 

«Wenn  bei  den  Ovaherero  das  neugeborene  Kind  zur  Familie  resp.  zum  oruzo  des 
Häuptlings  gehört,  so  wird  für  die  Wöchnerin  von  den  Frauen  der  Werft  in  aller  Eile  eine 
Hütte  neben  dem  otyizero  (heil.  Hause)  hergerichtet,  und  muss  bei  der  Geburt  eines  Knaben 
dieses  Haus  nach  Süden,  und  bei  der  Geburt  eines  Mädchens  nach  Norden  neben  dem  otyizero 
oder  dem  Häuptlingshause  gemacht  werden.  Dieses  Haus  heisst  ondyno  yomunari,  Haus  der 
Wöchnerin.  Es  darf  nicht,  wie  sonst  bei  den  Hütten  der  Ovaherero  geschieht,  mit  Kuh- 
mist beworfen  werden,  sondern  es  wird  einfach  mit  Gras,  Büschen,  Baumrinde,  Fellen  u.  s.  w. 
bedeckt.  Diese  Hütte  der  Wöchnerin  ist  heilig,  wie  auch  die  Wöchnerin  selbst.  Die  Hütte 
wird  nie  ausgebessert,  sondern  dem  Verfall  überlassen.*^ 

Von  den  Todas  in  Indien  berichtet  MarshaU: 

„Am  Morgen  nach  der  Entbindung  wird  die  Mutter  in  eine  Hütte  (purzärsh)  gebracht, 
welche  man  in  einem  abgesondeilen  Winkel  des  Dorfes  schon  beim  Herannahen  der  Nieder« 
kunft  für  sie  errichtet  hat.  Hier  bleibt  sie  bis  zum  nächsten  Neumond  (3  bis  30  Tage).  — 
Für  einen  Monat  nach  ihrer  Heimkehr  scheint  sie  das  Haus  allein  zu  bewohnen,  indess  ihr 
Gatte  verpflichtet  ist,  mittlerweile  bei  Freunden  Unterkunft  zu  suchen.* 

In  diesem  letzteren  Falle  konnte  man  eigentlich  sogar  von  zwei  Wochen- 
stuben reden;  denn  wenn  die  Frau  aus  der  Wochenbettshütte  in  ihr  Haus  zurück- 
kehrt, muss  es  der  Ehemann  verlassen,  es  wird  ihr  also  wiederum  als  Wochen- 
stube eingeräumt. 

Gomplicirter  ist  die  Sache  noch  bei  den  Eota  im  Nilgiri- Gebirge. 

,Die  Wöchnerin  der  Eota  muss  sich  in  drei  verschiedenen  Wochenhütten  aufhalten, 
welche  man  in  jedem  Dorfe  antrifft.  In  die  erste,  aus  Zweigen  hergestellte,  wird  sie  sofort 
nach  der  Entbindung  gebracht  und  verbleibt  hier  30  Tage;  die  beiden  nächsten  Monate 
bringt  sie  in  einer  der  beiden  anderen  Hütten  zu,  kehrt  aber  auch  dann  noch  nicht  gleich 
nach  Hause  zurück,  sondern  begiebt  sich  erst  noch  auf  einige  Tage  in  das  Haus  einas  Ver- 
wandten, während  der  Ehemann  die  Wohnung  durch  Besprengen  mit  Kuhmist  und  Wasser 
reinigt." 

Von  den  Orang-hutan  in  Malacca  wird  nach  dem  Berichte  von  Vaug%an 
Stevens  die  Hütte  der  Hebamme  zugleich  auch  von  den  Weibern  der  Ansiedelung 
für  die  Niederkunft  benutzt.  Sie  verbleiben  in  derselben  noch  14  Tage  nach  der 
Entbindung.     (Bartels'^.)  

887.  Die  Wochenbesuche. 

Der  jungen  Mutter  und  dem  Neugeborenen  die  Glückwünsche  darzubringen, 
wird  wohl  fast  überall  als  etwas  besonders  Feierliches  betrachtet,  und  namentlich 


387.  Die  Wochenbesuche. 


341 


spielen  auch  heute  noch  bei  der  Landbevölkerung  diese  sogenannten  Wochen- 
besuche eine  ganz  besonders  hervorragende  Rolle.  Das  scheint  nun  in  früheren 
Zeiten  nicht  minder  der  Fall  gewesen  zu  sein  und  wir  besitzen  mehrere  Zeugnisse, 
welche  für  die  nach  unseren  heutigen  Begriffen  übertriebene  Ausdehnung  dieser 
Sitte  sprechen. 

So  war  es  in  Neapel  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  gebräuchlich,  dass 
die  vornehmen  Damen  am  Tage  ihrer  Niederkunft  Visite  von  allen  möglichen 
Bekannten  annahmen:  und  diese  suchten  sich  dabei  nicht  etwa  ruhig  zu  verhalten. 
Vielmehr  heisst  es: 

,Man  nimmt  sich  nur  in  Acht,  dass  in  der  Wocbenstube  nicht  mehr  als  5  bis  6  Per- 
sonen auf  einmal  sich  befinden,  doch  standen  die  Thüren  offen  und  draussen  lärmten  zwei 
Tage  lang  oft  hundert  und  mehr  Personen.'    (Volkmann.J 


Fig.  335.    Wochenstabe  einer  vornehmen  Sien  es  in  ans  dem  16.  Jahrhundert.    (Gebart  der  Maria.) 

(Nach  Girolamo  del  Pacchia.)    (AU8  WöUmann,) 


Solche  Sitten  erhalten  sich  sehr  lauge,  so  schrieb  vor  wenigen  Jahren 
Dieruf:  .Noch  heute  wird  in  Neapel  die  Wöchnerin  zur  Schau  ausgestellt." 

Aber  auch  die  Besucherinnen  Hessen  es  ihrerseits  an  reicher  Pracht  nicht 
fehlen.  In  dem  Zeitalter  hoher  Blüthe  im  15.  und,  16.  Jahrhundert  wurde  bei 
diesen  Wochenbesuchen  ein  derartiger  Luxus  entfaltet,  dass  im  Jahre  1537  der 
Senat  sich  genöthigt  sah,  hiergegen  einzuschreiten,  und  bei  einer  Busse  von  30 
Dukaten  wurde  nur  den  verwandten  Damen  der  Zutritt  gestattet.  Casola  sah 
bei  einer  solchen  Gelegenheit   in   der   Casa  Dolfin  25  Edelfrauen   in   grosser 


342  LXI.  Das  Ceremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

Toilette,  an  Kopf,  Hals  und  Armen  reich  mit  Perlen  und  Edelsteinen  ge- 
schmückt. Diese  Preciosen  reprasentirten  ein  Vermögen  von  hunderttausend 
Dukaten.     (Kämmel,) 

Wie  es  in  solchen  Wochenstuben  Italiens  in  damaliger  Zeit  ausgesehen 
hat,  davon  können  wir  uns  eine  sehr  deutliche  Vorstellung  machen.  Die  Eigen- 
thtlmlichkeit  der  Maler  jener  Jahrhunderte,  die  heiligen  Geschichten  immer  im 
Gostüme  und  mit  den  Portraits  ihrer  Zeitgenossen  zur  Darstellung  zu  bringen, 
hat  uns  einen  Einblick  auch  in  diese  Wochenstuben  erhalten. 

Auf  einem  im  Palazzo  Pitti  in  Florenz  befindlichen  Madonnenbilde  ans  der  ersten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts,  das  Ton  Fra  Füippo  Lippi  gefertigt  wnrde,  sehen  wir  im  Hinter- 
grande die  heilige  Anna  als  Wöchnerin  im  Bette  sitzen,  den  Rücken  durch  Kissen  unterstützt. 
Eine  Pflegerin  reicht  ihr  den  gewickelten  Säugling,  eine  andere  Frau  steht  links,  eine  ältere 
rechts  neben  ihrem  Kopfende.  Letztere  hält  wohl  ein  Geschenk  in  den  Händen,  und  eine 
hinter  ihr  zum  Bette  herantretende  Frau  mit  einem  Korbe  auf  dem  Kopfe  bringt  wohl  eben- 
falls  Wochengaben  herbei.  Durch  die  Thür  treten  noch  drei  weibliche  Gestalten  und  ein 
Kind  ein,  ebenfalls  mit  Geschenken  beladen.    fSeemann,  Crowe  und  CavalcasdleJ 

.Unter  den  Fresken  Doniinico  Ghirlandajo's  im  Chor  der  Kirche  Santa 
Maria  Novella  in  Florenz,  welche  derselbe  um  1485  fertigte,  befindet  sich 
eine  durch  reiche  Ornamentirung  der  Innenräume  ausgezeichnete  Darstellung  der 
Geburt  der  Maria, 

«Es  ist  das  Wochenbett  einer  florentinischen  Patrizierin,  an  das  wir  gef&hrt 
werden:  Anna  halb  vom  Lager  aufgerichtet  (auf  der  Seite  liegend  und  sich  auf  die  beiden 
Ellenbogen  stützend)  blickt  dem  langsam  eintretenden  Besuch  entgegen,  ftinf  herrlichen  Frauen, 
welche  ganz  und  gar  die  Sittigkeit,  den  Anstand  und  die  Mienen  der  grossen  Welt  tragen.* 
(Crowe  und  CavalcaselU.)  Im  Vordergründe  rechts,  wo  dem  Neugeborenen  das  Bad  bereitet 
wird,  giesst  eine  Dienerin  Wasser  in  das  metallene  Badegeföss.  Der  Säugling,  nur  in  eine 
Windel  gehüllt,  ruht  auf  dem  Schoosse  einer  Wärterin,  und  eine  vornehme  Dame  kniet  daneben, 
sich  nach  den  Eintretenden  umblickend,  während  sie  mit  dem  Kinde  sich  zu  thun  macht. 

Die  von  Andrea  del  Sarto  dargestellte  Wochenstube  haben  wir  schon  in 
Fig.  331  kennen  gelernt. 

Die  heilige  Anna  sitzt  in  einem  reichen  Renaissancezimmer  im  Bette  aufrecht.  Eine 
Dienerin  reicht  ihr  die  Waschschüssel,  eine  andere  bietet  ihr  Erfrischungen  an.  Joachim  sitzt, 
da$  rechte  Bein  über  das  linke  Knie  gelegt,  sinnend  im  Hintergrunde.  Eine  Wärterin  hat 
mit  dem  nackten  Neugeborenen,  die  Badeschüssel  vor  sich,  vor  einem  reich  verzierten  Kamine 
Platz  genommen,  an  welchem  ein  ungefähr  zehnjähriges  Mädchen  sich  die  Hände  wärmt.  Eine 
zweite  Frau  mit  dem  Handtuche  auf  dem  Schooss  sitzt  daneben.  Hinter  ihnen  steht  eine 
dritte  Frau  im  Gespräch  mit  der  Wöchnerin.  Zu  dieser  treten  zwei  reichgekleidete  Damen 
heran.    Durch  die  Thür  kommen  noch  zwei  weibliche  Gestalten  in  das  Zimmer. 

Ganz  ähnlich  ist  auch  die  Darstellung  auf  einem  Wandgemälde  des  Giro- 
lamo  del  Pacchia  ia  San  Bernardino  in  Siena  (Fig.  335).  Hier  liegt  die  Wöch- 
nerin aber  fast  auf  dem  Bauche. 

Einen  höchst  eigenthümlichen  Einblick  in  die  Florentiner  Sitten  aus  der 
ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  gestattet  uns  ein  kleines  Gemälde  des  Masacdo^ 
welches  sich  im  königlichen  Museum  von  Berlin  befindet.  Es  zeigt  uns  eben- 
falls eine  Wochenvisite,  aber  es  handelt  sich  hier  nicht  um  eine  heilige,  sondern 
ohne  allen  Zweifel  um  eine  profane  Darstellung.     (Fig.  336.) 

Die  Wochenstube  scheint  sich  in  einem  Kloster  zu  befinden,  wenigstens  liegt  sie  zu 
ebener  Erde  und  mündet  mit  ihrer  Thür  in  einen  von  Rundbogenarcaden  eingefassten  Kreuz- 
gang. Es  ist  ein  quadratischer^  schmuckloser  Raum ,  dessen  Wand  mit  Teppichen  behängt 
ist.  Die  in  Seitenlage  befindliche  Wöchnerin  hat  sich  nach  vom  herumgedreht,  so  dass  sie 
fast  auf  ihren  vor  der  Brust  gekreuzten  Armen  ruht,  und  sie  blickt  durch  die  dem  Kopfende 
ihres  Bettes  benachbarte  und  halbgeöffnete  Thür  in  den  Kreuzgang  hinaus.  Drei  Frauen 
stehen  um  das  Bett  herum  zu  beiden  Seiten  des  Fussendes.  Eine  vierte  Frau  sitzt  auf  dem 
hohen  stufenförmigen  Untersatze  des  Bettes  und  h&lt  das  gewickelte  Kindchen  auf  ihrem 
Schoosse.  Aus  dem  Kreuzgange  treten  in  das  Zimmer  drei  Damen  ein,  welche  von  zwei 
Nonnen  begleitet  werden.  Im  Kreuzgange  stehen  zwei  Posaunenbläser,  deren  einer  kräftig 
in  eine  Tuba  stösst,  während  der  Andere  ein  gleiches  Instrument  eben  vom  Munde  abgesetzt 


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344  L^I-  ^^  Ceremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

hat.  Sie  scheinen  sich  also  in  ihrer  gewiss  nicht  gerade  sehr  leisen  Musik  abzuwechseln. 
Zwei  Diener  bringen  auf  Schüsseln  Pasteten  oder  Torten  herbei.  Die  Posaunen  sind  mit 
einem  breiten,  herabhängenden  Tuche  verziert,  auf  welchem  in  grosser  Ausfahrung  das  Wappen 
von  Florenz  eingestickt  ist. 

Was  diese  Scene  zu  bedeuten  hat,  ist  nicht  so  ohne  Weiteres  zu  entscheiden. 
Das  Pomphafte  des  Aufzuges,  die  Costüme  der  die  Wöchnerin  besuchenden  Damen, 
sowie  die  Wappenfahnen  an  den  Posaunen  sprechen  dafür,  dass  es  sich  hier  um 
einen  sehr  vornehmen  Besuch  handelt,  der,  wie  die  Schüsseln  der  Diener  beweisen, 
der  jungen  Mutter  Lebensmittel  bringt.  Wahrscheinlich  ist  es  sogar  eine  Dame 
von  dem  regierenden  Fürstengeschlecht.  Die  begleitenden  Nonnen  und  der  Kreuz- 
gang beweisen,  dass  die  Localitäi  ein  klösterliches  Gebäude  ist.  Aber  die  um  die 
Wöchnerin  beschäftigten  Frauen  tragen  keine  Ordenstracht.  Sehen  wir  hier  viel- 
leicht ein  von  Nonnen  geleitetes  Entbindungshaus  vor  uns,  und  soll  ein  gutes 
Werk  irgend  einer  bestimmten  Dame  des  hohen  Adels  (denn  um  Portraits  handelt 
es  sich  auch  hier  ganz  unzweifelhaft)  zur  Darstellung  gebracht  werden,  welche 
die  armen  Wöchnerinnen  in  ihrem  Asyle  besucht  und  ihnen  tröstlichen  Zuspruch 
und  leibliche  Nahrung  zukommen  lässt? 

Wir  haben  früher  schon  erwähnt,  dass  man  im  16.  Jahrhundert  in  Italien 
den  Wöchnerinnen  die  Erfrischungen  in  besonderen  Majolica-Qeschirren  über- 
brachte,  welche  mit  dem  Namen  Scodelle   delle   donne   oder  Puerpera  be- 


Fig.  337.    Frauenschaleiif  Scodelle  delle  donne,  italienische  Majoliken  des  16.  Jahrhunderts, 

in  denen  Wöchnerinnen  Stärkungen  gebracht  wurden. 

Im  Besitze  des  kgl.  Eunstgewerbe-Moseums  in  Berlin.    (Nach  Photographie.) 


zeichnet  wurden.  Die  Figuren  272  und  273  zeigen,  wie  das  Innere  dieser  Ge- 
f&sse  mit  bildlichen  Darstellungen  geschmückt  war,  welche  sich  auf  die  Ent- 
bindung beziehen.  In  Fig.  337  sind  diese  beiden  „Frauenschalen^^  in  ihrer 
äusseren  Form  dargestellt;  es  muss  jedoch  bemerkt  werden,  dass  der  einen  der- 
selben, und  zwar  derjenigen  auf  dem  Drahtgestell,  der  Fuss  abgebrochen  ist.  In 
ihr  ist  die  Fig.  272  enthalten.  Beide  Schalen  befinden  sich  im  kgL  Kunstgewerbe- 
Museum  in  Berlin. 

In  den  Wochenstuben  in  Deutschland  scheint  ein  fortwährendes  Kommen 
und  Gehen  stattgehabt  zu  haben.  In  dem  oben  erwähnten  Flugblatt  „Des  hold- 
seligen Frauenzimmers  Kindbeth-Gespräch^  heisst  es: 

«Zwei  Schwestern  kamen  erst,  als  Niemand  noch  yorhanden.  — 
Allein  es  kam  gleich  jetzt  eine  andre  Frau  herein, 
Darauf  ging  jene  fort  und  Hessen  sie  allein. 

und  dann  geht  auf  die  Thür, 

Und  kommen  wiederum  auf  einmal  Ihrer  Vier.*^ 

Hier  scheint  es  sich  um  vornehme  Kreise  zu  handeln,  während  die  A];»- 
bildungen   deutscher  Wochenstuben   aus   dem  16.  Jahrhundert,   welche  auf  uns 


387.  Die  Wochenbesuche. 


345 


gekommen  sind,  mis  gewohnlich  kleinbürgerliche  Verhältnisse  vorführen.  Die 
berühmteste  Darstellung  dieser  Art  ist  der  Holzschnitt  von  Albrecht  Dürer^  welcher 
die  Geburt  der  Maria  zeigt.     (Fig.  338.) 

In  einem  breiten  Himmelbett,  dessen  zurückgeschlagene  Gardinen  den  Einblick  ge- 
wahren, liegt  matt  und  angegriffen,  den  Kopf  auf  die  Seite  gekehrt,  die  heilige  Wöchnerin, 
um  die  zwei  Frauen  beschäftigt  sind,  während  eine  Dritte  an  ihrem  Lager  eingeschlafen  ist. 
£ine  Wärterin  hat  das  Kind  eben  aus   dem  Bade   gehoben,   sein  Deckbett  liegt  bereit   auf 


Fig.  338.    Deatsohe  Wochenstube  des  16.  Jahrhunderts,  von  Aldrecht  Dürer:  Die  Geburt  der 

Maria,    (Nach  Hirth.) 


einem  Tische,  an  welchem  zwei  Frauen  sitzen  und  gemeinsam  aus  einem  kleinen  Becher 
trinken.  Hinter  ihnen  steht  ein  halberwachsenes  Mädchen.  Eine  Magd,  den  grossen  Wasser- 
krug in  der  rechten  Hand  und  die  Wiege  der  Maria  unter  dem  linken  Arm,  tritt  zu 
ihnen.  Im  Vordergrunde  links  ist  noch  eine  Gruppe  von  zwei  sitzenden  und  einer  stehenden 
Frau  nebst  einem  kleinen  Jungen,  von  denen  die  eine  gerade  aus  einem  mächtigen  Kruge 
trinkt.    (Hirih.) 

Es  befinden  sich  also  ausser   der  Wöchnerin  und  dem  Neugeborenen  nicht 
weniger  als  12  Personen  in  der  Wochenstube. 


846 


LXl.  Das  Ceremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 


Dass  auch  die  deutschen  Wöchnerinnen  selber  Speise  und  Trank  nicht 
abhold  waren,  das  haben  wir  früher  schon  besprochen.  Wir  finden  es  durch  eine 
Abbildung  bestätigt^  die  wahrscheinlich  von  Jost  Ammann  entworfen  ist.  (Fig.  339.) 
Sie  findet  sich  in  Johannes  Hey  den  von  Dhaun^s  deutscher  Bearbeitung  des 
Flinius  vom  Jahre  1584  in  dem  Kapitel,  welches  den  Titel  führt:  von  empfeng- 
niss,  tragt  und  geburt  dess  Menschen,  und  auch  in  Bueff's  Hebammen-Buch: 

Die  Wöchnerin  sitzt,  mit  hohen  Kissen  unterstützt,  im  Bett;  eine  Frau  reicht  ihr  von 
der  einen  Seite  einen  Napf  mit  Essen,  wfthrend  von  der  anderen  Seite  ein  alter  Mann  ihr 
einen  stattlichen  Krug  credenzt.  An  der  Erde  kauernd  badet  eine  Frau  das  Neugeborene  in 
einer  grossen,  flachen  Schale.  Hinter  ihr  hält  ein  Mädchen  das  Trockentnch  bereit.  Ein 
kleines  Mädchen,  die  Puppe  im  Arm  auf  der  Fussbank  sitzend,  belustigt  sich  damit,  die  Wiege 
zu  schaukeln.  An  einem  Tische  im  Hintergrund  sitzen  zwei  Frauen,  von  denen  die  eine  isst 
und  die  andere  aus  einem  mächtigen  Kruge  den  letzten  Rest  austrinkt.  Eine  hinter  ihnen 
stehende  Gestalt  ist  ebenfalls  mit  Essen  beschäftigt.  Ein  Hund  erfreut  sich  an  einem 
Knochen.  Die  Thür  zu  der  Küche  ist  halb  geOffnet;  man  sieht  am  Herde  eine  Frau  mit 
Kochen  beschäftigt. 


Fig.  339.    Deutsche  Wochenstube  des  16.  Jahrhunderts,  wahrscheinlich  von  yost  AmmuHH. 

(Aus  Rueff.) 


Den  Luxus  der  Wochenstuben  in  der  Schweiz,  wie  er  in  früheren  Zeiten 
herrschte,  schildert  ein  Brief  des  Aloysius  von  Orelii,  welchen  er  im  Jahre  1555 
aus  Zürich  an  seinen  Bruder  schickte.   (Scheible.)     Es  heisst  darin: 

.Selbst  mittelmässig  begüterte  Bürger  glauben  ihrer  Kindbetterin  wenigstens  eine  silberne 
Suppenschüssel  anschaffen  zu  müssen.  So  eingezogen  und  einfach  es  sonst  in  den  Haushaltungen 
zugeht,  so  prächtig  und  schOn  muss  alles  während  den  Wochen  in  der  Kindbetterin  Zimmer 
seyn,  welches  fast  allemal  das  beste  im  Hause  ist.  Alles  vorhandene  Silbergeräth,  was  nur 
immer  für  Frauen  brauchbar  ist,  wird  in  diesem  Zimmer  aufgestellt.  So  lang  die  Wochen 
dauern,  wird  die  Wöchnerin  mit  dem  Schönsten  und  Besten  bedient,  was  das  Haus  vermag, 
ebenso  ihre  Freundinnen  und  Verwandten,  die  sie  fleissig  besuchen  und  zu  diesen  Besuchen 
sich  wenigstens  ein  paar  Mal  mit  ihren  besten  Kleidern  putzen.  Die  Besucherinnen  werden 
mit  Weinsuppen  und  Zuckerwerk  bewirthet." 

„Die  Wochen  sind  die  gelegene  Zeit,  in  welcher  die  Wöchnerinnen  die  Kostbarkeiten  des 
Hauses,  und  ihren  Freundinnen,  Bekannten  und  Nachbarinnen  ihren  schönsten  Schmuck  zeigen 
können.  Sind  ältere  Töchter  im  Hause,  so  müssen  auch  sie  in  ihren  Feiertagskleidem  in  der 
Wochenstube  erscheinen;  das  kleinste  Kind  liegt  in  der  feinsten  Leinwand,  in  gestickten  oder 


388.  Die  Unreinheit  der  Wöchnerin.  347 

gewflrkten  Betttüchern,  die  aber  nicht  sonderlich  geschätzt  werden,  wenn  sie  nicht  die  Mutter 
selbst  verfertiget  hat.  Sollte  nur  eine  zehnjährige  Tochter  da  sejn,  so  ist  sie  die  Wärterin 
des  Kindes,  und  sie  bildet  sich  nicht  wenig  auf  dieses  Amt  ein;  sie  zeigt  den  bewundernden 
Frauen  das  hübsche  Weissgeräth,  was  die  Mutter  gearbeitet,  wird  dann  selbst  ermuntert,  so 
fleissig  zu  werden  wie  die  Mutter,  die  denn  auch  das  Kind  nicht  stecken  lässt,  und  ihr  be- 
fiehlt, die  eigenen  Arbeiten  zu  bringen,  die  natürlich  gelobt  werden.  Dieses  Vorzeigen  eigener 
Arbeiten  vor  ganzer  Freundschaft  und  Nachbarschaft  spornt  den  Fleiss  und  die  Ehrbegierde 
der  Mädchen  ungemein,  welche  während  der  Mutter  Schwangerschaft  sich  durch  emsiges 
Arbeiten  vorbereiten.  Und  diesen  Sitten  verdanken  dieZürcherschen  Frauen  ihre  Geschick- 
lichkeit in  künstlichen  Arbeiten,  worin  sie  den  Italienischen  Klosterfrauen  gleichen  und 
überhaupt  zu  vortrefflichen  Hausmüttern  gebildet  werden.  Noch  lange  nachher  wird  von  den 
Kostbarkeiten  und  der  Ordnung  in  dem  Hanse  der  Kindbetterin  u.  s.  w.  geredet,  bis  eine 
andere  Wöchnerin  neuen  Stoff  liefert.  Dem  Ehemann  würde  es  verdbelt  werden,  wenn  er 
sich  nicht,  soviel  es  seine  Geschäfte  immer  erlauben,  bej  den  Wochenbesuchen  einende,  um 
die  Glückwünsche  der  Frauen  anzunehmen.  Der  Mutter  und  dem  Kinde  werden  von  den 
Verwandten,  besonders  von  den  Taufpathen,  kostbare  Geschenke  gemacht.  Bey  denen  für 
das  Kind  wird  auf  den  Gebrauch  in  späteren  Jahren  gesehen.  Diese  sind  denn  auch  ein  Gegen- 
stand des  Gesprächs  in  den  Wochenstuben." 

Das  Alles  ist  bezeichnend  genug,  um  uns  erkennen  zu  lassen,  wie  wenig 
man  in  damaligen  Zeiten  diejenigen  Gesichtspunkte  in  der  Pflege  der  Wöchnerin 
zu  berücksichtigen  pflegte,  welche  wir  heute  so  ganz  besonders  in  den  Vorder- 
grund zu  stellen  gewohnt  sind:  die  absolute  Ruhe  für  die  Entbundene  und  die 
Erhaltung  einer  unverdorbenen,  von  möglichst  wenig  Personen  getheilten  Luft  in 
der  Wochenstube. 

88S.  Die  Unreinheit  der  Wöchnerin. 

Wie  weit  über  den  Erdball  verbreitet  die  Anschauung  ist,  dass  aller  blutige 
Abfluss  aus  den  Genitalien  der  Frau  eine  hervorragend  verunreinigende  Wirkung 
ausübt,  das  ist  uns  schon  bekannt  geworden.  Wir  konnten  daher  a  priori  bereits 
erwarten,  auf  Völker  zu  stossen,  welche  auch  den  Wochenfluss  und  damit  ver- 
bunden natürlich  auch  die  Wöchnerin  ftir  unrein  und  verunreinigend  ansehen. 
Zum  nicht  geringen  Theil  beruht  ja  auf  solchen  Anschauungen  wahrscheinlich  die 
Sitte,  die  Weiber  in  abgesonderten  Gebärhütten  niederkommen  zu  lassen. 

Auch  bei  den  alten  Iranern  wurde  die  Wöchnerin  wie  die  Menstruirende 
ftir  unrein  gehalten.  Nach  Zoroaster^s  Gesetz  musste  bei  den  Medern,  den 
Baktrern  und  den  Persern  vierzig  Tage  lang  die  Entbundene  an  einem  abge- 
sonderten Orte  leben;  dann  konnte  sie  sich  zeigen,  musste  jedoch  noch  andere 
vierzig  Tage  abwarten,  bevor  ihr  Mann  sich  ihr  nahen  durfte;  ihre  Unreinheit 
dauerte  demnach  achtzig  Tage.  Zaroaster  schrieb  auch  vor:  Die  Wöchnerin  muss 
auf  einen  erhöhten  Ort  der  Wohnung  gebracht  werden,  der  mit  trockenem  Staube 
bestreut  ist,  fünfzehn  Schritt  vom  Feuer,  vom  Wasser  und  von  den  heiligen 
Ruthenbündeln  (entfernt  auch  von  Bäumen).  Hier  soll  sie  so  gelagert  werden, 
dass  sie  das  Feuer  des  Herdes  nicht  sehen  kann.  Niemand  durfte  sie  berühren. 
Nur  ein  bestimmtes  Maass  von  Speisen  durfte  ihr  gereicht  werden  und  zwar  in 
metallenen  Gefassen,  weil  diese  die  Unreinheit  am  wenigsten  annehmen  und  am 
leichtesten  gereinigt  werden  können;  und  der,  welcher  diese  Nahrung  brachte, 
musste  drei  Schritte  von  ihrem  Lager  entfernt  bleiben. 

Diese  Vorschriften  befolgen  die  Parsi  noch  heute  streng:  Die  junge  Mutter 
muss  sich  sofort  nach  der  Entbindung  der  Waschung  mit  Nirang  unterwerfen, 
d.  i.  mit  Urin  der  Kuh,  des  Ochsen  oder  der  Ziege.  Diese  Flüssigkeit,  die  bei 
allen  rituellen  Handlungen  in  Anwendung  kommt,  soll  von  der  Wöchnerin  sogar 
getrunken  werden.  Hatte  sie  eine  Fehlgeburt  erlitten,  so  ist  ihr  Körper  auch 
noch  durch  Todtes  befleckt;  dann  muss  sie  dreissig  Schritt  vom  Feuer  und  von 
den  heiligen  Gegenständen  des  Hauses  gelegt  werden  und  einundvierzig  Tage  auf 
ihrem  Staublager  verbleiben.    Darauf  muss   sie   die  neun  Höhlen   ihres  Körpers 


348  LXI.  Das  Ceremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

mit  Kuhurin  und  Asche  auswaschen.  Sie  darf  kein  Wasser  aus  ihrer  unreinen 
Hand  trinken;  thut  sie  es  dennoch,  so  soll  sie  zweihundert  Schläge  mit  der  Pferde- 
peitsche erhalten.     (Vendidad  V.  136—137.) 

Die  Frau  der  Nayer-Kaste  in  Malabar  lässt  sich  sofort  nach  ihrer  Ent- 
bindung zum  heiligen  Teich  der  Pagode  führen,  wo  sie  ein  Bad  der  Reinigung 
zu  nehmen  hat;  denn  die  Hebamme  hat  sie,  da  sie  aus  niedrigerer  Kaste  ist^ 
durch  ihre  Berührung  verunreinigt.  Danach  verweilt  sie  14  Tage  in  einem  ab- 
gesonderten Baume,  und  sie  darf  kein  Kochgeschirr  berühren;  die  Speisen  werden 
ihr  in  besonderen  Gefassen  durch  Weiber  gebracht,  die  sich  nach  jedem  Besuche 
reinigen  müssen.  Nach  dieser  Zeit  badet  die  Wöchnerin  abermals  im  Teiche  und 
eine  Frau  sprengt  Wasser  über  den  Boden  des  Zimmers  und  auf  die  benutzten 
Geräthschaften.  Mit  diesem  Ceremoniell  ist  dann  die  Reinigung  der  Entbundenen 
vollendet.    {Jagor,) 

Bei  einer  Anzahl  von  Yolksstänmien  Indiens  muss  die  Entbundene  in  einer 
abgesonderten  Hütte  verharren,  weil  man  sie  für  unrein  betrachtet. 

Die  Wöchnerin  aus  der  Pulayer-Sclaven-Kaste  bleibt  nach  der  Geburt 
des  ersten  Kindes  22  Tage,  nach  späteren  Entbindungen  aber  nur  13 — 16  Tage 
in  dieser  Hütte;  nur  ihre  Mutter  oder  die  Schwiegermutter,  oder  in  Ermangelung 
dieser  eine  alte  Frau  haben  zu  derselben  Zutritt.  Bei  den  Yeda's  in  Travan- 
core  wird  die  Frau  dort  von  der  Mutter  oder  der  Schwester  versorgt.  Am 
sechsten  Tage  bezieht  sie  dann  ein  dem  Dorfe  näher  gelegenes  Obdach,  wo  sie 
wiederum  fünf  Tage  verweilen  muss.  {Jagor)  Die  wilden  Bewohner  vonBustar 
in  Gentral-Indien  sondern  die  Wöchnerin  auf  30  Tage  ab,  aber  den  übrigen 
Familiengliedern  ist  es  gestattet,  ihr  Handreichungen  zu  leisten.  Bei  den  Hos, 
den  Bhuias  und  den  Bendkars  in  Bengalen  (NoUrott)  bleibt  die  Entbundene 
sieben  Tage,  bei  den  Kafirs  im  Hindu-Kush  einen  vollen  Monat  als  unrein 
in  der  Entbindungshütte.  Die  Kafir-Frau  lebt  in  dieser  Zeit  ausschliesslich  von 
Milch.  Ihr  Ehemann  darf  sie  nicht  besuchen  und  sie  darf  die  Hütte  nicht  ver- 
lassen, bis  sie  eine  Geremonie  der  Reinigung  durchgemacht  hat.  Bei  den  San- 
tals  dehnt  sich  die  Unreinheit  sogar  mit  auf  den  Vater  aus.     (Nottrott,) 

Die  Unreinheit  bei  den  Munda-Kohls  erstreckt  sich  nach  Jeüinghaus  auf 
8  Tage  und  sie  geht  auch  auf  alle  diejenigen  über,  welche  mit  der  Wöchnerin 
in  Berührung  kommen. 

Bei  den  Badagas  im  Nilgiri-Gebirge  dauert  die  Absonderung  der 
Wöchnerin  in  der  Niederkunftshütte  nicht  länger  als  2  bis  3  Tage  und  sie  wird 
nur  bei  der  ersten  Entbindung  innegehalten.  Bei  ferneren  Geburten  wird  der 
Frau  sehr  oft  gestattet,  im  ersten  Zimmer  des  Hauses  zu  verbleiben,  das  zweite 
Zünmer  aber,  welches  den  Feuerplatz  enthält,  darf  sie  nicht  betreten.  Eine  Frau, 
die  geboren  hat,  darf  bis  zum  dritten,  fünften,  siebenten  oder  neunten  Tage  nach 
dem  ersten  Voll-  oder  Neumond  kein  Hausgeräth  berühren.  Nach  ftinf,  sieben, 
neun  oder  fünfzehn  Tagen  beginnen  dann  die  Wöchnerinnen,  ihre  Arbeit  wieder 
aufzunehmen.    (Jagor.) 

Nach  Spencer  St.  John  ist  bei  den  Dayaken  auf  Borneo  nach  einer 
Niederkunft  8  Tage  lang  die  ganze  Familie  unrein,  und  man  meidet  jegliche 
Berührung  mit  ihr. 

Die  Samojeden  haben  ein  „unreines  Zelt",  das  Samajma  oder  Madiko 
genannt  wird.  In  diesem  muss  sich  die  Wöchnerin  auf  volle  zwei  Monate  ein- 
quartieren und  sie  wird  darin  äusserst  schlecht  verpflegt. 

Bei  den  Korjaken  hält  sich  die  Wöchnerin  während  der  ersten  zehn  Tage 
nach  der  Niederkunft  verborgen. 

Auch  die  Ostjakin  sucht  für  die  Entbindung  eine  besondere  Jurte  auf,  in 
welcher  sie  fünf  Wochen  verbleibt. 

Bei  den  Mongolen  darf  das  Zelt,  in  welchem  ein  Kind  geboren  wurde,, 
von  Keinem,   der  nicht  ein  Angehöriger  ist,   betreten   werden.     Die  Wöchnerin 


888.  Die  Unreinheit  der  WOchnerin.  349 

bleibt  drei  Wochen  hindurch  unrein,  und  es  ist  ihr  nicht  gestattet,  das  Essen 
zu  kochen. 

Die  Tungusin  wird  im  Wochenbett  als  unrein  sich  selbst  überlassen. 

Bei  der  Wogulin  dauert  die  Unreinheit  sechs  Wochen  (Georgi)^  bei  der 
Orotschonin  nur  3  bis  4  Tage.  Die  letztere  wird  in  dieser  Zeit  in  einer  ab- 
gesonderten Jurte  von  einer  alten  Frau  verpflegt  und  Niemand  anders  nähert  sich 
Uir.  Nach  4  Tagen  darf  sie  die  Jurte  yerlassen,  aber  es  ist  ihr  nicht  gestattet, 
dabei  über  die  Thürschwelle  zu  schreiten,  sondern  man  hebt  zu  diesem  Zweck  ein 
Fell  an  der  Seite  der  Hütte  auf;  dann  aber  übernimmt  sie  wieder  ihre  gewohnte 
Beschäftigung. 

Bei  den  Kalmücken  bleibt  die  Frau  drei  Wochen  lang  nach  der  Ent- 
bindung unrein,  bis  sie  sich  in  der  Hütte  durch  Waschen  mit  warmem  Wasser 
am  ganzen  Leibe  gereinigt  hat.  unter  den  Kirgisen  im  Gebiete  Semipala- 
tinsk  wird  bereits  vom  dritten  Tage  an  die  Wöchnerin  als  gereinigt  angesehen, 
vorher  aber  ist  es  ihr  verboten,  ihrem  Ghttten  das  Essen  zu  reichen. 

Die  Georgierin  wird  nach  der  Niederkunft  drei  Wochen  lang  von  den 
nächsten  weiblichen  Verwandten  in  der  Nacht  in  Obhut  genommen,  damit  sich 
der  Gatte  fem  von  ihr  halte.  Zu  Anfang  der  vierten  Woche  ninmit  sie  ein  Bad, 
und  dann  wird  sie  dem  Manne  zurückgegeben. 

Bei  denChewsuren  soll  die  Entbundene  einen  Monat,  bei  den  Pschawen 
vierzig  Tage  in  der  Gebärhütte  verbleiben.  In  neuerer  Zeit  ist  man  nachsichtiger 
geworden,  und  man  gestattet,  dass  sie  das  Menstruationshaus  nahe  am  Dorfs  be- 
zieht; die  Gebärhütte  aber  wird  niedergebrannt.    {Radde.) 

Bei  den  Samar itanern  erhält  die  Wöchnerin  eine  besondere  Abtheilung 
im  Zimmer  und  wird  durch  eine  von  Steinen  aufgerichtete  niedrige  Wand  von 
den  XJebrigen  geschieden.  Sie  bekommt  ihren  eigenen  Löffel,  Schüsseln  u.  s.  w. 
und  Niemand  darf  sie  berühren.  So  bleibt  sie  nach  der  mosaischen  Vorschrift, 
wenn  sie  einen  Sohn  gebar,  dreiunddreissig,  wenn  sie  aber  eine  Tochter  gebar, 
Sechsundsechzig  Tage,  nach  deren  Verlauf  sie  in  ein  Bad  gehen  muss  und  alle 
ihre  Kleider  gereinigt  werden. 

Die  Beduinen -Wöchnerin  verlässt  eine  Woche  lang  nicht  das  Haus;  dann 
werden  alle  ihre  Gewänder  gewaschen.  Bisweilen  dehnt  sie  die  Absperrung  bis 
auf  40  Tage  aus.    (Palmer.) 

In  Marokko  sondert  sich  die  Entbundene  auf  zwei  volle  Jahre  ab,  wahrend 
welcher  Zeit  sie  ihr  Kind  säugt;  aber  ihr  Ehemann  darf  wieder  mit  ihr  Umgang 
haben,  wenn  sie  zum  dritten  Male  nach  der  Geburt  ihre  Menstruation  gehabt  hat. 

Auch  die  Aegypterin  unterliegt  nach  der  Entbindung  einem  Zustande  der 
Unreinheit,  deren  Dauer  je  nach  den  Vorschriften  der  verschiedenen  Sekten  ver- 
schieden ist;  in  Gairo  dauert  diese  Periode,  welche  man  Nifäs  nennt,  meist  40 
Tage;  auch  hier  nimmt  die  Frau  am  Schlüsse  dieser  Periode  zur  Reinigung  ein 
Bad.    (Lane.) 

Dass  die  Unreinheit  der  Wöchnerin  auf  40  Tage  berechnet  wird,  findet  sich 
nach  Brehm  auch  in  Massaua,  und  bei  den  Suaheli  ist  nach  Kersten  wenigstens 
auf  die  gleiche  Zeit  verboten,  den  Goitus  auszuüben. 

In  Abyssinien  bleibt  dem  Vater  und  überhaupt  jedem  Manne  das  Haus 
auf  die  Dauer  eines  Monats  verschlossen.  (Reinisch.)  Bei  den  Bomb^,  einem 
Niam-Niam-Volke,  bleibt  die  Wöchnerin  fiünf  Tage  lang  unrein,  wird  dann 
ebenfalls  durchräuchert  und  darf  erst  nach  diesem  Reinigungs-Verfahren  das 
Haus  verlassen  (nach  mündlicher  Mittheilung  Buchtas  an  Ploss). 

Bei  den  Kaffern  bleibt  die  Frau  einen  Monat  lang  von  dem  Manne  ge- 
trennt (Alberti.)  Unter  den  Basuthos  in  Süd- Afrika  verlässt  die  Wöchnerin 
vor  zwei  Monaten  nicht  die  Hütte.  {Casälis.)  Ebenso  ist  es  bei  den  Betschuanen. 
Fühlt  eine  Mar olong-(Betschuanen-)Frau  ihre  Entbindung  nahen,  so  zieht  sie 
sich  in  ihre  Hütte  zurück,   welche  von  dem  Gatten   dann  für  die  nächsten  drei 


350  ^^I-  ^^6  Ceremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

Monate  nicht  mehr  betreten  werden  darf.  Eine  Frau,  die  bei  den  Makololo 
und  anderen  Stammen  des  Marutse-Reiches  am  Zambesi  von  einer  Fehlgeburt 
heimgesucht  wurde,  muss  auf  3 — 4  Wochen  ihre  Niederlassung  verlassen  und  im 
Waldesdickicht  abseits  in  einer  Hütte  wohnen;  sie  wird  als  besonders  unrein 
betrachtet,  sie  darf  nicht  aus  einem  Gefasse  trinken,  ihr  wird  das  Essen  auf  die 
Hohlhand  gethan,  die  ihr  sowohl  die  Schiissel  als  auch  den  Becher  ersetzen 
muss.     {Holub.) 

Von  den  Ovaherero  berichtet  der  Missionar  Dannert^  dass  die  Männer  die 
Wöchnerin  nicht  sehen  dürfen,  bis  des  Kindes  Nabelschnurrest  abgefallen  ist;  sie 
würden  sonst  Schwächlinge  werden  und  im  Kriege  würden  sie  von  den  Pfeilen 
und  Speeren  getroffen  werden.  Das  Haus,  in  welchem  die  Wöchnerin  verharren 
muss,  hat  zwei  Thüren,  die  eine  geht  zum  Okuro  (heiligen  Feuer),  das  sich  stet» 
vom  Häuptlingshause  aus  nach  Westen  befindet,  während  die  andere  an  der  ent- 
gegengesetzten Seite  ihrer  Hütte  liegt.  Diese  Thüren  sind  aber  nur  Löcher  ohne 
Verschluss,  und  ausser  diesen  grossen  hat  das  Haus  noch  eine  Unzahl  kleinerer 
Löcher,  so  dass  der  Wind  freien  Spielraum  hat.  Die  Wöchnerin  wird  sobald  al» 
möglich  in  das  für  sie  hergerichtete  Haus  gebracht,  meist  schon  i\ach  2 — 3  Stunden. 
Sie  muss  dabei  zur  hinteren  Thüre,  d.  h.  zu  der  vom  heiligen  Feuer  abgekehrten, 
hinein  gehen,  wie  sie  überhaupt  auch  später  nur  diese  zum  Ein-  und  Aus- 
gehen benutzen  darf.  Ja  bis  der  Nabel  des  Kindes  abgefallen  ist,  darf  sie 
zur  vorderen  Thür  nicht  einmal  heraussehen.  In  diesem  Hause  nun  bleibt  die 
Wöchnerin  etwa  vier  Wochen;  doch  kann  sie,  wenn  sie  eine  arme  Frau  ist,  die 
keine  Diener  hat,  durch  welche  sie  ihr  Haus  versorgen  lassen  kann,  schon  früher 
diese  Hütte  verlassen,  jedenfalls  aber  nicht,  bevor  der  Nabel  des  Kindes  ab- 
gefallen ist. 

Bei  den  Loango-Negern  darf  ebenfalls  die  Wöchnerin  von  Männern  nicht 
eher  besucht  werden,  bis  der  Nabelschnurrest  abgefallen  ist.  Bei  den  Ewe  ist 
die  Mutter  sieben  Tage  unrein;  bei  ihnen  aber,  sowie  bei  den  anderen  Negern 
der  Sierra  Leone,  ist  sie  für  den  Gatten  nicht  nur  in  dem  Wochenbett,  sondern 
auch  während  der  ganzen  Säugeperiode  unzugänglich.    (Zündel.) 

Auf  den  Sandwichs-Liseln  muss  die  Frau  nach  der  Niederkunft  10  Tage 
lang  im  Walde  in  völliger  Abgeschlossenheit  von  den  Männern  zubringen» 
(CampbeU.) 

Auf  den  polynesischen  Liseln  begiebt  sich  die  Frau  gleich  nach  der  Ge- 
burt mit  ihrem  Kinde  zum  Priester  in  den  Marae,  wo  derselbe  die  Nabelschnur 
des  Elindes  unterbindet,  und  hier  verweilt  sie  so  lange,  bis  der  Nabelschnurrest 
vom  Kinde  von  selbst  abgefallen  ist.    {Moerenhout) 

Auf  Tahiti  muss  die  Wöchnerin  aus  vornehmer  Familie  zwei  bis  drei 
Monate,  aus  den  ärmeren  Klassen  aber  nur  zwei  bis  drei  Wochen  in  einer  ab- 
gesonderten Hütte  verbringen.  In  dieser  Zeit  darf  sie  ihr  Kind  säugen,  aber  sie 
selbst  muss  gefuttert  werden.  Der  Vater  des  Kindes  hat  unbehinderten  Zutritt; 
die  übrigen  Verwandten  dürfen  aber  nur  in  die  Hütte,  wenn  sie  alle  Kleider  ab- 
gelegt haben.  Alles,  was  das  Kind  berührt,  namentlich  mit  dem  Kopfe,  ist  sein 
Eigenthum.  Die  Aermeren  müssen  zum  Abschluss  dieser  Absperrung  fünf  Rei- 
nigungsopfer überstehen;  die  Reichen  werden  durch  ein  grosses  Fest  auf  dem 
Marae,  das  sogenannte  Oro afest,  entsühnt.     {Wilson) 

Auf  den  Pel  au -Inseln  bleibt  nach  Kuhary  der  Gatte  von  der  Wöchnerin 
zehn  Monate  lang  streng  geschieden;  er  schläft  in  dieser  Zeit  im  Junggesellen - 
hause  (Baj)  und  kommt  nur  zum  Essen  in  seine  Wohnung. 

In  Andai  an  der  Nordküste  von  Neu -Guinea  muss  nach  v.  Rosenherg 
die  Wöchnerin  14  Tage  lang  in  der  Gebärhütte  verweilen.  Es  ist  ihr  zwar  nicht 
absolut  verboten,  in  das  Ebus  ihres  Gatten  zu  kommen,  aber  je  weniger  dieses 
geschieht,  um  so  angenehmer  ist  das  den  Hausgenossen. 


388.  Die  Unreinheit  der  Wöchnerin.  351 

,In  keinem  Falle  aber  darf  das  Betreten  des  Hauses  auf  der  gewöhnlichen  Treppe  ge- 
schehen, sondern  vielmehr  auf  einem  Balken,  worin  nur  wenige  und  sehr  untiefe  Kerben  ein- 
gehauen sind,  um  dadurch  das  Auf-  und  Abklettem  so  mühsam  wie  möglich  zu  machen. 
Man  glaubt,  dass  wenn  die  Frau  auf  dem  sonst  üblichen  Wege  das  Haus  betreten  würde,  die 
Hausbewohner  durch  Krankheit  heimgesucht  würden.  Geht  Jemand  an  dem  kleinen  Hüttchen 
vorüber,  während  Mutter  und  Kind  sich  darin  befinden,  so  ist  es  ihm  verboten,  auf  demselben 
Wege,  auf  dem  er  gekommen,  zurückzukehren,  weil  man  glaubt,  dass  in  diesem  Falle  die 
Gärten  durch  Schweine  würden  verwüstet  werden.  Zufolge  eines  anderen  Gebrauches  muss 
jeder,  welcher  der  Mutter  mit  dem  noch  säugenden  Kinde  ausserhalb  des  Hauses  begegnet, 
das  Gesicht  von  ihr  abwenden,  aus  Furcht,  sonst  krank  zu  werden.*^ 

Die  Wöchnerin  gilt  auf  den  Neu-Hebriden  nach  Missionar  Macdonald 
für  unrein ;  kein  Mann  darf  ihre  Hütte  betreten.  In  derselben  muss  sie  mit  ihrem 
Kinde  30  Tage  lang  verharren.  Ihr  Mann  und  die  Verwandten  versorgen  sie  mit 
Nahrung.  Man  glaubt,  dass  ihre  Milch  versiegen  würde,  falls  sie  während  dieser 
Zeit  arbeitet.     Nach  Ablauf  dieser  Frist  badet  sie  sich  im  Meere. 

Die  gleichen  Anschauungen  herrschen  nach  Mertens  auf  den  Marianen-, 
den  Marshalls-  und  den  Gilbert-Inseln,  und  nach  v,  MiMucho-Maclay^  auf  den 
Carolinen. 

Auch  auf  den  Aaru- Inseln  wird  die  Entbundene  für  unrein  gehalten  und  muss 
einen  ganzen  Monat  hindurch  im  Zimmer  gegen  das  Feuer  gekehrt  liegen.  (Riedel^.) 

Unter  den  Eskimos  muss  die  Frau  eine  gewisse  Zeit  nach  der  Entbindung 
ganz  zu  Hause  bleiben;  dann,  bisweilen  erst  nach  zwei  Monaten,  besucht  sie  alle 
umliegenden  Häuser,  nachdem  sie  ihre  Kleider,  die  sie  nie  wieder  trägt,  mit  einem 
anderen  Anzüge  vertauscht  hat.  Nach  einem  anderen  Brauche  darf  sie  ein  volles 
Jahr  nicht  allein  essen.  Die  Eskimos,  die  nach  dem  Grunde  dieser  Sitte  ge- 
fragt wurden,  sagten,  die  ersten  Eskimos  hätten  dies  auch  so  gemacht.  (HcdL) 
Bei  den  Grönländern  haben  die  Wöchnerinnen,  wie  David  Oanjer  berichtet,  sehr 
viel  zu  beobachten.  Sie  dürfen  nicht  unter  freiem  Himmel  essen,  aus  ihrem 
Wassergefass  darf  Niemand  trinken,  noch  bei  ihrer  Lampe  einen  Spahn  anzünden, 
und  sie  selbst  dürfen  eine  Zeit  lang  nicht  darüber  kochen. 

Auch  die  Thlinkiten-Frau  ist  während  der  Wochenbettszeit  unrein  und  nur 
die  nächsten  weiblichen  Verwandten  dürfen  sie  mit  Nahrung  versorgen.  Aurel 
Krause  bemerkt  dazu: 

.Dieser  Gebrauch,  der  h&ufig  als  eine  besondere  Rohheit  und  Rücksichtslosigkeit  gegen 
das  weibliche  Geschlecht  geschildert  worden  ist,  möchte  vielleicht  gerade  aus  einer  gegen- 
theiligen  Gesinnung  entsprungen  sein,  wie  sie  auch  der  sonstigen  Stellung  der  Frauen  unter 
den  Thlinkiten,  die  keineswegs  eine  untergeordnete  ist,  wohl  entsprechen  würde.  Offenbar 
kann  den  Wöchnerinnen  in  den  kleinen  Hatten  eine  bessere  Pflege  zu  Theil  werden,  als  in 
dem  grossen,  gemeinschaftlichen  Wohngebäude,  und  unsere  Erkundigungen  ergaben  denn  auch, 
dass  diese  Maassregel  durchaus  nicht  als  Härte  aufgefasst  werde." 

Die  Indianer  an  der  Hudsons-Bay  belassen  die  Wöchnerin  4  bis  6 
Wochen  lang  als  unrein  in  der  Niederkunftshütte  unter  der  Pflege  zweier  Frauen. 
(Heame.)  Die  Chippeway*Wöchnerin  ist  ebenfalls  unrein,  und  sie  darf  acht 
Tage  hindurch  zum  Kochen  nur  ein  besonderes  Feuer  gebrauchen.  Wenn  ein 
Anderer  dasselbe  benutzt,  so  vrird  er  von  Krankheit  befallen  werden.  Der  Missionar 
Beierlein^  welcher  Ploss  dies  mittheilte,  sah,  dass  mehrere  junge  Indianer, 
welche  von  einer  Speise  gegessen  hatten,  die  an  demselben  Feuer  mit  der  Speise 
der  Wöchnerin  gekocht  worden  war,  sich  hin  und  her  wanden,  über  Leibschmerzen 
klagten  und  sich  eine  bittere  Arznei  geben  liessen,  weil  sie  fürchteten,  krank  zu 
werden. 

Die  Uinta-Indianerin  bleibt  2  bis  3  Wochen  in  der  Gebärhütte;  die 
Pueblo-Wöchnerin  muss  einen  besonderen  Reinigungsact  durchmachen.  Bei  den 
Macusis  in  Britisch-Guyana  ist  die  Wöchnerin  unrein  bis  zum  Abfall  der 
Nabelschnur  (SchoniburgJc)^  bei  den  califoraischen  Indianern  dauert  die  Un- 
reinheit 40  Tage  {de  Charlevoix), 


352  L^I*  ^^  Geremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

Burton  sah  auf  seinem  Wege,  300  Meilen  von  der  grossen  Salz  Seestadt 
im  Rubinenthaie,  bei  den  daselbst  angesiedelten  gezähmten  Wilden  eine  hübsche 
junge  Frau  mit  einem  neugeborenen  Kinde  in  einem  Korbe  abgesondert  im  Busche 
sitzen:  es  war  eine  unreine  Wöchnerin. 


389.  Die  Unreinheit  der  Woehnerin  bei  den  Caltarvolkern. 

Es  kann  uns  wohl  mit  Recht  überraschen,  die  Wöchnerin  auch  bei  relativ 
hochcivilisirten  Völkern  gleichsam  vollständig  abgesondert  von  der  menschlichen 
Gesellschaft  zu  finden.  So  ist  es  in  den  höheren  Gesellschafkskreisen  Chinas  die 
Regel,  dass  der  Mann  mit  seiner  Frau  einen  vollen  Monat  nach  der  Geburt  des 
Kindes  nicht  spricht  und  dass  ebenso  lange  kein  Besucher  in  das  Haus  kommen 
darf.  Um  dieses  anzudeuten,  wird  über  dem  Haupteingange  des  Hauses  ein 
Büschel  Immergrün  aufgehängt;  wer  dieses  Zeichens  ansichtig  wird,  meidet  das 
Haus  so  sehr,  dass  er  nicht  einmal  seine  Karte  an  der  Thüre  abgiebt.  Während 
des  ganzen  Monats  gelten  alle  Insassen  des  Hauses,  wie  Jeder,  der  dasselbe  betritt, 
für  unrein;  keine  dieser  Personen  darf  einen  Tempel  betreten.  Kerr  giebt  da- 
gegen von  den  Frauen  in  Canton  an,  dass  sie  sich  nach  der  Entbindung  nieder- 
legen, dass  sie  aber  am  3.  Tage  schon  wieder  ausgehen;  die  ärmeren  Klassen 
erheben  sich  oft  gleich  nach  der  Niederkunft,  aber  auch  die  Reicheren  bleiben 
nicht  liegen,  sondern  sie  halten  sich  nur  einen  Monat  lang  im  Zimmer,  weil  sie 
„unrein*  sind. 

Bei  den  Miaotze,  den  Ureinwohnern  der  Provinz  Canton,  darf  die  Ent- 
bundene am  zehnten  Tage  aus  dem  Hause  gehen;  aber  erst  nach  40  Tagen  arbeitet 
sie;  das  Reinigungsfest  wird  aber  schon  am  30.  Tage  gefeiert.  (Missionar  Krosceyh) 

Auch  die  Japanerin  gilt  nach  der  Entbindung  für  unrein  und  zwar  50 
Tage  hindurch.  Erst  nach  dem  Verlaufe  dieser  Zeit  darf  sie  wieder  das  Haus 
verlassen. 

Und  selbst  von  manchen  unter  den  heutigen  Völkern  Europas  wird  die 
Entbundene  als  unrein  betrachtet.  So  muss  sie  bei  den  Lappen,  wie  Scheffer 
angab,  einen  besonderen  Platz  in  der  Hütte  links  von  der  Thüre  einnehmen,  wo 
Niemand  hinkommt,  weil  sie  unrein  ist,  und  der  Mann  nähert  sich  seiner  Frau 
nicht  vor  dem  Ende  der  sechsten  Woche.  In  Ungarn  darf  sich  ausser  dem 
Vater  kein  Mann  dem  Wochenbette  nähern;  wagt  es  dennoch  einer,  so  wird  ihm 
der  Hut  genommen,  welchen  er  dann  mit  Geld  auslösen  muss.  (v.  Csaplovics.) 
In  Böhmen  und  Mähren  lässt  man  die  Wöchnerin  nicht  allein  zum  Brunnen 
oder  zum  Flusse  nach  Wasser  gehen,  damit  sie  nicht  das  Wasser  verderbe.  {Sumeow) 

Auch  in  Russland  macht  die  Niederkunft  die  Mutter  und  das  Kind  unrein; 
für  andere  Personen  ist  die  Berührung  mit  ihnen  bis  zum  Ablauf  des  natürlichen 
Processes  und  bis  zur  Vollziehung  bestimmter  vorgeschriebener  Gebräuche  ver- 
derblich. Als  Termin  der  Unreinheit  gelten  gemeinhin  40  Tage.  Bei  den  Gross- 
Russen  wird  die  Wöchnerin  zeitweilig  streng  von  der  anderen  Familie  gesondert; 
bei  den  Klein -Russen  aber  nicht.  Im  Gouv.  Nishni-Nowgorod  geht  die 
Geburt  in  der  Badestube  vor  sich;  hier  verbleibt  die  Wöchnerin  einige  Tage. 
Im  Gouv.  Tula  verweilt  sie  8  Tage  in  der  Badestube,  dann  begiebt  sie  sich  zu 
ihrer  Mutter,  bleibt  6  Wochen  da  und  kommt  dann  erst  zu  ihrem  Manne  nach 
Hause  zurück. 

Die  Idee,  dass  der  Umgang  mit  einer  Wöchnerin  verunreinige,  findet  sich 
unter  mancherlei  Gestalt  auch  bei  den  Völkern  germanischer  Abkunft.  Man 
nennt  in  Deutschland  ja  auch  die  Aussonderung  der  Genitalien  die  «Wochen- 
reinigung'^  und  hält  das  Ausbleiben  derselben  für  die  Ursache  des  Erkrankens, 
wobei  man  sagt:  „Die  Mutter  habe  sich  nicht  gereinigt.*  Spuren  einer  Vor- 
stellung des  Unreinseins  findet  man  in  folgendem  Aberglauben:   Im  Franken- 


390.  GeachleclitsuntorBchiede  in  der  ünreinlieit  der  W5clinerin.  853 

walde  darf  die  Wöchnerin  vor  Ablauf  der  Sechswochenzeit  oder  vor  der  „  Aus- 
segnung ^  nicht  zum  Brunnen  gehen,  sonst  versi^t  die  Quelle.  Ebenso  ist  es 
ihr  verboten,  auf  das  Feld  und  in  den  Garten  zu  gehen,  denn  sonst  gedeihen  die 
Früchte  auf  demselben  nicht.  In  Schwaben  darf  aus  dem  Hause,  wo  eine 
Wöchnerin  ist,  nichts  entlehnt  werden;  sie  selbst  darf  so  lange  kein  Weihwasser 
nehmen,  bis  sie  ausgesegnet  ist,  sondern  sie  muss  es  sich  geben  lassen. 

Bei  den  Neu -Griechen  ist  die  Wöchnerin  40  Tage  lang  unrein.  Sie  darf 
während  dieser  Zeit  die  Kirche  nicht  betreten,  geht  aber  am  40.  Tage  zur  Dank- 
sagung in  das  Gotteshaus.  Ueberhaupt  ist  ihr  wahrend  dieser  Zeit  verboten, 
irgend  einen  zu  heiligem  Gebrauche  dienenden  Gegenstand  zu  berühren.  Wer  im 
Besitze  eines  Talismans  ist,  muss  das  Haus  der  Wöchnerin  meiden;  in  ihrer  Nähe 
würde  derselbe  seine  Kraft  verlieren.     (WachsmiUh.) 

Hier  haben  wir  Ueberlebsel  aus  Alt-Griechenland  vor  uns,  denn  es  war 
der  Athenienserin  versagt,  vor  dem  40.  Tage  in  das  Freie  zu  gehen;  das  an 
diesem  Tage  abgehaltene  Fest  hiess  Tesserakostos;  es  war  einer  Wöchnerin  ver- 
boten, den  Tempel  zu  betreten  oder  eine  heilige  Handlung  zu  verrichten,  ohne 
zuvor  ein  Reinigungsbad  genonunen  zu  haben. 

Auch  bei  anderen  untergegangenen  Gulturvölkem  finden  wir,  dass  die 
Wöchnerin  für  unrein  angesehen  wurde,  z.  B.  bei  den  Römern,  den  Juden  und 
den  Indern.  Die  Römer  hielten  das  Haus,  in  dem  sich  eine  Wöchnerin  be- 
fand, für  unrein;  wer  aus  demselben  kam,  musste  sich  waschen,  und  das  Haus 
musste  später  entsühnt  werden. 


890.  Oeschleehtsnnterschiede  in  der  Unreinheit  der  Wöchnerin. 

Bei  der  Pulayer-Kaste  in  Indien  haben  wir  gesehen,  dass  durch  die  Ge- 
burt des  ersten  Kindes  die  Wöchnerin  stärker  verunreinigt  wird,  als  durch  die 
folgenden  Entbindungen.  Wir  begegnen  aber  auch  dem  Gebrauche,  dass  die 
Wöchnerin  auf  eine  verschieden  lange  Zeit  verunreinigt  ist,  je  nachdem  sie  einem 
Knaben  oder  einem  Mädchen  das  Leben  schenkte. 

Bekanntlich  machte  schon  das  Gesetz  des  Mosis  nach  dem  Geschlecht  des 
Neugeborenen  Unterschiede  in  der  Unreinheitsdauer.  Die  Vorschrift  lautet: 
(3.  Moses  12,  2—5): 

,Wenn  ein  Weib  besamet  wird,  und  gebieret  ein  Enäblein,  so  soll  sie  sieben  Tage 
unrein  sein,  so  lange  sie  ihre  Krankheit  leidet.  —  und  sie  soll  daheim  bleiben  drei  und 
dreissig  Tage  im  Blut  ihrer  Reinigung.  Kein  Heiliges  soll  sie  anrühren,  und  zum  Heiligthum 
soll  sie  nicht  kommen,  bis  dass  die  Tage  ihrer  Reinigung  aus  sind.  Gebiert  sie  aber  ein 
Mägdlein,  so  soll  sie  zwo  Wochen  unrein  sein,  so  lange  sie  ihre  Krankheit  leidet,  und  soll 
sechs  und  sechzig  Tage  daheim  bleiben  in  dem  Blut  ihrer  Reinigung.' 

Diesen  Unterschied  in  der  Wochenbettsdauer  nach  einer  Knaben-Geburt  und 
nach  der  eines  Mädchens  leitet  der  Talmudist  Maimonides  von  der  kälteren  Natur 
des  weiblichen  Geschlechts  ab;  er  sagt: 

.Die  Krankheiten  der  kalten  (weiblichen)  Naturen  bedürfen  einer  längeren  Reinigung, 
als  die  der  warmen  (männlichen)  Naturen;  und  da  des  Weibes  Natur  kalt  und  feucht,  auch 
die  Gebärmutter  bei  der  weiblichen  Geburt  gr5sser  ist,  als  bei  der  männlichen,  so  bedarf  es 
zur  Absonderung  der  kalten  Schleime  und  fauligen  Flüssigkeiten  bei  der  weiblichen  Geburt 
mehr  Zeit,  als  bei  der  männlichen,  wo  mehr  Hitze  und  weniger  Flüssigkeit  ist.  Auch  bringt 
eine  Frau  ein  männliches  Kind  zur  Welt,  wenn  der  Same  zuerst  von  ihr,  ein  weibliches  hin- 
gegen, wenn  solcher  zuerst  vom  Manne  geht.  Die  Geburt  eines  männlichen  Kindes  zeigt 
daher  eine  hitzige  Natur  der  Gebärerin,  sowie  die  Geburt  eines  weiblichen  Kindes  eine  kalte 
Natur  derselben  an.  Und  vermöge  der  hitzigen  Natur  geht  die  Absonderung  und  Reinigung 
von  den  krankhaften  Ausflüssen  schneller  vor  sich  bei  einer  männlichen,  als  bei  einer  weib- 
lichen Natur.* 

Ganz  ähnlich  lehrte  Hippokrates,  dass  bei  den  Knabengeburten  der  Wochen- 
duss  eine  nicht  so  lange  Dauer  habe,  als  nach  der  Niederkunft  mit  einem  Mädchen, 

Ploss- Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    IL  23 


354  LXI.  Das  Geremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

weil  nämlich  bei  der  Bildung  des  Fötus  die  Sonderung  der  Glieder  im  weiblichen 
Fötus  längstens  42,  im  mannlichen  hingegen  80  Tage  in  Anspruch  nehmen  sollte. 

Einen  Nachklang  hierzu  finden  wir  in  dem  was  Kluneinger  aus  Ober* 
Aegypten  berichtet  hat.  Hier  dauert  die  Unreinheit  der  Wöchnerin  vierzig 
Tage,  nach  deren  Ablauf  sie  baden  muss.  Bei  dieser  Gelegenheit  lässt  sie  sich 
40  Wasserbecher  über  das  Haupt  ausgiessen,  wenn  sie  einen  Knaben  geboren  hat ; 
ist  aber  das  Kind  ein  Mädchen  gewesen,  so  genügen  30  Wasserbecher. 

Auch  von  den  Bogos  in  Gentral-Afrika  erfahren  wir  von  Muneinger^ 
dass  das  Haus,  in  dem  die  Wöchnerin  weilt,  jedem  Manne  verschlossen  ist,  und 
zwar  dauert  diese  Abschliessung  nach  der  Niederkunft  mit  einem  Knaben  vier 
Wochen  lang,  während  nach  der  Geburt  eines  Mädchens  drei  Wochen  für  aus- 
reichend gehalten  werden.  Nach  dem  Ablaufe  dieser  Zeit  wird  das  Haus  durch 
Kp.ucherungen  gereinigt. 

Es  liegt  hier  nun  die  Yermuthung  nicht  gar  so  fem,  dass  wir  in  diesen 
eigen thümlichen  Gebräuchen  der  Bogos  und  der  Ober-Aegypter  Reminiscenzen 
aus  dem  Alterthume  vor  uns  haben,  deren  hartnäckige  Dauer  in  Afrika  ja  auch 
durch  andere  Beispiele  bewiesen  wird.  Interessant  ist  es  aber  dabd,  dass,  wenn 
dieses  zutrifft,  im  Laufe  der  Jahrhunderte  sich  die  Anschauungen  völlig  umgekehrt 
haben.  Denn  während  bei  den  antiken  Völkern  eine  Mädchen-Geburt  die  verun- 
reinigendere  war,  ist  es  jetzt  gerade  die  Geburt  eines  Kjiaben,  welche  die  Wöch- 
nerin länger  unrein  macht. 

Ausgeschlossen  ist  nun  aber  eine  üebertragung,  wenn  wir  von  der  Crih- 
Indianerin  hören,  dass  sie  sich  nach  der  Nieder^nft  mit  einem  Knaben  auf 
zwei  Monate,  aber  nach  der  Geburt  eines  Mädchens  auf  drei  Monate  von  ihrem 
Ehemanne   trennen  muss.     Hier  verunreinigt   also   wieder   das  Mädchen  stärker. 


391.  Wochenbettsgebrilache. 

Die  Ankunft  eines  neuen  Weltbürgers  und  die  damit  verbundene  Erlösung 
des  Weibes  aus  langer  und  banger  Sorge  und  Erwartung  und  aus  den  Schmerzen 
und  Drangsalen  der  Niederkunft  ist  ein  so  erfreuliches  Ereigniss,  dass  wir  nicht 
selten  auch  äusserlich  dieser  Freude  einen  Ausdruck  geben  sehen.  Man  giebt  dies 
unter  anderem  durch  Schmückung  des  Hauses  kund,  in  dem  sich  die  Wöchnerin 
befindet:  In  Old-Galabar  wird  über  der  Mitte  der  Thür  eines  Hauses,  in  welchem 
eine  Geburt  stattgefunden  hatte,  ein  Büschel  von  grünen  Blättern  an  einen  Strick 
gebunden  ausgehängt  als  Zeichen  dessen,  was  sich  hier  ereignet  hat.  (Hevan.) 
Dies  Bezeichnen  eines  Geburtshauses  scheint  auch  in  Afrika  weiter  gebräuchlich 
zu  sein,  denn  die  Basuthos  hängen  ein  Bündel  Bohre  über  das  Thor,  um  vom 
Publikum  Rücksicht  auf  die  Wöchnerin  zu  erbitten.  (Casälis.)  Als  Zeichen,  dass 
ein  Kind  geboren  ist,  wird  femer  bei  den  Marolong  (Betschuanen-Stomm) 
ein  Kaross  (Kleidungsstück)  über  die  Thür  der  Hütte  gehängt.  (Joest.)  Schon  in 
Alt-Griechenland  umwand  man  die  Thürpfosten  mit  Oelzweigen  oder  mit 
Wollenbinden,  um  damit  sofort  den  Nachbarn  das  Geschlecht  des  Neugeborenen 
zu  erkennen  zu  geben.  Die  alten  Römer  bekränzten  die  Thür  des  Hauses  mit 
Kränzen  von  Lorbeer,  Epheu  und  duftenden  Kräutern. 

Einzelne  wenige  Völkerschaften  sind  es,  bei  denen  die  allgemeine  Yolks- 
anschauung  dem  glücklichen  Vater  wenigstens  äusserlich  eine  scheinbare  Gleich« 
gültigkeit  gebietet  oder  ihm  ein  überraschend  ernstes  Benehmen  bei  dem  ebenso 
wichtigen  als  frohen  Familienereignisse  vorschreibt.  Bei  den  Alfuren  auf  der 
Insel  Serang  in  Niederländisch-Indien  bekümmert  sich  der  Vater  in 
den  ersten  2 — 4  Monaten  nach  der  Geburt  wenig  oder  gar  nicht  um  das  Kind. 
Man  erklärte  dies  dem  Gapitän  Schulze  mit  dem  Umstände,  dass  viele  Kinder  in 
den  ersten  Monaten  sterben  und  der  Mann  sich  darum  nicht  zu  früh  an  das  Glück, 


391.  Wochenbettsgebrftuche.  355 

einen  Sprössling  zu  haben,  gewöhnen  will.  Allerdings  darf  auch  bei  vielen 
anderen  Völkern  der  Vater  das  Neugeborene  nicht  sehen,  aber  nur  aus  dem  vor- 
her entwickelten  Grunde,  weil  die  Wöchnerin  ihn  verunreinigen  würde. 

Wie  sehr  verschieden  bei  den  meisten  Völkern  des  Vaters  Vergnügen  sich 
je  nach  dem  Geschlecht  des  Kindes  äussert,  haben  wir  früher  ausflihrlich  be- 
sprochen, und  die  Wöchnerin  hat  gar  häufig  wenig  Dank  von  der  Geburt  einer 
Tochter,  was  höchst  charakteristisch  für  den  Werth  und  die  Geltung  des  weib- 
lichen Geschlechts  bei  dem  betreffenden  Volke  ist. 

Es  zeugt  jedenfalls  bereits  von  einem  gewissen  Grade  von  Cultur,  wenn  an 
dem  freudigen  FamiUenereigniss  auch  die  Verwandten  und  die  Freunde  einen 
thätigen  Antheil  nehmen.  So  sitzt  nach  Feihin  bei  den  Mahdi-Negern  die 
Wöchnerin  am  4.  Tage  mit  ihrem  Kinde  in  der  Thür  der  Hütte  und  nimmt  die 
Glückwünsche  ihrer  Freunde  entgegen.  Bei  den  Hindu  schickt  der  Vater  einen 
kleinen  Jungen  oder  ein  kleines  Mädchen  aus  der  Familie  mit  einer  Magd,  um 
den  Verwandten  die  Geburt  des  Kindes  anzuzeigen.  Auf  den  Tanembar-  und 
Timorlao-Inseln  benachrichtigt  der  Ehemann  so  schnell  wie  möglich  den  Schwieger- 
vater und  die  Blutsverwandten  von  der  glücklich  erfolgten  Entbindung,  die  dann 
mit  Geschenken  (Erd-  und  Feldfirüchten,  einigen  Stücken  Gold  und  Leinewand) 
kommen,  um  den  jungen  Weltbürger  zu  bewundem.  Auf  den  Sermata-Inseln 
statten  die  Blutsverwandten  nach  der  ersten  Niederkunft  am  2.  oder  am  5.  Tage 
im  Wohnhause  ihre  Besuche  ab,  um  ihre  Glückwünsche  darzubringen.  Bei  dieser 
Gelegenheit  bringen  die  Frauen  Geschenke  mit,  rothe,  schwarze  und  weisse  Leine- 
wand, Reis,  Sirih-Pinang,  Pisang,  Sagu,  Kaiapanüsse,  Tabak,  Fische  und  sogar 
auch  Wasser  und  Brennholz.  Zwanzig  Tage  später  ist  der  junge  Vater  verpflichtet, 
ein  grosses  Fest  zu  veranstalten.  Bei  den  B ab ar- Insulanerinnen  wird  dieses  Fest 
schon  am  10.  Tage  gefeiert  und  hiermit  das  Wochenbett  als  abgeschlossen  be- 
trachtet. Erst  zu  diesem  Feste  erscheinen  die  Verwandten  mit  ihren  Geschenken 
und  Glückwünschen.  Sofort  nach  der  Entbindung  empföngt  die  Wöchnerin  auf 
den  Keei- Inseln  die  Gratulationen  der  Verwandten,  aber  nur  von  denjenigen 
^weiblichen  Geschlechts.    (RiedelK) 

Eigenthümliche  Gebräuche  in  der  Wochenbettsperiode  haben  wir  früher 
schon  von  den  Ovaherero  in  Süd-Afrika  kennen  gelernt.  Wirkte  der  Anblick 
der  Wöchnerin  auch  verunreinigend  und  schädigend  auf  die  Männer,  so  wird  die- 
selbe doch  in  anderer  Beziehung  auch  gewissermaassen  als  heilig  angesehen. 
Viehe  schreibt  hierüber: 

.Sie  verrichtet  auch  gewisse  religiöse  Gebräuche,  welche  sonst  von  dem  Priester  als 
fungirendem  Haupte  der  Familie  besorgt  werden.  Letzterer  muss  n&mlich  täglich  alle  Milch 
auf  der  Onganda  weihen,  indem  er  vor  dem  Gebrauche  ein  wenig  davon  kostet.  Ist  dagegen 
eine  Wöchnerin  auf  der  Onganda,  so  wird  die  Milch  nur  zu  ihm  gebracht,  damit  er  seinen 
rechten  Zeigefinger  in  dieselbe  tunkt  und  ihn  so  zur  Herzgrube  führt.  Das  sogenannte  makaran , 
d.  h.  das  Weihen  durch  Berührung  mit  dem  Munde,  geschieht  in  dieser  Zeit  aber  von  der 
Wöchnerin." 

Nach  dem  Berichte  von  JDannert  nimmt  die  Wöchnerin  von  dem  für  sie 
gekochten  Fleisch  einige  ganz  kleine  Stückchen  ab.  Diese  weiht  sie  dadurch, 
dass  sie  sie  anhaucht  und  des  Neugeborenen  Zehen  damit  bestreicht.  Sie  heissen 
dann  ondendura  und  werden  nach  der  Weihung  bis  zum  Abend  weggesetzt.  Ist 
nun  das  neugeborene  Kind  ein  Knabe,  so  werden  diese  ondendura  nach  Sonnen- 
untergang einem  beliebigen  kleinen  Mädchen  zu  essen  gegeben;  war  das  Neuge- 
borene ein  Mädchen,  so  muss  ein  Knabe  diese  Fleischstückchen  verzehren,  üeber 
die  Bedeutung  dieser  Sitte  ist  man  nicht  klar;  denn  wenn  die  Einen  angeben,  dass 
dies  deshalb  geschehe,  damit  der  nächste  Sprössling  nicht  wieder  von  demselben 
Geschlecht  sei,  wie  der  letztgeborene,  so  erklären  die  Anderen,  dass  ihnen  hiervon 
nichts  bekannt  sei. 

Von  dem  Zeitpunkte  an,  wo  der  Nabelschnurrest  des  Bandes  abgefallen  ist, 

23  • 


356  L^*  ^^  CeremonieU,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

wird  auch  das  Feuer  von  der  hinteren  Thür  der  Wöchnerin-Hütte  an  die  vordere 
verlegt.  Das  erste,  was  dann  gekocht  wird,  ist  die  Brust  und  der  Oberschenkel 
eines  Thieres,  die  man  bis  jetzt  aufbewahrt  hatte.  Dann  darf  auch  der  glückliche 
Familienvater  konunen  und  seine  Frau  und  den  neugeborenen  Säugling  sehen, 
doch  ist  es  ihm  auch  jetzt  noch  nicht  erlaubt,  das  Haus  der  Wöchnerin  zu  be- 
treten. Er  weiht  nun  auch  das  Fleisch  der  Brust  und  des  Oberschenkels,  indem 
er  Wasser  in  den  Mund  nimmt,  dieses  auf  das  Fleisch  spritzt  und  dann  ein 
Stückchen  davon  abbeisst.     Dabei  spricht  er  folgende  Worte: 

„Mir  ist  ein  Mensch  geboren,  Knabe  (oder  Mädchen)  in  diesem  Dorfe,  welches  ihr 
(Ahnen,  Vorfahren)  mir  gegeben.    Es  gehe  ihm  gat.    Es  (das  Dorf)  yergehe  nie.** 

Von  den  alten  Einwohnern  (Guatemalas  berichtet  StoU: 

^Bei  der  Geburt  eines  Kindes  wurde  dem  Priester  ein  Hohn  zum  Dankopfer  für  die 
Götter  übergeben  und  das  Ereigniss  mit  den  Verwandten  festlich  begangen.  Wenn  das  Kind 
zum  ersten  Male  gewaschen  wurde,  was  in  einer  Quelle,  oder,  mangels  dieser,  im  Flusse  ge- 
schah, so  opferte  man  Weihrauch  und  Papageien.  Man  warf  bei  dieser  Gelegenheit  alles 
Geschirr,  welches  der  Mutter  während  der  Geburtszeit  gedient  hatte,  in  den  Fluss  als  Opfer 
für  dessen  Gottheit.  Man  Hess  vom  Wahrsager  das  Loos  werfen,  um  den  Tag  zu  erfahren, 
an  welchem  es  gerathen  wäre,  die  Nabelschnur  zu  entfernen,  und  wenn  der  Tag  bestimmt 
war,  legte  man  dieselbe  auf  einen  buntkömigen  Maiskolben  und  schnitt  sie  unter  Segens- 
sprücben  mit  einem  Steinmesser  durch.  Letzteres  wurde  als  heiliger  Gegenstand  in  eine  Quelle 
geworfen." 

Auf  den  Tanembar-  und  Timorlao-Inseln  müssen  in  der  ersten  Zeit  die 
Männer  das  Kind  tragen  und  versorgen,  während  die  Frau,  nachdem  sie  gebadet 
hat,  ihr  gewöhnliches  Tagewerk  verrichtet.  Aehnlich  wie  bei  den  Ovaherero 
finden  wir  auch  noch  bei  den  Kirgisen  den  Gebrauch,  zum  Danke  für  die  glück- 
lich erfolgte  Entbindung  der  Gottheit  ein  Speiseopfer  darzubringen.  Unmittelbar 
nach  der  Niederkunft  wird  ein  Schafbock  geschlachtet,  das  rechte  Hinterviertel, 
die  Leber,  der  Fettschwanz,  das  Bückgrat  und  der  Hals  werden  in  einen  Kessel 
gethan  und  gekocht;  das  übrige  Fleisch  wird  roh  aufgehoben  und  im  Verlauf 
der  drei  auf  die  Niederkunft  folgenden  Tage  als  Opfer  verbrannt.  Ist  das  ange- 
setzte Fleisch  gar,  so  werden  die  Nachbarn  herbeigerufen,  um  ihnen  die  Gebur^ 
des  Kindes  zu  melden;  das  gekochte  Fleisch  wird  an  die  anwesenden  Weiber  ver- 
theilt,  den  Hals  bekonmit  diejenige  Frau,  welche  das  Kind  entgegennahm.  Der 
auf  die  Niederkunft  folgende  Tag  gilt  als  ein  besonders  glücklicher  und  wird  in 
Heiterkeit  verbracht,  und  die  versammelten  Frauen  werden  bewirthet,  so  gut 
man  kann. 


i.  Der  Aberglaube  des  Wochenbettes. 

Wir  begegnen  im  Wochenbett,  und  zwar  bereits  von  den  allerersten  Stunden 
desselben  an,  mancherlei  absonderlichen  und  abergläubischen  Gebräuchen,  von 
deren  Ursprung,  Sinn  und  Bedeutung  die  Völker,  bei  denen  wir  sie  im  Schwange 
finden,  sich  sehr  häufig  selber  keine  Rechenschaft  zu  geben  vermögen. 

Ein  Theil  dieser  Gebräuche  hat  seinen  Ursprung  in  den  Gefahren  der  Er- 
krankung, welchen  die  Wöchnerin  ausgesetzt  ist.  Unter  diesen  nimmt  nächst 
den  bereits  früher  besprochenen  Gebärmutterblutungen  das  furchtbare,  durch  faulige 
Infection  und  Blutvergiftung  hervorgerufene  Kindbettfieber  die  hervorragendste 
Stelle  ein.  Der  Ausbruch,  der  ganze  Verlauf  und  die  Tödtlichkeit  dieser  Affection 
hat  etwas  Dämonisches;  und  bei  vielen  Völkern  zeigt  sich  ja  überhaupt  der 
Glaube,  dass  jede  Krankheit  eine  Wirkung  böser  Geister  sei.  Daher  sucht  man 
auf  alle  Weise  die  heimtückischen  Krankheitsteufel  zu  bannen.  Charakteristisch 
ist,  wie  man  sich  diese  Geister  vorstellt. 

Die  Juden  fürchten  für  die  Wöchnerin  und  ihr  Kind  Gefahren  von  der 
Lilithj  gegen  die  sie  im  Zimmer  Amulete  und  Zettel  mit  Bibelsprüchen  aufhängen. 
Wir  haben  diesen  Dämon  schon  früher  kennen  gelernt.    In  Galizien   ist   dieses 


892.  Der  Aberglaube  des  Wochenbettes.  357 

heute  noch  der  Fall,  wie  ganz  neuerdings  Spinnef'  in  Lemberg  berichtet. 
Nach  allen  vier  Weltgegenden  muss  sofort  nach  der  Entbindung  je  ein  Zettel 
aufgehängt  werden,  welcher  in  hebräischer  Sprache  gedruckt  folgenden  Zauber- 
segen enthält: 

,Im  Namen  des  grossen  und  furchtbaren  Gottes  Israels!  Der  Prophet  Elias  begegnet 
einst  einem  Phantome,  Namens  lAUÜh  und  dessen  ganzem  Gefolge.  Wohin  Du  Unreine  und 
BOse,  und  Dein  ganzes  unreines  Gefolge?  Herr  Elias  —  erwiderte  sie  —  ich  gehe  ins  Haus 
der  Wöchnerin  N,  N.,  um  derselben  Morpheum  zu  geben  und  ihr  neugeborenes  Söhnchen  zu 
nehmen,  damit  ich  mich  an  dessen  Blut  sättige,  das  Mark  seiner  Glieder  aussauge  und  seinen 
Cadaver  zurücklasse.  Darauf  antwortete  JE7ia«;  Verbannt  sollst  Du  vom  Allmächtigen  sein 
und  ein  stummer  Stein  sollst  Du  werden.  —  Um  Gottes  Willen  befreie  mich,  ich  werde 
fliehen  und  schwöre  Dir  beim  Allmächtigen,  dem  Lenker  der  Schicksale  Israels,  diese 
Wöchnerin  und  ihr  neugeborenes  Kind  in  Ruhe  zu  lassen,  auch  schwöre  ich  Dir  dass,  sobald 
ich  meine  Namen,  die  ich  Dir  jetzt  entdecke,  vernehmen  werde,  ich  sogleich  fliehen  werde. 
Wenn  man  meine  Namen  entdecken  wird,  werde  weder  ich,  noch  mein  Gefolge  Macht  haben, 
Uebles  zu  thun  und  ins  Haus  der  Wöchnerin  zu  kommen,  geschweige  sie  zu  beschädigen. 
Jetzt  also  lasse  die  Namen  im  Hause  der  Wöchnerin  oder  des  Kindes  anbringen.  Sie  lauten : 
Strina,  LilUkj  Ahithu,  Amisu,  Amisrofuh,  K(ejkasch,  Odem,  Ik,  Podu,  Eüu,  PaUntto,  Abschu, 
Rata,  Kali,  BUno,  ToÜu  und  Partschu,  Und  jeder,  der  diese  meine  Namen  kennt  und  auf- 
schreibt, wird  bewirken,  dass  ich  sofort  vom  Kinde  fliehen  werde.  Bringe  also,  Elias,  im 
Hause  der  Wöchnerin  oder  des  Kindes  diese  Schutzformel  an,  und  dadurch  wird  die  Mutter 
von  mir  nie  beschädigt  werden.    Amen,  Amen,  Solu,  Selu!** 

Unten  an  diesem  Zettel  ist  dann  noch  das  folgende  Schema  angebracht, 
in  welchem  die  Worte  Sinow^  Wsinsinow  und  Isomngölof  die  Namen  von  be- 
stimmten Engeln  sind: 


Allmächtiger 

Sinoto 

Abraham  und  Sara, 

zerreisse 
Isäk  und  Bebeka, 

den  Satan 

Isomngölof 

Jacob  und  Lea. 

il 

»  i 

Adam  und  Eva 
innerhalb, 

fr 

LiKth  und  ihr  Gefolge 
ausserhalb. 

Bei  den  Römern  wurde  der  Süvanus  als  der  Feind  der  Wöchnerinnen  an- 
gesehen; um  dieselben  zu  schützen,  mussten  des  Nachts  drei  Männer  mit  beson- 
deren symbolischen  Werkzeugen  Wache  halten.  Die  Symbole  beziehen  sich  auf 
drei  Gottheiten,  welche  die  Entbundenen  schützten.  Der  eine  der  Männer  schlug 
mit  einem  Beile  auf  als  Vertreter  der  Intercidana  (a  securis  intercisione);  der 
zweite  warf  ein  Pilum  gegen  die  Thür,  wie  man  es  zum  Zerstampfen  des  Ge- 
treides benutzte:  das  bedeutete  den  Püumnus.  Der  dritte  endlich  führte  einen 
Besen,  mit  dem  er  die  Schwelle  des  Hauses  fegte:  das  war  das  Attribut  der 
Deverra. 

Der  Wöchnerin  werden  in  Abyssinien  viele  Amulete  angehängt,  und  so- 
bald sie  sich  von  der  Anstrengung  der  Entbindung  erholt  hat,  stellt  man  vor  ihr 
Gesicht  einen  Spiegel,  in  den  sie  veranlasst  wird,  unverwandten  Blickes  hineinzu- 
schauen und  sich  selbst  zu  betrachten.  Dazu  macht  die  alte  Frau,  die  ihr  bei- 
steht, in  einem  auf  der  Erde  stehenden,  halb  mit  Kohlen  geftlllten  Topfe  von  Zeit 
zu  Zeit  Bäucherungen  mit  aromatischen  Kräutern,  deren  Dampf  die  Hütte  erfüllt 
und  die.  Wöchnerin  beinahe  erstickt.     (Blatte.) 

Bei  den  Völkern  des  Islam  und  nach  PolaJc  auch  in  Persien  wird  die 
Wöchnerin  mit  Amuleten  behängt,  welche  aus  Papierstückchen  bestehen,  auf  die 
man  einen  Koranspruch  geschrieben  hat. 

In  Armenien  wird  die  ersten  sechs  Wochen  nach  der  Entbindung  keine 
Wöchnerin  allein  im  Zimmer  gelassen  aus  Furcht  vor  dem  Teufel,  der  ihr  besonders 


358  LXI.  Das  Ceremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

geföhrlich  ist.  (Meyerson,)  Bei  den  Georgiern  weiht  der  Priester  das  Haus  der 
Wöchnerin  mit  heiligem  Wasser  und  legt  die  Bibel  auf  die  Entbundene.  (Eichwald.) 

Bei  den  Guriern  bettet  man  die  Wöchnerin  in  ein  ausgeschmücktes  Zimmer, 
wobei  man  sie  zur  Abhaltung  böser  Geister  mit  einem  Netze  bedeckt;  das  Lager 
wird  mit  Vorhängen  von  Damast  versehen  und  es  werden  ihr  Muscheln  unter 
das  Kopfkissen  gelegt.  In  der  ersten  Nacht  begiebt  sich  die  Familie  nur  erst 
mit  Tagesanbruch  zur  Ruhe.  Sobald  sich  die  Nachricht  von  der  Geburt  des 
Kindes  verbreitet,  eilen  die  Fürsten  und  Edelleute,  der  gemeine  Mann  und  selbst 
die  Frauen  der  Umgegend  herbei,  letztere  in  seltsamen  Vermummungen,  bald  als 
Schweine,  bald  als  Pferde  verkleidet;   dann  wird  gesungen,  musicirt  und  getanzt. 

Bei  den  Kirgisen  im  Districte  Semipalatinsk  wird  zum  Schutze  vor 
Unheil  über  das  Lager  der  Wöchnerin  hinweg  ein  Strick  gezogen,  an  welchem 
man  einige  geistliche  Bücher  hängt,  um  den  Teufel  (^Schaitan",  d.  L  Satan)  ab- 
zuhalten. Die  Frauen  bleiben  die  Nacht  über  bei  ihr  und  zünden  ein  Feuer  auf 
dem  Herde  an;  sonst  kommt  der  Teufel.  Erst  wenn -das  Wochenbett  als  abge- 
schlossen betrachtet  wird,  werden  diese  Bücher  wieder  entfernt. 

Vamhery  berichtet  von  den  mittelasiatischen  Türken,  worunter  er  vor- 
nehmlich die  Kara-Kirgisen  versteht,  das  Folgende: 

, Während  der  Gebart  selbst  befindet  sieb  die  Frau  zumeist  in  halbsitzender  Stellung, 
ja  an  vielen  Orten  wird  die  Gebärende  unter  den  Armen  gefasst,  und  zwar  unter  dem 
Tünlük  (obere  Oeffiinng  des  Zeltes)  in  die  Höhe  gehalten.  Ist  die  Geburt  erfolgt,  so  wird 
reichlich  Fett  in's  Feuer  geworfen.  Damit  der  böse  Geist  die  Mutter  von  den  Nachwehen 
befreie  und,  falls  letztere  dessen  ungeachtet  nicht  aufhören  sollten,  werden  folgende  Mittel 
angewendet: 

a)  Es  wird  aus  dem  Gestüte  ein  Pferd  mit  grossen,  hellen  Augen  gebracht,  mit  dessen 
Maul  man  den  Busen  der  Leidenden  berührt,  wodurch  der  böse  Geist  vertrieben  wird. 

b)  Es  wird  eine  Eule  in*s  Zelt  getragen  und  gewaltsam  zum  Schi'eien  gebracht,  im 
Glauben,  dass  der  böse  Geist  hierdurch  verscheucht  wird.  Diesem  Vogel  wird  besonders  viel 
geheime  Kraft  zugeschrieben,  daher  denn  auch  mit  seinen  Federn  die  Kappe  des  Kindes  als 
Talisman  versehen  wird. 

c)  Man  setzt  aus  ähnlichen  GrQnden  irgend  einen  Raubvogel  auf  den  Busen  der  Ge> 
bärenden. 

d)  Man  bewirft  die  Leidende  mit  Stachelbeeren,  in  der  Hoffnung,  dass  der  böse  (reist 
an  denselben  kleben  bleiben  wird,  oder  man  zündet  dieselben  an,  in  der  Annahme,  dass  der 
üble  Geruch  des  Bauches  verscheuchend  wirke. 

e)  Es  wird  neben  dem  Kopfkissen  der  Leidenden  ein  Schwert  mit  der  Schneide  nach 
oben  vergraben,  hoffend,  dass  dessen  Anblick  die  bösen  Geister  verscheuchen  wird. 

f)  Es  wird  ein  Bachschi  (Sänger)  gerufen,  der  in*s  Zelt  stürzend  auf  die  Leidende  sich 
wirft,  um  mittelst  leichter  Schläge  mit  seinem  Stabe  den  quälenden  Geist  zu  verjagen.  Wenn 
schliesslich  Alles  dies  nichts  helfen  sollte,  nur  dann  erst  wird  die  Nachgeburt  mit  den  Händen 
genommen." 

Für  die  Mutter  und  das  Kind  wird  auch  der  böse  Blick  gefürchtet.  In 
Serbien  ist  das  nach  Petrowitsch  der  Grund,  warum  die  Entbundene  40  Tage 
im  Wochenbette  verharrt. 

Bei  den  Ungarn  wird  das  Wochenbett  meist  in  einem  Winkel  der  Stube 
zurecht  gemacht  und  mit  umgehängten  Leintüchern  verdunkelt,  damit  die  Mutter 
oder  das  Kind  nicht  vom  AnbUck  fremder  Menschen  krank  werde.  Täglich  schicken 
die  Gevatterinnen  der  Wöchnerin  ein  paar  besonders  gut  zubereitete  Speisen,  bis 
sie  wieder  aufoteht,  was  gewöhnlich  zwischen  12 — 14  Tagen,  oft  auch  schon  früher 
geschieht.  Der  Mann  hat  während  dem  gute  Tage,  denn  er  verzehrt  die  Kuchen 
und  Speisen,  welche  sein  Weib  nicht  bezwingen  kann. 

Im  russischen  Gouv.  Perm  geht  die  Hebamme  manchmal  gleich  nach  der 
Niederkunft,  oft  aber  erst  nach  dem  Verlaufe  von  sechs  Wochen,  mit  einem  reinen 
Eimer  zum  Fluss;  nachdem  sie  ihn  gefüllt  hat,  schöpft  sie  mit  der  rechten  Hand 
drei  mal  neun  Handvoll  Wasser  in  ein  bereit  gehaltenes  Becken  imd  murmelt 
dabei  allerlei,  um  die  Wöchnerin  zu  schützen. 


392.  Der  Aberglaube  des  Wochenbettes.  35g 

An  einigen  Orten  Russlands  giesst  man  der  Wöchnerin  »besprochenes* 
Wasser  auf  die  Bände  oder  über  den  Bücken.  Dies  erinnert  an  die  Hände- 
waschung der  Wöchnerin  nach  der  Geburt  {AoevQä  Aexcoiva)  durch  die  Hebamme 
bei  den  alten  Griechen. 

Unmittelbar  nach  der  Entbindung  giebt  man  in  Russland  der  Frau  etwas 
in  die  Hände  oder  legt  ihr  etwas  unter  das  Haupt,  was  sie  vor  Zauberei  schützen 
soll.  In  Klein-Russland  sind  es  Kornblumen  oder  ein  am  Ostersonntag  ge- 
weihtes Messer,  in  Bulgarien  ein  Ring  oder  Knoblauch. 

In  Gross-Russland  stellte  man  in  alter  Zeit  einen  Badebesen  in  den 
Winkel  und  meinte  dadurch  die  Wöchnerin  und  das  Kind  schützen  zu  können. 

Im  Gouv.  Charkow  wird  ein  Gefass  mit  Wasser  neben  die  Wöchnerin 
gesetzt,  damit  sie  kein  Milchfieber  bekonmie.  Bei  den  Kassuben  hütet  man  sie 
dadurch,  dass  man  mit  Kreide  ein  Kreuz  an  das  Hausthor  malt.     {Sumeow.) 

Die  Polin  bei  Krakau  wird  nach  Kopemichi 
im  Wochenbett  durch  die  Glockenblume  vor  den  Schä- 
digungen durch  die  Nixen  bewahrt. 

In  Deutschland  sind  zahlreiche  abergläubische 
Vorkehrungen  zum  Schutze  der  Wöchnerin  gebräuchlich. 
Sie  muss,  so  heisst  es  zu  Ruhla  in  Thüringen,  Nachts 
12  Uhr  im  Bett  sein,  »weil  dann  der  Herr  bei  ihr  ist''. 
Wer  in  das  Wochenzimmer  tritt,  muss  zuerst  das  Kind 
segnen,  bevor  er  die  Mutter  anredet  (Mecklenburg). 
In  Mecklenburg  schützt  ein  Beinkleid,  welches  auf 
das  Bett  der  Wöchnerin  gelegt  wird,  vor  Nachwehen. 
In  der  Umgegend  von  Königsberg  in  Preussen 
wäscht  man  nach  der  Entbindung  die  Frau  mit  ihrem 
eigenen  Blute,  damit  die  gelben  Mecke  im  Gesicht  ver- 
gehen. Eine  Wöchnerin  darf  in  Berlin  in  der  ersten 
Zeit  nach  der  Niederkunft  keinen  männlichen  Besuch 
empfangen,  auch  nicht  den  der  nächsten  Anverwandten, 
wenn  nicht  zuvor  drei  Besucherinnen,  die  nicht  gleich- 
zeitig zu  ihr  kamen,  bei  ihr  gewesen  sind  und  ihr  Kind 
gesehen  haben.  Handelt  sie  dem  zuwider,  so  wird  ihr 
Kind  kein  Jahr  alt  werden  und  sie  wird  nie  wieder  eines 
Kindes  genesen.    (Krause.) 

An  vielen  Orten  Deutschlands  (Schwaben, 
Thüringen  u.  s.  w.)  darf  vor  dem  3.  oder  9.  Tage  aus  «  g^Q  p«  1^  in  wö  hn 
dem  Hause  der  Wöchnerin  nichts  entlehnt  werden.  Wäh-  rfi^der  Battak^er  (Sumatrat 
rend  der  ersten  9  Tage  wird  in  Thüringen  keine  Wäsche  aus  dem  schuiterWatte  eines  ge- 
gewaschen;  drei  Tage  lang  darf  die  Frau  nicht  aUein  mu^Ä^ÄS^Äi». 
gelassen  werden;  vor  Ablauf  der  ersten  6  Wochen  darf  sie  (Nach  Photographie.) 

nicht  in  den  Keller,  noch  auch  auf  den  Boden  oder  an  den 

Brunnen  gehen;  es  muss  stets  bei  ihr  Licht  brennen,  sonst  kommen  die  Hexen, 
die  das  Kind  gegen  einen  Wechselbalg  umtauschen.  In  Schwaben  darf  die  Frau 
sich  in  den  ersten  14  Tagen  nicht  kämmen,  sonst  bekommt  sie  Kopf  leiden  oder 
die  Haare  gehen  ihr  aus;  auch  darf  sie  daselbst,  so  lange  sie  nicht  ausgesegnet 
ist,  keines  von  ihren  IGeidem  ins  Freie  hängen,  sonst  bekommt  der  Teufel  Gewalt 
über  sie.  Wenn  im  Voigtlande  die  Wöchnerin  zum  ersten  Male  Wasser  aus 
dem  Brunnen  holt,  so  muss  sie  in  letzteren  ein  Geldstück  werfen,  sonst  bleibt 
das  Wasser  aus,  und  geht  sie  zum  ersten  Mal  in  den  Keller,  so  muss  sie  in  einem 
Papierstreif  „neunerlei  Band  oder  Dorant  und  Dosten*'  zum  Schutze  gegen  Kobolde 
bei  sich  tragen. 

In  der  deutschen  Schweiz  muss  die  Wöchnerin  mit  neuen  Schuhen  aus 
dem  Kindbett  gehen,   sonst  wird  das  Kind   einst   gefahrlich  fallen.     Im  Canton 


360 


LXr.  Das  Ceremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 


Bern  darf  sie,  wenn  sie  OlQck  haben  will,  nicht  vor  die  Dachtranfe  hinausgehen, 
bis  das  Kind  über  die  Taufe  getragen  wird.  In  einigen  Gegenden  Deutschlands 
wird  der  Wöchnerin  zum  Schutze  gegen  die  Tücken  der  Eiben  eine  Scheere  auf 
das  Bett  gelegt.  Im  sächsischen  Ober-Erzgebirge  darf  die  Entbundene 
kein  schwarzes  Mieder  tragen,  sonst  wird  das  Kind  furchtsam;  auch  soll  sie  im 
Garten  nicht  über  die  Beete  gehen,  sonst  wächst  nichts  mehr  darauf  (Zwickau), 
und  sie  soll  keinem  Leichenzuge  nachsehen,  sonst  stirbt  im  nächsten  Jahr  ihr 
Mann.     (Lanter.)    In  der  bayerischen  Ober-Pfalz  ist  die  Wöchnerin  während 

der  ersten  6  Wochen,  insbesondere  aber  während  der 
ersten  14  Tage,  angeblich  beständigen  Anfechtungen 
ausgesetzt.  Sie  darf  nicht  allein  gelassen  werden;  nach 
dem  Gebetläuten  wird  ihr  nichts  mehr,  namentlich  kein 
Wasser,  in  die  Stube  gebracht,  weil  sonst  die  Hexen  mit 
hinein  gehen.  Um  dieses  zu  yerhindem,  steckt  man 
in  die  Thür  das  Messer  und  legt  den  Wecken  verkehrt 
in  die  Schublade.  Solchen  Yolksaberglauben  giebt  es 
noch  in  mancherlei  Gestalt. 

Einen  norddeutschen  Aberglauben  hat  Älhert 
Kuhn  berichtet.  Es  heisst,  dass  die  Wöchnerin  nicht 
Tor  ihrem  Kirchgange  ausgehen  dürfe,  weil  sie  sonst 
die  Zwerge  entfahren.  Bei  diesen  inuss  sie  dann  junge 
Hunde  säugen,  bis  ihr  schliesslich  die  Brüste  lang  her- 

Fig.  841.    Ornament  von  dem      Unterhängen. 

Jlke^Ts^ma^r^^^  ^^^  Battaker  in  Sumatra,  welche  noch  dem  Kanni- 

Schulterblatte  eines  gefaUenen  balismus  fröhnen,  geben  ihren  Wöchnerinnen  ein  höchst 

Fetodee  gefwtij^  faj.  eingenthümliches  Geräth,   das  dieselben  als  Fächer  be- 

MnseamfürYOlkerkande, Berlin.         P  -n,.  i  ,  •     -ri?      ojrw    j  i.  ni.        oa«  i_  i. 

nutzen.  Em  solches,  in  Fig.  340  dargestelltes,  Stück  be- 
sitzt das  kgl.  Museum  fttr  Völkerkunde  in  Berlin.    Nach 

Mutter'^  wird  es  auf  der  Tula  Toba  aus  dem  Schulterblatte  im  Kriege  gefallener 

Feinde  gefertigt. 

.Das  ungleichm&saig  dicke  (1^2  mm)  Enochenstfick  hat  die  Form  eines  Kreissektors, 
dessen  Radios  '=^  18,8  cm  und  dessen  Sehne  -»  8,5  cm  lang  ist.  An  der  Spitze  ist  es  mit 
einer  Oese  versehen.  Die  Inschrift  ist  jetst  schwer  zn  entziffern,  da  das  Knochenstück  eine 
bmune,  aof  der  Rückseite  fast  schwarze  F&rbung  angenommen  hat." 

Das  Instrument,  das  auch  im  Kriege  Schutz  gewährt,  führt  den  Namen 
Hadjimat,  was  nach  MüUer  eine  Entstellung  des  arabischen  azimat,  Talis- 
man, ist.  Ausser  der  Inschrift  finden  sich  Ornamente  darauf,  welche  Fig.  341 
wiedergiebt.  Die  Schrifbzeichen  selber  geben  die  Tage  an,  welche  zu  irgend 
welchem  Vorhaben  die  geeigneten  sind;  auch  findet  sich  die  Anweisung  angegeben, 
wie  man  diesen  Zauber  zu  gebrauchen  hat.  Sicherlich  handelt  es  sich  also  auch 
bei  diesem  grausigen  Fächer  um  die  Abwehr  von  Dämonen  von  der  Wöchnerin. 


Der  feierliche  Abschluss  der  Wochenbettszeit  bei  den  Naturvölkern. 

Bei  allen  denjenigen  Völkern,  bei  welchen  wir  die  Wöchnerin  als  unrein 
betrachtet  sahen,  ist  natürlicher  Weise  ein  mehr  oder  weniger  feierlicher  Act  der 
Reinigung  nothwendig,  um  der  jungen  Mutter  die  Rückkehr  in  die  menschliche 
Gesellschaft  wieder  zu  gestatten.  Wir  haben  hierfür  schon  mancherlei  Beispiele 
kennen  gelernt.  Im  Wesentlichen  bestanden  diese  Reinigungs-Ceremonien  in 
Bädern,  Waschungen,  Begiessungen,  Räucherungen  und  ähnlichen  Proceduren. 

Höchst  eigenthümlich  ist  der  Reinigungsact  für  die  Entbundene,  welcher  bei 
den  Wakamba  in  Central- Afrika  erfordert  wird.  Hier  muss  am  dritten  Tage 
nach  der  Niederkunft  der  Ehemann  einmal  Umgang  mit  der  Wöchnerin   habeUi 


398.  Der  feierliche  Abschlnss  der  Wochenbettszeit;  bei  den  Naturvölkern.  361 

erst  dann  ist  sie  ^yTein**.  Das  Kind  bekommt  zum  Abzeichen,  dass  diese  Sitte 
ausgeführt  worden,  ein  Armband  «Idä**  genannt. 

In  Aegypten  ist  die  dem  Mittelstände  angehorige  Wöchnerin  verpflichtet, 
am  4.  bis  5.  Tage  einige  Schüsseln  mit  Speise  zu  bereiten,  welche  sie  ihren 
Bekannten  sendet.  Am  7.  Tage  setzt  sie  sich,  von  der  Hebamme  unterstützt, 
auf  den  mit  Blumen  geschmückten  Gebärstuhl  und  empfängt  so  ihre  Freundinnen, 
welche  sie  beglückwünschen  und  eine  Reihe  ceremonieller  Handlungen  mit  dem 
fiönde  vornehmen  müssen.    {Lane,) 

Die  Ewe- Wöchnerin  in  Afrika  darf  ohne  schwere  Gefährdung  für  sich 
oder  ihr  Neugeborenes  sieben  Tage  lang  die  Hütte  der  Eltern  nicht  verlassen. 
Am  achten  Tage  aber  legt  sie  ihre  besten  Kleider  an,  bringt  dem  Fetisch  ein 
Dankopfer  dar  und  macht  Besuche  bei  ihren  Freundinnen. 

Den  Abschluss  des  Wochenbettes  bei  den  Ovaherero  schildert  Viehe 
folgendermaassen : 

Wenn  die  Zeit  des  Aufenthaltes  in  der  Hütte  um  ist,  so  verlftsst  die  Wöchnerin  die- 
selbe durch  die  dem  Oknrno  zugekehrte  Thüre  und  begiebt  sich  zum  Okurno^  um  ihr 
Kind  dem  Omükuru  (Ahnen)  darzustellen,  damit  sie  mit  ihrem  Kinde  wieder  Zutritt  zu  dem 
Okumo  bekommt  und  damit  ihre  gesellschaftliche  Stellung  wieder  einnehmen  kann.  Bei 
diesem  Gange  nach  dem  Oknrno  tr&gt  sie  nach  Landessitte  ihr  Kind  in  einem  Felle  auf  dem 
Rücken.  Die  Ondangere  (Hüterin  des  heiligen  Feuers)  folgt  ihr  dabei  und  besprengt  Mutter 
und  Kind  mit  Wasser,  bis  sie  am  Okumo  ankommen.  Hier  am  Okumo  ist  eine  Ochsonhaut 
für  sie  ausgebröitet.  Auf  dieser  Iftsst  sie  sich  nieder,  nimmt  ihr  Kind  vom  Rücken  und  setzt 
es  auf  ihr  rechtes  Knie.  Das  Haupt  der  Familie  ist  nebst  anderen  M&nnern  ebenfalls  zu- 
gegen. In  der  Nähe  des  Ersteren  stehen  zwei  Gef&sse,  eines  mit  Fett,  das  andere  mit  Wasser 
gefüllt.  Er  füllt  seinen  Mund  mit  dem  Wasser  und  spritzt  dasselbe  über  Mutter  und  Kind. 
Dabei  spricht  er  die  folgenden  Worte  zu  den  Ahnen:  ,£s  ist  Euch  ein  Kind  geboren  in  Eurer 
Onganda,  möge  sie  nie  vergehen. '  Dann  nimmt  er  mit  einem  Löfifel  etwas  Fett  aus  dem  6e- 
f&sse,  spukt  darauf  und  reibt  sich*8  in  die  Hände,  füllt  dann  seinen  Mund  abermals  mit  Wasser 
und  spritzt  dasselbe  zu  dem  Fett  in  die  Hände.  Nun  legt  er  seine  Arme  kreuzweise  über 
einander  und  bestreicht  auf  diese  Weise  zunächst  die  Mutter,  nimmt  dann  das  Kind  auf  den 
Schooss  und  wiederholt  an  ihm  die  gleichen  Geremonien.  Ausserdem  reibt  er  seine  Stirn  an 
der  Stirn  des  Kindes  und  giebt  ihm  dabei  seinen  Namen,  welcher  nicht  selten  von  irgend 
einer  Zuf&lligkeit  bei  der  Geburt  hergeleitet  ist.  Die  Geremonien  mit  dem  Kinde  pflegen  von 
anderen  anwesenden  Männern  wiederholt  zu  werden,  wobei  der  Eine  oder  Andere  auch  noch 
wohl  einen  Namen  hinzufügt.  Schliesslich  lässt  das  Haupt  der  Familie  ein  junges  Rind  herzu- 
bringen, und  man  berührt  dessen  Stirn  mit  der  Stirn  des  Kindes,  wodurch  dasselbe  Eigenthum 
des  Letzteren  wird.' 

Von  den  Wöchnerinnen  der  Ostjaken  berichtet  ÄUxandroWy  dass  sie,  um 
sich  zu  reinigen,  ein  Feuer  anzünden,  stark  riechende  Substanzen  hineinwerfen  und 
dann  dreimal  durch  dasselbe  springen  und  sich  durchräuchern  lassen;  danach  kehren 
sie  in  die  Familienjurte  zurück.  Ein  anderer  Bericht  fftgt  hinzu,  dass  sie  sich 
vor  dem  Betreten  der  gemeinsamen  Wohnung  vor  dessen  Eingang  niederlegen 
müssen,  worauf  dann  sämmtliche  Angehorige  des  Hauses  über  sie  hinwegschreiten; 
auch  dieser  Brauch  wird  als  eine  Art  von  Reinigung  angesehen. 

Bei  den  Johannes-Jüngern  oder  Mandäern  in  der  Nähe  von  Bagdad 
wird  die  Wöchnerin  40  Tage  nach  der  Niederkunft  getauft.     {Petermann) 

Von  den  Reinigungsacten  der  indischen  Völker  ist  theilweise  schon  die 
Rede  gewesen;  hier  soll  noch  einiges  hinzugefügt  werden.  Bei  den  Santals 
muss  die  Wöchnerin  am  fünften  und  am  achten  Tage  einen  für  diese  Gelegenheit 
besonders  bereiteten  Reisbrei  in  Gemeinschaft  mit  ihrem  Ehegatten  Terzehren, 
welcher  sich  hierdurch  ebenfalls  der  erforderlichen  Reinigung  unterzieht. 

Auch  bei  den  Gotra  sind  die  Männer  mit  unrein.  Um  sich  zu  entsühnen, 
müssen  beide  Gatten  am  10.  Tage  das  PanchgaTja  schlucken,  das  ist  ein  Ge- 
misch aus  Kuhurin,  Dünger,  Milch,  Quark  und  zerlassener  Butter.  Am  21.  Tage 
badet  die  Mutter  mit  dem  Kinde.  Im  2.,  3.  oder  4.  Monat,  an  einem  Tage  mit 
guter  Vorbedeutung,  kehrt  sie  dann  in  das  Haus  ihres  Mannes  zurück.   (Kistikar) 


362  L^-  ^^  Ceremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

Bei  den  Eafir  kommen  nach  Verlauf  eines  Monats  die  Nachbarn  und 
bringen  der  Frau  Geschenke.  Der  Ehemann  schlachtet  ein  Opferthier  ohne  Bei- 
stand eines  Priesters;  die  Wöchnerin  wird  mit  Fett  und  rother  Farbe  bestrichen, 
und  hiermit  ist  erst  ihre  Purification  vollständig.     {Madean.) 

Die  Entbundenen  bei  den  Pueblo-Indianern  bleiben  vier  Tage  unge- 
säubert  liegen;  am  fünften  werden  sie  gewaschen  und  angekleidet.  Dann  gehen 
sie  im  Gefolge  eines  Priesters,  um  den  Sonnenaufgang  zu  sehen  und  fQr  die 
glückliche  Entbindung  Dank  zu  sagen.  Während  die  Wöchnerin  hinter  dem 
Priester  einherschreitet,  wirft  sie  Kornblumen  in  die  Luft  und  bläst  sie  als  Dankes- 
spende umher.  Dreissig  Tage  nach  der  Geburt  des  Kindes  ist  sie  rein  und  dann 
kehrt  der  Gatte  zu  ihr  zurück,  doch  ziehen  es  einige  vor,  36 — 40  Tage  zu  warten. 
(Engelmann.) 

Ist  bei  den  Noefoorezen  eine  Frau  zum  ersten  Male  niedergekommen, 
und  die  Entbindung  ging  glücklich  von  Statten,  so  wird  nach  einigen  Wochen 
eine  Festlichkeit  abgehalten,  bei  welcher  die  junge  Mutter  ihren  Mädchennamen 
ablegt,  oder  „wegwirft",  wie  der  Papua  sagt;  sie  empfangt  dafür  den  Ehrentitel 
„Insoes**,  welcher  wörtlich  übersetzt  ist  „Milchfrau*'  und  bei  den  Papuas  die 
Bedeutung  hat  wie  bei  uns  „Frau**.  Ist  ihr  Kind  aber  gestorben,  so  wird  zwar 
ihr  Name  ebenfalls  geändert,  sie  wird  dann  aber  „Insos''  genannt.  Bei  solchem 
Namensfeste  einer  jungen  Mutter  wird  diese  hinter  einer  aufrecht  stehenden  Matte 
verborgen,  um  sie  den  Augen  der  Zuschauer  zu  entziehen.  Sie  darf  dabei  auch 
nicht  sprechen.  Man  reicht  ihr  Speise  und  Trank,  und  sollte  sie  ausserdem  etwas 
wünschen,  so  klopft  sie  an  ihre  Matte  und  alsbald  wird  es  ihr  gereicht.  Während 
sie  isst  und  trinkt,  wird  auf  der  Tifa  gekocht;  dann  erhalt  sie  ihren  Namen  und 
wird  aus  ihrer  Gefangenschaft  befreit,     {van  Uassdt) 

Wenn  auf  den  Watubela-Inseln  die  Frau  ihre  Niederkunft  herannahen 
fühlt,  so  lässt  sie  den  Inhalt  von  10  Kaiapanüssen  trocknen,  weil  sie  denselben 
später  für  die  Ceremonie  ihrer  Reinigung  gebraucht.  An  dem  Tage,  an  welchem 
dem  Neugeborenen  der  Best  der  Nabelschnur  abfallt,  werden  8 — 10  Kinder  ein- 
geladen, um  die  Wöchnerin  an  die  See  zum  Baden  zu  begleiten.  Ist  sie  hierzu 
noch  zu  schwach,  dann  muss  eine  andere  Frau  ihre  Stelle  ersetzen.  Sowohl  auf 
dem  Wege  zum  Strande,  als  auch  auf  dem  Rückwege  müssen  die  Kinder  anhaltend 
rufen:  Uwoi,  uwoi,  um  die  Aufmerksamkeit  der  bösen  Geister  von  dem  neuge- 
borenen Kinde  abzulenken.  Wenn  sie  zurückgekommen  sind,  wird  die  getrocknete 
Kaiapa  unter  sie  vertheilt,   und  danach  gehen  sie  wieder  nach  Hause.    {Riedel\) 

Die  Israelitin  musste  bekanntlich  zu  ihrer  Reinigung  als  Brandopfer 
ein  jähriges  Lamm  und  als  Sühnopfer  eine  junge  Taube  dem  Priester  im  Tempel 
Übergeben. 

894.  Der  feierliche  Abschluss  des  Wochenbettes  in  Europa. 

Eine  besondere  Aufmerksamkeit  widmete  auch  die  christliche  Kirche  dem 
Abschlüsse  des  Wochenbettes;  sie  hat  das  Aussegnen  der  Wöchnerin  und  ihren 
ersten  feierlichen  Kirchgang  eingeführt,  und  an  dem  mannigfachen  Aber- 
glauben, der  das  Unterlassen  dieser  Sitte  mit  Gefahren  umgiebt,  sind  gewiss  die 
Priester  nicht  ganz  unschuldig  gewesen.  Verliess  die  Wöclmerin  vorher  ihr  Haus, 
so  hatten  die  Teufel  und  alle  Elementargeister  eine  unumschränkte  Gewalt  über  sie. 

In  Ungarn  wird  das  Wochenbett  gewöhnlich  am  12.  bis  14.  Tage  durch 
Einsegnung  der  Frau  in  der  Kirche  beendigt;  bei  den  Ruthenen  in  Ungarn 
aber  erst  am  40.  Tage.  Die  Wöchnerin  darf  sich  bis  dahin  nicht  ausser  dem  Hause 
sehen  lassen;  denn  es  heisst,  dass  die  zu  früh  ausgegangene  Frau  der  teuflischen 
Versuchung  nicht  entgehen  könne.  Ist  die  Ungarin  dann  in  der  Kirche  ge- 
segnet worden,  so  beschliesst  ein  grösserer  Schmaus  die  Feierlichkeit.   (Csaplovics.) 

Das  Aussegnen  der  Wöchnerin  wurde  allmählich  mit  allerlei  groben  Miss- 
brauchen verquickt.    Am  Tage  der  Aussegnung   gingen   in   Süd-Deutschland 


894.  Der  feierliche  Abschluss  des  Wochenbettes  in  Europa. 


363 


Gevatterin  und  Wöchnerin  in  das  Wirthshaus,  wo  es  dann  natürlich  nicht  ohne 
Völlerei  abging.  (Birlinger^.)  In  mehreren  Ortschaften  Schwabens  wird  noch 
jetzt  gleich  nach  der  Taufe  im  Hause  der  jungen  Mutter  eine  Tauf-  oder  Kind- 
bettsuppe gegessen,  d.  h.  ein  Schmaus  abgehalten,  bei  dem  es  ehemals  sehr  flott 
zugegangen  sein  mag,  denn  in  den  Ravensbur^er  Statuten  imd  Ordnungen  vom 
14.  Jahrhundert  wird  Terboten  zu  zechen:  „und  soll  auch  desselbigen  Tages  zu 
keinem  Wein  gehen. '^  Der  erste  Ausgang  der  Wöchnerin  gilt  in  mehreren  Orten 
Schwabens  der  Eärche.  Der  Mann  geht  zunächst  zum  Pfarrer  und  fragt  ihn, 
wann  sein  Weib  zum  Aussegnen  kommen  dürfe;  hierbei  bringt  er  demselben 
das  „Aussegnbrod''  mit,  ein  rundes  Halb- 
batzenbrod  mit  Ei  bestrichen.  Die  Frau 
muss  zu  dem  feierlichen  Act  einen  Schneller 
Garn  mitbringen  nebst  einem  Wachslichtlein; 
dieses  wird  auf  den  Altar  gelegt.  Die 
Schneller  gehören  dem  Heiligen  und  alle 
Jahre  werden  sie  verkauft;  das  Geld  fliesst 
in  die  Heiligenkasse.  Im  Lichtlein  ist 
ein  Sechser  eingeschoben,  welcher  zwischen 
Pfarrer  und  Messner  getheilt  wird.  Schon 
im  16.  Jahrhundert  wurde  in  einigen  Orten 
(Biberach)  dieses  Gamopfer  verboten;  es 
ist  aber  noch  jetzt  an  der  badischen 
Grenze  gebräuchlich.     (Birlinger^.) 

Den  feierlichen  Kirchgang  einer  jungen 
Mutter  zeigt  uns  ein  Miniaturbild  (Fig.  342) 
aus  dem  Ende  des  14.  Jahrhunderts,  das 
sich  in  einer  lateinischen  Handschrift  des 

Teren^mS  befindet,  Wd^^  ^^^  3^     Kirchgang  einer  Pariser  Wöchnerin 

Karl  VI.  von  r  rankreich  gehorte.     Nach  des  14.  Jahrhunderts. 

Lacroix^   haben  wir  darin   das  Costüm  und    Nach  einer  von  Zo^rr^/j:!  veröffentlichten  lüniature 
^-     a*i.i.        j       n      •  vm         1-  1        TT     •        ans  einer  Handschrift  des  r^rrff/iwi  vom  Ende  des 

die  Sitten  der  Pariser  bürgerlichen  Kreise  14.  Jahrhunderts, 

der  damaligen  Zeit  zu  erkennen. 

Die  Wöchnerin  mit  einer  schwarzen  Kappe  auf  dem  Kopfe  hat  soeben  das  Haus  ver- 
lassen. Sie  wird  an  den  Ellenbogen  von  zwei  hinter  ihr  gehenden  jangen  Männern  unter- 
stützt, während  ein  dritter  vor  ihr  steht  und  eifrig  zu  ihr  redet.  Ob  dieser  den  Ehemann 
vorstellen  soll,  lässt  sich  natürlich  nicht  entscheiden.  Aus  dem  Hause  tritt  eben  eine  junge 
Dame  mit  reichem  Diadem  und  Brustschmuck  heraus,  das  vollständig  in  Binden  eingewickelte 
Neugeborene  auf  den  Armen  tragend,  das  von  einem  älteren  Manne  bewundert  wird.  Ein 
junger  Mann  begleitet  diese  Dame  und  hinter  Beiden  sind  noch  zwei  Gestalten  sichtbar,  im 
Begriff,  das  Haus  zu  verlassen,  von  denen  die  Eine  wahrscheinlich  ein  junges  Mädchen,  die 
Andere  sicher  eine  ältere  Frau  ist.  Ob  es  die  Grossmutter  sein  soll  oder  die  Hebamme,  das 
muss  ich  natürlicher  Weise  unentschieden  lassen. 

Gegen  den  Missbrauch  des  zu  frühen  Aussegnens  in  der  Eärche  traten  schon 
im  vorigen  Jahrhundert  manche  ärztliche  Stimmen  auf.  So  heisst  es  in  einer 
Schrift  von  Hoffmann^: 

«Nicht  minder  schädlich  kann  das  Kirchengehen  auch  den  Wöchnerinnen  unter  gewissen 
Umständen  werden,  besonders  wenn  sie  sich  lange  darin  aufhalten.  Es  ist  nun  einmal  eine 
hergebrachte  Gewohnheit,  dass  der  erste  Ausgang  in  die  Kirche  geschehen  muss.  Hierbei 
wird  aber  selten  auf  Jahreszeit  und  Witterung  Rücksicht  genommen,  und  manche  Kindbetterin 
hat  daher  schon  die  Ausübung  dieser  Gewohnheit  mit  ihrer  Gesundheit  oder  wohl  gar  mit 
dem  Leben  bezahlen  müssen." 

Auch  Peter  Frank  nennt  die  Aussegnungsfeierlichkeiten  eine  wichtige  Ur- 
sache der  Krankheiten  und  der  geföhrlichen  Zufalle  der  Wöchnerinnen,  eine  «be- 
ständige Quelle  der  Schwelgerei  unter  dem  Weibervolke,  Yerderbniss  der  Heb- 
ammen^.   In   Baden,   Nürnberg    und   anderen  Orten   wurden   deshalb  Yerord- 


364  L^I-  ^as  GerexnoDiell,  die  SymboKk  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

nungen  dagegen  erlassen.  In  Oesterreich  heissen  solche  Bankette  Kindelmuss, 
Kuchleten,  Kindsbadeten,  Westerlege;  in  Frankreich  le  convive,  le  relevage, 
convive  de  commöre. 

Ebenso  waren,  die  Kind  taufen  ein  vielfacher  Anlass  zn  Störungen  des 
Wochenbettes:  «Das  unaufhörliche  Lärmen  der  meist  betrunkenen  Gäste/  sagt 
Franko  «besonders  der  geschwätzigen  Weiber,  und,  was  noch  schlimmer  ist,  cSe 
Betrunkenheit  der  Hebamme  selbsten,  hat  auf  innere  Ruhe  und  auf  das  Schicksal 
der  entkräfteten  Eindbetterin  die  allerschlimmste  Wirkung:  indem  selten  mehr 
die  Hebamme  nach  diesen  Schmausen  im  Stande  ist,  allen  Zuföllen  vernünftig 
zu  begegnen,  und  solche  gar  leicht  die  Gewohnheit  annimmt,  sich  bei  allen  der- 
gleichen zu  berauschen."     (Kniphof.) 


395.  Das  Männerkindbett. 

Ich  kann  diese  Besprechungen  der  Wochenbettsperiode  nicht  abschliessen, 
ohne  eines  der  absonderlichsten  Gebräuche  zu  gedenken,  auf  welchen  der 
Geist  der  Völker  wohl  jemals  hat  verfallen  können:  ich  meine  die  Sitte  des 
sogenannten  Männerkindbetts  oder  der  Couvade.  Das  Wesentlichste  dieses 
Gebrauches  besteht  darin,  dass,  während  sofort  nach  der  Niederkunft  die  Frau 
wieder  alle  ihre  gewohnten  häuslichen  Verrichtungen  übernimmt,  der  Mann  sich 
in  ihr  Bett  legt  und  sich  daselbst  eine  grössere  oder  geringere  Anzahl  von  Tagen 
unter  der  erheuchelten  Mieue  eines  Schwachen  und  Erkrankten  von  der  Wöchnerin 
und  den  Angehörigen  und  Freunden  verpflegen  und  bedienen  lässt.  Die  weiteste 
Ausbreitung  hat  dieser  Gebrauch  unter  den  Indianerstämmen  Central-  und 
Süd-Amerikas,  namentlich  bei  den  Galibis  auf  Cayenne,  bei  den  Caraiben 
auf  Martinique,  auf  dem  Perlen-Archipel  im  Golfe  von  Panama,  bei  den 
Guaranis,  den  Papudos,  den  Mundrucurus  im  Amazonengebiet,  den 
Maranhas  in  Columbia  u.  s.  w.  gefunden. 

Aber  das  Männerkindbett  ist  durchaus  nicht  auf  Amerika  beschränkt. 
Wir  finden  es  nach  Lochkarte  und  Tylor  bei  den  unter  dem  Namen  Miau-tsze 
bekannten  uncultivirten  Gebirgsstämmen  in  China,  wo  es  vor  600  Jahren  auch 
schon  Marco  Polo  angetroffen  hat.  Auch  bei  den  Einwohnern  der  Insel  Buru 
im  alfurischen  Meere  und  bei  den  Nogaiern  im  Kaukasus  will  man  diese 
Sitte  gefunden  haben. 

In  Afrika  übten  sie  im  vorigen  Jahrhundert  nach  ZucheUi  die  Congo- 
Neger  in  Cassange.    Er  sagt: 

,Ed  hj  che  qaando  la  donna  hä,  partorito,  si  deve  subito  levare  dal  letto,  ed  in  sna 
vece  per  piü  giomi  si  corica  11  maritto,  facendosi  servire  e  govemare  della  medesima 
partoriente,  quanto  ch'egli  stesso  avease  partito  li  dolor!  e  li  disagi,  che  si  patisono  nel 
partorire.* 

Auch  Herodot  erwähnt  bereits  das  Männerkindbett  in  Afrika. 

Im  Alterthume  wurde  in  Europa,  wie  wir  durch  Diodoros  von  Sicilien 
und  durch  Strabo  wissen,  das  Männerkindbett  von  den  Einwohnern  Corsicas 
und  von  den  Celtiberern  und  Cantabrern  in  der  pyrenäischen  Halbinsel 
geübt,  und  noch  heutigen  Tages  besteht  dieser  absonderliche  Brauch  im  nördlichen 
Spanien  und  im  sü&chen  Frankreich  in  den  von  den  Basken  bewohnten 
Districten,  welche  man  für  die  Nachkommen  der  alten  Celtiberer  ansieht  Die 
Franzosen  nennen  ihn  la  Couvade.     (Cordier.)    Francisque-Michel  sagt: 

,En  Biscaye,  dans  les  vall^es  tonte  la  popolation  rapelle,  par  ses  usages,  Tenfance 
de  la  soci^t^;  les  femmes  se  levent  imm^diatement  apr^  lenrs  conches  et  vaqnent  auz  soina 
du  manage,  pendant  que  leur  mari  se  met  au  lit,  prend  la  tendre  cr^ature  avec  Ini,  et  re9oit 
ainsi  les  complimenta  des  voisins.* 

Natürlicher  Weise  hat  man  sich  vielfach  darüber  den  Kopf  zerbrochen,  wie 
eine  scheinbar  so  abstruse  Sitte  sich   hat   einbürgern   und   erhalten  können;  und 


ikindbett. 


365 


fiiä  diejenigen  Volker,  welche  das  Männer- 

*•  wissen,   aus  welchem  Grunde  sie  dieses 

.jeu  Brasiliens  Piso  gegenüber  an,  dass 

.   sammeln,   welche   erschöpft  würden,  so 

aar  legen  sich  nieder,  weil  jede  heftigere 

jede   scheinbar   noch   so   imschuldige  Vor- 

>  mpathischem   Wege   dem  lünde   Schaden 

!v  herlich   nur   spätere  Interpretationen  eines 

«cht   aus,   das  Männerkindbett  werde   abge- 

Puerperalfieber   zu   täuschen.     Ein   solches 

uUerdings  bereits  kennen  gelernt,  und  wenn 

l   vor   das  Fenster  der  Wochenstube  hängt, 

m  zu  bewahren,  und  wenn  ferner  die  Wöch- 

<  Aargau   des  Mannes  Hosen   anzieht,   oder 

so   erkennen  wir   hierin   sicherlich  Anklänge 

'^  Männerkindbetts  ist  aber  dasjenige  von  der 

si'trzlich  darüber  äusserte  und  was  ich  in  einem 

Uivr  liabe.     Bei  niederen  Völkern  bezieht  sich  der 

-♦^  persönlich  und  nicht  auf  die  Kinder,  welche  sie 

*  h{    die   letzteren   hat   der  Erzeuger   kein  Anrecht, 

ii    desjenigen  Stammes,   welchem   die  Mutter  ent- 

«itissen    sie   erst   wieder  käuflich  erworben  werden, 

les  Matriarchats  in  die  Herrschaft  des  Vaters  über- 

rtschreitender  Cultur,    wo  das  Patriarchat    zu    all- 

\^^t,  8uciit  nun  der  Vater  durch  die  Uebernahme  der 

nenbettes  ein  ganz  directes  Anrecht   auf  den  Spröss- 

diesü  Wochenbettsleiden   des  Vaters   durchaus  nicht 

der  Einbildung   beruhen,   daftir   steht  uns   ein   ganz 

»^se  lehrreicher  Beweis  zu  Gebote. 

dl,  daös,  nachdem  die  »Frau  bei  den  Galibiern,  den 

n  lind  anderen  mittägigen  Wilden**  niedergekommen  ist, 

:^trengei%  sechsmonatlichen  Fasten   in  seine  Hängematte 

Wie  ein  Skelett  abgemagert  verlässt  er  zuletzt  dieses 

ifii^s   flir    sein    Aufstehen   einen   gewissen  Vogel  schiessen. 

'^jiondeten  Entsühnung,  ganz  so  wie  die  Wöchnerin. 

üb  hinzu,  da^^^  »ie  nach  yerflosBenen  40  Tagen  dieser  strengen  Fasten 
dar  Ringle  de^  C'asBava-Brods ,  welche  sie  während  ihrer  Fasten  ab- 
Zeit über  nichts  als  die  Krume  essen  dürfen,  ein  Gastmahl  zurichten. 
T! fangen,  m  ritten  alle  Eingeladene  die  Haut  des  Wirthes  mit  dem 
ad  lassen  au8  dUen  Theilen  seines  Leibes  Blut  herauslaufen,  dergestalt, 
aüB  einem  eingebildeten  Kranken  nunmehr  einen  wirklichen  machen. 
,i»c-h    nicht  alles:    *3c[in  nachher  nehmen  sie  60 — 80  Körner  von  Piment 
i^feiter  und  zwar  von  der  stärksten  Sorte,  die  sie  nur  haben  können; 
icn  Walser  babon  viihr6n  lassen,  so  waschen  sie   mit  diesem  Wasser  die 
liieseL^  Cnglilcklichc^u,  welcher  sich  vielleicht  tausendmal  lieber  verbrennen 
htet  darf  er  nicbt  Lüticksen,  wenn  er  nicht  für  einen  Nichtswürdigen  ge- 
Sobald  dieä(^  (.*orQmonie  geendigt  ist,  wird  er  wieder  in  sein  Bett  ge- 
ii^ch  etliche  Tag^e  [iegen  bleibt,  da  unterdessen  die  Anderen  sich  gute  Tage 
ien  aioh  lu^ti|>^  tuachon     Seine  Fasten  währen  noch  auf  sechs  Monate,  in 
-ler  Vogel  xn^ch  Fii^ch^v0^k  geniesset,  und  zwar   aus  der  Einbildung,  dass 
chädlicli  ^ei,   und  dang  dieses  Kind  alle  natürlichen  Mängel  der  Thiere, 
m  wtlrde,  an  cieU  nehmen  möchte/    (Baumgar teri^.J 


366  LXI.  Das  Ceremoniell,  die  Symbolik  und  die  Mystik  des  Wochenbettes. 

Dieser  tiefe  Sinn  der  Geremonie  ist  nun  freilich  manchen  Stämmen  voll- 
standig  verloren  gegangen;  z.  B.  den  Zaparos  in  Quito  (Orton)  und  den  Peti- 
varos  in  Brasilien  (de  Laet).  Hier  halten  die  Männer  allerdings  auch  das 
Kindbett  ab,  aber  sie  lassen  sich  ^mit  Leckerbissen  fttttem^  und  «soigneusement 
et  largement*  verpflegen. 

Als  Anklänge  und  Ueberbleibsel  eines  in  früheren  Zeiten  ausgeübten  Männer- 
kindbettes müssen  wir  es  aber  wohl  auffassen,  wenn  wir  bei  einer  ganzen  Anzahl 
von  Stämmen,  und  namentlich  bei  solchen,  deren.  Nachbarn  noch  heutigen  Tages 
das  Männerkindbett  abhalten,  die  Sitte  vorfinden,  dass  nicht  selten  schon  während 
der  Schwangerschaft,  mindestens  aber  während  der  Wochenbettsperiode  der  Frau, 
der  Mann  sich  mit  letzterer  ganz  bestimmter  Speisen  zu  enthalten  oder  sogar 
eine  reguläre  Fastenzeit  durchzumachen  gezwungen  ist.  So  finden  wir  es  z.  B. 
bei  den  Passes,  den  Omaguas,  bei  den  Cauixanas  in  Süd-Amerika  (v.  Mar- 
tius)  und  bei  Anderen. 

Wenn  wir  von  den  Grönländern  lesen,  dass  der  Ehemann  ausser  dem 
allemöthigsten  Fang  nichts  arbeiten  darf,  weil  sonst  das  Kind  sterben  würde 
(Crowjßr),  oder  wenn  mit  der  Wöchnerin  auch  der  Gatte  der  Unreinheit  verfallt, 
so  sind  das  Dinge,  welche  ebenfalls  als  die  Reste  eines  Männerkindbetts  ange- 
sehen werden  könnten. 

Auch  eine  von  JDetnic  berichtete  Sitte  der  Ehsten  müssen  wir  hier  an- 
schliessen.    Er  sagt: 

«Bei  den  Ehsten  gehen  nach  der  Taufe  des  Neugeborenen  alle  ins  Bad,  wo  die  Heb- 
amme oder  der  Tanfpathe  den  Vater  des  Kindes  mit  einer  Ruthe  schl&gt;  dies  geschieht,  auf 
dass  der  Mann  auch  etwas  dulde  ftb:  die  Qualen,  welche  das  Weib  bei  der  Entbindung  erleidet.  *" 

Hier  blickt  aber  auch  bei  vielen  Völkern  die  weitverbreitete  Anschauung 
durch,  dass  das  Kind  den  Körper  von  der  Mutter  erhält,  von  welcher  es  ja  eigent- 
lich nur  ein  Stück  ist,  während  ihm  die  Seele  von  dem  Vater  übertragen  wird. 
Darum  muss  dieser  nach  der  Entbindung  sich  ruhig,  in  stiller  Betrachtung  ver- 
halten und  hat  Alles  zu  vermeiden,  was  seine  eigene  Seele  zu  erschrecken  und  zu 
erregen  vermöchte,  weil  dadurch  auch  des  Kindes  Seele  afficirt  werden  würde, 
und  um  die  nothwendige  geistige  Ruhe  zu  haben,  legt  er  sich  still  in  seine  Hänge- 
matte. Dieser  Gedanke  leuchtete  noch  auf  in  dem  Kampfe  des  heiligen  Augustinus 
(354—430)  gegen  die  Pelagianer  und  Donatisten,  welch  letztere  die  Seele 
als  von  Gott  jedesmal  neu  geschaffen  glaubten,  während  Augustinus  sie  als  von 
den  Eltern  ererbt  und  nur  aus  diesem  Grunde  mit  der  Erbsünde  behaftet  erklärt. 
Und  gerade  dort,  wo  seine  Lehre  am  intensivsten  haftete,  in  der  pyrenäischen 
Halbinsel,  existirt,  wie  wir  gesehen  haben,  das  Männerkindbett  auch 
heute  noch. 

Eine  schon  früher  angeführte  Geremonie  endlich,  welcher  wir  auf  Tanembar 
und  den  Timorlao-Inseln  begegnet  sind,  wird  uns  in  ihrer  ursprünglichen  Be- 
deutung auch  erst  verständlich,  wenn  wir  sie  als  den  letzten  Ausläufer,  den  letzten 
üeberrest  des  Männerkindbettes  erkennen.  Es  ist  das  der  Gebrauch,  dass  wahrend 
der  ersten  Lebenszeit  des  Neugeborenen  die  Mutter,  nachdem  sie  gebadet  hat,  ihre 
gewöhnliche  Hausarbeit  wieder  verrichtet,  während  der  Mann  die  Verpflichtung 
hat,  das  Kind  zu  tragen  und  zu  versorgen.  (Riedd\)  So  ist  es  wiederum  die 
vergleichende  Methode  in  der  Ethnologie,  welche  uns  derartige  scheinbar  hetero- 
gene und  unverständliche  Gebräuche  mit  einander  in  Verbindung  zu  bringen  und 
hinreichend  zu  verstehen  lehrt. 


LXII.  Das  Säugen. 


396.  Physiologisches  über  die  Mutterbi-nst. 

In  der  Stufenleiter  des  Thierreicbes  finden  wir,  und  zwar  vornehmlich  bei 
wirbellosen  Thieren,  nicht  selten  absonderliche  Anhänge  und  Organe,  welche  aller- 
dings keine  eigentlichen  Theile  des  Geschlechtsapparates  darstellen,  welche  aber 
unter  den  als  secundäre  ßeschlechtscharaktere  zu  bezeichnenden  Bildungen 
insofern  eine  ganz  besondere  Stellung  einnehmen,  als  sie  ohne  allen  Zweifel  zu 
den  geschlechtlichen  Functionen  in  ganz  eigenthümlicher  Beziehung  und  mit  dem 
Nervensystem  der  Geschlechtsorgane  in  ganz  directer  Verbindung  sich  befinden. 
Man  hat  sie  mit  dem  Namen  der  Wollustorgane  bezeichnet.  Diesen  Wollust- 
organen sind  in  dem  höheren  Thierreiche  auch  die  Zitzen  und  bei  dem  Men- 
schen die  weiblichen  Brüste  zuzuzählen,  und  letztere  zwar  ganz  besonders  in 
ihrem  jungfräulichen  Zustande.  Die  Physiologie  hat  den  Beweis  geliefert,  dass 
ihre  Berührung  und  die  milde  Reizung  ihrer  Nerven  auf  reflectorischem  Wege 
Gontractionen  der  Gebärmuttermuskulatur  und  von  hier  aus  wiederum  wollüstige 
Empfindungen  in  dem  weiblichen  Organismus  hervorzurufen  im  Stande  sind,  und 
bei  geschlechtlichen  Aufregungen  turgesciren  die  Brüste,  und  die  Brustwarzen 
richten  sich  auf  und  steifen  sich. 

Eine  erheblich  andere  Bedeutung  gewinnen  aber  die  Brüste,  wenn  bei  dem 
geschlechtsreifen  Weibe  die  Befruchtung  eingetreten  ist.  Sehr  beträchtliche  Ver- 
änderungen, nicht  allein  in  dem  feineren  anatomischen  Bau  dieser  Organe,  sondern 
auch  in  ihrer  Form  und  Grösse  beginnen  schon  ungefähr  von  dem  zweiten 
Monate  nach  der  Empfängniss  an  sich  allmählich  auszubilden,  um  die  Brüste 
nach  und  nach  zu  dem  hochwichtigen  Organe  der  Ernährung  fQr  den  bis  jetzt 
noch  im  Mutterschoosse  verborgenen  Sprössling  umzuformen.  Diese  schon  während 
der  Schwangerschaft  mit  blossem  Auge  ws^rzunehmenden  Veränderungen  be- 
stehen zuerst  in  einer  mehr  oder  weniger  deutlichen  Anschwellung,  in  einem 
Grösserwerden  der  Brüste  im  Ganzen.  Sehr  häufig  muss  hierbei  die  die  Brüste 
bedeckende  Haut  in  sehr  kurzen  Zeiträumen  beträchtlich  an  Ausdehnung  zu- 
nehmen. Dabei  reissen  ihre  tieferliegenden  Schichten  in  bestimmter  Richtung 
ein  und  bilden  dann  strahlenförmig  um  den  Warzenhof  angeordnete  Streifen, 
welche  in  ihrem  Aussehen  an  Narben  erinnern,  den  sogenannten  Schwangerschafte- 
narben  an  den  Bauchdecken  vollkommen  gleichen  und  ganz  besonders  später  nach 
dem  Abschluss  der  Säugeperiode  den  Brüsten  ein  sehr  welkes  und  hässliches  An- 
sehen geben. 


368 


LXII.  Das  Säugen. 


Diese  Verhältnisse  zeigen  uns  die  Fig.  343  und  344.  In  beiden  Fällen 
handelt  es  sich  um  relativ  junge  Personen,  welche  noch  in  den  Zwanzigern  stehen. 
Fig.  343  ist  eine  Australierin  aus  Nord-Queensland  und  Fig.  344  ist  eine 
Papua-Frau  von  der  Insel  Badu«(Mulgrave-Island)  in  der  Torres-Strasse; 
sie  gehört  dem  Stamme  der  Badulega  an.  Die  erstere  wurde  von  Carl  Günther^ 
die  letztere  von  Otto  Finsch  photographirt. 


Fig.  343.    Junge  Queensland-Australierin, 
welche  bereits  geboren  hatte,  mit  schlaffen  Brüsten  und  narbenähnlichen  Streifen  um  den  Warzenhof. 

(Nach  Photographie.) 


Auch  die  Brustwarze  dehnt  und  vergrössert  sich  und  ihr  Warzenhof  ge- 
winnt an  Umfang  und  an  Intensität  der  Färbung.  Bei  Blondinen  pflegt  er  eine 
blassrosenrothe,  bei  Dunkelhaarigen  nicht  selten  eine  intensiv  dunkelbraune  bis 
beinahe  schwarze  Pigmentirung  anzunehmen.  ßegen  das  letzte  Ende  der 
Schwangerschaft  hin  fQhlt  man  die  Drüsenläppchen  und  die  Milchgänge  höckerig 
und  knotig  durch   die  Oberfläche  hindurch,   und  aus  den  feinen  Oefihungen  der 


896.  Physiologisches  Aber  die  Mutterbrust. 


369 


TlljiW"'^') 


Fig.  344.     Junge  Papna-Frau,   welche 

bereits  geboren  hatte,  mit  schlaffen 

Brüsten  und  narbenähnlichen  Streifen  tun 

den  Warzenhof.    (Nach  Photographie.) 


Brastwarzen  lässt  sich  durch  Druck  schon  etwas  Milch  enÜeeren.  Die  eigentliche 
Milchabsonderung  beginnt  aber  erst  am  2.  oder  am  3.  Tage  nach  der  Entbindung 
und  nimmt  dann  allmählich  solche  Dimensionen 
an,  dass  alle  paar  Stunden  die  Brüste  sich  strot- 
zend anfüllen  (Fig.  345)  und  dass  schon  bei 
einem  verhältnissmässig  leichten  seitlichen  Zu- 
sammendrücken der  Warze  und  des  Warzen- 
hofes die  Milch  in  einer  grösseren  Anzahl  von 
feinen  Strahlen  mehrere  Fuss  weit  herausgespritzt 
werden  kann. 

Von  den  Brüsten  der  Abyssinierinnen 
berichtet  Blanc,  dass  sie  in  den  ersten  Tagen 
nach  der  Niederkunft  so  prall  angefüllt  sind, 
dass  es  dem  Kinde  gänzlich  immöglich  ist,  die- 
selben zu  nehnien.  Auch  bei  den  Negerinnen 
von  Old-Calabar  strotzen  in  den  ersten  Tagen 
die  Brüste  so  Yon  Milch,  dass  diese  von  selber 
abzutropfen  pflegt. 

In  der  ganzen  Gestaltung  der  Brüste  wer- 
den nun  durch  das  Säugen  selbst  nicht  unerheb- 
liche Formveränderungen  eingeleitet.  Nament- 
lich wird  durch  die  Saugbewegungen  des  Kindes 
die  Brustwarze  beträchtlich  aus  den  Hügeln 
der  Brüste  herausgezogen  und  verlängert  und 
durch  den  so  oft  wiederholten  Druck  der  kind- 
lichen Mundtheile  zu  einem  starken  Dicken- 
wachstbum  angeregt.     Die  Vergrösserung   der 

Brüste    selber  war  hauptsächlich  durch   die  Erweiterungen  der  Milchgänge  be- 
dingt,  indess  das  stützende  Bindegewebe  und  das  Unterhautfett  gedehnt,   gezerrt 

und  theilweise  zum  Schwinden  gebracht 
wurde.  Auf  diese  Weise  ist  es  erklärlich, 
dass  durch  die  Schwere,  durch  das  Ge- 
wicht der  Milch  der  Längendurchmesser 
der  Brüste  nicht  unerheblich  an  Aus- 
dehnung zunimmt  und  die  Brüste  zu 
mehr  oder  weniger  stark  ausgesprochenem 
Ueberhängen  gezwungen  werden. 

Für  alle  solche  gröberen  anatomi- 
schen Formveränderungen  finden  wir  bei 
den  Naturvölkern  eine  recht  gut  ausge- 
sprochene Beobachtungsgabe,  welche  sich 
in  ihren  plastischen  Darstellungen  wider- 
spiegelt. Als  ein  Beweis  für  diese  An- 
gabe möge  Fig.  346  dienen.  Sie  zeigt 
eine  von  den  Negern  der  Sclaven- 
küste  gefertigte  kleine  Messingfigur, 
welche  sich  im  Besitze  des  königlichen 
Museums  für  Völkerkunde  in  Ber- 
lin befindet.  Hier  ist  die  starke  Ver- 
grösserung des  Längendurchmessers  und 
die  Neigung  des  nach  abwärts  Hängens, 
soweit  die  Sprödigkeit  des  Materials  es 
erlaubte,  sehr  klar  und  deutlich  zur  Darstellung  gebracht  worden.  Es  möge  noch 
erwähnt  werden,  daiss  die  kleine  Frauensperson  ihren  Säugling  der  afrikanischen 


Fig.  345.     Sängende  Araucanerin  (Chile),  mit 
strotzend  angefüllter  Brust.    (Nach  Photographie.) 


Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II. 


24 


370 


LXII.  Das  Säugen. 


Diese  Figuren  dienen   als 


Sitte  gemäss  auf  dem  Rücken  mit  sich  herumträgt. 

Räucherschalen. 

Auch  die  Holzschnitzerei  der  Baluba,  welche  in  Fig.  55  vorgeführt  wurde, 

lässt  an  den  Brüsten  ebenfalls  erkennen,   dass  die  dargestellte  Frau  schon  einmal 

ein  Kind  gesäugt  haben  muss. 

Hat  nun  nach  dem  Abschluss  der  Säuge- 
periode die  Milchabsonderung  ihr  Ende  erreicht, 
so  erlangt  das  Stützgewebe  der  Brüste  niemals 
wieder  die  jungfräuliche  Straffheit  und  Festig- 
keit, und  da  gleichzeitig  die  nicht  mehr  mit 
Milch  gefüllten  Drüsenpartien  und  Milchgänge 
erschlaffen  und  zusammensinken,  so  behalten  die 
Brüste  nur  gar  zu  häufig  ein  welkes,  schlaffes, 
durch  die  ungleichmässige  Rückbildung  der  Drüsen- 
läppchen nicht  selten 
knotiges  Ansehen  und 
hängen  je  nach  ihren 
früheren  Ausdehnungs- 
zuständen  mehr  oder 
weniger  beträchtlich  auf 
die  Oberbauchgegend 
herab. 

Auch  dieses  zeigt 
uns  deutlich  eine  kleine 
Holzfigur  (Figur  347), 
ebenfalls  im  Museum 
für  Völkerkunde 
in  Berlin  befindlich, 
welche  die  Aht-India- 
ner  inVancouver  als 
Spielpüppchen  für  ihre 
Kinder  gefertigt  haben. 
Es  ist  eine  scheinbare 
ziemlich  junge  Frau  mit 

glatt  gescheiteltem  -    -^  ^.^ 

Fig.  346.    Messingenes  Figürchen  der  ffiiftrp     wplrliA    auf  ilflr  ^^S-  ^*^-    Holzgeschnitzies 

Neger  der  Sc  lavenküste  (Hand-  ;naare,    weicne    aui   aer  prauenfigtirchen    der    Aht-In- 

räncherschale),  eine  Frau  darsteUend,  die  Erde    Sltzt,    ihre    Kniee  dianer    in    Yancouver,    mit 

bereits  geboren  hat,  mit  ziegenenterähn-  jjcJ^t     an     den     Thorax  welken  Brüsten.  Kinderspielzeng. 

liehen,  stark  hängenden  Brüsten.  .                               i_   i.          j  Museum  für  Völkerkunde  in 

(MuseumfürVölkerkundeinBerlin.)  herangezogen    hat    und  Berlin. 

(Nach  Photographie.)  mit     den     Händen     ihre  ^«^h  Photographie.) 

Unterschenkel  umgreift. 
In   dieser  Körperstellung  würde  sie  sich   unfehlbar   mit  den   Oberschenkeln   die 
herabhängenden  Brüste  drücken  müssen,  und  um  dieser  Unbequemlichkeit  aus  dem 
Wege  zu  gehen,  hat  sie  jede  Brust  auJF  je  ein  Knie  gelegt,  auf  welchem  dieselbe 
wie  auf  einem  Präsentirteller  ruht. 

Blyth  sagt  von  den  Yiti-Insulanerinnen: 

„Die  Brüste  der  Fiji-Frauen,  welche  gesäagt  haben,  werden  beträchtlich  hängend, 
wobei  die  eigentliche  Brustdrüse  im  Gul-de-sac  der  ausgedehnten  Haut  enthalten  ist.  Solche 
Mütter,  welche  derartige  schlaffe  Brüste  besitzen,  haben  die  Gewohnheit,  sie  über  die  Schulter 
zu  werfen,  wenn  sie  säugen  wollen,  wenn  sie  das  Kind  auf  dem  Rücken  haben.  ** 

Aehnliches  werden  wir  auch  noch  von  anderen  Völkern  in  Erfahrung 
bringen. 

Da  die  im  Anfange  erwähnten  narbenähnlichen  Streifen  in  vielen  Fällen 
aber  als  dauernde  Erinnerungen   für  das  ganze  Leben  erhalten  bleiben,   so   wird 


396.  Physiologisches  über  die  Mutterbnist. 


371 


mit  dem  Aufhören   der   Turgescenz 

der  BrQste  der  Eindruck  des  Runz- 
ligen und  Unebenen  der  Oberfläche 

noch    bedeutend    gesteigert.      Sehr 

häufig   ist   dann  auch  eine   erneute 

Schwangerschaft    und     Niederkunft 

nicht  im   Stande,   den   BrQsten   die 

strotzende  Fülle  zurückzugeben,  und 

es  macht  dann  einen  widerwärtigen 

Eindruck,    wenn    man    den    neuen 

Sprössling  an  solchen  welken  Brüsten 

saugen  sieht.     Fig.  348  zeigt  dieses 

Verhalten   bei   einer  Abyssinierin 

aus  der  Golonia  Eritrea,   welche 

von  Schweinfurth  photographirt  wor- 
den ist. 

Die  am  weitesten  nach  abwärts 

reichenden    Brüste    finden    sich    bei 

den  Negervölkern  des  äquatorialen 

Afrika   nach    der    Beendigung   der 

Säugezeit,    wovon   die   in  Fig.  349 

gegebene  Darstellung  einer  von  Fal- 

kenstein  photographirten   Loango- 

Negerin  einen  recht  in  die  Augen 

springenden   Beweis    zu    liefern    im 

Stande  ist.     Dieselbe  Person  wurde 

bereits  in  Fig.  134  dargestellt. 

Aber  auch  bei  solchen  Stäm- 
men,  deren   Mädchen   relativ  kleine 

und    gut    gebaute    Brüste    besitzen, 

beobachten  wir,   wenn   sie   erst   ein 

Kind  gesäugt  haben,  ganz  ähnliche 

Erscheinungen,   wenn  auch  nicht  in 

so  hoch   entwickeltem  Qrade.     Man 

vergleiche  zu  diesem  Zwecke  die  Queensland-Australierin  Fig.  343  mit  ihren 

in  Fig.  91  No.  2  und  Fig.  180  b   zur  Darstellung   gebrachten  Landsmänninnen, 

welche   noch  nicht  eine  Schwangerschaft  durchgemacht 
hatten. 

Und  auch  bei  den  europäischen  Völkern  würde 
man  ganz  genau  das  Gleiche  beobachten  können,  wenn 
unsere  Damen  nicht  den  Busen  verhüllt  trügen  und 
durch  allerhand  Stützapparate  seine  Formen  nach  ihren 
eigenen  Wünschen  veränderten.  Je  hochbusiger  die  Dame 
erscheint,  um  so  mehr  pflegen  ihre  üppigen  Brüste,  sich 
selbst  überlassen,  in  die  herabhängende  Stellung  über- 
zugehen. 

Da  die  Naturvölker  in  wärmeren  Klimaten  mit 
entblösstem  Oberkörper  zu  gehen  pflegen,  so  hängen 
diese  abscheulich  entstellenden  Hautsäcke,  wenn  die 
Frauen  in  gebückter  Stellung  ihre  Arbeit  verrichten, 
natürlicherweise  weit  von  dem  Brustkorbe  ab  und  be- 
hindern dadurch  nicht  selten  die  freie  Beweglichkeit 
der  Arme.  Das  zeigt  sehr  gut  unsere  Fig.  350,  welche 
eine  bei  der  Baumwollenernte  beschäftigte  Samoanerin 

24* 


Fig.  348.     Abyssinierin  mit  welken  Brüsten,  ein 
Kind  säugend.    (Nach  Photographie.) 


Fig.  349.    Loango-Negerin, 

mit  starker  Hängebrust. 

(Nach  Photographie.) 


372 


LXU.  Das  Säugen. 


von  Yalealili   nach   einer  bei  der  Expedition   des  preussischen  Kriegdschiffes 
Hertha   von  dessen   Zahlmeister   Riemer   aafgenommenen  Photographie  darstellt. 

Bei  den  afrikanischen  Volkern  kommt  es 
häufig  vor,  dass  die  Weiber  diese  überlangen 
Hängebrüste,  die  ihnen  bei  ihren  Hantirungen 
im  Wege  sind,  mit  Hülfe  einer  umgelegten  Schnur 
an  den  Rumpf  festbinden,  wie  wir  früher  schon 
besprochen  haben. 

Es  mag  hier  ein  von  AJUquist  angeföhrtee 
Räthsel  der  Mokscha-Mordwinen  seine  Stelle 
finden,  welches  lautet: 

«Die  ganze  Welt  trinkt  es, 

Auf  den  Tisch  gethan  zu  werden  taugt  es  nicht.* 
Die  Auflösung  ist:  Die  Mutterbrust. 

Die  eigenthümlichen  Beziehungen  der  Brüste 
zu  dem  Genitalapparate  machen  sich  auch  während 
des  Säugens  bemerklich,  und  namentlich  kann 
man  sich  in  der  ersten  Zeit  des  Wochenbettes 
sehr  deutlich  davon  überzeugen,  dass  durch  das 
Saugen  des  Kindes  an  den  Brustwarzen  jedesmal 
Zusammenziehungen  der  Gebärmutter  ausgelöst 
werden,  welche  den  Wochenfluss  zu  reichlicherem 
Abfliessen  veranlassen.  Auch  hat  der  Arzt  bis- 
weilen Gelegenheit,  aus  dem  Munde  verständiger 
Frauen  zu  erfahren,  dass  ihnen  das  Säugen  aus- 
giebige Empfindungen  geschlechtlicher  Befrie- 
digung verursacht,  welche  bisweilen  die  durch  den  Coitus  hervorgerufenen  Gefiihle 
an  Wohlbehagen  noch  bei  Weitem  übertreffen. 


Fig.  350.    Samoanerin  mit  Hänge- 
brüsten.   (Nach  Photographie.) 


397.  Die  Milchsecretion  in  ihrem  Terhältniss  zu  der  Befruehtiing 

und  der  Menstruation. 

Es  wird  auch  dem  Nichtmediciner  hinreichend  bekannt  sein,  dass  es  für 
gewöhnlich  in  den  Brüsten  der  Frauen  nur  dann  zu  einer  Milchabsonderung  kommt, 
wenn  eine  Schwangerschaft  und  Entbindung  vorhergegangen  ist.  Die  Frau  muss 
ein  Kind  getragen  und  geboren  haben,  wenn  ihre  Brüste  Milch  secemiren  sollen. 
Wena  dieses  auch  als  die  allgemeine  Regel  gelten  muss,  so  giebt  es  dennoch  bis- 
weilen davon  auch  einzelne  Ausnahmen. 

So  kommt  z.  B.  schon  bei  dem  neugeborenen  Kinde  manchmal  eine  Secret- 
ansammlung  in  den  Brustdrüsen  vor,  welche  diese  letzteren  halbkugelig  anschwellen 
lässt.  Wenn  man  die  angeschwollenen  Brüste  drückt,  so  entleert  sich  eine  milch- 
ähnliche Flüssigkeit,  welche  in  Deutschland  ziemlich  allgemein  mit  dem 
Namen  der  Hexenmilch  bezeichnet  wird.  Es  muss  hier  noch  hervorge- 
hoben werden,  dass  dieser  Zustand  durchaus  nicht  an  das  weibliche  Geschlecht 
gebunden  ist,  sondern  dass  sich  die  Hexenmilch  auch  bei  neugeborenen  Knaben 
finden  kann. 

Das  ausnahmsweise  Auftreten  einer  Milchabsonderung  in  den  Brüsten  bei 
alten  Frauen  und  sogar  bei  Männern  werden  wir  in  späteren  Abschnitten  aus- 
führlicher zu  besprechen  haben.  Aber  auch  für  das  Zustandekommen  einer 
Secretion  von  Milch  in  den  Brustdrüsen  bei  geschlechtsreifen  Personen  weiblichen 
Geschlechts,  welche  sich  nicht  im  Zustande  der  Befruchtung  befanden,  liegen  un- 
zweifelhafte Beweise  vor.  Allerdings  handelt  es  sich  auch  hier  immer  nur  um 
Ausnahmefalle. 


397.  Die  Milchsecrotion  in  ihrem  Yerhälfcniss  zu  der  Befrachtaog  n.  der  Menstruation.      373 

So  berichtet  Mascard  von  einer  35  Jahre  alten  Frau,  welche  seit  18  Jahren 
kinderlos  verheirathet  war,  nnd  seit  einigen  Jahren  jedesmal  vor  dem  Eintreten 
der  Menstruation  ein  schmerzhaftes  Strotzen  der  Brüste  bemerkte.  Auf  Druck 
liess  sich  eine  dem  Colostrum  gleichende  Flüssigkeit  entleeren.  MüUer'^  in  Bern 
führt  Folgendes  an: 

,0b  es  unter  dem  Einflüsse  der  Menstruation  zur  Secretion  von  Colostrum  kommen 
könne,  ist  noch  nicht  festgestellt,  jedoch  ist  es  sicher,  dass  es  auch  ohne  Eintritt  einer  Con- 
ception  zur  Ausscheidung  von  geringen  Mengen  colostrumähnlicher  Flüssigkeit  kommt.  Wir 
haben  auf  der  hiesigen  Klinik  in  den  letzten  Jahren  nicht  weniger  als  14  Fälle  derart  be- 
obachtet; in  allen  Fällen  ist  nie  eine  Schwangerschaft  vorausgegangen,  jedoch  existirte  meist 
eine  gynäkologische  Erkrankung.  Ich  citire  diese  au£Eiftllende  Erscheinung  hier,  weil  es  mir 
den  Eindruck  machte,  als  ob  diese  Secretion  besonders  stark  zur  Menstruationszeit  nachzu- 
weisen war.** 

Auch  der  alte  Dietrich  Wilhelm  Busch  sagt  schon: 

,Ja  selbst  Frauen,  welche  nicht  schwanger  waren,  säugten  Kinder,  an  denen  sie  mit 
Liebe  hingen;  Beispiele  hiervon  sind  nicht  selten.  Es  kann  also  die  Milchsecretion  selbst 
primär  angeregt  werden.  Hierdurch  wird  aber  die  Beziehung  zum  Geschlechtstriebe  nicht 
aufgehoben,  da  die  Fälle,  in  denen  nicht  schwangere  Frauen  säugten,  nur  erweisen,  dass  die 
Schwangerschaft  zwar  die  gewöhnliche  Ursache  der  Milchsecretion,  aber  nicht  eine  absolut 
noth wendige  sei'' 

Die  Menstruation  bleibt,  wie  wir  früher  bereits  gesehen  haben,  mit  dem 
Eintreten  einer  Beiruchtung  aus  und  kehrt  während  der  Schwangerschaft  nicht 
wieder.  Auch  nach  der  Entbindung  verstreicht  noch  einige  Zeit,  bis  sich  die 
Regel  wiederum  einstellt,  aber  dieser  Zeitraum  ist  bei  den  verschiedenen  Frauen 
nicht  der  gleiche.  Bisweilen  zeigt  sich  die  Menstruation  bereits  4  Wochen  oder 
6  Wochen  nach  der  Entbindung,  in  anderen  Fallen  vergehen  mehrere  Monate, 
bis  die  Menstruation  nach  der  Wiederkunft  wiederkehrt. 

Es  hat  den  Anschein,  als  wenn  die  Lactation,  das  Säugen,  die  Wiederkehr 
der  Menstruation  hinauszuschieben  im  Stande  wäre,  als  wenn  solche  Frauen, 
welche  ihren  Kindern  nicht  die  Brust  geben,  frühzeitiger  wieder  menstruirt  würden, 
als  die  säugenden  Mütter.  Man  sieht  es  übrigens  im  Volke  nicht  gern,  wenn  bei 
einer  Säugenden,  und  namentlich  bei  einer  Amme,  die  Menstrualblutungen  sich 
wieder  einstellen,  denn  man  glaubt,  dass  hierdurch  das  Kind  geföhrdet  würde, 
dass  ihm  die  Milch  dann  nicht  mehr  bekäme.  Wie  bei  den  meisten  Volksbe- 
obachtungen, so  ist  auch  hier  ein  Funke  von  Wahrheit  darin.  Die  erste  Regel 
nach  einem  Wochenbette  pflegt  meistentheils  eine  besonders  profuse  zu  sein;  und 
da  durch  den  starken  Blutverlust  dem  Körper  eine  grosse  Menge  von  Flüssigkeit 
entzogen  wird,  so  pflegt  in  den  Tagen  des  Unwohlseins  die  Milch  in  etwas  ge- 
ringerer Menge  abgesondert  zu  werden,  als  in  den  Tagen  normalen  Befindens. 
Dieser  Nahrungsmangel  und,  durch  das  Uebelbefinden  der  Frau  veranlasst,  wohl 
auch  eine  weniger  gute  Qualität  der  Milch  sind  es  nun,  welche  den  kleinen 
Säugling  unruhig  machen  und  ihn  zu  scheinbar  unmotivirtem  Schreien  veran- 
lassen« So  ist  es  denn  gekommen,  dass  man  in  dieser  Zeit  die  Milch  als  geradezu 
schädlich  ftir  das  Kind  verschrieen  hat.  Ein  thatsächlicher  Ghrund  ist  daför  nicht 
vorhanden. 

Ueber  das  Wiedereintreten  der  Menstruation  während  der  Säugeperiode,  so- 
wie über  die  Quantität  der  Milch  bei  mehrjähriger  Benutzung  der  Brüste  wissen 
wir  von  iremden  Völkern  so  gut  wie  gar  nichts.  Wir  verdimken  aber  in  dieser 
Beziehung  Wemich  eine  Angabe  über  die  Japanerinnen,  welche  an  dieser 
Stelle  ihren  Platz  finden  möge: 

,Wenn  eine  Japanerin  nicht  wieder  geschwängert  wird,  kann  die  Lactation  5  Jahre 
dauern;  bis  in  das  4.  Lebensjahr  wird  die  Mutterbrust  als  regelmässige,  wenn  auch  nicht 
alleinige  Nahrungsquelle  seitens  der  Kinder  benutzt.  Reichlich  vorhanden  ist  jedoch  die 
Milch  nur  drei  Jahre  lang.  Bei  so  langer  Dauer  der  Lactation  tritt  die  Menstruation  regel- 
mässig während  derselben  wieder  auf;   doch  gilt  als  ungewöhnlich,  sie  noch  vor  Ablauf  von 


374  LXII.  Das  Säugen. 

8  Monaten  nach  der  Entbindung  erscheinen  zu  sehen.  Einen  Einfluss  des  Wiedereintritts 
der  Menses  auf  die  Quantität  oder  Qualität  der  Milchsecretion  kennt  man  nicht.  Ist  die 
Menstruation  einmal  dagewesen,  um  dann  nicht  wiederzukehren,  und  hört  die  Lactation  2 
bis  3  Monate  später  allmählich  auf,  so  nimmt  man,  ohne  sich  zu  täuschen,  eine  neue  Con- 
ception  an.  Stets  bewirkt  die  letztere  nach  der  genannten  Frist  (2 — 3  Monate)  ein  Yersiechen 
der  Milchsecretion. '^ 

Wir  haben  kurz  noch  eines  zweiten  Yolksaberglaubens  za  gedenken,  welcher 
nicht  nur  über  Europa,  sondern,  wie  es  den  Anschein  hat,  über  die  gesammte 
Erde  seine  Verbreitung  gefunden  hat.  Es  ist  dies  die  Annahme,  dass  der  Bei- 
schlaf mit  einer  Säugenden  folgenlos  sei,  d.  h.  dass  eine  Säugende  nicht  befruchtet 
werden  könne.  Wie  irrig  eine  solche  Annahme  ist,  das  werden  wir  in  einem 
späteren  Abschnitte  an  mehreren  Beispielen  erfahren.  Denn  bei  manchen  Yölkem 
nährt  die  Mutter  zwei  verschieden  alte  Kinder  zu  gleicher  Zeit.  Auch  MofUano 
sagt  von  den  Manthras  auf  der  Halbinsel  Malacca: 

«Plusieurs  des  femmes  sont  ä  la  fois  nourrices  et  enceintes.' 

Aber  richtig  ist  auch  hier  wiederum,  dass  sicherlich  die  Befruchtung  etwas 
weniger  sicher  einzutreten  pflegt,  als  bei  einem  nicht  nährenden  Weibe. 


398.  Das  Säugen  durch  die  Mutter. 

Dass  eine  Mutter  ihrem  Neugeborenen  durch  die  Darreichung  ihrer  Brüste 
die  nothwendige  Nahrung  gewährt,  ist  so  vollständig  in  den  natürlichen  Verhält- 
nissen begründet,  dass  es  wohl  ein  überflüssiges  Vornehmen  wäre,  eine  Liste  der- 
jenigen Völker  zusammenzustellen,  bei  welchen  die  Kinder  von  der  Mutter  ge- 
säugt werden.  Bei  den  ganz  rohen,  oder  in  einer  Halbcultur  lebenden  Nationen 
ist  dieses  ganz  allgemeine  Sitte,  und  leider  müssen  wir  es  constatiren,  dass  es  sich 
da,  wo  wir  sehen,  dass  die  Mütter  sich  dieser  Pflicht,  durch  ihre  körperlichen 
Verhältnisse  gezwungen  oder  absichtlich,  entziehen,  in  allen  Fällen  um  die  am 
höchsten  civUisirten  Volksstämme  handelt,  nämlich  um  die  alten  Inder,  die 
Japaner  und  Chinesen,  vor  Allem  aber  um  europäische  Völker,  und  hier  in 
erster  Linie  um  die  Deutschen  und  Franzosen.  Wir  können  hier  nicht  näher 
darauf  eingehen,  welcher  Schaden  der  nachwachsenden  Generation  namentlich  durch 
alle  die  verschiedenen  Arten  der  künstlichen  Päppelung  zugefügt  wird. 

Wenn  wir  nun  aber  der  Betrachtung  des  Säugens  durch  die  Mutter  dennoch 
einen  besonderen  Abschnitt  widmen,  so  hat  das  seinen  Grund  darin,  dass  wir  dabei 
doch  mancherlei  merkwürdigen  Sitten  und  Gebräuchen  begegnen,  welche  wir 
wohl  einer  eingehenderen  Besprechung  für  würdig  halten.  Während  man  nämlich 
bei  uns  in  den  höheren  Ständen,  wa  der  Säugling  durch  die  Brust  der  Mutter 
oder  auch  wohl  durch  diejenige  einer  Amme  ernährt  wird,  mit  grösster  Strenge 
darüber  wacht,  dass  dem  Kinde  keinerlei  Nahrung  nebenbei  verabfolgt  werde,  so 
finden  wir  bei  einigen  aussereuropäischen  Völkern  den  Gebrauch,  schon  von 
sehr  früher  Zeit  an  dem  Säugling  ausser  der  Muttermilch  auch  noch  Anderes 
zu  geben. 

So  erhalten  die  Säuglinge  in  Old-Calabar  sehr  grosse  Mengen  Wasser; 
bei  den  Wa^ikuyu  in  Ost-Afrika  giebt  ihnen  die  Mutter  Bananen  mit  ihrem 
Speichel  vermischt.  Auch  auf  den  Aaru -Inseln  und  bei  den  Galela  und  Tobe- 
loresen  kaut  die  Mutter  dem  Säugling  Pinang  vor,  bei  den  letzteren  vom 
zehnten  Tage  an,  bei  den  ersteren  aber  erst  nach  Verlauf  eines  Monats.  Bei  den 
Koucouyenne-Indianern  in  Süd-Amerika  bekommen  sie  gekochte  Bananen, 
und  bei  den  Garaiben  auch  noch  andere  Früchte.  Die  Milch  der  Kokosnuss 
mit  Wasser  verdünnt  giebt  man  ihnen  auf  den  Carolinen-Inseln,  und  bei  den 
Makakira  in  Ost-Afrika  saugen  sie  sogar  Pombe,  ein  dort  sehr  beliebtes  be- 
rauschendes Getränk.  Bei  den  Wotjäken  erhält  das  Kind  in  den  ersten  2 — 3 
Monaten    nur    die    Mutterbrust,    dann    begmnt    es    bald    andere    Nahrung    zu 


398.  Das  Säugen  durch  die  Mutter.  375 

erhalten,  Brod,  Fleisch  u.  s.  w.  Namentlich  früh  schon  beginnen  die  E^einen 
sich  an  Kumyska  zn  gewöhnen.  Buch  sah  ein  Kind  von  3  Monaten,  dem  die 
Matter  im  Laufe  von  etwa  einer  Stunde  wenigstens  einen  Essloffel  voll  30%igen 
Branntwein  gab,  was  dem  Kleinen  gar  nicht  übel  zu  behagen  schien.  Ein  Kind 
von  2  Jahren  sah  jBmcä,  sobald  es  eine  Branntweinflasche  erblickte,  mit  beiden 
Händen  schreiend  danach  greifen,  und  wenn  man  ihm  etwas  gab,  so  schlürfte 
es  mit  wahrer  Gier.  Auch  bei  den  Woloffen  in  Afrika  und  bei  den  Bus- 
sinnen  in  Astrachan  wird  der  Säugling  frühzeitig  auch  an  andere  Nahrung 
gewöhnt 

Zwei  fernere  Dinge,  welche  unsere  volle  Beachtung  verdienen,  sind  der  Zeit- 
punkt, zu  welchem  bei  den  verschiedenen  Völkern  die  junge  Mutter  das  Säugen 
ihres  Kindes  beginnt,  und  die  Zeitdauer,  während  welcher  sie  die  Darreichung  der 
Brust  fortsetzt.  Um  mit  dem  ersteren  Punkte  zu  beginnen,  so  sei  hier  gleich 
vorausgeschickt,  dass  es  nur  sehr  wenige  Yolksstämme  ausfindig  zu  machen  ge- 
lungen ist,  bei  welchen  das  Neugeborene  gleich  am  ersten  Lebenstage  an  die 
Mutterbrust  gelegt  wird.  Die  allermeisten  Naturvölker  lassen  erst  mehrere  Tage 
verstreichen,  bevor  dieses  Anlegen  stattfindet. 

Ein  sofortiges  Anlegen  des  Neugeborenen  an  die  Mutterbrust  finden  wir 
auf  den  Luang-  und  Sermata-Inseln,  in  Birma,  bei  den  Kanikars  in 
Indien,  bei  den  Indianern  in  Alaska,  in  Massaua,  bei  den  Mahdi-Negern 
und  bei  den  Ehstinnen.  Auch  Demosthenes  empfahl  gegen  Soranus  das  so- 
fortige Anlegen. 

Allerdings  hat  es  die  Natur  nicht  so  eingerichtet,  dass  das  Kind  durch 
seine  Saugebewegungen  nun  auch  gleich  erhebliche  Mengen  von  Milch  aus  den 
Brüsten  herausziehen  könnte.  Erst  allmählich  und  wesentlich  unterstützt  durch 
das  Saugen  kommt  die  Milchsecretion  gehörig  in  Gang,  und  dasjenige,  was  sich 
in  den  ersten  Tagen  aus  den  Brüsten  entleeren  lässt,  ist  noch  keine  fertige  Milch, 
sondern  eine  durch  reichlichen  Fettgehalt  mehr  dicklich  gelb  aussehende  Flüssig- 
keit, welche  mit  dem  Namen  Colostrum  belegt  wird.  Am  dritten  oder  vierten 
Tage,  bisweilen  schon  früher,  manchmal  auch  etwas  später,  tritt  dann  unter  starker 
Spannung  und  Erregung  im  Blutgefässsystem,  bisweilen  sogar  unter  Temperatur- 
erhöhung eine  starke  Anschwellung  der  Brüste  auf,  welche  die  eigentliche  Milch- 
absonderung einleitet.  Dieser  Zustand  der  Irritation  wird  im  Yolksmund  das 
Milchfieber  genannt. 

Wenn  wir  nun  also  bei  einer  sehr  grossen  Zahl  der  verschiedenartigsten 
Völker  die  Sitte  vorfinden,  dass  die  Entbundene  erst  nach  dem  Verlauf  von 
mehreren  Tagen  die  Brust  darreichen  darf,  so  vermögen  wir  uns  in  ihren  Ge- 
dankengang und  in  ihre  Anschauung  sehr  wohl  hinein  zu  versetzen.  Sie  lassen 
eben  die  Zeit  vorübergehen,  in  welcher  anstatt  der  bläulich-weissen  Muttermilch 
das  gelbliche  Colostmm  abgesondert  wird,  dessen  dickflüssige  Consistenz  und  be- 
denkliche Farbe  ihnen  als  ein  Nahrungsmittel  für  so  junge  und  zarte  Weltbürger 
ungeeignet  und  unverdaulich  erscheint.  Dass  diese  Auffassung  ihres  Denkens  und 
Empfindens  nicht  eine  blosse  theoretische  Speculation  ist,  das  geht  mit  unum- 
stösslicher  Evidenz  daraus  hervor,  dass  einzelne  Völker  eine  regelrechte  Unter- 
suchung der  Milch  vornehmen,  bevor  der  Wöchnerin  gestattet  wird,  ihrem  Spröss- 
linge  die  Brust  zu  reichen. 

Von  den  Bewohnern  des  Samoa- Archipels  wird  berichtet,  dass  Frauen,  welche  dafür 
gut  bezahlt  werden,  mit  Wasser  und  zwei  heissen  Steinen  die  Milch  untersuchen  müssen. 
Erst  dann,  wenn  die  Milch  frei  von  allen  gerinnenden  Bestandtheilen  gefunden  wurde,  wird 
sie  als  eine  geeignete  Nahrung  für  das  Neugeborene  angesehen  und  erst  dann  darf  es  die 
Mutter  an  die  Brust  legen.  Auf  den  Schi  ff  er -Inseln  muss  erst  eine  Priesterin  wiederholent* 
lieh  die  Muttermilch  besichtigen  und  erklären,  dass  dieselbe  nicht  giftig  sei.  Bei  beiden 
Völkern  pflegen  2—3  Tage  zu  vergehen,  bis  der  fttr  die  Mutter  günstige  Entscheid  gefallen 
ist.  Aus  ähnlichen  Ueberlegungen  ist  wohl  auch  das  Verfahren  der  Basutho  hervorgegangen. 
Missionar  GriUzner   erzählt:  ,Nach   drei  Tagen   erst  bringen  sie  das  Kind  zur  Mutter   und 


376  LXn.  Das  S&agen. 

sagen:  «Lasst  uns  die  Brüste  der  Mutter  durch  Medicin  reinigen,  denn  die  Brüste  haben 
Schmerz,  damit  der  Schmerz  herausgehe."  und  so  werden  die  Brüste  geritzt  und  mit  Medicin, 
d.  h.  mit  vorher  gestampften  Wurzeln,  die  für  diese  Krankheit  g^t  sind,  eingerieben;  nachher 
erst  darf  das  Kind  angelegt  werden.* 

Die  Thlinkit-Indianer  glauben,  dass  die  Matter  dem  Neugeborenen  nicht 
eher  die  Brust  darreichen  dürfe,  bis  nicht  alle  Unreinigkeit  aus  ihrem  Körper 
entfernt  worden  ist.  Diese  wird  für  eine  wesentliche  Quelle  aller  späteren  Krank- 
heiten gehalten,  und  man  entfernt  sie  auf  die  Weise,  dass  man  der  Wöchnerin 
den  Magen  drückt,  bis  sich  Erbrechen  eingestellt  hat. 

Wir  können  aber  aus  diesen  Gebräuchen,  wie  ich  glauben  möchte,  noch 
etwas  Anderes  absehen,  nämlich  den  Zeitpunkt,  zu  welchem  die  eigentliche 
Milchsecretion  beginnt.  Und  da  nun  bei  weitem  die  meisten  Völker  drei  Tage 
lang  dem  Neugeborenen  die  Brust  seiner  Mutter  vorenthalten,  so  müssen  wir  wohl 
annehmen,  dass  diese  physiologische  Erscheinung,  d.  h.  der  üebergang  von  der 
Colostrumabsonderung  in  die  Milchsecretion,  sich  bei  sämmtlichen  Rassen  innerhalb 
der  gleichen  Anzahl  von  Tagen  abspielt.  Allerdings  begegnen  wir  auch  hier 
vereinzelten  Ausnahmen. 

So  legt  auf  den  Aaru-Inseln  die  Wöchnerin  9  Tage  lang  ihr  Kind  nicht  an,  auf 
Eeisar  5  Tage  nicht,  bei  den  Sulanesen  4  Tage  nicht  und  auf  Eetar  3^4  Tage  nicht. 

Auch  im  alten  Rom  empfahl  SoranuSy  erst  nach  4  Tagen  dem  Kinde  die  Brust  zu 
reichen.  Dagegen  treffen  wir  den  vorher  erw&hnten  Zeitraum  von  3  Tagen  bei  den  Central- 
Australiern  am  Finke-Greek,  auf  Samoa,  den  Watubela-Inseln,  auf  Djailolo,  in 
Japan,  bei  den  Ainos,  bei  den  Mongolen,  in  Siam,  bei  den  Kalmücken,  bei  den 
Persern  und  den  Armeniern,  im  südlichen  Indien  und  bei  der  Nayer-Kaste,  endlich  bei 
den  Basutho  und  in  Old-Calabar,  jedoch  wird  bei  dem  letsteren  Volke  auch  wohl  schon 
nach  zwei  Tagen  der  Mutter  gestattet,  ihrem  Kinde  die  Brust  zu  reichen.  Ueber  die  Babar- 
Insulanerinnen  und  die  Negerinnen  der  Loango -Küste  erfahren  wir  nur,  .dass  sie  das  Neu- 
geborene »für  die  ersten  Tage'  nicht  anlegen  dürfen,  und  in  dem  Saterlande  in  Olden- 
burg, in  Masuren  und  in  Klein -.Russland  muss  das  Kind  zuvor  getauft  sein,  weil  es 
sonst  nicht  gedeihen  könne. 

Von  den  Viti-Insulanerinnen  erfahren  wir  durch  Blyth: 

,Nach  der  Greburt  wird  das  Kind  vollständig  von  der  Mutter  entfernt,  bis  die  Brüste 
Milch  absondern,  und  in  der  Regel  enthalten  die  Brüste  einen  üeberfluss  an  Milch  schon  am 
zweiten  Tage  nach  der  Entbindung.  Das  kann  sich  verzögern  auf  vier,  fGbif,  sechs  oder  sogar 
länger  als  zehn  Tage." 

Wir  müssen  nun  aber  die  Frage  aufwerfen:  Was  geschieht  denn  nun  mit 
dem  armen  Kinde  in  den  ersten  Tagen?  Lasst  man  es  überhaupt,  bis  der  Mutter 
das  Säugen  erlaubt  ist,  ohne  jegliche  Nahrung?  Das  ist  bei  den  meisten  Völkern 
keineswegs  der  Fall.  Aber  das  Verfahren,  welches  wir  die  verschiedenen  Nationen 
hierbei  einschlagen  sehen,  ist  durchaus  nicht  immer  das  gleiche.  Denn  während 
die  einen  das  Kind  ftir  die  ersten  Tage  mit  allen  möglichen  Dingen  päppeln  und 
zum  Theil  mit  recht  unzweckmässigen  Stoffen  und  auf  eine  recht  unverständige 
Weise  {Flos8^%  so  finden  sich  bei  den  anderen  inmier  Weiber  bereit,  bei  dem 
Säuglinge  die  Stelle  der  Mutter  zu  vertreten,  bis  diese  der  Landessitte  gemäss 
selbst  ihre  Säugepflichten  zu  übernehmen  vermag.  Solche  primäre  Päppelung, 
wie  man  sie  nennen  könnte,  fand  bei  den  alten  Römern  statt  und  auch  bei  den 
alten  Indern.  Noch  heute  besteht  sie  im  südlichen  Indien,  sowie  bei  den 
Somali,  den  Szuaheli  und  in  Abyssinien,  beiden  Basutho  und  den  Maka- 
laka,  und  endlich  bei  den  Kalmücken.  Die  letzteren  sind  die  einzigen,  bei 
denen  man  bei  dieser  vorläufigen  Ernährung  die  Absicht  bemerkt,  den  kleinen 
Erdenbürger  auf  seine  spätere  Saugearbeit  anzulernen  und  vorzubereiten;  denn 
nach  Meyersan  lassen  sie  ihn  an  einem  gekochten  Hammelschwanz  saugen.  Auf 
die  Methoden  der  anderen  Völker  können  wir  nicht  weiter  eingehen,  und  diejenigen 
Fälle,  in  denen  andere  Frauen  für  die  ersten  Tage  dem  Kinde  die  Brust  reichen, 
werden  wir  in  einem  der  folgenden  Abschnitte  kennen  lernen. 


899.  Die  Dauer  des  Säagens.  377 

899.  Die  Dauer  des  SSngens. 

Wenn  wir  schon  mancherlei  Verschiedenheiten  begegneten  in  Bezug  auf 
den  Anfangstermin,  der  bei  den  Naturvölkern  fQr  das  Säugen  der  Neugeborenen 
inne  gehalten  wird,  so  sind  die  Differenzen  noch  viel  erheblichere,  wenn  wir  nach- 
forschen, wie  lange  Zeit  hindurch  die  Mutter  dem  Kinde  die  Brust  nicht  ent- 
zieht. Bei  normalen  körperlichen  Verhältnissen  und  bei  kräftiger  Constitution  pflegt 
bei  den  säugenden  Frauen  unserer  Rasse  ungefähr  nach  dem  Verlaufe  von  8 
Monaten  sowohl  die  Quantität  als  auch  die  Qualität  der  Milch  sehr  erheblich 
abzunehmen,  und  es  gehört  immerhin  schon  zu  den  Seltenheiten,  wenn  ein 
deutsches  Kind  ein  Yolles  Jahr  an  der  Brust  genährt  wird.  Bei  der  Land- 
bevölkerung allerdings  und  auch  wohl  bei  dem  Proletariat  der  Städte  wird  das 
Säugen  bisweilen  2  volle  Jahre  und  auch  wohl  noch  darüber  fortgesetzt.  Natür- 
licher Weise  erhalten  die  Kinder  nebenbei  noch  andere  Nahrung,  denn  zu  einer 
vollständigen  Ernährung  des  Kindes  würde  wohl  kaum  die  Milchabsonderung 
ausreichen. 

untersuchen  wir  nun,  wie  sich  dabei  die  aussereuropäischen  Völker  in 
diesem  Punkte  benehmen,  so  finden  wir,  dass  eine  Säugezeit  von  weniger  als 
einem  Jahre  zu  den  sehr  grossen  Ausnahmen  gehört,  dass  aber  bei  manchen 
Nationen  das  Säugen  eine  ganz  erstaunlich  lange  Zeit  fortgesetzt  zu  werden  pflegt. 
Die  folgende  Zusammenstellung  wird  dem  Leser  über  diese  Verhältnisse  die  ge- 
wünschte Uebersicht  verschaffen. 

Die  Kinder  werden  gesäugt: 
Unter  1  Jahr  bei  den  Samoanern,  EoloBchen,  Thlinkit-Indianern,  Maynas  (Ecua- 
dor), Hottentotten. 

1  «      ,      ,    Bngis  und  Makassaren  (Celebes),  Gilan,  Massaua. 

1— IV2  »       >       >    Dacotah,  Sioux,  Loango-Nögern,  Tanembar-  und  Timorlao- 

Insnlanern,  Parsen. 
1 — 2      11       •       «    Armeniern   und   Tataren  in  Eriwan,   Ehsten,   alten  Römern, 

mittelalterlichen  Deutschen,  Earagassen,  Waswaheli. 

2  „       ,       ,     Persern,  Najern,   Tschuden,  Eetas  (Philippinen),  Rotesen, 

Ruck-Insulanern,  Salomon-Insulanern,  Russen  in  Astra- 
chan, Türken,  Fezzan,  Marokko,  Aegypten,  Nilländern, 
Madi,  Waganda,  Wakimby,  Wanyamwezi,  alten  Peruanern 
(auch  vom  Koran  und  von  Avicenna  angeordnet). 
2**3  >  n  »  Australien,  China,  Japan,  Laos,  Siam,  Armeniern,  Kal- 
mücken, Tataren,  Syrien,  Palästina,  Abyssinien,  Canarische 
Inseln,  Camerun,  Mandingo-Negern,  Old-Calabar,  Wanja- 
muesi,  Basutho,  Makalaka,  Thlinkit,  Apachen,  Abiponer 
(Paraguay),  Schweden,  Norwegen,  Steyermärkern. 

3  ,       „       ,     Luang-    und    Sermata-Insulanern,    Todas,   Viti-Insulanern, 

bei  den  alten  Juden. 

2—4      »       .       ,     Indianern  Pennsylvaniens,  Lappland. 

3 — 4  >  «  «  Grönländern,  Irokesen,  Warrau-Indianern,  Kamtschatka, 
Mongolen,  Madras,  Kabylen,  Neapel. 

3—5  fi  »  ,.  Kanikar,  Japan,  vielen  brasilianischen  Indianern,  Ostjaken, 
Samoa,  Palästina. 

4—5  •  «  »  Indianern  am  Oregon,  Galifornien,  Ganada,  Maravis,  Au- 
stralien, Neu-Caledonien,  Hawaii,  Kalmücken,  Guinea- 
Küste,  Serben. 

5—6      >      >      >     Samojeden,  Todas,  Griechen. 

6  ,       ,      ,     Australien,  Neu-Seeland. 

6—7      •       «       •     Indianern  Nordamerikas,  Ganada,  Armeniern  (Kuban). 

7  ,       „       ,     Eskimo  (Smith-Sound). 

10      ,       ,       n     China,  Japan,  Gardinen. 
12      ,      ,       ,    nordamerikanischen  Indianern. 
14—15      ,      ,       ,     Eskimo  (King-Williams-Land). 


378  LXn.  Daa  Säugen. 

Ein  Blick  auf  diese  Tabelle,  welche  in  der  gegebenen  Form  dem  Leser  wohl 
mehr  üebersicht  gewähren  wird,  als  wenn  ich  die  Volker  in  geographischer  Reihen- 
folge zusammengestellt  hätte,  lässt  uns  in  erster  Linie  erkennen,  dass  bisweilen 
das  gleiche  Volk  unter  yerschiedenen  Rubriken  wieder  auftritt.  In  solchen  Fällen 
liegen  dann  von  Yerschiedenen  Reisenden  Terschiedene  Angaben  vor  und  es  liegt 
natürlicher  Weise  nicht  in  unserer  Macht  und  Aufgabe,  zu  entscheiden,  wer  von 
ihnen  das  Richtige  erzählt  habe.  Sehr  häufig  haben  sie  gewiss  auch  alle  Beide 
recht  und  es  sind  nur  die  Sitten  verschiedener  Bevölkerungsschichten  oder  die 
Extreme  der  Sitten,  welche  sie  berichten. 

Femer  muss  es  uns  aufifallen,  dass  bei  den  allermeisten  Völkern  die  Säuge- 
zeit eine  sehr  lange  ist.  Nur  ganz  vereinzelte  Stämme  setzen  schon  den  Säugling 
vor  dem  Ablaufe  des  ersten  Lebensjahres  ab,  und  die  Anzahl  derer,  welche  nur 
bis  zum  Schlüsse  des  ersten  Lebensjahres  das  Kind  an  der  Brust  behalten,  ist 
auch  nur  sehr  gering.  Die  Maynas  in  Ecuador  und  die  Thlinkit-Indianer 
säugen  das  Kind  mindestens  ein  halbes  Jahr;  die  Koloschen  schliessen  bisweilen 
schon  mit  10,  spätestens  aber  mit  30  Wochen.  Bei  den  Hottentotten  und  den 
Samoanern  werden  4  Monate  als  die  übliche  Säugezeit  berichtet.  Bei  den 
letzteren  wird  aber  das  Säugen  bisweilen  erheblich  längere  Zeit  fortgesetzt, 
jedoch  muss  der  Vater  in  solchen  Fällen  den  Säugling  dem  Familiengotte  weihen; 
und  da  das  Kind  dabei  rund  und  dick  zu  werden  pflegt,  so  wird  es  mit  dem 
Namen  „Gottes-Banane*  bezeichnet.  (^ovara-Reise.)  Den  Zeitraum  von  1 — 4 
Jahren  lässt  uns  unsere  Zusammenstellung  als  den  für  die  Säugezeit  am  meisten 
gebräuchlichen  bei  den  Völkern  unseres  Erdballs  erkennen,  und  zwar  nimmt 
innerhalb  dieser  Periode  die  Zeit  von  2  bis  3  Jahren  bei  weitem  die  erste 
Stelle  ein. 

Worin  haben  wir  den  Grund  zu  suchen,  dass  so  viele  Nationen  das  Säugen 
so  lange  Zeit  fortsetzen?  Es  ist  doch  kaum  anzunehmen,  dass  mehrere  Jahre 
nach  der  Entbindung  die  Muttermilch  noch  eine  so  gute  chemische  Zusammen- 
setzung haben  sollte,  dass  sie  für  die  Kinder  eine  wirklich  gedeihliche  Nahrung 
abgeben  könnte.  Und  wir  haben  ja  bereits  weiter  oben  gesehen,  dass  allerdings 
den  Kleinen  neben  der  Mutterbrust  von  einer  ziemlich  frühen  Zeitperiode  an 
allerlei  andere,  theils  thierische,  theils  pflanzliche  Nahrung  verabreicht  wird. 

Wenn  wir  nun  doch  finden,  dass  ihnen  die  Mutterbrust  nicht  entzogen 
wird,  so  sind  es  wohl  mehrere  Gründe,  welche  hierbei  bestimmend  mitwirken. 
Einmal  ist  es  wohl  die  mütterliche  Weichheit  und  Schwäche  gegen  die  Kinder, 
welche  bei  den  uncivilisirten  Völkern,  ganz  ähnlich,  wie  bei  unserem  Proletariate, 
diesen  nichts,  was  ihnen  eine  Annehmlichkeit  gewährt,  abzuschlagen  im  Stande 
ist.  So  lauten  von  einigen  Völkern  die  Berichte  ganz  direct,  dass  die  Kinder 
sehr  lange  Zeit  hindurch  gesäugt  werden  und  zwar  so  lange,  wie  sie  selber  wollen. 
Etwas  mag  auch  in  das  Gewicht  fallen,  dass  die,  wenn  auch  schlechte  und  mangel- 
hafte Muttermilch  doch  immerhin  eine  gewisse  Unterstützung  der  Ernährung  und 
somit  eine  pecuniäre  Ersparniss  abgiebt.  Haben  wir  das  Wohlbehagen  des  Kindes 
als  einen  der  Gründe  für  diese  Sitte  anerkannt,  so  spielt  ganz  gewiss  dasjenige 
der  Mutter  hierbei  auch  keine  ganz  unwesentliche  Rolle.  Wir  haben  ja  gesehen, 
dass-  durch  das  Säugen  bei  der  Frau  ausgesprochene  wollüstige  Empfindungen 
hervorgerufen  werden.  Die  wichtigste  Triebfeder  ist  aber  die  ausserordentlich 
weit  verbreitete  Annahme,  dass,  so  lange  eine  Mutter  ihr  Kind  säugt,  sie  den 
Coitus  ungestraft  auszuüben  vermöge,  ohne  dass  nämlich  eine  Befruchtung  ein- 
treten könne.  Dieser  Glaube  hat  auch  in  Deutschland,  namentlich  auf  dem 
Lande,  sehr  tiefe  Wurzeln  geschlagen  und  hat  nicht  selten  die  allerschwersten 
Enttäuschungen  herbeigeführt.  Wir  treffen  ihn  aber  auch  in  Galizien,  bei  den 
Serben,  bei  den  Ehsten,  bei  den  Tataren  und  femer  auf  Neu-Seeland,  auf 
Keisar  und  auf  den  Luang-  und  Sermata-Inseln.  Es  ist  schon  oben  davon 
die  Bede  gewesen. 


400.  Die  Stellangen  bei  dem  S&ugen. 


379 


Da  nun  einerseits  das  Säugen,  wie  wir  gesehen  haben,  nicht  selten  eine 
grössere  Reihe  von  Jahren  fortgesetzt  wird,  und  andererseits  dasselbe  eine 
erneute  Empföngniss  durchaus  nicht  unmöglich  macht,  so  kommt  es  bisweilen 
vor,  dass  die  Mutter  zwei  Kinder  ganz  verschiedenen  Alters  zu  gleicher  Zeit  an 
ihren  Brüsten  nährt.  Es  wird  uns  das  von  verschiedenen  Völkern  berichtet.  Auf 
den  Samoa-Inseln  stillte  sogar  eine  Mutter  drei  auf  einander  folgende  Kinder 
zu  gleicher  Zeit. 

Vereinzelte  Völker  setzen  das  Säugen  für  unsere  Anschauungen  ganz  unbe- 
greiflich lange  fort.  So  zeigte  man  Organisjanz  bei  den  Armeniern  im  Kuban- 
Districte  im  Kaukasus  einen  Knaben  von  6 — 7  Jahren,  welcher  die  Schule 
besuchte,  aber  trotzdem  noch  nicht  von  der  Mutterbrust  entwöhnt  war.  Am 
allerweitesten  bringen  es  in  dieser  Beziehung  die  Eskimo -Weiber  in  King- 
Williams-Land.  Sessels  berichtet  von  ihnen,  es  gehöre  keineswegs  zu  den 
Seltenheiten,  dass  ein  14-  oder  15  jähriger  Junge,  der  soeben  von  der  Jagd  nach 
Hause  zurückgekehrt  ist,  die  Brust  seiner  Mutter  nimmt,  um  daran  zu  trinken. 
Eingehenderes  über  diese  Verhältnisse  findet  der  Leser  bei  Ploss^^   «das  Kind*. 

Eines  eigenthümlichen  Gebrauches  müssen  wir  noch  Erwähnung  thun,  welcher 
sich  nach  Schine  bei  einem  Buschmann- Stamme  der  Kalahari-Wüste  findet. 
Dort  säugen  die  Weiber  ihre  Kinder  3  Jahre  lang.  Wird  in  dieser  Zeit  ein 
zweites  Kind  geboren,  so  wird  es  ausgesetzt,  da  nach  ihrer  Annahme  die  Frau 
nicht  zwei  Kinder  gleichzeitig  zu  nähren  vermag. 


400.  Die  Stellungen  bei  dem  Säugen. 

Wir  sind  so  sehr  daran  gewöhnt,  die  bei  uns  gebräuchliche  Stellung  beim 
Säugen,  nämlich  die  Mutter  sitzend  und  das  Kind  horizontal  auf  ihrem  Schoosse 
liegend,  als  die  einzig  naturgemässe  zu  betrachten, 
dass  es  uns  höchlichst  überrascht,  bei  anderen  Völ- 
kern auch  noch  andere  Stellungen  kennen  zu  lernen. 
Bei  den  Quacutl-lndianern  in  Britisch-Colum- 
bien  ist  allerdings,  wie  zwei  kleine  holzgeschnitzte 
Figürchen  des  Berliner  Museums  für  Völker- 
kunde lehren,  ebenfalls  annähernd  unsere  Stellung 
die  gebräuchliche.  Aber  selbst  diese  beiden  kleinen, 
als  Kinderspielzeug  gearbeiteten  Bildwerke  lassen 
doch  auch  schon  kleine  unterschiede  erkennen. 

Die  rohere  Gruppe  (Fig.  351)  zeigt  die  Indianerin 
auf  der  Erde  sitzend  mit  dicht  an  den  Körper  angezogenen 
Enieen,  aber  etwas  breitbeinig,  so  dass  die  Genitalien 
sichtbar  sind.  Ihrem  auf  ihren  Armen  ruhenden  Kinde 
giebt  sie  die  linke  Brust,  indem  sie  mit  dem  linken  Arme 
den  Kopf  und  Rücken,  mit  der  rechten  Hand  das  Kreuz- 
bein des  kleinen  Säuglings  stützt.  Das  Kind,  welches  sehr 
naturgetreu  und  realistisch  sein  Händchen  auf  den  HOgel 
der  linken  Mntterbrust  legt,  wird  derartig  gehalten,  dass 
das  Gesäss  etwas  tiefer  liegt  als  die  Schultern.  Wir  haben 
also  schon  nicht  mehr  eine  ganz  genau  horizontale  Lage 
des  Kindes.  Erwähnt  mag  noch  werden,  dass  die  kleinen  Fig.  351.  Holzgeschnitzte  Figur  der 
rundlichen  Formen  der  Brüste  wohl  eine  Frau  andeuten  Quacutl-Indianer  (Britisch-Co- 
sollen,  welche  zum  ersten  Male  die  Mutterfreuden  erlebt  hat.   ^^^^^^^^t'^enend^^^^^  *^'* 

um    Vieles    feiner   und   sorgfältiger   ist   das   zweite   (MuseSS  für  VbTkerkuX^S  Beflin) 
Figürchen  (Fig.  352)  gearbeitet.     Auch  diese  Frau  sitzt  in  (Nach  Photographie.) 

ganz  ähnlicher  Art  auf  der   Erde   und   hat   die  Kniee   in 

symmetrischer  Weise  an  den  Brustkorb  herangezogen,  worin  wir  übrigens  bereits  einen  Unter- 
schied von  der  Säugestellung  anderer  In  dianer  stamme  zu  constatiren   haben.      Man   ver- 


380 


LXII.  Das  S&ugen. 


gleiche   in   dieser  Beziehung   die   Araucanerin   (Fig.  845)  und  die  Indianerin   aus   der 
Provinz  San  Luis  in  Brasilien  (Fig.  355,  No.4).    Die  Haare  unserer  Quacutl-Indianerin 

sind  glatt  gescheitelt  und  gehen  in  zwei  sorgfältig  ge- 
flochtene Zöpfe  aus.  Der  Säugling  ruht  in  absolut  horizon- 
taler Stellung  auf  ihren  Armen  und  saugt  mit  weit  vorge- 
streckten Lippen  au  ihrer  linken  Brust,  während  sich  sein 
linkes  Händchen  mit  ihrer  rechten  Brustwarze  vergnügt. 
Die  Brüste  sind  stark  hängend  und  länglich  zugespitzt 
nach  unten  auslaufend,  so  dass  wir  hier  ohne  jeglichen 
Zweifel  eine  Mehrgebärende  vor  uns  haben. 

Mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  ist  die  in  Eu- 
ropa gebräuchliche  Stellung  beim  Säugen  über- 
haupt bei  den  allermeisten  Völkern  der  Erde  die 
übliche.  Sonst  hätten  sich  wohl  die  Reisenden  nicht 
nehmen  lassen,  uns  Ton  einer  so  auffallenden  Er- 
scheinung häufiger  Bericht  zu  erstatten.  Von  den 
Negerinnen  der  Loango-Küste  sagt  Pechad" 
Loesche: 

„Die  Haltung  beim  Säugen  ist  die  bei  uns  übliche; 
selbst  die  Finger  der  Mutter  werden  in  der  bekannten  Weise 
verwendet  (um  dem  Säugling  die  Warze  bequemer  in  den 
Mimd  treten  zu  lassen  und  gleichzeitig  durch  leises  rhyth- 
misches Drücken  den  Austritt  der  Milch  zu  befördern).  Die 
Mutter  soll  aber  zuweilen  über  den  Säugling  sich  legen, 
um  ihm  das  Trinken  bequemer  zu  machen,  thut  dies  jedoch 
wahrscheinlich  nur  des  Nachts.' 

Bei  mehreren  Völkern  des  westlichen  Asiens, 
bei   den    Grusiern,   den  Armeniern,  den  Maro- 
niten   im  Libanon  (Fig.  353),  den  Tataren  imd 
Qfac?ti-i^tr.'f(^.tufh":c:-  selbst  bis  nach   Kascbgar  beugt  sich  die  Matter 
lumbien),  ein  eine  säugende  Fran  beim   Säugen  ebenfalls  über  das  Kind  hin,   welches 

dabei  ruhig  in  seiner  Wiege  liegen  bleibt.  An  der 
letzteren  ist  etwas  weiter  nach  der  linken  Seite  hin 
ein  fester  Längsstab  angebracht,  der  auf  der  er- 
höhten Eopfwand  und  Fusswand  der  Wiege  aufruht.  Die  Mutter  kniet  neben 
der  Wiege  nieder,  legt  ihren  Arm  über  diesen  Stab,  um  auf  diese  Weise  an 
der  Achselhöhle  fest  gestützt  zu  sein,   imd.  reicht  dem  Kinde  in  dieser  Stellung 


darsteUendes  Kinderspielzeng, 

(Museum  fUr  Völkerkunde  in  Berlin.) 

(Nach  Photographie.) 


Fig.  3a3.    Wiege  der  Haroniten.    Haroniten-Frau,  ihr  Kind  säugend.    (Nach  Lortet,)    (Aus  Plots^.) 

die  Brust  in  den  Mund.  Der  Stab  bietet  aber  auch  eine  gewisse  Sicherheit,  dass 
die  Mutter,  wenn  sie  beim  Säugen  einschläft,  nicht  auf  das  Kind  hinsinken  kann, 
wobei  es  dann  ja  unfehlbar  erstickt  werden  würde. 


400.  Die  Stellungen  bei  dem  Säugen. 


381 


In  Bosnien  habe  ich  die  Wiegen  ganz  ähnlich  construirt  gefunden. 

Bei  den  afrikanischen  Völkern  ist  es  vielfach  Sitte,  dass  die  Mütter  ihre 
jungen  Kinder  in  ein  Tuch  gebunden  auf  dem  Rücken  tragen,  wie  es  die  Figur  83 
bei  einer  Dahome-Negerin  und  Figur  88  bei  einer  Kaffer-Fraü  veranschau- 
licht. Von  den  Frauen  der  Hottentotten  ist  es  bekannt,  dass  sie  ihrem  Kinde 
die  Brust  geben,  ohne  dasselbe  von  seinem  Platz  auf  ihrem  RQcken  zu  entfernen: 
der  Säugling  wird  nur  ein  wenig  zur  Seite  gedreht.  In  etwas  vorgeschrittenem 
Alter  und  besonders  nach  mehreren  Geburten  erreichen  ihre  Brüste  einen  solchen 
Orad  von  Schlaffheit,  dass  sie  dem  auf  ihrem  Rücken  festgebundenen  Kinde  die 
Brust  unter  ihrem  Arme  durch  nach  hinten,  oder  sogar  über  ihre  Schulter  hin- 
reichen. 


Fig.  354.    Hottentotten-Frauen,  deren  eine  ihrem  Kinde  die  Brost  über  die  Schulter  glebt. 

(Ans  Kolb.) 


Das  hat  von  den  Weibern  der  Hottentotten  schon  der  alte  KoXb  im 
Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  berichtet  und  davon  eine  Abbildung  gegeben, 
welche  in  Fig.  354  copirt  ist.     Er  sagt: 

,  Haben  sie  aber  kleine  Kinder,  die  noch  nicht  lauffen  können,  so  muss  der  Sack  schon 
weichen,  und  anstatt  des  Rückens  die  Seite  einnehmen :  massen,  als  denn  das  kleine  Kind  auf 
dem  Rücken  durch  erwähnte  unterste  Eross  (das  Fellkleid)  fest  gehalten  wird,  damit  das 
Kind  vor  dem  Wind  und  Regen  beschQtzet  bleibe:  so  siehet  man  alsdenn  von  dem  g^ntzen 
Kinde  weiter  nichts  als  den  Eopff,  der  über  die  Schulter  hervor  raget:  damit  die  Mutter, 
wenn  es  schrejet  oder  durstig  ist,  die  lange  abhängende  Brust  nehmen,  über  die  Schulter 
hinwerffen,  und  dem  Kinde  in  den  Mund  stecken  könne:  und  lieget  alsdenn  der  Sack  auch 
über  den  Crossen,  dass  er  von  jedermann  kann  gesehen  werden. 

Auch  von  anderen  Afrikanerstämmen  wird  Aehnliches  berichtet. 


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400.  Die  Stellungen  bei  dem  Säugen. 


383 


Nach  Demersay  verlängern  sich  auch  bei  den  Weibem  der  Tobas  in 
Paraguay  die  Brüste  derartig,  dass  sie  dieselben  ihren  Kindern,  welche  sie  auf 
dem  Rücken  tragen,  über  die  Schulter  hinzureichen  vermögen.  Das  Gleiche  be- 
richtet auch,  wie  wir  oben  sahen,  Blyth  von  den  Viti-lnsulanerinnen. 

Von  den  Somali  schrieb  FatditschJce: 

^Nicht  selten  sah  ich  Frauen,  welche  dem 
Säugling  die  lang  herabhängende  Brust  über  die 
Schulter  nach  rückwärts  hinüber  reichten,  um 
das  Kind  aus  der  für  die  Frau  und  den  Säugling 
angenehmen  Lage  nicht  bringen  zu  müssen.* 

Wol/f  sagt  von  den  Völkern  am 
Quango: 

,Die  kleinen  Kinder  werden  von  den  Müt- 
tern vielfach  in  einem  quer  über  der  Schulter 
hängenden  breiten  Streifen  von  Rinderfell,  auf 
der  Hüfte  reitend,  getragen.  Will  das  Kind  saugen, 
so  zieht  es  die  Brust  unter  dem  Arm  der  Mutter 
durch  und  lutscht  in  dieser  Stellung  ganz  ver- 
gnügt. Bis  zu  ihrem  dritten  Jahre  ungeföhr 
saugen  die  Kinder  neben  anderer  Nahrung." 

Solch  Reiten  der  Kinder  auf  der 
Hüfte  der  Mutter  ist  in  dem  südlichen 
und  namentlich  in  dem  centralen  Afrika 
sehr  verbreitet.  Buchta  hat  eine  Niam- 
Ni am -Frau  photographisch  aufgenommen, 
welche  in  dieser  Weise  ihren  ganz  sicfier 
schon  mehrjährigen  Sprössling  säugt,  dessen 
Mund  sich  ungefähr  in  ihrer  Schulterhöhe 
befindet.  Hierhin  hat  er  mit  der  Hand  ihre 
Brust  in  die  Höhe  gehoben  und  scheint 
eifrig  daran  zu  trinken.     (Fig.  355,  No.  5.) 

Eine  Frau  (Fi^.  355,  No.  1)  aus  Preanger  auf  Java,  vom  Capitän  Schdise 
photographirt,  hat  sich  ihr  gewiss  schon  mehr  als  jähriges  Kind  in  ein  über  ihre 
rechte  Schulter  laufendes  Tuch  gebunden,  in  dem  dasselbe  wie  in  einer  Schaukel 
sitzt  und  dabei  ebenfalls  auf  ihrer  linken  Hüfte  reitet.  Es  ist  so  weit  herabge- 
sunken, dass  es,  während  die  Mutter  sich  ein  wenig  nach  hinten  überbiegt,  ganz 
bequem  deren  Brust  mit  dem  Munde  erfasst  hat.     Carl  Künne  hat  der  Berliner 


Fig.  356.    Alt-Peruanisches  Grabgefäss, 

eine  sängende  Frau  darstellend. 

(Maseum  für  Völkerkunde  in  Berlin.) 

(Nach  Photographie.) 


Fig.  357.    Säugende  Siamesin.    (Nach  Bocourt.) 


anthropologischen  Gesellschaft  das  Bild  einer  aus  der  Provinz  San  Luis  in  Bra* 
silien  stammenden  und  bei  den  Angengeo  als  Sclavin  lebenden  Indianerin 
(Fig.  355,  No.  3)  mitgebracht,  bei  welcher  wir  die  bei  diesem  Volke  gebräuchliche 
Haltung  beim  Säugen  kennen  lernen  können.  Die  Frau  sitzt  auf  der  Erde  mit 
gekreuzten  Unterschenkeln  und  hat  ihr  Kind  so  auf  dem  Schoosse  sitzen,  dass 
seine  Schenkel  auf  ihrem  rechten  Beine   ruhen   und    sein  Qesäss   auf  dem   tiefer 


884 


LXII.  Das  Säugen. 


gehaltenen  linken  Schenkel  aufliegt.  Dadurch  sinkt  das  sitzende  Kind  ein  wenig 
in  sich  zusammen  und  vermag  nun  bei  massigem  Senken  des  Kopfes  die  Brust- 
warze der  Mutter  in  den  Mund  zu  bekommen. 

Ein  Sitzen  der  Mütter  bei  dem  Säugegeschäft  an  der  Erde,  das  eine  Bein 
untergeschlagen  und  das  andere  Bein  nach  derselben  Seite  fortgestreckt,  finden 
wir  auch  bei  den  Araucane rinnen  in  Chile  (Fig.  345)  und  bei  den  zu  den 
Pa- Utah-Indianern  gehörenden  Stämmen  der  Kai-vav-its  in  Nord-Arizona. 
(Fig.  355,  No.  2.)     Der  Säugling  nimmt  eine  halbsitzende  Stellung  ein  und  ruht 


Fig.  358.    Träumende  Japanerin,  im  Liegen  ihr  Kind  säugend. 
(Nach  einem  japanischen  Holzschnitt.) 


mit   dem   Gesäss    und    den  Oberschenkeln    auf  dem    untergeschlagenen   Schenkel 
der  Mutter. 

Ein  altperuanisches  Grabgefass  in  Thon  aus  der  Üfacedo-Sammlung  des 
Berliner  Museums  für  Völkerkunde,  in  Pumacayan  gefunden,  stellt  eine 
am  Boden  sitzende  weibliche  Figur  mit  sehr  grossen,  weit  herabhängenden  Brüsten 
dar  (Fig.  356).  Auf  ihrem  fast  den  Fussboden  berührenden  Knie  sitzt  aufrecht 
ein  Kind,  das  mit  den  Händen  bemüht  ist,  sich  die  Brustwarze  in  den  Mund  zu 
stecken,  wobei  aber  die  Mutter  in  keiner  Weise  behülflich   ist.    Sie   scheint  von 


400.  Die  Stellungen  bei  dem  Säugen. 


385 


der  anderen  Brust  Milch  abspritzen  zu  wollen,  zu  welchem  Zweck  sie  die  Brust- 
warze zwischen  Daumen  und  Zeigefinger  gefasst  hält.  Auch  hier  sprechen  die  zu 
colossalen  Dimensionen  entwickelten  Hängebrüste  dafür,  dass  es  sich  um  eine 
Mehrgebärende  handelt. 


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Diese  Darstellung  stimmt  nicht  vollständig  mit  dem  überein,  was  Baum^ 
garten  von  den  alten  Peruanern  berichtet.  Er  giebt  an,  dass,  sobald  ein  Kind 
sich  aufrecht  halten  konnte,  es  die  Mutterbrust  auf  den  Knieen   liegend  erfassen 


Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II. 


25 


386 


LXII.  Das  Sängen. 


musste,  80  gut  es  dieses  yermochte,  ohne  dass  die  Matter  es  jemals  auf  den  Schooss 
nahm.  Wollte  es  die  andere  Brust  haben,  so  wurde  ihm  dieselbe  Yorgehalten, 
und  es  musste  selber  danach  fassen,  ohne  in  die  Arme  genommen  zu  werden. 

Die  Viti- Insulanerinnen  haben  einen  ganz  absonderlichen  Gebrauch  beim 
Säugen,  wie  uns  Buchner  aus  eigener  Anschauung  berichtet.  Während  er  bei 
einem  Häuptling  zum  Besuch  war,  nahm  dessen  Frau  der  Kindsmagd  ihren  Säug- 
ling ab,  wärmte  ihre  Hände  an  einem  Feuerbrande,  rieb  damit  ihre  Brüste  warm 
und  legte  sich  dann  auf  die  Erde,  indem  sie  wie  eine  säugende  Löwin  dem  Kinde 
die  Brust  gab.  Eine  andere  vornehme  Dame  kam  mit  ihrem  kleinen  Kinde  zum 
Besuch  und  legte  sich  ebenfalls  nieder,  um  ihr  Kind  auf  die  gleiche  Weise 
zu  säugen. 

Die  Siamesin  säugt  ihr  Kind,  vollständig  ausgestreckt  auf  der  Seite 
liegend,  wobei  sie  den  Arm  als  Kopfkissen  benutzt.  Bocourt  liefert  davon  eine 
Abbildung,  welche  in  Fig.  357  wiedergegeben  ist.  Der  Säugenden  dient  die  Matte 
ab  Unterlage,  aber  dem  vollständig  nackten  Kindchen  ist  ein  zusammengeschlagenes 
Tuch  als  Bettchen  untergelegt. 

Auch  in  Japan  scheint  unter  Umständen  das  Säugen 
im  Liegen  gebräuchlich  zu  sein.  Ein  japanischer  Farben- 
druck fährt  uns  eine  solche  Scene  vor.  (Fig.  358.)  Die 
Mutter  hat  sich  auf  einer  Art  von  Matratze  gelagert;  den 
Kopf  hat  sie  auf  den  rechten  Ellenbogen  gestützt,  wahr- 
scheinlich um  die  sorgfaltige  Frisur  nicht  zu  verderben. 
Mit  der  linken  Hand  drückt  sie  einen  kleinen  Knaben  an 
sich,  welcher  auf  dem  Bauche  liegt  und  emsig  an  ihren 
Brüsten  trinkt.  Die  Mutter  hält  die  Augen  geschlossen, 
imd  ein  schlangenartiges  Wesen,  das  sich  ihrem  Antlitze 
nähert,  scheint  ein  Traumbild  vorstellen  zu  sollen.  Der 
Knabe  macht  übrigens  den  Eindruck,  als  hätte  er  sein 
erstes  Lebensjahr  schon  überschritten. 

Es  ist  das  aber  nicht  die  einzige  Art,  in  welcher 
die  Japanerinnen  ihre  Kinder  säugen.  Ein  japanischer 
Holzschnitt  zeigt  uns  die  Mutter  auf  beiden  Knieen  liegend, 
mit  vorn  geöffiiietem  Gewände.  Auf  ihren  Schenkeln  sitzt 
der  schon  ziemlich  grosse  Säugliug,  der  gerade  bei  seiner 
Mahlzeit  ist.  Auf  einem  Holzschnitt  von  Hokusai  aus 
dem  Jahre  1820  liegt  die  Mutter  auf  dem  linken  Knie 
und  stützt  sich  auf  die  linke  Hand.  Das  rechte  Knie 
hat  sie  aufgestellt  und  auf  dem  Oberschenkel  des  rechten  Beines  ruht  ihr  rechter 
Ellenbogen  und  auf  diesem  der  Kopf  des  trinkenden  Säuglings.  Hier  handelt  es 
sich  sicher  um  eine  Wöchnerin,  wie  man  aus  dem  Wochenbettgestell  im  Hinter- 
grunde schliessen  muss.  Drei  Frauen  sind  mit  dem  Zurechtlegen  von  Kleidungs- 
stücken beschäftigt. 

Eine  eigenthümliche  Stellung  beim  Säugen  scheint  in  China  gebräuchlich 
zu  sein.  Dieselbe  lernen  wir  auf  einem  chinesischen  Aquarell  kennen,  das  uns 
in  eine  vornehme  Kinderstube  einführt.  Es  bildet  ein  Blatt  aus  einem  Cyklus, 
welcher  den  Lebenslauf  eines  Chinesen  illustrirt,  und  dem  auch  unsere  Fig.  288 
entnonmien  war.  Das  uns  hier  interessirende  Blatt  ist  in  Fig.  359  wiedergegeben. 
Eine  vornehme  Dame  (wie  die  kleinen  Füsse  beweisen),  wahrscheinlich  die  Mutter, 
sitzt  auf  einer  absonderlichen  Bank.  Neben  ihr  hat  auf  einem  Porzellansessel  die 
Säugende  Platz  genommen.  Sie  ist  wahrscheinlich  eine  Amme,  denn  ihr  ent- 
blösster  Fuss  erscheint  nicht  verkleinert.  Eine  dritte  weibliche  Person  in  ein- 
facher Kleidung  bringt  ein  flaches  Schalchen  herbei.  Das  Kind ,  welches  die 
rechte  Brust  ninmit,  befindet  sich  in  halbsitzender  Stellung.  Die  Säugende  stützt 
es  mit  ihrem  rechten  Arm.     Dabei  hat  sie  aber   ihr  rechtes  Bein  derartig  über 


Fig.  860.    Colnmbianerin 

ZwiUinge  säugend. 

(Nach  £.  Andri,) 


401.  Das  Säugen  durch  Vertreierinnen  und  durch  Ammen.' 


387 


das  linke  gelegt,  dass  der  rechte  Fuss  mit  halb  nach  oben  gekehrter  Sohle  auf 
dem  linken  Knie  aufliegt  und  das  rechte  Knie  nach  unten  und  aussen  gerichtet 
ist.    Die  linke  Hand  unterstützt  den  rechten  Fuss. 

Diese  ganz  absonderliche  Haltung,  welche  bei  keinem  anderen  Volke  nach- 
weisbar ist,  scheint  in  China  die  gemeinhin  gebräuchliche  zu  sein.  Wenigstens 
findet  sie  sich  in  fast  übereinstimmender  Weise  auf  einer  chinesischen  Hand- 
zeichnung, welche  kürzlich  das  Museum  füt  Völkerkunde  in  Berlin  erworben  hat. 

Exceptionelle  Verhältnisse  bedingen  naturge- 
mäss  auch  immer  aussergewöhnliche  Maassnahmen. 
Das  trifft  nun  auch  zu,  wenn  eine  Frau  ge- 
zwungen ist,  Zwillinge  zu  nähren.  Bei  manchen 
Volksstämmen  wird  das  überhaupt  für  unmöglich 
gehalten  und  man  giebt  dort,  wie  wir  oben  gesehen 
haben,  das  eine  Kind  bei  anderen  Leuten  in  Pflege, 
wenn  man  es  nicht  überhaupt  ums  Leben  bringt. 
Will  die  Mutter  beide  Kinder  gleichzeitig  säugen, 
so  muss  sie  auf  jedem  Ejiie  eins  derselben  sitzend 
haben.  Dieses  beobachtete  E.  Andre  bei  einer 
jungen  Columbianerin  in  San  Pablo.  Die  Frau 
musste  sich,  wie  wir  in  Fig.  360  sehen,  dabei 
ein  wenig  nach  vornüber  neigen. 

Wenn,  wie  wir  das  bei  vielen  Völkern  kennen 
gelernt  haben,  die  Kinder  in  einem  schon  recht 
respectablen  Alter  ihre  Lebensstellung  als  Säugling 
immer  noch  nicht  aufgegeben  haben,  so  ist  es 
natürlich,  dass  sie,  ihrer  Körpergrösse  entsprechend, 
für  das  Säugen  besondere  Positionen  einzunehmen 
gezwungen  sind.  So  sah  Schomburgk  bei  den 
Warrau-Indianern  in  British-Ouyana  nicht 
selten  ein  3-  bis  4jähriges  Eond  ruhig  vor  der 
Mutter  stehen  und  an  der  einen  Brust  trinken,  indess  sie  ihren  Jüngstgeborenen 
im  Arme  hatte  und  ihm  die  andere  Brust  darreichte. 

Unter  einer  Sammlung  von  Federzeichnungen  des  berühmten  Malers  George 
Catlinj  welche  das  kgl.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin  besitzt,  befindet  sich 
auch  die  Darstellung  einer  Sioux-Indianerin,  welche  steht  und  soeben  im  Be- 
griffe ist,  ihrem  grossen  an  sie  herantretenden  Jungen  die  Brust  zu  reichen. 
Diese  Zeichnung  ist  in  Fig.  361  wiedergegeben. 

Auch  in  Japan  kommt  es  häufig  vor,  dass  ein  Kind  plötzlich  aus  dem 
Kreise  der  Gespielen  fortläuft  und  zu  der  Mutter  eilt,  um  stehend  oder  knieend 
ein  paar  kräftige  Züge  aus  ihrer  Brust  zu  thun. 


Fig.  361.    Sionx-Indianerin, 

iliren  grossen  Knaben  säugend. 

(Fsderzeidmnng  von  Cattin,) 


401,  Das  Säugen  durch  Yertreterlnnen  und  durch  Ammen. 

Wenn  ich  hier  eine  Unterscheidung  treffe  in  dem  Säugen  durch  Vertrete- 
rinnen und  demjenigen  durch  Ammen ,  so  hat  es  damit  folgende  Bewandtniss. 
Wir  können  als  Ammen  in  dem  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes  doch  nur  solche 
Personen  auffassen,  welche  entweder  ganz  direct  für  diesen  Zweck  gemiethet 
worden  sind,  oder  welche  wenigstens  zu  der  rechten  Mutter  des  Säuglings  in 
einem  dienenden  oder  abhängigen  Verhältnisse  stehen.  Wenn  aber  Frauen  die 
Ernährung  des  Kindes  an  ihrer  Brust  übernehmen,  welche  dessen  Mutter  gleich- 
gestellt sind,  so  ist  wohl  die  Bezeichnung  als  Vertreterinnen  nicht  unrichtig 
gewählt.  Eine  solche  Vertretung  der  Mutter  kann  übrigens  eine  dauernde  oder 
auch  nur  eine  zeitweise,  bisweilen  nur  wenige  Tage  anhaltende  sein.     Wir  sahen 

25* 


388  LXII.  Das  Säugen. 

bereits,  dass  es  bei  vielen  Völkern  für  die  Mutter  verpönt  ist,  in  den  ersten  Tagen 
nach  der  Entbindung  ihr  Neugeborenes  anzulegen.  Nun  haben  manche  Nationen 
die  absonderliche  Sitte,  dass  während  dieser  Zeit,  wo  die  Matter  das  Kind  noch 
nicht  säugen  darf,  andere  Frauen  demselben  die  Brust  reichen  müssen.  Diese 
temporäre  Vertretung  der  Mutter  dauert  bei  den  Nayer  in  Indien  2  Tage,  bei 
den  Armeniern  von  Eriwan,  bei  den  Galela  und  Tobeloresen  auf  Djailolo 
und  auf  den  Watubela-Inseln  3  Tage,  auf  Eetar  3  bis  4  Tage,  auf  den  Aaru- 
Inseln  9  Tage,  auf  den  Babar-Inseln  10  Tage,  und  in  Klein-Russland  so  lange, 
bis  die  Taufe  vollzogen  ist.  Die  Nayer  suchen  als  Vertreterin  womöglich  eine 
Verwandte;  auf  den  Babar-Inseln  übernimmt  alle  3  bis  5  Tage  eine  andere 
Frau  das  Säugegeschäft  und  sie  haben  dabei  eine  ganz  ähnliche  Art  der  Namen- 
wahl durch  das  Kind,  wie  wir  sie  früher  auf  den  Aaru- Inseln  kennen  ge- 
lernt haben. 

Der  Tod  der  Mutter,  oder  Krankheit  derselben,  kann  die  Veranlassung 
werden,  dem  Säugling  eine  dauernde  Vertreterin  für  seine  Ernährung  zu  ver- 
schafiPen.  Auch  Zwillingsgeburten  zwingen  auf  manchen  Inseln  des  alfurischen 
Meeres  hierzu.    Allerdings  sagt  der  alte  Goldhammer: 

,So  hat  ja  der  Allweise  SchOpffer  dem  Weibe  zwey  Brüste  gegeben,  damit  sie  ent- 
weder dem  Kinde  eine  um  die  andere,  oder  wenn  Zwillinge  vorbanden,  sie  einem  jeden  eine 
'^reichen  könne.'' 

Trotzdem  aber  ist  es  dort  Sitte,  den  einen  der  Zwillinge  einer  befreundeten 
Frau  zu  übergeben  und  nur  den  einen  selber  aufzuziehen.  Wenn  bei  den  In- 
dianern in  Paraguay  ein  Säugling  seine  Mutter  verliert,  so  regnet  es  Qesuche 
der  anderen  Frauen,  deren  Brüste  im  Gange  sind,  ihnen  das  Kind  zu  übergeben. 
Diejenige  Indianerin,  der  es  übergeben  wird,  zieht  es  auf  wie  ihr  eigenes.  Die 
Nayer  in  Indien  suchen  auch  für  diese  dauernde  Vertretung  womöglich  eine 
Verwandte  zu  nehmen.  (Jagar.)  Beiden  Fellachen  in  Palästina  findet  sich 
hierfür  eine  Nachbarin  bereit.     (Klein,) 

Wenn  eine  Mahdi-Negerin  nicht  genügende  Milch  in  ihrer  Brust  hat,  so 
findet  sich  wohl  eine  andere  Mutter,  die  mit  ihrer  Brust  aushilft.     (Feihin.) 

Aber  auch  sonst  noch  finden  wir,  dass  in  vereinzelten  Fällen  das  Kind  von 
mehreren  Weibern  genährt  wird.  So  giebt  bei  den  Arabern  in  Algier  ausser 
der  Mutter  ebenso  die  erste  beste  Dienerin  oder  ein  zufallig  anwesender  Besuch 
dem  Kinde  die  Brust,  und  die  Kinder  der  TscherkessenfÜrsten  werden  nicht 
selten  von  allen  hierzu  fähigen  Frauen  des  Stammes  genährt. 

Die  Institution  gemietheter  Ammen  müssen  wir  als  eine  uralte  bezeichnen. 
Sie  wird  von  Homer  erwähnt  und  ebenso  in  der  Bibel.  Aber  auch  bei  den 
alten  Indern  sind,  wie  es  den  Anschein  hat,  die  Kinder  fast  immer  Ammen 
übergeben  worden.  Susruta  giebt  die  Verordnung,  dass  die  Amme  erst  am 
10.  Tage  nach  der  Geburt  das  Kind  anlegen  solle,  und  zwar  am  Feste  der 
Namengebung: 

,Man  setze  an  einem  glücklieben  Mondtage  die  Amme  mit  gewascbenem  Kopfe  und 
reinen  Kleidern  mit  dem  Gesichte  nach  Osten,  lege  das  Kind,  dessen  Gesiebt  nacb  Norden 
gekehrt  ist,  an  die  rechte  Brost,  nnd  lasse  es,  nachdem  man  dieselbe  zuvor  gewaschen  und 
einige  Tropfen  hervorgequollener  Milch  mit  folgenden  Sprüchen  eingeweiht  hat,  davon  trinken : 
„Vier  milchfOlhrende  Oceane  mögen  Dir,  o  Glückliche,  beständig  in  den  beiden  Brüsten  sein, 
zur  Vermehrung  der  Kräfte  des  Kindes;  Dein  Kind,  o  Schöne,  getranken  habend  den  Milch- 
Nektarsaft,  möge  erreichen  ein  langes  Leben,  gleich  den  Gröttern,  nachdem  sie  Ambrosia  ge- 
kostet/"    (VuUers.) 

Für  die  Gesichtspunkte,  welche  bei  der  Auswahl  einer  Amme  maassgebend 
sein  sollten,  werden  genaue  Anweisungen  gegeben.  Solche  Anweisungen  liegen 
uns  auch  von  den  Aerzten  der  Griechen  und  Römer  vor,  bei  denen  das  Ammen- 
wesen  ebenfalls  eine  grosse  Ausbreitung  hatte,  uns  interessirt  dabei  das  Ver- 
langen des  SoraniiS^   dass  die  Amme  bereits  2  bis  3  mal   geboren   haben  müsse. 


401.  Das  Sängen  durch  Vertreterinnen  und  durch  Ammen.  389 

Er  verwirft  aber  die  damals  allgemein  herrschende  Ansicht,  dass  ihr  letztes  Kind 
von  gleichem  Geschlechte  sein  müsse  mit  demjenigen,  das  sie  nähren  soll.  Ori- 
basius  verlangte,  dass  sie  nicht  unter  25  und  nicht  über  35  Jahren  sei,  Mnesitheus 
giebt  32  Jahre  als  die  obere  Grenze  an,  während  Soranus  die  zulässige  Zeit  vom 
20.  bis  zum  40.  Jahre  erweitert. 

Auch  bei  den  Azteken  im  alten  Mexiko  waren  in  Ausnahmefallen 
Anunen  zulassig. 

In  dem  Hause  der  Mohamedaner  erfreut  sich  die  Amme  einer  sehr  ge- 
achteten Stellung.     Im  Koran  heisst  es: 

„Es  ist  Euch  auch  erlaubt,  eine  Amme  anzunehmen,  wenn  ihr  derselben  den  vollen 
Lohn  der  Gerechtigkeit  nach  gebt.' 

In  der  Türkei  ist  nach  Eram  bei  den  vornehmen  Damen  der  grösseren 
Städte  sehr  gebräuchlich,  ihr  Kind  einer  Amme  zu  übergeben.  Daher  überlassen 
die  jungen  Mütter  in  der  Provinz  sehr  bald  ihren  Sprössling  den  Verwandten 
und  eilen  nach  der  grossen  Stadt,  um  in  den  reichen  Hausem  als  Ammen  ein 
behagliches  Leben  zu  führen.  Nach  anderer  Angabe  wird  die  Amme  von  wohl- 
situirten  Müttern  gehalten,  damit  sie  des  Nachts  das  Kind  anlegen  solle.  Das 
geschieht,  damit  die  Dame  nicht  ihre  schöne  Wohlbeleibtheit  verliere.  Oppenheim 
hingegen  fQhrt  an,  dass  in  der  Türkei  das  Stillen  durch  die  Mütter  ganz  aUge* 
mein  Sitte  sei. 

Bei  den  heutigen  Griechinnen  ist  das  Halten  von  Ammen  unter  den 
Vornehmen  sehr  verbreitet,  um  ihre  Gesundheit  und  die  Schönheit  ihres  Busens 
zu  erhalten. 

Obgleich  die  Perserin  berechtigt  ist,  eine  Amme  für  ihr  Kind  zu  nehmen, 
so  ist  es  doch  nur  eine  Ausnahme,  wenn  sie  ihr  Kind  nicht  selber  säugt  Eine 
ihr  Kind  säugende  Mutter  kann  dort,  wie  Pölak  berichtet,  von  dem  Ehemanne 
den  Ammenlohn  beanspruchen. 

Auch  in  China,  wo  übrigens  sehr  früh  schon  Ammen  erwähnt  werden, 
kommen  diese  nur  in  den  Häusern  der  Reichen  vor.  Das  Gleiche  finden  wir  bei 
den  vornehmen  Malayen  in  Borneo. 

Aehnliches  berichtet  Ely th  Yon  den  Vi ti- Inseln.    Er  sagt: 

,In  früheren  Zeiten  nährten  Frauen  von  hohem  Range,  wie  die  Weiber  des  verstorbenen 
Königs  Thaconibau,  oder  von  den  Chiefs  von  Fiji  niemals  ihre  Nachkommenschaft  selbst, 
sondern  sie  Übergaben  ihre  Kinder  Frauen  geringeren  Standes,  um  sie  zu  säugen.  Jetzt  aber, 
nach  Einführung  des  Christenthnms,  beginnen  auch  die  Frauen  der  höchsten  Stände  ihre 
Kinder  selber  zu  säugen.* 

Im  deutschen  Volke  liebten  es  bereits  während  des  6.  Jahrhunderts  reiche 
Angelsächsinnen,  ihre  Kinder  durch  Ammen  ernähren  zu  lassen,  und  im 
15.  Jahrhundert  war  das  im  ganzen  Deutschland  der  allgemeine  Brauch.  Auch 
die  Bussinnen  in  Samara  halten  sich  Ammen  ftir  ihre  Kinder. 

Eine  besondere  Ausbildung  des  Ammenwesens  herrscht  in  Paris.  Hier 
wird  sehr  häufig  die  Amme  nicht  in  das  Haus  genommen,  sondern  man  übergiebt 
das  Kind  der  Amme,  die  dasselbe  in  ihrer  Heimath  aufzieht  Man  muss  nun  aber 
ja  nicht  glauben,  daiss  dieses  inuner  durch  Darreichen  der  Brust  geschieht,  sondern 
wir  haben  im  Gegentheil  hierin  gar  nicht  selten  ein  Aufpäppelungssystem,  ein 
, Haltekinderwesen''  der  allerschlimmsten  Art  zu  erkennen,  wie  es  der  Volksmund 
als  „Engelmacherei"  bezeichnet,  und  wohl  mit  einem  gewissen  Rechte  hat  der 
Maire  einer  kleinen  franzosischen  Ortschaft  den  Ausspruch  gethan:  „Der  Kirch- 
hof in  meinem  Orte  ist  mit  kleinen  Parisern  gepflastert.'' 

Ueberall  da,  wo  Ammen  mit  einer  gewissen  Häufigkeit  verlangt  werden, 
pflegt  sehr  bald  irgend  ein  besonderer  District  oder  eine  besondere  Nationalität 
sich  einen  hervorragenden  Ruf  ftir  die  Lieferung  guter  Ammen  zu  erwerben. 
Solche  «Ammenfabräen'',  wie  derartige  Qegenden  scherzweise  genannt  werden, 
sind  für  Berlin   bekanntlich   der  Spreewald  und   das  Oderbruch,   für  Paris 


390  liXII.  Das  Säugen. 

für  diejenigen  Fälle,  wo  wie  bei  uns  die  Ämme  in  das  Haus  genommen  wird 
(nourrice  sur  Heu  genannt),  die  Normandie  und  das  Departement  de  Nievre 
in  Burgund.  In  den  Sclavenstaaten  Amerikas  nahm  man  Negerinnen  als 
Ammen;  die  vornehmen  Perserinnen  wählen  Nomadenweiber,  die  Mala jen  auf 
Borneo  Chinesinnen  aus  den  Frauen  der  dort  ansässigen  chinesischen 
Bergleute.  Bei  den  alten  Athenern  standen  die  Spartanerinnen  f&r  den 
Ammendienst  in  besonderem  Rufe;  den  Römern  aber  wurden  von  Saranus 
Griechinnen,  von  Mnesitheus  dagegen  Aegypterinnen  oder  Thracierinnen 
empfohlen. 

Wir  können  nicht  schliessen,  ohne  in  Kürze  der  Anschauung  zu  gedenken, 
dass  man  etwas  „mit  der  Muttermilch  einsaugen''  könne,  d.  h.  dass  die  Eigen- 
schaften der  Säugenden  durch  die  Vermittelung  der  Milch  auf  den  Säugling  über- 
gehen sollen.  Schon  Tadtus  klagte,  dass  es  in  Rom  nicht  mehr  so  bedeutende 
Männer  gäbe,  wie  früher,  weil  die  Kinder  nicht  mehr  von  ihren  Müttern,  sondern 
von  gekauften  ausländischen  Sclavinnen  gesäugt  würden.  Im  vorigen  Jahrhundert 
schrieb  Goldhammer: 

„Zu  dem,  lo  gerathen  auch  manchmal  die  Kinder  sehr  übel  nach  den  Ammen,  von 
denen  sie  bejdes  Gutes  und  BSses  saugen,  dahero  das  Sprichwort  entstanden:  £r  hat  die 
Bossheit  von  denen  Ammen  gesogen.  Und  Erasmus  spricht  in  seinen  Colloquiis,  dass  er 
gänzlich  der  Meinung  sey,  dass  die  Art  und  Adelheit  der  Kinder,  durch  die  Natur  der  Milch 
vitiiret,  geschwächt  und  verderbet  werde,  weil  durch  die  Milch  die  Kinder  ihrer  Ammen 
Krankheit,  Sitten  und  Untugenden  in  sich  ziehen,  wie  dergleichen  wir  ein  Exempel  an  dem 
Kajser  Tiberio  haben,  als  welchem  die  Trunckenheit  von  seiner  versoffenen  Amme  angeerbet 
worden;  dem  Kayser  Cäligula  aber  wurde  von  seiner  grund  bösen  Ammen  ihrer  vergällten 
und  bosshafitigen  Milch  die  Tyraney  eingeflOsset,  dass  also  ein  rechter  Wütherich  aus  dem- 
selben worden." 

Dass  auch  heute  noch  in  unserer  Bevölkerung,  namentlich  auf  dem  Lande, 
ganz  dieselbe  Ansicht  herrschend  ist,  das  dürfte  wohl  in  hinreichender  Weise 
bekannt  sein. 


LXIIL  Abnorme  Sängammen. 


402.  Das  Säugen  darch  Thiere. 

Es  sind  uds  mancherlei  Nachrichten  zugekommen,  dass  Thiere  anstatt  der 
Matter  kleinen  Kindern  als  Säugammen  gegeben  worden  sind.  Ich  muss  hier 
kurz  auf  diesen  Gegenstand  eingehen,  da  wir  in  einem  späteren  Abschnitte  dem 
umgekehrten  Zustande  begegnen  werden,  nämlich  dem  Säugen  von  jungen  Thieren 
an  der  Frauenbrust.  Derlei  Fälle,  in  welchen  Thiere  gezwungen  werden,  Ammen- 
dienste bei  Menschenkindern  zu  versehen,  spielen  schon  im  alten  Mythus  eine 
hervorragende  Rolle.  Es  sei  hier  an  den  Td^hus  erinnert,  den  Sohn  des  Heroldes 
und  der  Atige^  der  als  neugeborenes  Kind  ausgesetzt  und  von  einer  Hirschkuh 
gesäugt  wurde;  ferner  an  Bomtdus  und  Bemtis^  die  Säuglinge  der  Wolfin;  ausser- 
dem an  die  Ziege  Ämdlthea^  welche  den  jungen  Zeus  auf  Kreta  mit  ihrem 
Euter  ernährte,  und  endlich  an  die  Kindergestalten,  welche  in  den  verschiedenen 
bacchischen  Aufzügen  an  Ziegenmüttem  ihren  Durst  stillen.  Vielleicht  müssen 
wir  in  den  letzteren  Darstellungen  ein  Abbild  erkennen  von  realen  Verhältnissen, 
wie  sie  sich  in  Wirklichkeit  bei  der  ita- 
lischen Hirtenbevölkerung  abspielten. 

Im  Mittelalter  wurde  viel  von  Kindern 
erzählt,  welche  im  Waldesdickicht  ausge- 
setzt und  von  Bärinnen  gesäugt  worden 
waren.  In  Folge  dessen  hatten  sie  ausser 
ihren  rohen  und  thierischen  Sitten  auch 
noch  am  ganzen  Körper  einen  dichten  Haar- 
wuchs erhalten,  so  dass  sie  als  Wald-  oder 
Bärenmenschen  bezeichnet  wurden.  Bei 
Jagdzügen  der  Fürsten  sollen  sie  zufällig 
aufgespürt  sein,  und  wurden  dann  als  grosse 
Naturwunder  angestaunt  und  in  wissen- 
schaftlichen Werken  beschrieben. 

Aber  auch  noch  in  unserem  Jahrhundert  findet  in  allerdings  seltenen  Fällen 
ein  solches  Aufsäugen  der  Kinder  durch  Thiere  statt.  Z.  B.  werden,  wie  Klein 
in  Erfahrung  brachte,  bisweilen  die  Fellachen-Kinder  in  Palästina  in  dieser 
Weise  an  einer  Ziege  grossgezogen.  Das  erinnert  an  ähnliche  Zustände,  welche 
in  Aegypten  im  sogenannten  cdten  Reiche  geherrscht  haben  müssen.  Es  ist  uns 
eine  bildliche  Darstellung  erhalten,  welche  Witkawski  nach  BoseUini  reproducirt 
und  die  Fig.  362  wiedergiebt.  Wir  sehen  hier  einen  kleinen  Knaben  unter 
dem  Bauche  einer  Kuh  kauern  und  an  ihrem  Euter  trinken,  während  gleichzeitig 
ein  Kalb  sich  an  einer  anderen  Zitze  des  Euters  sättigt. 


Fig.  362.    Alt-Aegyptischer  Knabe 

und  Kftlb  an  einer  Kuh  saugend. 

(Nach  mtkowtki.) 


392  LXIII.  Abnorme  S&u^ammen. 

Von  den  canarischen  Inseln  berichtet  Mac  Gregor,  dass,  wenn  dort  eine 
Frau  im  Wochenbette  stirbt,  das  Kind  von  Ziegen  oder  Schafen  weitergesaugt 
wird,  unter  deren  Euter  es  gehalten  wird,  bis  es  sich  satt  getrunken  hat. 

Herrn  Regierungs  -  Baumeister  H.  Weisstein  verdanke  ich  folgende  Mit- 
theilung: 

«Auch  jetzt  noch  findet  ein  Aufsäugen  von  Kindern  durch  Thiere  statt,  und  zwar  in 
Paris,  in  dem  grossen  Findol-  und  Einderkrankenhause  Höpital  des  enfants  assist^s. 
Kinder,  welche  verdächtig  sind,  mit  ansteckenden  Krankheiten  behaftet  zu  sein,  werden  nicht 
von  Ammen  ernährt,  sondern  an  Eselstuten  gelegt.  Ein  eigener  Pavillon  ist  in  dem  Garten 
des  grossen  Instituts  hierftlr  eingerichtet.  An  den  eigentlichen  Saal,  worin  die  Kinder  sich 
befinden,  schliessen  sich  beiderseitige  Stallungen  an,  wo  je  vier  Eselstuten  dauernd  nur  für 
diesen  Zweck  gehalten  werden.* 


403.  Das  Säugen  durch  die  Grossmatter. 

Wir  sind  so  vollständig  in  den  Anschauungen  gross  geworden,  dass,  wenn 
eine  Brust  Milch  produciren  soll,  ein  Wochenbett  vor  nicht  zu  langer  Zeit  vor- 
hergegangen sein  und  die  saugende  Frau  in  einem  relativ  jugendlichen  Alter  sich 
befinden  müsse,  dass  wir  auf  das  allerhöchste  erstaunen,  wenn  uns  das  Gegentheil 
berichtet  wird.  Und  doch  sind  uns  die  Berichte  nicht  gerade  vereinzelt  zuge- 
gangen, dass  die  Grossmütter  oder  andere  bereits  im  Matronenalter  stehende 
Weiber  es  verstanden  haben,  ihre  alten  Brüste  zu  erneuter  und  für  die  Ernährung 
des  Säuglings  hinreichender  Milchabsonderung  zu  veranlassen.  Auch  handelt  es 
sich  hierbei  nicht  etwa  um  ein  vereinzeltes  Volk,  bei  welchem  dieses  scheinbare 
Naturwunder  ausnahmsweise  einmal  möglich  geworden  ist,  sondern  es  werden  uns 
Beispiele  aus  allen  vier  Welttheilen,  Europa  ausgenommen,  vorgeführt.  So 
wurde  in  Kawkas  über  die  Armawiren,  Armenier  des  Kuban-Districtes  im 
Kaukasus,  berichtet,  dass  dort  bisweilen  die  Grossmutter,  eine  vielleicht  fast 
50  Jahre  alte  Frau,  um  ihrer  Tochter  etwas  Ruhe  zu  schaffen,  das  Neugeborene 
zu  sich  nimmt  und  ihm  die  Brust  reicht,  und  dass  dann  auch  wirklich  eine  Milch- 
secretion  sich  einstellt. 

Von  den  Irokesen  erzählt  Lafiteau,  der  als  Missionar  unter  ihnen  lebte, 
dass,  wenn  ein  Säugling  seine  Mutter  verliert,  so  wunderbar  es  auch  klingen  mag, 
seine  Grossmutter,  welche  die  Jahre  der  Fruchtbarkeit  bereits  hinter  sich  hat, 
es  dahin  zu  bringen  versteht,  dass  sie  dem  Kinde  mit  Erfolg  die  Brust  zu  geben 
im  Stande  isi  {Baumgarten.)  Auch  von  den  Indianern  Süd-Amerikas  hören 
wir  Aehnliches..  Nach  Quandt  tritt  bei  den  Arrawaken  in  British-Guyana, 
wenn  nach  mehrjährigem  Säugen  die  Mutter  einen  neuen  Sprössling  geboren  hat, 
die  Grossmutter  für  den  älteren  Säugling  ein  und  nährt  ihn  an  ihren  Brüsten 
noch  einige  Zeit  weiter.  Appun  sah  öfter  Kinder  neben  ihrer  Mutter  und  ihrer 
Grossmutter  stehen  und  bald  an  der  Einen,  bald  an  der  Anderen  saugen. 

Bei  den  Betschuana  in  Süd-Afrika  sah  Livingstone,  dass  in  mehreren 
Fällen  die  Grossmutter  es  übernommen  hatte,  ihr  Enkelkind  zu  sängen.  Eine 
Frau  hatte  wenigstens  vor  15  Jahren  zum  letzten  Male  ein  Kind  genährt,  aber 
sie  legte  den  Enkel  an  die  Brust  und  war  im  Stande,  ihm  vollkommen  ausreichend 
Milch  zu  geben.  Wenn  eine  Grossmutter  von  40  Jahren  oder  darunter  bei  einem 
kleinen  Kinde  zu  Hause  gelassen  wird,  so  legt  sie  das  Kind  an  ihre  welke  Brust 
und  säugt  es,  und  so  kommt  es  auch  hier  vor,  dass  bisweilen  ein  Kind  sowohl 
von  seiner  Mutter,  als  auch  von  seiner  Grossmutter  gesäugt  wird.  Auch  bei  den 
Egba  in  Yoruba  am  Niger  kommt  es,  wie  Burton  in  Erfahrung  brachte,  bis- 
weilen vor,  dass  alte  verwitterte  Matronen  kleine  Kinder  säugten,  obgleich  für 
gewöhnlich  die  Brüste  der  älteren  Frauen  nur  schlaffen  und  leeren  Hautbeuteln 
gleichen.  So  übernimmt  auch  hier  manchmal  die  Grossmaraa  Ammendienate  bei 
ihrem  Enkel.     Emma  v.  Rose^  welche  die  Araber  in  Algerien  besuchte,  kannte 


403.  Das  Säugen  durch  die  Grossmutter.  393 

eine  alte  runzlige  Negerin,  eine  Sclavin  des  Kaids  von  Biskara,  welche  ihr 
letztes  Kind  Yor  länger  als  30  Jahren  geboren  hatte.  Sie  war  die  Amme  des 
Kaid  gewesen  und  verrichtete  nun  bei  seinen  Kindern  die  gleichen  Dienste.  Sie 
hatte  niemals  aufgehört  zu  stillen  und  hatte  noch  immer  Milch  im  Ueberäuss. 
Es  war  ein  widerlicher  Anblick,  den  rosigen  Mund  des  kleinen  Säuglings  an  der 
welken  Brust  dieser  Alten  hängen  zu  s^en.  Als  die  Berichterstatterin  ihr  Be- 
denken darüber  äusserte,  ob  denn  die  Milch  einer  solchen  Matrone  eine  gedeih- 
liche Nahrung  f&r  den  Kleinen  abgeben  könne,  so  meinte  die  Frau  des  Kaid: 
Milch  sei  Milch;  einen  unterschied  kenne  sie  nicht. 

Nach  alle  diesem  werden  wir  kaum  berechtigt  sein,  eine  Angabe  von  Tvike 
in  Zweifel  zu  ziehen,  welcher  behauptet,  dass  in  Neu-Seeland  bisweilen  Weiber 
kleine  Kinder  säugen,  welche  überhaupt  niemals  geboren  haben.  Ist  das  Eine 
möglich,  dann  dürfen  wir  auch  das  Andere  nicht  für  unmöglich  halten. 

Dass  die  südamerikanischen  Indianerinnen  sich  dadurch  ihre  Brüste 
lange  Jahre  im  Gange,  d.  h.  Milch  secernirend,  zu  erhalten  wissen,  dass  sie  aller- 
hand Gethier  daran  saugen  lassen,  das  werde  ich  später  noch  zu  besprechen 
haben.  In  wie  weit  für  diesen  verspäteten  Wiedereintritt  der  Milchabsonderung 
psychische  Einflü^te,  und  ganz  specieU  die  Liebe  zu  dem  Säugling  mit  von  Be- 
deutung sein  mögen,  das  lasse  ich  dahingestellt.  Der  alte  Bosch  hat  aber  diesen 
Einfluss  ganz  besonders  hervorgehoben: 

.Wenn  eine  Frau  einem  fremden  Kinde  zur  Amme  dient,  so  nimmt  die  Menge  ihrer 
Milch  Anfangs  ab,  und  wird  dann  erst  reichlicher,  wenn  sie  gegen  dieses  Kind  eine  grössere 
Liebe  fUilt  So  hängt  diese  Secretion  gleich  dem  Geschlechtfitriebe  von  einer  psychischen 
Affection,  von  der  Liebe  zu  dem  Kinde  ab,  und  vermag  andererseits  auch  wieder  die  Liebe 
zu  dem  Kinde  zu  erhöhen.* 

Für  dieses  eigenthümliche  Säugen  durch  alte  Frauen  habe  ich  den  Namen 
Spät-Lactation  oderLactatio  ser ot in a  in  Vorschlag  gebracht.  Ich  konnte  der 
Berliner  anthropologischen  Gesellschaft  Berichte  vorlegen,  welche  mir  von  dem 
seit  42  Jahren  im  Gaplande  unter  den  Xosa-Kaffern  als  Missionar  lebenden 
Missionssuperintendenten  Kropf  zugegangen  waren.  Die  Spät-Lactation  hat  bei 
den  Kaffern  eine  so  ausserordentliche  Verbreitung,  dass  Herr  Kropf  davon  «un- 
zählige Fälle*  kennen  gelernt  hat.  Die  betreffenden  Frauen  standen  in  einem 
Alter  von  60  bis  80  Jahren.  Besonders  lebhafk  erinnerlich  ist  ihm  eine  Frau, 
welche  bei  seiner  Ankunft  in  Afrika  im  Jahre  1845  bereits  erwachsene  Kinder 
in  den  zwanziger  Jahren  hatte  und  die  im  Jahre  1887  noch  einen  Grossenkel 
säugte.  Wir  haben  hier  also  sogar  ein  Säugen  durch  die  ürgrossmutter. 
Dieses  Nährgeschäft  vermögen  die  alten  Frauen  nicht  nur  einmal  zu  übernehmen, 
sondern  so  oft  es  ihnen  beliebt,  d.  h.  so  oft  ein  Enkel  oder  Grossenkel  geboren 
wurde.  Auf  diese  Weise  lag  zwischen  den  einzelnen  Nährperioden  ein  Zwischen- 
raum von  2  bis  4  Jahren.  Die  alten  Frauen  setzen  dann  das  Nähren  über  Jahr 
und  Tag  hinter  einander  fort,  je  nachdem  des  Kindes  Mutter  zurückkehrt.  Die 
Mütter  nämlich  ziehen  bald  nach  der  Entbindung  in  die  Städte,  um  Arbeit  zu 
suchen,  und  der  Grossmutter  oder  der  Ürgrossmutter  li^  dann  die  Pflege  des 
Kindes  ob.    (BarielsK) 

Leider  konnte  ich  bisher  noch  nichts  erfahren  über  das  Aussehen,  die  Art 
und  die  Menge  des  in  diesen  alten  welken  Brüsten  der  Kaffer- Frauen  abge- 
sonderten Secretes;  jedoch  gab  Kropf  auf  mein  Befragen  an,  dass  die  Frauen 
beide  Brüste  in  Thätigkeit  setzten,  dass  aber  wenigstens  dem  äusseren  Anscheine 
nach  keine  sehr  reichliche  Absonderung  von  Milch  stattfinden  könne,  da  die 
Brüste  niemab  das  volle  strotzende  Ansehen  bekommen,  wie  bei  jungen  nährenden 
Frauen.  Uebrigens  bekommen  diese  Grossmuttersäuglinge  auch  noch  Kubmilch 
nebenbeL 

In  der  Debatte  machte  W.  Reiss  darauf  aufmerksam,  dass  auch  auf  Java 
sehr  gewöhnlich  alte  Frauen  kleine  Kinder  an  ihren  Brüsten  saugen  lassen.     Die 


394  LXIII.  Abnorme  Säugammen. 

junge  Mutter  geht  auf  Arbeit,  und  dreimal  am  Tage  wird  ihr  der  Säugling  zum 
Anlegen  gebracht.  In  der  Zwischenzeit  verbleibt  er  in  der  Obhut  der  Grossmntter 
oder  einer  alten  Nachbarin,  „um  möglichst  wenig  durch  das  Kind  in  der  Be- 
sorgung des  Haushaltes  gestört  zu  sein,  bindet  sich  die  alte  Frau  das  in  ein 
Tuch  eingeschlagene  Kind  an  den  nackten  Oberkörper.  Nach  Nahrung  suchend, 
oder  auch  aus  langer  Weile,  saugt  das  Kind  an  dem  welken  Busen  seiner  Pflegerin, 
der  in  Folge  des  fortdauernden  Reizes  allmählich  ein  milchartiges  Secret  abzu- 
sondern beginnt.  Die  nur  spärlich  entwickelte  Flüssigkeit  ist  gelblich  und  ent- 
spricht keineswegs  der  Muttermilch. '^  Auch  hier  erhalten  die  Kinder  andere 
Nahrung  nebenbei.  Die  Javanen  haben  für  diese  Art  der  Ernährung  einen 
besonderen  Namen.  ,Kassi-tetek  heisst  in  malayischer  Sprache  das  Saugen 
an  der  Mutterbrust,  Mpeng  das  Saugen  an  dem  welken  Busen  alter  Frauen. 
So  allgemein  ist  die  Sitte  auf  Java  verbreitet,  dass  europäische  Aerzte  bei 
Annahme  alter  Pflegerinnen  für  Kinder  weisser  Mütter  stets  ernstlich  die  Aus- 
übung des  Mpeng  verbieten,  da  nach  ihrer  Ansicht  üble  Folgen  für  das  Kind 
daraus  entstehen  können.*  Das  Wort  Mpeng  hat  auch  noch  eine  Reihe  über- 
tragener Bedeutungen.     (Bartels^^.) 

Ich  habe  diese  interessante  Angelegenheit  weiter  verfolgt  und  es  gelang 
mir  durch  die  Freundlichkeit  des  Herrn  Dr.  Glogner  in  Samarang  auf  Java, 
über  fQnf  von  ihm  beobachtete  Fälle  genauere  Mittheilungen  zu  erhalten.  (Bartels'^.) 
Von  diesen  Frauen  waren  allermindestens  vier  bereits  Grossmütter.  Sie  standen 
in  dem  Alter  von  37  bis  50  Jahren,  in  welchem  bei  Javanerinnen  die  Grenze 
der  Fortpflanzungsfähigkeit  schon  lange  überschritten  ist.  Bei  den  drei  jüngsten 
Personen  war  die  Menstruation  noch  vorhanden;  eine  45jährige  stand  in  den 
Wechseljahren  und  eine  50jährige  hatte  dieselben  bereits  hinter  sich.  Bei  den 
Frauen,  die  noch  vor  dem  Klimakterium  standen,  war  die  Milchabsonderung  reich- 
lich, während  die  beiden  älteren  Frauen  zwar  auch  unzweifelhaft  Milch  secernirten, 
aber  doch  nicht  in  so  hinreichender  Menge,  dass  die  Kinder  allein  hiervon 
gesättigt  werden  konnten,  sondern  sie  mussten  ausserdem  auch  noch  Reisbrei 
erhalten. 

Die  Brüste  dieser  säugenden  Grossmütter  werden  als  wenig  entwickelt  be- 
zeichnet. Die  von  ihnen  abgesonderte  Milch  war  sehr  wasserreich.  Der  Zeitraum, 
welcher  nothwendig  war,  um  die  welken  Brüste  wiederum  zu  erneuter  Milch- 
absonderung anzuregen,  wird  verschieden  lang  angegeben.  Einmal  heisst  es,  dass 
dieses  «bfdd'',  ein  anderes  Mal,  dass  es  „allmählich*^  geschehen  sei;  einmal  hat 
es  10  Tage  gedauert;  bei  der  jüngsten  von  den  fünf  Frauen  begann  die  Thätig- 
keit  der  Brust  schon  nach  3  Tagen. 

Ein  vereinzelter  Fall  ähnlicher  Art  ist  auch  aus  Europa  bekannt  geworden. 
Er  findet  sich  unter  der  üeberschrifb  „Naturwunder.  Die  säugende  Gross- 
mutter"  in  dem  Berlinischen  Wochenblatt  für  den  gebildeten  Bürger 
und  denkenden  Landmann  vom  Jahre  1812  {Wadeeck): 

„Margaretha  Franziaea  Laloiteite,  die  Frau  eines  Pariser  Wasserträgers  von  angef&hr 
45  Jahren,  hatte  zwei  Kinder  gehabt  und  war  im  Jahre  1780  mit  dem  dritten,  einem  Sohn, 
niedergekommen;  alle  drei  Kinder  hatte  sie  selbst  gestillt.  Vier  und  zwanzig  Jahre  nach  der 
letzten  Niederkunft  1754  heirathete  der  Sohn  und  seine  Frau  sollte  im  Februar  des  Jahres 
1756  Wochen  halten.  Die  Grossmutter,  jetzt  71  Jahre  alt,  wollte  der  Schwächlichkeit  ihrer 
Schwiegertochter  wegen  bei  dem  zu  erwartenden  Enkel  nicht  gern  eine  Amme  annehmen 
und  fasste  den  seltsamen  Entschluss,  ihn  im  Nothfall  selbst  zu  stillen.  Sie  kam  auf  den  Ein- 
fall, die  Milch,  die  sie  bereits  seit  25  Jahren  verloren  hatte,  wieder  hervorzulocken,  und 
stellte  ihre  Versuche  vier  Tage  lang  vor  dem  Fener  an,  wo  sie  mit  grossem  Schmerze  ihre 
Brost  aussaugen  Hess.  Nach  Verlauf  dieser  kurzen  Zeit  sah  die  alte  Heldin  der  Mutterliebe 
ihre  Hoffnung  erfüllt.  Um  die  eintretende  Milch  besser  zuzubereiten  und  häufiger  herbei- 
zulocken, leg^e  sie  die  beiden  letzten  Monate  der  Schwangerschaft  ihrer  Schwiegertochter 
abwechselnd  junge  Hunde  und  Kinder  ihrer  Nachbarn  an,  und  konnte  nun,  sobald  ihre 
Enkelin  zur  Welt  kam,   sie  mit  ihrer  Milch  vollkommen  ernähren.    Die  Grossmutter  und  die 


404.  Das  Säagen  durch  den  Vaier.  395 

Enkelin   befanden   sich   sehr  wohl   dabei,   das  Kind   zahnte   zur  rechten  Zeit  und  ohne  Be- 
schwerde und  war,  als  diese  Beobachtung  bekannt  gemacht  wurde,  sehr  munter.* 

Wir  haben  hier  eine  interessante  Analogie  für  die  ans  Afrika  und  Asien 
berichteten  Thatsachen. 


404.  Das  Säugen  durch  den  Taten 

Es  ist  bereits  von  Charles  Darwin  darauf  aufmerksam  gemacht  worden, 
dass  wir  in  den  Brustdrüsen  des  Mannes  nicht  eigentlich  rudimentäre,  sondern 
nur  nicht  vollständig  entwickelte,  nicht  functionell  thätige  Organe  zu  erblicken 
haben.  Da  wir  uns  nun  in  dem  Torigen  Abschnitte  überzeugen  konnten,  dass 
auch  ohne  ein  vorhergegangenes' Wochenbett  in  den  Brüsten  eine  Milchsecretion 
zur  Ausbildung  gelangen  kann,  so  wird  es  uns  auch  nicht  mehr  zu  unglaub- 
würdig erscheinen,  wenn  wir  hören,  dass  in  seltenen  Fällen  auch  in  der  Brust- 
drüse des  Mannes  eine  Milchabsonderung  beobachtet  worden  ist.  Ist  doch  bei 
männlichen  Kindern  in  den  ersten  Lebenstagen  eine  Anschwellung  der  kleinen 
Brüste  und  die  Bildung  einer  milchähnlichen  Flüssigkeit  in  denselben,  der  so- 
genannten Hexenmilch,  nicht  minder  häufig  als  bei  den  kleinen  Mädchen.  Und 
auch  zu  der  Zeit  der  Pubertät  sieht  man  nicht  selten  die  Brustdrüsen  der  Jüng- 
linge erheblich  sich  vergrössem  und  anschwellen.  Der  Herausgeber  musste  vor 
einer  Reihe  von  Jahren  dem  verstorbenen  Eobert  Wütns  bei  der  Amputation  einer 
Brust  eines  13jährigen  Knaben  assistiren.  Während  die  eine  Seite  ganz  normale 
Verhältnisse  darbot,  hatte  sich  an  der  anderen  Korperhalfte  die  Brust  in  vollkommen 
weiblicher  Form  zu  solcher  Grosse  entwickelt,  wie  wir  sie  nur  bei  Mädchen  von 
18 — 20  Jahren  zu  sehen  gewohnt  sind.  Natürlich  war  die  durch  dieses  Verhalten 
bedingte  Entstellung  eine  sehr  erhebliche;  der  Bau  der  amputirten  Brust  war  ein 
ganz  normaler  jungfräulich  weiblicher. 

Dass  nun  solche  Brüste  bei  Männern  auch  wirklich  Milch  gegeben  haben, 
ist  von  einer  Reihe  alter  Beobachter  (Nicolaus  Gemma^  Vesalius^  Donatus^  Eugu- 
tius,  BariceUuSy  Fabricitis  ab  Aquapendente  u.  s.  w.)  bestätigt  worden.  **  Schenck 
kannte  einen  Mann,  der  von  seiner  Jugend  an  bis  zu  seinem  50.  Jahre  reichlich 
Milch  absonderte.  Das  Gleiche  berichtet  Walaeus  von  einem  40jährigen  Flanderer 
mit  ungeheueren  Brüsten.  Abensina  sah  einen  Mann  aus  seinen  Brüsten  soviel 
Milch  entleeren,  dass  daraus  Käse  gefertigt  wurde.  Cardanus  berichtet,  dass  er 
einen  40jährigen  Mann  gesehen  habe,  aus  dessen  Brüsten  soviel  Milch  fioss,  dass 
sie  zur  ü^mährung  eines  Kindes  ausgereicht  hatte. 

Ein  zu  Ende  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  in  Verona  lebender  Anatom, 
Alexander  Benedictus^  erzählt: 

^  Maripetrus  sacri  ordixiis  equestris  tradidit,  Syrnm  quendam,  cui  filius  infans,  mortua 
coi^juge,  Bupererat,  ubera  saepius  admovisse,  ut  famem  filii  vagientis  frastraret,  contiiiQatoque 
auctu  lacte  manasse  papillam,  quo  exinde  metritas  est,  magno  totiuB  urhis  miraculo.* 

Wie  Weinberg  angiebt,  wird  auch  im  Talmud  (Sahbath  63)  eine  hierher- 
gehörige Beobachtung  berichtet.  Ein  Mann  verlor  seine  Gattin  im  Wochenbett 
und  ernährte  darauf  den  Säugling  an  der  eigenen  Brust. 

Das  alles  sind  ältere  Angaben,  denen  man  einige  Zweifel  entgegenbringen 
konnte.  Aber  einen  Bericht  aus  neuer  Zeit  verdanken  wir  Alexander  von  HumboldL 
Es  handelt  sich  um  einen  Landbauer  aus  dem  Dorfe  Arenas  in  Neu-Andalusien: 

«Dieser  Mann  hatte  einen  Sohn  mit  seiner  eigenen  Milch  gestillt.  Als  die  Mutter  krank 
ward,  nahm  der  Vater  das  Kind,  um  es  zu  bemhigen,  in  sein  Bett,  und  drückte  es  an  seine 
Brust.  Lozano  war  zwej  und  dreysig  Jahre  alt,  und  hatte  bis  dahin  keine  Milch  in  der 
Brust  gespürt;  aber  die  Reizung  der  Warze,  an  der  das  Kind  sog,  bewirkte  die  Ansammlung 
dieser  Flassigkeit.  Die  Milch  war  dicht  und  sehr  sfiss.  Der  Vater,  fiber  das  Anschwellen 
seiner  Brost  erstaunt,  reichte  sie  dem  Kind  und  stillte  solches  fQnf  Monate  durch  zwey  bis 
dreymal  täglich.* 


396  LXUL  Abnorme  S&ugammen. 

,Er  erregte  die  Aufmerksamkeit  der  Nachbarn,  dachte  aber  nicht  daran,  wie  in  Europa 
geschehen  wäre,  die  Neugier  der  Leute  sich  zu  Nutze  zu  machen.  Wir  sahen  den,  zu  Er- 
Wahrung  der  bemerkenswerthen  Thatsache,  an  Ort  und  Stelle  aufgenommenen  Verbalprocees, 
und  die  noch  lebenden  Augenzeugen  versicherten  uns,  der  Knabe  habe,  so  lange  er  gestillt 
ward,  neben  der  Yatermilch  keine  andere  Nahrung  erhalten.  Lozano,  der  sich  während 
unserer  Reise  in  den  Missionen  nicht  in  Arenas  befand,  besuchte  uns  nachher  in  Gumana. 
Sein  dreyzehn  oder  vierzehn  Jahre  alter  Sohn  begleitete  ihn.  Herr  Banpland,  welcher  des 
Vaters  Brust  aufmerksam  untersuchte,  fand  sie,  wie  bey  Frauen,  welche  Kinder  gestillt 
haben,  runzligt  Er  bemerkte,  dass  vorzüglich  die  linke  Brust  sehr  ausgedehnt  war,  welches 
Lozano  uns  durch  den  Umstand  erklärte,  dass  bejde  Brüste  nie  in  gleicher  Menge  Milch  lieferten.* 

Trotzdem  ich  in  die  Glaubwürdigkeit  der  Honoratioren  von  Arenas  keinerlei 
Zweifel  setze,  so  sind  doch  hier  weder  Humboldt  noch  auch  Banpland  Augen- 
zeugen der  eigentlichen  Thatsache  gewesen.  Von  um  so  grösserer  Wichtigkeit 
ist  daher  für  uns  ein  Bericht,  welchen  Omstein  der  Berliner  anthropologischen 
Gesellschaft  zugehen  Hess: 

«Ich  wohnte  in  Jahre  1846  in  dem  Seestädtchen  Galaxidi,  an  einer  Bucht  des  Meer- 
busens von  Amphissa,  bei  dem  Schiffsbaumeister  Elias  Kanada ^  einem  Manne  von  so 
colossalem  EOrperbau,  wie  ich  in  Griechenland  keinen  zweiten  gesehen  habe.  So  oft  es 
seiner  kleinen,  schwächlichen  und  dabei  tuberkulösen  Frau  an  Milch  fehlte  und  ihr  fast  schon 
zweijähriger  SprÖssling  sein  Missvergnügen  darüber  durch  anhaltendes  Jammern  und  Weh- 
klagen zu  erkennen  gab,  reichte  ihm  der  Vater  mit  wahrer  Mutterzärtlichkeit  eine  der  stark 
entwickelten  Brüste,  und  der  kleine  Schreihals  sog  nach  Herzenslust,  bis  er  gesättigt  war. 
Ich  habe  oft  genug  gesehen,  wie  der  Mann  die  von  der  Milch  benetzte  Brust  abzutrocknen 
genöthigt  war.* 


LXIV.  Die  Mutterbrnst  im  Brauche  und  Glauben  der  Völker. 

405.  Die  Mutterbrnst  in  cnltnrgeschichtlicher  Bezlehnng. 

Ich  kann  es  mir  nicht  versagen,  an  dieser  Stelle  noch,  wenn  auch  nur  mit 
wenigen  Worten,  die  culturhistorische  Wichtigkeit  der  Mutterbrnst  hervorzuheben. 
Es  hat  dem  Scharfblicke  auch  der  auf  sehr  niedriger  Gulturstufe  sich  befindenden 
Völker  nicht  entgehen  können,  was  ffir  eine  hohe  Bedeutung  der  Nahrung  spen- 
denden Frauenbrust  för  die  Erhaltung  imd  die  Vermehrung  des  gesammten 
Menschengeschlechts  zugeschrieben  werden  muss.  Und  aus  diesem  Grunde  ist 
es  wohl  erklärlich,  dass  sie  gerade  die  Brüste  so  recht  als  das  Charakteristikum 
des  weiblichen  Geschlechts  auffassen.  Wir  finden  daher  in  ihren  rohen  und 
primitiven  künstlerischen  Bestrebungen,  die  menschliche  Gestalt,  sei  es  in  Malerei 
oder  in  plastischer  Arbeit,  zur  D^^Uung  zu  bringen,  überall  da,  wo  sie  mit 
ihren  Figuren  ein  Weib  zu  bilden  die  Absicht  hatten,  auch  stets  die  Brüste  in 
mehr  oder  weniger  gelungener  Weise  angedeutet  oder  ausgebildet.  Das  vermögen 
wir  bei  den  Kunstleistungen  der  primitivsten  Völker  des  äquatorialen  Afrikas 
ebenso  nachzuweisen,  wie  bei  den  Oster-Insulanern;  wir  finden  es  auf  den  prä- 
historischen Felsenzeichnungen  in  Bohuslaen  in  Schweden  {Brunitis)  wie  auf 
den  Gravirungen  der  Wallrossknochen  bei  den  Eskimovölkern  u.  s.  w. 

Sehr  interessant  sind  in  dieser  Beziehung  eine  Reihe  von  Vasen,  welche 
Schliemann  durch  seine  Ausgrabungen  in  Hissarlik  (Troja)  zu  Tage  gefördert 
hat.  Bei  ihnen  findet  man  dem  Vasenbauche  in  seiner  oberen  Abtheilung  ganz 
deutlich  ausgebildete  Brüste  aufgesetzt.  Ueber  diese  ihre  Bedeutung  kann  kein 
Zweifel  bestehen,  da  einige  dieser  Vasen  durch  ihre  mit  Gesichtern  verzierten 
Deckel  sich  als  der  grossen  ausgebreiteten  Gruppe  der  sogenannten  Gesichtsurnen 
angehörig  documentiren,  welche  in  immer  mehr  oder  weniger  vollständiger  Weise 
die  menschliche  Gestalt  zur  Darstellung  bringen.  Es  kommt  auch  noch  hinzu, 
dass  sich  auf  der  Mehrzahl  der  von  Schliemann  entdeckten  Exemplare  genau  in 
der  Mitte  zwischen  diesen  Brüsten,  aber  eine  kleine  Strecke  unterhalb  derselben, 
eine  kleine,  flache,  an  einen  Knopf  erinnernde  kreisrunde  Erhöhung  vorfindet, 
welche  nach  ihrem  Sitze  und  ihrer  Gestalt  ganz  zweifellos  als  der  Nabel  gedeutet 
werden  muss.  Die  Brüste  und  der  Nabel  präsentirt  uns  also  diese  Frauen- 
gestalt, und  das  Tiefe  und  Sinnige  einer  solchen  Darstellung  wird  wohl  Jeg- 
lichem sofort  in  die  Augen  fallen:  Die  Brüste  sind  es,  welche  die  kommende 
Generation  ernähren  und  heranbilden,  in  dem  Nabel  aber  haben  wir  das  äussere 
Erinnerungszeichen  des  physischen  Zusammenhanges  mit  den  Vorfahren  zu.  er- 
kennen. 

In  der  religiösen  Auffassung  sehr  vieler  Völker  haben  wir  zwei  hauptsäch- 
liche Gottheiten  zu  unterscheiden,  die  wir  in  der  Kürze  und  Allgemeinheit  als 
das  active,  männliche,  befiruchtende,  und  das  passive,  weibliche,  gebärende  Princip 


398 


LXIV.  Die  MutterbruBt  im  Brauche  und  Glauben  der  Völker. 


bezeichnen  können.  Das  letztere  wird  sehr  häufig  durch  eine  weibliche  Gestalt 
zur  Darstellung  gebracht,  welche  mit  beiden  Händen  ihre  Brüste  halt,  oder  welche 
die  eine  Hand  an  die  eine  Brust  und  die  andere  an  ihre  Geschlechtstheile  legt. 
Derartige  Figuren  kenne  ich  von  den  alten  Mexikanern  und  aus  verschiedenen 
Theilen  Afrikas.  Unsere  Figur  363  zeigt  eine  solche  weibliche  Gestalt,  die 
als  Bogenhalter  dient,  aus  Uguha,  südwestlich  vom  Tanganyika-See,  von 
wo  sie  Wissmann  dem  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin  überbrachte. 
Sie  ist  in  dunkelbraunem  Holz  sehr  sorgfaltig   geschnitzt  und  ist   bis   auf  einen 

Perlenhalsschmuck   unbekleidet.      Am   Bauche   und    am 
^^^  unteren  Theile  des  Rückens  bis  zur  Kreuzbeingegend  sind 

HB     ^^1  stark  erhabene  Schmucknarben  angedeutet.    Ihre  Hände 

^H     ^H  ^^   ^^   ^^^   ^^   ^^^   beiden   strotzend   dargestellten   Brüste 

^H     ^H  ^K   ^^^  ^^^  Nabel  ist  auch  hier,  wie  so  häufig  bei  afrika- 

^H    HB         ^K     ni sehen  Figuren,  stark  ausgebildet  und  nabelbruchartig 
^H    ^9        ^K       hervorgewölbt.     (Man  vergleiche  Fig.  802.) 
^^L  fli      ^K  Nach  gleichen  Principien  gebildete  Figuren  haben 

^^Ll^    i^m  ^^^^    ^^^   Cypern,    in    Klein-Asien    und    selbst    in 

^Hp^L^^^^  Griechenland    gefunden,    und    die    Archäologen   ver- 

^^^^^j^^  mochten  durch   eine  B^ihe  von  XJebergangsformen  den 

sicheren  und  unanfechtbaren  Nachweis  zu  liefern,  dass 
auch  die  bekannte  Handhaltung  der  mediceischen  VenuSj 
welche  man  ja  für  gewöhnlich  als  den  höchsten  Aus- 
druck weiblicher  Schamhaftigkeit  zu  betrachten  pflegt, 
ursprünglich  gerade  die  gegentheilige  Bedeutung  hatte, 
indem  ihre  künstlerischen  Vorbilder  und,  wie  man  sagen 
könnte,  ihre  Vorfahren  mit  dieser  Stellung  der  Hände 
die  betreffenden  Theile  keineswegs  zu  verdecken,  sondern 
im  Gegentheile  gerade  auf  sie  hinzuweisen  bestrebt  ge- 
wesen sind. 

Die  Mutterbrust  als  Attribut  der  Göttin  der  Natur 
hat  auch  ihre  archäologische  Rolle  gespielt,  die  sich 
selbst  noch  in  den  allegorischen  Darstellungen  der  letzten 
hundert  Jahre  widerspiegelte.  Jedoch  konnten  für  eine 
so  viel  beschäftigte  Mutter,  wie  die  Mutter  Natur  es  ist, 
nach  der  Auffassung  der  Menschen,  nur  zwei  Brüste  wie 
bei  einem  menschlichen  Weibe  nicht  genügen;  ihre 
Zahl  musste  eine  ganz  erhebliche  Vermehrung  erifahren. 
Am  bekanntesten  in  dieser  Beziehung  ist  eine  in  mehr 
Fig.  36a.  Holzgeschnitzter  als  menschlicher  Grösse  gebildete  Statue,  welche  sich 
(A^rTk\l\^eunbTuewl^!'uire  ^^^^^r  dem  Namen  der  Diana  von  Ephesus,  die  be- 
strotzenden  Brüste  mit  den  Hän-  kanntlich  als  die  Naturgöttin  verehrt  wurde,  in  dem 
?Z»^n!^''fL^vSi^«'?l'n^^^^^   Museo  nazionale,    dem  früheren  Museo  Borhonico 

(Museum   für   Volkerkunde    .      ^^  i    i.   i-    i  i.       t\-  •        xi.«     t  i.      o« 

in  Berlin.)  m  Neapel   befindet.     Diese  eigenthümhche  Figur,  von 

(Nach  Photographie.)  welcher    eine  Replik   im   Vatican    bewahrt   wird,  hat 

den  ganzen  Brustkorb  mit  Brüsten  besetzt,  welche 
in  regelmässiger  Anordnung  verschiedene  Grössendimensionen  darbieten.  Bei  allen 
—  es  sind  nicht  weniger  als  achtzehn  —  ist  die  allgemeine  äussere  Form  die 
Gleiche  und  erinnert  an  die  Ziegenbrüste  gewisser  Afrikanerinnen.  Durch 
dieses  Hängende,  fast  möchte  ich  sagen  Euterartige,  dabei  aber  doch  in  gewisser 
Weise  Strotzende,  wird  in  unverkennbarer  Klarheit  angedeutet  und  ausgedrückt, 
dass  diese  Brüste  sich  in  dem  Zustande  der  Milchproduction  befinden  und  dass  sie 
ihre  Bestimmung,  als  Nährorgane  zu  functioniren,  in  vollem  Maasse  zu  erfüllen 
im  Stande  sind. 


406.  Die  Diätetik  der  Säugezeit.  399 

406.  Die  Diätetik  der  Säagezeit. 

Man  pflegt  bei  den  civilisirten  Nationen  der  Säugenden  eine  ganz  besondere 
Ernährung  angedeihen  zu  lassen,  in  der  Absicht  einerseits,  das  Uebergehen  von 
reizenden  Stoffen  in  die  Milch  zu  verhindern,  und  andererseits  die  Milchproduction 
so  viel  wie  möglich  zu  vermehren.  Wenn  wir  nun  bei  Völkern  auf  niederer 
Culturstufe  ähnliche  Speisevorschriften  wiederfinden,  so  müssen  wir  wohl  glauben, 
dass  es  ähnliche  Anschauungen  und  Erfahrungen  sind,  welche  diese  Verbote  und 
Verordnungen  verursacht  haben.  So  darf  auf  den  Babar-Inseln  eine  säugende 
Frau  keine  Fische  und  kein  Ferkelfleisch  zu  sich  nehmen.  Auch  auf  Eetar  ist 
es  ihr  verboten,  Ealapanüsse  oder  Ferkelfleisch  zu  essen,  ,)Weil  sonst  das  Kind 
krank  wird",  und  auf  Keisar  muss  sie  unter  Anderem  Schaf-  und  Hühnerfleisch 
und  saure  Früchte  vermeiden,  dagegen  aber  gekochten  Reis  und  trockene  Fische  essen. 

In  Guatemala  musste,  wie  StoU  berichtet,  die  Frau,  so  lange  sie  ein  Kind 
säugte,  ausschliesslich  von  Mais  leben. 

Die  Seranglao-  und  Gorong-Insulanerinnen  suchen  durch  den  40  Tage 
lang  fortgesetzten  Oenuss  von  dem  Extracte  der  Blätter  zweier  heilkräftiger 
Pflanzen  (Oogita  mor  und  Oidanwanar)  ihre  Milch  zu  vermehren.  In  Japan  hat 
in  dieser  Hinsicht  der  Genuss  des  Fleisches  von  der  Eule  grossen  Ruf. 

Moschion  berichtet,  dass  die  römischen  Frauen,  um  sich  reichliche  Milch 
zu  verschaffen,  die  Euter  verschiedener  Thiere  assen;  auch  haben  sie  als  milch- 
fördernde  Mittel  Holzwürmer  oder  Fledermäuse,  zu  Asche  gebrannt,  in  Wein  ein- 
genommen; er  selber  tadelt  dies. 

Die  weite  Verbreitung  des  Glaubens,  dass  das  Säugen  eine  erneute  Schwänge- 
rung verhüte,  haben  wir  bereits  kennen  gelernt.  Ganz  sicher  allerdings  bleibt 
dieselbe  aus,  wenn  der  Coitus  überhaupt  gar  nicht  stattfindet;  und  ein  solches 
Verbot  finden  wir  bei  einer  grossen  Anzahl  von  Völkern.  Es  ist  gewiss  eine 
bemerkenswerthe  Thatsache,  dass  bei  vielen,  und  zwar  gerade  bei  ungemein  rohen 
Völkerschaften  der  Ehemann  während  der  Säugezeit  den  Beischlaf  mit  seiner 
Gattin  nicht  ausüben  darf.  Da  die  Mütter  bei  diesen  Volksstämmen  nun  nicht 
selten  mehrere  Jahre  säugen,  so  ist  die  natürliche  Folge,  dass  der  Mann  durch 
die  ganze  Zeit  seiner  Frau  geschlechtlich  fern  bleiben  muss.  Das  schreibt  die 
allgemeine  Sitte  vor,  und  vielleicht  ist  es  dadurch  zu  erklären,  dass  man  auch 
die  Milchsecretion,  ähnlich  wie  die  Menstruation  und  den  Wochenfiuss,  für  ab- 
norme Ausnahmezustände  betrachtete,  in  welchen  die  Berührung  mit  der  Frau 
jedem  Manne  erhebliche  Gefahren  darbieten  muss.  Sicherlich  hat  die  Meinung 
viel  für  sich,  dass  die  lange  Abstinenz,  zu  welcher  der  Gatte  auf  diese  Weise 
verurtheilt  wurde,  als  eine  der  Ursachen  betrachtet  werden  muss,  welcher  die  Viel- 
weiberei ihren  Ursprung  verdankt. 

Solch  Fembleiben  vom  säugenden  Weibe  ist  weit  verbreitet,  namentlich 
bei  afrikanischen  Völkern.  Aber  auch  die  Drusen,  die  Eafir  in  Indien 
und  viele  amerikanische  Stämme  üben  die  gleiche  Enthaltsamkeit.  Auch  von 
den  Feuerländern  hat  man  es  behauptet.  Deniker  und  Hyades  geben  aber 
über  diese  Leute  folgenden  Bericht: 

,La  dur^e  de  la  p^riode  d^allaitement  est  en  gen^ral  de  trois  ans;  mais  les  Fue- 
giennes  commencent  de  bonne  heare  ä  donner  ä  leurs  nourrissODs,  sans  les  sevrer  compl^- 
tement,  des  aliments  solides,  tels  que  moules  cuites,  poissons  etc.  On  ä  pr^tendu  que,  pendant 
tout  le  temps  oü  eile  allaite,  la  Fu^gienne  n^avait  aucane  commanication  avec  son  mari: 
un  Fu^gien  de  la  mission  d'Ouchouaya  nous  a  dit  que,  d*apräs  le  conseil  des  mission- 
naires,  les  femmes  devaient  s'abstenir  de  cohabiter  avec  leur  mari  avant  qu*une  ann^e  füt 
^couläe  depois  raccouchement;  mais  il  s*est  dornen ti  ensuite,  et  les  autresFuegiens  des  deuz 
sezes  que  nous  avons  interrog^  sur  cette  question,  ont  ete  unanimes  k  nous  däclarer  que, 
das  le  deuzi^me  mois  apräs  raccoucbement,  les  rapports  recommen9aient  entre  les  6pouz. 
Nous  avons  vu  de  jeunes  m^res  dont  les  enfants  n'avaient  pas  im  an  et  qui  ne  se  privaient 
pas   de  relations  sezuelles.     Nous   ne  pensons   pas,   par    cons^quent,   qu'il   existe  chez  les 


400  LXIV.  Die  Mutterbnist  im  Brauche  und  Glauben  der  Volker. 

Fu^giens  comme  peut-Stre  chez  d'autres  peuplades  d'Amörique,  d'aprha  d'Orbigny,  Tusage 
d'allaiter  trois  ann^es,  pendant  lesquelles  la  femme  n'aurait  aucune  communication  avec  son 
mari  dans  la  crainte  q'une  nouvelle  grossease  Toblige  au  sevrage.* 

Nach  dem  Ablauf  von  drei  Perioden  nach  der  Geburt  darf  zwar  bei  den 
Bewohnern  Marokkos  der  Ehemann  wiederum  mit  seiner  Frau  Umgang  pflegen, 
doch  lebt  dieselbe  noch  während  der  zwei  Jahre,  wo  sie  das  Kind  säugt,  allein. 
Auch  bei  den  alten  Peruanern  cohabitirte  der  Gatte  nicht  mit  seiner  Frau, 
solange  diese  ein  Kind  säugte,  denn  man  hatte  den  Glauben,  dass  hierdurch  die 
Muttermilch  verdorben  und  das  Kind  ungesund  oder   gar   schwindsüchtig  würde. 


407.  Torschriften  and  Gebräuche  beim  S&ugen. 

Wir  haben  gesehen,  dass  alle  sexuellen  Functionen  des  Weibes,  von  denen 
wir  bisher  haben  handeln  müssen,  yon  allerhand  abergläubischen  Regeln  und  Vor- 
schriften umrankt  sind,  und  so  konnten  wir  auch  schon  von  vornherein  erwarten, 
bei  dem  so  hochwichtigen  Vorgänge  des  Säugens  ebenfalls  auf  dergleichen  zu 
stossen.    Es  sollen  nur  einige  Beispiele  angef&hrt  werden. 

Auf  den  Watubela-Inseln  darf  die  Mutter  das  neugeborene  Kind  die  ersten 
drei  Tage  nicht  säugen.  Für  diese  Zeit  wird  eine  Amme  gesucht,  aber  nur,  wenn 
das  Kind  ein  Mädchen  ist.  Zu  solchem  Ammendienste  ist  jedoch  nicht  jegliche 
Frau  im  Dorfe  geeignet,  sondern  es  kann  nur  eine  solche  genommen  werden, 
welche  selber  eine  Tochter  hat.  Wird  diese  Bedingung  nicht  erfällt,  dann  vnrd 
der  Säugling  später  unfruchtbar.     (Riedel^,) 

Auch  zu  den  Zeiten  des  Soranus  wurde  eine  Amme  nur  dann  für  brauch- 
bar gehalten,  wenn  das  Kind,  welches  sie  geboren  hatte,  mit  dem  ihr  übergebenen 
das  gleiche  Geschlecht  besass.  Soranus  ist  bemüht  gewesen,  diesen  Aberglauben 
auszurotten. 

Auf  den  Aaru- Inseln  darf  die  Mutter  zwar  die  ersten  9  Tage  ihr  Kind 
nicht  anlegen,  aber  sie  muss  täglich  ihre  Milch  auf  die  Nabelwunde  desselben 
träufeln  lassen.  Am  Tage  der  Namengebung  wird  ihr  das  Kind  an  die  Brust 
gelegt  und  dabei  werden  mehrere  Namen  genannt.  Derjenige  Name,  bei  dessen 
Nennung  es  zu  saugen  beginnt,  gilt  als  der  von  ihm  gewählte  und  wird  ihm  für 
das  Leben  beigelegt.     (Riedel^.) 

Wir  haben  ja  schon  in  früheren  Abschnitten  gesehen,  dass  man  bei  vielen 
Völkern  der  jungen  Mutter  nicht  erlaubt,  ihr  Kind  bereits  am  ersten  Tage  nach 
der  Entbindung  anzulegen.  Es  muss  erst  eine  bestimmte  Zeit  vergehen,  bis  sie 
dem  Kinde  die  Brüste  reichen  darf.  Auf  den  Schiffer-Inseln  muss  zuvor  aber 
die  Priesterin  die  Milch  untersuchen,  und  erst  wenn  sie  die  Erklärung  abgiebt, 
dass  die  Milch  nicht  giftig  sei,  darf  das  Neugeborene  angelegt  werden. 

Eine  absonderliche  Sitte  berichtet  Houel  von  den  Sicilianerinnen.  Er 
behauptet,  dass  dieselben  dem  Kinde  nur  die  eine  Brust  reichen  und  die  andere 
eingehen  lassen. 

Bei  den  Finnen  darf  die  Mutter  an  allen  drei  Fastnachtstagen  ihr  Kind 
nicht  stillen,  weil  es  sonst  schielend  wird  und  auch  das  böse  Auge  bekommt,  das 
durch  seinen  Blick  Schaden  zufügt.     (Krebel.) 

Eine  Säugende  darf  in  Siebenbürgen  nicht  spinnen,  weil  ihre  Brüste 
hierunter  leiden  und  ihr  Kind  Schwindel  bekommen  würde. 

Bei  manchen  Völkern  gilt  eine  erneute  Schwangerschaft  oder  bisweilen  auch 
schon  der  Wiedereintritt  der  Menstruation  als  bestimmend,  das  Säugen  aufzugeben. 
So  säugen  die  Eetar- Insulanerinnen  so  lange,  bis  sie  wieder  befruchtet  sind; 
ebenso  die  Sula- Insulanerinnen,  die  Tungusinnen,  die  Serbinnen  und  die 
Dalmatinerinnen.     Aber  die   letzteren   werden   auch   schon  durch  die  Wieder- 


408.  Die  Gefahren  der  S&ngenden.  401 

kehr  der  Menstruation  Teranlasst,  ihr  Kind  abzusetzen,  weil  sie  glauben,  dass  der 
Eintritt  der  Regel  sowohl  wie  eine  neue  Gravidität  einen  verderblichen  Einfluss 
auf  die  Milch  ausübt. 

In  Old-Galabar  hingegen  nähren  die  Frauen  noch  einige  Monate  in  die 
nächste  Schwangerschaft  hinein,  und  das  Gleiche  findet  bei  den  Waswaheli  in 
Ost- Afrika  statt;  letztere  nennen  einen  solchen  Säugling  Patcha  ja  n'ye,  das 
bedeutet  ^äusserlicher  Zwilling*^. 

Bei  den  Topantunuasu  in  Selebes  darf,  wie  Riedd^^  berichtet,  die 
Mutter  daB  Säugen  des  Kindes  nur  so  lange  fortsetzen,  bis  die  vier  mittleren 
Schneidezähne  bei  dem  Säugling  zum  Durchbruch  gekommen  sind.  Wahrschein- 
lich spielen  bei  diesem  Verbote  die  Schmerzen  eine  Rolle,  welche  der  Säugenden 
verursacht  werden,  wenn  die  scharfen  Zähne  des  Kleinen  ihre  Brustwarze  packen 
und  beissen. 

Interessant  ist  es,  dass  wir  in  einigen  Fällen  selbst  auch  in  der  Säugungs- 
zeit  einen  Geschlechtsunterschied  nachzuweisen  vermögen.  Immer  kommen  hier 
die  Mädchen  zu  kurz.  So  stillen  nach  Morier  die  persischen  Mütter  ihre 
Kinder  männlichen  Geschlechts  2  Jahre  und  2  Monate  lang,  während  ein  Mädchen 
sich  mit  2  Jahren  begnügen  muss.  Nach  du  Perron  werden  bei  den  Parsen 
die  Knaben  17,  die  Mädchen  aber  nur  16  Monate  lang  gesäugt. 


408.  Die  Gefahren  der  Sftngenden. 

In  BoidcLSsar  Timaeus  von  OiUdenldee^s  Zeughaus  der  Gesundheit 
(1704)  heisst  es: 

.Wenn  die  Weiber  ihres  Kindes  genesen  seyn,  und  nun  meynen,  sie  h&tten  alles  über- 
standen, was  ihnen  in  solchem  Zustande  vor  Schmerteen  und  Beschwehrligkeit  zustossen  könte, 
so  gehet  oflftermahls  hernach  die  meiste  Noth  erst  an,  indem  sie  alsdann  mit  den  Brüsten  zu 
thun  kriegen,  welche  ihnen  offtermahlen  solche  Schmertzen  verursachen,  die  ihrer  Aussage 
nach  grösser  seyn,  als  wenn  sie  in  Eindes-Nöthen  wären.* 

Die  Ursache  dieser  Schmerzen  findet  sich  in  Schrunden  an  den  Brustwarzen 
und  namentlich  in  entzündlichen  und  zur  Eiterung  fahrenden  Processen  in  dem 
Drüsengewebe  der  Brust.  Diese  letztere  Erkrankung  wird  in  ihren  An&ngsstadien 
im  Volke  als  Milchknoten  und  bei  fernerem  Fortschreiten  der  entzündlichen 
Zustände  als  Einschuss  bezeichnet.  Allerlei  „zertheilende"  Mittel  werden  da- 
gegen angewendet,  namentlich  aber  aromatische  und  schleimige  Umschlage  von 
möglichst  hoher  Temperatur  und  stark  reizende  und  intensiv  klebende  Pflaster. 

In  Steyermark  erfreut  sich  nach  Fossd  auch  die  „alte  Eh-Salbe*  (im- 
guentum  altheae)  eines  besonderen  Rufes.  Die  Milchknoten  suchen  die  Russen, 
wie  Krd>d  berichtet,  folgendermaassen  zu  vertreiben: 

„Die  erkrankte  Frau  stellt  sich  vor  die  Ofengluth  und  erw&rmt  die  kranke  Brust;  eine 
andere  Person  dagegen  erw&rmt  in  derselben  Zeit  einen  Tuchlappen  oder  wollenen  Strumpf, 
der  mit  Urin  von  der  Kranken  angefeuchtet  wurde,  und  legt  ihn,  so  heiss,  als  es  nur  immer 
vertragen  wird,  auf  und  sucht  nun  letztere  und  den  Lappen  heiss  und  mit  Urin  befeuchtet 
zu  erhalten.  In  der  Zwischenzeit  wird  irgend  ein  eiserner  Gegenstand,  ein  Messer  oder  ein 
Hufeisen,  auf  Eis  kalt  gemacht  und  dann,  wenn  die  Brust  recht  heiss  geworden,  diese  mit 
demselben  an  allen  leidenden  Stellen  berührt  Je  heisser  und  feuchter  die  Brust  ist  und  je 
kälter  das  Eisen,  um  so  gewisser  soll  der  günstige  Erfolg  sein.* 

Gegen  die  Schrunden  an  den  Brustwarzen,  welche  man  in  Steyermark 
Niefen  nennt,  helfen  in  Nord-Deutschland  namentlich  Löschwasser,  d.  h. 
Wasser,  in  welchem  ein  glühendes  Eisen  abgekühlt  ist,  und  der  sogenannte 
Fensterschweiss,  die  sich  an  den  Fensterscheiben  niederschlagende  Feuchtigkeit 
der  Zimmerluft.  In  Steyermark  wird  dagegen  eine  Salbe  angewendet,  deren 
Hauptbestandtheil  eine  Butter  ist,  die  man  aus  Frauenmilch  bereitet  hat.  Diese 
Salbe  ist  unter  dem  Nameu  Menschenschmalz  bekannt. 

Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  26 


402  LXIV.  Die  Mutterbnut  im  Brauche  und  Glauben  der  Volker. 

Die  Zelt* Zigeunerin  in  Siebenbürgen  bestreicht  die  schmerzhafte  Brost- 
warze  mit  Hasenfett. 

um  den  Brustschmerzen  während  des  Stillens  vorzubeugen ,  lasst  bei  den 
Serben  die  Braut  den  ersten  Abend  nach  der  Trauung  sich  vom  Bräutigam  nicht 
an  der  Brust  anrühren.  (Petrawüsch.)  In  einigen  Gegenden  Mecklenburgs 
bestreicht  man  die  Brust,  um  sie  gesund  zu  erhalten,  bisweilen  auch  das  Gesicht 
der  Entbundenen  mit  der  Nachgeburt,  ohne  diese  Korpertheile  wieder  abzu- 
trocknen.   (Bartsch.) 

Eine  fernere  Gefahr  f&r  die  säugende  Frau  liegt  in  den  verschiedenen 
psychischen  Erregungen.    Bei  Timaeus  von  Güldenidee  heisst  es: 

,Yor  allen  Dingen  aber  sollen  die  Weiber  zu  dieser  Zeit  vor  Erkältung,  Schrecken  und 
Zorn  in  Acht  genommen  und  verwahret  werden." 

Die  Furcht  vor  einem  Erschrecken,  das  die  Milch  «verschlagen*  könnte,  ist 
auch  noch  heute  im  Volke  sehr  gross. 

Von  säugenden  Müttern  werden  daher  in  der  Mark  Brandenburg  Belem- 
niten  (sog.  Donnerkeile),  Schrecksteine  genannt,  die  im  märkischen  Kiessande 
häufig  vorkommen,  als  Amulete  getragen,  damit  dem  Eonde  die  Milch  nicht 
schade,  wenn  die  Mutter  einen  Schreck  bekommt.  Auch  wird  etwas  von  dem 
Schrecksteine  abgeschabtes  Pulver  dem  Säugling  zu  demselben  Zweck  eingegeben. 
Belemniten-Stücke  sind  unter  dem  Namen  Schrecksteine  in  vielen  Apotheken, 
selbst  in  Berlin,  zum  Preise  von  5  Pfennigen  das  Stück  käuflicL  Aus  Ser- 
pentin geschliffene  Schrecksteine  werden  zu  demselben  Zweck  als  Amulet  ge- 
tragen.   (E.  Kratise,) 

Auch  der  alte  Goldhammer  (1737)  hielt  den  Schreck  für  schädlich  und  räth 
in  einem  solchen  Falle  der  stillenden  Frau: 

.sie  toll  hierinnen  ihrer  Gesundheit  und  habenden  lieben  Kindes  SorgAltigkeit  halber, 
wohl  dahin  sehen,  dass  sie  nicht  sobald  darauf  esse,  noch  trincke,  viel  weniger  das  Kind  zu 
trftncken  anlege,  es  sey  dann,  dass  sie  sich  suvor  wohl  ausgemolcken  habe.'' 

Femer  werden  ihr  ,, Perlen-Mutter,  Krebs- Augen*  u,  s.  w.  empfohlen. 

Einer  besonderen  Gefahr  für  die  Säugende  müssen  wir  noch  Erwähnung 
thun ;  das  sind  die  Bisse  in  die  Brustwarze,  welche  ihnen  in  manchen  Fallen  von 
den  kleinen  Säuglingen  beigebracht  werden.  Bei  den  Annamiten  sind  sie  be- 
sonders geftirchtet,  aber  nur  in  der  Morgenstunde.  Landes  giebt  über  diesen 
merkwürdigen  Aberglauben  folgende  Erläuterung: 

,11  y  a  un  moment  de  la  jonrn6e  oü  la  morsure  de  Thomme  est  venimense,  c'est  le 
moment  de  son  r^veil,  quand  les  vapeurs  (khi)  se  sont  amassöes  dans  sa  bouche  pendant 
tont  son  Bommeil  et  qu'elles  n'ont  pas  encore  ^t^  dissip^es  par  la  parole.  G*est  pour  ^viter 
une  morsure  de  ce  genre  que  les  m^res  ne  donnent  pas  k  t^ter  le  matin  ä  leurs  enfants 
avant  qu*iis  aient  cri^.' 

409.  Die  Gefahren  des  S&ngllngs. 

Es  ist  nicht  möglich,  an  dieser  Stelle  auf  alle  Gefahren  einzugehen,  welche 
des  Säuglings  Leben  und  Gesundheit  bedrohen.  Hier  soll  nur  von  den  Gefahren 
kurz  die  Rede  sein,  welche  ihm  von  der  Mutterbrust  erwachsen. 

Wir  hatten  früher  bereits  gesehen,  dass  bei  vielen  Völkern  der  Glaube 
herrscht,  es  sei  für  die  Kleinen  verderbenbringend,  wenn  sie  gleich  an  die  Mutter- 
brust angelegt  werden.  Dass  der  Wiedereintritt  der  Menstruation  oder  gar  einer 
erneuten  Schwangerschaft  vielfach  als  Ursache  angesehen  wird,  dass  die  Milch 
verdirbt  und  dem  Kinde  Schaden  bringt,  das  wurde  auch  bereits  besprochen. 

Die  Annamiten  kennen  eine  Krankheit  der  Kinder,  welche  sie  als  Cam 
tich  bezeichnen.    Landes  berichtet  über  dieselbe: 

,L*on  d^igne  par  ces  mots  la  grosseur  anormale  du  ventre  chez  les  jeunes  enfants. 
On  attribue  cette  maladie  au  fait  d'avoir  t^te  le  lait  d'une  femme  enceinte:  ce  lait,  que  Ton 
appelle  lait  vivant  ou  plut6t  orü,  qui  n*est  pas  arrive  k  la  maturit^,  sü*a  söng,  par  oppo- 


410.  Müchmangel.  40S 

sition  h  8ü*a  chin,  empdohe  la  digestion  des  autres  aliments  non  dig^r^  B'amoncellent  et 
causent  ces  grosseurs  de  ventre.  Les  enfants  aiiisi  frapp^  ont  la  töte  enorme,  les  yeuz  en- 
dormis,  les  membres  införieurs  grSles  et  le  ventre  sillonnä  de  yeines  apparentes.* 

Eine  fernere  Gefahr  erwächst  den  Kleinen,  wenn  sie  die  Mutter  einmal  schon 
von  der  Brust  abgesetzt  hat,  sich  dann  aber  wiederum  entschliesst,  ihnen  doch 
noch  eine  Zeit  lang  die  Brust  zu  reichen.  Solches  Verfahren  wird  von  den 
Litthauern  für  schädlich  gehalten.    Beeeenberger  berichtet  darüber: 

.Wenn  eine  Mutter  ihr  s&ugendes  Kind  für  ein  Paar  Tage  absetzt  und  nachher  wieder 
anlegt,  so  wird  es  derart,  dass  es  den  lebenden  Wesen,  Über  die  es  sich  freut,  schadet.  Ein 
dem  Erzähler  bekannter  Mann  der  Art  freute  sich  bei  einer  Taufe  über  den  Täufling,  der  in 
Folge  dessen  sehr  krank  wurde.  Als  die  Mutter  des  Täuflings  und  einige  andere  Frauen 
diesem  Manne  sehr  zusetzten,  küsste  er  das  Kind,  das  dann  wieder  gesund  wurde.* 

Ein  Kind,  das  auf  diese  Weise  die  Eigenschaft  des  bösen  Blickes  bekommen 
hat,  wird  von  den  Litthauern  mit  dem  Namen  ätzindajis  bezeichnet. 


410.  Mllchmangel. 

Es  kann  sich  fbr  ein  Weib,  welches  ein  Kind  zu  saugen  unternommen  hat, 
nun  natürlicher  Weise  nichts  unangenehmeres  ereignen,  sJs  wenn  ihr  die  Milch 
in  den  Brüsten  ftir  diesen  Zweck  zu  knapp  wird.  Schon  die  besondere  Diät, 
welche  bei  vielen  Nationen  der  Volksgebraudi  den  Säugenden  vorgeschrieben  hat, 
soll  hauptsächlich  ein  reichlicheres  ,  Zu  schiessen  *  der  Milch  zu  den  Brüsten 
bewirken.  Wir  treffen  aber  auch  besondere  Hül&mittel  an,  theils  mechanischer, 
theils  medicamentöser,  theils  mystischer  Natur,  um  diesem  Uebelstande  abzuhelfen 
oder  einem  Milchmangel  vorzubeugen. 

Von  einem  eigenthümlichen  Verfahren,  welches  die  chinesischen  Weiber 
auf  Java  bei  dem  Säugen  ihrer  Kinder  anwenden,  berichtet  Wälbaum: 

,Ehe  sie  das  Kind  anlegen,  nehmen  sie  von  einem  kleinen  Fasse  einen  Reifen,  oder 
in  Ermangelung  desselben  starken  Baumbast,  und  zwängen  damit  die  Brüste  in  die  Höhe  fest 
zusammen,  damit  sich  die  Milch,  während  sie  die  Kinder  trinken  lassen,  nicht  wiederum  ver- 
laufen möge.** 

Der  japanische  Geburtshelfer  Kangawa  sagt: 

.Wenn  die  Milch  nicht  gleich  nach  der  Geburt  kommt,  so  kann  man  30  Tage  warten, 
bis  das  alte,  schlechte  Blut  durch  neues  ersetzt  ist ;  dann  wird  sie  kommen.  Der  Grund  davon 
ist  entweder  Kummer  oder  angehäuftes  Blut.  Man  muss  dann  das  schlechte  Blut  erst  durch 
Ses-shio-in  ersetzen  und  dann  als  Getränk  Niu-sei-toh  (d.  L  ein  milchliefemder  Trank)  geben; 
dieses  besteht  aus:  Atractylodes  alba,  Paeonia  albiflora,  Levisticum  offic,  Levisticum  Senkio, 
Pachüma  Cocos,  Cinnamomum,  Eunonymus  japon.,  Olibannm,  Glycirrhiza.' 

Die  Weiber  auf  den  Yiti-Inseln  legen  die  angewärmten  Blätter  einer  roth- 
blattrigen  Feige  auf  die  Brüste,  um  die  Milchsecretion  hervorzurufen.   (Blyth,) 

Bei  den  Javanen  sind,  nach  den  mir  von  Herrn  Missionar  Kreemer  in 
Ken  dal  pajag  zugegangenen  Berichten,  verschiedenartige  Tränke  bekannt,  um 
Milchsecretion  anzuregen.  Dieselben  werden  aus  einer  grossen  Zahl  verschiedener 
Pflanzen  hergestellt;  sie  müssen  14  Tage  lang  getrunken  werden.  Auch  wird 
der  milchlosen  Mutter  gerathen,  halb  entkleidet  sich  an  dem  einen  Ende  des  Beis- 
blocks  niederzusetzen,  mit  den  Beinen  nach  innen.  Der  Heilkünstler  bestreicht 
sie  dann  am  Bücken  und  an  der  Brust  mit  einer  Salbe,  wie  man  das  bei  den 
Bräuten  thut,  und  veranlasst  dann  beide  Eheleute,  um  die  Wette  in  den  Beisblock 
zu  stampfen,  um  den  gewünschten  Erfolg  zu  erzielen. 

Zur  Erregung  der  Milchabsonderung  wird  auch  der  Scheitel  der  jungen 
Frau  dreimal  täglich  übergössen,  wie  das  bei  einer  frisch  Entbundenen  geschieht. 
Dabei  wird  eine  Zauberformel  gesprochen,  welche  aber  niemals  von  einem  mo- 
hamedanischen  Javanen  zu  hören  ist.  Sie  beginnt  mit  der  verstümmelten  und. 
nicht  verstandenen  Anfangsformel  der  mohamedanischen  Gebete: 

,Im  Namen  Gottes,  des  gnädigen,  barmherzigen.* 

26* 


404  LXIV.  Die  Mutterbnist  im  Brauche  und  Glauben  der  Völker. 

Dann  heisst  es  weiter: 

.Icli  flehe  zu  Allah»  nachdem  ich  gegen  trocknes  Holz  blase  und  es  schlage,  ohne  dass 
Wasser  herauskommt,  dass  Allah  mir  helfet  Ich  flehe  um  Wasser!  Ich  klopfe  auf  dieses 
trockene  Holz,  damit  es  oben  herauskomme!" 

Der  Ehemann  darf  darauf  24  Stunden  nicht  sein  Haus  betreten  und  muss 
7  Tage  lang  vollständig  fasten;  dann  aber  darf  er  sich  pflegen  lassen.  (Bartels^^,) 

Eine  eigenthümliche  Methode  haben  nach  Krebel  die  russischen  Weiber 
am  Gaspi sehen  Meere.  Eine  Nussschale  oder  eine  Federpose  wird  mit  Queck- 
silber gefüllt  und  die  Oeffnung  mit  Wachs  verschlossen.  Dann  wird  sie  in  seidenes 
oder  wollenes  Zeug  oder  in  Handschuhleder  eingenäht  und  an  einem  Bändchen 
um  den  Hals  gelegt,  so  dass  es  auf  der  Brust  hängt.  Auf  diese  Weise  glauben 
sie  die  Milchsecretion  zu  befördern. 

In  Nord-Italien  muss  die  Frau,  welcher  es  in  den  Brüsten  an  Nahrung 
für  ihren  Sprössling  fehlt,  eine  Wallfahrt  nach  der  kleinen  Kirche  S.  Mammante 
in  Belluno  antreten  und  dort  zwei  Lire  spenden  und  eine  Messe  lesen  lassen. 
Darauf  soll  sie  von  einem  Wasser  trinken,  welches  dort  fliesst.    (Bastanei.) 

Herve  berichtet  aus  dem  Gebiete  von  Morvan  in  Frankreich  folgenden 
Aberglauben: 

aA  un  kilom^tre  de  Moulins-Engilbert,  la  fontaine  de  Ghaume  a  pour  vertu  de 
donner  du  lait  auz  nourrices.  La  nourrice  qui  craint  de  perdre  son  lait  et  que  Pöloignement 
empSche  de  se  transporter  en  personne  au  lieu  de  la  eure,  peut  se  contenter  d'envoyer,  pour 
y  §tre  tremp^e,  nne  chemise  de  son  nourrisson.  G^est,  comme  on  voit,  le  traitement  par 
correspondance.  * 

Will  das  Kind  die  Brust  nicht  nehmen,  so  glauben  die  Zigeunerinnen, 
dass  irgend  ein  Phuvusch-Weib  (eine  Art  Dämon)  dasselbe  heimlich  gesäugt 
habe.  In  solchen  Fallen  legt  sich  die  Mutter  zwischen  die  Brüste  Umschläge  aus 
Zwiebel,  wobei  sie  den  Spruch  hersagt: 

»Phuvusch-Weib,  Phuvusch-Weib, 
Krankheit  fresse  deinen  Leib! 
Deine  Milch  soll  Feuer  werden, 
Brennen  sollst  du  in  der  Erden! 
Fliesse,  fliesse  meine  Milch, 
Fliesse,  fliesse  weisse  Milch. 
Fliess,  so  lange,  als  ich  will  — 
Meines  Kindes  Hunger  still!* 

Dasselbe  Mittel  wird  angewendet,  wenn  einer  Mutter  die  Milch  versiegt, 
wobei  man  eben  des  Glaubens  ist,  dass  ein  Phuvusch-Weib  ihr  eigenes  Kind 
habe  aus  der  Brust  der  betreffenden  Frau  saugen  lassen.  Auch  ist  es  gut,  wenn 
sie  ihre  Brüste  mit  einem  Sargnagel  berührt,  sich  dann  vor  einen  Weidenbaum 
stellt  und  den  Nagel  dicht  über  ihrem  Kopfe  in  den  Baum  schlägt,  {v,  Wlislocki,) 

Eine  auf  unseren  Gegenstand  bezügliche  Mittheilung  von  grossem  cultur- 
geschichtlichen  Interesse  verdanken  wir  Krauss^: 

.Die  südslavische  Sage  kennt  in  allen  Varianten  hauptsächlich  das  eine  Motiv  von 
der  eingemauerten  jungen  Frau.  Die  Sage  tritt  zumeist  dort  localisirt  auf,  wo  bedeutende 
alte  Bauwerke  bestehen.  Auf  der  alten  Burg  zu  Tesany  in  Bosnien  zeigte  mir  ein  Bauer, 
mein  Führer,  eine  Stelle,  wo  aus  dem  Gemäuer  Milch  aus  den  Brüsten  der  als  Bauopfer  ein> 
gemauerten  jungen  Gcjkovica  hervorquelle.  Hierher  kommen  die  Mohamedanerinneu,  denen 
die  Milch  in  den  Brüsten  versiegt  ist,  schaben  von  dem  schnee weissen  Cement  ein  wenig  ab 
und  nehmen  den  Staub  in  Milch  ein.  Sie  glauben  nämlich,  dann  müsse  ihnen  die  Milch 
wiederkehren.  Der  Bauer  erzählte,  die  eingemauerte  Frau  habe  die  Maurer  gebeten,  so  viel 
freien  Raum  zu  lassen,  als  ihre  Brüste  einnähmen,  damit  sie  ihre  Säuglinge  ernähren  kOnne.* 

Auch  bulgarische  Varianten  dieser  Sage  sind  Krattss  bekannt. 

Bisweilen  kann  der  Milchmangel  auch  von  ganz  einschneidenden  Folgen 
für  das  ganze  spätere  Leben  des  Weibes  sein.  Wir  verdanken  hier  Brehm  ein 
Beispiel: 


411.  Das  Absetzen  des  Kindes.  405 

Kann  in  Massaua  die  Mutter  das  Kind  nicht  nähren,  so  legt  sie  es  einer 
anderen  Frau  an  die  Brust;  aber  sie  verliert  dann  die  Achtung  ihres  Mannes,  und 
nicht  selten  kommt  es  vor,  dass  sie  Verstössen  wird,  während  ihre  Vertreterin 
auch  in  dieser  Beziehung  an  ihre  Stelle  tritt. 


411.  Das  Absetzen  des  Kindes. 

Mancherlei  Ursachen  zwingen  zur  Absetzung  des  Kindes  von  der  Mutter- 
brust und  zum  ferneren  Einstellen  des  Säugens.  Das  ist  vor  Allem  das  Ver- 
siegen der  Nahrung,  das  Heranwachsen  des  Sprösslings,  verbunden  mit  einer  er- 
neuten Schwängerung,  oder  endlich  der  Tod  des  Kindes.  Wenn  der  Tod  des 
Kindes  die  Ursache  des  Absetzens  ist,  dann  wendet  man  im  Volke  allerlei 
erweichende  und  abführende  Mittel  an,  um  ein  ^^Zurücktreten*^  der  Milch 
zu  verhindern. 

Einen  eigenthümlichen  Gebrauch  berichtet  StoU  von  den  alten  Einwohnern 
von  Guatemala: 

„Wenn  einer  Frau  ihr  S&ugling  starb,  so  hielt  sie  die  Milch  vier  Tage  lang  in  der 
Brust  zurück  und  gab  keinem  anderen  Säugling  zu  trinken,  weil  sie  glaubte,  dass  sonst 
das  todte  Kind  dem  lebenden  irgend  einen  Schaden  oder  eine  Krankheit  zuftlgen  wflrde. 
Diese  Art  des  Todtenopfers  hiess  navitia,  was  etwa  ,die  vier  Tage  (von  nahui,  vier)  ein- 
halten' bedeutet/ 

Dass  eine  erneute  Schwangerschaft  zum  Absetzen  des  Kindes  bei  manchen 
Völkern  die  Veranlassung  wird,  das  haben  wir  früher  bereits  gesehen.  Wird 
einer  Serbin  ein  zweites  Kind  geboren,  während  sie  das  erste  noch  saugt,  so 
muss  sie  dieses  unter  allen  Umständen  absetzen,  selbst  wenn  das  Neugeborene 
todt  zur  Welt  gekommen  sein  sollte.  Denn  das  Kind  darf  nicht  zweierlei  Milch 
bekommen,  weil  es  sonst  ein  Hexerich  oder  eine  Hexe  werden  würde. 

In  allen  Fällen  nun,  wo  das  Absetzen  des  Kindes  nicht  ein  plötzliches  zu 
sein  braucht,  pflegt  man  von  einem  Entwöhnen  zu  sprechen.  Diese  Entwöhnung 
geht  in  der  Weise  vor  sich,  dass  dem  Säuglinge  die  Mutterbrust  allmählich  immer 
seltener  und  seltener  gegeben  wird,  während  man  zum  Ersatz  daf&r  ihm  allerlei 
andere  Nahrung  reicht,  bis  ihm  endlich  die  Milch  der  Mutter  vollständig  vor- 
enthalten wird.  Das  geht  nun  häufig  nicht  ohne  mancherlei  trübe  Stunden  für 
das  Kind,  und  namentlich  auch  für  das  Mutterherz  vor  sich  und  da  muss  diese 
schwere  üebergangszeit  durch  allerlei  Hülfsmittel  erleichtert  werden.  Auch  ist 
nach  dem  Volksglauben  nicht  jegliche  Zeit  dafür  geeignet,  sondern  man  muss 
bestimmte  Zeiten  wählen  und  andere  wiederum  sorgföltig  vermeiden. 

In  Ost-Preussen  soll  das  Entwöhnen  nicht  bei  abnehmendem  Monde  und 
nur  dann  geschehen,  wenn  die  Zugvögel  in  Ruhe  sind,  also  wenn  sie  weder 
kommen,  noch  abziehen;  in  Hessen  bevorzugt  man  die  Zeit  der  Rosenblüthe  und 
im  Voigtlande  diejenige  der  Baumblüthe.  In  Oesterreichisch-Schlesien 
darf  man  nicht  die  Zeit  der  Aussaat  und  in  Hessen  nicht  die  Stoppelzeit  wählen, 
weil  sonst  das  Kind  unersättlich  Tnirde.  In  der  deutschen  Schweiz  soll  das 
Entwöhnen  am  Charfreitage  unter  einem  Nussbaum,  aber  niemals  in  den  kurzen 
Tagen  geschehen,  denn  ersteres  schützt  das  Kind  vor  Zahnweh,  während  letzteres 
dasselbe  kurzathmig  machen  würde.  Auf  einem  Scheidewege  ist  das  Absetzen  des 
Kindes  am  leichtesten. 

Ist  der  Säugling  bereits  abgesetzt,  die  Brust  aber  noch  «im  Gange*,  d.  h. 
secemirt  die  Brustdrüse  noch  fernerhin  Milch,  so  muss  die  Milch  durch  bestimmte 
Mittel  , vertrieben*  und  die  weitere  Absonderung  derselben  verhindert  werden. 

Um  nun  die  Milch  zum  Versiegen  zu  bringen,  taucht  in  Entrerio  in  Ar- 
gentinien die  Frau  nach  Mantegcuseas  Angabe  drei  kleine  Leinwandläppchen 
in  ihre  Milch  und  klebt  sie  in  verschiedenen  Windrichtungen  an  die  Wände. 


406  LXIV.  Die  Mutterbrust  im  Brauche  und  Glauben  der  Völker. 

Für  die  Russin  am  Gaspischen  Meere  ist  die  Sache  sehr  einfach.  Sie 
braucht  nur  die  mit  Quecksilber  gefüllte  Nuss  oder  Federspule,  welche  sie  auf 
der  Brust  trägt,  um  die  Milchsecretion  zu  befördern,  von  jetzt  ab  auf  dem  Rücken 
zu  tragen,  dann  hört  die  Milchabsonderung  auf. 

Bei  den  Georgierinnen  herrscht  zu  dem  gleichen  Zweck  die  Sitte,  die 
Brüste  mit  kaltem  Lehm  zu  bedecken,  was  bisweilen  Erkrankungen  derselben  her- 
vorruft.    (Krehel.) 

In  Fezzan  drückt' die  Säugende  die  Milch  in  ein  heisses  Porzellangefäss 
aus,  und  wenn  sie  hierin  aufgezischt  hat,  so  ist  man  sicher,  dass  die  Milchab- 
sonderung in  den  Brüsten  aufhört.     {Nachtigcd.) 

Ganz  ähnlich  muss  in  Ost-Friesland  die  Mutter,  welche  nicht  weiter 
stillen  will,  ihre  Milch  in  das  Feuer  laufen  lassen. 

Im  Modenesischen  herrscht,  wie  Biccardi  berichtet,  folgender  Gebrauch: 
Um  ein  Kind  zu  entwöhnen,  ohne  dass  die  Mutter  davon  Beschwerden  hat,  muss 
man  eine  Hand  voll  Salz  in  den  Brunnen  werfen  und  schnell  davon  eilen,  so  dass 
man  das  Geräusch  des  in  das  Wasser  fallenden  Salzes  nicht  hört. 

Will  in  Steyermark  (zu  Grösming)  die  Mutter  entwöhnen,  so  bedeckt 
sie  die  Brust  mit  «Hollersalsen*,  d.  h.  mit  Flanell,  der  mit  Zuckerrauch  erfüllt 
ist;  oder  sie  tragt  auf  dem  blossen  Rücken  eine  Bleikugel.  Das  soll  aber  nicht 
in  der  Fastenzeit  geschehen  und  auch  nicht  bei  abnehmendem  Monde,  weil  sonst 
das  Kind  die  Abzehrung  bekommt;  auch  nicht  in  den  Monaten,  wo  der  Kuckuck 
schreit,  sonst  kriegt  das  Kind  Kuckucksflecke;  so  werden  dort  die  Leberflecke 
genannt.  Das  Tragen  der  Bleikugel  erinnert  uns  wohl  an  die  oben  angeführte 
Gewohnheit  von  den  Anwohnerinnen  des  Gaspischen  Meeres.  Ohne  allen 
Zweifel  haben  wir  hier  analoge  Gedankengänge  zu  erkennen. 

Auf  einem  alten  deutschen  Flugblatte  heisst  es  auch  von  dem  weiter 
oben  erwähnten  Adlerstein  (Fig.  304)  oder  auch  von  dem  Magnetstein,  dass  sie 
,  zwischen  den  Schultern  getragen,  denen  Frauen,  die  ihre  Kinder  abgenommen, 
die  Milch  sterben  machen^. 


LXV.  Ungewöhnlicher  Gebrauch  der  Frauenmilch. 

412.  Die  Frauenmilch  als  Medicin  und  ZaubermltteL 

Wir  haben  bereits  in  den  früheren  Abtheilnngen  der  vorliegenden  Be- 
sprechungen gesehen,  dass  unter  den  Medicamenten  und  Zaubermitteln,  welchen 
das  Volk  ein  besonderes  Vertrauen  entgegenbringt,  die  verschiedensten  Absonde- 
rungen und  Ausscheidungen  des  menschlichen  Körpers  eine  hervorragende  Bolle 
spielen.  Da  wird  der  Schweiss,  der  Urin,  der  Koth,  das  Blut,  und  ganz  be- 
sonders das  bei  der  Menstruation  entleerte,  herbeigezogen,  und  so  wird  es  uns 
nicht  überraschen  können,  dass  man  auch  die  Frauenmilch  verschiedentlich  in 
Anwendung  zieht. 

Wir  sind  ihr  einmal  schon  begegnet  in  dem  in  Steyermark  gegen  wunde 
Brustwarzen  als  Heilsalbe  angewendeten  MenschenschmaJz.  Dieses  Menschen- 
schmalz ist  eine  aus  der  Frauenmilch  hergesteUte  Butter.  Im  Kainachthaie  in 
Steyermark  heilt  man  die  Schwerhörigkeit,  welche  ja  nicht  selten  durch  catarrha- 
lische  Zustande  bedingt  ist,  durch  Einträufelungen  von  Menschenschmalz  in  den 
äusseren  Qehörgang.  (Fossel.)  Sogenannte  „An Waschungen"  mit  Frauenmilch 
werden  in  Steyermark  als  Heilmittel  gegen  die  rothen  Augen,  d.  h.  gegen  die 
Entzündung  der  Augenlidränder  in  Anwendung  gezogen. 

In  Treviso  und  Belluno  gilt  es  als  ein  vortreffliches  Mittel  gegen  Ohren- 
reissen,  wenn  eine  säugende  Frau  ihre  Brustwarzen  direct  in  den  äusseren  Gehör- 
gang einführt  und  ihre  Milch  in  denselben  hineinlaufen  lässt.  Es  ist  dazu  aber 
durchaus  noth wendig,  dass  das  von  der  Frau  gesäugte  Kind  ein  Knabe  sei. 
(Bastanjsi.) 

In  gleicher  Weise  suchen  die  Sicilianer  die  Taubheit  zu  heilen.  Auch 
hier  muss  die  Frau  einen  Knaben  geboren  haben;  derselbe  muss  aber  ihr  erstes 
Kind  sein.     (Füre.) 

Im  15.  Jahrhundert  wurde  die  Frauenmilch  innerlich  zu  nehmen  empfohlen, 
um  den  Austritt  eines  im  Mutterleibe  abgestorbenen  Kindes  zu  befördern.  Wir 
ersehen  das  aus  der  von  Oswald  von  Zingerle  veröffentlichten  Wolfsthurner 
Handschrift.     Daselbst  heisst  es: 

,Den  frawen.  So  ain  fraw  ain  totes  kint  trait,  so  sol  sy  trincken  ains  ander  weibes 
epünne  (Milch)  vnd  hab  die  kriechisoken  namen  Vrium,  Burium,  Pliaten,  so  wirt  sie  er- 
loset.   So  sy  dann  erlöst  wirt,  so  prenn  man  die  namen  in  dem  fewr." 

Auch  die  Indianer  Süd-Amerikas  erkennen  die  Frauenmilch  als  ein 
wichtiges  Heilmittel  an  und  zwar  bei  einem  der  allergefahrlichsten  Zufalle,  nämlich 
bei  dem  Biss  der  Klapperschlange.  Hiervon  vermochte  sich  Schomburgk  zu  über- 
zeugen, denn  einer  der  ihn  begleitenden  Indianer  hatte  das  Unglück,  von  einer 
Klapperschlange  gebissen  zu  werden. 

.Er  hatte  früher  schon  einmal  das  Unglück  gehabt,  und  gab  mir  an,  dass  er  damals 
durch  das  Trinken  von  Frauenmilch  gerettet  worden  sei.  Diese  wurde  ihm  auch  jetzt 
gereicht." 


408  LXV.  Ungewöhnlicher  Gebrauch  der  Frauenmilch. 

Einen  gewissen  Zauber,  eine  Art  Entsüfannng  muss  man  in  dem  Sieben- 
bürger Sacfasenlande  mit  der  Frauenmilch  ausführen.  Hier  darf  die  Wöch- 
nerin nicht  von  einer  Frau  besucht  werden,  welche  selber  einen  Säugling  nährt; 
denn  sie  könnte  sonst  der  jungen  Mutter  die  Milch  nehmen.  Sie  vermag  aber 
dieses  Unheil  zu  verhüten,  wenn  sie  aus  ihren  Brüsten  ein  Paar  Tropfen  ihrer 
Milch  auf  das  Bett  der  Wöchnerin  spritzt.  Wir  verstehen  sehr  leicht  den  Sinn 
dieser  sympathetischen  Handlung.  Denn  dadurch,  dass  sie  von  ihrer  eigenen  Milch 
der  Wöchnerin  etwas  abgiebt,  will  sie  dem  Scheine  entgehen,  als  wenn  sie  sich 
die  Milch  der  Frischentbundenen  zu  holen  beabsichtige. 

Mit  Frauenmilch  verstehen  es  die  Süd-Slaven,  einen  geföhrlichen  Zauber 
auszuüben.  Sie  glauben,  wie  uns  Krauss^  berichtet,  dass  man  durch  Zauberkünste 
damit  die  Pest  erzeugen  oder  herbeirufen  könne. 

„Es  ist  ein  üeberrest  deutschen  Hexenküchenglaubens  auf  slavischem  Boden. 
Wer  die  Pest  erzeugen  will,  muss  sich  Milch  von  zwei  Schwestern  zu  verschaffen  suchen 
und  sich  damit  in  der  Johannisnacht  um  die  zwölfte  Stunde  auf  den  Friedhof  begeben,  die 
Milch  in  ein  Grab  schütten  und  dann  zuhorchen.  Er  wird  ein  Jammergeschrei  vieler 
Menschen  vernehmen.  An  diesem  Glauben  hält  meistens  das  von  deutschen  mittelalterlichen 
Anschauungen  stark  durchtränkte  slovenisch-kroatische  Volk  fest.  Bei  den  Serben 
und  Bulgaren  ist  dieser  besondere  Zauber  noch  nicht  nachweisbar." 


413.  Die  Ernährung  Erwachsener  mit  Frauenmilch. 

Eine  gewisse  Rolle  hat  in  der  bildenden  Kunst  des  Alterthums  sowohl,  als 
auch  in  derjenigen  des  letzten  Jahrhunderts  die  Geschichte  von  dercarita  greca 
gespielt,  wie  der  Italiener  sagt,  d.  h.  von  der  Peronea^  welche  ihrem  zum 
Hungertode  yerurtheilten  Vater  Cimon  im  Geföngnisse  dadurch  das  Leben  fristete, 
dass  sie  ihn  an  ihren  Brüsten  ernährte. 


Fig.  364.    Chinesische  Frau,  einem  erwachsenen  Weibe  die  Brost  reichend. 
(Nach  einem  chinesischen  Holzschnitt.) 

Es  kommt  aber  auch  heute  noch  bisweilen  vor,  dass  die  Frauenmilch  zur 
Ernährung  Erwachsener  benutzt  wird.  So  erzählt  Polak  von  den  Weibern  der 
nomadisirenden  Perser,  dass  sie  in  die  Stadt  kommen  und  hier  auf  öffentlichem 
Markte  ihre  Milch  für  schwache  Greise  verkaufen.  Allerdings  lassen  sie  diese 
letzteren  nicht  direet  an  ihren  Brüsten  saugen,  sondern  sie  lassen  sich  ihre  Milch 
in  Becher  abmelken,  und  auf  diese  Weise  nimmt  dann  der  Käufer  das  absonder- 
liche Nahrungsmittel  in  Empfang. 


413.  Die  EmähroDg  Erwachsener  mit  Frauenmilch.  409 

Von  den  Chinesinnen  heisst  es  in  dem  Berichte  der  Novara-Reise: 

^Es  ist  Thatsache,  dass  die  chinesischen  Frauen  nicht  allein  ihre  Kinder 
mehrere  Jahre  lang  stillen,  sondern  sich  auch  in  einem  beständigen  Milchzustande 
zu  erhalten  suchen,  um  das  Deficit  zu  decken,  welches  bei  der  unzureichenden 
Menge  von  Kuhmilch  zwischen  dem  Marktbedarf  und  dem  wirklichen  Vorrath  an 
Thiermilch  entsteht.  Ein  Chinese,  der  neben  seiner  legitimen  Frau  manchmal 
noch  5 — 6  Kebsweiber  besitzt,  kann  eine  formliche  Meierei  anlegen.  Da  die  See- 
fahrer, in  einem  Hafen  angekommen,  gemeiniglich  leidenschaftlich  gern  Milch  trinken, 
so  erstaunten  wir  nicht  wenig,  von  einem  Arzt  zu  Hongkong  zu  erfahren,  aus 
welcher  Quelle  die  von  ims  reichlich  genossene  Milch  wahrscheinlich  geflossen  war.'' 

In  einem  japanischen  Bilderbuche,  das  sich  im  Besitze  des  Berliner 
Museums  für  Völkerkunde  befindet,  fand  der  Herausgeber  eine  kleine  Abbildung 
(Fig  364),  welche  eine  an  der  Erde  sitzende  Frau  darstellt,  an  deren  aus  dem 
zurückgeschlagenen  Kleide  hervorstehender  Brust  ein  anderer  erwachsener  Mensch, 
nach  der  Haartracht  zu  urtheilen  ebenfalls  eine  Frau,  begierig  zu  saugen 
scheint.  Ein  Kind  schiebt  von  hinten  her  die  Säugende  der  Trinkenden  ent- 
gegen. Da  dieses  Bilderbuch  im  Uebrigen  allerlei  Darstellungen  aus  dem  täg- 
lichen Leben  enthält,  so  muss  man  annehmen,  dass  der 
vorgeführte  Gegenstand  etwas  ffir  japanische  Augen  ganz 
Bekanntes  und  ohne  Weiteres  Verständliches  sein   müsse. 

Es  besitzt  übrigens  das  königliche  ethnogra- 
phische Museum  in  Miünchen  in  seiner  japanischen 
Abtheilung  ebenfalls  einen  auf  unser  Thema  bezüglichen 
Gegenstand.  Dieses  von  v,  Siebold  mitgebrachte  Stück  ist 
eine  zierliche  kleine  Gruppe  in  Elfenbein  geschnitzt.  Es 
gehört  den  bekannten  Gegenständen  japanischer.  Klein- 
kunst an,  welche  imter  dem  Namen  der  Netsuke  bekannt 
sind.  „Les  netzk^,  sagt  Louis  GonsCj  sont  de  petites 
breloques  attach^es  ä  un  cordonnet  de  soie,  qui  servaient  uftfu^i/E^feSb^n^^das 
ä  retenir  ä  la  ceinture  la  boite  de  medecine,   la  blague  ä  eine  Frau  einem  alten  Weibe 

tabac,    l'etui   ä  pipe.»  die   »"»^t  gebend    darsteUt. 

Das  Netsuk^   in   München,   das  in   Fig.  365   vor-         (Nach  Photographie.) 
geführt   wird,    stellt  eine   Gruppe   von   drei  Figuren   dar. 

Eine  stehende  junge  Frau  ist  vollständig  nach  japanischer  Weise  bekleidet,  aber 
ihr  Kleid  ist  oben  offen  iind  lässt  die  starken,  strotzenden  Brüste  ganz  entblösst. 
Ein  Kind  steht  hinter  ihr  und  hält  sich  von  hinten  an  ihr  fest,  so  dass  seine 
linke  Hand  auf  der  linken  Gesässhälfte  der  Frau,  seine  rechte  Hand  auf  der  rechten 
Gesässhälfte  der  Frau  ruht.  An  diese  letztere  lehnt  sich  auch  das  Kind  mit  seiner 
linken  Wange  an.  Vor  der  Frau,  mit  der  rechten  Seite  sie  berührend,  sitzt  eine 
erwachsene  und  zwar  ohne  allen  Zweifel  eine  alte  Person  mit  an  die  Brust  heran- 
gezogenen Knieen  auf  der  Erde;  ihre  linke  Hand  hat  sie  auf  das  rechte  Hand- 
gelenk der  stehenden  Frau  gelegt,  während  diese  ihre  rechte  Hand  unter  das  Kinn 
der  sitzenden  Person  gelegt  hat.  Die  sitzende  Person  ruht  mit  der  rechten  Wange 
an  der  linken  Mamma  der  Stehenden  imd  saugt  begierig  an  deren  rechter  Brust. 
Wenn  der  Haarputz  und  die  Gesichtszüge  mich  nicht  täuschen,  so  scheint  die 
saugende  Person  eine  alte  Frau  zu  sein. 

Herr  Dr.  jP.  W.  K.  MuUer  hat  ganz  kürzlich  festgestellt,  dass  es  sich  hier 
allerdings  um  eine  den  Japanern  ganz  bekannte  Begebenheit  handelt.  Es  ist  eine 
alte  chinesische  Geschichte,  welche  sie  übernommen  haben.  Eine  tugendhafte  Frau 
nährt  ihre  zahnlose  und  daher  dem  Hungertode  nahe  Urgrosstante.  Müllers 
Auffassung,  dass  das  Kind  nicht  die  Mutter  berühre,  sondern  nur  vor  Erstaunen 
die  Hände  erhebe,  ist  für  die  Holzschnittdarstellung  unwahrscheinlich,  für  das 
Netsuke  mit  Bestimmtheit  unzutreffend.  Ob  das  Kind  die  Mutter  schiebt,  oder 
sie  zurückzuhalten  versucht,  das  kann  aber  nicht  entschieden  werden. 


410  LXV.  Ungewöhnlicher  Gebrauch  der  Frauenmilch. 

414.  Das  Säugen  Ton  jungen  Thieren  an  der  Franenbmst. 

Die  Milch  des  Weibes  dient  nicht  allein  dem  Kinde  und  in  Ausnahmefällen 
auch  wohl  dem  Erwachsenen  als  eine  Qaelle  der  Ernährung,  sondern  sogar  dem 
jungen  Thiere  scheuen  sich  die  Frauen  nicht,  ihre  Brüste  darzubieten. 

Die  Sitte,  dass  Frauen  Thiere  an  ihrer  Brust  saugen  lassen,  ist  ausser- 
ordentlich verbreitet,  und  zwar  finden  wir  sie  nicht  nur  bei  sehr  rohen  Völker- 
schaften, sondern  auch  bei  solchen  mit  fortgeschrittener  Gultur.  Unter  den  ür- 
völkem  ist  die  Sitte  namentlich  bei  Australiern,  bei  Polynesiern,  bei 
mehreren  Indianerstämmen  Süd-Amerikas  und  bei  einigen  Völkern  Asiens 
heimisch. 

Auf  zahlreichen  Inseln  des  Stillen  Oceans  ist  dieser  eigenthümliche  Ge- 
brauch ganz  allgemein.  Auf  einer  der  Gesellschafts-Inseln  bemerkte  schon 
Georg  Förster^  dass  Frauen  zuweilen  junge  Hunde  an  ihrer  Brust  saugen  lassen, 
zumiä  wenn  sie  eben  ihr  säugendes  Kind  verloren  haben.  In  Hawaii  ernährten 
ehemals,  wie  Remy  berichtet,  die  Mütter  neben  ihren  Kindern  Hunde  und  Schweine 
an  ihrer  Brust.  Auf  Neu-Seeland  fand  v.  Hochstetter^  dass  die  Frauen  junge 
Ferkel  säugten;  Auch  Tuke  sah,  dass  die  Maori-Frauen  auf  Neu-Seeland  Ferkel 
an  ihrer  Brust  saugen  liessen,  sei  es  aus  Liebe  zu  diesem  Hausthiere,  sei  es,  weil 
sie  nicht  sogleich  ein  Kind  fanden,  welches  eine  Nährmutter  brauchte.  Dasselbe 
sah  auch  Oberländer  als  ganz  gewöhnlichen  Brauch  unter  den  Eingeborenen  der 
australischen  Golonie  Victoria;  er  sagt: 

«Man  sieht  keine  Lubra  (Frau)  ohne  5  bis  6  fleckige,  schmutzige,  dürre,  räudige  Hunde, 
deren  Junge  mit  ihrem  eigenen  Kinde  ihre  Milch  theilen.  In  der  Nähe  von  Alberton 
inGippsland  sah  ich  einst  eine  Eingeborene,  die  abwechselnd  ihren  Knaben  und  vier  junge 
Hunde  s&ugte.^ 

Während  man  sich  bei  diesen  Völkern  darauf  beschränkt,  junge  Schweine 
und  Hunde  an  der  Frauenbrust  saugen  zu  lassen,  dehnen  andere  Völker  diese 
Sitte  noch  auf  verschiedene  andere  Thiere  aus.  So  legen  die  Arrawaken-Weiber 
in  Süd-Amerika  nicht  allein  Schweine,  sondern  auch  jung  eingefangene  Affen 
an  die  Brust,  um  die  Milch  möglichst  lange  zu  erhalten.  Denselben  Zweck  der 
dauernden  Erhaltung  der  Milchabsonderung  in  der  Brust  verfolgen  auch  noch 
andere  südamerikanische  Volksstämme  in  ähnlicher  Weise.  Bei  den  Makusis- 
Indianern  in  Britisch-Guyana  erhalten  sich  die  Mütter  ihre  Milch  bis  an  das 
hohe  Alter;  das  Kind  bleibt  an  ihren  Brüsten,  so  lange  es  demselben  gefiLllt. 
Wenn  sich  inzwischen  die  Familie  vermehrt,  so  übernimmt  die  Qrossmutter  die 
Pflicht  der  Mutter  gegen  die  Enkel.  Dieser  fallt  auch  meistentheils  die  Pflicht 
zu,  die  aufgefundenen  jungen  Säugethiere,  Beutelratten,  Affen,  Rehe  u.  s.  w.  an 
ihrer  Brust  aufzuziehen.  Man  sieht  oft,  dass  die  Weiber  diesen  jungen  Thieren 
mit  gleicher  Zärtlichkeit  die  andere  Brust  reichen,  wenn  aus  der  einen  das  Kind 
schon  die  Nahrung  sog.  Der  Stolz  der  Frauen  besteht  nämlich  hauptsächlich 
im  Besitz  einer  grossen  Anzahl  zahmer  Säugethiere.     (Schomburgk.) 

Auch  in  Siam  sah  Schomburgk^  wie  er  Ploss  mündlich  mittheilte,  sehr 
häufig,  dass  die  Frauen  Affen  an  ihrer  Brust  trinken  liessen. 

Von  den  Kamtschadalen  wird  erzählt,  dass  sie  die  jungen  Bären,  welche 
sie  mit  nach  Hause  bringen,  ihren  Frauen  an  die  Brust  legen.  Das  hat  einen 
doppelten  Zweck;  denn  einmal  will  man  den  Bären  heranwachsen  lassen,  um  von 
seineip  Fleische  zu  profitiren,  andererseits  will  man  aber  auch  seine  Galle  haben, 
welche  als  ein  wirksames  Heilmittel  betrachtet  wird. 

Den  Aino-Frauen  wird  ebenfalls  nachgesagt,  dass  sie  junge  Bären  an  ihren 
Brüsten  saugen  lassen,  v.  Krusenstem  hat  das  für  eine  XJebertreibung  erklärt, 
und  auch  Batchdor  behauptet,  dass  das  noch  Niemand  gesehen  habe.  Er  giebt 
aber  zu,  dass  wenn  der  junge  gefangene  Bär  in  der  Nacht  nach  seiner  Mutter 
jammert,   der  Besitzer  ihn  bei  sich  schlafen  lässt.     Auch  fügt  er  hinzu,   dass  die 


414.  Das  Säugen  von  jungen  Thieren  an  der  Frauenbrust. 


411 


Ainos  ihn  mit  der  Hand  und  mit  ihrem  Munde  füttern,  und  er  sagt,  immerhin 
ist  es  möglich,  dass  bisweilen  sich  eine  Frau  findet,  die  gewissenhaft  genug  ist, 
den  jungen  Bären  auf  ein  bis  zwei  Tage  an  die  Brust  zu  legen. 

Mac  Eitchie  brachte  die  Copie  einer  Federzeichnung  des  Japaners  Fayasi 
Sivei  aus  dem  Jahre  1785.  Dieselbe  stellt  nach  des  Malers  Bezeichnung  „ein 
Aino-Weib  der  niedersten  Glasse  dar,  welche  einen  jungen  Bären  säugt.  Oben 
ist  die  Darstellung  eines  Adlers  im  Käfig,  dessen  Federn  sie  f&r  ihre  Pfeile  be- 
nutzen wollen/  Der  haarige  Yater  spricht  zu  dem  Kinde,  das  dabei  sitzt  und 
seinem  vierfülssigen  Milchbruder  zusieht.    Dieses  Bild  ist  in  Fig.  366  wiedergegeben. 

Allein  der  Hund  bleibt  docL  im  Allgemeinen  das  bevorzugte  lieblings- 
Adoptiv-Kind  bei  zahlreichen  Völkern,  z.  B.  bei  den  XJrvölkem  Nord- Amerikas; 
so  sah  auch  in  Ganada  Gabriel  Sagard  Theodat^  dass  die  Indianer- Frauen 
manchmal  junge  Hunde  an  ihren  Brüsten  saugen  liessen.  Ja  der  Hund  spielt 
diese  Rolle  nicht  nur  bei  wilden  Völkerschaften,  sondern  auch  bei  Gulturyölkem; 


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Fig.  366.    Aino-Fran  einen  jungen  Bären  säugend.    (Nach  einer  japanischen  Zeichnung. 

Mac  Ritchie.) 

wir  wissen,  dass  schon  die  alten  Römerinnen  die  eigenthümliche  Sitte  hatten, 
sich  die  Milch  durch  junge  Hunde  abziehen  zu  lassen;  Dieruf  fand  denselben 
Gebrauch  noch  in  unseren  Tagen  in  Neapel,  und  Polak  in  gleicher  Weise  in 
Persien,  wo  während  der  ersten  zwei  Tage  nach  der  Geburt  eines  Kindes  an 
die  Brust  der  Mutter  zarte  Bazar-Hündchen  angelegt  werden,  v.  Wlishcki  sagt 
von  den  Zelt-Zigeunern  Siebenbürgens: 

,Hat  eine  Mutter  zu  viel  Milch  in  den  Brüsten,  so  lässt  sie  dieselben  von  jungen  Hunden 
aussaugen.' 

Schliesslich  kommt  Aehnliches  sogar  in  Deutschland  vor;  wenigstens  be- 
richtet Oslander^  dass  man  in  Göttingen  hartnäckige  Brustknoten  zuweilen  da- 
durch zertheilt,  dass  man  junge  Hunde  an  den  Warzen  saugen  lässt. 

Wir  stehen  hier  wieder  einer  sehr  interessanten  ethnographischen  Thatsache 
g^enüber;   denn   wir  finden   dieselben   oder  analoge  Gebräuche   bei  einer  Reihe 


412  LXV.  Ungewöhnlicher  Gebrauch  der  Frauenmilch. 

von  Völkern,  welche  durch  weite  Länder  und  Meere  von  einander  getrennt  sind, 
und  welche  sicherlich  ohne  Kenntniss  von  einander  zu  den  gleichen  absonderlichen 
Gewohnheiten  gekommen  sind.  Aber  wenn  auch  die  Sitte,  oder  sagen  wir  lieber 
die  Unsitte,  dieselbe  ist,  so  sind  doch  die  Beweggründe,  welche  sie  verursachten, 
ausserordentlich  verschieden.  Ist  es  bei  der  Australierin  die  liebe  zu  ihren 
Hunden,  welche  ihr  später  ftir  die  Beschaffung  des  Lebensunterhaltes  von  so  grosser 
Bedeutung  werden,  die  sie  veranlasst,  sie  gemeinsam  mit  dem  eigenen  Kinde  zu 
ernähren  und  aufzuziehen,  —  ist  es  bei  der  Kamtschadalin  die  weise  Yorsoi^e 
einer  tüchtigen  Hausfrau,  die  sich  einen  werthvollen  Braten  nicht  entgehen  lassen, 
aber  ihn  so  gross  wie  nur  irgend  möglich  haben  will,  —  ist  es  bei  der  Makusi- 
Indianerin  die  liebende  Opferwilligkeit  der  Grossmutter,  welche  dem  Enkel  die 
Brustnahrung  nicht  entziehen  möchte,  wenn  ein  neu  angekommener  Weltbürger 
ihm  die  Mutterbrust  streitig  macht,  und  die  daher  durch  das  Anlegen  von  Thieren 
die  Brust  far  diesen  Nothfall  functionsfahig  oder,  wie  der  Volksausdruck  lautet, 
„im  Gange*  erhalten  will,  —  so  sind  es  endlich  in  Persien  und  früher  in 
Deutschland  Gründe  des  ärztlichen  Handelns,  die  den  Frauen  die  Hunde  an  die 
Brust  legen. 

Aber  noch  bleibt  uns  immer  eine  Anzahl  von  Fallen  übrig,  wo  wir  nicht 
ohne  Weiteres  einzusehen  vermögen,  was  die  Frauen  zu  solchen  Absonderlich- 
keiten veranlassen  konnte,  und  um  dieses  zu  erklären,  könnte  man  an  zwei  Dinge 
denken.  Entweder  könnte  hier  der  weitverbreitete  Aberglaube  zu  Grunde  liegen, 
dass  geschlechtlicher  Verkehr  ohne  Folgen,  d.  h.  ohne  zu  empfangen,  ausgeführt 
werden  kann,  so  lange  die  Brust  zum  Nähren  benutzt  wird,  oder  es  könnten 
die  wollüstigen  Erregungen  den  Ausschlag  geben,  welche  thatsächlich  die  Mehr- 
zahl der  Frauen  während  des  Säugens  zu  empfinden  pflegt  und  welche  nun 
hier  durch  die  an  die  Brust  gelegten  Thiere  in  angenehmer  Weise  ausgelöst 
werden. 


LXVI.    Die  sociale  Stellung  des  primitiven  Weibes. 

415.  Die  Entwickelang  der  socialen  Stellung  des  Weibes  aus  Urzuständen. 

Die  EntwickeluDgsgeschichte  der  socialen  Zustände  mit  Rücksicht  auf  die 
gesellschaftliche  Stellung  des  Weibes  hat  in  letzter  Zeit  mehrfach  die  untersuchende 
Bearbeitung  bedeutender  Forscher  hervorgerufen.  Man  hat  Hypothesen  aufgestellt 
über  die  primitiven  Gesellschaftsverhältnisse,  und  man  ist  bemüht  gewesen,  zu  er- 
gründen, welche  RoUe  das  Weib  in  denselben  spielte.  Bachofen  z.  B.  hat  zu 
vertheidigen  gesucht,  dass  im  Anfange  nicht  eine  Ehe,  wohl  aber  eine  Gynäko- 
kratie,  eine  „Herrschaft  der  Weiber^  bestanden  habe.  Der  BegrijOT  der  Ehe 
und  Familie  ist  allerdings  ohne  allen  Zweifel  kein  dem  Menschen  von  vom  herein 
angeborener;  er  ist  allmählich  erst  erworben  und  er  ist  ein  Product  anbrechender 
Cultur.  Auch  Honegger  hält  dafür,  dass  es  in  der  Urzeit  nur  einen  sogenannten 
Hetärismus  gab,  welcher  jenen  Gebräuchen  vorausging,  die  dann  als  Brautraub 
oder  Brautkauf  in  der  niedersten  Form  der  Erwerbung  eines  Eigenthumsrechtes 
an  einem  Weibe  sich  bei  den  Völkern  eingeführt  haben.  Aber  wir  dürfen  nicht 
vergessen,  dass  wir  bei  den  heutigen  Naturvölkern  doch  bereits  fast  überall  ehe- 
liche Verbindungen  antreffen,  wenn  die  Formen,  unter  denen  sie  sich  zeigen,  auch 
nicht  immer  die  gleichen  sind.  Allerdings  ist  hierbei  sehr  oft  nicht  von  einer 
Liebeswerbung  die  Rede,  sondern  der  Mann  nimmt  sein  Weib  in  Besitz  gerade 
so,  wie  er  sich  von  Anderen  ein  Hausthier  zu  erwerben  weiss. 

Die  SteUung  der  Frau  hängt  aufs  innigste  mit  dem  Familienrechte  zu- 
sammen, wie  sich  dasselbe  culturhistorisch  aus  den  ersten  Anfangen  herausgebildet 
hat,  und  die  »Frau  am  Herde*  ist  es,  welche  als  eine  wesentliche  Gulturerscheinung 
betrachtet  zu  werden  verdient.  Jedes  Volk  tritt  mit  der  Einführung  des  Acker- 
baues in  eine  höhere  Stellung  bei  seiner  culturgeschichtlichen  Entwickelung  aus 
der  stufe  des  Hirten-,  Jäger-  und  Fischervolkes.  Mit  diesem  Schritte  im  Zu- 
sammenhange steht  sofort  eine  Wendung  in  der  Stellung  der  Frau.  Die  Ein- 
führung des  Ackerbaues  nämlich  setzt,  wie  Virchow^  darlegt,  das  Kochen  voraus, 
denn  alle  Hauptgegenstände  des  Ackerbaues  sind  und  waren  Pflanzen,  welche  erst 
durch  künstliche  Zubereitungen  fQr  die  Ernährung  des  Menschen  brauchbar  ge- 
macht werden  müssen.     Virchow  sagt  in  dieser  Beziehung: 

nVor  Allem  gilt  dies  von  den  Wintenrorräthen,  deren  Anhäufung  erst  mit  der  Ein- 
führung eines  geordneten  Ackerbaues  in  einer  solchen  Menge  möglich  war,  dass  dem  kommen- 
den Mangel  im  Yoraiis  begegnet  und  die  Sicherheit  des  Hauswesens  durch  eine  Yorausbe- 
rechnung  des  zu  erwartenden  Bedarfs  auf  eine  messbare  Grundlage  gestellt  werden  konnte. 
Und  erst  von  da  an  erhielt  auch  die  Frau  in  der  Mitte  dieses  Hauswesens  die 
würdigere  und  einflussreichere  Stellung,  welche  allein  genügt,  um  das  neue  Cultur- 
verhältniss,  welches  nunmehr  beginnt,  zu  kennzeichnen.  Sie  wird  die  Verwalterin  der  aufge- 
häuften Schatze,  sie  bestimmt  Maass  und  Art  der  Verwendung,  sie  wird  verantwortlich  für 
die  Pflege  der  Familie  auf  der  Grundlage  des  Ernteertrages/ 


414  LXVI.  Die  sociale  Stellung  des  primitiven  Weibes. 

, Sicherlich  ist  es  nicht  zuföllig,  so  föhrt  dann  Virchow  fort,  dass  die  Frau  zur  Haus- 
frau geworden  ist  in  den  kälteren  Gegenden  der  gemässigten  Zone,  wo  es  einen  wahren 
Winter  giebt.  Der  Winter  ist  der  Zuchtmeister  geworden,  welcher  nicht  bloss  das  Band  des 
Hauswesens  enger  knüpft,  sondern  auch  neben  dem  Manne,  dem  eigentlichen  Ernährer,  der 
Frau  als  der  Verwalterin  des  Nährschatzes  einen  gleichberechtigten  Platz  gesichert  hat.  Nur 
ausnahmsweise  hat  hier  und  da  ein  Volk  der  tropischen  oder  subtropischen  Regionen  diesen 
Höhepunkt  der  gesellschaftlichen  Cultnr  erreicht.  Je  freigebiger  die  Natur,  je  sorgloser  das 
äussere  Leben,  um  so  loser  wird  das  Familienband,  um  so  leichter  lockert  sich  die  Familie  durch 
Vielweiberei  und  Frauenknechtschaft.  Und  doch  selbst  in  diesen  niederen  Organisationen  des 
gesellschaftlichen  Lebens,  selbst  da,  wo  der  Ackerbau  unter  einem  glücklicheren  Klima  ein 
Gegenstand  geringerer  Sorge  ist,  selbst  da  bleibt  häufig  der  Frau  ein  gewisses  Stück  ihrer 
Bedeutung  gesichert,  weil  sie,  was  die  Küche  weniger  an  Arbeit  erfordert,  auf  das  Feld  über- 
tragen muss.  Nirgends  mehr  als  im  heissen  Afrika  ist  die  Frau  zugleich  die  Gärtnerin 
oder  Ackerbauerin,  welche  in  harter  Anstrengung  die  Nahrungsmittel  nicht  bloss  zubereiten, 
sondern  auch  sammeln  und  ziehen  muss.  Dem  Manne  fällt  ausser  dem  Genuss  nur  die  Jagd 
und  der  Krieg  als  stehende  Aufgabe  zu." 

In  einer  Beziehung  allerdings  scheint  die  Stellung  des  primitiven  Weibes 
eine  besondere  und,  wenn  man  will,  sogar  eine  bevorzugte  gewesen  zu  sein, 
nämlich  in  Bezug  auf  das  Verhältniss  zu  der  folgenden  Generation;  wir  meinen 
hier  das  Mutterrecht,  von  dem  wir  früher  schon  gesprochen  haben,  die  That- 
sache,  dass  von  der  Mutter  her,  und  nicht  von  väterlicher  Seite,  sich  die  Stammes- 
angehörigkeit  bestimmt. 

Bachofen,  Lubhock^  M'Lennan^  Bastian,  Fost^  Lippert  und  Andere  haben 
über  diese  Zustände  gehandelt,  und  wir  hatten  oben  auch  schon  Beispiele  hierf&r 
angeführt.  Es  mögen  hier  noch  einige  folgen:  Die  Wyandot  z.  B.  drücken  nach 
Fovoell  die  Idee,  dass  nach  weiblicher  Linie  die  Abstammung  gerechnet  wird,  durch 
die  Worte  aus:  „Das  Weib  fährt  das  Geschlecht  Auf  den  Marianen  ist  die 
Frau  „Herr  im  Hause**. 

Bei  manchen  Yolksstämmen  treffen  wir  auf  einen  Kampf  um  die  Obergewalt 
bei  denen,  die  sich  zur  Ehe  verbinden  wollen.  AdiantAS  berichtet,  dass  bei  den 
Sakern  der  Bräutigam  mit  der  auserwählten  Jungfrau  einen  Zweikampf  zu  be- 
stehen hatte;  wer  hierbei  den  Sieg  davontrug,  hatte  dann  später  die  Herrschaft 
in  der  Ehe. 

Unter  den  Hottentotten  muss  ein  Freier,  der  die  Liebe  des  Mädchens  nicht 
besitzt,  dieselbe  durch  einen  Zweikampf  zu  gewinnen  suchen;  diesen  setzt  er  so 
lange  fort,  bis  sie  sich  seinen  Wünschen  fügt. 

Auch  in  Portugal  herrscht  ein  ähnlicher  Yolksgebrauch : 

.Wenn  in  Miranda  du  Doro  ein  Mädchen  im  Begriff  steht,  sich  zu  verheiratfaen,  so 
trifft  sie  kurz  vor  der  Hochzeit  .zuf&lliger  Weise''  mit  ihrem  Bräutigam  zusammen,  und 
dieser  verabreicht  ihr  alsbald  eine  tüchtige  Tracht  Prügel.  Allerdings  nimmt  sie  diesen 
Beweis  zärtlicher  Liebe  nicht  mit  Gelassenheit  hin,  sondern  sucht  Gleiches  mit  Gleichem  zu 
vergelten,  indem  sie  aus  Leibeskräften  auf  ihren  zukünftigen  Herrn  losschlägt,  wobei  zu  be- 
merken ist,  dass  keiner  der  etwaigen  Augenzeugen  dieses  Zweikampfs  sich  in  denselben  ein- 
zumengen Miene  macht.' 

Bekanntlich  führt  auch  das  Nibelungenlied  uns  einen  solchen  Kampf  mit 
der  Auserkorenen  vor.  Es  heisst  da  von  der  Brautnacht,  die  Günther  mit  J?run- 
hüde  feiern  wollte: 

«Die  Füsse  und  die  Hände  sie  ihm  zusammenband, 
Trug  ihn  zu  einem  Nagel  und  hing  ihn  an  die  Wand! 
Das  konnte  er  nicht  wenden;  zu  stark  war  seine  Noth; 
Von  ihren  Kräften  hatte  beinah  gewonnen  er  den  Tod.'' 

Erst  Siegfried' s  gewaltige  Stärke  konnte  die  widerstrebende  Jungfrau  in  der 
folgenden  Nacht  bemeistern: 

«Sie  drückte  ihn  nieder,  doch  gab  sein  Zorn  ihm  Kraft 
und  solche  Leibesstärke,  dass  er  sich  aufgerafft 


416.  Die  Frau  im  Cultus.  415 

Aach  wider  ihren  Willen,  doch  war  die  Drangsal  gross: 

Es  schallte  in  der  Kammer  bald  hier,  bald  dort  gar  mancher  Stoss. 

Sie  rangen  so  gewaltig,  dass  sehr  es  Wunder  nahm, 

Wie  Eines  vor  dem  Anderen  doch  mit  dem  Leben  noch  entkam.'' 

Auch  heate  noch  spielt  in  Deutschland  bisweilen  der  Kampf  des  Freiers 
eine  Bolle.  Es  ist  davon  früher  schon  bei  der  Besprechung  der  im  Schwarz- 
walde gebräuchlichen  Kommnächte  die  Bede  gewesen. 

Aus  solchen  primitiven  Anfangen  heraus  hat  sich  die  Stellung  der  Frau  ent- 
wickelt; ihre  ideale  Aufgabe  in  der  Gultur  erreicht  sie  erst  in  der  ehelichen  Liebe 
und  Treue,  sowie  in  der  Pflege  und  Erziehung  ihrer  Kinder;  ihre  eigentliche 
Domäne  ist  das  Haus.  Und  so  wird  das  Yerhältniss  der  Frau  zum  Manne,  im 
Hause  und  in  der  Gesellschaft  zu  einem  wichtigen  Gradmesser  för  die  Stufe  der 
Cultur,  auf  der  sich  die  betreffende  Völkerschaft  befindet. 

Bei  unserem  Urtheile  über  die  Stellung  der  Frau  dürfen  wir  aber  das  Eine 
nicht  vergessen,  dass  ihr  naturgemäss  bei  allen  Völkern  ein  Theil  der  zu  leisten- 
den Arbeit  zufallt.  Nur  wenn  dieser  Antheil  im  Vergleiche  zu  der  Arbeits- 
leistung des  Mannes  ein  besonders  grosser  ist,  können  wir  auf  eine  Unterdrückung 
des  Weibes  schliessen.  Aber  wir  können  uns  auch  nicht  wundem,  dass  überall 
da,  wo  auch  die  Männer  den  schwer  zu  erlangenden  Lebensunterhalt  durch  auge- 
strengte Thätigkeit  erwerben  müssen,  dem  weiblichen  Geschlechte  ebenfalls  kein 
müssiges  Leben  beschieden  sein  kann.  So  ist  es  ihre  Aufgabe  fast  überall,  das 
Wasser  herbeizuschaffen,  die  Speisen  zu  bereiten  und  die  Kleidungsstücke  herzu- 
stellen. Bei  manchen  Völkern  müssen  sie  auch  an  der  Jagd  und  dem  Fisch- 
fange sich  betheiligen,  und  bei  einer  gewissen  Anzahl  von  Stämmen  li^  ihnen 
sogar  der  Ackerbau  ob.  Diese  letzteren  sind  es  besonders,  welche  dem  weib- 
lichen Geschlechte  nur  eine  untergeordnete  Stellung  zuerkennen  wollen.  Das  ist 
aber  nur  f&r  den  einen  Fall  gültig,  wo  die  Männer  überhaupt  keinen  Antheil  an 
dem  Ackerbau  nehmen. 

Die  Weiber  der  Naturvölker  in  der  Arbeit  werden  einige  unserer  Ab- 
bildungen dem  Leser  vorführen;  es  soll  auf  dieselben  aber  hier  nur  hinge- 
wiesen werden;  ihre  ausführlichere  Besprechung  werden  sie  erst  an  späterer 
Stelle  finden. 


416.  Die  Frau  Im  Cultus. 

Eine  eigenthümliche  psychische  Begabung,  die  leichtere  Erregbarkeit  des 
Nervensystems  und  das  Vorherrschen  von  Stimmungen  und  Empfindungen  haben 
dem  weiblichen  Geschlechte  verhältnissmässig  früh,  trotz  aller  sonstigen  Ernied- 
rigung, eine  bevorzugte  Stellung  errungen.  Allerdings  liegt  diese  letztere  nur  auf 
einem  besonderen  Gebiete,  und  nicht  jegliches  Weib  ist  im  Stande,  sich  dieselbe 
zu  erwerben.  Es  handelt  sich  hierbei  in  allen  Fällen  um  übernatürliche,  transcen- 
dentale  Verbindungen  und  Beziehimgen,  welche  diese  Weiber  mit  der  umgebenden 
Welt  der  Geister  und  der  Götter  zu  unterhalten  wissen.  Und  so  treffen  wir  dann 
das  Weib  als  Priesterin,  als  Prophetin,  als  Zauberin  oder  als  wichtige  Beratherin 
auf  Grund  dieser  übernatürlichen  Fähigkeit.  Sie  hat  sich  damit  aus  der  Niedrig- 
keit ihrer  übrigen  Stammes*  und  Geschlechtsgenossinnen  aufgeschwungen  zu  eioer 
Höhe,  die  sie  in  den  Mittelpunkt  des  Cultus  hebt. 

Lippert  hat  sich  bemüht,  zu  erklären,  wie  die  natürlichen  Verhältnisse  das 
Weib  zu  solcher  Bevorzugung  kommen  Üessen.  Er  drückt  dieses  folgender- 
maassen  aus: 

,Calt  in  aeinen  einfachsten  Formen  ist  die  Gewinnung  der  den  Menschen  umgebenden 
Geister  durch  Gaben  und  Leistungen,  die  ihnen  genehm,  nach  der  kindlichen  Auffassung  fast 
unentbehrlich  sind.    Ein  Mensch  auf  der  untersten  Stufe  hat  auch  im  Wohlthun  keine  grosse 


416  LXYI.  Die  sociale  Stellung  des  primitiven  Weibes. 

Auswahl.  Hunger  und  Durst  sind  ihm  der  häufigste  Antrieb,  Befriedigung  derselben  der  beste 
Genuss;  danach  verlangen  dem  kindlichen  Menschen  gegenüber  auch  seine  Geister.  Wer  aber 
konnte  ihre  Wünsche  zuerst  dauernd  befriedigen?  wer  sie,  die  zu  schaden  geneigt  sind, 
zuerst  bleibend  für  das  Haus  und  seinen  Schutz  gewinnen,  wenn  nicht  die  Mutter?  Sie 
allein  behütete  dauernd  die  Gultstelle  im  Hause,  sie  bereitete  mit  Fürsorge  täglich  das  karge 
Mahl;  des  Mannes  Jagdglück  war  wandelbar.  Auch  er  rief  die  Geister  zum  Mahle,  wenn  er 
glücklich  gewesen,  er  ,opferte^  ihnen  das  Liebste,  das  warme  Blut  des  erlegten  Thieres,  des 
Feindes;  aber  das  waren  doch  seltene  Festschmäuse,  das  war  ein  sehr  ungeordneter  Cult.  In 
dauernder,  gewinnender  Beziehung  mit  den  Geistern  des  Hauses  blieb  auf  einer  Stufe  des 
Mutterrechts  doch  nur  die  Frau,  und  aus  jener  Zeit  ist  sie  die  Trägerin  und  Pflegerin  aller 
frommen  Erziehungen  des  Hauses  geblieben.  Die  heilige  Scheu  vor  ihren  Cultobjecten  ist 
auf  sie  Übergegangen,  einst  im  schönsten,  einst  im  schlimmsten  Sinne.* 

.Nicht  selbstlos  ist  des  Menschen  Cult:  er  will  die  Geister  gewinnen,  sie  sollen  ihm 
nützen  und  helfen,  das  Geheime  und  Verborgene  verrathen,  ihr  umfassendes  Wissen  und 
Sehen  zu  seinem  Nutzen  lenken.  Sie  thun  es  auch:  sprechen  sie  gleich  nicht  zu  dem 
Menschen,  durch  verabredete  Zeichen  belehren  sie  ihn;  ja  sie  treten,  wenn  durch  Liebes- 
gaben willig  gemacht,  in  sein  Haupt  und  denken  in  ihm  ihre  Gedanken  dem  Menschen  zu 
nutze.  Alle  diese  Beziehungen  hat  lange  mit  überlieferter  Treue  die  Frau  als  Herrin  des 
Hauses  gepflegt,  ehe  sich  auch  der  Mann  an  den  Herd  desselben,  den  Sitz  der  schützenden 
Götter  fesseln  Hess.' 

Mit  dem  letzteren  hat  Lippert  wohl  nicht  das  den  Thatsachen  Entsprechende 
getroffen.  Denn  ohne  Zweifel  ist  es  bei  rohen  Völkern  viel  früher  der  Mann,  der 
Zauberpriester,  der  den  Goltus  pflegt,  bevor  die  Frau  zu  dem  Ansehen  gelangt, 
dass  auch  sie  sich  ihm  widmen  darf.  Sicherlich  sind  es  auch  nicht  alle  Frauen, 
sondern  nur  eine  kleine,  bevorzugte  Schaar,  und  dass  hier  Alter  und  Erfahrung, 
oder  eine  besondere  Schlagfertigkeit  des  Geistes  eine  entscheidende  Rolle  spielen, 
das  werden  wir  wohl  ohne  Weiteres  annehmen  dürfen. 

Bei  den  Slaven  an  der  Ostsee  waren  es  nach  Saxo  Grammaticus  die 
Mütter,  welche  am  Herde  sitzend  achtlos  Striche  durch  die  Asche  zogen.  Bei 
wichtigen  Fragen,  die  man  ihnen  stellte,  zählten  sie  dann  diese  Striche  ab;  mit 
Grade  und  Ungrade  gaben  so  ihnen  die  Geister  die  gewünschte  Antwort. 

Die  germanischen  Hausmütter  sind  es  nach  Cäsar ^  welche  durch  die 
Loose  und  deren  Deutung  entscheiden,  ob  die  Männer  den  Kampf  au&ehmen  oder 
die  Schwerter  ruhen  lassen  sollten. 

Die  Israeliten  hatten  ihre  Deborah^  aber  auch  die  Zauberin  von  Endor  hat 
ihre  wichtige  Rolle  gespielt.     Aehnliches  treffen  wir  bei  vielen  Naturvölkern  an. 

Und  so  haftet  im  weiblichen  Geschlecht  etwas  Heiliges,  etwas  Prophetisches, 
das  die  alten  Gultusformen,  geheimnissvoll,  wie  sie  einst  überliefert  wurden,  auf 
lange  Zeit  hin  zu  pflegen  und  bewahren  bestrebt  ist,  oft  zu  nützlichem  Zweck, 
aber  auch  zum  Schaden.  Noch  sind  die  Zeiten  nicht  vorüber,  und  wahrscheinlich 
werden  sie  niemals  schwinden,  wo  die  weisen  Frauen  und  Besprecherinnen  ihre 
gläubige  Gemeinde  finden.  Noch  ist  eine  Wahrsagung  aus  Weibermund  immer 
noch  erheblich  kräftiger  als  die  Weisheit  der  klügsten  Männer. 


417.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Oceanlern. 

Wenn  Rousseau' s  Behauptung  richtig  wäre:  „Alles  ist  gut,  wie  es  aus  den 
Händen  des  Urhebers  der  Dinge  hervorgeht;  alles  entartet  unter  den  Händen  des 
Menschen",  dann  würden  wir  die  Stellung,  welche  das  Weib  bei  den  Naturvölkern 
einnimmt,  als  die  ideale  zu  betrachten  haben.  Ein  flüchtiger  Blick  jedoch  ist 
schon  hinreichend,  um  uns  von  der  Irrigkeit  einer  solchen  Annahme  gründlich 
zu  überfuhren. 

Was  bei  den  Naturvölkern  die  Ehe  zu  bedeuten  hat  und  welche  Stellung 
dem  Weibe  zugewiesen  wird,  das  haben  wir  an  verschiedenen  Beispielen  in  früheren 
Abschnitten  kennen  gelernt.     Watte  hat  darüber  Folgendes  geäussert: 


Tafd  X. 
Das  Weib  im  Backfischalter. 


Xfaeopie-Xidcheii. 

(Andunanen.) 


(Accn.Goldkösle.i 


SmM«a-Mi4cheB. 


4.  5.  6. 

AkBiskiii-Indianer-MIdehen.        Fenerlinder-MidcheB.  Goyana-Indianer-MIdeheii. 

(Bio  Napo,  Peru.)  (Gap  Hörn.) 


7. 

Chlnesen-MIdeken. 


Toda-lUdehen. 

(Säd-Indien.) 


MaUyen-MIdcheii« 

(Malacca.) 


Tafel  X. 
Das  ^6113  ixn  BaLCkfisoKalter. 


I  UI:  -34tltl3.^VC»r^  'Mv'A 


iliÜ&iE  V 1 4]^Ufei  ^^f^ 


417.  Die  sociale  Stellung  dee  Weibes  bei  den  Oceaniern.  417 

,Das  Weib  gehOrt  dem  Manne,  der  es  Ton  ihren  Eltern  gekanfb  bat,  als  Eigentbums- 
stück  zu,  er  kann  es  daber  im  Allgemeinen  willkürlich  verjagen,  verleiben,  vertauschen  oder 
wohl  auch  weiter  verkaufen.  Andere  binzuerwerben  u.  s.  f.  Am  weitesten  gebt  die  Gewalt 
des  Mannes  auf  den  Fidschi -Inseln,  wo  beim  gemeinen  Volke  die  Weiber  nicht  allein 
Handelsartikel  sind,  sondern  sogar  von  ihren  Männern  umgebracht  und  gefressen  werden, 
ohne  dass  dies  gestraft  oder  gerächt  wird.  fWiUces.J  Nicht  selten  geben  die  Weiber  des 
Vaters  durch  Erbschaft  an  den  Sohn  über.  Nur  das  Weib,  nicht  der  Mann,  kann  strafbaren 
Ehebruch  begeben.* 

Auch  in  Australien  ist  die  Stellung  der  Weiber  noch  eine  sehr  niedrige. 
Für  gewöhnlich  werden  sie  geraubt  oder  in  noch  unreifem  Alter  verkauft,  und 
ihr  ganzes  Leben  hindurch  sind  sie  den  brutalsten  Launen  ihrer  Eheherren  aus- 
gesetzt, üeberall  herrscht  hier  Polygamie;  über  die  Zahl  der  Weiber,  die  der 
Mann  sich  erwirbt,  entscheidet  einzig  sein  Vermögen,  und  je  mehr  Weiber  er 
besitzt,  um  so  höher  steigt  er  im  Ansehen.  Die  Mädchen  werden  oft  in  noch 
kindlichem  Alter  an  ältere  Männer  als  Gattin  übergeben.  Es  giebt  verschiedene 
Arten  zu  freien;  entweder  erwirbt  man  sich  die  Einwilligung  des  Vaters  durch 
ein  Geschenk,  oder  die  Auserwählte  wird  gerauht.  In  allen  Fallen  aber  muss 
das  Mädchen  aus  einer  anderen  Stammesgruppe  sein,  sonst  wird  die  Ehe  als  Blut- 
schande betrachtet  und  die  Schuldigen  werden  mit  dem  Tode  bestraft. 

Oft  kommt  es  bei  solchem  Brautraub  zu  hitzigen  Kämpfen,  häufig  ist  jedoch 
dieser  Kampf  dem  Herkommen  gemäss  nur  ein  Scneingefecht. 

Eine  schöne  Frau  hat  in  Australien  ein  beklagenswerthes  Loos,  denn 
einmal  ist  sie  stets  in  Gefahr,  wider  ihren  Willen  entführt  zu  werden,  auch  wenn 
sie  längst  schon  verheirathet  ist.  Folgt  sie  aber  willig  dem  Entführer,  so  ent- 
brennt um  sie  ein  heftiger  Kampf.  Von  den  anderen  Weibern  ihres  Gatten  wird 
sie  keineswegs  freundlich  empfangen,  und  der  letztere  ist  nicht  selten  ein  alter 
Mann,  der  sie  aufs  Aergste  mit  seiner  Eifersucht  zu  plagen  pflegt.  Ehebruch 
wird  mit  dem  Tode  bestraft,  aber  auch  der  Verführer  verfallt  einer  Strafe,  die 
ihm  vom  Stamme  auferlegt  wird;  dabei  wird  die  Keuschheit  weder  von  Mädchen 
noch  von  Witt  wen  verlangt;  vielmehr  ist  die  Jugend  ganz  ungebunden;  öfters 
geben  Männer  eines  ihrer  Weiber  einem  Freunde,  der  un verheirathet  ist.  Im 
Süden  prostituiren  die  Männer  ihre  Weiber  selbst. 

Nach  der  Verheirathung  wird  das  Mädchen  bei  einigen  australischen 
Stämmen  unter  die  Yerheiratheten  aufgenommen;  die  Geremonie,  welche  dabei 
stattfindet,  beschränkt  sich  angeblich  darauf,  dass  demselben  von  einem  Weibe  ein 
Stück  des  kleinen  Fingers  an  der  linken  Hand  abgebissen  wird.  Verheirathung 
und  Begattung  findet  meist  während  der  warmen  Jahreszeit  statt,  wo  die  Nahrung 
in  reicher  Fülle  vorhanden  ist.    (Watte,) 

Die  Frauen  müssen  alle  Arbeit  thun;  erzürnen  sie  den  Mann  oder  verrichten 
sie  ihre  Arbeit  schlecht,  so  werden  sie  unbarmherzig  geschlagen.  Von  allen 
religiösen  Feiern  sind  sie  ausgeschlossen,  und  sie  dürfen  nicht  einmal  mit  ihrem 
Gatten  die  Mahlzeit  einnehmen.  Trotzdem  hängen  die  Frauen  an  ihren  Männern. 
Stirbt  ein  Mann,  so  erbt  sein  Bruder  Frau  und  Kinder,  falls  er  Von  derselben 
Mutter  stammt;  die  Kinder  gehören  zur  Familie  der  Mutter,     (Watte,) 

lieber  die  sociale  Stellung  der  Frauen  in  Neu-Galedonien  äussert  sich 
Moncelon  folgendermaassen: 

«Les  femmes  sont  les  b§tes  de  somme  des  hommeB,  auxquels  elles  sont  inf^rieures  de 
tous  points,  moralement  et  physiquement.  Elles  sont  souxnises  ä  tous  les  caprices  des 
bommes,  mais  paraissent  satisfaites  de  leur  condition.  Elles  ex^cutent  tous  les  travaux 
d'int^rieur,  charroient  constamment  et  aident  les  bommes  k  tous  les  travaux  de  champs. 
Elles  peuvent  §tre  vendues,  mais  g^n^ralement  avec  leur  consentement.  Le  contraire  se 
voit  cependant.  Les  bommes  aiment  leura  enfants,  les  femmes  beaucoup  moins.  £n  g6nöral, 
la  femme  est  beaucoup  inf§rienre  a  Thomme,  ce  qui  tient  assur^ment  k  T^tat  d*abjection 
auquel  eile  est  reduite.' 

Floss-BarteU,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  27 


418  LXVI.  Die  sociale  Stellung  des  primitiven  Weibes. 

Die  Frauen  im  Inneren  von  Neu-Guinea  bei  Port  Moresby  fand -4rm«Y 
keusch.  Die  Ehe  wird  als  heilig  betrachtet  und  Ehebruch  mit  dem  Tode  be- 
straft. Vielweiberei  ist  herrschende  Sitte.  Das  Benehmen  der  Weiber  ist  weib- 
lich und  angenehm. 

Auf  Neu-Britannien  bestehen  gegen  Verwandten-Ehen  sehr  strenge  Ge- 
setze; in  jedem  Stamme  giebt  es  zwei  bestimmte  Abtheilungen,  zwischen  denen 
allein  Heirathen  erlaubt  sind.  Im  Allgemeinen  aber  kaufen  die  Männer  ihre 
Frauen  von  fremden  Stämmen;  oder  wenn  die  jungen  Männer  Frauen  brauchen, 
so  unternehmen  sie,  da  sie  nicht  in  ihren  Stamm  heirathen  dürfen,  einen  Einfall 
in  das  Gebiet  anderer  Stämme  und  rauben  sich  junge  Frauen  von  den  Buschbe- 
wohnem.  Die  dabei  getödteten  oder  gefangenen  Männer  werden  gegessen.  Die 
gefangenen  Weiber  söhnen  sich  bald  mit  ihrer  neuen  Heimath  aus,  da  sie  bei 
späteren  Gelegenheiten  an  ähnlichen  Festen  theilnehmen  dürfen. 

Trotz  dieser  rohen  Sittenzustände,  und  obgleich  die  Frauen  auf  Neu-Bri- 
tannien alle  Arbeiten  besorgen  müssen,  so  ist  ihr  Einfluss  im  häuslichen  Leben 
doch  durchaus  nicht  zu  unterschätzen.  Selten  schliessen  ihre  Eheherren  einen 
Handel  ohne  ihren  Bath,  und  bei  solchen  Gelegenheiten  pflegen  auch  sie  nicht 
leer  auszugehen.  Auch  an  den  Kämpfen  nehmen  sie  Theil,  denn  sie  tragen  dem 
Manne  die  Waffen  nach,  und  sie  ermuntern  ihn  durch  Zuruf  und  feuern  ihn  zur 
Tapferkeit  an.  Aber  der  Zutritt  zu  den  Gemeindehäusern  und  zu  religiösen 
Handlungen  ist  den  Frauen  und  Mädchen  streng  verboten,  und  der  Mann  ist  der 
Herr  über  Leben  und  Tod  der  Gattin.  Prostitution  ist  weit  verbreitet,  wie  wir 
schon  früher  auseinandergesetzt  haben. 

Auf  der  malayischen  Halbinsel  begegnete  MiMucho-Maclay^  einem  Volke, 
welches  rein  melanesischer  Basse  ist,  den  Orang-Sakai;  diese  leben  in  höchst 
primitiven  Zuständen,  und  sie  unterscheiden  sich  erheblich  von  den  benachbarten 
Malayen.  Ihre  Frauen  behandeln  sie  ungemein  freundlich,  daher  ist  es  auch 
nicht  zu  verwundem,  wenn  in  gewissen  Fällen  das  Amt  eines  Badja  auch  auf  die 
Frauen  und  Töchter  übergeht,  denn  die  Häuptlingswürde  ist  erblich.  Am  Tage 
der  Hochzeit  sammeln  sich  die  Verwandten  der  Verlobten  und  viele  Zeugen.  Die 
Braut  muss  dann  in  den  nächsten  Wald  entfliehen,  und  nach  einer  bestimmten 
Zwischenzeit  folgt  ihr  der  Bräutigam  laufend  nach  und  sucht  sie  zu  erhaschen. 
Gelingt  es  ihm,  die  Braut  zu  fangen,  so  erhält  er  sie  zur  Frau,  im  entgegen- 
gesetzten Falle  aber  muss  er  für  immer  auf  sie  verzichten.  Wenn  daher  ein 
Mädchen  den  um  sie  werbenden  Freier  nicht  will,  so  hat  sie  stets  die  Möglichkeit, 
ihm  zu  entfliehen  und  sich  mit  Leichtigkeit  derartig  zu  verbergen,  dass  der 
Bräutigam  nicht  im  Stande  ist,  ihrer  in  der  festgesetzten  Frist  habhaft  zu  werden. 

In  einigen  Gegenden  der  Orang-Sakai  besteht  eine  Art  gemeinsamer  Ehe, 
indem  nämlich  die  Frauen  in  einer  bestimmten  Reihenfolge  und  für  bestimmte 
Zeiträume  von  einem  Manne  zum  anderen  übergehen,  ohne  jemals  einem  bestimmten 
Manne  anzugehören.  Darum  bleiben  auch  die  Kinder,  die  nie  ihren  Vater  kennen, 
stets  bei  der  Mutter.  Dieses  wurde  MiMucho-Maclay  in  der  Stadt  Malacca 
durch  die  dort  weilenden  katholischen  Missionare  vollkommen  bestätigt. 

lieber  die  sociale  Stellung  der  Frau  bei  den  Orang-hütan  in  Malacca 
berichtet  Stevens,  dass  in  der  Achtung  der  Männer  am  höchsten  die  Weiber  der 
Orang  Bälendas  stehen.  So  lange  sie  unverheirathet  sind,  dürfen  sie  getrenntes 
Eigenthum  besitzen  und  es  ist  ihnen  sogar  gestattet,  sich  an  den  häuslichen  Be- 
rathungen  zu  betheiligen.  Die  zweite  Stelle  würde  dann  den  wilden  Panggang- 
Weibem  einzuräumen  sein;  nächstdem  folgen  die  Temiä  (Tummiyor),  dann  die 
zahmen  Menik  oder  Semang,  und  am  tiefsten  stehen  die  Djäkun,  die  ihre 
Weiber  nur  als  schätzenswerthes  Werkzeug  betrachten,  um  die  Arbeiten  zu  ver- 
richten und  die  Kinder  anzuziehen.  Ganz  besonders  schlecht  werden  aber  dia 
Weiber  von  den  Orang  Laut  behandelt.  Es  ist  keine  Seltenheit,  dass  der  Mann 
den  von  der  Frau  mühselig  für  die  ganze  Familie   gesammelten  Tagesvorrath  an 


417»  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Oceaniern.  419 

Wurzeln  und  Fischen  in  grösster  Buhe  allein  verzehrt  und  der  Frau  und  den 
Kindern  höchstens  ein  paar  kümmerliche  Abfalle  zukommen  lässt.     (Bartels'^,) 

Ueber  die  in  den  Wäldern  und  Bergen  der  Philippinen  wohnenden  Ne- 
gritos  sagt  Montano^  der  sie  in  dem  Dorfe  Balanga  auf  Luzon  besuchte,  dass 
sie  sehr  auf  Sittlichkeit  halten;  der  geringste  Argwohn,  dass  sie  ein  junger  Mann 
verletzte,  benimmt  ihm  die  Hoffnung,  eine  Gattin  zu  erwerben.  Dieser  Erwerb 
geschieht  nicht  durch  Kauf;  der  Schwiegervater  erhält  zwar  ein  kleines  Geschenk, 
giebt  jedoch  auch  seinerseits  der  Tochter  eine  Anzahl  von  Gegenständen ,  welche 
nicht  die  Mitgifb  der  jungen  Frau,  sondern  deren  ausschliessliches  Eigenthum 
bilden.  Der  Trauungsact  ist  sonderbar:  Die  Brautleute  klettern  bis  in  die  Wipfel 
zweier  nahe  beisammenstehender  Bäume,  die  dann  vom  Häuptling  so  an  einander 
gezogen  werden,  dass  sich  die  Stirnen  der  Verlobten  berühren.  Damit  ist  die 
Ceremonie  zu  Ende. 

In  Mikronesien  (Marianen-,  Carolinen-,  Marshall-,  Pelau-  und 
Gilbert -Inseln)  werden  die  Frauen  überall  gut  gehalten;  sie  nehmen  an  der 
Unterhaltung,  an  den  Festen  u.  s.  w.  Theil,  schwere  Arbeiten  sind  Sache  der 
Männer,  den  Frauen  liegt  das  Besorgen  des  Hauses,  das  Flechten  der  Matten, 
das  Bereiten  des  Kleiderstoffes,  die  leichtere  Hülfe  beim  Fischfang  u.  s.  w.  ob. 
Früher  waren  die  Weiber  sehr  streng,  sie  erschienen  anfangs  schüchtern,  scham- 
haft und  zurückhaltend;  indess  wurde  von  Unverheiratheten  Keuschheit  nicht 
verlangt;  so  waren  sie  auch  für  Fremde  zu  gewinnen,  ja  sie  wurden  auf  einer 
Gruppe  in  Batak  Koteehue  und  seinen  Begleitern  angeboten,  doch  nur  für  eine 
Nacht,  um  so  strenger  aber  war  die  Ehe.  Obwohl  sie  auf  den  Marshall- 
luseln  nur  durch  Uebereinkunft  geschlossen  wurde,  und  daher  leicht  löslich  war 
(v,  Chamisso),  so  bewahrte  doch  die  verheirathete  Frau  ihre  Keuschheit  streng. 
Polygamie  ist  erlaubt,  aber  nur  Häuptlinge  und  Reiche  haben  mehrere  Frauen. 
Bei  mehreren  Völkern  der  Süd- See,  namentlich  den  Mikronesiern,  ist  die 
Vererbung  von  Rang  und  Stand  an  die  weibliche  Linie  gebunden.  Dies  ist  bei- 
spielsweise auf  der  Carolinen-Insel  Yap,  ebenso  auf  der  Ebon-Gruppe  im 
Mars  hall -Archipel  der  Fall. 

Auf  den  Pelau- Inseln  ist  bemerkenswerth ,  dass  die  Frauen  ihre  eigene 
Regierung  haben,  wie  die  Männer  die  ihrige.  Obgleich  dort  der  Adschbatul  (Ab- 
batulle  bei  Wilson^  Ebadul  bei  Semper)  das  Haupt  des  Landes  ist,  so  gilt  er  doch 
nur  als  der  Häuptling  der  Männer.  Er  muss  aus  dem  Familiensitze  Adschdit 
stammen,  und  die  Aelteste  aus  dieser  Familie  ist  neben  ihm  die  Königin  der 
Frauen.  Ihr  stehen  ebenso  wie  bei  den  Männern  in  niedersteigender  Rangfolge 
eine  Anzahl  Frauenhäuptlinge  zur  Seite;  der  Raupakaldit,  die  weibliche  Regie- 
rung, überwacht  die  Ordnung  zwischen  den  Frauen,  hält  Gericht  und  verurtheilt, 
ohne  dass  die  Männer  sich  einmischen  dürfen.  Beide  Regierungen,  die  der  Männer 
und  die  der  Frauen,  stehen  unabhängig  neben  einander.  Die  Titel  gehen  von 
einer  Schwester  auf  die  Nächstälteste  über,  wie  bei  den  Männern.  Die  Frau  des 
Königs  ist  daher  niemals  eine  Königin  der  Frauen.     (Kubary,) 

Hier  existirt  eine  Art  conmiunistischer  Ehen;  es  bestehen  nämlich  Club- 
häuser (Baj),  in  welchen  Männer,  Kaldebechel  genannt,  gemeinsam  mit  Frauen 
(Mongol)  leben.  Man  darf  die  letzteren  nicht  mit  Prostituirten  verwechseln 
wollen;  sie  dienen  eben  nur  den  Mitgliedern  eines  und  desselben  Clubs. 

Die  Stellung  der  Frau  auf  den  Pelau-Inseln  ist  im  Allgemeinen  eine  hohe; 
ihr  Einfluss  kann  ein  bedeutender  sein;  die  Frau  kann  Kalit,  d.  h.  Vermittlerin 
zwischen  den  Menschen  und  der  jenseitigen  Welt  sein;  sie  kann,  wie  gesagt,  auch 
Häuptling  werden.  Es  ist  Sitte,  zwei  oder  mehr  Frauen  zu  haben,  und  diesen 
liegt  die  schwere  Feldarbeit  ob.  Trotzdem  werden  sie  meist  gut  behandelt. 
Niemand  darf  sich  unterfangen ,  ein  Weib  zu  schlagen ,  oder  sie  auch  nur  mit 
Worten  zu  beleidigen.  Wäre  sie  eine  Adschdit- Frau,  so  trifft  den  Beleidiger 
eine  Geldstrafe,   wie   sie   für  den  Todtschlag  verhängt   ist.     Kann   er   sie  nicht 

27* 


420 


LXVI.  Die  sociale  Stellang  des  primitiven  Weibes. 


zahlen,  so  muss  er  fliehen,  oder  er  ist  dem  Tode  verfallen.  Keinem  Manne  ist 
es  erlaubt,  eine  Frau  entblösst  von  ihrer  Schürze  zu  sehen;  deshalb  zeigen  sie 
in  der  Nähe  von  Badeplätzen  durch  Rufen  ihre  Annäherung  an.  Es  ist  ferner 
auch  streng  verpönt,  über  die  Ehefrau  eines  Anderen  öffentlich  zu  sprechen  oder 
ihren  Namen  zu  nennen. 

Trotz  dieser  Sittenstrenge  herrschen  gerade  auf  Pelau  so  laxe  Grundsätze 
im  Verkehr  der  Geschlechter,  wie  in  wenig  anderen  Ländern;  von  der  frühesten 
Jugend  an  haben  die  I^ädchen  die  Erlaubniss,  mit  allen  jungen  Knaben  des  Ortes 
in  geschlechtlichen  Verkehr  zu  treten.  Ein  eigentliches  Familienleben  fehlt,  da 
die  Männer  grösstentheils  von  ihren  Frauen  getrennt  zu  leben  pflegen. 

Ueber  die  Gilbert-Insulanerinnen  giebt  Parkinson  folgenden   Bericht: 

„Die  Frau  ist  von  der  Eheschliessung  an  von  ihrem  Ehemann  unzertrennlich,  sie  folgt 

ihm  Überall;  wenn  er  in  den  Krieg  geht,  ist  sie  ihm  zur  Seite  und  trägt  seine  Waffen,  geht 

er  auf  den  Fischfang,  begleitet  sie  ihn,  kurz,  wo  einer  der  jungen  Leute  ist,  da  findet  man 

auch  den  anderen.    Nur  bei  einer  Gelegenheit  darf  die  junge  Frau  nicht  ihren  Mann  he- 


Fig.  367.    Tanz  der  Samoauer.    (Nach  Photographie.) 


gleiten,  dies  ist,  wenn  er  zum  allgemeinen  Spiel  und  Tanz  in  dem  grossen  Haus,  „Te  Maneape'S 
der  Dorfschaft  geht.  Für  sie  ist  nach  der  Ehe  Spiel  und  Tanz  im  grossen  Hause  vorbei;  sie 
muss,  so  lange  der  Mann  fort  ist,  in  der  Hütte  verweilen,  und  findet  er  sie  dort  nicht,  wenn 
er  zurückkehrt,  so  kann  sie  sicher  sein,  eine  tüchtige  Tracht  Schläge  davon  zu  tragen  und 
darf  sich  darüber  nicht  beklagen." 

Bei  den  Polynesiern  (Tonga-,  Samoa-,  öesellschafts-,  Marquesas-, 
Sandwich-Insulanern)  war  nach  Müller^  das  Leben  der  unverheiratheten 
Mädchen  ausserordentlich  zügellos.  Es  muss  daher  höchst  sonderbar  erscheinen, 
dass  auf  einzelnen  Inseln  der  Bräutigam  nach  vollzogenem  Ehebunde  vor  Aller 
Augen  die  Jungfrauschaft  der  Braut  durch  Einf&hren  des  Fingers  zu  prüfen  suchte. 
Die  Polygamie  ist  weit  verbreitet,  aber  der  Arme  nimmt  nur  ein  Weib,  während 
sich  bei  anderen  Männern  die  Zahl  ihrer  Frauen  nach  ihrem  Vermögen  und  ihrem 


418.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Völkern  Amerikas.  421 

Range  richtet.  Der  Häuptling  pflegte  sechs  Weiber  zu  haben.  Trotz  der  grossen 
Sittenlosigkeit  wird  Ehebruch  auf  den  meisten  Inseln  streng  geahndet,  doch  ver- 
f&gt  der  Mann  auch  über  sein  Weib,  das  er  überlassen  kann,  wem  er  will  Hier 
gilt  auch  die  sogenannte  «Blutsfreundschaft'',  wonach  zwei  Männer,  nachdem  sie 
ein  Schutz-  und  Trutzbündniss  geschlossen,  zur  Weibergemeinschaft  sich  ver- 
pflichten. Fälle  wahrer  Liebe  und  Zuneigung  sind  aber  vielfach  beobachtet 
worden;  mehrmals  schlössen  sich  polynesische  Frauen  innig  an  ihre  euro- 
päischen Gatten  an. 

Die  Samoanerin  hat  nach  Kubary  als  Hausfrau  keine  allzuschwere  Auf- 
gabe. Wenn  sie  nicht  mit  Anderem  beschäftigt  ist,  vertauscht  sie  gern  ihr 
besseres  „  Lavalava "  mit  einem  «Lapal  und  geht  zur  Küche,  wo  ihr  dann  das 
Leichteste  zuföllt,  das  Anordnen,  Lachen  und  vielleicht  die  Brotfrucht  abzuschälen ; 
das  wirkliche  Bereiten  der  besonderen  Speisen  liegt  einem  erfahrenen  Mitgliede 
ob.  Und  wenn  dann  früh  nach  dem  Morgenessen  der  Hausherr  auf  Besuch  oder 
seiner  Beschäftigung  nachgeht,  ordnet  die  Frau  das  Wohnhaus  und  das  Empfangs- 
haus, sie  befasst  sich  mit  Plaudern  und  Mattenflechten.  Die  junge  Welt  denkt 
an  Schmuck,  und  hier  sind  es  die  Frauen,  die  eine  gewichtige  Rolle  spielen:  sie 
schneiden  das  Haar,  reiben  es  mit  Kalk  oder  Oel  ein,  berathen  über  die  einzu- 
steckenden Blumen  und  Guirlanden  und  beurtheilen  das  Aeussere  eines  geputzten 
jungen  Mannes,  der  nach  dem  nachbarlichen  Dorfe  auf  eine  „Malanga'*  (Be- 
such) geht. 

Dass  auch  bei  den  Samoanern  der  Tanz  zu  den  bevorzugten  Vergnügungen 
der  jungen  Leute  gehört,  davon  haben  wir  früher  schon  Kunde  erhalten,  als  von 
der  Brautwerbung  die  Rede  war.  In  der  Fig.  367  lernen  wir  solchen  Tanz  kennen, 
bei  welchem  beide  Geschlechter  betheiligt  sind.  Er  wurde  auf  der  Expedition  von 
S.  M.  S.  Hertha  von  dem  Marine-Zahlmeister  Riemer  aufgenommen. 

Die  sittlichen  Zustande  des  weiblichen  Geschlechts  haben  sich  auf  den  öst- 
lichen Inseln  der  Südsee,  s6it  Cook  dieselben  entdeckte,  nicht  geändert.  Noch 
heute  schwimmen  Weiber  und  Mädchen  den  herannahenden  Schiffen  entgegen,  um 
sich  zum  sinnlichen  Genüsse  anzubieten,  und  die  Männer,  die  mit  ihnen  kommen, 
finden  nichts  Anstossiges  in  dieser  Hingebung.  Noch  jetzt  empfangen  die  Weiber, 
wie  Corvettencapitän  Werner  mit  der  „-inarfnc*'  1878  beobachten  konnte,  von 
ihren  Männern  Aufträge,  was  sie  als  Lohn  für  ihre  Gefälligkeit  vom  Bord  zurück- 
bringen oder  wohl  gar  entwenden  sollen.  Ihren  Lendenschurz,  damit  er  nicht 
uass  werde,  halten  sie  beim  Schwimmen  an  einem  Stabe  befestigt  über  dem 
Wasser,  und  jede  beeilt  sich,  die  erste  an  Bord  zu  sein;  denn  sowie  die  Mann- 
schaft sich  mit  Schönheiten  versehen  hat,  werden  alle  überzähligen  Damen  zurück- 
gewiesen und  müssen  unter  dem  Hohngelächter  ihrer  Gefährtinnen  heimschwimmen. 
An  Bord  aber  wird  die  Scene  hässlich,  denn  dort  bricht  bald  rohe  Ausschweifung 
aus.     Eigennutz  ist  übrigens  die  alleinige  Triebfeder  dieser  Prostitution. 


41S.  Die  sociale  Stellang  des  Weibes  bei  den  Yolkern  Amerikas. 

Bei  den  Indianern  Nord-Amerikas  ist  die  Vertheilung  der  Geschäfte 
zwischen  Mann  und  Frau  meist  von  der  Art,  dass  jener  nur  als  Jäger  und  Krieger 
für  die  Erhaltung  und  Vertheidigung  der  Familie  sorgt,  während  alle  übrigen 
Arbeiten  und  Lasten  auf  die  Frau  fallen;  sie  dient  ihrem  Gebieter  als  arbeitsame 
Magd  in  voller  Unterwürfigkeit.  Eine  Dame,  die  lange  Zeit  mit  den  Indianern 
verkehrte,  Mrs.  Eastman^  giebt  hiervon  die  folgende  Schilderung: 

.Die  Leiden  des  Sioux-Weibes  beginnen  mit  ihrer  Geburt.  Schon  als  Kind  ist  sie 
ein  Gegenstand  der  Verachtung  im  Vergleich  mit  ihrem  Bruder  neben  ihr,  der  einst  ein 
grosser  Krieger  werden  wird.  Als  Mädchen  wird  sie  geachtet,  so  lange  der  junge  Mann,  der 
sie  zum  Weibe  begehrt,  an  dem  Erfolge  seiner  Bewerbung  zweifelt.  Ist  sie  erst  sein  Weib, 
so   hört  die  Theibahme   für  ihr  Loos  auf.    Wie   bald  reissen  die  Stürme  und  Kämpfe  des 


422  LXYI.  Die  sociale  Stellung  des  primitiven  Weibes. 

Lebens  alle  warmen  und  zarten  Gefühle  mit  der  Wurzel  aus  ihrem  Herzen.  Sie  muBs  die 
Last  der  Familie  tragen.  Will  es  der  Mann,  so  muss  sie  den  ganzen  Tag  mit  einer  schweren 
Last  auf  dem  Rücken  fortziehen,  und  Nachts,  wenn  Halt  gemacht  wird,  muss  sie  die  Speisen 
bereiten  für  ihre  Familie,  bevor  sie  sich  zur  Ruhe  begeben  darf." 

Die  nordamerikanischen  Indianer  sondern  sich  innerhalb  der  einzeben 
Stamme  in  besondere  Totemschaften,  deren  Mitglieder  unter  einander  als  ver- 
wandt betrachtet  werden.  Stets  müssen  sie  die  Ehegattin  aus  einer  anderen  Totem- 
schaft  wählen.  Bei  den  Omahas  und  den  Poncas  nimmt  sehr  häufig  ein  Mann 
die  Kinder  seines  verstorbenen  Bruders  zu  sich,  ohne  die  Wittwe  zu  seiner  Frau  zu 
machen.  Es  kommt  auch  vor,  dass  der  sterbende  Mann,  wenn  er  weiss,  dass  seine 
männliche  Verwandtschaft  nicht  viel  taugt,  -seiner  Frau  räth,  nach  seinem  Tode 
aus  seinem  Geschlechte  in  ein  anderes  einzuheirathen.  Bleibt  ein  Wittwer  zwei, 
drei  oder  vier  Jahre  hindurch  ledig,  so  darf  er  überhaupt  nicht  vneder  heirathen. 

Die  Stellung  der  Weiber  ist  bei  den  Thlinkit-Indianern  keine  ungünstige. 
Die  Frau  ist  nicht  die  Sclavin  des  Mannes;  ihre  Rechte  sind  bestimmt,  ihr  Ein- 
fluss  ist  bedeutend;  gar  nicht  selten  wird  ein  Handel  von  ihrer  Zustünmung  ab- 
hängig gemacht.  Douglas  und  Vancauver  berichten  sogar  von  Frauen,  die  eines 
solchen  Ansehens  genossen,  dass  sie  die  eigentlichen  Leiter  zu  sein  schienen,  deren 
Anordnungen  sich  die  Männer  willig  fügten.  {KrauseK)  Bei  manchen  Völkern 
betrauert  der  Wittwer  den  Verlust  seiner  Gattin  auf  das  Tiefste.  Unter  den 
Chilkat-Indianern  in  Alaska  fand  Krause\  dass  ein  Mann,  nachdem  der 
Leichnam  seiner  dahingeschiedenen  Ehefrau  verbrannt  worden  war,  sein  Vermögen 
vertheilte. 

An  der  Westküste  von  Vancouver  unter  den  Koskimo- und  Quatsino- 
Indianern  hat  sogar  eine  Frau,  die  Schwiegertochter  des  Oberhäuptlings  Negetze^ 
die  Würde  einer  Oberhäuptlingin;  sie  ist  die  mächtigste  Person  an  der  ganzen 
Nordwestspitze  von  Vancouver.  Diese  Dame,  welche  von  den  Spuren  ehemaliger 
Jugendschönheit  nur  noch  den  zuckerhutformigen,  deformirten  Schädel  zurück- 
behalten hatte,  nahm  den  Reisenden  Jacobsen  unter  ihren  Schutz  und  war  ihm 
ungemein  forderlich.  Letzterer  theilte  mir  mit,  dass  bei  den  Chimsian-Indianern 
die  Frauen  sogar  Hametze  und  »Medicinmänner'  werden  können. 

Bei  den  alten  in  Golumbien  wohnenden,  nun  aasgestorbenen  Chibchas 
beherrschten  ebenso  wie  in  Nicaragua  die  Frauen  die  Männer  und  selbst  die 
Kaziken.  Queseda  traf  einen  derselben  in  seinem  Hause  an  einen  Pfahl  gebunden, 
wo  er  von  dreien  seiner  Frauen  wegen  eines  Rausches  gegeisselt  wurde.    (Zerda.) 

Bei  den  Indianerinnen  Süd- Amerikas  ist  das  Recht,  das  ihnen  zusteht, 
nicht  bei  allen  Stämmen  gleich.  Die  Regelung  häuslicher  Geschäfte,  sagt  v.  Martins^ 
steht  oft  nicht  der  jüngeren  und  deshalb  beliebteren,  sondern  gewöhnlich  der 
Ersten  und  Aeltesten  unter  den  Frauen  zu.  Bei  den  Peruanern  übernimmt 
sogar  der  Mann  einen  Theil  der  Arbeit  selbst,  die  sonst  gänzlich  auf  den  Schultern 
der  Weiber  zu  ruhen  pflegt.  Bei  den  Juris,  Passes,  Miranhas  u.  A.  gilt  die- 
jenige Frau,  mit  welcher  sich  der  Mann  zuerst  verband,  als  Oberfrau.  Ihre  Hänge- 
matte hängt  der  des  Mannes  am  nächsten.  Die  Macht,  der  Einfluss  auf  die  Ge- 
meinde, der  Ehrgeiz  und  das  Temperament  des  Mannes  sind  die  Gründe,  nack 
welchen  später  noch  mehrere  Unterfrauen  oder  Kebsweiber  bis  zur  Zahl  von  5 
oder  6,  selten  mehr,  aufgenommen  werden.  Mehrere  Weiber  zu  besitzen  gilt  als 
Luxus.  Jede  Frau  erhält  in  Brasilien  ihre  eigene  Hängematte  und  gewöhnlich 
einen  besonderen  Feuerherd,  vorzüglich  sobald  sie  Kinder  hat.  Der  Mann  bleibt 
meist  von  allen  Frauen  gefürchtet  und  erhält  durch  äusserste  Strenge  gegen  die 
weiblichen  Intriguen  wenigstens  einen  scheinbaren  Friedensstand.  Am  Amazonas 
legt  sich  der  Mann  gern  Frauen  aus  anderen  Stämmen  zu;  weibliche  Kriegs- 
gefangene werden  zu  Kebsweibem  gemacht.  Ausserdem  erwirbt  der  Brasilianer 
seine  Frau  mit  Einwilligung  ihres  Vaters  entweder  durch  Arbeit  in  dessen  Hause, 
oder  durch  Kauf. 


419.  Die  sociale  Stellong  des  Weibes  bei  den  afrikanischen  Völkern.  423 

Von  den  Indianern  Süd-Amerikas  sagt  Bohrizhofer^  dass  sie  ihre  Weiber 
häufiger  hingeben,  als  die  Europäer  ihre  Kleider  wechseln.  Unter  den  poly- 
gamisch lebenden  Indianern  bewohnt  meist  jede  Frau  eine  besondere  Hütte,  und 
unter  den  Chilenen  und  Caraiben  sind  nach  dem  alten  Brauch  die  Rechte  und 
Pflichten  unter  den  Weibern  bestimmt.  In  Chile  kocht  diejenige  Frau,  welche 
die  letzte  Nacht  bei  ihm  schlief,  am  folgenden  Tage  für  ihn,  sattelt  sein  Pferd 
und  verrichtet  die  häuslichen  Arbeiten.  (Frezier,)  Unter  den  Caraiben  hat 
eine  jede  Frau  ihren  Monat,  in  dem  sie  mit  dem  Manne  zusammenwohnt,  seine 
Küche  besorgt  und  ihn  bedient,  (du  TertreJ  In  neuerer  Zeit  berichtet  nament- 
lich Schomburgk  von  grosser  Brutialität  der  Männer  gegen  ihre  Weiber. 

Die  Frauen  und  Mädchen  der  Llanos  in  Venezuela  verbringen,  wie  Sachs^ 
fand,  ihr  Leben  in  süssem  Nichtsthun;  neben  den  häuslichen  Verrichtungen,  die 
sich  auf  ein  Minimum  reduciren,  beschäftigen  sie  sich  im  günstigen  Falle  damit, 
ein  kleines  Stück  Land  mit  Bananen  oder  Tucca  zu  behauen.  Eigentliche  Ehen 
werden  dort  selten  geschlossen,  wiewohl  es  kaum  je  an  Kindersegen  mangelt. 
Als  Sachs  einst  ein  junges  Mädchen,  das  einen  niedlichen  Säugling  auf  seinen 
Knieen  schaukelte,  fragte,  wer  der  Vater  des  Kindes  sei,  erhielt  er  genau  dieselbe 
Antwort,  wie  Head  unter  ähnlichen  Umständen  in  den  Pampas,  nämlich:  Quien 
sabeP  (Wer  mag  das  wissen?)  Ein  gleiches  fand  er  im  ganzen  Inneren  von  Ve- 
nezuela, wo  kirchliche  Ehen  geradezu  eine  Seltenheit  sind.  Oft  war  er  erstaunt, 
wenn  ihm  in  einem  ziemlich  respectablen  Hause  der  Hausherr  seine  «senora  esposa* 
in  aller  Förmlichkeit  vorstellte  und  er  hinterher  erfuhr,  dass  hier  nur  eine  freie, 
mit  gegenseitigem  Kündigungsrecht  eingegangene  Vereinigung  vorlag.  Jeden 
Augenblick  kann  eine  solche  wilde  Ehe  gelöst  werden  imd  beide  Theile  «ver- 
heirathen*^  sich  aufs  Neue,  ohne  dass  man  darin  etwas  Anstössiges  findet;  in  die 
vorhandenen  Kinder  theilt  man  sich  nach  gütlicher  Uebereinkunft. 

In  dem  alten  Peruanischen  Bliche  hatten  die  Eltern  keinen  Einfluss  auf 
die  Verheirathung  ihrer  Kinder.  Zu  bestimmten  Zeiten  liess  der  regierende  Inca 
alle  mannbaren  Mädchen  und  Jünglinge  sowohl  aus  königlichem  Geschlecht,  als 
auch  aus  den  Häusern  der  Vornehmsten  des  Reiches  zusammenkommen  und  ver- 
mählte sie  mit  einander.  Ebenso  verfuhren  die  Befehlshaber  in  den  Städten  und 
Dörfern,  ohne  auf  die  Wünsche  der  Eltern  oder  die  Neigung  der  jungen  Leute 
und  auf  andere  als  den  ersten  Grad  der  Verwandtschaft  die  geringste  Bücksicht 
zu  nehmen.  Frauen,  die  auf  solche  Weise  den  Männern  zugetheilt  worden  waren, 
galten  als  die  rechtmässigen;  neben  denselben  durfte  jeder  Mann  so  viele  Neben- 
Arauen  nehmen,  als  er  wollte.  Die  gemeinen  Leute  bearbeiteten  mit  ihren  Frauen 
gemeinsam  das  Feld;  nur  in  einzelnen  Gegenden  hatten  die  Weiber  den  Feldbau 
zu  leisten,  während  die  Männer  das  Hauswesen  besorgten.  Die  Frauen  der  Vor- 
nehmen lebten  in  Peru  im  Hause  zurückgezogen  und  beschäftigten  sich  mit 
Spinnen  und  Weben  von  Wolle  und  Baumwolle.* 

In  Mexiko  war  bis  zu  der  Ankunft  der  Spanier  die  Stellung  des  Weibes 
eine  sehr  niedrige;  die  Braut  wurde  gekauft  und  eheliche  Untreue  war  mit  schwerer 
Strafe  belegt.  Aber  der  Mann  besass  das  Becht,  Gefährtinnen  zu  suchen  nach 
Belieben,  wenn  sie  nicht  schon  das  Eigenthum  eines  anderen  Mannes  waren. 
(Banddier.) 

419.  Die  sociale  Stellang  des  Weibes  bei  den  afriltanischen  Völkern. 

Unter  den  so  verschiedenartigen  Völkern  Afrikas  ist  gewohnlich  das  Weib 
eine  Waare,  die  man  von  den  Eltern  um  diesen  oder  jenen  Preis  ersteht.  Da- 
neben sind  bisweilen  aber  doch  Fälle  einseitiger  oder  beiderseitiger  Neigung  vor- 
gekonunen;  somit  ist  auch  beim  afrikanischen  Weibe  die  Liebe  nicht  aus- 
geschlossen. 

Das  Loos  der  Frau  ist  nach  Hartmann  s^  Schilderung  im  Allgemeinen  kein 


424 


LXVL  Die  sociale  Stellung  des  primitiven  Weibes. 


glückliches.  Erhandelt  bildet  sie  den  meist  ausschliesslich  arbeitenden  Theil  der 
Bevölkerung,  wogegen  der  Mann  auf  Bathsversammlungen  geht,  beim  Bier  topfe 
sitzt,  in  den  Krieg  zieht^  Jagd  und  Fischfang  treibt,  im  Uebrigen  aber  faulenzt 
und  sich  von  seinem  weiblichen  Personale  bedienen  lässt.  Auch  hier  findet 
Theilung  der  Arbeit  statt,   allein  in  höchst  yerschiedener  Weise  je  nach  der  cul- 

turellen  Phase,  in  welche  die  Entwicke- 
lung  des  Volkes  gelangt  ist.  Nur  bei 
einigen  Stämmen,  z.  B.  den  Fun  je, 
Schilluk,  Nuer  und  Bari,  hilft  auch 
der  Mann  beim  Feldbau  und  auf  der  Vieh- 
weide. Bei  der  Mehrzahl,  namentlich 
der  südlichen  Völker,  widmet  er  sich 
dem  Krieg  und  der  Jagd,  oder  er  wohnt 
den  Zechgelagen  und  den  stundenlangen 
Berathungen  bei.  Die  Weiber  aber 
müssen  die  Hütten  bauen,  das  Feld  be- 
stellen, die  Speisen  bereiten,  sie  stampfen 
den  Reis  und  das  Kafferkom,  sie  mahlen 
und  zerreiben  das  Getreide,  sie  spinnen 
und  weben  und  stellen  mühsam  aus  den 
Häuten  des  Schlachtviehs  die  Anzüge  her. 
Hier  und  da  haben  in  Afrika  die 
Frauen  gewisse  Vorrechte,  auch  ist  im 
Inneren  das  Vorkommen  von  Polyandrie 
constatirt.  Bei  den  Hassanijeh  (Bed- 
scha)  darf  die  Frau  an  jedem  dritten 
Tage  ihre  Gunst  einem  Freunde  schenken. 
Im  Gebiete  des  weissen  Nil  werden 
die  Frauen  im  Kriege  geschont.  Recht 
Günstiges  berichtet  Felkin  von  der  Be- 
^^^^^^^^^^^B  handlung   des  Weibes   bei  den   Mahdi- 

M  ^^^^^^^^^^B  Negern  in  Central-Afrika: 

^ '  ^^^^^^^^^^^^^B  »^^^  Frauen  werden  von  den  Männern 

mit  Achtang  und  Höflichkeit  behandelt,  der 
j_  mH^^^^^^^^^^^^'  beste  Platz  ihnen  überlassen  und  ihnen  kleine 

£^;  ^^^^^^^^^I^^H    '^  '  Aufmerksamkeiten  erwiesen.    Sie  essen  gleich- 

^^  ^^^^^^^^^^^^^  zeitig  mit  den  Männern,  aber  nicht  von  dem- 

selben Tisch.  Jede  Kränkung  einer  Frau  wird 
gerächt  und  ist  häufig  der  Grund  eines  Krieges.'' 

Nicht  nur  im  islamitischen,  son- 
r  dem  auch  im  heidnischen  Afrika  besteht 
^  Vielweiberei  mit  allen  ihren  Schatten - 
I  Seiten.  Namentlich  die  Fürsten  mancher 
f  Nationen  besitzen  eine  enorme  Zahl  von 
Weibern.  Meist  fähren  die  einzelnen 
Weiber  ihre  getrennte  Oeconomie,  z.  B. 
im  Sennaar.  Auch  unter  den  Kaffern 
hat  nach  Merensky  jede  Frau  ihr  eigenes 
Haus,  ihren  eigenen  Hof,  ihren  Garten 
und  ihr  eigenes  Geräth.  Das  Familienleben  der  Zulu-Kaffern  ist  patriarchalisch; 
der  Mann  erwirbt  seine  Frauen  durch  ein  « Geschenk"  von  5 — 10  oder  mehr  Stück 
Vieh  an  die  Eltern;  die  Stellung  der  Frauen  ist  die  einer  Sclavin;  ein  Unbe- 
mittelter erwirbt  sie  sich  durch  Dienstleistung  bei  dem  Schwiegervater.  Ehescheidung 
kommt  häufig  vor  und  ist  gewöhnlich  mit  Rückgabe   des  Geschenkes  verbunden; 


i 


Fig.  368.    Fellachin  (Aegypten)  einen  Wasser- 
krug tragend.    (Nach  Photographie.) 


419.  Die  sociale  Stellang  des  Weibes  bei  den  afrikanischen  Völkern.  42& 

Sterilität  aber  ist  der  einzige  Scheidungsgrund.  Oft  dringt  die  erste  Frau  darauf^ 
dass  noch  eine  zweite  geheirathet  wird,  um  ihr  die  schweren  Arbeiten  theilweise 
abzunehmen;  die  nachfolgenden  Frauen  sind  ihr  untergeordnet  und  haben  die 
Verpflichtung,  sie  zu  bedienen;  sämmtliche  Weiber  haben  ihre  eigenen  Hütten. 
Ein  Häuptling  muss  wenigstens  vier  Frauen  besitzen,  um  das  gehörige  Ansehen 
zu  geniessen. 

Eine  höchst  eigenthümliche  Einrichtung  der  Kafferfrauen  beschrieb  vor 
einiger  Zeit  der  in  Bethel  (Britisch  Eafferland)  stationirte  Missionar  Beste: 

, Weiber  du  eile  sind  unter  den  Raffern  nichts  Seltenes,  wenn  es  auch  dabei  nicht 
gerade  darauf  abgesehen  ist,  das  Leben  zu  nehmen,  sondern  die  Beleidigung  schon  durch  eine 
tüchtige  Schl&gerei  gesühnt  erscheint.  Bei  diesen  Duellen  geht  es  auch  in  aller  Form  zu. 
Die  Beleidigte  erscheint  mit  einer  Genossin  als  Zeuge  vor  der  Hütte  der  Gegnerin  und  fordert 
sie,  an  einem  bestimmten  Orte,  meist  am  Flussufer  oder  sonst  entlegenen  Stellen,  zu  einer 
bestimmten  Zeit  zu  erscheinen.  Meist  wird  diese  Forderung,  um  dem  Stigma  der  Feigheit 
zu  entgehen,  auch  angenommen  und  die  Combattantinnen  erscheinen  zur  festgesetzten  Zeit  mit 
(oder  seltener  ohne)  Zeugen  auf  dem  Kampfplätze.  Nachdem  sich  die  Duellanten  bis  an  die 
Hüften  all  und  jeder  Kleidung  entledigt,  beginnt  der  Kampf,  jedoch  mit  keinen  anderen 
Waffen,  als  die  ein  jeder  von  Natur  mit  bekommen  hat,  d.  h.  Hände  und  Füsse,  Nägel  und 
Zähne.  Wie  Furien  fahren  sie  auf  einander  los,  und  Eine  sucht  die  Andere  im  Schlagen  imd 
Stossen  und  Kratzen  und  Beissen  zu  überbieten.  Besondere  Bravour  beweisen  sie  gewöhnlich 
im  Letztgenannten  und  schnappen  nach  Allem,  was  ihnen  irgend  in  den  Weg  kommt,  und 
wehe  der  armen  Nase,  Ohr,  Finger,  oder  was  ihnen  sonst  zwischen  die  weissen,  scharfen 
Zähne  geräth;  da  ist  kein  Entrinnen,  und  manche  Duellantin  trägt  für  zeitlebens  ein  Mal  und 
Denkzeichen  davon.  Soweit  der  Athem  irgend  reicht,  wird  dabei  natürlich  auch  geschimpft 
und  geflucht,  bis  endlich  der  eine  Kämpfer  nicht  mehr  kann  und  sich  für  überwunden  erklärt. 
Niemand  wird  es  einfallen,  etwa  zu  versuchen,  die  Kämpfenden  zu  trennen/ 

Bei  den  Marolong,  einem  Betschuanen-Stamme,  wird  ebenfalls  die  Braut 
den  Eltern  abgekauft  Je  vornehmer  sie  ist,  oder  je  reicher  der  Bewerber,  um 
so  theurer  muss  er  sie  bezahlen.  Ein  Mädchen  wird  selten  unter  5  Stück  Vieh 
abgegeben,  und  der  höchste  Preis,  welchen  Cameron  erlebte,  waren  deren  48. 
Ist  man  Handels  einig  geworden,  so  sorgt  der  Bräutigam  flir  eine  neue  Hütte^ 
und  die  beiderseitigen  Schwiegereltern  geben  ein  Fest,  je  nach  ihren  Mitteln. 
Der  Vater  der  Braut  bringt  dem  Gatten  seine  Tochter  in  die  Hütte.  Zu- 
weilen kommt  es  vor,  dass  die  junge  Frau  dem  alten  Herrn  durchaus  nicht 
zugethan  ist  und  ihn  trotz  des  Kaufpreises  und  des  Festessens  ihre  Nägel 
und  Zähne  in  energischer  Weise  kosten  lässt.  Auf  die  Jungfrauschaft  legt  der 
Marolong  hohen  Werth;  sieht  er  sich  betrogen,  so  kann  er  die  Braut  zurück- 
senden und  sein  Vieh  zurückverlangen,  ebenso  im  Falle  die  Frau  unfruchtbar 
ist.  Verführer  müssen  logischer  Weise  dem  Vater  Entschädigung  zahlen.  Ge- 
schlechtlicher Verkehr  mit  Europäern  wurde  ehemals  mit  dem  Tode  bestraft. 
Früher  wohnte  das  junge  Paar  so  lange  bei  den  Eltern  der  Frau,  bis  das  erste 
Kind  geboren  war,  welches  dann  als  Ersatz  für  die  Mutter  bei  dem  Vater  der- 
selben verblieb.     (Joest.) 

Unter  den  Herero  nimmt  die  Tochter  des  Häuptlings  eines  Dorfes  eine  sehr 
hervorragende  Stellung  ein.  Sie  hat  das  heilige  Feuer  in  ihrer  Hütte  zu  ver- 
wahren und  dasselbe  als  Zeichen  zum  Beginn  des  Melkens  gegen  Abend  ins  Freie 
zu  bringen.  Sie  hat  ferner  die  Knaben  den  verschiedenen  Kasten  zuzutheilen,  in 
welche  die  Herero  geschieden  sind.  Jede  Kaste  darf  nur  Rinder  von  bestimmter 
Farbe  haben.    (Pechuel-Loesche^) 

Bei  Gelegenheit  eines  Besuches,  welchen  Wangemann  dem  Bawaenda- 
Häuptlinge  Pafudi  im  nördlichen  Transvaal  abstattete,  trat  bald  auch  die 
Königin,  seine  vornehmste  Frau,  ein.  Sie  nahte  knieend  und  mit  demüthigen 
Fingerbewegungen  und  setzte  zubereitete  Kafferpappe  und  Zukost  in  saurer  Milch 
ihm  und  dem  Häuptlinge  vor.  Im  Gebiete  der  Batlakoa,  erzählt  Wangemann 
weiter,  gingen  bei  ihnen  Weiber  vorbei;  sie  warfen  sich  erst  in  anbetender  Haltung 


426 


LXVL  Die  sociale  Stellung  des  primitiyen  Weibes. 


vor  den  Grossen  nieder  und  machten  mit  den  Fingerspitzen  der  zusammengelegten 
Hände  gewisse  Bewegungen,  die  Ehrfurcht  bedeuten;  dann  krochen  sie  in  dieser 
selben  Haltung  yorüber  als  Bezeigung  der  Ehrfurcht. 

Merensky  sagt  von  den  Basutho  in  Transvaal: 

«Die  Weiber  eines  Idannes  vertragen  sich,  weil  jede  von  ihnen  getrennte  Wirtbschaft 
führt.  Jede  hat  einen  eigenen  Hof,  ein  eigenes  Haus,  auch  eigenen  Garten  und  in  Folge 
dessen  eigene  Eomvorräthe.    Der  Mann  haust  zeitweilig  in  der  einen  Wirthschaft,  dann  wieder 


Fig.  369.    Xosa-Kaff er- Weiber,  Baamaterialien  zum  Hausbau  tragend. 
(Nach  Photogpraphie.) 


in  einer  anderen.  Jede  Frau  aber  ist  verpflichtet,  ihm  täglich  Speise  zu  bereiten  und  dorthin 
zu  bringen,  wo  er  residirt.  Die  Stellung  der  Frau  ist  keine  sclavenartige,  ihre  Pflichten  sind 
durch  die  Volkssitte  festgesetzt,  diese  muss  sie  erfüllen,  geniesst  aber  sonst  viele  Freiheit,  und 
selbst  ihr  Komvorrath  darf  vom  Manne  nicht  ohne  ihren  Willen  angetastet  werden.  Zänkische 
und  herrschsüchtige  Frauen  giebt  es  überall,  und  auch  unter  den  Basutho  gerilth  mancher 
Mann  schneller  oder  allmählicher  unter  den  Pantoffel  seiner  Frau  oder  Frauen.  Im  Allge- 
meinen nehmen  die  Frauen  keine  verachtete  Stellung  ein,  man  kann  sogar  sagen,  dass  ihre 


419.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  afrikanischen  Völkern. 


427 


Stellung  die  der  Gleichberechtigung  mit  den  Männern  ist,  denn  Vergehen  an  Weibern  werden 
ebenso  bestraft,  wie.solchei  die  an  Männern  begangen  sind.' 

Für   die   niedere  Stellung   des  Weibes   im   centralen   Afrika   zeugt   eine 
Episode,  welche  jMcgues  und  Storms  erzählen: 

'    «Dans  un  yillage  le  bruit  se  r^pand  tout  k  coup  qu'une  chevre  vient  d*§tre  enley^  par 
un  crocodile.    Tout  le  monde  acconrt;  on  se  lamente  sur  la  perte  que  cet  accident  occasionne 


Fig.  370.    Crobo-Mädchen  von  der  Ooldküste  (West-Afrika),  in  einem  grossen  Holzmörser 
Getreide  stampfend.    (Nach  Photographie.) 


ä  son  propri^taire.    Mals  non,  ce  n'etait  pas  une  chäyre,  c'^tait  une  femme!   Tout  le  monde 
s'en  va.* 

Bei  den  Aschanti  steht  nur  dem  Häuptling  das  Recht  zu,  seine  Frau  zu 
verkaufen.  Das  Weib  der  Denka  ist  die  Sclavin  des  Mannes  und  vom  Erbrechte 
ist  sie  ausgeschlossen;  sie  geht  mit  dem  ganzen  Nachlass  in  den  Besitz  des 
Erben  ihres  Gatten  über. 


428  LXVI.  Die  sociale  Stellung  des  primitiven  Weibes. 

Bei  den  Mangandsclia  ist  die  Stellung  der  Frauen  eine  weniger  gedrückte, 
als  bei  den  benachbarten  Yolkem.  Bowley  schreibt  dies  dem  Umstände  zu,  dass 
sie  Ackerbau  treiben.  Die  Frauen  werden  von  den  Männern  angekauft,  doch  nur 
symbolisch,  denn  nur  ein  Huhn  ist  das  herkömmliche  Geschenk  an  die  Eltern  der 
Braut.  Es  ist  bezeichnend,  dass  diese  Frauen  sogar  die  Würde  eines  Häuptlings 
erlangen  können. 

Die  nomadisirenden  Araber  der  Sahara  betrachten  das  Weib  als  die  Sclavin 
des  Mannes.  Aber  nach  Chavanne  geniesst  sie  doch  immerhin  eine  gewisse  Frei- 
heit; sie  geht  unverschleiert  und  übt  zuweilen  eine  merkliche  Herrschaft  über  den 
Ehegemahl  aus;  Pantoffelhelden  sind  auch  in  der  Wüste  unter  den  Zelten  zu 
finden.  Gestattet  der  Besitz  des  Mannes  den  Ankauf  einer  oder  mehrerer  Sclayinnen, 
so  ist  selbstverständlich  das  Loos  der  Frau  insofern  ein  weit  besseres  und  ange- 
nehmeres, als  sie  sich  nicht  den  drückenden  häuslichen  Arbeiten  unterziehen  muss, 
die  ihr  im  Gegenfalle  obliegen.  Denn  auf  ihren  Schultern  ruht  das  Herbei- 
schleppen von  Wasser  und  Feuerungsmaterial,  das  Mahlen  der  Gerste  zwischen 
zwei  Steinen,  das  Melken  der  Kameele  und  Schafe,  die  Zubereitung  der  Speisen  u.  s.  w.« 
wozu  noch  das  Weben  der  Stoffe  in  der  übrigen  Zeit  tritt,  denn  der  Burnus  und 
Haik,  den  ihr  Herr  trägt,  die  Pferdedecken,  die  Teppiche,  auf  ^enen  der  Herr 
seine  Glieder  streckt,  ja  das  Zelttüch,  unter  dem  die  Familie  wohnt,  das  alles  ist 
ihrer  Hände  Werk.  Jung  ist  sie  noch  der  Gegenstand  grosser  Aufmerksamkeit; 
sind  aber  ihre  Beize  verblüht,  so  sinkt  sie  zur  Dienerin  ihres  Herrn  und  seiner 
Neuvermählten  herab. 

Bei  dem  Berber-Stamm  der  Tuaregs  in  der  Sahara  nehmen  die  Frauen 
in  socialer  Beziehung  eine  ziemlich  hohe  Stelle  ein.  Obgleich  die  Tuaregs  sich 
zum  Mohamedanismus  bekennen,  herrscht  unter  ihnen  der  strengste  Monogamismus. 
So  wie  unter  den  Männern  kaum  einer  zu  finden  ist,  der  nicht  des  Lesens  imd 
Schreibens  kundig  wäre,  ist  dies  auch  bei  den  Frauen  der  Fall.  Das  weibliche 
Geschlecht  ist  in  seiner  Bewegung  so  wenig  beschränkt  wie  die  europäischen 
Frauen.  Die  Frau  steht  ihrem  Gatten  als  gleichberechtigte  Lebensgefährtin  zur 
Seite;  sie  ist  Herrin  des  gemeinschaftlichen  Vermögens,  welches  sie  verwaltet, 
während  den  Mann  die  äusseren  Beziehungen  des  Stammes,  der  Krieg  und  die  Jagd, 
beschäftigen.  Ihr  steht  das  Vorrecht  zu,  dass  die  Vornehmheit  ihres  Stammes  sich 
auf  ihre  Binder  vererbt.  Verbindet  sich  ein  vornehmer  Tuareg  mit  einem 
Mädchen  niederen  Stammes  oder  mit  einer  Leibeigenen,  so  geht  nicht  der  Rang 
des  Vaters,  sondern  der  der  Mutter  auf  die  Kinder  über.  An  äusseren  Beizen 
stehen  sie  den  berühmten  Schönheiten  von  Bhadames  nicht  nach;  wohl  aber 
haben  sie  vor  diesen  die  musterhafte  Sittenstrenge  und  den  Nymbus  der  Unnah- 
barkeit voraus,  was  ihnen  zu  um  so  grösserer  Ehre  gereicht,  als  sie  sich  der 
grössten  Freiheit  erfreuen.  Die  Tuaregfrauen  sind  wahrhafte  Amazonen;  sie  be- 
gleiten ihre  Männer  auf  die  Jagd,  tummeln  Rosse  und  Reitkameele  mit  nicht  ge- 
ringerer Fertigkeit  als  die  Männer,  und  nehmen  selbst  an  den  Razzias  und  an  den 
Kämpfen  thätigen  Antheil. 

Von  anderen  Berber-Stämmen  habe  ich  in  einem  früheren  Abschnitte  schon 
berichtet,  dass  ihre  mannbaren  Mädchen  sich  in  den  Städten  prostituiren,  um  sich 
eine  Mitgift  zu  erwerben.  Namentlich  sind  es  die  üled  Nail,  welche  die 
Figuren  203  und  204  vorftlhren.  Jemehr  solch  eine  ^Jungfrau*  erworben  hat, 
um  so  grösser  ist  ihre  Aussicht  auf  eine  baldige  Ehe. 

Bei  den  Guanches  auf  den  Canarischen  Inseln  trafen  die  Spanier  bei 
ihrer  ersten  Ankunft  eigenthümliche  Verhältnisse  an.  Auf  Lancerota  herrschte 
Polyandrie,  aber  immer  nur  einer  der  Männer  galt  als  das  Oberhaupt  der  Familie. 
Als  solcher  wurde  er  jedoch  nicht  länger  als  während  eines  Mondumlaufes  aner- 
kannt; dann  trat  ein  Anderer  an  seine  Stelle,  während  er  selber  von  jetzt  an 
wieder  zu  dem  Hausgesinde  gehörte,  bis  er  wiederum  an  die  Reihe  kam. 
(v,  Humboldt.) 


Fig.  371.    Araberiu  ans  Algerien,   auf  einer  steinernen  Haudmühle  Getreide  mahlend. 

(Nach  Photographie.) 


480  LXVI.  Die  sociale  Stellung  des  primitiven  Weibes. 

Unsere  Figuren  87  und  88,  sowie  368  bis  371  zeigen  afrikanische  Weiber 
bei  der  Arbeit.  Fig.  368  führt  uns  eine  junge  Fellachin  aus  Aegypten  vor, 
welche  einen  colossalen  Wasserkrug  auf  ihrem  Kopfe  trägt.  In  Fig.  371  ist  eine 
Araberin  aus  Algerien  dargestellt,  welche  auf  einer  Handmühle  Getreide  mahlt. 
Diese  Handmühle,  aus  zwei  kreisförmigen  Steinen  gebildet,  von  denen  der  eine 
sich  auf  dem  anderen  dreht,  hat  genau  die  gleiche  Form,  wie  wir  sie  bei  den 
alten  Römern  finden. 

Für  gewöhnlich  wird  bei  den  afrikanischen  Völkern  das  Getreide  in 
anderer  Weise  gemahlen,  nämlich  so,  wie  es  in  prähistorischen  Zeiten  auch  in 
Deutschland  gebräuchlich  gewesen  ist.  Das  Getreide  wird  auf  einen  grossen,, 
flachen  Stein  geschüttet,  und  die  Frau  zerreibt  es  auf  diesem  mit  Hülfe  eines 
faustgrossen  rundlichen  Reibesteins.  Meistens  muss  diese  anstrengende  Arbeit 
von  den  Weibern  im  Knieen  ausgeführt  werden,  wie  wir  es  in  Fig.  87  bei 
der  Frau  aus  der  Colonie  Eritrea  und  in  Fig.  69  bei  einer  Xosa-Kaffer- 
frau  sehen;  letztere  trägt  hierbei  auch  noch  ihr  kleines  Kind  auf  dem  Rücken. 
Aber  in  einigen  Gegenden  Afrikas  wird  auch  das  Getreide  in  grossen  Mörsern 
zerstampft;  d&ese  Arbeit,  von  C r ob o -Mädchen  aus  dem  Hinterlande  der  Gold- 
küste ausgeübt,  führt  uns  Fig.  870  vor.  In  Fig.  369  endlich  sind  Weiber  der 
Xosa-Kaffern  dargestellt,  welche  sich  mit  schweren  Materialien  zum  Bau  von 
Hütten  schleppen  müssen. 

420.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Tolkerschalten  Asiens. 

Bei  den  Yolksstämmen  Arabiens  ist  die  Stellung  der  Frau  eine  wenig 
geachtete;  gewisse  arabische  Theologen  verweigern  ja  selbst  dem  Weibe  einen 
Platz  im  Paradiese.  In  Mekka  gewährt  man  ihnen  keinen  religiösen  Unterricht. 
In  allen  Dingen  sind  sie  die  Sclavinnen  der  Männer.  Bei  dem  nomadisirenden 
Tribus  der  Asyr  führte  der  Vater  die  heirathsfahige  Tochter  festlich  geschmückt 
auf  den  Markt  und  rief:  »Wer  kauft  eine  Jungfi-au?"  Das  Verleihen  des  Weibes 
für  die  Nacht  an  den  Gastfreund  war  eine  ganz  gewöhnliche  Sitte;  nur  die  jungen 
Mädchen  sind  von  dieser  Pflicht  befreit.  Noch  zur  Zeit  der  Propheten  schlössen 
die  Araber  Zeitehen  (Motä-Heirathen)  gegen  eine  Hand  voll  Datteln  oder 
Mehl.  Diese  wurden  von  Omar  verboten.  Sachau  hatte  bei  den  Beduinen  der 
Wüste  mehrfach  die  Männer  ihre  Frauen  schlagen  sehen.  Die  Weiber  werden 
gekauft,  und  ein  Mädchen,  das  auf  Ehre  hält,  wird  nur  denjenigen  Mann  heirathen, 
der  viele  Ghazas  (Fehden)  mitgemacht  hat  und  den  Kaufpreis  für  sie  in  solchen 
Eameelen  und  Pferden  bezahlen  kann,  die  er  auf  seinen  Raubzügen  erbeutet  hat. 
Vielweiberei  ist  natürlich  gestattet,  findet  sich  aber  fast  nur  bei  reichen  Leuten. 
Die  Weiber  hausen  in  der  Frauenabtheilung  zusammen;  durch  Strohmatten  pflegt 
man  in  derselben  für  jede  Frau  einen  gesonderten  Wochenraum  abzutheilen. 
Grosse  Scheikhs  halten  wohl  auch  für  jede  Frau  ein  besonderes  Zelt,  welches 
neben  dem  grossen  Zelte  auf  der  rechten  Seite  steht. 

Auf  der  Wanderschaft  reitet  die  Gattin  des  Reichen  mit  ihren  Kindern  in 
einem  grossen  bequemen  Kameelsattel,  während  die  Frau  des  armen  Mannes  das 
Küchen-  und  Bettgeräth  und  oben  darauf  ihr  Kind  trägt  und  hinter  dem  Kameel 
einhergeht,  auf  dem  ihr  Gatte  Platz  genommen  hat. 

Wahrend  die  Shemmar-Beduinen  im  Euphrat-Tigris-Thale  am  Feuer 
kauern,  müssen  nach  Sachau  ihnen  die  Weiber  die  Nahrung  besorgen,  das  Wasser 
holen;  mit  der  Axt  geht  die  Frau  in  die  Steppe  hinaus,  haut  dort  Pflanzen  ab, 
legt  sie  zusammen  zu  einem  grossen  Haufen,  nimmt  ihn  auf  den  Rücken  und 
trägt  ihn  zum  Zelt,  wo  sie  ihn  vor  der  Männerabtheilung  niederwirft,  damit  die 
Männer  behaglich  sich  wärmen  und  das  Lagerfeuer  unterhalten  können. 

Bei  den  Afghanen  repräseutiren  die  Mädchen  nach  Elphinstone  einen  be- 
stimmten Geldwerth,   der   sich  auf  60  Rupien  beziffert.     Sie  werden  auch  direkt 


420.  Die  Bociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Völkerschaften  Asiens. 


431 


als  Zahlungsmittel  benutzt:  12  Mädchen  schuldet  man  für  einen  Mord,  6  Stück 
für  die  Verstümmelung  einer  Hand,  eines  Ohres  oder  einer  Nase,  3  für  einen 
Zahn  u.  s.  w. 

lieber    die   Polyandrie,    welche    bei    mehreren    Völkern    im    Himalaja 
herrschend   ist,  haben  wir  früher  schon  ausführlich  gehandelt.     Man  müsste  von 


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es 


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vornherein  erwarten,  dass  hierdurch  ein  nicht  unerheblicher  Ueberschuss  an 
Weibern  sich  bemerklich  mache.  Drew  vermochte  in  Ladak  hierüber  nichts 
Genaueres  festzustellen;  er  fand  nicht,  dass  es  viele  alte  Jungfrauen  gäbe,  und 
die  Zahl  der  Nonnen  war  geringer,  als  die  der  Mönche.  Nach  seiner  Ansicht 
ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass   in  Folge  der  Polyandrie  die  Zahl  der  weib- 


484  LXVI.  Die  sociale  Stellang  des  primitiven  Weibes. 

frauen  halt.  Sie  bekommt  mannigfache  Arbeit  aufgebürdet:  sie  hat  Kinder  und 
Heerden  zu  hüten,  Speisen  und  Kumys  zu  bereiten,  Pilze  und  Decken  herzu- 
stellen, Kleidung  zu  nahen,  die  Zelte  abzubrechen  u.  s.  w.;  allein  bei  den 
schweren  Leistungen  sind  ihnen  doch  auch  die  Männer  behülflich.  Beleidigung 
eines  Weibes  wird  härter  bestraft,  als  die  eines  Mannes ;  auch  ist  die  Frau,  wenn 
sie  sich  auf  dem  ihr  gebührenden  Platz  in  der  Wohnstube  befindet,  eine  unver- 
letzliche Person.  Bisweilen  allerdings  überlässt  auch  hier  der  Gatte  die  Frau 
einem  Anderen. 

, Viele  Kalmücken,  sagt  Pallas,  pflegen  ihre  Kinder  nicht  nur  in  der  ersten  Kindheit, 
sondern  sogar  schon  im  Mutterleibe  Bedingungsweise  zu  verloben,  nemlich  auf  den  Fall, 
wenn  Ton  den  contrahirenden  Partheyen  der  einen  ein  Knabe  und  der  andern  ein  Mfidchen 
gebohren  werden  sollte,  und  diese  frühzeitigen  Verlobungen  werden  heilig  gehalten.  Die 
jungen  Leute  w^den  aber  gemeiniglich  erst  im  yierzehnten  Jahxe  oder  noch  später  zusammen 
gegeben.  Indessen  sind  dem  Bräutigam  schon  zwei  Jahre  vor  der  Verlobung  kleine  Frey- 
heiten  bey  der  Braut  erlaubt,  doch  muss  er,  wenn  vor  der  Hochzeit  eine  Schwängerung  er- 
folgt, es  bey  den  Brauteltem  durch  Geschenke  gut  machen.' 

Die  Stellung  der  Weiber  bei  den  Tun'gusen  ist  eine  untergeordnete,  aber 
im  allgemeinen  werden  sie  doch  von  ihren  Männern  nicht  schlecht  behandelt. 
Letztere  haben  zwar  das  Recht,  sie  zu  schlagen,  wenn  sie  aber  hierbei  verletzt 
werden,  so  wird  ihr  Gatte  hart  bestraft.  Die  Unterordnung  der  Frau  zeigt  sich 
hauptsächlich  bei  den  Arbeiten,  in  welchen  sie  nie  von  ihrem  Manne  unterstützt 
wird;  femer  in  der  Absonderung  im  Hause;  so  gebort  z.  B.  in  der  Jurte  die 
rechte  Seite  vom  Eingange  ausschliesslich  dem  Manne,  die  linke  der  Frau« 

Der  Samojede  aber  sieht  die  Frau  geradezu  als  ein  unreines  Wesen  an, 
und  er  muss  sogar  die  Berührung  eines  Gegenstandes,  welcher  einem  Weibe  an- 
gehört, auf  das  Sorgfaltigste  vermeiden.     (Kickisch.) 

PaUas  äussert  sich  über  die  Samojedinnen  folgendermaassen: 

„üeberhaupt  ist  das  arme  Weibsvolk  bei  den  Samo jeden  noch  unglücklicher  un4 
schlechter  gehalten  als  bei  den  Ostjaken.  Unter  dem  steten  Hin-  und  Herwandem  dieses 
Volkes  müssen  die  Weiber  ausser  aller  Hausarbeit,  die  ihnen  obliegt,  auch  allein  die  Hütte 
aufschlagen  und  abbrechen,  von  den  Schlitten  ab-  und  aufpacken  und  sich  bei  dem  allen 
noch  ihren  Männern  höchst  sclavisch  zu  Dienst  stellen,  welche  sie  dagegen,  einige  verliebte 
Abende  ausgenommen,  kaum  eines  Anblicks  oder  eines  guten  Wortes  würdigen,  und  es  sich 
an  den  Augen  absehen  lassen,  was  sie  verlangen.  Dieses  ist  noch  nicht  genug:  die  Weiber 
werden  von  den  ungesitteten  Samojeden  sogar  als  unreine  Geschöpfe  betrachtet.  Wenn 
ein  Weib  ihre  Hütte  aufgeschlagen  hat,  so  darf  sie  eher  nicht  hinein,  bis  sie  zuerst  sich,  dann 
Alles,  worauf  sie  gesessen,  den  Schlitten  nicht  ausgenommen,  und  endlich  jedes  Stück,  welches 
sie  in  die  Hütte  trägt,  über  einem  kleinen  Feuer  mit  Rennthierhaar  ausgeräuchert  hat.  Wenn 
sie  die  vom  auf  den  Schlitten  gebundenen  Kleider  losbinden  will,  so  darf  sie  es  nicht  von 
oben  thun,  sondern  muss  unter  den  Schlittenstangen,  woran  das  Rennthier  gespannt  ist, 
durchkriechend  sich  dabei  bemühen.  Ebenso  darf  auf  der  Reise  kein  Weib  quer  durch  die 
Reihe  hinter  einander  folgender  Rennthierschlitten  gehen,  sondern  muss  entweder  den  ganzen 
Zug  umlaufen  oder  unter  den  Schlittenstangen  durchkriechen.  In  der  Hütte  sogar  wird  der 
Thür  gegenüber  ein  Stab  eiugepflanzt,  welchen  das  Weib  nie  überschreiten  darf,  sondern 
wenn  sie  wegen  Verrichtungen  von  der  einen  zur  anderen  Seite  übergehen  will,  so  muss  sie 
bei  der  Thür  vorbei  um  das  Feuer  gehen.  Denn  die  Samojeden  glauben  fest,  dass,  wenn 
ein  Weib  die  ganze  Hütte  umgeht,  der  Wolf  gewiss  in  selbiger  Nacht  ein  Rennthier  frisst. 
Und  diesen  Aberglauben  haben  die  Ostjaken,  welche  Rennthiere  halten,  gleichfalls  ange- 
nommen. Aus  einem  anderen  Aberglauben  darf  auch  kein  Weib  oder  erwachsenes  Mädchen 
etwas  von  einem  Rennthier  geniessen.  Sie  dürfen  auch  nicht  mit  den  Männern  zusammen 
essen,  sondern  sie  bekommen  den  Ueberrest.  Die  Augen  eines  erlegten  wilden  Rennthiers 
werden  an  einer  Stelle  begraben,  wo  nicht  leicht  ein  Weib  oder  erwachsenes  Mädchen  dar* 
Über  schreiten  kann,  weil  dies  die  Jagd  verderben  soll.* 

Bei  den  Lit-si  auf  Hain  an  haben  die  Frauen  in  allen  Dingen  das  ent- 
scheidende Wort,  dem  sich  die  Männer  bedingungslos  unterwerfen.  Sie  beschäftigen 
sich  mit  dem  Ackerbau,  während  die  Männer  der  Jagd  obliegen.     (Wolter.) 


28» 


436  LXVI.  Die  sociale  Stellung  des  primitiven  Weibes. 

Die  Stellung  der  Frau  in  Korea  ist  eine  sehr  untergeordnete;  sie  f&hrt 
nach  den  Mittheilungen  franzosischer  Missionare  keine  moralische  Existenz. 
Die  Frau  gilt  dem  Koreaner  entweder  als  Werkzeug  des  Vergnügens  oder  der 
Arbeit,  niemals  aber  als  eine  ebenbürtige  Genossin.  Ihre  ganze  Stellung  ist  damit 
gekennzeichnet,  dass  sie  keinen  Namen  führt.  In  der  Kindheit  erhält  sie  inner- 
halb der  Familie  einen  Rufnamen;  für  die  XJebrigen  ist  sie  einfach  die  Schwester 
oder  Tochter  von  dem  oder  jenem.  Nach  ihrer  Yerheirathung  ist  sie  ganz  namenlos. 
Sie  wird  gewöhnlich  nach  dem  Ort  ihrer  Yerheirathung  oder  dem  Kirchspiel, 
in  dem  sie  geboren  ist,  genannt.  Die  Frauen  der  niederen  Klassen  müssen  hart 
arbeiten,  denn  die  Feldarbeit  liegt  meist  ihnen  ob.  Ein  Koreaner  von  höherem 
Stande  unterhält  sich  nur  gelegentlich  mit  seiner  Frau,  auf  welche  er  gering- 
schätzig herabsieht.  Nach  der  Ehe  leben  die  vornehmen  Koreanerinnen  ab- 
geschlossen in  ihren  Oemächem  und  dürfen  sogar  ohne  die  Erlaubniss  ihrer 
Männer  nicht  auf  die  Strasse  hinunter  blicken.  Dabei  werden  sie  auch  sonst  auf 
das  Eifersüchtigste  gehütet ^  und  es  ist  mehrfach  vorgekommen,  dass  Väter  ihre 
Töchter,  Männer  ihre  Frauen  und  Frauen  sich  selbst  getödtet  haben,  weil  sie  von 
Fremden  berührt  worden  waren.  Hat  ein  Mann  etwas  auf  seinem  Dache  machen 
zu  lassen,  so  setzt  er  seine  Nachbarn  in  Kenntniss,  damit  sie  Thür  und  Fenster 
der  Frauengemächer  sorgfaltig  verschliessen.     (Ausland.) 

Reisende  vermochten  auch  in  den  geringsten  Hütten  selten  eine  Frau  zu 
erblicken,  und  wenn  sie  welchen  auf  der  Landstrasse  begegneten,  bogen  dieselben 
entweder  unter  einem  rechten  Winkel  ab,  oder  standen,  mit  dem  Rücken  gegen 
die  Reisenden,  still,  bis  dieselben  vorbei  waren.  In  der  Umgebung  der  Stadt 
Hessen  nur  Sclavinnen  ihr  Oesicht  sehen,  während  ihr  Kopf  und  ihre  Schultern 
in  die  Falten  eines  Mantels  eingehüllt  waren;  aber  auf  dem  Lande  erschien  diese 
Etiquette  etwas  abgeschwächt.     (Petermann.) 

Aeusserlich  aber  ist  die  Behandlung  der  Frau  eine  achtungsvolle;  mi^n  redet 
sie  stets  mit  ehrerbietigen  Worten  an;  die  Männer  machen  ihr  auf  der  Strasse 
Platz,  selbst  der  Frau  der  niederen  Stönde.  Die  Gemächer  der  Frau  sind  sogar 
den  Gerichtspersonen  nicht  zugänglich. 

Die  Heirath  wird  von  den  Vätern  beschlossen  und  die  Ehe  steht  in  hohem 
Ausehen;  nur  ein  Verheiratheter  gilt  etwas  in  der  Gesellschaft  und  kann  zu  Amt 
und  Würden  gelangen.  Man  erkennt  die  Verheiratheten  an  ihrer  Frisur;  denn 
dann  trägt  die  Frau  das  Haar  aufgeknotet.  Am  Vorabend  der  Hochzeit  bindet 
eine  Freundin  der  Braut  das  jungfräuliche  Haar  in  einen  Knoten  über  den  Kopf. 
Mit  noch  grösserer  Förmlichkeit  geht  die  Frisurveränderimg  bei  dem  Bräutigam 
vor  sich;  sie  ist  der  wichtigste  Wendepunkt  seines  Lebens. 

Am  Hochzeitstage  muss  die  Braut  vollständiges  Schweigen  bewahren;  das 
ist  allen  Fragen  und  Beglückwünschungen  gegenüber  ihre  Pflicht.  Eine  Ehe  gilt 
als  geschlossen,  wenn  sich  die  Brautleute  vor  Zeugen  mit  einem  Gruss  zunicken. 
Verheirathete  Frauen  tragen  zwei  Ringe  am  Goldfinger.  Nach  sechzigjähriger 
Ehe  wird  die  „goldene  Hochzeit'  gefeiert.  Während  Polygamie  nicht  gestattet 
ist,  ist  das  Halten  von  Kebsweibem  eine  stehende  Einrichtung.  Zur  ehelichen 
Treue  ist  nur  die  Frau  verpflichtet,  nicht  der  Mann.  Eine  die  Stellung  des 
Weibes  gegenüber  dem  männlichen  Geschlechte  recht  kennzeichnende  Sitte  ist  es, 
dass  ein  junger  Bräutigam  von  Adel  nach  seiner  Verlobung  drei  bis  vier  Tage 
bei  seiner  Braut  verbringt,  darauf  sie  aber  auf  lange  Zeit  verlässt  und  zu  seiner 
Concubine  zurückkehrt,  „um  zu  beweisen,  dass  er  sich  nicht  viel  aus  ihr  macht  *". 
Lässt  sich  ein  Mann  von  seiner  Frau  scheiden,  so  darf  er  sich  bei  ihren  Leb- 
zeiten nicht  wieder  verheirathen,  aber  er  darf  Concubinen  halten,  soviel  er  er- 
nähren kann.  Die  Kluft  zwischen  Mann  und  Frau  der  höheren  Stände  beginnt 
schon  früh ;  nach  dem  Alter  von  9  oder  10  Jahren  werden  die  Kinder  nach  ihrem 
Geschlechte  getrennt;  die  Söhne  bleiben  in  den  Räumen  des  Vaters,  die  Mädchen 
in  denen  der  Mutter.     (Ausland.) 


420.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Völkerschaften  Asiens. 


437 


Asiatische  Weiber  bei  der  Arbeit  führen  unsere  Figuren  89  und  372  bis 
376  vor.  In  Fig.  373  sehen  wir  wieder,  ähnlich  wie  in  Fig.  370,  eine  Frau  damit 
beschäftigt,  Reis  in  einem  grossen  Holzmörser  klein  zu  stampfen.  Es  ist  ein 
Banao-Weib  aus  Balbalassan  auf  der  Insel  Luzon  (Philippinen).  Sie  be- 
dient sich  ebenfalls  zu  ihrer  Arbeit  eines  ungeheuren  hölzernen  Stössels  und  trägt 
dabei  ihr  Kind  auf  dem  Oesäss,  das  sich  mit  seinen  Händchen  und  Beinchen  fest 


Fig.  376.    Javanische  Weiber  beim  Beiskochen. 
(Nach  Photographie.) 


an  den  Körper  der  Mutter  anklammert.  Fig.  374  zeigt  uns  eine  Malayin  aus 
Java,  welche  mit  einem  grossen  Messer  eine  Anzahl  Kokosnüsse  von  ihrer  Schale 
befreien  und  dieselben  aufmachen  muss.  Die  mühselige  Arbeit  in  den  sumpfigen 
Reisfeldern  sehen  wir  in  Fig.  89  einige  japanische  Weiber  ausführen. 

Eine  Hauptarbeit  des  weiblichen  Geschlechts  ist  überall  die  Herstellung  der 
Kleidungsstücke.    So  finden  wir  in  Fig.  375  ein  Pepohoan-Weib  ausFormosa 


438  LXVI.  Die  sociale  Stellung  des  primitiven  Weibes. 

am  Webstuhl.  Die  Pepohoans  sind  Eingeborene  der  Insel,  welche  chinesische 
Civilisation  angenommen  haben.  Die  Arbeit  wird  im  Sitzen  auf  der  Erde  yer- 
richtet,  wobei  die  Frau  ihre  Füsse  gegen  ein  trogähnliches  Holzgestell  stemmt, 
an  welchem  das  Gewebe  (die  Kette)  befestigt  ist;  an  dem  anderen  Ende  ist  eine 
Schnur  angebracht,  welche  der  «Frau  über  dem  Bücken  fortgeht ,  so  dass  sie  auf 
diese  Weise  das  Gewebe  zu  spannen  vermag.  Sie  stellt  ein  Kleidungsstück  aus 
Grasfasem  her,  wie  es  fUr  gewöhnlich  getragen  wird.  Auch  die  Fig.  372  führt 
uns  Weiber  bei  der  Arbeit  des  Webens  vor.  Es  sind  malayische  Mädchen, 
welche  jedoch  an  einem  ganz  anders  construirten  Webstuhle  wirken,  als  wir  ihn 
bei  der  Formosanerin  kennen  gelernt  haben. 

Auch  in  das  Allerheiligste  des  Weibes,  in  die  Küche  erhalten  wir  einen 
Einblick.  Fig.  376  zeigt  uns  javanische  Weiber,  die  mit  der  auf  dieser  Insel 
sehr  wichtigen  Arbeit,  mit  dem  Reiskochen«  beschäftigt  sind. 


LXVn.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten 

Culturvölkern. 

421.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  CulturTolkern  Asiens 

und  ihren  Nachkommen. 

Obgleich  wir  über  die  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Sumeriern  und 
Akkadern,  welche  Babylonien  bewohnten,  nur  ausserordentlich  wenig  wissen, 
so  muss  dieselbe  doch,  wie  Hammel  meint,  eine  geachtete  gewesen  sein,  da  in 
den  uns  erhaltenen  Texten  stets  die  Mutter  dem  Vater,  das  Weib  dem  Manne 
vorangestellt  wird.  Das  Halten  you  Kebsweibem  war  dem  Manne  erlaubt,  aber 
dieselben  scheinen  der  Gattin  gegenüber  den  Bang  einer  Sclayin  eingenommen  zu 
haben.  Es  galt  für  eine  Schande  ftir  sie,  wenn  der  Eheherr  nicht  mit  ihnen 
geschlechtlich  verkehrte.  Eine  ihrer  Beschwörungsformeln,  welche  allerlei  Unheil 
abzuwenden  sucht,  richtet  sich  nach  Lenormant  auch  gegen 

,die  Sclavin,  welche  zam  Weibe 

kein  Mann  erkor; 

die  Sclavin»  welche  die  Umarmangen  ihres  Gatten 

durch  ihren  Reiz 

nicht  erwarb; 

die  Sclavin,  die  in  den  Umarmungen 

ihres  Gatten  den  Schleier  nicht  verlor; 

die  Sclavin,  welcher  der  Gatte  in  seinen  Gunstbezeigungen 

die  letzte  Hülle  nicht  abnahm.* 

Der  ffleiche  Gedanke  wiederholt  sich  auch  noch  in  einer  anderen  Be- 
schwörungsformel. 

Die  Stellung  der  Frau  in  Indien  unterlag  einem  Wechsel,  der  völlig  Hand 
in  Hand  ging  mit  den  culturellen  Zustanden,  welche  sich  in  dem  Lande  vollzogen. 
In  der  Zeit,  die  man  die  vorvedische  nennt,  war  die  Frau  dem  Manne  und  der 
Priesterin  ,,der  allgemeinen  Mutter **  gleich;  in  der  vedischen  Zeit  war  sie  noch 
die  Gefährtin  des  Mannes  beim  Opfer  und  im  Kriege;  während  des  durch  die 
Brahmanen  vollzogenen  religiösen  üeberganges  blieb  sie  nur  noch  Mutter  der 
Familie;  in  der  Zeit  der  phUosophischen  Speculationen  wurde  sie  schliesslich  zur 
Sclavin  unter  dem  Despotismus  der  Priester  und  der  Könige.  So  trugen  die 
Frauen  alle  Folgen  der  Grösse  und  des  Niederganges  Indiens,  das  frei  war  mit 
der  freien  Frau  und  sclavisch  mit  der  sclavischen. 

Als  das  Kastenwesen  sich  ausgebildet  hatte,  war  das  Weib  die  Sclavin  des 
Gatten,  die  Tochter  das  Eigen thum  des  Vaters,  und  die  Mutter  musste  ihren 
Söhnen  gehorchen.    Selbst  die  älteste  Priesterin  der  Nari,  der  allgemeinen  Mutter, 


440  LXVII.  Die  sociale  Stellung  dea  Weibes  bei  den  alten  Caltoryölkem. 

welche  allein  das  Recht  hatte,  der  Natur  Opfer  darzubrigen,  war  genothigt,  sich 
unter  die  unbedingte  Autorität  des  Mannes  zu  beugen.     (Jacöüiot.) 

In  dem  Gesetzbuche  Manus  heisst  es: 

,Man  muss  sich  bemühen,  die  Weiber  vor  schlechten  Neigungen  zu  bewahren;  wenn 
sie  nicht  überwacht  sind,  so  bringen  sie  Unheil  in  die  Familie.  , Weiber  sind  von  Natur 
immer  zur  Verführung  der  M&nner  geneigt;  daher  muss  ein  Mann  selbst  mit  seiner  nächsten 
Verwandten  nicht  an  einem  einsamen  Orte  sitzen."  .Der  Unehre  Ursache  ist  das  Weib,  der 
Feindschaft  Ursache  ist  das  Weib,  des  weltlichen  Daseins  Ursache  ist  das  Weib;  darum  soll 
man  das  Weib  meiden.*  Demgemäss  muss  das  weibliche  Geschlecht  gegenüber  dem  männ- 
lichen in  völliger  Abhängigkeit  gehalten  werden:  „Ein  M&dcheu,  eine  Jungfrau,  eine  Gattin 
soll  niemals  etwas  nach  ihrem  eigenen  Willen  thun,  selbst  nicht  in  ihrem  eigenen  Hause.' 
Schliesslich  heisst  es:  „Ihrem  Manne  soll  ein  Weib  mit  Achtung  ihr  Leben  lang  dienen  und 
ihm  auch  nach  seinem  Tode  noch  anhängen*  und,  wenn  auch  der  Mann  sich  tadelnswerth 
betrüge  und  anderer  Liebe  sich  zuwendete  und  guter  Eigenschaften  ledig  wäre,  so  soll  ein 
gutes  Weib  ihn  dennoch  wie  einen  Gott  yerehren;  sie  darf  nichts  thun,  was  ihm  missfällt,, 
weder  bei  seinem  Leben,  noch  nach  seinem  Tode/ 

Die  Tochter  frühzeitig  zu  verehelichen,  ist  eine  heilige  Pflicht  des  Vaters. 
Bleibt  eine  Ehe  kinderlos,  so  wird  das  als  ein  grosses  Unglück  betrachtet,  und 
nicht  selten  dringt  dann  die  Frau  selber  darauf,  dass  der  Gatte  noch  eine  Andere 
freie.  Auch  die  Verbindung  mit  Nebenweibem  aus  niederen  Kasten  ist  ihm  ge- 
stattet. Es  ist  in  solchen  Fällen  aber  auch  gesetzlich  erlaubt,  dass  durch  den 
Bruder  des  Ehemanns  oder  den  Nächsten  nach  diesem,  jedenfalls  aber  durch  einen 
Mann  desselben  Geschlechts,  selbst  bei  Lebzeiten  des  Ehemanns  mit  dessen  Willen 
ein  Sohn  erzeugt  werde.  Nach  dem  Tode  desselben  kann  dies  durch  seinen  jüngeren 
Bruder  geschehen,  doch  immer  ohne  Fleischeslust. 

Bei  den  heutigen  Hindu  bildet  der  Haushalt  den  Mittelpunkt  des  taglichen 
Lebens ;  aber  das  Haus,  namentlich  der  höheren  Kasten,  ist  nicht  leicht  für  Ändere 
zugänglich ;  es  ist  in  jeder  Beziehung  ein  Heiligthum,  in  welchem  der  Vater  eine 
fast  unumschränkte  Autorität  ausübt.  Nächst  dem  Oberhaupte  der  Familie  steht 
dessen  Gattin,  deren  Stellung  sehr  mannigfaltige  und  schwierige  Pflichten  umfust, 
besonders  in  Achtung.  Ihre  Haupttugend  ist  die  Sparsamkeit,  denn  der  Charakter 
der  Hindu  ist  jeder  Verschwendung  abgeneigt.  Ausserdem  ist  die  Hindufrau 
ein  Muster  von  Hingebung,  Keuschheit  und  Selbstlosigkeit.  Sie  besitzt  natür- 
lichen Verstand  und  gutes  Gedächtniss,  ist  aber  meist  wenig  gebildet,  trotzdem 
liegt  der  Unterricht  der  Töchter  fast  ausschliesslich  in  ihren  Händen. 

Sämmtliche  weibliche  Personen  des  Haushaltes  führen  ein  sehr  abgeschlossenes 
Leben,  ja  genau  genommen  sind  sie  eigentlich  auf  den  blossen  Umgang  mit  den 
Kindern  beschränkt.  Ohne  Erlaubniss  des  Familienvaters  dürfen  sie  das  Haus 
nicht  verlassen,  selbst  kaum  die  äusseren,  für  die  Männer  bestimmten  Räume  des 
Wohnhauses  betreten.  In  Gegenwart  der  Schwiegermutter  oder  einer  älteren 
Frau  dürfen  sie  nicht  den  Schleier  lüften  oder  die  Lippen  öffnen,  um  mit  ihrem 
Manne  zu  sprechen.  In  Gegenwart  von  Männern  zu  essen,  gilt  für  höchst  un- 
schicklich; deshalb  kauern  die  Frauen  zur  Essenszeit  auf  der  Erde  und  warten^ 
bis  die  Männer  ihre  Mahlzeit  vollständig  beendigt  haben.  Sie,  sowie  ihre  Kinder 
müssen  dreimal  täglich  baden  und  ihre  Kleider  wechseln;  würden  sie  diese  Pflicht 
der  Reinlichkeit  versäumen,  so  dürften  sie  keinerlei  häusliche  Arbeit  zur  ELand 
nehmen.  Ihre  Erholungen  sind  sehr  eingeschränkt;  einige  lesen,  andere,  welche 
diese  Kunst  nicht  verstehen,  zerstreuen  sich  durch  Handarbeit  und  Kartenspiel, 
oder  hören  sehr  kindische  Erzählungen  an,  wobei  sie  eine  grosse  Vorliebe  ffir 
alles  Phantastische  bekunden.  Dies  liegt  übrigens  im  indischen  Volkscharakter 
Überhaupt.  Im  Uebrigen  werden  aber  schon  im  zarten  Alter  von  fünf  Jahren 
die  Gedanken  der  Mädchen  auf  die  Ehe  gelenkt  und  sie  beten  dann  bereits  um 
zärtliche  und  treue  Gatten. 

Bei  den  alten  Chinesen  hatte  Confucius  die  folgenden  Anordnungen  ge- 
troffen:   Der  Mann   und   die  Frau   bewohnen   zwei  getrennte  Abtheilungen   des 


421.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Culturyölkem  Asiens  etc.        441 

Haases;  sie  sollen  überhaupt  nichts  gemeinsam  haben;  der  Mann  soll  nicht  von 
den  inneren  Angelegenheiten,  die  Frau  nicht  von  den  äusseren  sprechen.  Wenn 
Mann  und  Frau  einander  antworten,  verneigen  sie  sich  gegen  einander.  Solche 
Trennung  konnte  freilich  nur  bei  den  Reichsten  durchgeführt  werden:  Bürger- 
und  Bauerfrauen  mögen  wohl  stets  das  Hauswesen  und  das  Feld  mit  den  Männern 
gemeinsam  besorgt  haben.  Confucias  fordert  aber  ausdrücklich,  dass  die  Frau 
dem  Manne  unterworfen  sei;  sie  konnte  über  nichts  verfügen.  Im  zwanzigsten 
Jahre  soll  das  Mädchen  verheirathet  werden;  die  Ehe  wurde  aber  nicht  nach 
Neigung,  sondern  durch  einen  Heirathsvermittler  von  den  Eltern  geschlossen; 
doch  ist  erforderlich,  dass  die  beiden  Familien  verschiedene  Familiennamen  führen. 
Kauft  Jemand  daher  eine  zweite  Frau  und  weiss  deren  Familiennamen  nicht,  so 
befragt  er  deshalb  das  Loos.  Wenn  die  Oattin  unfruchtbar  war,  so  durfte  der 
Mann  eine  zweite  Frau  nehmen,  doch  war  diese  der  ersten  untergeordnet  und 
ihre  Kinder  nannten  diese  Mutter;  dieselben  fuhren  den  Namen  des  Vaters  und 
sind  erbfähig.  Die  Heirath  mit  einer  solchen  Nebenfrau  ist  minder  feierlich,  als 
die  erste.  Flath  sieht  als  den  Grund  hierfür  den  Ahnendienst  an,  welcher  bestrebt 
ist,  das  Geschlecht  nicht  aussterben  zu  lassen. 

Die  Frauen  der  ärmeren  Erlassen  in  China  müssen,  wie  Giles  berichtet, 
für  ihren  Napf  voll  Reis  und  Kohl,  welcher  ihre  tägliche  Nahrung  bildet,  hart 
arbeiten,  aber  nicht  mehr  als  eine  Frau  gleichen  Standes  in  anderen  Ländern,  wo 
die  Lebensbedürfaisse  theurer,  die  Kinder  zahlreicher  und  ein  trunksüchtiger  Ehe- 
mann eher  die  Regel  als  die  Ausnahme  bildet.  Nun  sind  die  arbeitenden  Klassen 
in  China  ausserordentlich  nüchtern ;  Opium  übersteigt  ihre  Mittel,  und  nur  wenige 
sind  dem  Genüsse  chinesischen  Weines  ergeben.  Mann  und  Frau  geniessen 
zwar  ihre  Pfeife  Tabak  in  den  Mussestunden,  das  scheint  aber  auch  ihr  einziger 
Luxus  zu  sein.  Daraus  ergiebt  sich,  dass  jeder  vom  Mann  oder  von  der  Frau 
verdiente  Cash  (etwa  10  Pfennig)  für  Lebensmittel  und  Kleidung  und  nicht  zur 
Bereicherung  der  Wirthshäuser  ausgegeben  wird,  wodurch  sich  Zank  und  Streit 
wesentlich  vermindert.  Der  Armuth  wird  auch  entgegengearbeitet  durch  die  engen 
Familienbande,  welche  nicht  nur  die  Erhaltung  betagter  Eltern,  sondern  auch  das 
Verschenken  von  Reis  an  Brüder,  Onkel  und  Cousinen  der  entferntesten  Verwandt- 
schaft erfordern,  so  lange  diese  arbeitsunfähig  sein  sollten.  Natürlich  schlägt  ein 
solches  System  zwei  Fliegen  mit  einer  Klappe,  da  die  Zeit  kommen  kann,  wo  die 
genannteu  Verwandten  ihrerseits  für  die  tägliche  Nahrung  sorgen. 

Die  Zahl  derjenigen  Menschen,  welche  in  China  Hunger  und  Kälte  leiden, 
ist  verhältnissmässig  kleiner  als  in  England,  und  in  dieser  überaus  wichtigen 
Hinsicht  sind  die  Frauen  der  arbeitenden  Klassen  weit  besser  daran,  als  ihre 
europäischen  Schwestern.  Misshandlung  der  Frauen  ist  unbekannt,  obwohl  die 
Macht  über  Leben  und  Tod  unter  gewissen  umständen  in  der  Hand  des  Gatten 
liegt  und  eine  Frau  mit  hundert  Schlägen  bestraft  werden  kann,  wenn  sie  die  Hand 
gegen  ihren  Mann  erhebt,  der  ausserdem  auch  zur  Scheidung  berechtigt  ist. 

Die  Frau  in  den  phantastischen  Häusern  reicher  Chinesen  wird  von 
Fremden  in  der  Regel  mit  noch  grösserem  Mitleid  betrachtet,  als  ihre  ärmeren 
Landsmänninnen.  Sie  wird  als  blosser  Zierrath  dargestellt,  oder  als  eine  leblose, 
gleichgültige  Maschine,  ein  Ding,  auf  dem  manchmal  das  lüsterne  Auge  des  Gatten 
mit  Vergnügen  ruht,  während  er  den  Dampf  der  Opiumpfeife  von  sich  bläst,  der 
ihn  in  einer  Stunde  in  trunkene  Vergessenheit  senken  wird.  Sie  weiss  nichts, 
lernt  nichts,  sie  verlässt  das  Haus  nie,  sieht  nie  Freunde,  hört  keine  Neuigkeiten 
und  ist  in  Folge  davon  der  leisesten  geistigen  Erregung  bar;  weniger  eine  Gesell- 
schafterin des  Mannes,  als  der  steinerne  Hund  an  der  Hausthür. 

Allein  nach  seinen  Erfahrungen  urtheilt  Giles  anders.  In  Novellen  ist  die 
Heldin  z.  B.  immer  gut  erzogen,  macht  ausgezeichnete  Verse  und  citirt  Confudus; 
und  man  wird  wohl  kaum  annehmen,  dass  solche  Charaktere  in  jeder  Beziehung 
Ideale  sind.    Ueberdies  lernen  die  meisten  chinesischen  Mädchen,   deren  Eltern 


442  LXVII.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Culturvölkern. 

in  guten  Verhältnissen  leben,  lesen,  obwohl  allerdings  viele  sich  damit  begnügen, 
einige  hundert  Worte  lesen  und  schreiben  zu  können.  Sie  lernen  alle  vorzüglich 
sticken,  und  die  kleinen  Spielereien,  welche  an  dem  Brustbande  jedes  Chinesen 
hangen,  sind  fast  immer  das  Werk  seiner  Frau  oder  seiner  Schwester.  Die 
chinesischen  Damen  besuchen  sich  fast  taglich,  und  an  manchen  Festtagen  sind 
die  Tempel  gedrängt  voll  „  goldener  Lilien''  (man  vergleiche!  127)  jeder  Gestalt 
und  Grösse.  Sie  geben  ihren  weiblichen  Verwandten  und  Freunden  kleine  Gesell- 
schaften, bei  denen  sie  klatschen  und  intriguiren  nach  Herzenslust.  Die  erste 
Frau  liegt  allerdings  nicht  selten  mit  der  zweiten  im  Streit,  und  beide  machen 
dem  unglücklichen  Ehemann  das  Haus  manchmal  unangenehm  heiss.  Am  glück- 
lichsten aber  fühlt  sich  eine  chinesische  Frau,  wenn  sich  die  Familie  um  den 
Gatten,  den  Bruder  oder  auch  den  Sohn  versammelt,  um  mit  gespannter  Auf- 
merksamkeit und  vollem  Glauben  auf  ein  Lieblingskapitel  aus  dem  ,  Traum  der 
rothen  Kammer*  zu  lauschen.  Sie  glaubt  es  Wort  für  Wort  und  durchwandert 
das  Reich  der  Phantasie  mit  demselben  Vertrauen,  wie  je  ein  Kind  des  Westens 
die  wunderbaren  Geschichten  aus  „Tausend  und  eine  Nacht''. 

Etwas  anders  klingt  der  Bericht,  welchen  Gray  über  die  Chinesinnen  liefert: 

,In  China  war  die  Stellung  der  Frau  bis  in  die  neueste  Zeit  eine  entsetzliche.  Die 
jungen  Mädchen  lebten  im  Elternhause  eingezogen,  nur  mit  Hausarbeit  beschäftigt;  Jeder- 
mann behandelte  sie  verächtlich;  die  Vergnügungen  ihres  Alters  blieben  ihnen  gänzlich  un- 
bekannt. Man  betrachtet  sie  auch  noch  heute  bei  der  Verheirathung  als  Waare;  verheirathet 
kommt  sie  noch  unerfahren  unter  wildfremde  Leute  und  muss  ihren  Schwiegereltern  und 
neuen  Verwandten  strengen  Gehorsam  leisten,  sich  auch  jede  harte  Behandlung  ihres  Gatten 
gefallen  lassen;  früher  gehOrte  es  sogar  zum  guten  Ton,  seine  „bessere  Hälfte'  zu  prügeln; 
daher  liest  man  oft  Berichte,  dass  sich  Frauen  den  Tod  gaben.  In  den  mit  Ausländem  in 
Berührung  gekommenen  Theilen  Chinas  besserte  sich  jedoch  die  Lage  des  weiblichen  Ge- 
schlechts seit  einigen  Jahrzehnten,  doch  schildern  auch  neuere  Reisende  das  Leben  desselben 
als  ein  elendes  bei  den  ärmeren  Klassen ;  allein  Gray  erinnert  daran,  dass  bei  diesen  Klassen 
unter  sämmtlichen  Völkern  die  Frau  hart  arbeiten  muss;  auch  behauptet  er,  dass  jetzt  das 
Prügeln  der  Frau  seitens  des  Ehemannes  fast  ganz  abgekommen  ist;  er  hat  zwar  sehr  aus- 
gedehnte Rechte  über  Leben  und  Tod  seiner  Gattin,  aber  er  übt  sie  selten  aus.  Die  Frau 
des  reichen  Chinesen  ist  übrigens  nicht  blosses  „Decorationsstück*,  wie  man  gewöhnlich 
glaubt.  Bei  den  Reichen  ermangeln  nur  in  den  nördlichen  Provinzen  die  Töchter  des  Unter- 
richts; im  Süden  hingegen  lernen  dieselben  lesen  und  schreiben;  es  giebt  zahlreiche  Mädchen- 
pensionate,  auch  Priyatlehrer  in  Familien.  Die  Tornehmeren  Damen  machen  täglich  Besuche, 
gehen  häufig  in  den  Tempel  und  geben  ihren  Freundinnen  Diners/ 

Nach  Cooper  haben  die  Frauen  in  China  keine  rechtliche  Stellung,  sie 
können  vor  Gericht  nicht  Zeugenschaft  leisten  und  sind  vollkommen  Sclaven  der 
Männer.  Der  Vater  kann  seine  Tochter  verkaufen  und  der  Mann  seine  Frau; 
dieses  gilt  jedoch  nicht  für  anstandig  und  es  kommt  fast  nur  in  den  ärmeren 
Klassen  vor.  Der  Vertrag,  welcher  die  Bestimmungen  des  Verkaufs  und  der  Ver- 
kaufssumme enthält,  wird  dann  vom  Käufer  und  dem  bisherigen  Eheherm  unter- 
schrieben, und  der  letztere  beschmiert,  anstatt  das  Document  zu  siegeln,  die  Innen- 
fläche seiner  rechten  Hand  und  die  Sohle  seines  rechten  Fusses  mit  Tinte  und 
drückt  dieses  auf  den  Vertrag,  womit  die  Uebergabe  erfolgt  ist.  Maitressen  zu 
halten  ist  erlaubt  und  sie  leben  in  demselben  Hause  mit  der  rechtmässigen  Frau. 
Sie  werden  ohne  Förmlichkeiten  verkauft,  namentlich  wenn  der  Besitzer  sich  ein- 
schränken muss.  Die  Söhne  derselben  erben  gewöhnlich  mit  den  legitimen  zu 
gleichen  Theilen. 

Die  Japaner  gewähren  der  Frau  weit  grössere  Freiheit  und  angenehmere 
Existenz,  als  die  Chinesen;  bei  jenen  wird  sie  schon  in  höherem  Grade  als  die 
Gefährtin  des  Mannes  betrachtet;  sie  nimmt  auch  an  vielem  geselligen  Vergnügen 
und  an  geistiger  Unterhaltung  Theil.  Eigentlich  ist  es  den  Japanern  gesetzlich- 
nur  erlaubt,  eine  Frau  zu  heirathen,  die  in  den  höheren  Ständen  von  demselben 
Stande  sein  muss,  wie  der  Mann.     Nebenweiber  aber,  die  öflfentlich  und  gemein- 


422.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Aegyptem.  443 

schafUich  mit  dem  Mamie  und  der  rechtmässigen  Frau  in  einem  Hause  beisammen 
leben,  können  sie  haben  so  viel  sie  wollen.  Das  Anhalten  um  ein  Mädchen,  die 
Verlobung  und  die  Hochzeit  werden  mit  vielen  sonderbaren  Gebräuchen,  bei  den 
Reichen  mit  vieler  Pracht  begangen.  Alsbald  nach  der  Verlobung  werden  die 
Zahne  der  Braut  schwarz  gefärbt.  Während  die  Fürsten  und  der  Adel  und  auch 
die  Reichen  ihre  Frauen  in  den  inneren  Gemächern  des  Hauses,  zu  welchen  nur 
die  nächsten  Verwandten  Zutritt  haben,  absohliessen,  können  die  Weiber  der  anderen 
Stände  ungehindert  Besuche  machen  und  annehmen,  auch  an  öffentlichen  Orten 
verkehren.  Es  wird  ihnen  auch  schon  von  der  Schulzeit  an  eine  gewisse  geistige 
Bildung  gewährt. 

422.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Aegyptern. 

Seitdem  man  die  Hieroglyphen  der  alten  Aegypter  entziffern  kann,  ist 
man  im  Stande,  die  vorher  über  ihre  eigenartige  Gultur  bei  griechischen  und 
römischen  Schriftstellern  gefundenen  Nachrichten  zu  vervollständigen.  Durch 
die  in  demotischen  Schriftzügen  hinterlassenen  Vertrage,  Contracte,  ProtocoUe  u.  s.  w. 
der  alten  Aegypter  sind  wir  mit  deren  privaten  Lebensverhältnissen  genauer  bekannt 
geworden,  namentlich  durch  ReviUotä,  der  in  seiner  Chrestomathie  d^motique 
die  Resultate  seiner  Forschungen  mittheilte.  So  werden  auch  die  rechtlichen  Zu- 
stände und  die  Stellung  des  weiblichen  Geschlechts  bei  den  Alt-Aegptern  aus 
den  letzten  Jahrhunderten  vor  Christi  Geburt  beschrieben.  Der  Aegyptologe 
Ebers  sagt  hierüber: 

«Dem  Griechen  Herodot,  der  wie  alle  Hellenen  gewohnt  war,  dass  die  M&nner  auf 
den  Markt  gingen,  w&hrend  die  Frauen  das  Haus  hüteten,  musste  es  auffallen,  dass  in 
Aegypten  die  Weiber  den  Einkauf  besorgten,  während  ihre  Gatten  zu  Hause  blieben  und 
webten;  Diodor  wollte  gehört  haben,  dass  es  unter  den  Aegyptern  den  Töchtern,  nicht 
den  Söhnen  obliege,  ihre  alternden  Eltern  zu  em&hren,  und  beide  Schriftsteller  zuckten  über 
die  Weiberknechte  am  Nil  die  Achseln,  von  denen  es  hiess,  dass  sie  sich  ihren  Frauen  ge- 
horsam zu  sein  verpflichteten,  und  die  jedenfalls  dem  schwächeren  Geschlechte  im  häuslichen 
und  öffentlichen  Leben  Rechte  einräumten  und  Freiheiten  gestatteten,  welche  einem  Griechen 
unerhört  vorkommen  mussten.  Wenn  es  wahr  ist,  dass  man  die  Höhe  der  Cultur  eines 
Volkes  nach  der  mehr  oder  minder  günstigen  Stellung,  welche  es  seinen  Frauen  anweist,  be- 
messen darf,  so  läuft  die  ägyptische  der  Cultur  aller  anderen  Gesellschaften  des  Alter- 
thums  den  Rang  ab." 

Schon  in  den  Grüften,  welche  den  Verwandten  und  höchsten  Beamten  der 
alten  Könige,  die  sich  Pyramiden  als  Grabmonumente  errichten  liessen,  angehören, 
heisst  die  Gattin  ^Herrin  des  Hauses'',  nennt  man  die  Kinder  nicht  nur  nach  dem 
Vater,  sondern  auch  nach  der  Mutter,  so  zwar,  dass  jeder  N  sich  rühmt,  der  Sohn 
eines  X  und  einer  Y  gewesen  zu  sein.  In  vielen  Fällen  begnügt  sich  sogar  der 
N  mit  einer  Aufzeichnung  des  Namens  seiner  Mutter  und  lässt  den  seines  Vaters 
unerwähnt. 

Auch  waren  schon  unter  den  Pyramiden-Erbauern  Prinzessinnen  regierungs- 
fähig; auch  sie  genossen,  nachdem  sie  den  Thron  bestiegen  hatten,  die  gleichen 
göttlichen  Ehren,  welche  die  Pharaonen  für  sich  selbst  beanspruchten.  Bei  Festen 
und  feierlichen  Handlungen  tritt  die  Königin  neben  ihrem  Gemahl  in  die  Oeffent- 
lichkeit,  und  dem  Beispiele,  welches  der  Hof  gab,  folgten  die  Privatleute,  welche 
die  „Herrin  ihres  Hauses,  denen  natürlich  auch  die  Wirthschaftsführung  oblag, 
nicht  nur  an  den  Sorgen  und  Freuden  der  Kindererziehung,  sondern  auch  an 
fast  allen  geselligen  Vergnügungen  Theil  nehmen  liessen,  die  ihnen  selbst  offen 
standen '^. 

Im  alten  Aegypten  konnte  ein  Mann  ein  Mädchen  zu  seiner  «Genossin'', 
machen;  dieses  war  eine  Art  von  Probe-Ehe,  welche  ein  Jahr  lang  dauern  durfte. 
Nach  dem  Ablauf  dieser  Zeit  konnte  die  Genossin  wiederum  entlassen  werden. 


444  LXVII.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Gnlturvölkern. 

aber  sie  erhielt  dann  die  Mitgift  zurück,  sowie  das  Hochzeitsgeschenk,  and  ausser* 
dem  noch  eine  beträchtliche  Abstandssumme.  Wurde  sie  aber  zur  «Frau''  er- 
hoben, so  wurde  sie  die  , Hausherrin*  (nebtper),  und  weitgehende  Rechte  wurden 
ihr  zuertheilt. 

Die  Frau  behielt  sich  die  Berechtigung  der  Scheidung  vor  und  unter 
Ptolemäus  HL  sogar  ftir  sich  allein.  Der  Mann  hatte  ihr  dann  eine  Zahlung 
zu  leisten,  die  sie  schon  im  Voraus  hypothekarisch  auf  die  Güter  eintragen  liess. 
(Lincke.) 

,Die  Heirathscontracte  lehren,'  sagt  Ebers,  «dass  in  der  seit  der  frühesten  Zeit  streng 
monogamisclien  ägyptischen  Gesellschaft  bei  Eheschliessungen  von  beiden  Theilen  mit 
grosser  Vorsicht  yerfahren  worden  ist.  In  manchen  Fällen  wurden  sogar  Probebflndnisse  ein- 
gegangen. Braut  und  Br&utigam  reichten  einander  die  Hand,  doch  nicht  von  yomherein  für 
eine  rechtsgültige  Ehe.  Der  Mann  beh&lt  sich  vielmehr  die  Befagniss  vor,  den  geschlossenen 
Bund  zu  lösen,  verpflichtet  sich  aber,  bevor  er  das  Weib  in  das  Haus  führt,  durch  einen 
rechtsgültigen  Vertrag,  ihr  im  Falle  der  Verstossung  eine  Entschädigung  zu  zahlen,  und  wenn 
es  ihn  mit  einem  Sohne  beschenken  sollte,  diesen  letzteren  zum  Erben  einzusetzen.  Entsprach 
seine  Genossin  seinen  Erwartungen,  so  erhob  der  Mann  sie  zu  seiner  rechtmässigen  Gattin, 
und  war  dies  geschehen,  so  musste  er  mit  ihr  vereint  bleiben  bis  in  den  Tod.  Gewiss,*^ 
sagt  Ebers,  .sind  solche  ,Probeehen'  in  den  meisten  Fällen  eingegangen  worden,  um  sich 
Nachkommenschaft  zu  sichern,  auf  die  man  im  Orient  überhaupt  höheren  Werth  legt,  als  im 
Abendlande.' 

Im  heutigen  Aegypten  wird  gleichfalls  der  Frau  vor  ihrer  Hochzeit  von 
dem  Bräutigam  ein  gewisses  Heirathsgut  ausgesetzt,  welches  ihr  auch,  wenn  sie 
der  Gatte  verstosst,  als  ihr  Eigenthum  verbleibt.  Aber  jede  Ehe,  selbst  eine  durch 
vieljähriges  Zusammenleben  gefestigte,  ist  getrennt,  sobald  es  dem  Gatten  gefallt, 
dreimal  die  Worte  zu  wiederholen:  „Du  bist  Verstössen!' 

Die  meisten  demotischen  Ehecontracte,  welche  wir  besitzen,  stammen  aus 
Theben.  Hier  wurde  vor  der  Hochzeit  von  dem  Manne  der  Frau  eine  Mitgift 
und  ausserdem  ein  bestimmtes  Jahresgeld  zugesichert.  Um  den  ehelichen  Frieden 
zu  sichern,  musste  sich  der  Gatte  verpflichten,  kein  anderes  Weib  wie  seine  Ver- 
mählte in  sein  Haus  zu  fELhren  und  eine  beträchtliche  Strafsumme  zu  zahlen,  falls 
er  dieses  dennoch  thun  sollte. 

423.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Israeliten. 

Bei  dem  grossen  Gewicht,  das  die  Israeliten  auf  eine  ausgiebige  Ver- 
mehrung ihres  Volkes  legten,  ist  es  selbstverständlich,  dass  den  Weibern  eine 
rechtliche  Stellung  gesichert  blieb.  Moses  liess  zwar  noch,  dem  Gebrauche  seiner 
Vorfahren  und  vielleicht  auch  dem  ägyptischen  Vorbilde  folgend,  die  Polygamie 
bestehen,  nur  den  Priestern  war  sie,  wie  in  Aegypten,  nicht  gestattet.  Grössten- 
theils  jedoch  begnügte  man  sieh  mit  einer  Frau.  Die  Stellung  der  biblischen 
Frauen  war  eine  wenig  eingeschränkte,  und  mehrere  unter  ihnen  erlangten  einen 
nicht  unbeträchtlichen  Einfluss. 

Zur  gültigen  Ehe  war  die  Gesundheit  beider  Parteien  erforderlich;  die  Ehe 
mit  einem  unfruchtbaren  Mannweib  war  ungültig;  verboten  war  die  Ehe  zwischen 
nahen  Verwandten.  Moses  verbot  Ehen  zwischen  Eltern  und  Kindern,  zwischen 
Geschwistern  und  den  in  zweiter  Linie  Verschwägerten,  femer  mit  der  Schwester 
des  Vaters  oder  der  Mutter,  und  mit  der  Frau  und  der  Wittwe  des  Oheims;  die 
Talmudisten  hingegen  erweiterten  den  Umfang  dieses  Verbotes.  Nicht  minder 
werden  Ehen  mit  fremden,  unreinen  Elementen,  insbesondere  mit  heidnischen 
Volkern,  verpönt.  Schliesslich  wurde  eine  gewisse  moralische  Qualification  bei 
jeder  Eheverbindung  nachdrücklich  empfohlen. 

Die  Talmudisten  untersagten  dem  Vater  die  Verehelichung  seiner  un- 
mündigen Tochter,  weil  diese  vieUeicht  späterhin  mit  der  Wahl  des  Vaters  nicht 
übereinstimmen  könnte.     Vom  13.  Jahre  an  galt  sie  für  mündig,  und  von  da  ab 


424.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  im  klassisclien  Griechenland.  445 

konnte  sie  eigenmächtig  über  ihre  Hand  verfügen  und  es  wurde  ihre  Einwilligung 
zur  Ehe  gefordert. 

Bei  der  Brautwerbung  musste  die  Zustimmung  des  Vaters  durch  Geld  oder 
<lurch  Dienstleistung  (Jacob  und  Moses)  erkauft  werden.  Nach  der  Anordnung 
<ler  Taimudisten  waren  dann  gewisse  Formalitäten  erforderlich:  entweder  musste 
•Geld  (wenigstens  ein  Denar)  angezahlt,  oder  ein  Schuldschein  gegeben  werden, 
oder  es  wurde  sofort  der  eheliche  Actus  ausgeführt;  jeder  dieser  Verlobungsweisen 
mussten  zwei  Zeugen  beiwohnen^  vor  welchen  der  Mann  laut  in  einer  der  zu 
Verlobenden  verständlichen  Sprache  den  Act  als  behufs  der  Eheverbindung  vor- 
genommen erklärte.  Die  letztere  Verlobungsweise  wurde  aber  später  des  Scandals 
und  des  möglichen  Missbrauchs  wegen  abgeschaffl;.  Immer  mussten  der  Verlobung 
gewisse  Besprechungen  vorausgehen,  bei  welchen  die  gegenseitigen  Forderungen 
und  Verpflichtungen  festgesetzt  wurden.  Die  Polygamie  wurde  von  den  Tal- 
mudisten  gesetzlich  wenigstens  nicht  beanstandet.  Ihre  religiöse  Aengstlichkeit 
lässt  den  Mann  seine  Ehehälfte  nicht  nach  eigenem  Gutdünken  wählen,  sondern 
nach  bestimmter  Vorschrift;  so  bekam  er  eine  Gattin,  die  er  kaum  kannte  und 
<lie  er  von  ihren  Verwandten  erhandelte.  Ist  er  dann  in  ihren  Besitz  gelangt, 
so  darf  er  nicht  zu  viel  mit  ihr  verkehren,  noch  ihre  Umarmungen  nach  Belieben 
geniessen,  sondern  er  muss  sich  auch  in  dieser  Beziehung  gewissen  Gesetzen 
imterwerfen,  andererseits  ist  er  aber  gehalten,  auch  die  Beiwohnung  als  eine  auf- 
erlegte Pflicht  zu  betrachten. 

Die  Frau  blieb  dem  öffentlichen  Leben  fremd;  sie  war  von  dem  Umgänge 
mit  Männern  ausgeschlossen,  und  an  wissenschaftlichem  Unterrichte  hatte  sie 
keinerlei  Antheil.  Sie  führte  nur  ein  Stillleben  für  ihren  Mann,  der  sie  wohl 
achtungsvoll  und  schonend  behandelte,  aber  keine  besondere  Zärtlichkeit  für  sie 
empfand.  Ihre  Bestimmung  war  keine  andere,  als  die  Vermehrung  der  Kinderzahl 
und  die  Versorgung  des  Haushaltes.  Der  Mann  musste  seiner  Frau  anständige 
Kleidung,  stendesgemässen  Schmuck,  Kost  und  Taschengeld  gewähren;  war  er 
zu  diesen  Leistungen  zu  arm,  so  konnte  gerichtlich  zur  Scheidung  geschritten 
werden.  Das  Weib  musste  ihm  häusliche  Handarbeit  schaffen,  kochen,  waschen, 
Kinder  säugen,  eigenhändig  den  Wein  mit  Wasser  mischen,  die  Betten  bereiten, 
ihm  Gesicht  und  Hände  waschen  u.  s.  w.  Hiervon  war  sie  nur  befreit,  wenn  sie 
•eine  hinreichende  Zahl  von  Sclaven  mitbrachte. 


424.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  im  klassischen  Griechenland. 

Nicht  mit  Unrecht  hat  man  den  Hellenen  vorgeworfen,  dass  sie  ihren 
Weibern  keine  gebührende  Stellung  einräumten.  Allerdings  trifft  dieses  nicht  für 
alle  Zeiten  und  für  alle  Stämme  zu.  Denn  schon  bei  Homer  werden,  wie  Decker 
«agt,  fl  guter  Verstand  und  Geschicklichkeit  in  weiblichen  Arbeiten  neben  der 
Schönheit  als  die  schätzbaren  Vorzüge  gerühmt,  wodurch  die  Frau  ihrem  Manne 
zu  einer  geehrten  Gemahlin  wird*.  Und  Ächüleus  werden  (Iliaa  IX.  341)  die 
Worte  in  den  Mund  gelegt: 

Ein  Jeder,  dem  gut  und  bieder  das  Herz  ist, 

Liebt  sein  Weib  und  pflegt  sie  mit  Zärtlichkeit;  sowie  ich  selbst  auch 

Jene  von  Herzen  geliebt,  wiewohl  mein  Speer  sie  erbeutet. 

Anders  war  es  nun  freilich  in  Athen.  Hier  sass  die  Jungfrau  in  strenger 
Abgeschlossenheit  bei  der  Mutter,  ohne  von  der  Aussen  weit  zu  hören;  die  Ehefrau 
kam  halb  unmündig  in  die  Hand  des  Mannes,  bei  dem  sie  die  politischen  Zwecke 
des  Staates  erfüllte  und  den  Haushalt  unter  beschränkender  Au&icht  besorgte; 
ihr  war  es  versagt,  in  die  Kinderzucht  einzugreifen,  und  mit  Ausnahme  religiöser 
Handlungen  blieb  sie  auf  ihr  Gemach  angewiesen.  Kein  Wunder,  wenn  die  Frau 
den  beweglichen  Athener  nicht  zu  fesseln  vermochte  und  noch  weniger  ihn   für 


446  LXVII.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Gnlturvölkern. 

ein  zartes  Verhältniss  der  Ehe  gewann.  Eine  so  spröde,  dem  natürlichen  Gefühl 
widersprechende  Stellang  konnte  nur  mit  jenem  Grade  der  Erniedrigung  und 
Entartung  schliessen,  welcher  grell  im  Verlaufe  des  peloponnesischen  Krieges 
hervortrat  und  vor  Allem  dem  Euripides  eine  reichliche  Nahrung  für  schwer- 
müthige  Reflexionen  darbot.  In  gleichem  Grade,  wie  bei  den  Attikern,  waren 
jedoch  die  Frauen  anderer  griechischer  Stämme  nicht  zurückgesetzt.  (Bernhardy.) 

Eine  durchaus  würdige  Stellung  räumten  die  Dorer  und  die  Aeolier 
den  Frauen  ein;  sie  gönnnten  dem  weiblichen  Geschlechte  einen  hohen  Grad  von 
Freiheit  und  Anerkennung,  sowie  einen  Platz  in  der  öffentlichen  Erziehung  und 
sogar  eine  lebhafte  Mitwirkung  in  der  Oeffentlichkeit.  In  Sparta  führte  diese 
Freiheit,  die  sich  hier  auch  auf  geschlechtliche  Verhältnisse  erstreckte  und  den 
Bestimmungen  des  Lyhurgos  entstammte,  freilich  zu  grossen  Missbräuchen  und 
schliesslich  zu  einer  vollständigen  Demoralisation.  Allein  bei  den  übrigen  Stammes- 
genossen im  Peloponnes,  auf  den  Inseln  und  in  den  Golonien,  war  die  den 
Frauen  zugewiesene  freiere  Stellung  von  günstigem  Einfluss  auf  die  Gestaltung 
der  gesellschafblichen  und  oft  sogar  der  politischen  Verhältnisse  begleitet  und 
entwickelte  eine  fast  rege  Theilnahme  an  Dichtung,  Künsten  und  Wissenschaften 
auch  von  Seiten  des  weiblichen  Geschlechts,  wie  die  nicht  geringe  Anzahl  von 
Dichterinnen,  Philosophinnen  und  gelehrten  Frauen  bezeugen,  die  diesem  kräftigen 
Stamme  entsprossen.    {Foestion}») 

Den  aeolischen  Frauen  war  die  Liebe  zum  Gesänge  und  zur  Dichtkunst 
allgemein;  ihre  gesellschaftlichen  Verhältnisse  waren  locker  und  ohne  strenges, 
sittliches  Maass.  Aus  ihnen  ging  die  geistreichste  Frau  von  Hellas,  die  Dich- 
terin Sappho  hervor,  neben  der  noch  andere  Dichterinnen  glänzten.  (Poestion^.) 
Die  Nation  selbst  aber  ehrte  ihre  hervorragenden  Geister  und  bewahrte  ihnen  ein 
pietätvolles  Andenken. 

Als  der  Handel  Beichthümer  nach  Griechenland  brachte  und  die  Bekannt- 
schaft mit  asiatischem  Luxus  vermittelt  hatte,  begann  sich  das  unheilvolle 
Hetärenthum  zu  entwickeln,  welches  den  Untergang  des  Familienlebens  und  in 
späterer  Folge  auch  den  des  Staates  herbeiführte.  Die  zu  dem  Symposion  der  reichen 
Bürger  nach  morgenländischer  Weise  hinzugezogenen  Sängerinnen  und  Tänzerinnen, 
Flötenspielerinnen  und  Paukenschlägerinnen  wussten,  wenn  sie  mit  Jugend  und 
Schönheit  auch  Anmuth  und  Witz  verbanden,  sich  bald  aus  Sclavinnen  zu  Ge- 
bieterinnen ihrer  für  körperliche  und  geistige  Schönheit  so  empfanglichen  Herren 
zu  machen:  Es  gelang  ihnen  um  so  leichter,  die  rechtmässige  Gemahlin  in  den 
Hintergrund  zu  drängen,  als  diese,  kaum  der  Kindheit  entwachsen,  nur  aus  Rück- 
sicht auf  Verwandtschaft  und  Reichthum  zum  Erzeugen  legitimer  Erben  erheirathet 
war  und  ohne  alle  Erziehung  nur  in  einem  zurückgezogenen  Leben,  im  Schweigen 
und  Gehorsam  gegen  den  Ehemann  die  Summe  ihrer  Pflichten  kannte.  Der 
Staat  duldete  öffentliche  Dirnen.  Schon  Solon,  welcher  ihr  Gewerbe  durch  eine 
Steuer  als  staatliche  Einrichtung  anerkannte,  baute  aus  dem  reichen  Ertrage  der 
Aphrodite  einen  Tempel,  und  der  Komiker  Philemos  preist  die  Weisheit  des  Ge- 
setzgebers, der  ein  so  volksthümliches  Institut  eingerichtet  und  geordnet  habe. 
Diese  für  das  grobe  physische  Bedürfniss  bestimmten  Dirnen  waren  aber  der 
Familie  weit  weniger  gefahrlich,  als  jene  Mädchen,  welche,  theils  Sclavinnen,  theils 
Freigelassene,  theils  aus  den  asiatischen  Golonien  herübergekommene  Abenteure- 
rinnen, durch  körperliche  und  geistige  Begabung  ausgezeichnet  und  Meisterinnen 
in  Musik  und  Tanz,  bezaubernd  durch  Eleganz  und  Humor,  die  reiche  Jugend  um 
sich  versammelten.  Das  Schicksal  des  Staates  sowie  der  Familie  war  entschieden, 
als  die  bedeutendsten  Männer  sich  nicht  mehr  scheuten,  in  ein  intimes  Verhältniss 
mit  ihnen  zu  treten,  und  die  öffenÜiche  Stimme  ihnen  den  euphemistischen  Namen 
der  Freundin,  der  Hetäre,  gab. 

Es  ist  bekannt,  dass  PeriJdes  mit  Aspasia,  welche  in  Milet,  der  ägyp- 
tischen Stadt  Klein-Asiens,   von  der  bekannten  Thargelia  gebildet  war,  auf 


424.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  im  klassischen  Griechenland.  447 

dem  yertrantesten  Fusse  stand.  Diese  berühmteste  aller  Hetären,  welcher  eine 
hohe  Begabung  von  allen  Zeitgenossen  bereitwillig  zuerkannt  wurde,  soll  selbst 
jenen  berühmten  Staatsmann  in  der  Beredtsamkeit  unterwiesen  haben,  ja  Sokrates 
erzählt  im  Menexenos  des  PlcUo^  dass  sie  die  von  ihrem  Freunde  gehaltene  Leichen- 
rede verfasst  habe  und  er  selbst  von  ihr  unterrichtet  sei.  Ungleich  verderblicher 
war  das  Beispiel  des  von  seinen  Landsleuten  so  bewunderten  und  geschmeichelten 
Alkibiades^  der  neben  seiner  Gattin  Hiparete  noch  mit  mehreren  Hetären,  nament- 
lich der  Theodota  und  BaMmandra^  lebte.  Von.  jetzt  an  finden  wir  immer  häufiger, 
wie  Staatsmänner  und  Feldherren,  Künstler  und  Philosophen  in  der  innigsten 
Beziehung  zu  jenen  geistreichen  und  gewandten  Buhlerinnen  standen,  und  wie 
diese  den  grössten  Einfluss  auf  die  Staa&verwaltung,  auf  die  Sitten,  auf  die  Kunst 
und  auf  die  Philosophie  ausübten.  Die  strengen  Ansichten  über  die  Ehen  schwanden 
immer  mehr.  Die  Mutter  des  Feldherm  Timoleon  scheute  sich  nicht,  in  das 
Verhältniss  einer  Hetäre  zu  Kanon  zu  treten,  und  das  Ansehen  einer  Hetäre  sank 
nicht  dadurch,  dass  Äbrotanon,  die  Mutter  des  ThemistoldeSy  sowie  OlympiaSy  die 
Mutter  des  Bion,  ebenfalls  dieser  Klasse  angehörten.  Ligisne  war  die  Geliebte 
des  Isokrates^  Metania  die  des  Lysias^  Lentis  die  des  StratoMes^  Neara  die  des 
Stephanus.  Hyperides  unterhielt  nicht  nur  die  renommirte  Fhryne^  sondern  noch 
eine  Hetäre  im  Piräus  und  eine  andere  in  Eleusis  für  den  Fall,  dass  er  jene 
Orte  besuchte.  Unter  den  Philosophen  suchten  nicht  nur  die  Cyrenaiker  und  die 
dem  Sinnesgenusse  huldigenden  Epikuräer  sich  durch  eine  solches  Liebesverhältniss 
den  Sorgen  und  Opfern  der  Ehe  zu  entziehen,  sondern  selbst  die  Ernsten  und 
Würdigen.  Die  Geschichte  nennt  nicht  nur  die  Banae  als  Geliebte  des  Epikur, 
die,  praktisch  der  Lehre  ihres  Meisters  huldigend,  sich  zum  Gemeingut  sämmt- 
licher  Epikuräer  machte,  die  Nikarete  als  Geliebte  des  Stüpo^  die  Mania  als  die 
des  Leontikos  und  ÄntenoTj  sondern  auch  die  Ärchäanassa  als  Hetäre  des  Plato 
und  HerpyUis  als  Hetäre  des  Aristoteles,  welcher  sie,  nachdem  sie  ihm  den  Niko- 
machetos  geboren,  in  seinem  Testamente  bedachte.  Hielt  es  doch  der  weise 
Sokrates  nicht  unter  seiner  Würde,  der  Theodota  einen  Besuch  abzustatten,  in  der 
Absicht,  ihre  Schönheit  kennen  zu  lernen. 

Die  Künste  standen  mit  dem  Hetärenthum  in  naher  Beziehung.  Die  bei 
dem  Feste  in  Eleusis  und  dem  des  Poseidon  vor  den  Augen  des  versammelten 
Griechenlands  nackt  dem  Meere  entsteigende  Phryne  wählte  AppeUes  zum 
Muster  der  Änadyomene,  die  den  späteren  Künstlern  das  Modell  der  Aphrodite 
gab.  Derselben  Phryne  setzt  die  Meisterhand  des  Praxiteles  in  Thespiae  eine 
Bildsäule  neben  der  der  Göttin  der  Schönheit,  und  kein  Grieche  nahm  Änstoss 
daran,  dass  sie  sich  selbst  eine  goldene  Statue  zur  Seite  derjenigen  des  Philipp 
von  Macedonien  setzte.  SophoUes  vermachte  der  Archippe  mit  Uebergehung 
seiner  früheren  Geliebten  Theoris  sein  Vermögen,  und  die  Hetären  Anteia^  Iso- 
stctsion,  KorinnUy  KlepsydrOj  Phonion  und  Thalatta  gaben  den  Comödien  des 
EuritoSj  des  Alexis,  Perekrtxtes,  Eubulos  und  Menander  ihren  Namen.  Während 
Einige  sich  mit  den  philosophischen  Studien  beschäftigten,  die  Theis  sich  dessen 
rühmt  und  die  Lasthenia  als  Schülerin  Piatos  galt,  versuchten  sich  andere  in  der 
Literatur.  So  erlangte  die  Leontion  bei  ihrem  Auftreten  gegen  Theophrast  den 
Ruhm  einer  attischen  Diction  und  besonderer  Grazie  im  Stil,  wogegen  sich  die 
Gnathaena  nebst  ihrer  Nichte  Gnathanion^  die  Lamia  und  Mania  durch  Humor 
und  Witz,  freilich  vorzugsweise  in  mehr  cynischer  Art  bekannt  machten. 

Selbst  mit  der  Religion  war  das  Hetärenthum  innig  verbunden.  Wenn  die 
Bürger  Korinths  sich  in  Gebeten  an  die  Aphrodite  wendeten,  so  nahm  man 
möglichst  viele  Hetären  zur  Procession,  und  Privatpersonen  gelobten  nicht  selten, 
eine  bestimmte  Zahl  derselben  der  Göttin  zuzuf&hren.  Ja  einzelnen  wurden  Statuen 
und  Altäre  errichtet,  so  der  Leäna  zu  Athen,  und  der  Lamia  zu  Athen  und  ' 
Theben. 


448  LXYII.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  GaltnrvOlkern. 

Das  glänzende  Loos  vieler  Hetären  musste  eine  grosse  Menge  junger  Mädchen 
auf  dieselben  Bahnen  locken,  und  da  sie  einsahen,  wie  nur  die  vollkommenste 
£ntwickelung  aller  körperlichen  Reize  und  geistigen  Vorzüge  sie  dem  gewünschten 
Ziele  zuführte,  so  suchten  sie  den  Unterricht  der  älteren,  welche  sich  vom  Ge- 
schäfte zurüc^ezogen,  und  die  um  so  williger  die  Hand  dazu  boten,  als  ihnen 
diese  den  früheren  Einfluss  und  ihr  altes  Ansehen  sicherten.  So  richtete  schon 
Aspasia  eine  Hetärenschule  ein,  die  auch  später,  wie  wir  aus  einer  Rede  des 
Demosthenes  gegen  die  Neare  erfahren,  fortbestand,  und  deren  Besuch  auch  die 
freigeborenen  Mädchen  und  Frauen  nicht  verschmähten,  um  dort  zu  lernen,  was 
den  Männern  zu  gefallen  und  ihre  Liebe  zu  fesseln  vermag. 

Wie  hat  sich  die  Stellung  des  Weibes  seit  jener  Zeit  geändert!  In  dieser 
Beziehung  sagt  Ebers  sehr  richtig: 

,Die  in  der  Wirthschaft  herrschende,  Kinder  nährende,  Sieche  pflegende  Gattin  des 
griechischen  Bürgers  ist  fär  uns  zur  Hansehre  geworden,  und  sie  möge  sorgend  und  die 
schwersten  Pflichten  erfüllend  fortfahren,  in  unserer  Familie  liebeyoU  und  im  kleinen  Kreise 
gebietend  zu  walten.  Aber  wir  wollen  sie  nicht  allein;  vielmehr  soll  in  ihrer  Person  uns 
auch  das  mit  allen  Reizen  des  Geistes  und  Körpers  geschmückte  Weib,  Hir  welches  Eros 
unser  Herz  entzündete,  an  den  heimischen  Herd  folgen,  und  es  wird  dort,  auch  wenn  wir 
weit  entfernt  sind,  einem  Perikks  zu  gleichen,  das  fdr  uns  Männer  sein  können  und  sein  — 
bis  zum  Tode  — ,  was  Aspasia  diesem  gewesen.  Gattin  und  Geliebte  sind  Eins  für  uns  ge> 
worden;  Alles  was  Sokrates  der  Hetäre  Theodote  rieth,  verlangen  wir  von  unseren  Frauen  und 
wird  uns  in  der  That  von  ihnen  gewährt." 


425.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  im  alten  Born. 

Die  romi sehen  Weiber  waren  besser  daran,  als  ihre  Oeschlechtsgenossinnen 
in  Attika;  schon  in  den  frühesten  Zeiten  trat  nach  Bader  ihr  Einfluss  im 
Familienleben  und  in  der  Gesellschaft  deutlich  hervor.  Als  Erinnerung  an  den 
Raub  der  Sabinerinnen  stiftete  Romidus  die  Matronalien,  das  „Weiberfest',  und 
er  befreite  die  Frauen,  mit  Ausnahme  der  Wollarbeit,  von  allem  Hausdienst. 
Ausserdem  musste  jeder  den  Matronen  beim  Begegnen  auf  der  Strasse  hoflichst 
Platz  machen;  wer  sie  durch  freche  Beden  oder  Handlungen  verletzte,  kam  vor 
den  Blutrichter,  und  wer  seine  Frau  verstiess,  musste  ihr,  wenn  er  es  nicht  der 
Giftmischerei  oder  des  Ehebruchs  wegen  that,  die  Hälfte  des  Yermögens  geben. 
Auch  später  wurden  den  Frauen  Ehrenrechte  zu  Theil,  sie  durften  Purpurgewänder 
und  Goldbesatz  tragen,  innerhalb  der  Stadt  auf  Wagen  fahren  u.  s.  w.  Man 
feierte  die  Thaten  von  Heroinen  (z.  B.  der  Clölia),  Keusche  Jungfrauen  hüteten 
das  heilige  Feuer  auf  dem  Staatsherd  der  Vesta.  Der  gebildete  Römer  zollte 
dem  weiblichen  Geschlecht  nicht  geringe  Achtung;  Seneca  schrieb: 

„Wer  kann  wohl  sagen,  dass  die  Natnr  stiefmütterlich  mit  den  weiblichen  Anlagen 
umgegangen  sei  und  die.  Tugenden  des  Geschlechts  auf  enge  Grenzen  beschränkt  habe?' 

Die  Frauen  Roms  übten  sogar  einen  nicht  geringen  Einfluss  auf  die  Gesetz- 
gebung aus,  soweit  dieselbe  ihre  schon  erworbenen  Rechte  betraf.  Als  im  Jahre 
195  V.  Chr.  darüber  verhandelt  wurde,  dass  den  Frauen  das  ihnen  vor  20  Jahren 
in  der  Noth  des  punischen  Krieges  entzogene  Recht,  Purpurgewänder  zu 
tragen  und  in  Wagen  zu  fahren,  wieder  gewährt  werden  sollte,  rotteten  sich  die 
Weiber  in  einem  grossen  Anlauf  auf  dem  Forum  zusammen  und  bestimmten  die 
Tribunen,  dass  sie  in  einem  ihnen  günstigen  Sinne  abstimmen  mussten.  Zu  jener 
Zeit  äusserte  der  Gonsul  Forcius  Cato  in  einer  dieses  Benehmen  heftig  tadelnden  Rede: 

»Alle  Männer  herrschen  über  ihre  Weiber,  wir  herrschen  über  alle  Menschen,  über  uns 
aber  unsere  Weiber!* 

, Dieses  Heraustreten  aus  dem  Bereiche  weiblicher  Zurückgezogenheit  und  Sittsamkeit, " 
sagt  Oöll,  «war  natürlich  nur  möglich,  als  die  strengen  rechtlichen  Bestimmungen  über 
die  römische  Ehe  sich  gelockert  hatten.  Denn  wie  fast  bei  allen  Stämmen  des  alten 
Italiens  erhielt  ursprünglich   der  Mann   in   der   gesetzmässigen  £he   dieselbe  Gewalt  über 


425.  Die  sociale  Stellang  des  Weibes  im  alten  Rom.  449 

seine  Frau,  die  vorher  der  Vater  über  sie,  als  seine  Tocher,  besessen  hatte.  Sie  war  ihm 
zum  Gehorsam  verpflichtet,  brachte  ihm  die  Mitgift  und  was  sie  sonst  besass,  als  sein 
Eigenthum  zu,  und  stand  natürlich  in  allen  civilrechtlichen  Verhältnissen  unter  seiner  Vor- 
mundschaft.* 

Von  Anfang  an  war  es  in  Rom  Sitte*,  das  Mädchen  nach  kaum  zurück- 
gelegtem 12.  oder  13.  Lebensjahre  zu  vermählen;  verlobt  war  sie  vielleicht  schon 
früher.  Wenn  auch  rechtlich  ihre  Einwilligung  nöthig  war,  so  kam  ihr  doch 
thatsächlich  ein  entscheidendes  Wort  nicht  zu;  dies  verbot  schon  ihre  Jugend. 
Die  Eingehung  der  Ehe  war  überhaupt  oft  nur  eine  Sache  der  Convenienz  zwischen 
zwei  Familien;  Liebe  und  personliche  Zuneigung  blieben  ausser  Betracht.  Auch 
die  Verlobung  brachte  die  künftigen  Ehegatten  einander  nicht  näher.  In  früherer 
Zeit  war  eine  Eheschliessung  religiöser  Art  in  Uebung  gewesen,  bei  welcher  Ober- 
priester Opfer  darbrachten  und  darauf  Opferkuchen  zwischen  Braut  und  Bräutigam 
theilten.  Allein  dieser  Brauch  war  mit  der  Zeit  abgekommen  und  an  seine  Stelle 
der  einfache  Rechtsact  getreten,  bei  welchem  allerdings  äusserer  Festschmuck, 
Schmaus  und  sonstiger  Luxus  nicht  fehlten. 

Die  verheirathete  Frau  stand  dem  Hauswesen  vor,  und  als  Symbol  dieser 
Herrschaft  erhielt  sie  sogleich  bei  der  Hochzeit  die  Schlüssel,  die  ihr  bei  der 
Scheidung  abgefordert  wurden.  Sie  war  nicht  im  Frauengemach  eingeschlossen 
wie  die  Griechin,  sondern  sie  nahm  an  dem  ganzen  häuslichen  Treiben,  den 
Mahlzeiten  und  den  Unterhaltungen  des  Mannes  Theil,  empfing  Besuche  und  wurde 
von  allen  Gliedern  des  Hauses  sowie  vom  Gemahl  „  Herrin '^  (domina)  titulirt. 

Da  die  Frauen  die  selbständige  Verwaltung  ihres  Vermögens  erhalten  hatten, 
so  hielten  sich  manche,  die  begütert  waren,  eigene  Verwalter,  Procuratoren ,  die 
in  allen  Angelegenheiten  ihre  vertrauten  Rathgeber  wurden.  In  vornehmen 
Häusern  waren  Hunderte  von  Sclaven  des  Winkes  ihrer  Herrin  gewärtig.  Die 
Autoren  rügen  die  in  diesen  Schichten  der  Gesellschaft  herrschende  Trägheit  der 
Frauen,  ihre  läppischen  Liebhabereien,  sowie  ihre  Putzsucht  Nicht  wenige  von 
diesen  aber  gelangten  in  den  Besitz  einer  höheren  Bildung,  die  sich  auch  auf  die 
Bekanntschaft  mit  der  griechischen  Literatur  und  auf  die  Musik  ausdehnte. 
Ovid  bemerkt,  dass  auch  die  nicht  gelehrten  Mädchen  als  gelehrt  gelten  wollten; 
es  gehörte  ja  die  Unterhaltung  in  griechischer  Sprache  zum  guten  Ton. 

Als  die  griechische  Cultur  in  das  römische  Reich  einzudringen  begann, 
nahmen  die  Frauen  hieran  den  hervorragendsten  Antheil.  Eine  im  Alterthum 
besonders  auffallende  und  eigenthümliche  Erscheinung  sind  die  geistreichen  Frauen- 
zirkel, welche  zur  Zeit  der  Scipionen  der  Mittelpunkt  des  höheren  Lebens  in  Rom 
waren.  An  die  Stelle  der  alten  beschränkten  Hausmoral  und  der  Religion  der 
altgläubigen  Vorwelt  trat  das  freie  Wesen  und  Denken  einer  emancipirten  Frauen- 
welt. Mit  Schönheit  und  dem  Besitze  alles  dessen  ausgestattet,  was  damals  Geist 
und  feine  Bildung  hiess,  traten  die  Frauen  selbständig  aus  dem  engen  Frauen- 
gemache heraus;  sie  erschienen  in  den  Salons  der  Männer  und  wurden  hier  mit 
etwa  eben  der  Anerkennung,  ja  Auszeichnung  empfangen,  wie  wir  in  diesen  Tagen 
gefeierte  Schauspielerinnen,  Sängerinnen  und  Tänzerinnen  in  den  höchsten  und 
gebildetsten  Girkeln  nicht  nur  geduldet,  sondern  geflissentlich  umworben  sehen; 
nur  mit  dem  von  einem  Kenner  des  klassischen  Volkes  hervorgehobenen  Unter- 
schiede, dass  die  antike  Welt  sich  in  solchen  Verhältnissen  mit  ungleich  grösserer 
Unbefangenheit  und  Wahrheit  bewegte,  als  unsere  heutige.  In  derartigen  Kreisen 
sehen  wir  denn  auch  die  erotischen  Dichter  Roms  von  Catull  bis  Ovid  sich  be- 
wegen, und  Cattdl  die  Lesbia,  Tibuü  die  Delia  und  die  Nemesis^  Propere  die 
Cynthia,  Horaz  die  Lydia  oder  die  LcUage^  Ovid  endlich  die  Corinna  feiern. 

Da  begannen  denn  auch  die  Damen  Roms,  sich  in  die  Politik  zu  mischen; 
sie  erschienen  in  den  Glub-Berathungen  und  betheiligten  sich  an  dem  ränkevollen 
Parteitreiben  in  jeder  Weise.  Häufig  genug  waren  Frauen,  wie  Ftdvia,  die,  statt 
sich   um  das  Hauswesen  zu  bekümmern,  über  die  Mächtigsten  herrschen  wollten, 

Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    II.  29 


450  LXVII.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  alten  Culturvölkem, 

um  durch  diese  zu  regieren.  Unter  solchen  Umständen  nahm  dann  die  Ehe- 
losigkeit in  Rom  mehr  und  mehr  überhand.  Ueberhaupt  bildet  diese  Zeit  ein 
Bild  tiefster  sittlicher  Fäulniss,  wie  sie  etwa  nur  das  siebzehnte  und  achtzehnte 
Jahrhundert  der  modernen  Zeit  aufzuweisen  hat.  Unerlaubte  Verhältnisse  waren 
selbst  in  den  höchsten  Familien  etWas  so  häufiges,  dass  man  kaum  noch  davon 
redete.  Der  Sammelplatz  der  vornehmen  Welt  wurden  die  Bäder  von  Bajae  und 
Puteoli,  wo  man  aUe  die  daheim  durch  die  Sitte  noch  immer  gebotenen  Fesseln 
abwarf,  und  wo  bei  Tanz,  Spiel  und  Völlerei  jeder  Art  die  Römer  sich  einer 
ausgesuchten  Genusssucht  hingaben.  So  nahm  jene  ungeheure  Sittenlosigkeit  über- 
hand, wie  sie  in  solchem  Grade  und  Umfang  die  Welt  kaum  je  wieder  gesehen; 
die  Emancipation  der  Weiber  war  in  den  höheren  Kreisen  ausgesprochen,  und 
das  einzige  Lebensziel  derselben  war  der  Genuss. 

Schliesslich  wurde  in  späteren  Zeiten  der  Verkehr  der  Frauen  ausser  dem 
Hause  ein  fast  unbeschränkter;  der  CSirkus,  das  Theater,  das  Amphitheater  standen 
ihnen  offen.  Die  Folge  dieser  Zustände  war  die  verbreitetste,  tiefste  Zerrüttung 
des  häuslichen  Lebens;  leichtfertige  Ehescheidungen  waren  an  der  Tagesordnung. 

Neben  diesen  fast  aufgelösten  häuslichen  Verhältnissen  wucherte  in  Rom 
ein  Prostitutionswesen  empor,  welches  die  moralische  Versunkenheit  der  weib- 
lichen Bevölkerung  charakterisirt  und  oft  genug  besprochen  worden  ist  {Jeannd^ 
Dufour  etc.),  so  dass  es  hier  nicht  nöthig  ist,  ausführlicher  darauf  einzugehen. 


LXVIII.  Der  Einfluss  der  religiösen  Bekenntnisse  auf  die 
sociale  Stellung  des  Weibes. 

426.  Das  Weib  im  Islam. 

Ueber  die  Stellung  der  Frau  bei  den  Arabern  haben  wir  früher  bereits 
Mittheilungen  gemacht.  Hauri  hat  zu  erforschen  versucht,  wie  sie  sich  früher 
gestaltete.  Die  Frau  wurde  in  Medina  fast  wie  eine  Sclavin  gehalten,  mit  7  bis 
10  Oenossinnen  hatte  sie  die  Zuneigung  ihres  Mannes  zu  theilen.  Vom  Erbrecht 
war  sie  gänzlich  ausgeschlossen;  dagegen  ging  sie  selber  oft  in  den  Besitz  des 
Stiefsohnes  über.  Solche  Heirathen  sind  dann  später  als  „hassenswerth"  bezeichnet 
worden.  Dass  ein  Mann  zwei  Schwestern  freite,  war  keine  seltene  Erscheinung; 
auch  die  ,  Genuss-Ehen  *",  die  auf  bestimmte  Zeit  gegen  Bezahlung  geschlossen 
wurden,  waren  sehr  verbreitet.  Aermere  Araber  überliessen  ihre  Frauen  gegen 
Bezahlung  anderen  Männern,  und  bei  manchen  Stämmen  pflegte  man  den  Gast 
dadurch  zu  ehren,  dass  man  ihm  die  Frau  oder  die  Tochter  überliess. 

Mohamed  ist  bestrebt  gewesen,  die  Lage  der  Weiber  zu  verbessern.  Er 
soll  gesagt  haben: 

«Behandle  das  Weib  mit  Rücksicht;  denn  sie  ist  aus  einer  gekrümmten  Rippe  gebildet, 
und  das  beste  an  ihr  trägt  die  Spuren  der  gekrümmten  Rippe.  Wenn  du  sie  gerade  zu 
biegen  suchst,  wird  sie  brechen;  wenn  du  sie  lässt  wie  sie  ist,  wird  sie  fortfahren  gekrümmt 
zu  sein.  Behandle  das  Weib  mit  Rücksicht!*  In  der  letzten  Predigt  soll  er  gesagt  haben: 
«Ihr  habt  Rechtsansprüche  auf  eure  Weiber  und  sie  haben  Rechtsansprüche  auf  euch.  Sie 
sind  verpflichtet,  ihre  eheliche  Treue  nicht  zu  verletzen,  noch  eine  Handlung  von  offenbarem 
Unrecht  zu  begehen.  Thun  sie  dergleichen,  so  habt  ihr  die  Macht,  sie  mit  Peitschen  zu 
schlagen,  aber  nicht  streng  (d.  h.  nicht  so,  dass  ihr  Leben  gefährdet  wird).  Doch  wenn 
sie  davon  ablassen,  so  kleidet  und  nährt  sie,  wie  es  sich  geziemt.  Behandelt  eure  Frauen 
wohl,  denn  sie  sind  bei  euch  wie  Gefangene;  sie  haben  nicht  Macht  über  irgend  etwas,  was 
sie  angeht.  ** 

Der  Prophet  blieb  aber  nicht  bei  allgemeinen  Ermahnungen  stehen,  sondern 
er  suchte  durch  bestimmte  Gesetze  dem  Weibe  eine  feste  rechtliche  Stellung  zu 
geben.  Er  beschrankte  die  Zahl  der  rechtmässigen  Gattinnen  auf  vier  und  ge- 
stattete auch  so  viele  nur  dem  Manne,  der  im  Stande  war,  seinen  Frauen  einen 
gewissen  Comfort  zu  gewähren.  Eheliche  Treue  und  durchaus  gleichmässige  Be- 
handlung der  Frauen  machte  er  dem  Manne  zur  Pflicht.  Eine  mündige  Frau  darf 
zur  Heirath  nicht  gezwungen  werden.  Bei  der  Hochzeit  muss  der  Mann  seiner 
Frau  ein  gewisses  Heiratl^gut  zusichern,  das  bei  der  Scheidung  ihr  Eigenthum 
bleibt;  auch  kann  sie  gewisse  Bedingungen  stellen,  z.  B.  dass  der  Mann  keine 
zweite  Frau  nehmen  darf.  Das  Weib  kann  nicht  geerbt  werden,  sondern  wird 
selbst  erbberechtigt.    Die  Heirath  innerhalb  gewisser  Verwandtschaftsgrade  wird 

29* 


452     LXVIII.  Der  Einfluss  der  religiösen  Bekenntnisse  auf  die  sociale  Stellung  des  Weibes. 

verboten ;  die  Bestimmungen  hierüber  treffen  im  Wesentlichen  mit  den  mosaischen 
überein.  Zwei  Schwestern  zu  heirathen,  ist  nicht  gestattet ;  auch  nicht  ein  Mäd- 
chen, mit  dessen  Mutter  man  in  geschlechtlichen  Beziehungen  gestanden  hat. 

Die  grosse  Leichtigkeit,  mit  welcher  bei  den  Mohamedanem  eine  Ehe- 
scheidung vorgenommen  werden   kann,  haben   wir  schon   früher  kennen  gelernt. 

Nicht  weniger  verderblich  als  die  Scheidungsgesetze  haben  die  Vorschriften 
des  Koran  über  die  Verhüllung  der  Frauen  gewirkt.  Ein  Mann  darf  nur  seine 
eigenen  Weiber  und  Sclavinnen  unverschleiert  sehen  und  solche  Frauen,  welche 
er  wegen  zu  naher  Verwandtschaft  nicht  heirathen  darf  (Sure  24  und  83).  Das 
Weib  ist  durch  diese  Bestimmungen  von  allem  geselligen  Verkehre  und  von  der 
Theilnahme  an  allen  geistigen  Interessen  ausgeschlossen.  Mohamed  wollte  die 
Frauen  nicht  den  mancherlei  Versuchungen  aussetzen;  doch  den  tiefsten  Grund 
für  die  Haremsgesetze  haben  wir  in  dem  Misstrauen  und  der  Eifersucht  des 
Propheten  zu  suchen.  Er  traute  dem  Weibe  wenig  Outes  zu,  namentlich  in  Be- 
zug auf  die  eheliche  Treue. 

So  hat  es  Mohamed  nicht  verstanden,  das  Weib  auf  die  Höhe  zu  heben, 
die  ihm  gebührt,  und  auch  die  Beschrankung  der  Zahl  der  rechtmässigen  Frauen 
auf  vier  verliert  ihre  Bedeutung  dadurch  fast  gänzlich,  dass  dem  Manne  der  Um- 
gang mit  einer  unbeschränkten  Zahl  von  Sclavinnen  gestattet  ist.  Die  Vielweiberei 
und  die  Knechtung  des  Weibes  ist  somit  in  ihrem  vollen  Umfange  aufrecht  er- 
halten, und  dadurch  sind  die  verderblichsten  Folgen  für  das  häusliche,  das  sociale 
und  sogar  für  das  politische  Leben  unausbleiblich  geworden.     (Pischon,) 

Im  Koran  wird  das  Weib  für  ein  unvollkommenes  Geschöpf  erklärt, 
welches  nur  f&r  sein  Aeusseres  und  seinen  Schmuck  lebt;  stets  bereit,  ohne  jeg- 
lichen Grund  sich  zu  streiten  und  zu  zanken;  das  man  mit  Güte  behandeln,  aber 
bei  Gelegenheit  züchtigen  muss. 

Nach  der  Angabe  Einiger  wird  der  Frau  sogar  die  Seele  abgesprochen  und 
die  Freuden  des  Paradieses  sollen  für  sie  nicht  erschaffen  sein.  Redhouse  ist  be- 
müht gewesen,  dieser  Ansicht  entgegenzutreten.  Er  weist  im  Koran  Stellen 
nach,  welche  den  Frauen  ausdrücklich  die  Freuden  des  Himmels  versprechen  oder 
die  Qualen  der  Hölle  androhen.    So  heisst  es  in  Kap.  XLYIII,  und  6: 

,Möge  er  die  Bekenner  und  Bekennerinnen  in  Paradiese  gelangen  lassen,  welche  Flüsse 
durchströmen,  dass  sie  darin  wohnen  ewiglich.  Möge  er  die  Heuchler  und  Heuchlerinnen  be- 
strafen und  die  Polytheisten  und  Polytheistinnen ,  die  Böses  gegen  Gott  im  Sinne  haben!" 

Schon  Noah  und  Abraham  beteten  nach  dem  Koran  für  „Vater  und  Mutter ** 
und  alle  Gläubigen,  auch  die  Weiber  müssen  taglich  fünfmal  um  Vergebung  ihrer 
Sünden  und  derer  von  Vater  und  Mutter  beten. 

Auch  über  die  Polygamie  der  Mohamedaner  herrschen  bei  uns  sehr  falsche 
Begriffe,     v.  Warsberg  sagt  in  dieser  Hinsicht: 

,In  den  meisten  Häusern  leben  nicht  mehr  als  2  bis  5  Personen;  denn  der  Glaube, 
dass  jeder  Türke  ein  ganzes  Balletcorps  Inftzufächelnder  Sclavinnen  um  sich  versammelt 
hält,  ist  eine  von  den  vielen  Fabeln,  die  man  dem  leichtgläubigen  Europa  aufgebunden  hat. 
Um  nur  eine  Sclavin  im  Hause  halten  zu  können,  muss  der  Mann  wohlhabend  sein;  den 
meisten  ist  ebenso  wie  bei  uns  ihr  einziges  Weib  zugleich  Gattin,  Köchin,  Dienerin  und,  was 
nicht  das  Seltenste  ist,  Herrin.  Denn  auch  dies  ist  eine  Fabel,  was  wir  von  der  imtergeord- 
neten,  leidenden  Stellung  der  türkischen  Frau  glauben.  Wo  ist  das  Glied  des  weiblichen 
Geschlechts,  das  sich  auf  die  Dauer  und  in  der  Hauptsache  das  Regiment  im  Hause  aus  der 
Hand  nehmen  liesse?  und  nun  gar  erst  ein  ganzes  Volk  von  Weibern,  das  sich  solcher 
Knechtschaft  unterwürfe!  Mehr  wird  das  Weib  im  Orient  nie  werden,  wie  seine  dortige 
Jahrtausende  alte  Geschichte  beweist.  Geknechtet,  unglücklich  ist  sie  darum  nicht,  ja  ihre 
Rechte  gehen  in  Manchem  weiter  als  die  der  europäischen  Frau;  jedenfalls  thun  das 
die  Rücksichten,  welche  der  Msuin  ihr  erweist.  Zu  fragen,  wenn  er  sie  nicht  zu  Hause  findet, 
wo  sie  hingegangen,  oder  in  den  Harem  einzutreten,  wenn  er  Schuhe  vor  der  Thüre  sieht, 
und  also  Gäste  darin  weiss,  wäre  eine  Beleidigung  so  ausser  aller  Art,  dass  sie  auch  den 
Thäter  entehren  würde." 


426.  Das  Weib  im  Islam.  453 

Man  glaubt,  wie  gesagt,  in  der  Regel,  dass  fast  jeder  Türke  von  einer 
grossen  Anzahl  von  Frauen  umgeben  sei  und  jeder  derselben  glühe  für  das  ihm 
vom  Koran  gegebene  Recht  der  Vielweiberei.  Allein  die  meisten  verheiratheten 
Manner  haben  nur  eine  Frau;  man  betrachtet  eine  zweite  zu  nehmen  für  ein 
Leid,  das  man  der  ersten  anthut;  man  hält  die  Monogamie  um  des  Friedens  und 
des  Auskommens  willen  für  rathlicher.  Schon  der  Sittenlehrer  Soliman  meint, 
dass  der  Koran  selbst  die  Vielweiberei  so  einschränke  und  an  solche  Bedingungen 
knüpfe,  dass  richtig  erwogen  in  den  Worten  desselben  ein  Verbot,  die  Zahl  der 
Frauen  zu  vermehren,  enthalten  sei. 

Die  Osmanli  in  Anatolien  bürden  der  Frau  auch  die  Feldarbeit  auf. 
Eine  schwarze  Rosshaarmaske  und  der  blauweiss  carrirte  Mantel  verbirgt  sie  den 
Blicken  Neugieriger.  Niemals  wird  sie  im  Gespräche  erwähnt,  denn  von  den 
Frauen  spricht  man  nicht,  worin  vielleicht  ebensoviel  Heilighaltung  wie  Ver- 
achtung liegt. 

,So  sehr  beiden  Lesghiern  in  Daghestan  (Kaukasus)  die  Frau  gedrückt  und  be- 
lastet ist  in  und  ausser  dem  Hause,  so  sehr  sie  als  ein  Lastthier  gelten  kann  und  versteckt 
gehalten  wird,  so  ist  doch  ihr  Einfluss  im  Hause  nicht  unwesentlich.  Wehe  dem,  der  sich 
irgend  einer  Frau,  auch  einem  M&dchen  gegenüber  irgend  etwas  erlaubte,  sogar  in  Miene  und 
Blick,  er  würde  gesellschaftlich  verachtet  und  bei  gröberem  Verstoss  von  der  Gemeinde  be- 
straft und  verbannt  werden."    f^t?.  Erckert.J 

In  Persien  gehen  die  Mädchen  vom  neunten  Lebensjahre  an  nur  noch  ver- 
schleiert aus.  In  den  weniger  bemittelten  Familien  trachtet  man  danach,  sie 
schon  im  zehnten  oder  elften  Jahre  zu  verheirathen;  PolaJc  waren  sogar  Fälle 
bekannt,  wo  nach  erkauftem  Dispens  des  Priesters  die  Verheirathung  schon  im 
siebenten  Jahre  stattfand;  in  guten  Häusern  jedoch  werden  die  Töchter  erst  im 
Alter  von  12  oder  13  Jahren  ausgestattet.  Ein  wohlgestaltetes  Mädchen  gilt 
seinen  Eltern  als  lebendiges  Capital,  denn  der  Kaufpreis  erreicht  bisweilen  die 
Höhe  von  500  Ducaten.  Häufig  werden  Kinder  schon  in  der  Wiege  verlobt. 
Als  Regel  gelten  Heirathen  innerhalb  desselben  Stammes;  ein  Nomaden-Mädchen 
verschmäht  die  glänzendsten  Anträge  von  Städtern;  sie  heirathet  nur  in  ihrem 
Tribus.  Der  Begriff  von  Liebe,  den  wir  haben,  existirt,  wie  im  ganzen  Orient, 
so  auch  in  Persien  nicht.  Die  Ehe  ist  entweder  auf  die  Dauer  verbindlich  und 
entspricht  ganz  der  unsrigen,  oder  sie  ist  nur  auf  eine  vertragsmässige  Zeit  gültig: 
in  letzterem  Falle  ist  das  Weib  (Sighe)  seinem  Eigner  als  Sclavin  gehörig,  doch 
sind  die  mit  ihm  erzeugten  Kinder  gesetzlich  anerkannt;  auch  hört  die  Frau  mit 
dem  Augenblicke  ihrer  Niederkunft  auf,  Sclavin  zu  sein.  Der  Perser,  der  oft 
reist,  kann  in  jeder  Station  eine  Sighe  heirathen.  Die  persischen  Grossen  haben 
oft  gegen  vierzig  oder  mehr  Weiber;  in  den  Städten  heirathen  nur  Chane  und 
Bedienstete  drei  bis  vier  Frauen,  der  Handel-  und  Gewerbestand  lebt  meist  in 
Monogamie,  die  bei  den  Nomadenstämmen  vollends  die  Regel  ist. 

Das  persische  Weib  darf  nur  vor  ihrem  Manne  und  einigen  nächsten 
Verwandten  unverschleiert  erscheinen ;  löst  sich  auf  der  Gasse  zufallig  der  Schleier, 
so  gebietet  die  Sitte,  dass  der  ihr  Begegnende  sich  abwende,  bis  sie  ihn  wieder 
befestigt  hat;  nur  die  Nomaden weiber  tragen  das  Gesicht  frei,  vermeiden  es  aber, 
sich  von  Fremden  anschauen  zu  lassen.  Zum  Aufenthalt  der  Weiber  dient  das 
innere  Gemach,  der  Harent,  zu  welchem  bekanntlich  jedem  Fremden  der  Zutritt 
versagt  ist.  Sind  mehrere  Frauen  im  Hause,  so  bewohnt  jede  eine  besondere 
Abtheilung;  im  Hause  der  Reichen  hat  jede  auch  ihre  besondere  Bedienung. 
Stets  eine  böse  Absicht  fürchtend,  berührt  keine  Frau  die  Kost  ihrer  Neben- 
buhlerin. In  Gesellschaft  spricht  ein  Perser  nie  von  seinen  Frauen.  Der  Titel 
einer  Frau  von  Rang  ist  chanum,  von  niederem  Rang  begum  oder  badschi 
(Schwester),  vom  niedrigsten  saife  (die  Schwache).  Die  Beschäftigung  der  Frauen 
ist  verschieden,  je  nach  Stadt  und  Land.  Im  Ausgehen  geniesst  die  Perserin 
viel   Freiheit.    Von   Seiten    des  Mannes   er&eut   sie   sich   im  Allgemeinen   einer 


454      LXVIII.  Der  Einfluss  der  religiösen  Bekenntnisse  auf  die  sociale  Stellung  des  Weibes. 

guten  Behandlung;  körperliche  Züchtigungen  sind  fast  unerhört.  Trotz  ihrer  Ab- 
geschiedenheit übt  das  weibliche  Geschlecht  £inäu88  auf  alle  Geschäfte  aus;  die 
Frau  eines  Gouverneurs  oder  Yeziers  mischt  sich  sogar  in  politische  Angelegen- 
heiten. Im  Hause  nimmt  meist  diejenige  Frau,  welche  aus  der  Yerwandtschafk 
ist,  den  obersten  Rang  ein;  sie  führt  das  Hauswesen,  bestimmt  selbst  das  jus 
noctis  und  übt  oft  eine  grosse  Autorität  über  die  anderen  Frauen  aus. 

In  Mekka  kann,  trotz  der  Leichtigkeit,  mit  welcher  eine  Ehe  zu  lösen  ist, 
die  als  Concubine  benutzte  Sclavin  nicht  wieder  verkauft  werden,  sobald  sie  dem 
Herrn  ein  Kind  geboren  hat.     (Snouck  Hurgronje.) 

Wie  in  der  Türkei,  so  wird  auch  in  Aegypten  das  weibliche  Geschlecht 
nicht  in  den  Schulen  unterrichtet.  Von  einer  Ausbildung  der  geistigen  Anlagen 
und  der  zarteren  Saiten  des  weiblichen  Gemüthes  ist  ebenso  wenig  die  Rede,  wie 
von  einer  Erziehung.  Auch  wird  das  Mädchen  ohne  Religion  gross;  Mohamed 
selbst  wollte  nicht,  dass  die  Frauen  sich  im  öffentlichen  Gotteshause  zeigen.  An 
die  Stelle  der  Religion,  sagt  Kayser^  ist  der  krasseste  Aberglaube  getreten. 
Letzterer  aber  hat  noch  nie  vermocht,  die  weiblichen  Anlagen  zu  Leidenschaft* 
lichkeit,  Sinnlichkeit,  Eifersucht  und  Intriguen  zu  zähmen,  und  so  wachsen  mit 
den  Mädchen  diese  verhängnissvollen  Schwächen,  nicht  gehemmt  durch  die  Religion 
oder  doch  wenigstens  durch  Geistesbildung,  üppig  wuchernd  mit  auf.  —  Dieses 
durch  die  Jugendzeit  des  Mädchens  grundlegende  Missverhältniss  in  der  Ehe  wird 
noch  verschärft  durch  die  Art  der  Eheschliessung.  In  Aegypten  geschieht  die 
Eheschliessung,  ohne  dass  der  Mann  vorher  seine  Erwählte  gesehen,  geschweige 
denn  kennen  gelernt  hat.  Man  bedient  sich  alter  Frauen,  welche  die  Heirath 
vermitteln.  In  sehr  vielen  Fällen  wird  das  Mädchen  bereits  als  kleines  Kind  ge* 
ehelicht  und  wächst  dann  erst  im  Harem  des  Mannes  heran.  Solche  noch  ganz 
kleine  Kinder  sieht  man  als  Bräute  im  Hochzeitszuge  einherführen.  Selbst  in  dem 
Falle,  dass  ein  solcher  Ehebund  monogamisch  bliebe,  wäre  eine  solche  Frau  ganz 
unfähig,  die  Yorsteherschaft  des  Hauses  oder  die  Kindererziehung  zu  leiten ;  ebenso 
wenig  könnte  sie  dem  Manne  mit  Rath  und  Fürsorge  zur  Seite  stehen,  seine 
Lebensgenossin  sein.  Das  ist  denn  auch  in  der  That  nicht  der  Fall.  In  den 
niederen  Volksklassen  und  auf  dem  Lande  ist  die  Frau  die  Dienerin  des  Mannes. 
Das  Weib  aus  dem  Volke  und  das  Fellah-Weib  arbeiten,  während  der  Mann 
raucht  und  plaudert.  Aber  auch  in  den  höheren  Kreisen  steht  die  Frau  that- 
sächlich  tief  unter  dem  Manne.  Nie  spricht  der  Mann  mit  ihr,  nie  erfährt  sie 
von  seinen  Geschäften  und  Sorgen.  Ja  selbst  im  Tode  ruht  sie  nicht  neben  ihrem 
Manne,  sondern  durch  eine  Mauer  von  ihm  getrennt. 

Virchow'^  fand  in  Aegypten  bei  dem  weiblichen  Geschlechte  die  Blut- 
armuth  sehr  verbreitet. 

pDazu  trägt  ausser  der  einseitigen  Nahrung  vorzugsweise  die  aus  dem  Islam  herüber- 
gekommene Absperrung  und  Verschleierung  der  Frauen  bei,  die  hier  und  da  etwas  gemildert 
ist,  aber  im  Ganzen  -doch  durch  ganz  Aegypten  und  Nubien  fortbesteht  und  schrecklicher 
Weise  von  den  christlichen  Kopten  nicht  nur  Übernommen,  sondern  sogar  noch  verschärft 
worden  ist.  Ich  sah  koptische  Damen  in  ihren  Frauengemächem ,  welche  nicht  einmal  zu 
den  gemeinschaftlichen  Mahlzeiten  heraus  kamen,  ja,  welchen  es  die  Sitte  versagte,  auf  die 
andere  Seite  der  Strasse  zu  gehen,  um  in  dem  herrlichen  Lustgarten,  der  sich  drüben  aus- 
breitete, Erfrischung  suchen  zu  dürfen." 


427.  Das  Weib  im  Christenthnme. 

Dem  Christenthnme  war  es  vorbehalten,  den  Frauen  eine  Stellung  einzu- 
räumen, wie  sie  bis  dahin  bei  keinem  anderen  Volke  erreicht  worden  war.  Schon 
in  den  ersten  Jahrhunderten  nach  Christi  Geburt  bringen  die  Schriftsteller  hierüber 
gelegentliche  Andeutungen,  welche  zeigen,  dass  das  Leben   der   christlichen  Frau 


427.  Das  Weib  im  Cbristenihume.  455 

von  ganz  neuem  Sinn  nnd  Geist  beseelt  war.  Wir  halten  uns  an  das  Bild, 
welches  der  Pfarrer  Winter  nach  den  Aeusserungen  jener  Autoren  entwirft. 

Es  war  das  einseitige  Vorwiegen  der  öffentlichen  staatlichen  Interessen  und 
die  damit  im  Zusammenhange  stehende  'Veränsserlichung  und  Verweltlichung  des 
Lebens,  unter  welcher  in  der  antiken  Welt  das  häusliche  Leben  litt  und  welche 
dem  Manne  einen  so  viel  höheren  Werth  als  dem  Weibe  yerliehen  hatte.  Da- 
gegen Uess  das  Christen thum  ganz  andere,  tiefer  liegende  und  weiter  reichende 
Gesichtspunkte  mit  aller  Energie  hervortreten,  es  lenkte  den  Blick  des  Menschen 
auf  sich  selbst,  auf  Gott,  es  lehrte  ihn  Einkehr  in  sich  selbst  halten  und  sich 
zuerst  und  zuletzt  in  seinem  Yerhaltniss  zu  Gott  erfassen  und  schätzen,  es  lehrte 
ihn,  dies  als  den  Mittel-  und  Höhepunkt  aller  sonstigen  Interessen  zu  betrachten 
und  gab  ihm  darin  den  Maassstab  ftir  die  rechte  Würdigung  derselben.  Da  er- 
gab sich  aber  sogleich  der  Grundsatz  der  wesentlichen  Gleichheit  und  gleichen 
Berechtigung  von  Mann  und  Weib. 

Wohl  war  dieser  Gedanke  bereits  von  der  Philosophie  ausgesprochen  worden; 
in  der  Weise  aber,  wie  ihn  das  Ghristenthum  verkündet  und  namentlich  praktisch 
verwerthet  und  durchgeführt  hat,  war  er  doch  eine  ganz  neue  Wahrheit.  Gott 
gegenüber  haben  etwaige  Prärogative  des  einen  Geschlechts  vor  dem  anderen 
keine  Geltung;  das  HeU  ist  nicht  dem  Manne  oder  dem  Weibe,  sondern  dem 
Menschen  im  Allgemeinen  zugesprochen,  und  der  Heilsweg  ist  für  beide  einer  und 
derselbe.  Derartige  Gedanken  sind  den  Kirchenvätern  geläufig  und  liegen,  wo 
sie  nicht  ausdrücklich  ausgesprochen  werden,  doch  ihren  Ausführungen  zu  Grunde. 
Man  kann  sich  denken,  welch  tiefen  Eindruck  diese  ebenso  schlichte  und  un- 
mittelbar verständliche  als  weitgreifende  Lehre  auf  die  Gemüther  der  Frauen  her- 
vorbringen musste. 

Aber  wie  erfuhr  durch  jene  Beziehung  auf  Gott  auch  die  ganze  Auffiassung 
und  Führung  der  Ehe  eine  so  heilsame  Veränderung!  Man  hat  mit  Recht  be- 
merkt, dass  das  häusliche  Leben  gerade  für  die  innerliche  Denkweise  des  Ghristen- 
thums  der  ganz  entsprechende,  der  ihm  selbst  verwandteste  Wirkungskreis  war. 
Schon  die  Eheschliessung  selbst  wurde  unter  die  Fürbitte  der  Gemeinde  und  den 
Segen  der  Kirche  gestellt,  sie  wurde  ein  gottesdienstlicher  Act.  Solche  Ehen, 
welche  von  Christen  ohne  die  kirchliche  Weihe  geschlossen  wurden,  galten  als 
sehr  makelhafte,  ja  fast  als  ungesetzliche  Verbindungen.  Die  Beziehung  auf  Gott 
und  das  Heil  der  Seele  sollte  aber  auch  die  ganze  Führung  der  Ehe  durchziehen: 
sie  gab  ihr  einen  ganz  neuen  Inhalt.  Es  war  vor  Allem  die  gemeinsame  Theil- 
nahme  am  Gottesdienst  der  Gemeinde,  sowie  das  gemeinsame  tägliche  Gebet, 
welches  das  Zusammenleben  der  Gatten  heiligte  und  ihm  die  Richtung  auf  die 
Ewigkeit  gab.  Sie  beten  zu  gleicher  Zeit,  rühmt  TertuUian,  sie  werfen  sich  zu- 
sammen nieder,  sie  halten  zu  gleicher  Zeit  Fasten,  sie  finden  in  gleicher  Weise 
sich  in  der  Kirche  Gottes,  in  gleicher  Weise  beim  Tisch  des  Herrn  ein.  Aus 
beider  Munde  ertönen  Psalmen  und  Hynmen,  und  sie  fordern  sich  gegenseitig  zum 
Wettstreite  heraus,  wer  wohl  am  besten  dem  Herrn  lobsingen  könne.  Das  ist 
eine  Schilderung,  welche  in  den  Bildwerken  der  Katakomben  ihre  Bestätigung 
findet.  Denn  hier  sehen  wir  die  Frau  dargestellt,  wie  sie  im  Kreise  der  Ihrigen 
aus  der  Schrift  vorliest  oder  betet  oder  dem  lesenden  Gatten  zuhört.  Auf  Schritt 
und  Tritt  begegnet  uns  in  jenen  altchristlichen  Grabstätten  das  Bild  der  Frau 
und  fast  immer  in  betender  Stellung,  zum  Beweise,  wie  sehr  die  Christin  ihren 
priesterlichen  Beruf  zu  üben  und  zu  wahren  wusste. 

Es  gilt  als  eine  der  edelsten  Anschauungen  des  Alt^rthums,  wenn  gesagt 
wird,  in  der  Ehe  sei  der  Mann  seiner  Gattin  Erzieher.  Im  christlichen  Hause 
waren  das  beide  für  einander  und  dienten  sich  gegenseitig  an  ihren  Seelen.  Nicht 
durfte  die  Frau  öffentlich,  vor  der  Gemeinde  lehrend  auftreten,  aber  um  so  häufiger 
findet  sich  der  Gedanke  ausgesprochen,  dass  sie  durch  ihren  stillen  aber  mächtigen 
Einfluss  auf  ihre  nächste  Umgebung,  ihre  Angehörigen,  einwirken,  dass  sie  durch 


456     LXVUI.  Der  Einfluss  der  religiösen  Bekenntnisse  auf  die  sociale  Stellung  des  Weibes. 

ihren  Wandel  predigen  und  insonderheit  ihren  Oatten,  wenn  dieser  noch  nicht  im 
Glauben  steht,  gewinnen  soll.  Aber  nicht  in  diesem  wesentlichsten  Stücke  nar, 
Ehegatten  sollten  einander  nach  allen  Seiten  hin  za  immer  völligerer  Heiligung 
des  Lebens  behülflich  sein,  ein  Jedes  auf  seine  Weise.  Es  geschieht  offenbar  mit 
Rücksicht  auf  die  oben  erwähnten,  allgemein  beklagten  I^ter  der  heidnischen 
Frauen,  wenn  die  christlichen  Schriftsteller  das  Leben  und  die  Tugenden  der 
christlichen  Frau  schildern. 

Vor  Allem  wird  eine  Tugend  hervorgehoben,  die  Keuschheit;  zwar  soll 
sie  nicht  ein  Vorzug  der  Frauen  sein,  die  Männer  werden  dazu  nicht  weniger 
verpflichtet,  ein  bekanntlich  dem  Alterthum  fremder  Gedanke;  mit  allem  Nachdruck 
wurde  darauf  gehalten,  dass  dieser  Schmuck  den  Christen  nicht  fehle.  Die  Be* 
kehrung  zum  Christen thum,  sagt  Justin,  bedeutet  auch  die  Bekehrung  zur  Keusch- 
heit. Das  gesammte  Leben  der  Christin  in  allen  seinen  Aeusserungen  sollte 
Uebung  der  Tugend  sein  und  so  auch  im  ehelichen  Leben  eine  Züchtigkeit 
herrschen,  die  es  wie  ein  Heiligthum  von  aller  Befleckung  rein  erhalt.  Im  engen 
Zusammenhang  aber  damit  steht  eine  andere  Tugend,  welche  nicht  weniger  stark 
hervorgehoben  wird,  das  ist  die  Einfachheit  und  Schlichtheit  in  der  Kleidung  und 
im  ganzen  Auftreten.  Mit  den  strengsten  heftigsten  Worten  eifert  TertuUian 
gegen  den  Schmuck  und  Putz  der  Frauen,  aber  dem  wesentlichen  Inhalte  nach 
finden  sich  dieselben  Vorschriften  auch  sonst  oft  wieder. 

Es  fehlte  deu  Christinnen  jener  Zeit  auch  aller  äussere  Anlass,  sich  in 
heidnischer  Weise  herauszuputzen.  Sie  besuchten  nicht  das  Theater  und  den 
Circus,  sie  kamen  nicht  zu  den  heidnischen  Festen,  sie  nahmen  nicht  Antheil  an 
Gastmählern  und  Gelagen.  Ihr  Beruf  hielt  sie  im  Hause;  wenn  sie  ausgingen, 
so  geschah  es  im  Dienste  der  Liebe  oder  zur  Anbetung  Gottes  in  seiner  Gemeinde. 
Und  damit  kommen  wir  zu  einem  anderen,  die  ganze  Anschauung  von  der  Stellung 
des  Weibes  beherrschenden  Grundgedanken  des  christlichen  Alterthums.  So  sehr 
man  nämlich  hervorhob,  dass  zwischen  den  beiden  .Geschlechtem  in  den  wesent- 
lichsten und  höchsten  Angelegenheiten  kein  unterschied  bestehe,  so  sehr  wusste 
man  von  einem  besonderen  Berufe  der  Frau,  wie  er  ihrer  eigenthümlichen  Natur 
entspricht.  Während  dem  Manne  die  äusseren  Angelegenheiten  angewiesen  sind, 
gehören  der  Frau  die  Geschäfte  des  engeren  häuslichen  Kreises  zu;  ihr  Beruf 
ist  das  Dienen.  Häusliche  Arbeiten,  wie  Spinnen  und  Weben,  die  leibliche  Pflege 
der  Ihrigen,  die  Ueberwachung  der  Dienstboten,  die  Erziehung  der  Kinder,  das 
sind  die  ihr  obliegenden  Pflichten.  Wohl  scheinen  sie  theilweise  geringfügig  zu 
sein,  aber  die  Liebe  macht  ihr  auch  das  Geringe  angenehm  und  werth.  Vor 
Allem  ist  es  die  Erziehung  der  Kinder,  welche  ihr  voll  und  ganz  in  die  Hand 
gegeben  wird;  es  findet  ernste  Missbilligung,  wenn  Eltern  sich  der  Erziehung 
ihrer  Kinder  entschlagen  und  sie  den  Sclaven  überlassen.  Und  die  Erziehung 
musste  insbesondere  auch  darauf  gerichtet  sein,  die  Kinder  dem  Glauben  zuzu- 
führen; denn  in  jenen  Anfangszeiten  der  Kirche  gab  es  einen  geregelten  kirch- 
lichen Unterricht  noch  nicht;  und  so  legt  die  Kirche  namentlich  den  Müttern  die 
erste  religiöse  Unterweisung  ihrer  Kinder  dringend  ans  Herz,  und  das  gilt  nicht 
bloss  von  den  Töchtern,  auch  der  Sohn  wird  dem  Einfluss  der  mütterlichen  Liebe 
und  Sorgfalt  unterstellt.  Wir  wissen  von  einzelnen  Müttern,  welche  der  Kirche 
die  hervorragendsten  Lehrer  erzogen  und  auf  ihr  Sein  und  Leben  die  nachhaltigsten 
Einwirkungen  ausgeübt  haben,  wir  nennen  Monica,  die  Mutter  Äugusttn's,  Nanna, 
die  Mutter  des  Gre^ror  von  Nazianz,  Anthusa^  die  Mutter  des  Chrysostomus.  So 
finden  wir  denn,  dass  die  Gattin  und  Mutter  vom  Christenthum  erst  voll  und 
ganz  in  ihre  Rechte  und  Pflichten  eingesetzt  wird. 

Und  als  ob  das  Weib  nur  darauf  gewartet  hätte,  so  sehen  wir  sie  jetzt  im 
christlichen  Hause  den  ihr  mitgegebenen  Schatz  selbstverleugnender  Liebe  aufs 
reichste  entfalten,  wir  sehen  sie  ein  Stillleben  häuslichen  Fleisses  und  freudigen, 
hingebenden  Dienens  fuhren  und  ihr  ganzes  Leben  und  Thun  durch  den  Glauben 


427.  Das  Weib  im  Ghristenthume.  457 

und  das  Gebet  weihen  und  heiligen.  Was  Wunder,  wenn  im  Gegensatz  gegen 
die  vielen  Klagen  über  das  weibliche  Geschlecht  unter  den  Christen  jetzt  ganz 
andere  Stinunen  laut  wurden!  Etwas  überaus  Treffliches,  so  bekennt  der  Kirchen- 
vater Clemens  (t  um  220),  der  so  anschaulich  die  Laster  der  Frauenwelt  schilderte, 
etwas  überaus  Treffliches  ist  es  um  eine  rechte  Hausfrau,  die  sich  selbst  und 
ihren  Gatten  durch  ihrer  eigenen  Hände  Arbeit  kleidet,  woran  Alle  sich  erfreuen, 
die  Kinder  über  die  Mütter,  der  Mann  über  sein  Weib,  dieses  über  sie.  Alle  aber 
über  Gott.  Kurz,  ein  braves  Weib  ist  eine  Schatzkammer  der  Tugend,  ist  eine 
Krone  ihrem  Manne.  Und  wie  soll  ich,  ruft  TertuUian  aus,  der  Aufgabe  ge- 
nügen, das  Glück  einer  Ehe  zu  schildern,  welche  die  Kirche  zusammenfügt,  die 
Darbringung  des  Opfers  bestätigt  und  der  Segen  besiegelt  hat,  welche  die  Engel 
verkündigen  und  der  himmlische  Vater  für  gültig  erklärt!  Welch'  eine  Ver- 
bindung zweier  Gläubigen,  die  eine  Hoffiiung  haben  und  eine  Lebensregel,  und 
die  einem  Herrn  dienen.  Beide  sind  Bruder  und  Schwester,  beide  Mitknechte; 
da  ist  keine  Trennung  des  Fleisches  und  des  Geistes.  Welch'  ein  feiner  Sinn 
spricht  sich  in  der  Anweisung  des  HyppoUtus  aus  (Can.  17):  Uebertrifft  die  Frau 
den  Mann  an  Wissen,  so  soll  sie  jederzeit  Gottes  eingedenk  sein,  uebertrifft  sie 
überhaupt  alle  Männer  durch  ihr  Wissen,  so  soU  sie  diesen  Vorzug  Niemanden 
fühlen  lassen,  sondern  vielmehr  ihrem  Manne  wie  dem  Herrn  dienen  und  der 
Armen  gedenken,  als  wären  sie  ihre  eigenen  Verwandten,  zugleich  für  die  Opfer- 
gabe Sorge  tragen  und  sich  von  der  leeren  eitlen  Welt  weit  entfernt  halten. 

Noch  ein  anderes  Gebiet  dienender  Liebe  aber  eröffnete  das  Christenthum 
der  Frau.  .  Ueberlesen  wir  das  sechzehnte  Kapitel  des  Römerbriefes,  so  ist  es 
auffallend,  welch  eine  Anzahl  von  Frauennamen  uns  begegnet,  Phöbe^  PrisdUa^ 
Maria,  Thryphäna,  Persis  u.  a.  Sie  alle  haben  den  Ruhm,  der  Gemeinde  oder 
Einzelnen  in  ihr  unter  selbstverleugnender  Mühe  wichtige  Dienste  geleistet  zu  haben. 
Und  sie  sind  nicht  die  Einzigen,  welche  aus  dem  neuen  Testamente  uns  bekannt 
geworden  sind:  da  giebt  es  noch  die  Täbea  voll  guter  Werke  und  Almosen,  die 
Lydia^  welche  die  Gemeinde  zu  Philippi  in  ihrem  Hause  sanunelte,  die  ersten 
Jüngerinnen  des  Herrn,  die  ihm  selbst  dienten  und  dann  in  den  ersten  Tagen  der 
Gemeinde  treu  mit  den  Aposteln  zusammen  standen.  Es  war  der  Dienst  der  Liebe 
in  der  Gemeinde,  insonderheit  an  ihren  Armen  und  Nothleidenden,  der  den  Frauen 
zufiel  und  für  den  jene  Frauen  des  neuen  Testaments  noch  jederzeit  Typen  und 
Vorbilder  gewesen  sind. 

Dieser  Dienst  führte  bald  zu  einem  formlichen  Amte,  zu  dem  der  weiblichen 
Diakonie:  Wittwen  und  Jungfrauen  übernahmen  es  als  ihren  besonderen  Beruf, 
theils  bei  manchen  gottesdienstlichen  Handlungen  hülfreiche  Hand  zu  leisten,  theils 
Armenpflege  und  Krankenpflege  in  der  Gemeinde  auszuüben.  Aber  auch  die 
christliche  Hausfrau  war  geschäftig  im  Dienst  der  Liebe;  sie  bewirthete  die  fremden 
Brüder,  sie  half  die  um  des  Glaubens  willen  Gefangenen  mit  dem  Nöthigen  zu 
versorgen,  sie  besuchte  die  Kranken,  sie  nahm  ausgesetzte  Kinder,  welche  von 
ihren  heidnischen  Eltern  Verstössen  worden  waren,  in  ihre  Obhut  und  Pflege, 
kurz  wo  es  zu  helfen  und  zu  dienen  gab,  da  wusste  sie  sich  berufen,  thätig 
einzugreifen. 

Und  wenn  es  hierbei  schon  galt,  nicht  nur  die  Gabe  darzubringen,  wenn 
vielmehr  die  persönliche  Hingabe  und  Aufopferung  das  Nothwendigste  und  Beste 
bei  solchem  Liebesdienste  war,  so  gab  es  daneben  noch  ein  Gebiet,  wo  die 
Christin  ihren  vollen  Opfermuth  zeigen  konnte  und  wo  sie  die  höchsten  Opfer 
gebracht  hat,  die  überhaupt  ein  Mensch  zu  bringen  vermag,  wir  meinen  das 
Martyrium.  Nicht  die  leiblichen  Qualen  und  der  Tod  waren  hierbei  immer  das 
Schlinmiste;  wir  wollen  hier  auch  nicht  von  dem  unscheinbaren,  aber  nicht 
weniger  peinlichen  Märtyrerthume  reden,  welches  die  in  einem  heidnischen  Hause, 
vielleicht  neben  einem  heidnischen  Glitten  lebende  Christin  zu  bestehen  hatte, 
von  den  täglichen,   höchst  peinlichen,  ja  auf  die  Länge  unerträglichen  Anstössen 


458     LXVIII.  Der  Einfluss  der  religiösen  Bekenntnisse  auf  die  sociale  Stellung  des  Weibes. 

und  Beängstigungen,  welche  die  das  ganze  Leben  durchziehenden  heiduisclieii 
Gebräuche  und  Erinnerungen  ihrem  Glauben  brachten.  Gerade  die  Frau,  welche 
mit  allen  Fasern  ihres  Herzens  mit  den  Ihrigen,  mit  Eltern,  Gatten  und  Kindern 
80  innig  verwachsen  war,  hatte  in  der  gewaltsamen  Trennung  von  ihnen  die 
höchsten  Opfer  zu  bringen  und  die  schwersten  Kämpfe  zu  bestehen,  wenn  es 
galt  ihren  Bitten,  Klagen  und  Thränen  gegenüber  sich  standhaft  zu  beweisen. 
Es  sind  uns  die  Märtyrergeschichten  einiger  solcher  Glaubensheldinnen  auf- 
bewahrt, der  Perpetua,  der  Fdicitas  u.  a.;  sie  zeigen  uns  in  concreten  Bildern, 
welche  Kämpfe  hier  überstanden,  welche  Siege  über  Fleisch  und  Blut  errangen 
worden  sind. 

Die  Heiden  spotteten  oft  darüber,  dass  so  viele  Frauen  dem  Evangeliam 
zufielen ;  sie  höhnten,  das  Christenthum  sei  die  Religion  fiir  die  alten  Weiber  und 
die  Kinder.  Aber  sie  konnten  doch  den  christlichen  Frauen  ihre  Bewunderung 
nicht  versagen.  Was  ftir  Frauen  haben  die  Christen!  rief  staunend  der  Redner 
Libanius  aus.  Ja,  was  hat  die  Gotteskraft  des  Evangeliums  aus  ihnen  gemacht! 
Es  hat  der  Frau  ihre  Ehre  und  ihren  gottgewollten  Beruf  wiedergegeben  und  sie 
dadurch  bei  aller  Einfachheit,  Stille  und  Demuth  mit  einer  Kraft  und  Freudigkeit 
erfüllt,  dass  ihr  nicht  ein  geringer  Antheil  gebührt  an  der  Ueberwindung  der 
Welt  durch  das  Evangelium.  Ihre  stille  Art,  den  Glauben  zu  bethätigeu,  hat  die 
schönsten  Siege  gewinnen  helfen.  Von  dem  christlichen  Weibe  ist  eine  Fülle  des 
Segens  ausgegangen,  die  nicht  nur  dem  nächsten,  engen  Kreise  des  Hauses  zu 
Gute  gekommen  ist,  sondern  die  sich  über  ganze  Generationen  und  ganze  Volker 
ausgebreitet  hat. 

428.  Das  Weib  im  heidnischen  Europa. 

Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Griechen  und  Römern  im 
klassischen  Alterthume  haben  wir  bereits  in  einem  früheren  Abschnitte  kennen 
gelernt;  wir  haben  nun  noch  zu  untersuchen,  welche  Stellung  dem  Weibe  bei  den 
übrigen  Culturvölkern  des  heidnischen  Europa  zugewiesen  worden  war. 

Sehr  wenig  wissen  wir  über  die  Keltenj  vielleicht  herrschte  bei  ihnen 
Polygamie,  denn  an  einer  Stelle  seines  gallischen  Krieges  spricht  Caesar  allerdings 
von  den  Ehefrauen  eines  Mannes  in  der  Mehrzahl,  unter  seinen  Commentatoren 
herrscht  aber  über  diese  Stelle  eine  ausserordentliche  Meinungsverschiedenheit. 
{de  Bdloguet) 

Bei  den  Britanniern  dagegen,  welche  bekanntlich  ebenfalls  einen  Zweig 
des  Kelten  Volkes  bildeten,  scheint  eine  Frau  gleichzeitig  mehrere  Männer  be- 
sessen zu  haben.     Es  spricht  hierfür  die  folgende  Angabe  Caesars: 

„Alle  zehn  bis  zwölf  haben  eine  Fran  gemeinschaftlich  und  zwar  hauptsächlich  Brüder 
mit  Brüdern  und  Väter  mit  Söhnen;  die  von  diesen  Frauen  Geborenen  aber  gelten  als  Kinder 
Derjenigen,  denen  die  Betreffende  zuerst  als  Jungfrau  zugefQhrt  wurde." 

Auch  von  den  alten  Slaven  wissen  wir  so  gut  wie  gar  nichts,  doch  müssen 
die  Bande  der  Ehe,  wenn  wir  dem  alten  Nestor  Glauben  schenken  dürfen,  bei 
ihnen  sehr  lockere  gewesen  sein.  Nestor  erzählt  nämlich  mit  vieler  Entrüstung 
von  den  slavischen  Radimicen,  den  Wiaticen  und  den  Severiern 
Folgendes : 

„Auch  hatten  sie  keine  förmlichen  Ehen,  sondern  sie  stellten  lustige  Spiele  in  den  Dörfern 
an,  wo  sie  zum  Sang  und  Tanz  und  allem  teuflischen  Spiel  zusammenkamen,  und  da  entf&hrte 
sich  jeder  das  Weib,  mit  dem  er  eins  geworden  war." 

Aehnliches  besteht  auch  noch  heute  bei  den  Süd-Slaven,  wie  wir  in  einem 
späteren  Abschnitt  sehen  werden. 

lieber  die  alten  Slaven  giebt  Krams^  Folgendes  an: 

^In  prähistorischer  Zeit  ist  beiden  Süd-Slaven  Polygamie  allgemein  gewesen;  in  der 
ersten  Zeit  des  Christen thums  bis  etwa  gegen  das  Ende  des  14.  Jahrhunderts  erscheint  daför 


428.  Das  Weib  im  heidnischen  Europa.  459 

freilich  nur  in  aristokratischen  Kreisen  das  Concubinat  als  rechtlich  zulässig,  ohne  dass  man 
daran  Anstoss  nahm.''  Wie  aus  einem  Epos  hervorgeht,  hatte  der  Mann  das  Recht,  seine 
Frau  zu  verkaufen. 

«Eheliche  Treue  hat  der  Mann  (bei  den  Süd-Slaven)  von  der  rechtmässigen  Gattin 
allezeit  geheischt.  Als  Beweis  kann  man  die  (relativ)  prähistorischen,  auch  zum  Theil  in 
historischer  Zeit  üblichen  Strafen  für  Ehebrecherinnen  ansehen.  Die  treulose  Frau  wurde  ent- 
weder (wie  in  der  deutschen  Sage  Stoanhilde)  Pferden  an  den  Schweif  gebunden  und  zu 
Tode  geschleift,  oder  in  vier  Stücke  gehauen  und  an  einem  Kreuzwege  als  abschreckendes 
Beispiel  hingelegt,  oder  mit  Pech  bestrichen  und  in  Brand  gesteckt.  In  der  Neuzeit  haben 
bei  weitem  mildere  Anschauungen  Platz  gegriffen.  So  ist  es  z.  B.  noch  bis  in  die  fünfziger 
Jahre  dieses  Jahrhunderts  in  der  Crnagora  Rechtsbrauch  gewesen,  dass  der  betrogene  Gatte 
seiner  Frau  die  Nase  abschneiden  durfte.  Der  Verführer  ist  aber  regelmässig  mit  dem  Tode 
bestraft  worden." 

Bei  den  alten  Germanen  hat  die  Stellung  der  Frau  sich  aus  rohen  An- 
fangen zum  Besseren  entwickelt.     Ueber  die  ersteren  äussert  sich  Weinhold: 

,Die  Sitte,  dass  sich  das  Weib  mit  dem  todten  Manne  verbrennen  lassen  musste,  das 
Recht  des  Mannes,  seine  Frau  zu  vermachen,  zu  verschenken  xmd  zu  verkaufen  oder  seinem 
Gaste  anzubieten,  beweisen  jene  BildungsanfSnge,  deren  Spuren  sich  vereinzelt  noch  in  spätere 
Zeiten  verlieren/ 

Ausser  Weinhold  haben  namentlich  Sohm,  Freybe  und  Fdix  Bahn  sich 
mit  der  Stellung  des  deutschen  Weibes  beschäftigt.  Dieselbe  war  scheinbar 
eine  untergeordnete,  unselbständige,  denn  nach  altem  Rechte  konnte,  wie  Sohm 
darlegt,  der  Qeschlechtsvormund,  meist  der  Vater  oder  der  Gatte, 

„die  Frau  wie  des  Lebens  so  der  Freiheit  berauben,  sie  in  die  Knechtschaft  verkaufen, 
um  ihren  Vermögenswerth  zu  realisiren,  wie  etwa  den  Werth  anderer  fahrender  Habe.  Erst 
allmählich  trat  eine  Fortentwickeluog  und  damit  eine  Abschwächung  ein.  Das  Tödtungsrecht 
des  Geschlechtsvormundes  reducirt  sich  von  Rechtswegen  auf  den  einzigen  Fall,  in  welchem 
es  wahrscheinlich  thatsächlich  von  jeher  allein  seine  Ausübung  gefunden  hatte,  auf  den  Fall 
der  Unkeuschheit  des  Mündels;  das  Recht,  in  die  Knechtschaft  zu  verkaufen,  verschwindet; 
nur  das  Recht  des  Geschlechtsvormundes,  sein  Mündel  in  die  Ehe  zu  verkaufen  (zu  verloben), 
bleibt  bestehen.  Ungeschmälert  erhält  sich  auch  das  Erziehungsrecht,  das  der  Vormund  über 
die  Frau  ausübt.  Die  Frau  aber  tritt  dann  in  die  Yermögensf  ähigkeit  ein :  seit  dem  Ausgange 
des  fünften  Jahrhunderts  ist  der  Frau  das  Privaitrecht  zugänglich  geworden.  Allerdings 
schliesst  die  Fähigkeit,  Vermögen  zu  haben,  nicht  auch  die  andere,  das  Vermögen  selbst  zu 
verwalten,  in  sich.  Ihr  ganzes  Vermögen  ist  ihr  entzogen  und  dem  Willen,  ja  auch  dem 
Genüsse  des  Vormundes  preisgegeben.  Dennoch  ist  der  Fortschritt  ein  eminenter,  denn  die 
Frau  ist  eine  Person  geworden,  rechtsÄhig,  wenngleich  nur  für  das  Gebiet  des  Privatrechts. 
Während  sie  in  der  ältesten  Zeit  nur  für  das  Haus,  nicht  für  den  Staat  existirte,  hat  sie  jetzt 
eine  unmittelbare  Beziehung  zur  Rechtsordnung  und  zum  Rechtsschutz  gewonnen.* 

Die  soeben  geschilderte  Obergewalt  wurde  mit  dem  Worte  Munt  bezeichnet. 
Der  noch  heute  gebräuchliche  Ausdruck  Vormundschaft  hängt  mit  dem  gleichen 
Begriffe  zusammen.  Diese  Muntschaft,  der  die  Weiber  unterstanden,  war  nach 
Bahn  die  natürliche  Folge  ihrer  Waffenunfahigkeit  für  den  Krieg  und  den  ge- 
richtlichen Zweikampf;  Knaben,  die  noch  nicht  waffenfähig  waren,  hatten  sich  der 
gleichen  Muntschafb  zu  fügen.  Hiermit  im  engsten  Zusammenhange  steht  die 
rechtliche  Bestimmung,  dass  für  die  Tödtung  einer  Frau  eine  geringere  Busse  als 
für  einen  Mann  zu  zahlen  war.  In  jenen  Tagen  der  gewaffneten  Selbsthülfe  war 
eben  das  Schwert  mehr  werth  als  die  Spindel.  So  wurden  auch  die  Verwandten 
des  Mannes  als  die  Schwertmagen,  diejenigen  der  Mutter  als  die  Spindel- 
magen bezeichnet. 

Das  Bedürfniss,  den  Grundbesitz,  auf  dem  die  Macht  der  Sippe  beruhte, 
nach  Kräften  zu  befestigen  und  zu  vergrössem,  war  der  Grund,  warum  die  Frauen 
an  der  Erbschaft  nicht  theilnehmen  konnten.  Aber  das  bezog  sich  nur  auf  das 
Erbgut,  und  anderweitig  erworbener  Besitz  konnte  auch  ai^  die  Töchter  über- 
gehen; nur  die  Männer  von  gleicher  Oradnahe  der  Verwandtschaft  gingen  in  der 
Erbschaft  den  Frauen  voraus,   aber  bei  fernerer  Verwandtschaft  fiel  letzteren  das 


460      LXVIII.  Der  Einfluss  der  religiösen  Bekenntnisse  auf  die  sociale  Stellung  des  Weibes. 

Erbe  vor  dem  Manne  zu.  So  stand  beispielsweise  zwar  die  Schwester  hinter  dem 
Bruder  des  Erblassers  zurück,  aber  sie  erbte  unter  allen  Umständen  vor  dem 
Vetter  oder  dem  NefiFen  desselben. 

Die  Ehe  war  in  der  germanischen  Vorzeit  meist  eine  Sache  des  Ver- 
standes. Aber  aus  der  scheinbar  nüchtern  geschlossenen  Verbindung  erwuchs  die 
einfache  schlichte  Treue.  Bei  der  Wahl  der  Frau  entschied  weniger  Schönheit, 
als  Vermögen  und  ruhmvolles  Geschlecht.  Die  Werbung  geschah  bei  dem,  der 
die  Munt  hatte.  Die  Muntschaft  übernahm  nach  des  Vaters  Tode  der  älteste  Sohn; 
so  ist's  z.  B.  nach  dem  isländischen  Gesetz,  welches  die  Mnntschaft  der  Mutter 
erst  nach  dem  ältesten  Sohne  giebt.  Der  Vater,  der  Bruder  oder  die  Mutter  waren 
aber  auch  die  gesetzlichen  Verlober. 

Die  Werbung  wurde  durch  einen  Fürsprecher  überbracht.  Selten  kam  der- 
selbe allein;  er  war  meist  von  Verwandten  und  Freunden  begleitet;  denn  das 
Geschlecht  sollte  aufe  beste  vertreten  sein,  damit  Vertrauen  erweckt  werde  und 
der  Erfolg  um  so  sicherer  sei.  Fand  man  Geneigtheit,  so  wurde  über  den  Braut- 
kauf verhandelt.  Dies  war  ein  Rechtskauf,  kein  Personenkauf.  Die  Frau  wurde 
aus  dem  bisherigen  Rechts-  und  Schutzverhältnisse  losgekauft,  und  der  Bräutigam 
erwarb  sich  die  Muntschaft.  Später  wurde  der  Schuh  Symbol  dieser  Muntschafts- 
übertragung.  Der  Bräutigam  bringt  der  Braut  den  Schuh;  sobald  sie  ihn  an  den 
Fuss  angelegt  hat,  ist  sie  ihm  unterworfen.  Daher  der  Ausdruck  Pantoffel- 
herrschaft, d.  h.  der  Mann  tritt  in  den  Schuh  der  Frau.  Die  Art  und  Höhe 
des  Muntschatzes  wurde  nach  gegenseitigem  Uebereinkommen  festgestellt.  So 
erwarb  sich  der  Bräutigam  alle  Rechte,  welche  sich  auch  in  Hinsicht  des  Ver- 
mögens an  die  üebemahme  der  Vormundschaft  der  Verlobten  knüpfen.  Ohne 
Mahlschatz  gehörte  die  Frau  nur  ihrem  angeborenen  Geschlechte  an,  ihre  Eonder 
erbten  daher  nur  in  ihrer  Familie  und  wurden  als  keine  rechten  Glieder  des 
Geschlechts  des  Vaters  betrachtet.  Der  Sohn  einer  Frau,  ftir  welche  kein  Munt- 
schatz  gezahlt  war,  und  deren  Hochzeit  nicht  ÖfiPentlich  war,  hiess  homungr. 
An  die  Verwandten  der  Frau  wurden  die  Gaben  gespendet,  welche  schon  von 
Tacittis  angeführt  werden.  Es  waren  Rinder,  ein  gezäumtes  Ross,  ein  Schild  und 
ein  Schwert.  Auch  später  werden  diese  Gegenstände  noch  als  Bestandtheile  des 
Brautkaufs  genannt. 

Nach  dem  Brautkauf  wurde  die  Braut  übergeben.  Später,  als  aus  dem 
besprochenen  Rechtskauf  ein  Geschenk  an  die  Braut  oder  deren  Familie  wurde, 
trat  als  Gegengabe  und  zugleich  als  die  Mitgabe  an  die  Verlobte  die  sogenannte 
Mitgift  ein,  die  indessen  nicht  Eigenthum  des  Mannes  war,  sondern  der  Frau 
zu  eigen  blieb.  Als  Mitgift  gab  man  Geld  und  Gut,  ursprünglich  nur  fahrende 
Habe,  denn  Frauen  durften  nach  altgermanischem  Rechtsbegriff  kein  liegendes 
Eigenthum  besitzen,  weil  damit  die  Rechte  und  Pflichten  eines  Gemeingenossen 
verbunden  waren,  aber  schon  die  nordischen  Sagen  erzählten  ofb  genug  von 
liegenden  Gütern  der  Mitgift.  Der  Mann  hatte  von  aller  Mitgift  nur  den  Niess* 
brauch,  aber  nicht  das  Verfögungsrecht. 

Nach  den  Angaben  des  Tacitus  war  die  Ehe  eine  monogame,  und  er  be- 
wundert die  keusche  Strenge,  mit  welcher  sie  heilig  gehalten  wird.  Vielweiberei 
kam  nur  ausnahmsweise  aus  politischen  Rücksichten  vor.  Äriovist  z.  B.  lebte  in 
Doppelehe.  Schrader  suchte  durch  linguistische  Gründe  zu  erweisen,  dass  in  der 
Urzeit  der  indogermanischen  Stämme  Polygamie  bestanden  habe;  erst  nach  der 
Trennung  der  einzelnen  Völker  habe  sich  die  Monogamie  entwickelt.  Bei  den 
Nord-Germanen  soll  sich  dieser  Wechsel  später  vollzogen  haben,  als  im  Süden 
und  Westen.  Nach  Weinhold  fand  sich  die  Vielweiberei  bei  den  Merowingern 
und  in  Skandinavien. 

Neben  dieser  mehrfachen  Ehe  bestand  jedoch  auch  das  Concubinat:  Die 
Kebse  war  nicht  gekauft  und  vermählt,  sondern  die  gegenseitige,  oft  auch  nur  die 
einseitige  Neigung   schloss  ohne  Förmlichkeit  die  Verbindung,   welche   der  Frau 


428.  Das  Weib  im  heidniscben  Europa.  461 

nicht  Rang  und  Recht  der  Ehefrau,  den  Kindern  nicht  die  Ansprüche  ehelicher 
Nachkommen  gewährte.  Später  aber  bildete  sich  unter  der  Mitwirkung  der  Kirche 
das  Concubinat  zur  morganatischen  Ehe  um. 

Wurden  nun  die  Brautleute  verlobt  oder  „gefestet*,  so  schlössen  die 
Zeugen  und  nächsten  Verwandten  der  Beiden  einen  «Ring''  (Kreis)  um  das  Paar. 
Der  Yerlober  fragte  den  Mann  und  dann  die  Jungfrau,  ob  sie  einander  zur  Ehe 
begehrten;  danach  übergab  er  durch  Ueberreichung  von  Schwert  und  Ring  die 
Muntschaft  über  sein  Mündel  dem  Bräutigam.  Dieser  steckte  nun  mit  einem 
Spruche  seinen  Ring  an  den  Finger  der  Braut  und  empfing  den  ihrigen.  Mit 
der  nun  folgenden  Umarmung  sammt  dem  Kuss  galt  die  Verlobung  vollkommen 
geschlossen.  Der  Kuss  vor  Zeugen  ist  das  öffentliche  Zeichen  des  Antritts  der 
Brautschaft.  Ein  unbegründeter  Rücktritt  der  so  gefesteten  Brautleute  war  un- 
möglich, das  Recht  des  Gulathing  setzt  auf  solchen  Bruch  an  Treue  und  Glauben 
Landesverweisung.  Lehmann  glaubt,  dass  die  Verlobung  noch  nicht  mit  der  Ehe- 
schliesBung  identisch  war. 

Auf  die  Verlobung  folgte  meist  rasch  die  Heimführung,  der  sogenannte 
„Brautlauf''.  Die  längste  Zeit  der  Verlobung  sind  zwölf  Monate.  Das  Fest 
fand  im  Hause  des  Bräutigams  statt.  Der  Zug  der  Braut  zum  Hause  des  Bräutigams, 
die  Einführung  in  das  Haus  und  die  Bewirthung  darin,  das  „Brautlauftrinken", 
waren  wesentliche  Bestandtheile  der  germanischen  Hochzeitsfeier.  Ganz  in 
Leinen  gehüllt,  am  Gewände  die  wirthlichen  Schlüssel,  ward  die  Braut  dem 
Bräutigam  zugeführt.  Mit  dem  heiligen  Hammer,  dem  Symbol  des  Lebens,  mit 
dem  auch  die  Leichen  geweiht  wurden,  berührte  man  die  Braut  und  weihte  also 
die  Ehe.  Dann  trank  das  Paar  einen  Becher  zusammen  und  das  Trinken  hub  an. 
Man  trank  zuerst  für  Thor^  den  Gott  der  Ehe  und  des  Hauses,  dann  fär  Odhin 
und  die  anderen  Götter.  Der  Brautkranz  war  im  germanischen  Alterthum 
nicht  üblich,  er  wurde  erst  durch  die  Kirche  eingeführt,  welche  die  Bekränzung 
der  Brautleute  aus  dem  klassischen  Heidenthume  beibehielt. 

Sorgfältig  wurde  über  die  Keuschheit  gewacht,  vor  der  Verheirathung  so- 
wohl, als  auch  in  der  Ehe. 

Die  West-Gothen  betrachteten  unzüchtiges  Leben  als  römisches  Vorrecht; 
die  Vandalen  trieben  aus  den  eroberten  Städten  die  öffentlichen  Dirnen  aus.  Die 
öffentlichen  Weiber,  die  sich  etwa  in  älterer  Zeit  unter  den  Germanen  fanden, 
waren  keine  germanischen  Frauen,  oder  wenigstens  keine  freien.  Allerdings 
gingen  die  Frauenhäuser  in  den  römischen  Städten  Süd-Deutschlands  mit  dem 
Untergänge  der  römischen  Macht  nicht  ein;  sie  bestanden  noch  während  des 
Mittelalters  fort  und  standen  unter  dem  Schutze  der  Obrigkeit,  sobald  sie  sich 
den  Polizei  Verordnungen  fugten.  Nach  der  Niederlage  der  Gimbe  rn  durch  Marius 
erflehten  die  Weiber  vom  Consul,  dass  ihre  Keuschheit  geehrt  und  sie  den  Vesta- 
lischen  Jungfrauen  als  Sclavinnen  zugetheilt  werden  möchten.  Als  ihnen  dieses 
verweigert  wurde,  tödteten  sie  zuerst  ihre  Kinder  und  dann  sich  selbst. 

Es  lag  in  der  Lebensanschauung  der  germanischen  Männer,  trotz  der 
vorher  geschilderten  Bevormundung,  doch  eine  ideale  Werthhaltung   des  Weibes. 

, Daraus  erklärt  sich,  sagt  Felix  Bahn,  dass  das  germanische  Weib  in  den  rauhen, 
ja  zum  Theil  rohen  Zuständen  der  Yorcultur  eine  so  günstige,  ja  ehrenvolle  Stellung  einnahm, 
wie  etwa  bei  viel  höherer  Givilisation  die  rO mische  Matrone,  und  eine  viel  würdigere,  als 
die  hellenischen  Hausfrauen  zur  Zeit  der  höchsten  Culturblüthe  Athens.** 

Auch  ihre  Oötterlehre  liefert  den  Beweis  von  dem  hohen  Ansehen,  in 
welchem  das  Weib  bei  den  germanischen  Völkern  stand;  denn  auch  die  Ger- 
manen schufen  ihre  Göttinnen  nach  dem  Bilde  ihrer  Frauen.  Die  Frigg^  Freia^ 
Nanna^  Gerdha^  Sigun  sind  germanische  Jungfrauen  und  Frauen,  nur  wenig 
idealisirt.     Dahn  ruft  im  Hinblick  auf  diese  Gestalten  aus: 

„Welche  Fülle  von  Schönheit,  Anmuth,  Hohheit,  Reine,  Treue,  Seelenkraft  und  Herzens- 


462     LXYIII.  Der  Einfluss  der  religiösen  Bekenntnisse  anf  die  sociale  Stellung  des  Weibes. 

tiefe  ist  in  ihnen  vereinigt!  Und  Sage  und  Geschichte  belegen  diese  Luftspiegelung  des. 
Weibes  mit  zahlreichen  Beispielen  menschlicher  Bethätigung.  Wie  folgerichtig  ist  es,  dass, 
da  das  Weib  die  Zukunft,  das  nahende  Schicksal  ahnungsvoller  als  der  Mann  erfasst,  die  da 
das  Schicksal  weben  und  wirken,  nicht  Männer  sind,  sondern  die  ehrwürdigen  Narnen 
(Schicksalsschwestem).  und  jene  Tapferkeit  der  germanischen  Jungfrau,  welche  die 
Waffen  nicht  fürchtete  und  oft  mit  dem  Geliebten  in  Kampf  und  Tod  ging,  findet  ebenfalls 
ihren  Ausdruck  im  Walhall:  nicht  Männer,  nicht  Herolde  sind  es,  sondern  herrliche  Mädchen, 
die  Schildjungfrauen  Odhin%  welche  die  Walküren,  d.  h.  die  zum  Tode  bestimmten  Helden 
bezeichnen,  und  wenn  sie  gefallen,  emportragen  zu  Walhalls  ewigen  Freuden,  welche 
sie,  Odhin'8  Wunschmädchen,  mit  dem  Einheriar  (Held  in  Walhall,  wörtlich  Schreckens- 
kämpfer) theilen.  Höhere  Verherrlichung  des  Weiblichen  war  germanischer  Phantasie 
nicht  denkbar/ 

Zu  den  schwersten  Verbrechen  rechneten  unsere  Vorfahren  die  gewaltsame 
Entführung,  den  Frauenraub.  Weinhold  macht  uns  mit  den  Strafen  bekannt, 
welche  die  ältesten  Gesetzbücher  auf  solchen  Friedensbruch  setzten.  Nothzucht 
und  Frauenraub  werden  für  gewöhnlich  mit  denselben  Strafen  belegt. 

Mit  der  fortschreitenden  Culturentwickelung  hoben  sich  im  Verlaufe  der 
Zeiten  auch  mehr  und  mehr  Ansehen  und  Stellung  des  weiblichen  Geschlechts. 
Weinhold  schildert  das  mit  folgenden  Worten: 

,Der  gesunde  Kern  des  germanischen  Wesens  hatte  eine  rasche  Fortentwickelnng 
von  der  Stufe  roher  Sinnenkraft  zu  der  freien  Menschlichkeit  geschaffen.  In  Bezug  auf  die 
Frauen  äusserte  sich  das  in  einer  Menge  Ausnahmen  von  den  alten  Rechtssatzungen, 
welche  allmählich  eintraten.  Das  Mädchen  erhielt  Zugeständnisse  bezüglich  der  Verfügung 
über  sein  Vermögen;  bei  der  Vermählung  kam  sein  eigener  Wille  zum  Ansehen;  die  Erkaufiing 
von  Leib  und  Leben  wandelte  sich  in  die  Erwerbung  des  Schutzrechts;  die  Macht  des  Ehe- 
manns über  die  Person  der  Gattin  ward  beschränkter ;  die  Wittwe  endlich,  abgesehen  davon, 
dass  ihr  Sterben  mit  dem  Manne  in  vorhistorischer  Zeit  bereits  abkam,  erhielt  manche  Rechte, 
welche  an  männliche  streifen.  Die  weibliche  Klugheit  vermehrte  das,  was  die  Nachgiebigkeit 
der  Männer  einräumte;  mancher  rechtlich  freie  Mann  ward  ein  Höriger  des  rechtlosen  Weibes ; 
Weiber  griffen  tief  ein  in  die  Geschicke  der  Staaten." 


429.  Die  sociale  Stellang  des  Weibes  im  mittelalterlichen  Europa. 

Bei  der  Gründung  des  fränkischen  Reichs  spielen  die  Frauen  eine  nicht 
unerhebliche  Rolle.  Chüderich^  Merowig's  Sohn,  lebte  mit  der  Gattin  des 
Thüringer  Herzogs,  Basina^  in  verbotenem  Umgänge;  sie  floh  dann  zu  ihm 
nach  Franken  und  gebar  ihm  nach  vollzogener  Ehe  jenen  tapferen  Chlodwig^ 
der  ganz  Gallien  den  Franken  eroberte.  Dieser  erfuhr,  dass  die  schöne  Tochter 
des  Burgunderkönigs  Chlotilde  zu  Genf  im  Kloster  sei;  er  wollte  sie  besitzen, 
um  in  Burgund  eine  Partei  zu  gewinnen,  und  schickte  seinen  treuen  Äurelian 
nach  Genf,  der  als  Bettler  verkleidet  von  der  königlichen  Nonne  empfangen 
wurde.  Sie  wusch  dem  Bettler  demüthig  die  Füsse,  wobei  letzterer  sich  zu  er- 
kennen gab,  indem  er  den  Ring  Chlodwig' s  ins  Wasser  gleiten  liess;  gern  willigte 
sie  ein  und  wurde  die  Gattin  des  tapfem  Chlodwig.  Im  Kampfe  gegen  die  Ale- 
mannen drohte  demselben  Missgeschick;  da  rief  er  in  der  Noth  den  Gott  seines 
Weibes  und  der  Christen  an;  nachdem  er  gesiegt  hatte,  liess  er  sich  taufen  (496). 
Trotz  dieses  Ueberganges  zum  Ghristenthum  kamen  im  Herrscherhause  derMero- 
winger  Gräuel  vor,  bei  denen  auch  Frauen  eine  hervorragende  Rolle  spielten. 
Wir  nennen  hier  nur  Brunhild  und  Fredegunde^  welche  activ  in  das  politische 
Leben  eingriffen. 

Karl  der  Grosse  hatte  nach  einander  fünf  eheliche  Frauen  und  fünf  Kebs- 
weiber. (Arnold.)  Er  sah  bei  ihnen  nicht  auf  vornehme  Geburt,  wohl  aber  auf 
Schönheit  und  Tugend.  Bekannt  ist  die  Sage  von  seiner  Tochter  Emma  und 
seinem  Schreiber  Eginhart,  seiner  Tochter  Bertha  mit  dem  jungen  Engdbert 
lieber  die  Stellung  der  Frau  zu  jener  Zeit  geben  KarVs  des  Grossen  hinterlassene 


429.  Die  sociale  Stellang  des  Weibes  im  mittelalterlichen  Europa.  463 

Capitukrien  und  Briefe,  sowie  auch  die  Schriften  Älcuins  und  Eginharfs  Qe- 
schichtswerk  einige  Auskunft. 

Sehr  interessant  ist  es,  die  Wirkung  zu  verfolgen,  welche  die  Berührung 
und  allmähliche  Verschmelzung  germanischer  Stämme  mit  gallischen  und 
romanisirten  Elementen  auch  auf  die  Frauenwelt  ausübte.  Nachdem  sich  die 
Franken  Gallien  unterworfen  und  das  fränkische  Beich  gegründet  hatten, 
kamen  dort  neue  Sitten  zum  Durchbruch,  welche  dann  auch  auf  die  anderen 
deutschen  Stämme  nicht  ohne  Einfiuss  geblieben  sind.  Kr  alles  suchte  dieses 
an  den  alten  Dichtungen  Frankreichs  nachzuweisen.     Er  sagt  hierüber: 

,In  den  ältesten  Epen  der  französischen  Car/ssage  tritt  die  Frau  nur  vorübergehend 
auf  und  gewinnt  kaum  einen  Einfiuss  auf  die  Handlung.  So  stehen  die  Franengestalten  des 
i^o^atidliedes  in  so  loser  Beziehung  zum  Ganzen,  dass  man  sie  für  einen  der  ursprünglichen 
Version  späterhin  eingeftlgten  Zusatz  halten  möchte.  In  der  Folge  dagegen  nimmt  die  Be- 
deutsamkeit der  Frauenfigur  stetig  zu.  Dafür  spricht  auch  die  Wahl  der  Frauennamen,  die 
anfänglich  ohne  jede  innere  Beziehung,  später  immer  mit  einer  solchen  auftreten  und  dann 
namentlich  die  sinnliche  Schönheit  betreffen.  Die  Benennung  der  ältesten  Frauenbilder  ist 
ferner  vielfach  deutscher  Abkunft:  so  ist  auch  der  Charakter  des  Weibes,  wie  es  in  den 
Epen  gezeichnet  wird,  die  altgermanische,  und  seine  Sittenreinheit  bleibt  gewahrt. 
Späterhin  aber  geht  sie  verloren;  bemerkenswerth  ist  dabei  die  Vorliebe,  mit  welcher  in 
erster  Linie  immer  Heidenfrauen,  viel  weniger  gern  Christinnen,  als  sittlich  schlecht  gezeichnet 
werden.  Zugleich  verflüchtigen  sich  die  germanischen  Benennungen  in  das  Romanische. 
Die  Frau  tritt  nun  mehr  und  mehr  aus  den  Grenzen  der  Weiblichkeit  heraus:  sie  wirbt  um 
Liebe,  kämpft  selbst  dafür,  opfert  Alles  ihrer  Leidenschaft.  Wie  das  edle  Bild  des  Helden 
Carl  im  Verlaufe  der  französischen  Epik  immer  mehr  getrübt  und  befleckt  wird,  genau 
so  ergeht  es  dem  Weibe.'' 

Das  Mädchen  nahm  in  damaliger  Zeit  eine  untergeordnete  Stellung  ein;  es 
reicht  das  Waschwasser,  bedient  die  Oäste,  entwaffnet  sie,  trägt  Sorge  für  ihr 
Ross  und  geleitet  sie  zur  Lagerstätte.  Die  Ausbildung  der  Tochter  scheint  minder 
schlecht,  als  die  des  Sohnes  gewesen  zu  sein;  sie  wird  fromm  erzogen,  lernt  auch 
wohl  fremde  Sprachen,  als  Heidin  vor  Allem  das  Romanische;  sich  kostbar  zu 
schmücken  verstehen  besonders  die  Pürstentöchter.  Dem  Vater  ist  die  Tochter 
mehr  gehorsam,  als  liebevoll  ergeben;  bisweilen  verbindet  sie  sich  mit  der  Mutter 
gegen  den  Vater.  In  allen  Chansons  spielt  die  Liebe  eine  bedeutende  Bolle; 
mädchenhafte  Scheu  und  züchtige  Zurüöldialtung  ist  der  Liebenden  nicht  eigen. 
Manche  Frau  erscheint  in  der  Liebe  sehr  erfahren.  Die  Sinnlichkeit  des  Mannes 
ist  dagegen  nur  sehr  selten  betont;  wo  der  Mann  ein  Weib  begehrt,  tritt  er  doch 
kaum  als  werbend  auf;  er  weiss,  dass  er  der  Gunst  der  Frauen  sicher  ist. 

Die  Ehe,  wie  sie  sich  in  den  altfranzösischen  Epen  behandelt  findet, 
wird  selten  aus  aufrichtiger  Liebe  geschlossen;  die  Frau  wünscht  die  Ehe,  weil  sie 
von  ihr  eine  Besserung  ihres  schütz-  und  rechtlosen  Zustandes  hofft;  der  Mann 
(meist  unter  Beirath  seiner  Verwandten  und  Freunde)  ehelicht,  um  den  Einfiuss 
und  Beichthum  der  eigenen  Sippe  zu  heben.  Die  Verlobung  erfolgt  feierlich  vor 
Zeugen,  auch  wohl  an  heiliger  Stätte;  zu  nahe  Verwandtschaftsgrade  sind  ein 
Ehehindemiss.  Besondere  Hochzeitsgebräuche  finden  sich  nicht  erwähnt;  die  Feier- 
lichkeiten dauern  manchmal  acht  Tage.  Das  Paar  empfangt  priesterlichen  Segen ; 
ist  die  Braut  eine  Heidin,  so  wird  sie  zuvor  getauft.  Das  eheliche  Verhaltniss 
erscheint  in  den  Epen  meist  als  durchaus  rein;  die  Frau  erscheint  voll  zärtlicher 
Liebe  und  Hingebung;  jedoch  sie  verachtet  den  Mann,  sobald  er  keinen  Schutz 
und  wenig  ritterliche  Thaten  leisten  kann.  Allein  auch  gegen  den  früheren  Ge- 
liebten bewahrt  die  Frau,  welche  ohne  Liebe  eine  Ehe  eingeht,  eine  sehr  zärtliche 
Zuneigung;  sie  entschliesst  sich  sogar  rasch  und  ohne  Verführung  zur  Untreue. 
Die  eheliche  Zuneigung  des  Mannes  zeigt  sich  von  vornherein  als  weniger  innig. 
Ihm  geht  sein  Waffenleben,  sein  Ruhm  und  der  der  Sippe  über%  Alles.  Die  Frau 
behandelt  er  oft  mit  Misstrauen,  inuner  geringschätzig;  er  fühlt  sich  als  ihren 
unumschränkten  Herrn  und  ist  als  solcher  vielrach  ungerecht;  die  vollige  Unter- 


464     LXVni.  Der  Einflusa  der  religiösen  Bekenntnisse  auf  die  sociale  Stellung  des  Weibes. 

Ordnung  erzwingt  er  selbst  durch  rohe  Gewalt.  Eine  Einmischung  in  seine  Unter- 
nehmungen weist  er  zurück  und  bekümmert  sich  überhaupt  sehr  wenig  um  seine 
Gattin.  Angebliche  oder  vermeintliche  Untreue  ahndet  er  mit  dem  Todesurtheil, 
welches  höchstens  in  Verbannung  gemildert  wird.  Ein  Fehler  des  Mannes  gegen 
die  eheliche  Treue  wird  in  den  Gedichten  nicht  erwähnt. 

In  den  Rechtsverhältnissen,  welche  die  Frau  betreffen,  tritt  ebenfalls  im 
Mittelalter  ein  sehr  erheblicher  Umschwung  ein.  Sohm  giebt  darüber  Folgen- 
des an: 

,7m  dreizehnten  Jahrhundert  macht  sich  eine  neue  Epoche  bemerkbar.  Die  Geschlechts- 
T0i*mund8chaft  über  die  erwachsene  unyerheirathete  Frau  ist  bereits  der  Auflösung  nahe.  Im 
fränkischen  Rechte  ist  die  Geschlechtsvormundschafb  vollkommen  untergeg^gen.  In  den 
übrigen  Stämmen  dauert  sie  in  der  Hauptsache  nur  als  PressTormundschafb  fort.  Die  Jnng^- 
frau  ist  privatrechtlich  eraancipirt.  Sie  ist  in  freier  Verfügung  und  Nutzung  ihres  Vermögens. 
Aber  dies  gilt  nur  für  die  unyerheirathete  Frau.  Für  die  Ehefrau  ist  das  Vormundschafta- 
recht  in  Kraft  geblieben.  Das  gesammte  deutsche  Eherecht  und  Frauenrecht  ruht  auf 
dem  Satze,  dass  der  Ehemann  der  Herr  des  Hauses,  und  überhaupt  der  Mann  das  Haupt  de» 
Weibes  ist." 

In  den  Zeiten  des  Rittertbums  ward  dann  der  Frau  ein  schwärmerischer 
Dienst  gewidmet.  Sie  trat  in  den  Mittelpunkt  des  reich  belebten  geselligen  Kreises, 
die  Frauenliebe  lebkte  die  Herzen  der  Männer  und  die  Phantasie  der  Dichter. 
Von  dieser  Zeit  an  war  die  Stellung  des  Weibes  eine  völlig  andere  geworden. 

In  der  Stille  der  Kemenate  erzogen,  hatten  die  Frauen  gewohnlich  eine 
sorgfaltigere  geistige  Ausbildung  erhalten  als  die  Männer.  Sie  verstanden  die 
Kunst  des  Schreibens  und  Lesens,  waren  in  den  Wissenschaften  gut  unterrichtet, 
mit  Musik  und  fremden  Sprachen  wohl  vertraut.  Sie  hatten  von  Jugend  auf  das 
Spinnen,  Nähen,  Sticken  gelernt;  ihre  Gewänder  fertigten  sie  sich  selbst,  sowie 
auch  diejenigen  der  Männer.  Die  Stickkunst  stand  in  hoher  Blüthe.  Auch  in 
der  Heilkunst  waren  sie  erfahren,  und  zarte  Frauenhand  wusste  den  verwundeten 
Ritter  gar  wohl  zu  pflegen.  Bei  den  Turnieren  ertheilten  sie  den  Rittern  Lob- 
sprüche und  Siegespreise.  Zur  Jagd,  namentlich  zur  Falkenbeize  zogen  sie  mit 
den  Männern  hinaus.     (Lyon,) 

Die  Frau  bot  dem  Manne  zuerst  den  Gruss,  und  wenn  sie  grüsste,  so  hatte 
der  Mann  nur  sich  verneigend  zu  danken.  Ein  »sanfter",  ein  „werther*  Gruss 
von  Frauen  war  jedoch  eine  Ehre  für  den  Mann.  Der  edle  Walther  von  der 
Vogelweide  will  »den  Frauen  singen  um  ihren  Gruss".  In  seinem  vaterländischen 
Hochgesange  „Deutschlands  Ehre"  bittet  er  die  Frauen  um  keinen  anderen  Sänger- 
lohn, „als  dass  sie  mich  grüssen  schöne".  Zur  Begrüssung,  zum  Empfange,  zum 
Abschied  erhalten  die  Männer  als  höchste  Ehre  von  den  Frauen  den  Kuss,  aber 
mit  strenger  Auszeichnung  des  Ranges.  Männer  küssen  sich  nicht.  „Mit  minnig- 
lichen  Tugenden,"  heisst  es  im  Nibelungenlied  (290,  4)  von  Chriemhüden^  „grüsste 
sie  Siegfrieden^''  und  gleich  darauf  (296,  3):  „Ihr  ward  erlaubt  zu  küssen  den 
weidlichen  Mann"  und  (737,  3):  „In  züchten  viel  Verneigen  hat  man  gesehen  an 
und  minnigliches  Küssen  von  Frauen  wohlgethan.*  So  sagt  Rüdiger  zu  seiner 
Gemahlin:  „Die  Sechse  sollt  ihr  küssen.  Du  und  die  Tochter  mein."  Ebenso 
heisst  Rüdiger  seine  Tochter  Dietlinde  Hagen  küssen.  Es  ^ar  das  eine  ehrende 
Auszeichnung,  die  zunächst  den  Verwandten  zu  Theil  ward,  dann  aber  auch 
lieben  Gästen. 

Im  Besitz  der  deutschen  Frau  des  Mittelalters  fehlte  nie  das  Psalterbuch; 
dasselbe  erbte  als  ausschliessliches  Fraueneigen  auch  weiter  von  Frau  zu  Frau. 
Neben  Psalter  und  Gebetbuch  lagen  aber  wohl  auf  dem  Putztisch  der  Frau  die 
Liederbüchlein  der  Minnesänger,  vielleicht  selbst  grössere  Bände  mit  den  Ge- 
schichten der  schönen  Magehne^  der  Genoveva  u.  s.  w. 

Mönche  und  Klostergeistliche  sorgten  für  den  Unterricht  der  Frauen  im 
Lesen  und  Schreiben,  sogar  im  Latein;   fahrende  Sänger  und  Spielleute  nahmen 


429.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  im  mittelalterlichen  Europa.  465 

auf  längere  Zeit  Einkehr  im  Schlosse,  um  die  Frauen  ihre  Lieder  und  das  Spiel 
der  Harfe,  der  wälschen  Fiedel  und  hochsaitigen  Laute  (Rolle)  zu  lehren.  Die 
« Meisterin '^  der  Zucht  aber  unterwies  das  sittige  Fräulein  in  den  Regeln  der 
,Moralität*,  der  Kunst  der  schönen  Sitten,  oder  wie  wir  heutzutage  sagen  würden, 
der  Anstandslehre.  Ihr,  der  Mutter  und  den  Mägden  fiel  daneben  der  hauptsäch- 
lichste Theil  der  Frauenweisheit  zu,  der  Unterricht  in  der  Führung  des  Haus- 
wesens, im  Spinnen,  Nähen,  Weben,  Sticken  und  Schneidern. 

Die  Einwirkung  der  Frau  auf  das  ganze  dichterische  Treiben  der  Zeit  war 
im  Mittelalter  tief  eingreifend,  obgleich  die  Frau  eigentlich  nicht  selbst  sich  an 
der  Literatur,  wenigstens  nicht  in  öflFentlicher  Weise  betheiligte.  „Niemals,*  sagt 
Vümar^  „hat  sich  die  Männerwelt  inniger,  tiefer  in  die  Gedanken-  und  Geffthls- 
welt  der  Frauen  eingelebt,  niemals  sich  für  alle  poetischen  Motive  stärker  von 
ihr  inspiriren  lassen,  als  in  der  Zeit  des  Minnesangs."  Die  Poesie  trug  ganz  den 
Charakter  des  Frauenhaften  an  und  in  sich: 

„0  Frau,  Du  selten  reicher  Hort, 

Dass  ich  zu  Dir  hie  Sprech  aus  reinem  Munde. 

Ich  lob'  sie  in  des  Himmels  Pf  ort; 

Ihr  Lob  zu  £nd*  ich  nimmer  bringen  kunnte. 

Dess  lob*  ich  hier  die  Frauen  zart  mit  Rechten, 

und  wo  im  Land  ich  immer  fahr', 

Muss  stets  mein  Herz  für  holde  Frauen  fechten/ 

So  singt  Heinrich  von  Meissen,  genannt  Frauenloh. 

Auf  dem  zweiten  Kreuzzuge  im  12.  Jahrhundert  trat  die  deutsche  Ritter- 
schaft mit  der  franzosischen  in  engeren  Verkehr.  Hierdurch  steigerte  sich  die 
Verehrung  der  Frau  zu  einem  förmlichen  Cultus,  zum  Frauendienst.  Freier 
und  äusserlicher  wurde  das  gesellige  Leben,  es  erblühte  eine  grössere  Lebenslust; 
es  entstand  das  Bedürfniss  nach  glänzendem  Verkehr  unter  einander,  nach  reicherem 
Prunke  der  Festlichkeiten,  und  damit  traten  auch  die  Frauen  aus  ihren  Gemächern 
öfters  heraus.  So  hat  denn  das  Ritterthum  den  höfischen  Frauendienst 
geschaffen. 

Die  Cardinaltugend  der  Frauen  in  dieser  höfischen  Zeit  an  der  Wende  des 
12.  Jahrhunderts  war  das  richtige  Maasshalten  (die  „Mäze*^)  im  Gefühl  und  im 
Handeln,  die  sittliche  Besonnenheit,  welche  alles  Anstössige  und  Uebermässige 
vermeidet.  Wer  die  Gesetze  der  modernen  Gesellschaft  kannte  und  beobachtete 
und  alles  Dasjenige ^  was  denselben  entsprach,  hiess  seit  dem  12.  Jahrhundert 
„hövisch",  womit  das  französische  courtois  übertragen  ward.  Für  die  Frauen 
galten  wesentlich  folgende  Regeln:  Einen  Mann  lange  und  starr  anzusehen,  ver- 
bot die  Sitte;  indessen  durfte  das  keine  Frau  bestinmien,  auf  einen  Gruss  ent- 
weder gar  nicht  oder  nur  sehr  herablassend  zu  danken.  Gegen  Arme  wie  Reiche 
musste  man  gleich  artig  sein.  Die  Frau  durfte  weder  zu  grosse  noch  zu  kleine 
Schritte  machen,  sie  musste  leise  auftreten  und  sich  nicht  auffallend  bewegen. 
Beim  ruhigen  Stehen  hielt  sie  die  Hände  über  einander  in  der  Gegend  der  Herz- 
grube; die  Brust  ward  zurückgezogen,  der  Unterleib  mehr  nach  vorn  getragen; 
beim  Sitzen  durften  die  Beine  nicht  gebeugt  werden.  Trat  ein  Mann  grüssend 
ein,  so  erhob  sich  die  Frau  vom  Sessel.  Besondere  Sorgfalt  wurde  dem  Benehmen 
bei  Tische  zugewendet.  Geschwätzigkeit  und  vorlautes  Wesen  galten  selbstver- 
ständlich für  unschicklich.  Freigebigkeit  wurde  bis  zur  wahnsinnigen  Verschwen- 
dung als  höfische  Tugend  geübt. 

,Mit  dem  Verfall  des  höfischen  Lebens,"  sagt  Weihhold,  auf  dessen  Darstellung  wir 
verweisen,  «hörte  auch  die  Gelegenheit  zur  Freigebigkeit  im  Grossen  auf;  die  geselligen  und 
politischen  Verhältnisse  änderten  sich  überhaupt,  und  die  Milde  des  Fürsten  war  fortan  keine 
Lebensbedingung  seines  Geschlechts  und  seines  Landes.  Viele  der  deutschen  hohen  Frauen 
haben  aber  bis  in  die  neueste  Zeit  ihren  Schatz  nicht  in  den  Rhein  versenkt,  sondern  ihn 
PloBS-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aafl.    II.  30 


466     LXVIII.  Der  Einfluas  der  religiösen  Bekenntnisse  auf  die  sociale  Stellung  des  Weibes. 

als  anyertrautes  Gut  betrachtet,  von  dem  sie  spendeten,  wenn  die  Noth  oder  die  Kunst  und 
Wissenscbafb  dazu  mahnten.* 

Der  Frauendienst  aber,  dem  sich  die  Ritter  widmeten,  war  doch  immerhin 
eine  Yeriming;  die  Art  und  Weise,  in  der  die  Verehrung  einer  Dame  ausserlich 
auftrat,  war  die  Ausgeburt  einer  krankhaften  Geistesrichtung,  und  wir  sind  voll- 
ständig berechtigt,  diese  überschwengliche  Verherrlichung  der  Frau  den  grossen 
Volkskrankheiten  zuzuzählen. 

Der  Ritter  that  Gelübde,  um  durch  Grossthaten  oder  durch  Selbstpeini^ung 
das  Herz  der  Auserwählten  zu  erobern,  obgleich  er  schon  längst  mit  einer  anderen 
verheirathet  war,  die  er  keineswegs  zu  verlassen  gedachte.  Oft  kannte  er  die 
Dame  gar  nicht,  der  er  sein  Leben  widmen  wollte. 

Ein  Beispiel  so  ezcentrischen  Benehmens  lieferte  unter  Anderen  Ulrich  von 
Lichtenstein^  dessen  sinnlose  Fahrten  wir  aus  seiner  in  Versen  geschriebenen 
Selbstbiographie  kennen  lernen.  Ganz  treffend  würdigt  Meiners  so  thörichtes 
Gebahren,  welches  in  jener  Zeit  die  sogenannte  yomehme  Welt  beherrscht, 
während  in  dem  Familienwesen  des  Bürgers  und  Bauers  fort  und  fort  die  Haas* 
frau  ihrer  Arbeit  nachging. 

,Alle  diese  Betheuerungen  von  gänzlicher  Ergebenheit,  alle  diese  inbrünstig  scheinen- 
den Grelübde,  alle  diese  Aufopferungen  waren  weiter  nichts,  als  ein  eitles  Gepränge,  wodurch 
man  erhabene  Empfindungen  und  grosse  Leidenschaften  erzeugen  wollte,  deren  in  dem  ganzen 
Zeiträume  der  Ritterschaft  nur  wenige  Edle,  und  zwar  nur  solche  Männer  fähig  waren,  welche 
auch  ohne  den  Flitterprunk  der  Chevalerie  Helden  der  Tugend  und  der  reinen  Liebe  geworden 
wären.  Eben  deswegen,  weil  der  Götzendienst  der  Damen  blosse  Gleissnerei  war,  wurde  er 
Über  alle  Grenzen  der  Wahrheit  und  Natur  hinausgetrieben  und  zugleich  durch  das  Leben 
oder  die  herrschende  Handlungsart  der  Ritter  widerlegt.  Nie  wurden  im  Mittelalter  mehr 
edle  Frauen  und  Jungfrauen  entführt,  beraubt  und  gesdbändet,  als  gerade  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert, wo  die  Ritterschaft  in  ihrer  grössten  Blüthe  war.  Wenn  die  zügellosen  Krieger  in 
diesen  beiden  Jahrhunderten  belagerte  Städte  eroberten  oder  feste  Schlösser  erstiegen,  so  war 
es  gemeines  Eriegsrecht,  Frauen  und  Jungfrauen  zu  schänden,  und  sehr  oft,  wenn  man  sie 
geschändet  hatte,  auf  grausame  Weise  hinzurichten.  Eben  diese  Ritter,  welche  die  Frauen 
und  Töchter  ihrer  Feinde  schändeten  und  mordeten,  yerftihrten  die  Weiber  und  Kinder  ihrer 
Freunde  und  üntertbanen  und  kümmerten  sich  meist  wenig  darum,  wenn  man  an  ihren 
Weibern  und  Töchtern  das  Yergeltungsrecht  ausübte.* 

Dieses  unnatürliche  Wesen  brach  dann  im  15.  Jahrhundert  zusammen  und 
von  nun  an  trat  die  Rohheit  und  Unbildung  bei  der  Mehrzahl  des  Ritterstandes 
wiederum  offen  zu  Tage.  Hatten  die  Burgen  zuvor  behagliche,  mit  Kunstwerken 
reich  verzierte  Wohnräume,  so  finden  wir  jetzt  zwar  viele,  aber  dQrftig  ausge- 
stattete Gemächer.  Auch  die  Lebensweise  war  wieder  um  ein  Bedeutendes  ein- 
facher geworden.  Ebenso  liess  der  Verkehr  den  Frauen  gegenüber  die  alte  Hoch- 
achtung vermissen,  und  als  beispielsweise  die  junge  Rittersfrau  auf  Altspauer 
in  Tyrol  beim  Genüsse  der  , Küchel*  (Kuchen)  mit  der  Zunge  schnalzt,  da  bringt 
das  den  Ehegemahl  derart  in  Harnisch,  dass  er  droht,  falls  sie  ihr  „Schmachitzen' 
nicht  bald  einstelle,  so  werde  er  ihr  die  Schlüssel  derart  an  den  Kopf  werfen, 
dass  ihr  die  Zunge  am  Halse  hänge.    (Schönherr.) 

Ueber  die  Sittenlosigkeit  und  das  Prostitutionswesen  jener  Zeit  habe  ich  in 
einem  früheren  Abschnitte  bereits  gesprochen,  und  wir  haben  dort  gesehen,  wie 
die  Unzucht  unter  öffentlichen  Schutz  genommen  wurde.  Gegen  die  Streitigkeiten 
der  Frauen  unter  einander  ging  man  aber  mit  der  Strenge  des  Gesetzes  vor. 
Das  Stadtrecht  von  Dortmund  aus  dem  11.  Jahrhundert  enthält  folgende  cha- 
rakteristische Verordnung  gegen  Weiberzank: 

,Wenn  zwei  Weiber  mit  einander  streiten,  einander  schlagen  oder  angreifen,  mit  ver- 
kommenen (schimpflichen)  Worten,  so  sollen  sie  zwei  Steine,  welche  durch  eine  Kette  an 
einander  h&ngen  und  zusammen  einen  Centner  wiegen ,  durch  die  Länge  der  Stadt  auf  ge> 
meinem  Wege  tragen.  Die  Eine  soll  zuerst  sie  tragen  vom  östlichen  Thore  nach  dem  west- 
lichen, und  die  Andere  mit  einem  eisernen  Stachel,  welcher  an  einem  Stocke  befestigt,  sie 
treiben,  wobei  beide  in  ihren  Jacken  gehen  müssen    (d.  h.  in  ihrer   Haustracht,  in  der  sie 


429.  Die  sociale  Stellnng  des  Weibes  im  mittelalterlichen  Europa.  467 

niemals  ausgingen).  Alsdann  soll  die  Andere  die  Steine  auf  ihre  Schulter  nehmen  und 
sie  zum  anderen  Ostlichen  Thore  zurücktragen,  die  Erste  aber  hinwiederum  sie  mit  dem 
Stachel  treiben." 

Die  Ausbildung  der  Zünfte  und  der  Gilden  gab  den  Männern  vielfach  Yer*^ 
anla88ung,  ausser  dem  Hause  zum  Trünke  sich  zu  sammeln.  Aber  allmählich 
nahmen  dann  auch  die  Frauen  und  Töchter  an  Festen  Theil,  welche  von  den 
Männern  veranstaltet  wurden.  Mancher  Sittenprediger  war  bemüht,  gegen  die 
Völlerei  und  das  freie  Wesen,  das  sehr  häufig  bei  diesen  Zusammenkünften 
herrschte,  energisch  mit  Strafpredigten  zu  Felde  zu  ziehen. 

Am  anständigsten  ging  es  noch  einher  in  den  Städten,  die  einen  herrschen- 
den und  patricischen  Adel  hatten.  Der  Franzose  Jlfon^at^nß  wohnte  1580  einem 
Tanze  bei,  der  in  einem  der  i^t^^^^r'schen  Paläste  gefeiert  wurde.  In  dem  präch- 
tigen Saale  ging  es  so  anständig  und  würdig  im  Benehmen  gegenüber  der  Frauen- 
welt zu,  dass  sich  der  Berichterstatter  mit  aufrichtiger  Anerkennung  bei  der 
Schilderung  der  Einzelheiten  aussprach.  In  den  Städten,  wo  keine  patricischen 
Geschlechter  das  Begiment  hatten,  wie  in  Hamburg,  Lübeck  und  Bremen, 
waren  grosse  gemischte  Gesellschaften  und  freier  Umgang  beider  Geschlechter 
noch  viel  seltener,  als  in  jenen  Städten  mit  aristokratischer  Verfassung.  In  den 
reichen  und  grossen  Hansestädten  kannte  man  fast  keine  anderen  Gesellschaften, 
als  geschlossene  Familiencirkel;  Frauen  und  Jungfrauen  bekümmerten  sich  nur 
um  die  Haushaltung  und  einige  weibliche  Arbeiten,  wie  der  Franzose  Aubery 
du  Maurier  im  Jahre  1637  bezeugt.  Die  Putz-  und  Prunksucht  der  Damenwelt, 
welche  in  den  letzten  Jahren  des  dreissigjährigen  Krieges  in  Deutschland  über- 
hand nahm,  £a.nd  in  diesen  Städten  keinen  günstigen  Boden. 

Wir  hatten  schon  erfahren,  wie  das  Ghristenthum  die  Stellung  der  Frau 
wesentlich  verbesserte.  Mit  der  Ausbildung  des  Jlfanen-Gultus  fand  hierin  noch 
eine .  Steigerung  statt.  Andere  kirchliche  Einrichtungen  aber ,  namentlich  das 
Priester-Cölibat  und  das  Nonnenwesen,  führten  hin  und  wieder  eine  Schädigung 
herbei;  denn  sie  erzeugten  sittliche  Excesse,  welche  das  Ansehen  des  Weibes 
untergruben.  Während  bis  zum  11.  Jahrhundert  das  Gelübde  der  Ehelosigkeit 
nur  von  den  Insassen  der  Klöster,  den  Mönchen  und  Nonnen,  abgelegt  worden 
war,  wagte  es  Papst  Gregor  VIL^  auch  den  Weltgeistlichen  die  Ehe  zu  verbieten. 
Diese  Maassregel  priesterUcher  Herrschsucht  durchzusetzen  wäre  ihm  nicht  möglich 
gewesen,  wenn  nicht  schon  eine  asketische  Richtung  um  sich  gegriffen  und  das 
gesunde  GefÖhl  des  Volkes  verwirrt  hätte.  Von  da  an  berichten  die  Annalen  von 
der  sittlichen  Entartung  des  Clerus;  die  niedere  Weltgeistlichkeit  und  die  Bettel- 
mönche Hessen  sich  überall  auf  sittenlose  Abenteuer  und  frivole  Liebeshändel  ein; 
sie  verdarben  den  Wandel  der  Frauen  und  Mädchen  aus  dem  Volke  (Haupt)^ 
während  die  höhere  Geistlichkeit  den  Verkehr  mit  Frauen  aus  höheren  Ständen 
suchte  und  in  feiner  Weise  der  Minne  huldigte. 

Diesem  Unwesen  widersetzte  sich  Luther^  aber  in  den  bürgerlichen  und  den 
staatlichen  Rechtsverhältnissen  der  Ehe  beabsichtigte  er  keine  Aenderung  za 
machen.  Wie  Martin  Luther  das  Eherecht  auffasste,  geht  aus  zwei  Stellen  seiner 
Schriften  hervor;  die  eine  lautet: 

, Demnach  weil  die  Hochzeit  und  Ehestand  ein  weltlich  Geschäft  ist,  gebührt  uns 
Geistlichen  oder  Kirchendienern  Nichts  darin  zu  ordnen  oder  regieren.*  Die  andere  Stelle: 
,Wie  aber  jetzt  bei  uns  die  Ehesachen  oder  im  Scheiden  zu  halten  sei,  hab  ich  gesagt,  dass 
man's  den  Juristen  soll  befehlen  und  unter  das  weltliche  Regiment  werfen,  weil  der  Ehestand 
gar  ein  weltlich  äusserlich  Ding  ist." 

Somit  trat  also  Luther  für  das  Recht  der  Givilehe  ein,  der  Kirche  und  der 
Religion  bewahrte  er  die  Weihe  des  Ehebündnisses. 

Johann  Fischart  machte  von  der  Ehe  im  Jahre  1578  in  seinem  , philo- 
sophischen Ehezuchtsbüchlein*"  folgende  schöne  Schilderung: 

,  Woraus  besteht  die  ganze  Gemeinschaft  anders,  ab  aus  vielen  Geschlechtem  und  Haus- 
haltungen?   Der  Geschlechter  Anfang  aber  ist  ja  die  Heirath:  deshalben,  wer  dem  Menschen 

30* 


468     LXVIII.  Der  Einflass  der  religiösen  Bekenntnisse  auf  die  sociale  Siellang  des  Weibes. 

die  Ehe  entzieht,  der  tilgt  auch  die  Geschlechter  aus.  Ja,  die  Stadt,  die  Gemeinde,  da^ 
ganze  Geschlecht,  alle  freundliche  Zusammen wohnung,  einmüthige  Vereinigung,  nachbarliches 
Willen,  väterliche  Fürsorge,  mfltterliche  Herzlichkeit,  kindliche  Anmuth,  geschwisterliche 
Liebe,  schw&gerliche  Verwandtschaft,  h&usliche  Treue,  gesellige  Kundschaft,  liebliche  Einigkeit 
und  das  einhellige  Regiment  dieser  Welt.  Denn  wo  ist  ein  ordentliches  Leben  ohne  die  Ehe? 
Wie  die  Bienen  des  Menschen  halber  geschaffen  sind,  also  das  Weib  und  der  Mann  g^emeiner 
Geselligkeit  und  Erhaltung  der  Ehe  halber.  Wie  die  Bienen  nicht  allein  Junge  erzeugen, 
sondern  auch  die  Waben  und  das  Nest,  desgleichen  auch  das  Wachs  bringen,  also  erzielen 
viele  Eheleute  nicht  allein  Kinder,  sondern  bemühen  sich  auch,  etwas  Gutes  zusammenzu- 
tragen, welches  der  Gemeinde  diene.  Wie  die  jungen  Bienen  gleich  mit  an  die  Gemeinschaft 
und  Arbeit  anstehen  müssen,  also  ziehen  rechte  Eltern  gleich  ihre  Kinder  an  zu  ehrlicher 
Haushaltung,  dass  die  Gemeinde  daraus  erbauet  werde,  wie  die  Bienen  keine  faulen  Hummeln 
unter  sich  leiden,  also  in  einer  Haushaltung  muss  Alles  ernst  zugehen.  Die  Frau  muss  aber 
gleichsam  eine  Königin  im  Immenkorb  ihres  Hauses  sein,  welche  mit  Anordnung  aller 
Arbeit,  Fürsorge  der  Speise,  der  Aussendnng  des  Gesindes  an  die  Arbeit,  den  Immenkorbkdnig 
anmaasse." 


LXIX.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Cultur- 

völkern  der  Neuzeit. 

430.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Deutschen  der  Neuzeit. 

Tief  erschütternd  hat  auf  das  moralische  Verhalten  des  weiblichen  Geschlechts 
in  Deutschland  der  dreissigjährige  Krieg  mit  seinen  Gräueln  eingewirkt,  und 
es  war  nur  die  natürliche  Folge,  dass  die  Frauen  auch  eine  erhebliche  Einbusse 
an  ihrer  Hochschätzung  erlitten.  Als  der  langersehnte  Friede  kam,  da  beeilten 
sich  die  einzelnen  Souveräne  des  deutschen  Reiches,  sich  nicht  nur  in  ihrer 
Machtvollkommenheit  zu  befestigen,  sondern  auch  den  Glanz  Ludwigs  XIV.  um 
sich  zu  verbreiten;  jeder  von  ihnen  wollte  sein  Versailles  haben;  die  franzö- 
siche  Mode  und  französische  Leichtfertigkeit  hielten  ihren  Einzug  an  den 
Höfen. 

Aber  bald  ging  der  gesunde  Sinn  der  deutschen  Frauen  auch  aus  diesen 
neuen  Anfechtungen  siegreich  hervor.  Doch  schon  drohte  eine  neue  Gefahr;  denn 
auch  in  dem  Schoosse  des  Protestantismus  begann  ein  unerquickliches  Pfaffen- 
gezänk. Zelotischer  denn  je  tobten  die  wilden  Eiferer  fftr  den  Buchstaben  in 
Schrift  und  Predigt;  und  in  manchen  Orten  stellte  man  bis  in  das  18.  Jahr* 
hundert  die  lutherischen  Bekenntnissschriften  wohl  noch  über  die  Bibel  selbst. 
Bei  solchem  dogmatischen  Wulste  fand  das  Gemüth  keine  Rechnung,  und  in 
Tausenden  von  Herzen  entbrannte  die  Sehnsucht  nach  einem  anderen  Christen- 
thume,  als  dem  von  den  Geistlichen  verkündeten.  Da  trat  der  protestantische 
Prediger  Spener  auf  mit  seinen  religiösen  Anschauungen,  welche  man  als  Pietis- 
mus bezeichnet.  Seine  „Erweckung*  zündete  vor  Allem  in  dem  Gefühlsleben 
des  weiblichen  Geschlechts.  Zahlreiche  Frauen  wurden  zu  begeisterten  Bekennem 
seiner  Lehren  und  machten  dann  als  „schöne  Seelen*  ausgiebige  Propaganda  für 
die  Sentimentalität.  Viele  Damen  aus  den  vornehmsten  Häusern  schlössen  sich 
der  neuen  Richtung  an.  Die  Signatur  der  damaligen  Zeit  war  eine  phantastische 
Gefühlserregung,  welche  zu  einer  bedenklichen  Schwärmerei  in  der  gebildeten 
Frauenwelt,  und  schliesslich  zu  höchst  ärgerlichen  Scenen  föhrte.     {Scheube.) 

Im  Ganzen  aber  blieb  die  deutsche  Frau  doch,  was  sie  auch  noch  heute 
ist,  die  eigentliche  Hüterin  des  Hauses  und  des  Familienlebens.  Aber  nicht  nur 
im  Hause,  sondern  auch  im  öffentlichen  Leben  wurde  ihr  eine  grössere  Betheili- 
gung angebahnt,  die  sich  namentlich  bei  den  grossen  nationalen  Erhebungen  in 
den  Jahren  1813,  1866  und  1870  auf  das  glänzendste  bethätigte.  In  dieser  neuen 
Mission  der  Frau,  welche  sich  in  der  hmgebenden  Sorge  för  die  Kranken  und 
Verwundeten  kund  gab,  vereinigten  sich  Bürgerfrauen  und  Fürstinnen  in  edlem 
Wettstreit  zum  Wohle  des  Vaterlandes. 


470         LXIX.  Die  sociale  Stellang  des  Weibes  bei  den  CalturvÖlkem  der  Neuzeit. 

In  den  letzten  Jahren  wird  Ton  gewisser  Seite  eifrig  dafür  gekämpft,  am 
der  Frau  in  Deutschland  eine  «höhere*'  Stellang  zu  erobern,  als  sie  bisher  ein- 
genommen hat.  Möge  nicht  ein  Rückschlag  kommen,  der  zu  einer  neuen  Er- 
niedrigung führt. 

431.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Engländern  der  Neuawit. 

Das  englische  Oesetz  hat  dem  Schutze  der  Frauen  von  Alters  her  seine 
Aufmerksamkeit  geschenkt;  aber  die  Strafen,  die  den  Missethäter  bedrohten,  ^-aren 
je  nach  dem  Geist  der  Zeiten  in  ihrer  Härte  und  Schwere  verschieden. 

Zu  der  Zeit  der  Angelsachsen  stand  der  Tod  auf  eine  gewaltsame  Schän- 
dung. Wühdfn  der  Eroberer  setzte  diese  Strafe  auf  den  Verlust  der  Augen  und 
auf  Entmannung  herab.  Heinrich  der  Dritte  sah  dieses  für  zu  hart  an,  und  da 
er  glaubte,  dass  ein  so  eingreifendes  Gesetz  sehr  leicht  von  leichtfertigen  und 
rachsüchtigen  Weibern  gegen  Unschuldige  gemissbraucht  werden  könnte,  so  ver- 
ordnete er,  dass  eine  Ehrenschändung,  wenn  nicht  binnen  vierzig  Tagen  darüber 
geklagt  würde,  nur  als  ein  blosses  Vergehen  mit  zwei  Jahren  Gefängniss  und 
Geldbusse  bestraft  werden  solle.  Jedoch  konnte  der  König  selbst,  wenn  die  an- 
gegebene Frist  nicht  eingehalten,  sondern  die  Klage  erst  später  erhoben  war,  den 
Thäter  immer  noch  bestrafen.  Als  aber  später  sich  diese  Gewaltacte  gar  zu  häufig 
wiederholten,  führte  er  die  Todesstrafe  wieder  ein.  Dabei  wurde  festgesetzt,  dass 
jede  weibliche  Person,  die  wegen  Schändung  klagbar  wurde,  als  vollgültiger  Zeuge 
zu  betrachten  sei.  Dieses  Vorrecht,  in  eigener  Sache  zeugen  zu  dürfen,  wurde 
sogar  in  dergleichen  Fällen  auf  Mädchen  ausgedehnt,  die  noch  nicht  zwölf  Jahre 
alt  waren. 

Ein  anderes  englisches  Gesetz  schützte  die  Mädchen  vor  leichtsinnigem 
Eheversprechen:  sie  konnten  durch  Rechtsklage  die  Schadloshaltung  nachsuchen. 
Sobald  jedoch  eine  weibliche  Person  in  die  Ehe  getreten  war,  so  hörte  sofort 
ihre  politische  Existenz  auf;  keine  Verheirathete  konnte  wegen  Schulden,  die  sie 
gemacht  hatte,  verhaftet  werden;  sie  verlor  ihre  Freiheit  nur  durch  Verbrechen, 
die  sie  etwa  beging;  und  für  solche  von  ihr  begangene  Vergehen,  auf  welchen 
nur  eine  Geldbusse  stand,  wurde  der  Ehemann  haftbar  gemacht.  Auch  musst« 
Letzterer  alle  Schulden  zahlen,  die  seine  Frau  bereits  vor  der  Verheirathung  ge- 
macht hatte.  Von  diesen  Lasten  war  er  befreit,  wenn  die  Frau  ihm  gegen  seinen 
Willen  entlief;  auch  brauchte  er  in  solchem  Falle  nicht  für  ihren  Unterhalt  zu 
sorgen.  Vermochte  sie  aber  nachzuweisen,  dass  schlechte  Behandlung  von  seiner 
Seite  sie  zu  der  Flucht  bewogen  hatte,  dann  fielen  ihm  die  alten  Pfiichten  wieder 
zu,  und  er  musste  auch  seine  Frau  unterhalten.  Bedrohte  ein  Mann  seine  Frau 
mit  Schlägen,  so  konnte  sie  vor  dem  Friedensrichter  eine  Bürgschaft  für  sein 
künftiges  gutes  Betragen  fordern. 

Auf  die  Entführung  einer  Ehefrau  durch  Gewalt  oder  durch  XJeberredung 
war  als  Strafe  eine  Schadloshaltung  des  beleidigten  Ehemannes  und  zwei  Jahre 
Gefängniss  gesetzt.  Die  alten  englischen  Gesetze  sollen  in  diesem  Punkte  so 
streng  gewesen  sein,  dass  Niemand  es  wagte,  eine  verirrte  Frau  in  sein  Haus  auf- 
zunehmen, ausgenommen,  wenn  die  Nacht  sie  überraschte.  Wenn  eine  Frau  im 
Beisein  ihres  Mannes  sich  einer  Todschuld  strafbar  gemacht  hatte,  so  nahm  das 
Gesetz  an,  dass  die  That  auf  den  Antrieb  des  Mannes  geschehen  sei  und  sprach 
sie  aus  diesem  Grunde  frei.  Bemächtigte  sie  sich  heimlich  der  Sachen  ihres  Mannes 
und  verkaufte  diese,  so  wurde  sie  nicht  als  Diebin  bestraft;  hatte  der  Mann  einen 
Diebstahl  begangen  und  die  Frau  die  Hehlerin  gemacht,  so  wurde  sie  dafür  nicht 
bestraft.     {Mexander) 

In  England,  wo  der  Kampf  für  die  Frauenrechte  so  ganz  besonders 
heftig  entbrannt  ist,  herrschten  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des  verflossenen  Jahr- 
hunderts Zustände,  welche  Meiners  folgendermaassen  schildert: 


:fo 


431.  Die  sociale  Stellang  des  Weibes  bei  den  Engländern  der  Neuzeit.  471 

.Nach  den  englischen  Gesetzen  wurden  verheirathete  Frauen  nicht  nur  als  Eigenthum 
der  Männer  angesehen,  sondern  auch  als  Kinder,  die  keinen  Willen  haben,  oder  als  Sclayinnen, 
die  ihren  Willen  dem  Willen  der  Herren  unterwerfen  müssen.  Ein  Engländer,  der  seiner 
Frau  überdrüssig  ist,  kann  diese  Öffentlich  wie  ein  Stück  Vieh  verkaufen:  wobei  jetzt  freilich 
stillschweigend  vorausgesetzt  wird,  dass  die  Frau  damit  zufrieden  ist,  sich  verkaufen  zu  lassen. 
Es  kamen  in  jener  Zeit  nicht  wenig  solche  Fälle  vor,  von  welchen  wir  nur  anführen:  Ein 
Herzog  kaufte  die  Frau  seines  Kutschers,  und  ein  Schuster  inWorcester  die  Frau  eines 
Tagelöhners,  die  an  einem  Strick  um  den  Hals  auf  den  Markt  geführt  und  gegen  fünf  Pfund 
Sterling  ihrem  Käufer  übergeben  wurde.  Die  englischen  Gesetze  erkennen  so  wenig  einen 
eigenen  Willen  verheiratheter  Frauen  an,  dass  sie  bei  gemeinschaftlichem  Verbrechen  von 
Eheleuten  nur  allein  den  Mann,  nicht  die  Frau  strafen,  und  auch  den  Mann  für  die  Schulden 
und  kleinere  Vergehen  der  Frau  haften  lassen." 

Schon  am  Ausgange  des  18.  Jahrhunderts  wurde  von  einer  englischen 
Dame  ( WoUstonecraft)  för  Frauenemancipation  in  Schriften  gewirkt  und  über  die 
Knechtschaft  geklagt,  unter  der  das  weibliche  Oeschlecht  stehe.  Dagegen  sagt 
ein  Deutscher: 

, Diese  Klagen  sind  granz  oder  gi-össtentheils  grundlos;  denn  das  einzige  Gesetz,  das  den 
Engländerinnen  der  unteren  Klassen  sehr  oft  nachtheilig  wird,  ist  das  Gesetz  von  der 
Gemeinschaft  der  Güter,  welches  liederliche  und  brutale  Männer  berechtigt,  nicht  nur  das 
Vermögen,  sondern  auch  den  Erwerb  ihrer  Weiber  durchzubringen.* 

Doch  konnte  und  kann  wohl  auch  noch  jetzt  die  Frau  durch  einen  Ehe- 
vertrag  sich  den  unbeschränkten  Gebrauch  ihres  ganzen  Vermögens  vorbehalten; 
so  giebt  der  Mann  die  Disposition  über  dasselbe  auf,  bleibt  aber  doch  verbunden, 
die  Schulden  der  Frau  zu  zahlen.  Femer  muss  man  bedenken,  dass  doch  die 
liederlichen  Männer  nur  die  kleinste  Zahl  ausmachen,  während  dagegen  die 
Weiber,  auf  Orund  dieses  Gesetzes  von  der  Gütergemeinschaft,  zugleich  Besitze- 
rinnen des  Vermögens  ihrer  Gatten  und  Theilhaberinnen  der  Früchte  ihres 
Fleisses  werden. 

Auf  der  anderen  Seite  aber  gaben  die  englischen  Gesetze  den  Weibern 
Vorrechte,  die  sie  bei  keinem  anderen  Volke  geniessen:  Die  Frau  konnte  ihren 
Ehemann  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Hochzeit  mit  einem  Kinde  beschenken, 
welches  der  Mann  anerkennen  musste,  wenn  er  auch  beweisen  konnte,  dass  er 
seine  Braut  vor  der  Ehe  nicht  berührt  hatte.  In  Schottland  musste  ein  ge- 
schwängertes Mädchen  dem  Geistlichen  und  dem  Aeltesten  des  Eirchensprengels 
den  Schwängerer  nennen.  Dieser  aber  konnte  sich  durch  einen  Eid  gegen  die 
Anklage  schützen;  vermochte  er  nicht  den  Eid  zu  leisten,  so  wurde  ihm  eine 
Kirchenbusse  auferlegt. 

Ein  Sprüchwort  sagt:  „England  ist  das  Paradies  der  Weiber."  Mit 
rühmenswerther  Treue  steht  Ton  jeher  die  Engländerin  der  Erziehung  ihrer 
Kinder  und  dem  Hauswesen  vor.     Schon  im  vorigen  Jahrhundert  schrieb  Kälm: 

«Sie  sorgen  für  die  Küche,  für  die  Erhaltung  und  Reinlichkeit  der  Häuser  und  Ge- 
mächer, der  Möbeln  und  Wäsche  mit  einem  Eifer  und  einer  Aufmerksamkeit,  die  in  wenigen 
Ländern  erreicht «  in  keinem  Übertroffen  werden.  Dagegen  haben  die  Männer  ihnen  nicht 
nur  alle  schweren  Arbeiten  des  Feldes,  sondern  auch  des  Hauses  abgenommen.  Personen 
des  weiblichen  Geschlechts  arbeiten  oder  helfen  niemals  oder  höchst  selten  auf  den  Aeckem 
und  Wiesen,  beim  Backen  oder  Brauen;  selbst  das  Melken  der  Eühe  wird  von  Männern 
verrichtet.* 

Wie  sich  die  deutsche  Frau  und  die  Engländerin  zu  ihrem  Gatten  ver- 
hält, im  Gegensatze  zur  Französin,  das  ist  sehr  schön  von  Michelet  erörtert 
worden. 

,Die  Französin  ist  für  den  Gatten  ein  trefflicher  Genosse  in  Allem,  was  Geschäfte 
betrifft,  und  auch  in  den  geistigen  Sphären.  Wenn  er  sie  nicht  zu  beschäftigen  weiss,  läuft 
er  Gefahr,  sie  zu  verlieren.  Aber  sobald  er  in  schwierige  Lage  geräth,  erinnert  er  sich,  dass 
sie  ihn  liebt,  und  manchmal  würde  sie  sich  für  ihn  tödten  lassen.  Die  Engländerin  ist  die 
treffliche,  mathige,  unermüdliche  Gattin,  die  überallhin  folgt,  alles  erträgt.  Beim  ersten 
Zeichen  ist  sie  bereit.    ,Luci,  ich  reise  morgen  nach  Australien.^  —  ,lch  will  nur  eben  meinen 


472         LXIX.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Galturvölkern  der  Neuzeit. 

Hut  aufsetzen  und  bin  fertig.'  Ihr  könnt  mit  der  Engländerin  sehr  leicht  Eure  Sitaation 
wechseln;  könnt,  wenn  es  Euch  etwa  gefällt,  bis  an's  Ende  der  Welt  mit  ihr  wandern.  — 
Die  Deutsche  liebt,  liebt  beständig.  Sie  ist  schmiegsam,  will  gehorchen.  Sie  taugt  nar 
zu  Einem:  zum  Lieben;  aber  dies  Eine  ist  eben  Alles.  Ihr  könnt  mit  der  Deutschen,  wenn 
Ihr  woUt,  ganz  allein  leben,  auf  einem  entlegenen  Landsitz,  in  der  tiefsten  Einsamkeit.  — 
Die  Französin  ist  dazu  nur  im  Stande,  wenn  Ihr  sie  vielfach  und  angestrengt  beschäftigen 
könnt.  Ihre  stark  ausgeprägte  Persönlichkeit  will  berücksichtigt  sein;  aber  sie  macht  sie  auch 
fähig,  in  ihrer  Aufgebung  sehr  weit  zu  gehen,  selbst  die  Eitelkeit  und  das  Bedür&iss  su 
glänzen  aufzugeben.    Das  hat  die  Deutsche,  die  nur  lieben  will,  gar  nicht  nöthig.* 


432.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Spaniern  nnd  Italienern 

der  Neuzeit. 

Ueber  das  Leben  der  spanischen  Frau  im  16.  und  17.  Jahrhundert  macht 
Meiners  nach  den  Berichten  zeitgenossischer  Autoren  folgende  Angaben:  Nichts 
war  trauriger  als  das  häusliche  Leben  der  Yomehmen  Spanierinnen;  verheirathete 
Frauen  von  Stande  durften  nie  Besuch  von  Männern  annehmen;  führte  ihnen 
der  Ehegatte  Freunde  oder  Bekannte  zu,  so  getrauten  sie  sich  nicht  die  Augen 
aufzuschlagen.  Die  Etiquette  gebot  ihnen,  bei  dem  Besuche  von  Freundinnen 
mit  einem  grossen  Luxus  von  Schmuck  und  Kleidern  zu  prunken;  so  war  ihnen 
eine  solche  Begegnung  mehr  eine  Last  als  eine  Unterhaltung.  Sie  durften  nur 
in  geschlossenen  Wagen  ausfahren;  ihre  Mütter  leisteten  ihnen  nie  Gesellschaft. 
Der  Mann  speiste  im  Hause  allein  an  besonderem  Tische;  Frau  und  Kinder  sassen 
nach  orientalischem  Gebrauche  mit  kreuzweise  untergeschlagenen  Beinen  auf 
Teppichen  oder  Polstern  umher.  Die  gewöhnliche  Beschäftigung  der  Frau  im 
Hause  bestand  im  Sticken,  im  Schwatzen  mit  den  Kammerzofen  und  im  Beten 
des  Rosenkranzes. 

Bei  solcher  Abgeschlossenheit,  welche  die  Eifersucht  der  Männer  vorschrieb, 
waren  die  Frauen  denselben  aber  keineswegs  durchgehends  treu;  sie  hintergingen 
mit  List  die  Wachsamkeit  der  Duennas;  oft  bestanden  sie  verliebte  Abenteuer, 
bisweilen  trafen  sie  sich  mit  ihrem  Liebhaber  in  der  Kirche. 

,Die  vornehmsten  Damen  nahmen  es  nicht  allein  nicht  übel,  wenn  ein  Gavalier,  der 
mit  ihnen  allein  war,  in  der  ersten  halben  Stunde  um  die  höchste  Gunst  bat,  sondern  sie 
sahen  sogar  das  Gegentheil  als  eine  Verachtung  an,  um  deren  willen  sie  Jemand  erstechen 
könnten.*^ 

In  der  OefiFentlichkeit  wurde  der  Dame  mit  ausgesuchter  Galanterie  be- 
gegnet. Frau  d'Aunoy  erzählt  hierfür  eine  Anzahl  charakteristischer  Beispiele. 
Kein  Cavalier,  der  eine  Dame  begleitete,  wagte  es,  ihr  die  Hand  zu  geben  oder 
ihren  Arm  unter  den  seinigen  zu  nehmen;  die  Spanier  umwickelten  ihren  Arm 
mit  dem  Mantel  und  boten  alsdann  den  Damen  den  Ellenbogen  dar,  damit  sie 
sich  darauf  stützten;  glückliche  Liebhaber  küssten  ihre  Schönen  nicht,  die  grosste 
Liebkosung  der  Spanier  bestand  darin,  die  Arme  ihrer  Geliebten  mit  den  Händen  zu 
umfassen  und  zärtlich  zu  drücken.  Man  affectirte  oft  eine  romanhafte  Liebe  gegen 
Damen,  denen  man  keine  wahre  Liebe  einflössen  wollte  und  von  welchen  man 
keine  ernstliche  Gegenliebe  erwartete;  die  Prunksucht  jener  Zeit  aber  machte,  dass 
man  dabei  einen  grossen  Theil  seines  Vermögens  der  Eitelkeit  zum  Opfer  brachte. 
Diese  Liebesthorheit  ergrilT  aber  nach  und  nach  alle  Stände. 

Die  Eingeschlossenheit  der  ehrbaren  Frauen  und  Jungfrauen  hatte  dann, 
wie  in  Alt-Griechenland,  die  Folge,  dass  Buhlerinnen,  die  auch  von  den  Be- 
hörden geschützt  wurden,  um  so  öffentlicher  ihr  Gewerbe  trieben.  Diese  aber 
verlangten  von  den  Liebhabern,  welche  sie  unterhielten,  unverbrüchliche  Treue; 
ging  ein  solcher  zu  einem  anderen  Mädchen,  so  übten  sie  an  letzterem  eifer- 
süchtige Rache. 


432.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Spaniern  und  Italienern  der  Neuzeit.        473 

Die  Italienerin  des  16.  Jahrhunderts  war  im  Allgemeinen  streng  an  das 
Hans  gebunden.  Yerheirathete  Frauen,  die  mit  einem  Hofe  in  Beziehung  standen, 
konnten  allerdings  an  Galatagen,  bei  festlichen  Bällen  u.  s.  w.  öffentlich  erscheinen. 
Allen  Edelfrauen  war  es  erlaubt,  bei  bürgerlichen  und  gottesdienstlichen  Festen 
sich  am  Fenster  oder  auf  dem  Balcon  zu  zeigen,  die  Kirche  und  das  Theater  zu 
besuchen,  und  auch  in  ihrem  Wagen  spazieren  zu  fahren.  In  der  Regel  aber 
blieben  die  italienischen  Damen  bei  allen  solchen  Veranlassungen  von  der 
Männerwelt  getrennt.  Am  meisten  näherten  sich  die  beiden  Geschlechter  auf 
Bällen,  bei  welchen  dann  ein  Ton  herrschte,  den  selbst  Franzosen  frei  fanden. 
Bei  solennen  Mahlzeiten  wurden  die  Frauen  von  ihren  Männern  bedient,  die  hinter 
ihren  Stühlen  standen  und  ihnen  Speise  und  Trank  darreichten.  Aus  dieser  Be- 
dienung der  Damen  soll  gegen  das  Ende  des  16.  Jahrh.  das  sogenannte  Gicis- 
beat  hervorgegangen  sein. 

Hatte  zur  Blüthezeit  der  Republik  Venedig  die  vornehme  Venezianerin 
ihre  Mädchenjahre  hinter  den  Mauern  ihres  Vaterhauses  in  fast  klosterlicher  Ein- 
fachheit und  Einsamkeit  verlebt,  und  war  sie  dann,  ohne  ihrer  Neigung  Rechnung 
zu  tragen,  verlobt  und  verehelicht  worden,  so  trat  sie  als  Frau  und  Mutter  in  eine 
beschränkte  Oeffentlichkeit.  Für  Hochzeiten  und  Feste  durfte  sie  sich  schmücken; 
Perlen  und  Edelsteine  in  verschwenderischer  Fülle  wurden  mit  Vorliebe  hierfür 
angewendet.  Sich  Wangen  und  Lippen,  Hals  und  Brust  zu  schminken,  sich  am 
ganzen  Korper  zu  parfömiren,  war  allgewöhnlich.  Hatten  die  Haare  nicht  die 
goldgelbe  Farbe,  welche  als  Erfordemiss  der  Schönheit  galt,  so  brachten  künst- 
liche Mittel  diese  hervor.  So  treten  diese  Damen  uns  auf  den  Gemälden  ihrer 
grossen  Meister  entgegen.  Das  Färben  der  Haare  wird  von  Cesare  Veceüio  ab- 
gebildet und  genau  beschrieben. 

Die  sociale  Rolle  der  Venezianerin  ist  nach  Kämmel  niemals  eine  erheb- 
liche gewesen.  Die  Lagunenstadt  hat  keine  Olympia  Morata,  keine  Vittoria  Co- 
lonna  hervorgebracht,  und  im  Staatswesen  vollends  machen  sich  niemals  Damen 
bemerkbar,  wie  die  Frauen  der  Goneaga  oder  der  Este.  Auch  Catarina  Cornaro 
verdankt  ihren  Namen  mehr  dem,  was  sie  ertragen  musste,  als  was  sie  that; 
literarischen  Ruhm  haben  nur  sehr  wenige,  wie  Cassandra  und  Oaspara  Stampdf 
geerntet.  Und  das  in  einer  Zeit,  wo  anderwärts  die  Italienerin  die  Bildungs- 
interessen, nicht  selten  auch  selbst  die  Bildung  der  Männer  völlig  theilte!  Für 
die  Venezianerin  ist  das  kein  Glück  gewesen.  Dem  Nobile  war  die  Frau  die 
Mutter  seiner  Kinder,  die  glänzende  StÄage  seiner  Feste,  eifersüchtig  von  ihm 
behütet,  und  vielleicht  gerade  deshalb  nicht  abgeneigt,  zuweilen  von  ihrer  Gondel 
oder  ihrem  Balcon  herab  ein  Lächeln  des  Einverständnisses  mit  eleganten  Cava- 
lieren  zu  tauschen.  Aber  sie  war  nicht  im  vollen  Sinne  die  Gefährtin  seines 
Lebens,  sie  nahm  nicht  Theil  an  den  wissenschaftlichen,  künstlerischen,  politischen 
Interessen,  die  ihn  bewegten.  So  wurde  denn  auch  hier  im  geistigen  Verkehre 
die  Ehefrau  von  der  Buhlerin  verdrängt,  da  sie  den  Männern  bot,  was  jene  nicht 
vermochte. 

Die  Damen  der  Halbwelt  nahmen  zuweilen  eine  höchst  einflussreiche  Stellung 
ein  und  empfingen  die  Huldigungen  der  geistvollsten  Männer,  wie  jene  Veronica 
Franco^  die  den  König  Heinrich  IIL  von  Frankreich  während  seines  Aufent- 
halts in  Venedig  fesselte  und  deren  Bild  uns  Tintoretto  hinterlassen  hat.  Auch 
die  Venus  vtdgivaga  feierte  in  Venedig  ihre  schmutzigen  Triumphe,  Dank  dem 
Zusammenströmen  zahlloser  Fremder.  Es  wird  versichert,  dass  die  Zahl  der  öffent- 
lichen Dirnen  um  das  Jahr  1500  gegen  11000  betragen  habe!  Allerdings  be- 
zifferte man  sie  in  dem  weniger  bevölkerten  Rom  um  dieselbe  Zeit  auch  auf 
6800.  Selbst  Nobili  verschmähten  es  nicht,  öffentliche  Häuser  zu  unterhalten, 
„ausserdem  viele  Priester  und  Mönche*.  Und  welches  Sittenbild  ergiebt  sich, 
wenn  1526  Andrea  Michid  seine  Hochzeit  mit  einer  Dirne  in  einem  Kloster 
feierte!    Trotzdem  sah  die  Regierung  diesen  Scandalen  nach,   denn  ärger  als  das 


474         LXIX.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Calturvdlkem  der  Nenzeit. 

waren  die  unnatürlichen  Laster,  welche  wie  eine  Pest  ans  dem  Orient  ein- 
drangen. Von  allen  Städten  Europas  waren  die  spanischen  und  italie- 
nischen am  reichsten  mit  Buhlerinnen  gesegnet,  denn  dort  lebten  die  Frauen 
am  meisten  zurückgezogen,  dagegen  waren  die  im  Gölibat  lebenden  Geistlichen 
dort  am  zahlreichsten,  am  verdorbensten  und  üppigsten.  Die  italienischen 
Buhlerinnen  bildeten  sich  vorzugsweise  nach  den  griechischen  Hetären;  so 
wurden  sie  wieder  Muster  und  Lehrerinnen  der  Hofdamen  zuerst  in  Italien,  dann 
auch  in  den  benachbarten  Ländern,  sowohl  in  der  Kunst  sich  zu  putzen,  als 
auch  in  den  buhlerischen  Künsten,  durch  Erhöhung  ihrer  Beize  die  sinnliche 
Liebe  zu  wecken.  {Meiners.)  Montaigne  bewunderte  die  Kunst,  mit  der  die 
Curtisanen  in  Rom  das,  was  an  ihnen  schön  war,  vortheilhaft  zeigten,  und  das, 
was  hätte  abschrecken  können,  zu  verbergen  wussten.  Wenn  Jemand  eine  Nacht 
bei  einer  Gurtisane  zugebracht  hatte,  so  konnte  er  ihr  am  folgenden  Tage  auf- 
warten. Sonst  wurden  auch  nur  die  Unterhaltungen  mit  Curtisanen  fast  eben 
so  hoch  als  der  Genuss  ihrer  Reize  bezahlt.  Die  reichsten  Curtisanen  lebten  zu 
Montaigne' s  Zeit  in  Venedig,  die  armseligsten  und  am  wenigsten  verlockenden 
in  Florenz. 

Im  südlichen  Italien  fand  sich  Manches,  das  an  die  Sitten  in  Spanien  er- 
innerte. Als  Brantome  Italien  bereiste,  verbargen  dort  die  Damen  ihre  Füsse 
ebenso  sorgfaltig,  wie  die  Spanierinnen,  und  in  Yiterbo  zeigte  man  noch  die 
Beweise  der  Jungfrauschaft  bei  der  Neuvermählten.  In  Neapel  aber  wurde 
schon  früh  in  Folge  der  vielfachen  Berührungen  des  dortigen  Hofes  mit  fran- 
zösischen Cavalieren  der  Umgang  der  Frauen  mit  Männern  etwas  weniger  ängst- 
lich eingeschränkt. 

433.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Franzosen  der  Neuzelt. 

In  der  französischen  Gesellschaft  nahmen  die  Frauen  von  jeher  eine  ganz 
andere  Stellung  ein,  als  in  den  übrigen  Ländern  Europas.  Vielfach  bildeten  sie 
den  Mittelpunkt  des  geistigen  und  literarischen  Interesses.  Schon  die  Troubadours 
Garin  der  Braune^  Ämanieu  des  Escas,  Robert  de  Blois  schrieben  poetische  An- 
standsregeln,  welche  Damen  gewidmet  waren.    Arnold  schreibt: 

,In  der  Ritterzeit  lassen  sich  die  Frauen  nicht  nur  besingen,  sie  bilden  nicht  nur  die 
Jury  der  Liebeshöfe,  sie  treten  auch  selbst  als  Dichterinnen  auf,  und  die  Verhältnisse  der 
Galanterie,  die  seit  damals  für  Frankreich  charakteristisch  bleiben,  suchen  sich  regelmassig 
durch  ein  besonderes  geistiges  Hervortreten  der  Frauen  gleichsam  zu  legitimiren.  Die  »galanten* 
Damen  Frankreichs  sind  fast  immer  geistvolle  Frauen,  sie  haben  auch,  wie  unser  grosser 
Dichter  es  nicht  verschmäht,  sie  in  der  Person  der  Sorel  darzustellen,  ihre  hochherzigen 
Regungen;  vom  16.  Jahrhundert  an  wird  geradezu  die  Literatur  durch  die  Frauen  organisirt, 
die  Kritik  womöglich  monopolisirt.  Freilich  ist  hier  das  Leben  an  den  Fürsten-  und  Edel- 
höfen  Italiens  das  nächste,  auch  für  spätere  Zeiten  maassgebende  Muster." 

Margareta^  Franss*  I.  geniale  Schwester,  setzt  in  ihrem  eigenen  Hofetaat 
das  Decamerone  des  Boccaccio  in  Scene,  und  in  ihrem  Heptamerone  streut 
sie  selbst  die  lustigen  Blätter  in  die  Welt,  „die  ein  Brevier  aller  losen  Streiche 
sein  sollen,  welche  die  Frauen  ihren  Liebhabern  und  Eheherren  spielen**. 

Nachdem  das  Zeitalter  der  Renaissance  in  Italien  den  Sinn  fbr  die  Künste 
erschlossen  hatten,  constituirten  in  Frankreich  im  Hotel  de  Rambouillet 
jene  drei  Generationen  von  Fürstinnen  aus  dem  edlen  Hause  der  Medicäer  eine 
ideale  Republik. 

,Das  achtzehnte  Jahrhundert  sieht  allenthalben  geistvolle  Frauen  bald  als  Beschütze- 
rinnen, bald  als  die  Vertrauten  berühmter  Autoren;  ein  Kranz  von  neuen  Namen  ersetzt  in 
der  Hauptstadt  die  untergegangenen  Sterne  früherer  Zeiten,  und  mit  der  Umgestaltung  der 
Sitten  wird  die  Thätigkeit  der  Frauen  eine  immer  freiere  und  umfassendere.  Während  in 
den  letzten  Jahren  Ludwig^ 8  XIV.  die  Maske  der  Frömmigkeit,  die  der  Hof  annahm,  öffentlich 
scandalöse  Verhältnisse  innerhalb   des  Adels  verbot,  wird,   als  mit  dem  Eintritt  der  Regent- 


483.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Franzosen  der  Neuzeit.  475 

ficbaft  die  Maske  fällt  und  an  die  Stelle  der  bisherigen  Devotion  die  tollste  Zagellosigkeit 
tritt,  der  Einfluss  der  Frauen  geradezu  übermächtig;  unter  der  Regierung  Ludwig' 8  XV,  wird 
durch  das  Beispiel  des  Hofes  die  sittliche  Fessel  des  Ehebundes  nahezu  völlig  abgestreift; 
Frauen  aus  der  höchsten  Gesellschaft  geben  sich  zu  Creaturen  der  königlichen  Favoriten  her, 
und  Damen,  die  doch  auf  ihren  eigenen  Ruf  noch  halten,  verschmähen  immerhin  den  ver- 
trauten Umgang  mit  notorischen  Ehebrecherinnen  nicht.' 

Wer  kennt  nicht  die  französische  Maitressen wirthschaft  und  die  Libertinage 
jener  Tage?  Vollberechtigt  ist  der  Mahnruf  Lomenie's^  dass  nur  durch  die  Aus- 
bildung des  Familienlebens  Frankreich  gerettet  werden  könnte.  Als  Napoleon 
Frau  iion  Campan^  die  Erziehungsräthin  par  excellence,  fragte,  was  der  fran- 
zösischen Nation  fehlte?  so  antwortete  sie  schlagfertig:  Mütter! 

Die  Französin  des  18.  Jahrhunderts  hatte  etwas  Originales.  Ihr  Gesicht 
wechselt  im  Ausdruck  unter  verschiedenem  Regime;  aber  mochten  ihre  Züge 
unter  Ludwig  XIV.  edel,  unter  Ludwig  XV.  geistreich,  unter  Ludwig  XVL 
rührend  einfach  sein,  stets  ist  ihr  die  Welt  eine  Schaubühne.  Die  Augen  der 
Oeffentlichkeit  ruhen  auf  ihr,  und  am  Ende  spielt  sie  ihre  Gomödie  mit  so  grosser 
Natürlichkeit,  dass  sie  gekünstelt  erscheint,  wenn  sie  zufällig  wahr  sein  will.  Ihre 
Lebensaufgabe  ist  schwer  zu  erfüllen;  die  Frau  muss  daher  zeitig  anfangen  zu 
lernen.  So  weit  sie  zu  denken  vermag,  ist  der  Schein  ihr  Lebenszweck.  Als 
kleines  Mädchen  schon  lebt  sie  auf  ihren  Spaziergängen  lediglich  dem  Anstand; 
die  unschuldigste  natürliche  Freude,  jedes  sich  Gehenlassen  ist  unangemessen.  Ihre 
Mutter  entzieht  ihr  jene  Zeichen  überwallender  Zärtlichkeit  als  zu  bürgerlich,  zu 
gewöhnlich.  Die  Kleine  wächst  in  einer  öden,  herzlosen  Leere  auf;  ihre  besseren 
Regungen  bleiben  unentwickelt.  Das  Leben  klösterlicher  Erziehung  bringt  trotz 
der  Tanz-  und  Gesangstunden  keine  wesentliche  Aenderung  in  dem  Einerlei  her- 
vor; die  ganze  Umgebung  mit  dem  scheinbar  religiösen  und  doch  so  weltlichen 
Charakter  dient  nur  dazu,  die  Erziehung  in  demselben  Sinne  zu  vollenden  Das 
Kloster  verlässt  sie  nur,  um  das  Haus  eines  Gatten  zu  betreten,  den  sie  kaum 
anders  gekannt  hat,  als  wie  er  sich  im  Sprechsaal  ihr  zeigte,  wo  das  eiserne 
Gitter  sie  trennte.  Sie  ist  jung,  sehr  jung,  oft  zwölf  oder  dreizehn  Jahre  alt;  die 
Ehe  ist  von  den  Eltern  nach  Rang  und  Vermögen  geschlossen  worden,  und  die 
junge  Frau  lernt  bald  genug,  sich  an  die  Sache  zu  halten  und  von  der  Person 
abzusehen.  Sie  findet  übrigens  Alles,  was  sie  von  ihrer  Mutter  als  beherzigens- 
werth  hat  kennen  lernen,  ein  wohleingerichtetes  Haus,  Stellung  in  der  Gesellschaft, 
Reichthum,  Diamauten,  prächtige  Kleider.  Sie  repräsentirt,  sie  hat  zu  zeigen, 
was  sie  hierin  zeitlebens  gelernt  hat.  Wirkliche  Liebe  wäre  allzu  bürgerlich,  und 
daher  äusserst  lächerlich;  sie  wird  ihr  nicht  geboten  und  sie  empfindet  sie  nicht. 
Ausnahmen  mögen  vorgekommen  sein,  aber  gerade  der  Umstand,  dass  man  in 
jener  Gesellschaft  fünf  bis  sechs  Aosnahmebeispiele  anführen  kann,  spricht  für  die 
Regel.  Lächerlicher  noch  als  Liebe  wäre  höchstens  Eifersucht;  wahre  Geistes- 
bildung und  Vorurtheilsfreiheit  beweisen  sich  durch  eine  allgemeine  Duldsamkeit. 
Die  Ehe  bringt  ihr  eine  Art  Freiheit,  dem  Manne;  der  sie  heirathet,  der  eine 
solche  vorher  bereits  besass,  lässt  sie  dieselbe. 

Ihr  Tagewerk  beginnt  gegen  elf  Uhr;  die  erste  Toilette,  Musiciren,  ein 
Spazierritt,  Leetüre  füllen  die  Zeit  bis  zum  Mittagsessen.  Es  folgen  abzustattende 
oder  zu  empfangende  Besuche,  Besorgungen  und  Spaziergänge  im  Tuileriengarten 
oder  auf  den  Boulevards.  Das  gemeinsame  Leben  mit  dem  Manne  besteht  in 
einem  gegenseitigen  Sichmeiden,  was  leicht  genug  ausführbar  ist,  da  das  high 
life  neben  ganz  Paris  noch  Versailles  umfasst.  Als  grösster  Feind,  zu  dessen 
Bekämpfung  bald  das  ganze  Dasein  verwendet  wird,  zeigt  sich  die  Langeweile. 
Laune,  nicht  Liebe  führt  zu  dem  kalten  herzlosen  Hausfreund;  Laune  trennt  aber 
schnell  genug  wieder.  Die  Hoffnung,  die  Langeweile  zu  täuschen,  ist  trügerisch 
gewesen,  und  zwar  auf  beiden  Seiten.  Dauernder  Liebestraum  wäre  gar  zu 
lächerlich.  Weder  das  Boudoir,  noch  der  Salon  kann  diese  tödtliche  Langeweile 
bemeistem. 


476         LXIX.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  GalturvÖlkem  der  Neuzeit. 

In  solcher  Art  schildern  die  Gebrüder  Goncourt  die  Lebensweise  und  die 
Stellang  der  Frau  des  18.  Jahrhunderts  in  Paris. 

Nach  ihrem  Vorbilde  richteten  sich  die  Damen  der  vornehmen  Kreise  in 
dem  gesammten  gebildeten  Europa,  und  allmählich  ging  hiervon  auch  etwas  auf 
die  bürgerlichen  Schichten  der  Oesellschafb  über.     {Scheube\) 

lieber  die  Stellung  der  Frauen  in  Frankreich,  wie  sie  sich  in  dem  laufen* 
den  Jahrhundert  entwickelt  hat,  fuhrt  uns  Scheube^  das  ürtheil  eines  Engländers 
vor,  der  das  französische  Familienleben  aus  jahrelanger  eigener  Anschauung 
kannte.     Er  giebt  an, 

„dass  die  Ehen  in  Frankreich  von  eigenthttmlichen  Schwierigkeiten,  sowohl  persön- 
lichen wie  gesetzlichen,  umgeben  sind,  dass  individuelle  Vorliebe  nur  zu  sehr  geringem  Theile 
bei  der  Yerheirathung  in*s  Spiel  kommt,  dass  vorhergehende  Neigung  nicht  als  unerlfiaslich 
betrachtet,  dass  das  Gebot:  ,8eid  fruchtbar  und  mehret  euchl*  nicht  als  leitendes  Gesetz  an- 
erkannt wird.  Insofern  sieht  das  System  der  französischen  Ehe  ziemlich  ungesund  aus." 
Andererseits  aber  hebt  derselbe  Engländer  hervor:  ,dass  die  Franzosen  mehr  heirathen, 
als  wir  (die  Engländer);  dass  in  19  von  20  Fällen  die  vorher  nicht  vorhandene  Liebe 
nachher  kommt  und  wächst;  dass  des  aus  unvorsichtigem  Heirathen  entspringenden  materieUen 
Elends  sehr  wenig  ist;  dass  Trennungen  selten,  Scheidungen  unmöglich  sind;  dass  fast  in 
jedem  Stande  die  französischen  Häuser  allgemein  anziehende  Muster  von  Gfite  und  Freund- 
lichkeit sind;  dass  unter  gewissen  Umständen  die  Verfolgung  des  gegenseitigen  Glückes  auf 
Theorien  und  Verfahrungsweisen  beruht,  bei  denen  die  höchste  Intelligenz  mit  Erfolg  in  An- 
wendung kommt;  dass  die  Kinder,  so  wenige  wie  ihrer  auch  sein  mögen,  herzlich  geliebt 
werden;  dass  die  Verbindung  zwischen  Mann  und  Frau  in  den  mittleren  Klassen  eine  Innig- 
keit der  Genossenschaft  annimmt,  der  man  anderswo  nicht  leicht  etwas  an  die  Seite  stellen 
kann;  dass  endlich  die  Religion,  wenn  sie  selbst  der  Ehe  zwar  auch  nicht  sonderlich  zu  Gute 
kommt,  doch  von  dieser  ebenso  wenig  ernsten  Nachtheil  zu  erleiden  hat." 


434.  Die  sociale.  Stellung  des  Weibes  bei  den  slavischen  Yolkern  der 

Neuzeit. 

Bei  den  Süd-SIaven  ist  die  Stellung  der  Frau  auch  heute  noch  eine  wenig 
angesehene.  Das  findet  selbst  in  ihrer  Sprache  den  Ausdruck,  denn  dieselbe  be- 
zeichnet nur  den  Mann  mit  den  Namen  „Mensch*  corjek,  während  die  Frau 
nur  die  zena  ist,  das  heisst,  wie  ywi^^  »die  Gebarerin*.  Auch  in  der  Sippe 
kommt  der  weiblichen  Linie  der  männlichen  gegenüber  nur  eine  untergeordnete 
Bedeutung  zu.    (Krauss^J) 

Krauss  berichtet  dann  weiter: 

,In  Serbien,  der  Crnagora  und  der  Bocca  muss  das  Weib  jedem  Manne,  dem  sie 
auf  dem  Wege  begegnet,  mag  der  Mann  auch  jünger  als  sie  selbst  sein,  die  Hand  kfissen. 
Es  wäre  dagegen  eine  unerhörte  Selbsterniedrigung,  würde  ein  Mann  einem  Weibe  die  Hand 
küssen.  Ein  Weib  darf  dem  Manne  nie  den  Weg  abschneiden,  d.  h.  wenn  ein  Mann  des 
Weges  geht,  vor  ihm  über  den  Weg  schreiten.  Sie  hat  zu  warten,  bis  der  Mann  vorüber- 
gegangen. Es  trifft  sich  nicht  selten,  dass  der  Bauer  sein  Weib  nidit  anders  durchbläut,  als 
hätte  sie  das  Staatsgesetz  übertreten,  wenn  sie  gegen  diese  Sitte  sich  vergeht.  Sitzt  ein  Weib 
vor  dem  Hause  und  geht  ein  Mann  vorbei  und  bietet  ihr  Gott  zum  Grusse,  so  muss  das  Weib 
aufstehen  und  danken,  mag  sie  noch  so  sehr  mit  der  Arbeit  beschäftigt  sein.*' 

Ganz   ähnlich  sind  übrigens  die  Zustände,   welche  in  Albanien  herrschen. 

Eine  besondere  Einrichtung  bildet  bei  den  Süd-Slaven  die  Altfamilie, 
die  Zadruga,  welche  eine  Gemeinschaft  von  Familien  der  Geschwister  mit  Kindern 
und  Kindeskindem  umfasst  und  gemeinhin  aus  10  bis  12,  in  seltenen  Fällen  auch 
aus  50  Köpfen  besteht.  Das  Haupt  derselben,  der  Staresina,  braucht  durchaus 
nicht  immer  der  Aelteste  zu  sein.  Aus  einem  solchen  Hof  wird  die  Braut  in 
eine  andere  Familie  durch  Yerheirathung  aufgenommen,  doch  kann  auch  ein  ein- 
zelner Mann  in  das  Haus  einheirathen.  (v.  Haxthausen.)  Die  jüngeren  Frauen 
lösen  sich  in  ihren  Verrichtungen  im  inneren  Hausdienste,   im  Kochen,   Backen, 


484.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  slavischen  Völkern  der  Neuzeit.        477 

Beinhalten  u.  s.  w.  jede  Woche  ab;  sie  heissen  bei  den  Süd-Slaven  Reduse 
und  müssen  in  ihrer  Thätigkeit  alle  Hausgenossen  befriedigen. 

Baue  schrieb  über  das  häusliche  Leben  der  Serben  und  Kroaten 
Folgendes: 

,Les  familles  s'entr'aident  pour  les  travauz  de  campagne,  pour  las  moissons  etc.:  c'est 
ce  qu*on  appelle  une  moba,  une  meute  d'ouvriers;  les  trayauz  s'ez^cutent  alors  en  chantant 
des  Chansons  appropri^es  ä  Foccasion.  La  mattresse  de  maison  reste  chez  eile  avec  les  en- 
fants  et  pr^pare  le  manger;  les  enfants  plus  kg^a  conduisent  les  bestiauz  sur  les  päturages, 
ou  vont  ä  r^cole.  Les  femmes  vont  auz  champs  en  filant  ou  en  portant  leurs  enfants  ä  la 
mamelle  sur  leur  dos.  Le  produit  des  r^coltes  est  mis  de  cöt4  par  le  maitre  et  la  maitresse 
de  la  famille,  pour  payer  les  impöts.  Dans  certaines  contr^s,  le  surplus  des  röcoltes  est 
partagä  entre  les  paires  d'^pouz.  Dans  certains  pays  les  femmes  alternent  dans  les  soins 
du  manage,  k  savoir,  pour  la  cuisine,  la  cuisson  du  pain,  la  nourriture  de  la  volaille,  pour 
traire  les  vaches  etc.  Ces  changements  ont  lieu  de  huit  en  huit  jours ;  cela  s'appelle  yvenues 
ä  leur  tour*,  Reduscha.  Les  femmes  äg^es  sont  ezemptes  de  travail,  parceque  les  jeunes  ou 
les  belfes-fiUes  les  remplacent.  Lorsqu^une  fille  se  marie,  on  lui  donne  une  dot  tir^e  de 
la  fortune  mobili^re  de  la  famille.  Plus  rarement  on  y  admet  au  contraire  des  hommes 
^pousant  des  filles  de  la  famille.  Le  principe  slave  est  que  Thomme  doit  pourvoir  auz 
besoins  de  sa  femme.* 

Vor  der  Einftthrung  des  Christenthums  bestand  bei  den  Süd-Slaven  Poly- 
gamie. Die  jungen  Männer  hatten  Gelegenheit,  bei  dem  Eolo-Tanze  die  Mädchen 
zu  sehen,  der  im  Sommer  vielfach  stattfindet,  und  viele  Stunden  hinter  einander 
getanzt  wird. 

Der  Globus  (1877)  bringt  nach  den  Berichten  von  Yriate^  FriUey  und 
Wlahavüj  die  folgende  Schilderung  aus  Montenegro:  f 

«Der  Fremde,  welcher,  der  Landessprache  unkundig,  das  montenegrinische  Gebiet 
durchstreift,  keine  Gelegenheit  findet,  in  den  Kreis  der  Familie  einzudringen,  wird  sich  einen 
falschen  Begriff  von  der  socialen  Stellung  der  Frau  machen.  Wenn  er  nach  dem  urtheilt, 
was  seinem  Blick  sich  darbietet,  wird  er  ohne  Zweifel  dem  Ausspruch  jenes  Schriftstellers  bei- 
pflichten, der  gesagt  hat,  dass  das  erste  Unglück  für  die  montenegrinische  Frau  ihr  Ge- 
borenwerden ist.  Und  in  der  That,  die  langen  Reihen  magerer,  vor  der  Zeit  gealtert  er  Frauen, 
die  schwere  Lasten  tragend,  gebückt  und  mühselig  die  schweren  Bergpfade  emporklimmen, 
menschliche  Lastthiere,  sind  nicht  geeigpiet,  das  Loos  der  Frau  in  Montenegro  anders  als 
bedauemswerth  erscheinen  zu  lassen.  Nimmt  man  dazu  das  verächtliche,  im  besten  Falle 
gleichgültige  Betragen,  das  der  Mann  ihr  gegenüber  geflissentlich  zur  Schau  trägt  (in  Gegen- 
wart eines  Fremden  wenigstens),  hört  man  die  ihm  ganz  geläufige  Redensart:  Da  prostite, 
mojajena  (Entschuldigen  Sie,  das  ist  mein  Weib),  so  wird  es  einem  schwer,  zu  glauben,  was 
doch  der  Fall  ist,  dass  nämlich  die  Frau  im  Schoosse  der  Familie  reichlichen  Ersatz  findet 
für  das,  was  ihrer  schweren,  gedrückten  Stellung  nachmüssen  hin  abgeht/ 

«Sicher  ist  es,  dass  die  Geburt  einer  Tochter  als  ein  grosses  Unglück,  als  eine  Art 
Schande  für  die  Familie  angesehen  wird.  Wird  ein  Knabe  geboren,  so  herrscht  allgemeine 
Freude,  die  Berge  hallen  wider  von  dem  Echo  der  Gewehrsalven,  ein  festliches  Mahl  wird 
gerüstet,  alle  Befreundeten  der  Familie  bringen  dem  Neugeborenen  ihre  besten  Wünsche." 

«Mit  gesenktem  Blick  und  beschämt  tritt  dagegen  der  Vater,  dem  eine  Tochter  geboren 
ist,  an  die  Schwelle  des  Hauses  und  bittet  die  Freunde  und  Nachbarn  um  Verzeihung.  Er- 
eignet sich  gar  das  Unglück  mehrmals  hinter  einander,  so  müssen  nach  montenegrinischem 
Volksglauben  7  Priester  das  Haus  mit  geweihtem  Oel  besprengen,  die  alte,  verzauberte 
Schwelle  fortnehmen  und  durch  eine  neue  ersetzen/ 

«Das  montenegrinische  Mädchen  wächst  in  Entbehrungen  und  Abhärtungen  aller 
Axt  auf,  vom  Auge  der  sorgsamen  Mutter  bewacht.  Bis  es  dereinst  selbst  Familienmutter 
sein  wird,  mnss  es  die  gröbsten  Arbeiten  für  den  einfachen  Haushalt  verrichten.  Sie  geht 
nach  der  Quelle,  die  oft  genug  hoch  in  den  Bergen  sich  befindet,  und  bringt  das  mit  Wasser 
gefüllte  Fass  oder  den  Schlauch  auf  der  Schulter  heim.  Sie  sammelt  in  den  Felsspalten  oder 
im  Walde  das  Holz  für  den  täglichen  Bedarf,  sie  bereitet  das  einfache  Mahl  für  den  Herrn 
und  Gebieter.  Ausser  diesen  regelmässigen  Thätigkeiten  beschäftigt  sie  sich  mit  Stricken 
von  Strümpfen  oder  warmen  Kleidungsstücken  für  den  Winter,  mit  Sticken  oder  Spinnen. 
Der  zarte,  aufmerksame  Verkehr  mit  dem  männlichen  Geschlechte,  wie  er  bei  uns  selbst 
in   den   niederen   Ständen    stattfindet,   ezistirt    für    die   junge    Montenegrinerin    nicht 


478  LXIX.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Cultoryölkem  der  Neozeit. 

Aber  wie  sie  sich  durch  ihre  sclavische  Stellung  im  Hause  nicht  bedrückt  fühlt,  so  empfindet 
sie  auch  nicht  das  BedOrfniss  nach  jener  harmlosen  Huldigung,  die  bei  uns  der  Jugend  und 
Schönheit  wird.  Im  Gegentheil,  es  hat  den  Reisenden  oft  scheinen  wollen,  als  verletze  der 
geringste  Grad  von  Aufmerksamkeit,  ein  bewundernder  Blick,  die  montenegrinische  Frau 
des  Volkes.'' 

.Bei  alledem  ist  die  Achtung  vor  dem  weiblichen  Geschlechte  eine  sehr  grosse:  die- 
Montenegrinerin,  sei  sie  jung  oder  alt,  schön  oder  h&sslich,  geht  unbeschützt  in  die  ein- 
samen Wälder,  in  die  Berge,  nie  hat  sie  eine  Beleidigung  zu  fürchten.  Bescheiden  und  zu- 
rücktretend im  Wesen,  in  den  meisten  Fällen  durch  das  mühevolle  Leben  früh  gealtert,  finden 
sich  unter  den  montenegrinischen  Frauen  doch  Individuen  von  grosser  Schönheit,  theils 
zarten,  anmuthigen  Charakters,  theils  von  orientalischem  Typus  mit  grossartigen,  klassischen 
Zügen  und  kräftigem  Körperbau.* 

Das  montenegrinische  Recht  (§.  70)  stellt  die  Allgewalt  der  Liebe  über 
die  Consequenz  der  Gesetze: 

.Folgt  aber  ein  Mädchen  dem  ledigen  Manne  ^i  willig,  ohne  Vor  wissen  ihrer  Eltern,, 
so  kann  man  ihr  nichts  anhaben,  da  sie  die  Liebe  selbst  verband." 

Ich  schliesse  noch  eine  kurze  Angabe  über  die  Zelt-Zigeuner  Sieben- 
bürgens an.    V.  Wlislocki^  sagt  von  ihnen: 

, Merkwürdig  und  erwähnenswerth  ist  der  besondere  Umstand,  der  sich  wohl  bei 
cultivirten  Völkern,  aber  bei  uncultivirten  kaum  jemals  vorfindet,  nämlich  die  Achtung,  die 
alten  Frauen  gegenüber  gewahrt  wird.  Während  die  Zigeunermaid  bis  zu  ihrer  Vorbei- 
rathung  als  Kind  betrachtet  wird,  als  junge  Frau  im  Kreise  ihrer  Stammesgenossen  gar  keine 
besondere  Achtung  geniesst,  sondern  im  Gegentheil  als  ein  noth wendiges  Uebel  geduldet 
wird,  geniesst  die  Matrone  ein  Ansehen  und  einen  Einfluss,  den  sie  bei  allen  inneren  und 
äusseren  Angelegenheiten  nicht  nur  ihrer  Sippe  und  Genossenschaft,  sondern  selbst  des 
ganzen  Stammes  geltend  macht.  Das  ürtheil  und  die  Meinung  einer  solchen  Matrone  gilt 
mehr,  als  der  weiseste  Urtheilsspruch  des  Woywoden.  In  Folge  der  Achtung  also,  welche  die 
Matronen  bei  den  Zigeunern  gemessen,  werden  sie  als  Vorsteherinnen  der  Sippe  anerkannt 
und  betrachtet.* 


485.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  rnssisclien  Yolkern 

der  Neuzeit. 

Die  Stellung  der  Frau  in  dem  russischen  Reiche  ist  naturgemäss  nicht 
überall  eine  gleichmassige.  Auf  dem  Lande  ist  sie  eine  andere,  als  bei  der 
städtischen  Bevölkerung.  In  einigen  Gouvernements,  namentlich  bei  den  Finnen 
und  Tataren,  kauft  der  Bauer  noch  seine  Gattin,  oder  er  entffthrt  oder  stiehlt 
sie  nach  dem  Volksausdruck,  oft  ohne  sie  zu  fragen,  bisweilen  selbst  ohne  sie  zu 
kennen,  weil  sie  aus  einem  anderen  Dorfe  ist.  Dieser  Frauenraub  kommt  be- 
sonders auch  in  den  mordwinischen  Dörfern  der  Wolga-Region  vor.  Bis- 
weilen ist  es  nur  eine  simulirte  Entführung,  mit  Zustimmung  des  Mädchens  und 
der  beiderseitigen  Familien,  um  die  Eladka,  die  üblichen  Hochzeitskosten  zu  sparen, 
die  nach  dem  Volksgebrauche  sehr  hohe  sind.     (Peeöld,) 

In  Gross-Russland  wird  nach  JBelinshi  das  Weib  fast  wie  ein  Hausthier 
behandelt.  In  Klein-Russland  sind  die  Beziehungen  des  Familienlebens  in  der 
Regel  humaner;  die  Liebe  hat  grösseren  Antheil  an  den  Eheschliessungen,  das 
Loos  der  Frau  ist  besser,  sie  erfreut  sich  grösserer  Achtung  und  grösserer  Rechte. 
Aber  auch  hier  ist  die  Lage  der  Frau,  obgleich  sie  nicht  so  sehr  wie  die  Gross- 
Russin  unter  dem  Joche  eines  Schwiegervaters  und  einer  Schwiegermutter  steht, 
durchaus  keine  beneidenswerthe.  An  dem  D  nie  per  und  an  der  Wolga  be- 
trachtet der  Gatte  sein  Weib  als  ein  niedriges,  zum  Leiden  geborenes  Wesen. 
(Tschübinski.)  Die  Volkslieder  zeigen  zarte  Züge  von  den  Schmerzen,  die  das 
Weib  gewöhnlich  in  seinem  Busen  erstickt.  Selbst  in  den  russischen  Hochzeits- 
liedem,  den  swadebnüja  pesni,  welche  rhythmische  Dialoge  darstellen,  kUngt 
überall  die  Trauer  durch   und   die  Furcht   der  Braut  vor   dem  ,  fremden  Rauber, 


435.  Die  sociale  Stellang  des  Weibes  bei  den  rassischen  Völkern  der  Neuzeit.        479 

vor  dem  Tataren  oder  Lithauer,  der  sie  von  den  Ihren  entführen  oder  ab- 
kaufen will*.    (TereschepsJco.) 

Seit  der  Aufhebung  der  Leibeigenschaft  in  Russland  verbesserten  sich  die 
Aussichten  für  das  socisde  Leben  des  Weibes.  Fezold  sagt,  dass  die  Freigebung 
des  Mannes  allmähliüh  auch  die  Freigebung  der  Frau  herbeiführen  werde. 

Die  „Politische  Correspondenz^  brachte  vor  einiger  Zeit  folgende  Mit- 
theilung : 

„Es  ist  schon  viel  fiber  die  namenlos  elende  Lage  der  rassischen  Frauen  in  den 
niederen  Ständen  der  Gesellschaft,  besonders  des  Bauernstandes,  geschrieben  und  gesprochen 
worden,  ohne  dass  bis  jetzt  eine  Besserung  derselben  erfolgt  ist,  wie  dies  aus  nachstehender 
betrübender  Thatsache  erhellt:  Vor  wenigen  Tagen  ist  der  Dampfer  „Kostroma'^,  einer  der 
Kreuzer  der  sogenannten  patriotischen  oder  freiwilligen  Flotte,  welche  sich  hauptsächlich 
damit  beschäftigt,  Deportirte  von  Russland  nach  der  Strafcolonie  Sachalin  zu  überfuhren 
und  Thee  aus  China  nach  Russland  zurückzubringen,  von  Odessa  aus  mit  einem  Transporte 
von  mehreren  Hunderten  zur  Strafarbeit  verurtheilten  Yerbrechem  in  See  gestochen.  Unter 
denselben  befanden  sich  nicht  weniger  als  60  bis  70  Frauen,  grüsstentheils  noch  ganz  jung, 
von  welchen  die  meisten  irgend  einen  Mord  begangen  oder  an  einem  solchen  th eilgenommen 
hatten;  von  diesen  jungen  Yerbrecherinnen  hatten  32  ihre  Männer  ermordet!  Mit  einer 
einzigen  Ausnahme  gehörten  diese  Weiber  zum  Bauern-  oder  zum  eigentlichen  Arbeiterstande. 
Bei  näherer  Untersuchung  ergiebt  sich,  dass  empörende  Behandlung  von  Seiten  der  Ehemänner 
fast  immer  das  nächstliegende  Motiv  der  Blatthat  gewesen.  Das  russische  Bauern  weih  wird 
eben  nicht  als  ein  dem  Manne  ebenbürtiges  Wesen  betrachtet,  sondern  vielmehr  als  ein  Last- 
thier,  welches  dazu  bestimmt  ist,  für  den  Herrn  zu  arbeiten,  und  welches  man  unbestraft 
schlagen  kann,  wenn  es  nicht  so  viel  leistet,  als  man  sich  berechtigt  glaubt,  von  demselben 
zu  verlangen.  Wenn  das  Bauemweib  seinen  Sohn  verheirathen  will,  sagt  es  ihm  in  den 
meisten  Fällen  etwa:  ,Ich  fange  an,  alt  zu  werden;  ich  werde  dir  deshalb  eine  Frau  wählen, 
damit  sie  für  mich  arbeite.*  Es  darf  nämlich  nicht  vergessen  werden,  dass  der  Sohn,  wenn 
er  sich  verheirathet,  mit  wenigen  Ausnahmen  im  Hause  der  Eltern  bleibt  und  keinen  beson- 
deren Hausstand  gründet.  Man  wird  sich  leicht  die  fast  unvermeidlichen  Folgen  eines  solchen 
täglichen  Zusammenlebens  zwischen  einer  meistens  herrschsüchtigen  Schwiegermutter  und  der 
Schwiegertochter  vorstellen  können,  und  noch  ärger  gestalten  sich  die  Verhältnisse,  wenn, 
was  ganz  oft  der  Fall  ist,  mehrere  Schwiegertöchter  mit  derselben  Schwiegermutter  unter 
einem  gemeinsamen  Dache  leben.  Nur  ausnahmsweise  wollen  oder  wagen  die  Söhne  für  ihre 
Frauen  der  Mutter  gegenüber  einzutreten.  Sehr  bezeichnend  für  die  Stellung  der  russischen 
Bauernfrau  ist  die  Thatsache,  dass  sie  selbst  in  der  Hoffnung  von  ihrer  Schwiegermutter  oder 
von  ihrem  Manne  gezwungen  wird,  jede  Arbeit,  selbst  die  härteste,  zu  verrichten,  bis  zu  dem 
Augenblicke,  wo  sie  buchstäblich  vor  Ermattung  umsinkt  und  schon  am  dritten  Tage  nach 
ihrer  Entbindung  wieder  zur  Arbeit  getrieben  wird.** 

,Unter  den  mittelst  der  ^Kostroma*  deportirten  Verbrecherinnen  befanden  sich  noch 
einige,  deren  Verbrechen  ein  mehr  als  gewöhnliches  Interesse  darbieten.  So  war  z.  B.  eine 
gewisse,  nur  20jährige  Bozowa  als  Strassenräuberin  bestraft;  eine  andere,  Bodinowaf  hatte, 
um  sich  an  einer  Rivalin  zu  rächen,  zwei  Soldaten  überredet,  dieselbe  zu  nothzüchtigen;  drei 
andere  hatten  einen  kaukasischen  Reisenden  zu  sich  gelockt  und  denselben  ermordet  und 
beraubt;  fQnf  weitere,  welche  wegen  kleinerer  Vergehen  zu  Gefängnissstrafe  verurtheilt  worden 
waren,  verabredeten  einen  Fluchtversuch  und  hatten  schon  alle  Vorbereitungen  zu  demselben 
getroffen,  als  ihr  Plan  vereitelt  wurde.  Sie  meinten,  eine  Mitgefangene  hätte  sie  verrathen, 
fielen  über  dieselbe  her  und  tödteten  sie.* 

Es  wird  nicht  ohne  Interesse  sein,  auch  noch  zu  hören,  wie  Leroy-BeauUeu 
über  die  Stellung  der  Frauen  im  heutigen  Russland  urtheilt: 

,Tm  Beginn  des  vorigen  Jahrhunderts  war  die  russische  Frau  noch,  wie  heute  die 
türkische,  eingesperrt  imd  verschleiert;  heute  erhebt  sie  wie  der  Mann  und  vielleicht  mehr 
wie  der  Mann,  Ansprüche  auf  Freiheit  und  Vernichtung  aller  Schranken.  Bei  allen  Ueber- 
treibungen,  die  ihrer  Würdigung  Abbruch  thun,  sind  diese  weiblichen  Ansprüche  weniger 
überraschend  und  weniger  lächerlich,  als  anderswo.  Das  von  der  derben  Hand  Peter* 8  des 
Grossen  emancipirte  Geschlecht  hat  vielleicht  am  meisten  Vortheil  aus  einer  Civüisation  ge- 
zogen, die  seinen  natürlichen  Neigungen  besonders  schmeichelte,  indem  sie  ihm  die  Freiheit 
gab.  Wenn  in  dem  Reiche,  das  so  oft  und  so  ruhmvoll  von  Frauen  regiert  worden  ist,  die 
Frau  des  Volkes  noch  in  einer  Art  Sclaverei  gehalten  wird,  so  ist  es  doch  in  den  gebildeteren 


480         LXIX.  Die  sociale  Stellung  des  Weibes  bei  den  Culturvölkem  der  Neuzeit 

Klassen  weit  anders.  Was  Intelligenz  und  Freiheit  des  Willens,  Bildung  und  Stellung  in  der 
Familie  betrifft,  steht  die  russische  Frau  bereits  dem  Manne  gleich;  ja  sie  erscheint  bis- 
weilen  ihm  überlegen  —  vielleicht  in  Folge  dieser  Gleichheit,  die  das  eine  Geschlecht  eu 
verklären  scheint,  indem  sie  das  andere  erhöht.* 

«Diese  Bemerkung  über  die  russische  Frau  könnte  auf  die  s lavische  im  Allge- 
meinen ausgedehnt  werden,  denn  beispielsweise  würde  die  polnische  Gesellschaft  zu  gleichen 
Beobachtungen  Anlass  geben.  Man  möchte  fast  sagen,  dass  in  dieser  Rasse  der  psychologische 
Unterschied  zwischen  beiden  Geschlechtem  weniger  scharf  ausgeprägt,  der  moralische  und 
intellectuelle  Unterschied  weniger  gross  sei.  Zwischen  dem  slavischen  Mann  und  der 
slavischen  Frau  lässt  sich  oft  eine  Art  von  scheinbarer  Yertauschung  der  Eigenschaften 
und  Anlagen  wahrnehmen.  Hat  man  den  Männern  bisweilen  einen  Zug  des  Weibischen,  d.  h. 
ein  Uebermaass  des  Beweglichen,  Biegsamen,  Leitbaren  und  Empfindlichen  vorgeworfen,  so 
haben  die  Frauen  dagegen  in  Charakter  und  Geist  etwas  Kräftiges,  Energisches,  mit  einem 
Worte  etwas  Männliches,  das  aber  keineswegs  ihrer  Anmuth  und  ihrem  Reize  Abbruch  thut, 
sondern  ihm  häufig  eine  besondere  und  unwiderstehliche  Ueberlegenheit  verleiht.  Die  rus- 
sische Frau,  die  sich  an  Intelligenz  und  Charakter  als  des  Mannes  Gleichen  fühlt,  ist  ge- 
neigt, diese  Gleichheit  mit  allen  ihren  Yortheilen  und  UebelsiAnden  in  Anspruch  zu 
nehmen:  Gleichheit  im  Unterricht  und  in  der  Arbeit,  Gleichheit  der  Rechte,  Gleichheit  der 
Pflichten.* 


LXX-  Das  Weib  in  seinem  Verhältniss  zu  der  folgenden 

Generation. 

436.  Das  Weib  als  Matter. 

In  einer  Reihe  der  früheren  Abschnitte  ist  bereits  ausführlich  davon  ge- 
sprochen, wie  das  Weib  zur  Mutter  wurde,  und  wie  es  sich  in  der  allerersten 
Zeit  dieser  für  sie  neuen  Lebensperiode  bei  den  verschiedenen  Völkern  zu  be- 
nehmen pflegt.  Wenn  hier  nun  noch  einmal  das  Weib  als  Mutter  einer  kurzen 
Betrachtung  unterzogen  wird,  so  sind  es  weniger  die  anatomischen,  die  physi- 
schen, als  vielmehr  die  ethischen  Gesichtspunkte,  mit  welchen  wir  uns  hier  zu 
beschäftigen  haben. 

Muttertreu  wird  alle  Tage  neu, 

sagt  das  deutsche  Sprüchwort,  und  der  Mund  nicht  nur  der  deutschen, 
sondern  aller  europäischen  Völker  ist  voll  von  ähnlichem  Lob  und  Preis  der 
mütterlichen  Aufopferungsfähigkeit.     So  heisst  es  in  Sardinien:  ^ 

Eine  Mutter  kann  eher  hundert  Söhne  ernähren,  als  hundert  Söhne  eine  Mutter, 
und  die  Russen  sagen: 

Das  Gebet  der  Mutter  holt  aus  dem  Meeresgrunde  heraus. 
Auch  der  Mailänder  stimmt  in  das  Lob  mit  ein: 

Der  täuscht  dich,  welcher  sagt,  dass  er  dich  mehr  liebt,  als  die  Mutter. 
(v.  Beinsherg-Dünngsfeld.J 


Fig.  377.    Ältägyptische  Franen.    (Nach  ChawpolUon  Figeac.    Aus  Plost^^. 

Es  unterliegt  wohl  keinem  Zweifel,  dass,  wenn  die  biblische  Erzählung  von 
dem  verlorenen  Sohne  europäischen  Ursprungs  wäre,  es  dann  nicht  der  Vater 
gewesen  sein  würde,  welcher  dem  reuig  Zurückkehrenden  voll  Freuden  seine  Arme 
oSnet,  sondern  die  Mutter. 

Man  mochte  glauben,  dass  wir  im  Stande  sein  müssten,  die  treue  Liebe  der 
Mutter  zu  ihren  Kindern,  welche  wir  ja  auch  selbst  fast  überall  in  dem  Thier- 
reiche  wiederfinden,   als  einen  allgemeinen  instinctiven  Zug  bei  den  Frauen  aller 

PloBs-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  31 


482 


LXX.  Das  Weib  in  seinem  Yerhältniss  zu  der  folgenden  Generation. 


Völker  nachzuweisen.  Und  dennoch  ist  man  bemüht  gewesen,  den  Weibern  un- 
civilisirter  Nationen  dieses  Gefühl  der  Liebe  streitig  zu  machen  und  abzusprechen. 
Man  hat  diese  Behauptung  dadurch  bekräftigen  wollen,  dass  man  darauf  hinwies, 
wie  ausserordentlich  weit  verbreitet  wir  bei  den  Naturvölkern  die  Sitte  finden, 
einen  Theil  ihrer  neugeborenen  Kinder  umzubringen.  Aber  auch  sogar  in  diesem 
Umbringen  der  Neugeborenen  haben  wir  in  sehr  vielen  Fällen  einen,  wenn  auch 
etwas  seltsamen  Ausdruck  der  Mutterliebe  zu  erkennen.  Denn  die  Mütter  tödten 
ihre  Kinder  oft  nur  deshalb,  damit  sie  ihnen  ein  ähnlich  schweres  Lebensloos  er- 
sparen, als  ihnen  selber  zugefallen  ist.  Wer  sich  nun  aber  klar  macht,  wie  sich 
die  Mütter  allen  den  Mühen  und  Plagen  geduldig  unterziehen,  welche  die  Pflege 
und  Wartung  der  kleinen  Kinder  erfordert  und  welche  ganz  besonders  erhebliche 
bei  allen  nicht  an  feste  Wohnsitze  gebundenen  Stämmen  sind,  wo  der  Mutter 
meistens  ausser  dem  Tragen  der  noch  nicht  marschfahigen  Kleinen  auch  noch  die 
gesammte  Last  des  Gepäcks  aufgebürdet  wird,  för  den  kann  doch  kein  Zweifel 
darüber  bestehen,  dass  es  eben  die  Mutterliebe  ist,  welche  alle  diese  Mühsal  und 
Anstrengung  ohne  Klage  überwinden  lässt. 

So   sagt  z.  B.   Prinz  Boland  Bonaparte   von   den   Indianern  Surinams: 
,n  est  rare  que  la  femme  n'accompagne  pas  son  mari  en  v^oyage;  dans  cette  circon- 
stance,  eile  marche  en  avant  portant  tout  le  bagage  et  les  petita  enfants,  tandis  que  Vhomme 
snit  avec  son  arc  et  ses  flaches.*' 

Aehnliche  Angaben  würden  sich  unschwer  für  viele  andere  Völker  beibringen 
lassen.     Auch  lehrt  ein  Umblick  auf  der  Erde,   wie   unendlich    viele  uncivilisirte 

Nationen  bei  allen  Verrichtungen  ihres  täglichen 
Lebens  von  ihrem  Kinde  als  unzertrennlichem  Ge- 
päckstück begleitet  sind.  Es  hängt  auf  ihrem 
Rücken  oder  auf  ihrem  Hintertheile,  es  reitet  auf 
ihren  Schultern,  oder  auf  ihrer  Hüfte,  es  steckt, 
wie  bei  den  Eskimo,  in  dem  weiten  Pelzstiefel,  es 
wird,  in  seiner  Wiege  verpackt,  auf  den  Armen,  auf 
dem  Rücken  oder  auf  dem  Kopfe  getragen.  Ploss 
hat  in  seinem  Buche  „Das  Kind  vom  Tragbett 
bis  zum  ersten  Schritt'  diese  Methoden,  wie 
sich  die  Mütter  mit  ihren  Kindern  schleppen,  genauer 
erörtert  und  durch  eine  Reihe  von  Abbildungen 
illustrirt.  Auch  hier  sollen  in  den  Figuren  56,  83 
bis  88,  180  und  377  bis  382  einige  charakteristische 
Beispiele  vorgeführt  werden. 
Am  bequemsten  ist  es  begreiflicher  Weise,  wenn  die  Mütter  ihre  Kinder 
auf  dem  Rücken  tragen.  Diese  Art  der  Beförderung  sehen  wir  bei  den  alten 
Aegypterinnen  Fig.  377  und  378,  bei  den  Dahome  Fig.  83,  den  Xosa- 
Kaffern  Fig.  88,  bei  den  Japanern  Fig.  86,  den  alten  Peruanern  Fig.  84 
und  85,  bei  dem  Banao-Weibe  Fig.  373,  bei  den  Feuerländern  Fig.  180,  den 
Flathead-Indianern  Fig.  56  und  381  und  den  Labrador-Eskimos  Fig.  880. 
Letztere  stecken  das  Kind  in  die  Kapuze  ihrer  Pelzjacke,  und  die  Flatheads  tragen 
dasselbe  in  einer  Wiege,  welche  die  Stirn  des  Kindes  abflacht  (Fig.  56  und  381). 
Auf  der  Hüfte  reitend  treffen  wir  das  Kind  bei  der  Beggar-Frau  aus 
Indien  Fig  379,  bei  der  Frau  aus  der  Colonia  Eritrea  Fig.  87  und  bei  den 
alten  Aegypterinnen  Fig.  377.  Hier  wird  es  auch  auf  der  Schulter  getragen, 
und  in  Fig.  378  hängt  es,  in  ein  Tuch  gebunden,  vor  dem  Bauche  und  der  Brust. 
Aehnlich  trägt  auch  die  Canelos-Indianerin  ihr  Kind  in  Fig.  382. 

Aus  allen  diesen  Abbildungen  geht  wohl  unzweifelhaft  hervor,  welche  Last 
den  Müttern  durch  diese  Art  der  steten  Begleitung  ihrer  Kinder  erwachsen  muss, 
und  wie  unrecht  man  ihnen  thut,  wenn  man  ihnen  die  Mutterliebe  abzusprechen 
versucht  hat. 


Fig.  378.    Altägyptische  Klage- 
weiber beim  Begräbniss. 
(Kach  WükiHsoH,    Aus  Pioss^y) 


436.  Das  Weib  als  Matter. 


483 


Wem  diese  bildlichen  Beweise  nicht  genügen,  dem  vermögen  wir  aber  auch 
noch  directe  Zeugnisse  der  Reisenden  vorzulegen.  So  führen  die  Gelehrten  der 
NovarorB^ise  an,  dass  trotz  des  Kindesmordes  dennoch  die  Australierin  mit 
rührender  Liebe  an  ihren  am  Leben  erhaltenen  Kindern  hängt,  und  ergreifend  ist 


Fig.  379.    Beggar-Fraa  (Bombay),  ihr  Kind  auf  der  Hüfte  tragend.    (Nach  Photographie.) 


die  Trauer,   welche   bei  dem  Tode  eines  derselben  in   lautem  Weinen  und  Weh- 
klagen sich  kund  giebt.     lieber  die  Somali- Weiber  sagt  Paulitschke: 

gEs  will  mich  bedünken,  dass  die  Somäl- Mutter  mit  aller  Gluth  der  Mutterliebe  an 
ihrem  Kinde  hängt,  um  das  sieb  der  Vater  nicht  weiter  bekümmert." 

31* 


484 


LXX.  Das  Weib  in  seinem  Verbal tniss  zu  der  folgenden  Generation. 


Christaller  führt  folgendes  Sprüchwort  der  Suaheli  an: 

, Eines  Mannes  Matter  ist  sein  anderer  Gott." 
Von   den    Aht,    Macah    oder   Clatset,    Indianerstämmen    von   Van- 
couver,    berichtet  Malcolm  Sproat,    dass   sie   ihre  Kinder  sehr  lieben,   und  das 
Gleiche  gilt  nach  Krause  von  den  Thlinkit-Indianern. 

Ueber  die  Grönländer  führt  v.  Nordenskjöld  Folgendes  an: 
»Die  Grönländer  sind  grosse  Einderfreunde.  Die  Freiheit  ihrer  Kinder  ist  so  im- 
begrenzt,  wie  nur  irgend  möglich.  Dieselben  werden  niemals  gezflchtigt,  ja  nicht  einmal 
mit  harten  Worten  angelassen.  Die  alte  europäische  Erziehungsmethode  betrachten  sie  als 
äusserst  barbarisch^  und  in  dieser  Ansicht  stimmen  sie  mit  den  Indianern  in  Ganada 
überein,  welche  den  Missionaren,  als  diese  ihnen  wegen  der  grausamen  Tortur,  der  bei  ihnen 
die  Kriegsgefangenen  unterworfen  wurden,  Vorwürfe  machten,  zur  Antwort  gaben:  wir  martern 
wenigstens  nicht,  wie  ihr,  die  eigenen  Kinder.    Trotz  dieser  unpädagogischen  Erziehungsweise 

kann  man  den  Eskimokindem  das  Zeugniss 
geben,  dass  sie,  wenn  sie  ein  Alter  von  8  bis 
9  Jahren  erreicht  haben,  möglichst  gut  er- 
zogen sind.*"    . 

Auch  die  Indianer  des  Gran 
Chaco  in  Süd-Amerika  lieben  nach 
Amerlan  die  Kinder  ungemein. 

Merensky  sagt  von  den  Basutho: 
„Ihre  Kinder  lieben  sie  zärtlich.  Das 
kleine  Kind  wird  von  der  Mutter  gehätschelt, 
rasirt,  mit  rother  Pomade  eingerieben,  mit 
Liebe  und  Lust  im  Tragetuche  überall  mit 
hingeschleppt,  dass  man  sieht,  es  ist  der  Mutter 
grösster  Schatz." 

Einen  deutlichen  Beweis  der  Liebe 
zu  ihren  Kindern  liefern  die  Marolong 
in  Süd-Afrika  durch  die  strenge  Er- 
ziehung derselben.  Sie  prügeln  sie,  so 
oft  sie's  verdienen.  Ein  Spruch  wort  sagt: 
,  Strecke  den  Assagai  -  Schaft,  so  lange 
er  weich  ist.* 

Züchtigen  Eltern  ihre  ungezogenen 
Kinder  nicht,  so  sagen  die  Anderen 
von  ihnen: 

„Die  haben  keine  Kinder,  sondern  sind 
nur  Väter  und  Mütter.'     {Joeat^.) 

Trotz  solcher  Strenge  geniessen  die 
Mütter  aber  doch  eine  ausserordentlich 
grosse  Verehrung. 

Krane  berichtet  von  den  Zulu- 
Kaffern,  dass  der  despotische  Häuptling 
Tschaka^  als  ihm  der  Tod  seine  Mutter  entriss,  aus  Trauer  über  ihren  Verlust 
1000  Binder  schlachten  liess.  Ausserdem  aber  befahl  er,  zehn  auserlesene  Jung- 
frauen lebendig  mit  der  Verstorbenen  zu  begraben,  und  seine  Krieger  mussten 
zu  Ehren  der  Todten  mehrere  Tausend  Menschen  niedermetzeln. 

Rührend  zu  sehen  war  es  für  Hendrich^  wie  eine  junge  Mutter  im  süd- 
lichen Borneo,  wo  sie  ging  und  stand,  ein  Bündel  verkrüppelter  Hölzer  über 
ihren  Säugling  hielt,  um  ihn  vor  bösen  Geistern  zu  schützen. 

Ein  schönes  Beispiel  aufopfernder  und  vor  keiner  Oefahr  zurückschreckender 
Mutterliebe  entnehme  ich  v.  Schweiger-Lerchenfeld : 

.Das  indische  Volk  der  Khonds  in  dem  Gebirgslande  von  Orissa  pflegte  noch*  in 
der  Mitte  unseres  Jahrhunderts  der  Erdgöttin  an  bestimmten  Festen  Menschenopfer  darzu- 
bringen.   Diese,   mit  dem  Namen  Meriah  bezeichnet,   wurden  erst  lange  Zeit   gut  gepflegt 


Fig.  880.    Eskimo-Frau  aus  Labrador, 

ihr  Kind  in  der  Kapuze  tragend. 

(Nach  Photographie.) 


436.  Das  Weib  als  Matter. 


485 


und  herangeffltteit.  Oft  schon  als  kleine  Kinder  angekauft  oder  gestohlen,  genossen  sie  eine 
sorg^ltige  Abwartung  und  durften  sich  sogar  verheirathen ;  jedoch  wurden  dann  ihre  Kinder 
ebenfalls  Meriahs.  Ihr  und  der  Ihrigen  Schicksal  wuasten  sie  vollkommen  voraus.  War  der 
für  sie  bestimmte  Tag  der  Opferung  gekommen,  dann  wurden  sie  unter  grossen  Feierlich- 
keiten in  einer  Blutlache  erti^kt,  zwischen  Brettern  zu  Tode  gequetscht  oder  bei  lebendigem 
Leibe  zerstückelt.* 

„Die  englische  Regierung  musste  wiederholentlich  militärische  Expeditionen  ausrüsten, 
um  diesen  Greueln  zu  steuern  und  sie  zu  unterdrücken.  Dabei  war  eine  Meriah  mit  ihren 
3  Kindern  gerettet  worden,  und  nach  einiger  Zeit  bat  sie,  dass  man  auch  ihr  viertes  bei  den 
Khonds  zurückgebliebenes  Kind  befreien  möge.  Das  ging  aber  nicht  an,  denn  die  Jahres- 
zeit war  vorgeschritten  und  der  betreffende  Stamm  den  Engländern  sehr  feindlich  gesinnt. 
Man  vertröstete  die  Bedauemswerthe  auf  das  nächste  Frühjahr.  Da  verschwand  sie  ganz 
plötzlich  aus  dem  Lager;  die  Kinder  hatte  sie  zurückgelassen,  was  schliessen  Hess,  dass  sie 
selbst  die  Rettungsmission  übernommen  habe.  In 
der  That  kam  sie  nach  40tägiger  Abwesenheit  in 
das  Lager  zurück,  den  geretteten  Knaben  an 
der  Hand.  Sie  hatte  sich  gerade  zur  Regenzeit 
durch  Urwälder  und  Sümpfe  geschlichen,  sich 
nur  von  Wurzeln  und  Früchten  kümmerlich  ge- 
nährt und  vor  Angst  und  Schrecken  beinahe  die 
ganze  Zeit  schlaflos  zugebracht,  d.  h.  wenn  die 
Ermattung  sie  nicht  inmitten  in  den  Wäldern, 
in  denen  giftige  Schlangen  krochen  und  die 
Tiger  brüllten,  hinsinken  machte.  So  war  sie 
bis  in  das  letzte  Dorf  gelangt  und  sie  benutzte 
die  zuföllige  Abwesenheit  der  Bewohner,  um 
ihren  Knaben  aufzusuchen  und  fortzutragen.  Der 
Rückgang  war  ganz  mit  denselben  Beschwerden 
verbunden,  und  so  konnte  es  nicht  Wunder 
nehmen,  dass  sie  krank  und  zum  Gerippe  abge- 
magert im  Lager  eintraf.  Die  Regierung  ver- 
schaffte ihr  und  ihren  Kindern  sofort  ein  Unter- 
kommen." 

Unter  den  Chewsuren  ist  die  Liebe 
der  Eltern  zu  den  Kindern  sehr  gross,  zumal 
den  Söhnen  gegenüber;  doch  sind  die 
Äeusserungen  dieser  Liebe  absonderlich;  die 
Liebkosungen  geschehen  im  Geheimen.  Im 
ersten  und  zweiten  Jahre  nimmt  der  Vater 
sein   Kind   nicht    auf    den   Arm    und    die 


Fig.  881.    Flathead-Indianerin  (Nord- 
Amerika),  ihr  Kind  in  der  Wiege  auf  dem  Rücken 
tragend.   (Nach  einer  Handzeichnung  von  George 
CailiH.) 


Mutter  hält  es  für  eine  Schande,  in  Gesell- 
schaft mit  ihrem  Kinde  zärtlich  zu  sein. 
{Badde.) 

Bei  den  wandernden  Zigeunern  Siebenbürgens  muss,  wie  von  Wlislocki^ 
berichtet,  der  junge  Mann,  wenn  er  sich  verheiratbet,  in  die  Sippe  seines  Weibes 
eintreten.  So  ist  er  dann  nicht  selten  gezwungen,  sich  von  seinen  allernächsten 
Angehörigen  zu  trennen,  und  muss  selbst  seine  alte  Mutter  verlassen. 
,Die  Mutter  war  Deine  Mutter,  das  Weib  war  und  ist  Dein  Weib," 
sagt  das  zigeunerische  Rechtssprüchwort,  das  uns  zugleich  die  ethischen  Mo- 
mente der  vielen  zigeunerischen  Volkslieder  erklärt,  in  denen  die  Mutter  ihre 
Sehnsucht  nach  ihrem  verlorenen  Sohne  ausspricht,   z.  B.  in  dem  schönen  Liede: 

Keine  Biene  ohne  Stachel  ist, 

Ach,  mein  Sohn  schon  jetzt  auf  mich  vergisst! 

Seine  alte  Mutter  müd'  und  matt 

Er  im  Elend  hier  gelassen  hat! 

Bist  mein  Trost,  den  ich  noch  hab*, 

Grabe  mir  doch  nicht  das  Grab! 


4^ 


La;:,  ü^  \\'»r.\ 


Tar:l.T:^-.g  r:.  ir?r  f:-,r>B.iiac  Gfawitä*». 


A^et  th::  i**:  Eock  zs  Laecr! 

Ab^  mit  f^f^cher  liebe  k^r^en  d>e  Kirder  inr  Leben  bog  an  ihrer  Mutter, 
«aod  wecn  «Ntbon  laa&r-ft  ihr  Grab  dem  Erdboden  giekb  gevoidn  ist,  so  gedenkt 

noch  stets  der  Sohn,  die  Toditer  in  nie  ge- 
stülter  Sehnsucht  der  VerbbcheDen  ond  wünscht 
$ich  ans  weiter  Ferne  nach  dem  Orte  hin,  wo 
sie  nach  langer  Wandenchaft  die  ktxie  Buhe 
gefunden  hat.^ 

Die  treae  Matter  darf  am  das  gestorbene 
Kind  nicht  weinen,  weO  diesem  sonst  die  Rohe 
im  Hinnnelreiche  genommen  wird.  Bekannt 
bt  das  sinnige  Mirchen  ron  dem  Thrinen- 
krfiglein,  in  dem  das  gestorbene  SLind  die 
Thi^oen  der  nntrostüchen  Matter  sammeln 
maas  and  das  sie  nun  kaum  noch  za  tragen 
Tennag.  In  Masaren  and  bei  ander^i 
slarischen  Völkern  darchnissen  die  Thrinen 
der  Matter  des  gestorbenen  Kindes  Todten- 
hemd,  and  in  der  triefenden  ümhüllang, 
welche  darch  die  Nässe  schwer  geworden  nacb- 
schleppt,  ist  das  Kind  nur  mit  M&he  im  Stande, 
den  übrigen  Seelen  aaf  ihrer  Wanderang 
darch  die  himmlischen  Sphären  za  folgen. 

Wenn  eine  Matter  herzlos  genag  ist,  sich 
am  ihre  Kinder  nicht  in  der  gebührenden 
Weise  za  bekümmern,  so  wird  sie  bei  ans 
bekanntermaassen  als  eine  Rabenmutter  be- 
zeichnet.  Auf  Rarotonga  in  der  Südsee 
bedient  man  sich  in  einem  solchen  Falle  eines 
anderen,  uns  fremden  Bildes.  Gill  sagt  hier- 
über: 

,lm  Cfeg<ensaU  in  der  Sorgfalt,  mit  welcher 
die  Mutter  über  die  Sicherheit  der  Eier  wacht,  bekümmert  die  Schildkröte  sich  gar  nicht 
um  die  auBgebrüteten  Jungen.  Daher  schreibt  sich  auch  ein  altes  Sprüchwort  der  Raro- 
tonganer  in  Bezog  auf  vernachlässigte  oder  Terlastene  Kinder.  Solche  Kinder  nennen  sie: 
«Nachkommenschaft  der  Schildkröte*. 


Vig.  3^.    Canelot-Indianerin  (Peru), 

ihr  Kind  in  einem  Tuche  tragend. 

(Nach  Photographie.) 


487.  Das  Weib-  als  Stief-  und  Pflegemutter. 

Stiefmutter  und  Pflegemutter  —  wie  ähnlich  sind  diese  in  ihren  Obliegen- 
heiten und  ihren  Beziehungen  zu  der  ihrer  Obhut  anvertrauten  Jugend,  und  wie 
verschieden  wird  doch  ihre  Stellung  von  der  Meinung  und  der  Stimme  des  Volkes 
aufgefassti  Während  man  mit  dem  Begriffe  der  Pflegemutter  gleichzeitig  den 
Begriff  der  selbstlosen  Treue  verbindet,  welche  den  armen  verwaisten  Kindern  die 
rechte  Mutter  zu  ersetzen  bestrebt  ist,  so  ist  es  uns  von  Kindesbeinen  an  kaum 
möglich,  uns  eine  Stiefmutter  ohne  das  herabwürdigende  Beiwort  „böse*  vorzu- 
stellen. Einen  grossen  Theil  der  Märchen  und  Sagen,  einen  grossen  Theil  der 
europäischen  SprQch Wörter  durchzieht  dieser  flüstere  Oedanke. 

Nach  r.  lieinsherg-Düringsfeld  sagen  die  Bergamasken: 

Die  Stiofmutter,  und  wenn  sie  von  Honig  wäre,  ist  nicht  gut; 


437.  Das  Weib  als  Stief-  und  Pflegemutter. 


487 


und 

Die  eigene  Mutter  Mütterchen,  die  Stiefmutter  Yerderbensmutter 

heisst  es  bei  den  Gzechen. 

Noch  weniger  pietätvoll  und  wenig  christlich  äussert  man  sich  in  manchen 
Gegenden  Deutschlands. 
Stiefmütter  sind  am  besten  im  grünen  Kleide,  d.  h.  also  unter  dem  Rasen  des  Eorchhofes. 
Gewiss  ist  es  ursprünglich  der  Neid  gegen  die  Stiefgeschwister,    gegen   die 
eigenen  Kinder  der  Stiefmutter,  welcher  dieses  schlechte  Yerhältniss  zu  der  letz- 
teren gross  gezogen  hat.     So  sagen  die  Polen: 

Das  Kind  der  Stiefmutter  wird  doppelt  gen&hrt, 
und  die  Bulgaren  stimmen  mit  ein: 

Das  bucklige  eigene  Kind  gilt  vor  dem  geraden  Stiefkinde. 
Aber  auch  wenn  sie  kinderlos  ist,   vermag   sich   doch  die  arme  Stiefmutter 
nicht   die   Liebe,    die  Achtung   und   die   Anerkennung   des  Volkes   zu   erwerben. 
Darum  heisst  es  in  Ehstland: 

Besser  die  Rutbe  der  leiblichen  Mutter  als  das  Butterbrod  der  Stiefmutter. 
und: 

Der  Vater  bekommt  wohl  ein  Weib,  aber  die  Kinder  bekommen  keine  Mutter. 


Fig.  383.    Die  Stiefmutter.    (Aus  Peirarchae  Trostspiegel.) 


Die  verwaisten  Kinder  fürchten  vielleicht,  und  bisweilen  mit  einem  gewissen 
Rechte,  dass  das  Interesse  und  die  Aufopferung,  welche  der  Vater  für  sie  be- 
sessen hatte,  jetzt  durch  die  Liebe  zu  seiner  Neuvermählten  ihnen  erheblich  ge- 
schmälert oder  sogar  gänzlich  entzogen  wird.  Das  drückt  das  deutsche  Sprüch- 
wort aus,  wenn  es  sagt: 

Wer  eine  Stiefmutter  hat,  hat  auch  wohl  einen  Stiefvater; 
und  ein  ähnliches  Spruch  wort  der  Lappen  lautet: 

Wem  Gott  die  Mutter  nimmt,  nimmt  er  den  Vater.    CPoestion,) 

In  Petrarchae  Trostspiegel  bringt  das  Kapitel:  »Von  Vntrew  der  Stieff- 
mütter*  den  einleitenden  Vers: 

„Stieffmutter  ist  ein  böse  Ruth, 
Stiefmütter  die  thun  selten  gut. 
Doch  wiltu  seyn  jhr  liebes  Kind, 
Mit  gedult  jhr  Vntrew  vberwind.* 


488  LXX.  Das  Weib  in  seinem  Verh&ltniss  zu  der  folgenden  Generation. 

Das  dazugehörige  Bild  (Fig.  383)  führt  uns  die  Stiefmutter  vor,  zwischen 
ihrem  halberwachsenen  ßohne  und  der  halberwachsenen  Tochter  stehend.  Vor 
ihr  läuft  händeringend  der  erwachsene  Stiefsohn  fort.  Er  hat  wohl  triftige 
Gründe  dafür,  denn  in  der  Hand  der  Stiefmutter  bemerkt  man  einen  mächtigen 
Stock,  welchen  sie  gegen  den  Stiefsohn  gerichtet  hält.  Im  Hintergründe  sieh: 
man  Phryxos  und  Helle  in  der  Tracht  des  16.  Jahrhunderts  auf  dem  goldenen 
Widder  fliehen. 

Als  Trost  in  diesem  Unglück  giebt  Petrarcha  folgenden,  in  vollem  Maass« 
zu  beherzigenden  Rath: 

.Wann  dein  Stieffmntter  anfahet,  vnsinnig  im  Hauss  zu  werden,  so  lass  das  W^ier 
vbergehen,  gedenk  an  deinen  Yatter  vor  Augen,  schweige  still  vnd  leide,  du  kanst  Tsd 
8olt  dich  nicht  an  Weibern  rechen,  verachte  nur  jhre  vnbilliche  weiss,  vnd  lass  ^at  aejiL 
Wer  ein  Weib  nicht  leiden  kan,  ist  kein  Mann,  liebe  deine  Stieffmutter ,  so  sie  dich  schon 
hasset'  u.  s.  w. 

Wie  Unrecht   einer   grossen  Zahl   der  Stiefmütter   durch   solch   eine    harte 
Beurtheilung  geschieht,  das  bedarf  wohl  keiner  weiteren  Auseinandersetzung^  denn 
wem  wären  nicht  Stiefmütter  bekannt,  welche  mit  musterhaftester  Treue  sich  der 
ihnen  vom  Manne  zugebrachten  Kinder  annehmen  und  bisweilen  sogar  sie  milder 
und  sorgfaltiger  behandeln,  als  ihre  eigenen  Kinder.     Es  ist  übrigens  eine  inter- 
essante Erscheinung,  dass  der  Begriff  der  Stiefmutter  mit  seiner  hässlichen  Neben- 
bedeutung nur  bei   den   eigentlichen   Gulturvölkem   vorhanden   zu   sein   scheint 
Wenigstens  begegnen  wir  bei  den  weniger  civilisirten  Nationen  nirgends  der  Auf- 
fassung,  dass,   wenn   eine   andere  Frau  des  Vaters  dessen  Kinder   mit   zu    Ober- 
nehmen gezwungen  ist,  diese  darunter  unter  irgend  welcher  Beziehung  zu  leiden 
hätten.     Im  Gegentheil,  wir  haben  ja  schon  gesehen,  mit  welcher  Bereitwilligkeit 
bei  vielen  Völkern  die  Frauen  sich  dazu  hergeben  und  sich  sogar  danach  drangen, 
den  jungen  Kindern   entweder   auf  einige  Tage  als  Pflege-  und  Säugemutter  zu 
dienen,   oder  wenn  die  rechte  Mutter  gestorben  ist,  sie  auch  wohl  gänzlich,    den 
eigenen  Kindern  gleich,  bei  sich  aufnehmen.   Auf  Serang  und  den  Babar-Inseln 
herrscht  die  Sitte,  dass,  wenn  einer  Familie  Zwillinge  geboren  werden,  die  Eltern 
nur  das  eine  der  Kinder  selber  aufziehen,   während  das  andere  von  Verwandten 
oder  Dorfgenossen  an  Kindes  Statt  angenommen  wird. 

Auch  die  eigenthümliche  Einrichtung  der  Mutterschaft  durch  eine 
Stellvertreterin,  die  wir  bei  manchen  Völkern  nachzuweisen  vermögen, 
liefert  den  Beweis,  wie  mit  Freuden  die  Kinder  aufgenommen  werden,  welche 
der  Ehemann  mit  einer  anderen  Frau  erzeugte;  denn  Kinderlosigkeit  ist 
Schande,  aber  Kinder  sind  Reichthum  und  Segen,  und  die  Frau  ist  stolz  auf  sie 
und  freut  sich  ihres  Besitzes  und  hegt  und  pflegt  sie,  wenn  es  auch  nicht  ihre 
eigenen  sind. 

Wenn  bei  den  heutigen  Chinesen  die  Frau  dem  Ehegatten  keine  Kinder 
gebiert  oder  an  einer  chronischen  Krankheit  leidet,  so  darf  der  letztere  mit  ihrer 
Zustimmung  eine  Goncubine  ins  Haus  nehmen. 

.Fast  immer  werden  dieselben  aus  den  unteren  Klassen  oder  aas  der  Zahl  der  bedürf- 
tigen Verwandten  gewählt.  Die  Kinder  derselben  werden  als  Kinder  der  rechtmässigen  Fran 
betrachtet,  wenn  diese  kinderlos  ist.  Dagegen  gelten  sie  als  legitimirt,  d.  h.  sie  haben  das- 
selbe  Recht,  als  die  ehelichen  Kinder,  wenn  die  rechtmässige  Frau  selbst  mit  solchen  gesegnet 
ist.  Die  Goncubine  ist  der  legitimen  Frau  Gehorsam  schuldig  und  betrachtet  sich  als  in 
ihrem  Dienst  befindlich.* 

,Nach  unseren  Sitten/  fährt  mein  chinesischer  Gewährsmann  Tscheng  Ki  Tang,  dem 
ich  das  Vorstehende  entnehme,  fort,  «wo  das  Schicksal  des  Kindes  mehr  als  alles  Andere 
interessirt,  und  wo  die  Ehre  der  Familie  gerade  in  dem  Gedeihen  dässelben  besteht,  würde 
dieses  (in  Frankreich  so  oft  gebräuchliche)  getrennte  Leben  der  ausserhalb  der  £he  ge- 
borenen Kinder  allen  herkömmlichen  Gebräuchen  zuwiderlaufen.  Aus  diesem  Grunde  wurde 
das  Concubinat  eingesetzt,  wodurch  es  dem  Manne  erspart  wird,  ausser  dem  Hause  Abenteuer 
aufzusuchen.    Die  Einrichtung  an  sich  ist  beim  ersten  Anblick  schwerlich  zu  billigen  —  einem 


437.  Das  Weib  als  Stief-  und  Pflegemutter.  489 

Europäer  erscheint  sie  undelicat  —  allein  unter  dem  Verwände  des  Zartgefühls  werden  oft 
weit  schwerere  Verbrechen  begangen,  werden  aus  intimen  Verhältnissen  hervorgegangene 
Kinder  mit  einem  unauslöschlichen  Makel  in  das  Leben  hinausgestossen,  dem  sie  ohne  Hülfe 
und  ohne  Familie  gegenüberstehen.  Ich  finde  diese  Mängel  weit  bedenklicher,  als  die 
Brutalität  des  Concubinats.  Was  dasselbe  vor  Allem  entschuldigt,  ist  der  Umstand,  dass  es 
von  der  legitimen  Frau  geduldet  wird,  trotzdem  sie  den  Werth  des  von  ihr  gebrachten 
Opfers  sehr  wohl  kennt;  denn  die  Liebe  bindet  die  Herzen  in  China  ebensowohl  wie  überall. 
Allein  die  wahre  Liebe  rechnet  mit  zwei  üebeln  und  wählt  das  kleinste  —  im  Interesse 
der  Familie." 

Von  den  kinderlosen  Frauen  in  Bosnien  sagt  Krauss^: 
n^&gt  der  Mann  das  unfruchtbare  Weib  nicht  selbst  aus  dem  Hause,  so  verbittern  ihr 
die  andern  Weiber  in  der  Hausgemeinschaft  so  lange  das  Leben,  bis  sie  von  selbst  fortgeht; 
dann  muss  sie  sich's  auch  gefallen  lassen,  wenn  der  Mann  ein  Kebsweib  aushält,  ja  sie  muss 
sogar  diese  unehelichen  Kinder,  als  wären  es  ihre  eigenen  Kinder,  in  jeder  Beziehung  hegen 
und  pflegen.  Mir  sind  in  der  That  einige  solche  Fälle  weiblicher  Aufopferung  bekannt. 
Die  Bäuerinnen  sprachen  von  den  Kindern  ihres  Mannes  nicht  anders  wie  von  ihren  eigenen 
Kindern.* 

Ganz  analoge  Verhältnisse  fanden  sich  bekanntermaassen  bei  den  alten 
Israeliten.    So  lesen  wir  1.  Mosis  16: 

Sarai,  Abrams  Weib,  gebar  ihm  nichts.  Sie  hatte  aber  eine  ägyptische  Magd,  die 
hiesa  Hagar.  Und  sie  sprach  su  Äbram:  «Siehe,  der  Herr  hat  mich  verschlossen,  dass  ich 
nicht  gebären  kann.  Lieber,  lege  Dich  zu  meiner  Magd,  ob  ich  doch  vielleicht  aus  ihr  mich 
bauen  möge.** 

Das  Oleiche  wiederholt  sich  dann  in  dem  Hause  des  Jacob,  dem  seine  eben- 
falls kinderlose  Gattin  Rahd  sagt: 

Siehe,  da  ist  meine  Magd  Bilha;  lege  Dich  zu  ihr,  dass  sie  auf  meinem  Schooss  gebäre, 
und  ich  doch  durch  sie  erbauet  werde.    (1.  Mosis  30.) 

Es  kann  wohl,  wie  ich  früher  schon  angedeutet  habe,  kaum  emem  Zweifel 
unterliegen,  dass  wir  hier  in  dem  Oebären  des  Kebsweibes  auf  dem  Schoosse  der 
le^timen  Ehefrau  einen  allegorischen  Vorgang  erkennen  müssen,  durch  welchen 
die  unfruchtbare  Frau  gleichsam  selber  die  Niederkunft  durchmacht  und  auf 
diese  Weise  ein  Mutterrecht  auf  ihre  Stiefkinder  zu  erwerben  glaubt.  Es  ist 
dieses  ein  Umstand,  der  wohl  zu  denken  giebt.  Denn  da,  wie  wir  gesehen 
haben,  bei  vielen  Völkern  der  Gebrauch  besteht,  dass  die  Fraueu  auf  dem 
Schoosse  ihres  Ehegatten  niederkommen  müssen,  so  liegt  der  Gedanke  nicht  sehr 
fem,  dass  der  ursprüngliche  Beweggrund  für  diese  Sitte  darin  zu  suchen  ist, 
dass  auf  diese  Weise  das  Kind  gleichsam  auch  körperlich  des  Vaters  Eigenthum 
wird,  und  wir  hätten  somit  hierin  eine  gewisse  Analogie  für  das  Männerkindbett 
zu  erkennen. 

Solch  eine  Scheingeburt,  wie  Fast  ganz  treffend  diese  Vornahmen  be- 
zeichnet, ist  auch  nach  Juhic  bei  den  türkischen  Bewohnern  von  Bosnien  in 
Gebrauch.    Er  sagt: 

„Die  Türken  pflegen  in  der  Regel  unmündige  Kinder  zu  adoptiren  und  zwar  nach 
orientalischem  Brauche.  Die  Adoptivmutter  stopft  nämlich  das  Kind  in  ihre  weiten  Hosen 
hinein  und  lasst  es  durch  die  Hosen  auf  die  Erde  nieder,  als  wenn  sie  das  Kind  gebären 
würde.  Der  Adoptivsohn  wird  nun,  als  wäre  er  ein  rechtmässiges  Kind,  der  Erbe  aller  Gater 
seiner  Adoptiveltern." 

In  einem  serbischen  Liede  heisst  es: 

,Die  Kaiserin  trug  ihn  in  den  Palast,  zog  ihn  durch  ihren  seidenen  Busen,  damit  das 
Kind  ein  Herzenskind  genannt  werde,  badete  ihn  und  herzte  ihn  ab/ 

Allerdings  sagt  Krauss\  der  diese  Stelle  berichtet,  dass  dieses  in  Serbien 
nicht  der  allgemeinen  Sitte  entspräche. 

Die  Würde  der  Stellung  einer  Pflegemutter  wird  auch  in  Afghanistan 
voll  anerkannt.  Das  sehen  wir  aus  einem  absonderlichen  Gebrauche,  welchen 
Fost  nach  dem  Berichte  Ujfalvys  anführt. 


490  LXX.  Das  Weib  in  seinem  Verhältnias  zu  der  folgenden  Generation. 

Bei  den  Afghanen  von  Suat,  Dir  und  Aswar  wird,  falls  eine  Anklage 
wegen  Ehebruchs  zur  Schlichtung  vor  den  Richter  oder  Yezir  kommt,  und  es  an 
Beweisen  mangelt,  vom  Angeklagten  eine  Garantie  für  das  Niewiedervorkonmien 
einer  solchen  Beschuldigung  verlangt.  Sie  besteht  darin,  dass  er  mit  seinen  Lippen 
die  Brust  der  Frau  berührt.  Sie  wird  dann  als  seine  Pflegemutter  betrachtet, 
und  keine  andere  Beziehung  als  die  zwischen  Mutter  und  Sohn  kann  unter  ihnen 
mehr  existiren.  Das  auf  diese  Weise  geknüpfte  Band  wird  als  so  heilig  betrachtet, 
dass  es  noch  nie  gebrochen  ist. 

Den  Japanern  ist  der  Begriff  der  bösen  Stiefmutter,  wie  wir  ihn  kennen, 
ebenfalls  kein  unbekannter.  Es  geht  das  ganz  so,  wie  bei  uns,  aus  einigen  ihrer 
Geschichten  hervor.  In  einer  dieser  Erzählungen  wird  die  still  duldende  und  er- 
tragende Stieftochter  durch  die  unerschöpflichen  Launen  und  die  boshaften 
Quälereien  der  Stiefmutter  allmählich  zur  Verzweiflung  und  schliesslich  in  den 
Tod  durch  eigene  Hand  getrieben. 


LXXI.  Das  gescUechtsreife  Weib  im  Zustande  der 

Ehelosigkeit. 

438.  Die  eheTerschmähte  Jungfrau. 

Wer  kennt  sie  nicht,  die  so  oft  beschriebene  Erscheinung,  das  ,, späte 
Mädchen*,  mit  den  sich  scharf  abzeichnenden  Gonturen  der  Kopfnickermuskeln 
am  Halse,  mit  den  „Gänsef&sschen''  an  den  Schläfen  und  mit  den  dünnen,  etwas 
bleichen  Lippen.  Ein  ewiges,  verschämtes  Backfisch-Lächeln  umspielt  ihre  Züge, 
schmachtende  Blicke  der  Sehnsucht  schiesst  sie  nach  den  Herren,  mit  denen  sie 
zusammentrifft,  aber  wohl  verstanden  nur  nach  den  Männern  in  etwas  reiferen 
Jahren  und  hier  auch  nur  nach  den  ünverheiratheten,  den  Verwittweten  oder  den 
Oeschiedenen.  Stets  ist  ihr  Anzug  zierlich  und  gewählt,  stets  spielen  bunte  und 
grelle  Farben  dabei  eine  grosse  Rolle,  namentlich  solche,  welche  nach  den  ge- 
wöhnlichen Begriffien  ästhetischer  Farbenlehre  wenig  oder  gar  nicht  zusammen- 
gehören. Auch  fehlt  es  daran  nicht  an  auffallenden  Draperien,  wie  sie  sonst 
höchstens  von  Mädchen  auf  der  so  reizvollen  Uebergangsstufe  von  dem  Kinde 
zur  Jungfrau  getragen  werden.  Erfordert  es  die  Sitte,  mit  entblössten  Schultern 
zu  erscheinen,  so  ist  ihr  Kleid  oben  erheblich  kürzer,  als  diejenigen  der  anderen 
ünverheiratheten  Damen.  Sie  kann  aus  anatomischen  Gründen  tiefer  ausgeschnitten 
erscheinen,  als  die  frischen  Mädchengestalten  um  sie  herum,  ohne  jedoch  den 
Männerblicken  mehr  zu  enthüllen.  Wird  in  den  geselligen  Vereinigungen  musicirt, 
dann  ist  sie  eine  der  Ersten,  welche  ihre  schon  etwas  an  schlechte  Blechmusik 
erinnernde  Stimme  erschallen  lässt.  »Nur  wer  die  Liebe  kennt,  weiss,  was  ich 
leide!"  Dieser  und  ähnliche  Ergüsse  unbefriedigter  Sehnsucht  bilden  ihr  Repertoir. 
Aber  der  ewig  heitere  Himmel  auf  ihrem  Gesichte  ist  nur  ein  scheinbarer.  Dem 
scharfen  Beobachter  entgehen  nicht  die  Blitze,  welche  ihr  Mienenspiel  durch- 
zucken, wenn  die  immer  unbegreifliche  Männerwelt  sich  von  ihr  abkehrt,  um  sich 
mit  den  jungen  Damen  in  Unterhaltungen  einzulassen,  ,,den  reinen  Kindern '^j  wie 
sie  sich  ausdrückt,  wo  es  ihr  unbegreiflich  ist,  wie  kluge  Männer  an  den  Ge- 
sprächen solcher  18-  bis  25jährigen  dummen  Dinger  Geschmack  finden  und  sie 
selbst  unberücksichtigt  lassen  können. 

Jedoch  zum  schrecklichen  Gewitter  wird  dieses  Wetterleuchten  in  der  Häus- 
lichkeit; nichts  ist  ihr  recht.  Niemand  versteht  sie,  von  Jedem  fühlt  sie  sich 
gekränkt  und  beleidigt.  Aber  sie  selber  hat  für  jeden  Anwesenden  eine  spitzige 
Bemerkung,  jeden  Abwesenden  sucht  sie  zu  verdächtigen,  oder  ihm  etwas  Schlechtes 
nachzusagen,  und  wenn  nicht  alles  ihrem  Wunsche  und  ihrer  Laune  sich  fugt, 
dann  stellen  sich  zu  rechter  Zeit  der  Weinkrampf  oder  die  Migräne  ein,  um  das 
unerquickliche  Bild  vollends  abzuschliessen. 

Aber  auch  ihr  haben  einst  bessere  Tage  geleuchtet,  auch  sie  hat  die  Liebe 
gekannt,  selbstverständlich  im  keuschen  Sinne,  aber  derjenige,  für  welchen  einst 


492  LXXI.  Das  geschlechtsreife  Weib  im  Zustande  der  Ehelosigkeifc. 

ihr  Herz  geglüht  hat,  dem  sie  mit  ihrer  ganzen  Seele  sich  zu  weihen,  dem  sie 
gänzlich  und  für  das  ganze  Leben  anzugehören  bereit  war,  der  hat  sie  nicht  ver- 
standen; er  hat  eine  Andere  gefreit,  die  ihn,  wie  sie  annimmt,  niemals  glücklich 
zu  machen  im  Stande  ist.  Noch  mehrmals  in  ihrem  Leben  fand  sie  Männer, 
denen  sie  mit  gleicher  Inbrunst  der  Liebe  zu  begegnen  bereit  war.  Aber  trotz- 
dem ihr  Liebeswerben  nun  schon  an  Deutlichkeit  nicht  mehr  viel  zu  wünschen 
übrig  Hess,  ist  sie  von  der  gefühllosen  Männerwelt  dennoch  wieder  unverstanden 
geblieben.  So  ist  sie  allmählich  mit  der  Männerwelt  zerfallen  und  hat  sich  in 
sich  selbst  zurückgezogen.  Nur  Einen  noch  hat  sie,  dem  ihr  Herz  gehört,  von 
dem  sie  alle  Launen  erträgt,  in  dessen  treuverschwiegenen  Busen  sie  all  ihr  Leid 
und  all  ihren  Harm  ausschüttet,  der  ebenso  feindselig  der  Welt  gegenüber  steht, 
wie  sie  selber,  das  ist  ihr  treuer  Zimmer-  und  Bettgenoss,  ihr  Schoosshund. 
Mit  ihm  sitzt  die  verblühte  Rose  einsam  hinter  dem  Epheugitter,  das  ihr  Fenster 
schmückt,  und  gedenkt  mit  stiller  Wehmuth  der  Tage,  da  sie  noch  ein  firisches 
Enospchen  war. 

Die  arme  alte  Jungfer!  Wieviel  wird  über  sie  gespöttelt,  und  man  ver«' 
gisst  dabei  vollständig,  wieviel  Schmerz  und  Herzeleid  und  wieviel  getäuschte 
Hofihung  diese  Furchen  in  ihrem  Antlitze  ziehen  halfen. 

Aber  wir  müssen  es  zum  Ruhme  des  weiblichen  Geschlechts  hervorheben, 
dass  das  soeben  entrollte  Bild  doch  nur  auf  einen  sehr  kleinen  Theil  der  ehelosen 
Jungfrauen  passt.  Bei  weitem  die  Mehrzahl  hat  es  verstanden,  sich  rechtzeitig 
klar  zu  machen,  dass  es  für  das  Lebensglück  des  Weibes  in  noch  viel  höherem 
Grade  als  für  den  Mann  nothwendig  ist,  einen  Wirkungskreis  und  einen  Lebens- 
beruf zu  haben.  So  findet  man  sie  oft  als  die  Lehrerinnen  der  Jugend,  als  die 
Pflegerinnen  der  alternden  Eltern,  oder  endlich,  und  nicht  am  seltensten,  als  die 
treue  Stütze  im  Haushalte  der  verheiratheten  Geschwister.  Wieviel  Segen  sie 
hier  stiften,  wieviel  Entsagung  sie  üben  und  wieviel  Liebe  sie  säen,  davon  wissen 
besonders  die  Aerzte  zu  erzählen,  welche  bis  in  das  geheimste  Innere  der  Familie 
zu  blicken  Gelegenheit  haben.  Wenn  der  Anschein  nicht  trügt,  so  hat  der  Stand 
der  alten  Jungfern  in  den  letzten  Jahrzehnten  erheblich  an  Anzahl  zugenommen. 
Die  unverhältnissmässige  Steigerung  aller  Lebensbedürfnisse  muss  nicht  zum  ge- 
ringsten Theile  hierfür  verantwortlich  gemacht  werden.  Aber  auch  die  heutige 
Erziehung  der  weiblichen  Jugend,  welche  vielleicht  mehr  wie  gebührlich  auf  das 
Aeusserliche  gerichtet  ist  und  den  Sinn  fOr  eine  rechte  Häuslichkeit  zu  spät  den 
Mädchen  zum  Bewusstsein  kommen  lässt,  kann  doch  wohl  nicht  vollständig  von 
der  Schuld  an  diesen  unnatürlichen  Verhältnissen  freigesprochen  werden. 


439.  Die  alte  Jungfer  in  anthropologischer  Beziehung. 

Betrachten  wir  das  alternde  Mädchen  in  anatomischer  Beziehung,  so  sehen 
wir  allmählich  die  Rosen  von  ihren  Wangen  schwinden;  die  Haut  wird  fehl  und 
grau,  die  Lippen  blass  und  dünn;  die  Nasen-Lippen-Furche,  welche  nach  vom  hin 
die  Wange  abgrenzt,  wird  scharf  ausgesprochen  und  tief;  unter  den  Augen  ent- 
stehen zuerst  leichte,  dann  immer  tiefere  Schatten;  am  äusseren  Augenwinkel 
tritt  eine  Gruppe  von  seichten  Hautfältchen  auf;  die  Augen  erhalten  einen  matten 
Glanz  und  einen  wehmüthigen  klagenden  Ausdruck.  Auch  die  Stimme  hat  nicht 
selten  einen  schmerzlichen  und  doch  scharfen  Beiklang.  Die  Wollhärchen  des 
Gesichtes,  namentlich  an  den  Seitenpartien  der  Oberlippe,  auch  wohl  am  Kinn 
und  an  den  Wangen  dicht  neben  dem  Ohre,  beginnen  sich  zu  etwas  kräftigeren 
und  je  nach  der  Farbe  des  Kopfhaares  blonden  oder  dunklen  kurzen,  aber  echten 
Haaren  zu  entwickeln.  Das  Fettpolster  des  ünterhautgewebes  verringert  sich  in 
auffallender  Weise.  Das  markirt  sich  in  erster  Linie  an  den  Brüsten,  welche 
kleiner  und  nicht  selten  welk  und  hängend  werden.    Sie  scheinen  an  dem  Brust- 


440.  Die  Ethnographie  der  alten  Jungfer.  498 

kästen  gleichsam  beinahe  handbreit  heruntergerutscht  zu  sein.  Denn  die  fettarme 
Haut  bedeckt  den  oberen  Theil  des  Brustkorbes  kaum  anders  als  bei  dem  Manne, 
während  bei  der  blühenden  Jungfrau  an  diesen  Stellen  das  ünterhautfettgewebe 
um  so  stärker  entwickelt  ist,  je  mehr  die  Brusthaut  in  diejenige  der  eigentlichen 
Brüste  übergeht.  Hierdurch  geschieht  es,  dass  die  obere  Grenze  der  Brüste  in 
der  Blüthe  der  Jahre  viel  höher  zu  liegen  scheint,  als  in  dem  hier  geschilderten 
Zustande  des  Yerwelkens.  Die  gleiche  Ursache  bedingt  es,  dass  jetzt  der  Hals 
magerer,  die  Schultern  spitziger  und  eckiger  erscheinen  als  früher,  und  dass  die 
oberen  Rippen  und  die  Schlüsselbeine,  früher  unter  dem  reichlicheren  Fettpolster 
versteckt,  jetzt  mit  grosser  Deutlichkeit  zu  Tage  treten.  Die  Oberschlüsselbein- 
gruben vertiefen  sich  erheblich;  es  bildet  sich,  wie  der  Berliner  Volksmund 
sagt,  das  ,, Pfeffer-  und  Salzfass**  aus.  Auch  die  Arme  nehmen,  wenn  auch  in 
leichterem  Grade,  an  der  Abmagerung  Theil;  aber  doch  markiren  sich  auch  an 
ihnen  sowohl  die  Muskelgruppen  als  auch  namentlich  die  Knochenvorsprünge  des 
Ellenbogens  und  der  Handwurzel  um  vieles  deutlicher  als  früher.  Das  Fettpolster 
des  Bauches  wird  ebenfalls  geringer,  ohne  dass  letzterer  jedoch  dabei  seine  jung- 
fräuliche Rundlichkeit  und  Straffheit  einbüsst.  Am  wenigsten  und  unter  allen 
Umständen  am  spätesten  werden  die  Formen  und  der  Umfang  der  Hinterbacken, 
der  Schenkel  und  der  Waden  beeinträchtigt,  und  gerade  die  letzteren  sind  es, 
welche  am  allerlängsten   auf  ihrem  ursprünglichen  Zustande  auszuharren  pflegen. 

Als  den  Zeitpunkt,  zu  welchem  bei  den  Mädchen  unseres  Volkes  im  Durch- 
schnitt dieses  Verwelken  beginnt,  müssen  wir  das  27.  oder  28.  Jahr  bezeichnen, 
obgleich  auch  nicht  selten  bereits  mit  25  Jahren  die  ersten  Spuren  dieser  Um- 
bUdungszustände  sich  einfinden.  Einmal  begonnen,  pflegt  der  Process  in  rapider 
Weise  bis  zu  der  vorher  geschilderten  Ausbildung  seine  Fortschritte  zu  machen. 
Dass  tiefe  seelische  Missstimmung  und  allerlei  nervöse  Beschwerden  diese  Zustände 
nicht  selten  begleiten,   das  wurde  im  vorigen  Abschnitte  bereits  besprochen. 

Es  ist  nun  im  höchsten  Grade  bemerkenswerth  nicht  allein  fiir  den  Arzt, 
sondern  auch  für  den  Anthropologen,  dass  es  ein  wirksames  und  niemals  ver- 
sagendes Mittel  giebt,  diesen  Process  des  Verwelkens  nicht  nur  in  seinem  Fort- 
schreiten aufzuhalten,  sondern  sogar  auch  die  bereits  geschwundene  Blüthe,  wenn 
auch  nicht  ganz  in  der  alten  Pracht,  doch  in  nicht  unerheblichem  Grade,  wieder 
zurückkehren  zu  lassen,  nur  schade,  dass  unsere  socialen  Verhältnisse  nur  in  den 
allerseltensten  Fällen  seine  Anwendung  zulassen  und  ermöglichen.  Dieses  Mittel 
besteht  in  einem  regelmässigen  und  geordneten  geschlechtlichen  Verkehre.  Man 
sieht  nicht  eben  selten,  dass  bei  einem  bereits  verblühten  oder  dem  Verwelktsein 
nicht  mehr  femstehenden  Mädchen,  wenn  sich  ihm  noch  die  Gelegenheit  zur  Ehe 
bietet,  bereits  kurze  Zeit  nach  ihrer  Vermahlung  alle  Formen  sich  wieder  runden, 
die  Rosen  auf  den  Wangen  wiederkehren  und  die  Augen  ihren  einstigen  frischen 
Glanz  zurückerhalten.  Die  Ehe  ist  also  der  wahre  Jugendbrunnen  für  das  weib- 
liche Geschlecht.  So  hat  die  Natur  ihre  feststehenden  Gesetze,  welche  mit  uner- 
bittlicher Strenge  ihr  Recht  fordern,  und  jede  Vita  praeter  naturam,  jedes  un- 
natürliche Leben,  jeder  Versuch  der  Anpassung  an  Lebensverhältnisse,  welche  der 
Art  nicht  entsprechen,  kann  nicht  ohne  bemerkenswerthe  Spuren  der  Degeneration 
an  dem  Organismus,  dem  thierischen  sowohl  als  auch  dem  menschlichen,  vor- 
übergehen. 

440.  Die  Ethnographie  der  alten  Jnngfer. 

Wenn  wir  von  dem  ethnographischen  Standpunkte  aus  uns  mit  der  alten 
Jungfer  beschäftigen  wollen,  so  ist  unsere  Arbeit  bald  gethan.  Denn  bei  den 
Naturvölkern  ist,  wie  es  den  Anschein  hat,  diese  Institution  fast  vollständig  un- 
bekannt. Es  ist  vollkonmien  unerhört,  dass  ein  geschlechtsreifes  Mädchen  nicht 
irgend  eines  Mannes  Gattin  würde,  sei  es  für  eine  bestimmte  Reihe  von  Jahren. 


494  LXXI.  Das  geschlecbtsreife  Weib  im  Zustande  der  Ehelosigkeit. 

sei  es  für  die  ganze  Lebenszeit,  und  wir  haben  ja  früher  bereits  gesehen,  dass  es 
bei  manchen  Völkern  selbst  für  die  unverheiratheten  Weiber  für  eine  Schande 
gilt,  wenn  sie  nicht  mit  Männern  in  geschlechtlichem  Verkehre  gestanden  haben, 
und  dass  hierdurch  ihre  Aussichten  auf  eine  spätere  wirkliche  Verheirathung  er- 
heblich zunehmen. 

Dass  wir  auch  überall  da,  wo  f&r  die  Braut  ein  Kaufyreis  zu  erlegen  ist, 
alte  Jungfern  fast  gar  nicht  voriinden,  das  erscheint  wohl  selbstverständlich.  Denn 
wo  die  Mädchen  ein  Handelsartikel  sind,  da  bilden  sie  den  Reichthum  der  Familie, 
und  der  Vater  wird  naturgemäss  sich  ernstlich  bemühen,  dass  er  eine  mannbare 
Tochter  nicht  unverkauft  im  Hause  behält. 

Alte  Jungfern  kommen  natürlicher  Weise  auch  da  nicht  vor,  wo  das  Um- 
bringen der  Mädchen  Landessitte  ist.  Denn  hierdurch  muss  eine  erhebliche 
Ueberzahl  der  Männer  gegenüber  den  etwa  am  Leben  gebliebenen  Mädchen 
erzengt  werden,  und  diesen  wenigen  wird  es  dann  an  Bewerbern  gewiss  nicht 
fehlen.  Ueber  die  Ausdehnung,  welche  dieser  gewohnheitsgemässe  Mädchenmord 
in  manchen  Gegenden  Indiens  erreicht  hatte,  lesen  wir  bei  von  Schweiger- 
Lerchenfeld : 

«Als  im  Jahre  1836  in  dieser  Angelegenheit  die  erste  Untersuchung  seitens  der  indo- 
britischen Behörden  angestellt  wurde,  zeigte  es  sich,  dass  beispielsweise  im  westlichen 
Radschputana  unter  einer  Bevölkerungsgruppe  von  10000  Seelen  kein  einziges  Mädchen 
vorhanden  war!  In  Manikpur  gaben  die  radschputischen  Edelleute  selbst  zu,  dass  seit 
mehr  als  100  Jahren  in  ihrem  Gebiete  kein  neugeborenes  Mädchen  über  ein  Jahr  gelebt  habe. 
Damit  sind  aber  diese  Ungeheuerlichkeiten  noch  lange  nicht  alle  erschöpft.  Vor  etwa  20 
Jahren  wurden  neuerdings  Nachforschungen  gepflogen.  Ein  Beamter  der  Regierung  constatirte 
zunächst  die  Existenz  der  Mordpraxis  in  308  Ortschaften,  die  er  besucht  hatte,  in  26  fand  er 
kein  einziges  Mädchen  unter  6  Jahren,  in  28  kein  einziges  unter  dem  heirathsföhigen  Alter. 
In  einigen  Ortschaften  war  seit  Menschengedenken  keine  Hochzeit  vorgekommen,  und  in  einer 
anderen  datirte  man  die  letzte  derselben  die  Kleinigkeit  von  80  Jahren  zurück.  Die  grösste 
Merkwürdigkeit  aber  traf  eine  Ortschaft  in  der  Provinz  Benares,  denn  dort  erklärten  die 
Bewohner,  dass  seit  200  Jahren  keine  Ehe  mehr  geschlossen  sei.  Andere  statistische  Daten 
lassen  sich  in  Folgendem  kurz  zusammenfassen:  Im  Jahre  1869  constatirte  der  Gouverneur 
der  Nordwestprovinzen,  dass  in  sieben  Dörfern  auf  durchschnittlich  100  Knaben  1  Mädchen 
entfiel;  10  Jahre  vorher  war  die  letzte  Ehe  geschlossen  worden.  In  einer  Gruppe  von  22 
Dörfern  zählte  er  284  Knaben  und  nur  23  Mädchen." 

Von  Schlaginttveit  haben  wir  folgenden  Bericht: 

„In  Indien  fühlt  sich  ein  Vater  entehrt,  der  eine  mannbare  Tochter  noch  ledig  im 
Hause  hat;  deswegen  sind  im  ganzen  Reiche  nur  6^/3  Procent  aUer  weiblichen  Wesen  über 
14  Jahre  noch  unverheirathet.  Nicht  die  jungen  Leute  suchen  sich,  sondern  die  Eltern 
schliessen  die  Verbindung.  Die  Mehrzahl  der  Mädchen  wird  verheirathet  vor  Eintritt  völliger 
Entwickelung  und  lebt  als  Frau  bei  den  Männern.  Ein  hohes  Fest  ist  der  Eintritt  der  Pubertät; 
die  beiden  Familien  feiern  dieses  Ereigniss  gemeinsam  als  zweite  Heirath,  und  so  lebhaft  ist 
die  Freude,  dass  alter  Familienzwist  dabei  neuer  Freundschaft  weicht.* 

Besonders  streng  sind  in  dieser  Beziehung  nach  du  Perron  die  Anschauungen 
bei  den  heutigen  Parsen.  Denn  wenn  bei  diesen  ein  mannbares  Mädchen  ab- 
sichtlich die  Heirath  vermeidet,  so  gilt  das  für  eine  Sünde,  die  nicht  gesühnt 
werden  kann;  sie  ist  unrettbar  der  Hölle  verfallen. 

Dass  aber  wenigstens  früher  in  Indien  alte  Jungfern  kein  unbekannter  Be- 
griff gewesen  sind,  das  geht  aus  einer  Hymne   des  Rigveda  hervor,  welche  an 
die  Oottheiten  Ägvin  gerichtet  ist.     Hier  wird  demselben  lobend  nachgesagt: 
,lhr  bringet  ja  der  alten  Jungfrau  Liebesglflck.*^  {Geldner.J 

In  Java  gilt  «ine  14 — 15  Jährige,  die  nicht  verheirathet  ist,  nach  Waibaum 
schon  für  eine  alte  Jungfer. 

In  China  siitd  nach  Tscheng  Ki  Tong  alte  Jungfern  „eine  phänomenale 
Erscheinung'';  die  Ehelosigkeit  wird  allen  Ernstes  als  ein  Laster  betrachtet,  und 
es  bedarf  ganz  bestimmter  Oründe,  um  sie  eu  entschuldigen.    Entgegengesetzt  der 


440.  Die  Ethnographie  der  alten  Jungfer.  495 

eben  gemachten  Angabe  sagt  aber  ein  anderer  Berichterstatter  über  China,  dass 
die  Sorge  der  Kinder  ftSr  ihre  Eltern  dort  so  gross  ist,  dass  gar  nicht  selten 
Mädchen  unverheirathet  bleiben,  nur  ganz  allein  aus  dem  Grunde,  um  ihre  Eltern 
pflegen  zu  können.  Dann  wird  ihnen  nach  ihrem  Tode  ein  Denkmal  aus  Holz 
oder  Stein  errichtet,  auf  welchem  eine  Inschrift  diese  ihre  Aufopferung  verewigt. 

Während  bei  den  Völkern  der  Südsee  alte  Jungfern  nicht  vorzukommen 
scheinen,  so  müssen  jedenfalls  die  Gilbert-Insulaner  hier  eine  Ausnahmestellung 
einnehmen.     Parkinson  sagt  von  ihnen: 

,Auf  den  Gilbert-  oder  Eingsmill-Inseln  kann  es  nicht  an  alten  Jungfern  fehlen, 
da  in  den  dort  herrschenden  Erbschaftsgesetzen  der  Fall  vorgesehen  ist,  dass  die  Erblasserin 
unverheirathet  ist.  Wahrscheinlich  hängt  das  damit  zusammen,  dass  die  Mädchen  sehr  frQh, 
oft  schon  im  Mutterleibe,  verlobt,  aber  von  ihrem  Verlobten  in  manchen  Fällen  nicht  gehei- 
rathet  werden.    Allerdings  ist  ihnen  dann  nicht  verboten,  eine  andere  Wahl  zu  treffen.** 

Jedoch  auch  dort,  wo  nicht  gerade  eine  directe  Gefahr  für  das  Mädchen 
besteht,  dass  sie  überhaupt  sitzen  bleibt,  wenn  sie  nicht  gleich  frühzeitig  heirathet, 
ist  ein  längeres  Warten  ihr  dennoch  bänglich. 

Jedes  reife  Mädchen  braucht  die  Hochzeit, 
sagt  der  Süd-Slave,  und  die  Tscherkessin  singt: 

Die  reife  Frucht  wartet  des  Pflückers  Hand, 

Des  Freiers  wartet  die  mannbare  Jungfrau  — 

Die  Frucht,  die  zu  pflücken 

Kein  Pflücker  gekommen, 

Fällt  endlich  wohl  selber 

Vom  Baume  herab  — 

Die  Maid,  die  zu  freien 

Kein  Freier  gekommen, 

Flieht  endlich  wohl  selber 

Den  heimischen  Herd.    (BodenstedtJ 

In  einem  bosnischen  Volksliede  heisst  es: 

Sarajewo,  sollst  in  Feuer  aufgehn! 

Weil  ein  böser  Brauch  in  Dir  entstanden. 

Denn  man  minnt  um  Wittwen,  Türkenfrauen, 

Und  die  schönen  Mädchen  lässt  man  sitzen.    C^rauss^J 

Aber  das  Verblühen  kommt  auch  früh,  und  in  Bosnien  sagt  man  von  einem 
22jährigen  Mädchen,  „sie  ist  halb  abgestanden*,  und  von  einem  25jährigen,  «sie 
ist  in  die  Länge  gezogen*.  (Krauss^,)  So  gesellt  sich  zu  ihrem  Schmerz  über 
das  unbefriedigte  Leben  auch  noch  der  Hohn  des  Yolkswitzes  dazu. 

Ueber  die  Süd-Slaven  schreibt  mir  Krauss  (1877): 

«Sie  fragen,  was  für  eine  Stellung  eine  alte  Jungfer  (cura  sijeda  =  ein  ergrautes 
Mädchen)  einnehme?  Nicht  besser  als  ein  räudiger  Hund;  denn  mit  ihr  verkehren  weder  die 
Mädchen,  noch  die  Frauen,  am  allerwenigsten  die  Männer.  Sie  darf  weder  im  Reigen,  noch 
in  der  Spinnstube  mitthun.  Sie  wird  verhöhnt  und  verspottet  und  überall  zurückgesetzt. 
Man  betrachtet  sie  als  den  Schandfleck  des  Hauses.  Ein  stereotyper  Fluch  lautet:  Du  sollst 
bei  Deiner  Mutter  (im  Hause  sitzengeblieben)  Dein  Haar  flechten/ 

In  seinem  grossen  Werke  sagt  Krauss^: 

„Ledig  bleiben  wird  einem  Mädchen  fast  wie  ein  Verbrechen  angerechnet.  Leidejb  die 
Arme  an  und  für  sich  schon  genug,  so  trägt  auch  der  Spott  der  Welt  viel  dazu  bei,  dass  sie 
ihr  Leid  noch  schmerzlicher  empfindet.  So  z.  B.  herrscht  in  Öakovec  im  Murlande  der 
Brauch,  dass  die  jungen  Burschen  des  Ortes  am  Aschermittwoch  Röhricht  herbeischleppen, 
daraus  Bündel  machen  und  an  den  Hausthüren  unverheiratheter  Mädchen  befestigen.' 

und  doch  lautet  die  Antwort  des  süd-slavischen  Mädchens,  wenn  man 
sie  fragt,  wann  sie  Vater  und  Mutter  am  allerliebsten  hat: 

«Wenn  ich  mich  nach  ihnen  aus  des  Gatten  Heime  sehne  und  bei  ihnen  in  der  Ver- 
wandtschaft nicht  hinsitze.  ** 


496  LXXI.  Das  geschlechtsrdife  Weib  im  Zastande  der  Ehelosigkeit. 

So  will  die  Wal  ach  in,  wenn  Gott  ihr  das  Glück  der  Ehe  versagt  hat, 
wenigstens  noch  nach  dem  Tode  einem  heldenmüthigen  Jünglinge  von  Nutzen 
sein.     Es  heisst  in  einem  Yolksliede  nämlich: 

Wohl  erging  sich  eine  Maid,  eine  junge  Walachenmaid, 

Zierlich  schmuckes  Mägdlein, 

Ging  allein,  die  schmucke  Maid,  und  erhob  zu  Gott  ihr  Flehen; 

„Thu  mich  nicht,  o,  Du  mein  Gott,  durch  lebendige  Sehnsucht  morden, 

Mein  sichtbarer  Gott! 

Durch  lebendige  Sehnsucht  morden,  nicht  durch  bittren  Pfeil  erlegen, 

Lass  mich  voll  die  Lieb'  verkosten  eines  zierlich  schmucken  Helden, 

Mich  junge  Walachin. 

Auf  dem  Haupte  will  ich  tragen  einen  grünen  Kranz  vom  Oelbaum, 

Auf  der  Hand  will  ich  erschauen  einen  goldenen  Ring  aus  Hellas, 

Ich  schöne  Walachin. 

Magst  mich  aber,  lieber  Gott,  durch  lebendige  Sehnsucht  morden, 

0  mein  Gott,  verwandle  mich  in  die  schlanke  Alpentanne, 

Mein  sichtbarer  Gott. 

Meine  schönen  Haare  wandle  in  das  zarte  Gras  des  Kleefelds, 

Meine  schwarzen  Augen  wandle  in  zwei  kühle,  klare  Quellen^ 

Mein  sichtbarer  Gott! 

Kam'  der  Herr  von  meinem  Herzen  dann  zu  pirschen  auf  die  Alpe, 

Thät'  er  rasten  unter  dieser  grünen  schlanken  Alpentanne; 

Mein  geliebter  Herr, 

Th&t*  dann  seine  Rosse  fflttem  mit  dem  zarten  Gras  des  Kleefelds, 

Thät'  sie  tränken  an  den  beiden  kühlen,  klaren  Quellenwassem, 

Seine  schnellen  Rosse. '^ 

Hat  also  zu  Gott  gebeten  und  sich  alles  auch  erbeten.    (Krauss^.) 

In  einem  mordwinischen  Liede,  das  Paasonen  veröffentlicht  und  übersetzt 
hat,  klagt  das  gute  Mädchen,  die  alte  Matjuscha^  weinend: 

Auch  das  Wasser  war  gut;  es  giebt  keinen,  der  es  trinkt: 
Auch  das  Gras  war  vortrefflich;  es  giebt  keinen,  der  es  mäht; 
Auch  ich  war  gut;  es  giebt  keinen,  der  mich  nimmt; 
Auch  ich  war  vortrefflich;  es  giebt  keinen,  der  mich  anrührt. 

Bei  den  Mohamedanern  geniesst  höchstens  die  verheirathete  Frau  ein 
gewisses  Ansehen,  die  alte  Jungfer  aber  ist  ganz  ohne  Rechte. 

Osman  JBey  verdanken  wir  folgende,  die  uns  hier  interessirenden  Verhält- 
nisse beleuchtende  Notiz: 

„Die  Nothwendigkeit  einer  Heirath  für  die  Frauen  hat  zu  vielen  Hülfsmitteln  und 
frommen  Betrügereien,  welche  ebenso  sonderbar  als  lächerlich  sind,  Veranlassung 'gegeben. 
Auf  einer  Wallfahrt  nach  Mekka  z.  B.  ist  die  Bescheinigung  der  Heirath  eine  noth wendige 
Bedingung.  Die  alleinstehende  Frau,  welche  sich  an  der  Wallfahrt  betheiligt,  wird  Gott 
weniger  Wohlgefallen,  als  die  verheirathete.  Um  nun  diesem  Nachtheil  abzuhelfen,  nehmen 
sie  ihre  Zuflucht  zu  einer  frommen  List,  welche  in  der  sogenannten  Wallfahrtsehe  besteht. 
Jedesmal,  wenn  sich  eine  Pilgerkarawane  zum  Besuch  der  heiligen  Orte  rüstet,  sieht  man  die ' 
unverheiratheten  Frauen,  Wittwen  oder  alten  Mädchen  nach  einem  Individuum  suchen^  welches 
einwilligt,  die  Bolle  eines  Gelegenheitsgatten  zu  spielen.  Sie  machen  letzterem  in  sehr  naiver 
Weise  ihre  Anträge,  indem  sie  z.  B.  ohne  Z6gem  und  Erröthen  sagen:  Willst  Du  mein  Wall- 
fahrtsgatte werden?  Ja,  warum  nicht,  antwortet  der  Pilger,  ohne  sich  die  Mühe  zu  geben, 
die  Frau,  welche  seine  Gattin  zu  werden  gedenkt,  anzusehen.  Hierauf  nehmen  sich  die  Ver- 
lobten zwei  Zeugen,  und  die  Heirath  zwischen  ihnen  wird  auf  kurze  Zeit  geschlossen.  Hierauf 
Bchliessen  sie  sich  der  Karawane  an,  beide  schwingen  sich  auf  das  Kameel,  oder  reihen  sich 
zu  Fuss  dem  unendlichen  Zuge,  welcher  sich  nach  Mekka  begiebt,  ein.  Diese  Wallfahrts- 
ehen vertragen  sich  durchaus  mit  dem  muselmännischen  Gewissen;  sie  werden  sogar  von  den 
Pilgern  als  ein  gutes  Werk  angesehen.  Es  ist  Ehrensache  der  Männer,  den  Frauen  behülf  lieh 
zu  sein,  ihre  Pflicht  gegen  Gott,  wenn  auch  durch  List,  zu  erfüllen.  Die  Wallfahrtsheirathen 
hören  an  dem  Tage   wieder   auf,   an  dem   die  Ceremonien  durch  die  Opferung  der  Lämmer 


Tafel  XL 
Das  Weib  in  den  deutschen  Kolonien  und  deren  Nachbarschaft. 


1.  2.  3. 

Frau  Yon  Fernando  Po«  Frau  Yon  Kamerun.  Fante-Frau. 

(GoldkÜBte.) 


4.  5.  6. 

Mädchen  t.  d.  Admiralitilts-         Mftdohen  Ton  Samoa*        Müdchen  Ton  Neu-Britannien. 
Inseln«  (Guellen-Halbiniel.) 


7.  8.  9. 

Weib  aus  Harrar«  Konde-Weib.  Berir-I>amara-Weib. 


TtttelXl. 

Das  Weib  in  den  deutscKenKoloiüerL  11.  deren  Nachbarschaft. 


r-.x.  ■i:-irteis.._'AA>»  /^rX- 


441.  Die  Goiteq'angfrau.  497 

aaf  dem  Arafat  beendigt  werden.  W&hrend  auf  der  einen  Seite  geopfert  wird,  sprechen  auf 
der  andern  Seite  die  Gatten  die  sacramentale  EheBcheidongsformel  ans,  und  die  Eheleute 
gehen  aus  einander,  um  sich  nie  wieder  zu  sehen.* 


441.  Die  Gottesjangfraa. 

Wir  finden  schon  von  urdenklichen  Zeiten  her  bei  den  verschiedenartigsten 
Galturvolkem  unseres  Erdballs  den  Gebranch,  bestimmte  Vertreterinnen  des  weib- 
lichen Geschlechts  aus  dem  profanen  Alltagsleben  herauszunehmen  und  sie,  durch 
besondere  Ceremonien  vorbereitet,  in  besonderen  Häusern  untergebracht,  und  in 
besonderer  Weise  erzogen,  für  ihre  ganze  Lebenszeit  der  Gottheit  zu  weihen. 
In  den  allermeisten  Fällen  waren  diese  Gottesjungfrauen  zu  ewiger  Ehelosigkeit 
verurtheilt;  sie  hatten  den  Dienst  in  den  Tempeln  zu  versehen,  die  Götterfeste 
durch  ihre  Gesänge  und  Tänze  zu  verherrlichen,  als  Opferpriesterinnen  zu  fun- 
giren  und  bisweilen  auch  die  Orakel  zu  verkündigen.  Sie  nahmen  dem  übrigen 
Volke  gegenüber  eine  durchaus  exceptionelle  Stellung  ein,  und  als  Ersatz  für  das 
Familienleben,  das  sie  für  immer  entbehren  mussten,  wurden  ihnen  von  allen 
Seiten  die  höchsten  Ehrenbezeigungen  entg^engetragen.  Gewöhnlich  war  mit 
der  Ehelosigkeit  auch  die  strenge  Bewahrung  ihrer  jungfräulichen  Keuschheit 
ihre  heilige  Pflicht:  sie  waren  das  Eigenthum  der  Gfottheit,  der  man  sie  geweiht 
hatte,  und  den  Männern  war  es  streng  verpönt,  auch  nur  in  ihre  Nahe  zu  konmien. 
Wehe  derjenigen  Gottequng&au,  welche  die  Keuschheit  verletzte.  Die  allerhärtesten 
Strafen  hatte  sie  zu  gewärtigen. 

So  war  es  aber  nicht  in  allen  Fallen.  Bisweilen  sehen  wir,  dass  die  Tempel- 
mädchen, wenn  eine  reguläre  Ehe  ihnen  auch  streng  verboten  war,  doch  von 
dem  geschlechtlichen  Umgänge  mit  Männern  nicht  nur  nicht  ausgeschlossen, 
sondern  sogar  zu  demselben  gezwungen  wurden.  Allerdings  waren  diese  Männer 
in  manchen  Fallen  nur  die  Priester  oder  der  König  des  Landes,  also  immerhin 
die  Vertreter  der  Gottheit.  Aber  es  fehlt  auch  nicht  an  Beispielen,  wo  sie  sich 
jedem  Manne  hingeben  mussten,  der  bei  dem  Altare  ihrer  Gottheit  sein  Opfer 
und  sein  Gebet  zu  verrichten  gekommen  war.  Man  hat  diesen  letzteren  Gebrauch 
ebenfalls  mit  dem  Namen  der  religiösen  Prostitution  bezeichnet,  von  deren  Arten 
ich  in  einem  früheren  Abschnitt  bereits  gesprochen  habe  und  worauf  ich  hier 
nicht  noch  einmal  zurückkommen  will. 

Bei  den  alten  Aegyptern  gab  es  Jungfrauen,  welche  im  Dienste  des  Ämmon 
sich  bei  dessen  Tempel  in  besonderer  Glausur  befanden.  Es  wird  auch  eine  „Obere* 
dieser  Mädchen  genannt.  Wir  dürfen  daher  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  diese 
Tempeljungfrauen  zu  ganzen  Schwesterschaften  vereinigt  gewesen  sind.  Auch  in 
dem  alten  Mexiko  und  Peru  finden  wir  die  Institution  der  Gott  geweihten 
Jungfrauen,  und  auch  die  heutigen  Buddhisten  besitzen  in  unseren  christlichen 
Nonnenklöstern  ganz  analoge  Einrichtungen.  Eine  solche  buddhistische  Nonne 
aus  Japan  haben  wir  in  Fig.  235  kennen  gelernt. 

Bei  den  Römern  mussten  bekanntlich  die  Priesterinnen  der  Vesta  das 
Gelübde  der  Keuschheit  ablegen,  wie  die  Göttin  selber,  als  Neptun  und  ÄpoUo 
sich  um  sie  bewarben,  bei  dem  Haupte  ihres  Bruders  den  Eid  ewiger  Jungfräu- 
lichkeit leistete.  An  Zahl  waren  in  Rom  zuerst  zwei  Vestalinnen,  dann  vier, 
und  nachher  sechs. 

«Sie  tragen  ein  langes,  weisses  Gewand,  eine  priesterliche  Stimbinde  um  das  Haupt, 
dessen  Haar  gescheitelt  war,  und  wenn  sie  opferten,  einen  dichten  Schleier.  In  dem  Heilig- 
thum,  welches  ihnen  von  Numa  Pompüius  angewiesen  wnrde,  das  jedoch  zugleich  als  Königs- 
palast  diente,  hatten  sie  das  bekannte  Palladium  der  Stadt  Rom  und  andere  hehre  Dinge 
zu  bewachen,  die  Opfer  der  Göttin  auszurichten  und  die  ewige  Flamme  ihres  Herdes  zu  ver- 
sorgen. Die  Nachlässige,  durch  deren  Schuld  das  Feuer  ausging,  ward  von  dem  Pontifex 
maximus,  der  die  Wohnung  dieses  Tempelhauses  theilte  und  als  Oberpriester  auch  die  Vesta- 
Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    U.  82 


498  LXXI.  Das  geachlecbtsreife  Weib  im  Zustande  der  Ehelosigkeit. 

linnen  beaufsichtigen  musste,  mit  Geisseihieben  gezüchtigt,  worauf  man  die  wegen  eines 
solchen  Vergehens  erzürnte  Göttin  durch  feierliche  Opfer  und  Gebete  versöhnte  und  die  Gluth 
an  den  Strahlen  der  Sonne  wieder  anschürte.  Verletzung  des  Eeuschheitsgelübdes  strafte 
man  schrecklich;  die  Frevlerin  wurde  unter  grausen  Ceremonien,  gleich  den  Nonnen  im 
Mittelalter,  lebendig  begraben,  während  allgemeine  Stadttrauer  herrschte,  da  man  ein  solches 
Ereigniss  für  ein  schweres,  aus  Göttergroll  hereingebrochenes  Unglück  hielt  Dafür  genossen 
aber  auch  diese  Priesterinnen  das  höchste  Ansehen  und  eine  Menge  Vorrechte.  Sobald  sie 
der  Pontifez  am  Tage  ihres  feierlichen  Eintritts  mit  der  weihenden  Hand  berührte,  waren 
sie  mündig  und  testamentsfähig;  sie  hatten  im  Theater  Ehrenplätze  unter  den  ersten  Magistrats- 
personen: wenn  sie  ausgingen,  wurden  ihnen  von  dem  Lictor  die  Fasces  vorgetragen,  und 
begegnete  ihnen  auf  ihrem  Wege  ein  Verbrecher,  den  man  zum  Richtplatz  führte,  so  schenkte 
man  ihm  das  Leben.  Uebrigens  durfte  die  zur  Vestalin  bestimmte  Jungfrau  nicht  mehr  als 
10  Jahre  zählen,  musste  aus  Italien  gebürtig,  ohne  äussere  Mängel  und  von  Eltern  ent- 
sprossen sein,  die  dem  freien  Stande  angehörten,  ein  ehrliches  Gewerbe  trieben  und  noch  am 
Leben  waren;  der  Vater  konnte  sie  dann  freiwillig  zur  Priesterin  hergeben.  War  jedoch 
eine  Wahl  nöthig,  so  geschah  sie  durch  das  Loos  in  der  Volksversammlung,  indem  man  eine 
Anzahl  von  20  ganz  jungen  Mädchen,  die  den  obigen  Bedingungen  entsprachen,  zur  Auswahl 
vorführte.  Die  Betroffene  musste.  den  Dienst  der  Vesta  10  Jahre  lang  lernen,  die  folgenden 
10  Jahre  ausüben  und  ein  weiteres  Jahrzehnt  (also  bis  zu  ihrem  vierzigsten  Jahre)  lehren; 
alsdann  hatte  sie  Erlaubniss,  den  Tempel  zu  verlassen  und  sogar  zu  heirathen,  wenn  sie  ihrem 
heiligen  Beruf  entsagen  wollte. '^     CMinchwitzJ 

Auch  die  Germanen  hatten  ihre  gottgeweihten  Jungfrauen,  welchen  die 
Gabe  der  Weissagung  verliehen  war.  Tacitus  spricht  von  üinen  in  seiner  Ger- 
mania.    Diese  Jungfrauen  nannte  man   Wäla, 

.Die  brukterische  Jungfrau  Veleda  war  eine  solche  Wala,  welche  lange  von  den 
Meisten  wie  ein  gotterfülltes  Wesen  gehalten  ward;  schon  vorher  haben  sie  Albrun  und 
mehrere  andere  Frauen  in  solcher  Weise  verehrt.  In  der  That  galten  .weise  Frauen*  als 
von  den  Göttern  erleuchtet,  als  kimdig  der  Zukunft,  wohl  zu  unterscheiden  von  den  Prieste- 
rinnen, obwohl  oft  ihre  Eigenschaft  und  die  Verrichtung  als  Weissagerinnen  in  Einem  Weibe 
vereint  vorkommen  mochten.*    fJDahnJ 

Diese  Veleda^  welche  die  Vernichtung  der  römischen  Legionen  durch  die 
Bataver  voraussagte,  wohnte  in  einem  Thurme  und  zeigte  sich  den  Abgesandten 
der  umwohnenden  Stänune  nicht  selbst:  einer  ihrer  Verwandten  vermittelte  Frage 
und  Antwort:  sie  wurde  von  den  Römern  aufgefordert,  ihren  Einfluss  auf  die 
Deutschen  zur  Beilegung  des  Krieges  zu  verwenden. 

Im  Allgemeinen  bedeuten  sich  die  germanischen  Wahrsagerinnen,  deren 
auch  dieWest-Gothen  welche  besassen,  bestimmter  Holzstäbchen  zur  Erforschung 
der  Zukunft,  auf  welchen  Runenzeichen  eingeritzt  waren.  Daher  bezeichnen  auch 
nach  Weinhold  alle  Frauennamen,  in  denen  das  Wort  „run*'  erscheint,  ursprüng- 
lich Weiber,  welchen  die  Gabe  der  Weissagung  innewohnt. 

Die  vornehmste  Stelle  unter  den  gottgeweihten  Jungfrauen  nehmen  die 
christlichen  „Himmelsbräute^  ein,  die  Nonnen  mit  ihren  Abarten  der  pflegenden 
und  Diakonissinnen-Orden.  Wieviel  Entsagung,  Nächstenliebe  und  Aufopferungs- 
fähigkeit gerade  für  die  letzteren  nothwendig  ist,  das  ist  zu  allgemein  bekannt, 
als  dass  es  hier  noch  einer  weiteren  Auseinandersetzung  bedürfte.  Die  Nonnen- 
klöster nahmen  fast  gleichzeitig  mit  den  Klöstern  der  Mönche  ungefähr  in  dem 
4.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechuung  ihren  Ursprung.  Den  ersten  Anstoss  dazu 
gaben  ganze  Schaaren  frommer  Einsiedler,  welche,  wie  der  heilige  Rieronymus 
berichtet,  von  Indien,  Persien  und  Aethiopien  aus  „in  täglichen''  Zuzügen 
nach  dem  Westen  wanderten.  Um  diese  sammelten  sich  in  grossen  Mengen 
gläubige  Schüler,  die  dann  von  hervorragenden  Geistern  in  grösseren  Gruppen 
gesammelt  wurden.  Der  heilige  Pachomius  gilt  als  der  erste,  welcher  solch  ein 
Kloster  gegründet  hat.  Diese  Klöster  bestanden  aus  einer  grossen  Anzahl  ein- 
zelner Häuser,  welche  unter  einer  Oberleitung  vereinigt  waren.  Wir  lesen  bei 
Lacroix^: 

„Lee  vierges  vou6es  ä  FEglise,   lea  jeunes  veuves,   les  diaconesses  avaient  un  genre 


441.  Die  Gotiesjangfrau.  499 

d^ezistence  qui  deTait  les  pr^parer  naturellement  aux  habitades  de  r^clusion,  de  vie  contem- 
platiye  et  d'asc^tisme.  La  soeur  de  Saint  Antoine,  la  soear  de  Saint  Paoome  farent  plac^ea 
par  lenrs  T^n^rables  fr^res  ä  la  tSte  de  deuz  communant^s  de  vierges,  en  Egypte  et  en 
Palestine.  Dans  le  Pont  et  la  Cappadoce,  Saint  Betaue  cr^a  plusieurs  monast^res  de 
filles,  et  leur  nombre  s'accrat  tellement  que  d^s  les  premi^res  annees  du  cinquiäme  si^cle  un 
seul  monast^re  (coenobinm)  renfennait  deuz  cent  cinquante  vierges.  En  Europe,  les  mo- 
nastäres  de  vierges  se  multipli^rent  avec  non  moins  de  rapidit6.  A  Rome,  du  temps  de 
Saint  AthafMsef  et  sans  doute  par  son  influence,  deuz  maisons  religieuses  ayaient  ^t^  ouvertes 
auz  jeunes  fiUes.  Eusebe^  Täveque  de  Yerceil,  institua  pr^s  de  son  eglise  un  Etablissement 
du  m§me  genre;  mais  le  plus  cel^bre  de  tous  ces  monast^res  de  femmes  fot  celui  qu^avait 
fondE  ä  Milan  Saint  Ambroise,  pieuz  asile  oü  se  r^fugia  sa  digne  soeur  MarceUine  et  la 
Mh\e  compagne  de  celle-ci,  (Jandida,  deuz  beauz  noms  qui  rappellent  deuz  belles  ämes.* 

Nun  nahmen  die  Klöster  ihren  Weg  über  sämmtliche  Länder  der  Christen- 
heit, und  aus  allen  Schichten  der  Bevölkerung,  Ton  den  Kaiserinnen  und  Prin- 
zessinnen abwärts  bis  zu  den  ärmsten  Bauemmädchen,  strömten  ihnen  fromme 
Seelen  in  Menge  zu.  Aber  das  Leben  fronmier  Schwärmerei  und  Selbstkasteiung 
wich  schon  nach  wenigen  Jahrhunderten  einer  freieren  Auffassung  des  mensch- 
lichen Daseins.  Fröhlicher  edler  Lebensgenuss  hielt  seinen  Einzug  in  die  heiligen 
Mauern.  So  gehört  mit  zu  den  schönsten  Werken  des  Antonio  AUegri^  der  unter 
dem  Namen  Correggio  bekannt  ist,  ein  Gyklus  von  Frescomalereien,  Kindergruppen 
mit  Jagdemblemen  in  Laubgewinden  darstellend,  mit  welchen  er  im  Jahre  1518 
auf  Befehl  der  Aebtissin  Donna  Giovanna  da  Piacenjsa  ein  Zimmer  im  Benedik- 
tiner Nonnenkloster  Convento  di  San  Paolo  in  Parma  ausgemalt  hat.  Am  Kamin 
dieser  sogenannten  Camera  di  San  Paolo  liess  sich  die  Aebtissin  selber  von  dem 
Maler  als  Diana  auf  einem  von  zwei  Hirschkühen  gezogenen  Wagen  darstellen. 
Ihre  Erscheinung  ist  weit  davon  entfernt,   uns  eine  Nonne  vermuthen  zu   lassen. 

Aher  es  fehlte  auch  nicht  in  den  Klöstern  an  groben  Verirrungen  mancherlei 
Art;  und  wenn  im  Munde  des  Volkes  auch  heute  noch  in  vielen  Gegenden  die 
Erzählung  fortlebt,  dass  dieses  oder  jenes  berühmte  Nonnenkloster  durch  einen 
unterirdischen  Ghkng  eine  sicherlich  nicht  ganz  zwecklose  Verbindung  mit  dem 
benachbarten  Kloster  der  Mönche  unterhalten  habe,  so  liegen  hierfür  in  nicht 
wenigen  Fällen  nur  allzu  triftige  Gründe  vor.  Der  Secretär  des  Papstes  TJrban  VI. 
(1378—1889),  Bischof  Thierry  de  Niem,  entwirft  ein  schauerliches  Bild  von  dem 
wüsten  Leben,  welches  die  heiligen  Jungfrauen  mit  den  Mönchen  und  mit  ihren 
ihnen  vorgesetzten  Geistlichen  führten: 

«Fomicantur  etiam  quamplures  hujusmodi  monialium  cum  eisdem  suis  praelatis  ao 
monachis  et  conversis,  et  iisdem  monasteriis  plures  partnriunt  filios  et  filias,  quos  ab  eisdem 
praelatis,  monachis  et  conversis,  fomicarie  seu  ex  incesto  coitu  conceperunt.  Filios  autem 
in  monachos,  et  filias  taliter  conceptas  quandoque  in  moniales  dictorum  monasteriorum 
recipi  faciunt  et  procurant:  et,  quod  miserandum  est,  nonnuUae  ex  hujusmodi  monialibus 
matemae  pietatis  oblitae,  ac  mala  malis  accumulando,  aliquos  foetus  earum  mortificant,  et  in- 
fantes  in  lucem  editos  trueidant,  seque  babent  saevissime  circa  illos,  etiam  Dei  timore  secluso." 

Von  den  friesischen  Klöstern  sagt  er: 

yjn  quibus  pene  omnis  religio  et  observantia  dicti  ordinis  ac  timor  Dei  abscessit.  Libido 
et  corruptio  camis  inter  ipsos  mares  e  moniales,  neci  non  alia  multa  mala,  ezcessus  et  vitia 
quae  pudor  est^  effari,  per  singula  (monasteria)  succreyerunt,  ac  de  die  in  diem  magis  pul- 
lulant  et  vigent  in  ipsis." 

Der  Prädicant  Barlette  jammert: 

„0  quot  luxuriae!  o  quot  sodomiae!  o  quot  fomicationes ! 
Glamant  latrinae  latibula  ubi  sunt  pueri  suffocati!" 
und  ähnlich  äussert  sich  der  Prädicant  MatUard: 

,Utinam  haberemus  aures  apertas,  et  audiremus  yoces  puerorum  in  tarlinis  projectorum 
et  in  fluminibus."     {Dulaure,) 

Dass  aber  auch  noch  schlimmere  Dinge  bei  den  zu  ewiger  Keuschheit  sich 
verpflichtenden  Nonnen  sich  ereigneten,  das  können  wir  aus  einigen  Strafverord- 
nuniren  erkennen,  welche  uns  aufbewahrt  worden  sind: 

32» 


500  LXXI.  Das  geschleclitsreife  Weib  im  Zustande  der  Ehelosigkeit. 

„Cum  sanctimoniali  per  machinam  fomicans  annos  Septem  poeniteat;  duos  ex  his  in  pane 
et  aqua  (Thesaurus), 

und 

Sanctimonialis  foemina  cum  sanctimoniali  per  machinamentum  poUuta  Septem  annos. 
(du  Gange.) 

Bodin  erzählt  in  seinem  Buche:  «Vom  Ausgelasenen  Wütigen  Teuffelsheer*'  von 
den  Nonnen  des  Klosters  Berg  in  Hessen: 

,,Dann  man  auff  aller  der  jenigen  Betten,  die  diser  Vnmenschlichen  Sund  halben»  so 
man  die  stum  Sund  nennet,  verdacht  wäre,  augenscheinlich  Hund  gesehen  hat,  die  vnflfttig 
mit  dem  Werck  an  dieselbigen  ansetzten." 

Er  glaubt  zwar,  dass  dieses  Teuffei  gewesen  sind,  aber  er  g^iebt  doch  den 
verständigen  Bath: 

„Dessen  hab  ich  den  Leser  desshalben  erinnern  wollen,  damit  er  sich  fürsehe  vnd  hüte, 
den  willen  der  Jungen  Töchter,  Welche  zum  G«lübd  der  Keuschheit  kein  neigung  tragen, 
nicht  nach  seim  Eopff  vnnd  fürschlag  zunötigen." 

Dass  das  Gelübde  der  Keuschheit  den  Nonnen  oft  manche  Seelenpein  ver- 
ursacht hat,  das  drückt  auch  Johan  von  Schwartzenberg  in  folgendem  Verse  aus: 

„Jch  arme  Nun  offt  haimlich  klag, 
Das  ich  nit  weltlich  werden  mag. 
Het  ich  genumen  ainen  man, 
Als  manche  jungfraw  hat  gethan, 
Gott  vnd  mich  selbst  het  ich  geert, 
Vnd  auch  darzu  dj  weit  gemert. 
Sunst  steck  ich  hj  im  hass  vnd  neyd, 
Mit  vngedult  ich  schwerlich  leyd. 
Wiwol  der  leib  ist  aingespert, 
Mein  mut  ist  inn  der  weit  verwert, 
Inn  zweyffel  stet  mein  Zuversicht, 
Gefall  ich  Grot  das  waiss  ich  nicht" 

Man  darf  aber  nicht  in  den  Fehler  verfallen,  gewisse,  nach  kldsterlicher 
Weise  eingerichtete  Frauenhäuser  f&r  echte  Nonnenklöster  ansehen  zu  wollen. 
Wenn  sie  auch  einem  Nonnenkloster  vollkommen  analog  eingerichtet  waren  und 
sogar  auch  eine  Äebtissin  als  Vorsteherin  hatten,  so  äaderten  sie  dennoch 
an  ihrem  Charakter  nichts  und  blieben,  was  sie  waren,  nämlich  öffentliche, 
durch  keinerlei  Glausur  beeinträchtigte  Häuser,  zu  welcher  Jeder  männiglich  Zu- 
tritt hatte. 

„On  trouve,  sagt  Dulaure,  que,  d^s  le  commencement  du  douzi^me  si&cle,  Guülaume  VIL, 
duc  d^Aquitaine  et  comte  de  Poitou,  fit  construire,  dans  la  petite  ville  de  Niort,  un 
bätiment  semblable  d,  un  monast^re,  oü  il  recueillit  toutes  les  prostitu^es.  II  vonlut  en  faire 
une  abbaje  de  femmes  debauch^es,  dit  GuiÜaumey  meine  de  Malmesbury.  II  y  cr^a  des 
dignit^s  d'abbesse,  de  prieure  et  autres,  dont  il  gratifia  les  plus  distingu^es  dans  leur  com- 
merce inf&me.*'    (WileUmus,) 

In  gleicher  Weise  wurden  danach  einige  andere  Frauenhäuser  eingerichtet 
und  ebenfalls  Abteien  genannt.  Das  Bordell  von  Toulouse  wird  sogar  in  einem 
königlichen  Decrete  CarVs  VI.  als  ^grant  abbaye*  bezeichnet. 

In  grellem  Widerspruche  zu  den  oben  erwähnten  XJnsittlichkeiten  innerhalb 
der  Klöster  steht  die  in  manchen  derselben  durchgeführte  furchtbare  Strenge  gegen 
die  unglücklichen  Gottesjungfrauen,  welche  das  Gelübde  der  Keuschheit  gebrochen 
hatten.  Die  schwersten  Bussen,  Fasten  und  Ruthenhiebe  warteten  ihrer,  und  in 
manchen  Fällen  mussten  sie  ihr  Vergehen  mit  dem  Tode  büssen,  der  dann  ge- 
wöhnlich dadurch  herbeigeführt  wurde,  dass  man  sie  bei  lebendigem  Leibe  begrub 
oder  dass  sie  lebend  eingemauert  wurden. 

Dass  heute  die  Zeiten  solcher  Strafen,  aber  auch  der  sie  hervorrufenden 
Vergehen  vorüber  sind,  das  bedarf  wohl  keiner  besonderen  Erwähnung.  Weniger 
bekannt   dürfte  es  aber   wohl   sein,   dass   auch   in  China   viele  junge   Mädchen 


442.  Die  Amazonen  im  Alterihnm.  501 

Nonnen  werden,  natürlich  buddhistische,  um  einer  von  ihnen  nicht  gewünschten 
Heirath  zu  entgehen. 

Von  den  im  nordlichsten  Theile  von  Sikkim,  an  der  Grenze  Tibets, 
wohnenden  Butia  (Bhotia)  sagt  Mantegaesa: 

„Einige  Weiber  sind  geschoren  und  sind  Nonnen;  aber  bevor  sie  sich  der  Gottheit 
geweiht  haben,  hatten  sie  das  irdische  Leben  gewöhnlich  bis  zam  Uebermaasse  genossen.'' 

Delafosse  berichtet,  dass  auch  in  Dahome  eine  Art  von  Nonnen  existire: 
„II  existe  en  ce  pays  nne  institution  assez  cnriense,  qni  est  ceUe  des  couvents  et  des 
confröries  de  femmes  föticheoses,  dans  le  genre  de  ceaz  que  Ton  rencontre  au  Dahom6. 
Les  initi^es  obtiennent  des  parents,  par  la  crainte  qu'elles  inspirent,  qa*ils  leur  confient  leurs 
petites  filles;  elles  les  enferment  toutes  jeanes  dans  ces  convents,  apr^  leur  avoir  fait  subir 
une  Sorte  d'op6ration  destinee  &  saavegarder  leur  virginit^  et  qui  consiste,  Texcision  des 
nymphes  ayant  6te  pratiqu^e  &  les  ramener  en  ayant  et  ä  les  souder  ensemble,  de  fa^on  k 
ne  laisser  libre  qu'un  orifice  tr^  ötroit.  II  leur  est  d^fendu  d'avoir  ancun  rapport  avec  les 
hommes^  mais  il  faut  croire  qu*il  en  est  qui  passe  outre  et  qui  rompent,  en  d^truisant  la 
soudure,  la  ceinture  artificielle  de  chastet^,  qu'on  leur  avait  impos^e,  car  il  se  trouve  qu'elles 
ont  des  enfants.  Si  Tenfant  est  un  g^ar90n,  les  matrones  du  couvent  le  tuent  impitoyablement; 
si  c'est  une  fille,  on  T^l^ye  avec  soin  et  on  Tinitie  aux  myst^res  de  la  confr^rie.  Ces 
f^ticheuses  se  posent  aux  jambes  une  espäce  de  caut^re  qui  produit  un  Elephantiasis  artificielle, 
toujours  suppurant.  Les  gens  qui  ont  besoin  d*un  talisman  infaiUible  doivent  avaler  un  peu 
de  la  sanie  secr^t^e  par  cette  plaie." 


442.  Die  Amazonen  Im  Alterthum. 

In  einem  Kapitel,  das  von  solchen  Frauenzimmern  handelt,  welche  fem  und 
abgesondert  von  der  Gemeinschaft  der  Männer  ihr  Leben  führen,  können  die 
Amazonen  nicht  übergangen  werden.  Dass  man  darunter  ursprünglich  eine 
Völkerschaft  von  Mädchen  verstanden  hat,  welche  kein  männliches  Wesen  unter 
sich  duldeten,  die  Jagd  und  den  Krieg  als  ihre  Lieblingsbeschäftigung  betrieben 
und  schon  in  dem  kindlichen  Alter  der  einen  Brust,  oder,  wie  Diodorus  Sictdus 
berichtet,  sogar  aller  beider  Brüste  beraubt  wurden,  damit  sie  ihre  Arme  desto 
freier  und  kräftiger  bewegen  könnten,  das  darf  wohl  als  hinreichend  bekannt 
vorausgesetzt  werden. 

Die  Sage  von  den  Amazonen  ist  eine  uralte.  Schon  in  der  Ilias  lässt 
Homer  den  alten  Priamus  der  Hdena  erzählen,  dass  er  als  junger  Mann 
mit  seinen  Truppen  nach  Phrygien  gezogen  war,  dem  Otreus  und  Mygdon 
zu  Hülfe: 

„Denn  ich  ward  als  Bundesgenoss  mit  ihnen  gerechnet, 
Jenes  Tags,  da  die  Hord*  amazonisoher  M&nninnen  einbrach.*' 

Hier  spricht  Homer  von  ihnen  als  von  einer  ganz  bekannten  Völkerschaft, 
von  der  es  nicht  nothwendiff  ist,  nähere  Erläuterungen  zu  geben.  Auch  Herodot 
berichtet  über  dieses  räthsemafte  Weibervolk.  lieber  die  ursprüngliche  Heimath 
der  Amazonen  sagt  er  aber  ebenso  wenig  etwas  wie  Homer.  Wir  müssen  sie 
uns  wohl  zweifellos  nicht  allzu  weit  entfernt  von  den  Phrygiern  und  Hellenen 
wohnhaft  denken,  da  wir  erfahren,  dass  sie  mit  diesen  Nationen  *in  Kriege  ver- 
wickelt waren.    Herodot  beginnt  seinen  Bericht  folgendermaassen: 

,Als  die  Hellenen  mit  den  Amazonen  k&mpften,  da  erzählt  man,  die  Hellenen 
hätten  in  der  Schlacht  am  Thermodon  den  Sieg  gewonnen  und  w&ren  dann  auf  drei  Fahr- 
zeugen mit  allen  den  Amazonen,  derer  sie  lebend  habhaft  werden  konnten,  davon  geschifft." 

Der  Thermodon  liegt  in  Gappadocien,  und  die  Wohnsitze  der  Amazonen 
können  also  nicht  sehr  weit  entfernt  von  ihm  gelegen  haben. 

«Von  diesen  Grenzgebieten  zweier  Welttheile  aus,  sagt  Stricker^  machten  sie  Ausfälle 
nach  Asien  und  Europa,  Feldzllge  gegen  die  Phrygier  bei  ihrem  Einfallein  Eleinasien 
(Ilias  ni.  189,  VI.  186.  Strabo  XII),  wo  sie  von  Bellerophon  besiegt  wurden;  gegen  die 
Griechen  vor  Troja  (Aeneis  I.  490.  Justin  II.  4),  bekannt  durch  den  Namen  Penthesilea; 


502  LXXI.  Das  geschlechtsreife  Weib  im  Zustande  der  Ehelosigkeit. 

nach  Attika,  nicht  weniger  bekannt  durch  die  Namen  Herakles  und  Theseus;  an  die  Donau, 
ein  im  Vergleich  zu  den  vorigen,  mit  so  erlauchten  Namen  der  Sage  in  Verbindung  ge- 
brachten und  vielfach  dichterisch  ausgeschmückten  Zügen  wenig  bekannter,  etwa  in's  sechste 
Jahrhundert  v.  Chr.  zu  setzender  Heereszug  {Philostrat,  Heroic.  XX,  Pauaanias  in.  19) ;  endlich 
zu  Alexander  des  Grossen  Zeit,  sehr  bekannt  aus  den  Erzählungen  des  Justinus,  Ctirtius  und 
Diodorus  Siculus.  Ausser  diesen  erwähnten  fünf  Hauptzügen  kommt  der  Name  der  Amazonen 
selbst  noch  in  den  Kriegen  des  Mithridates  mit  den  Römern  vor,  wo  ihre  Erinnerung  wahr- 
scheinlich nur  durch  griechische  Legenden  geweckt  wurde." 

Herodot  erzählt  nun  im  weiteren  Verlaufe  seines  Berichtes  nur  noch  von 
diesen  gefangenen  Amazonen.  Sie  tödten  ihre  Sieger,  verstehen  aber  nicht, 
die  Schiffe  zu  lenken,  und  werden  endlich  nach  dem  zum  Lande  der  freien 
Skythen  gehörigen  Ereranoi  am  Mao  tischen  See  verschlagen.  Hier  be- 
mächtigen sie  sich  einer  Heerde  Ton  Pferden  und  plündern  das  Skythenland. 

„Die  Skythen  aber  konnten  die  Sache  nicht  begreifen;  denn  sie  kannten  weder  die 
Sprache,  nOch  die  Tracht,  noch  das  Volk,  sondern  waren  verwundert,  von  wo  sie  her- 
gekommen wären;  sie  glaubten  nämlich,  es  wären  Männer  desselben  Alters  und  Hessen  sich 
mit  ihnen  in  einen  Kampf  ein,  erst  als  sie  aus  diesem  Kampfe  die  Gefallenen  in  ihre  Gewalt 
bekamen,  erkannten  sie,  dass  es  Weiber  waren.  Sie  sandten  nun  eine  ungefähr  den  Ama- 
zonen gleiche  Anzahl  ihrer  jungen  Leute  aus,  weil  sie  wünschten,  Kinder  von  den  Amazonen 
zu  bekommen.*' 

Diese  suchten  den  Amazonen  immer  möglichst  nahe  zu  lagern,  griffen  sie 
aber  nicht  an  und  lebten  wie  jene  von  der  Jagd  und  vom  Raube. 

„Es  machten  aber  die  Amazonen  um  die  Mittagszeit  es  also:  sie  zerstreuten  sich  von 
einander,  zu  Eins  oder  auch  Zwei,  und  entfernten  sich  von  einander,  um  ihre  Nothdurfb 
zu  verrichten.  Wie  dies  die  Skythen  bemerkten,  machten  sie  es  auch  so,  und  Mancher  kam 
auf  diese  Weise  einer  von  den  Amazonen,  welche  allein  war,  nahe,  die  Amazone  stiess  ihn 
auch  nicht  von  sich,  sondern  Hess  sich  den  Umgang  mit  ihm  gefallen;  sprechen  konnten  sie 
zwar  nicht,  denn  sie  verstanden  einander  nicht,  aber  sie  bedeutete  ihn  mit  der  Hand,  den 
anderen  Tag  an  dieselbe  Stelle  zu  kommen  und  einen  Anderen  mitzubringen,  wobei  sie  ihm 
zu  verstehen  gab,  dass  es  zwei  sein  sollten,  indem  sie  selbst  auch  noch  eine  andere  Amazone 
mitbringen  werde.  Als  der  Jüngling  zurückgekommen  war,  erzählte  er  es  den  üebrigen. 
Am  folgenden  Tage  aber  kam  er  selbst  an  die  Stelle  und  brachte  einen  Anderen  mit;  er  fand 
auch  dort  die  Amazone  mit  der  Anderen  auf  ihn  wartend.  Wie  dies  die  übrigen  Jünglinge 
erfuhren,  so  machten  sie  gleichfalls  die  übrigen  Amazonen  kirre." 

Sie  vereinigten  nun  die  beiden  Lager  und  jeder  nahm  seine  Amazone  zum 
Weibe.  Den  Vorschlag  der  Männer,  ihnen  in  deren  Heimath  zu  folgen,  wiesen 
sie  aber  zurück,  da  sie  der  ganz  verschiedenen  Sitten  wegen  sich  mit  den  Weibern 
in  der  Heimath  der  Männer  doch  nicht  Tertragen  könnten.  Sie  schlugen  da- 
her den  Männern  vor,  dass  sie  ihr  Vermögen  holen  und  mit  ihnen  auswandern 
sollten. 

.Auch  dazu  liessen  die  Jünglinge  sich  bereden.  Sie  setzten  nun  über  den  Tanais  und 
nahmen  nun  ihren  Weg  nach  Sonnenaufgang  drei  Tagereisen  weg  vom  Tanais  und  drei 
Tagereisen  von  dem  Mäotischen  See  nach  Norden  zu.  Und  als  sie  in  die  Gegend  ge- 
kommen waren,  in  welcher  sie  angesiedelt  waren,  in  welcher  sie  jetzt  angesiedelt  sind,  nahmen 
sie  daselbst  ihre  Wohnsitze.  Und  daher  haben  die  Weiber  der  Sauromaten  noch  ihre  alte 
Lebensweise:  sie  gehen  auf  die  Jagd  zu  Pferde  zugleich  mit  den  Männern  und  ohne  die 
Männer;  sie  ziehen  auch  in  den  Krieg  und  tragen  dieselbe  Kleidung  wie  die  Männer.  Hin- 
sichtlich der  Ehen  ist  bei  ihnen  Folgendes  bestimmt:  Keine  Jungfrau  geht  eine  Ehe  ein, 
bevor  sie  einen  Feind  erlegt  hat;  so  sterben  auch  Manche  von  ihnen  im  Alter,  ehe  sie  zu 
einer  Ehe  kommen,  weil  sie  das  Gesetz  nicht  erfüllen  konnten.'' 

Wir  sehen,  dass  Herodot  hier  nur  von  einem  versprengten  Zweige  der  Ama- 
zonen spricht,  welche,  abgesehen  von  ihrer  Neigung  zu  Jagd  und  Krieg,  ihrem 
eigentlichen  Amazonenleben  untreu  werden  und  mit  den  ledigen  Jünglingen  der 
Sauromaten  in  eine  regelrechte  und  dauernde  Ehe  getreten  sind.  Ueber  ihre 
Kinder  und  deren  Erziehung  erfahren  wir  nichts. 

Strabo  verlegt  die  Sitze  der  Amazonen  an  den  Fuss  des  Kaukasus 
und  sagt: 


442.  Die  Amazonen  im  Altertbum,  503 

, Allen  wird  in  der  Jagend  die  rechte  Brost  abgebrannt,  damit  sie  sich  des  Armes  zn 
jedem  Gebraacbe,  besonders  zum  Schleadem,  bedienen  können.  Sie  haben  auch  Pfeile^  Streitaxt 
und  Schild.  Aus  ThierfeUen  machen  sie  Kopfbedeckungen,  Kleidung  und  Gürtel.  In  den 
Frühlingsmonaten  kommen  sie  mit  den  Garg arenern  zusammen,  von  welchen  sie  nur  durch 
ein  Gebirge  getrennt  sind,  „der  Nachkommenschaft  wegen".  Die  Knaben  schicken  sie  den 
Vätern  zu,  die  Mädchen  behalten  und  erziehen  sie/ 

Trotz  dieser  nicht  geringen  Zahl  von  Berichten  über  die  Amazonen  tauchen 
doch  bereits  im  Alterthum  einzelne  Stimmen  auf,  welche  in  ihre  Existenz  erheb- 
lichen Zweifel  setzten,     unter  diesen  Zweiflern  steht  Strabo  obenan: 

, Allenfalls  lasse  man  sich  in  der  als  Wahrheit  überlieferten  Geschichte  eine  kleine 
Beimischung  wunderbarer  Elemente  als  Würze  gefallen,  aber  in  den  immerfort  wieder- 
holten und  für  wahre  Geschichten  ausgegebenen  Erzählungen  yon  den  Amazonenkriegen 
handele  es  sich  ausschliesslich  um  wunderbare,  aller  Glaubwürdigkeit  entbehrende  Dinge. 
Denn  wer  soll  wohl  glauben,  dass  einst  ganze  Heere,  Gemeinwesen,  ja  ganze  Völker  nur  aus 
Weibern  ohne  Männer  bestanden  haben  und  nicht  nur  für  sich  bestanden,  sondern  sogar 
Kriegszüge  bis  in  ferne  Länder,  ja  bis  nach  Attika  unternommen  haben  sollten!  Das  hörte 
sich  gerade  so  an,  als  seien  damals  die  Männer  Weiber,  die  Weiber  aber  Männer  ge- 
wesen. Und  doch  bezeichne  man  alle  Tage  berühmte  und  blühende  Städte,  wie  Ephesus, 
Smyrna,  Cymae,  Mjrina,  Faphos  und  andere  geradezu  als  Gründungen  und  Kolonien 
der  Amazonen.*    (Sterne,) 

Noch  weiter  in  seinen  Zweifeln  ging  Pälaephatus: 

„Von  den  Amazonen  heisst  es,  sie  seien  keine  Weiber,  sondern  barbarische  Männer 
gewesen,  die,  weil  sie  nach  Art  der  trakischen  Weiber  eine  bis  auf  die  Füsse  herabhängende 
Tunica  tragen,  das  Haar  mit  einer  Binde  zusammenhielten  und  den  Bart  schoren,  vom  Feinde 
zum  Schimpf  Weiber  genannt  wurden.* 

Jedenfalls  ist  das  Andenken  an  die  Amazonen  sehr  lange  Zeit  am  Kaukasus 
haften  geblieben,  denn  wir  lesen  bei  Guyon: 

«Als  ich  mich  in  denen  Gegenden  des  Gebirges  Caucasus  aufhielt,  schreibt  P.  Archangelus 
Lambertif  lief  eine  schriftliche  Nachricht  bei  dem  Dadian,  Fürsten  Yon  Mingrelien,  ein, 
dass  aus  diesem  Gebirge  Völker,  welche  sich  in  drei  Haufen  yertheilet,  gekommen  wären, 
dass  der  stärkste  Moskau  ange^iffen,  und  die  beiden  anderen  sich  in  das  Land  derer  andern 
Völker  des  Gaucasus,  derer  Suanen  undCaratcholi  ge  werfen  hätten,  dass  selbige  zurück- 
geschlagen worden,  und  dass  man  unter  denen  Todten  viele  Weibspersonen  gefunden  habe. 
Man  brachte  sogar  dem  Dadian  die  Waffen  dieser  Amazonen,  welche  ungemein  schön  anzu- 
sehen, und  mit  einer  weiblichen  Artigkeit  ausgezieret  waren.  Es  waren  dieses  Helme,  Kürasse, 
und  Armschienen  von  Harnischen,  welche  aus  yielen  kleinen,  über  einander  gelegten  Eisen- 
blechen bestanden.  Die  an  dem  Kürasse  und  denen  Armschienen  bedeckten  sich,  so  wie  unsere 
Federn  an  denen  Blättern,  und  gaben  also  denen  Bewegungen  des  Körpers  ganz  leicht  nach. 
An  dem  Kürass  war  eine  Art  von  Waffenrock  bevestigt,  welcher  ihnen  bis  auf  die  Mitte  des 
Beines  herabgieng,  und  aus  einem  wollenen  Zeuge,  so  mit  unserer  Scharsche  eine  Aehnlichkeit 
hatte,  jedoch  von  einer  dermassen  hochrothen  Farbe  war,  dass  man  es  für  den  schönsten 
Scharlach  gehalten  hätte,  verfertigt  gewesen.  Ihre  Halbstiefeln  waren  mit  kleinen  messingemen 
Flitterlein  oder  Plättgen  besetzt,  welche  von  ihnen  durchbohrt  und  mit  starken,  feinen  und 
auf  eine  besonders  künstliche  Art  gedreheten  Schnüren  von  Ziegenhaar,  zusammen  geheftet 
waren.  Ihre  Pfeile  waren  vier  Spannen  lang,  über  und  über  vergoldet  und  am  Ende  unge- 
mein fein  verstählt  Sie  gingen  nicht  ganz  spitzig  zu,  sondern  waren,  an  dem  Ende  drey, 
oder  vier  Linien  breit,  wie  die  Schneide  an  einem  Meissel.  Diese  Amazonen  sind  zum  öftem 
in  Kriegen  mit  denen  Galmückischen  Tartaren  verwickelt.  Der  Fürst  2>a<2ian  versprach 
denen  Suanen  und  Caratcholi,  die  stärkste  Belohnungen,  wenn  sie  ihm  Eine  von  diesen 
Weibspersonen,  wofern  ihnen  etwa  dergleichen  in  die  Hände  gefallen  wären,  lebendig  hatte 
liefern  können/ 

Auch  Chardin  wurde  im  Königreich  Cacheti 

«bey  dem  Fürsten  eine  grosse  Frauen-Klejdung  von  einem  dicken  woUenen  Zeuge  ge- 
zeigt, und  von  ganz  besonderer  Gestalt,  deren  sich  eine  AmazOlie,  welche  bei  Cacheti  in 
den  letzten  Kriegen  um  das  Leben  gekommen  war,  bedient  haben  soll." 

Bei  den  oben  erwähnten  skeptischen  Urtheilen  sind  gewisse  Gräberfunde, 
welche  vor  einigen  Jahren  im  Gebiete  des  Kaukasus  gemacht  wurden,  von  einem 
ganz    hervorragenden   Interesse.     Bei   seinen   Ausgrabungen   im    Terek-Gebiete 


504  LXXI.  Das  geschlechtsreife  Weib  im  Zustande  der  Ehelosigkeit. 

fand  Bayern  in  Nea-Dschuta  in  einem  auf  dem  Hofe  eines  Chewsuren  be- 
findlichen G(rabe  »eine  Frauenleiche  mit  Frauenschmuck  und  Pfeilspitzen,  einem 
Schleuderstein  aus  Schiefer,  sowie  einem  Messer  von  Eisen''.  Sp&ter  forderte 
er  in  dem  nicht  weit  hiervon  entfernten,  von  den  Russen  irrthQmlicher  Weise 
Kasbek  genannten  Aul  Stepan-Zminda  «den  Schatz  von  Stepan  Zminda' 
zu  Tage. 

«Alles,  was  ich  hier  gesammelt,  stammt  von  Weibern,  namentlich  von  Kriegerinnen, 
obgleich  von  wirklichen  Waffen  in  diesem  Bassin  (dem  Hauptfandorte)  selbst  nichts  oder  nur 
Sparen  gefunden  worden.  Die  eisernen  Lanzenspitzen  lagen  zertrümmert  5 — 6'  vom  Rande 
des  Bassins  and  nur  3 — 4'  unter  der  Oberfläche,  gehören  daher  schon  einer  ganz  neuen  Zeit 
an.  Aber  auch  abgesehen  von  den  Waffen  weisen  alle  übrigen  Gegenst&nde  auf  ein  kriege- 
risches Volk  hin;  die  Schmucksachen  der  Frauen  aber  verrathen  die  Amazone,  deren  Reit- 
peitsche mit  einem  Stiele  versehen  war,  der  sehr  gut  als  Waffe  verwendet  werden  konnte. 
Die  zollbreiten,  äusserlich  convexen  dicken  Bronzeringe,  wie  ähnliche  heute  noch  von  den 
Chewsuren  getragen  werden,  wurden  als  Waffen  gebraucht,  daher  nenne  ich  sie  Streitringe, 
von  denen  ich  schon  viele  Formen  meinem  Museum  einverleibt  habe.  Pferdegebisse,  Reit- 
zeugverzierungen, Schabrackenreste  weisen  sicherlich  auf  ein  Reitervolk  hin,  und  dass  diese 
Reitpferde  mit  zahlreichen  Glocken,  auch  an  der  Schabracke,  behängt  waren,  f&hrt  darauf, 
dass  dies  Schmuck  von  Frauen-Reitpferden  war.  Männer  hätten  damit  sicher  nicht  ihre 
Pferde  beladen.  Ich  könnte  keinen  einzigen  Gegenstand  nennen,  der  einem  Manne  zuge- 
schrieben werden  könnte.* 

Ich  kann  es  mir  hier  nicht  versagen,  auch  noch  die  folgende  Angabe  Bayerns 
wiederzugeben: 

«Ein  noch  berühmterer  Tempel  ist  jener  des  heiligen  Oargar,  wie  die  Grnsiner  (nicht 
Ossetten,  wie  gewöhnlich  angegeben  wird)  von  Gergeti  erzählen.  Dieser  Tempel  steht 
auf  der  Spitze  des  Berges,  welcher  das  Dorf  Gergeti,  gegenüber  Stepan-Zminda,  dominirt 
und  zum  Ostfusse  des  Kasbek  gehört.  Von  diesem  Heiligen  erhielt  der  Aul  den  Namen 
Gergeti;  der  richtige  Name  aber  war  sicher  Gar  gar,  wie  ihn  auch  Strabo  schreibt,  der  die 
Amazonen  von  Mermodas  (der  Euma)  zu  den  Gargaren ern  wallfahren  lässt.  Später 
wurde  hier  ein  christliches  Männerkloster  gegründet,  und  dessen  Mönche,  welche  die  alten 
heidnischen,  frauenlosen  Gar  garener  Strc^'s  ersetzten,  wurden  Gar  garen  er  genannt.  Heute 
leben  in  Gergeti  nur  verheirathete  Grusiner;  die  Wallfahrten  bestehen  aber  bis  heute,  und 
man  kann  behaupten,  mit  allen  heidnischen  Orgien,  von  denen  ich  selbst  Augenzeuge  war, 
nicht  allein  in  Stepan-Zminda  und  Gergeti,  sondern  auch  an  anderen  Orten  im  südöst- 
lichen Kaukasus,  im  Gebiete  der  Pschawen.  Wer  dieser  heilige  Gar  gar  ist,  weiss  ich 
nicht.  Nach  Strabo  wären  es  nur  die  Kabardiner  Amazonen  gewesen,  welche  ihre  Wall- 
fahrten zu  den  Gargarenern  machten.  Dieses  würden  die  Funde  im  Schatze  von  Stepan- 
Zminda  bestätigen." 

Herodot  fährt  übrigens  an,  dass  die  Amazonen  von  den  Skythen  Oiarpata 
d.  h.  Männermörder  genannt  werden. 

Carus  Sterne  erbhckte  in  allen  diesen  Erzählungen  von  den  Amazonen  des 
Alterthmns  die  Schilderungen  von  Gynakokratien,  wie  wir  sie  auch  heute  noch 
bei  einzelnen  Nationen  antreffen.  Sie  waren,  wie  er  annimmt,  stets  mit  dem  Gultus 
der  Mondgöttin  oder  der  Erdmutter  verbunden,  und  der  Kampf  gegen  die  Ama- 
zonen ist  der  Wettstreit  zwischen  dieser  Gottheit  und  dem  Sonnengotte: 

^Herakles,  Theseus,  Fersew,  AckiUes,  Jason,  Siegfried  u.  s.  w.  sind  keine  Menschen, 
sondern  Sonnengottheiten,  die  sich  in  den  Heldenliedern  späterer  Zeiten  zu  Heroen  ver- 
menschlichten, und  ebenso  sind  Semiramis,  Medea^  Dido  u.  s.  w.  keine  wirklichen  Königinnen 
und  Prinzessinnen,  sondern  Vermenschlichungfen  der  bald  siegenden,  bald  unterliegenden  Erd- 
mütter resp.  Mondgöttinnen.  Semiramis  trägt  deutlich  die  Züge  der  assyrischen  Erd- 
mutter, Medea  ist  Hekate,  Dido  Astarte,  Penthesilea  Artemis,  die  Amazonen  selbst  sind 
nichts  Anderes,  als  Völker,  die  das  Vaterrecht  noch  nicht  anerkannt  hatten.  Im  Allgemeinen 
erkennt  die  Sage  an,  dass  die  Amazonenfrauen  sehr  bald  die  Vorzüge  des  hyperboräischen  Systems 
schätzen  lernten;  darum  hilft  Medea  dem  Jason,  Ariadne  dem  Theseus  den  Erddrachen  zu 
überwinden,  und  die  Mondfrauen  vermählen  sich  den  Sonnensöhnen.* 

Inwieweit  diese  Annahme  das  richtige  trifft,  lasse  ich  dahingestellt.  Ich 
vermag  aber  eine  Angabe  von  Sayce  nicht  mit  Stillschweigen  zu  übergehen: 


443.  Die  Amazonen  im  Mittelalter.  505 

, Die  oberste  Göttin  (der  Hetiter)  von  Earschemiscb  war  die  babylonische  J^tar 
oder  Aschtoreth;  ihre  DarsteUung,  die  man  auf  den  altbabyloniscben  Cylindem  findet, 
ward  Yon  den  Hetitern  nach  der  westlichen  Küste  Kleinasiens  gebracht  und  kam  Yon 
dort  über  das  äg&ische  Meer  nach  Griechenland.  Selbst  die  Amazonen  der  griechi- 
schen Mythologie  sind  thatsächlich  nichts  Anderes,  als  die  Priesterinnen  der  hetitischen 
Gottheit,  der  zu  Ehren  sie  die  Waffen  tragen.  Die  den  Griechen  zufolge  von  den  Ama- 
zonen gegpründeten  St&dte  waren  alle  hetitischen  Ursprunges.*' 

Ausser  diesen  asiatischen  Amazonen  kannte  das  Alterthum  aber  auch  noch 
afrikanische.     Diodarus  von  Sicilien  schildert  sie  nach  Dionysius: 

„In  den  westlichen  Theilen  Libyens,  an  der  Grenze  der  Welt,  soU  ein  Volk  gelebt 
haben,  das  von  Frauen  regiert  wurde;  diese  führten  auch  Krieg,  verpflichteten  sich  auf  eine 
bestimmte  Zeit  des  Kriegsdienstes  und  hatten  ebenso  lange  der  M&nner  sich  zu  enthalten. 
Wenn  die  Jahre  ihres  Dienstes  vorbei  sind,  so  vereinigen  sie  sich  mit  Männern,  lun  ihr  Ge- 
schlecht fortzupflanzen.  Die  öffentlichen  Aemter  imd  die  Verwaltung  des  AUgemeinen  be- 
halten sie  jedoch  ganz  für  sich.  Die  Männer  leben  dort,  wie  bei  uns  die  Frauen,  ein  häus- 
liches Leben,  gehorchend  den  Aufträgen  ihrer  Grattinnen;  an  Krieg,  Regierung  und  anderen 
Staatsgeschäften  haben  sie  jedoch  keinen  Antheil,  wodurch  sie  gegen  ihre  Frauen  übermüthig 
werden  könnten.  Gleich  nach  der  Geburt  werden  die  Kinder  den  Männern  übergeben  und 
diese  ernähren  sie  mit  Milch  und  anderen  gekochten  Speisen  nach  Maassgabe  des  Alters  der 
Kinder.  Wird  aber  ein  Mädchen  geboren,  so  werden  ihm  die  Brüste  abgebrannt,  damit  sie 
zur  Zeit  der  Reife  sich  nicht  erheben,  denn  man  hielt  es  für  kein  geringes  Hinderniss  bei  der 
Führung  der  Waffen,  wenn  die  Brüste  über  den  Leib  hervorragten;  wegen  dieses  Mangels 
werden  sie  auch  von  den  Griechen  Amazonen  (Brustlose)  genannt." 


443.  Die  Amazonen  im  Mittelalter. 

Die  Sage  Ton  einem  Lande  der  Amazonen  hat  sich  auch  im  Mittelalter 
erhalten.  Jacob  hat  darüber  interessante  Angaben  bei  den  alten  arabischen 
Schriftstellern  entdeckt.    Die  eine  findet  sich  bei  Qaemnty  wo  es  heisst: 

«Die  Stadt  der  Frauen,  eine  grosse  Stadt  mit  weitem  Territorium  auf  einer  Lisel 
im  westlichen  Meer.  Tartuschü  sagt:  Ihre  Bewohner  sind  Frauen,  über  welche  die  Männer 
keine  Macht  haben.  Sie  betreiben  die  Reitkunst  und  nehmen  den  Krieg  selbst  in  die  Hand. 
Sie  besitzen  grosse  Tapferkeit  beim  Zusammenstoss*  Auch  haben  sie  Sclaven.  Jeder  Sdave 
begiebt  sich  in  der  Nacht  zu  seiner  Herrin,  bleibt  bei  ihr  die  Nacht  hindurch,  erhebt  sich  mit 
dem  Morgengrauen  und  geht  heimlich  bei  Tagesanbruch  hinaus.  Wenn  eine  von  ihnen  dann 
einen  Knaben  gebiert,  tOdtet  sie  ihn  auf  der  Stelle,  wenn  sie  aber  ein  Mädchen  gebiert,  lässt 
sie  es  leben.  Tartuwiht  sagt:  Die  Stadt  der  Frauen  ist  eine  Thatsache,  an  der  man  nicht 
zweifeln  darf.* 

Eine  zweite  Nachricht  hat  Jacob  aufgefunden  in  dem  berühmten  Reisebe- 
richte des  Ibrahim  ibn  Jäcüb.     Derselbe  scbreibt: 

.Im  Westen  von  den  Rüs  liegt  die  Stadt  der  Frauen.  Sie  besitzen  Aecker  und 
Sclaven  imd  werden  von  ihren  Dienern  schwanger,  und  wenn  das  Weib  einen  Knaben  gebiert, 
tOdtet  sie  um.  Sie  betreiben  die  Reitkunst  und  nehmen  den  Krieg  selbst  in  die  Hand.  Sie 
besitzen  Muth  und  Tapferkeit.  Der  Jude  Ibrahim  ibn  Jäcub  sagt:  Der  Bericht  von  dieser 
Stadt  ist  wahr;  Otto,  der  römische  KOnig,  hat  mir  davon  erzählt.* 

An  der  Gh-enze  des  Mittelalters  tauchte  ein  neuer  Bericht  über  Amazonen 
auf,  aber  aus  einer  ganz  anderen  Gegend.  Es  war  Aeneas  Sylvius  Piccolomini 
von  Siena,  der  spätere  Papst  Pius  IL  (1404—1464),  welcher  das  Weiberreich  der 
Libussa  und  VaUsca  in  Böhmen  schilderte.  Die  Manner  wurden  unterworfen, 
und  den  später  geborenen  Knaben  wurde  der  rechte  Daumen  abgeschnitten  und 
das  rechte  Auge  ausgebrannt,  um  sie  wehrlos  zu  machen.  Die  Weiber  verstüm- 
melten sich  aber  nicht. 

Auch  KrüniU,  der  üebersetzer  der  Abhandlung  von  Quyon^  macht  auf  ein 
mittelalterliches  Amazonen volk  in  Europa  aufmerksam: 

«Zur  Ergänzung  der  Geschichte  derer  Amazonen  ist  noch  zu  bemerken,  dass  Ädomus 
BremensiSy  der  gegen  das  1070.  Jahr  gelebet  und  eine  Kirchengeschichte  hinterlassen  hat,  in 


506  LXXI.  Das  geschlechtsreife  Weib  im  Zustande  der  Ehelosigkeit. 

dem  zu  Ende  derselben  angehängten  kleinen  Traktat  von  der  Lage  Dänemarks  und  anderer 
Mittemächtigen  Länder,  im  228.  Kap.  eines  Volkes  gedenke,  so  aus  lauter  Weibern  bestanden, 
und  an  denen  Ufern  des  Balthischen  Meeres  gewohnet.  Er  sagt  beynahe  von  ihnen  eben 
das,  was  man  bisher  von  denen  andern  gesaget  hat.  Aber,  er  macht  die  Dinge  zu  gross, 
und  aus  allem  mehr,  als  lauter  Wunder.  Denn,  er  spricht,  dass  sie,  wie  einige  vorgäben, 
schwanger  würden,  dafem  sie  gewisse  Wasser  kosteten;  dass  sie  nach  dem  Vorgeben  anderer, 
mit  den  fremden  Kauf  leuten,  oder  mit  denen  Gefangenen,  die  ihnen  in  die  Hände  fielen,  oder 
auch  mit  Missgeburten,  so  bey  ihnen  nicht  selten  wären,  sich  fleischlich  vermischten.  Wenn 
sie  darnieder  kämen,  so  brächten  sie  entweder  ein  schönes  Mädchen  oder  einen  Cjnocephalum 
zur  Welt,  so  nennet  er  die  Leute,  die  den  Kopf,  wo  andere  die  Brust  haben." 

Mit  ihren  mittelalterlichen  Berichten  über  das  Land  der  Amazonen  stehen 
die  westlichen  Völker  nicht  allein.  Auch  das  grosse  Culturvolk  des  Ostens,  die 
Chinesen,  haben  frühe  Nachrichten  über  das  Land  der  Frauen.  Ein  Dr.  H. 
gab  darüber  im  Globus  nach  einem  Aufsatze  ScMegeVs  folgende  Auskunft.  Die 
alten  Chinesen  kannten  drei  Länder  der  Frauen,  eins  im  Westen,  eins  im  Süden 
und  eins  im  Osten  von  China.  Das  Letztere  heisst  Niu-Kuo.  Der  buddhis- 
tische Schamane  Hoei-tschin  erzählte,  t 

„dass  sich  1000  Li  Östlich  von  Fu- sang  das  Land  der  Frauen  befinde.  Diese  Frauen 
seien  von  sehr  einnehmendem  Aeussem  und  weisser  Hautfarbe,  wenngleich  ihr  Körper  behaart 
und  die  Haare  so  lang  seien,  dass  sie  auf  der  Erde  nachschleppten.  Im  zweiten  oder  dritten 
Monate  des  Jahres  stürzen  sie  sich  ins  Wasser  und  werden  auf  diese  Weise  schwanger;  sie 
gebären  dann  im  sechsten  oder  siebenten  Monat.  Diese  Frauen  haben  keine  Brüste.  Wenn 
sie  einen  Mann  sehen,  laufen  sie  erschreckt  davon;  denn  sie  haben  Angst  vor  ihren  Gatten. 
Sie  nähren  sich  von  Salzpflanzen  wie  die  wilden  Thiere.  Die  Blätter  dieser  Salzpflanzen  haben 
Aehnlichkeit  mit  denen  der  wohlriechenden  Hao  (Artemisia  japonica).* 

,Im  Nan-tschi  heisst  es:  im  Jahre  507  n.  Chr.  sei  ein  Mann  aus  der  Provinz  Fu-kien 
an  eine  Insel  verschlagen.  Er  habe  dort  Eingeborene  angetroffen,  deren  Sprache  er  nicht 
verstanden  habe.  Die  Männer  hätten  menschliche  Leiber,  aber  Hundsköpfe  gehabt,  und  ihre 
Stimme  habe  wie  Hundegebell  geklungen.' 

Nach  H.'s  Meinung  ist  dieses  fabelhafte  Land  auf  den  südlichen  Kurilen 
zu  suchen.  In  den  Amazonen  erblickt  er  aber  Robben  und  zwar  Ohrenrobben 
(Otariae),  welche  sich  dort  in  grosser  Menge  finden  und  von  dem  daselbst  häufigen 
Fucus  esculentus,  dem  Meeresband  oder  hai-ta'i  der  Chinesen  leben,  dem 
essbaren  Meertang,  der  auch  den  Ainos,  den  Japanern  mid  den  Chinesen  als 
Nahrung  dient.  Schlegel  glaubt,  dass  UoH-tschin  diesen  Tang  gemeint  habe,  als 
er  von  der  dem  Hao  ähnlichen  Salzpflanze  sprach.     Es  heisst  dann  weiter: 

„Alle  die  oben,  aufgezählten  Merkmale:  die  helle  Hautfarbe,  die  langen  Haare,  das 
Leben  im  Wasser,  die  Ernährung  mittelst  Seetang,  das  Fehlen  der  Brüste,  die  Eifersucht  der 
Männer  und  die  Furchtsamkeit  der  Frauen;  alles  findet  sich  hier  wieder  und  erklärt  sich  nun 
auf  höchst  einfache  Weise.  Und  auch  die  Angabe  des  Nantscbi  von  dem  Hundegebelle  der 
Männer  erscheint  jetzt  in  dem  rechten  Lichte;  denn  die  Robben  bellen  bekanntlich  genau  so 
wie  Hunde."  

444.  Die  Amazonen  der  Neuzeit. 

Einen  erneuten  Aufschwung  nahmen  die  Amazonensagen  in  dem  16.  Jahr- 
hundert zu  der  Zeit  der  grossen  Entdeckung  im  südlichen  Amerika.  Der  grosse 
Strom,  welchen  1539  Francesco  d'Ordlano  entdeckte,  erhielt  yon  den  Berichten 
über  seine  kriegerischen  Anwohnerinnen  sehr  bald  den  Namen  Amazonenstrom, 
welchen  er  ja  noch  heute  fuhrt.  Ich  gebe  die  hierauf  bezüglichen  Berichte  nach 
StricJcer  und  Fischer  wieder.  OreUano  hatte  von  einem  Kaziken  die  Auskunft 
erhalten,  dass  an  den  ufern  dieses  Flusses  eine  Horde  kriegerischer  Weiber  wohne, 
welche  Bogen  und  Pfeile  führten,  ihre  Felder  selbst  bestellten  und  abgesondert 
von  dem  männlichen  Qeschlechte  ihr  Dasein  fllhrten.  Zu  einer  gewissen  Zeit  im 
Jahre  würden  sie  von  den  Männern  eines  Nachbarstammes  besucht.  Die  hiemach 
geborenen  Mädchen  würden  von  den  Müttern  erzogen,  die  Knaben  dagegen  über- 
gäben sie  den  Vätern. 


444.  Die  Amazonen  der  Neuzeit.  507 

Nachdem  er  eine  beträchtliche  Strecke  gereist  war,  wurde  ihm  Aehnliches 
berichtet.  Hier  nannte  man  diese  Amazonen  Gonia-pu-yara,  was  grosse  Weiber 
bedeutet.  In  der  That  wurden  die  Spanier,  als  sie  mehrere  hundert  Meilen 
weiter  gefahren  waren,  an  der  Landung  durch  Indianer  mit  einem  Pfeilhagel 
verhindert,  und  sie  bemerkten  unter  ihren  Feinden  10 — 12  Frauen,  die  sich  nicht 
allein*  mit  der  grossten  Wuth  vertheidigten,  sondern  auch  die  Indianer  auf  alle 
Weise  zu  tapferer  Gegenwehr  anfeuerten  und  diejenigen,  welche  sich  muthlos 
zeigten  und  zu  fliehen  versuchten,  mit  grossen  Keulen  niederschlagen.  Diese 
Weiber  waren  gross  und  von  starkem  Gliederbau,  dabei  aber  von  schöner  Ge- 
sichtsbildung. Sie  trugen  ihre  langen  Haarflechten  um  den  Kopf  gewunden, 
waren  unbekleidet  und  fährten  ausser  jenen  Keulen  noch  Bogen  und  Pfeile. 
Sieben  dieser  Weiber  wurden  in  dem  Gefecht  getödtet,  worauf  die  Indianer  die 
Flucht  ergriffen. 

Auch  eine  Anzahl  von  späteren  Reisenden  hörte  von  den  verschiedensten 
Indianern  des  Amazonenstromgebietes  die  Erzählungen  von  den  Amazonen 
wiederholen.  Ein  Indianer  vom  Stamme  der  Tupinambas  erzählte  d'Äcugna^ 
dass  er  als  Knabe  seinen  Vater  auf  einem  solchen  Besuche  bei  den  Amazonen 
begleitet  habe  und  Zeuge  gewesen  sei,  wie  alle  männlichen  Kinder  den  Vätern 
ausgeliefert  wurden.  Gondamine^  welcher  im  vorigen  Jahrhundert  ebenfalls  auf 
Leute  stiess,  die  mit  den  Amazonen  in  persönliche  Beziehung  gekommen  sein 
wollten,  fand  bei  den  Topayos  die  merkwürdigen  Amulete  aus  Nephrit,  welche 
unter  dem  Namen  der  Amazonensteine  (Muiräkitans)  bekannt  sind.  Sie  wollten 
diese  Steine  von  ihren  Vätern  geerbt  haben,  die  sie  von  den  Gongnon-tainse-cuma, 
d.  h.  den  Weibern  ohne  Männer,  erhalten  hätten,  unter  denen  man  sie  in 
Menge  fände. 

Bodriguez  hörte:  An  der  Quelle  Yamundä  liegt  ein  schöner  See,  genannt 
Yacyuaruä,  der  durch  die  Amazonen  dem  Monde  geweiht  war.  (Wir  finden 
also  auch  hier  wieder  die  Amazonen  mit  der  Mondgottheit  in  Verbindung.)  Zu 
einer  gewissen  Jahreszeit  und  einer  gewissen  Mondphase  versammelten  sich  die 
Amazonen  an  dem  Ufer  dieses  Sees,  um  dem  Monde  und  der  Mutter  der  Muirä- 
kitans zu  Ehren  ein  Fest  zu  feiern.  Nachdem  dieses  Fest  der  Sühne  einige  Tage 
angedauert  hatte,  warfen  sich  die  Amazonen,  wenn  der  See  sich  glatt  und  wellen- 
los zeigte,  und  der  Mond  sich  in  ihm  spiegelte,  in  das  Wasser  und  tauchten  auf 
den  Grund,  um  aus  der  Hand  der  Mutter  der  Muiräkitans  die  Steine  so  gestaltet 
zu  empfangen,  wie  sie  sie  wünschten,  zwar  noch  weich,  aber  bald  erhärtend,  wenn 
sie  aus  dem  Wasser  kommen.  Diese  Steine  wurden  nachher  von  ihnen  den 
Männern  geschenkt,  mit  welchen  sie  sich  in  Verkehr  einliessen. 

Es  ist  nun  sehr  interessant,  dass  Rodriguee  an  dem  See  Yacyuaruä  bei 
seinen  Ausgrabungen  ausser  Topfscherben  auch  solche  Steinfigürchen  gefunden 
hat,  nebst  kleinen  Bruchstückchen  dieser  Steinart;  ein  sicherer  Beweis,  dass  sie 
hier  gefertigt  worden  sind. 

SchomburgJc  hatte  ebenfalls  die  Amazonen,  von  denen  ihm  Ausführliches 
berichtet  war,  gesucht,  aber  nicht  gefunden. 

„Unsere  HofTnangen,"  sagt  er,  .weitere  und  bestimmte  Nachrichten  über  die  £zistenz 
dieser  fabelhaften  Mannfrauen  einziehen  zu  können,  sind  leider  nicht  erfüllt  worden,  vielmehr 
hat  unsere  Reise  nach  dem  Corentyn  sie  jetzt  auch  aus  diesem  letzten  Schlupfwinkel  ver- 
trieben. Der  Grund  zu  dieser  so  weit  verbreiteten  Tradition  liegt  jedenfalls  in  dem  kriege- 
rischen Charakter  der  Frauen  verschiedener  Stämme  der  neuen  Welt  Schon  Colunibus  er- 
wähnt in  seiner  zweiten  Reise,  dass  er  in  Santa  Croce  ein  Canoe  getroffen,  auf  dem  sich 
mehrere  Weiber  ebenso  hartnäckig  wie  die  Männer  gegen  die  Spanier  vertheidigt,  und  in 
Guadelupe  wäre  er  sogar  von  bewaffneten  Weibern  am  Landen  verhindert  worden/  lieber 
die  Bewohner  dieser  und  anderer  Inseln  bemerkte  Fetms  Martyr:  „Beide  Geschlechter  besitzen 
grosse  Stärke  und  führen  den  Bogen  unter  anderen  Waffen  meisterlich.  Sind  die  Männer  von 
ihrer  Heimath  abwesend,  so  vertheidigen  sich  die  Weiber  bei  Ueberf&llen  eben  so  wacker, 
wie  ihre  Männer,  so  dass  sie  fQr  Amazonen  gehalten  werden." 


508  LXXI.  Das  geschlechtsreife  Weib  im  Zustande  der  Ehelosigkeit. 

An  dem  See  Yacyuaruä  sind  die  Amazonen  nun  heute  nicht  mehr  za 
finden.  Die  Tradition  der  Indianer  lässt  sie  von  hier  yerschwinden,  giebt  aber 
übereinstimmend  an,  dass  es  jetzt  noch  einen  Stamm  gäbe,  welcher  einzig  und 
allein  die  Muirakitans  zu  verfertigen  vermöge;  das  seien  die  XJaupSs  am  Yamunda. 
In  der  That  sind  die  von  diesen  verfertigten  Muirakitans  mit  den  von  Bodrigues 
ausgegrabenen  vollkommen  übereinstimmend.  Ausserdem  ist  es  bemerkenswerth, 
dass  die  XJaupes  hübsche,  fast  weibische  Gesichtszüge  haben  und  dass  auf  allen 
ihren  Kriegszügen  ihre  Weiber  sie  begleiten,  ihnen  im  Kampfe  Hülfe  leisten, 
indem  sie  ihnen  Pfeile  herbeibringen,  sich  aber  auch  selber  am  Gefechte  bethei- 
ligen und  den  Männern  auch  bei  dem  Einsammeln  der  Beute  an  die  Hand  gehen. 
Bemerkenswerth  ist  es  auch,  dass  die  üaup^s  eine  alte  Tradition  besitzen,  nach 
der  sie  einst  ihre  Wohnsitze  an  den  Ufern  eines  verzauberten  Sees  gehabt  hätten. 
In  diesem  See  hauste  die  Wassermutter,  welche  sie  die  Herstellung  der  Muirakitans 
lehrte.  Eines  Tages  habe  sie  aber  die  Form  eines  Thieres  angenommen,  sei  an 
den  nächsten  Bergen  hinaufgestiegen,  und  dort  ist  sie  dann  von  einem  Manne 
ihres  Stammes  getödtet  worden.  Hierdurch  entstand  ein  Aufruhr  in  den  Ge- 
wässern des  Flusses;  eine  üeberschwemmung  war  die  Folge  und  so  wurden  sie 
gezwungen,  zu  fliehen  und  eine  Gegend  aufeusuchen,  wo  sie  vor  der  Wiederkehr 
eines  solchen  Ereignisses  gesichert  wären.  So  zweifelt  Bodrigues  nicht,  in  den 
Weibern  dieser  üaupös  die  südamerikanischen  Amazonen  der  alten  Ueber- 
lieferungen  gefunden  zu  haben. 

Auch  Crevaux  glaubt  die  Amazonen  getroffen  zu  haben;  er  fand  aber  eine 
andere  Deutung.    Es  heisst  in  seinem  Reiseberichte: 

,Nous  rencontroDS  rembouchure  de  la  crique  Coacitenn^  que  noas  avons  traven^e 
en  allant  du  Tary  &  Parou.  Nous  arrivons  au  d6grad  quelques  xninutes  avant  le  coucher 
du  soleil  et  il  faut  encore  faire  deuz  kilom^tres  &  pied  pour  atteindre  le  Yillage  qui  est  au 
milieu  de  la  for6t.  Je  suis  ötonn^  de  ne  pas  voir  un  seul  homme  pour  nous  recevoir.  Nous 
Yisitons  deuz,  trois  habitations,  et  nous  n'y  rencontrons  que  des  femmes.  Je  demande  ä  la 
plus  vieiUe,  c'est-ä-dire  &  la  moindre  farouche:  Oü  sont  Vos  hommes?  Hommes  pas,  r^pond- 
elle  dans  son  langage  laconique.  Je  suis  fort  intriguö.  Ai-jo  donc  eufin  trouvö  ces  fameuses 
Amazones  sur  lesquelles  nos  savants,  de  la  Condamine  en  töte,  ont  discnt^  pendant  des 
si^cles?  Oui,  ce  sont  des  femmes  qja'Orellano  a  trouv^  pr^  du  Trombette  et  sur  les- 
quelles un  conqu^rant  espagnol  a  brod^  une  histoire  romanesque  qui  a  fait  qualifier  le  grand 
fleuye  de  rio  las  Amazonas.  Je  ne  doute  pas  qxi'OreUano  n'ait  rencontr^  des  tribus  de 
femmes,  mais  quelle  imagination  fantastique  il  a  du  deplojer  pour  les  comparer  auz  guer- 
riäres  chevaleresques  des  temps  hom^riques!  Je  constate  d'abord  que  les  Amazones  du 
Parou  n'ont  pas  Tusage  de  se  couper  un  sein  pour  se  livrer  sans  inconT^nient  ä  Tezercice 
de  Tarc' 

Wir  müssen  nun  noch  einmal  nach  Afrika  zurückkehren,  von  dessen  Ama- 
zonenreiche im  Westen  des  Gontinentes,  wie  gesagt,  schon  Diodorus  Sictdus 
berichtet  hatte.    Auch  ein  Bericht  von  Lotichius  liegt  vor,  welcher  lautet: 

,In  dem  orientalischen  Reiche  Cousam  bat  der  König  zu  Hütern  keine  M&nner, 
sondern  fünfhundert  Weiber,  die  den  Bogen  führen,  und  sind  nur  solcher  Wacht  wegen  um 
Geld  gedingt,  wie  Odardus  Barbarossa  anzeigt.* 

In  einer  von  Lodewyk  in  Leiden  herausgegebenen  Beisebeschreibnng  des 
Eduard  Lopee  nach  dem  Königreiche  Gongo  im  Jahre  1578  berichtet  der  letztere 
über  das  Reich  von  Monomotapa.  In  deutscher  Uebersetzung  lautet  dieser 
Bericht : 

«Unter  seinen  Yomehmsten  Vork&mpfem  sind  die  Elite-Truppen  der  Weiber,  welche 
der  Kaiser  sehr  werth  hält  und  fär  den  Kern  seiner  Sireiter  ansieht  Diese  Weiber  brennen 
ihre  linke  Brust  ab,  um  im  Schiessen  gewandter  zu  werden;  ihre  Waffen  sind  Bogen  und 
Pfeile;  sie  sind  behende,  rasch,  gewandt,  tapfer  und  sichere  Schützen,  und  yor  allem  sind  sie 
sehr  standhaft  und  lassen  sich  nicht  leicht  in  die  Flucht  schlagen.  Im  Kampfe  gebrauchen 
sie  die  List,  dass  sie  sich  stellen,  als  ob  sie  fliehen  wollten,  worauf  sie  sich  dann  schnell 
wenden  und  ihrem  Feinde  grossen  Schaden  durch  Schiessen  zufügen.    Wenn  sie  dann  merken. 


444.  Die  Amazonen  der  Neuzeit. 


509 


dass  der  Feind  glaubt,  sie  Überwunden  zu  haben,  und  sich  in  seine  Reihen  vertheilt,  dann 
kehren  sie  unversehens  um  und  fallen  unerschrocken  über  den  Feind  her,  schlagen  und  schiessen 
alles  nieder,  was  ihnen  vorkommt,  weshalb  sie  auch  wegen  ihrer  Fertigkeit  und  Sicherheit 
im  Schiessen  überall  sehr  gefürchtet  sind.  Sie  bewohnen  eine  eigene,  ihnen  vom  Kaiser  über- 
lassene  Landschaft,  und  zu  bestimmten  Zeiten  verfügen  sie  sich  zu  den  Männern,  von  denen 
jeder  eine  von  ihnen  auswählt,  um  Kinder  zu  erzeugen,  damit  ihr  Geschlecht  nicht  aussterbe. 
Wenn  sie  dann  Knaben  gebären,  so  senden  sie  dieselben  zu  den  Männern  nach  deren  Land; 
wenn  es  aber  Mädchen  sind,  so  behalten  sie  diese  bei  sich  und  ziehen  sie  auf,  damit  sie, 
wenn  sie  zu  Jahren  gekommen  sind,  mit  ihnen  in  den  Kampf  ziehen." 

Die  beigegebene  Abbildung  (man  vergleiche  Fig.  384)  stammt  wahrscheinlich 
aus  dem  17.  Jahrhundert;  sie  zeigt  im  Hintergrunde  die  Amazonen  im  Kampfe. 
Im  Vordergründe  steht  eine  wohlgebaute  junge  Amazone,  völlig  nackt,  mit  wallen- 
dem Haare ;  in  den  Händen  hält  sie  Bogen  und  Pfeil,  der  Köcher  hängt  an  einem 
Bande  über  ihrer  rechten  Schulter.  Von  der  linken  Brust  fehlt  jede  Spur.  Mehr 
zur  Seite  sieht  man  ein  hellloderndes  Feuer,  neben  welchem  ein  nacktes  Mädchen 


Fig.  384.   Amazonen  von  Monomotapa.    (Nach  Lopez,) 


«itzt.  Eine  andere  Nackte  hält  sie  von  hinten  fest,  und  eine  dritte,  ebenfalls 
nackt,  ist  soeben  damit  beschäftigt,  der  Sitzenden  die  linke  Brust  abzubrennen. 
Man  wird  unschwer  erkennen,  dass  diese  Berichte  wesentlich  durch  die  Angaben 
der  antiken  Schriftsteller  beeinflusst  worden  sind,  aber  doch  mag  auch  hier  ein 
Funken  Wahrheit  dahinter  gesteckt  haben.  Denn  bekanntlich  hat  in  West- 
Afrika  wirklich  ein  Amazonenheer  bis  auf  die  allerjüngste  Zeit  bestanden. 

Duncan  fand  bei  dem  Könige  von  Dahomeh  ein  Amazonenheer  von  zehn 
Regimentern  zu  je  600  Köpfen.  Es  sind  die  über  zwanzigjährigen  ausgeschie* 
denen  Frauen  seines  Harems.  Auch  Burton  hat  diese  merkwürdige  Truppe  kennen 
gelernt : 

„Die  Akutu  ist  die  Capitänin  von  des  Königs  Leibgarden.  Diese  Würdenträgerin  hat 
eine  Art  blauer  Haube,  wie  ein  französischer  cordon  bleu,  mit  nelkenfarbenem  und  weissem 
Aufputz;  auf  der  Spitze  dieser  Haube  prangen  zwei  Krokodile  von  blauem  Tuch  und  darüber 
g^ebt  es  noch  ein  Paar  silberner  Homer.  Der  erste  weibliche  OfQcier  unter  dem  Akutu  ist 
der  Humbazi,  dem  ein  silberner  Hammer,  den  er  vom  an  der  Stirn  trägt,  fast  das  Aussehen 
eines  Einhorns  giebt.    Schlecht  scheinen  übrigens  die  Kriegerinnen  nicht  zu  leben,  denn  Burton 


510  LXXI.  Das  geschlechtsreife  Weib  im  Zustande  der  Ehelosigkeit. 

bemerkt,  dass  fast  alle  sehr  fett  werden,  manche  wahre  ungeheuer  von  Fettleibigkeit.  Jedem 
Corps  ist  eine  Musikbande  beigegeben  (eine  afrikanische  Cjmbel,  zwei  Tamtam,  vier 
Pauken).  Das  Galakleid  ist  decent  und  nicht  unschön;  ein  schmales  Band  von  blauer  und 
weisser  Baumwolle  bindet  das  Haar,  und  der  Busen  ist  von  einer  ärmellosen  Weste  von  ver- 
schiedener Farbe  umschlossen  und  mit  einer  Reihe  von  Knöpfen  versehen.  Das  Oberkleid 
von  den  Hüften  an  ist  von  blauem,  rothem  oder  gelbem  Stoff,  reicht  bis  zu  den  Knöcheln 
und  ist  um  die  Taille  durch  einen  gewöhnlich  weissen  Gürtel  mit  langen  Enden  festgehalten. 
Diese  Toilette  wird  noch  compacter  durch  einen  äusseren  Gürtel  für  die  Patrontasche  und 
durch  eine  Kuppel  von  schwarzem  Leder,  die  nach  europäischer  Form,  aber  in  Dahomeh 
gemacht  und  mit  Muscheln  geschmückt  ist.  Die  Kugeltasche  hängt  an  einem  schmalen  Streif 
von  der  rechten  Schulter  herab  an  der  linken  Hüfte  und  wird  da  unter  dem  Gürtel  festge- 
halten. Alle  tragen  lange  Messer.  Ihre  Gewehre  sind  mit  langen  Quasten  und  verschiedenem 
anderen  Putz  geschmückt  und  theilweise  zum  Schutz  gegen  Nässe  mit  Affenhäuten  überzogen. 
Diejenigen,  welche  auch  Bajonette  haben,  tragen  eine  blaue  Tunica  und  einen  weissen  Lappen 
auf  ihrer  Schulter,  weisse  Haarbänder  und  Gürtel  mit  dem  Schwerte.  Die  nur  mit  Wüchsen 
ausgerüsteten  Weiber  tragen  rothe  Wollenkappen.  Alle  diese  Frauen  gelten  bloss  für  Weiber 
des  Königs;  in  Wahrheit  leben  sie  im  Cölibat."    (v,  Hellwald,) 

Bei  einer  Besichtigung  sang  zuerst  das  ganze  Regiment  einen  Lobgesang 
auf  den  König;  dann  darf  jede  vor  die  Front  treten  und  ihre  Treue  för  den 
König  aussprechen.  So  dauert  die  Heerschau  eines  Regimentes  oft  drei  Stunden. 
Ihre  ausschliessliche  Beschäftigung  ist  ausser  dem  Tanze  die  Jagd  und  der  Krieg, 
sie  sind  also  Amazonen  im  recht  eigentlichen  Sinne  des  Wortes. 

Hartert  berichtete  kürzlich  über  einen  Besuch  bei  dem  Sultan  tou  Sokoto 
im  Haussa-Lande,  dass  der  letztere  an  seinem  Hofe  eine  grosse  Schaar  von 
Sängerinnen  unterhalte,  welche  ihn  in  bunten  Gewändern  zu  Pferde  auf  allen 
seinen  Zügen  begleiten.  Es  ist  denselben  verboten,  legitime  Ehen  einzugehen. 
Diese  Weiber  bilden  somit  also  auch  eine  Art  von  Araazonencorps. 

Auch  in  der  Südsee  soll  es  ein  Land  der  Frauen  geben;  man  hatte  von 
demselben  dem  Missionar  Ckcdmers  in  Port  Moresby  auf  Neu- Guinea  erzählt. 
Weiber  allein  sollten  in  dem  betreflFenden  Gebiete  wohnen  und  das  Land  beherr- 
schen, den  Acker  erfolgreich  bebauen  und  sehr  tüchtig  auf  dem  Meere  sein.  Wenn 
Männer  den  Versuch  machten,  in  ihr  Gebiet  einzudringen,  so  sollten  sie  sich  ihrer 
energisch  erwehren. 

Einst  hatte  nun  Chalmers  die  Gelegenheit,  nach  der  bei  Neu-Guinea  lie- 
genden Insel  Mailinkolo  (Toulon)  zu  reisen.  An  der  Küste  derselben  fand  er 
einen  einzelnen  Mann,  der  sich  erst  seiner  Landung  widersetzte,  doch  nach  Ueber- 
reichung  einiger  Geschenke  ihm  den  Zugang  gestattete.  Als  er  ans  Land  kam, 
traf  er  auf  eine  Schaar  von  einigen  Hundert  in  Grasröcke  gekleideter  Weiber, 
die  sich  versteckt  zu  halten  suchten  und  einen  nervenerschüttemden  Schrei  aus- 
stiessen,  als  er  sich  ihnen  zu  nähern  suchte;  sie  Hessen  sich  trotz  vieler  Versuche 
und  Bemühungen,  mit  ihnen  freundlich  zu  verkehren,  erst  nach  langer  Zeit  durch 
Geschenke  bewegen,  den  Versteck  zu  verlassen,  und  auf  einmal  sah  er  sich  von 
der  lärmendsten  Gesellschaft  umgeben,  in  der  er  sich  je  befunden  hatte;  er  fühlte 
sich  glücklich,  als  er  das  Schiff  wieder  erreicht  hatte,  und  landete  nun  an  einer 
anderen  Stelle,  an  der  Westseite  der  Insel. 

Hier  stellten  sich  sofort  ganze  Schaaren  von  Frauen,  aber  keine  Männer  ein. 
Er  theilte  Perlen  unter  ihnen  aus,  aber  bald  erhob  sich  ein  grosser  Streit  zwischen 
den  alten  und  jungen  Frauen;  die  letzteren  wurden  weggeschickt  und,  da  sie 
sich  weigerten,  dem  Gebote  Folge  zu  leisten,  musste  Chalmers  dafür  büssen.  Die 
alten  Frauen  bestanden  darauf,  dass  er  den  Strand  verliesse;  und  da  einige  Männer, 
die  man  vorher  in  einem  Ganoe  gesehen  hatte,  zurückgekommen  waren,  schien  es 
gerathen,  diesem  Andringen  Folge  zu  leisten.  Lange  noch,  nachdem  er  den  Strand 
verlassen  hatte,  hörte  er  die  alten  Frauen  mit  ihrer  kreischenden  Stimme  gegen 
die  jungen  fluchen  und  schelten.  Wahrscheinlich  war  er  der  erste  Weisse  an 
dieser  geheiligten  Küste.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  war  dies  das  berühmte 
Amazonenland  gewesen. 


444.  Die  Amazonen  der  Neuzeit.  511 

Die  Sache  klärte  sich  dann  folgendermaassen  anf  und  zeigte  gleich,  wie 
leicht  solche  Legenden  entstehen  können.  ChäLmers  traf  einige  Männer  und 
Knaben  an,  welche  im  Begriffe  standen,  sich  nach  dem  Festlande  zu  begeben. 
Sie  theilten  ihm  mit,  dass  hier  ihre  Pflanzungen  lägen,  und  dass  sie  mit  ihren 
Knaben  dorthin  ruderten,  um  dieselben  zu  bebauen.  Die  Mehrzahl  der  männlichen 
Bevölkenrng  sei  auf  dem  Festlande  und  unterdessen  bleiben  dann  die  Frauen  und 
Mädchen  unter  der  Obhut  einiger  weniger  Kri^er  zurück.  Die  Männer  stellen 
sich  von  Zeit  zu  Zeit  ein  und  bringen  Nahrungsmittel  mit.  Während  ihrer  Ab- 
wesenheit treiben  die  Frauen  in  ihren  Canoe*s  Handel  und  kommen  sogar  bis 
Dedele  in  Cloudy  Bay.  Die  Bemannung  eines  Ganoe,  welches  früher  dahin 
verschlagen  worden  war,  hatten  die  Frauen  freundlich  aufgenommen,  aber  auf  der 
Bückkehr  sind  in  Dedele  diese  Leute  getödtet  worden.  Dieser  umstand  hat 
natürlich  dazu  beigetragen,  den  bösen  Ruf  des  Amazonenlandes  zu  erhöhen. 


LXXII.   Die  Wittwe. 

445.  Die  Wittwentraner. 

Nun  hast  Du  mir  den  ersten  Schmerz  gethan! 

Der  aber  traf! 

Du  BchläfiBt,  Du  harter,  unbarmherziger  Mann 

Den  Todesschlaf. 

Es  blicket  die  Verlassene  vor  sich  hin, 

Die  Welt  ist  leer. 

Geliebet  hab'  ich  und  gelebt,  ich  bin 

Nicht  lebend  mehr. 

Ich  zieh*  mich  in  mein  InnVes  still  zurCLck, 

Der  Schleier  fällt, 

Da  hab  ich  Dich  und  mein  vergangenes  Glück, 

Du  meine  Welt. 

So  lässt  Adalbert  v.  Chamisso  die  Wittwe  an  dem  Todtenbette  des  Gatten 
klagen,  and  nicht  knapper  und  schöner  konnte  er  ein  Bild  von  der  idealen 
Stellung  entwerfen,  welche  heute  die  deutsche  Ehefrau  einnimmt.  Auch  aus 
dem  16.  Jahrhundert  ist  uns  die  bildliche  Darstellung  und  die  Klage  einer  deut- 
schen Wittwe  erhalten.  Es  ist  ein  Holzschnitt  von  Hans  Burckmair  (Fig.  385), 
aus  welchem  wir  die  damalige  Wittwentracht  kennen  lernen  und  gleichzeitig  er- 
sehen, dass  die  Leiche  ohne  Sarg,  auf  offener  Bahre  zur  Kirche  getragen  wird, 
wo  dann  wohl  erst  die  Einsargung  vorgenommen  wurde.  Johann  von  Sd^ioartzen- 
herg  hat  dazu  folgenden  Vers  geschrieben: 

„Ich  schrey  vn  klag  gross  whe  vn  not 
Mein  ehegesell  der  ist  mir  todt. 
Nein  'bin  ich  anff  dem  jamertal, 
Vnd  in  der  arme  witwe  zal. 
Manch  tröstflng  h&tt  ich  in  der  ehe, 
Itz  trag  ich  ach  vnd  aynig  whe. 
Den  tod  ich  haymlich  mer  beklag, 
Dann  ich  sünst  jmandt  offen  mag." 

Wie  anders  ist  das  noch  bei  vielen  andern  Völkern  und  wie  anders  war 
es  selbst  in  Deutschland  zu  den  Zeiten  der  alten  Germanen!  Allerdings 
sehen  wir  fast  tiberall  auf  der  Welt,  dass  die  Wittwe  Schmerz  und  Gram  em- 
pfindet bei  dem  Verluste  ihres  bisherigen  Eheherm;  und  nicht  selten  wird  diesem 
Schmerz  in  sehr  lauter  und  augenfälliger  Weise  Ausdruck  gegeben.  Es  ist  aber 
sehr  die  Frage,  ob  diese  so  bemerkbaren  Schmerzensäusserungen  auch  wirklich 
dem  Grade  des  empfundenen  Schmerzes  entsprechen  und  ob  dieser  Schmerz  mehr 
dem  Verluste  des  Freundes  und  Beschützers  und  Begleiters  fftr  das  Leben  gilt,  oder 


445.  Die  Wittwentrauer. 


513 


mehr  der  AenderuDg,  welche  der  Tod  des  Gatten  in  der  ganzen  Lebensstellung 
des  Weibes  herrorruft,  welches  jetzt  einer  Reihe  von  Entbehrungen  und  Ent- 
sagungen verfallt  oder  ein  gewohntes  Joch  mit  einem  ungewohnten  zu  vertauschen 
gezwungen  wird. 

Allerdings  gehören  Zustande,  wie  sie  uns  PoweU  von  Neu-Britannien 
geschildert  hat,  doch  jedenfalls  nur  zu  den  Ausnahmen.  Ein  Häuptling  hatte 
aus  einem  feindlichen  Stamme  ein  Weib  geraubt,  um  es  zur  Ehe  zu  nehmen, 
und  dabei  war  ihr  bisheriger  Gatte  erschlagen  worden.  Bei  dem  Hochzeitsmahle 
wurde  der  letztere  verspeist,  und  seine  Wittwe  nahm  ruhig  an  diesem  schauer- 
lichen Mahle  Theil  in  der  Voraussicht,  dass  sie  vielleicht  ihren  jetzigen  Ehemann, 
wenn  derselbe  erschlagen  wird,  in  Gemeinschaft  mit  dessen  Mörder  ebenfalls  ge- 
messen könne. 

Sehen  wir,  dass  hier  eine  Trauer  vollständig  fehlt  oder  wenigstens  im  Ent- 
stehen sofort  erstickt  wird,  so  finden  wir  bei  anderen  Völkern  den  Gebrauch,  dass 
die  Wittwen  auf  eine  bestimmte  Anzahl  von  Jahren  hinaus,  oder  selbst  für  ihr 
ganzes  ferneres  Leben  den  verlorenen  Gatten  zu  betrauern  verpflichtet  sind.  Diese 
Trauer  besteht,  abgesehen  von  den  lauten  Klagen,  zumeist  darin,  dass  der  gewohnte 


Fig.  385.    Deutsche  Wittwe  aus  dem  16.  Jahrhundert.    (Von  //oh*  Burckmair.) 

(Nach  Hirth.) 


Schmuck  und  die  schönen  Kleider  abgelegt  und  durch  schlechte  und  grobe,  schmuck- 
lose Kleidung  ersetzt,  die  Sauberkeit  und  Pflege  des  Körpers  und  der  Haare  ver- 
nachlässigt, bisweilen  auch  wohl  der  erstere  absichtlich  beschmiert,  verletzt  und 
verstümmelt  wird. 

Auf  Neu-Caledonien  schwärzen  sich  die  Wittwen  zum  Zeichen  der 
Trauer  den  ganzen  Körper  mit  Russ  und  malen  sich  mit  Kalk  weisse  Thränen 
darauf. '  {Moncelon) 

Wenn  bei  den  Chippeway-Indianern  einer  Frau  durch  den  Tod  der 
Gatte  entrissen  wird,  so  färbt  sie  ihr  Gesicht  schwarz;  ausserdem  muss  sie  fasten 
und  darf  ein  Jahr  lang  sich  nicht  schmücken  und  ihr  Haar  nicht  kämmen. 
{Mahan)  Bei  den  Choctaw-Indianern  jammert  die  Wittwe  einen  Monat  lang 
am  offenen  Grabe,  und  sie  vernachlässigt  in  diesem  Zeitraum  ihren  Anzug.  Nach 
einem  Monat  wird  ein  Fest  gegeben,  wobei  das  Grab  geschlossen  wird.  Die 
Klagerufe,  welche  hierbei  die  Wittwe  erschallen  lässt,  werden  „der  letzte  Schrei" 
genannt.     (Benson.) 

PloBS-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  33 


514  LXXII.  Die  Wittwe. 

Die  Wittwen  der  Los-Pinos-Indianer  in  Colorado  beschmieren  sich 
als  Trauerzeichen  das  Gesicht  mit  einer  aus  Pech  und  Kohlen  gefertigten  Sub- 
stanz, welche  aber  nur  einmal  aufgestrichen  wird  und  so  lange  sitzen  bleibt,  bis 
sie  abfallt.  Andere  Trauergebräuche  sind  dem  Berichterstatter  Mc  Donald  niclit 
bekannt  geworden. 

Bei  den  Sioux-lndianern  legen  nach  Turner  die  Frauen  und  auch  wohl 
die  Mutter  und  die  Schwester  des  Verstorbenen  während  der  drei  ersten  Tage 
nach  der  Beisetzung  ihre  Mokassins  und  ihre  Beinkleider  ab  und  zerschneiden  sich, 
um  ihre  Trauer  zu  beweisen,  die  Beine  mit  ihren  Schlachtmessern.  Man  sieht  sie 
dann  blutüberströmt  umherlaufen. 

«Vor  dem  Jahre  1860,  berichtet  McChesney,  sammelte  sich  bei  dem  Tode  eines  Sioax- 
Kriegers  der  ganze  Stamm  im  Kreise.  Die  Wittwe  schnitt  sich  an  den  Armen,  Beinen  und 
am  Körper  mit  einem  Flintenstein  und  entfernte  sich  die  Haare  vom  Kopf.  Dann  ging  sie  im 
Kreise  herum,  und  so  oft  sie  herumgegangen  war,  so  viel  Jahre  musste  sie  unverheirathet 
bleiben.  Dabei  musste  sie  jammern  und  klagen.  Dann  wurde  unter  allgemeiner  Klage  die 
Leiche  auf  eine  Plattform  von  Holz  gebracht,  wobei  die  Frauen  sich  die  Haare  abschnitten 
und  mit  Flintstein  Arme  und  Beine  zerhackten.' 


Fig.  386.    Wittwe  der  Chippeway-Indianer,  mit  dem  ModeU  ihres  verstorbenen  Ehegatten  im  Arm. 

(Nach    Varrfiw.) 

Solche  Selbstverletzungen  der  trauernden  Frauen  sind  nach  Rohde  auch  bei 
den  Bororö-Indianern  in  Brasilien  gebräuchlich: 

.Stirbt  Jemand,  so  singen  die  Weiber  einen  Trauergesang,  und  die  verwandten  Frauen 
des  Gestorbenen  zerschneiden  sich  die  Brust  mit  scharfen  Steinen.  Ich  sah  bei  den  meist-en 
Frauen  die  Brust  voller  Narben  aus  solchen  Schnitten.* 

Höchst  absonderliche  Trauergebräuche  lernen  wir  ausser  den  bereits  er- 
wähnten durch  McKennay  bei  den  Wittwen  der  Chippeway-Indianer  kennen. 
Er  berichtet: 

„Ich  habe  mehrmals  Frauen  mit  einer  Rolle  von  Zeug  umhergehen  sehen  (Fig.  386). 
Auf  meine  Frage,  was  dieses  zu  bedeuten  habe,  wurde  mir  mitgetheilt,  dass  das  Wittwen 
w&ren,  welche  so  etwas  trügen,  und  das  dies  das  Abzeichen  ihrer  Trauer  sei.  Es  ist  für 
eine  Chippewaj-Frau,  welche  ihren  Ehemann  verliert,  unumgänglich  nöthig,  ihr  bestes 
Kleid  zu  nehmen  —  und  das  ist  noch  keinen  Dollar  werth  — ,  dasselbe  zusammenzurollen. 


445.  Die  Wittwentrauer.  515 

es  mit  ihres  Mannes  Leibgurt  zusammen  zu  binden,  und  wenn  er  Schmucksachen  hatte,  was 
gewöhnlich  der  Fall  ist,  diese  an  dem  Ende  der  Rolle  zu  befestigen,  um  die  ein  Stück  Gattun 
gewickelt  ist.  Dieses  Bündel  wird  „ihr  Ehegatte"  genannt  und  man  erwartet,  dass  sie  sich 
nirgends  ohne  dasselbe  blicken  lässt.  Geht  sie  aus,  so  trägt  sie  es  mit  sich;  sitzt  sie  in  ihrer 
Hütte,  so  legt  sie  es  sich  zur  Seite.  Dieses  Zeichen  der  Wittwenschafb  und  Trauer  muss  die 
Wittwe  so  lange  tragen,  bis  die  Familie  ihres  verstorbenen  Mannes  der  Ansicht  ist,  dass  sie 
lange  genug  getrauert  hat,  was  meistens  nach  Verlauf  eines  Jahres  der  Fall  ist.  Sie  ist  dann, 
aber  nicht  früher,  von  ihrer  Trauer  erlöst,  und  es  steht  ihr  nun  frei,  sich  wieder  zu  ver- 
heirathen.  Sie  hat  das  Recht,  diesen  „Ehegatten"'  zur  Familie  ihres  verstorbenen  Mannes  zu 
bringen,  aber  das  wird  als  unehrenvoll  betrachtet  und  geschieht  selten.  Ich  besuchte  einmal 
eine  Hütte,  in  der  ich  solch  ein  Trauerzeichen  fand.  Seine  Grösse  variirt,  je  nach  der  Menge 
von  Zeug,  welches  die  Wittwe  anzuwenden  vermag.  Es  wird  von  ihr  erwartet,  dass  sie  ihr 
Bestes  hierzu  nimmt  und  ihr  Schlechtestes  trägt.  Der  „Ehegatte",  welchen  ich  sah.  hatte 
30  Zoll  Höhe  und  18  Zoll  im  Umfang.  Ich  vergass  zu  erwähnen,  dass,  wenn  Geschenke  ver- 
theilt  werden,  dieser  „Ehemann"  den  gleichen  Antheil  erhält,  als  wenn  er  lebend  wäre.'' 

Ein  Ueran  erinnernder  Gebranch  bestand  im  vorigen  Jahrhundert,  wie  wir 
durch  Paüas  erfahren,  bei  den  Ostjaken.    Es  heisst  bei  ihm: 

„Eine  Art  von  Vergötterung  widerfährt  auch  Verstorbenen  in  der  Verwandtschaft. 
Denn  man  macht  hölzerne  Bilder,  die  verstorbene  angesehene  Männer  bedeuten  sollen,  und 
setzt  ihnen  bei  den'  Gedächtnissmahlen,  welche  ihnen  gehalten  werden,  ihren  Antheil  vor. 
Ja  Weiber,  welche  ihre  verstorbenen  Männer  geliebt  haben,  legen  diese  Puppen  bei  sich  zu 
Bett,  putzen  sie  auf,  und  vergessen  sie  bei  der  Mahlzeit  nie  zu  speisen.'* 

Von  den  Shushwap-Indianern  in  Britisch  Columbien  berichtet  JBoa5, 
dass  die  Wittwen  „an  einer  Bucht  eine  Schwitzhütte  errichten  und  alle  Nacht  schwitzen,  so- 
wie regelmässig  in  der  Bucht  baden  müssen.  Danach  müssen  sie  ihren  Körper  mit  Baum- 
sprösslingen  abreiben;  diese  Zweige  dürfen  nur  einmal  benutzt  werden  und  werden  dann  rings 
um  die  Hütte  in  den  Boden  gesteckt.  Die  Trauernde  gebraucht  ihren  eigenen  Napf  und  ihr 
besonderes  Kochgeschirr  und  sie  darf  ihren  Körper  nicht  berühren.  Kein  Jäger  darf  sich  ihr 
nähern,  weil  das  Unglück  bringt.  Sie  darf  ihren  Schatten  auf  Niemanden  fallen  lassen,  weil 
dieser  sonst  sofort  krank  werden  würde.  Sie  benutzen  Dombüsche  als  Kopfkissen  und  als 
Bett,  um  den  Geist  des  Verstorbenen  zu  verscheuchen;  Dornbüsche  werden  auch  rings  um 
das  Bett  gelegt." 

In  diesen  Maassnahmen  vermögen  wir  nicht  mehr  eine  Verehrung  für  den 
Verstorbenen  zu  erkennen.  V7ir  sehen  vielmehr  aus  dem  Unheil,  das  die  Wittwe 
anderen  zuzubringen  vermag,  dass  man  sie  als  verunreinigt  betrachtet,  und  damit 
wird  auch  verstandlich,  dass  sie  Reinigungsproceduren  durch  Schwitzen  und  Baden 
durchzumachen  hat.  Anstatt  dem  Verstorbenen  Ehre  zu  erweisen,  oder  ihn  in 
effigie  zu  verpflegen,  muss  die  Wittwe  vielmehr  ernstlich  darauf  bedacht  sein,  sich 
vor  seiner  Wiederkunft  zu  schützen.  Deshalb  muss  sie  sich  und  ihr  Bett  mit 
einer  Domenhecke  umgeben  und  deshalb  muss  sie  auf  Dombüschen  ruhen,  damit 
der  Verstorbene  die  Lust  verliert,  mit  ihr  das  nächtliche  Lager  zu  theilen. 

Auf  Bali  sollen  nach  Jacobs  die  Wittwen  die  Leiche  des  Gatten  in  dem 
Hause  aufsuchen,  wo  sie  bis  zur  Verbrennung  niedergelegt  wurde,  und  hier  be- 
arbeiten sie  zum  Zeichen  der  Trauer  den  Penis  des  Verstorbenen. 

Bei  den  Samojeden  müssen,  wie  PdUas  berichtet,  die  Wittwen  ihre  Haar- 
flechten losmachen  und  nachmals  zeitlebens  ausser  den  gewöhnlichen  zwei  Haar- 
zöpfen noch  eine  dritte  Flechte  an  einer  Seite  über  dem  Ohre  tragen. 

Hein  berichtet,  dass  die  Dajaken  in  Borneo  für  die  Wittwen  besondere 
Wittwenhüte  im  Gebrauche  haben.  Dieselben  bestehen  aus  kessel-  und  trichter- 
förmigem Geflechte,  welche  tangqoi  hentap  oder  bloss  hentap  heissen  \mi  an  der 
Aussenseite  mit  weissen  Litzen  besetzt  sind.  Nach  Perelaer  müssen  die  Wittwen 
in  der  ersten  Trauerzeit  weisse  Kleider  tragen  und  sind  demnach  auch  verpflichtet, 
eine  weisse  Kopfbedeckung  zu  nehmen,  die  oft  nur  aus  einem  weissen  Kattun 
besteht,  der  nach  Art  unserer  Kopftücher  um  das  Haupt  gebunden  wird;  dieses 
Kopftuch  heisst  sambalayong. 

33* 


516 


LXXn.  Die  Wittwe. 


Bei  den  Basutho  in  Süd- Afrika  werden  nach  Grützner  nach  der  Be- 
erdigung die  schon  vorher  abgeschnittenen  Ecken  des  Euhfelles,  in  das  man  den 
Todten  gehüllt  hatte,  in  Riemchen  zerlegt  und  diese  werden  den  trauernden 
Wittwen  um  die  Stirn  gebunden. 

Bei  den  alten  Israeliten  war  ebenfalls  eine  besondere  Wittwenkleidung  vorge- 
schrieben.   (1.  Mos.  38,  19.) 

Auf  den  Keei- Inseln  gehen  die  Frauen  zum  Zeichen  der  Trauer  mit  hängen- 
den Haaren;  auf  den  Tanembar-  und  Timorlao-Inseln  tragt  die  Wittwe  ein 
Stück  von  dem  Leichengewande  des  verstorbenen  Ehegatten  im  Haar.  Der 
Traueranzug  der  Wittwen  auf  den  Inseln  Leti,  Moa  und  Lakor  besteht  aus 
einem  kurzen  Sarong,  der  von  der  Hüfte  bis  zum  Knie  reicht;  die  Haare  werden 
nicht  eher  gekämmt,  bis  der  neue  Mond  erscheint.  In  gleicher  Weise  kleiden  sich 
die  trauernden  Wittwen  auf  den  Luang-  und  Sermata-Inseln.  Allen  Schmuck 
legen  sie  ab,  und  wenn  sie  Armbänder  tr^en,  die  sich  nicht  entfernen  lassen, 
so  umwickeln  sie  dieselben  mit  altem,  schmutzigem  Kattun.  Ein  Jahr  lang  dürfen 
die  Trauernden  kein  fremdes  Dorf  besuchen,  und  zu  Haus  Niemandem  antworten, 
sie  müssen  sich  taub  stellen  und  dürfen  nicht  mitsingen.     {BieddK) 

Bei  den  Aaru- Insulanern  verlässt  eine  Frau,  deren 
Gatte  gestorben  ist,  die  Wohnung  und  bestreicht  mit 
Kalapa-Oel  jedes  Haus  des  Dorfes,  in  welchem  der  Ver- 
storbene zu  verkehren  pflegte.  Dann  legt  sie  ihr  gewohn- 
liches Gewand,  den  Sarong,  ab  und  bekleidet  sich  nur  mit 
einem  Schamgürtel,  der  franzenartig  aus  Palmenblättem 
gefertigt  ist  und  eine  Breite  von  25  cm  hat  (Fig.  387).  Das 
Haupthaar  wird  abgeschoren  und  um  den  Kopf  legt  sie 
ein  Band  von  Palmenblättem.  Auch  um  die  Oberarme  und 
die  Unterschenkel  dicht  unterhalb  der  Kniee  werden  solche 
Palmenblätter  gebunden.  Um  den  oberen  Theil  der  Brust 
kommen  ebenfalls  zwei,  die  sich  vom  kreuzen  und  unter 
den  Achseln  zugebunden  werden,  woran  eine  kleine  Matte 
befestigt  ist,  welche  am  Rücken  herunter  hängt,  um  das 
Hintertheil  zu  bedecken.  Auf  ihrem  Körper  werden  mit 
Holzkohle  breite  Streifen  gemalt. 

Diese  Tracht  behalt  die  Wittwe  bis  zu  dem  Zeit- 
punkte, wo  man  die  Gebeine  des  Verstorbenen  aus  der 
Sargkiste  herausnimmt  und  sie  zum  Strande  bringt,  um  sie 
zu  reinigen.  Dies  geschieht  auf  eine  Weise,  welche  jeder 
Fig.  887:  Wittwe  der  Aaru-  Beschreibung  spottet.  Die  Mitbewohner  des  Dorfes  kommen 
DSU  aner^mi^^^raueranzuge.  ^jg^^^^  qj^  J^^  Strande  zusammen,  die  Männer  mit  dem 
von  Holz  verfertigten  Bilde  des  Guson  oder  Gusing^  d.  h. 
des  Penis,  und  die  Weiber  mit  dem  aus  Gabagaba  ausgeschnittenen  Kodu^  dem 
Pudendum  muliebre.  Alle  Trauerkleider  und  Trauerabzeichen  werden  abgel^t 
und  gemeinsam  verbrannt,  und  unter  dem  Absingen  allerlei  obsconer  Lieder 
springen  die  Leute  wie  die  Besessenen  um  das  Feuer  herum.  Dabei  stecken  die 
Männer  das  Bild  des  Guson  in  das  ihnen  von  den  Weibern  dargebotene  Bild  der 
Kodu  und  ahmen  dabei  die  Bewegungen  der  Begattung  nach,  um  die  Wittwe 
geschlechtlich  aufzuregen  und  ihr  auf  drastische  Weise  zu  verstehen  zu  geben, 
dass  sie  jetzt  aufs  Neue  sich  verheirathen  darf.  An  diesem  absonderlichen  Feste 
nehmen  auch  Kinder  Theil.  Drei  Tage  noch  singen  und  tanzen  die  Dorfgenossen 
vor  dem  Sterbehause,  weil  die  Wittwe  die  Trauerkleidung  abgelegt  hat.  Wenn 
der  Verstorbene  mehrere  Frauen  besass,  so  verfallen  sie  sämmtlich  denselben 
Ceremonien.     (Riedel^  "•  % 

Von  den  mittelasiatischen  Türken  erzählt  Vamhery  Folgendes: 

«Die  weiblichen  Mitglieder  der  Familie  kommen  in  einem  separaten  Zelt  zusammen  und 


445.  Die  Wittwentarauer.  517 

lassen  annnterbrochen  unter  Schluchzen  und  Weinen  Klagelieder  ertönen.  Weib  und  Tochter 
des  Dahingeschiedenen  ziehen  Trauerkieider  an  und  bedecken  den  Kopf  mit  einem  speciellen 
Trauerhut;  Niemand  darf  sie  grüssen  oder  mit  ihnen  sprechen,  und  selbst  die  unvermeidlichsten 
Fragen  und  Antworten  mflssen  in  klagendem  und  heulendem  Tone  gewechselt  werden.  Beim 
Acte  der  Beerdigung  können  die  Frauen  nicht  anwesend  sein,  sie  mflssen  unterdessen  in  dem 
früher  erwähnten  Frauenzelt  yerharren  und  bei  ununterbrochenen  Klagen  sich  mit  den  N&geln 
die  Wangen  zerkratzen,  d.  h.  ihre  Schönheit  vernichten,  und  man  begegnet  häufig  Wittwen, 
die  furchenartige  Narben  als  permanente  Trauerzeichen  ob  des  schweren  Verlustes,  den  sie 
mit  dem  Hinscheiden  des  Mannes  erlitten,  auf  den  Wangen  tragen.  Das  Verhalten  der 
klagenden  Frau  ist  im  Allgemeinen  ein  äusserst  mühseliges  und  von  einer  besonderen  be- 
trübenden Wirkung  für  die  fremden  Zuschauer.  Sie  muss,  vom  Sterbetage  des  Mannes  ange- 
fangen, ein  ganzes  Jahr  hindurch  mit  Ausnahme  der  Schlaf-  und  Essenszeit  entweder  weinen 
oder  Klagelieder  singen,  weshalb  das  Wittwenzelt  dem  Reisenden  sofort  auffällt,  und  trotz 
eines  längeren  Aufenthalts  in  einem  derartigen  Aul  kann  man  sich  an  die  in  die  weite 
Feme  dringenden  herzerschütternden  Töne  nur  schwer  gewöhnen." 

Bei  den  Hindu  sind  auch  noch  heute  unter  der  englischen  Oberhohheit 
die  Trauerpäichten  der  Wittwen  sehr  strenge  und  quälende.  SchlagirUiceü  hat 
uns  darüber  einen  ausführlichen  Bericht  erstattet: 

.Gross  ist  der  Schmerz  der  Frau  um  den  sterbenden  Gatten;  er  steigert,  nicht  ver- 
mindert sich,  wenn  der  Tod  vor  dem  Eintritt  in  die  Heirath  erfolgte;  denn  die  jungfräuliche 
Wittwe  ist  für  ihr  ganzes  Leben  denselben  Beschränkungen  unterworfen,  wie  die  Matrone, 
der  Kinder  und  Enkel  tröstend  zur  Seite  stehen.  Die  Wittwe  folgt  noch  dem  Leichenzuge 
des  Gatten  und  entzündet,  wenn  ohne  Sohn,  selbst  den  Scheiterhaufen,  auf  welchem  der  Leich- 
nam unvollkommen  zu  Asche  verbrannt  wird.  Unmittelbar  nachher  wird  die  Wittwe  an  den 
Fluss  oder  an  den  Dorfteich  geführt;  hier  legt  sie  die  Frauengewänder  ab,  zerbricht  das  eiserne 
Gelenkband,  das  als  Symbol  der  Liebe  ihres  Gatten  den  Arm  zierte,  wirft  es  in  das  Wasser, 
wäscht  von  ihren  Fnsssohlen  das  Roth  hinweg,  das  bisher  täglich  aufgetragen  wurde,  und 
rouss  dulden,  dass  unter  rohen  Gebräuchen  das  Abzeichen  ihrer  Würde  getilgt  wird,  ein  rother 
Kreis,  der  von  ihrer  Stirn  leuchtete,  wie  der  Venusstem  am  dunkelblauen  Himmel.  Nach  den 
Vorschriften  der  heiligen  Bücher  soll  die  Wittwe  sich  jeden  Wunsches  entschlagen  und  jedem 
Wohlleben  entsagen.  Zum  Heile  der  Seele  ihres  Gemahles  soll  sie  nur  eine  Mahlzeit  im 
Tage  nehmen  und  Fleisch,  Fische,  wie  alle  Leckereien  vermeiden;  dabei  hat  sie  häufig  zu 
fasten  und  vielerlei  Kasteiungen  sich  aufzulegen.  Ihre  Kleidung  muss  möglichst  imvortheil- 
hafb  gewählt  sein.  Das  Haar,  das  sonst  fleissig  gekämmt,  gesalbt  und  auf  dem  Hinterhaupte 
zierlich  in  einen  Knoten  geschlungen  wurde,  wird  nicht  mehr  gepflegt  In  den  Spiegel  zu 
schauen  ist  verboten.  An  Stelle  eines  Lagers  aus  weichen  Polstern  mit  einem  Mosquito-Vor- 
hange  tritt  eine  Matte  aus  Bast;  ein  Holzklotz  oder  ein  Geflecht  ersetzt  das  Kissen." 

Aus  Khalatlolu  in  Transvaal  erzählt  der  Missionar  Posselt  von  den 
Bapaedi: 

,Es  sind  der  heidnischen  Gebräuche,  welche  die  Frauen  des  Verstorbenen  zu  befolgen 
haben,  eine  grosse  Anzahl.  Da  ist  zuerst  die  schreckliche  Todtenklage.  Alsdann  zweitens 
müssen  sich  die  Frauen  beräuchem  lassen,  indem  sie  sich  über  einen  Topf,  in  welchem  aller- 
hand Kräuter  verbrannt  werden,  hinüberbeugen.  Das  ist  eine  ziemlich  lange  Tortur,  denn 
der  Rauch,  welchen  sie,  da  sie  dicht  über  den  Topf  gebeugt  sitzen  müssen,  ganz  heiss  ins 
Gesicht  bekommen,  beisst  in  den  Augen,  kribbelt  in  der  Nase,  fällt  auf  die  Athmungsorgane. 
Aber  ,er  verhütet,  dass  der  Tod  nicht  auf  die  Frauen  und  durch  sie  auf -Andere  übergeht". 
Drittens:  Weiter  wird  die  Wurzel  einer  bestimmten  Pflanze  zu  Asche  gebrannt  und  dieselbe 
in  ein  eigenes,  dazu  hergerichtetes  Essen  gestreut.  Viertens  wird  den  Betreffenden  eine  andere 
mit  Fett  gemischte  Seiare  (Medicin)  auf  den  Kopf  gestrichen  und  das  Haar,  wenn  der  Ver- 
storbene ein  Vornehmer  war,  bis  auf  einen  etwa  einen  halben  Zoll  breiten  Streifen,  welcher 
wie  ein  Kranz  den  Kopf  umgiebt,  abrasirt.  Das  Ganze  thun  andere  Frauen  des  Kraals. 
FOnfbens  wird  eine  Riesenschlange  getödtet  (nur  beim  Tode  vornehmer  Häuptlinge)  und 
Streifen  des  Fells  müssen  die  Frauen  um  den  Kopf  geschlungen  tragen.' 

Die  Trauer  der  Wittwen  bei  den  Serben  und  Kroaten  dauert  eigentlich 
nur  40  Tage;  aber  das  schwarze  Kopftuch,  welches  die  Wittwe  kenntlich  macht, 
muss  ein  ganzes  Jahr  hindurch  getragen  werden;  auch  darf  die  Frau  im  Trauer- 
jahre weder  die  Spinnstube,  noch  den  Reigen,  noch  einen  Jahrmarkt  besuchen. 
{Krauss\) 


518 


LXXII.  Die  Wittwe. 


Die  trauernde  Wittwe  pflegt  in  civilisirten  Ländern  wohl  von  dem  theuren 
Verstorbenen  als  letztes,  sichtbares  Erinnerungszeichen  eine  Locke  im  Medaillon 
oder  eine  von  seinen  Haaren  geflochtene  Kette  an  der  ühr,  oder  als  Armband 
zu  tragen.  Um  vieles  reichlicher  und  massenhafter  trefiien  wir  derartige  Reliquien 
bei  einigen  Naturvölkern  an.  So  werden  bei  den  Sambos  und  Mosquitos  in 
Amerika,  nachdem  die  Wittwe  ein  volles  Jahr  lang  an  dem  Grabe  des  Gatten 
geklagt  hat,  dessen  Gebeine  dem  Grabe  entnommen,  und  nun  muss  die  Frau  die- 
selben ein  zweites  Trauerjahr  hindurch  mit  sich  herumtragen.  Nach  Ablauf  des- 
selben werden  sie  auf  dem  Dache  des  Hauses  niedergelegt.     (Bancroft.) 

Aehnliche  Verpflichtungen  hat  nach  Boss  Cox  die  Wittwe  der  Tolkotin- 
Indianer  in  Oregon: 

^Nach  der  Yerbrennung  sammelt  die  Wittwe  die  grösseren  Knochen  in  einen  Behälter 
von  Birkenrinde,  welchen  sie  verpflichtet  ist,  ein  Jahr  lang  auf  dem  Rücken  zu  tragen.  Sie 
hat  nun  allen  Frauen  und  Kindern  gegenüber  Sclavendienste  zu  verrichten  und  wird  bei  Un- 
gehorsam strenge  gestraft.  Die  Asche  ihres  Gatten  wird  gesammelt  und  in  ein  Grab  geleg^t, 
das  sie  von  Unkraut  frei  halten  muss ;  letzteres  muss  sie,  wenn  es  auftritt,  mit  ihren  Fingern 
ausgraben.     Hierbei  wird  sie  von  den  Angehörigen  ihres  Mannes  beaufsichtigt  und  gequält. 

Oft  nehmen  sich  die  armen,  grausam  gepeinigten 
Wittwen  das  Leben.  Ueberdauert  sie  die  Qualen 
3 — 4  Jahre,  so  wird  sie  von  denselben  befreit,  wobei 
ein  grosses  Fest  gegeben  wird,  zu  dem  sich  von  weit 
her  Gäste  einfinden.  Diese  werden  beschenkt.  Die 
Wittwe  erscheint  mit  den  Knochen  ihres  Mannes  aof 
dem  Rücken.  Die  werden  ihr  abgenommen  und  in 
eine  Büchse  gethan,  die  vernagelt  und  12  Fuss  hoch 
aufgestellt  wird.  Ihre  Aufführung  als  getreue  Wittwe 
wird  dann  gelobt,  ein  Mann  streut  ihr  Vogelfedem 
und  Oel  auf  den  Kopf,  und  dann  darf  sie  wieder 
heirathen  oder  ein  ungetrübtes  Leben  führen.  Die 
meisten  mögen  aber  wohl  nicht  eine  zweite  Wittwen- 
Schaft  riskiren  wollen.* 

Noch  merkwürdiger  ist  das  Erinnerungs- 
zeichen an  den  verstorbenen  Gatten,  welches 
die  Mincopie -Wittwen  auf  den  Andamanen- 
Inseln  mit  sich  herumtragen  müssen.  Eine  be- 
stimmte Zeit  nach  dem  Tode  wird  der  Schädel 
des  Verstorbenen  besonders  hergerichtet,  mit 
rother  Farbe  bemalt  und  mit  Franzen  von 
Holzfasern  verziert.  (Fig.  388.)  Diesen  Schädel 
nun,  welcher  in  der  geschilderten  Ausschmück- 
ung Chattada  genannt  wird,  muss  die  Wittwe  sich  anhängen  und  ist  verpflichtet, 
ihn  so  lange  mit  sich  zu  führen,  bis  sie  eine  neue  Heirath  eingeht.  Der  Schädel 
ist  in  der  Weise  befestigt,  dass  das  ihn  haltende  Band  um  den  Nacken  und 
die  linke  Brust  herumläuft  und  dass  er  selbst  vor  der  rechten  Schulter  hängt. 
(Mouet.) 

Eine  chinesische  Wittwe  ist  verpflichtet,  mindestens  drei  Jahre  lang 
Trauerkleider  um  ihren  verstorbenen  Ehegatten  zu  tragen,  es  gilt  aber  für  be- 
sonders ehrenvoll,  wenn  sie  die  Trauer  ihr  ganzes  Leben  hindurch  fortsetzt. 

Einen  absonderlichen  Gebrauch  der  Corsen  citirt   Yarrow: 
»Nach  Brtihier  herrschte    um  1743   in  Corsica   die   Sitte,   dass,   wenn  ein  Ehegatte 
starb,  die  Weiber  über  die  Wittwe  herfielen  and  sie  tüchtig  durchprügelten.    Er  fügt  hinzu, 
dass    dieser   Gebrauch   die   Frauen    veranlasste,   sorgfältig   über  das  Wohl   ihres  Hausherrn 
zu  wachen." 


Fig.  388.    Wittwe  der  Mincopie 
(Andamanen) 
mit  dem  präparirten  Schädel  ihres  verstorbe- 
nen Ehegatten.    (Nach  Andree.) 


446.  Die  Wittwentödtung.  519 

446.  Die  Wittwentödtung. 

Bei  einigen  Nationen  wurde  den  hinterbliebenen  Wittwen  eine  eigentliche 
Trauerzeit  gar  nicht  gelassen,  sondern  sie  waren  gezwungen,  ihrem  verstorbenen 
Eheherrn  in  den  Tod  zu  folgen.  Man  hat  die  Meinung  aufgestellt,  dass  dieses 
aus  dem  Grunde  geschehe,  um  den  Weibern  das  Eingehen  einer  neuen  Ehe  un- 
möglich zu  machen,  um  sie  zu  verhindern,  das  Eigenthum  eines  anderen  Mannes 
zu  werden,  wie  man  wohl  an  manqhen  Orten  die  Waffen  eines  grossen  Kriegers 
zerbrach,  damit  sie  nicht  in  fremde  Hände  fallen  sollten.  Der  Ursprung  und  der 
erste  Beweggrund  für  die  Tödtung  der  Wittwen  ist  aber  ganz  gewiss  ein  anderer 
und  er  hängt  ganz  unmittelbar  mit  der  grobrealistischen  Auffassung  zusammen, 
welche  uncultivirte  Volker  sich  von  dem  Tode  gebildet  haben. 

Der  Tod  ist  ja  nach  ihrer  Anschauung  nicht  ein  Sterben  in  unserem  Sinne, 
sondern  gleichsam  ein  Verreisen  auf  Nimmerwiederkehr.  So  ist  es  ja  auch  noch  auf 
vielen  etruskischen  Todtenkisten  plastisch  dargestellt,  wie  der  Verstorbene  zu 
Pferde,  zu  Schiffe,  oder  mit  dem  Beisewagen  von  den  Genien  des  Todes  geleitet, 
die  Seinigen  verlässt.  Der  Gestorbene  hat  eben  nur  seine  alte  Heimath  ver- 
lassen und  sich  in  ein  anderes  unbekanntes  Land  begeben;  im  Uebrigen  ist  er 
aber  noch  ganz  der  Alte  geblieben,  mit  den  gleichen  Eigenschaften  und  mit  den 
gleichen  Lebensbedürfnissen  wie  bisher.  Darum  kleidet  man  den  Todten  in  seine 
besten  Gewänder,  darum  giebt  man  ihm  seine  alltäglichen  Waffen  und  Geräthe 
mit,  und  darum  todtet  man  seine  Frau,  damit  sie  ihn  begleite  und  damit  er  die 
Bequemlichkeiten  und  Annehmlichkeiten  des  ehelichen  Lebens  in  dem  unbekannten 
Lande  nicht  vermisse.  Ein  ganz  gleicher  Beweggrund  ist  es,  der,  wie  z.  B.  bei 
vielen  afrikanischen  Völkern,  dazu  führt,  bei  dem  Tode  eines  angesehenen 
Mannes  eine  ganz  ungeheure  Anzahl  von  Sclaven  und  Sclavinnen  zu  tödten,  damit 
der  Verstorbene  am  Orte  seiner  Bestimmung  mit  dem  seinem  Stande  zukommenden 
Glänze  aufzutreten  vermöge.  So  ereignete  es  sich  noch  kürzlich,  als  Europäer 
die  Schwarzen  davon  abhalten  wollten,  bei  dem  Tode  eines  der  Ihrigen  einige 
Menschenopfer  darzubringen,  dass  diese  ihnen  erwiderten:  Wer  soll  ihn  dann  aber 
in  dem  anderen  Leben  bedienen? 

Das  klassische  Land  für  die  Tödtung  der  Wittwen  ist,  wie  wohl  allbekannt 
sein  dürfte,  Indien.  Schon  Cicero  und  Diodorus  von  Sicilien  berichteten,  dass 
die  Inder  die  Wittwen  tödteten. 

«Nach  der  Sage  stürzte  sich  Satt,  die  Gemahlin  des  grossen  Siwa,  des  mit  Brahma  um 
den  Vorzug  sich  streitenden  Gottes,  beim  Opfer  ihres  Vaters  Ddkscha  in  das  heilige  Feuer 
aus  Bekümmemiss,  dass  ihr  Gatte  von  Brahma  nicht  zum  Opfer  eingeladen  war.  Seither 
heisst  jede  Ehefrau,  die  mit  ihrem  Ehegatten  den  Holzstoss  besteigt,  auf  welchem  dessen 
Leiche  zu  Asche  verbrannt  wird,  Sati  und  der  Gebrauch  selbst  Sahagrama,  „das  Mitgehen 
mit  dem  Gatten*.  In  altari scher  Zeit  bestand  die  Unsitte  des  Sahagrama  nicht,  doch 
bereits  im  sechsten  christlichen  Jahrhundert  wird  nur  jene  Wittwe  für  zweifellos  tugendhaft 
erklärt,  welche  den  Scheiterhaufen  ihres  Mannes  mit  besteigt.  Die  Forderung  muss  nicht 
sehr  bereitwillig  erfüllt  worden  sein,  denn  sonst  st&nden  in  der  Provinz  Radschputana 
(dem  Lande  zwischen  Bombay  und  Delhi)  nicht  so  viele  Erinnerungsbauten  an  Sati- Ver- 
brennungen, um  den  Ehrgeiz  der  Frauen  anzustacheln."    (Schlagintweit.) 

Im  Rigveda  wird  die  Todtenfeier  des  Mannes  geschildert.  (Oeldner.) 
Darin  heisst  es: 

,Die  Weiber  hier,  Nichtwittwen,  froh  des  Gatten, 
Sie  treten  ein  und  bringen  fette  Salbe, 
Und  ohne  Thräne,  blühend,  schön  geschmücket 
Beschreiten  sie  zuerst  des  Todten  Stätte«* 

Die  Salben  sollen  dazu  dienen,  um  die  trauernde  Wittwe  zu  salben,  die  von 
den   Frauen   zum  Wiedereintritt   in   das   Leben  geschmückt   werden  soll.     Dann 
fordert  sie  der  Priester  auf,  sich  von  dem  Leichnam  des  Gatten  zu  trennen: 
, Erhebe  Dich,  o  Weib,  zur  Welt  des  Lebens! 
Des  Odem  ist  entflohen,  bei  dem  Du  sitzest, 


520 


LXXn.  Die  Wittwe. 


Der  Deine  Hand  einst  farate  und  Dich  freite! 
Mit  ihm  ist  Deine  Ehe  nun  vollendet!" 


Diese  Verse  sind  es,  die  den  Tod  über  die  unglücklichen  Wittwen  gebracht 
haben.     Durch  eine  ganz  unbedeutende  Fälschung  des  Textes  wurde  der  WorÜaut 


21 
o5' 


9» 


I 


so  geändert,  dass  der  Priester  dem  armen  Weibe  befahl,  sich  zu  dem  Todten  auf 
den  Holzstoss  zu  legen. 


446.  Die  Wittwentödtusg. 


521 


In  Fig.  389  gebe  ich  die  Copie  einer  indischen  Malerei,  welche  das  Sattee, 
die  Wittwenverbrennung  vorführt.  Die  Copie  ist  von  Acwarth  mitgetheilt,  welcher 
vermnthet,  dass  diese  Verbrennung  in  Madras  stattgefunden  hat. 

,Die  englische  Regierang  hat  mit  strengen  Gesetzen  dieser  schauerlichen  Sitte  ein 
Ende  gemacht,  und  nur  ganz  vereinzelt  und  im  Verborgenen  kommt  in  abgelegenen  und 
schwer  zugänglichen  Gebieten  noch  die  Wittwenverbrennung  vor.  Dieselbe  ist  durch  ein 
indisches  Gesetz  1829  verboten  und  »das  Strafgesetzbuch  bestraft  alle  Mitwirkenden  wegen 
Anreizung  zum  Morde  mit  schwerem  Gef&ngniss  bis  zu  10  Jahren*.  Dennoch  sind  jährlich 
ein  bis  zwei  Sati- Verbrennungen  zu  verhandeln.  Die  Gerichte  erkannten  in  dem  letzten  dieser 
Fälle,  der  im  Jahre  1883  spruchreif  geworden  war,  gegen  sämmtliche  Theilnehmer  auf  Zucht- 
haus von  3  bis  7  Jahren."     (Schlagintweit.J 

In  Nepal  verliert  nach  Werner  die  Wittwe,  welche  ihrem  Manne  nicht 
in  den  Tod  folgt,  noch  immer  ihre  Stellung  in  der  Kaste.  Bei  einer  Verbrennung, 
welche  kurz  vor  der  Anwesenheit  Schlagintweifs  stB,ti{a,nd^  ging  die  Wittwe  frei, 
aber  gestützt,  zu  dem  4  Fuss  hohen,  mit  Tüchern  behangenen  Holzstoss.  Hinauf- 
geleitet, legte  sie  sich  neben  den  Leichnam  ihres  Mannes,  und  nun  wurde  sie, 
als  der  Scheiterhaufen  in  Brand  gesteckt  wurde,   durch  Bambusstäbe,  welche  an 


(."^"sW"V^r.^.  iS»s^ 


Fig.  990.    Suttee,  Wittwenverbrennung  in  Indien.    (Nach  Colemnn.) 

den  beiden  Enden  von  Brahminen  gehalten  wurden ,  niedergedrückt.  Einige 
Schmerzensrufe ,  als  Bauch  und  Flammen  sie  erreichten,  verstummten  schnell, 
wahrscheinlich  durch  den  Druck  der  Stäbe,  deren  einer  über  den  Hals,  ein  anderer 
über  die  Mitte  des  Korpers  ging. 

Von  einer  Wittwenverbrennung,  welche  1829  wenige  Meilen  von  Calcutta 
stattfand,  hat  Coleman  die  Skizze  eines  Augenzeugen  veröffentlicht.  Dieselbe  ist 
in  Fig.  390  in  vergrössertem  Maassstabe  wiedergegeben. 

Ein  von  Böhtlingk  citirter  Sanskrit-Vers  rühmt  diese  Treue  der  Gattin, 
die  auch  noch  über  den  Tod  hinaus  dauert: 

,£in  Mann  unterlässt  später  die  Liebenswürdigkeiten,  welche  er  Weibern  im  Geheimen 
erwies;  die  Weiber  dagegen  umschlingen  aus  Dankbarkeit  den  entseelten  Gatten  und  be- 
steigen mit  ihm  den  Scheiterhaufen.* 

V7enn  eine  Wittwe  sich  guter  Hofl&iung  befand,  so  wurde  sie  übrigens  erst 
getödtet,  nachdem  ihre  Entbindung  vorüber  war. 

Aber  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  schrieb  Niebtthr: 

, Lebendige  Weiber  dürfen  sich  so  wenig  zu  Bombay,  als  in  den  Städten,  wo  die 


522  LXXII.  Die  Wittwe. 

Regierung  xnohamedaniscli  ist,  mit  ihren  verstorbenen  M&nnem  verbrennen.  Dies  wird  selbst 
unter  ihrer  eigenen  Regierung  nur  selten  erlaubt.  Ein  Kaufmann  zu  Maskat  von  dem  Stamme 
der  Bramänen  erzählte  mir,  dass  seine  Familie  vor  vielen  anderen  dadurch  einen  grossen 
Vorzug  erhalten,  dass  seine  Grossmutter  mit  ihrem  Manne  sich  hätte  verbrennen  dürfen;  denn 
dies  würde  keiner  erlaubt,  die  nicht  eine  Menge  Beweise  von  ihrer  Tugend  und  Liebe  gegen 
ihren  Mann  bei  der  Obrigkeit  vorgezeigt  hätte.* 

Die  Hindu  sind  aber  nicht  das  einzige  Volk,  bei  welchem  sich  die  Wittwen- 
verbrennung  vorfindet.     Katscher  sagt: 

„Vier  Stämme  der  wilden  Ureinwohner  der  chinesischen  Insel  Hain  an  verbrennen 
ihre  Todten,  nachdem  sie  sie  vorher  entweder  mit  seidenen  Leichentüchern,  oder  mit  Pferde-, 
Kuh-,  Ziegen-  oder  Schaf  häuten  bedeckt  haben.  Auch  huldigen  diese  Stämme  dem  indischen 
Principe  des  Suttiismus,  d.  h.  die  Wittwen  werden  lebendig  gemeinsam  mit  ihren  verstorbenen 
Ehegatten  verbrannt' 

Nach  Doölittle  pflegen  in  China  sich  die  Wittwen  auch  noch  auf  andere 
Weise  den  Tod  zu  geben,  um  ihre  Trauer  gegen  ihren  Gatten  öflFentlich  zu  be- 
weisen. Wir  werden  später  von  diesem  Gebrauche  noch  ausführlich  zu  be- 
richten haben. 

Von  den  Wenden  sagte  der  heilige  Bonifacius: 

«Sie  bewahren  die  eheliche  Liebe  mit  so  ungeheurem  Eifer,  dass  die  Frau  sich 
weigert,  ihren  Gatten  zu  überleben;  und  die  gilt  unter  den  Frauen  für  bewunderungswürdig, 
welche  sich  eigenhändig  den  Tod  giebt,  um  auf  einem  Holzstoss  mit  ihrem  Gebieter  zu 
verbrennen/ 

Auch  in  der  nordischen  Sage  spielt  die  Wittwenverbrennung  schon  eine 
Bolle.  Nanna  wird  mit  Baidur  verbrannt,  Brünhild  ordnet  an,  dass  sie  mit 
Sigurd  verbrannt  werde,  und  der  Grudrun  wird  es  zum  Vorwurf  gemacht,  dass 
sie  ihren  Gemahl  überlebte. 

Es  heisst  in  der  Edda: 

Schicklicher  stiege 
Unsere  Schwester  Gudruyi 
Heut  auf  den  Holzstoss 
Mit  dem  Herrn  und  Gemahl, 
Gäben  ihr  gute 
Geister  den  Rath, 
Oder  besässe  sie 
Unseren  Sinn. 

Von  der  Tödtung  der  Wittwen  erzählt  übrigens  bereits  Herodot  als  .von 
einer  bei  den  Thraciern  herrschenden  Sitte: 

„Diejenigen  aber,  welche  über  den  Erestonäern  wohnen,  thun  Folgendes:  Ein  Jeder 
hat  viele  Weiber;  ist  nun  einer  von  ihnen  gestorben,  so  entsteht  ein  grosser  Streit  unter  den 
Weibern,  und  die  Freunde  ereifern  sich  gewaltig  darüber,  welche  von  denselben  am  meisten 
von  dem  Manne  geliebt  wurde.  Diejenige  nun,  welcher  diese  Ehre  zuerkannt  worden  ist, 
wird  von  Männern  und  Weibern  gepriesen,  über  dem  Grabe  von  ihren  nächsten  Verwandten 
abgeschlachtet,  und  wenn  sie  geschlachtet  ist,  zugleich  mit  ihrem  Manne  begraben;  die  übrigen 
Weiber  dagegen  nehmen  es  sich  als  ein  grosses  Leid,  weil  dies  bei  ihnen  für  den  grOssten 
Schimpf  angesehen  wird.*^ 

Herodot  berichtet  auch  von  den  Skythen,  dass  wenigstens  bei  dem  Tode 
eines  Königs  dessen  Eebsweiber  abgeschlachtet  und  mit  ihm  begraben  wurden. 
Nach  Stephanus  von  Byzanz  und  Pomponius  Mda  hatten  die  Geten,  nach 
Procopius  die  U eruier  und  nach  Pausanias  sogar  stellenweise  auch  die 
Hellenen  die  Sitte  der  WittwentSdtung.  Die  Frauen  der  im  Kriege  gefallenen 
Lithauer  erhängten  sich. 

Auf  Neu-Seeland  gab  man  früher  bei  dem  Tode  eines  Häuptlings 
dessen  vornehmstem  Weibe  einen  Strick,  damit  sie  sich  mit  diesem  im  Walde 
erhängen  sollte. 

Den  Salomons-Insulanerinnen  muthet  man  aber  nicht  zu,  dass  sie  diese 
unbequeme  Procedur  selber  an  sich  vornehmen  sollen.     Eckardt  berichtet  hierüber: 


446.  Die  Wittwentödtung.  523 

, Stirbt  auf  den  Salomo -Inseln  ein  Häuptling,  so  werden  seine  Frauen  getödtet,  d.h. 
fltrangulirt;  es  würde  ftlr  sie  und  das  Gedächtniss  des  Verstorbenen  eine  Schande  sein,  etwa 
sp&ter  Männer  aus  niederen  Ständen  zu  heirathen.  Dieses  Stranguliren  geschieht  meistens 
während  des  Schlafes.  Häufig  enden  so  auch  die  Frauen  oder  nächsten  Angehörigen  des 
gemeinen  Mannes.  Wie  im  Leben,  muss  er  auch  im  Tode  von  Liebenden  umgeben  sein.  Die 
Mehrzahl  dieser  unglücklichen  sieht  es  als  Pflicht  an,  dem  Verstorbenen  sofort  zu  folgen; 
sie  betäuben  sich  durch  gewisse  Pflanzensäfte  und  erhängen  sich  dann  in  der  Nähe  ihres 
Gemahles. '^ 

Angeblich  sollen  auf  Anaiteum  die  Frauen  schon  von  der  Hochzeit  an 
den  Strick  um  den  Hals  tragen,  mit  dem  sie  sich  nach  ihres  Gatten  Tode  er- 
hängen werden. 

Auch  bei  den  Viti-Insulanern  bestand  bis  noch  vor  kurzer  Zeit  der 
Brauch,  bei  dem  Tode  eines  angesehenen  Mannes  dessen  Frauen  zu  erwürgen. 
Die  Leichen  derselben  wurden  dann,  wie  zu  einem  Feste  gesalbt,  mit  neuen 
Franzengiirteln  bekleidet,  der  Eopf  geputzt  und  verziert,  Gesicht  und  Basen  mit 
Sailach  und  Gelbwurz  gepudert,  dem  verstorbenen  Krieger  an  die  Seite  gelegt. 
Als  Ra-Mbiti^  der  Stolz  von  Somosomo,  auf  dem  Meere  untergegangen  war, 
wurden  siebzehn  von  seinen  Frauen  getödtet;  und  nach  den  Nachrichten  über  das 
Blutbad  unter  der  Bevölkerung  von  N  a  m  e  n  a  im  Jahre  1839  wurden  achtzig 
Frauen  erwürgt,  um  die  Geister  ihrer  ermordeten  Gatten  zu  begleiten.    (Tylor7) 

Auch  bei  den  B  a  s  u  t  h  o  werden  nach  Joest,  nachdem  die  Leiche  des  ver- 
storbenen Gatten  verscharrt  ist,  die  Wittwen  desselben  mit  Knütteln  auf  dem 
Grabe  todtgeschlagen. 

Nach  diesen  Auseinandersetzungen  werden  uns  nun  wohl  auch  die  soge- 
nannten Trauerverstümmelungen,  d.  h.  die  Sitte,  sich  als  Zeichen  der  Trauer 
blutige  Verletzungen  beizubringen,  wie  wir  sie  schon  oben  kennen  gelernt  haben, 
in  einem  anderen  Lichte  erscheinen.  Wir  werden  sie,  wenn  ich  so  sagen  soll, 
als  allegorische  Tödtungen  aufzufassen  haben.  Und  in  ganz  analoger  Weise 
begegnen  wir  auch  ganz  unverkennbaren  Beispielen  von  allegorischen  Wittwen- 
verbrennungen.  So  wird  nach  iJoss  Cox  bei  den  Tolkotin-Indianern  in  Ore- 
gon die  Leiche  neun  Tage  lang  ausgestellt  und  die  Wittwe  muss  neben  derselben 
schlafen.  Am  10.  Tage  wird  unter  feierlicher  Assistenz  der  Stammesgenossen  der 
Scheiterhaufen  entzündet.  Hat  die  Frau  sich  eine  Untreue  oder  eine  Vernach- 
lässigung im  Essen  und  in  der  Kleidung  gegen  den  Verstorbenen  zu  Schulden 
konmaen  lassen,  so  wird  sie  in  den  Scheiterhaufen  geworfen,  von  ihren  Freunden 
herausgezogen,  und  so  hin  und  her  gestossen,  bis  sie  versengt  und  angekohlt  die 
Besinnung  verliert. 

Nach  Tyhr  ist  beiden  Quacolth-Indianern  im  nordwestlichen  Amerika 
die  Wittwe  verpflichtet,  während  die  Leiche  des  Gatten  verbrannt  wird,  mit  dem 
Kopfe  neben  ihm  zu  ruhen.  Man  zog  sie  dann,  mehr  todt  als  lebendig,  aus 
den  Flammen,  und  wenn  sie  wieder  zu  sich  kam,  musste  sie  die  Ueberreste  ihres 
Mannes  sammeln  und,  wie  wir  das  ähnlich  ja  auch  schon  früher  gesehen  haben, 
drei  Jahre  lang  mit  sich  herumtragen.  Glaubten  die  Stammesgenossen,  dass  sie 
nicht  in  gehöriger  Weise  trauere,  so  hatten  sie  das  Recht,  sie  aus  deni  Stamme 
zu  Verstössen» 

Eine  wichtige  Bestätigung  für  meine  Ansicht,  dass  es  sich  hier  bei  diesen 
Gebräuchen  um  die  Reste  einer  wahren  Wittwenverbrennung  handelt,  liegt  in  der 
folgenden  Angabe,  welche  v.  Hesse- Wartegg  über  die  Babines-Indianer  in 
Britisch  Columbien  macht.     Er  sagt: 

„Es  sei  nur  der  eigenthflmliche ,  entschieden  aus  Ost- Asien  stammende  Brauch  (der 
Nord-West-Indianer)  der  Wittwenverbrennung  erwähnt,  den  noch  Paul  Kane  im  Jahre 
1858  auf  seiner  Reise  bei  den  Babines  vorfand,  der  jedoch  glücklicherweise  seither  abge- 
schafft wurde.  Aber  die  Verbrennung  der  Leichen  ist  noch  allgemein  gebräuchlich,  und  die 
Wittwe  des  Verstorbenen  muss  mit  den  Scheiterhaufen  besteigen  und  bei  der  Leiche  bleiben, 
bis  diese  in  Flammen  gehallt  ist.    Erst  dann  darf  sie  den  Scheiterhaufen  verlassen." 


624  LXXlI/Die  Wittwe- 

447.  HeiratliSTerbot,  Heirathszwang  nnd  Heirathserlaabniss  der  Wittwen« 

In  den  vorhergehenden  Abschnitten  haben  wir  bereits  mancherlei  Pflichten 
kennen  gelernt,  welchen  die  Wittwen  bei  verschiedenen  Völkern  sich  zu  unter- 
ziehen gezwungen  sind,  aber  auch  einzelne  Rechte,  welche  ihnen  zustehen,  haben 
wir  in  Erfahrung  gebracht.  Zwei  Arten  des  Rechtes  sind  es  ntui  aber  ganz  be- 
sonders, welche  für  das  ganze  fernere  Leben  der  Wittwe  von  der  allergrossten 
Bedeutung  sind,  das  ist  das  Erbrecht  und  das  Recht  der  Wiederverheira- 
thung.  Dieses  letztere  nun  sehen  wir  bei  einzelnen  Nationen  dem  armen  Weibe 
vollständig  verkümmert.  Die  Eifersucht  und  der  noch  nach  seinem  Tode  eigen- 
nützige und  missgünstige  Egoismus  des  Mannes  verfolgt  sie  bis  über  das  Grab 
hinaus.  Auch  nach  seinem  Tode  will  der  Mann  sein  Anrecht  und  seine  Herr- 
schaft über  das  arme  Weib  fortbestehen  wissen. 

So  ist  es  in  Indien  der  Wittwe,  welche  dem  Gatten  nicht  in  den  Tod 
gefolgt  ist,  auf  das  Strengste  verboten,  sich  wieder  zu  verheirathen.  Das  ver- 
bieten nicht  nur  die  Brahmanen  und  Radschputanas,  sondern  auch  alle  reli- 
giösen Kasten,  sogar  auch  die  Säuger  und  selbst  die  Bettler.  In  Bombay  mussten 
die  Behörden  die  Schliessung  einer  Mädchenschule  gestatten,  weil  die  Hauptlehrerin 
eine  wiederverheirathete  Wittwe  war. 

Der  Hindu  Mddhowdas  erklärt  es  für  sehr  begreiflich,  dass  eine  Wittwe 
dem  Tode  und  sogar  dem  durch  eigene  Hand  vor  dem  Wittwenstande  den  Vor- 
zug giebt, 

«denn  auch  Wittwen  sind  ja  menschliche  Wesen!  Weder  Bftcker  noch  Schl&chter  will 
ihr  etwas  liefern,  kein  Grundbesitzer  will  ihr  eine  Wohnung  überlassen,  kein  Kutscher  will 
sie  fahren;  wird  sie  krank,  so  will  ihr  kein  Arzt  beistehen;  wenn  sie  stirbt,  so  nimmt  keiner 
ihren  unreinen  Leichnam,  um  ihn  zu  verbrennen;  Niemand  will  mit  ihr  reden,  Niemand  blickt 
sie  an  und  ihre  Verfolgung  hat  niemals  ein  Ende.  Ihre  Kinder  sind  den  gleichen  Kränkungen 
ausgesetzt;  keine  Schule  nimmt  sie  auf,  kein  Priester  unterrichtet  sie."     (Ryder.) 

Durch  solche  Verhältnisse  wird  es  erklärlich,  dass  es  in  Indien,  wo  die 
Mädchen  bereits  in  kindlichem  Alter,  oft  mit  älteren  Männern,  verheirathet  werden, 
eine  ganz  erstaunliche  Menge  von  Wittwen  giebt.     Schlagintweit  sagt  darüber: 

,Nach  der  letzten  Volkszählung  vom  17.  Februar  1881  gab  es  in  Britisch-Indien 
991(4  Millionen  weibliche  Einwohner,  darunter  21  Millionen  Wittwen.  Das  fünfte  weibliche 
Wesen  ist  verwittwet;  ja,  berechnet  man  die  Zahlen  unter  Ausschluss  der  Mohamedaner, 
imter  denen  das  Missverhältniss  weniger  gross  ist,  aus  den  Hindus  allein,  so  ist  häufig  schon 
das  dritte  Mädchen  eine  Wittwe.  So  befinden  sich  in  der  Reichshanptstadt  Calcutta  unter 
98627  weiblichen  Einwohnern  sogar  42824  Wittwen.  Dabei  gehören  diese  den  Vorschriften 
für  Wittwen  unterworfenen  unglücklichen  Wesen  nicht  ausschliesslich  den  Erwachsenen  an. 
In  Calcutta  hatten  77  Wittwen  nicht  einmal  das  10.  Lebensjahr  erreicht,  846  trauerten  im 
jungfräulichen  Alter  von  10  bis  14  Jahren,  1100  waren  kurz  nach  ihrer  körperlichen  Ent- 
Wickelung,  zwischen  dem  15.  und  19.  Lebensjahre,  Wittwe  geworden. ** 

Auch  in  Korea  erwartet  man,  dass  eine  Wittwe  keine  neue  Ehe  schliesst 

Wenn  bei  den  Osseten  die  Leiche  des  Mannes  beerdigt  war,  dann  wurde 
die  Frau  und  das  Sattelpferd  des  Verstorbenen  dreimal  um  das  Grab  geführt. 
Das  Pferd  durfte  Niemand  wieder  besteigen  und  die  Wittwe  durfte  Niemand 
heirathen.     (Tylor.) 

Bei  den  alten  Peruanern  ging  eine  Wittwe,  die  Kinder  hatte,  niemals 
eine  neue  Ehe  ein.  Eine  Omaha-Indianerin,  die  ihren  Gatten  verloren  hat, 
darf  nur  dann  wieder  heirathen,  wenn  sie  noch  nicht  das  40.  Jahr  über- 
schritten hat. 

Bei  den  Süd-Slaven  betrachtet  man  nach  Krauss^  eine  zweite  Heirath 
einer  Wittwe  als  einen  Schimpf,  den  sie  ihrem  verstorbenen  Ehegatten  anthnt. 
Eine  Wittwe,  welche  Kinder  hat,  heirathet  bei  den  Kroaten  und  Serben  sehr 
selten  zum  zweiten  Male;  denn  sie  darf  ihre  Kinder  nicht  mit  in  die  zweite  Ehe 
nehmen,  und  diese  werden  nunmehr  als  vollkommene  Waisen  betrachtet.    „Nicht 


447.  Heirathsverbot,  Heirathszwang  und  Heiratbserlaabniss  der  Wittwen. 


525 


«inmal  eine  Hündin  laset  ihre  Jungen  im  Stich,  ^  ruft  man  ihr  zu,  und  im  Volks- 

liede  heisst  es  von  solcher  treulosen  Mutter: 

So  eine  hündische  Matter!    Gott  soll  sie  dafür  strafen! 
Ihre  Kinder  im  Hanse  des  Mannes  hat  sie  im  Stich  gelassen, 
Zog  zur  Verwandtschaft  zurück  und  ging  eine  neue  Ehe  ein. 

Ganz  ähnliche  Anschauungen  herrschten  im  Mittelalter  auch  in  dem  west- 
lichen Europa.     Huttmann  schreibt  darüber: 

«Ein  besonderer  Ausbruch  der  Rohheit  war  in  Frankreich  der  wilde  L&rm,  der  mit 
-dem  Ausdrucke  Larivari  oder  Charivari  bezeichnet  wird:  vor  dem  Hause  eines  Wittwers 
oder  einer  Wittwe,  die  sich  wieder  verheiratheten ,  trieben  die  Nachbarn  am  Polterabend 
zügellosen  beschimpfenden  Muthwillen  mit  Aneinanderschlagen  von  Kesseln,  Becken,  Pfannen 
und  frevelhaften  Unfug  bei  der  Trauung  in  den  Kirchen.  Daher  sind  viele  Verbote  der 
-Geistlichkeit  dagegen  ergangen,  in  Avignon,  Beziers,  Autun,  Treguier  in  der 
Bretajgne.* 


Fig.  391.    Charivari  bei  der  Wiederverheirathnng  einer  Wittwe. 
(Miniature  des  15.  Jahrhunderts  nach  P.  Lacroix,) 

Eine  derartige  Scene  ist  dargestellt  auf  einer  Miniature  des  15.  Jahrhunderts, 
welche  sich  in  dem  Roman  de  Fauvel  findet.  Fig.  391  führt  dieselbe  nach 
'einer  Copie  bei  TavH  Lacroix  vor.  Fauvel  oder  der  Fuchs  ist  an  das  Bett  der 
wiederverheiratheten  Wittwe  getreten,  der  man  den  Charivari  darbringt;  er  hält 
ihr  eine  Ermahnungsrede. 

Bei  vielen  Völkern  finden  wir  aber  den  ganz  entgegengesetzten  Gebrauch. 
Die  Wittwe  muss  wieder  heirathen,  ob  sie  will  oder  nicht,  und  zwar  steht 
das  Recht  der  Verehelichung  mit  ihr  gewöhnlich  einem  nahen  Verwandten  des 
Mannes  zu. 

Das  ist  z.  B.  nach  PanlUschkes  Angabe  bei  den  Harari  in  Ost-Afrika 
der  Fall. 


526  LXXn.  Die  Wittwe. 

Aach  in  dem  israelitischen  Gesetze  heisst  es  (5.  Mos.  25,  5): 

„Wenn  Brüder  bei  einander  wohnen,  und  einer  stirbt  ohne  Kinder,  so  soll  des  Ver- 
storbenen Weib  nicht  einen  fremden  Mann  draussen  nehmen,  sondern  ihr  Schwager  soll  sie 
beschlafen  und  zum  Weibe  nehmen  und  sie  ehelichen,  und  den  ersten  Sohn,  den  sie  ge- 
bieret,  soll  er  bestätigen  nach  dem  Namen  seines  verstorbenen  Bruders,  dass  sein  Name  nicht 
vertilget  werde  aus  Israel  u.  s.  w." 

Bekanntermaassen  wird  diese  Ehe  mit  der  verwittweten  Schwägerin  mit  dem 
Namen  Levirats-Ehe  bezeichnet  Wir  sehen,  dass  nach  dem  Wortlaute  des 
Gesetzes  diese  Levirats-Ehe  nur  bei  Kinderlosigkeit  der  Wittwe  zur  Ausführung 
kommen  soll. 

Ueber  diese  Levirats-Ehe  bei  den  modernen  Juden  in  Arabien  berichtet 
Niehuhr^  Folgendes: 

„Ich  erkundigte  mich  bei  einem  Juden  zu  Maskat  (Arabien),  dessen  Familie  über 
100  Jahre  in  Oman  gewohnt  hatte,  ob  die  dasigen  Juden  verpflichtet  wären,  ihres  ver- 
storbenen Bruders  Frau  zu  heirathen.  Er  antwortete  mir:  Wenn  der  älteste  von  mehreren 
Brüdern  ohne  Kinder  verstürbe,  so  müsse  der  auf  ihn  folgende  Bruder,  auch  wenn  er  schon 
verheirathet  wäre,  die  Wittwe,  wenn  sie  es  verlangte,  nehmen.  Doch  stehet  es  der  Wittwe 
auch  frei,  die  Familie  ihres  verstorbenen  Mannes  zu  verlassen  und  ihr  Glück  anderwärts  zu 
suchen.  Zu  Häleb  soll  der  Fall  fast  alle  zwei  oder  drei  Jahre  vorkommen,  dass  solche 
Wittwen  die  Brüder  ihrer  verstorbenen  Männer  vor  den  Rabbi  fähren,  wenn  sie  sich  nicht 
freiwillig  bequemen  wollen.  Sie  werden  dann  nach  dem  Gesetze  Mosis  dazu  genöthigt  oder 
bestraft.    Umständlichere  Nachrichten  konnte  ich  von  den  Juden  nicht  erhalten.' 

Bei  den  Ahyssiniern  gilt  es  aber  als  Vorschrift,  dass  nach  dem  Tode 
des  Mannes  dessen  Bruder  unter  allen  Umständen  die  Wittwe  heirathen  muss. 
{Hartmanr*}^) 

Bei  den  Wapokomo  am  Tana  in  Ost-Afrika  geht  die  Wittwe  mit 
ihren  Kindern  in  den  Besitz  des  Schwagers  über.  Dem  Bruder  eines  verstorbenen 
Wolo  ff -Negers  steht  das  Recht  zu,  dessen  Wittwe  zur  Frau  zu  nehmen, 
ohne  dass  er  jedoch  hierzu  verpflichtet  wäre.  Das  Gleiche  gilt  von  den  Af- 
ghanen. 

Ueber  die  Perser  schrieb  Folak  an  Fhss: 

„Die  Levirats-Ehe  ist  in  Persien  nicht  gesetzlich  obligat,  sondern  nur  anständig  und 
löblich.  Daher  ist  es  allgemeine  Sitte,  dass  nach  dem  Tode  des  Bruders,  ob  kinderlos,  ob 
nicht,  die  Wittwe  vom  Bruder  angeheirathet  wird,  wo  dann  die  Kinder  als  eigene  betrachtet 
werden." 

Vamhery  sagt  über  ähnliche  Gebräuche  bei  dem  Türkenvolke: 

.Auch  dünkt  uns  die  Annahme,  dass  die  tschuwaschische  Sitte,  nach  welcher  der 
jüngere  Bruder  die  verwittwete  Frau  seines  älteren  Bruders  heirathen  muss,  mit  dem  Chalitza 
des  jüdischen  Gesetzes  identisch  und  durch  khazarische  Vermittelung  zu  den  Tschu- 
waschen gelangt  sei,  nicht  ganz  stichhaltig,  weil  sich  eine  ähnliche  Sitte  auch  bei  anderen 
Türken  vorfindet,  namentlich  bei  den  Eara-Ealpaken  und  Turkomanen,  wo  nicht 
nur  die  Frau,  sondern  auch  sämmtliche  Sclavinnen  des  verstorbenen  Bruders  an  den  jüngeren 
Bruder  übergehen,  eine  Sitte,  die  unter  dem  Namen  dschisir  bekannt  ist,  und  ohne  von  der 
Religion  vorgeschrieben  und  gebilligt  zu  sein,  bei  den  türkischen  Nomaden  allüberall 
geübt  wird." 

Bei  den  Paharia  aus  Nepal  gehen  nach  Mantegazza  die  Wittwen  auf  die 
Brüder,  die  Vettern  oder  die  Neffen  des  verstorbenen  Ehemannes  über,  sie  dürfen 
aber  auch,  wenn  sie  wollen,  in  das  Elternhaus  zurückkehren,  und  es  ist  ihnen 
sogar  erlaubt,  sich  wieder  zu  verheirathen. 

Ebenso  ist  es  auch  nach  Fawcett  bei  den  Sawaras  in  Indien. 

Stirbt  auf  den  Aaru- Inseln  ein  Mann,  so  tritt  sein  Bruder  in  seine  Rechte, 
d.  h.  er  heirathet  seine  Schwägerin.  Verzichtet  derselbe  aber  auf  sein  Recht, 
kann  die  Wittwe  sich  mit  irgend  Jemandem  verheirathen,  ihr  Schwager  be- 
konunt  dann  den  Brautpreis,  welcher  nicht  viel  niedriger  als  der  zuerst  bezahlte 
war.    (Ribbe.) 


447.  Heirathsverbot,  Heirathszwang  und  Heirathserlaubniss  der  Wittwen.  527 

Das  Rechtf  den  Bruder  des  yerstorbenen  Gatten  zu  heirathen,  steht  auch  der 
Wittwe  auf  Serang  zu,  während  an  einigen  Punkten  der  Tanembar-  und 
T im orlao -Inseln  sie  hierzu  sogar  verpflichtet  ist.  Und  zwar  muss  dieses  ein 
jüngerer  Bruder  des  Ehemannes  sein,  und  sie  muss  denselben  heirathen,  auch  wenn 
er  jünger  ist  als  sie.  Das  geschieht  aber  erst  nach  dem  Ablauf  der  Trauerzeit; 
ein  Brautschatz  wird  ihr  dabei  nicht  bezahlt.     (Riedel\) 

Auch  bei  den  Ghippeway-Indianefn  hat  nach  Mc  Kenney  der  Bruder 
des  Verstorbenen  das  Recht,  dessen  Wittwe  zu  heirathen.  Das  geschieht  am  Grabe 
ihres  Gatten  mit  einer  Ceremonie,  wobei  sie  über  dasselbe  hinschreitet.  Sie  ist 
dann  in  diesem  Falle  der  oben  beschriebenen  Trauer  enthoben. 

Eigenthümlich  ist  ein  altes  Gesetz  der  Araber,  welches  fordert,  dass  der 
Sohn  die  yerwittwete  Mutter  heirathet. 

Das  Gleiche  gilt  auf  Nias,  wo  oft  ein  Sohn  alle  seine  Stiefmütter  zur  Ehe 
nimmt,  wenn  sie  nicht  gerade  schwanger  sind.     (Modigliani.) 

Wenn  in  Korea  ein  Mann  zu  beweisen  im  Stande  ist,  dass  er  mit  einer 
Wittwe  geschlechtlichen  Umgang  gepflogen  hat,  so  hat  er  das  Recht,  dieselbe  als 
sein  Eigenthum  zu  beanspruchen.  Junge  Wittwen  aus  adligen  Familien  dürfen 
nicht  wieder  heirathen;  sie  werden  aber  meist  Concubineu.  Wollen  sie  jedoch 
wirklich  ein  enthaltsames  Leben  führen,  so  sind  sie  häufig  den  Gewaltthätigkeiten 
der  Männer  ausgesetzt;  es  kommt  sogar  vor,  dass  sie  von  gedungenen  Banditen 
weggeschleppt  werden.  Es  ist  daher  kein  Wunder,  dass  junge  Wittwen,  um  ihre 
Ehre  unbefleckt  zu  erhalten,  es  vorziehen,  ihrem  Ehegatten  in  den  Tod  zu  folgen, 
was  durch  Halsabschneiden  oder  Erstechen  geschieht. 

Eine  ganze  Reihe  von  Völkern  ist  aber  auch  tolerant  genug,  der  Wittwe 
eine  Wiederverehelichung  nach  ihrer  eigenen  Wahl  zu  gestatten,  jedoch  darf  diese 
nicht  vor  dem  Ablaufe  einer  bestimmten  Trauerzeit  stattfinden.  In  Deutschland 
wartet  die  Wittwe  ja  bekanntlich  mit  diesem  Schritte  ,ein  züchtig  Jahr''.  Ein 
Jahr  ist  auch  die  hierfür  festgesetzte  Minimalirist  bei  den  Chippeways  (Mahan\ 
bei  den  Sambos  und  Mosquitos  (Bancroff)  und  bei  den  Chiriguanos-Indianern. 
Hat  bei  den  letzteren  die  Wittwe  Kinder,  so  überlässt  sie  bei  der  Wiederver- 
heirathung  die  Knaben  den  Verwandten  ihres  verstorbenen  Gatten,  die  Töchter 
aber  pflegt  der  neue  Bewerber  später  ebenfalls,  bisweilen  sogar  gleichzeitig  mit 
der  Mutter  zu  heirathen.     (Thouar.) 

Crevaux^  schildert  die  Todtenfeier,  welche  bei  den  Guahibos  von  Vi- 
charda  in  Süd-Amerika  ein  Jahr  nach  dem  Dahinscheiden  eines  Häuptlings 
stattfand.  Die  Wittwe  brachte  die  Sachen  des  Verstorbenen  herbei,  zeigte  weinend 
jedes  einzelne  Stück  und  dann  wurde  getanzt,  geflötet  und  getrunken.  Darauf 
wurde  in  der  Hütte  das  Grab  gegraben  und  hier  hinein  die  Reste  des  Ver- 
storbenen gesenkt: 

,Apr^  les  avoir  recouverts  de  terre,  on  met  la  veave  sur  la  tombe:  on  lui  anluve  un 
lambeau  d'^toffe  dont  eUe  B*e8t,  pour  la  circonstance,  recoaverte  la  poitrine.  Elle  se  tient  les 
mains  au-dessus  de  la  tSte.  Un  homme  s'avance  et  lui  frappe  les  seins  ä  coaps  de  verge. 
G'est  le  future  mari.  Les  autres  hommes  lui  donnent  des  coups  sur  les  ^paules.  Elle  re9oit 
cette  flagellation  sans  se  plaindre.  Le  novio  (fianc^)  re9oit  ä  son  tour  les  coups  de  verge, 
les  mains  jointes  au-dessus  de  la  igte  et  sans  se  plaindre.  Apräs  cette  c^r^monie,  ils  placent 
une  auire  fenime  sur  la  tombe  et  lui  traversent  T^xtremit^  de  la  langue  avec  un  os.  Le 
sang  coule  sur  sa  poitrine  et  un  sorcier  lui  barbouille  les  seins  avec  ce  sang.  On  lui  donne 
ä  boire  et  le  bal  recommence." 

Dieses  Peitschen  haben  wir  wohl  als  eine  Art  von  Sühne  aufzufassen,  welche 
den  etwaigen  Zorn  des  verstorbenen  Gatten  besänftigen  soll. 

Ein  Sühne-Opfer  etwas  anderer  Art  finden  wir  nach  Herrmann  bei  den 
Wander-Zigeunern  der  Balkan-HalbinseL  Wenn  hier  eine  Wittwe  wieder 
heirathen  will,  so  vergräbt  sie  kurz  vorher  in  den  Grabhügel  ihres  Gatten  etwas 
von  ihrem  Menstrualblute,  sowie  von  ihren  abgeschnittenen  Haaren  und  Nägeln. 
Wahrscheinlich  giebt  sie  ihm  also  todte  Theile,   die  ihm  andeuten,  dass  sie  nun 


528  LXXII.  Die  Wittwe. 

selber  für  ihn  gestorben  ist,  während  das  noch  lebend  Zurfickgebliebene  nun 
Eigenthum  des  Neuvermählten  wird. 

Den  Wunsch  der  Wittwe,  bald  wieder  einen  Lebensgefährten  zu  finden, 
drückt  das  folgende  in  Albanien  gebräuchliche  Sprüchwort  aus: 

Die  Nacht  des  heiligen  Andreas  (December)  ist  (unbeständig)  wie  der  Sinn  der  yer- 
wittweten  Frau.    fv.  Hahn,) 

Auch  die  Finnen  haben  die  üeberzeugung,  dass  es  einer  grossen  Zahl 
ihrer  Wittwen  mit  dem  Wittwenthum  nicht  völlig  ernst  ist.  Mehrere  ihrer 
Dichtungen  geben  uns  hierfbr  den  Beweis  (ÄUmann): 

«Besser  einem  schlimmen  Manne 
Sich  verbinden,  denn  als  Wittwe 
Einsam  jeden  Tag  verleben, 
Einsam  jede  Nacht  verbringen.* 

Und  noch  deutlicher  wird  das  Bestreben  der  Wittwe,  einen  anderen  Gatten 
2U  erwerben,  in  dem  folgenden  Verse  zum  Ausdruck  gebracht: 

,  Zierlich  ist  der  Gang  der  Wittwe, 
L&chelnd  sind  der  Wittwe  Lippen, 
Golden  tönt  der  Wittwe  Stimme, 
Will  sie  einen  zweiten  Freier 
Fangen,  oder  einen  dritten.' 

Wenn  bei  den  Serben  eine  Wittwe  sich  wieder  verheirathen  will,  so  nimmt 
sie  Erde  von  dem  Grabe  ihres  ersten  Mannes  und  wirft  sie  unversehens  über 
jenen,  den  sie  sich  zum  zweiten  Gatten  wünscht.     {Krams.) 

Bei  den  Omaha  und  einigen  anderen  Indianern  Nord-Amerikas  darf 
die  Wittwe  nach  frühestens  4  bis  7  Jahren  eine  neue  Ehe  eingehen,  während  die 
Wittwe  der  Ghoctaw-Indianer  schon  nach  4  Monaten  wieder  heirathen  darf. 

Wenn  bei  den  Afghanen  eine  Wittwe  sich  von  Neuem  verehelicht  und 
zwar  mit  einem  Fremden  und  nicht  mit  dem  Bruder  ihres  verstorbenen  Gatten, 
so  ist  der  zweite  Gemahl  gezwungen,  den  Eltern  des  ersten  Mannes  einen  Kauf- 
preis zu  erlegen. 

Von  den  Chinesen  berichtet  Katscher: 

«Es  gehört  keineswegs  zum  guten  Ton,  dass  Wittwen  sich  wieder  yerheirathen,  und  in 
den  besseren  Kreisen  tritt  dieser  Fall  vielleicht  nie  ein.  Eine  Dame  von  Rang  würde  sich 
durch  das  Eingehen  einer  zweiten  Ehe  einer  Strafe  von  achtzig  Stockhieben  aussetzen.  In 
den  niedrigeren  Schichten  der  Gesellschaft  jedoch  yorm&hlen  sich  sehr  viele  Wittwen  ein 
zweites  Mal.  Der  Grund  ist  in  der  Regel  ihre  Armuth.  Für  Wittwen  vom  Lande  giebt  es 
in  grossen  Städten  ünterkunftsanstalten,  die  in  der  Regel  einer  Heirathsvermittlerin  gehören. 
Heirathet  eine  Wittwe,  so  pflegt  ein  Bruder  ihres  ersten  Gatten  ihre  Kinder  zu  sich  zu 
nehmen  und  zu  adoptiren.  Die  Kinder  aus  ihrer  zweiten  Ehe  werden  oft  als  Sprösslinge 
einer  Buhlerin  betrachtet.* 

448.  Die  Wittwenrechte. 

Wenn  ich  von  den  Rechten  sprechen  will,  welche  den  Wittwen  zustehen, 
so  liegt  es  mir  fern,  hier  eine  Reihe  von  Gesetzesparagraphen  zusammenzubringen. 
Es  sollen  vielmehr  nur  vereinzelte  Andeutungen  gemacht  werden  über  die  Stellung, 
welche  die  Wittwen  nun  in  ihrem  ferneren  Leben  einnehmen.  Auf  Leti,  Moa 
und  Lakor  werden  die  Wittwen  gut  und  wohlwollend  behandelt,  ebenso  auf 
Serang,  wo  man,  wenn  sie  alt  und  ohne  Mittel  sind,  sie  mit  allem  Nöthigen 
bereitwillig  versieht.  Bei  den  Ambon-  und  TJ Hase- Insulanern  stehen  die 
Wittwen,  wenn  sie  viele  Kinder  haben,  sogar  in  hohem  Ansehen.  Im  Serang- 
lao-  und  dem  Gorong- Archipel,  auf  Tanembar  und  den  Timorlao-Insdn 
wie  auf  Djailolo  und  Halmahera  (Niederländisch  Indien)  werden  die 
Wittwen  von   den  Blutsverwandten  des  Mannes  unterhalten.     Auf  den   Luang-, 


448.  Die  Wittwenrechte.  529 

Sermata-  und  B ab ar- Inseln  m&ssen  sie  aber  allein  f&r  ihren  Lebensunterhalt 
sorgen.     {Riedel\) 

Von  Neu-Galedonien  berichtet  Moncelon: 

,Le8  yenves  restent  ä  la  tribu,  qaasd  elles  7  ont  du  bien  et  de  la  famille;  Bans  qnoi 
elles  retoument  k  lear  yillage  natal.  EUes  restent  ordinairement  &  la  tribu  du  mari  et  donnent 
leurs  Services  ä  ceuz  qui  lear  fournissent  la  nourriture.' 

Stirbt  in  Persien  ein  Familienvater,  so  gilt  als  selbstverständlich,  dass  die 
Wittwen  und  Waisen  in  das  Haus  seines  Bruders  übersiedeln  und  dort  Unterhalt 
und  Pflege  erhalten.  Auch  die  Wittwe  bei  den  Ghippeway-Indianern  darf 
ohne  Weiteres  das  Haus  ihres  Schwagers  beziehen,  und  dieser  ist  yerpflichtet,  f&r 
ihren  Unterhalt  zu  sorgen.    {McKenney.) 

Wenn  bei  den  alten  Deutschen  der  Ehemann  den  festgesetzten  Brautpreis 
nicht  erlegt  hatte,  so  fiel  nach  seinem  Tode  das  Eigenthumsrecht  über  seine 
Wittwe,  das  mundium,  ihrem  Vater  oder  dessen  Schwertmagen  zu.     {Grifnm\) 

Bei  den  heutigen  Serben  und  Kroaten  hat  nach  Kraass  die  Wittwe  das 
Recht,  ohne  Bücksicht  darauf,  ob  ihre  Ehe  mit  Kindern  gesegnet  war  oder  nicht, 
im  Hause  ihres  Mannes  zu  verbleiben.  Nur  junge,  kinderlose  Wittwen  kehren 
zuweilen  in  ihr  Elternhaus  zurück.  Man  sieht  dies  aber  mit  scheelen  Augen  an. 
Es  gilt  als  Schande,  und  es  hängt  von  dem  guten  Willen  der  Leute  in  dem  Stamm- 
hause ab,  ob  sie  die  Verwittwete  wieder  aufnehmen  wollen.  Die  letztere  sehnt 
sich  auch  keineswegs,  in  das  Elternhaus  zurückzukehren,  besonders  wenn  die  Eltern 
verstorben  sind.    Das  Sprüchwort  sagt: 

«Wehe  der  Schwester,  die  anf  die  Knochen  des  Bruders  angewiesen  ist." 

Nach  Valenta  übernehmen  bei  den  serbischen  Wöchnerinnen  meistentheils 
Wittwen  die  Pflege,  ähnlich  wie  in  der  alten  christlichen  Zeit  ihnen  der  wesent- 
lichste Theil  der  weiblichen  Diaconie  zufiel.  Bei  den  Japanern  und  auch  in 
Persien  sahen  wir  die  Wittwen  in  vielen  Fällen  als  Hebammen  fungiren.  In 
Bussland  hat  man  für  die  Wittwe  die  Bezeichnung  Tschemitza,  das  heisst  eigent- 
lich Nonne,  bedeutet  aber  auch  ein  in  der  Welt  alleinstehendes  und  ein  Gott 
geweihtes  Leben  führendes  Frauenzimmer.  Daher  fallen  auch  alte  Jungfern  und 
eheverlassene  Frauen  unter  diesen  Begriff.  Diese  Klasse  der  Bevölkerung  ist  durch 
stilles  Leben,  Fleiss  und  Thätigkeit  ausgezeichnet  und  sorgt  meistentheils  selber 
für  ihren  Lebensunterhalt. 

Ganz  besonders  ungünstig  ist  eine  Wittwe  in  Indien  gestellt: 

,War  sie  als  Hausmatter  Gebieterin  über  die  Kinder  und  olle  weiblichen  Insassen  im 
Haushalte,  so  wird  sie  jetzt  bis  zur  Ueberbürdnng  mit  den  unsaubersten  h&nslichen  Arbeiten 
beladen,  dabei  werden  solche  Dienste  nicht  erbeten,  sondern  man  befiehlt  sie  in  die  Küche, 
zum  Kehren  der  Hausflur,  zur  Wartung  der  Kinder;  sie  soll  das  Brod  verdienen,  was  sie  ver- 
zehrt. Da  sie  als  Wittwe  keinerlei  Schmuck  zu  tragen  berechtigt  ist,  so  findet  sich  schnell 
ein  liebevoller  Verwandter,  der  sich  erbietet,  ihr  ihre  Preciosen  aufzuheben,  und  sie  in  seinem 
eigenen  Interesse  verwerthet.  Das  Qesetz,  nach  dem  das  gesammte  VermOgen  des  Mannes 
an  die  Wittwe  fällt,  suchte  man  lange  Zeit  so  auszulegön,  dass  ihr  höchstens  der  Niess- 
brauch  desselben  zustehe.  Auch  suchte  man  sie  um  diesen  noch  zu  betrügen,  indem  man 
durch  falsche  Zeugen  beschwören  liess,  dass  sie  ihrem  Manne  die  Ehe  gebrochen  habe,  wohl- 
verstanden nach  dessen  Tode.  Sie  ist  gezwungen,  ihm  die  eheliche  Treue  zu  halten  ihr 
ganzes  Leben  hindurch,  und  jede  Unkeuschheit  macht  sie  ihres  Erbrechtes  verlustig.  Eine 
Wittwe  mit  Vermögen  war  daher  nie  vor  einer  Anzeige  wegen  Unkeuschheit  sicher,  und 
mehr  als  die  Hälfte  aller  vorgebrachten  Thatsachen  wurden  durch  meineidige  Zeugen  er- 
härtet. Auch  das  ist  nun  durch  die  englisch-indischen  Gesetze  anders  geworden.' 
(Sehlagintweit.J 

Bei  den  Irokesen  und  Delawaren  erbt  eine  Wittwe  überhaupt  gar  nichts, 
da  die  Verwandten  des  verstorbenen  Ehemannes  Alles,  was  diesem  gehörte,  an  fremde 
Leute  vertheilen,  damit  sie  nicht  durch  den  steten  Anblick  der  Hinterlassenschaft 
an  den  Todten  erinnert  werden.  (Loskiel)  Auch  bei  den  Ostjaken  geht  die 
Wittwe  bei  der  Erbschaft  leer  aus.  {Castri.)    Hingegen  erhält  sie  bei  den  Ambon* 

Ploaa-Bartels.  Dm  Weib.    5.  Anfl.    II.  84 


530  LXXII.  Die  Wittwe. 

und  U Hase- Insulanern  die  freie  Verfügung  über  die  bewegliche  und  unbeweg- 
liche Habe.  Mit  ihrer  Zustimmung  können  aber  die  Waffen,  Fischereigeräthschaften 
und  Fahrzeuge  unter  die  Söhne  vertheilt  werden.  Der  Antheil  der  Töchter,  der 
Hausrath,  die  Gold-  und  Silbersachen  bleiben  in  ihrem  Gewahrsam.  Unyerheirathete 
Kinder  bleiben  bei  der  Mutter,  yerheirathete  haben  aber  überhaupt  kein  Anrecht 
mehr  an  die  Erbschaft,  jedoch  kann  sie  die  Mutter  an  dem  Ertrage  der  Pflanzungen 
Antheil  nehmen  lassen. 

Die  Patasima  auf  Serang  haben  den  Gebrauch,  das»  die  Wittwe  mit  den 
Kindern  gemeinsam  den  Nachlass  benutzt,  ohne  dass  derselbe  vertheilt  wird.  Gbnz 
ähnlich  ist  es  bei  den  Patalima  auf  derselben  Insel;  jedoch  nehmen  yerheirathete 
Töchter,  für  welche  der  Brautschatz  richtig  gezahlt  worden  ist,  an  dem  Niess- 
brauche  nicht  Theil,  wohl  aber,  wenn  keine  Kinder  da  sind,  die  Verwandten  des 
Mannes.  Auch  heirathet  von  diesen  letzteren  nicht  selten  einer  die  Wittwe,  da- 
mit der  Besitz  nicht  in  fremde  Hände  übergeht.  Auf  den  Tanembar-  und 
Timorlao-Inseln  erbt  die  Wittwe  Alles  und  hat  gleichzeitig  die  Vormundschaft 
über  die  unmündigen  Kinder;  auf  den  Luang-  und  Sermata-Inseln  erbt  sie  ge- 
meinsam mit  den  Kindern.  Wenn  sie  aber  wieder  heirathet,  so  gehen  ihre  An- 
sprüche auf  den  ältesten  Sohn  über.  Das  letztere  gilt  auch  für  die  Insel  Eetar. 
Wenn  auf  den  Seranglao-  und  Gorong-Inseln  die  Wittwe  eine  zweite  Ehe 
einzugehen  verlangt,  so  muss  der  Nachlass  vertheilt  werden;  wenn  sie  aber  bereits 
während  der  140  Tage  dauernden  Trauerzeit  heirathen  will,  dann  geht  sie  aller 
Erbschaftsrechte  verlustig.  Bei  den  Tanembar-  und  Timorlao-Insulanern  ver- 
bleibt der  Brautschatz,  wenn  die  Wittwe  sich  von  Neuem  verheirathet,  ihren 
Kindern,  und  der  zweite  Gatte  ist  verpflichtet,  ihren  Eltern  ein,  wenn  auch  nur 
geringes  Geschenk  zu  machen.  Da  auf  den  Keisar-Inseln  eine  Wittwe,  welche 
eine  neue  Ehe  eingeht,  alle  ihre  Erbansprüche  verliert,  so  bleiben  hier  die  meisten 
Wittwen  unverheirathet     (Riedel^) 

Auf  den  Gilbert-Inseln  haben  nach  Parkinson  die  Wittwen  die  Niess- 
nutzung  des  hinterlassenen  Vermögens,  bis  die  Ejnder  erwachsen  sind;  diese 
letzteren  sind  aber  die  Erben. 

Doolittle  macht  uns  mit  einem  besonderen  Ehrenrechte  bekannt,  das  den 
chinesischen  Wittwen  zusteht.    Er  sagt: 

.Ehrentafeln  und  Portale  werden  bisweilen  zam  Gedächtniss  tugendhafter  Wittwen 
errichtet,  welche  mit  kindlicher  Ergebenheit  den  Eltern  und  dem  Gatten  zugethan  waren. 
Diese  Tafeln  werden  aus  einem  feinen  schwarzen  Stein  oder  aus  gewöhnlichem  Granit  ge- 
fertigt und  ruhen  gewöhnlich  auf  vier  mehr  oder  weniger  sorgfältig  gearbeiteten  Pfosten  von 
15—20  FuBS  Höhe  und  einigen  horizontalen  Kreuzbalken,  ebenfalls  von  Stein.  Inschriften 
werden  bisweilen  auf  den  aufrechten  und  dem  Ereuzbalken  zum  Preise  der  Keuschheit  und 
der  kindlichen  Treue  eingegraben.  Nahe  der  Spitze  finden  sich  stets  zwei  chinesische 
Zeichen,  welche  bedeuten,  dass  dies  mit  kaiserlicher  Erlaubniss  errichtet  wurde.  Solche 
Portale  kosten  Ton  wenigen  Zehnem  bis  zu  mehreren  Hunderten  von  Dollars,  je  nach  ihrer 
Grösse,  ihrem  Material  und  ihrer  Feinheit.  Der  keuschen  und  kinderlosen  Wittwe  wird,  wenn 
sie  lebend  ihr  fünfzigstes  Jahr  erreicht  hat,  zu  ihrer  Ehre  eine  Tafel  errichtet,  vorausgesetzt^ 
dass  sie  einflussreiche  und  begüterte  Freunde  hat.  Nachdem  man  durch  die  besonderen 
Mandarinen  bei  dem  Kaiser  die  Anzeige  gemacht  und  die  Erlaubniss  erhalten  hat,  begleitet 
die  kaiserliche  Erlaubniss  eine  kleine  Qeldsumme,  um  bei  den  Kosten  fQr  Errichtung  der 
Tafel  mitzuhelfen.  Von  ihren  Freunden  und  Verwandten  erwartet  man,  dass  sie  dazu 
steaem,  was  ausser  der  kaiserlichen  Schenkung  zur  Errichtung  nöthig  ist.  Ist  das  Portal 
vollendet,  dann  gehen  einige  Mandarinen  niederen  Ranges  dahin,  um  ihre  Verehrung  zu  er- 
weisen, und  wenn  die  Vollendung  bei  Lebzeiten  der  Wittwe  Statt  hat,  deren  Erinnerung 
und  Beispiel  es  gewidmet  ist,  so  ist  es  Gebrauch,  dass  auch  sie  hingeht  und  ihm  ihre  Ver- 
ehrung erweist." 

«Die  Wittwen  und  die  keuschen  und  unverheiratheten  Mädchen,  welche  bei  dem  Tode 
ihres  Gatten  oder  Verlobten  Selbstmord  begingen,  werden  ebenfalls  in  Üebereinstimmung  mit 
den  Landesgebräuchen  auf  einer  Ehrentafel  verzeichnet,  wenn  sie  Freunde  und  Verwandte 
haben,  welche  willig  und  im  Stande  sind,  die  kaiserliche  Erlaubniss  zu  erlangen  und  die  zu 


448.  Die  Wittwenrechte. 


531 
In  Wirklichkeit 


der  kaiserlichen  Gabe  für  die  Errichtang  nothwendige  Summe  zuzuschiessen 
ist  aber  für  Wenige  solche  Gedächtnisstafel  errichtet.* 

Solch  einen  Wittwen-Ehrenbogen  führt  die  Fig.  392  vor.  Er  befindet  sich 
in  Peking. 

Der  Name  dieser  Ehrenportale  ist  in  China  Pai-Iu.  Auf  der  Insel 
Hainan,  wo  sie  nach  Georgetsch  ebenfalls  gebräuchlich  sind,  heissen  sie  Pai- 
fang.      In    Ningpo,    einem    berühmten    Seehafen    der    chinesischen    Provinz 


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Ph  .2 


51 

3S 


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60 


Tsche-kiang,  existirt  eine  lange  Strasse,  welche  ausschliesslich  aus  derartigen 
Bauwerken  besteht.  Sie  sind  sämmtHch  in  Stein  aufgeführt  und  von  reicher  und 
majestätischer  Architektur.  Ihre  Aussenseite  ist  mit  Skulpturen  von  grosser 
Schönheit  bedeckt. 

Ein  hartes  und  sehr  grausames  Loos  erwartet  nach  Danks  die  Wittwen  auf 
der  zu  Neu-Britannien  gehörigen  Insel  Duke  of  York.  Ein  Missionar  be- 
stätigte ihm,  dass  es  hier  Sitte  ist,  dass  die  Männer  die  Wittwen  beanspruchen.    Sie 

34* 


532  LXXU.  Die  Wittwe. 

werden  allgemeines  Eigenthum.  Danks  hält  es,  durch  gewichtige  Gründe  gestützt, 
ft&r  sehr  wahrscheinlich,  dass  der  gleiche  Gebrauch  auch  auf  der  grossen  Insel 
Neu-Britannien  in  Kraft  ist. 


449.  Das  Schein- Wittwenthnm. 

Als  oben  von  der  alten  Jungfer  gesprochen  wurde,  da  haben  wir  gesehen, 
dass  ihr  Loos  recht  oft  ein  wenig  beneidenswerthes  ist,  und  von  der  Yomehmen 
Russin  sagt  v.  Schweiger-Lerchenfeld^  wenn  sie  ein  gewisses  Alter  überschritten 
hat,  ohne  dass  sich  ein  Gatte  fand,  der  sie  heimgeführt  hätte,  so  ist  sie  in 
der  guten  Gesellschaft  formlich  geächtet  und  dem  Spotte  ihrer  Standesgenossen 
ausgesetzt. 

Dieser  Schande  zu  entgehen,  hat  man  einen  ganz  absonderlichen  Ausweg 
gewählt,  den  man  als  das  Schein-Wittwenthum  bezeichnen  kann.  Mit  dem- 
selben hat  es  folgende  Bewandtniss: 

,In  Russland,  der  Heimath  so  vieler  absonderlicher  Dinge,  besteht  denn  auch  eine 
Einrichtung,  die  man  nirgend  sonstwo  in  der  Welt  wiederfindet:  das  ledige  Wittwen- 
thnm. Mit  Bangen  sieht  das  Mädchen  seinen  Lebensfrühling  dem  Ende  sich  zuneigen.  Alle 
Versuche,  das  grosse  Loos  der  Ehe  zu  gewinnen,  hahen  fehlgeschlagen,  alle  Anziehungskünste 
das  Beharrungsvermögen  spröder  Männerherzen  nicht  zu  überwinden  vermocht.  In  der  Ge- 
sellschaft, in  der  sich  die  Unglückliche  bewegt,  macht  sich  bereits  die  Befürchtung  geltend, 
es  könnte  dem  armen  Geschöpfe  das  unerhörte  passiren,  eine  alte  Jungfer  zu  werden.  Da- 
gegen giebt  es  ein  Recept,  das  freilich  der  Betheiligten  kaum  Befriedigung  gewähren  dürfte, 
und  dieses  Recept  führt  zum  „ledigen  Wittwenthnm'*.  Eines  Tages  vernimmt  die  Gesell- 
schaft, Fräulein  habe  eine  Reise  oder  eine  Wallfahrt  ins  Ausland  angetreten.  Hat  die  Be- 
treffende Vermögen,  so  wird  sich  an  diese  fromme  Fahrt  wohl  auch  eine  kleine  Vergnügungs- 
reise schliessen,  die  dann,  mit  einem  vorübergehenden  Aufenthalte  in  Paris  oder  Nizza, 
Alles  in  Allem  zwei  oder  drei  Jahre  beanspruchen  wird.  Nach  Ablauf  dieser  Zeit  erscheint 
der  weibliche  Flüchtling  unversehens  wieder  in  Mitten  seiner  alten  Bekannten,  und  zwar 
weder  als  Mädchen,  noch  als  Frau,  sondern  als  Wittwe.  Wer  ihr  Mann  gewesen  und  welchen 
Schicksalsschlägen  sie  mittlerweile  ausgesetzt  war,  bildet  in  der  guten  Gesellschaft  Russ- 
lands  niemals  den  Gesprächsstoff,  wodurch  die  „ledige  Wittwe'*  der  Unannehmlichkeit,  die 
Wahrheit  eingestehen  zu  müssen,  in  allen  Fällen  entgeht.  Dass  in  den  betroffenen  Kreisen 
gerechte  Zweifel  über  das  Wittwenthum  der  Wallfahrerin  und  Vergnügungsreisenden  obwalten» 
braucht  wohl  nicht  erst  besonders  hervorgehoben  zu  werden.*' 


LXXIII.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  Fortpflanzungs- 
fähigkeit. 

450.  Die  Wechseljahre  des  Weibes.    (Das  Slimakterium.) 

Wenn  wir  die  Frage  aufwerfen,  bis  zu  welchem  Lebensalter  die  Fort- 
pfianzungsfahigkeit  des  Weibes  andauert,  so  müssen  wir  dieselbe  dahin  beant- 
worten, dass,  so  lange  bei  einer  Frau  die  Menstruation  in  regelmässiger  Weise 
wiederkehrt,  von  krankhaften  Veränderungen  selbstverständlich  abgesehen,  die 
Möglichkeit  einer  Befruchtung  nicht  ausgeschlossen  ist;  wenn  aber  ihre  monat- 
lichen Blutungen  aufgehört  haben,  dann  muss  man  sie  im  Allgemeinen  für  fort- 
pflanzungsunfahig  erldären.  Den  Zeitpunkt  in  dem  Leben  des  Weibes,  in  welchem 
die  Menstruation  ihr  Ende  erreicht,  bezeichnet  man  als  die  Wechseljahre  oder 
das  Klimakterium.  Dasselbe  tritt  in  einer  Reihe  von  Fällen  plötzlich  ein, 
d.  h.  diese  Frauen  haben  ihren  Monatsfluss  bisher  in  regelmässiger  Weise  gehabt, 
derselbe  bleibt  aber  bis  zu  dem  nächsten  Termine  aus  und  kehrt  nicht  mehr 
wieder.  Es  hat  aber  den  Anschein,  als  wenn  dieser  Modus  der  seltenere  wäre. 
Gewöhnlich  hat  vielmehr  das  Klimakterium  bestimmte  Vorboten:  die  bisher  regel- 
mässige Menstruation  wird  ohne  nachweisbare  Gründe  unregelmässig;  bald  macht 
sie  längere  Pausen,  bald  erscheint  sie  schon  nach  viel  kürzeren  Zwischenräumen 
wieder,  bald  ist  die  ausgeschiedene  Blutmenge  geringer,  gewöhnlich  aber  um 
Vieles  reichlicher  als  früher,  und  nachdem  diese  Unregelmässigkeiten  mehrere 
Monate  oder  selbst  einige  Jahre  lang  angedauert  haben,  tritt  die  definitive  Meno- 
pause ein.  Für  gewöhnlich  haben  die  Frauen  während  dieser  Periode  eine  ganze 
Reihe  von  Unbequemlichkeiten  und  abnormen  Sensationen  durchzumachen,  welche 
man  in  Kürze  als  Wallungen  zu  bezeichnen  pflegt. 

Man  darf  nun  aber  dieses  Aufhören  der  Fortpflanzungsfahigkeit  durchaus 
nicht  mit  einem  Aufhören  der  Begattungsfahigkeit  identificiren  wollen.  Denn 
diese  letztere,  verbunden  mit  dem  Geschlechtstriebe,  pflegt  das  Klimakterium  ge- 
wöhnlich noch  um  eine  ganz  erhebliche  Zeit  zu  überdauern,  und  dass  sie  bisweilen 
bis  in  das  sechste  Jahrzehnt  hineinreicht,  dafür  sind  wohlbeglaubigte  Beispiele 
bekannt  geworden. 

Wir  kehren  aber  wieder  zu  unserer  Frage  zurück:  wann  ist  nun  eigentlich 
der  Zeitpunkt  des  Klimakteriums  ?  Es  steht  darüber  noch  verhältnissmässig  ziemlich 
wenig  fest.  Nur  so  viel  hat  man  constatirt,  dass  bei  den  Gulturvölkem  dieser 
Termin  ein  sehr  schwankender  ist.  Ob  sich  das  aber  bei  den  Naturvölkern  in 
ganz  analoger  Weise  verhalt,  darüber  haben  die  bisherigen  Beobachtimgen  noch 
keine  Entscheidung  bringen  können.  «Li  dem  von  uns  bewohnten  Himmels- 
striche, sagt  Scanzoni^^  ist  es  das  45.  bis  48.  Lebensjahr,  in  welchem  in  der 
Regel  die  menstruale  Blutung  für  immer  versi^.*^    Der  alte  Busch  giebt  hierfür 


534  LXXIII.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  Fortpflanzungsfähigkeit. 

das  45.  bis  50.  Jahr,  während  der  Verfasser  von  den  Büchern  des  getreuen 
Eckarth  von  dem  50.  bis  53.  Jahre  spricht. 

,,Im  allgemeinen  lehrt  die  Erfahrung,  dass  Frauen,  bei  welchen  die  Menstruation  in 
sehr  früher  Jugend,  z.  B.  schon  im  10. — 11.  Lebensjahre,  auftritt,  gewöhnlich  auch  schon 
früher  als  Andere  in  die  klimakterische  Periode  treten,  so  dass  die  Menopause  schon  in  das 
40.— 42.  Jahr  f&Ut."    (Scanzon^J 

Dagegen  behaupten  wieder  andere  Beobachter  gerade  umgekehrt,  dass  Frauen, 
bei  denen  die  Menstruation  erst  spät  eintrat,  sehr  früh  das  Klimakterium  erreichen, 
während  sehr  frühzeitig  menstruirte  Weiber  ihre  Regel  bis  in  verhaltnissmässig 
späte  Lebensjahre  behalten. 

Gewisse  Beobachtungen  sprechen  dafür,  dass  in  den  niederen  Standen  die 
Menstruation  früher  versiegt,  als  in  den  höheren.  Das  glaubt  Krieger  behaupten 
zu  können  und  auch  Mayer  fand  für  Berlin  die  Menopause  von  fVauen  höherer 
Stände  mit  47,188  Jahren  und  von  Frauen  aus  den  niederen  Bevölkerungsschichten 
mit  46,976  J^ren,  woraus  also  ein  durchschnittlicher  unterschied  von  1  Monat 
und  28  Tagen  folgen  würde.  Hierbei  ist  daran  zu  erinnern,  dass  bei  jenen  die 
erste  Menstruation  um  etwa  1,31  Jahr  früher  erfolgt,  wie  bei  den  ärmeren  Standen. 

Für  St.  Petersburg  stellte  Weber  fest,  dass,  wenn  man  f&nQährige  Zeiträume  be- 
rechnete, auf  die  Jahre  30—36  =-  4,6  o/o,  35—40  —  14,0  o/o,  40—45  =  280,x),  45—50  —  41,4  o,V^ 
50 — 55  =»  12  o/o  kamen.  Im  Durchschnitt  war  das  45,5  Jahr  das  Mittel  f^r  die  Versiegung  der 
Menses;  das  Maximum  aller  Fälle  traf  auf  das  Jahr  45  mit  11,9%,  dann  50  mit  ll,50/o  und 
endlich  48  mit  11, 04 o/o.  Die  Masse  der  Menopausen  föllt  also  auf  die  Jahre  40 — 50  in 
St.  Petersburg. 

Mantegaeea  hat  f&r  Italien  interessante  Untersuchungen  angestellt,  bei 
welchen  er  die  drei  Hauptabtheilungen  des  Landes  für  sich  gesondert  in  Betrach- 
tung zog.  Es  zeigte  sich,  dass  in  Gesammt-ltalien  die  Cessation  procentisch  am  häufig- 
sten auf  die  Altersjahre  44—49  ftUt  (44  =  9,6  o/o,  45  =  9,7  o/o,  46  -  10,9  o/o,  47  =  8,00,0, 
48  »  9,40/0,  49  »  6,10/0).  Hier  macht  sich  nun  ein  klimatischer  Einflnss  bemerkbar:  In 
Nord-Italien  cessiren  die  Menses  procentisch  am  häufigsten  schon  in  den  Jahren  44,  45 
und  46  (13,80/o,  8,50/0  16,90/o),  in  Mittel-Italien  in  den  Jahren  45,  46  und  47  (9,60o, 
14,00/0,  18,00/o),  in  Süd-Italien  schiebt  sich  hingegen  die  Cessation  so  weit  hinaus,  dass  Ton 
dem  Jahre  45  an,  auf  welches  allerdings  das  Maximum  fällt,  eine  weit  grössere  Prooentzahl 
von  Fällen  als  in  Mittel-  und  Unter-Italien  auf  die  spätere  Zeit,  namentlich  auch  auf 
die  Altersperioden  von  50—60  Jahren  fäUt  (48  =  10,3 0/0,  49  =  7,3  0/0,  50  =  9,6 0/0,  51  «=4,70o, 
52  »  3,70/0,  53  =  3,30/0  u.  8.  w.)-  Das  wärmere  Klima  scheint  demnach  häufiger  die  Cessation 
der  Menses  hinauszuschieben. 

Die  Türkinnen  verlieren  nach  der  Angabe  Oppenheim^s  mit  30  Jahren 
ihre  Regel. 

Von  den  Frauen  in  Bosnien  und  der  Hercegovina  herichiet  Boskietcic^^ 
dass  sie  mit  35  Jahren,  Schübach  von  den  Mainotinnen,  dass  sie  schon  mit 
einigen  20  Jahren  wie  alte  Frauen  aussehen.  Die  Heirathen  pflegen  hier  sehr 
früh  geschlossen  zu  werden.  Auch  von  anderen  Volksstämmen  sahen  wir  bereits, 
dass  frühes  Eingehen  der  Ehe  von  schnellem  Altern  gefolgt  zu  sein  pflegt. 


451.  Die  Matrone  in  anthropologischer  Beziehung. 

In  dem  Leben  eines  jeglichen  Organismus  sind  wir  im  Stande,  drei  grosse 
Abtheilungen  zu  unterscheiden:  die  Zeit  des  Wachsens  und  der  Entwickdung, 
die  Zeit  der  Blüthe  und  die  Zeit  des  Verfalls.  Man  kann  diese  drei  Zeiten  auch 
als  die  Jugend,  die  Reife  und  das  Alter  des  Individuums  bezeichnen.  Das  Altern 
des  Weibes  nimmt  seinen  Anfang  zur  Zeit  des  Klimakteriums.  Wenn  bei  dem 
Weibe  »der  Wechsel  eintritt",  wie  die  Frauen  in  Nord- Deutschland  sich  aus- 
zudrücken pflegen,  dann  sind  die  Jahre  ihrer  Blüthe  vorüber,  sie  ist  zur  würdigen 
Matrone  geworden. 


Fig.  393.   Abyssinierin  im  Matronenalter. 
(Nach  Photographie.) 


536 


LXXIII.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  Fortpflanzangsfähigkeit. 


Dieser  wichtige  Abschnitt  in  dem  Leben  des  Weibes  leitet  sich  nicht  ein 
ohne  ganz  erhebliche  Umbildungen  in  ihrer  ganzen  äusseren  Erscheinung.  Dass 
dieselben  sowohl  in  Bezug  auf  den  Zeitpunkt  ihres  Eintretens  als  auch  in  Bezug 
auf  die  Grade  ihrer  Ausbildung  nicht  unerheblichen  Abstufungen  unterliegen,  das 
bedarf  kaum  noch  einer  besonderen  Betonung.  Kummer  und  Sorgen  oder  Wohl- 
leben und  behagliche  Existenz,  Kinderlosigkeit  oder  reicher  Kindersegen  bedingen 
in  diesen  noch  viel  zu  wenig  studirten  Zuständen  nicht  unerhebliche  Unterschiede. 
Es  machen  sich  nun  diese  Veränderungen  in  den  uns  hier  beschäftigenden 
Lebensjahren  an  sämmtlichen  Körperformen  des  Weibes  bemerkbar.  Dieselben 
sind  nicht  zum  kleinsten  Theile  bedingt  durch  eine  nicht  unbedeutende,  bisweilen 
sogar  durch  eine  ganz  erstaunliche  Zunahme  des  Fettpolsters  an  allen'  Theilen 
des  ganzen  Körpers.  Am  auffallendsten  erscheint  dadurch,  da  ja  die  Bekleidung 
das  Uebrige  verhüllt,  an  einer  solchen  Dame  das  Gesicht  verändert,  das  namentlich 

in  seiner  Wangengegend,  aber  auch  in 
der  unteren  Kinnregion  viel  massiger 
und  breiter  erscheint  als  bisher.  Man 
erkennt  aber  auch  ganz  deutlich,  dass 
die  Taille  gegen  früher  nicht  uner- 
heblich an  Umfang  zugenommen  hat 
und  dass  überhaupt  der  gesammte 
Mittelkörper,  und  ganz  besonders  die 
Hüften  und  die  Gesässregion  um 
Vieles  dicker  und  breiter  geworden 
sind.  So  ist  es  in  sehr  vielen  Fallen 
möglich,  schon  bei  dem  Anblick  von 
hinten  her,  wenn  künstliche  Auflagen 
das  Bild  nicht  verschleiern,  einen  un- 
geföhren  Rückschluss  auf  das  Lebens- 
alter der  betreffenden  Frau  zu  wagen. 
Der  Völksmund  hat  für  diesen  Fett- 
ansatz die  Bezeichnung  Matronen - 
speck  erfunden. 

Es  ist  ja  nun  allerdings  gerade 
das  Unterhautfett,  welches  oei  dem 
jugendlichen  weiblichen  Körper  den 
ganz  eigenthümlichen  Beiz  der  Formen 
verursacht  und  ihm  die  auf  das  Auge 
des  Mannes  so  angenehm  wirkenden  Rundungen  verleiht.  Man  könnte  nun  wohl 
versucht  sein  zu  glauben,  dass,  wenn  gegen  die  Jahre  des  Klimakteriums  hin  von 
Neuem  eine  Zunahme  des  Unterhautfettgewebes  sich  constatiren  lässt,  nun  auch 
in  ähnlicher  Weise,  wie  bei  dem  eben  aufgeblühten  Mädchen,  die  Rundungen  der 
Formen  sich  nachweisen  lassen  müssten.  Aber  wie  anders  wirkt  diese  reichlichere 
Fettansammlung  bei  der  Matrone!  Die  an  Gummi  erinnernde  Straffheit  and 
Elasticitäty  welche  uns  die  fettreichen  Theile  der  jungen  Mädchen  bieten,  sind 
vorüber;  die  die  einzelnen  Fettläppchen  zu  gleicher  Zeit  trennenden  und  stützenden 
Bindegewebszüge  sind  schlaff  und  leicht  dehnbar  geworden.  Das  ist  der  Gründe 
warum  die  Wirkung  der  Schwere,  der  in  der  Jugend  die  Elasticität  der  Gewebe 
einen  hinreichenden  Widerstand  entgegensetzt,  sich  in  so  übermässiger  Weise 
geltend  macht.  Dadurch  erhalten  sämmtliche  Körperregionen  in  ihren  Formen 
etwas  Verschobenes,  etwas  nach  abwärts  Gedrücktes  und  nach  den  Seiten  Hervor- 
quellendes. 

Betrachten  wir  in  erster  Linie  das  Gesicht,  wofür  das  Beispiel  einer  Maori- 
Frau  aus  Neu-Seeland  vorgeführt  werden  möge  (Fig  394),  so  erscheinen  die 
Wangen  gleichsam  herabgerutscht.     Während  sie   in   der  Zeit   der  Jugendfrische 


Fig.  394.    Maori-Frau  (Neu-Seeland)  im  Matronen- 
alter. 
(Nach  Photographie.) 


451.  Die  Matrone  in  anthropologischer  Beziehung. 


537 


schon  von  dem  unteren  Rande  der  Augenhöhle  an  ihre  Wölbung  beginnen  und 
ihre  grösste  Breite  ungefähr  in  der  Höhe  zwischen  dem  Munde  und  der  Nase 
haben,  so  fangt  nun  bei  der  älteren  Frau  die  Wangenwölbung  erst  an'  dem 
unteren  Rande  des  Jochbogens  an,  erleidet  aber  noch  entsprechend  der  Zahnreihe 


Fig.  395.    Deutsche  Fran  im  M  atronen  alt  ermit  Fettleibigkeit. 
(Nach  Photographie.) 

eine  seichte,  quere  Einfurchung,  welche  um  so  tiefer  und  breiter  ist,  je  mehr 
Backzähne  bereits  schadhaft  geworden  oder  verloren  sind,  und  erreicht  ihre  grösste 
Breite  in  der  seitlichen  Unterkieferregion,  der  sich  dann,  nur  wenig  vermittelt, 
die  starke  Fettauspolsterung  des  Bodens  der  Mundhöhle  als  sogenanntes  Doppel- 
kinn anschliesst. 


538 


LXXIIl.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  Fortpflanzungsfähigkeit. 


Durch  diese  Verschiebung  der  Wange  nach  unten  erscheint  die  Augenhöhle 
grösser  und  vertiefter,  nicht  selten  blau  oder  schwarzbläulich  schimmernd,  und 
gleichzeitig  werden  die  Weichtheile  von  dem  Nasenrücken  her,  welche  früher  flach 
und  sanft  in  die  obere  Wangenpartie  und  in  den  unteren  Äugenhöhlenrand  aus- 
liefen, jetzt  weiter  nach  abwärts  in  die  Wange  gezerrt  und  erscheinen  nun  jeder- 
seits  als  ein  schräg  von  der  Nase  her  nach  aussen  und  unten  strebender,  scharf 
abgegrenzter  Wulst.  Dadurch  erscheint  die  Nasen-Lippenfurche  breiter  und  tiefer 
als  bisher  und  reicht  auch  etwas  weiter  herab.  Die  Mundpartie  verliert  das 
Schwellende  der  Jugend;  die  Oberlippe  wird  abgeflacht  und  bekommt  dadurch 
etwas  Eckiges,  während  bei  der  Unterlippe  sich  die  Neigung  geltend  macht,  sich 
ein  klein  wenig  vorzustrecken  und  leicht  nach  aussen  umzuklappen.  Durch  di^se 
Veränderungen  wird  der  Mund  im  Ganzen  etwas  verbreitert. 

An  dem  äusseren  Augenwinkel  finden  sich  die  als  Gänsefüsschen  bezeich- 
neten kleinen  Querfaltchen  ein;  die  Haare  verlieren  hier  und  da  ihren  Farbstoff, 
werden  grau  und  fallen  auch  wohl  aus;  aber  eigentliche  Kahlköpfigkeit,  die  wir 
bei  den  Männern  des  gleichen  Alters  so  überaus  häufig  finden,  ist  bekannter- 
maassen  bei  dem  weiblichen  Geschlechte  sehr  selten. 

Während  die  Haare  nun  an  ihrem  Pigmente  eine  Ein- 
busse  erleiden,  nimmt  die  Haut  des  Gesichtes  hieran  be- 
trächtlich zu.  Gelbe  und  selbst  braune  Verfärbungen  treten 
an  der  Stirn  und  an  den  Schläfen  auf,  während  die  Wangen- 
beinregion und  die  Nasenspitze  nicht  selten  eine  eigen- 
thümliche  Röthe  annehmen,  welche  an  das  Kupferfarbene 
erinnern.  Wenn  ich  nun  noch  hinzufüge,  dass  sehr  häufig 
hier  und  da  im  Gesichte  warzenartige  Verdickungen  und 
vereinzelte  borstenähnliche  Haare  hervorsprossen,  dann  habe 
ich  wohl  Alles  geschildert,  was  für  das  Antlitz  einer  Frau 
in  den  Wechseljahren  als  charakteristisch  bezeichnet  zu 
werden  verdient.  An  unserer  Maori-Frau  (Fig.  394)  sind 
alle  die  besprochenen  Eigenthümlichkeiten  sehr  deutlich  zu 
erkennen. 

An  den  Extremitäten,  an  den  oberen  sowohl  als  auch 
an  den  unteren,  hat  durch  die  reichlichere  Fettablagerung 
natürlicher  Weise  ebenfalls  der  Umfang  zugenommen.  Aber 
auch  hier  wieder  macht  sich  der  Mangel  an  Elasticität 
geltend,  so  dass  bei  jeder  Lageveränderung  der  Gliedmaassen 
sich  die  natürlichen,  durch  die  Rundungen  der  Jugend  ver- 
wischten Trennungsfurchen  zwischen  den  einzelnen  Muskel- 
gruben deutlich  markiren.  Dadurch  erhalten  die  Glieder 
etwas  Plattes,  Breites,  an  die  Bewegungen  eines  zähen 
Teiges  Erinnerndes.  An  den  Beinen  sin<jl  gar  nicht  selten 
die  Venen  stark  erweitert  und  treten  als  bläulichrothe,  ver- 
ästelte Zeichnungen  oder  als  starke,  geschlängelte,  wurm- 
ähnliche Verdickungen,  als  sogenannte  Krampfadem,  aus  der 
Fläche  der  Haut  hervor.  Bei  dickeren  Personen  treten  an 
den  Beinen  durch  das  Unterhautfett  gebildete  Querwülste  auf,  wie  sie  die 
deutsche  Frau  in  Fig.  395  zeigt. 

Die  Brüste  bilden  in  vielen  Fällen  nur  noch  lange,  schlaffe  Hautduplikaturen, 
an  deren  unterster  Partie  die  Reste  der  Brustdrüse  als  eine  kleine  knollige  Ver- 
dickung erscheinen.  Die  Frau  von  den  Marianen-Inseln,  welche  Fig.  396  vor- 
führt, lässt  diese  Verhältnisse  gut  erkennen.  Aber  auch  selbst  wenn  die  Brüste  noch 
voll  und  fettreich  sind,  hängen  sie  mehr  oder  weniger  herab  und  geben  das  Bild 
eines  unvollständig  mit  Sand  gefüllten  Beutels,  d.  h.  sie  erscheinen  in  ihrer  oberen 
Abtheilung  flach,  während  sich  ihre  unterste  Partie  rundlich  und  nach  den  Seiten 


Fig.  396.    Aeltere  Frau  von 

den  Marianen-Inseln  mit 

hängenden  Brüsten. 

(Nach  Photographie.) 


451.  Die  Matrose  in  anthropologischer  Beziehung. 


539 


yerbreitemd  hervorwölbt.  In  manchen  Fällen  nimmt  das  Herabhängen  der  colos- 
salen  Brüste  ganz  gewaltige  Dimensionen  an,  und  nur  mit  einer  gewissen  An- 
strengung vermag  die  Frau  sie   in  die  Höhe  zu  halten.     (Fig.  397.)     Der  grosse 


4 


Fig.  397.    Abysainierinim  Matronenalter.    (Nach  Photographie.) 

knotige  Warzenhof  und  die  meist  ebenfalls  grosse  und  unförmige  Warze  thut 
das  Ihrige  dazu,  um  den  Anblick  zu  einem  wenig  erfreulichen  zu  machen.  Bei 
solchen  übergrossen  Brüsten  wird  die  Warze  aber  meist  nur  sichtbar,  wenn  man 
die  Brust   in   die  Hohe   hebt,   denn   das   nach   unten  gesunkene  Fettgewebe  der 


540 


LXXIII.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  Fortpflanzungsföhigkeit. 


Brust  drangt  den  Warzenhof  und  die  Brustwarze  nicht  nur  nach  unten,  sondern 
die  letzteren  werden  hierdurch  auch  noch  ein  wenig  gegen  den  Brustkorb  hin  umge- 
kippt Daher  sind  sie  bei  der  Betrachtung  der  Frau  von  vorne  her  nicht  zu  sehen. 
Der  Bauch ,  nicht  selten  durch  alte  Schwangerschaftsnarben  entstellt,  hat 
f&r  gewöhnlich  einen  besonders  reichlichen  Antheil  an  der  allgemeinen  Fett- 
zunahme erhalten.     In  Folge  dessen  wölbt  er  sich  stark  hervor  und  bildet,  wenn 

die  Frau  in  aufrechter  Stellung  sich  befindet, 
nach  unten  und  namentlich  nach  der  Leisten- 
gegend zu  wammenartige  Fettwülste.  Auch  um 
den  Nabel  herum  pflegen  meist  klumpige  Fett- 
massen sich  zu  markiren. 

Den  letzteren  Zustand  zeigt  das  Mincopie- 
Weib  von  den  Süd-Andamanen,  das  wir  in 
Fig.  398  kennen  lernen.  Hier  wölbt  sich  das 
Fett  um  die  Nabelgegend  derartig  hervor,  dass 
es  einen  Anblick  gewährt,  als  wenn  dem  Bauche 
noch  ein  zweiter  aufgesetzt  wäre.  Allerdings 
lässt  die  doppelte  Umgürtung  des  Körpers,  deren 
eine  um  die  unteren  Rippen,  die  andere  um  das 
Kreuzbein  und  die  Leisten  gelegt  ist,  den  Bauch 
noch  besonders  stark  hervortreten.  Auch  die 
starke  Fettablagerung  an  den  Oberschenkeln  und 
Hinterbacken  ist  an  dieser  Person  sehr  deutlich 
bemerkbar,  während  die  welken  Brüste  wie  ein 
Paar  grosse,  leere  Hauttaschen  tief  bis  über  die 
Herzgrube  herunterhängen. 

Der  Rücken  erscheint  in  dem  Matronenalter 
runder,  aber  aiich  krummer,  als  in  der  Jugend, 
und  bei  einiger  Fettleibigkeit  treten  am  unteren 
Theile  des  Brustkorbes,  sowie  namentlich  über 
den  Hüftbeinkämmen  erhebliche  Speckwülste  her- 
vor.   (Fig.  395.) 

Das   dicke,   gewaltige  Gesäss    macht    trotz 
seiner   ungeheuren   Massigkeit  doch  nicht    einen 
runden,  kugeligen,  sondern  mehr  einen  dreiseitigen  Eindruck.     Denn  gerade  hier 
macht  sich   nicht  selten  die  Einwirkung  der  Schwere  auf  die  Fettmassen   beson- 
ders kenntlich.     Die  letzteren  sinken  nach  unten  und  weichen  seitlich  aus  und 
geben  das  Bild,   als  wenn  jederseits  dicht  oberhalb  der  Gesässschenkelfalte  eine 
horizontale  Schlummerrolle  angebracht  wäre,  welche  beträchtlich  nach  aussen  über 
die  Seitenlinie  des  Oberschenkels  hinausragt.     An  dieser  Verbreiterung  nach  unten 
haben  nämlich  dann  auch  die  Fettmassen  der  Oberschenkel  Theil,  welche  von  der 
Gegend   der  Trochanteren  zu   den   untersten  Partien   der  EQnterbacken  hinüber- 
reichen.    In  anderen  Fällen  aber  entwickelt  sich   das  Unterhautfett  in  der  Höhe 
der   unteren  Kreuzbeinregion   ganz  besonders  stark,   so  dass  es  namentlich  dicht 
unterhalb   des  Hüftbeinkammes  jederseits   sich  hervorwölbt   und  unmittelbar   mit 
dem  vorher  erwähnten  Schenkelfett  in  der  Gegend  der  Trochanteren  in  Verbindung 
tritt.    Dann  erscheint  die  obere  Hälfte  der  Gesässgegend  stärker  entwickelt  und  die 
untere  Abtheilung  der  Hinterbacken  ist  dann  wenig  hervortretend  und  macht  den 
Eindruck,  als  wären  die  Hinterbacken  von  den  Seiten  her  gegen  die  Medianlinie  zu- 
sammengepresst.    Es  besteht  gar  keine  Aehnlichkeit  mehr  mit  dem  kugeligen,  stark 
nach  hinten  ausladenden  Gesäss  einer  jungen  Frauensperson,  und  über  die  ganze 
Gesässfläche  hin  markiren  sich  eine  grosse  Zahl  unregelmässiger  Grübchen,  "welche 
durch  die  Anspannung  von  Fasern  des  Unterhautbindegewebes  hervorgerufen  "werden. 
Alle   die  geschilderten  Verhältnisse   am  Gesicht   sowohl,   als   auch  an   dem 


Fig.  386.    Min copie- Matrone,  Süd-Anda 
manen.    (Nach  Photographie.) 


452.  Aeltere  Anschauungen  über  die  Anthropologie  der  Matrone. 


541 


Körper  wird  man  auf  den  Figuren  393  bis  398  mit  grosser  Deutlichkeit  wahr- 
nehmen können.  Fig.  395  betrifft  eine  Nord-Deutsche,  während  in  den  Figuren 
393  und  397  eine  alternde  Abyssinierin  dargestellt  worden  ist.  Es  ist  beide 
Male  dieselbe  Person,  welche  für  die  Amme  des  Negus  ausgegeben  wird.  Wahr- 
scheinlich aber  gehört  sie  wohl  dem  Stande  der  herumziehenden  Tänzerinnen  an. 
Alle  diese  geschilderten  Veränderungen  in  der  äusseren  Erscheinung  der 
Frau  treten  nun  nicht  plötzlich  und  unvermittelt  auf,  sondern  ganz  allmählich 
finden  sie  sich  ein,  und  sogar  nicht  selten  verstreichen  mehrere  Jahre,  bis  sie  voll- 
ständig zur  Ausbildung  gekommen  sind.    Auch  hier  ist  für  die  anthropologische 


Die  Matrone  (Seitenansicht). 

(Nach  Al^echi  Dürer.) 


Fig.  400.    Die  Matrone  (Hinteransicht). 
(Nach  AlfirecAt  Dürer.) 


Forschung  noch  viel  zu  thun.  Denn  noch  ist  weder  die  Zeit,  zu  welcher  diese 
Umformungen  beginnen,  noch  auch  die  Anzahl  von  Jahren,  die  sie  zu  ihrer  Aus- 
bildung bedürfen,  ebensowenig  wie  die  Reihenfolge,  in  welcher  sie  sich  zeigen, 
auch  nur  in  ihren  oberflächlichsten  Anfangsgründen  stadirt;  und  was  wir  von  den 
fremden  Völkern  ausserhalb  Europas  in  dieser  Beziehung  wissen,  das  ist  nun 
namentlich  so  gut  wie  nichts. 

452.  Aeltere  Anschauungen  Aber  die  Anthropologie  der  Matrone. 

Wiederholentlich  sind  wir  schon  den  Schriften  des  ,, getreuen  Eckarth*  be- 
gegnet. Auch  unserem  vorliegenden  Thema  hat  derselbe  seine  Aufmerksamkeit 
geschenkt  und  die  verblühende  Frau  hat  er  mit  den  folgenden  Worten  geschildert: 


542 


LXXIII.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  Fortpflanzungsfähigkeit. 


,  Gleichwie  nun  bey  jungen  Frauen,  so  lange  das  Geblüte  seinen  ordentlichen  Gang  hat, 
alles  in  guter  Flor  und  Bewegung  ist,  so  verfällt  bei  denen  Frauen,  die  ihre  Blume  verlohren 
haben,  aller  Mut  und  Hurtigkeit.  Die  liebreitzende  Coleur  verändert  sich  in  eine  absterbende 
Blässe,  die  zuvor  ausgespannten  Mäusslein  und  fleischigte  Fibren  werden  schlapp,  und  kommen 
Kuntzeln  an  statt  voriger  Glätte  und  Schönheit,  ja  die  ganze  Gestalt  wird  geändert,  dass, 
wo  man  die  jetzige  Gestalt  mit  ehemaliger  Schönheit  ponderirt,  fast  die  gleiche  Aehnlichkeit 
kaum  kann  gefunden  werden.  Die  Augen,  die  vormahls  als  die  Falcken  hier  und  dorthin 
gepflogen,  werden  dunkel  und  verglässen  sich.  Die  lieblichen  Wangen  fallen  ein,  die  schönen 
rund-geballten  Brüste  hängen  ab,  gleichen  denen  Schläuchen,  die  rubinene  Leffzen  werden 
Rosinfarbe,  braun  und  unscheinbar,  der  wohlgewachsene  Rückgrad  krümmet  sich  und  beuget 
mit  ihm  den  aufgerichteten  Hals:  die  schöne  weisse  Helffenbeinen  gleiche  Haut  wird  falb, 
das  Fleisch  verschwindet  von  denen  sonst  angenehmen  kaulichten  Fingern  und  Füssen.  Summa, 
alles  was  ein  Liebhaber  ehemals  vor  schön  gehalten,  ist  ihme  nun  zuwider,  und  erreget  in 
ihm  vor  Anmuthigkeit  einen  £ckel  und  Grausen.* 

Das  Bild,  welches  der  getreue  Eckarth  uns  hier  entwirft,  hat  allerdings 
manches  Zutreffende.  Es  lässt  sich  aber  nicht  verkennen,  dass  auch  einige  erst 
dem  Greisenalter  angehörende  Zustände  hier  bereits  mit  hineingezogen  sind. 

Auch  einem  so  geschickten  Maler,  wie  es  Alhrecht  Dürer  war,  sind  be- 
greiflicher Weise  diese  anatomischen  Eigenthtimlichkeiten  an  der  zur  Matrone  ge- 
reiften Frau  vollständig  zum  Bewusstsein  gekom- 
men. In  seinem  Werke  über  die  Symmetrie  der 
menschlichen  Gestalt  führt  er  uns  auch  die  sche- 
matischen Abbildungen  einer  Matrone  vor,  welche 
den  reichlichen  Ansatz  von  Fett  an  allen  Körper- 
theilen  erkennen  lässt.  Fig.  399  zeigt  sie  uns  in 
der  Profilansicht.  Der  dicke  Arm  ist  mit  der 
Schulter  in  besonderer  Zeichnung  daneben  ge- 
stellt. An  der  Brust  erkennen  wir  das  Bestreben, 
sie  als  herabhängend  darzustellen;  die  Hinter- 
backen aber  und  auch  der  Bauch  sind  um  Vieles 
zu  straff  und  prall  dargestellt,  sie  müssten  be- 
deutend hängender  erscheinen. 

Auf  der  Hinteransicht  Fig.  400  ist  das  schon 
ein  Wenig  besser.  Die  Hinterbacken,  welche  bei 
jungen  Personen  einen  runden  Umriss  besitzen, 
erscheinen  hier  als  grosse,  aufrechtstehende  Ovale. 
Hier  ist  also  Dürer  doch  bemüht  gewesen,  das 
Herabhängen  anzudeuten.  Sehr  gut  aber  und 
naturgetreu  hat  er  die  Fettwülste  unterhalb  der 
Schulterblätter  zur  Anschauung  gebracht. 

Auf  der  Vorderansicht,  Fig.  401,  erscheinen 
die  Brüste  zu  wenig  hängend  und  das  Gleiche 
gilt  von  dem  Bauche,  der  fÖr  gewöhnlich  bei 
so  dicken  Frauen  in  diesem  Alter,  wie  Dürers 
Abbildung  sie  uns  vorführt,  in  seiner  unteren 
Hälfte  soweit  herabhängt,  dass  sowohl  die  Leisten- 
furchen,  als  auch  die  Schamspalte  mindestens 
in  ihrer  oberen  Hälfte  von  ihm  verdeckt  werden, 
wenn  man  die  Frau  im  Stehen  betrachtet.  Das 
Herabhängen  der  fettreichen  Haut  an  den  Ober- 
schenkeln ist  schon  etwas  deutlicher  zum  Aas- 
druck gekommen. 

In  neuerer  Zeit  hat  der  Anatom  Brücke^ 
für  Künstler  einige  Angaben  gemacht,  welche  in 
unser  Thema  gehören: 


Fig.  401.    Die  Matrone  (Vorderansicht). 
(Nach  Albreeht  Dürer.") 


453.  Der  Zeitpunkt  des  KUmakteriams  bei  ausserearopäiflchen  Völkern.  543 

, Volle  Oberarme  sind  bei  jagendlichen  Individuen  der  höheren  und  mittleren  Stände 
ebenso  selten,  wie  sie  bei  Frauen,  welche  sich  in  der  sogenannten  zweiten  Blüthe  befinden, 
häufig  sind.  Früher  war  dies  noch  auffallender  als  jetzt,  wo  die  Oberarme  mancher  junger 
Mädchen  in  Folge  von  Leibesübungen  besser  entwickelt  sind/ 

„Arm  und  Hand  findet  man  an  Frauen  oft  noch  in  grosser  Schönheit  in  einem  Alter, 
in  dem  ihr  übriger  Körper  nicht  mehr  zur  Darstellung  des  Nackten  geeignet  ist.  Ja  bis- 
weilen hat  sich  der  Arm  erst  später  so  vortheilhafb  entwickelt. '^ 

Ad  der  untersten  Abtheilung  des  Nackens,  entsprechend  der  Yertebra  pro- 
minens, findet  Brücke  auch  eine  beachtenswerthe  Stelle: 

„Hier  bildet  sich  manchmal  bei  Frauen  eine  mehr  oder  weniger  ausgedehnte  Anhäufung 
von  fettreichem  Bindegewebe.  Sie  ist  an  und  für  sich  nicht  entstellend,  aber  wenn  es  sich 
nicht  um  die  Darstellung  einer  Matrone  handelt,  müssen  Maler  und  Bildhauer  sich  hüten,  sie 
anzudeuten,  denn  sie  ist  ein  sicheres  Zeichen  des  vorgerückten  Lebensalters.'' 


453.  Der  Zeitpunkt  des  Klimakteriums  bei  aussereuropäischen  Yölkern. 

Was  ich  über  die  Eintrittszeit  des  Klimakteriums  bei  den  verschiedenen 
Völkern  anzugeben  vermochte,  das  habe  ich  in  den  vorigen  Abschnitten  bereits 
zusammengestellt.  Es  stehen  mir  aber  noch  einige  spärliche  Angaben  zu  Gebote 
über  das  Lebensalter,  in  welchem  bei  gewissen  aussereuropäischen  Nationen 
das  Verblühen  des  Weibes  zu  Stande  kommt  oder  die  Fähigkeit  der  Port- 
pflanzung zu  erlöschen  pflegt.  Natürlicher  Weise  können  wir  daraus  noch  keinen 
sicheren  Schluss  ziehen,  dass  nun  auch  zu  dem  gleichen  Zeitpunkte  das  Klimak- 
terium, das  Aufhören  des  monatlichen  Blutflusses  sich  vollzogen  habe.  Nament- 
lich lehrt,  wie  wir  früher  bereits  gesehen  haben,  die  Erfahrung,  dass  ein  früh- 
zeitiges Heirathen,  besonders  ein  solches  vor  vollendeter  Geschlechtsreife,  ein  schnelles 
Verblühen  zur  Folge  hat. 

Ein  schnelles  Verblühen  und  frühzeitiges  Erlöschen  der  Fortpflanzungs- 
lahigkeit  behauptet  Schomhurgk  von  den  Warrau-Indianerinnen  in  British- 
Guyana  und  Burmeister  von  den  Coroados-Indianerinnen  in  Brasilien. 
Bei  den  ersteren  ist  ein  frühes  Heirathen  gebräuchlich.  Die  Maori-Weiber 
sollen  nach  Tuke  mit  25  bis  30  Jahren  bereits  aussehen,  als  wären  sie  40  bis 
55  Jahre  alt;  der  frühe  geschlechtliche  Verkehr  ist  bei  ihnen  wahrscheinlich 
schuld  an  dem  vorzeitigen  Verblühen.  Dagegen  soll  den  eingeborenen  Weibern 
in  Guba,  welche  nicht  selten  schon  mit  13  Jahren  Mütter  sind,  ihre  Fähigkeit, 
Kinder  zu  gebären,  bis  in  das  fünfzigste  Jahr  erhalten  bleiben. 

Nach  Mayer-Ahrens  hört  die  Menstruation  bei  den  Indianerinnen  von 
Peru  mit  40  Jahren,  oft  aber  schon  viel  früher  auf. 

Von  den  Eskimo-Weibern  des  Gumberland-Sundes  sagt  SchliephaJce^ 
dass  sie  sehr  früh  altem;  v,  Haven  hat  für  die  Grönländerinnen  das  40.  Jahr 
als  dasjenige  des  Klimakteriums  festgestellt. 

Die  Omaha-Indianerinnen  hören  nach  Daugherty  und  die  übrigen  In- 
dianerinnen des  gemässigten  Nord-Amerika  nach  Rusk  im  40.  Jahre  zu 
menstruiren  auf,  während  nach  Keating  die  Indianerinnen  in  Michigan  bis 
zum  50.,  ja  selbst  bis  zum  70.  Jahre  ihre  Regel  behalten. 

Bei  den  Chinesinnen  währt  die  Menstruation  nach  Mondiere  höchstens 
bis  zum  40.  Jahre;  bei  den  Japanerinnen  dagegen  bleibt  sie  nach  Wemich  bis 
zum  Ende  der  vierziger  Jahre  bestehen.  Nach  Kögel  ist  das  in  Java  gebrauch* 
liehe  frühzeitige  Heirathen  daran  schuld,  dass  die  Javanerinnen  selten  noch  nach 
dem  85.  Jahre  schwanger  werden,  und  von  den  Banganesinnen  berichtet  Fihke^ 
dass  sie  bereits  im  20.  Jahre  aufhören,  Kinder  zu  gebären.  <^ 

Frühzeitiges  Heirathen  flnden  wir  auch  bei  den  meisten  afrikanischen 
Völkern,  und  wahrscheinlich  aus  diesem  Grunde  macht  eine  Gabon-Negerin 
schon  mit  20  Jahren  den  Eindruck  eines  alten  Weibes.    (Giffon  du  BeUay.)    In 


544  LXXIII.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  Fortpflanzongsfähigkeit. 

dem  gleichen  Alter  sind  die  Schangalla-Weiber  bereits  voller  Runzeln  und 
haben  ihre  Empfangnissfähigkeit  wieder  verloren.  Die  Abyssinierinnen  pflegen 
mit  30  Jahren  nicht  mehr  schwanger  zu  werden;  dagegen  sollen  die  Negerinnen 
der  Sierra  Leone  sogar  noch  mit  35 — 40  Jahren  Kinder  gebären. 

Für  die  Woloff-Negerinnen  fixirt  de  Bochebrune  das  35.  bis  40.  Jahr 
als  die  Zeit  des  Klimakteriums.  Berchon  behauptet,  dass  bei  den  Negerinnen 
am  Senegal  dieser  Zeitpunkt  erst  bei  dem  60.  Jahre  läge.  Man  darf  bei  dieser 
Behauptung  wohl  nicht  die  Schwierigkeiten  unterschätzen,  welche  es  bei  so  rohen 
Nationen  macht,  einerseits  diesen  Termin  überhaupt  ausfindig  zu  machen  und 
andererseits  das  Lebensalter  dieser  Personen  mit  annähernder  Genauigkeit  fest- 
zustellen. 

Von  den  Weibern  in  Ober-Aegypten  sagt  Bruce^  dass  sie  nicht  selten 
schon  mit  11  Jahren  schwanger  werden,  mit  16  Jahren  aber  bereits  älter  aus- 
sehen als  eine  sechzigjährige  Engländerin. 


454.  Die  Grossmutter, 

Die  vorher  in  ihren  anatomischen  und  physiologischen  Wirkungen  geschilderte 
Zeit  des  Klimakteriums,  in  welcher  das  Weib  beginnt,  in  den  Zustand  einer  „be- 
jahrten Frau''  einzutreten,  giebt  ihr  nicht  selten  eine  ganz  neue  Würde  in  dem 
Kreise  ihrer  Familie,  sie  wird  zur  Grossmutter.  Wenn  man  auch  wohl  im 
Allgemeinen  die  Neigung  hat,  sich  unter  einem  Grossmütterchen  eine  Frau  vor- 
zustellen, welche  bereits  die  höheren  Jahre  des  Alters  erreicht  hat,  so  thut  man 
darin  doch  sehr  unrecht.  Denn  selbst  bei  unserer  Bevölkerung,  wo  die  Ehen 
nicht  gerade  in  einem  besonders  frühen  Alter  geschlossen  werden,  ist  es  ja  doch 
gar  nicht  ungewöhnlich,  dass  Frauen  gegen  die  fündiger  Jahre  hin,  wenn  ihre 
ältesten  Kinder  weiblichen  Geschlechts  waren,  auch  schon  in  den  Besitz  von 
Enkeln  gelangt  sind.  Und  gerade  das  erste  Mal,  wo  die  Frau  sich  zur  Gross- 
mutter geworden  sieht,  pflegt  naturgemäss  auf  ihr  ganzes  Gemüth  einen  ganz 
besonders  tiefen  Eindruck  zu  machen.  Uebrigens  kommt  es  ja  doch  auch,  wenn 
auch  nicht  gerade  in  grösserer  Häufigkeit,  so  doch  immerhin  nicht  gar  zu  selten 
vor,  dass  das  Grossmütterchen  nach  der  Geburt  ihres  ältesten  Enkels  wohl  selber 
noch  ein  bis  zwei  Wochenbetten  abhält. 

Nun  haben  wir  in  früheren  Abschnitten  erfahren,  dass  man  bei  nicht  wenigen 
Völkern  unseres  Erdballs  die  Mädchen  schon  in  sehr  frOher  Jugend  zu  verheirathen 
pflegt,  und  dass  sie  nicht  selten  bereits  Kinder  gebären  in  einem  Alter,  in  welchem 
wir  das  Weib  noch  selber  als  ein  Kind  anzusehen  gewohnt  sind.  Wenn  nun 
diese  jungen  Ehegattinnen  mit  13 — 16  Jahren  schon  Mütter  geworden  sind,  so 
ist  es  ja  auch  natürlich,  dass  ihre  eigenen  Mütter  sehr  häufig  bereits  in  den 
dreissiger  Jahren  zu  der  Würde  einer  Grossmutter  gelangen  werden,  wo  bei  uns 
also  das  Weib  noch  einen  vollberechtigten  Anspruch  auf  die  Bezeichnung  als 
junge  Frau  behaupten  kann.  Und  in  der  That  haben  nicht  wenige  Reisende 
uns  von  derartig  jugendlichen  Grossmüttem  Kunde  gegeben. 

Das  wechselseitige  Yerhältniss  zwischen  den  Grossmüttern  und  den  Enkel- 
kindern pflegt  bei  uns,  wie  ich  wohl  nicht  erst  aus  einander  zu  setzen  brauche, 
ein  ganz  besonders  inniges  zu  sein.  Niemand  weiss  so  in  die  Herzen  der  Kleinen 
einzudringen.  Niemand  hat  ein  solches  Yerständniss  für  die  kleinen  Schmerzen, 
welche  ihr  Herz  bewegen,  als  eine  Grossmama.  «Wie  kommt  es,**  fragte  einst 
der  Berliner  Prediger  Frommd,  „dass  die  Grossmütter  und  die  Enkel  sich  so 
ganz  besonders  gut  verstehen  und  in  so  reiner,  ungetrübter  Freude  mit  einander 
verkehren?*  und  er  beantwortete  seine  Frage  selbst:  „weil  sie  beide  dem  Hinunel 
so  nahe  stehen:  die  Einen  kommen  eben  erst  von  ihm  her  und  die  Anderen 
kehren  bald  wieder  dahin  zurück.* 


454.  Die  Orossmutter.  545 

Dieses  vortreffliche  Einverständniss  zwischen  einer  Grossmutter  und  ihren 
Enkelkindern  lässt  sich  in  seiner  psychologischen  Grundlage  sehr  wohl  verstehen. 
Es  haben  sich  in  den  meisten  Fallen  in  dem  Leben  des  Weibes,  wenn  die  Jahre 
des  reifen  Lebensalters  heranrücken,  recht  erhebliche  Veränderungen  bemerkbar 
gemacht.  Ihre  Kinder,  deren  Erziehung  und  Pflege  einen  so  grossen  und  wich- 
tigen Theil  ihrer  Thätigkeit  in  Anspruch  nahm,  sind  meist  schon  ihren  Händen 
entwachsen  und  sind  in  die  weite  Welt  hinausgezogen,  oder  sie  haben  ihren 
eigenen  Herd  begründet.  Der  Gatte,  welchem  sie  so  lange  Zeit  mit  treuer  Für- 
sorge den  Hanshalt  fährte,  ist  nicht  selten  bereits  durch  den  Tod  von  ihrer  Seite 
gerissen«  Ihr  Hausstand  ist  durch  alle  diese  Veränderungen  ein  sehr  kleiner  ge- 
worden, dessen  Besorgung  die  an  eine  fortwährend  angestrengte  Arbeit  und  an 
einen  grossen  und  sie  voll  befriedigenden  Wirkungskreis  gewohnte  Frau  nur  noch 
auf  wenige  Stunden  des  Tages  zu  beschäftigen  vermag.  Oft  hat  sie  auch,  durch 
die  Verhältnisse  dazu  genothigt,  das  eigene  Heim  aufgeben  müssen  und  war  ge- 
zwungen, das  ihr  von  den  Kindern  und  Schwiegerkindem  angebotene  Stübchen, 
wenn  auch  mit  schwerem  Herzen  und  mit  Widerstreben,  dankbar  anzunehmen. 
Da  ist  es  nun  kein  Wunder,  dass  eine  Leere  und  Oede  sich  ihres  Herzens  be- 
mächtigt. Das  Gefühl,  den  Kindern  zur  Last  zu  sein,  die  quälende  Empfindung 
der  absoluten  Nutzlosigkeit  und  Ueberflüssigkeit  auf  dieser  Welt  bemächtigt  sich 
ihrer  mit  unerbittlicher  Gewalt  und  lässt  sie  doppelt  schwer  empfinden,  was  sie 
einst  besessen  hat  und  was  ihr  jetzt  unwiederbringlich  entrissen  ist. 

Nun  naht  die  aufregende  Zeit  heran,  wo  ihr  das  Enkelchen  geboren  wird. 
Naturgemäss  nimmt  sie  der  Wöchnerin  die  Sorge  für  den  Hausstand  ab,  und  auch 
die  durch  den  neuen  Erdenbürger  unvermeidlich  bedingte  Last  der  Arbeit  sucht 
sie  der  jungen  Mutter  nach  Möglichkeit  zu  erleichtem.  Die  Enkel  entwachsen 
den  Säuglingsjahren;  Grossmütterlein  hat  ihre  unsicheren  Schritte  zu  behüten; 
sie  spielt  mit  ihnen  und  muss  ihnen  Märchen  erzählen.  Jetzt  wird  es  ihr  zur 
unbestrittenen  Gewissheit,  dass  ihr  wieder  ein  Lebensberuf  erwachsen  ist,  und 
wieder  kommt  die  Befriedigung  der  Arbeit  über  ihre  Seele.  Ausserdem  schwebt 
der  „Traum  der  eigenen  Tage,  die  nun  ferne  sind'  vor  ihrem  geistigen  Auge  vor- 
über. Aber  in  ganz  anderer  Weise  und  in  viel  grosserer  Ausgiebigkeit  kann  sie 
sich  jetzt  den  Enkeln  widmen,  ab  ihr  das  bei  ihren  eigenen  Eandem  möglich 
war.  Denn  damals  hatte  sie  ihre  Zeit  zu  theilen  zwischen  ihnen,  ihrem  Gatten 
und  ihrem  Hausstande,  jetzt  aber  gehört  ihre  ganze  Zeit  den  Enkeln  allein.  Das 
wissen  diese  auch  gar  zu  gut;  denn  wenn  Papa  und  Mama  sich  ihnen  auch  sehr 
häufig  nicht  widmen  können,  Grossmütterchen  hat  immer  Zeit  für  sie  und  bietet 
stets  ein  aufmerksames  Ohr  für  ihre  kleinen  Freuden  und  Bekümmernisse. 

Noch  Eins  kommt  hinzu.  Die  Eltern  pflegen  doch  immer  bei  allem  Thun 
und  Treiben  der  Kinder  den  pädagogischeu  Standpunkt  im  Auge  zu  behalten, 
und  manches  Verbot  und  mancher  Verweis  kann  den  Kleinen  nicht  erspart  bleiben. 
Das  ist  nun  alles  bei  Grossmütterlein  ganz  anders;  denn  sie  beschränkt  sich  in 
ihren  Vermahnungen  gewöhnlich  auf  das  allerkleinste  Maass.  In  diesen  Dingen 
ist  es  begründet,  dass  das  Verhältniss  zwischen  den  Grossmüttem  und  den  Enkel- 
kindern ein  so  überaus  inniges  wird. 

Ob  das  nun  wohl  bei  den  Naturvölkern  das  Gleiche  ist?  Wir  wissen  zu 
wenig  über  deren  inneres  Familienleben,  um  diese  Frage  beantworten  zu  können. 
Wenn  wir  aber  sehen,  wie  bei  den  verschiedensten  auf  sehr  niederer  Culturstufe 
lebenden  Nationen  die  Grossmutter  sogar  zu  der  Säugamme  der  Enkel  wird,  wie 
das  ja  oben  ausführlich  besprochen  wurde,  so  werden  wir  wohl  nicht  irre  gehen, 
wenn  wir  in  dieser  Zärtlichkeit  der  Grossmütter  gegen  die  Enkel  und  umgekehrt 
der  Enkel  gegen  die  Grossmütter  nicht  ein  Produkt  der  Givilisation,  sondern 
einen  ganz  allgemeinen  Zug  des  menschlichen  Gemüthes  erkennen  wollen. 


PlosB-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    H.  35 


546  LXXIII.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  Fortpflanzangstilhigkeit 

455.  Die  Schwiegermutter. 

Und  nun  zu  dir,  du  anne  vielgeschmähte,  stets  verkannte  Schwieger- 
mutter. Die  Sprache  ist  eigentlich  viel  zu  arm,  dass  sie  nur  diese  eine  Be- 
zeichnung besitzt.  Denn  von  Rechtswegen  müsste  eigentlich  die  Schwiegermutter 
des  Mannes  von  der  Schwiegermutter  der  Frau  durch  einen  besonderen  Ausdruck 
unterschieden  werden.  Denn  ihre  Stellung  zu  den  Schwiegerkindem,  die  Rollen, 
welche  sie  in  der  Familie  spielen,  sind  durchaus  nicht  gleichwerthige,  und  wie 
es  den  Anschein  hat,  pflegt  das  Verhältniss  zwischen  der  jungen  Gattin  und  der 
Mutter  des  Mannes  gewohnlich  das  gespanntere  zu  sein.  Das  ist  ganz  besonders 
in  die  Augen  fallend,  wenn  der  Mann  der  älteste  oder  gar  der  einzige  Sohn  einer 
Wittwe  ist,  die  schon  in  verhältnissmässig  jungen  Jahren  den  Ehegemahl  verloren 
hatte.  Sie  kann  es  nicht  verwinden,  dass  sie  jetzt  das  Herz  ihres  Sohnes  mit 
einer  Anderen  theilen  soll,  besonders  da  diese  Theilung  noch  nicht  einmal  eine 
redliche  ist,  sondern  da  sie  bei  derselben  entschieden  noch  den  Kürzeren  zieht. 
Denn  ganz  natnrgemäss  hat  jetzt  der  junge  Ehegatte  vielmehr  Neigung,  sich 
mit  seiner  jungen  Frau  zu  beschäftigen  als  mit  seiner  Mutter,  und  diese  tritt 
nun  in  die  zweite  Linie  zurück.  Wie  anders  war  dies  bisher,  wo  so  viele  Jahre 
hindurch  ihr  Sohn  ganz  ausschliesslich  ihr  angehörte,  wo  sie  alles  mit  ihm  be- 
sprechen und  berathen  konnte,  wo  sie  für  ihn  die  Mühe  und  Sorge,  aber  daftLr 
auch  mit  ihm  den  steten  Umgang  hatte,  kurz,  wo  er  ihr  gleichsam  einen  Ersatz 
gewährte  ftir  ihren  verstorbenen  Ehemann! 

Das  ist  nun  unwiderruflich  vorbei;  eine  Andere  ist  an  ihre  Stelle  getreten, 
und  das  verursacht  selbstverständlich  von  vornherein  eine  Missstinmiung  zwischen 
den  beiden  Frauen.  Trotz  aller  aufgebotenen  Hingebung  und  Liebenswürdigkeit 
vermag  sehr  häufig  nicht  die  junge  Frau  den  vorgefassten  Groll  der  Schwieger- 
mutter zu  besänftigen  und  ihr  Herz  zu  erobern.  Stets  hat  die  letztere  die 
Ueberzeugung,  dass  ihr  Sohn  eine  unrichtige  Wahl  getroffen  habe,  dass  seine 
Gattin  auf  seine  geistigen  Interessen  nicht  in  hinreichender  Weise  eingehe,  dass 
sie  ihm  nicht  gewachsen  sei,  ihn  nicht  genügend  verstehe,  und  dass  sie  in 
keiner  Weise  hinreichend  für  ihn  sorge.  Das  giebt  nun  einen  Missklang,  der 
häufig  während  des  ganzen  Lebens  nicht  verhallt.  Erheblich  gemildert  pflegt  er 
allerdings  in  vielen  Fällen  zu  werden,  wenn  aus  der  Schwiegermutter  eine  Gross- 
mutter wird. 

Bei  den  Süd-Slaven  hat  nun  des  Mannes  Mutter,  wie  wir  durch  Kratiss^ 
erfahren,  vollkommen  Recht,  wenn  sie  behauptet,  dass  die  junge  Schwiegertochter 
ihr  des  Sohnes  Herz  ent&emdet.  Während  der  letztere  ihr  die  treue  Pflege, 
welche  sie  ihm  in  den  Jahren  der  Kindheit  angedeihen  Uess,  durch  strengsten 
Gehorsam  zu  danken  pflegt,  der  so  weit  geht,  dass  er  sich  durch  der  Mutter 
Willen  sogar  zu  einer  Heirath  gegen  seinen  Wunsch  und  gegen  seine  Liebe  be- 
.  stinmien  lässt,  so  wird  das  Alles  ganz  anders,  sobald  der  Sohn  eine  Frau  ge- 
nommen hat.  Das  drücken  auch  verschiedene  ihrer  Sprüchwörterfragen  (Pitalica 
genannt)  aus: 

Sahen  sich  nach  langen  Jahren  wieder  einmal  zwei  Schwestern.  Sprach  die  Aeltere 
zur  Jüngeren:  «Bist  Da  aber  glücklich,  wie  Dir  Dein  Sohn  so  z&rtlich  that  und  Dich  nicht 
schlägt,  so  wie  mich  der  Meine  I*"  Fragte  darauf  die  jüngere  Schwester:  «Hast  Du  ihn 
beweibt?"  —  ,0  schon  l&ngsf  —  «Nun,  ich  habe  den  Meinigen  noch  nicht  einmal 
verlobt.* 

Auch  fragte  man  einen  jungen  Ehegatten:  ,6is  wann  hast  Du  Deine  Mutter  z&rtlich 
behandelt  und  geliebt?"  Er  antwortete:  «Habe  sie  geliebt  und  gehalst  immer,  so  lange,  als 
ich  mich  nicht  beweibt  hatte." 

Den  Ghrund  für  diese  Erscheinung  giebt  die  folgende  Pitalica: 
Es  fragte  der  jüngere  Bruder  den   älteren:    ,Auf  welche  Weise  versöhnst  Du  Deine 
Mutter  mit  Deinem  Weibe?"    Er  antwortete:    «Besser  ist  es,  selbst  mit  der  Mutter,   als  mit 


455.  Die  Schwiegermutter.  547 

seinem  Weibe  sich  za  verfeinden,  denn  jede  Mutter  übt  Gnade  und  Nachsicht,  das  Weib  aber 
ist  rachsüchtig." 

Die  Quelle  des  Missyerhältnisses  zwischen  der  Schwiegermutter  und  der 
„Söhnerin'*  ist  leicht  zu  erkennen.  Die  junge  Frau  bezieht  das  Heim  ihres 
Mannes  als  Ersatzmännin  ihrer  Schwiegermutter.  Nur  das  erste  Jahr  lässt  man 
sie  nach  dem  Gewohnheitsrechte  ihres  jungen  Lebens  froh  werden.  Nach  Ablauf 
desselben  tritt  aber  die  Schwiegermutter  in  den  Ruhestand,  während  der  Schwieger- 
tochter alle  Lasten  der  Wirthschafb  zufallen.  Darum  wird  sie  in  einem  süd- 
slavischen  Liede  bei  ihrem  Einzüge  in  das  Haus  ihres  Gatten  von  dessen  Mutter 
mit  den  Worten  empfangen: 

«Lob  sei  und  Dank  Dir,  Gott  und  Herr! 
Der  Du  ins  Haus  die  Maid  mir  schickst, 
Mir  eine  Stellvertreterin!" 

Jedoch  die  Antwort  der  jungen  Frau  charakterisirt  sofort  die  Stellung, 
welche  sie  sich  im  Hause  schaffen  will: 

„Gleich  soll  ich's  Genick  mir  brechen,  da  vom  Robs  hinab, 
Wenn  wir  Jahr  für  Jahr  nicht  wechselnd  auf  die  Alpe  zieh'n." 

Und  so  scheint  ftir  gewöhnlich  der  Bath  des  jungen  Gatten,  welchen  er 
seiner  Neuvermählten  gab,  nicht  befolgt  zu  werden: 

,Sei  nicht  ängstlich,  Seele! 
Ich  will  Dich  berathen, 
Wie  Du  meiner  Mutter 
Gunst  erwirbst,  o  Seele! 
Straft  Dich  je  die  Mutter 
Mit  bitteren  Worten, 
Spare  jede  Antwort.* 

Denn  oft  tritt  von  vornherein  die  Schwiegertochter  der  Mutter  ihres 
Mannes  feindselig  entgegen,  um  sich  möglichst  viel  Arbeit  abzuschütteln.  Darum 
heisst  es: 

«DasB  die  Söhnerin  träge  ist,  daran  trägt  die  Schwiegermutter  die  Schuld,* 
während  die  Schwiegertochter  sich  beschwert: 

«Die  Schwiegermutter  erinnert  sich  nicht,  dass  sie  eine  Söhnerin  gewesen,*  — 
ein  Sprüchwort,    das  in  ganz  ähnlicher  Fassung   sich  im  Deutschen   und  auch 
im  Lateinischen  wiederfindet. 

Bei  den  Albanesen  hat  die  Schwiegermutter  eine  sehr  weitreichende  Gewalt 
über  die  Schwiegertochter,  denn,  wie  v.  Schweiger-Lerchenfeld  sagt,  kann  bei  der 
Jugend  des  Ehemannes  dessen  Mutter  sie  auch  gegen  den  Willen  ihres  Eheherm 
behalten  oder  wegschicken. 

«Daher  ist  die  junge  Frau  ihren  Schwiegereltern  gegenüber  äusserst  dienstfertig  und 
liebenswürdig.  Sie  begleitet  sie  zur  Ruhe  und  bleibt  solange  vor  dem  Lager  stehen,  bis  sie 
die  Erlaubniss  erh&lt,  sich  zu  entfernen." 

Die  Albanesen  haben  das  Sprüchwort: 

„Die  Schwiegermutter  nahe  bei  der  Thür  ist  wie  der  Mantel  beim  Dombusch.* 

Bei  den  mittelasiatischen  Türken  und  zwar  im  Speciellen  bei  den  Kir- 
gisen wird  der  jungen  Frau  nach  Vambery  schon  frühzeitig  Respect  vor  den 
Schwiegereltern  empfohlen.     Er  berichtet  hierüber: 

.Als  von  besonderem  Interesse  dünkt  uns  schliesslich  das  Leben  der  jungen  Frau  in 
der  Behausung  ihrer  neuen  Anverwandten.  Am  Tage  der  Ankunft  wird  sie  Abends  in  das 
Zelt  des  Schwiegervaters  gebracht.  Zwei  Frauen  nehmen  sie  unter  den  Arm  und  führen  sie 
unter  Begleitung  vieler  anderen  Frauen  in  das  Zelt,  wo  sie  beim  Eintritt  drei  Verbeugpmgen 
zu  machen  und  aus  dem  ihr  dargereichten  Fett-  und  Eumissschlauch  einige  Tropfen  ins  Feuer 
zu  giessen  hat,  nachdem  sie  vor  dem  Herde  selbst  sich  dreimal  tief  verbeugte.  Auf  das  Zischen 
der  Flamme  rufen,  die  alten  Weiber:  ,Ot-aulia!  Mai-aulia!*    (0  ihr  Heiligen  des  Feuers!  Ihr 

85* 


548  LXXIU.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  Fortpflanzungsf&higkeit. 

Heiligen  des  Fettes!)    Die  junge  Frau  setzt  sich  links  neben  der  Thür  des  Zeltes  nieder,  nnc 
man  singt  ihr  im  üblichen  Liede  folgende  Sätze  vor: 

Ehre  Deinen  Schwiegervater,  er  ist  Dein  Vater! 
Ehre  Deine  Schwiegermutter,  sie  ist  Deine  Mutter! 
Ehre  Deinen  Mann,  er  ist  Dein  Herr! 
Sei  nicht  zänkisch  u.  s.  w. 

und  nachdem  sie  die  üblichen  Gomplimente  verrichtet,  wird  sie  beschenkt  zurück  in  ilir  Z«h 
gebracht.'' 

Die  junge   Hin  du -Frau  steht  ebenfalls   unter  strenger  Oberaufsicht    der 
Schwiegermutter,  und  ihr  Spruch  wort  sagt: 

,In  der  Gegenwart  der  Schwiegermutter,  was  ist  da  der  Rang  der  jungen  Frau?* 
Die  Kohls  haben  nach  NottroU  ein  Lied,  in  welchem  es  heisst: 

«Wenn  die  Schwiegermutter  Dich  auch  schimpft, 
Ja  nicht,  M&dchen,  ja  nicht 
Hänge  Dich  dann  auf." 

Aber  es  scheint  auch  nicht  an  erheblichen  Anforderungen  zu  fehlen,  welche 
man  an  solche  Hindu- Schwiegermutter  stellt.  Das  ersehen  wir  aus  anderen 
Spruch  Wörtern: 

«Die  Schwiegermutter  hat  nicht  einmal  Beinkleider,   und  die  junge  Frau  verlangt 

ein  Zelt  und  Schirme/ 
«Die  Magd  der  Schwiegermutter  ist  die  Sdavin  von  Allen.* 
»Die  Schwiegermutter  ist  nach  ihrem  Dorfe   gegangen,  und  die  junge  Frau  &a^: 

Was  soll  ich  essen?''     {v,  Heinsberg -Düringsfeld,) 

Bei  der  Pulayer- Kaste  in  Malabar  gehört  es  zu  den  Obliegenheiten  der 
Schwiegermutter,  die  Schwiegertochter  zu  entbinden,  und  auf  den  Tanembar- 
und  Timorlao-Inseln  geht  die  junge  Frau,  schon  wenn  sie  schwanger  wird,  in 
die  specielle  Pflege  der  Schwiegermutter  über. 

Es  wurde  früher  schon  auf  die  Berichte  hingewiesen,  welche  Hering  über 
die  in  Japan  gebräuchlichen  Bücher  gegeben  hat,  die  ganz  speciell  für  die 
Leetüre  der  jungen  Mädchen  und  der  jungen  Frauen  bestimmt  sind.  In  denselben 
spielt  die  Besprechung  der  Pflichten  gegen  die  Schwiegermutter  eine  ganz  herror- 
ragende  Rolle: 

„Im  Skogaku  lesen  wir:  „So  lange  die  Frau  im  Eltemhause  bleibt  und  ihrem  Vater 
dient,  ist  ihr  Vater  fclr  sie  der  Weg  zum  Himmel;  dient  sie  einem  anderen  Herrn,  so  ist  dieser 
für  sie  der  Weg  zum  Himmel,  und  verheirathet  sie  sich,  so  ist  ihr  Schwiegervater  und  ihre 
Schwiegermutter  der  Weg  zum  Himmel.'    Das  Onna  Daigaku  beginnt  mit   den  Worten: 

„Die  Jungfrauen  haben  die  Bestimmung,  aus  ihrem  Eltemhause  als  Bräute  in  ein  an- 
deres zu  gehen  und  ihren  Schwiegereltern  alle  Dienste  zu  erweisen.*  Vom  Gatten  ist  zunächst 
noch  gar  nicht  die  Rede.  Und  das  Onna  Chuyo  beginnt:  „Der  Mann  nimmt  sich  eine  Frau, 
um  sie  mit  sich  selbst  seinen  Eltern  gui^ dienen  zu  lassen."  Ja  es  wird  sogar  verlangt,  dass 
die  Frau  ihre  Schwiegereltern  viel  mehr  lieben  soll,  als  ihre  eigenen  Eltern.  Denn  das  Haus 
der  Schwiegereltern  ist  das  der  Frau  vom  Himmel  bestimmte  Haus,  da  ja  heirathen  „zurQck- 
kehren*'  bedeutet.  An  anderen  Stellen  heisst  es  nüchterner,  dass  die  Frau  oder  ihr  Sohn  einst 
dieses  Haus  erbe  und  die  Eltern  dieses  Hauses  seien  daher  ihre  eigentlichen  Eltern.  Diese 
Liebe  könne  ja  auch  der  Frau  nicht  schwer  werden,  denn  die  Schwiegereltern  sind  ihr  anfangs 
günstig  gesinnt,  sonst  würden  sie  sie  nicht  als  Frau  für  ihren  Sohn  ausgewählt  haben.  Es 
kommt  ganz  allein  auf  die  Schwiegertochter  an,  sich  diese  Gunst  auch  zu  erhalten.  Hier 
wird  also  zu  allen  anderen  Verantwortungen  auch  noch  die  für  die  Gunst  der  Schwieger- 
mutter der  jungen  Frau  aufgeladen.  Um  diese  Gunst  nicht  zu  verlieren,  wird  sie  ermahnt, 
sehr  sorgföltig  zu  verfahren,  so  z.  B.  die  eigenen  Eltern  nicht  so  oft  zu  besuchen  und  ganz 
besonders  nicht  etwa  das  elterliche  Haus  in  Gegenwart  der  Schwiegereltern  zu  sehr  zu  loben. 
Hat  sie  ja  einmal  das  Missfallen  und  den  Aerger  der  Schwiegereltern  erregt,  so  soll  sie  ver- 
suchen, dieselben  durch  Liebe  wieder  zu  besänftigen." 

„Gegenüber  diesen  unablässig  der  jungen  Frau  aufgeladenen  Verantwortungen  wirkt  es 
geradezu  erleichternd,   wenn  auch   einmal   die  junge  Frau   entschuldigt  und   ein  Theil  der 


456.  Des  Mannes  Schwiegermutter.  549 

Schuld  an  den  leicht  entstehenden  Miss  Verhältnissen  der  Schwiegermatter  aufgebürdet  wird. 
Dies  thut  der  Verfasser  der  Teikio  und  zwar  mit  einer  Wahrheit,  die  nur  auf  ganz  genauer 
Menschenkenntniss  beruhen  kann.  Er  sagt  hierüber:  .Der  Mann  ist  grossmüthig  und  weit- 
herzig. Es  kommt  daher  selten  vor,  dass  der  Schwiegenrater  sein  Sohnesweib  hasst.  Die 
Frau  dagegen  ist  engherzig,  argwöhnisch,  anspruchsvoll,  und  deshalb  kommt  es  häufig  vor, 
dass  die  Schwiegermutter  das  Sohnesweib  hasst.'*  Nun  wird  geschildert,  wie  das  nach  und 
nach  kommt:  „Die  jungverheirathete  Frau  dient  eine  Zeit  lang  ihrer  Schwiegermutter  recht 
gut.  Mit  der  Zeit  aber  dient  sie  ihr  nicht  mehr  so  gut,  da  sie  denkt,  es  genügt,  wenn  sie 
nur  ihrem  Gatten  gut  dient.  Die  Schwiegermutter  behandelte  anfangs  die  Schwiegertochter 
wie  einen  Gast  und  unterwies  sie  in  Allem  auf  die  zarteste  Weise.  Mit  der  Zeit  aber  ver- 
minderte sich  ihre  Liebe,  und  wenn  nun  etwas  geschieht,  was  bei  der  Schwiegermutter  einen 
wenn  auch  nur  geringen  Unwillen  erregt,  so  ist  sie  sofort  mürrisch.  Dann  wird  auch  die 
Schwiegertochter  mürrisch  und  meldet  es  zuletzt  ihrem  Gatten.  Dadurch  kommt  aber  der 
Hass  der  Schwiegermutter  zum  offenen  Ausbruch  und  es  kommt  zu  wirklicher  Feindschaft. 
Endlich  berichtet  sie  es  ihrer  eigenen  Mutter,  welche  nur  den  Worten  ihrer  Tochter  glaubt 
und  die  Schwiegermutter  für  eine  böse  hält.  Hieraus  kann  sogar  eine  Auflösung  der  Ehe 
folgen."  Der  Verfasser  verfällt  aber  wieder  in  den  Ton  der  alten  Moralisten  zurück,  wenn 
er  fortnUirt:  „Also  liegt  der  Same  der  Ehescheidung  in  der  bösen  That  der  jungen  Schwieger- 
tochter^*. Letzere  soll  sich  also  hiemach  richten.  Zum  Tröste  wird  ihr  dabei  versichert, 
dass  die  Schwiegermutter  nie  so  Schweres  von  ihr  verlangt,  dass  sie  „die  Knochen  dabei  zer- 
bricht.*' Auch  werde  ihr  die  Schwiegermutter  nie  befehlen,  einen  Wagen  zu  ziehen,  den 
Bottich  mit  Wasser  zu  füllen  oder  Steine  zu  tragen.  Nun  werden  ihr  noch  die  einzelnen 
Pflichten  eingeschärft.  Wenn  am  Morgen  die  Schwiegereltern  aufwachen,  soll  ihnen  die 
Schwiegertochter  das  Wasser  zum  Waschen  des  Gesichtes  bringen.  Beim  Frühstück  soll  sie 
ihnen  aufwarten,  selbst  wenn  sie  selbst  bei  Tische  von  einer  Dienerin  bedient  wird.  Auch 
die  Speisen  der  Schwiegereltern  soll  sie  selbst  bereiten.  Wenn  sie  krank  werden,  soll  die 
Schwiegertochter  immer  bei  ihnen  sein  und  sie  pflegen.  Die  Arzneien  soll  sie  selbst  bereiten 
und  darbieten,  nachdem  sie  selbst  ein  Wenig  davon  genossen  hat  —  des  Giftes  wegen.  Was 
schmutzig  wird,  soll  sie  selbst  waschen,  überhaupt  Alles  selbst  thun.  Im  Winter  soll  sie  das 
Bett  der  Schwiegereltern  warm,  im  Sommer  kühl  bereiten,  und  wenn  die  Schwiegereltern  am 
Abend  eingeschlafen  sind,  soll  sie  noch  einmal  zu  ihnen  gehen,  um  zu  sehen,  ob  es  ihnen  gut 
geht.  Wenn  sie  das  Alles  thut,  so  wird  die  Schwiegermutter  Gefallen  an  ihr  finden  und  es 
wird  Alles  im  Hause  gut  gehen." 


456.  Des  Mannes  Schwiegermutter. 

Es  lässt  sieht  leider  nicht  ableugnen,  dass  diejenige  Schwiegermutter,  über 
welche  bei  allen  Galturvölkern  so  vieKache  und  boshafte  Spötteleien  existiren, 
gerade  die  Schwiegermutter  des  Mannes  isi  Der  Wunsch  von  ihrer  Seite, 
durch  die  Ehe  die  Herrschaft  über  ihre  Tochter  nicht  nur  nicht  zu  verlieren, 
sondern  auch  noch  den  jungen  Ehemann  ebenfalls  unter  ihr  Scepter  zu  beugen, 
mag  für  dieses  gespannte  Yerhältniss  den  ersten  Anlass  gegeben  haben. 

Bei  den  Aegyptern  geht  es  so  weit,  dass  sie  jede  ihnen  missliebige  Ver- 
wandte mit  dem  Titel  Schwiegermutter  belegen. 

Auch  die  Chinesen  stimmen  mit  ein,  denn  sie  haben  folgendes  Sprüchwort: 
„Der  Frühlingshimmel  sieht  oft  ebenso  aus,  wie  das  Gesicht  einer  Schwiegermutter.'* 
Auf  den  Aaru-Inseln  kommt,  wie  Bibbe  berichtet,  die  Mutter  der  jungen 
Frau  gegen  Abend  des  Hochzeitstages  nach  dem  Hause  derselben,  fangt  düaselbst 
an  zu  klagen  und  zu  weinen  und  erzählt  dem  Ehemanne,  wie  viel  Schmerzen  sie 
bei  der  Oeburt  seiner  Frau  gehabt  habe,  wie  schwer  es  gewesen  wäre,  das  Mädchen 
zu  erziehen  und  sie  als  Jungfrau  zu  erhalten,  wie  ungern  sie  dieselbe  aus  dem 
Eltemhause  habe  scheiden  sehen.  Nachdem  der  Schwiegersohn  seine  Schwieger- 
mutter eine  Zeit  lang  hat  heulen  lassen,  erweicht  sich  sein  Herz  und  er  giebt 
der  Trauernden  ein  Oeschenk,  das  aus  Oold,  Porzellan,  Perlen,  Zeug  u.  s.  w.  be- 
steht, und  damit  giebt  sie  sich  dann  zufrieden. 

Unter  den  Proben  von  Yolkspoesie,  welche  Ernst  in  Caracas  aus  Venezuela, 
gegeben  hat,  findet  sich  ein  folgendermaassen  von  ihm  übersetzter  Vers: 


550  LXXin.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  Fortpflanzungsfähigkeit. 

Durch  Dein  Fenster  möcht  ich  schleichen, 
*  Wie  die  kleinen  schlauen  Katzen: 
Dir  würd'  ich  ein  Efisschen  geben, 
Deine  Mutter  aber  kratzen. 

Auf  Eeisar  begegnet  der  Schwiegersohn  den  Schwiegereltern  ehrerbietig'. 
Auf  Eetar  besteht  zwischen  beiden  ein  ungezwungener  Verkehr. 

Bei  den  Santee-Dacota-Indianern  mag  der  junge  Mann  sich  wohl  Tor- 
sehen,  dass  er  sich  mit  seiner  Schwiegermutter  gut  stellt.  Denn  diese  hat  das 
Recht,  ihm,  wenn  er  ihr  nicht  hinreichend  gut  erscheint,  die  Tochter  einBsu^h 
wieder  fortzunehmen.  Bei  den  Naudawessiern  yerblieb  der  junge  Gatte  auf 
ein  Jahr,  bei  einigen  Abgongin-Stämmen  so  lange,  bis  ihm  ein  Kind  geboresn 
war,  in  Abhängigkeit  von  seinen  Schwiegereltern,  wobei  der  neue  Haushalt  mit 
dem  älteren  vollständig  vereinigt  wurde. 

Umgekehrt  gebot  bei  den  Kansas  und  Osagen  die  älteste  Tochter,  sobald 
sie  heirathete,  über  das  ganze  elterliche  Hauswesen  und  sogar  über  die  Matter 
und  die  Schwestern,  welche  letzteren  gewöhnlich  gleich  an  ihren  Mann  mit  ver- 
heirathet  wurden.  Auf  diese  Weise  geriethen  die  Schwiegereltern  nicht  seltea  in 
vollige  Dienstbarkeit  bei  ihrem  Schwiegersohne. 

Das  absonderlichste  Verhältniss  zwischen  dem  Schwiegersohne  und  der 
Schwiegermutter  finden  wir  unstreitig  aber  bei  den  Indianern  an  der  Nordwest- 
küste Amerikas.  Denn  hier  kommt  es  nicht  selten  vor,  dass  der  Schwiegersohn 
seine  Schwiegermutter  auf  Zeit  heirathet.  Die  Mädchen  werden  hier  nämUch  oft 
schon  am  ersten  Tage  ihres  Lebens  versprochen,  aber  erst  in  ihrem  12.  bis  14. 
Jahre  werden  sie  wirklich  zur  Ehe  gegeben.  Stirbt  nun  der  Vater  eines  solchen 
Mädchens,  bevor  sie  heirathsfahig  geworden  ist,  so  muss  ihr  zukünftiger  Gatte 
bis  zu  dem  Momente  ihrer  Heirathsfähigkeit  die  Schwiegermutter  zur  Gattin  nehmen. 
(Jacobsen^  Woldt.) 

457.  Das  Schwlegermutter-Ceremonlell. 

Bei  sehr  vielen  Völkern  findet  sich  ein  höchst  eigenthümliches  Geremoniell 
in  dem  Verkehre  zwischen  den  Schwiegereltern  und  dem  jungen  Ehepaare,  das  in 
einer  Reihe  von  Abstufungen  doch  immer  klar  imd  deutlich  die  Absicht  erkennen 
lässt,  beide  so  viel  als  möglich  von  einander  entfernt  zu  halten.  Sie  dürfen  nicht 
mit  einander  essen,  sie  dürfen  nicht  mit  einander  reden,  sie  dürfen  nicht  ihre 
Namen  und  selbst  denselben  gleichlautende  Worte  nicht  aussprechen,  und  sie 
dürfen  bei  vielen  Nationen  sich  entweder  zeitweise  oder  sogar  während  ihres 
ganzen  Lebens  nicht  einmal  sehen.  Andree  hat  diesen  Verhältnissen  seine  ganz 
besondere  Aufmerksamkeit  gewidmet.  Es  kann  nicht  die  Rede  davon  sein,  dass 
die  eine  Nation  diese  Gebräuche  von  einer  anderen  übernommen  hätte;  denn  wir 
treffen  sie  bei  Völkern  an,  die  durch  weite  Meere  und  Gontinente  von  einander 
getrennt  sind. 

Bei  den  auf  Djailolo  und  Halamahera  wohnenden  Galela  und  Tobe- 
loresen  müssen  die  Schwiegersöhne  ihren  Schwiegereltern  Achtung  zollen,  sie 
Vater  und  Mutter  nennen  und  gebückt  an  ihnen  vorübergehen. 

Auf  Ambon  und  den  Uliase-Inseln  darf  der  Schwiegersohn  keine  Mahl- 
zeit mit  seiner  Schwiegermutter  gemeinsam  einnehmen,  während  es  den  Tobe- 
loresen  und  Galela  nur  verboten  ist,  früher  behn  Essen  zuzugreifen  als  ihre 
Schwiegereltern,  oder  aus  deren  Töpfen  oder  Schüsseln  Nahrung  oder  Getränke 
zu  nehmen.  Bei  den  höheren  Kasten  im  Pendschab  (Indien)  ninunt  der 
Schwiegervater  nicht  einmal  einen  Schluck  Wasser  im  Hause  des  Schwiegersohnes 
an.     (Merk.) 

Auf  den  Seranglao-  und  Gorong-Inseln  dürfen  die  Schwiegersöhne  aller- 
dings im  Beisein  ihrer  Schwiegereltern  Platz  nehmen,  aber  nur  in  respectvoller 
Entfernung  von  ihnen;  und  auf  Keisar  gilt  es  als  besonders  unschicklich,  wenn 


457.  Das  Schwiegermutter-Geremoniell.  551 

der  junge  Ehemann  am  Hochzeitstage  den  Schwiegereltern  gegenüber  sitzen  wollte; 
die  Galela  und  Tobeloresen  dürfen  letzteres  aber  überhaupt  niemals. 

Das  Verbot,  die  Schwiegereltern  bei  Namen  zu  nennen,  finden  wir  bei  den 
Dajaks  auf  Borneo,  im  Babar- Archipel,  auf  den  Aaru-,  den  Luang-  und 
den  Sermata-Inseln.  Man  hält  das  auf  den  drei  letzteren  Inselgruppen  ißr  eine 
schwere  Beleidigung  und  für  eine  unerhörte  Grobheit.  Ebenso  wenig  darf  ein 
Aaru-Insulaner  den  Namen  seines  Schwiegersohnes  aussprechen.  Die  gleiche 
Sitte  finden  wir  auch  bei  den  Eingeborenen  Australiens  wieder  und  hier  dürfen 
sogar  gleichklingende  Worte  nicht  ausgesprochen  werden.  In  Afrika  ist  dieses 
Verbot  nach  Munzinger  bei  den  Bogos  und  nach  Kranz  bei  den  Zulus  in  Kraft, 
jedoch  hat  es  bei  den  letzteren  nur  für  die  Frauen  Geltung.  Das  macht  die 
Unterhaltung  sehr  complicirt  und  schwer  verständlich,  da  auch  ganz  wie  bei  den 
Kirgisen  nicht  einmal  die  männlichen  Verwandten  des  Mannes  mit  Namen  ge- 
nannt werden  dürfen. 

Auch  bei  den  Omaha-In dianern  in  Nord- Amerika  war  es  in  früheren 
Zeiten  überall  Vorschrift  für  den  Mann,  mit  den  Eltern  und  Grosseltem  seiner 
Qtittin  nicht  direct  zu  sprechen.  Er  bedurfte  dazu  der  Vennittelung  von  Frau 
und  Kind.  Ebenso  daif  eine  Frau  nicht  unmittelbar  mit  ihres  Mannes  Vater 
sprechen,  sondern  nur  durch  den  Mann  und  eins  ihrer  Kinder.  Sind  diese  nicht 
zu  Hause,  so  darf  sie  aber  den  Schwiegervater  fragen.  Diese  Sitte  hat  noch  Be- 
stand, denn  auch  heute  noch  spricht  ein  Mann  nicht  mit  der  Mutter  oder  der 
Grossmutter  seiner  Frau;  sie  schämen  sich,  miteinander  zu  sprechen.  Aber  wenn 
einmal  seine  Frau  abwesend  sein  muss,  so  fragt  er  bisweilen  deren  Mutter  um 
Rath;  aber  nur  wenn  keiner  da  ist,  durch  den  er  sie  sonst  fragen  könnte. 

Eine  ganz  besonders  weite  Verbreitung  hat  nun  dijB  Vorschrift,  dass  die 
Schwiegereltern  und  Schwiegerkinder  sich  überhaupt  nicht  sehen  dürfen,  und  zwar 
erstreckt  sich  dieses  Gesetz  bald  auf  beide  Schwiegerkinder,  bald  aber  auch  nur 
auf  diejenigen  vom  entgegengesetzten  Geschlechte,  so  dass  also  die  Schwieger- 
tochter nicht  von  ihrem  Schwiegervater,  der  Schwiegersohn  nicht  von  der  Schwieger- 
mutter gesehen  werden  darf,  und  umgekehrt.  Auch  in  der  zeitlichen  Ausdehnung 
dieses  Verbotes  begegnen  wir  einigen  Verschiedenheiten.  Denn  während  bei  einigen 
Völkern  dieses  Verbot  während  des  ganzen  Lebens  besteht,  hat  es  bei  anderen  nur 
während  des  Brautstandes  und  bei  noch  anderen  nur  so  lange  Gültigkeit,  bis  das 
junge  Paar  eine  Nachkommenschaft  erzielt  hat. 

Das  letztere  finden  wir  in  Nordwest-Australien  und  bei  den  Papua  von 
Neu- Guinea;  bei  den  Ostjaken  und  bei  den  Tscherkessen  dauert  die  Ab- 
sonderung bis  zu  der  Geburt  des  ersten  Kindes,  und  bei  den  Kirgisen  drei  Jahre 
lang;  zeitlebens  aber  behalt  das  Verbot  seine  Kraft  bei  den  Katschinzen,  bei 
den  westlichen  Hindu,  bei  den  Bogos  und  Somali  in  Afrika  und  bei  den 
Omaha-Indianern.  Bei  den  Tscherkessen  darf  sich  während  der  festgesetzten 
Zeit  das  junge  Paar  von  beiden  Seiten  nicht  sehen  lassen;  bei  den  Austral- 
Negern,  den  Papua,  den  Bogos  und  Somali  dürfen  der  Schwiegersohn  und 
die  Schwiegermutter  einander  nicht  begegnen;  bei  den  Kirgisen  und  Katschinzen 
vermeiden  der  Schwiegervater  und  die  Schwiegertochter  sich  zu  sehen,  und  bei 
den  Omaha-Indianern  und  Ostjaken  besteht  das  Verbot  wechselseitig,  so  dass 
Schwiegervater  und  Schwiegertochter  einerseits  und  Schwiegersohn  und  Schwieger- 
mutter andererseits  sich  vor  einander  verhüllen  oder  sich  ausweichen.  Auf  die 
Erfdllung  dieser  Vorschrift  wird  auf  das  Strengste  gehalten.  So  sagt  Vambery 
von  der  Kirgisin: 

„Im  Allgemeinen  darf  die  junge  Frau  bei  den  Kirgisen  drei  Jahre  nach  der  Hochzeit 
weder  dem  Schwiegervater  noch  den  übrigen  männlichen  Mitgliedern  der  Familie  sich  zeigen, 
und  wenn  sie  aach  ins  Zelt  des  firsteren  tritt,  so  thut  sie  dies  mit  abgewendetem  Gesicht 
und  hält  sich  einige  Schritte  fem,  über  welches  Anstandsgefühl  der  Schwiegervater  erfreat, 
ihr  immer  ein  Eöbdschasa  (vivat!.  vivat!)  zuruft.* 


552  LXXIII.  Das  Weib  nach  dem  Aufhören  der  FortpflanzungsfUhigkeit. 

Von  den  Omaha-Indianern  wird  berichtet: 

.Eine  Frau  erscheint  niemals,  wenn  sie  es  vermeiden  kann,  vor  dem  Manne  ihiner 
Tochter.  Der  Schwiegersohn  sacht  es  zu  vermeiden,  einen  Platz  zu  betreten,  wo  kein  Anderer 
ist,  als  seine  Schwiegermutter.  In  Dakota  bemerkte  der  Ponka  Chief  Standing  Sttffaio, 
dass  seine  Schwiegermutter  da  sass.  Er  drehte  sich  um,  zog  sein  Blanket  Qber  den  Kopr  xuxd. 
ging  in  einen  anderen  Theil  des  Hauses.' 

In  Port  Lincoln  in  Australien  wurde  ein  junger  Mann,  dessen  Schwieger- 
mutter sich  zufallig  nahte,  von  den  dabeistehenden  Weihern  in  einem  didiien 
Kreise  umschlossen  und  er  seiher  bedeckte,  hierdurch  gewarnt,  sein  Gesicht  mit 
den  Händen,  während  die  alte  Frau  ihre  Richtung  änderte.  (Wilhelmi.)  I>er 
Missionar  van  HasseU  erzählt,  dass  in  Doreh  (Neu -Guinea)  einer  seiner 
Schüler,  ein  sechsjähriger  Knabe,  während  des  Unterrichtes  sich  wie  ein  Stück 
Holz  unter  den  Tisch  fallen  liess,  weil  die  Schwiegermutter  seines  Bruders  vor- 
überging. 

Wenn  wir  nach  der  Ursache  so  absonderlicher  Gebräuche  fragen,  so  bleibt 
es  immer  die  Regel,  zu  erforschen,  was  denn  die  Leute  selber  als  den  Beweg- 
grund f&r  dieses  ihr  Handeln  anzugeben  wissen.  Hier  sind  aber  dieGabon-Ne^er 
die  Einzigen,  welche  uns  eine  Antwort  ertheilen.  Nach  Bowditch  haben  sie 
nämlich  eine  Sage  von  einer  Blutschande,  derzufolge  sie  ein  strenges  Vermeiden 
der  Schwiegereltern  und  Schwiegerkinder  verlangen.  Nach  Fritsd^  ist  bei  den 
Kaffern  eben£EJls  die  Furcht  vor  Blutschande,  welche  den  besonderen  Zorn  der 
Geister  der  Verstorbenen  heraufbeschwören  würde,  die  eigentliche  Ursache  fax 
dieses  strenge  Geremoniell.  Ob  diese  Anschauung  nun  aber  für  alle  die  Volker 
zutriffb,  bei  welchen  wir  dieser  Sitte  begegnen,  darüber  haben  wir  leider  keine 
Gewissheit.  Allerdings  hat  es  ja  einen  nicht  unbeträchtlichen  Grad  von  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich,  dass  hier  Reste  und  Erinnerungen  aus  einer  Zeitperiode 
vorliegen,  wo  sich  der  Uebergang  vollzog  aus  einem  Communismus  der  Weiber 
zu  den  gesitteteren  Verhältnissen  einer  eigentlichen  dauernden  Ehe.  Um  nun  davor 
zu  schützen,  dass  ein  Rückfalligwerden  in  die  alten,  wilden  Zustände  von  Seiten 
der  Männer  sich  vollziehen  könne,  mögen  diese  strengen  Vorschriften  im  Verkehre 
der  beiden  Generationen  mit  einander  allmählich  zur  Ausbildung  gekommen  sein. 


LXXIV.  Die  Greisin  im  Volksglauben. 

458.  Das  alte  Weib. 

Es  hat  eiDmal  Jemand  den  Aussprach  gethan:  Das  Schönste  und  das  Häss- 
lichste  in  der  Natur  ist  das  Weib.  Allerdings  wird  man  diesem  Urtheile  wohl 
kaum  widersprechen  können.  Denn  eine  so  liebliche,  fast  mochte  ich  sagen 
poetische  Erscheinung  ein  aufblühendes  junges  Mädchen  zu  sein  pflegt,  einen 
ebenso  unbefriedigenden,  das  ästhetische  Geföhl  bisweilen  beinahe  verletzenden 
Anblick  pflegen  die  Vertreterinnen  des  weiblichen  Geschlechts  darzubieten,  wenn 
sie  in  die  Jahre  des  Greisenalters  eingetreten  sind.  Eine  hübsche  alte  Frau,  die 
den  rosigen  Schimmer  ihrer  Wangen,  das  hellfreundlich  Leuchtende  ihrer  jugend- 
frischen Augen  noch  nicht  verloren  hat,  ist  immerhin  als  eine  grosse  Seltenheit 
zu  betrachten.  In  der  bei  weitem  grössten  Mehrzahl  der  Fälle  haben  die  hohen 
Jahre  all  diese  Reize  vollständig  und  unwiederbringlich  ausgelöscht;  Alles  was 
uns  den  weiblichen  Körper  sonst  zu  charakterisiren  pflegt,  ist  verschwunden,  *und 
die  Erscheinung  wird  dadurch  eine  unweibliche,  eine  unnatürliche  und  deshalb 
auch,  wenigstens  für  die  Kinder  und  für  schwache  Gemüther,  eine  unheimliche 
und  Furcht  erregende.  Kommt  nun  noch  hinzu,  dass  ernstliche  Sorge  um  die 
Nothdurfb  und  Nahrung  des  Lebens  und  der  Mangel  an  körperlicher  Pflege  die 
nothige  Ordnung  im  Anzüge,  die  Reinlichkeit  des  Körpers  und  die  Sorgfalt  in 
der  Glättung  der  Haare  vermissen  lässt,  dass  die  wimperlosen  Augenlider  durch 
chronische  Katarrhe  geröthet  sind  und  dass  der  fast  zahnlose,  in  der  Ruhe  klein 
erscheinende  Mund,  bei  dem  Sprechen  oder  bei  dem  Lächeln  plötzlich  ungeahnte 
Dimensionen  annehmend,  ein  oder  zwei  ganz  besonders  lange,  beinahe  hauerähn- 
liche Zähne  zur  Schau  stellt,  dass  ferner  der  hin-  imd  herwackelnde  und  vom- 
übergebeugte  Kopf  dem  alten  Weibe  nur  gestattet,  von  unten  und  der  Seite  her 
mit  «schiefem  Blicke'  den  ihr  Begegnenden  anzusehen,  und  dass  die  zum  Grusse 
entgegengestreckte  dürre  Hand  mit  ihren  gekrümmten  Fingern  an  Thierkrallen 
erinnert,  dann  kann  man  es  wohl  verstehen,  wie  sich  der  BegrifiF  des  Ueber- 
natürlichen  und  Dämonischen  mit  der  Erscheinung  des  alten  Weibes  verbinden 
konnte.  Als  der  Herausgeber  seinem  siebenjährigen  Knaben  die  Photographie 
einer  greisen  Italienerin  (Taf.  VIL  Fig.  3)  zeigte,  sagte  derselbe  sofort:  , Nicht 
war,  das  ist  doch  eine  Hexe?*  So  sagen  auch  die  Süd-Slaven:  „Jeiea  alte 
Mütterchen  ist  eine  Hexe.''  Daher  begreift  man  es  auch,  dass  die  Begegnung  oder 
das  Zusammensein  mit  einem  alten  Weibe  vielfach  ab  unglückbringend  ange- 
sehen wird. 

So  haben  die  Ehsten  die  Redensart,  wenn  sie  beim  Fahren  nicht  schnell 
genug  vorwärtii  kommen: 

,Da8  Rad  hat  Eile,  auf  dem  Wagen  sitzt  ein  altes  Weib."    fv,  Beinsherg-Düringafeld,) 


554  LXXIV.  Die  Greisin  im  Volksglauben. 

Dass  es  eine  unglückliche  Jagd  giebt,  wenn  dem  Jäger  schon  morgens  in 
der  Frühe  ein  altes  Weib  über  den  Weg  läuft,  ist  wohl  ein  durch  ganz  Deutsch- 
land verbreiteter  Aberglaube.  Am  besten  thut  er,  wenn  er  gleich  umkehrt  and 
den  ganzen  Tag  keine  Büchse  mehr  in  die  Hand  nimmt.  Auch  in  Nieder- 
Oesterreich  glaubt  man,  dass  das  Glück  des  Tages  vorbei  sei,  wenn  als  Erste 
am  Tage  eine  alte  Frau  das  Haus  betritt,  und  in  gleicher  Weise  unheilvoll  er- 
achtet der  Bergmann  in  Gornwallis  eine  solche  Begegnung  vor  dem  Einfahren 
in  die  Orube.  Am  schlimmsten  aber  ist  es,  wenn  in  Böhmen  ein  neuvermähltes 
Paar  sogleich  bei  dem  Verlassen  des  Gotteshauses  auf  ein  altes  Weib  trifft.  Dann 
ist  eine  unglückUche  Ehe  ganz  unausbleiblich. 

Auch  bei  den  Masuren  bedeutet,  wie  Toeppen  berichtet,  die  Begegnung 
mit  einem  alten  Weibe  Unglück.  Ein  Bauer  aus  der  Gegend  von  Hohenstein 
heklagte  sich,  dass  ihm  dieses  passirt  sei  und  einige  Schritte  weiter  wäre  ihnen 
die  Kette  gerissen,  der  Wagen  zerbrochen,  und  ein  Stück  Holz  hätte  beinahe 
seinen  Bruder  erschlagen. 

Weinrichius  berichtet  von  einem  vornehmen  Jünglinge,  der  ein  altes  Weib 
nicht  einmal  anzusehen  vermochte,  und  als  er  einmal  gezwungen  war,  bei  einem 
Gastmahle  solcher  Alten  gegenüber  zu  sitzen,  so  wurde  er  dadurch  so  sehr  er- 
schreckt, dass  er  in  eine  Krankheit  verfiel  und  starb.     (Cohausen.) 

Die  Unbehülflichkeit  und  Hülfsbedürftigkeit  des  alten  Weibes  wird  nicht 
selten  als  unbequeme  Last  empfunden.     Daher  sagt   der  Deutsche  im  ünmuth: 

,An  alten  H&asem  und  alten  Weibern  ist  stets  etwas  zu  flicken/ 
und   der  Perser  ist   der  Ansicht,   dass   die  Alte  selbst  im   Tode   den  Hinter- 
bliebenen noch  einen  Tort  anthut,  denn  er  sagt: 

„Das  alte  Weib  starb  nicht,  bevor  nicht  ein  Regentag  kam.* 


459.  Die  Beseitigung  der  alten  Weiber. 

.  Den  mit  der  Versorgung  eines  alten  Weibes  verbundenen  Unbequemlich- 
keiten wissen  nun  manche  Völker  auf  sehr  wirksame  Weise  aus  dem  Wege  zu 
gehen.  Sie  schlagen  nämlich  die  alten  Weiber  einfach  todt.  So  herrscht  nach 
Kahl  bei  den  Rangueles-Indianern  in  der  argentinischen  Republik  der 
Gebrauch,  ihrem  Gotte  Grualitschu  Menschenopfer  darzubringen,  und  hierzu  werden 
mit  Vorliebe  alte  Weiber  genommen. 

Auch  die  Feuerländer  nehmen,  wenigstens  in  den  Zeiten  der  Hungers- 
noth,  keinen  Anstand,  ihre  alten  Weiber  zu  tödten  und  aufzuessen.  Darwin  be- 
richtet darüber: 

«Nach  den  übereinstimmenden,  aber  völlig  unabhängigen  Zeugnissen  des  von  Mr.  Xoir 
mitgenommenen  Knaben  und  Jemmy  Button' 8  (ebenfalls  ein  junger  Feuerl&nder)  ist  es 
richtig,  dass,  wenn  sie  im  Winter  von  Hunger  geplagt  "w erden,  sie  eher  ihre  alten  Weiber 
tödten  und  verzehren,  ehe  sie  ihre  Hunde  schlachten.  Als  der  Knabe  von  Mr.  Low  ge&agt 
wurde,  warum  sie  dies  thäten,  antwortete  er:  ,Hunde  fangen  Ottern,  alte  Weiber  nicht.' 
Dieser  Knabe  beschrieb  die  Art  und  Weise,  in  welcher  sie  durch  Halten  über  Hauch  und 
daher  durch  Ersticken  getödtet  werden;  er  machte  ihr  Geschrei  zum  Scherz  nach  und  be- 
schrieb die  Theile  ihres  Körpers,  welche  als  die  besten  zum  Essen  betrachtet  werden.  So 
schrecklich  ein  derartiger  Tod  durch  die  Hand  ihrer  Freunde  und  Verwandten  sein  muss,  so 
ist  es  doch  noch  peinlicher,  an  die  Furcht  der  alten  Weiber  zu  denken,  wenn  der  Hunger 
anfängt  zu  drücken.  Es  wurde  uns  gesagt,  dass  sie  häufig  in  die  Berge  davon  laufen,  dass 
sie  aber  von  den  Männern  verfolget  und  zu  dem  Schlachthaus  an  ihren  eigenen  Herd  zurück- 
gebracht  werden." 

Dass  ein  solches  Verfahren  die  Civilisation  nicht  gestattet,  wird  Ton  manchen 
Völkern,  wie  es  scheint,  auf  das  Schmerzlichste  bedauert.  Denn  sie  können 
ihre  Seufzer  über  die  Zählebigkeit  der  alten  Weiber  nicht  unterdrücken:  So  die 
Dänen,  die  Lithauer  und  die  Italiener.  Sieben  Seelen  oder  sieben  Leben 
schreiben  ihnen  die  Toskaner,   die  Venetianer   und   die  Sardinier  zu.     Die 


460.  Die  Werthschätznng  der  alten  Weiber.  555 

Bergamasker  aber  sagen  sogar,  dass  die  alten  Weiber  sieben  Seelen,  ein  Seelchen 
und  noch  ein  halbes  haben,  und  der  Lithauer  klagt: 

«Ein  festes  altes  Weib,  selbst  auf  der  Mühle  könnte  man  sie  nicht  zermahlen.' 


460.  Die  WerthschStzung  der  alten  Weiber. 

Aber  es  giebt  auch  Leute,  welche  es  anerkennen,  dass  auch  das  Weib 
im  Älter  doch  noch  fOr  den  Haushalt  von  Nutzen  sein  kann,  und  so  heisst  es  in 
Spanien: 

,yDient  ein  altes  Weib  nicht  als  Topf,  so  dient  sie  doch  als  Deckel," 

und  in  Ehstland  sagt  man: 

„Ein  altes  Weib,  ein  Wiegenklotz  und  eine  Gefangene  des  Kindes." 

Die  grosste  Anerkennung  zoUt  dem  alten  Weibe  aber  der  deutsche  Yolks- 
mund  (in  der  Eifel): 

„Eine  alte  Mutter  im  Haus  ist  ein  Zaun  darum."    (v.  Beinsherg-Büfingsfeld,) 
Ein  altes  Weib  sein  eigen  zu  nennen,   wird  häufig  als  etwas  sehr  unange- 
nehmes empfunden.     Ein  finnisches  Volkslied  (ÄUmann)  bringt  sehr  deutlich 
diese  Empfindung  zum  Ausdruck: 

«Gott  verschone  mich,  zu  küssen, 

Gott  behüte  mich,  zu  herzen, 

Gott  bewahr'  mich,  zu  umfangen, 

Zu  umfassen,  zu  umarmen 

Ein  steinaltes,  knochendürres 

Mütterlein  mit  steifen  Gliedern, 

Schlaffer  Brust  und  welkem  Leibe, 

Dünnen  Schenkeln,  dürren  Hüften, 

HnmpelfÜssen,  Zitterknieen, 

Schaukelnd-klappemden  Gelenken,  1 

Ganz  erkaltet-starrem  Körper!* 

Zu  dem  Verluste  der  körperlichen  Reize  gesellen  sich  nun  die  Gebresten  des 
Alters  und  mit  ihnen  verbunden  in  vielen  Fällen  allerlei  Launen  und  Verstim- 
mungen. Da  ist  nun  der  Wunsch  sehr  nahe  liegend:  Ach,  wenn  es  doch  wieder 
wie  früher  wäre!  Kehrte  doch  die  rosige  Zeit  der  Jugend  noch  einmal  zurück! 
Denn  anstatt  der  Alten  wünscht  sich  mancher,  wie  es  in  dem  finnischen  Liede 
weiter  heisst: 

«Gott  vergönne  mir,  zu  küssen, 

Gott  bescheide  mir,  zu  herzen, 

Gott  bescher'  mir,  zu  umfangen, 

Zu  umfassen,  zu  umarmen 

Ein  blutjunges,  gar  geschmeidiges 

Mägdelein  mit  weichen  Gliedern, 

Straffer  Brust  und  festem  Leibe, 

Vollen  Schenkeln,  starken  Hüften, 

Leichten  Füssen,  runden  Enieen, 

Kernig-schmiegsamen  Gelenken, 

Ganz  erglühend  warmem  Körper!' 

Nun  hat  namentlich  im  15.  und  16.  Jahrhundert  dieser  heisse  Wunsch  nach 
Verjüngung  vielfach  die  Gemüther  bewegt  und  weit  verbreitet  war  die  Sage,  dass 
es  heilkräftige  Quellen  gäbe,  welchen  die  Zauberkraft  innewohne,  die  entschwun- 
dene Jugendfrische  zurückzubringen.  Dieser  Gedanke  hat  in  damaliger  Zeit  die 
Dichter  und  die  Künstler  beschäftigt.  Hans  Sachs  träumt  von  einem  solchen 
QueU  {Schultz^): 

«Eins  nachts  träumt  mir  gar  wol  besunnen, 
wie  ich  köm  zu  eim  grossen  brunnen 


556  LXXiy.  Die  Greisin  im  Volksglauben. 

von  merbelstein  polieret  klar, 

darein  das  wasser  rinnen  war 

warm  und  kalt,  aus  zwelf  gülden  rören, 

gleich  eim  wiltbad,  tunt  wunder  hören: 

Dies  wasser  hat  so  edle  kraft, 

welch  mensch  mit  alter  war  behaft, 

ob  er  schon  achzigjerig  was, 

wenn  er  ein  stunt  darinnen  sass, 

so  teten  sich  verjüngen  wider 

sein  gmüt,  herz  und  alle  gelider." 

Das  königliche  Museum  in  Berlin  besitzt  ein  ausgezeichnetes  Bild  von 
Lukas  CranacKs  Meisterhand,  das  in  Fig.  402  wiedergegeben  ist.  In  langen 
Zügen  lassen  sich  die  alten  Weiber  zur  Heüquelle  bringen;  auf  Karren  und  Wagen 
fahrt  man  sie  hin,  auf  Tragen  lassen  sie  sich  bringen  und  selbst  Huckepack  and 
an  den  Füssen  schleppt  man  sie  herbei: 

,üm  den  brunnen  was  ein  gedreng, 
wan  dahin  kam  eine  grosse  meng, 

allerlei  nation  und  geschlechte' 

> 

heisst  es  bei  Hans  Sachs;  und  er  schildert  sehr  anschaulich,  was  diese  Alten  för 
einen  Anblick  boten  und  wie  sich  ihre  Gebrechen  bemerkbar  machten: 

,Zusamen  kam  ein  häuf  der  alten 

wunderlich,  entig  (ungeheuer),  ungestalten, 

gerunzelt,  zanlücket  und  kal, 

zittrent  und  kretzig  überal, 

dunkler  äugen  und  ungehöret, 

vergessen,  doppet  und  halb  töret, 

ganz  mat,  bleich,  bogrOcket  und  krum, 

da  war  in  summa  summarum 

ein  husten,  reispem  und  ein  kreisten, 

ein  achizen,  seufzen  und  feisten, 

als  obs  in  einem  spital  wer/ 

Vertrauensvoll  tauchen  nun  in  dem  Bilde  die  Alten  ihre  welken  Glieder  in 
das  heilbringende  Wasser.  Je  mehr  sie  sich  nun  der  Mitte  des  weiten  quadrati- 
schen Beckens  nähern,  um  so  mehr  nehmen  ihre  Körperformen  au  Rundung  zu, 
und  auf  der  andern  Seite  des  Jungbrunnens  entsteigen  frische  Mädchengestalten 
der  Quelle,  die  den  Verjüngungsprocess  bereits  durchgemacht  haben.  Auch  Hans 
Sachs  sagt  von  seinen  Badenden: 

.Die  teten  alle  sich  verjüngen: 
nach  einer  stunt,  mit  freien  Sprüngen 
sprangen  sie  aus  dem  brunnen  runt, 
schön,  wolgef&rbt,  frisch,  jung  und  gsunt, 
ganz  leichtsinnig  und  wolgeberig, 
als  ob  sie  wären  zwainzig  jerig.** 

Von  einem  jungen  Ritter  zurechtgewiesen,  yerschwinden  sie  in  einem  grossen 
Zelte,  aus  dem  sie  festlich  geschmückt  wieder  hervorgehen.  Schmauss  und  Tanz 
und  allerlei  Kurzweil  in  Gesellschaft  junger  Männer  wartet  ihrer. 

Auch  ein  Kupferstecher  des  15.  Jahrhunderts,  der  sogenannte  Meister  mit 
den  Bandrollen,  hat  den  fonsjuventutis  dargestellt.  Auf  seinem  Bilde  finden 
sich  aber  mehrere  derb  erotische  Scenen,  und  er  ist  weit  davon  entfernt,  den 
feinen  Humor  Lukus  CranacKs  zu  erreichen. 


I 


n 

d 


60 

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558  LXXIV.  Die  Greisin  im  Volksglauben. 

461.  Die  Hexe. 

Es  wurde  sclion  in  einem  früheren  Abschnitt  auf  das  Dämonische  hin- 
gewiesen, was  so  häufig  die  alten  Weiber  in  ihrer  äusseren  Erscheinung  dar- 
bieten, und  ich  bin  auch  bemüht  gewesen,  die  Gründe  für  diese  Thatsache  aus- 
einanderzusetzen. Unter  allen  Umständen  verdient  es  eine  ganz  besondere  Be- 
achtung, wie  weit  über  den  Erdball  die  Annahme  verbreitet  ist,  dass  alte  Weiber 
sich  im  Besitze  übernatürlicher,  magischer  Kräfte  befinden.  Der  Glaube  an  Hexen 
greift  in  das  graue  Alterthum  zurück,  und  diese  Weiber  haben  es  wohl  ver- 
standen, mit  ihren  Taschenspielergaukeleien  selbst  den  Gebildeten  ihres  Volke» 
zu  imponiren.  Ich  erinnere  hier  an  den  Besuch  des  Königs  Saul  bei  der  Hexe 
von  Endor. 

Die  Zauberkünste,  welche  die  Circe  auf  den  Odysseus  und  seine  Gefährten 
einwirken  liess,  sind  allbekannt,  wie  auch  diejenigen,  mit  welchen  Medea  ihrem 
Gastfreunde  Jason  Hülfe  brachte.  Auch  die  Römer  waren  fest  überzeugt  von 
der  Zauberkraft  der  Hexen,   wie  sich  mehrfach  aus  Virgü  ersehen  lässt. 

Horojg  besingt  zwei  Hexen  Namens  Canidia  und  Sagana.  Er  lässt  ein 
hölzernes  PrtopM^^Bild,  das  auf  einem  alten  Begräbnissplatze  errichtet  ist,  folgen- 
des sprechen  (Satiren  I.  8): 

y,Sah  ich  doch  selbst  Canidien  hier  in  schwarzem  Gewände, 
Aufgeschürzetem  Kleid,  barfilssig,  mit  fliegenden  Haaren 
Wandeln  unter  Geheul,  mit  der  älteren  Sagana.    Graunhaft 
Machte  die  Todtenbl&sse  das  Paar.    Mit  Nägeln  beginnt  es 
Erdreich  auszuscharren,  ein  kohlschwarz  Lamm  wie  mit  Zähnen 
Mitten  entzwei  zu  zerreissen.    Es  floss  sein  Blut  in  das  Loch,  um 
Geister  heraufzubeschwören,  zum  Antwortgeben.    Und  Puppen 
Brachten  sie,  eine  von » Wolle,  die  andere  wächsern  und  grösser. 
Jene  von  Wolizeug  sollte  den  Spruch  vollziehen  am  Knechte. 
Flehentlich  stand  die  wächserne  da,  denn  sie  sollte  sofort  hier 
Schmählich  sterben.    Zur  Hecate  ruft  die  eine,  die  andere 
Ruft  Tisiphonen  an.    Nun  sah  man  Schlangen  und  Hunde, 
Höllische,  ringsum  schweifen  und  schamerröthet  den  Mond  sich. 

Um  nicht  Zeuge  zu  sein,  in  Wolkenmassen  vergraben. 

Will  nicht  Alles  erzählen,  die  Wechselgespräche  der  Geister, 

Wie  sie  mit  Sagana  schwatzten  in  schaurig  pfeifenden  Tönen, 

Wie  sie  den  Bart  eines  Wolfs  mit  dem  Zahn  einer  schillernden  Schlange 

Heimlich  vergruben  im  Boden,  wie  drauf  von  der  wächsernen  Puppe 

Hoch  auf  flammte  das  Feuer!*' 

Erschreckt  hierüber,  rächt  sich  das  Götterbild,  indem  es  mit  lautem  Knalle 
hinten  zerplatzt: 

„Sie  liefen  der  Stadt  zu. 

Aber  Canidia  liess  ihr  Gebiss,  und  die  hohe  Capuze 

Fiel  von  Sagand's  Kopf  und  dem  Arm  entglitten  die  Kräuter 

Sammt  den  Behexungsbändern." 

Die  überaus  traurige  Geistesverwirrung,  welche  in  Europa  Jahrhunderte 
hindurch  viele  Tausende  von  Menschen  unglücklich  machte,  und  sie  nach  un* 
säglicher  Qual  und  Herzensangst  einem  schrecklichen  Tode  entgegenfÜhrte,  wegen 
eines  angeblichen  Bündnisses  mit  dem  Teufel,  hat  ja  gerade  unter  dem  weiblichen 
Geschlechte  ganz  besonders  gerast  und  gewüthet;  und  unendlich  mehr  Hexen  er- 
litten den  Feuertod,  als  männliche  Teufelsverbündete.  Diese  schreckliche  Zeit  der 
Hexenverfolgungen  hat  schon  so  viele  Bearbeiter  gefunden,  dass  ich  hier  nicht 
ausftihrlich  auf  dieselben  einzugehen  brauche. 

Es  gab  bekanntermaassen  auch  Hexeriche,  d.  h.  Männer,  welche  sich  dem 
Teufel  verschrieben  hatten;   aber  sie  waren   in  der  Minderzahl,  und  Bodin  sagt: 


ip  ^^r* 


461.  Die  Hexe. 


559 


.Man  lese  aber  der  jenigen  Bacher,  die  von  Zauberern  geschrieben  haben ,  da  werden 
sich  allzeit  fünfPbzig  Weiber,  die  Zauberin  oder  besessen  seind,  an  statt  eines  Manns,  der 
darmit  behafft  war,  finden :  wie  ichs  dann  auch  hieuor  angezeigt  habe.  Welches  zwar  meines 
bedunckens  nicht  auss  Blödigkeit  Weibliches  Geschlechts  geschieht:  Seiteinmal  bey  jhnen 
mehrtheils  ein  ynerhaltsame  Widerspenstigkeit  Tnnd  Halssstarrigkeit  gespürt  wird,  vnd  dass 

sie  in  anssstehung  der  Folter  o£Pb  standhafter  dann  die  M&nner  sein Sonder  es  gewinnt 

viel  mehr  dass  ansehen,  als  geschehe  es  auss  krafft  ynnd  macht  einer  Viehischen  begirlichkeit, 
welche  das  Weib  dahin  ahntreibet,  damit  es  seinen  begirden  genug  thue  oder  sich  reche." 


Fig.  403.    Die  Hexen  nnd  Unholde.    (Nach  UdalricM*  TengUr'f  „Layenspiegel",  1512.) 


Was  tnan  den  Hexen  fiir  übernatürliche  Kräfte  und  Unthaten  zutraute,  das 
hat  ein  Arzt  des  16.  Jahrhunderts,  Doctor  Johannes  Wierus  aus  der  Grafschaft 
Cleve,  in  kurzen  Worten  zusammengefasst.  In  der  dem  Jahre  1586  entstammenden 
Uebersetzung  des  Pfarrherrn  Rebenstock  zu  Giessen  lautet  diese  Stelle  folgender- 


maassen: 


560  LXXIV.  Die  Greisin  im  Volksglauben. 

.Lamiam  beisse  ich  ein  solches  Weib,  welches  mit  dem  Tenffel  ein  Bchändtliches,  gpraii- 
«ames  oder  imaginirtes  Yerbflndtnüss,  ans  eigenem  freyen  Willen,  oder  durch  des  Teuffels 
Anreytzung,  Zwang,  Treiben,  heutiges  Anhalten  vnd  seine  Hülff,  etzliehe  böse  Ding,  durch 
Gedancken,  vnheilsams  WQndschen,  zubegehn  vnd  zuvollbringen,  vermeynet,  als  dass  sie  die 
Lufft  mit  vngewönlichem  Donner,  Blitz  vnd  Hagel  bewegen,  vngehewer  Vngewitter  erwecken, 
die  Früchte  auff  dem  Felde  verderben,  oder  anders  wohin  bringen,  vnnatürliche  Eranckheiten 
den  Menschen  vnd  Viehe  zufdgen,  solche  widerumb  heylen  vnd  abwenden,  in  wenig  Stunden 
in  frembde  Landt  weit  vmbher  sdiweiffen,  mit  den  bölen  Geistern  tantzen,  sich  mit  jhnen 
vermischen,  die  Menschen  in  Thier  verwandeln,  vnd  sonsten  tausenterley  wunderbarliche 
närrische  Ding  zeigen  vnd  zu  Werck  bringen  können." 

Der  neue  Layenspiegel  von  Udalricus  Tengler  Tom  Jahre  1512  bringt 
eine  grosse  Abbildung,  in  welcher  man  das  Gebahren  der  „Vnholden"  erkennen  kann. 
Ich  gebe  das  Bild  in  Fig.  403  wieder.     Das  dazu  gehörige  Kapitel  bezeichnet  er: 

«Von  den  vnholden  oder  Häcksen,  im  Latein  phitonisse,  oder  malefice  genannt" 

und  er  giebt  darin  die  Erklärung  ab,  es: 

„sol  an  solch  pOss  vnd  verkert  mensch,  Hagel,  schäum,  reiffen,  vnd  ander  vngestfim 
vngewiter,  zu  Verletzung  der  frücht,  auch  den  menschen  vnd  thiere  kranckhaiten,  oder 
schmertzlich  verserungen  zufügen,  von  ainem  end  zum  andern  faren.  Auch  vnkeuschait  mit 
den  pOsen  gaisten  treiben,  vnd  vil  ander  vnchristenlich  Sachen  zu  wegen  bringen.* 

Das  ist  nun  alles  in  dem  Bilde  dargestellt.  Wir  sehen  die  Hexen  auf 
Ziegenböcken  durch  die  Lüfte  fahren,  wir  sehen  die  »Wetterhexe*  ein  Unwetter 
heraufbeschwören,  wir  sehen  die  „ Butterhexe **  buttern,  d.  h.  auf  übernatürliche 
Weise  die  Butter  ihrer  Nachbarinnen  in  ihr  Butterfass  hinüber  leiten,  wir  sehen 
sie  mit  dem  Teufel  Unzucht  treiben  und  zwar  die  unnatürliche  Handlung  auf 
ungebräuchliche  Art.  In  der  Mitte  führt  ein  männlicher  Zauberer  in  einem  Zauber- 
kreise eine  Beschwörung  aus,  und  schon  kniet  der  Teufel  neben  dem  Kreise.  Obea 
wird  von  einem  Manne  einem  anderen,  über  dessen  Haupte  ein  Teufel  schwebt, 
ein  Korb  mit  runden  Gegenständen  gebracht.  Unten  befindet  sich  ein  Scheiter- 
haufen, auf  dem  mehrere  Hexen  den  Feuertod  erleiden.  Zwei  Männer  in  langen 
Schauben,  wahrscheinlich  die  Inquisitionsrichter,  sehen  diesem  traurigen  Schauspiele 
zu,  während  ein  Krüppel  auf  Krücken  dabei  steht.  Wahrscheinlich  ist  er  der 
Meinung  gewesen,  dass  er  dem  Zauber  dieser  Hexen  sein  Siechthmn  verdankt. 
Ein  mit  einem  Bogen  bewaffneter  Enkel  scheint  sein  Geschoss  gegen  die  ver- 
brennenden Hexen  zu  richten. 

Wenn  auch  zu  den  verschiedensten  Zeiten  die  Hexen  mit  dem  Teufel  ge- 
sellige Gemeinschaft  haben  können,  so  war  es  doch  bekanntlich  ein  ganz  bestimmter 
Termin,  die  Walpurgisnacht,  in  welcher  namentlich  die  allgemeine  Zusammenkunft 
aller  Hexen  mit  den  Teufeln  stattfand.  Das  ist  der  grosse  Hexensabbath,  zu 
dem  uns  die  emsigen  Vorbereitungen  ein  interessantes  Gemälde  von  F,  Francken 
d.  J,  (1581—1642)  in  dem  k.  k.  kunsthistorischen  Hofmuseum  in  Wien  vorführt. 
Wir  lernen  das  Bild  in  Fig.  404  kennen.  In  einem  massig  grossen  Zimmer,  mit 
allerhand  Zaubercharakteren  geschmückt,  hat  sich  viel  Weibervolk  versammelt. 
Eine  wohlgebaute  Hexe,  völlig  nackt,  fährt  soeben,  auf  einem  Besen  reitend,  zum 
Schornstein  hinaus.  Drei  knieende  Frauen  beten  einen  kleinen,  haarigen  Teufel 
an,  der  auf  einem  niedrigen,  durch  ein  Talglicht  beleuchteten  Podium  steht.  In 
der  einen  Hand  hält  er  eine  Schale,  aus  welcher  feurige  Ringe  und  Funken  auf- 
steigen. Andere  Weiber  kochen  in  einem  riesigen  Kessel  irgend  ein  Höllengebräu, 
aus  welchem  ein  Widderschädel  auftaucht,  während  Schlangen,  Drachen  und  aller- 
hand Ungeheuer  über  dem  Kessel  schweben,  in  welchem  ein  Weib  mit  einem 
Besen  rührt,  indess  eine  andere  aus  einer  Flasche  etwas  hineingiesst.  In  der 
Mitte  des  Zimmers  ist  ein  Altar  errichtet,  an  welchem  eine  Alte  aus  einem  Zauber- 
buche Beschwörungen  liest.  Ein  durchbohrter  Menschenschädel  ist  auf  dem  Altare 
über  gekreuzten  Schwertern  niedergelegt;  Schlangen,  Kröten,  Menschen-  und  Thier- 
knochen  und  fratzenhafte  Gebilde  sind  davor  auf  der  Erde  angehäuft. 


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Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    n. 


86 


562  LXXIV.  Die  Greisin  im  Volksglauben. 

Eine  stehende  junge  Person  nestelt  sich  ihr  Mieder  auf;  eine  andere,  auf 
einem  Stuhle  sitzend,  ist  im  Begriff,  sich  die  StrQmpfe  auszuziehen.  Ihre  wohl- 
gebildeten Beine  sind  bis  weit  über  das  Knie  hin  den  Blicken  enthOllt.  Was 
die  Beiden  damit  bezwecken,  dass  sie  sich  ihrer  Kleider  entledigen,  das  wird 
durch  drei  hinter  ihnen  stehende  Weiber  erklärt.  Die  eine  derselben  ist  schon 
völlig  nackt  und  hat  bereits  den  Besenstiel  in  der  Hand,  den  sie  als  Reitpferd 
zu  benutzen  gedenkt.  Daneben  steht  eine  ebenfalls  nackte,  wohlgebaute  junge 
Maid,  die  dem  Beschauer  die  volle  Rückseite  zuwendet.  Eine  Alte,  mit  dem 
Salbentopf  in  der  Hand,  reibt  ihr  mit  der  Rechten  den  Rücken  ein.  Das  ist 
natürlicher  Weise  die  Hexensalbe,  welche  den  Weibern  die  Fähigkeit  verlieh,  auf 
dem  Besen  durch  die  Lüfte  zu  fahren. 

Johannes  Wienis^  in  welchem  wir,  trotz  seines  Glaubens  an  den  person- 
liehen  Teufel,  den  ersten  unerschrockenen  Vorkämpfer  gegen  den  Hexenaberglauben 
und  gegen  die  unerhörte  Grausamkeit  der  Hexenverbrennungen  verehren  müssen, 
äussert  sich  über  diese  Hexensalbe  folgendermaassen: 

«Darmit  aber  der  betriegliche  Meister  vnd  Lügen  Geist  der  Teuffel,  die  Vnholden  desto 
besser  ins  Spiel  bringen  vnd  zu  seinem  Dienst  geschickter  vnd  fertiger  machen  möge,  so  bat 
er  jhnen  etliche  natürliche  Artzeney  vnnd  Salben,  sich  darmit  zu  schmieren,  angeben,  ynd 
beredt,  dass  sie  durch  solche  Schmieren  solche  Gewalt  bekommen  als  bald,  wenn  sie  nur 
wollen,  oben  zum  Kamin  hinauss  durch  den  Lufft  zufahren,  vnd  an  Ohrt  vnd  Ende  zukommen» 
da  mit  Tantzon,  Singen,  herrlichen  Mahlzeyten  vnd  anderer  Kurtzweil,  aller  Freuwden  vnd 
Lusts  pflegen  werde,  welche  Dinge  aber  alle,  der  tausentlQstige  Geist  jhnen  im  Traum  fOrwirfft» 
nachdem  sie  vnwissendt,  wegen  der  Schlaffmachenden  Salben,  darmit  sie  sich,  seinen  Befelch 
nach,  geschmieret,  in  den  aller  tiefesten  Schlaff  gefallen  sind.' 

,Was  solt  doch  bey  einem  solchen  groben  vnd  muthwilligen  Verbündtnuss  guts  befanden 
werden?  wie  kan  doch  der,  durch  den  Teuffel  zugebrachten  Schlaff,  für  wahrhafftig  erklärt 
vnd  vertheidiget  werden,  solte  dann  dess  Teuffels  Fatzwerck  vnd  Verspottung  der  Phan- 
tasey,  statt  haben?  Es  wirdt  aber  ein  jeder,  welcher  der  sachen  recht  nachsinnet,  vnnd  alle 
Circumstantias  betrachtet  vnd  aussforschet ,  selbst  bekennen  müssen,  dass  es  lauter  Teuffels 
Gespött  vnd  Verführung  der  alten  Weiber  ist,  dass  sie  vermeynen,  wie  sie  in  kurtzer  Zeyt 
weit  hin  vnd  wider  fahren  mögen,  vnd  sich  durch  Anschawung  seltzsamer  Ding,  erlüstigen 
vnd  erquicken,  vnd  viel  Dings  gesehen  haben.  Dann  solches  alles  bildet  jhnen  der  Teuffel 
in  Schlaff  eyn,  dass  sie  es  für  wahrhafftig  halten,  so  es  doch  nichts  ist,  dass  auch  die  alten 
Veteln  mit  jhren  Leiben  durch  enge  Löcher  selten  fahren  können,  solchem  ist  die  Vemonfft, 
die  Philosophia  vnnd  die  Natur  selbsten  zugegen,  eben  wie  sich  dieses  auch,  dass  sie  zu 
Nachts  Bolten  zusammen  kommen,  Täntze  vnnd  andere  Freudenspiel  halten,  so  sie  doch  in 
jhren  Bettern,  ruhig  schlaffendt  funden  seyn  worden,  falsch  ist,  vnd  nicht  erwiesen  mag* 
werden:  Also  lässt  sichs  auch  ansehen,  es  gebe  der  Teuffel  Gelt  auss,  aber  es  ist  anders  nichts 
denn  ein  lautere  Imagination,  welche  wie  ein  Staub  verschwindet:  Ach  der  losen  Obligation 
ist  doch  das,  wer  wolt  doch  Glauben  drauff  geben?' 

Wierus  ging  mit  einem  für  die  damalige  verblendete  Zeit  überraschend 
klarem  Blicke  die  Einzelheiten  des  Hexenglaubens  durch,  und  bei  jedem  einzelnen 
Punkte  suchte  er  dessen  Unhaltsamkeit,  seine  physikalische  Unmöglichkeit  und 
seine  Ungereimtheit  nachzuweisen.  Wenn  die  eingefangenen  Hexen,  so  führte  er 
aus,  nun  selber  alle  diese  Unthaten  eingestanden  hätten,  so  wären  sie  theils  Tom 
Teufel  betrogen,  der  ihrem  Gehirne  dieses  Blendwerk  vorgespiegelt  habe,  theils 
auch  hätten  sie  die  ihnen  zur  Last  gelegten  Schandthaten  bekannt,  gegen  ihre 
bessere  Ueberzeugung,  weil  sie  lieber  den  Tod  erleiden  wollten,  als  noch  ferner 
die  unsäglichen  Qualen  der  Folter  ertragen  zu  müssen. 

Leider  ist,  wie  ja  hinreichend  bekannt,'  die  Stimme  dieses  aufgeklärten 
Mannes  unberücksichtigt  verhallt.  Aus.  der  Feder  des  Franzosen  Bodin,  den 
wir  vorher  schon  kennen  lernten,  ersehen  eine  geharnischte  Gegenschrift,  welche 
Johann  Fischart  in  das  Deutsche  übersetzte.    Diese  Abhandlung  führt  den  Titel: 

„De  Magorum  Daemonomania.    Vom  Aussgelasenen  Wütigen  Teuffelsheer*  u.  s.  w. 

Noch  waren  die  Geister,  auch  der  Gebildetsten  in  Europa,  nicht  hinreichend 
aufgeklärt,  um  das  Ungeheuerliche    dieser  scheusslichen   Hexenprocesse  einsehen 


462.  Modemer  Hexenglaube.  563 

zu  können.  Darüber  mussten  noch  mehr  als  zwei  Jahrhunderte  verstreichen  und 
unaussprechlicher  Jammer  wurde  auch  femer  noch  über  die  Menschheit  verbreitet. 
Wir  wollen  uns  diese  Grausamkeiten  nicht  nochmals  in  die  Erinnerung  rufen, 
aber  in  dankbarer  Anerkennung  soll  des  Dr.  Wierus  gedacht  werden,  der  einst- 
mals mit  so  unerschrockenem  Muthe  bestrebt  gewesen  ist,  den  gesunden  Menschen- 
verstand wieder  in  seine  Hechte  einzusetzen. 


462.  Moderner  Hexenglanbe. 

Der  Hexenglaube  ist  in  Europa  aber  noch  nicht  vollständig  erloschen,  und 
selbst  in  Deutschland  giebt  es  noch  manch  frommes  Gemüth,  dem  die  Existenz 
von  Hexen  eine  ausgemachte  Thatsache  ist. 

Ueber  den  Hexenglauben,  wie  er  bei  den  südslavischen  Völkern  herrscht, 
bei  den  Serben,  den  Kroaten,  Neu-Slavonen  und  Bulgaren,  hat  Krauss*^ 
eingehende  Untersuchungen  angestellt: 

.Im  Allgemeinen  hält  man  die  Hexen  für  schwarze,  kraus-  und  weisshaarige,  alte,  arg 
zerlumpte  Weiber.  Man  stellt  sich  die  Hexen  als  bOsartige,  alte  Weiber  vor,  die  aus  dieser 
Welt  nicht  scheiden  kOnnen,  sie  hätten  denn  eher  ihren  Nebenmenschen  recht  viel  Leiden 
zugefügt.  Gewöhnlich  glaubt  man,  daas  ein  Frauenzimmer,  ehe  sie  zur  Hexe  wird,  jahrelang 
als  Mora  (Trut  oder  Mar)  junge  Leute  beschläft  und  ihnen  das  Blut  abzapft.  In  jeder 
Hexe  haust  ein  teuflischer  Geist,  der  sie  zur  Nachtzeit  verlässt,  sich  in  eine  Fliege,  einen 
Schmetterling,  eine  Henne,  einen  Truthahn  oder  eine  E[rähe,  am  liebsten  aber  in  eine  Kröte 
verwandelt.  Will  die  Hexe  Jemand  einen  besonders  schweren  Schaden  anthun,  so  verwandelt 
sie  sich  in  ein  reissendes  Thier,  gewöhnlich  in  einen  Wolf.  Ist  der  böse  Geist  aus  der  Hexe 
draussen,  so  liegt  ihr  Körper  völlig  wie  leblos  da,  und  wenn  einer  die  Lage  der  Hexe  derart 
veränderte,  dass  der  Kopf  dort  zu  liegen  käme,  wo  die  Füsse  liegen  und  umgekehrt,  so  würde 
die  Hexe  nimmer  zum  Bewusstsein  gelangen,  sondern  bliebe  für  ewig  todt." 

Man  hat  nun  auch  gewisse  Anzeichen  dafür,  ob  Jemand  eine  Hexe  sei  oder 
werde,  und  eins  derselben  zeigt  sich  bereits  bei  der  Geburt: 

«Wird  ein  Kind  mit  dem  Hemdchen  geboren,  so  muss  man  es  allgemein  bekannt  geben. 
Ist  das  Hemdchen  roth,  so  wird  das  Mädchen  eine  Mora  (Mar  oder  Trut),  nach  der  Verhei- 
rathung  aber  eine  Hexe,  ein  männliches  Kind  dagegen  wird  ein  Hexenmeister;  macht  man 
aber  die  Sache  rechtzeitig  kund,  so  kann  das  nicht  geschehen.'    (KraiMsK) 

Unter  den  anderen  Kennzeichen  einer  Hexe  steht  auch  hier  obenan,  dass  sie, 
in  das  Wasser  geworfen,  nicht  untersinkt.  Es  ist  das  eine  Anschauung,  die  von 
den  traurigen  Zeiten  her,  wo  der  sogenannte  Hexenhammer  wüthete,  sich  bis 
in  die  Neuzeit  erhalten  hat.     und  auch  hiergegen  hatte  Wierus  angekämpft. 

In  diesem  südslavischen  Hexenglauben  konmien  sonst  noch  übrigens  auch 
uralte  Anschauungen  wieder  zu  Tage: 

«Es  giebt  drei  Arten  von  Hexen.  Zur  ersten  Art  gehören  die  Lufthexen.  Diese  sind 
von  sehr  böser  Qemüthsart;  sie  sind  dem  Menschen  feindlich  gesinnt,  jagen  ihnen  Schreck 
und  Entsetzen  ein  und  stellen  ihnen  auf  Weg  und  Steg  überall  nach.  Nächtlicher  Weile 
pflegen  sie  dem  Menschen  au&upassen  und  ihn  so  zu  verwirren,  dass  er  das  klare  Bewusstsein 
vollständig  verlieren  muss.  Zur  zweiten  Art  gehören  die  Erdhexen.  Diese  sind  von  ein- 
schmeichelndem,  edlem  und  zugänglichem  Wesen  und  pflegen  dem  Menschen  weise  Rath- 
schläge  zu  ertheilen,  damit  er  dieses  thun  und  jenes  lassen  möge.  Am  liebsten  weiden  sie 
Heerden.  Die  dritte  Art  bilden  die  Wasserhexen,  die  höchst  bösartig  sind,  doch,  wenn  sie 
frei  auf  dem  Lande  herumgehen,  mit  den  ihnen  begegnenden  Menschen  sogar  gut  verfahren. 
Wehe  und  Ach  aber  demjenigen,  den  sie  im  Wasser  oder  in  der  Nähe  desselben  erreichen; 
denn  sie  ziehen  und  wirbeln  ihn  so  lange  im  Wasser  herum,  oder  reiten  ihn  in  der  Reihe 
nach  80  lange,  bis  er  jämmerlich  ertrinken  muss.*    CKrausshJ 

Dass  in  diesem  aus  Kroatien  stammenden  Glauben  die  in  das  Weibliche 
übertragenen  Elementargeister,  oder,  wie  Krauss  sich  ausdrückt,  die  übliche 
DreitheUung  der  Vilenarten  zu  Tage  tritt,  das  wird  wohl  Jeder  deutlich  er- 
kennen. Zum  Schlüsse  seiner  Arbeit  macht  Krauss  noch  die  folgende  interessante 
Bemerkung: 

36» 


564  LXXIV.  Die  Greisin  im  Volksglaaben. 

.Vergleicht  man  den  sfldslavischen  Hexenglauben  mit  dem  abendländischen, 
vorzüglich  mit'  dem  deutschen  und  italienischen,  aus  welchem  die  Süd-Slayen  so 
manche  Elemente  entlehnt  haben,  so  fllllt  es  auf,  dass  in  allen  den  Sagen  ein  Hexenmeister 
nicht  erwähnt  wird.  Femer  ist  dem  Teufelsglauben  eine  sehr  untergeordnete  Stellung  ein- 
geräumt. In  den  deutschen  und  italienischen  Hexenprocessen  spielt  der  Teufel  eine 
sehr  grosse  Rolle.  Die  Hexen  verschreiben  sich  ihm  mit  Leib  und  Seele  unter  Hersagen  be- 
sonderer Schwurformeln.  Davon  ist  keine  Rede  im  südslavischen  Hexenglauben.  Merk- 
würdiger Weise  wird  den  Hexen  bei  den  Süd-Slaven  die  Gabe  der  Weissagung  in  keiner 
Weise  zugeschrieben.  Die  Vjestice  war  eben  ursprünglich  keine  Wahrsagerin,  sondern 
lediglich  Aerztin.  Die  Weissagung  erscheint  noch  heute  den  Süd-Slaven  als  nichts  Ver- 
ächtliches. An  gewissen  Festtagen'  im  Jahre,  z.  6.  am  Tage  der  heil.  Barbara  und  zu  Weih- 
nachten, weissagen  noch  gegenwärtig  Frauen  und  Männer,  die  Frauen  z.  B.  aus  Fmcht- 
kömem,  die  Männer  aus  dem  Fluge  der  VOgel,  oder  aus  den  Eingeweiden  oder  Schulter- 
stücken geschlachteter  Thiere.  Bei  den  Süd-Slaven  gab  es  offenbar  ursprünglich  keines- 
wegs wie  bei  den  Italienern  und  Deutschen  einen  besonderen  Stand  der  Priesterinnen, 
Weissagerinnen  und  Aerztinnen.  Das  streng  demokratisch-separatistische  System  der  Haus- 
gemeinschaft (zadruga),  der  Phratie  (bratstvo)  und  der  Phyle  (pleme),  welches  die  Süd- 
Slaven  als  uraltes  indogermanisches  Erbstück  bis  auf  die  Jetztzeit  zum  Theil  fest- 
gehalten haben,  bot  der  Entwickelung  von  Priesterinnen-Collegien  nicht  geringe  Hemoinisse. 
Zudem  nahm  und  nimmt  das  Weib  im  Volksleben  der  Süd-Slaven  eine  ganz  untergeordnete 
Stellung  ein.  Dem  Weibe,  das  man  sich  wie  irgend  einen  Gegenstand  von  ihren  Eltern  und 
Verwandten  kaufte,  konnte  man  unmöglich  eine  höhere  geistige  Beföhigung  einräumen,  die 
sie  über  den  Mann  gestellt  hätte.  In  Folge  dessen  konnten  die  Hexenprocesse  des  Abend- 
landes auf  dem  Balkan  keinen  günstigen  Boden  finden.  Die  mittelalterliche  Dämonologie 
des  Abendlandes  fand  hier  keinen  Eingang.* 

Nach  Toeppen  sind  bei  den  Masuren  «Frauen,  die  rothe  Augen  haben 
—  besonders  alte  — ,  schlimme  Leute;  sie  können  hexen  und  vor  ihnen  nimmt 
sich  das  ganze  Dorf  in  Acht*.  Auch  durch  den  bösen  Blick  sind  besonders  die 
alten  Frauen  gefahrlich.  Man  kann  sich  schützen,  wenn  man  hinter  sie  tritt  und 
hinter  ihrem  Rücken,  ohne  ein  Wort  zu  sprechen,  dreimal  mit  dem  Zeigefinger 
der  linken  Hand  winkt. 

An  Hexen  glaubt  die  Landbevölkerung  in  Ober-Bayern,  wie  Höfler  uns 
berichtet,  ebenfalls  noch  heute: 

,Noch  wird  im  Isarthale  Müchmangel  der  Kühe  dem  Hexeneinflusse  zugeschrieben, 
weshalb  auch  manche  Bäuerin  die  Milch  nicht  verkaufen  will;  verkaufte  Milch,  welche  beim 
Kochen  Übergeht,  macht  durch  die  Hexenkrafb  auch  die  Milch  im  Kuheuter  gerinnen;  noch 
heisst  ja  das  Milchhäutchen  .die  Hex';  noch  werden  die  , Hexenbesen'  auf  Flachs-  und  6e- 
treideäckem  aufgesteckt  (geweihte  „Palmzweige"  d.  h.  Weidenzweige),  noch  werden  die  ver- 
schiedenen stark  riechenden  „Hexenkräuter*  in  den  todten  Winkeln  des  Stalles  aufgesteckt, 
oder  gar  der  schwarze,  stinkende  Bock  eingestellt,  um  die  Hexen  von  dem  Stalle  und  damit 
nach  dem  Volksglauben  auch  die  Krankheiten  fernzuhalten.  Noch  heute  soll  deijenige,  welcher 
Hexenverdaoht  hat,  3  Tage  lang  nichts  ausleihen  aus  dem  Hause,  und  jene  Person,  welche 
nach  dieser  Zeit  zuerst  ins  Haus  kommt,  um  etwas  zu  borgen,  das  ist  die  üebelwollende,  die 
Unholdin.  Noch  wird  beim  Umschütten  des  Tischsalzes  ein  Theil  desselben  kopfüber  nach 
hinten  geworfen  mit  den  Worten:  «Hex  bleib  hinter  mir!"  ** 

Auch  in  Skandinavien,  namentlich  in  Norwegen,  spielen  die  Hexen, 
wie  wir  durch  Äsbjömson  erfahren,  eine  hervorragende  Rolle.  Sie  vermögen 
sich  in  allerlei  Qethier  zu  verwandeln  und  fügen  namentlich  ihren  eigenen  Ehe- 
männern an  ihrer  Habe,  an  Leib  und  Leben  recht  empfindlichen  Schaden  zu. 
Sonntagskinder  vermögen  sie  zu  erkennen  und  ihre  Tücke  zu  Nichte  zu  machen. 

Aber  auch  noch  höher  im  Norden  kommt  der  Hexenglauben  vor,  nämlich 
in  Grönland.     Hier  constatirte  ihn  v.  Nordenshjöld.    Er  sagt: 

„So  wenig  die  Eskimos  auch  zum  Aberglauben  geneigt  sind,  so  suchen  sie  die  Ur- 
sachen zu  dem  Unglück  und  Missgeschick,  von  dem  sie  betroffen  werden,  doch  sehr  oft  in  der 
Zauberei,  und  wie  vor  noch  nicht  gar  langer  Zeit  in  Europa,  so  beschuldigte  man  früher 
auch  in  Grönland  hierfür  vorzugsweise  ältere  Frauen.  In  der  Zauberei  bewanderte  Männer 
und  Frauen  wurden  mit  dem  gemeinsamen  Namen  Iliseetsok  genannt." 

Die   übernatürliche   Macht   des  Weibes   wird   auch   im   südlichen   Afrika 


463.  Die  Zauberin,  die  Wahrsagerin  und  die  kluge  Frau.  565 

anerkannt:  Die  Kaffern  im  Oranje-Freistaat  glauben,  wie  Grütener^ 
berichtet,  das8,  wenn  ein  Mann  Jemanden  yerflacht,  dieses  dem  Betreffenden 
nicht  schadet,  wenn  aber  ein  Weib  ernstlich  flucht,  dann  trifit  der  Fluch  un- 
^fehlbar  ein. 

Bei  den  Xosa-Kaffern  ist  nach  Kropf  der  Olaube  an  Hexen  weitver- 
breitet. Sie  haben  sogar  zwei  besondere  Arten  von  Zauberpriestern,  von  denen 
die  einen,  die  Amagqira  awokumbulula,  die  Gegenstände,  mit  denen  gehext 
worden  ist,  auflinden  und  entfernen  müssen,  während  die  anderen,  die  Isanuse 
oder  Amagqira  abukali,  die  «scharfen  Aerzte**,  die  Hexen  «herauszu- 
riechen*^  haben.  Es  hat  den  Anschein,  als  wenn  die  Isanuse  viel  häufiger 
Männer  als  Weiber  herausriechen.  Das  findet  auch  seine  höchst  einfache  Er- 
klärung. Das  Eigenthum  der  als  Hexe  herausgefundenen  Persönlichkeit  wird 
nämlich  von  dem  Häuptling  confiscirt,  und  da  ist  es  selbstverständlich  lohnender, 
reiche  Männer  als  arme  Weiber  herauszuriechen. 

Von  den  Chinesen  berichtet  Katscher: 

«Wie  in  anderen  Ländern,  giebt  es  auch  in  China  Personen,  alte  Weiber,  welche  vor- 
geben, mit  gewissen  übernatürlichen  Geistern  befreundet  zu  sein  und  die  Seelen  der  Todten 
heraufbeschwören  und  zur  Rücksprache  mit  Lebenden  veranlassen  zu  kOnnen.  In  jeder 
grösseren  chinesischen  Stadt  giebt  es  eine  Unzahl  von  Hexen.  In  einem  Theile  der  Pro- 
vinz Kwangtung  giebt  es  eine  Art  Hexen,  Mifukau,  welche  vorgeben,  durch  gewisse 
Gebete  und  anderen  Hokuspokus  den  Tod  von  Menschen  herbeiführen  zu  können.  Ihre  Dienste 
werden  zumeist  von  verheiratheten  Frauen  in  Anspruch  genommen,  die  wegen  grausamer 
Behandlung  oder  aus  anderen  Gründen  ihre  Eheheiren  beseitigen  wollen.  Die  Hexe,  an  die 
man  sich  wendet,  sammelt  auf  Friedhöfen  die  Gebeine  von  Säuglingen  und  fleht  die  bösen 
Geister  der  letzteren  an,  die  Gebeine  in  ihre  (der  Hexe)  Wohnung  zu  begleiten,  wo  sie  sie 
zu  einem  feinen  Pulver  zerstösst.  Dieses  verkauft  sie  ihrer  Kundschaft,  die  die  Weisung  er- 
hält, es  den  zu  tödtenden  Personen  täglich  in  Wasser,  Wein  oder  Thee  zu  reichen,  während 
die  Hexe  die  bösen  Geister  der  Säuglinge  täglich  anfleht,  die  ihrer  Kundschaft  verhassten 
Personen  umzubringen.  Zuweilen  versteckt  man,  um  desto  sicherer  zu  gehen,  einen  noch 
unpulverisirten  Theil  der  Gebeine  eines  Säuglings  unter  dem  Bette  des  ahnungslosen  Mannes. 
Die  Behörden  haben  wiederholt,  und  mit  Erfolg,  den  Versuch  gemacht,  diesem  Unfug  zu 
steuern;  Grey  berichtet  über  mehrere  Fälle  von  Massenhinrichtung  von  Mifukaus.' 


463.  Die  Zauberin^  die  Wahrsagerin  und  die  kluge  Frau. 

Es  sind  eigentlich  nur  graduelle  Unterschiede,  welche  die  Hexe  von  der 
Zauberin  und  der  Wahrsagerin  trennen,  und  auch  die  kluge  Frau  gehört  dieser 
Sippe  an;  denn  sie  versteht  es  ja,  aus  allen  möglichen  Dingen  die  Zukunft  vor- 
herzusagen, durch  Besprechungen,  also  durch  das  Murmeln  von  Zauberformeln 
allerhand  Krankheiten  und  Schäden  zu  heilen  und  durch  sympathetische  Mittel 
Yerhexungen  unschädlich  zu  machen. 

Speke  fand  bei  dem  Könige  von  Uganda  besondere  Weiber  in  Function, 
welche  bei  jeder  Audienz,  die  der  Herrscher  ertheilt,  zugegen  sein  müssen,  um 
ihm  den  bösen  Blick  abzuwenden.     Sie  führen  den  Namen  Wabandwa. 

PaUas  berichtet  von  Zauberinnen  der  Kalmücken,  welche  Uduguhn  ge- 
nannt werden, 

dass  sie  nicht  mit  den  geistlichen  oder  heiligen  Personen  verwechselt  werden  dürfen, 
sondern  dass  sie  niederen  Standes  sind  und  dass  sie  .verabscheuet  und  die  Ausübung  ihrer 
verbotenen  Künste  sogar  geahndet  zu  werden  pfleget.  Sie  sollen  nur  alle  Monathe  einmal 
zaubern,  und  zwar  in  deijenigen  Nacht,  in  welcher  der  Neumond  antritt.  Sie  bedienen  sich 
keiner  Zaubertrommeln,  sondern  lassen  eine  Schaale  mit  Wasser  bringen,  tauchen  ein  gewisses 
Kraut  darin  und  besprengen  zuerst  damit  die  Hütte.  Damach  haben  sie  gewisse  Wurzeln, 
welche  sie  in  jede  Hand  nehmen,  anzünden  und  mit  ausgestreckten  Armen  allerley  Geberden 
und  gewaltsame  Leibesbewegungen  machen,  wobei  sie  beständig  die  Silben  Dshi,  Eje,  Jo,  jo 
singend  wiederholen,  bis  sie  in  eine  Art  von  Wuth  gerathen,  da  sie  dann  auf  die  vorgelegten 


566 


LXXIV.  Die  Greisin  im  Volksglauben. 


Fragen,   wegen  verlohme  Sachen   oder   zukünftiger  Begebenheiten,    Antwort   geben.*     (Aber 
auch  Männer,  Böh  genannt,  zaubern.) 

Auch  bei  den  Kirgisen  traf  Pallas  allerhand  Zaubervolk  an,  nnd  nachdem 
er  dieses  aufgezählt  hat,  so  fährt  er  fort: 

.Endlich  so  giebt  es  noch  Hexen  beyderley,  am  meisten  aber  weiblichen  Geschlechts 
(Dshaadugar),  welche  die  Sclayen  und  Gefangenen  bezaubern,  so  dass  sie  gemeini^licii 
entweder  auf  der  Flucht  verirren  und  wieder  in  die  Hände  ihres  Besitzers  fallen,  oder  ipv^enzi 
sie  auch  entkommen  sind,  dennoch  bald  wieder  in  Kirgisische  Sclayerey  gerathen  sollen. 
Sie  raufen  zu  dem  Ende  dem  Gefangenen  einige  Haare  vom  Kopf,  fordern  seinen  Namen 
und  stellen  ihn  mitten  im  Gezelt  auf  die  aus  einander  gefegte  und  mit  Salz  bestreate 
Asche  des  Feuerplatzes.  Darauf  nimmt  die  Zauberin  ihre  Beschwörungen  vor,  während 
welcher  sie  den  Gefangenen  dreymal  zurücktreten  lässt,  auf  seine  Fusstapfen  ausspuckt  und 
jedesmal  zum  Zelt  hinausspringt.  Zum  Schluss  streut  sie  dem  Gefangenen  etwas  von  der 
Asche,  worauf  er  gestanden,  auf  die  Zunge  und  damit  hat  die  Bannung  ein  Ende.  Die  Ka- 
saken  am  Jaik  glauben  fest,  dass,  wenn  ein  Gefangener  seinen  wahren  Namen  sagt^  diese 
Zauberey  ohnfehlbar  würke." 

Zauberer  und  Zauberinnen  spielen  auch  hei  den  sibirischen  Völkern,  bei 
den  Buräten,  Tungusen,  Beltiren,  Katschinzen  u.  s.  w.  eine  grosse  Rolle. 
Ebenso  haben  die  Golden  derartige  Weiber.  Alle  diese 
sibirischen  Zauberfrauen  unterscheiden  sich  aber  in  ihren 
Zauberkünsten  nicht  von  den  männlichen  Schamanen.  Auch 
in  Bezug  auf  ihre  Kostüme  und  auf  ihre  Ausrüstung  sind 
sie  den  letzteren  fast  vollkommen  gleich.  Sie  benutzen 
gleich  ihnen  eigenthümliche  Handtrommeln  und  sie  tragen 
wie  diese  bei  ihren  Amtsverrichtungen  phantastische  An- 
züge, die  mit  Schellen  und  Klapperblechen  behangen  sind. 
Ausführliches  über  diese  Schamanen  männlichen  und  weib- 
lichen Geschlechts  habe  ich  in  meinem  Buche  über  die 
Medicin  der  Naturvölker  gegeben.     (Bartels^,) 

Will  eine  Goldin  Schamane  werden,  so  muss  der 
älteste  Schamane  eine  weibliche  Figur,  welche  diese  Person 
darstellt,  ungefähr  1  Meter  gross  in  Holz  schnitzen.  Wenn 
diese  Arbeit  vollendet  ist,  so  hat  die  Frau  die  Schamanen- 
würde erreicht.  Hieraus  scheint  hervorzugehen,  dass  es 
gänzlich  in  das  Belieben  des  Ober-Schamanen  gestellt  ist, 
ob  er  das  Weib  in  den  Stand  der  Schamanen  aufnehmen 
will  oder  nicht.  Hat  er  irgend  etwas  dagegen,  so  braucht 
er  ja  nur  mit  dem  Schnitzen  des  Bildes  niemals  zu  Stande 
zu  kommen;  dann  kann  die  Frau  auch  nie  Schamanin 
werden.  Diese  Holzfiguren  sind  übrigens  von  einer  ganz 
erstaunlichen  Rohheit.  Kapitän  Adrian  Jacobsen  hat  eine 
solche  für  das  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin  mit- 
gebracht, welche  in  Figur  405  dargestellt  ist. 

Die  sibirischen  Zauberinnen  setzen  sich  durch  leb- 
hafte Körperbewegungen,  durch  eintönige  Gesänge,  durch 
das  Getöse  der  Zaubertrommel  und  durch  das  Rasseln  der 
Klapperbleche  in  einen  Zustand  extatischer  Erregung,  der 


Fig.  405.    Holzfigur 
der    Golden    (Sibirien), 
die    Schamanen  -  Candi- 
da tin  darstellend. 

(Aus  ^^''J^^^.^^^^^^^  ^®^  an  hypnotische  Processe  erinnert. 

Ganz  ähnlich  war  es  wohl  mit  der  berühmten  Pytkia 
in  dem  Tempel  zu  Delphi,  welche  von  dem  fürchterlichen  Lärm,  der  unter  ihrem 
Dreifusse  gemacht  wurde  und,  wie  es  scheint,  durch  ausströmende  Gase  in  einen 
Zustand  halber  Betäubung  übergeführt  wurde.  Der  Anwendung  des  Hypnotismus 
zum  Zwecke  der  Wahrsagung,  wie  er  unter  dem  Namen  des  Somnambulismus  im 
vorigen  und  im  Anfange  unseres  Jahrhunderts  eine  so  grosse  Rolle  gespielt  hat, 
begegnen  wir  noch  heute  auf  einzelnen  Inseln  des  alfurischen  Meeres. 


463.  Die  Zauberin,  die  Wahrsagerin  and  die  klage  Frau.  567 

Von  den  Einwohnern  der  Insel  Buru  z.  B.  berichtet  Riedel^: 
«Will  man  in  Erfahrung  bringen,  wer  Jemanden  krank  gemacht  hat,  oder  will  man 
einen  Blick  in  die  Zukunft  werfen,  dann  ruft  man  zwei  dessen  kundige  Weiber,  meistentheils 
bejahrte  Wittwen,  in  das  Haus  oder  unter  einen  grossen  Baum  im  Walde.  Hier  wird  ein 
Sitzplatz  Yon  Gabagaba  oder  ein  Stein  zum  Sitzen  für  die  Eine  hergerichtet,  indess  die  Andere 
unter  dem  die  Ohren  betäubenden  LSxm  von  Tuba  und  Trommel  aufsteht,  ein  Schwert  (Pa- 
rang)  ergreift  und  damit  allerlei  wilde  Sprünge  mit  gross  aufgerissenen  Augen  und  offen 
herabhängenden  Haaren  wie  eine  Furie  macht,  in  einer  Art  von  Extase  nach  oben  und  nach 
den  Seiten  und  auch  in  die  Augen  der  zweiten  Frau  blickt,  während  der  Schweiss  in  Strömen 
von  ihrem  Körper  herabströmt.  Dabei  schneidet  sie  sich  mit  dem  Paraog  und  nimmt  dann 
einen  Stein  von  der  Erde  auf,  mit  welchem  sie  sich  sägend  auf  die  blosse  Brust  schlägt,  so 
lange,  bis  ihre  Gefährtin,  welche  sitzen  geblieben  ist,  in  Gonvulsionen  verfällt  und  kataleptisch 
wird,  das  Gefühl  ihrer  Persönlichkeit  verliert  und  in  eine  Art  von  Betäubung  und  hypno- 
tischen Zustand  verfällt.  In  diesem  Schlafe  wird  sie  von  der  Anderen  ausgeforscht  und  über 
Alles,  was  man  zu  wissen  wünscht,  um-'Rath  gefragt." 

, Andere  Frauen  legen  sich  einfach  unter  eine  Matte  und  verfallen  nach  heftigen  con- 
vulsivischen  Zuckungen  in  Schlaf.  Diese  können  von  Jedem  befragt  werden.  Wenn  sie  wieder 
erwacht  sind,  so  können  sie  sich  an  das,  was  geschehen  ist,  nicht  mehr  erinnern.  Diese 
Frauen  sollen,  wie  man  behauptet,  bei  dem  Ausbrechen  der  Katamenien  in  einen  lethargischen 
Schlaf  von  einigen  Tagen  verfallen.  Sie  sind  obendrein  sehr  vergesslicher  Natur,  weil  sie  im 
Walde  durch  den  männlichen  IJjabat  oder  den  bösen  Geist  überfallen  worden  sind  und  mit 
ihm  den  Beischlaf  ausgeführt  haben.  Diesen  Zustand  nennt  man  Sanane,  auch  wohl  Ta- 
nane,  da  man  sich  vorstellt,  dass  der  in  dem  Berge  Sanane  hausende  Erdgeist  in  den 
Körper  des  Weibes  gefahren  ist,  um  ihr  Bewusstsein  oder  ihre  Seele  auf  einige  Zeit  daraus 
zu  entfernen  oder  zu  ersetzen.  Diese  Weiber  sind  nur  mit  einem  kurzen,  von  den  Hüften 
bis  auf  die  Kniee  herabreichenden  Sarong  bekleidet.  Während  der  wilden  Sprünge  der  Einen 
und  der  krampfhaften  Zuckungen  der  Anderen  fallen  ihnen  die  Sarongs  wiederholentlich 
heruntier  und  werden  ihnen  dann  von  einem  der  Umstehenden  wieder  festgebunden.* 

Ein  ähnlicher  Gebrauch  herrscht  auf  den  Luang-  und  den  Sermata- 
Inseln.  Auch  hier  versetzt  man  durch  Beschworungen  und  durch  Trommelschlagen 
eine  alte  Frau  in  einen  kataleptischen  Zustand,  in  welchem,  wie  man  glaubt,  einer 
von  den  Geistern  der  Vorfahren  in  sie  fahrt,  und  dann  befragt  man  sie  über  das, 
was  in  der  Geisterwelt  vorgeht.  Ebenso  existiren  auf  den  Eilanden  Leti,  Moa 
und  Lakor  Weiber,  welche  sich  durch  Trommelgetöse  hypnotisiren  lassen  und 
dann  die  Zukunft  vorhersagen  und  Träume  deuten  können.  Sie  stehen  in  hohem 
Ansehen  und  ihre  Divinationsgahe  schreibt  man  einer  Vereinigung  von  ihnen  mit 
dem  auserkorenen  Geiste  zu.    (Riedel\) 

Unter  den  Skandinaviern  gab  es  ebenfalls  Frauen,  welche  die  schwarze 
Kunst  und  die  Kenntnisse  von  geheimen  Kräften  und  Dingen  besassen;  ein  solches 
Weib,  das  mehr  wusste,  als  Andere,  nannte  man  vala  oder  völva,  spakona, 
galdrakona,  seidkona.  Mit  einer  derselben,  die  Thorbiörg  hiess  und  als  weise 
Frau  im  Winter  .umherfuhr,  um  den  Leuten  bei  Festschmäusen  zu  weissagen, 
macht  uns  Wmihold  bekannt.  Der  reiche  Bauer  ThorkeU  lud  sie  ein,  um  zu 
erfahren,  ob  das  Hungerjahr  bald  aufhören  werde.  Am  Abend  kommt  sie  an, 
von  einem  entgegengeschickten  Manne  geleitet.  Sie  trägt  einen  dunkeln,  mit 
Riemen  gebundenen  Mantel,  der  von  oben  bis  unten  mit  Knöpfen  besetzt  ist,  am 
Halse  Glasperlen,  auf  dem  Kopfe  eine  Mütze  von  schwarzem  Lammfell,  mit 
weissem  Katzenfell  gefuttert;  in  der  Hand  hält  sie  einen  Stab  mit  einem  mit 
Steinen  besetzten  Messingknopf.  Die  Hände  stecken  in  Katzenfell-Handschuhen; 
an  den  Füssen  hat  sie  rauhe  Kalbfellschuhe  mit  langen  Riemen  und  grossen 
Zinkknöpfen  auf  den  Enden  derselben.  Ihren  Leib  umschliesst  ein  Korkgürtel, 
an  dem  ein  Lederbeutel  mit  den  Zaubergeräthen  hängt.  Wie  sie  hereintritt;,  wird 
sie  von  Allen  ehrerbietig  gegrüsst;  der  Wirth  fuhrt  sie  auf  den  Ehrenplatz,  den 
Hochsitz,  der  diesmal  mit  einem  Polster  aus  Hühnerfedern  bedeckt  ist.  Die 
Seherin  nimmt  etwas  Ziegenmilch  und  eine  aus  allerlei  Thierherzen  bestehende 
Speise  zu  sich;   sie  ist   schweigsam,   verheisst  jedoch  für   den   nächsten  Tag  zu 


568  LXXIV.  Die  Greisin  im  Volksglanben. 

weissagen  und  den  Wünschen  zu  entsprechen.  In  der  That  war  am  nächsten 
Abend  Alles  bereit,  was  sie  zum  Zauber  bedurfte,  nur  Frauen  fehlten,  welche 
die  zur  Schutzgeisterlockung  dienenden  Sprüche  verstehen.  Endlich  findet  sicli 
eine,  die  auf  Island  dergleichen  Sprüche  gelernt  hatte;  weil  sie  Christin  ist, 
entschliesst  sie  sich  erst  nach  langem  Bitten,  behülflich  zu  sein.  Da  schliessen 
die  Frauen  um  die  Wahrsagerin  auf  dem  vierbeinigen  Zauberschemel  einen  Kreis, 
die  Gehülfin  stimmt  ein  schönes  Lied  an  und  die  Wala  erklärt  nun,  die  Natur- 
geister  seien  willig  geworden.  Darauf  weissagt  sie  das  baldige  Ende  des  Hanger- 
jahres und  verkündet  Allen  das,  was  sie  zu  wissen  wünschen;  schliesslich  zielit 
sie  auf  den  nächsten  Hof,  von  dem  bereits  ein  nach  ihr  gesendeter  Bote  ang^e- 
kommen  war. 

Auch  in  den  norwegischen  Erzählungen  von  Ashjömson  werden  uns  ein 
Paar  derartige  kluge  Frauen  in  ihrem  Benehmen  vorgeführt.  Sie  erinnern  in 
hohem  Grade  an  ihre  Schwestern  in  Deutschland  und  in  den  österreichischen 
Alpen ländern,  deren  Einfluss  auf  das  niedere  Volk  und  auf  die  Geistigarmen 
der  vornehmen  Stände  uns  überall  noch  entgegentritt.  Ihr  Gebiet  ist  die  reiche 
Fülle  der  Beschwörungsformeln  zur  Bekämpfung  von  allerlei  Krankheiten  und 
Yerhexungen,  deren  Macht  bisher  weder  die  Erziehung  noch  die  Kirche,  noch 
auch  die  aufklärende  und  bildende  Literatur  zu  beseitigen  im  Stande  ge- 
wesen sind. 

,  Einer  ganz  besonderen  Macht  und  eines  ausserordentlichen  Einflusses  er- 
freuen sich  aber  die  Zanberfrauen,  die  Govalyi,  bei  den  heutigen  Zigeunern. 
17.  Wlislocki^  schreibt  Folgendes  über  dieselben: 

^Die  Zauberfrauen  der  Zigeuner  treten  gegenwärtig  in  erster  Linie  als  Helfer,  und 
zwar  als  Heilkünstler  auf,  sowohl  fQr  Mensch,  als  auch  fQr  Thiere.  Sie  kennen  die  Zauber- 
formeln, durch  welche  die  Misege  (das  Schlechte,  die  Krankheitsdämonen)  aus  dem 
Körper  der  Siechenden  vertrieben  werden  können;  sie  haben  die  Macht  und  Kraft,  die  Seele 
der  Menschen  ,zu  binden  und  zu  lösen",  Liebe  und  Hass  zu  entfachen  und  zu  vernichten; 
und  wie  die  materiellen  Angriffe,  wissen  die  Zauberfrauen  auch  psychische  Störungen  zu  be- 
kämpfen. Sie  haben  also  noch  immer  dieselbe  Rolle,  die  bei  Naturvölkern  die  Priester  hatten 
vor  der  Trennung  der  Seelsorger  von  den  leiblichen.  Im  Bewusstsein  überirdischer  Begabung 
oder  im  zuversichtlichen  Vertrauen  auf  die  helfende  Kraft  überirdischer  Wesen,  wird  durch 
Kenntniss  zauberkräftiger  Formeln  und  Kräuter  geheilt.* 

,Wie  bei  der  Heilung  von  Krankheiten,  seien  dieselben  nun  materielle  oder  psychische 
Angriffe,  muss  die  Zauberfrau  auch  in  anderen  Kenntnissen  ihr  Können  beweisen,  um  wirk- 
same Talismane  und  Fetische  dem  Volke  vertheilen  zu  können.  Selbst  für  die  täglichen 
Lebensbedürfnisse  muss  sie  ihre  Macht  bekunden,  indem  sie  die  Zukunft  voraussagt,  das  Un- 
glück abweist,  überhaupt  durch  zauberkräftige  Mittel  das  Gelingen  eines  Unternehmens  fördert. 
Nicht  nur  die  Todten  zu  bannen,  sondern  auch  die  Witterung  zu  regeln,  muss  die  Zauberfrau 
verstehen,  um  ihre  Verbindung  mit  überirdischen  Wesen  darzulegen." 

Eine  Zauberfrau  kann  man  bei  den  Zigeunern  auf  zwei  verschiedene  Arten 
werden.  Die  eine  Art  haben  wir  früher  schon  kennen  gelernt;  sie  besteht  darin, 
dass  ein  überirdisches  Wesen,  ein  Nivashi  (ein  Wassergeist)  oder  ein  Pguvush  (ein 
Erdgeist)  mit  der  Frau  geschlechtlichen  Umgang  hat,  und  sie  nun,  um  ihr 
Schweigen  zu  erkaufen,  in  den  geheimen  Künsten  unterrichtet.  Würde  sie  schreien, 
dann  könnte  der  Geist  sich  nicht  von  der  Stelle  rubren  und  es  wäre  nun  eine 
leichte  Mühe,  ihn  todtzuschlagen.  Um  die  Wiederkehr  des  Elementargeistes  zu 
verhindern,  muss  die  neue  Zauberfrau  nun  neun  Tage  lang  Pferdemilch  trinken. 
In  ihrem  Leibe  hat  sie  eine  Schlange,  die  Jeden  todten  kann,  der  es  versucht, 
der  Frau  etwas  zu  Leide  zu  thun. 

Die  zweite  Gattung  der  Zauberfrauen  erlangt  ihre  Kraft  auf  andere  Weise; 
ich  lasse  auch  hier  Heinrich  v.  Wlisloclci^  sprechen: 

.Dem  Glauben  der  Zigeuner  gemäss  giebt  es  Frauen,  die  im  Besitze  übernatürlicher 
E[r&fbe  und  Eigenschaften  sind,  welche  sie  theils  auf  natürlichem  Wege  erworben,  theils  aber 
ererbt  haben.  So  bringt  z.  6.  das  siebente  Mädchen  einer  durch  keine  Knaben  unterbrochenen 
Kinderreihe  Eigenschaften  mit  sich  auf  die  Welt,  die  anderen  Sterblichen  abgehen,  so  z.  B. 


463.  Die  Zauberin,  die  Wahrsagerin  und  die  kluge  Frau.  569 

sieht  es  Dinge  (vergrabene  Schätze,  die  Seelen  Verstorbener  u.  dergl.),  die  Anderen  unsichtbar 
sind.  Die  meisten  Zauberfrauen  wurden  noch  in  ihrer  zartesten  Jugend  in  der  Heil-  und 
Zauberkunst  unterrichtet  und  erben  von  ihnen  zugleich  den  Ruf  und  das  Ansehen.  Nur  ihre 
eigenen  Töchter  können  die  Zauberfrauen  in  ihrer  Kunst  unterrichten,  nachdem  dieselben 
die  Anlagen  dazu  durch  Blutvererbuog  mit  sich  auf  die  Welt  bringen,  also  eine  pradestinirte 
Zauberkraft  schon  a  priori  besitzen,  die  aber  nur  dann  zum  vollen  Ausbruch  kommt,  sich  zur 
Thätigkeit  entfaltet,  wenn  das  betreffende  Weib  selbst  wenigstens  schon  drei  Töchter  zur 
Welt  gebracht  hat.* 

, Stirbt  die  Mutter,  eine  Schwester  oder  eine  Tochter  der  Zauberfrau,  so  muss  sie  das 
Wasser  aus  dem  Napfe  trinken,  den  man  nach  eingetretenem  Tode  zu  den  Füssen  der  Leiche 
aufzustellen  pflegt,  damit  .sich  die  Seele  der  Verblichenen  darin  bade**.  Trinkt  sie  es  nicht, 
80  nimmt  die  Todte  ihre  Weisheit  mit  und  sie  hat  aufgehört,  zur  Gilde  der  Zauberfrauen  zu 
gehören.  Um  ihre  Weisheit,  Zauberkraft  zu  bewahren,  steckt  sie  auch  ein  angebranntes 
Stückchen  von  den  Kleidern  der  Verblichenen  zu  sich,  die  eben  nach  altem  Brauche  gleich 
nach  der  Leichenbestattung  verbrannt  werden.  Mit  diesem  Fetzen  räuchert  sie  sich  dann  in 
der  nächstfolgenden  Johannisnacht  oder  Neujahrsnacht  auf  irgend  einem  Kreuzwege,  um  die 
noch  immer  herumflattemde  Seele  der  Verblichenen,  die  erst  nach  gänzlicher  Fäulniss  des 
Körpers  ins  «Todtenreich*  eingeht,  zu  bannen.  Aus  eben  diesem  Grunde  muss  sie  die  ersten 
nenn  Tage  hindurch  nach  der  Leichenbestattung  jedesmal  zu  Mittag  das  Grab  der  Verblichenen 
besuchen  und  Mohnkömer  bis  zum  Grabe  auf  die  Erde  fallen  lassen,  damit  die  ihr  nach- 
folgende Seele  der  Gestorbenen  dieselben  auflese  und  keine  Zeit  habe,  sie  in  ihrer  Zauberkraft 
zu  schwächen." 

«Während  dieser  Zeit  muss  sie  sich  des  Beischlafs  enthalten,  damit  sie  nicht  etwa  ge- 
schwängert ein  todtes  Kind  zur  Welt  bringe,  aus  dem  ein  Lo9olico  (Dämon)  oder  Mulo 
(Vampyr)  würde,  der  seine  Eltern  zu  Tode  quälen  könnte.  Häufige  Schlnckungen  nach  Ver- 
lauf der  erwähnten  neun  Tage  deuten  an,  dass  die  Zauberkraft  der  betreffenden  Frau  unge- 
schwächt, ja  im  Gegentheil  gestärkt  und  vermehrt  sich  in  ihr  befinde.' 

Bei  diesem  Glauben  an  die  übernatürlichen  Kräfte  der  Zauberinnen  und  bei 
der  Art  und  Weise,  wie  sie  von  ihrer  Zaubermacht  Gebrauch  machen,  müssen  wir 
es  abermals  bewundern,  wie  die  Menschen  in  den  verschiedensten  Jahrhunderten 
und  in  den  verschiedensten  Theilen  unseres  Erdballs  doch  wieder  auf  die  gleichen 
Gedanken  und  auf  analoge  Mittel  zu  ihrer  AusfQhrung  verfallen  sind.  Ob  jemals 
dieser  Aberglaube  schwinden  wird,  das  mochte  ich  für  sehr  unwahrscheinlich 
halten. 


LXXV.  Das  Weib  im  Greisenalter. 

464.  Die  Greisin  in  anthropologischer  Beziehung. 

Das  Klimakterium  ist  das  Merkzeichen  für  die  Frau,  dass  die  Zeit  ihrer 
Blüthe  auf  immer  dahingeschwunden  ist.  Mit  mehr  oder  weniger  raschen,  aber 
mit  Schritten,  die  keine  Umkehr  mehr  zulassen,  geht  jetzt  das  Weib  dem  Oreisen- 
alter  entgegen.  Die  äussere  Erscheinung  einer  Greisin  ist  allbekannt;  aber  dennoch, 
möchte  ich  glauben,  ist  es  nicht  ganz  unnütz,  dieselbe  hier  ein  Weniges  zu  zer- 
gliedern. Was  wohl  am  meisten  in  die  Augen  fallt,  das  ist  der  rapide  und  hoch- 
gradige Schwund  des  Unterhautfettgewebes,  der  die  bei  Greisinnen  oft  so  erheb- 
liche Abmagerung  bedingt  und  indirect  auch  die  Ursache  ist  für  die  Fülle  von 
Runzeln  und  Falten,  welche  wir  an  dem  Antlitz  und  dem  Körper  der  hochbetagten 
Frauen  auftreten  sehen.  Das  Unterhautfett  nämlich  wird  allmählich  aufgesogen, 
es  schwindet,  es  wird  weniger;  die  Haut  aber  nimmt  an  diesem  Processe  der 
Verkleinerung  nur  in  ganz  geringer,  fast  unmerklicher  Weise  Theil,  und  da  sie 
nun  im  Uebermaasse,  als  eine  zu  weite  Hülle  für  den  abgemagerten  Körper  vor- 
handen ist,  da  aber  Tausende  von  feinen  Bindegewebssträngen  sie  mit  dem  von 
ihr  bedeckten,  immer  mehr  und  mehr  einschrumpfenden  Körper  verbinden,  so 
muss  sie  nothgedrungen  sich  runzeln  und  sich  in  den  verschiedensten  Richtungen 
in  Falten  legen. 

Dieser  Process  der  Abmagerung,  der,  wie  ich  wohl  kaum  erst  zu  erwähnen 
brauche,  naturgemäss  doch  nur  mit  einem  Wenigerwerden,  mit  einem  Verluste 
an  Gewebselementen  einhergehen  kann  und  der  gewöhnlich  mit  dem  Namen  des 
Altersschwundes,  der  senilen  Atrophie  bezeichnet  wird,  beschränkt  sich  nun 
aber  keineswegs  allein  auf  das  Unterhautfettgewebe.  Auch  die  Muskulatur,  die 
Eingeweide,  das  Gehirn  und  das  Rückenmark,  die  Nervenstränge,  die  Lunge  und 
die  Leber,  die  Milz  und  die  anderen  Blut  und  Lymphe  bildenden  Organe,  ja 
selbst  die  Knochen  nehmen  daran  Theil,  und  merkwürdiger  Weise  scheinen  ausser 
der  bereits  erwähnten  Haut  nur  das  Herz  und  di^  Nieren  hiervon  ausgenommen 
zu  sein. 

Aber  erhebliche  Veränderungen,  welche  durch  das  Alter  bedingt  werden, 
finden  sich  auch  an  diesen  letztgenannten  Organen.  In  der  Haut  atrophiren  die 
kleinen  Drüsen  und  hierdurch  erleidet  sie  eine  nicht  unerhebliche  Einbusse  an 
ihrer  Elasticität,  sie  wird  spröde  und  trocken ;  die  Nieren  zeigen  wichtige  Altera- 
tionen in  ihrem  feineren  anatomischen  Bau,  und  die  Muskulatur  des  Herzens  unter- 
liegt allmählich  einer  fettigen  Degeneration,  welche  zum  nicht  geringen  Theile 
für  die  Herzschwäche  und  die  Störungen  in  der  Blutcirculation  bei  den  alten 
Frauen  die  Ursache  abgiebt.     Charcot  sagt: 

„Les  fibres  musculaires  de  la  Tie  organique  n'echappent  pas  ä  la  d^g^neration  gpraie- 
seuse  et  voub  aurez  souvent  Toccasion  de  constater  qua   les  parois  musculaires  du  coeur  en 


464.  Die  Greisin  in  anthropologischer  Beziehung.  571 

8ont  presque  toujours  atteintes  chez  les  femmes  qui  meurent  &  an  äge  avanc^.  A  cette 
alt^ration  du  tissu  cardiaque  se  rapportent  les  phenom^nes  d'asystolie  qui  s'observent  si  fr6- 
quemment  chez  les  vieiUards,  alors  mdme  qu'üs  paraissent  jouir  d'une  bonne  sante.* 

Es  wird  auch  dem  in  den  Gebieten  der  medicinischen  Wissenschaft  nicht 
bewanderten  Leser  sofort  einleuchten,  dass  wir  uns  hier  bereits  an  der  Grenze  des 
Pathologischen,  des  Krankhaften  bewegen,  und  der  Arzt  muss  daher  den  bekannten 
Ausspruch  vollkommen  unterschreiben,  dass  das  Greisenalter  an  sich  eine  Krank- 
heit ist.  Wir  müssen  aber  darauf  verzichten,  uns  an  dieser  Stelle  noch  ein- 
gehender mit  den  sogenannten  Altersveränderungen  zu  beschäftigen,  soweit  sie 
die  anatomische  Zusammensetzung  der  einzelnen  Organe  und  deren  physiologische 
Leistungen  zu  verändern  und  zu  beeinträchtigen  vermögen,  und  ich  beschränke 
mich  darauf,  die  allgemeine  äussere  Erscheinung,  welche  die  Greisin  darbietet,  etwas 
genauer  zu  beleuchten. 

Da  fallen  uns,  abgesehen  von  den  bereits  besprochenen  Runzeln  und  Falten 
der  Haut,  die  gebückte,  gekrümmte  und  vornübergebeugte  Haltung  des  Körpers, 
die  wackelnden  und  leicht  zitternden  Bewegungen  des  Kopfes  und  der  Hände  und 
der  steife  und  unsichere,  fast  stampfende  Schritt  zuerst  in  die  Augen.  Die  gerade 
und  aufrechte  Haltung  unseres  Körpers  wird  bedingt  durch  die  in  gleichmässiger 
Stärke  wirkende  Thätigkeit  der  Bengemuskeln  und  der  Streckmuskeln  unserer 
Wirbelsäule  und  des  Kopfes.  Ln  höheren  Alter  gewinnen  die  Bengemuskeln  das 
Uebergewicht  und  krümmen  daher  die  Wirbelsäule  nach  vorn,  und  gleichzeitig 
wird  auch  der  Kopf  etwas  abwärts  gebeugt.  Der  letztere  verliert  nun  aber  die 
richtige  Unterstützung  f&r  seinen  Schwerpunkt  und  sinkt  daher,  dem  Gesetze  der 
Schwere  folgend,  nach  und  nach  noch  weiter  nach  vorn.  Auch  die  Vorwärts- 
krümmung  der  Wirbelsäule  steigert  sich  allmählich,  theils  durch  den  Druck  des 
überhängenden  Kopfes  und  der  Schulter,  theils  dadurch,  dass  die  übermässig  ge- 
dehnten Streckmuskeln  immer  mehr  von  ihrer  Contractionsfahigkeit  einbüssen, 
während  die  Beugemuskeln  immer  kürzer  werden,  theils  endlich  auch  durch  directe 
Yolumenabnahme  der  die  einzelnen  Wirbelkörper  mit  einander  verbindenden  Band- 
scheiben in  ihren  vorderen  Abschnitten,  welche  durch  die  Beugung  der  Wirbel- 
säule einer  dauernden  Gompression  unterliegen,  während  ihre  hinteren  Hälfben  im 
Gegentheil  sogar  gedehnt  und  vergrössert  werden. 

Die  ruhige  Haltung  unseres  doch  immerhin  recht  schweren  Kopfes  kommt 
dadurch  zu  Stande,  dass  ihn  die  entsprechenden  Muskelgruppen  der  rechten  und 
der  linken  Körperhälfte  in  gleichmässiger  Gontractionsarbeit  im  Gleichgewicht 
erhalten.  Diese  Gleichmässigkeit  der  Contractionen  geht  nun  im  Alter  verloren, 
jedenfalls  in  Folge  der  im  Gehirn  und  in  den  Nervensträngen  sich  einstellenden 
atrophischen  Processe,  und  nun  contrahiren  sich  in  schneller  Folge  bald  die 
Muskeln  der  einen,  bald  diejenigen  der  anderen  Seite,  und  hierdurch  wird  dann 
das  Wackeln  des  Kopfes  verursacht,  wie  wir  es  bei  alten  Leuten  so  gewöhnlich 
antreffen. 

Die  Zitterbewegungen  der  Hände,  im  Volksmunde  der  Tatterich  genannt, 
sowie  die  Unsicherheit  in  der  Bewegung  der  Beine  verdanken  ihren  Ursprung 
ebenfalls  den  Altersveränderungen  im  Bereiche  des  Nervensystems.  An  dem  ent- 
blössten  Körper  fällt  die  gewöhnlich  vorhandene  grosse  Magerkeit,  das  Welke, 
Schlaffe  und  doch  an  vielen  Stellen  wie  polirt  Glänzende  der  Haut  in  die  Augen. 
An  den  Fingern  und  Zehen,  an  der  Kniescheibe,  ganz  besonders  aber  an  den 
Ellenbogen  kommt  es  zu  sehr  reichlicher  Faltenbildung  der  Haut.  Auch  die 
Bauchhaut  hat  sich  in  zahlreiche  Falten  gerunzelt.  Die  Muskelgruppen  der  Ex- 
tremitäten sind  schlaff  und  welk;  die  Rundungen  des  Körpers  sind  verschwunden; 
die  etwas  prominenten  Theile  des  Knochengerüstes  treten  mit  erschreckender 
Deutlichkeit  hervor.  Wo  einst  in  stattlicher  Fülle  und  Prallheit  die  Hinterbacken 
Sassen,  markiren  sich  jetzt  die  grossen,  seichten  Vertiefungen  der  Darmbeinschaufeln. 
Dadurch  erhält  auch  der  schlaffe  runzlige  After  eine  so  oberflächliche  Lage,  dass 


572 


LXXV.  Das  Weib  im  Greisenalter. 


1 


er  sofort  sichtbar  wird,   während  er  bei  jungen  Weibern  tief  in  der  Hinterkerbe 
versteckt  liegt.     Die  letztere  ist  aber  jetzt  fast  spurlos  verschwunden. 

Auch  ein  Mons  Veneris  hat  eigentlich  aufgehört  zu  existiren,  denn  die  den- 
selben einstmals  bedeckende  Haut  ist  jetzt  straff  über  die  Schambeinsymphyse 
gespannt,  während  das  ihn  einstmals  bildende  Fettpolster  völlig  geschwunden  ist. 
Seine  Behaarung  ist  aber  erhalten  geblieben,  und  zwar  erscheinen  die  Haare  sogar 
länger,  dicker  und  massiger  als  früher,  wenn  sie  auch  zum  grossen  Theile  ihren 
Farbstoff  eingebüsst  und  die  graue  Farbe  des  Alters  angenommen  haben.  Sie 
scheinen  überhaupt  in  einem  noch  höheren  Grade  widerstandsfähig  gegen  das 
Alter  zu  sein,  als  die  Kopfhaare,  obgleich  ja  auch  diese,  wie  wir  oben  bereits 
gesehen  haben,  dem  weiblichen  Geschlechte  um  sehr  viele  Jahre  länger  erhalten 
zu  bleiben  pflegen,  als  dem  männlichen.  Albrecht  will,  wie  schon  früher  erwähnt, 
hierin  ein  Zeichen  von  Inferiorität  des  Weibes  gegenüber  dem  Manne  in  ver- 
gleichend anatomischer  Beziehung  erkennen.  Von  den  Falten  des  Bauches  wurde 
bereits  gesprochen;  die  Bippen  und  die  Schulterblätter  treten  deutlich  hervor, 
während  die  Zwischenrippenräume  und  die  Schlüsselbeingruben   tief  eingesunken 

sind.  Die  Brüste  haben  ebenfalls  ihr  Fett  verloren 
und  hängen  in  Gestalt  grösserer  oder  kleinerer  Haut- 
lappen am  Brustkorbe  herunter  (Fig.  406),  oder  sie 
sind  überhaupt  gänzlich  geschwunden  mit  Ausnahme 
der  grossen  und  meistentheils  missfarbenen  Warzen. 
Es  bleibt  mir  noch  übrig,  über  die  Verände- 
rungen und  Umbildungen  zu  sprechen,  welche  das 
höhere  Alter  in  dem  Gesicht  der  Greisin  hervorruft, 
und  hierbei  möge  sich  der  Leser  an  dasjenige  erinnern, 
was  ich  in  dieser  Beziehung  über  die  Matrone  sagte, 
auch  möge  er  die  auf  Taf.  VH  zusammengestellten 
Köpfe  von  alten  Frauen  in  Augenschein  nehmen. 

Der  Process  des  Herabrutschens  der  Wangen, 
wie  wir  uns  ausdrücken  können,  dessen  Anfange  wir 
bereits  in  der  Zeit  des  Klimakteriums  zu  beobachten 
vermochten,  hat  jetzt  im  Greisenalter  ganz  erhebliche 
Dimensionen  angenommen.  Wie  ein  schlaffes  Segel 
hängt  die  Haut  der  Wange  herab  und  lässt  die  Um- 
risse des  Jochbogens  sich  deutlich  markiren.  Die 
eigentliche  Wölbung  der  Wange  ist  so  weit  nach 
unten  gelegt,  dass  sie  gleichsam  an  dem  unteren  Bande 
des  Unterkiefers  hängt,  hier,  entsprechend  der  Ansatz- 
stelle des  grossen  Kaumuskels,  einen  schmalen,  halbwalzenformigen  Wust 
bildend.  Die  Nasen-Lippenfurche  ist  noch  erheblich  tiefer  geworden  und  reicht 
oft  bis  fast  an  den  unteren  Band  des  Unterkiefers  herab.  Die  Nase  er- 
scheint dadurch  an  ihrer  Wurzel  schmaler  als  bisher,  sie  hat  aber  bedeutend  an 
Länge  zugenommen;  auch  haben  ihre  Spitze  und  die  Nasenflügel  eine  gewisse 
Plumpheit  erhalten.  Durch  die  so  weit  nach  abwärts  reichende  Nasen-Lippen- 
furche wird  aber  auch  das  Kinn  vollständig  von  den  Wangen  abgegrenzt  und 
macht  nun  den  Eindruck  wie  eine  dem  Untergesicht  besonders  angesetzte  kleine 
Halbkugel. 

Der  Mund  hat  seine  Zahne  verloren  und  die  dieselben  einstmals  beher- 
bergenden Alveolen  sind  allmählich  vollkonunen  geschwunden.  Der  Oberkiefer 
sowohl  als  auch  der  Unterkiefer  sind  nun  also,  auch  abgesehen  von  dem  Verluste 
der  Zähne,  um  ein  Stück  niedriger  geworden,  und  wenn  sie  nun  mit  ihren  Kau- 
flächen auf  einander  ruhen,  dann  hat  das  ganze  Gesicht  einen  gar  nicht  unbe- 
deutenden Bruchtheil  seiner  Höhe  verloren;  die  Lippen  sinken  flach  trichterförmig 
ein,  einen  wahren  Strahlenkranz   von  Bunzeln  um   die  Mundspalte   bildend,  und 


Fig.  406.     Kaiinas -Indianerin 

(Surinam), 
obgleich  erst  38  Jahre  alt,  doch  be- 
reits   beginnende     Greisenverände- 
mngen  zeigend. 
(Nach  Prinz  Roland  Bonaparte.) 


465.  Die  anthropologpische  Bedeutang  der  Altersverändernngen  des  Weibes.  573 

das  der  Nase  genäherte  Kinn  ragt  nun  eine  ganze  Strecke  weiter  über  die  senk- 
rechte Medianlinie  des  Körpers  nach  vorn  hinaus  als  in  früheren  Tagen. 

Die  Farbe  des  Gesichtes  ist  meist  eine  blasse,  &hle,  erdfarbene.  Die  bereits 
besprochene,  unvollkommene  Regeneration  des  Blutes  bei  alten  Leuten  und  die 
bei  ihnen  so  gewöhnlichen  Girculationsstörungen  tragen  hieran  die  Schuld.  Bis- 
weilen aber  finden  wir  die  Wangen  gerade  mit  einem  rosigen  Schimmer  belebt. 
Dieses  Leben  ist  aber  nur  ein  scheinbares;  denn  die  Ursache  dieser  Wangenröthe 
haben  wir  in  Blutstauungen  in  den  mehr  oberflächlich  gelegenen  Gapillargefässen 
der  Haut  zu  suchen.  Die  Augen  sind  meist  getrübt,  oft  durch  chronische  Gatarrhe 
der  Bindehaut  geröthet  und  thränend  und  machen  durch  das  Auftreten  des  soge- 
nannten Greisenringes,  einer  ringförmigen,  gelblich-weissen  Verförbung  der  Horn- 
haut rings  um  die  äussere  Peripherie  der  Regenbogenhaut,  einen  eigenthümlichen, 
fremdartigen  Eindruck.  Hier  und  da  im  Gesicht,  besonders  aber  am  Kinn  und 
an  der  Unterlippe,  treten  starke,  borstenähnliche  Haare  auf,  und  es  gehört  durch- 
aus nicht  zu  den  Seltenheiten,  dass  bei  den  Weibern  im  Greisenalter  ein  ganz 
regulärer,  wenn  auch  etwas  dünn  gesäter  Bart  zur  Entwicklung  gelangt. 


465.  Die  anthropologische  Bedeutung  der  Altersreränderangen 

des  Weibes. 

In  dem  vorigen  Abschnitte  habe  ich  ein  Bild  zu  entwerfen  gesucht  von  den  so 
«ehr  beträchtlichen  Veränderungen  und  Umformungen,  welche  das  Greisenalter  in 
der  gesammten  äusseren  Erscheinung  des  Weibes  in  so  charakteristischer  Weise 
verursacht,  und  die  auf  der  siebenten  Tafel  dem  Leser  vorgeführten  Dar- 
stellungen von  hochbetagten  Frauen  verschiedener  Nationen  und  Rassen  werden 
noch  zur  besseren  Yeranschaulichung  des  Gesagten  beitragen  helfen.  Wenn  wir 
den  so  erheblich  veränderten  Anblick,  welchen  uns  jetzt  das  Weib  darbietet,  in 
nähere  Betrachtung  ziehen,  so  können  ich  uns  einigen  hochbedeutenden  anthropo- 
logischen Thatsachen  nicht  verschliessen,  welche  ich  an  dieser  Stelle  einer  kurzen 
Besprechung  unterwerfen  muss.  Die  erste  dieser  Thatsachen  lässt  sich  folgender- 
maassen  formuliren: 

Die  Veränderungen  des  Greisenalters  verwischen  die  Geschlechts- 
<;haraktere  des  Weibes. 

Der  Leser  möge  sich  vergegenwärtigen,  dass  Dasjenige,  was  wir  als  den 
weiblichen  Habitus  zu  bezeichnen  gewohnt  sind,  durchaus  keinen  angeborenen 
Zustand  bedeutet.  Einem  neugeborenen  Kinde  das  Geschlecht  anzusehen,  selbst- 
verständlich wenn  man  von  den  Genitalien  Abstand  nimmt,  ist  ein  Ding  der  Un- 
möglichkeit, und  nicht  selten  noch  länger  als  ein  Jahrzehnt  hindurch  behält  das 
kleine  Mädchen  den  knabenhaften  Typus  bei.  Bisweilen  allerdings  lassen  schon 
verhältnissmässig  sehr  frühzeitig,  mit  6  oder  7  Jahren,  die  grössere  Fülle  der 
oberen  Brustregion  und  die  runden  Formen  der  Hinterbacken,  der  Schenkel  und 
der  Waden  mit  Deutlichkeit  das  weibliche  Geschlecht  erkennen.  Unter  allen 
Umständen  aber  ist  der  weibliche  Habitus  nichts  von  vornherein  Fertiges,  sondern 
etwas  Werdendes,  allmählich  sich  Entwickelndes. 

Je  näher  die  Zeit  der  Pubertät  herannaht,  desto  deutlicher  vollzieht  sich  die 
Differenzirung  des  geschlechtlichen  Habitus,  und  es  ist  immer  als  eine  ausser- 
ordentliche Seltenheit  und  damit  gleichzeitig  als  eine  Abnormität  zu  betrachten, 
wenn  man  bei  geschlechtsreifen  Menschen  die  Geschlechter  noch  mit  einander  zu 
verwechseln  im  Stande  ist.  Das  bleibt  nun  auch  in  gleicher  Weise  för  den  grösseren 
Theil  des  späteren  Lebens  bestehen. 

Dann  aber  kommt  das  Greisenalter  heran  und  lässt  die  rundlichen  Formen 
des  weiblichen  Körpers  verschwinden,  macht  alle  Glieder  dürr  und  mager  und 
zieht   tiefe  Furchen  in  das  sonst  so  volle  Antlitz.     Jetzt   ist   es   wiederum   fast 


574 


LXXV.  Das  Weib  im  Greisenalter. 


eine  Unmöglichkeit,  eine  sichere  Unterscheidung  der  Geschlechter  vorzunehmen, 
wenn  nicht  die  besondere  Haartracht  oder  die  Eigenthümlichkeiten  des  Anzuges 
oder  der  Ausschmückung  des  Körpers  das  Urtheil  unterstützen  helfen.  Es  kommt 
noch  hinzu,  dass,  wie  wir  gesehen  haben,  dem  Antlitze  alter  Frauen  sehr  häufig 
ein  dünngesäter  Bart  entsprosst,  während  bei  Greisen  der  Bartwuchs  nicht  selten 
seine  einstige  Dichtigkeit  verliert,  und  dass  die  Stimme  alter  Männer  fast  immer 
höher  und  quäkender  wird  als  früher,  während  Greisinnen  ein  rauheres  und  tieferes, 
mehr  an  das  männliche  erinnerndes  Organ  zu  erhalten  pflegen.  Es  bedarf  aber 
wohl  nicht  erst  der  Erwähnung,   dass  sich  alles  das  soeben  Gesagte  nur  auf  die 

allgemeine  äussere  Erscheinung  be- 
zieht; denn  die  im  Anfange  dieses 
Werkes  geschilderten  secundären  Ge- 
schlechtscharaktere, wie  sie  das  mensch- 
liche Knochengerüst  uns  darbietet, 
können  naturgemäss  auch  durch  das 
Greisenalter  nicht  verändert  und  aus- 
gelöscht werden. 

Aber  noch  eine  zweite  Thatsache 
von  anthropologischer  Wichtigkeit 
tritt  uns  entgegen,  welche  wir  folgen- 
dermaassen  ausdrücken  können: 

Die  Veränderungen  des 
Greisenalters  verwischen  die 
Rassencharaktere. 

Auch  diesen  Ausspruch  wird  ein 
Blick  auf  die  Taf.  VII  bestätigen,  wo 
wir  greise  Vertreterinnen  aus  allen 
fünf  Welttheilen  kennen  lernen.  Ich 
glaube  kaum,  dass  es  auch  dem  her- 
vorragendsten Anthropologen  möglich 
wäre,  allein  aus  dem  Anblick  solcher 
(übrigens  in  ganz  ausgezeichneter  Por- 
traitähnlichkeit  gefertigter)  Abbil- 
dungen mit  absoluter  Sicherheit  die 
Nationalität  dieser  alten  Frauen  zu  bestimmen.  Natürlicher  Weise  darf  man  aber 
nicht  vergessen,  dass,  wenn  man  solche  Greisinnen  im  Originale  vor  sich  hätte, 
der  anthropologische  Typus  der  Haare,  sowie  die  Hautfarbe  und  etwaige  Tätto- 
wirungen  oder  sonstige,  für  bestimmte  Völker  charakteristische  Verstümmelungen 
die  Diagnose  auf  die  ethnographische  Herkunft  zu  erleichtern  vermögen.  Immer- 
hin verdienen  diese  beiden  eigenthümlichen  Wirkungen  des  Greisenalters  die  voUe 
Würdigung  und  Beachtung  der  Anthropologen. 

Es  ist  nun  aber  absolut  unmöglich,  über  den  eigentlichen  Termin,  zu 
welchem  der  Eintritt  des  Greisenalters  zu  erwarten  ist,  auch  nur  annähernd  eine 
für  alle  Fälle  gültige  Aeusserung  zu  machen.  Denn  in  dieser  Beziehung  herrschen 
die  allererheblichsten  Schwankungen  nicht  allein  bei  den  verschiedenen  Rassen, 
sondern  auch  bei  den  einzelnen  Individuen.  Die  Einen  conserviren  sich  gut,  die 
Anderen  altem  frühzeitig.  Wer  hätte  z.  B.  die  in  Fig.  406  dargestellte  Kaiinas- 
Indianerin  für  erst  38jährig  geschätzt,  wer  würde  es  der  in  Fig.  407  abge- 
bildeten Zigeunerin  mit  ihren  unzähligen  kleinen  Falten  und  Runzeln  ansehen, 
dass  sie  erst  29  Jahre  alt  ist?  Und  ähnliche  Exemplare  bei  unserer  nord- 
deutschen Landbevölkerung  und  bei  unserem  grossstädtischen  Proletariate  aus- 
findig zu  machen,  würde  wohl  keine  sehr  grosse  Mühe  kosten. 

Wir  hatten  gesehen,  dass  stets  bei  solchen  Nationen  die  Weiber  frühzeitig 
zu  altern  pflegen,    bei  denen   die  Frauen   in   ganz  besonderer  und  übermässiger 


Fig.  407.    Zigeunerin  aus  dem  turkestanischen 
Distriot  von  Zeravschan, 
29  Jahre  alt,  Greisenveränderung  zeigend. 
(Nach  Photographie.) 


465.  Die  anthropologische  Bedeutung  der  Altersveränderungen  des  Weibes.         575 

Weise  mit  Mühen  und  Anstrengungen  belastet  sind,  and  auch  innerhalb  der 
hochcivilisirten  Völker  treflFen  wir  bei  dem  überangestrengten  Weibe  des  Land- 
manns und  des  Proletariers  ganz  die  gleiche  Erscheinung.  Wo  wir  nun,  wie  wir 
das  früher  besprochen  haben,  ein  einander  ähnlich  Werden  zwischen  Mann  und 
Weib  eintreten  sehen  zu  einer  Zeit,  welche  bei  weitem  vor  den  Jahren  des 
eigentlichen  Greisenalters  liegt,  da  müssen  wir  doch  immerhin  ein  solches  Ver- 
schwinden des  geschlechtlichen  Habitus  als  eine  Alterserscheinung  in  Anspruch 
nehmen;  es  handelt  sich  hier  eben  um  einen  prämaturen,  um  einen  vorzeitigen 
Eintritt  des  Greisenalters. 

Wenn  nun  aber  einmal  der  an- 
thropologische Typus  der  Greisin  er- 
reicht worden  ist,  dann  muss  ich 
es  als  vollkommen  aussichtslos  er- 
klären, eine  genauere  Bestimmung  und 
Schätzung  ihrer  Lebensjahre  vor- 
nehmen zu  wollen.  Die  Fig.  408  giebt 
das  Portrait  einer  120  Jahre  alten 
Sioux-Indianerin,  der  Old  Bets 
von  Minnesota.  Wer  sie  betrachtet, 
der  muss  doch  wohl  bekennen,  dass 
man  sie  in  ihrem  Aeusseren  durch 
gar  nichts  von  anderen  Greisinnen 
zu  unterscheiden  vermag,  seien  die- 
selben 90,  80,  70  Jahre  idt,  oder  noch 
darunter.  Diese  Thatsache  berechtigt 
uns  zu  der  Aufstellung  eines  dritten 
anthropologischen  Satzes: 

Die  Veränderungen  des  Grei- 
senalters verwischen  und  ver- 
nichten die  Kennzeichen  u.  Merk- 
male, welche  für  eine  Alters- 
bestimmung maassgebend  sind. 

Denn  wir  dürfen  nicht  vergessen,  dass  es  in  dem  ganzen  übrigen  Leben  der 
Frau  für  gewöhnlich  doch  zu  den  äussersten  Seltenheiten  gehört,  wenn  ein  anthro- 
pologisch geschultes  Auge  nicht  anatomische  Merkmale  genug  finden  sollte,  um 
mit  einem  gewissen  Grade  von  Sicherheit  das  Lebensalter  des  Weibes  bestimmen 
zu  können.  Im  höheren  Alter  aber  kommt  es  vor,  wie  wir  soeben  gesehen 
haben,  dass  man  sich  um  ganze  Jahrzehnte  in  der  Schätzung  vergreifen  kann. 


Fig.  406.    Old  Bets,  Sionz-Indianerin  (Minnesota), 
120  Jahre  alt.    (Nach  Photographie.) 


LXXVL  Das  Weib  im  Tode. 

466.  Das  Sterben  des  Weibes. 

Wir  haben  bis  hierher  dem  Weibe  das  Geleit  gegeben  von  seiner  ersten 
Entstehung  im  Matterleibe  an,  durch  die  Jahre  der  Kindheit  hindurch  bis  zu 
denen  der  Mannbarkeit,  durch  die  Zeit  der  Befruchtung  und  Schwangerschaft 
bis  in  die  höheren  Lebensjahre  und  endlich  bis  in  das  Greisenalter  hinein,  und 
der  Leser  könnte  wohl  der  Meinung  sein,  dass  unsere  Besprechungen  f&glich 
hiermit  ihren  Abschluss  finden  könnten.  Ich  würde  aber  meine  Aufgabe  doch 
für  nur  unvollkommen  gelöst  und  erledigt  betrachten,  wenn  ich  nicht  noch  der 
sterbenden  und  sogar  auch  der  Frau  nach  dem  Tode  die  Aufmerksamkeit  zu- 
wenden wollte. 

Die  früheren  Kapitel  haben  uns  ja  doch  bereits  gelehrt,  wie  mannigfach  und 
verschiedenartig  das  Benehmen,  die  Behandlung,  die  Obliegenheiten  und  die  Pflichten 
des  Weibes  bei  den  verschiedenen  Nationen  und  Rassen  sind,  was  für  erstaun- 
liche Uebereinstimmungen  wir  aber  andererseits  in  den  Anschauungen  und  Auf- 
fassungen dieser  verschiedenen  Völker,  auch  wenn  sie  absolut  nicht  stamm-  und 
rassenverwandt  sind,  zu  constatiren  im  Stande  waren.  Und  so  ist  es  nach  diesen 
Erfahrungen  von  vornherein  wohl  nicht  zu  bezweifeln,  dass  wir  auch  bei  allem 
dem,  was  sich  auf  das  Weib  im  Tode  bezieht,  nicht  uninteressanten  ethnologischen 
Parallelen  und  Controversen  begegnen  werden. 

Wenn  wir  uns  nun  femer  noch  einmal  vergegenwärtigen,  wie  durch  das 
ganze  Leben  hindurch  das  weibliche  Geschlecht  in  anatomischer  und  physiologischer 
Beziehung  sowohl,  wie  auch  in  pathologischer  und  psychologischer,  in  seinem 
ganzen  körperlichen  Bau,  wie  auch  in  seinem  gesammten  Denken  und  Empfinden 
so  ganz  erhebliche  Unterschiede  von  dem  männlichen  Geschlechte  darbietet,  so 
werden  wir  es  wohl  verstehen  können  und  sogar  a  priori  erwarten  müssen,  dass 
auch  das  Erlöschen  der  Lebensfunctionen  und  das  Eintreten  des  Todes  bei  der 
Frau  von  den  analogen  Erscheinungen  bei  dem  männlichen  Geschlecht  nicht  un- 
wichtige und  uninteressante  Abweichungen  darbieten  muss.  Das  ist  auch  den 
wissenschaftlichen  Forschem  auf  dem  Gebiete  des  weiblichen  Lebens  nicht  ent- 
gangen, und  wissenswerth  und  lehrreich  ist,  was  der  verstorbene  Gynäkologe 
Busch  nach  seinen  eigenen  und  nach  Vigaroux  Beobachtungen  über  den  uns  hier 
interessirenden  Gegenstand  geschrieben  hat: 

.Der  Gescblecbtsunterschied  zwischen  dem  Manne  und  dem  Weibe  zeigt  sich  auch  in 
dem  Tode.  Im  Allgemeinen  ist  das  Leben  des  Weibes  dauernder  als  das  des  Mannes,  und  es 
ist  daher  eine  natürliche  Erscheinung,  dass  dasselbe  den  Tod  weniger  fürchtet  als  dieser. 
Vigaroux  will  dieses  aus  der  eigenthümlichen  Constitution  des  Weibes  erklären:  nach  ihm 
ist  die  erhöhte  Sensibilität  fttr  dasselbe  kein  Nachtheil  und  gereicht  demselben  vielmehr  zum 
Vortheil;  je  heftiger  die  Empfindungen,   um  so  weniger  andauernd  sind  sie,   und  zwar  weil 


467.  Der  unnatürliche  Tod  der  Weiber.  577 

die  Weichheit  und  Schmiegsamkeit  der  festen  Theile  ihnen  nur  einen  geringen  Widerstand 
entgegenzusetzen  vermögen.  Bei  dem  Manne  hingegen  erfordert  die  Rigidität  und  Kraft  der 
festen  Theile  eine  grössere  Energie  und  einen  weit  höheren  Grad  Ton  Intensit&t  der  auf  diese 
einwirkenden  Ursachen;  die  Wirkung  ist  aber  dann  auch  anhaltender,  weil  der  Widerstand, 
den  diese  Theile  zu  leisten  im  Stande  sind,  viel  kräftiger  ist,  aber  oft  die  Ursachen  des 
Unterli^ens  bedingt.  Es  vergleicht  dieser  Schriftsteller  das  Weib  in  dieser  Beziehung  dem 
schwachen  Rohre,  welches,  unfähig  zu  widerstehen,  demüthig  sein  Haupt  vor  dem  heran- 
nahenden Ungewitter  beugt,  und  es  sanft  wieder  erhebt,  wenn  das  Ungewitter  sich  verzogen 
hat:  der  Mann  aber  gleicht  jener  hohen  Eiche,  welche  nur  deshalb  mit  fortgerissen  wird, 
weil  sie  kräftig  genug  ist,  zu  widerstehen.  Der  Mann  opfert  sein  Leben  zwar  oft  einer  Idee, 
und  ist  unempfindlich  bei  dem  Tode  Anderer,  aber  setzt  auf  diese  Todesverachtung  selbst 
einen  hohen  Werth,  sieht  sie  als  etwas  Grossartiges  und  Männliches  an  und  ist  ängstlich  vor 
dem  Tode,  der  ihn  in  der  Krankheit  ergreifen  könnte,  besorgt.  Das  Weib  hingegen,  obgleich 
es  heftig  bei  dem  Tode  Anderer  afQcirt  wird,  und  nicht  einzusehen  vermag,  wie  der  Mann 
sein  Leben  einer  Idee  opfern  kann,  achtet  ihr  eigenes  Leben  geringer  und  ist  in  Krankheiten 
sorgloser  über  den  Ausgang.  Wir  finden  bei  Frauen  nicht  so  viele  Beispiele  von  Todesver- 
achtung und  ruhiger,  kaltblütiger  Ueberleg^ng  im  Augenblicke  des  Todes,  wie  bei  Männern, 
aber  auch  niemals  so  ängstliche  Fürsorge  für  die  Erhaltung  des  Lebens,  wenn  es  durch 
Krankheiten  gefährdet  wird  und  das  Opfern  desselben  keinen  Zweck  hat.  Der  Mann  kämpft 
gegen  den  Tod  ruhiger,  das  Weib  sieht  ihm  ruhiger  entgegen;  wo  daher  dem  Manne  kein 
Kampf  gestattet  ist,  da  wird  er  ängstlich.  Bei  grossen  Epidemien  beobachtet  man  stets,  dass 
die  Männer  ängstlicher  erscheinen  als  die  Frauen,  dass  sie  auf  alle  mögliche  Weise  dem  Ein- 
flüsse der  epidemischen  Krankheit  sich  zu  entziehen  suchen,  während  die  Frauen  weniger  ihre 
Lebensweise  veiändem  und  sich  willig  ihrer  Bestimmung  unterwerfen.  Bei  dem  Weibe  er- 
folgt der  Tod  sanfter  und  allmählicher  und  stellt  mehr  ein  Erlöschen  des  Lebens,  eine  gleich- 
förmige Erschöpfung  dar,  während  bei  dem  Manne  der  Tod  mehr  von  den  einzelnen  Organen 
ausgeht  und  eine  stärkere  oder  schwächere  Reaciion  hervorruft.* 

Es  möge  sich  der  Leser  hier  auch  noch  einmal  an  dasjenige  erinnern,  was  in 
unserem  ersten  Kapitel  über  die  Sterblichkeit  des  weiblichen  Geschlechts  aus- 
einandergesetzt wurde.  Ferner  möge  er  nicht  vergessen,  dass  selbstverständlich 
die  gesammte  Lebensweise  und  die  Yerschiedenartigkeiten  der  Stellung,  welche 
die  beiden  Geschlechter  in  dem  Haushalte  der  Natur  einzunehmen  haben, 
auch  ganz  andersartige  Lebensgefahren  für  das  Weib,  als  für  den  Mann  be- 
dingen müssen.  Wir  treffen  also  auch  noch  in  dem  Tode  Geschlechtsunter- 
schiede an,  deren  anthropologische  Bedeutung  in  keiner  Weise  unterschätzt 
werden  darf. 

Bei  den  Zigeunern  bedarf  das  Sterben  der  Zauberfrau  einer  absonderlichen 
Vorbereitung.     Wir  lesen  hierüber  bei  v.  Wlislocki^: 

,Wird  nun  eine  solche  Zauberfrau  alt  und  gebrechlich,  so  bereitet  sie  sich  zur  Fahrt 
ins  Todtenreich  vor,  indem  sie  sich  die  Nägel  an  Fingern  und  Fusszehen  wachsen  lässt.  Es 
heisst  nämlich  im  Volksglauben,  dass  eine  Zauberfrau  gar  schwer  ins  Todtenreich  gelangen 
kann  und  sich  nur  mit  ihren  langen  Nägeln  an  den  Felsenwänden  festhalten  kann,  die  sie 
eben  erklimmen  muss,  um  nach  dem  Tode  ins  Jenseits  zu  gelangen.* 

, Stirbt  ein  Woib,  das  durch  Umgang  mit  einem  Nivaahi  (Wassergeist)  oder  Pguvush 
(Erdgeist)  Zauberfrau  geworden  ist,  so  fährt  ein  Blitz  ins  Wasser,  der  von  den  Nivashi-LeutGii 
aufgefsuigen  wird." 

Wahrscheinlich  liegt  hier  der  Gedanke  zu  Grunde,  dass  die  Schlange,  welche 
im  Leibe  eines  solchen  Weibes  nach  dem  Beischlaf  mit  einem  der  genannten 
Elementargeister  zurückbleibt,  nun  mit  dem  Ableben  der  Zauberlrau  wieder  frei 
wird,  und  unter  der  Gestalt  eines  Blitzes  zu  den  Wassergeistern  wieder  zurück- 
kehren muss. 


467.  Der  unnatürliche  Tod  der  Weiber. 

Mit  der  Verschiedenheit  in  der  Lebensweise  der  beiden  Geschlechter  hängt 
es  auch  zusammen,  dass  ein  unnatürlicher  Tod  bedeutend  häufiger  die  Manner, 
als  die  Weiber  ereilt.    Sie  erliegen  in  offener  Feldschlacht  dem  kämpfenden  Feinde, 

Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  87 


578  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

oder  der  heimtückischen  Waffe  des  NebenbiiUers  und  des  Kopfjägers;  sie  fallen 
ak  ein  Opfer  ihrer  gefährlichen  Jagden,  oder  sie  gehen  zu  Grande  in  ihrer  Be- 
schäftigung mit  den  Maschinen  oder  mit  den  wilden  Elementen.  Ganz  anders  ist 
das  bei  dem  weiblichen  Geschlechte;  auch  ihm  sind  unnatürliche  Todesarten  nicht 
erspart,  aber  ganz  anderer  Art  sind  die  Ursachen,  welche  diesen  imnatürliclieii 
Tod  bedingen. 

Wir  haben  in  früheren  Abschnitten  bereits  zwei  dieser  Ursachen  und  ver- 
schiedene Beispiele  unnatürlichen  Todes  bei  dem  weiblichen  Geschlechte  kennen 
gelernt;  die  eine  basirte  auf  dem  dem  Ehegatten  zustehenden  Rechte,  die  Ehe* 
brecherin  umzubringen,  und  das  andere  war  die  Wittwentodtung.  Der  Ajimaassung* 
der  Männer  genügt  es  aber  nicht  immer,  allein  die  Wittwe  dem  Verstorbenen  mit 
in  den  Tod  zu  geben.  Es  würde  ihm  und  ihr  im  jenseitigen  Leben  an  der  noth- 
wendigen  Bedienung  fehlen,  wenn  ihnen  keine  Mägde  zur  Seite  ständen,  und  so 
erleiden  bisweilen  ausser  der  Wittwe  auch  noch  eine  Anzahl  anderer  Weiber  den 
Tod.    Lübboci  berichtet; 

.Starb  ein  Häuptling  (der  Viti-Insulaner),  so  war  es  üblich,  ihm  ein  Paar  seiner  Frauen 
und  Sclaven  .  mitzugeben  **.  Bei  Ngavindi's  Tode  ging  Mr.  Calvert  nach  Mb  au  in  der  Hoff- 
nung, die  Erdrosselung  der  Frauen  zu  verhindern.  Er  kam  jedoch  zu  spät.  Drei  Frauen 
waren  ermordet.  Thakombau  hatte  der  Sitte  gemäss  den  Vorschlag  gemacht,  seine  Schwester 
zu  erdrosseln,  welche  die  erste  Frau  des  Verblichenen  gewesen  war;  doch  hatte  die  Bevölkerung 
von  Lasakau  gewünscht,  sie  möge  am  Leben  bleiben,  damit  ihr  Kind  ihr  Häuptling  werde. 
Ngavindi's  Mutter  hatte  sich  an  ihrer  Statt  erboten  und  war  erdrosselt.  Der  verstorbene 
Häuptling  lag  in  voUem  Staate  an  der  Seite  einer  todten  Frau  auf  einem  Brette,  der  Xeich* 
nam  seiner  Mutter  lag  auf  einer  am  Fussende  stehenden  Bahre  und  eine  ermordete  Sclavin 
inmitten  der  Behausung  auf  einer  Matte.  In  den  Boden  einer  nahegelegenen  Hütte  legte  man 
zuerst  den  Leichnam  der  Dienerin,  und  dann  die  drei  anderen  eingehüllten,  zusammen  einge- 
wickelten Leichen.  Die  Frauen  sind  bei  solcher  Gelegenheit  gern  zum  Sterben  bereit,  denn 
sie  glauben,  nur  auf  diese  Weise  in  den  Himmel  gelangen  zu  können.* 

So  berichtete  auch  Kund  aus  dem  Congo -Gebiete: 

,Man  kann  sagen,  dass  nahezu  vom  Pool  aufwärts  bis  zu  Falls  kein  freier,  ange- 
sehener Mann  stirbt,  ohne  dass  einige  Weiber  und  Sclaven  getödtet  werden.  Bisweilen  soll 
besonders  höher  hinauf  dieser  Wahnsinn  bei  dem  Tode  eines  Mannes  bis  über  100  Andere 
mit  in  das  Grab  ziehen." 

Von  Kafscher  wird  aus  China  folgende  Sitte  berichtet,  welche  allerdings 
nicht  ein  Todten  ist,  aber  doch  eine  Art  des  Lebendigbegrabens: 

.Das  Innere  dieser  Mausoleen  (der  Kaiser)  ist  sehr  geschmackvoll  verziert.  Einst  war 
es  üblich,  geschnitzte  Bildnisse  von  Dienern  und  Sclavinnen  neben  den  Särgen  unterzubringen. 
Confucius  erklärte  in  einer  seiner  Schriften  diese  Sitte  für  lächerlich;  statt  sie  in  Folge  dessen 
aufzugeben,  missdeutete  man  die  Worte  des  grossen  Weisen  dahin,  dass  es  besser  wäre,  den 
todten  Regenten  lebendiges  Gesinde  zur  Verfügung  zu  stellen,  und  so  erhielt  sich  denn 
2300  Jahre  lang  (von  500  vor  Chr.  bis  ans  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts)  der  Gebrauch, 
jedem  verstorbenen  Kaiser  zu  seiner  Bedienung  ein  Ehepaar  ins  Grab  mitzugeben.  Die  Haupt- 
pflichten dieser  armen  Teufel  bestanden  in  Verbrennen  von  Weihrauch  und  in  täglich  zwei* 
maligem  Anzünden  am  Kopf-  und  am  Fussende  des  Sarges.  Es  fanden  sich  immer  unbe- 
mittelte Leute,  die  gegen  eine  von  der  Regierung  ihren  Familien  zugesicherte  Geldsumme  be- 
reit waren,  den  Rest  ihres  Lebens  in  den  kaiserlichen  Mausoleen  zu  verbringen.* 

Dass  in  Massaua  der  Vater  verpflichtet  ist,  seine  Tochter  aufzuhängen, 
falls  sie  sich  vor  der  Verheirathung  schwängern  lässt,  das  haben  wir  früher  bereits 
gesehen. 

Auch  über  die  Tödtung  der  alten  Weiber  wurde  schon  an  einer  früheren 
Stelle  gesprochen,  und  einen  sehr  interessanten  Beitrag  zu  diesem  Punkte  finden 
wir  ebenfalls  in  dem  bekannten  Werke  LubbocVs^  nach  welchem  ich  die  Stelle 
hier  wiedergebe: 

«Einstmals  erhielt  Missionar  Hunt  von  einem  jungen  Manne  (der  Fidschi -Insulaner) 
eine  Einladung  zur  Beerdigung  seiner  Mutter.  Mr.  Hunt  leistete  der  Aufforderung  Folge. 
Als  sich  aber  der  Leichenzug  in  Bewegung  setzte,  bemerkte  er  zu  seiner  Ueberraschung  nirgends 


467.  Der  unnatürliche  Tod  der  Weiber. 


579 


einen  Todten.  Auf  seine  Nachfragen  zeigte  ihm  der  junge  Wilde  seine  Mutter,  welche  mit 
ihm  ging  und  ebenso  heiter  und  lebhaft  war,  wie  alle  anderen  Gftste,  und  sich  offenbar  gut 
zu  amüsiren  schien.  Er  fügte  hinzu,  dass  er  seiner  Mutter  zu  Liebe  also  handeln  und  dass 
sie  in  Folge  dieser  Liebe  nun  im  Begriff  seien,  sie  zu  beerdigen,  und  dass  nur  ihre  Kinder 
und  Niemand  anders  eine  so  heilige  Dienstleistung  vollziehen  könnten  und  dürften.  Sie  sei 
ihre  Mutter  und  sie  ihre  Kinder,  und  sie  seien  daher  verpflichtet,  sie  zu  tödten.  In  solchen 
Fällen  wird  ein  etwa  4  Fuss  tiefes  Grab  gegraben.  Die  Verwandten  und  Freunde  erheben 
ihr  Wehklagen,  nehmen  einen  rührenden  Abschied  und  begraben  das  arme  Opfer  lebendig. 
Es  ist  auffallend,  dass  Mr.  Hunt  trotzdem  behauptet,  die  Fidschi -Insulaner  behandelten 
ihre  Eltern  freundlich  und  liebevoll,  und  in  Wirklichkeit  halten  sie  gerade  diese  Sitte  für 
einen  so  grossen  Beweis  ihrer  Liebe,  dass  eben  Niemand  als  Kinder  ihn  zu  vollbringen  ver- 
möchten. Sie  glauben  nämlich  nicht  nur  an  ein  zukünftiges  Dasein,  sondern  sind  auch  davon 
überzeugt,  dass  sie,  sowie  sie  aus  diesem  Leben  scheiden,  drüben  wieder  erwachen  werden. 
Sie  haben  daher  einen  überaus  triftigen  Grund,  diese  Welt  zu  verlassen,  ehe  sie  altersschwach 
geworden  sind.'' 

Es  muss  hier  auch  noch  daran  erinnert  werden,  dass  bei  manchen  Völkern 
auch,  die  Frau  unter  Umständen  der  Todesstrafe  verfallt,  um  bestimmte  Verbrechen 
zu  sühnen.  Auch  im  Verlaufe  unserer  Be- 
sprechungen sind  wir  Beispielen  hierftir 
begegnet.  Der  Feuertod,  der  Tod  durch 
Erhängen  oder  Ertränken,  die  Steini- 
gung u.  s.  w.  sind  aber  keine  Besonder- 
heiten des  weiblichen  Geschlechts;  auch 
die  Männer  sind  diesen  Todesarten  bis- 
weilen verfallen.  Nur  das  lebendig  Ein- 
gemauertwerden, wie  wir  es  oben  kennen 
lernten,  ist  mir  von  Männern  nicht  be- 
kannt. 

Eine  eigenthümliche  Todesart  ist 
in  einer  chinesischen  Aquarell-Malerei 
dargestellt  (Fig.  409).  Eine  Frau,  die  fast 
völlig  entkleidet  ist,  hat  man  mit  den 
Händen  und  den  Füssen  an  einem  Pfahle 
festgebunden,  und  gleichzeitig  ist  sie  an 
diesem  Pfahl  mit  ihren  Haaren  aufgehängt. 
Brust,  Bauch  und  Arme  sind  gänzlich 
entblösst;  ein  langer  Unterrock  deckt  die 
Hüften,  die  Schamtheile  und  die  Ober- 
schenkel und  reicht  bis  zur  halben 
Wade  herab;  die  Unterschenkel  sind  unbe- 
kleidet, aber  die  kleinen  verkrüppelten 
Füsse  stecken  in  hohen  Schuhen  mit  dicken 
Sohlen.  Aus  der  Kleinheit  der  Füsse 
muss  man  schliessen,  dass  es  sich  um  eine 
Frau  aus  den  vornehmen  Ständen  handelt. 

Vor  der  Gefesselten,  deren  Gesichtsausdruck  die  Todesangst  verräth,  steht 
ein  Scherge  mit  einem  spitzen  Schwert,  dass  er  soeben  im  Begriff  ist,  dem  un- 
glücklichen Weibe  in  die  rechte  Seite  zu  stossen.  In  seiner  Linken  hält  er 
einen  Fächer,  den  er  in  Bewegung  zu  setzen  scheint.  Vermuthlich  fächelt  er 
Luft  gegen  die  Wunde,  um  das  Sterben  weniger  schmerzhaft  zu  machen.  Von 
dem  Kopfe  der  Delinquentin  geht  ein  langer  Stab  in  die  Höhe,  der  ihr  in  die 
Haare  gesteckt  zu  sein  scheint.  An  ihm  ist  nach  Art  einer  Schreibfederfahne  ein 
langes,  schmales  Papier  befestigt,  welches  mit  Schriftzeichen  überdeckt  ist.  Wahr- 
scheinlich geben  diese  letzteren  über  das  Verbrechen  der  unglücklichen  Weibs- 
person Auskunft. 

87* 


Fig.  409.    Hinrichtung  einer  Chinesin. 
(Nach  einem  chinesischen  AquareU.) 


580 


LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 


468.  Der  Tod  des  Weibes  durch  eigene  Uand. 

Wir  haben  bei  den  civilisirten  Völkern  eine  nicht  unerhebliche  Anzahl  toe 
Beispielen,  das  auch  das  Weib  sich  nicht  scheut,  von  Verzweiflung  getrieben, 
die  Hand  an  das  eigene  Leben  zu  legen.  Unerwiderte  oder  verlorene  Liebe 
ist  wohl  bei  weitem  der  gewöhnlichste  Beweggrund  für  diese  SclireckensthaL 
Aber  auch  der  heroische  Entschluss,  die  Keuschheit  vor  Vergewaltigung  zu 
retten,  hat  ja  bekanntlich  nicht  wenige  Weiber  in  den  Tod  durch  eigene  Hand 
getrieben. 

So  war  es  ja  auch  bei  den  Weibern  der  Cimbern  die  Furcht  vor  Schändung, 
welche  sie  sich  selbst  entleiben  Hess,  als  die  Krieger  des  Marius  ihre  Männer 
erschlagen  und  ihre  Wagenburg  erobert  hatten. 

In  Johann  Stumpffs  „Gemeiner  loblicher  Eydgenossenschafft 
Chronik*  vom  Jahre  1548  ist  diese  Scene  in  einem  Holzschnitte,  vielleicht  ron 
der  Hand  Hans  Holbeins  dargestellt,  der  in  Fig.  410  wiedergegeben  ist.  Der 
dazu  gehörige  Text  lautet  folgendermaassen: 


Fig.  410.    Der  M assenselbstmord  der  Gimbern-Frauen  nach  der  Besiegung  durch  Mariu*. 
(Nach  Hans  Holbein?)    (Au8  StHmpjgTs  Chronik.    1548.) 

pzeletst  als  sy  sich  nit  mar  enthalten  mochtend,  habend  sy  jre  waaffen  hieuor  anff  die 
Römer  jre  feynd  zugericht,  wider  sich  selbs  vnnd  die  jren  gebraucht,  do  stach  ye  eine  die 
andere  zetod,  ein  teil  bnndend  sich  an  die  rossz,  vnd  schleifftend  sich  zetod,  etlich  er* 
wurgtend  sich  selbs.  Ein  weyb  was  vnder  jnen  die  erhanckt  zum  ersten  zween  jrer  snn,  vnd 
darnach  sich  selbs  u.  s.  w.*' 

Fetrarchae  Trostspiegel  fiihrt  uns  ein  unglückliches  Weib  vor,  welche5 
sich  an  einem  Balken  der  Decke  aufgehängt  hat;  ein  Teufel  ist  gerade  damit  be- 
schäftigt, ihr  den  Schemel  unter  den  Füssen  fortzuziehen.  (Fig.  411.)  Dazu  ist 
folgender  Vers  gegeben: 

„Yerdruss  dess  Lebens  fleuch  bey  zeit, 
Dann  es  gewöhnlich  Verzweiflung  geit. 
Viel  hülff  in  Schriffb  vnd  sonst  man  findt, 
Davon  Verdrossenheit  verschwindt.** 

In  dem  9.  Abschnitte  des  vorliegenden  Buches  wurde  schon  emmal  von 
dem  Selbstmorde  gehandelt,  den  wir  dort  in  Vergleichung  zogen  mit  den  so- 
genannten abnormen  Ehen.  Die  folgenden  Zeilen  werden  sich  dagegen  mit  der 
Ethnographie  des  Selbstmordes  bei  dem  weiblichen  Geschlechte  beschäftigen. 


468.  Der  Tod  des  Weibes  darch  eigene  Hand. 


581 


Der  Selbstmord  der  Weiber  ist  keineswegs  als  eine  traurige  Errungenschaft 
der  Civilisation  zu  betrachten.  Er  kommt  ebenso  gut,  wenn,  wie  es  den  Anschein 
hat,  auch  nicht  in  gleicher  Häufigkeit,  bei  den  sogenannten  Naturvölkern  vor, 
und  in  dieser  Angelegenheit  ist  der  ethnologischen  Forschung  noch  ein  weites 
Gebiet  der  Untersuchung  oflFen  gelassen.  Wir  wissen  von  Indianermädchen, 
welche  aus  unglücklicher  Liebe  sich  von  Felsen  herabstürzten,  wir  erfuhren  schon, 
dass  manche  Wittwen  bei  den  Tolkotin-Indianern  in  Oregon  sich  freiwillig 
den  Tod  gaben,  um  den  Erniedrigungen  imd  den  Quälereien  zu  entgehen,  welche 
mit  ihrer  Wittwenschaft  der  Landessitte  gemäss  verbunden  waren.  Von  den 
"Wah-Peton  und  Sisseton  Sioux-Indianern  in  Dakota  berichtet  Mc  Chesney: 

,Yor  20  und  mehr  Jahren  war  es  ein  ganz  gewöhnliches  Yorkommniss,  dass,  wenn 
einer  Frau  ihr  Lieblingskind  starb,  sie  sich  mit  ihrem  Lariot  an  dem  Aste  eines  Baiimes  er- 
hängte.   Das  kommt  jetzt  sehr  selten  vor.' 

Endlich  hören  wir  von  den  Munda  Kohls  in  Bengalen  durch  Nottrotty 
dass  hier  die  Weiber  bisweilen  wegen  ganz  geringfügiger  Ursachen  ihrem  Leben 
durch  Erhängen  ein  Ende  machen. 

Die  Dayakinnen  in  Borneo  werden  nach  Ling 
Roth  nicht  selten  schon  durch  ein  unfreundliches  Wort 
zum  Selbstmorde  getrieben.  Sie  versuchen  sich  dann  zu 
vergiften;  oft  aber  ist  die  Dosis  zu  gering  und  ein  ihnen 
eingezwungenes  Brechmittel  bringt  sie  wieder  in  das  Leben 
zurück. 

Dass  oft  die  jungen  Wittwen  in  Indien  freiwillig 
aus  dem  Leben  scheiden,  um  den  unsagbaren  Plagen  und 
Zurücksetzungen  aus  dem  Wege  zu  gehen,  welche  ihre 
Landsleute  ihnen  angedeihen  lassen,  das  haben  wir  oben 
bereits  erwähnt. 

Auch  bei  den  Mädchen  der  Chewsuren  ist,  wie  wir 
bereits  gesehen  haben,  der  Selbstmord  nicht  unbekannt,  und 
zwar  dann,  wenn  sie  nicht  widerstandsfähig  genug  gewesen 
waren,  ihre  Keuschheit  unverletzt  zu  erhalten.  Auch  hier 
ist  der  Tod  durch  Erhängen  am  gewöhnlichsten;  jedoch 
kommt  es  auch  vor,   dass  sich  die  Mädchen  erschiessen. 

Eine  aufgezwungene  Verehelichung  treibt  bisweilen 
die  Basutho-Mädchen  in  den  Tod.     Merensky  sagt: 

, Manche  Mädchen,  die  keinen  Ausweg  kennen,  geben  sich  aus 
Verzweiflung  lieber  selbst  den  Tod,  als  dass  sie  den  Mann  heiratheten, 
den  sie  nicht  leiden  mögen.  Meist  greifen  sie  zum  Strick  und 
hängen  sich  in  irgend  welcher  Waldkluft  auf." 

Die  ausführlichsten  Nachrichten  über  den  Selbstmord,  wie  ihn  die  Vertrete- 
rinnen des  weiblichen  Geschlechts  ausüben,  hat  uns  Doolittle  aus  China  gegeben. 
Er  berichtet  über  diesen  Gegenstand  Folgendes: 

^Manche  Wittwen  entschliessen  sich  bei  dem  Tode  ihres  Ehegatten,  denselben  nicht  zu 
überleben  und  dazu  zu  schreiten,  sich  selbst  das  Leben  zu  nehmen.  Die  chinesische  Wittwen- 
tödtung  unterscheidet  sich  von  der  indischen  dadurch,  dass  sie  niemals  durch  Verbrennen 
statt  hat.  Die  Ausführungsart  ist  eine  verschiedene.  Einige  nehmen  Opium  und  sterben  an 
der  Seite  von  ihres  Mannes  Leichnam.  Andere  begehen  den  Selbstmord  dadurch,  dass  sie 
sich  zu  Tode  hungern,  oder  dass  sie  sich  ersäufen,  oder  dass  sie  Gift  nehmen.  Eine  andere 
bei  dieser  Gelegenheit  zuweilen  stattfindende  Methode  ist  die,  dass  sie  sich  selbst  öffentlich 
erhängen,  nahe  bei  oder  in  ihrem  Hause,  nachdem  sie  von  ihrer  Absicht  Eenntniss  gegeben 
haben,  so  dass  die,  welche  es  wünschen,  zugegen  sein  und  zusehen  können.* 

,Die  eigentlichen  Ursachen,  welche  manche  Wittwen  zum  Selbstmord  bringen,  sind  ver- 
schieden. Manche  werden  zweifellos  hierzu  durch  einen  hohen  Grad  Ton  ergebener  Anhäng- 
lichkeit an  ihren  verstorbenen  Eheherm  bewogen;  Andere  durch  grosse  Armuth  ihrer  Familie 
und  die  Schwierigkeit,  einen  ehrenhaften  und  anständigen  Lebensunterhalt  zu  erhalten ;  noch 
Andere  durch  die   thatsächliche  oder  ihnen   bevorstehende  schlechte  Behandlung  von  Seiten 


B^           l^p  Jlp"TrT  a 

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gÄ"V':  ■■■■ 

,-    --^ 

Fig.  411.    Selbstmord 

einer  Frau.    (Aus   Petrar 

chae  Trostspiegel.) 


582  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

der  Angehörigen  ihres  Gatten.    Gelegentlich,   wenn  sie  arm  ist,   rathen  ihr,   oder  verlangen 
die  Brüder  ihres  verstorbenen  Mannes,  dass  die  junge  Wittwe  wieder  heirathen  soll.    In  einem 
der  Fälle,   welcher  sich  hier  Tor  ungef&hr  J/ihresfrist  zutrug,   war  der  Beweggrund,    welclier 
die  junge  Wittwe  dazu  Teranlasste,   sich  durch  öffentliches  Erh&ngen  selbst  zu  tödten,    da^s 
ihr  Schwager  darauf  bestand,   dass  sie  einen  zweiten  Gatten  ehelichen  sollte.    Als  sie    aicb 
weigerte,   dies  zu  thun,  setzte  er  ihr  aus  einander,  dass  bei  den  ungünstigen  Umständen   cter 
Familie  der  einzige  Weg  für  sie,  sich  einen  Lebensunterhalt  zu  beschaffen,  nur  darin  besteHen 
könne,  dass  sie  Prostitution  triebe.     Diese   Lieblosigkeit   machte  sie  toll  und  brachte  sie   zu 
dem  Entschlüsse,  sich  das  Leben  zu  nehmen.    Sie  setzte  eine  bestimmte  Zeit  zur  AusfÜhnui^ 
ihres  Vorhabens   fest.    Am  Morgen  des   festgesetzten  Tages   besuchte  sie  einen   bestimmten 
Tempel,  der  für  die  Aufstellung  der  Gedenktafel  und  zum  ewigen  Gedftchtniss  der  «tagend- 
samen  und  kindlichen *"  Wittwen  errichtet  ist.    Sie  wurde  durch  die  Strassen  auf-  und  abge- 
tragen, in  einer  yon  yier  Männern  getragenen  Sänfte  sitzend,  in  Freudengewänder  gekleidet 
und   einen  Strauss  frischer  Blumen  in  der  fiand  haltend.    Nach  Anzündung  yon  Weihrauch 
und  Kerzen  vor  den  Gedenktafeln  im  Tempel,  begleitet  yon  den  gewöhnlichen  Eniebeugon^en 
und  Yemeigungen,   kehrte  sie  nach  Hause  zurück  und  am  Abend  nahm  sie  sich  das  Leben 
in  Gegenwart  einer  ungeheuren  Menge  von  Zuschauem.     Bei  solchen  Gelegenheiten   iat    es 
gebräuchlich,  eine  Plattform  zu  errichten  und  nach  den  vier  Seiten  um  sie  herum  Wasser  zu 
sprengen.    Sie  streut  dann  mehrere  Arten  von  Getreide  nach   den  yerschiedenen  Bichtangren 
aus.    Dieses  wird  als  eine  gute  Vorbedeutung  für  Ueberfluss  und  Reichthum  in  ihrer  Familie 
angesehen.    Nachdem  sie  sich  auf  einem  Stuhle  auf  der  Plattform  niedergelassen  hat,  nahen 
sich  ihr  gewöhnlich  ihre  eigenen  Brüder  und   die  Brüder   des  Ehegatten  und  bezeigen    ihr 
ihre  Verehrung.    Das  ist  oftmals  begleitet  von  einer  Darreichung  von  Thee  oder  Wein  an  sie. 
Wenn  Alles  bereit  ist,  steigt  sie  auf  einen  Stuhl,  ergreift  einen  Strick,  welcher  sicher  an  einem 
erhöhten  Theile  der  Plattform  oder  an  dem  Dache  des  Hauses  befestigt  ist,  und  schlingt  den- 
selben um  ihren  Hals.    Sie  stösst  darauf  den  Stuhl  mit  den  Füssen  unter  sich  fort  und  wird 
auf  diese  Weise  ihre  eigene  Mörderin." 

»Früher  gaben,  wenn  man  den  cnrsirenden  Erzählungen  Glauben  schenken  darf,  be- 
stimmte Beamte  der  Regierung  dem  Selbstmorde  ihre  Billigung,  nicht  allein  durch  ihre  Gegen- 
wart bei  diesen  Gelegenheiten,  sondern  auch  dadurch,  dass  sie  an  der  Verehrung  liieilnahmen. 
Einmal,  so  erzählt  man,  hatte  eine  Frau,  nachdem  sie  die  Verehrungen  empfangen,  anstatt 
auf  den  Stuhl  zu  steigen,  den  Strick  um  ihren  Nacken  zu  schlingen  und  sich  selbst  zu  hängen, 
sich  plötzlich  erinnert,  dass  sie  ihre  Schweine  vergessen  habe  zu  füttern,  und  sie  stürzte  mit 
dem  Versprechen  fort,  in  Kurzem  zurückzukehren,  ein  Versprechen,  das  sie  aber  vergass  zu 
halten.  Seit  diesem  Streiche  sind  keine  Mandarinen  mehr  an  diesem  Platze  bei  der  Selbst- 
tödtung  der  Wittwen  zugegen.* 

.Ein  öffentlicher  Selbstmord  einer  Wittwe  zieht  stets  eine  grosse  Schaar  von  Zuschauem 
herbei.  Die  öffentliche  Theilnahme  ermuthigt  diesen  Gebrauch  hinreichend,  um  ihn  als  ehren- 
voll und  verdienstlich  anzusehen,  ihn  aber  nicht  zu  befolgen,  ist  ein  ganz  gewöhnliches  Vor- 
kommen. Die  Brüder  und  die  näheren  Angehörigen  der  Wittwe,  welche  sich  auf  diese  Weise 
selbst  bereitwillig  nach  dem  Tode  ihres  Gatten  opfert,  betrachten  dieses  als  eine  Ehre  fOr 
die  Familie,  und  nicht  selten  fühlen  sie  eine  Befriedigung  darin,  sich  selbst  als  ihre  Brüder 
oder  Verwandten  auszuweisen." 

„Bisweilen  entschliesst  sich  auch  ein  Mädchen,  das  mit  einem  Manne  verlobt  ist,  der 
vor  dem  Hochzeitstage  starb,  durch  öffentliches  Erhängen  ihr  Leben  zu  opfern,  im  Hinblick 
darauf,  dass  der  Tod  besser  ist,  als  gezwungen  zu  sein,  einen  Anderen  zu  heirathen  oder 
unverehelicht  zu  bleiben.  Wenn  sie  nicht  davon  abgebracht  werden  kann,  so  bestimmt  sie 
den  Tag  ihres  Selbstmordes,  besucht  den  Tempel,  wie  oben  berichtet  wiurde,  wenn  er  nicht 
zu  entlegen  ist,  besteigt  die  am  Hause  ihres  Bräutigams  helgerichtete  Plattform  und  befördert 
sich  in  ganz  derselben  Weise  in  die  Ewigkeit,  wie  die  Wittwen,  welche  entschlossen  sind, 
den  Verlust  ihres  Gatten  nicht  zu  überleben.  Der  Sarg  des  Mädchens  wird  in  solchem  Falle 
gleichzeitig  mit  dem  Sarge  ihres  Verlobten  und  an  dessen  Seite  beerdigt." 

»Die  Namen  der  Wittwen  und  Mädchen,  welche  auf  die  geschilderte  Weise  ihr  Leben 
zum  Opfer  l^gen,  werden  in  dem  Tempel,  den  sie  vor  der  Ausführung  ihres  Selbstmordes 
besuchen,  auf  der  grossen  allgemeinen  Tafel  aufgezeichnet,  oder  sie  müssen  eine  eigene  Tafel 
haben,  welche  in  der  gewöhnlichen  Form  ausgeführt  ist,  sonst  aber  so  kostbar  sein  darf,  als 
man  sie  haben  will,  und  welche  im  Tempel  bei  den  übrigen  Tafeln  aufgestellt  wird  gegen 
Erlegung  einer  Geldsumme  für  die  laufenden  Ausgaben  der  Einrichtung,  oder  gegen  ein  Ge- 
schenk für  deren  Wächter  und  Aufseher.  Weihrauch  und  Kerzen  werden  in  diesem  Tempel 
am  Iten  und  15ten  jedes  chinesischen  Monats  zu  Ehren  der  „tugendhaften  und  kindlichen* 


468.  Der  Tod  des  Weibes  durch  eigene  Hand. 


583 


Weiber  von  dem  Adel  der  Stadt  verbrannt,  und  es  ist  die  bestimmte  Verpflichtung  gewisser 
Mandarinen,  persönlich  oder  durch  eine  Deputation  in  jedem  Frühjahr  und  Herbst  in  diesem 
Tempel  Opfer  darzubringen.* 

Dass  dem  Andenken  dieser  Weiber  bisweilen  auch  Erinnerungsinschriften 
an  Ehrenportalen  gestiftet  werden,  davon  ist  weiter  oben  bereits  die  Bede 
gewesen. 

Auch  Kutscher  spricht  von  der  grossen  Geneigtheit  der  Chinesinnen  zum 
Selbstmorde.  Nach  ihm  erzeugt  die  Vielweiberei  in  denjenigen  chinesischen 
Familien,  welche  ihr  huldigen,  „Neid,  Bosheit,  Lieblosigkeit,  Hass,  und  treibt  viele 
eifersüchtige  Weiber  zum  Selbstmord.  Kein  Wunder  daher,  wenn  viele  Chine- 
sinnen sich  gegen  das  Heirathen  strauben.  Um  der  Ehe  zu  entgehen,  werden 
manche    Mädchen  Nonnen;    Andere    ziehen    es    vor,    sich   den    Tod    zu    geben. 


Fig.  412.    Japanerin,  sich  die  Kehle  mit  einem  Schwerte  abschneidend. 
(Nach  einem  Japanischen  Holzschnitt) 


Während  der  Begierungszeit  des  Kaisers  Taukwang  fassten  einmal  nicht  weniger 
als  15  Jungfrauen  den  Entschluss,  sich  gemeinschaftlich  das  Leben  zu  nehmen, 
weil  sie  erfahren  hatten,  dass  sie  von  ihren  Eltern  verlobt  worden  waren.  Sie 
stürzten  sich  in  der  Nähe  des  Dorfes,  in  dem  sie  wohnten,  in  einen  Arm  des 
Cantonflusses  und  wurden  in  einer  gemeinsamen  Gruft  begraben,  die  man  „die 
Gruft  der  Jungfern*  nennt.  Ein  ähnlicher  Fall  ereignete  sich  im  Jahre  1873 
in  einem  Dorfe  nächst  Whampoa.  Acht  junge  Mädchen  legten  ihre  besten 
Kleider  an,  banden  sich  an  einander  und  sprangen  in  einen  Nebenfluss  des  Can- 
tonflusses.'' 

Zwei  chinesische  Frauen  machten  von  einem  Dampfer  gemeinsam  den  Ver- 
such, sich  zu  ertränken,  weil  sie  in  Abwesenheit  ihrer  Ehemänner  ihr  Geld  und 
ihre  Juwelen  verspielt  hatten. 


584 


LXXVL  Dm  Weib  im  Tode. 


Diese  Angaben  DooUtÜes  und  Kaistkers  lassen  nns  einen  tiefen  Einblick 
in  die  Seele  der  chinesischen  Franen  thon.  Es  bedarf  wohl  kaom  erst  der 
besonderen  Erwähnung,  dass  fernere  Hittheilnngen  in  dieser  Richtung  aach  über 
andere  Nationen  f&r  die  Völkerpsychologie  von  ganz  herrorragender  Bedeutnng 
sein  wfirden. 

Den  Tod  durch  Hinabstürzen  in  den  Fluss  sucht  auch  eine  junge  Weibs- 
person auf  einem  japanischen  &rbigen  Holzschnitt,  den  ich  in  Fig.  414  -wieder- 
gebe. Da  die  Bilder  dieser  Sammlung  meist  alle  chinesische  Geschichten  vor- 
mhren,  wenn  auch  im  japanischen  Gewände,  so  ist  die  Yermuthung  naheHegend, 
dass  auch  die  Selbstmörderin  eine  junge  Chinesin  darstellen  solL  üeber  die 
Ursache  ihres  Lebensüberdrusses  bin  ich  nicht  im  Stande,  Auskunft  zu  ^eben. 
Vielleicht  soll  es  die   geduldige   und   stets   willig   gehorsame  Jungfrau  sein,    die 


Fig.  413.    Japanerin,  sich  einen  Dolch  in  die  Kehle  stossend. 
(Nach  einem  japanischen  Holzschnitt.) 

durch  die  allmählich  unerträglichen  Launen  ihrer  Stiefmutter  endlich  zur  Ver- 
zweiflung getrieben  wurde.     Es  ist  schon  früher  von  ihr  die  Rede  gewesen. 

In  den  Methoden,  freiwillig  aus  dem  Leben  zu  scheiden,  vermag  man  bei 
den  civilisirten  Völkern  bekanntermaassen  im  Grossen  und  Ganzen  gewisse  Ge- 
schlechtsunterschiede  zu  erkennen.  Der  Tod  durch  Erschiessen,  das  Abschneiden 
der  Kehle,  das  Oeffnen  der  Pulsadern  und  das  Erstechen  werden  vornehmlich  von 
Männern  benutzt;  das  Vergiften,  das  Ertränken  und  das  Erhängen  wird  von  dem 
weiblichen  Geschlechte  bevorzugt.  Dass  es  hiervon  auch  Ausnahmen  giebt,  brauche 
ich  nicht  erst  anzufahren. 

In  den  Heldengeschichten  der  Japaner  scheint  der  Selbstmord  durch  Ab- 
schneiden des  Halses  eine  hervorragende  Rolle  zu  spielen;  wenigstens  sind  mir 
mehrere  japanische  Holzschnitte  bekannt,  welche  derartige  Auftritte  vorf&hren. 


468.  Der  Tod  des  Weibes  durch  eigene  Hand. 


585 


£me  solche  Darstellung  ist  in  Fig.  412  wiedergegeben.  Bisweilen  tödten  sich 
mehrere  Frauen  zugleich  und  das  von  ihnen  benutzte  Instrument  ist  nicht  irgend 
ein  bequemes  Messer,   sondern  sie  führen   die  Durchschneidung   ihrer  Kehle  mit 


Fig.  414.    Selbstmörderin.    (Nach  einem  Japanischen  Holzschnitt.) 

einem  grossen  Schwerte  aus.  Aber  auch  der  Dolch  wird  von  ihnen  zum  Durch- 
bohren der  Kehle  benutzt,  wie  wir  in  Fig.  413  sehen,  welche  gleich  der  vorigen 
Abbildung  einem  japanischen  Romane  entnommen  ist;  derselbe  befindet  sich  im 
Besitz  des  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 


586  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

469.  Das  Weiberbegräbniss. 

Die  inferiore  Stellang,  welche  in  socialer  Beziehung  bei  fast  allen  Nationen 
das  Weib  einzunehmen  pflegt,  wirft  weit  ihre  Reflexe  über  das  Grab  hinaus,  nnd 
selbst  bei  den  hochcivilisirten  Völkern,  welche  sicherlich  glauben,  dass  sie  der 
Frau,  wenn  sie  gestorben  ist,  ganz  die  gleichen  Ehren  und  die  gleiche  pietätvolle 
Erinnerung  angedeihen  lassen,  wie  den  Männern,  genügt  ein  einfacher  Gan^  durch 
einen  Friedhof,  um  sich  von  dem  Gegentheile  zu  überzeugen:  die  schönsten  und 
reichsten  Denkmäler  gehören  den  Männern,  die  einfacheren  bezeichnen  die  Oraber 
des  weiblichen  Geschlechts.  Es  ist  das  eben  eine  unausbleibliche  Folge  davon, 
dass  der  Mann  seiner  ganzen  Lebensstellung  nach  viel  mehr  als  das  Weib  ge- 
zwungen ist,  an  die  OefiPentlichkeit  zu  treten,  während  das  Weib  mehr  in  stiller 
Verborgenheit  wirkt  und  schaflt  und  naturgemäss  dann  auch  nur  einen  bedeutend 
kleineren  Kreis  von  Anhängern  zu  erwerben  vermag. 

Die  Sonderstellung,  welche  das  Weib  einnimmt,  erkennen  wir  auch,  daran, 
dass  ihm  an  manchen  Orten  an  dem  gemeinsamen  Bestattungsplatze  eine  ganz 
besondere  und  gesonderte  Stelle  angewiesen  wird.  Der  weltberühmte  S^rab- 
nissplatz  bei  der  Certosa  von  Bologna  besteht  im  Wesentlichen  aus  vier  zu- 
sammenhängenden quadratischen  Ereuzgängeu,  in  denen  die  vornehmen  Leute  ihre 
letzte  Ruhe  finden.  Die  von  diesen  Säulengängen  umschlossenen  quadratischen 
Felder,  welche  der  freie  Himmel  deckt,  nehmen  die  irdischen  Reste  der  ärmeren 
Bevölkerung  auf,  und  zwar  ist  das  eine  Quadrat  nur  für  die  Männer,  das  andere 
nur  für  die  Erwachsenen  weiblichen  Geschlechts,  das  dritte  für  die  Knaben  und 
das  vierte  für  die  Mädchen  bestimmt.  Und  ähnlich  mag  es  noch  an  manchen 
anderen  Orten  Italiens  sein. 

Auch  bei  den  Parsi  in  Indien  ist  es  Vorschrift,  dass  die  weiblichen  Leichen 
von  denjenigen   der  Männer   abgesondert  werden.     Ihre  Begräbnissplätze,   welche 
Dakhmas  oder  Thürme  des  Schweigens  heissen,  sind  auf  einsamen,  mit  schöner 
Vegetation  bedeckten  Anhöhen  liegende,  sehr  breite,   aber   niedere  RundthÜrme, 
welche  oben  vollständig  offen  und    unbedeckt   sind.    In  ihrer  Form  erinnern  sie 
an  unsere  modernen  steinernen  Gasometer,  wenn  man  sich  deren  Dach  fortdenkt. 
Das  Innere  ist  durch  ganz  niedriges,  schwellenartiges  Mauerwerk  in  drei  concen- 
trische  Abtheilungen  getheilt,  während  der  Mittelpunkt  durch  eine  weite,  runde, 
gemauerte  Grube  gebildet  wird.     Gleiches  Mauerwerk,   radiär  angeordnet,   theilt 
die  concentrischen  Ringe  in   einzelne  Unterabtheilungen.     In   diese   werden    die 
Leichen  gelegt,  und  zwar  gehört  der  mittlere  concentrische  Kreis  ganz  ausschliess- 
lich  den  Weibern,  während   der  innerste   die   Kinderleichen,   der   äusserste  und 
naturgemäss  auch  grösste  die  Leichname  der  Männer  aufzunehmen   bestimmt  ist. 
Schaaren  von  Geiern  sitzen  harrend  auf  dem  Rande   der  Umfassungsmauer    und 
stürzen  sich  sofort  auf  jeden  neuen  Ankömmling,  sobald  seine  Träger  diesen  Ort 
des  Schaudems  wieder  verlassen  haben.     In  wenigen  Minuten  sind  die  Weichtheile 
aufgezehrt  und  nur  das  Knochengerüst   ist  übrig   geblieben.     Yarrow   hat   nach 
Zeichnung  von  Holmes  eine  Abbildung  von  einem  solchen  Thurm  des  Schweigens 
gegeben,  den  uns  die  Fig.  415  vorführt. 

Niebuhr  sagt  über  den  Dakhma  bei  Bombay  Folgendes: 

«Die  Parsi  haben  eine  besondere  Manier,  ihre  Todten  zu  begraben.  Sie  wollen  weder 
in  der  Erde  verfaulen,  wie  die  Juden,  Christen  und  Mohamedaner ,  noch  verbrannt  werden, 
wie  die  Inder,  sondern  sie  lassen  ihre  Todten  in  den  Magen  der  Raubvögel  verdaut  werden. 
Sie  haben  zu  Bombay  einen  runden  Thurm  auf  einem  Berge  ziemlich  weit  von  der  Stadt, 
der  oben  mit  Brettern  belegt  ist.  Darauf  legen  sie  ihre  Todten,  und  nachdem  die  RaubvOgel 
das  Fleisch  davon  verzehrt  haben,  sammeln  sie  die  Knochen  unten  im  Thnrme,  und  zwar  die 
Knochen  der  Weiber  und  Männer  in  verschiedenen  Beh&ltnissen.  Dies  Geb&ude  ist  jetzt  ge- 
schlossen, wie  man  sagt,  weil  einmal  eine  junge  und  schöne  Frauensperson,  die  plötzlich  ge- 
storben und  nach  morgenlftndischer  Manier  gleich  begraben  war,  noch  auf  diesem  Todtenacker 
einen  Besuch  von  ihrem  Liebhaber  erhalten  hatte.'' 


Fi^.  415.    Thurm  des  Schweigens.    (Dakhma.) 
Begräbnissplatz  der  Parsi  in  Indien.    (Nach  Varrüw.) 


588  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

Die  Sitte,  den  Verstorbenen  Gebrauchsgegenstände  mit  in  den  Tod  za  geben, 
ist  eine  uralte  und  weitverbreitete.  So  werden  z.  B.  nach  Mantegajsza  mit  einer 
verstorbenen  Kota-Frau  (Nilghiri-Gebirge)  ein  Reisstampfer,  eine  Sichel,  ein 
Sieb,  ein  Sonnenschirm  und  die  täglich  von  ihr  getragenen  Ohrringe  verbrannt 
Mit  den  Männern  verbrennt  man  andere  Gegenstände.  Auch  in  dem  Abschnitte, 
welcher  von  der  todten  Wöchnerin  handelt,  habe  ich  noch  von  manchen  der- 
artigen Todten-Beigaben  zu  sprechen. 

Toeppen  berichtet: 

„Einer  weiblichen  Leiche  dürfen  in  Masuren  keine  Haarnadeln  mit  in  das  Grab  ge- 
geben werden,  weil  sonst  die  zurückbleibenden  Angehörigen  die  heftigsten  Kopfschmerzen 
bekommen  und  nicht  eher  los  werden,  als  bis  die  Leiche  wieder  aufgegraben  und  die  Nadeln 
entfernt  sind.    Neulich  trat  der  Fall  in  Hohenstein  ein." 

Unter  den  unendlich  vielen  Fundstücken,  welche  die  prähistorischen  Museen 
der  gebildeten  Welt  anfüllen,  befindet  sich  auch  eine  grosse  Menge  von  Weiber- 
geräth.  Aber  dennoch  macht  es  im  concreten  Falle  gar  nicht  selten  die  aller- 
erheblichsten  Schwierigkeiten,  mit  unanfechtbarer  Genauigkeit  zu  bestimmen,  ob 
die  vorliegenden  Gegenstände  einem  Weibergrabe  oder  einem  Männergrabe  ent- 
stammen. Nur  für  bestimmte,  ganz  eng  umschriebene  Gräberfelder  haben  Lindai- 
Schmidt,  Tischler,  Voss  und  Bahnsen  die  ersten  diagnostischen  Versuche  in  dieser 
Beziehung  gemacht,  aus  welchen  man  ersehen  kann,  welche  Schwierigkeiten  sich 
einem  solchen  Unternehmen  entgegenstellen.  Etwa  dem  vorgeschichtlichen  Grab- 
hügel oder  der  Aschenurne  ansehen  zu  wollen,  ob  sie  die  Ueberreste  eines 
Weibes  oder  diejenigen  eines  Mannes  enthalten,  ist  nun  vollends  ein  Ding  der 
Unmöglichkeit. 

Interessant  ist  ein  Befund,  welchen  der  schwedische  Archäologe  Nordin 
aus  Skara  vor  einigen  Jahren  feststellen  konnte.  Er  deckte  ein  grosses  Gräber- 
feld der  älteren  skandinavischen  Eisenzeit  bei  Bjers  auf  der  Insel  Gothland 
auf,  und  fand  dabei,  dass  daselbst  alle  Weiber  verbrannt,  alle  Männer  unver- 
brannt beigesetzt  worden  sind. 

Die  Erkenntniss  des  Geschlechts  der  beigesetzten  Person  ist  bei  gewissen 
ägyptischen  Sarkophagen  und- bei  vielen  etruskischen  Aschenkisten  ausser- 
ordentlich bequem  zu  bewerkstelligen.  Die  ersteren  bilden  bekanntlich  bisweilen 
die  Form  und  das  Antlitz  der  Verstorbenen  nach,  und  bei  einer  Anzahl  von 
Mumien  aus  dem  3.  bis  7.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung,  welche  Flinders 
Petrie  vor  Kurzem  in  Achmim-Panapolis  ausgegraben  hat,  war  jedesmal  das 
gemalte  Bildniss  der  verstorbenen  Person  in  die  Mumienbinden  eingesetzt. 

Bei  sehr  vielen  der  etruskischen  Aschenkisten  ist  die  Todte  in  voller 
Figur  und  oft  unzweifelhaft  mit  einer  gewissen  Portraitähnlichkeit  auf  dem  Deckel 
der  alabasternen  oder  thönernen  Aschenkiste  dargestellt.  Namentlich  das  Museum 
in  Volterra  ist  reich  an  solchen  Fundstücken,  aber  auch  in  dem  so  hochinteres- 
santen Museo  archeologico  in  Florenz  finden  sich  sehr  charakteristische  Exemplare. 
Eins  der  schönsten  derselben,  einen  bemalten  Terracotta-Sarkophag,  aus  der  alten 
Porsenna-StaAi  Clusium,  dem  heutigen  Chiusi  stammend,  gebe  ich  in  Fig.  416 
wieder.  Auf  seinem  Deckel  liegt  in  Lebensgrosse  die  ganze  Figur  der  Verstorbenen. 
Und  dass  es  sich  hier  nicht  um  eine  Idealfigur,  sondern  um  eine  Portraitstatue 
handelt,  darüber  kann  keinerlei  Zweifel  obwalten. 

Bei  manchen  Völkern  vermögen  wir  auch  zu  constatiren,  dass  schon  in  der 
Art,  wie  man  die  Frauen  betrauert  und  wie  man  sie  zu  ihrer  letzten  Ruhe  be- 
gleitet, sich  manche  Unterschiede  von  den  bei  dem  Tode  der  Männer  üblichen 
Gebräuchen  bemerkbar  machen.  Es  sollen  hiervon  ein  paar  Beispiele  gegeben 
werden.  So  befolgt  man  nach  Sauer  auf  den  Aleuten  mit  den  Weibern  bei 
dem  Begräbniss  weniger  Ceremonien,  als  mit  den  Männern,  und  von  den  Ost- 
jaken  sagt  Pallas: 


469.  Das  Weiberbegräbniss. 


589 


«Männliche  Leichen  werden  von  lauter  Männern,  weibliche  von  Weibern  nach  dem  Be- 
gräbnissplatze  gebracht,  welcher  anf  Anhöhen  ausgesucht  zu  sein  pflegt.  Im  letzteren  Fall 
gehen  nur  einige  Männer  mit,  welche  das  Grab  machen." 

Von  den  Kärnthnern  berichtet  Waizer: 

,Bei  männlichen  Leichen  folgen  dem  Sarge  nach  den  Verwandten  zunächst  die  männ- 
lichen Leidtragenden,  bei  einer  weiblichen  Leiche  die  Frauen  und  Jungfrauen.  ** 

Nach  de  la  Potherie  hatten  bei  den  Irokesen  von  New  York  die  Frauen 
und  Mädchen  die  gleiche  Bestattung,  wie  die  Männer.  Um  die  Mutter  trauerten 
aber  nur  die  Tochter,  indem  sie  sich  in  Lumpen  hüllten  und  ihre  Haare  nicht 
kämmten. 

Ziemlich  ausführliche  Nachrichten  verdanken  wir  Mc  Chesney  über  die 
Wah-Peton-  und  Sioux-In dianer  von  Dacota.  Ich  entnehme  seinen  An- 
gaben Folgendes: 

, Verstorbenen  Kindern  werden  bei  der  Beerdigung  gekochte  Speisen  an  das  Kopfende 
des  Grabes  gestellt,  und  wurde  ein  Mädchen  begraben,  dann  kommen  sämmtliche  Mädchen 


Fig.  416.    Portraitfignr  einer  jungen  Etraskerin, 

anf  dem  Deckel  eines  bemalten  Terracotta-Sarkophages  aus  Chiusi  (dem  alten  Clusinm). 

Im  Museo  aroheologico  in  Florenz.    (Nach  Photographie.) 


des  gleichen  Alters  und  essen  diese  Speisen  auf.  (Bei  Knaben  wird  diese  Ceremonie  in  gleicher 
Weise  von  den  Knaben  ausgeübt.)  Vor  dem  Tode  wird  das  Gesicht  der  Frau^  deren  Ableben 
man  erwartet,  mit  rother  Farbe  bemalt.  Ist  dieses  nicht  vor  dem  Tode  geschehen,  so  ge- 
schieht es  hinterher;  darauf  wird  der  Leichnam  in  einem  zu  seiner  Aufnahme  hergerichteten 
Orabe  bestattet,  und  zwar  in  der  gleichen  Art,  wie  für  den  Krieger  beschrieben  wurde,  aber 
an  die  Stelle  der  Waffen  treten  Kochgeräthe.' 

„Einer  verstorbenen  Frau  wird  von  der  linken  Seite  des  Kopfes  eine  Haarlocke  ab- 
geschnitten und  von  einem  der  Verwandten  sorgfältig  bewahrt,  in  Calico  und  Musselin  ge- 
wickelt und  in  der  Wohnung  der  Verstorbenen  aufgehängt;  sie  wird  als  der  Geist  der  Ver- 
storbenen betrachtet.  (Bei  Kriegern  macht  man  das  Gleiche  mit  der  Skalplocke.)  An 
•dieses  Bündel  wird  eine  Tasse  oder  ein  Geföss  gebunden,  in  das  für  den  Geist  der  Ver- 
storbenen Essen  gethan  wird.  Bei  dem  Tode  von  Frauen  und  Kindern  schnitten  sich  vor 
1860  die  Frauen  das  Haar  ab,  zerhackten  sich  ihren  Körper  mit  Flintstein  und  scharfen 
Holzstücken  und  stiessen  sich  diese  durch  die  Haut  der  Arme  und  Beine,  wobei  sie  wie  für 
einen  Krieger  schrieen.' 

Bei  den  Chinesen  werden  Töchter  nicht  zu  den  Ahnentafeln  ihrer  Eltern 
zugelassen.  Wenn  sie  sich  verheirathet  haben,  dann  müssen  sie  den  Ahnentafeln 
Ton  der  Familie  ihres  Gatten  die  religiöse  Verehrung  zollen.  Nach  ihrem  Tode 
wird  dann  ihre  Tafel  zu  den  Tafeln  gestellt,  welche  zu  ihrem  ältesten  Sohne  ge- 


590 


LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 


hören,  aber  niemals  zu  denen,  welche  von  den  Familien  ihrer  Brüder  verehrt 
werden.     (Doolittle.) 

Die  Leichen  der  Frauen  auf  Tanembar  und  den  Timorlao-Inseln  werden 
mit  einem  neuen  Sarong  von  Eoliblättern  bekleidet  und  mit  Zierrathen  ge- 
schmückt.    Ist  die  Frau  gestorben,  dann  singt  ihr  Ehegatte: 

Dudilaa  ist  zornig  auf  mich;  warum?  lass  er  mir  sagen,  wieviel  ich  bezahlen  soll,  dandl 
sie  wieder  in  das  Leben  zurückkehren  kann ;  was  es  auch  ist,  ich  muss  es  bezahlen.  (Riedel J 

Bei  manchen  Nationen  findet  sich  auch  die  Gewohnheit,  die  Gräber  der 
Weiber  gleich  durch  gewisse  äussere  Zeichen  von  denen  der  Männer  deutlich 
unterscheidbar  und  kenntlich  zu  machen.  lieber  diesen  Punkt  schreibt  DaU  von 
den  Gräbern  der  Inuit  von  Yukon  in  Alaska: 

,Der  Weibersarg  ist  kenntlich  an  den  bei  ihm  aufgehängten  Kessehi  und  anderem 
Frauengeräth.  Sonst  ist  aber  kein  Unterschied  in  dem  Begr&bnissmodns  der  beiden  Geschlechter. 
Nach  dem  Tode  einer  Frau  wird  im  Dorfe  4  Tage,  nach  dem  Tode  eines  Mannes  5  Tage  lang 
nicht  gefischt/ 

Das  Gleiche  gilt  von  den  Ingalik  von  XJlukuk,  von  denen  wir  ein  Weiber- 
grab in  Fig.  417  nach  Yarrow  darstellen. 


Fig.  417.    Weibergrab  der  Ingalik  von  Ulukuk  (Nord-Amerika). 
(Nach   Yarrow.) 

Nach  Gibbs  sind  die  Frauengräber  der  Indianer  vom  Oregon-  und 
Washington-Territorium  (Canoegräber)  kenntlich  an  einem  Napf,  einem  Kamas- 
Stock  und  anderen  Geräthen  ihrer  Thätigkeit  und  Bestandtheilen  ihres  Anzuges. 

Ueber  die  Graber  der  Türken  lesen  wir  bei  Sonntag^  dass  ein  hermen- 
artiger, platter  Grabstein  am  Kopfende  und  am  Fussende  aufgerichtet  wird.  Das 
obere  Stück  des  Kopfendes  bildet  einen  Turban,  einen  Fez  oder  einen  Derwisch- 
hut. Die  Grabsteine  fttr  die  Frauen  haben  aber  entweder  gar  keine  Kopfzeichen, 
oder  sie  laufen  oben  in  ein  Blatt,  in  eine  Muschel  oder  in  irgend  eine  Arabeske 
aus.  Diese  Verschiedenheit  der  Grabsteine,  je  nach  dem  Geschlechte  der  Beerdigten, 
können  wir  in  Fig.  418  erkennen.  Dieselbe  stellt  einen  türkischen  Begrabnissplatz 
aus  Sarajevo  in  Bosnien  dar  und  in  Fig.  420  lernen  wir  noch  einen  Theil  eines 
solchen  Begräbnissplatzes,  ebenfalls  aus  Sarajevo,  kennen.  Die  Baldachine  decken 
Heiligengräber;  die  hohen,  pfeilerartigen  Steine  bezeichnen  die  Ruhestatte  der 
Männer;  einige  lassen  den  Turban  deutlich  erkennen,  und  durch  die  Säulen  des 
einen  Baldachins  erkennt  man  einen  Grabstein  mit  dem  Derwischhut;  hier  ist  ein 
Derwisch   beerdigt  worden.      Frauengräber    finden   sich  ganz   im  Vordergrunde. 


469.  Das  Weiberbegräbniss. 


591 


Ihre  platten,  schmucklosen  Grabsteine,  die  nach  oben  in  ein  Dreieck  auslaufen, 
lassen  eine  gewisse  Aehnlichkeit  mit  unseren  Plättbrettern  nicht  verkennen. 

Sehr  beachtenswerthe  Angaben  über  die  Gräber  der  Süd-Slaven  verdanke 
ich  einer  brieflichen  Mittheilung  von  Krauss: 

.Ein  eigentliches  Leicbenbegängniss  erhält  bei  dem  bulg  arisch -serbischen  Bauern- 
volke  nur  der  Mann.  Ihm  stellt  man  auch  in  der  Regel  einen  Grabstein,  während  man  einer 
Frau,  besonders  der  verstorbenen  Hausvorsteherin  einer  Hausgemeinschaft,  ein  Holzkreuz  auf 
das  Grab  pflanzt.  Das  Jungfrauengrab  wird  mit  Kränzen  aus  Sandruhrkraut  und  Basilicum, 
hier  und  da  auch  mit  Myrthenkränzen  geschmückt.  Männer  halten  sich  von  den  Leichenfeier- 
lichkeiten der  Frauen  ganz  fem ;  nur  der  Vater  und  die  Brüder  geben  ihr  das  Geleite  mit  dem 
Zuge  der  Klageweiber.  Die  Gespielinnen  des  Mädchens  folgen  dem  Sarge,  alle  weiss  gekleidet. 
Weiss  gilt  nach  der  älteren  Ueberlieferung  als  Trauerfarbe.  Beim  Leichenschmause  eines 
Mädchens  sind  alle  ihre  gewesenen  Gespielinnen  zugegen." 

,In  Bosnien  habe  ich  auf  katholischen  Kirchhöfen  ausnahmsweise  auch  Denksteine 
auf  Frauengräbern  gesehen.  Auf  jedem  Stein  sind  zwei  Brüste  roh  in  Hautrelief  ausgemeisselt. 
Das  Jung&uuengrab  hat  noch  einen  Kranz,  doch  ohne  Kreuz.  Die  grossen  alt-bosnischen 
Grabsteine  gehören  nur  Männern  an,  während  die  alten  Frauengräber  bloss  dicke  und  etwas 
breite,  aufrecht  stehende  Platten  ohne  Inschrift  zeigen.    Die  Trauerzeit  um  ein  Weib  dauert 


Fig.  418. 


Türkischer  Begräbnissplatz  in  Sarajevo  (Bosnien). 
(Nach  Photographie.) 


nicht   länger   als   höchstens   8   Tage.     Einer  Frau  Thränen  nachzuweinen,   gilt  als  äusserst 
schimpflich.'* 

In  dem  Samoborer  Gebirgslande  unterschied  sich  noch  vor  einigen  zwanzig 
Jahren  die  Begräbnissfeier  für  die  Hausfrau  von  derjenigen  für  den  Hausvorstand 
dadurch,  dass  das  Todtenniahl  bei  dem  Dahinscheiden  des  letzteren  mit  12,  bei 
dem  Tode   der  Hausfrau   aber  nur  mit  10  Suppen  eingeleitet  wurde.     (Krauss.) 

Bei  manchen  Nationen  erhalten  wir  die  directe  Angabe,  dass  zwar  im  All- 
gemeinen die  weiblichen  Todten  ganz  so  wie  die  verstorbenen  Männer  bestattet 
werden,  nur  dass  die  ganze  Ausstattung  eine  geringere  ist.  Das  berichtet  z.  B. 
Ribbe  über  die  Aaru-Insulaner. 

Eine  absonderliche  Form  eines  Weiberbegräbnisses  lernen  wir  durch  Kühn 
von  Neu-Quinea  kennen.     Er  erzählt: 

„An  demselben  Tage  passirte  noch  ein  Unglück,  indem  eine  junge  Sclavin  einen 
giftigen  Fisch  genossen  und  daran  gestorben  war.  Unter  lautem  Geheul  ward  die  Leiche  vorm 
(Pfahlbau-)  Hause  im  Kahne  aufrecht  gesetzt  und  mit  einem  neuen  Rock  geschmückt;  da  sie 
im  Freien  gestorben,   so  durfte  sie  nicht  ins  Haus  gebracht  werden,  damit  keine  Krankheit 


592  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

hinein^eschleppt  werde.  Die  ganze  Nacht  hindurch  wurden  monotone  Klagelieder,  imter- 
brechen  von  plötzlichem  Geheul,  gesungen,  und  am  andern  Tage  wurde  die  Leiche  in  der 
Nähe  des  Dorfes  auf  einem  kleinen  Stück  flachen  Strandes  begraben  und  ein  leichtes  Blätter- 
dach darüber  angebracht.'^ 

470.  Die  todte  Jungfrau. 

Die  Menschen,  auch  wenn  sie  auf  einer  nicht  sehr  hochentwickelten  Caltnr- 
stufe  stehen,  haben  überall  ein  feines  und  sehr  ausgebildetes  Empfinden  fär  alle 
Ausnahmezustande  von  dem  gewöhnlichen  Verlaufe  des  Lebens;  wir  haben  dafür 
ja  bereits  eine  grosse  Anzahl  von  Belegen  kennen  gelernt.  Es  kann  uns  daher 
nicht  überraschen,  dass  wir  besondere  Bräuche,  Sitten  und  Aberglauben  aach 
bei  dem  Tode  einer  imyerehelicht  gebliebenen  Person,  oder  einer  während  der 
Schwangerschaft,  bei  der  Entbindung  oder  im  Wochenbett  verstorbenen  Frau  ihre 
Wirksamkeit  entfalten  sehen. 

Ein  mannbares  Mädchen,  welches  nicht  eine  Ehe  eingeht,  führt  nach  der 
Auffassung  vieler  Völker  ein  unnatürliches  Leben,  eine  Vita  praeter  naturam, 
und  so  muss  sie,  wie  sie  im  Leben  von  ihren  Geschlechtsgenossinnen  sich  unter- 
schieden hat,  auch  im  Tode  noch  eine  Sonderstellung  einnehmen. 

Von  der  Lehre  Zoroaster^s  sprachen  wir  früher  schon,  dass  ein  Mädchen, 
welches  das  18.  Lebensjahr  überschritten  hat  und  trotzdem  noch  keine  Ehe  ein- 
gegangen ist,  eine  Sünde  begeht,  welche  nicht  gesühnt  werden  kann.  Nach  ihrem 
Tode  ist  eine  solche  Jungfrau  daher  unrettbar  der  Hölle  verfallen.  Aus  einer 
Angabe  von  du  Perron  er^hren  wir,  dass  auch  die  heutigen  Parsi  noch  ^nz 
die  gleiche  Anschauung  haben. 

Während  hier  also  die  Ehelose  in  die  Hölle  fahrt,  ist  gerade  im  QegentheU 
nach  christlicher  Auffassung  in  erster  Linie  der  unbefleckten,  keuschen  Jungfrau 
bei  ihrem  Tode  der  Himmel  erschlossen.  Auch  heute  noch  wird  an  vielen  Orten 
ihr  Leichnam  sowohl  als  auch  ihr  Sarg  oder  ihr  Grabhügel  mit  der  Brautkrone 
geschmückt,  um  damit  anzudeuten,  dass  sie  nun  zu  einer  Braut  Christi  geworden 
ist  und  dass  sie  jetzt  mit  ihrem  himmlischen  Bräutigam  vereinigt  wurde.  Auf 
eine  solche  Vereinigung  haben  aber  naturgemäss  in  erster  Linie  die  heiligen 
Gottesjungfrauen  Ansprüche,  welche  schon  bei  ihren  Lebzeiten  sich  dem  Erlöser 
verlobt  hatten.  Daher  finden  wir  die  letzten  Ruhestätten  der  Nonnen  und  der 
ihnen  entsprechenden  weiblichen  Personen  auch  immer  abgesondert  von  den  Gräbern, 
in  welchen  die  Kinder  dieser  Welt  zur  letzten  Ruhe  bestattet  wurden. 

Aber  Wehe  auch  der  Himmelsbraut,  welche  sich  von  den  fleischlichen  Lüsten 
verfuhren  Hess,  ihren  Treueschwur  zu  brechen.  Bei  lebendigem  Leibe  wurde  sie 
begraben,  oder  man  mauerte  sie  ein  und  liess  sie  einem  langsamen  Erstickungs- 
und Hungertode  verfallen. 

^Das  Nonnenloch  zu  Mönchgut  auf  Rügen,  sagt  Sepp,  ist  unergründlich;  dahin 
wurden  von  der  Stadt  Bergen  des  Nachts  gefallene  Nonnen  gehracht  und  versenkt:  daher 
gehen  noch  wehklagende  Gestalten  um.' 

In  vielen  Gegenden  Deutschlands  glaubt  man  auch,  dass  in  bestimmten 
Seen  Nonnenkloster  versunken  sind,  weil  die  Aebtissin  einen  Bettler  von  ihrer 
Thüre  gewiesen  habe.  Man  hört  bisweilen  die  Glocken  läuten,  und  wer  z.  B.  um 
Mittemacht  in  den  Gremasee  den  Kopf  hineinsteckt,  der  kann  die  Nonnen  auch 
singen  hören.  Solche  Klöster  liegen  zum  Beispiel  im  See  bei  Tiefenau,  im 
Nonnensee  beim  Katzenkopf  in  Oberschwaben,  bei  Neuenkirchen  im 
Odenwald  u.  s.  w.     (Sepp,) 

Bisweilen  sind  es  auch  gewaltsam  geschändete  Jungfrauen,  welche  in  solchem 
See  ihr  Wesen  treiben  müssen: 

.Der  Jungfrauensee  verschlingt  das  Schloss  bei  Flensburg,  dessen  Ritter  ein 
Mädchenräuber  war.  Man  sieht  noch  die  Thurmspitze  und  hört  Glockentöne  aus  dem  Wasser, 
um  Mittemacht  tanzen  die  einst  entehrten  Jungfrauen  mit  klagender  Stimme  um  das  Ufer 
herum.*    (Sepp.) 


470.  Die  todte  Jungfrau.  593 

In  iDdien  fahrt  die  Seele  der  verstorbenen  Braut  in  die  später  geheirathete 
Frau,  entfremdet  ihr  das  Bewusstsein  des  eigenen  Selbst  und  lässt  sie  in  Folge 
dessen  sich  selbst  schmähen,  wobei  sie  in  der  Person  der  Verstorbenen  redet. 
Der  Serbe  lässt  die  Seelen  der  vor  ihrer  Verheirathung  verstorbenen  Bräute 
nicht  zur  Buhe  kommen,  sie  stellen  als  Vilen  den  Jünglingen  nach  und  tanzen 
sie  in  nächtlichen  Tänzen  zu  Tode.  In  Siam  halten  gleichfalls  die  Seelen  ver- 
storbener Jungfrauen  ihre  Tänze  in  der  Dämmerung,  wobei  sie  Denjenigen  todten, 
der  sie  dabei  überrascht;  auch  bringen  sie  kleine  Mädchen  und  Frauen  um.  Diese 
kindertödtende  Jung&auenseele  kennt  auch  das  griechische  Volk  in  der  GeUo. 
{Haherland.) 

Ganz  besonders  malt  aber  der  Volksglaube  und  der  Volkswitz  das  Schicksal 
der  armen  eheverschmähten  alten  Jungfern  aus.  In  England  heisst  es,  dass  die 
alten  Jungfern  Affen  zur  Hölle  führen  müssen,  und  in  Ost-Preussen  behauptete 
man  im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  (und  vielleicht  auch  heute  noch),  dass  sie 
nicht  in  den  Himmel  kommen,  sondern  dass  sie  vor  demselben  auf  der  grünen 
Wiese  ihren  Aufenthalt  angewiesen  erhielten.  Auf  dieser  ist  es  ihre  Bestimmung, 
durch  die  ganze  Ewigkeit  hindurch  den  Eoth  der  Schafe  aufzusammeln.  Auch 
an  vielen  anderen  Orten  Deutschlands  wird  der  alten  Jungfer,  wie  Häberland 
berichtet,  weil  ihr  Leben  ein  verfehltes  und  nutzloses  war,  auch  noch  nach  dem 
Tode  seine  Beschäftigung  zugewiesen,  welche  ebenso  unnütz  und  den  Zweck  nie- 
mals erfüllend  ist.  in  Strassburg  muss  sie  die  Gitadelle  einbändeln  helfen,  in 
Basel  den  Pfarrthurm,  in  Wien  den  Stephansthurm  abreiben  und  reinigen, 
in  Frankfurt  »den  Parthom  bohne*,  in  Nürnberg  den  weissen  Thurm  mit  den 
Barten  alter  Junggesellen  fegen,  in  Tyrol  das  grosse  Sterzinger  Moos  mit  den 
Fingern  nach  Spannen  ausmessen,  und  nach  Moscherosch  in  der  Hölle  Zunder 
feilbieten. 

.Diesen  Gedanken,  dass  die  menschliche  Bestimmung  ohne  die  Zeugung  von  Nach- 
kommenschaft nicht  erfüllt  ist,  drückt  sinnig  der  Mflnchener  Brauch  aus,  vor  die  Thüren 
unverheirathet  Gestorbener  einen  Strohwisch  zu  legen,  weil  sie  keine  Körner  gegeben  haben.* 
(Haberland.J 

Im  Frickthalto  herrscht  nach  Bochhole  der  Brauch,  am  Schluss  der  Fast- 
nacht die  alten  Jungfern  zu  begraben, 

.wobei  alle  über  24  Jahre  alte  ledige  MSdchen  von  ihren  Barschen  auf  Fahrwagen 
geladen,  dann  unter  grosser  Bespannung  zum  Dorfs  hinausgefahren  und  bei  einem  Graben 
umgeworfen  werden.'    (Haherlanä.) 

Eine  unverheirathet  gebliebene  Mohamedanerin  kann  unter  keinen  Um- 
ständen in  den  Himmel  kommen,  denn  nur  durch  den  Ehegatten  erlangt  die  Frau 
daselbst  den  Eintritt.    Es  heisst  im  Koran: 

Das  Paradies  der  Frau  ist  unter  den  Fusssohlen  ihres  Gatten,  „üeber  das  Schicksal 
der  Wittwen,  der  alten  und  jungen  Mädchen  schweigt  der  Koran  überhaupt,  das  sind  Wesen, 
die  überhaupt  keine  Beachtung  beanspruchen  können.  Nur  als  Gattin  nimmt  die  Frau  eine 
gewisse  Stellung  ein;  unverheirathet  wird  sie  stets  ein  verachtetes  Wesen  sein,  dessen  Gebete 
und  Opfergaben  Gott  selbst  nur  mit  WiderwiUen  annimmt.*    (Osman  Bey.J 

Poetischer  sind  die  Anschauungen,  wie  sie  in  Ober-Italien  herrschen. 
In  den  Bezirken  von  Treviso  und  Belluno  glaubt  man  nämlich,  dass  die  ver- 
storbenen jungen  Mädchen  Brosen  im  Paradiese  pflücken  müssen.  Deshalb  ver* 
säumen  die  Landleute  es  nicht,  ihnen  eine  Schürze  mit  in  den  Sarg  zu  legen. 
(Bastanai.) 

In  Kärnten  werden  Jungfrauen  in  weissen  Kleidern  aufgebahrt;  wenn  sie 
aber  verlobt  waren,  so  zieht  man  ihnen  das  Brautkleid  an.    (Waijser.) 

Die  Trauer  des  Himmels  über  den  Tod  einer  Jungfrau  drückt  wohl  der 
folgende  in  der  Provinz  Bari  in  Apulien  herrschende  Aberglaube  aus.  Dort  sagt 
man,  wenn  es  bei  dem  Tode  eines  jungen  Mädchens  regnet,  dann  müsse  es  neun 
Monate  hindurch  fortregnen.    (Karusio.) 

Ploss-Bsrtels,  Das  Wdb.    5.  Aufl.    H.  38 


594  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

Der  Zauber,  den  die  Jungfrau  um  sich  verbreitet,  geht  nach  dem  Glauben 
der  Ober-Bayern  auch  im  Tode  nicht  verloren.     So  lesen  wir  bei  Höfler: 

,Noch  vor  wenigen  Jahren  wurde  im  Friedhofe  zu  Tölz  der  Versuch  gemacht,  das 
Grab  einer  .reinen  Jungfrau*^  n&chtlicher  Weile  zu  Offnen;  die  als  unheimlich  geltenden  Leute, 
welche  durch  den  Besitz  eines  Leichentheiles  derselben  gössen  Reichthum  zu  erlangen 
hofften,  wurden  verscheucht.* 

.Der  alte  Holzer  am  Arzbach  wollte  mit  anderen  die  Gasse  des  Rentamtes  TOlz^ 
stehlen.  Zu  diesem  Zweck  sachten  sie  sich  sicher  zu  machen  durch  den  Besitz  des  linken 
zweiten  Fingers  einer  reinen  Jimgfrau,  deren  Grab  sie  in  der  Mittemachtsstunde  Ofifneten. 
Sie  hatten  einen  Erdspiegel  (einen  auf  besondere  Art  hergestellten  Zauberspiegel}  bei  sich  und 
hielten  ihn  vor  sich.  Da  aber  der  Teufel  vor  ihnen  gestanden  und  ihnen  aus  dem  Spiegel 
zugeschaut  hatte,  so  haben  sie  die  Flucht  ergreifen  müssen  und  haben  so  von  dem  Gelde  ans 
der  rentamtlichen  Gasse  nichts  erhalten.* 


471,  Die  todte  Schwangere. 

Wenn  wir  von  der  todten  Schwangeren  handeln  wollen,  so  halte  ich  es  fär 
den  Leser  für  übersichtlicher,  wenn  diejenigen  Todesfalle  hier  unberücksichtigt 
bleiben,  welche  bei  unglücklichen  Weibern  während  der  Entbindung  eingetreten 
sind.  Ereilt  sie  hier  der  Tod,  bevor  ihr  Kind  das  Licht  der  Welt  erblickte,  so 
sind  sie  ja,  strenge  genommen,  auch  noch  während  der  Schwangerschaft  gestorben. 
Aber  dennoch  nehmen  sie  eine  Sonderstellung  ein,  und  es  soll  ihnen  aus  diesem 
Grunde  ein  besonderer  Abschnitt  gewidmet  werden. 

Wenn  eine  Guinea-Negerin  schon  während  der  Schwangerschaft  stirbt, 
so  gereicht  dies,  wie  der  Missionar  Monrad  berichtet,  deren  Familie  zu  grosser 
Schande,  da  man  sagt,  dass  sie  nicht  gebären  könne;  ihr  Leichnam  wird  nicht 
begraben,  sondern  auf  das  freie  Feld  geworfen.  Monrad  schliesst  aus  dieser 
Behandlung,  dass  die  Guinea*Neger  schwangeren  Frauen  eine  gewisse  Heilig- 
keit beilegen. 

Ich  lasse  es  dahingestellt  sein,  in  wieweit  diese  Annahme  eine  Berechtigung 
hat.  Aber  es  mag  hier  gleich  angeführt  werden,  dass  auch  bei  den  Battas  in 
Tobah  Tinging  in  Sumatra,  wie  Hagen  uns  berichtet,  mit  der  Leiche  einer 
in  der  Schwangerschaft  verstorbenen  Frau  anders  verfahren  wird,  als  mit  denjenigen 
der  übrigen  Stammesgenossen.  Denn  was  für  eine  Bestattungsart  auch  für  ihre 
Marga  vorgeschrieben  sein  mag,  ihre  Leiche  wird  unter  allen  Umständen  verbrannt 
und  die  Asche  in  das  Meer  gestreut. 

Wenn  auf  Bali  eine  Frau  während  der  Schwangerschaft  stirbt,  «dann  darf 
ihre  Leiche  weder  begraben  noch  verbrannt  werden,  sondern  sie  muss  zum  Zeichen 
der  grossten  Verachtung  entweder  in  eine  Rinne  geworfen  oder  in  ein  zwei  Fuss 
tiefes  offenes  Grab  oder  Grube  gelegt  werden,  nach  Balischen  Begriffen  die 
grösste  Schande,  die  Jemandem  zu  Theil  werden  kann.  Dieses  gilt  für  sdle  Stände 
und  Kasten,  auch  für  die  Fürstinnen.    (Jacobs.) 

Beachtenswerth  ist  uns  die  von  Krauss  berichtete  Auffassung  der  Süd- 
Slaven,  welche  den  Glauben  haben,  dass  eine  verstorbene  Schwangere  ihre 
Leibesfrucht,  welche  sie  nicht  auszutragen  vermochte,  zu  verschenken  im  Stande 
sei.    Er  sagt: 

.Manche  Sterile  begeben  sich  auf  ein  Grab,  in  welchem  eine  schwangere  Fraa  bestattet 
worden,  beissen  Gras  vom  Grabe  weg,  rufen  die  Yerstorbene  mit  Namen  an  und  bitten  sie, 
sie  solle  ihre  Leibesfrucht  ihnen  schenken.  Hierauf  nehmen  sie  ein  wenig  Erde  vom  Grabe 
und  tragen  diese  Erde  unter  dem  Gürtel  immer  mit  sich  herum.* 

Stirbt  bei  den  Christen  in  Bosnien  eine  Schwangere,  so  erhält  das  Grab 
zu  Kopf  und  zu  den  Füssen  je  ein  Kreuz,  oben  ein  grosses,  unten  ein  kleines. 
(Krauss) 


472.  Die  todte  Eroissende.  595 

Nach  Petroivitsch  wird  bei  den  Serben  einer  wahrend  der  Schwangerschaft 
gestorbenen  Frau  ein  Pflug  und  ein  Spinnrocken  mit  in  das  Grab  gelegt. 

Bei  den  Basutho  müssen  schwangere  Frauen  weit  vom  Hause  im  Felde 
begraben  werden,  denn  ihre  Leichen  werden,  wie  man  glaubt,  den  Regen  Yom 
Lande  abhalten.  Da  es  aber  den  Angehörigen  schrecklich  ist,  ihre  Verstorbenen 
so  in  der  Wüste  zu  wissen,  so  gebrauchen  viele  die  List,  sie  im  Finstem  wieder 
auszugraben  und  sie  in  den  heimischen  Beiden  von  Neuem  zu  beerdigen.  Es 
kommt  für  diese  heimliche  Exhumirung  aber  auch  noch  ein  anderer  Grund  in  Be- 
tracht. Die  Regenzauberer  nämlich,  und  der  Häuptling  an  der  Spitze,  sind  eifrig 
hinter  solchen  Leichen  her.  Sie  scharren  dieselben  aus  und  schneiden  ihnen  den 
Unterleib  und  die  Gebärmutter  auf.  Das  Fruchtwasser  wird  dabei  mit  grosser 
Sorgfalt  in  bereitgehaltene  Gefasse  ausgeschöpft;  das  Kind  aber  wird  einfach 
herausgeworfen.  ,  Daheim  hat  der  Häuptling  sein  ntlu  ea  dinaka  tsa  pula,  d.  h. 
„ein  Häus,  wo  Ochsenhömer  nach  oben  schauen'';  in  diese  Homer  wird  das  Frucht- 
wasser gegossen  und  das  zieht  Regen  herbeL  Macht  man  dann  Regen,  so  setzt 
sich  der  Zauberdoctor  in  jenes  Haus  und  flötet  nun  auf  seiner  Pfeife.  Auch  von 
der  Gebärenden  sammelt  man  zu  gleichem  Zwecke  den  Liquor  Amnii."   (QriUener,) 

Interessant  ist  eine  Bemerkung,  welche  Niebuhr  über  die  Hindu  macht 
Er  sagt: 

.Die  Banianen  zu  Bombay  legen  ihre  Tod ten  auf  einen  Haufen  Holz  uad  verbrennen 
sie,  und  zwar  zur  Ebbezeit  dicht  an  der  See,  damit  die  nächste  Fluth  die  Asche  wegspülen 
möge.  Dies  habe  ich  selbst  einige  Mal  gesehen.  Ihre  Kinder,  die  noch  nicht  18  Monate  alt 
sind,  werden  begraben.  Auch  sagte  man,  dass  man  die  verstorbenen  schwangeren  Weiber 
öffnet,  das  Kind  herausnimmt  und  begr&bt,  und  die  Mutter  verbrennt." 


472.  Die  todte  Erelssende. 

Wenn  schon  das  Sterben  einer  Schwangeren  vor  dem  eigentlichen  Zeitpunkte 
der  Geburt  ein  erschütterndes  Ereigniss  ist,  so  kann  man  es  doch  so  recht  be- 
greifen, was  für  einen  um  so  tieferen  Eindruck  auf  das  Gemüth  der  Naturvölker 
es  machen  muss,  wenn  sie  sehen,  wie  ein  unglückliches  kreissendes  Weib,  in  er- 
folgloser Anstrengung  ihre  Kräfte  verzehrend,  unfähig  ist,  das  Kind  zur  Welt  zu 
bringen,  und  wie  sie,  anstatt  die  Mutterfreuden  zu  erleben,  eines  elenden  Todes 
verbleichen  muss. 

In  Madagascar  sieht  man  den  Tod  einer  Ereissenden  als  Beweis  dafür  an, 
dass  sie  bei  beginnender  Niederkunft  dem  Gatten  nicht  aufrichtig  eingestanden 
habe,  wie  oft  sie  ihm  untreu  gewesen  ist. 

Wenn  bei  den  Songaren  eine  Frau  bei  der  Entbindung  stirbt,  so  ist  ein 
böser  Geist  daran  Schuld;  hier  muss  dann  eine  Zauberin  helfen  und  die  Männer 
müssen  Beschwörungsformeln  beten.     (Klemm.) 

Starb  eine  Kreissende  bei  den  alten  Mexikanern,  so  gab  man  ihr  nach 
Bancroft  «den  Titel  Mociaquezqui,  das  ist  «muthiges  Weib",  und  sie  wuschen  ihren 
ganzen  Körper  und  wuschen  ihr  mit  Seife  das  Haupt  und  die  Haare.  Ihr  Gatte  nahm  sie 
auf  die  Schultern  und  mit  ihrem  langen  frei  hinter  ihm  herabhängenden  Haare  trug  er  sie 
zu  dem  Begräbnissplatze.  Alle  alten  Hebammen  begleiteten  die  Leiche,  marschirend  mit 
Schild  und  Schwert,  und  schreiend,  wie  zum  Angriff  vereinigte  Soldaten.  Sie  hatten  ihre 
Waffen  nöthig,  denn  der  Leichnam,  den  sie  escortirten,  war  eine  heilige  Reliqaie,  welche 
viele  zu  gewinnen  brannten;  und  ein  Theil  der  Jugend  kämpfte  mit  diesen  Amazonen,  um 
ihnen  ihren  Schatz  zu  rauben;  dieses  Gefecht  war  kein  Spiel,  sondern  ein  wahrhaft  knochen- 
brecbender  Ernst.  Die  Beerdigungsprocession  machte  Halt  mit  Sonnenuntergang  und  die  Leiche 
wurde  beerdigt  im  Hofe  des  Cu  der  Göttinnen  oder  der  himmlischen  Weiber,  genannt  Cioa- 
pipilti.  Vier  Nächte  bewachte  der  Gatte  mit  seinen  Freunden  das  Grab  und  yier  Nächte 
machte  die  Jugend  oder  unausgebildete  und  unerfahrene  Soldaten  RaubzOge  gleich  Wölfen 
gegen  die  kleine  Schaar.' 

88» 


696  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

«Wenn  eine  Ton  den  k&mpfenden  Hebammen  oder  von  den  Nachtwächtern  Tom  Schutz 
der  Leiche  wich,  so  schnitten  sie  dieser  sofort  den  Mittelfinger  der  linken  Hand  und  die  Haaxe 
vom  Kopfe  ab.  Jedes  dieser  Dinge,  in  Jemandes  Schild  gebracht,  machte  diesen  ungefitam, 
tapfer,  unüberwindlich  im  Kriege  und  blendete  die  Augen  seines  Feindes.  Hier  raubten  rin^s 
um  das  heilige  Grab  gewisse  Hexen,  Temamacpalitotique  genannt,  welche  es  aufzuhacken 
und  den  ganzen  linken  Arm  des  todten  Weibes  zu  stehlen  suchten;  diesen  hielten  sie  !&r  einen 
mächtigen  Talisman  bei  ihren  Unternehmungen  und  fflr  ein  Ding,  das,  wenn  sie  in  ein  Haus 
kamen,  um  ihr  böses  Werk  daselbst  zu  verrichten,  gänzlich  den  Muth  der  Bewohner  hinw^^> 
nahm  und  sie  so  entmuthigte,  dass  sie  weder  Hand  noch  Fuss  rühren  konnten,  obgleich  sie 
alles  sahen,  was  passirte.  Der  Tod  der  im  Kindbett  gestorbenen  Frau  wurde  von  den  Heb- 
ammen  betrauert,  aber  ihre  Eltern  und  Verwandten  waren  voll  Freude  darüber,  denn  sie 
sagten,  dass  sie  nicht  in  den  Hades  oder  die  Unterwelt  käme,  sondern  in  den  westlichen 
Theil  vom  Hause  der  Sonne.'' 

Sollte  bei  den  Orang  hutan  in  Malacca  der  Tod  der  Mutter  während 
der  Entbindung  eintreten  und  das  Kind  aucli  unmittelbar  darauf  sterben  oder 
todt  geboren  werden,  so  ist  es  nach  Stevens  der  Gebrauch,  dass  man  beide  in 
einer  Umhüllung  und  in  einem  Grabe  beerdigt.  Dabei  wird  das  Neugeborene 
so  auf  die  Brust  der  Mutter  gelegt,  dass  es  mit  dem  Antlitz  nach  unten  liegt. 
(Bartels^) 

Sehr  viele  Yolksstämme  vermögen  es  sich  nicht  zu  denken,  dass  eine  in 
der  Niederkunft  verstorbene  Frau  im  Jenseits  Buhe  finden  könne.  Die  Ewe- 
Neger  an  der  Sclavenküste  sind  der  Meinung,  dass  solch  ein  unglückliches 
Weib  eine  von  den  Göttern  verlassene  und  verstossene  Person  sei  und  dass  sie 
ein  Blutmensch  würde.  Sie  bekommt  kein  ehrliches  Begrabniss,  sondern  sie 
wird  an  einem  besonderen  Platze  beerdigt,  welcher  nur  für  die  Aufiiahme  solcher 
Blutmenschen  hergerichtet  ist.    (Zündel.) 

Sterben  auf  Java  Frauen  während  der  Entbindung,  so  härmen  sie  sich 
auch  nach  dem  Tode  noch  wegen  des  verlorenen  Mutterglücks:  sie  können  nicht 
zur  Buhe  kommen,  und  da  sie  von  Natur  böse  sind,  suchen  sie  sich  auf  Kosten 
Anderer  das  Glück  zu  verscha£Pen,  welches  sie  nicht  gemessen  sollten.  Wenn  sie 
kittend  durch  die  Lüfte  ziehen  und  ein  Haus  bemerken,  wo  eine  Frau  ihrer 
Stunde  harrt,  da  drängen  sie  sich  um  die  Wette  herzu  und  suchen  in  die  Frau 
zu  fahren,  um  an  ihrer  Stelle  die  Mutter&eude  zu  kosten;  die  unglückliche  Frau 
aber  wird  wahnsinnig.  Natürlich  werden  vorkommenden  Falls  die  Wohnungen 
sehr  sorgfaltig  behütet  und  bewacht;  Feuer  werden  angezündet,  und  Wächter 
mit  brennenden  Fackeln  in  der  Hand  machen  die  Bunde,  um  die  Geister  zu  ver- 
jagen, die  übrigens  unter  Umständen  auch  Männern  gefahrlich  werden,  die  auf 
dem  Punkte  stehen,  die  Treue  zu  brechen;  sie  strafen  dieselben  sehr  nachdrücklich, 
gewöhnlich  durch  sehr  empfindliche  Verstümmelung.     (Metzger.) 

Nach  Haberland  glauben  die  Malayen,  dass  in  der  Niederkunft  gestorbene 
Frauen  gleich  Statuen  im  Walde  stehen  und  die  Männer  an  sich  locken. 

Bei  den  Battas  von  Tobah  Tinging  in  Sumatra  muss  ganz  ebenso  wie 
die  gestorbene  Schwangere  auch  die  vom  Tode  ereilte  Kreissende  verbrannt  und 
ihre  Asche  in  das  Meer  gestreut  werden.     {Hagen) 

Der  Leiche  einer  während  der  Entbindung  gestorbenen  Frau  legt  man  auf 
den  Inseln  des  Seranglao-  und  Gorong-Archipels,  bevor  sie  in  weisse  Leine- 
wand eingewickelt  wird,  einen  Eris  zwischen  die  Brüste,  während  ihr  in  den 
Bauch  vierzig  Nadeln  gestochen  werden.  Auf  das  Grab  werden  kreuzweise  zwei 
Dombüsche  gelegt  und  mit  Gomutu-  oder  Areng-Fasern  festgebunden,  damit  die 
Frau  kein  Budi-Budiana  oder  Pontianaq  werde.  Im  Üebrigen  erfolgt  die 
Beerdigung  in  der  bei  diesem  Volke  gewöhnlichen  Weise.    (Riedel^.) 

Die  Seelen  der  auf  Tanembar-  und  den  Timorlao-Inseln  während  des 
Geburtsactes  verstorbenen  Frauen  gehen  nach  der  Beerdigung  um  und  halten  sieb 
vorzugsweise  am  Strande  auf.  FiUif  Tage  nach  dem  Begrabniss  gehen  zwei  alte 
Frauen  zum  Strande,    um  die  Seele   der  Verstorbenen,   die  noch  kein  Nitu  ist, 


473.  Die  Niederkunft  der  Todten.  597 

aufzusuchen,  wobei  sie  eine  Schüssel  mitnehmen,  in  welche  etwas  Reis,  ein  Ei 
und  Pisang  gelegt  wird.  Mit  herzzerreissendem  Tone  rufen  sie  die  Seele  zurück 
und  nehmen  sie  in  der  Schüssel  mit  nach  Hause,  damit  sie  mit  den  Uebrigen  die 
Reise  nach  Nusnitu  antreten  könne,  und  sie  nicht  unterwegs  durch  böse  Geister 
gestört  werde.  Eine  Frau,  welche  bei  der  Entbindung  stirbt,  muss  nach  dem 
Glauben  dieser  Leute  eine  sehr  grosse  Sünde  begangen  haben,  z.  B.  unentdeckte 
Blutschande  oder  Ehebruch.     Dafür  ist  sie  nun  gestraft  worden.     {Riedel\) 

Stirbt  auf  Ambon-  und  den  Üliase-Inseln  eine  Frau  während  der  Ent- 
bindung, dann  wird  ihre  Leiche  auf  eine  besondere  Weise  behandelt,  um  zu  ver- 
lundern,  dass  sie  später  als  Buntiana  umgehe,  um  Männer  und  schwangere  Frauen 
zu  quälen.  Nachdem  die  Leiche  gewaschen  wurde,  werden  Stachehi  von  Lagu, 
oder  auch  wohl  Stecknadeln  zwischen  die  Glieder  der  Finger  und  Zehen  und  in 
die  Kniee,  die  Schultern  und  Ellenbogen  gestochen,  und  nachdem  man  sie  dann 
angekleidet  hat,  werden  ihr  unter  das  Kinn  und  die  Achselhöhlen  Hühner-  und 
Enteneier  gelegt.  Anstatt  nun  die  Leiche  mit  Netzwerk  zu  bedecken,  wird  ein 
Theil  ihres  Haares  nach  aussen  gebracht  und  der  Sargdeckel  an  dieser  Stelle  gut 
festgenagelt.  Der  Zweck  dieser  Maassregel  ist,  die  Leiche  im  Grabe  zurückzuhalten. 
Wegen  der  Domen  und  Stecknadeln  kann  sie,  wie  man  glaubt,  ihre  Gliedmaassen 
nicht  so  gut  bewegen,  um  aus  dem  Sarge  als  ein  Vogel  fortfliegen  zu  können; 
ebenso  wird  dieses  durch  das  festgenagelte  Haar  verhindert.  Wenn  sie  die 
Yogelnatnr  angenommen  hat,  soll  sie  auch  die  ihr  beigelegten  Eier  nicht  ver- 
lassen.   (Riedel\) 

Auch  bei  den  Galela  und  Tobeloresen  auf  der  Insel  Djailolo  werden 
Weiber,  die  bei  der  Niederkunft  starben,  in  Netze  gehüllt  und  ihnen  Eier  in  die 
Hände  und  Achselhöhlen  gelegt,  damit  sie  später  nicht  als  Oputiana  erscheinen, 
um  Männer  zu  emasculiren  und  Schwangeren  Leid  zuzuf&gen.  Vor  das  Haus,  in 
dem  die  schwangere  Frau  gestorben  ist,  hängt  man  ein  Stück  eines  Netzes. 

Wenn  auf  den  Keei-  oder  Ewaabu-Inseln  eine  Frau  während  der  Nieder- 
kunft stirbt,  dann  wird,  wenn  das  lebende  Kind  nicht  zur  Welt  gebracht  werden 
kann,  dasselbe  innerhalb  der  Gebärmutter  todtgestochen ,  damit  die  Frau  kein 
Bumbun  anah  odet  Pontianaq  werde  und  dann  ihren  Gatten  verfolge,  um  ihn 
zu  entmannen.    (RiedelK) 

Eine  ähnliche  Sitte,  wie  die  im  vorigen  Abschnitte  von  den  Banianen 
angeführte,  giebt  Sperschneider  auch  von  den  Malabaresen  an:  Stirbt  in  Mala- 
bar  (Indien)  eine  Frau  in  Eandesnöthen,  ohne  zu  gebären,  so  ist  es  vorge- 
schrieben, dass  ihr  Bauch  aufgeschnitten,  das  Kind  herausgenonmien  und  neben 
der  Mutterleiche  begraben  werde. 


473.  Die  Niederkunft  der  Todten. 

Es  wurde  bereits  an  einer  früheren  Stelle  dieses  Werkes  davon  gesprochen, 
welche  Wege  man  eingeschlagen  hat,  um  auch  nach  erfolgtem  Ableben  der  Mutter 
während  der  Niederkunft  noch  nachträglich  das  Kind  zu  Tage  zu  fordern.  Aber 
auch  in  solchen  Fällen,  in  denen  derartige  Versuche  unterblieben  waren,  konnte 
man  bisweilen  beobachten,  dass  einige  Zeit  nach  dem  Eintritt  des  Todes  das  Kind 
noch  nachträglich  geboren  wurde  und  sich  dann  zum  grössten  Erstaunen  der  An- 
gehörigen unvermuthet  zwischen  den  Schenkeln  seiner  todten  Mutter  befiEuid. 

So  berichtet  z.  B.  Väterius  Maximus  von  einem  Epiroten  GorguiS,  welcher 
eher  beigesetzt  worden,  als  geboren  war.  Denn  seine  Geburt  erfolgte  in  dem 
Grabgewölbe,  in  welches  man  die  Leiche  seiner  während  der  Entbindung  ge- 
storbenen Mutter  gebracht  hatte. 

Auch  unter  den  Orafen  von  Mansfeld  befindet  sich  einer,  von  dem  man  sich 
eine  ähnliche  Geschichte  erzählt.    Johann  David  Koehler  berichtet   dieselbe   bei 


598  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

der  Besprechung  eines  Georgs-Thalers^  welcher  auf  dem  Revers  den  heiligen  Greorg 
zu  Pferde  und  auf  dem  Avers  das  behelmte  Wappen  der  Grafen  von  Mansfdd 
und  die  Jahreszahl  1524  nebst  folgender  Inschrift  führt:  G.  HO  J6ER  Y GEBO  RK. 
H.  N.  K.  S.  VLORN. 

Er  sagt: 

,Ich  halte  aber  dafttr,  dass  nicht  bemeldeter  Graf,  sondern  die  sämmtlichen  Grafenr 
eu  Manazfdd  diesen  Thaler  haben  schlagen,  und  damit  das  Andenken  ihres  wissentlichen 
Stamm-Vaters  Graf  Hoiers  des  Ersten,  K,  Heinrich  V.  Feldherrns,  welcher  in  der  Schlacht 
beim  Welfelsholze  A  1115  wider  Hertzog  LtUhem  von  Sachsen  Graf  Wiprecht  van  Grtntsch 
erlegte,  erneuern  lassen.  Denn  dieser  Held  hat  Offters  zu  sagen  pflegen.  Ich  Graf  Hoier 
ungebohm.  Hab  noch  keine  Schlacht  verlohm.  Majssen  derselbe  aus  seiner  todten  Mutter 
Leibe,  ohne  jemands  Hülfife,  selbst  soll  hervorgekrochen  seyn,  vid.  Tentzels  Moral.  Unter- 
redung A  1689.  M.  Aug.  p.  872  wie  denn  auch  dessen  geführtes,  grosses  Schlacht-Schwert 
lange  Zeit,  gleichsam  als  ein  Paladium,  in  dem  Zeughause  auf  dem  Schlosse  zu  Manszfeld 
soll  seyn  aufbehalten  worden." 

Als  Ursachen  für  eine  solche  postmortale  Geburt  entwickelt  Garmann 
folgende  Gründe: 

,ln  cadavere  praedominans  frigiditas,  sanguinis  in  matre  motus  interceptus,  nutrimenti 
quod  per  os  sumit  instans  corruptio,  cadaverisque  mox  secutura  putredo,  sanies  et  foetor 
hospitii  nt  mutet  sentinam  loco  tutiore  serio  inculcant.* 

Busch  sagt  hierüber  Folgendes: 

.Was  die  Geburt  nach  dem  Tode  der  Mutter  betrifft,  so  nahm  man  einerseits  an,  dass 
die  Geburtsth&tigkeit  in  der  Geb&rmutter  noch  fortdauern  könne,  wenn  auch  der  Organismus 
abstirbt,  gleichwie  die  Reizbarkeit  der  Muskeln  und  Nerven  nach  dem  Tode  noch  eine  Zeit 
lang  fortw&hrt.  Andererseits  wollte  man  die  Ausstossung  der  Frucht  aus  dem  todten  Orga- 
nismus der  Mutter  der  Entwickelung  von  Luft  in  und  ausser  dem  Darmkanale  zuschreiben, 
indem  hierdurch  ein  Anspannen  und  Ausdehnen  der  Banchdecken  bedingt  und  der  Inhalt  der 
Gebärmutter  ebenso  ausgetrieben  wird,  wie  der  Inhalt  des  Magens  oder  der  Gedärme.  Für 
die  erstere  Annahme,  dass  die  Geburtsthätigkeit  im  Uterus  länger  andauere,  als  die  übrigen 
vitalen  Functionen  dieses  Organs,  welche  mit  dem  Tode  des  Weibes  als  aufgehoben  betrachtet 
werden,  sprechen  mehrere  Umstände,  indem  das  ganze  Zeugungsgeschäft  oft  in  einem  ganz 
besonderen  Zustande  sich  befindet  und  mit  dem  Zustande  des  ganzen  Organismus  in  gar  keiner 
Harmonie  stehet;  es  ist  bei  schwachen  Frauen  oft  sehr  stark  entwickelt,  bei  sonst  starken 
Frauen  hingegen  nur  schwach.  Die  Gebärmutter  scheint  so  ein  eig^nthümliches  Leben  zu 
fähren  und  in  Bezug  auf  Gonception,  Schwangerschaft  und  Geburt  gegen  alle  übrigen  Zustände 
des  Organismus  ihre  Unabhängigkeit  bewahren  und  ihr  Leben  länger  erhalten  zu  können.' 

Gegen  diese  seine  Hypothese  scheint  ihm  der  austreibende  Einfluss  einer 
postmortalen  Gasentwickelnng  im  ünterleibe  von  untergeordneter  Bedeutung  zu 
sein.    Dagegen  sagt  gerade  Schroeder  in  seinem  Lehrbuch  der  Geburtskunde: 

,Die  Geburt  kann  Übrigens  auch  nach  dem  Tode  der  Mutter  noch  spontan  erfolgen, 
indem  das  Kind  durch  den  starken  intraabdominalen  Druck,  der  sich  durch  Gasentwickelungen 
in  der  Leiche  bildet,  ausgetrieben  wird." 

Wir  dürfen  hierbei  aber  auch  nicht  vergessen,  dass  Schroeder' s  Unter- 
suchungen unzweifelhaft  nachgewiesen  haben,  dass  von  einem  bestimmten  Zeit- 
punkte des  Geburtsactes  an  allein  die  Bauchpresse  die  Geburt  zu  Ende  fährt. 
Schaltet  man  ihre  Wirksamkeit  aus,  so  macht  der  Geburtsact  einen  absoluten 
Stillstand. 

Eine  solche  vollständige  Aufhebung  der  Wirksamkeit  der  Bauchpresse  ver- 
ursacht nun  aber  naturgemäss  auch  der  Tod,  und  der  Geburtsact  muss  nun  zum 
Stillstande  kommen.  Es  wird  aber  gewiss  nicht  wenige  Fälle  geben,  wo  die 
Geburt  sehr  schnell  ihren  Abschluss  erreicht  haben  würde,  wenn  noch  ein  paar 
Mal  die  Bauchpresse  ihre  Thätigkeit  zu  entfalten  vermocht  hätte.  Kann  sie  das 
nun  auch  nicht  mehr  activ,  so  wird  doch  sicherlich  bisweilen  noch  passiv  eine 
solche  Thätigkeit  der  Bauchpresse  hervorgerufen,  wenn  man  mit  der  Gestorbenen 
bei  den  üblichen  Waschungen  und  Umkleidungen  und  bei  der  Einsargung  Lage- 
veränderungen vornimmt,   bei  welchen  der  Unterleib  der  Todten  direct  durch  die 


474.  Die  todte  Wöchnerin.  599 

Hände  der  mit  ihr  Beschäftigten  oder  durch  Annäherung  ihres  Brustkorbes  gegen 
den  Bauch  einen  Druck  erleidet.  Und  dann  muss  natörlicher  Weise,  besonders 
wenn  noch  ein  mehr  oder  weniger  starkes  Aufrichten  der  Verstorbenen  erfolgt, 
das  Kind  die  mütterlichen  Geburtstheile  verlassen  und  zu  Tage  treten  können. 
Selbstverständlich  wird  ftlr  eine  Reihe  von  Fällen  aber  in  der  intraabdominalen 
Gasentwickelung  das  austreibende  Agens  zu  suchen  sein. 

Auch  Jacobs  spricht  von  der  Niederkunft  der  Todten,  die  bisweilen  auf  der 
Insel  Bali  statthat.  Wir  sahen  oben,  dass  dort  das  Sterben  im  Kreissbett  für 
eine  so  grosse  Schande  gilt,  dass  dem  armen  Weibe  auch  nicht  einmal  ein  ehr- 
liches Begräbniss  gestattet  wird. 

,War  die  Schwangeracbafti  fährt  Jacobs  fort,  bereits  in  einem  vorgerfickten  Stadium, 
dann  ereignet  es  sich  manchmal  bei  Multiparen,  dass  der  Fötus  durch  die  Spannung  der 
durch  die  Entbindung  in  abdomine  sich  entwickehiden  Gase  noch  ausgetrieben  wird.  In  diesem 
Falle  ist  die  Schande  ausgewischt  und  dann  kann  der  Leiche  noch  auf  gewöhnliche  Weise 
die  Ehre  der  Verbrennung  zu  Theil  werden." 

Für  diese  Leute  hat  die  Entbindung  der  Verstorbenen  also  nichts  Schreck- 
liches, sondern  sie  besitzt  sogar  einen  entisühnenden  Charakter. 


474.  Die  todte  Wöchnerin. 

Nicht  minder  erschütternd,  als  das  Sterben  einer  Gebärenden,  wirkt  es  aller 
Orten  auf  die  Verwandten  und  die  Freunde  ein,  wenn  dem  neugeborenen  Spröss- 
ling  die  Mutter,  noch  bevor  sie  sich  von  den  Folgen  der  Entbindung  zu  erholen 
vermochte,  durch  den  unerbittlichen  Tod  entrissen  wird.  Je  nach  der  psychischen 
Erregung  und  den  sich  damit  verknüpfenden  mystischen  Anschauungen  wird  ein 
solches  Ereigniss  sehr  verschiedenartig  aufgefasst. 

Sowohl  die  alten  Mexikaner,  als  auch  die  untergegangenen  Ghibchas 
schrieben  den  im  Wochenbett  gestorbenen  Weibern  ein  glückseliges  Leben  im 
Jenseits  zu,  (Herrera)  Was  Sahagun  von  der  im  ersten  Wochenbett  gestorbenen 
Mexikanerin  erzählt,  deckt  sich  mit  den  Angaben,  welche  Bancrofl  über  die 
bei  der  Niederkunft  Sterbenden  berichtet.  Es  liegt  daher  wahrscheinlich  von 
Ersterem  eine  Verwechslung  vor.  Wenn  unter  denChibchas  in  Neu-Granada 
ein  Mann  seine  Frau  im  Wochenbett  verlor,  so  musste  er  als  mitschuldig  an  dem 
Todesfall  sein  halbes  Vermögen  an  die  Schwiegereltern  abtreten,  das  überlebende 
Kind  aber  wurde  von  diesen  auf  Kosten  des  Vaters  erzogen.     (Piedrahida,) 

Seier  berichtet  von  den  Mexikanern: 

,,Giuapipiltin,  ,,die  Fürstinnen",  auch  Ciuateteo,  „die  Göttinnen*'  genannt 
sind  die  Seelen  der  im  Kindbett  Gestorbenen  und  der  den  GOttem  geopferten  Frauen,  das 
weibliche  Gorrelat  der  im  Kriege  gefaUenen  oder  auf  dem  Opferstein  ermordeten  Krieger. 
Sie  hausen  im  Westen  und  bringen,  wenn  sie  zur  Erde  bemiedersteigen ,  Unheil  und 
Verderben." 

Der  Tod  der  Wöchnerin  gilt  im  Allgemeinen  als  ein  grosses  Unglück  des 
überlebenden  Gatten.  In  einem  Liede  der  Mordwinen,  dessen  Uebersetzung  wir 
Paasanen  verdanken,  wird  Jemandem  ein  solches  Unglück  in  der  Form  einer  Ver- 
fluchung angewünscht.     Diese  Verfluchung  lautet: 

„Möchte  deine  alte  Stute  gebaren, 

Möchte  sie  gebären,  möchte  sie  selbst  sterbea. 

Möchte  das  kleine  Füllen  übrig  bleiben! 

Möchte  deine  alte  Kuh  kalben, 

Möchte  sie  kalben,  möchte  sie  selbst  sterben, 

Möchte  das  kleine  Kalb  übrig  bleiben! 

Möchte  deine  kleine  Gattin  geb&ren, 

Möchte  sie  geb&ren,  möchte  sie  selbst  sterben, 

Möchte  das  kleine  Kind  übrig  bleiben!'* 


600  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

Bei  den  Magyaren  werden  Enochenstückchen  von  Frauen,  die  in  dem 
Wochenbett  starben,  als  zauberkrfiftige  Talismane  benutzt,  um  eine  leichte  Biit- 
bindung  zu  erzielen.  Sie  werden  zu  diesem  Zwecke  in  ein 
herzförmiges  Thontäfelchen  (Fig.  419)  eingebacken  und  mit 
den  eigenen  Haaren  umwunden.  Danach  muss  man  sie  unter 
dem  Schlafplatze  begraben,     (v.  WlislockiJ) 

Um  die  Qualen  der  yerstorbenen  Wöchnerin,   die    ihrer 
im  jenseitigen  Leben   harren,   zu  erleichtem  und  abzukürzen, 
haben   die  Chinesen   nach   DooliUle  einen   eigenthümlichen 
Gebrauch.    Einige   behaupten  allerdings,   dass   er   sich    nicht 
Fig.  419.   Thontäfelchen  ^^^  ^^^  Wöchnerinnen,  sondern  überhaupt  auf  die  verstorbenen 

mit  eingebaokenen       verheiratheten  Frauen  bezieht: 
wTchÄttvtSo''^^^  -®'°®  Ceremonie,  welche  als  die  Blutige  Teich-Ceremonie 

Amnlet  der  Magyaren   bezeichnet  wird,    wie  Manche  es  erklären,   bezieht  sich   auf  die    ver- 
zur    Erleichterung    der   heiratheten  Frauen,  welche  sterben,  wenn  auch  mehrere  Jahre,  nach- 
Entbmdnng.  ^        dem  sie  Kinder  geboren  haben.    Andere  versichem,   es 'besiehe    sich 
(  US  ü.      tsoc  t  .)       ^^£  solche  Frauen,  welche  vier  Monate  nach  der  Geburt  eines  M&dcbens, 
oder  einen  Monat  nach  der  eines  Knaben  gestorben  sind.     Diese  be- 
haupten,  dass   die  Unreinheit   der  Frau   nach  der  Geburt  eines  Knaben  sich  nur  auf  einen 
Monat,   nach  der  Geburt  eines  Mädchens  auf  vier  Monate   erstreckt     Der  Chinese   glaubt, 
dass  in  der  Hölle  ein  Teich  voll  Blut  sich  befinde,  in  welchen  alle  verstorbenen  verheixatheten 
Frauen,   oder,   wie  Einige  sagen,  Frauen,  welche  im  Kindbett,  oder  einen  oder  vier  Monate 
nach   der  Entbindung   starben,   bei   ihrem  Eintritt  in  jene  Welt   eingetaucht   werden.     Bei 
Jungfrauen  und  verheiratheten  Frauen,  welche  nicht  geboren  haben,   wird  bei  ihrem  Tode 
niemals  diese  Ceremonie  ausgeführt.     Die  Absicht  der  Blutigen-Teich-Ceremonie  ist  die,    den 
Geist  einer  verstorbenen  Mutter  von  der  Strafe  des  blutigen  Teiches  zu  lösen.    Bisweilen 
wird  sie  bei  dem  Tode  einer  Familienmutter  mehrmals  von  den  Kindern  ausgeftthrt    Das  ist 
ein  Punkt,  in  welchem  sich  ihre  kindliche  Liebe  für  die  Verstorbene  kundgiebt.''    fDoolittle.J 


475.  Das  Begräbniss  der  im  Wochenbett  Gestorbenen. 

Wir  finden  den  Glauben  weit  verbreitet,  dass  die  im  Wochenbett  ver- 
storbenen Frauen  ganz  besonders  die  Neigung  hätten,  nach  ihrem  Tode  noch 
umzugehen;  es  bedarf  daher  besonderer  Vorsichtsmaassregeln,  um  ihnen  im  Grabe 
die  Ruhe  zu  schaffen,  oder  sie  gewaltsam  zu  zwingen,  in  demselben  ruhig  liegen 
zu  bleiben.  Hiermit  hängt  es  wohl  theilweise  zusammen,  dass  an  vielen  Stellen 
eine  Wöchnerin  auf  ganz  besondere  Art  beerdigt  wird.  In  manchen  FäDen  aller- 
dings hat  es  den  Anschein,  als  wenn  die  Eigenart  der  Beisetzung  nichts  Anderes 
bezweckte,  als  die  letzte  Ehre,  die  man  der  Todten  erweist,  ganz  besonders  feierUch 
zu  gestalten. 

Wenn  in  Starkenberg  (Prov.  Preussen)  eme  Wöchnerin  stirbt,  so  wird 
fie  in  die  Kirche  getragen,  weil  sie  nun  einmal  ihren  Kirchgang  halten  muss. 
War  das  Kind  gestorben,  so  ruhte  es  neben  ihr  im  Sarge;  wenn  es  am  Leben 
geblieben  war,  so  wurde  es  neben  dem  Sarge  getauft;  mit  grosser  FeierHchkeit 
unter  Gebet  und  Gesang  wird  die  Verstorbene  darauf  in  die  Erde  gebettet. 

Auch  am  Lechrain  legt  man  einer  jungen  Mutter,  welche  im  ersten 
Wochenbett  mit  ihrem  Kinde  stirbt,  dieses  in  den  Arm,  und  begräbt  sie  als  reine 
Jungfrau;  Jungfrauen  tragen  sie  zu  Grabe  und  das  Jungfrauenkrönlein  wird  ihr 
auf  den  Hügel  gelegt.  Bleiben  auf  diese  Weise  Mutter  und  Kind  zusammen,  so 
steht  ihnen  der  EUmmel  offen,    {v.  Leoprechting) 

Im  oldenburgischen  Saterlande  wurde  früher  die  Bahre  mit  dem  Sarge 
der  Wöchnerin  nicht  auf  den  Schultern,  sondern  hängend,  mit  den  Händen,  rings 
um  den  Kirchhof  und  schliesslich  zu  dem  Grabe  getragen. 

In  Kärnten  beerdigt  man  die  Wöchnerinnen  im  Brautkleide  oder  mit 
schwarzem  Gewände.     (Waizer.) 


476.  Das  Umgehen  der  todten  Wöchnerin.  601 

Wenn  in  Hilchenbach  (Westfalen)  und  der  Umgegend  eine  Wöchnerin 
stirbt,  so  wird  ebenso  wie  in  Jeverland  (Oldenburg)  ein  weisses  Tuch  über 
das  schwarze  Leichentuch  und  über  die  Bahre  gelegt. 

Yon  besonderer  Bedeutung  ist  auch  das  Betttuch,  auf  welchem  die  arme 
Wöchnerin  den  Tod  erleiden  musste.  Man  legt  ihr  dasselbe  in  Hessen  auf  ihr 
Grab  und  befestigt  es  mit  vier  Spiessen  an  dem  Boden,  wo  es  liegen  bleibt,  bis 
es  vermodert. 

Hieran  erinnert  der  folgende  Brauch,  der  von  Clajtis  berichtet  wird: 

,Za  Lüttgenrode,  einem  Dorfe  im  Kreise  Ualberstadt,  und  einigen  umliegenden 
Oertem  findet  beim  Begräbniss  einer  WOchnerin  folgender  Gebrauch  statt.  Ist  der  Sarg  ins 
Grab  gesenkt,  so  halten  vier  junge  Frauen  ein  weisses  Laken  an  den  Zipfeln  so  über  die 
Grabesöfihung,  dass  die  Erde  unter  demselben  eingeschüttet  werden  kann.  Nach  Herstellung 
des  Grabeshügels  wird  darauf  ein  weisses,  vielfach  mittelst  Messerstichen  durchlöchertes  Leinen- 
tuch von  etwa  einer  Quadratelle  Grösse  gelegt  und  an  den  Seiten  mit  Holzh&kchen  festge- 
pflöckt.    Dieses  Tuch  bleibt  bis  zur  Verwitterung  auf  dem  Grabe  liegen." 

Auch  noch  in  anderer  Weise  wird  bisweilen  das  Orab  einer  verstorbenen 
Wöchnerin  kenntlich  gemacht. 

In  Schwaben  breitet  man  .ein  weissgestricktes  Netz  über  dasselbe,  damit 
kein  Verwundeter  darüber  gehe.  Es  erinnert  das  an  ähnliche  Gebrauche  auf  den 
Inseln  des  alfurischen  Meeres,  welche  bei  der  Beerdigung  von  Frauen,  die 
während  der  Entbindung  ihr  Leben  lassen  mussten,  in  Uebung  sind. 

In  vielen  Theilen  Deutschlands  ist  man  der  Meinung,  dass  eine  Matter, 
die  im  Kindbett  stirbt,  noch  in  jener  Welt  für  ihr  Eind  nähen  und  waschen 
muss.  In  Tübingen  erhält  eine  Wöchnerin  Nadel,  Faden,  Scheere,  Fingerhut 
und  ein  Stück  Leinwand,  in  Reutlingen  eine  Elle  Tuch,  ein  Ellenmaass,  Nadeln, 
Faden  und  Fingerhut  mit  ins  Grab.  (Meier.)  In  Hessen  legt  man  ihr  eine 
Windel  aufs  Grab  und  beschwert  dieselbe  an  den  vier  Ecken  mit  Steinen.   (Wolf.) 

In  Lückendorf  bei  Oybin  im  Königreich  Sachsen  giebt  man  nach  Voss 
auch  heute  noch  der  Sechswöchnerin  ein  irdenes  Töpfchen,  einen  irdenen  kleinen 
Tiegel,  einen  Blechlöffel,  einen  Quirl,  Gries,  Nähnadeln  und  Zwirn,  eine  Windel, 
ein  Kinderhemdchen,  ein  blechernes  Kännchen,  eine  Scheere,  einen  Kamm,  ein 
Mandelbrett,  eine  Mandelkeule  und  einen  Fingerhut  mit.  Diese  Dinge  werden 
theilweise  nur  im  Modell  beigegeben.  In  den  rechten  Handschuh  steckt  man  ihr 
12  Pfennig  als  Opfergeld  für  den  auf  Erden  von  ihr  nicht  mehr  ausgeführten 
ersten  Kirchgang. 

Auch  in  Schwaben  ist  es  Sitte,  mit  den  Kindbetterinnen  Scheeren  zu  be- 
graben; werden  dieselben  wieder  ausgegraben,  dann  verarbeitet  sie  ein  Schlosser 
am  Gharfreitag,  nach  anderen  am  Gründonnerstag  zu  Krampfringen,  die  man 
gegen  Krämpfe  trägt;  sie  werden  mit  zwei  bis  drei  Gulden  bezahlt;  kommen  sie 
vollends  von  Einsiedeln  und  sind  sie  dort  hochgeweiht,  so  fragt  man  gar  nicht 
mehr,  was  sie  kosten.    (Buch.) 

"lieber  die  Wander-Zigeuner  berichtet  v.  WUslocJci: 

»Stirbt  eine  Frau  im  Kindbett,  so  werden  ihr  unter  die  Arme  je  zwei  Eier  gelegt,  wo- 
bei die  Stammgenossinnen  den  Spruch  hersagen: 

Wenn  verfault  ist  dieses  Ei, 
Auch  die  Milch  vertrocknet  sei! 
Sie   glauben   nämlich   dadurch   zu  verhindern,   dass  Yampyre  sich  von  der  Milch  der  Ver- 
storbenen n&hren.* 


476.  Das  Umgehen  der  todten  Wöchnerin. 

Das  Herz  der  verstorbenen  Wöchnerin  hängt  an  ihrem  Kinde,  und  wir 
begegnen  vielfach  dem  Glauben,  dass  sie  nächtlicher  Weile  ihr  Grab  verlässt,  um 
zu  ihrem  Kinde  zurückzukehren. 


602  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

Wenn  man  in  Schwaben  es  unierlasst,  ihr  die  Scheere  mit  in  den  Sarg 
zu  legen,  so  ist  man  der  festen  Ueberzeugung,  dass  die  Wöchnerin  wiederkommen 
und  sie  sich  selber  holen  werde.  So  erschien  denn  auch  die  Wöchnerin  im 
badischen  Flehingen,  die  mit  ihrem  todten  Kinde  im  Arme  bestattet  worden^ 
den  Ihrigen  und  bat,  ihr  noch  Faden,  Scheere,  Fingerhut,  Wachs  und  Seife  mit 
in  das  Grab  zu  geben,  weil  sie  sonst  nicht  in  jener  Welt  für  ihr  Kind  das  Noth- 
wendige  nähen  und  waschen  könne. 

In  Luschtenitz  in  Böhmen  giebt  man  ebenfalls  der  verstorbenen  Wöch* 
nerin  Alles  mit  in  das  Grab,  was  sie  zur  Pflege  ihres  Kindes  nöthig  hat,  Windeln, 
Bettchen,  Häubchen  u.  s.  w.  Yergisst  man  von  diesen  Dingen  etwas,  so  kommt 
die  Verstorbene  des  Nachts  wieder,  um  ihr  Kind  zu  waschen,  und  das  setzt  sie 
solange  fort,  bis  man  ihr  eine  Wanne  mit  Wasser  und  Seife  vor  die  Thüre  stellt. 
(Grohmann.) 

In  manchen  Gegenden  Deutschlands  glaubt  man  aber,  dass  die  verstorbene 
Wöchnerin  unter  allen  Umständen  wiederkehre,  wenigstens  während  der  .  Sechs- 
wochenzeit''. Sie  kommt  allnächtlich  zu  ihrem  Kinde,  um  dasselbe  zu  pflegen 
und  zu  besorgen. 

Wenn  die  Mutter  in  Thüringen  stirbt,  so  wird  daher  das  Bett  derselben 
noch  neun  Mal  gemacht,  in  Schwaben  acht  Mal;  in  mehreren  Orten  der  baye- 
rischen Ober-Pfalz  aber  wird  noch  sechs  Wochen  hindurch  ihr  Bett  mit  aller 
Sorgfalt  jeden  Abend  hergerichtet,  und  ihre  Fantoffeln  unter  die  Bettlade  gestellt, 
weil  sie  sich,  wie  man  glaubt,  allnächtlich  um  ihr  Kind  umschaut.  (Bavaria,) 
Stirbt  in  Böhmen  eine  Mutter  bei  der  Geburt,  so  heisst  es  dort  ebenfalls,  dass 
sie  während  der  sechs  Wochen  zu  ihrem  Kinde  kommt  und  es  badet;  und  wenn 
daselbst  eine  Wöchnerin  stirbt,  so  giebt  man  ihr  Windeln  in  den  Sarg,  denn 
sie  kommt  jede  Nacht,  um  ihr  Kind  trocken  zu  legen;  in  anderen  Theilen 
Böhmens  legen  die  Leute  nach  dem  Tode  der  Wöchnerin  Schwamm  und 
Wasser  neben  das  Kind,  denn  sechs  Wochen  lang  erscheint  sie  um  Mittemacht 
in  weissem  Gewände,  um  ihr  Kind  zu  waschen  und  zu  baden.  Ebenso  wird  in 
Hessen  das  Bett  der  verstorbenen  Wöchnerin  jeden  Morgen  frisch  gemacht,  und 
die  Wiege  des  Kindes  bleibt,  wenn  dieses  am  I^ben  geblieben  ist,  während  jener 
Zeit  vor  dem  Bette  stehen. 

Bei  Kommannus  lesen  wir: 

«Sapenititiosae  mulieres  etiam  post  mortem  puerperae  lectum  ejus  stemere  solent, 
ac  8i  adhuc  viveret,  ad  consummationem  usque  sex  septimanarum,  ferunt  animam  singulis 
noctibas  cabare  in  eo,-  fossam  rmprimere,  instar  felis  cubantis.' 

Die  Hauskatze  also,  welche  wohl  nicht  unterlassen  haben  wird,  von  diesem, 
behaglichen  Plätzchen  Gebrauch  zu  machen,  scheint  nicht  unerheblich  zu  der 
Aufrechterhaltung  dieses  Aberglaubens  beigetragen  zu  haben. 

Auch  der  alte  Praetorius  (1709)  führt  in  der  „gestriegelten  Rocken- 
Fhilosophia''  den  weitverbreiteten  Aberglauben  an: 

.Wenn  ein  Weib  in  den  Sechs- Wochen  verstirbt,  muss  man  ein  Mandel-Holz  oder  ein 
Buch  ins  Wochen-Bett  legen,  auch  aUe  Tage  das  Bette  einreissen  und  wieder  machen,  sonst 
kan  sie  nicht  in  der  Erden  ruhen/ 

Seine  Erklärung  für  diesen  alten  Brauch  ist  von  grossem  culturgeschicht- 
liehen  Interesse  und  macht  dem  aufgeklärten  Manne  alle  Ehre.    Er  sagt  darüber: 

.Dieses  ist  eine  Gewohnheit,  die  fast  an  allen  Orten  des  Sachsen-Landes  im  Ge- 
brauch ist,  und  wo  kein  Mandel- Holtz  zu  haben  ist,  so  nehmen  sie  ein  Scheid  Brenn-Holtz 
oder  auch  ein  Buch,  und  solte  es  gleich  der  Eulenspiegel  sejn,  auf  dass  ja  etwas,  an  statt 
der  Wöchnerin,  im  Bette  liege.  Wo  nun  diese  Thorheit  ihren  Ursprung  her  bekommen  haben 
mag,  bin  ich  zwar  offt  befliessen  gewesen  zu  erforschen,  aber  nicht  stracks  hinter  den  Grund 
kommen  können.  £ndlich  aber  habe  aus  vieler  Erfahrung,  dass  niemand  anders,  als  die 
eigennützigen  Weh-Mütter,  diese  Narrethey  ersonnen  haben.  Denn  wenn  zu  weilen  bey  wohl- 
habenden  Leuten  durch  göttlichen  Willen  sichs  begiebt,  dass  die  Wöchnerin  durch  den  Tod 
von  ihrem  Manne  verabschiedet,  oder  auch  in  Eindes-Nöthen  samt  der  Geburt  todt  bleibet, 


476.  Das  Umgehen  der  iodten  Wöchnerin.  603 

da  haben  von  Rechts  wegen  nach  dem  Begräbnis,  die  Weh-Mütter  nichts  mehr  im  Hause 
zu  8cha£Pen,  zumahl,  wenn  Kind  und  Mutter  zugleich  geblieben  sind,  bekommen  auch  billicher 
massen  yon  dem  ohne  das  Betrübten  und  nothdürfftigen  Wittwer  nichts  mehr.  Alleine  dieses 
guten  interesse  nicht  verlustig  zu  werden,  haben  sie  ersonnen,  es  müsse  die  gantze  Sechs- 
Wochen  hindurch  täglich  das  Wochen-Bett  von  ihnen  gemacht  werden,  so  gut,  als  sey  die 
Wöchnerin  noch  am  Leben.  Und  durch  dieses  Vorgeben  bekommen  sie  Gelegenheit,  täglich 
ein  paar  mahl  (wenn  der  Wittwer  etwas  Gutes  zu  essen  hat)  einzusprechen  und  ihr  Ambt 
mit  Essen  und  Trinken  in  acht  zu  nehmen,  und  wenn  die  Sechs- Wochen  um  sind,  und  sie 
bekommen  nicht  stracks  so  viel  Lohn,  als  wenn  sie  würcklich  Mutter  und  Kind  so  lange  be- 
dient hätten,  so  tragen  sie  wohl  die  ehrlichen  Männer  aus,  und  reden  schimp£Plich  von  ihnen." 
.Wenn  nun  ein  ehrlicher  Mann  bOse  Nachrede  vermeiden  will,  so  muss  er  eine  solche 
alte  Katze  lassen  nach  ihrem  Vorgeben  hanthieren,  und  sie  noch  mit  einen  guten  recompens 
davor  versehen,  weil  Mutter  Ursel  so  sorgfältig  vor  der  seligen  Frauen  ihre  sanffte  Ruhe  im 
Grabe  ist  gewesen.  Ob  nun  gleich  dieses  wahrhafiPtig  von  nichts  anders  seinen  Ursprung  hat, 
als  von  denen  Wehe-Müttern,  so  ist  es  doch  endlich  mit  der  Zeit  zu  einem  würcklichen  Aber- 
glauben worden,  dass  ich  auch  bey  klugen  und  sonst  verständigen  Leuten  diese  Thorheit  gar 
sancte  practiciren  gesehen.  Und  ist  billig  zu  verwundem,  das  unter  gläubigen  Christen  solche 
unchristliche  Thaten,  die  schnurstracks  wieder  den  wahren  Glauben  streiten,  vorgenommen 
und  getrieben  werden'  u.  s.  w. 

Bei  den  Negern  der  Loango-Küste  herrscht  nach  Pechuel-Loesche  der 
Glaube,  dass  die  gestorbene  Mutter  noch  über  ihre  Kinder  wache,  um  sie  sowohl 
vor  bösen  Menschen,  als  auch  vor  den  Geistern  zu  beschützen. 

Wie  nach  dem  Glauben  vieler  Völker  die  Entbundene  auf  eine  gewisse  Zeit 
hin  für  unrein  gilt  und  es  erst  einer  besonderen  Reinigungsfeier  bedarf,  um  sie 
wieder  in  die  Gesellschaft  der  Menschen  zurückkehren  zu  lassen,  so  ist  auch  die 
verstorbene  Sechswöchnerin  im  Tode  noch  unrein  und  bleibt  es  auch,  da  sie  ja 
die  Ceremonie  der  Reinigung  nicht  mehr  erlebte.  Als  unreine  Person  wirkt  sie 
aber  auch  noch  nach  ihrem  Ableben  verunreinigend  und  schädigend  auf  die  sich 
ihr  Nahenden.  Yon  dieser  Anschauung  vermögen  wir  noch  sehr  wohl  die  Spuren 
nachzuweisen.    In  des  getreuen  EckartKs  unvorsichtiger  Heb- Amme  heisst  es: 

«Auch  sollen  Jungfrauen  und  Frauens,  wenn  sie  ihre  Blüthe  haben,  diejenigen  E^irch- 
höfe  und  Kirchen  zu  meiden,  worauf  die  SechswOchnerinnen  und  Soldaten,  die  ihr  Leben  vor 
dem  Feinde  gelassen  haben,  begraben  worden  sind,  denn  wann  sie  über  ein  solches  Grab 
gehen,  wird  sich  der  Fluss  vermehren  und  zu  grossen  Bestürzungen  Ursache  geben.  Weswegen 
an  einer  Obrigkeit  die  Vorsicht  zu  loben,  dass  sie  die  in  sechs  Wochen  verstorbenen  Personen 
an  einem  verwahrten  Ort  absonderlich  begraben  lassen.' 

Die  obenerwähnte  schwäbische  Sitte,  durch  ein  übergelegtes  Netz  die 
Verwundeten  vor  dem  Grabe  einer  Wöchnerin  zu  warnen,  hat  wohl  ursprünglich 
ganz  ähnliche  Beweggründe.  Vermuthlich  glaubte  man,  dass  die  Wunden  wieder 
anfangen  würden  zu  bluten,  oder  dass  sie  eine  schlechte  Beschaffenheit  annehmen 
könnten,  ähnlich  wie  ja  auch  die  Menstruirende  Alles,  das  sich  ihr  nahet,  ver- 
derben lässt. 

Aber  auch  nicht  unbedeutende  Gefahren  können  nach  den  Anschauungen 
gewisser  Völker  den  Ueberlebenden  durch  die  im  Wochenbette  gestorbenen  Frauen 
erwachsen.  Wir  haben  einzelne  solche  Beispiele  bereits  in  den  Abschnitten  über 
die  todte  Schwangere  und  die  todte  Kreissende  kennen  gelernt,  und  dieser  Angst 
vor  der  Gefahr  wurde  ja  auch  durch  bestimmte  Arten,  wie  man  die  Leiche  zu 
beseitigen  und  unschädlich  zu  machen  suchte,  Ausdruck  gegeben. 

In  Steyermark  glaubt  man  freilich,  dass  eine  im  Kindbett  gestorbene  Frau 
«vom  Mund  auf'',  also  wohl  direct,  ohne  Durchgang  durch  das  Fegefeuer,  in  den 
Himmel  komme,  aber  man  ist  davon  überzeugt,  dass  ihr  bald  zwei  andere  aus 
derselben  Pfarre  nachsterben  werden.  Mit  Recht  macht  Fossd  darauf  aufmerksam, 
dass  dieser  Aberglaube  sehr  wohl  seine  Ursache  in  der  leider  nur  zu  häufig  ge- 
machten Erfahrung  haben  hönne,  dass  bei  der  ansteckenden  Natur  des  Kindbett- 
fiebers eine  directe  Uebertr^gung  der  mörderischen  Krankheit  durch  die  Hebamme 
auf  die  nächste  kreissende  Frau  stattzufinden  pflegte. 


604  LXXVL  Bas  Weib  im  Tode. 

Die  Laoten  verfahren  mit  der  Leiche  einer  verstorbenen  Wöchnerin  genau 
so,  wie  mit  den  an  epidemischen  Krankheiten  Gestorbenen.     Nets  sagt: 

,Mai8  toas  qu'ils  soient  de  famille  noble  ou  non,  sont  jet^s  au  fleave  quand  ils  meurent 
d'une  maladie  ^pid^mique;  on  agit  de  m§me  pour  les  femmes  qni  meurent  en  couches." 

Auf  der  Insel  Nias  werden  aus  den  im  Wochenbette  verstorbenen  Weibern, 
wie  Modigliani  berichtet,  Plagegeister,  oder  Dämonen,  welche  unter  dem  Namen 
der  Bechu  matiana  die  Schwangeren  quälen  und  Abortus  verursachen  können. 
Sie  werden  von  den  Frauen  sehr  gefürchtet,  und  nach  Bosenberg  müssen  diese 
stets  mit  einem  Messer  bewaffnet  sein,  um  sich  vor  ihnen  zu  vertheidigen.  Nach 
Bosenberg  heissen  sie  auch  Sinotachera  und  sie  sollen  die  Diebe  anleiten,  mit  Ge- 
schicklichkeit zu  stehlen  und  durch  die  kleinsten  Löcher  in  die  Häuser  einzudringen. 

Die  Dayaken  von  Sarawak,  an  der  Nord-  und  Westküste  von  Borneo, 
glauben  ebenfalls,  nach  Spencer  8t  John^  dass  die  gestorbenen  Wöchnerinnen  in 
Dämonen  verwandelt  werden,  welche  sie  Mino-kok-anak  nennen.  Diese  finden  ihre 
besondere  Freude  daran,  die  Lebenden  zu  quälen  und  zu  beunruhigen. 


477.  Die  sEngende  Mutter  im  Tode. 

Wir  haben  bereits  gesehen,  dass  vielfach  der  Glaube  verbreitet  ist,  eine  ge* 
storbene  Wöchnerin  finde  im  Grabe  keine  Ruhe,  sondern  sie  müsse  allnächtlich 
wiederkehren,  um  ihr  Kind  zu  besorgen  und  zu  pflegen.  Natürlicher  Weise  muss 
aber  die  hauptsächlichste  Fürsorge  für  die  zurückgelassene  Waise  das  Darreichen 
der  Mutterbrust  sein. 

So  ist  es  Aargauer  Glaube,  dass  jede  verstorbene  Sechswöchnerin  noch 
andere  sechs  Wochen  in  die  Kinderstube  zurückkehre,  um  daselbst  das  hinter- 
lassene  Kleine  zu  stillen;  auch  einen  Niggi  (Schnuller)  muss  man  ihr  mit  bei- 
legen, mit  dem  sie  das  überlebende  Kind  des  Nachts  „geschweigen*"  kann;  ge- 
schieht's nicht,  so  kann  das  Kind  böse  Milch  bekommen,  eine  von  Hexen  vergiftete ; 
man  sieht  die  säugende  Mutter  nicht,  hört  aber  das  Kind  schnullen  (süggeln). 
Für  diesen  Weg  braucht  sie  das  Paar  Schuhe,  das  man  ihr  mit  in  den  Sarg  ge- 
geben oder  nebenan  gestellt  hatte.  Hat  man  dies  unterlassen,  so  spukt  sie  so 
lange,  bis  es  gelingt,  ihr  ein  Paar  in  die  Schürze  zu  werfen.     (Bochhoh,) 

Auch  in  Mittel-Franken  giebt  man  der  Leiche  ein  Paar  neue  Pantoffeln 
mit  in  den  Sarg,  weil  man  glaubt,  sie  bedürfe  ihrer,  denn  sie  müsse  sechs  Wochen 
lang  in  der  Nacht  kommen  und  nachsehen,  ob  ihr  Sprössling  ordentlich  versorgt 
werde.  (Bavaria.)  Dasselbe  berichtet  Waijser  aus  Kärnten.  Nach  einer  Elsasser 
Sage  klagt  die  verstorbene  Wöchnerin:  « Warum  habt  ihr  mir  keine  Schuhe  an- 
gelegt? Ich  muss  durch  Disteln  und  Domen  und  über  spitzige  Steine!*^  Nach- 
dem man  ihr  ein  Paar  Schuhe  hingestellt,  kam  sie  noch  sechs  Wochen  lang  regel- 
mässig wieder,  um  ihr  Kind  in  der  Nacht  zu  stillen.     (Stoeber.) 

Auch  in  Masuren  glaubt  man,  wie  Toeppen  berichtet,  dass  die  bei  der 
Geburt  eines  Kindes  oder  bald  darauf  gestorbene  Mutter  jede  Nacht  vom  Himmel 
herabkomme,  um  ihrem  Kinde  die  Brust  zu  reichen,  und  zwar  thut  sie  dies  auch 
hier  volle  sechs  Wochen  hindurch.  Als  Beginn  dieser  gespenstischen  Säugezeit 
wird  nicht  der  T^  des  Todes  gerechnet,  sondern  derjenige  der  Beerdigung.  Die 
Wöchnerin  muss  also  erst  im  Grabe  liegen,  bevor  sie  ihrem  hinterlassenen  Kinde 
diesen  Liebesdienst  erweisen  kann. 

ISsxih  Beejsenberger  herrscht  bei  den  Litthauern  ebenfsdls  der  Glaube,  dass 
die  verstorbene  Wöchnerin  in  jeder  Nacht  ihr  Grab  verlässt,  um  ihrem  Kinde  die 
Brust  zu  reichen.  Sie  kann  von  Niemandem  gesehen  werden,  aber  es  besteht 
kein  Zweifel,  dass  sie  sich  dabei  auf  die  Wiege  setzt,  denn  diese  bleibt  hierdurch 
mit  einem  Male  stehen  und  sie  kann,  so  lange  die  Mutter  da  ist,  nicht  mehr 
bewegt  werden. 


478.  Der  Tod  der  Mutter  tödtet  das  Kind.  605 

Auch  unter  den  Neu-6 riechen  besteht  die  Anschauung,  dass  die  ver- 
storbene Mutter  sich  nach  ihrem  Säuglinge  sehnt.  Hierauf  bezieht  sich  eines  ihrer 
Volkslieder,  welches  den  Fluchtversuch  einiger  Schatten  aus  dem  Todtenreiche 
schildert. 

.Drei  tapfere  Jünglinge  entschliessen  sich,  dem  Hades  zu  entfliehen.  Eine  liebliche 
junge  Mutter  bittet  dieselben,  doch  auch  sie  mitzunehmen  anf  die  Oberwelt,  denn  sie  wünscht, 
ihr  dort  zurückgebliebenes  Kindchen  zu  säugen.  Die  Jünglinge  wollen  darauf  nicht  eingehen : 
Das  Rauschen  ihrer  Gewänder,  das  Leuchten  ihres  Haares,  das  Klappern  ihres  Gold-  und 
Silberschmuckes  werden  Charos,  den  schrecklichen  Fuhrmann,  aufmerksam  machen.  Allein 
jene  weiss  ihre  Bedenken  zu  beschwichtigen,  und  so  begeben  sie  sich  zusammen  auf  die  Flucht. 
Aber  plötzlich  tritt  Charoa  ihnen  entgegen  und  packt  sie.  Da  ruft  das  junge  Weib:  «Lass 
los  meine  Haare,  Charos,  und  fasse  mich  an  die  Hand,  und  wenn  Du  meinem  Kinde  zu  trinken 
giebst,  so  versuche  ich  nicht  wieder  Dir  zu  entfliehen."    fSchmidtJ 


47S.  Der  Tod  der  Mutter  todtet  das  Kind. 

Wir  müssen  noch  einer  Anschauung  gedenken,  welche  leider  eine  weite 
Verbreitung  besitzt;  es  ist  die  TTeberzeugung,  dass  ein  Kind,  dem  in  so  zartem, 
jugendlichem  Alter  die  Mutter  durch  den  Tod  entrissen  wird,  selber  nicht  weiter 
zu  leben  vermöchte.  Man  thut  daher  am  besten,  wenn  man  den  kleinen  Erden- 
bürger erst  gar  nicht  von  seiner  Mutter  trennt. 

So  berichtet  Bancrofl: 

«Wenn  bei  den  Dorachos,  einem  Indianer  stamme  vom  Isthmus  Central-Amerikas, 
eine  Mutter  stirbt,  welche  noch  ihr  Kind  nährt,  so  wird  ihr  das  Kind  lebend  an  die  Brust 
gelegt  und  mit  ihr  verbrannt,  damit  sie  es  in  dem  künftigen  Leben  mit  ihrer  Milch  weiter 
s&ugen  kann.* 

Ebenso  wird  nach  Lubbock  bei  den  Eskimo  in  TJnalaschka  ein  Kind, 
welches  das  Unglück  gehabt  hat,  seine  Mutter  zu  verlieren,  regelmassig  mit  der- 
selben zusammen  beerägt.  Auch  von  den  Damara  berichtet  Livingstone,  dass 
sie  der  todten  Mutter  das  Kind  mit  in  das  Grab  legen. 

Eine  ähnliche  Sitte  scheint  in  Britannien  geherrscht  zu  haben,  denn  in 
den  älteren  britischen  Gräbern  finden  die  Archäologen  häufig  die  Gebeine  einer 
Frau  und  eines  kleinen  Kindes  beisammen,  und  dadurch  sind  sie  zu  dem  Schlüsse 
genothigt  worden,  dass,  wenn  eine  Frau  im  Wochenbette,  oder  während  der  Säuge- 
periode starb,  das  Kind  mit  ihr  lebendig  begraben  worden  sei. 

Stirbt  in  Australien  bei  den  Eingeborenen  die  Mutter  eines  Säuglings,  so 
wird,  wie  Gollins  und  Barrington  berichten,  das  Kind  der  Leiche  der  Mutter 
lebend  in  den  Arm  gelegt  und  so  mit  der  Mutter  gemeinsam  begraben.  Aber 
hier  wird  schon  eine  Einschränkung  gemacht,  denn  es  wird  hinzugesetzt:  „wenn 
sich  f&r  das  arme  Wesen  keine  Adoptiveltern  finden*. 

Auch  bei  den  Xosa-Kaffern  ist  es  gestattet,  den  überlebenden  Säugling 
umzubringen;  aber  es  wird  durchaus  nicht  immer  von  dieser  Erlaubniss  Gebrauch 
gemacht;  denn  Kropf  berichtet: 

, Stirbt  die  Frau  im  Kindbette,  so  wird  das  Kind  nicht  in  jedem  Falle  getOdtet.  Es 
bekommt  die  Milch  in  einem  Brustwarzenhut,  der  von  der  Antilopenhaut  gemacht  ist.* 

Ist  es  hier  stets  die  Auffassung  gewesen,  dass  das  überlebende  Kind  doch 
ohne  die  Nahrung  und  die  Pfiege  der  Mutter  elendiglich  zu  Grunde  gehen  müsse, 
so  begegnen  wir  auch  noch  anderen  Anschauungen,  die  die  Tödtung  des  Säuglings 
zur  Folge  haben.  Man  glaubt  nämlich  bisweilen,  dass  ein  Kind,  dem  solch  ein 
Unglück  begegnet  ist,  selbst  unheilbringend  für  die  Stammesgenossen  werde. 

So  erzählt  Kropf  von  den  Xosa-Kaffern: 

,£ine  Mutter  hatte  das  Milchfieber.  Am  Tage  ihres  Todes  stand  sie  auf  und  sagte, 
auf  die  Wolken  deutend:  «Heute  wird  ein  Gewitter  kommen.*  Deshalb  glaubten  die  Leute, 
sie  sei  behext.  Am  Nachmittag  starb  sie.  Man  begrub  ihr  Kind  lebendig  mit  ihr,  in  dem 
Glauben,  es  sei  auch  behext.' 


606  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

Auch  in  Niaa  tödtet  man  das  Kmd,  das  die  Matter  bei  der  Entbindung 
oder  im  Wochenbett  verloren  hat,  denn  man  glaubt,  dass  es  dazu  auserlesen  ist, 
ein  schreckliches  und  gefahrliches  Individuum  zu  werden.  Aus  diesem  Grunde 
wird  der  arme  kleine  Weltbürger  in  einen  Sack  gesteckt  und  dieser  wird  an  einem 
Baume  aufgehängt,  und  das  Kind  bleibt  nun  auf  diese  Weise  im  Walde  seinem 
grausamen  Schicksale  überlassen.     (Modigliani,) 

In  anderen  Fällen  straft  man  es  mit  dem  Tode,  weil  man  es  für  den  Mörder 
seiner  Mutter  betrachtet.  Diese  Anschauung  finden  wir  bei  den  Sakalawen  in 
Madagascar.  Das  ist  der  Grund,  warum  man  hier  das  arme  kleine  Wesen 
lebendig  mit  der  im  Wochenbett  verstorbenen  Frau  beerdigt.     (Globus  44.) 

Die  Dayaken  in  Borneo  strafen  ebenfalls  das  Neugeborene  mit  dem  Tode, 
wenn  die  Mutter  bei  der  Entbindung  ihr  Leben  lässt.  Roth  stellt  hierfür  die 
folgenden  Berichte  von  Legatt  und  von  Rev,  Holland  zusammen: 

„Die  Sitte  der  See-Dayaken  forderte  (bis  eine  civilisirte  Regiening  Bolchen  schreck- 
lichen Mord  verhinderte),  dass,  wenn  die  Matter  in  Folge  der  Niederkunft  starb,  das  Kind  den 
Tod  erleiden  musste,  weil  es  die  Ursache  von  dem  Tode  der  Mutter  sei,  und  deshalb  fand 
sich  Niemand,  um  es  zu  säugen  oder  zu  pflegen.  Deshalb  wurde  das  Kind  lebendig  sur 
Mutter  in  den  Sarg  gelegt,  und  beide  wurden  zusammen  beerdigt,  nicht  selten  ohne  den 
Vater  zu  fragen,  welcher  die  Ausführung  dieses  Gebrauches  hindern  und  das  Eind  erhalten 
könnte.  Keine  Frau  würde  sich  bereit  finden,  solch  eine  Waise  zu  säugen,  da  das  ihren 
eigenen  Kindern  Unglück  bringen  würde.  Mir  ist  ein  Fall  bekannt,  wo  eine  Frau  in  Ab- 
Wesenheit  ihres  Gatten  von  Zwillingen  entbunden  wurde  und  unmittelbar  nach  der  Entbindung 
starb.  Auf  Befehl  des  Grossvaters  (väterlicher  Seite)  wurden  beide  Kinder  mit  der  Matter 
beerdigt."    (LegaitJ 

«Eine  junge  Frau  starb,  nachdem  sie  Zwillingen  das  Leben  gegeben  hatte.  Eines  der 
ELinder  starb  gleich  nach  seiner  Geburt,  aber  das  andere  war  ein  völlig  gesundes  Kind.  Früh 
am  anderen  Morgen  band  man  das  lebende  Kind  mit  den  beiden  Leichen  zusammen  und  trag 
sie  zum  Begräbnissplatze,  wo  man  das  Lebende  mit  den  Todten  begrub.  Man  hörte  das 
kleine  Wesen  schreien,  als  es  flussabwärts  zum  Dschungel  gebracht  wurde,  aber  seine  Klage- 
laute trafen  nur  taube  Ohren  und  harte  Herzen,  und  nicht  Einer  fand  sich,  der  das  Kind 
zurückgebracht  und  adoptirt  hätte. '^    (Holland.) 


479.  Die  wiedergekommene  Todte. 

Wiedergekommene  nnd  umgehende  Todte  spielen  in  der  Mystik  sehr  vieler 
Völker  eine  ganz  heryorragende  Rolle,  und  wir  haben  in  den  Torhergehenden 
Abschnitten  schon  manches  Beispiel  hierfür  kennen  gelernt.  Bald  ist  es  eigene, 
schwere,  ungesühnte  Schuld,  die  ihre  Rückkehr  in  die  Zeitlichkeit  veranlasst,  bald 
ist  ein  zurückgelassenes  Kind  die  Ursache  ihrer  Wiederkunft,  da  sie  demselben 
Schutz,  Pflege  und  Wartung  angedeihen  lassen  müssen;  das  eine  Mal  ist  ihr 
Wiedererscheinen  ganz  harmloser  Natur,  ein  anderes  Mal  aber  ist  es  von  Unheil 
verkündender  Vorbedeutung,  und  in  noch  anderen  Fällen  gehen  die  Todten  um 
in  der  Absicht,  den  Lebenden  directen  Schaden  zuzufügen.  Die  waschenden  Weiber, 
die  weissen  Frauen,  die  tanzenden  Nonnen  und  wie  diese  gespenstischen  Erschei- 
nungen alle  heissen  mögen,  sind  zu  bekannt,  als  dass  ich  hier  noch  näher  darauf 
einzugehen  brauchte.  Auch  was  im  vergangenen  Jahrhundert  in  der  Phantasie 
des  Volkes  eine  solche  hervorragende  RoUe  spielte,  die  lebendig  Begrabenen,  die 
scheintodten  Weiber,  wUl  ich  hier  keiner  eingehenderen  Betrachtung  unterziehen. 
Hier  handelt  es  sich  vielmehr  um  das  Wiedererscheinen  solcher  Frauen,  welche 
nach  der  vollkommenen  Ueberzeugung  der  Zeitgenossen  in  Wirklichkeit  gestorben 
waren,  um  aber  das  blutende  Herz  des  über  ihren  Verlust  untröstlichen  Gatten 
nicht  brechen  zu  lassen,  durch  göttliche  Gnade  wieder  in  das  Leben  zurückgerufen 
und  noch  viele  Jahre  mit  ihm  in  ehelicher  Liebe  und  Treue  verbunden  geblieben 
sind.  Als  Typus  dieser  Sagengruppe  möge  die  folgende  von  Kommannus  ange- 
zeichnete Geschichte  hier  ihre  Stelle  finden: 


479.  Die  wiedergekommene  Todte. 


607 


,In  Bayern  soll  ein  Mann  ans  vornehmem  Geschlecht  bei  dem  Tode  seiner  Gemahlin 
einen  so  tiefen  Schmerz  empfanden  haben  und  so  allem  Tröste  unzugänglich  gewesen  sein, 
dass  er  in  der  Einsamkeit  sein  Leben  hinbrachte.  Endlich,  da  er  mit  Trauern  nicht  aufhörte, 
sei  seine  Gattin  von  den  Todten  wieder  auferstanden,  sei  bei  ihm  erschienen  und  habe  gesagt: 
,  Obgleich  ich  meinen  Lebenslauf  schon  einmal  vollendet  habe,  bin  ich  durch  Deinen  Jammer 
doch  wieder  in  das  Leben  zurückgerufen  und  habe  von  Gott  den  Befehl  erhalten,  dass  ich 
Deine  Gemeinschaft  noch  länger  geniessen  soll,  jedoch  mit  der  Bedingung  und  Bestimmung, 
dass  unser  durch  den  Tod  gelöster  Ehebund  von  Neuem  durch  feierliche  Einsegnung  des 
Priesters  geschlossen  werde,  und  dass  Du  von  Deiner  üblen  Gewohnheit  zu  fluchen  ablässt; 
denn  deswegen  bin  ich  Dir  entrissen,  und  ich  muss  zum  zweiten  Male  aus  dem  Leben  scheiden, 
wenn  Du  wieder  solche  Worte  sagst.'  Nachdem  dies  geschehen  war,  besorgte  sie  ihm  die 
Wirthschafb  wie  früher,  gebar  auch  noch  einige  Kinder,  erschien  aber  immer  traurig  und 
bleich.  Nach  vielen  Jiüiren  war  der  Mann  mit  seinem  Abendtrunke  unzufrieden  und  fluchte 
auf  die  Magd.  Da  verschwand  sie  aus  dem  Zimmer,  jedoch  blieben  ihre  Kleider  wie  ein  Ge- 
spenst an  der  Stelle  stehen,  wo  die  Mahlzeit  aufgestellt  worden  war.'' 


Fig.  420.    MohamedaniBcher  Begräbnissplatz  in  Sarajevo  (Bosnien).    (Nach  Photographie.) 


Aach  unter  den  Vorfahren  der  Grafen  von  der  Asseburg  war  eine  solche 
wiedergekommene  Todte.  Auch  sie  war  schon  in  der  Familiengruft  beigesetzt, 
und  der  zurückgebliebene  Gatte  wollte  sich  nicht  trösten  lassen.  Als  ihm  nun 
gar  einer  aus  seiner  Umgebung  zum  Tröste  sagte,  die  Verstorbene  könnte  ja  doch 
vielleicht  noch  wiederkommen,  da  erwiderte  er:  eher  glaube  er,  dass  sein  Leib- 
ross  aus  der  Dachluke  heraussehen  würde,  ehe  er  an  die  Möglichkeit  einer 
Wiederkehr  der  todten  Gemahlin  glauben  könne.  Bald  darauf  hörte  man  das 
Getümmel  Ton  Menschen,  welche  sich  vor  dem  Schlosse  zusammengerottet  hatten. 
Als  man  nach  der  Ursache  dieses  Auflaufes  forschte,  erfuhr  man,  dass  diese 
Leute  nur  darüber  staunten,  warum  des  Grafen  Leibross  aus  der  Dachluke  heraus- 
sähe, und  wie  es  eigentlich  dort  hinaufgekommen  sei.  Das  rief  dem  Grafen 
in  die  Erinnerung  zurück,   dass  bei  Gott  kein  Ding  unmöglich   sei,  und   in  der 


608  LXXVI.  Das  Weib  im  Tode. 

Nacht  kehrte  auch  seine  Gemahlin  zurück,  mit  Leichengewändem  angethan, 
aber  wieder  lebend.  Der  überglückliche  Gatte  lebte  mit  ihr  noch  viele  Jahre 
in  glücklicher  Ehe  und  sie  gebar  ihm  noch  mehrere  Kinder.  Aber  sie  fiel  stets 
durch  ihre  grosse  Blässe  auf.  Ihr  Bildniss,  sowie  dasjenige  der  nach  ihrem  ersten 
Tode  geborenen  Kinder  soll  in  dem  Dome  zu  Magdeburg  aufgehängt  worden 
sein,  jedoch  habe  ich  dasselbe  dort  nicht  entdecken  können. 

Aus  der  Chronik  des  Neocorus  in  Ditmarschen  vom  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts berichtet  Kinder: 

^Maas  Krihkena  Frau  Grete  war  verschieden.  Da  erhoben  die  Kinder  ein  so  klägliches 
und  erbärmliches  Rufen  und  Schreien,  dass  die  Seele  davon  wieder  zu  ihr  kam.  Sie  lebte 
noch  Jahre  darnach,  hatte  aber  ein  sehr  scharfes  todtenartiges  Antlitz,  war  still  und  wunder- 
lich, gab  aber  richtige  Antworten." 

Nach  Kinders  Angabe  soll  sich  der  Glaube,  dass  durch  lautes  und  Tieles 
Schreien  ein  Sterbender  dem  Leben  wiedergegeben  werden  könne,  auch  bis  heute 
noch  in  Holstein  erhalten  haben. 

In  manchen  anderen  der  alten  deutschen  Adelsgeschlechter  werden  den 
obigen  ganz  analoge  Familiensagen  erzählt,  und,  wie  von  einer  Seite  hervorge- 
hoben wurde,  haben  dieselben  eine  ganz  erhebliche  culturhistorische  Bedeutung. 
Man  glaubt  nämlich,  dass  es  sich  in  allen  diesen  Fällen  um  eine  besondere  Cere* 
monie  der  Nobilitirung  einer  nicht  ebenbürtigen  Ehe^ttin  gehandelt  hat.  TTeber- 
einstimmend  ist  nämlich  in  sämmtlichen  dieser  Geschichten  die  Angabe,  dass  die 
wieder  auferstandene  Todte  dem  Gemahle  noch  mehrere  Kinder  gebiert.  Auch  wird 
in  allen  Fällen  der  Ehebund  des  Gatten  mit  der  dem  Grabe  wieder  Entronnenen 
vom  Priester  mit  allen  vorgeschriebenen  Feierlichkeiten  von  Neuem  eingesegnet. 
Die  ebenfalls  übereinstimmende  Angabe,  dass  die  Wiederauferweckte  wahrend 
ihres  ganzen  zweiten  Lebens  sich  durch  eine  ganz  ausserordentlich  bleiche  Farbe 
ausgezeichnet  habe,  müssen  wir  wohl  als  eine  spätere  Ausschmückung  der  Sage 
betrachten.  Man  hielt  es  eben  für  erforderlich,  dass  Jemand,  der  scnon  einmal 
todt  gewesen  war,  sich  doch  in  etwas  von  gewöhnlichen  Menschenkindern  unter- 
scheide, und  da  war  das  Bestehenbleiben  der  Todtenblässe  das  allerbequemste 
Unterscheidungsmerkmal. 

480.  Der  geschlechtliclie  Verkehr  mit  der  Todten. 

Unzählig  und  unentwirrbar  sind  die  vielfach  verschlungenen  Fäden,  welche 
die  Phantasie  des  Menschen  als  Richtschnur  für  die  Befriedigung  unersättlicher 
Wollust  gesponnen  hat,  und  dabei  unfassbar  und  nicht  zu  verstehen  für  ein  ge- 
sundheitsgemäss  angelegtes  Menschengehim.  Was  dem  Einen  wonnevolles  Ent- 
zücken und  die  höchste  geschlechtliche  Befriedigung  gewährt,  das  vermag  den 
gesunden  Menschen  nur  mit  Abscheu  und  Ekel,  den  Arzt  mit  tiefstem  Mitleid 
zu  erfüllen.  Diese  für  gewöhnlich  als  die  Nachtseiten  der  menschlichen  Natur 
bezeichneten  Verhältnisse,  von  welchen  in  Folge  unzweckmässig  angebrachten 
Sittlichkeitsgefühls  weder  die  Richter,  noch  häufig  auch  die  Aerzte  in  genügender 
Weise  unterrichtet  sind,  verdienen  in  vollstem  Maasse  die  Aufmerksainkeit  und 
Beachtung  der  Anthropologen.  In  dieses  Gebiet  gehört  auch  die  sogenannte  Nekro- 
philie oder  der  geschlechtliche  Umgang  mit  Leichen. 

Es  muss,  wie  schon  gesagt  wurde,  für  uns  unfassbar  bleiben,  wie  die  wol- 
lüstige Begierde  auch  nicht  einmal  dem  Gadaver  des  Mitmenschen  Schonung  ge- 
währte. Aus  rein  physiologischen  Ursachen,  welche  näher  zu  erörtern  wohl  kaum 
nothwendig  sein  dürfte,  kann  es  sich  in  diesen  Fällen  natürlicher  Weise  immer 
nur  um  den  Beischlaf  eines  lebenden  Mannes  mit  einer  weiblichen  Leiche  handeln. 

Wir  lesen  bei  t;.  Krafft-Ebing: 

^Bierre  de  Baiamant  theilte  die  Geschichte  eines  Leichensch&nders  mit,  der  sich  nach 
Bestechung  der  Leichenwärter  zur  Leiche   eines  sechzehnjährigen  Mädchens  aus  vornehmem 


480.  Der  geschlechtliche  Verkehr  mit  der  Todten.  g09 

Hans  eingeschlichen  hatte.  Nachts  hörte  man  im  Todtenzimmer  ein  Geräosch,  als  wenn  ein 
Stück  Möbel  umfalle.  Die  Matter  des  verstorbenen  M&dchens  drang  ein  und  bemerkte  einen 
Menschen,  der  im  Nachthemd  vom  Bett  der  Todten  herabsprang.  Man  meinte  zuerst,  man 
habe  es  mit  einem  Diebe  zu  thun,  erkannte  aber  bald  den  wahren  Thatbestand.  Es  stellte 
sich  heraus,  dass  der  Schänder,  ein  Mensch  aus  vornehmem  Hause,  schon  öfter  die  Leichen 
junger  Weiber  geschändet  hatte.    Er  wurde  zu  lebenslänglichem  Kerker  verurtheilt." 

Ein  französischer  Sergeant  hatte  wiederholentlich  weibliche  Leichen  aus- 
gegraben, sie  zerstückelt,  ihnen  die  Eingeweide  herausgerissen  und  sie  wieder  be- 
erdigt. Bei  einer  dieser  Leichen  kam  mm  das  Gelüst  an,  mit  ihr  den  Beischlaf 
auszuführen.    Er  schreibt  selbst  darüber  an  den  Gerichtsarzt: 

«Ich  bedeckte  den  Cadaver  allenthalben  mit  Küssen,  drückte  ihn  wie  rasend  an  mein 
Herz.  Alles,  was  man  an  einem  lebenden  Weibe  gemessen  kann,  war  nichts  im  Vergleich  zu 
dem  empfundenen  Genuss.  Nachdem  ich  diesen  etwa  eine  Viertelstunde  gekostet,  zerstückelte 
ich  wie  gewöhnlich  die  Leiche  und  riss  die  Eingeweide  heraus.  Dann  begrub  ich  wieder  den 
Cadavar.*    ft?.  KrafftrEbing.J 

In  gleicher  Weise  ist  er  später  noch  mit  einer  Reihe  von  Leichen  verfahren, 
die  er  zum  Theil  mit  seinen  Nägeln  ausgrub,  bis  der  Arm  des  Gesetzes  ihn  er- 
reichte.   Er  sagt  dann  femer  von  sich: 

.Der  Zerstörungstrieb  war  in  mir  immer  heftiger,  als  die  erotische  Monomanie,  das 
unterliegt  keinem  Zweifel.  Ich  glaube,  dass  ich  niemals  mit  dem  Zweck,  eine  Leiche  zu 
nothzüchtigen,  allein  ein  solches  Wagniss  unternommen  hätte,  wenn  ich  sie  nicht  später  zer- 
stückeln konnte.'    (Tarnowsky.) 

Wir  werden  f&r  diese  Fälle  v,  KraffUEbing  sicherlich  Recht  geben,  wenn 
er  sagt: 

„Die  in  der  Literatur  vorkommenden  Fälle  von  Leichenschändung  machen  den  Eindruck 
pathologischer,  nur  sind  sie  bis  auf  den  berühmten  des  Sergeant  Bertram  nichts  weniger  als 
genau  beschrieben.  In  ihrer  Motivirung  scheinen  sie  sich  an  die  Kategorie  der  Lustmorde 
anzureihen,  insofern  gleichwie  bei  diesen  eine  an  sich  grauenvolle  Vorstellung,  vor  der  der 
Gesunde  zurückschaudert,  mit  Lustempfindungen  betont  wird.* 

Ob  diese  Erklärung  aber  für  alle  Falle  passt,  möchten  wir  doch  dahin- 
gestellt sein  lassen.  Es  ist  wohl  in  hohem  Maasse  wahrscheinlich,  dass  es  sich 
bisweilen  um  einen  lange  Zeit  ungestillten,  gewaltigen  Geschlechtstrieb  handelte, 
der  in  dem  Verkehr  mit  der  weiblichen  Leiche  die  erste  sich  ihm  darbietende 
Gelegenheit  zu  seiner  Befriedigung  nicht  unbenutzt  vorübergehen  liess.  So 
sind  wohl  mit  Wahrscheinlichkeit  die  Fälle  zu  deuten,  wo  Mönche,  welchen  die 
Leichenwache  übertragen  war,  die  Todte  zur  Stillung  ihrer  Lüste  verwendet  haben. 
Es  reiht  sich  hier  auch  jener  Fall  an,  welcher,  wie  man  Niehuhr  erzählte,  zu  der 
Schliessung  des  Begräbnissthurmes  der  Parsi  bei  Bombay  die  Veranlassung  ge- 
geben hatte«  Eine  Jungfrau  war  gestorben  und  wurde  an  diesem  Orte  des  Schreckens 
von  ihrem  Geliebten  aufgesucht  und  beschlafen. 

Auf  dem  Lande  im  Hundsrück  soll  es  bis  vor  Kurzem  gebräuchlich  ge- 
wesen sein,  dass,  wenn  eine  Braut  gestorben  war,  der  Bräutigam  mit  ihrer  Leiche 
die  Brautnacht  feierte. 

Die  Nekrophilie  ist  übrigens  schon  sehr  alt,  denn  wir  lesen  bereits  im 
Herodot  von  den  Todtengebräuchen  der  alten  Aegypter: 

«Die  Weiber  von  angesehenen  Männern  giebt  man,  wenn  sie  gestorben  sind,  nicht  so- 
gleich zur  Einbalsamirung,  ebenso  auch  nicht  diejenigen  Frauen,  welche  sehr  schön  sind 
und  von  mehr  Ansehen;  erst  nach  Verlauf  von  zwei  oder  drei  Tagen  übergiebt  man  sie  den 
Einbalsamirern :  es  geschieht  dies  deshalb,  damit  die  Einbalsamirer  mit  den  Frauen  keinen 
Umgang  pflegen.  Man  erzählt  nämlich,  dass  einer  derselben  ertappt  worden  sei,  wie 
er  mit  dem  frischen  Leichnam  einer  Frau  Unzucht  trieb,  aber  von  seinen  Kameraden  ver- 
rathen  ward.' 

Einen  schauerlichen,  zu  unserem  Thema  gehörenden  Gebrauch  finden  wir 
in  Afrika.  Stirbt  nämlich  eine  Kikamba-Frau  und  findet  aus  irgend  einer 
Ursache  bei  ihr  ein  Blutaustritt  aus  den  Genitalien  statt,  so  muss  ein  fremder 
Mann  die  nächste  Nacht  bei  der  Leiche  liegen.    Morgens  findet  er  eine  Milchkuh 

Floss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    II.  39 


610  LXXVI.  Dag  Weib  im  Tode. 

in    der  Nähe  angebunden.     Diese  Sitte  wird   geheim   gehalten   und  nur  im  Ge- 
heimen ausgefthrt. 

Aus  einer  süd-ungarischen  Stadt  erzählt  v.  Wlislocki^  folgende  Geschichte: 
Es  lebte  dort  eine  Wittwe,  «die  einen  Zwitter  zum  Kinde  hatte.  Dieser  war  bereit« 
zwanzig  Jahre  alt,  ging  in  Weiberkleidem  hemm,  rauchte  Tabak  und  verrichtete  Arbeiten 
der  Mftnner.  Er  war  dabei  die  Ziebcheibe  der  Gasseigugend.  Im  Fasching  des  angeführten 
Jahres  (1861)  fiel  es  ihm  ein,  sich  verehelichen  zu  wollen.  Da  griff  seine  Mutter  zu  einem 
Zaubermittel,  «um  das  Geschlecht  ihres  Kindes  in  Ordnung  zu  bringen*.  Sp&t  Abends  g^in^ 
sie  mit  dem  übrigens  starken  Zwitter  auf  den  Kirchhof  und  beide  OfEneten  dort  das  Grab  nnd 
den  Sarg  einer  vor  kurzer  Zeit  beerdigten  Jungfrau.  Die  Mutter  hiess  nun  den  Zwitter  sich 
neben  die  todte  Maid  zu  legen  und  die  Nacht  dort  zuzubringen.  Der  Zwitter  that  es  aach 
ohne  Furcht  und  Grauen,  nachdem  die  Mutter  ihm  noch  verschiedene  Geheimtrftnke  f&r  die 
Nacht  mit  ins  Grab  gegeben  hatte,  die  man  am  nächsten  Morgen  im  offenen  Grabe  neben 
dem  todten  Zwitter  vorfand.  Auf  welche  Weise  der  Zwitter  ums  Leben  kam,  konnte  oder 
wollte  man  Öffentlich  nicht  kundgeben;  soviel  aber  ist  gewiss,  dass  er  an  der  Leiche  eine 
Schandthat  verübt  hatte,  um  dadurch  „sein  Geschlecht  in  Ordnung  zu  bringen*.  Die  Mutter 
erh&ngte  sich  am  nächsten  Tage,  nachdem  sie  ihren  Bekannten  eingestanden  hatte,  dass  sie 
durch  dies  Mittel  ihr  Kind  ,zu  rechtem  Manne*  habe  machen  wollen.* 

Der  alte  Kommannus  wirft  die  für  unsere  Anschauungen  höchst  sonderbar 
klingende  Frage  auf,  was  für  einer  Strafe  Diejenigen  verfallen  müssen,  welche  sich 
der  abscheulichen  Leidenschaft  der  Nekrophilie  hingegeben  haben,  und  er  kommt 
zu  dem  noch  sonderbareren  Resultate,  dass  man  sie  überhaupt  nicht  strafen  dürfe, 
da  ein  todter  Mensch  nichts  mehr  gelte  und  ihm  kein  Unrecht  geschehen  könne, 
ebenso  wenig  wie  ein  an  einem  Gestorbenen  ausgeführter  Mordversuch  doch  nicht 
als  ein  Mord  betrachtet  werden  könne.  Allerdings  muss  auch  ich  erklären, 
dass  in  der  grösseren  Mehrzahl  dieser  immerhin  doch  nur  seltenen  Falle  diese 
Nekrophilen  eine  Strafe  nicht  verdienen.  Nicht  vor  den  Strafrichter  gehören  sie, 
sondern  in  das  Irrenhaus.  Denn  fast  immer  handelt  es  sich  hier  um  geistig  nicht 
gesunde  Individuen,  welche  dem  Irrenarzte,  aber  nicht  dem  Gefängnisse  übergeben 
werden  müssen. 

481.  Die  Schwängerung  der  Todten. 

In  hohem  Maasse  eigenthümlich  muss  es  uns  berühren,  wenn  wir  sehen, 
dass  unsere  Yor&hren  der  Meinung  waren,  dass  solch  ein  Beischlaf  mit  der  Leiche 
unter  Umständen  bei  derselben  eine  Schwangerschaft  herbeiführen  könnte.  Es  ist 
naturgemäss  nicht  Yon  jenen  so  vielfach  in  den  Romanen  vergangener  Jahrhunderte 
auftretenden  Fällen  die  Rede,  wo  es  sich  um  eine  Scheintodte  handelte,  welche 
nach  erfolgter  Befruchtung  wieder  zum  Leben  erwachte  und  nun  nicht  wusste, 
wie  sie  zu  dem  Kinde  gekommen  war.  Hier  handelt  es  sich  vielmehr  in  Wirk- 
lichkeit um  definitiv  Gestorbene. 

Eine  solche  Geschichte  finden  wir  in  Kommannus^  de  miracalis  mortnomm, 
welche  er  den  Ghronicis  Anglicis  des  Bogerus  nacherzählt: 

Ein  Krieger  auf  der  Insel  Deysa  liebte  ein  Mädchen,  ohne  dass  er  jedoch  yon  dem- 
selben erhört  ward.  Sie  stirbt  und  der  Soldat  verschafft  sich  Zutritt  zu  der  Leiche  und  voll- 
fahrt  mit  der  Todten,  was  ihm  die  Lebende  nicht  gewährt  hatte.  Nach  vollzogenem  Bei- 
schlaf spricht  eine  Stimme  aus  dem  Leichnam  zu  dem  Leichenschänder,  angeblich  die  des 
Satans:  , Siehe,  Du  hast  mit  mir  einen  Sohn  gezeugt;  ich  werde  ihn  Dir  bringen."  Und 
nach  neun  Monaten,  cum  tempus  pariendi  instaret,  peperit  fUium  abortivum.  Den  brachte 
sie  dem  Vater  und  sprach  zu  ihm:  , Siehe,  das  ist  dein  Sohn,  schneide  ihm  den  Kopf  ab  und 
bewahre  denselben,  wenn  du  Deine  Feinde  besiegen  willst*  u.  s.  w.  Er  that  das,  und  dieser 
Kopf  wirkte  wie  eine  Art  Gorgonenhaupt.  Später  heirathete  der  Soldat;  seine  Frau  fand 
eines  Tages  den  Kopf  und  warf  ihn  in  den  Golf  von  Satalia,  und  nun  war  es  mit  seinem 
Siegen  vorbei. 

Eine  ganz  ähnliche  Geschichte  hat,  wie  mir  Konrad  SchottmüUer^  der  Mono- 
graph  des  Templerordens,  mittheilte,  in  dem  berüchtigten  Processe  dieses  Ordens 


482.  Die  Todienhochzeit.  gll 

eine  wichtige  Rolle  gespielt,  und  zweimal  wird  sie  von  Michdefi  in  fast  überein- 
stimmender Weise  berichtet.  Das  eine  Mal  ist  es  ein  armenischer  Ritter,  der 
die  todte  Oeliebte  am  Tage  nach  ihrer  Beisetzung  in  dem  Grabgewölbe  schwängert; 
das  andere  Mal  ist  es  ein  Templer,  der  das  von  ihm  geliebte  Mädchen  zu  dem 
genannten  Zwecke  erst  exhumiren  muss.  Beide  Male  fordert  eine  von  der  Leiche 
ausgehende  Stimme,  dass  der  Nekrophile  nach  dem  Verlaufe  von  neun  Monaten 
wiederkommen  und  sich  sein  Kind  abholen  solle.  Er  findet  dasselbe  dann  zu  dem 
festgesetzten  Termine  zwischen  den  Beinen  der  Mutter  liegend;  in  dem  einen  Falle 
ist  aber  nicht  ein  vollständiges  Kind,  sondern  nur  ein  menschlicher  Kopf  geboren 
worden,  mit  dem  die  Tempelherren  späterhin,  wie  ihnen  von  ihren  Verfolgern 
vorgeworfen  wurde,  allerlei  bösen  Zauber  getrieben  haben  sollen. 


482.  Die  Todtenhochzeit. 

Es  ist  eine  weitverbreitete  volksthümliche  Redensart,  dass  die  Ehen  im 
Himmel  geschlossen  werden,  und  doch  sind  wir  gerade  gewohnt,  den  üebergang 
in  das  himmlische  Leben,  das  Sterben,  als  das  wichtigste  auflösende  Moment  f&r 
die  bestehende  Ehe  oder  auch  für  die  versprochene  Yerheirathung  anzusehen. 
Andererseits  heisst  es  ja  auch  in  der  Bibel  (Marcus  12,  25): 

.Wenn  sie  von  den  Todten  auferstehen,  so  werden  sie  nicht  freien,  noch  sich 
freien  lassen. '^ 

Aber  dennoch  ist  der  Serbe  darauf  bedacht,  auch  die  ehelichen  Zustände 
ftir  das  Himmelreich  zu  regeln.  Denn  wenn  bei  ihnen  ein  Mann  oder  eine  Frau 
verscheidet,  welche  zweimal  verheirathet  gewesen  ist,  so  schlachtet  man  eine 
schwarze  Henne  und  legt  sie  dem  Leichnam  in  den  Sarg.  Durch  dieses  Opfer 
soll  die  Verstorbene  die  zweite  Ehe  vergessen  und  sich  in  der  Ewigkeit  sofort  an 
ihren  ersten  Lebensgefährten  anschliessen.     (Krauss.) 

Die  Serbinnen  besitzen  aber  auch  noch  ein  Verfahren,  um  den  hinter- 
bliebenen  Gatten  zu  zwingen,  der  Frau,  die  ihm  der  Tod  entriss,  die  eheliche 
Treue  zu  erhalten.    Krauss  berichtet  hierüber: 

,  Stirbt  eine  jnnge  Frau  und  will  deren  Mntter,  dass  der  verwittwete  Eidam  keine 
zweite  Ehe  mehr  schliessen  soll,  so  löst  sie  die  Hand-  und  Fussbinden  der  verstorbenen  Tochter 
nicht  wieder  auf;  denn  so  bleibt  „das  Glück  des  Mannes  in  einer  neuen  Liebe  gebunden." 
Nebenbei  bemerkt,  verspricht  sich  eine  Mutter  die  gleiche  Wirkung,  wenn  sie  ihre  todte 
Tochter  mit  dem  Hochzeits-  und  Trauungskleide  angezogen  bestatten  lässt." 

Es  hat  nun  für  unsere  ganze  Anschauungsweise  etwas  in  hohem  Grade  Be- 
fremdendes, wenn  wir  hören,  dass  es  Völker  giebt,  welche  nun  aber  wirklich 
Eheschliessungen  nach  dem  Tode  vollziehen. 

Hier  stehen  wieder  obenan  die  Chinesen,  von  denen  uns  DooJt^^Ie  Folgen- 
des berichtet: 

.OfbmalS;  wenn  das  Mädchen  stirbt,  bevor  der  Hochzeitstag  herannahte,  besonders  wenn 
dieses  beinahe  oder  gerade  in  dem  Heirathsalter  der  Fall  ist,  so  wird  ein  Gebrauch  beobachtet, 
welcher  heisst:  „um  ihre  Schuhe  bitten*.  Ihr  Verlobter  begiebt  sich  persönlich  in  die 
Wohnung  ihrer  Eltern,  und  mit  Klagen  nähert  er  sich  dem  Sarge,  welcher  ihren  Leichnam 
enthält.  Der  Sohn  bittet  darauf  um  ein  Paar  Schuhe,  welche  sie  in  letzter  Zeit  getragen 
hat.  Diese  bringt  er  nach  Hause,  wobei  er,  während  er  durch  die  Strassen  geht  oder  ge- 
tragen wird,  drei  brennende  Stücke  Weihrauch  in  der  Hand  hält.  Wenn  er  auf  dem  Wege 
nach  seiner  Wohnung  an  eine  Strassenecke  kommt,  ruft  er  ihren  Namen  und  ladet  sie  ein, 
ihm  zu  folgen.  Wenn  er  zu  Hause  angelangt  ist,  unterrichtet  er  sie  hiervon.  Den  mitge- 
brachten Weihrauch  stellt  er  in  einen  Behälter.  Er  bereitet  in  einem  passenden  Räume  einen 
Tisch  und  stellt  hinter  diesen  einen  Stuhl.  Die  Schuhe  des  verstorbenen  Mädchens  werden  auf 
oder  unter  diesen  Stuhl  gesetzt.  Der  ßehälter  mit  dem  aus  ihrer  Eltern  Hause  mitgebrachten 
Weihrauch  wird  auf  den  Tisch  gestellt,  zusammen  mit  einem  Paar  brennender  Kerzen.  Hier 
sorgt  er  dafür,  dass  diese  zwei  Jahre  hindurch  brennen,  wo  dann  zu  ihrem  Gedächtniss  eine 
Tafel  in  der  die  Ahnentafeln  der  Familie  enthaltenden  Nische  angebracht  wird.  Durch  alles 
dieses  erkennt  er  sie  als  sein  Weib  an.'* 

39» 


612  LXXVL  Das  Weib  im  Tode. 

Aber  einen  noch  um  vieles  merkwürdigeren  Gebrauch  finden  wir  ebenfalls 
bei  den  Chinesen,  welchen  wir  mit  den  Worten  Katschers  dem  Leser  vorführen 
wollen: 

„Höchst  sonderbar  ist  die  folgende  Sitte  auf  dem  Gebiete  der  Ehe.    Diese  wird  von 
den  Chinesen  für  etwas  so  Wichtiges  und  Nothwendiges  gehalten,  dass  sie  nicht  nur  die 
Lebenden,  sondern  auch  die  Todten  verheirathen.    Die  Geister  aller  m&nnlichen  Kinder^    die 
ganz  jung  sterben,   werden  nach  einiger  Zeit  mit   den  Geistern  weiblicher  Kinder,    die   in 
gleichem  Alter  aus  dem  Leben  scheiden,  vermählt.    Stirbt  z.  B.  ein  zwÖlQfthriger  Siiabe,  so 
trachten  seine  Eltern  6  oder  7  Jahre  nach  seinem  Tode,  seine  Manen  mit  denen  eines  g^leich- 
alterigen  Mädchens  zu  verehelichen.    Sie  wenden  sich  an  einen  Heiratbsyermittler,  der  ümen 
sein  Verzeichniss  todter  Jungfrauen  vorlegt.    Nach  getroffener  Wahl  wird  ein  Astrolog^  za 
Käthe  gezogen,  der  den  Geistern  der  beiden  Abgeschiedenen  das  Horoskop  stellt.    Erklärt  er 
die  Wahl  für  eine  günstige,  so  bestimmt  man  eine  GlQcksnacht  für  die  Hochzeit.    Diese  ^ht 
folgendermaassen  vor  sich.    Im  Geremoniensaale  des  Elternhauses  des  todten  Bräutigams  wird 
eine  papierene  Nachbildung  des  letzteren  in  vollem  Hochzeitscostüm  auf  einen  Stuhl  gesetzt. 
Um   9  ühr  oder  noch  später  senden  die  Eltern  eine  Hochzeitssänfte  (aus  Palmeminde  mit 
Papier  überzogen)  im  Namen  des  Geistes  des  Jünglings  ins  Elternhaus  der  Braut  mit  der 
Bitte,  sie  mögen  dem  Geist  des  Mädchens  gestatten,  sich  in  die  Sänfte  zu  setzen,  um  in  ihr 
neues  Heim  gebracht  zu  werden.    Die  Chinesen  glauben,   dass  jeder  Mensch  drei   Seelen 
habe  und  dass  die  eine  nach  seinem  Tode  bei  seiner  Ahnentafel  bleibe.    Dieser  Glaube  föhrt 
dazu,   dass   die  Ahnentafel   der  todten  Braut  vom  Ahnenaltar  genommen  und  nebst   ihrer 
papierenen  Nachbildung  in  die  Sänfte  gelegt  wird.    In  manchen  Fällen  werden  auch  die  von 
dem  Mädchen  zu  seinen  Lebzeiten  getragenen  Kleidungsstücke  ins  Elternhaus  des  verstorbenen 
Jünglings  Übergefährt.    Sofort  nach  Ankunft  des  von  zwei  Musikanten  (der  Eine  spielt   auf 
einer  Laute,  der  andere  schlägt  eine  grosse  Trommel,  Tam-Tam)  eröffneten  Hochzeitszuges 
werden  Ahnentafel  und  Papierbraut  aus  der  Sänfte  genommen;  die  Erstere  findet  ihren  Platz 
nunmehr  auf  dem   Ahnenaltare  des  schwiegerelterlichen  Hauses;  die  Papiergestalt  wird  auf 
einen  Sessel  gesetzt,  den  man  neben  deigenigen  stellt,  auf  dem  der  papierene  Bräutigam  sitzt. 
Sodann  rückt  man  einen  mit  verschiedenen  Speisen  besetzten  Tisch  vor  das  papierene  Braut- 
paar,  das  von  einem  halben  Dutzend  taoistischer  Priester  mittelst  mehrerer  Lieder  und  Ge- 
bete  ermahnt   wird,    den   Ehebund   einzugehen  und  das  Hochzeitsmahl  zu  gemessen.     Den 
Schlnss  der  Feier  bildet  die  Verbrennung  des  papierenen  Paares,  sowie  einer  grossen  Menge 
von  papierenen  Dienern,  Dienstmägden,  Sänften,  Geldnachahmungen,  Kleidern,  Fächern  und 
Tabakspfeifen." 

Aber  die  Chinesen  stehen  in  dieser  Beziehung  nicht  einzig  da.  Wir  lesen 
bei  Kornmannus: 

„Wenn  einem  Tartaren  ein  Sohn  stirbt,  welcher  nicht  verheirathet  ist,  und  einem 
Anderen  stirbt  eine  unverheirathete  Tochter,  so  kommen  die  Eltern  der  beiden  Verstorbenen 
überein,  zwischen  diesen  beiden  Todten  ein  Ehebündmss  zu  stiften.  Der  Ehecontract  wird 
schriftlich  aufgesetzt,  der  Jüngling  und  die  Jungfrau  werden  auf  Papier  gemalt  und  dieses 
wird  mit  beigesteuertem  Gelde,  Gebrauchsgegenständen  und  Hausgeräth  dem  Vulkan  geweiht 
in  dem  Glauben,  dass  die  Verstorbenen  nun  in  dem  anderen  Leben  ehelich  verbunden  sind. 
Sie  rüsten  zu  diesem  Zwecke  auch  eine  feierliche  Hochzeit  aus  und  verschütten  von  den  zn> 
bereiteten  Speisen  hierhin  und  dorthin  etwas,  damit  der  Bräutigam  und  die  Braut  auch  essen 
können.  Die  Eltern  und  die  Angehörigen  solcher  Todten  glauben,  dass  sie  nun  durch  die 
gleichen  verwandtschaftlichen  Bande  mit  einander  verknüpft  seien,  als  wenn  die  Verehelichung 
noch  bei  Lebzeiten  der  Brautleute  stattgefunden  hätte.'« 

Die  gegebenen  Berichte  werden  wohl  hinreichend  sein,  um  den  Leser  in 
genügender  Weise  über  diese  Verhältnisse  zu  orientieren,  und  ich  vermag  daher 
hiermit  das  vorliegende  Kapitel  und  gleichzeitig  auch  das  ganze  Werk  zum  Ab- 
schlüsse zu  bringen.  Das  Eine  wird  der  Leser  unzweifelhaft  daraus  ersehen  haben : 
Es  besteht  eine  grosse,  unüberbrückbare  Kluft  in  anatomischer  und  physiologischer 
Beziehung  zwischen  dem  männlichen  und  dem  weiblichen  Geschlecht;  aber  nicht 
minder  scharf  abgegrenzt  tritt  uns  diese  Sonderung  in  Brauch  und  Sitte  der 
Völker  entgegen,  und  in  allen  Lebensanschauungen,  sowie  in  allen  Lebensphasen 
sind  wir  im  Stande,  sie  nachzuweisen;  ja  nicht  einmal  der  Tod  verm^  endgültig 
diese  Unterschiede  zu  verwischen  und  auszugleichen. 


483.  Schlusswort  613 

483.  ScUnsswort. 

Einen  weiten  und  mühseligen  Weg  habe  ich  Knsere  Leser  gef&hrt,  und 
trotz  der  482  Abschnitte,  welche  ich  ihnen  zu  bieten  Yermochte,  weiss  ich 
sehr  wohl,  dass  ich  noch  ausserordentlich  weit  davon  entfernt  bin,  unser  Thema 
erschöpft  zu  haben.  Es  ist  wohl  überhaupt  undenkbar,  dass  es  einen  Menschen 
geben  sollte,  der  in  Wirklichheit  Alles,  was  auf  unseren  Gegenstand  bezüglich 
jemals  geschrieben  worden  ist,  zu  kennen  und  zu  beherrschen  im  Stande  wäre. 
Daher  ist  es  im  hohen  Orade  wahrscheinlich,  dass  man  auch  mir  eine  Reihe  von 
Unterlassungssünden  wird  nachweisen  können.  Das  Thema  ,Weib^  ist  eben 
unerschöpft  und  unerschöpflich,  und  es  hat  eine  gewisse  Berechtigung,  wenn  ein 
russisches  Sprichwort  sagt: 

Wenn  die  Weiber  auch  von  Glas  wären, 
sie  würden  dennoch  undorebsichtig  sein. 

(v.  Eeinsberg-Büringsfeld.) 

Auch  wir  haben  ja  an  vielen  Stellen  eingestehen  müssen,  wie  viele  Lücken 
noch  in  unserem  Wissen  unausgefQllt  geblieben  sind,  und  wenn  diese  Besprechungen 
die  Veranlassung  werden  sollten,  dass  an  diesen  Punkten  die  wissenschaftliche 
Forschung  einsetzte,  dann  hätten  diese  Zeilen  ihren  Zweck  erreicht.  Möge  Nie- 
mand —  ich  wende  mich  hier  besonders  an  die  Mediciner  —  die  Gelegenheit, 
die  sich  ihm  bietet,  bisher  Unaufgeklärtes  zu  erforschen,  unbenutzt  vorübergehen 
lassen;  möchte  ihm  auch  nicht  die  kleinste  Beobachtung  unwerth  zu  einer  Auf- 
zeichnung erscheinen.  Er  wird  es  erleben,  wie  auf  diese  Weise  das  wissenschaft- 
liche Material  unter  seinen  Händen  wächst,  und  möge  er  niemals  vergessen,  dass 
nur  durch  die  gemeinsame  Arbeit  Vieler  das  nöthige  Licht  in  das  bisherige  Dunkel 
getragen  werden  kann. 

Wir  müssen  noch  einen  zweiten  Punkt  berühren.  Der  Herausgeber  hat  bis- 
weilen über  die  erste  Auflage  dieses  Buches  die  Bemerkung  gehört,  Ploss  habe 
bei  der  Zusammenbringung  seines  Materialee  keine  genügende  Kritik  geübt.  Von 
diesem  Vorwurfe  wird  auch  wohl  diese  neue  Bearbeitung  nicht  freigesprochen 
werden  können.  Es  ist  nämlich  mit  dieser  sogenannten  Kritik  eine  ganz  eigene 
Sache.  Bei  Gelegenheit  von  Studien  auf  anderen  Gebieten  habe  ich  mich 
wiederholentlich  davon  zu  überzeugen  vermocht,  dass  die  eine  oder  die  andere 
Angabe  eines  Autors  ganz  nach  der  zur  Zeit  gerade  herrschenden  allgemeinen, 
wissenschaftlichen  Strömung  als  lächerlich  und  unglaubwürdig  hingestellt  wmrde, 
während  spätere  Beobachtungen  ihre  buchstäbliche  Richtigkeit  in  vollem  Maasse 
bestätigten.  Zuerst  aus  den  wissenschaftlichen  Werken  ausgemerzt  und  verachtet, 
kamen  sie  nun  plötzlich  wieder  zu  Ehren  und  Ansehen.  So  haben  spätere 
Schriftsteller  auch  die  Angaben  des  Herodot  über  das  Männerkindbett  für 
Lügen  gehalten  und  seine  Leichtgläubigkeit  seinen  Berichterstattern  gegenüber 
vornehm  belächelt,  und  wie  glänzend  ist  er  gerechtfertigt,  wie  hat  sich  AUes  be- 
stätigt, was  er  uns  überlieferte! 

Und  wenn  nun  wirklich  über  dasselbe  Volk  zwei  Forscher  ganz  entgegen- 
gesetzte Aussagen  machen,  welcher  von  ihnen  ist  der  Glaubwürdigere?  Haben 
sie  nicht  vielleicht  alle  Beide  ganz  richtig  beobachtet,  und  nur  die  Gebräuche  des 
betreffenden  Volkes  hatten  sich  geändert,  oder  es  kommt  eben  alles  beides  Be- 
obachtete vor?  Man  kann  daher  nach  meiner  Meinung  mit  dieser  sogenannten 
Kritik  nicht  vorsichtig  und  zurückhaltend  genug  zu  Werke  gehen. 

Zahlreiche  Beispiele  haben  wir  für  die  Thatsache  gefunden,  dass  das  Denken 
der  Menschen,  ihr  Fühlen  und  Empfinden  auf  den  verschiedensten  Stufen  der 
Calturentwickelung  eine  erstaunliche  Aehnlichkeit  und  XJebereinstimmung  besitzt, 
und  dass  eine  Anschauung,  einmal  gewonnen,  sie  mag  noch  so  widersinnig  und 
unpraktisch  sein,  nicht  selten  auf  Jahrhunderte  hinaus  nicht  aus  dem  Volksgeiste 


614  433-  Schlusswort. 

ausgerottet  werden  kann.  So  erscheint  manche  hygienisch-rituelle  Gewohnlieit 
auf  den  ersten  Anblick  hin  als  ein  instinctives  Handeln,  während  sie  bei  näherem 
Zusehen  als  einfache  Nachahmung  fremder  Sitten  oder  als  XJeberlebsel  aus  früherer 
Zeit  betrachtet  zu  werden  verdient. 

Aber  nicht  Alles  ist  Nachahmung  und  wir  können  es  nicht  verkennen,  dass 
die  gleichen  Umstände  und  Verhältnisse  in  dem  menschlichen  Geiste  bei  den  ver- 
schiedensten Yölkem  sehr  häufig  die  ganz  gleichen  Gedankengänge  anregen  und 
auslösen,  und  deshalb  mussten  wir  uns  wohl  hüten,  aus  einer  Gleichartigkeit  der 
Sitten  und  Gebräuche  sofort  auch  einen  Rückschluss  auf  eine  ursprüngliche  Ver- 
wandtschaft der  betreffenden  Nationen  anstellen  zu  wollen. 

Von  manchen  absonderlichen  und  scheinbar  unerklärlichen  Gebräuchen,  'wie 
sie  sich  namentlich  an  die  Hauptabschnitte  in  dem  Leben  des  Weibes  knüpfen, 
vermochten  wir  nicht  selten  einen  Einblick  in  die  denselben  zu  Grunde  liegenden 
Gedankengänge  zu  erhalten  durch  die  vergleichende  ethnologische  Forschung,  durch 
die  Zusammenstellung  und  die  Untersuchung  ähnlicher  Maassnahmen  bei  anderen, 
häufig  einem  ganz  fremden  Culturkreise  angehörenden  Völkerschaften.  Auch  dürfen 
wir  es  nicht  verschweigen,  dass  mancherlei  Gewohnheiten  und  Anschauungen 
der  Culturvölker  durch  die  analogen  Gebräuche  der  uncivilisirten  Nationen  von 
dem  praktischen  und  gesundheitsgemässen  Gesichtspunkte  aus  nicht  unwesentlich 
übertroffen  wurden. 

Das  Menschengeschlecht  in  ursprünglicher  Wildheit  haben  wir  auf  unserem 
Erdballe  nirgends  zu  finden  vermocht,  und  wenn  wir  hier  wiederholentlich  von 
den  Naturvölkern  sprachen,  so  dürfen  wir  dabei  doch  nicht  vergessen,  dass  wir 
nirgends  in  ihnen  die  , Wilden*  fanden,  von  welchen  man  noch  vor  wenigen 
Jahrzehnten  fabelte.  Auch  die  allerrohesten  und  wildesten  Völker  zeigten  doch 
immerhin  schon  einen  gewissen  Grad  von  Civilisation,  von  primitiven  religiösen 
Anschauungen,  von  feststehenden  Vorrechten  und  Pflichten,  von  Brauch  und 
Gesetz. 

Als  die  erste  Bedingung  einer  fortschreitenden  Culturentwickelung  mussten 
wir  die  Sesshaftigkeit  der  Völker  erklären;  als  wichtigstes  Erfordemiss  nächstdem 
kommt  die  Bildung  der  Familie  hinzu.  Aber  auch  die  Familie  als  solche  kann 
ihren  civilisatorischen  Einfluss  nur  dann  ausüben,  sie  vermag  die  Völker  nur  dann 
zu  den  hohen  Stufen  einer  wahren  Gultur  hinauf  zu  leiten,  wenn  diejenige 
die  richtige  Achtung,  Anerkennung  und  Würdigung  erfahrt,  welche  so  recht  eigent- 
lich als  die  Trägerin  der  Gultur  innerhalb  der  Familie  bezeichnet  zu  werden  ver- 
dient, das  ist: 

das  Weib. 


AnliaiLg  1. 

Kurzer  üeberblick  Aber  die  Tolker  und  Bässen  unseres  Erdballs. 

Bevor  ich  auf  die  Erklärung  der  Abbildungen  näher  eingehe,  möchte  ich 
dem  Leser  in  die  Erinnerung  zurückrufen,  dass  die  Menschen  in  den  verschiedenen 
Theilen  unseres  Erdballs  recht  erhebliche  Verschiedenheiten  in  ihrer  äusseren  Er- 
scheinung darbieten,  nach  welchen  man  sie  in  grosse  Gruppen,  die  sogenannten 
Rassen,  eingetheilt  hat.  Die  bekannteste  Eintheilung  des  Menschengeschlechts  ist 
die  von  dem  alten  Blumenhack  herstammende  in  5  Rassen,  in  die  kaukasische, 
die  mongolische,  die  malayische,  die  amerikanische  und  die  äthiopische 
Rasse.  Eine  genauere  Bekanntschaft  mit  den  Vertretern  dieser  5  Rassen  hat  ge- 
zeigt, dass  dieser  Eintheilung  manche  unleugbare  Mängel  anhaften,  und  dieses  hat 
wiederum  eine  ganze  Reihe  von  Forschem  bewogen,  andere  Rasseneintheilungen 
in  Vorschlag  zu  bringen.  Bald  waren  es  nur  2,  bald  3,  bald  4,  bald  6,  bald  noch 
mehr  Rassen,  welchen  man  die  allgemeine  Anerkennung  erobern  wollte.  Die 
Hautfarbe,  die  Eigenthümlichkeiten  des  Haarwuchses,  die  Schädelform  und  die 
Sprache  haben  hierbei  als  Eintheilungsprincipien  gedient. 

So  gruppirt  Häckel  die  Menschen  in  nur  2  Hauptabtheilungen,  in  die  Wo  11- 
haarigen  (Ulotriches)  und  in  die  Schlichthaarigen  (Lissotriches).  Drei 
Rassen  nahmen  bekanntlich  nach  den  Söhnen  des  Noah  die  Orthodoxen  an:  die 
Semiten,  die  Hamiten  und  die  Japhetiten.  Im  Anschlüsse  hieran  theilte 
Lafham  ein  in  die  Japhetiten,  die  Mongoliden  und  die  Atlantiden,  Hamilton 
Smith  in  die  kaukasische,  die  mongolische  und  die  tropische  Rasse.  Vier 
Rassen  stellte  Reteius  auf,  die  geradzähnigen  Langköpfe  (orthognathe 
Dolichocephalen),  die  schiefzähnigen  Langköpfe  (prognathe  Dolicho- 
cephalen),  die  geradzähnigen  Eurzköpfe  (orthognathe  Brachycephalen) 
und  die  schiefzähnigen  Kurzköpfe  (prognathe  Brachycephalen).  Auch 
Htixley  unterscheidet  4  Rassen,  die  australoide,  die  negroide,  die  xantho- 
chroische  und  die  mongoloide  Rasse.  Dumerü  endlich  nahm  ausser  den  5 
Rassen  Elumenbach's  noch  eine  sechste,  die  hyperboräische  an. 

Friedrich  Mutter  hat  es  versucht,  sich  an  Häckel  anschliessend,  die  Eigen- 
thümlichkeit  der  Haare  mit  dem  Bau  der  Sprache  gemeinsam  als  Eintheilungs- 
princip  zu  verwerthen,  und  er  scheidet  die  oben  erwähnten  beiden  jffäcierschen 
Hauptgruppen  in  die  folgenden  ünterabtheilungen : 

L  Wollhaarige  Büschelhaarige  (Lophocomi): 
Hottentotten,  Papua; 

11.  Wollhaarige  Vliesshaarige  (Ericomi): 
Afrikanische  Neger,  Raffern; 


616 


Anhang  1. 


Lon- 


III.  Schlichthaarige  Straffhaarige  (Euthycomi): 

Australier,  Arktiker  oder  Hyperborfter,   Amerikaner,  Malayen, 
golen; 
lY.  Schliclithaarige  Lockenhaarige  (Euplocomi): 
Dravida,  Nuba,  Mittellftnder. 
Einen  neuen  Versuch  einer  Basseneintheilung  des  Menschengeschlechts    Hat 
vor  einigen  Jahren  der  Pariser  Anthropologe  J.  Deniker^  gemacht.    Als  Ebiiipt- 
eintheilungsprincip  nimmt  auch  er  die  verschiedene  Beschaffenheit  der  Haare   an, 
jedoch  wird  daneben   noch   die  Farbe   der  Haut  und  der  Augen,   die  Form    der 
Nase  und  der  Lippen^   der  Qrad  der  Korperbehaarung  und  Aehnliches  mit  in  die 
Betrachtung  hineingezogen.     Auf  diese  Weise  kommt  er  zu  der  Aufstellung  toxi 
13  Rassen,  welche  wiederum  in  30  Typen  gruppirt  werden  können.    Diese  Rassezi 
und  Typen  sind  Folgende: 

I.  Bace  Boshimane  (KoY-Koin  partim.) 

Types:     1.  Boshiman. 


u. 

« 

Nigritique, 

,           2.  N^gre  (de  Soudan). 

3.  Bantou  (Zoulou). 

4.  Akka. 

III. 

yi 

Melanesienne, 

,           5.  Mflanesien  (Papou). 

IV. 

n 

Negrito, 

^           6.  Negrito. 

V. 

« 

Australienne, 

,,           7.  Australien. 

VI. 

9 

Ethiopienne 

(Kauchite,  Ghamitique  partim.), 


VU.  Race  Melanochroide, 


8.  Bedja    (Galla,     Foulla    ou    Peul, 
Nubien). 

9.  Dravida. 

10.  Indo- Atiantique  ou  Asien  (Indo-Earo- 
p^n,  Medit.  partim.). 

11.  Arabe  (Aram^en). 

12.  Berber    (Kabyle,    Fellah    d'Egypte 
partim.). 

13.  Assjnroide  (Semito-Iranien). 

14.  Rh^tien  ou   Gelto-Ligure    (Mediterr. 
partim.). 


vm. 

1» 

Xanthochroide, 

,         15.  Nordique  ou  Kymri  (Scandinave). 
16.  Kar^tien. 

IX. 

» 

Ouralo-Altaique 

(Turco-Finnoise),          , 

,         17.  Souomi  (Finnois  occid.). 

18.  Lapong. 

19.  Ougrien  (Ostjak,  Samoyede,  Finnois 
oriental,  Touba). 

20.  Türe  (Turco-Tätare,  Touranien). 

X. 

n 

Aino, 

.         21.  Aino. 

XL 

9 

Indonesienne 

(Maleo-Polynesienne),           , 

22.  Polynesien. 

23.  Mal^o-Indonesien  (Moi,  Thal,  Naga, 

Dayak,  Miao-tse). 

xn. 

9 

Mongoloide,               , 

,         24.  Mongol. 

25.  Toungouz. 

26.  Esquimaux. 

sm. 

» 

Americaine,                , 

,         27.  Peau-Rouge. 

28.  Indien  du  Sud. 

29.  Patagon. 

30.  Pal^o  -  Am^ricain    (Fu^en,    Bodo- 
cudo). 

Enrzer  üeberblick  Aber  die  Völker  und  Rassen  unseres  Erdballs.  617 

Neuerdings  versucht  dann  auch  Vemeau  eine  Rasseneintheilung,  aber  nur 
wieder  in  f&nf  Gruppen,  yon  denen  er  drei  als  Hauptzweige  und  zwei  ak  ge- 
mischte Zweige  bezeichnet.    Es  ist: 

1.  der  weisse  oder  kaukasische  Zweig, 

2.  der  gelbe  oder  mongolische  Zweig, 

3.  der  Neger-  oder  atUopische  Zweig, 

4.  die  oceanischen  Mischiassen, 

5.  die  amerikanischen  Mischrassen. 

Die  neueste  Eintheflung  der  Menschenrassen  gab  Johannes  Ranke^  im 
Jahre  1896.  Sie  unterscheidet  sich  von  allen  froheren  dadurch,  dass  sie  bemOht 
ist,  auch  die  vorgeschichtlichen  Völker  mit  in  die  Betrachtung  hineinzuziehen. 
Ranke  ist  der  Ansicht,  dass  alle  Stamme  der  Erde  in  zwei  Urrassen  zerlegt 
werden  können. 

Die  erste  Urrasse  ist  charakterisirt  »vor  Allem  durch  eine  betrachtliche 
GrÖssenentwickelung  des  Gehirns  verbunden  mit  einer  absolut  betrachtlichen  Him- 
schädelbreite;  durch  relativ  mächtig  entwickelten  Himschadel,  namentlich  im 
Verhältniss  zu  den  Kauwerkzeugen,  kleine  Zähne,  der  dritte  Molar  vielfach  ver- 
kümmert; starke  Knickung  der  Schädelbasis;  Rumpf  relativ  lang  und  breit,  Arme 
und  Beine  relativ  kürzer;  Skelett  meist  grobknochig;  Grundfarbe  der  Haut  gelb, 
einerseits  heUgelb  (gleich  weiss),  andererseits  in  braun  bis  schwarz  übergehend; 
Haare  grob  bis  massig  fein,  schlicht  bis  wellig,  lockig,  auf  dem  Querschnitt 
breit-oval  bis  annähernd  kreisrund;  die  Farbe  der  Haare  und  Augen  wechselnd, 
überwi^end  dunkelbraun  bis  schwarz,  aber  im  ganzen  Verbreitungsgebiet  der 
Rasse  finden  sich  blonde  ELaare  und  helle  bis  blaue  Augen  mehr  oder  weniger 
zahlreich.* 

Ranke  bezeichnet  die  Urrasse  als  die  gelbe,  grobhaarige,  grosshirnige 
(euencephale)  und  weitschädelige  (euricephale)  Urrasse.  Ihr  gehören 
die  Europäer,  Asiaten,  Nord- Afrikaner  und  Amerikaner  an. 

Die  zweite  Urrasse  ist  charakterisirt:  , durch  eine  geringere  GrÖssen- 
entwickelung des  Gehirns,  verbunden  mit  einer  geringeren  absoluten  Schädelbreite; 
durch  relativ  mächtig  entwickelten  Gesichtsschädel  im  Vergleich  mit  dem  relativ 
geringer  entwickelten  Gehirnschädel,  namentlich  sind  die  Kauwerkzeuge  voluminös, 
Zähne  gross,  der  dritte  Molar  meist  nicht  verkümmert;  geringere  Knickung  der 
Schädelbasis ;  Rumpf  relativ  kurz  und  schmal.  Arme  und  Beine  relativ  länger ; 
Grirndfarbe  der  Haut  dunkelbraun  bis  gelb,  andererseits  in  tie&chwarz  übergehend; 
Haare  fein,  wellig  lockig  bis  weiter  oder  eng  spiral  gerollt,  im  Querschnitt  schmal- 
oval bis  bandförmig;  die  Farbe  der  Haare  und  Augen  fast  ausschliesslich  dunkel- 
braun bis  schwarz,  im  ganzen  Verbreitungsbezirk  fehlen,  oder  finden  sich  nur  ganz 
vereinzelt,  hellere  Augen-  und  Haarfarben. 

Batike  bezeichnet  diese  zweite  Urrasse  als  die  schwarze,  feinhaarige, 
kleinhirnige  (stenencephale)  und  engschädelige  (stenocephale)  Urrasse. 
Ihr  gehören  die  Mehrzahl  der  Oceanier,  ein  Theil  der  Süd-Inder  und  Indonesier 
und  die  Mittel-  und  Süd-Afrikaner  an. 

Der  Leser  wird  aus  diesen  Aufstellungen  ersehen,  wie  ungemein  schwer  es 
ist,  zu  allgemein  zufriedenstellenden  Rassenabgrenzungen  des  Menschengeschlechts 
zu  gelangen. 

Ich  habe  es  vorgezogen,  da  bisher  keine  dieser  Rasseneintheilungen  die 
allgemeine  Anerkennung  der  Forscher  zu  erlangen  vermochte,  dem  Leser  unsere 
TTpenköpfe  nach  den  5  Erdtheilen  geordnet  vorzuf&hren.  Man  möge  hierbei  aber 
nicht  vergessen,  dass  die  Bevölkerung  eines  Erdtheils  durchaus  keine  einheitliche 
ist,  sondern  dass  man  dieselbe,  so  lange  eine  allgemeine  und  gleichmässig  aner- 
kannte Rasseneintheilung  noch  nicht  existirt,  in  eine  Reihe  von  Unterabtheüungen 
zu  sondern  pflegt.  Die  denselben  zugerechneten  Völker  sind  im  Grossen  und  Ganzen 
durch  ihre  äussere  Erscheinung  und  durch  ihre  ethnischen  Merkmale  mit  einander 


618  Anhang  1. 

eng  verbunden,  ohne  dass  man  jedoch  die  Willkür  dieser  Eintheilnng,  namentlicl: 
an  den  durch  vielfache  Vermischungen  verschwommenen  Orenzvölkem,  zu  verkennea 
vermöchte.  Immerhin  geben  sie,  wenn  auch  vom  Standpunkte  der  Rassen  kimde 
kein  absolut  richtiges,  so  doch  ein  ungefähres  und  bequem  übersichtliclies  Bild 
von  den  ethnischen  Verhältnissen  der  einzelnen  Erdtheile. 

Die  grösste  Gleichmässigkeit  in  Bezug  auf  die  Bevölkerung  finden  wir  in 
Amerika.  Hier  treffen  wir  die  Indianer  vom  höchsten  Norden  bis  zum  wLnssersten 
Süden,  von  dem  nördlichen  Eismeer  bis  zu  der  Spitze  von  Feuerland.  Je- 
doch giebt  es  auch  Anthropologen,  welche  die  nördlichsten  Völker,  die  'Eekimo 
und  ihr  Verwandten,  von  den  übrigen  Amerikanern  abtrennen  und  den  Nord- 
Asiaten,  also  den  mongolischen  Völkern  zugesellen  wollen.  Im  AUgem&nen 
trennt  man  die  Völker  Amerikas  der  grösseren  Bequemlichkeit  wegen  in  folgende 
grössere  Gruppen: 

1.  Die  Eskimo  und  die  sich  an  sie  anschliessenden  Indianer  der  Nordwest- 
küste (die  Thlinkiten,  Koloschen,  Haida,  Bella-Coola,  Qnadra, 
Quacutl-,  Aht-Indianer  u.  s.  w. 

2.  Die  Indianer  der  Vereinigten  Staaten  und  Gentral-Amerikas. 

3.  Die  Indianer  Süd-Amerikas,  unter  denen  wieder  die  Patagonier  und 
die  Peuerländer,  sowie  die  Maya-Völker,  denen  die  alten  Mexikaner 
und  die  Peruaner  angehörten,  eine  gesonderte  Stellung  einnehmen. 

Hier  schliessen  sich  noch  die  angesiedelten  Weissen,  unter  sich  verschieden 
je  nach  dem  ursprünglichen  Mutterlande,  sowie  die  amerikanischen  Neger- 
völker und  Chinesen  an. 

Die  Einwohner  Oceaniens  werden  am  besten  und  übersichtlichsten  in 
folgender  Weise  eingetheilt: 

1.   Die  Australier,   denen   man   die  jetzt   ausgestorbenen   Tasmanier  zn- 


2.  Die  Papua  und  Melanesier  (Neu-Guinea,  Neu-Britannien,  Neu- 
Irland,  die  Salomons-Inseln,  die  Neu-Hebriden,  Neu-Caledonien, 
Anachoreten,  die  Loyalitäts-Inseln  und  die  Fidschi-  oder  Viti- 
Inseln  bevölkernd.  Auch  die  Negritos  oder  Aetas  (Eetas)  der  Philip- 
pinen und  die  Mincopies,  die  Bewohner  der  Andamanen-Inseln  sind 
hierher  zu  rechnen).  Von  den  wilden  Stammen  in  Malacca,  welche 
unter  den  Namen  der  Orang  XJtan  mehrfach  im  Texte  erwähnt  worden 
sind,  gehören  die  Orang  Semang  zu  den  Negritos,  die  Orang  Belendas, 
Orang  Djäkun  und  Orang  Laut  aber  nicht. 

3.  Die  Mikronesier  (die  Gilbert-,  Kingsmill-,  Marshalls-Inseln,  die 
Karolinen-,   Pelau-,  Ladronen-  und  Marianen-Inseln   bevölkernd). 

4.  Die  Polynesier  (die  Samoa-,  Tonga-,  Ellice-,  Unions-,  Rara- 
tonga-,  Paumotu-,  Marquesas-Inseln  bewohnend).  Auch  die  Maori 
Neu-Seelands,  die  Kanaken  von  Hawaii  (Sandwichs-Inseln)  und 
die  Oster-Insulaner  müssen  als  Polynesier  angesehen  werden. 

Die  bei  weitem  grösste  Mannigfaltigkeit  in  Bezug  auf  seine  Bevölkerung 
bietet  unstreitig  Asien  dar.  Beginnen  wir  hier  mit  den  in  dem  vorstehenden 
Buche  so  vielfach  genannten  kleinen  Inseln  des  alfurischen  Meeres,  des  süd- 
östlichen Theiles  von  dem  malayi sehen  Archipel,  so  treffen  wir  schon  hier 
oft  auf  derselben  Insel  Bewohner  an,  welche  verschiedenen  Rassen  zugetheilt 
werden  müssen.  Es  handelt  sich  meist  um  Melanesier,  deren  nächste  Verwandte 
man  in  den  Australnegern  suchen  muss,  um  mongolische  Völker,  die  sieb 
den  Chinesen  anschliessen,  und  endlich  um  malayische  Völker.  Die  Haupt- 
Wohnsitze  der  Malayen  sind  die  Molukken,  die  Sunda-Inseln,  theilweise 
auch  die  Philippinen  u.  s.  w.,  und  selbst  Madagaskar  ist  zum  Theil  von 
Malayen,  den  Hovas,  bewohnt.  Die  meisten  Völker  Hinter-Indiens  werden 
als  ein  malayo-mongolisches  Mischvolk  betrachtet. 


Kurzer  üeberblick  über  die  Völker  und  Rassen  unseres  Erdballs.  glQ 

In  dem  ostHchen,  dem  ganzen  nördlichen  Theile,  sowie  in  dem  ganzen 
Gentram  des  ungeheuren  asiatischen  Continents  sitzen  die  Mongolen,  denen 
bekanntlich  die  Chinesen,  Japaner,  Tibetaner,  sowie  die  Einwohner  der 
Mongolei,  des  grösseren  Theiles  von  Turkestan  und  die  ganze  sibirische 
Bevölkerung  angehören.  Ob  auch  die  Ainos  hierher  zu  zählen  sind,  bleibt  noch 
unentschieden;  dass  aber  Einige  auch  die  Eskimo  ftir  Mongolen  erklären,  ist 
früher  bereits  angefahrt  worden. 

Die  Einwohner  Indiens  zerfallen  im  Wesentlichen  1.  in  die  Dravida- 
Stamme  (welch  letztere  man  als  die  Ureinwohner  des  Landes  betrachtet  und  zu 
denen  auch  die  Bevölkerung  Ceylons,  die  Singalesen,  Tamilen  und  Weddah 
gerechnet  werden),  und  2.  in  die  den  Ariern  angehörenden  Hindu -Völker.  Die 
letzteren  finden  sich  unvermischt  nur  noch  in  der  Kaste  der  Bajputana,  während 
die  übrigen  Hindu-Stämme  schon  ganz  erheblich  mit  Dravidablut  durchsetzt 
sind.  Mit  ihnen  verwandt  sind  auch  die  Zigeuner.  Als  Tränier,  einen  Zweig 
der  Indogermanen,  haben  wir  die  Perser,  Sarten,  Afghanen,  Beludschen, 
Kurden  und  Armenier  anzusehen,  wahrend  im  Kaukasus  ein  höchst  complicirtes 
Gemisch  von  arischen,  iranischen  und  semitischen  Völkern  ansässig  ist. 

Den  Uebergang  zu  Afrika  bilden  die  Araber,  sie  sind  Semiten,  wie 
auch  der  grössere  Theil  der  Bewohner  der  afrikanischen  Nordküste,  die  ge- 
wöhnlich als  die  Berber-Stämme  zusammengefasst  werden.  Hierher  gehören 
auch  die  Kabylen  und  die  Tuareg,  sowie  die  heutigen  Aegypter.  Die  Be- 
völkerung der  Südspitze  dieses  Erdtheiles,  die  Buschmänner  und  Hotten- 
totten, werden  von  den  übrigen  dunkelfarbigen  Afrikanern  abgetrennt,  und 
diese  letzteren  theilt  man  wieder  in  die  fast  die  ganze  Südhalfbe  des  Continents 
einnehmenden  Bau  tu -Völker  und  die  seine  centrale  Zone  occupirenden  Fulbe 
oder  Sudanneger  ein. 

Die  Bevölkerungsgruppen,  wie  sie  Europa  bietet,  könnten  wir  wohl  eigent- 
lich als  hinreichend  bekannt  übergehen.  Hier  sind  es  hauptsächlich  die  germa- 
nischen und  slavischen  Stämme  einerseits  und  die  romanischen  Stämme 
andererseits,  denen  dann  noch  die  turko-finnischen  Stämme  (Finnen,  Lappen, 
Türken  und  Magyaren)  gegenüberstehen.  Zu  erwähnen  sind  femer  noch  die 
den  alten  Kelten  entstammenden  Basken,  Irländer  und  Walliser,  sowie  die 
vielfach  mit  semitischem  Blute  durch  die  Phönizier,  Araber  und  Mauren 
gemischten  Bewohner  der  Inseln  und  Küsten  des  Mittelmeeres. 

Es  wird,  wie  ich  meine,  diese  flüchtige  Skizze  zur  ungeföhren  Orientirung 
des  Lesers  hinreichend  sein;  um  ihm  jedoch  zu  zeigen,  wo  er  in  dem  vorliegen- 
den Buche  bildliche  Darstellungen  aus  den  genannten  Bevölkerungsgruppen  zu 
finden  im  Stande  ist,  möge  die  folgende  kurze  TJebersicht  hier  noch  ihre  Stelle 
finden. 


Anhang  2. 

üebersicht  der  abgebildeten  Tolker  nnd  der  anthropologischen  und 
ethnographischen  Gegenstände. 

Die  auf  den  elf  Tafeln  dieses  Werkes  zur  Darstellung  gebrachten  99  Frauen- 
köpfe haben  den  Zweck,  dem  Leser  in  guten,  typischen  Abbildungen  Vertrefcerinnen 
des  weiblichen  Oeschlechts  aus  allen  WelttheUen  und  von  allen  Rassen  vorzu- 
fahren.  Es  ist  hierbei  eine  ganz  besonders  grosse  Sorgfalt  auf  genaue  Portrat- 
ahnlichkeit  gelegt  worden,  und  daher  wurden  diese  Kopfe  ausnahmslos  nach  guten 
photographischen  Aufnahmen  gezeichnet.  Ebenso  wurden  die  Textabbildungen 
soviel  als  irgend  möglich  nach  scharfen  Photographien  gefertigt.  Hier  hat  sich 
aber  aus  leicht  begreiflichen  Gründen  dieses  Princip  nicht  für  alle  Fälle  durch- 
ftihren  lassen;  jedoch  wurde  niemals  von  demselben  abgewichen,  wo  es  dai;^uf 
ankam,  anthropologische  Einzelheiten  und  Feinheiten  des  Gesichtes  oder  des 
Körpers  zur  Darstellung  zu  bringen.  Es  sind  folgende  Lander  in  den  AbbUdungen 
vertreten: 

Europa. 

Germanische  Tolker: 

Deutsohland:  Fig.  1.  S.4.    Fig.  9.  S.  12.    Fig.  10.  S.  12.    Fig.  14.  S.16.    Fig.  15. 

S.  17.    Fig.  19.  S.  22.    Fig.  20.  S.  24.    Fig.  64.  S.  120.    Fig.  72.  S.  127. 

Fig.  166.    S.  302.     Fig.  168.    S.  805.     Fig.  169.    S.  306.     Fig.  395.  IL 

S.  537. 
Ethnographisches   und    Gulturgeschichtliches:   Fig.  2.    S.  5.      Fig.  115. 

S.206.    Fig.  116.  S.  210.    Fig.  183.  S.  370.    Fig.  185.  S.  379.    Fig.  186. 

S.380.    Fig.  187.  S.  381.    Fig.  188.  S.  382.    Fig.  189.  S.  382.    Fig.  206. 

S.442.    Fig.  210.  S.446.    Fig.  216.  S.476.    Fig.  217.  S.477.    Fig.  225. 

S.563.    Fig.  227.  S.290.    Fig.  236.  S.606.    Fig.  242.  S.617.    Fig.  243. 

S.  618.     Fig.  244.    S.  619.     Fig.  245.    S.  621.     Fig.  304.  ü.    S.  245. 

Fig.  318.  n.     S.  296.      Fig.  324.  H.     S.  304.      Fig.  325.  U.    S.  305. 

Fig.  329.  IL     S.  316.     Fig.  334.  IL     S.  339.      Fig.  338.  H.     S.  345. 

Fig.  339.  n.     S.  346.      Fig.  383.  U.     S.  487.      Fig.  385.  IL     S.  513. 

Fig.  399.  U.     S.  541.      Fig.  400.  IL     S.  541.      Fig.  401.  U.     S.  542. 

Fig.  402.  IL     S.  557.     Fig.  403.  U.     S.  559.     Fig.  410.  IL     S.  580. 

Fig.  411.  n.  S.  581. 
Oesterreioh,   Salzburg,   Tyrol,   Steyermark:   Fig.  11,    S.  13.     Fig.  16.    S.  19. 

Fig.  18.  S.  21.    Fig.  82.   S.  142.    Fig.  91.  8.  S.152.    Fig.  92.  2.  S.153. 

Fig.  93.  5.    S.  154.     Fig.  94.  S.  156.     Fig.  118.  a.  S.  216.     Fig.  126.  a. 

S.  225.    Fig.  126.  c.  S.  225.    Taf.VU.  2. 
Ethnographisches:  Fig.  222.  S.  556. 


üebersicht  der  abgebildeten  Volker  und  der  anthropolog.  u.  ethnograph.  Gegenet&nde.    621 

mederlande: 

Ethnographisches  and  Gulturgeschichtliches:  Fig.  211.  S.  447.    Fig. 213. 
8.  463.    Fig.  287.  S.  607.    Fig.  404.  II.  8.  561. 

Slavlsche  Yolker: 

-Wendel:  Fig.  23.  8.  54. 

GtaUiien,  Walachei:  Taf.  II.  4.     Taf.  ü.  6. 

Sussland:  Fig.  108.  8. 182.    Fig.  144.  8.  247. 

Ethnographisches:  Fig.  142.  8.  245.    Fig.  305.  II.  8.  350. 

Bosnien:  Mg.  49.  8.  106.     Taf.  U.  5. 

Ethnographisches:  Fig.  418.  IL  8.  591.    Fig.  420.  U.  8.  607. 

Bomanische  Tolker: 
ItaUen:  Taf.  n.  2.    Taf.  YD.  S. 
Ethnographisches  and  Galtargeschichtliches:  Fig.  3.  8.  6.    Fig.  4.  8.  7. 

Fig.  117.  S.  212.    Fig.  145.  S.  248.    Fig.  146.  8. 249.    Fig.  192.  8. 404. 

Fig.  205.  8.441.    Fig.  207.  8.443.    Fig.  208.  8.444.    Fig.  209.  8.445. 

Fig.  228.  8.591.    Fig.  238.  8.608.    Fig.  240.  8.610.    Fig.  257.  8.682. 

Fig.  300.  IL  8.181.    Fig.  319.  IL  8.297.   Fig.  320.  H.  8.298.    Fig.  331. 

n.   8.  324.     Rg.  335.  IL    S.  34L     Fig.  336.  II.  S.  343.     Fig.  337.  IL 

8.  344.    Fig.  416.  IL  8.  589. 
Spanien:  Taf.  U.  8. 
Frankreich,  Belgien: 
Ethnographisches  and  Galtargeschichtliches:  Fig.  282.  8.603.    Fig.  241. 

8.  611.    Fig.  342.  IL  8.  368.    Fig.  391.  K  8.  525. 

Tnrko>Finni8che  Tolker: 

TTÄgam:  Fig.  98.  8.  8.  158.    Fig.  118.  b.  8.  216.    Fig.  119.  c.  8. 217.    Fig.  119.  d. 
8.  217.    Fig.  126.  b.    8.  225.    Fig.  129.  a.   8.  229.    Fig.  129  b.   8.  229. 
.  Fig.  129  c.  8.  229. 
Ethno'graphisches:  Fig.  419.  II.  8.  600. 
Iiappland,  Finnland,  Ehstland:  Fig.  149.  8.  270.  Taf.  II.  7.   Taf.  II.  8.   Taf.  IL  9. 

Arische  Mischyolker: 
Gypem: 

Ethnographisches:  Fig.  299.  II.  8.  179. 

arieohenlaad:  Fig.  91  5.  8.  152. 

Äigenner:  Fig.  407.  II.  8.  574.      Taf.  IL  1. 

Ethnographisches:  Fig.  190.  8.384.  Fig.  191.  8. 384.  Fig.  28L  8. 602.  Fig.  253. 

8.  637. 

Afrika. 

Aegypten,  Abysslnien,  Algler,  Tanis,  Berberei: 

Fig.  12.  8.14.   Fig.  13  8.15.   Fig.  24.  8.55.   Fig.  63.  8.119.   Fig.  87.   8.147. 

Fig.  92.  4.  8.153.    Fig.  92.  6.  8.153.    Fig.  124.  8.222.   Fig.  141.  8.243. 

Fig.  182.  8.368.   Fig.  203.  8.489.  Fig.  204.  8.440.  Fig.  368.  H.  8.424. 

Fig.  371.  n.  8.429. 
Taf.  L  7.  8.  9.  Taf.  VIL  4.  Taf.  IX.  1.  Taf.  XL  7. 
Ethnographisches:  Fig.  101.   S.  161.     Fig.  181.   8.  367.     Fig.  259.  II.   S.  8. 

Fig.  298.  IL  8.177,  Fig.  362.  H.  8.391.  Fig.  377.  H.  8.481.  Fig.  378.  IL 

8.  482. 

Sadan: 
Fig.  84.  8.81.    Fig.  53.  8.110.    Fig.  90.  8.151.    Fig.  91.  1.  8.152.   Fig.  91.  4. 

8.152.    Fig.  91  6.  8.152.    Fig.  92.  7.  8.153.   Fig.  99.  8.159.    Fig.  107. 

8.176.    Fig.  109.  S.  185.   Fig.  110.  8. 188.  Fig.  128.  d.  8. 221.   Fig.  125. 


622  Anhang  2. 

S.  224     Fig.  130.  c.   S.  230.     Fig.  131.   S.  231.    Fig.  132.  c    S.  232. 
Fig.  148.  S.  267.     Tat  L  6. 
Ethnographisches:  Fig.  106.  S.  173.    Fig.  262.  IL  S.  35.     Fig.  263.  IL  S.  36. 

Oestliche  Banta-Tolker: 

Fig.  40.  8.   S.  97.    Fig.  54.  1.   S.  111.    Fig.  54.  8.   S.  111.    Fig.  54.  5.   S.  111. 

Fig.  92.  6.    S.  153.     Fig.  93.  4.   S.  154.     Fig.  100.    S.  160.     Fig.  164. 

S.  287.    Fig.  308.  n.  S.  257.    Fig.  316.  IL  S.  282.    Fig.  322.  IL  S.  300. 
Ethnographisches:  Fig.  54  4.  S.  111.    Fig.  54  6.  S.  111.    Fig.  321  H.  S.300. 

Fig.  323.  n.  8.301.    Fig.  355.  5.  H.  S.  382.    Fig.  363.  U.  S.  398. 

Westliche  Bantu^Tolker: 

Fig.  52.  S.  109.     Fig.  66.  S.  122.    Fig.  83.  S.  144    Fig.  95.  S.  156.    Fig.  132. 

S.232.     Fig.  134  8.234    Fig.  136.  8.236.    Fig.  140.  S.  241.    Fig.  150. 

8.271.    Fig.  152.  8.274.    Fig.  155.  8.277.    Fig.  156.  8.278.    Fig.  162. 

8.  284     Fig.  163.   8.  286.     Fig.  171.   8.  325.     Fig.  301.  IL   8.  193. 

Fig.  370.  IL  8.  427. 
Taf.  L  4.  6.    Taf.  IX.  2.    Taf.  X.  2.    Taf.  XL  1.  2.  8.  8. 
Ethnographisches:  Fig.  32.  8.79.    Fig.  33.  8.80.    Fig.  55.  8. 112.    Fig.  219. 

8.  516.     Fig.  302.  H.  8.  195.     Fig.  309  H.  8.  259.     Fig.  310  U.  8.  259. 

Fig.  346.  n.  8.370.    Fig.  349.  D.  8.371.    Fig.  384  H.  8.509. 

Bnschmann-Hottentotteii-  nnd  EafferToIker: 

Fig.  5.  8.  8.    Fig.  17.  8.  20.    Fig.  50.  8. 107.    Fig.  81.  8. 140.    Fig.  88.  8. 148. 

Fig.  92.  9.   8.  153.     Fig.  93.  6.    8.  154     Fig.  93.  7.    8.  154     Fig.  96. 

8.  157.    Fig.  97.  8. 158.    Fig.  98.  8.  159.    Fig.  102.  8.  167.     Fig.  103. 

S.168.   Fig.  120.  8.218.    Fig.  121.  8.219.    Fig.  133.  a.  8.233.  Fig.  135. 

8.235.  Fig.  158.  8.280.  Fig.  160.  8.282.  Fig.  161.  8.283.  Fig.165.a-d. 

8.  289.    Fig.  354  n.  8.  381.    Fig.  369  ü.  8.  426. 
Taf.  L  1.  2.  8.  Taf.  IX.  3.   Taf.  XL  9. 
Ethnographisches:  Fig.  104  8.  171.    Fig.  218.  8.  482. 

Asien. 

Persien,  Syrien: 

Taf.  VI.  8. 

Ethnographisches:  Fig.  353.  U.  8.  380. 

Transkanliasieii,  Turkestan,  Sibirien: 

Ta£  V   1.  2.  8.  4  6   6.  7  8   9      Taf  VI    9. 

Ethnographisches:  Fig.  229.    8.  594.     Fig.  230.   S.  595.     Fig.  268.  IL   8.  67. 
Fig.  311.  n.  8.263.    Fig.  326.  IL  8.310.    Fig.  405.  H.  S.  566. 

Ainos,  Formosa,  Tibet,  Annam,  Siam: 

Fig.  40.  5.  8.97.    Fig.  40.  8.  8.97.    Fig.  48.   8.105.  Fig.  250.  8.627.  Fig.  327.  IL 

8.314    Fig.  357.  IL  8.383.    Fig.  375.  IL  8.435. 
Taf.  VI.  2.  8.  4.    Taf.  VIL  5. 
Ethnographisches:  Fig.  45.  8.  101.    Fig.  306.  IL  S.  264.    Fig.  307  IL  8. 254 

Fig.  366  IL  8.  411.    Fig.  392  IL  S.  531. 

Gliina,  Japan: 

Fig.  27.  8.70.    Fig.  28.  8.71.    Fig.  70.  8.126.    Fig.7L  8.127.    Fig.  73.  8.127. 

Fig.  74.  8.  128.     Fig.  75.   8.  129.     Fig.  86.   S.  146.     Fig.  89.   8. 149. 

Fig.  330.  IL  S.  319.    Fig.  333.  U.  8. 327. 
Taf.  VII.  6.    Taf.  VIII.  1.  6.  8.    Taf.  X.  7. 


Uebersicht  der  abgebildeten  YOlker  und  der  anthropolog.  u.  ethnograph.  GegensiAnde.    623 

Ethnographisches:  Fig.  29.  S,  73.  Fig.  37.  S.  92.  Fig.  76.  S.  130.  Fig.  193. 
S.412.  Fig.  194.  S.413.  Fig.  195.  S.414.  Fig.  196.  S.424.  Fig.  199. 
S.434.  Fig.  200.  S.  435.  Fig.  201.  S.  436.  Fig.  202.  S.  437.  Fig.  214. 
S.471.  Fig.  220.  S.548.  Fig.  223.  S.558.  Fig.  235.  S.605.  Fig.  246. 
S.  623.  Fig.  247.  S.  624.  Fig.  254.  S.  260.  Fig.  255.  S.  662.  F^.  256. 
S.  663.  Fig.  266.  IL  S.  53.  Fig.  267.  H.  S.67.  Fig.  313.  H.  S.  276. 
Fig.  332.  n.  S.  325.  Fig.  358.  H.  S.  384.  Fig.  359.  U.  S.  385.  Fig.  364. 
II.  S.  408.  Fig.  365.  fl.  S.  409.  Fig.  409.  IL  S.  579.  Fig.  412.  H. 
S.  583.    Fig.  413.  H.  S.  584.    Fig.  414.  IL   S.  585. 

Indien,  Indonesien: 

Fig.  6.  S.  9.    Fig.  21.  S.  40.    Fig.  22.  S.  41.    Fig.  38.  S.  93.    Fig.  40.  1.  S.  97. 

Fig.  42.  S.  98.     Fig.  59.  S.  116.     Fig.  65.   S.  121.     Fig.  91.  3.  S.  152. 

Fig.  92.  3.  S.  153.     Fig.  93.  2.  S.  154.     Fig.  93.  8.  S.  154.     Fig.  122.  a. 

S.  220.    Fig.  122.  b.  S.  220.     Fig.  130.  a.  S.  230.     Fig.  133.  b.   S.  233. 

Fig.  137.  S.237.    Fig.  151.  S.272.    Fig.  153.  S.275.    Fig.  154.    S.276. 

Fig.  184.  S.  374.    Fig.  197.  S.  431.    Fig.  198.  S.  433.    Fig.  224.  S.  559. 

Fig.  226.  S.  585.    Fig.  355.  H  S.  382.    Fig.  372.  IL  S.  431.    Fig.  373. 

n.  S.  432.   Fig.  373.  U.  S.  432.    Fig.  374.  IL  S.  433.    Fig.  376.  H.  S.  437. 

Fig.  379.  n.  S.  483.    Fig.  387.  n.  S.  516.    Fig.  388.  H.  S.  518.    Fig.  398. 

n.   S.  540. 
Taf.  VI.  5.  6.  7.   Taf.  VIL  7.    Taf.  VUI.  4.  8.    Taf.  IX.  9.    Taf.  X.  8.  9. 
Ethnographisches:  Fig.  35.  S.  84.    Fig.  36.   S.  85.    Fig.  77.  S.  137.    Fig.  80. 

S.139.    Fig.  111.  S.199.   Fig.  143.  S.  246.    Fig.  251.  S.632.   Fig.  252. 

S.  635.     Fig.  261.  IL   S.  28.     Fig.  264.  TL   S.  44.     Fig.  269.  H.   S.  83. 

Fig.  303.  n.  S.  219.    Fig.  315.  H.  S.281.    Fig.  340.  IL  S.359.    Fig.  341. 

IL  S.  360.     Fig.  389.  IL  S.  520.     Fig.  390.  IL  S.  521.     Fig.  415.  ü. 

S.  587. 

Amerika. 
Weisse:  Fig.  167.  S.  303. 

Nord-  nnd  Xordwest-Tolker: 

Fig.  47.  S.  104.    Fig.  54.  2.  S.  111.    Fig.  380.  IL  S.  484. 
Taf.  III.  2. 

Ethnographisches:  Fig.  170.  S.  323.     Fig.  172.  S.  332.    Fig.  347.  H.  S.  370. 
Fig.  351.  U.  S.  379.    Fig.  352.  H.  S.  380.    Fig.  417.  IL  S.  590. 

Nord- Amerika: 

Fig.  31.  S.  77.     Fig.  56.  S.  113.     Fig.  123.  c   S.  221.     Fig.  128.    S.  228.    Fig. 

312.  n.  S.  271.    Fig.  317.  U.  S.  283.    Fig.  355.  2.  IL  S.  382.    Fig.  361. 

n.  S.  387.     Fig.  381.  n.  S.  485.     Fig.  386.  IL  S.  514.     Fig.  408.  IL 

S.  575. 
Taf.  m.  1.  3.    Taf.  VII.  1. 
Ethnographisches:   Fig.  147.    S.  251.     Fig.  173.    S.  345.     Fig.  215.    S.  472. 

Fig.  248.  S.  625.    Fig.  265.  U.  S.  46. 

Central-  nnd  Sfld-Amerika: 

Fig.  25.  S.56.    Fig.  26.  S.61.    Fig.  43.  S.99.    Fig.  60.  S.  117.    Fig.  67.  S.  123. 

Fig.  68.  S.124.    Fig.  69.  S.  125.    Fig.  178.  S.361.    Fig.  314.  IL  S.  278. 

Fig.  328.  IL   S.  315.     Fig.  345.  IL    S.  369.     Fig.  355.  3.  4.  IL   S.  382. 

Fig.  360.  n.  S.  386.    Fig.  382.  IL  S.  486.    Fig.  406.  H.  S.  572. 
Taf.  UI.  4.  6.  6.  8.    Taf.  Vm.  5.     Taf.  IX.  4.  5.     Taf.  X.  4.  6. 


624  Anhang  2. 

Ethnographisches:  Fig.  84.  S.  145.    Fig.  85.  S.  146.    Fig.  253.  S.  604.     Fig. 
254.  S.  604.    Fig.  356.  H.  S.  383. 

Patagonien,  Feuerland: 

Fig.  179.  S.  362.    Fig.  180.  S.  363. 

Taf.  m.  7.  9.     Taf.Vm.  2.  3.     Taf.  IX.  6.     Taf.  X.  5. 

Oceanien. 

Australisches  Festland: 

Fig.  8.  S,  11.     Fig.  30.  S.  75.     Fig.  40.  6.  S.  97.     Fig.  51.  S.  108.     Fig.  91.  2. 

S.  152.    Fig.  130.  b.  S.  230.    Fig.  138.  S.  239.    Fig.  157,  S.  279.     Fig. 

343.  IL  S.  368. 
Taf.  IV.  1. 

Melanesien: 

Fig.  7.    S.  9.     Fig.  39.    S.  96.     Fig.  40.  2.    S.  97.     Fig.  40.  7.    S.  97.     Fig.  41. 

S.  98.    Fig.  58.  S.  115.     Fig.  61.  S.  118.    Fig.  62.  S.  118.     Fig.  93.  1. 

S.  154.    Fig.  193.  8.  S.  154.     Fig.  127.  b.   S.  226.     Fig.  127.  c.    S.  226. 

Fig.  159.  S.  281.    Fig.  344.  II.  S.  369. 
Taf.  IV.  2.  8.    Taf.  IX.  8.    Ta£  XI.  4.  6. 
Ethnographisches:   Fig.  105.    S.  172.     Fig.  174.    S.  353.     Fig.  175.    S.  354. 

Fig.  176.  S.  355.    Fig.  177.  S.  356.    Fig.  249.  S.  625. 

Hikronesien: 

Fig.  57.  S.  114.    Fig.  92.  1.  S.  153.    Fig.  396.  H.  S.  538. 
Taf.  IV.  4.  5.  6. 

Ethnographisches:   Fig.  44.    S.  100.     Fig.  112.    S.  200.     Fig.  113.    S.  201. 
Fig.  114.  S.  202. 

Polynesien: 

Fig.  40.  4.  S.  97.    Fig.  79.  S.  139.    Fig.  91.  7.  S.  152.    Fig.  127.  a.  S.  226.    Fig. 

139.    S.  240.     Fig.  212.    S.  459.     Fig.  350.  II.   S.  372.     Fig.  367.  IL 

S.  420.    Fig.  394.  U.  S.  536. 
Taf.  IV.  7.  8.  9.    Taf.  VU.  8.  9.    Taf.  X.  3.    Taf.  XI.  5. 
Ethnographisches:   Fig.  46.    8,103.     Fig.  78.  S.  138.     Fig.  258.    S.  701. 

Fig.  260.  IL  S.  8. 


Anhang  3. 

Erkltnmg  der  Tafeln  und  der  Text-Abbildnngeii. 

A.  Die  Tafel -Abbildungen. 

Tafel  I.    AMkanerixmen. 

1.  Hottentottin,  Dienerin  des  berflhmten  Beb  ut  ho -Häuptlings  Sekokuni  yom  Stamme 
der  Bapedi. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitse  des  Herausgebers. 

2.  Junge  BuBchmannsfrau  aus  der  Gegend  des  Ngami-Sees. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herrn  Missionsdirectors  Dr. Ä,  Schreiber  in  B  arme  n. 
8.   Xosa-Eafferfrau. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

4.  Loango-Negerin. 

Nach  einer  yon  Dr.  Falkenstein  aufgenommenen  Photographie;  im  Besitze  des  Herrn 
Geheimen  Sanitfttsrath  Dr.  Werner  in  Berlin,  aus:  Die  Loango-Küste  in  72  Original- 
Photographien,  nebst  erläuterndem  Text  von  Dr.  FaXkensiein.    Berlin.    1876. 

5.  Gongo-Negerin. 

Nach  einer  yon  dem  Photographen  der  k.  k.  österreichischen  Mission  nach  Ost-Asien, 
Wühdm  Burger y  gefertigten  Photographie  im  Besitze  der  Anthropologischen  Gesell- 
Schaft  yon  Berlin. 

6.  Somali-Frau. 

Nach  einer  yon  Charles  Nedey  (Aden)  gefertigten  Photographie  im  Besitze  der  Anthro- 
pologischen Gesellschaft  yon  Berlin. 

7.  Berber-Frau. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  der  Anthropologischen  GeseUschafb  von  Berlin. 

8.  Junge  Abyssinierin. 

Nach  einer  yon  Dr.  BudUa  aufgenommenen  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Vergleiche: 
22.  Buchta:  Die  oberen  Nil-Länder.    Volkstjpen  und  Landschafben,  dargestellt  in 

160  Photographien.    No.  12.    Berlin.    1881. 

9.  Junge  Ghawizi  (ägyptische  Zigeunerin)  auf  einem  Nildampfer  aufgenommen. 

Nach  einer  Momentphotographie  im  Besitze  der  Anthropologischen  Gesellschaft  yon 
Berlin. 

Tafel  n.    Enropfterlnnen. 

1.  Griechin  aus  Attika. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

2.  Italienerin. 

Nach  einer  yon  Carl  Günther  (Berlin)   aufgenommenen  Photographie   im  Besitze   des 
Herausgebers. 
8.  Spanierin. 

Nach  einer  yon  Carl  CHin^her  (Berlin)   aufgenommenen  Photographie   im  Besitze   des 
Herausgebers. 
PloBS-Bartels,  Das  Weib.   5.  Aufl.    n.  40 


626  Anhang  3. 

4.  Walachisches  Bauernmädchen  aus  Rumänien. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  der  Anthropologischen  Gesellschafb  von  Berlin. 

5.  Bosniakin,  griechisch-katholisches  Mädchen,  sogenannte  Serbin. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herau$gd)€r8, 

6.  Galizierin  aus  der  Gegend  von  Erakau. 

Nach  einer   von  J.  Krieger  (Erakau)   aufgenommenen  Photographie   im   Besitze     des 
Herausgehtrs, 

7.  Finnin,  Mädchen  von  Earasjok  in  Finmarken. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgehers. 

8.  Ehstin. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  der  Anthropologischen  Gesellschaft  von  Berlin. 

9.  Fjeld-Lappen-Frau   aus  Eautokeino   am   Altenfjord  im  norwegischen    Axate 
Finmarken. 

Nach  einer  von  J.  M,  Jacoben  (Hamburg)  aufgenommenen  Photographie  im   Besitze 
des  Herausgd^ers. 

Tafel  in.    Amerikanerinnen. 

1.  Comanche-lndianerin.    (Indian  Territory.) 

Nach  einer  photographischen  Aufiiahme   im  Besitze   der  Berliner   anthropologischen 
Gesellschaft. 

2.  Eskimo-Frau   aus  Labrador   (aus  der  von   Karl  Hagenbeck  in  Berlin   gezeigten 
Truppe). 

Nach  einer  von  J.  M.  Jaoobsen  (Hamburg)  aufgenommenen  Photographie  im  Besitze 

des  Herausgebers, 
8.   Siouz-Indianerin. 

Nach  einer  von  Carl  Günther  (Berlin)   angenommenen   Photographie   im  Besitze  de6 

Herausgebers» 

4.  Mayonishas-Indianerin  vom  Bio  Palcäzu  j  Piches,  Peru. 

Nach  einer  photographischen  Aufaahme  von  Georg  HÜbner,  im  Besitze  des  Herausgebers, 

5.  Goroados-  oder  Gayenganga- Indianerin    (Provinz   Paranä    und    Rio   Grande, 
Brasilien. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze   der  Berliner   anthropologiflchen 
Gesellschaft. 

6.  Guyana-Indianerin,  ungefähr  25  Jahre  alt. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  Herausgehers, 

7.  Feuerländerin  (von  der  von  Karl  Hagenbeek  in  Berlin  gezeigten  Truppe). 

Nach   einer  von  Pierre  PeUt  (Paris)   angenommenen   Photographie   im   Besitze    des 
Herausgebers. 

8.  Araucanierin. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 
d.   Patagonierin  vom  Stamme  der  Havaniken  aus  Punta  Arenas. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme   von  Carl  Günther  (Berlin)   im   Besitze    d^ 
Herausgebers. 

Tafel  IV.    Ooeanierinnen. 

1.  Australierin  von  Nord-Queensland.    (Melanesierin.) 

Nach  einer  von  Tuttle  (Sydney)  aufgenommenen  Photographie  im  Richard- Neuhauss- 
Album  der  Anthropologischen  Gesellschaft  von  Berlin. 

2.  Frau  von  den  Neu-Hebriden  (Melanesien). 

Nach   einer  von  Wiüiams  (Honolulu)   aufgenommenen  Photographie  im  Besitze  der 
Anthropologischen  Gesellschaft  von  Berlin.    (Richard  Neuhauss-Album  No.  147.) 
8.   Yiti-Insulanerin  (Melanesien). 

Nach  einer  von  Alfred  Dufty  (Sydney)  aufgenommenen  Photographie  im  Besitze  des 
Herrn  Dr.  Bahse  (Leipzig). 

4.  Eings-Mill-Insulanerin  (Mikronesien)  von  Jazawa. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  der  Anthropologischen  GeseUschaft  von  Berlin. 

5.  Gilbert-Insulanerin  (Mikronesien)  von  der  Insel  Maiana  (Hall  Island). 

Nach  einer  von  Dr.  Otto  Fins^  (Delmenhorst)  aufgenommenen  PhotograpMe  im  Be- 
sitze der  Anthropologischen  Gesellschaft  von  Berlin. 


A.  Die  Tafel-Abbildungen.  627 

6.  Marianen-lnsulanerin  (Mikronesien)  von  der  Insel  Saipan. 

Nach  einer  von  G.  Eiemer,  Zahlmeister  S.  M.  S.  Hertha  aufgenommenen  Photographie 
im  Besitze  des  Herausgebers, 

7.  Maori-Frau  von  Nen-Seeland  (Polynesien). 

Nach  einer  von  Pulman  aufgenommenen  Photographie  im  Besitze  der  Berliner  anthro- 
pologischen Gesellschaft.    (Eichard  Neuhauss-Ätbutn,) 

8.  Hawaii-Insulanerin  von  Honolulu  (Polynesien). 

Nach  einer  von  Williams  (Honolulu)   aufgenommenen  Photographie   im   Besitze   der 
Anthropologischen  Gesellschaft  von  Berlin.    {Bithard  Neuhauss-Älbum  No.  197.) 

9.  Tonga-Insulanerin  (Polynesien). 

Nach  einer  von  G,  Biemer,  Zahlmeister  S.  M.  S.  Hertha  aufgenommenen  Photographie 
im  Besitze  des  Herausgebers. 

Tafel  V.    Asiatinnen. 

1.  Kara-Ealmflckin,  19  Jahre  alt,  aus  dem  Distrikt  von  Euldscha  (Mandschurei). 

Nach  einer  von  Kasanski  (Taschkent)  aufgenommenen  Photographie  im  Besitze  der 
G^eUschafb  fQr  Erdkunde  in  Berlin. 

2.  Tatarin. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Professor  Dr.  W,  Joest  in  Berlin. 
8.    Kirgisin,  36  Jahre,  aus  Taschkent  (Turkestan). 

Nach  einer  von  Kasanski  (Taschkent)  angenommenen  Photographie  im  Besitze  der 
G^ellschaft  f&r  Erdkunde  in  Berlin. 

4.  Jakutin  im  Hausanzuge. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Professor  Dr.  W.  Joest  in  Berlin. 

5.  Tungusin. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Professor  Dr.  W.  Joest  in  Berlin. 

6.  Üezbekin,  18  Jahre  alt,  aus  dem  Distrikt  Zerwaschan. 

Nach  einer  von  Kasansiu  (Taschkent)  aufgenommenen  Photographie   im  Besitze   der 
Gesellschaft  für  Erdkunde  in  Berlin. 

7.  Mandjurin,  44  Jahre  alt,  aus  dem  Distrikte  von  Euldscha  (Dschungarei). 

Nach  einer  von  Kasanski  (Taschkent)   aufgenommenen  Photographie  im  Besitze  der 
Gesellschaft  für  Erdkunde  in  Berlin. 

8.  Golden-Frau,  Amur-Mfindnng. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Professor  Dr.  W,  Joest  in  Berlin. 

9.  Giljaken-Frau  ans  Ost-Sibirien  von  der  Mündung  des  Amur. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Tafel  VI.    Asiatinnen. 

1.  Javanische  Prinzessin  im  alten  Hofcostüm.    ^ 

Nach  einer  von  Gapilftn  L,  F,  M,  Schulze  (B  ata  via)  aufgenommenen  Photographie  im 
Besitze  des  Herrn  Geheimen  Sanitätsrath  Dr.  Ludwig  Asehoff  in  Berlin. 

2.  Tibetanerin. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

3.  Annamitische  Frau  (Hinter-Indien). 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

4.  Frau  aus  Spiti  (im  Himalaya). 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

5.  Tamil-Mädchen  von  Golombo  (Ceylon). 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

6.  Lepscha-Frau  aus  Sikhim  im  Himalaya. 

Nach  einer  Photographie  in  F.  Watson  und  W.  Kaye:  The  People  of  India.    Vol.  L 
Tafel  48. 

7.  Parsi-Frau  aus  Calcutta. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

8.  Syrierin  aus  Bethlehem. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

9.  Sartin,  15  Jahre  alt,  aus  Taschkent  (Turan). 

Nach  einer  von  Kasanski  (Taschkent)  aufgenommenen  Photographie   im  Besitze  der 
Gesellschaft  ftlr  Erdkunde  in  Berlin. 

40» 


628  Anhang  8. 

Tafel  VIL    Alte  Frauen. 

1.  Brule-Sioux-Indianerin  (Nord-Amerika). 

Nach    einer  phoiographischen  Anfiiahme   yon  Carl  Günther  (Berlin)   im   Besitze    de^ 
Herausgebers. 

2.  Tyrolerin  aus  Deffreggen  (Süd-Tyrol). 

Nach   einer  von  Georg  Egger  (Lienz)   aufgenommenen  Photographie   im   Besitse    de* 
Herausgebers. 

3.  Sfld-Italienerin. 

Nach  einer  von  W.  v,  Gloeäen  aufgenommenen  Photographie  im  Besitze  des  Herata- 
gebers. 

4.  Araherin  aus  Aegypten. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

5.  Bhotia-Frau  aus  der  Gegend  von  L^Hassa  (Gross -Tibet). 

Nach  einer  Photographie  aus  Watsan  und  Kaye:  The  People  of  India.    Tafel  55. 

6.  Japanerin. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

7.  Frau  aus  Ladak  im  Himalaya  (Mittel-Tibet). 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

8.  Eanakin  aus  Honolulu  (Hawaii-  oder  Sandwichs-Inseln)  (Polynesien). 

Nach  einer  von  Dr.  Bichard  Neuhauss  (Berlin)  aufgenommenen  Photographie  im  Besiiae 
des  Herausgebers. 

9.  Maori-Frau  aus  Neu-Seeland. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgthers. 

Tafel  YIII.    Misohlinge. 

1.  Mischling  von  einem  Chinesen  und  einer  vrilden  Formosanerin. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

2.  Mischling  von  einem  Europäer  und  einer  Chinesin.    China. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Professor  Dr.  Wilhelm  Joest  in  Berlin. 
8.   Mischling  von  einem  Chinesen  und  einer  Hawaiierin.    Prostituirte  aus  Honolnla, 
ungefähr  14  Jahre  ali 
Nach  einer  Photographie   von  Wiüiatns  in  Honolulu,  Hawaii-Inseln,  im    Besitze 
des  Dr.  Bkhard  Neuhauss  in  Berlin. 

4.  Mischling  (Lip-lap)  von  einem  Europäer  und  einer  Malayin.    Java. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Dr.  Arthur  Baessler  in  Berlin. 

5.  Mischling  (Cafusa)  von  Indianer-  und  Neger-Rasse.    Rio  Janeiro. 

Nach  einer  Photographie  des  anthropologisch-ethnologiBchen  Albums  von  C.  Dammann. 

6.  Mischling  von  einem  Europäer  und  einer  Eanakin  von  Hawaii. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme   von  Carl  Günther  in  Berlin   im  Besitze    des 
Herausgebers. 

7.  Mischling  von  einem  Europäer  und  einer  Maurin.    Marokko. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Dr.  Freiherrn  von  Oppenheim  in  Berlin. 

8.  Mischling  (Sanglee)  von  einem  Chinesen  und  einer  Tagalin.    Philippinen. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Professor  Dr.  Wilhelm  Joest  in  Berlin. 

9.  Mischling  (Andjera)  von  Berbern  und  Arabern.    Marokko,  bei  Tanger. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Dr.  Freiherm  von  Oppenheim  in  Berlin. 

Tafel  IX.     Das  Weib  im  Eindesalter. 

1.  Kleine  Algerierin  aus  armer  Familie. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

2.  D ah ome -Mädchen,  West-Afrika,  8  Monate  alt. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Carl  Q^Srnther  (Berlin),  im  Besitze  des 
Herausgd>ers. 
8.  Kleines  Buschmann- Mädchen  im  Alter  von  8  Jahren. 
Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

4.  Guyana-Indianerin,  6  Jahre  alt 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

5.  Kleine  Araucanierin  von  Concepcion  in  Chile. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 


A.  Die  Tafel-Abbildungen.  629 

6.    Feuerlftnderin,  6  Jahre  alt. 

Nach  einer  Autotypie  in  Hyadea  et  Deniker:  Mission  scientifique  au  Cap  Hörn«    Paris. 
1891.    pl.  XVII. 
..    Beggar-M&dchen,  Ost-Indien. 

Nach  einer  photQgraphischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgehers. 

8.  Kleines  Negrita-Mftdchen  von  den  Philippinen. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Professor  Dr.  Wilhekn  Joest  in  Berlin. 

9.  Kleines  Hindu-M&dchen,  Brahminen-Tochter,  aus  Malabar,  westliches   Indien. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Tafel  X.    Das  Weib  im  Baokflsohalter. 

1.  Mincopie-Mftdchen  von  den  Süd-Andamanen,  14 — 16  Jahre  alt. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

2.  Halberwachsene  Ga-Negerin  aus  Accra  an  der  Goldküste  (West-Afrika). 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

3.  Halberwachsenes  M&dchen  aus  Apia,  Samoa-Inseln. 

Nach  einer  photographischen  Au&ahme  des  königlichen  Zahlmeisters  (S.  M.  S.  Hertha) 
G.  Riemer,  im  Besitze  des  Herausgebers. 

4.  Halberwachsenes  Mädchen  der  Ahuishiri-Indianer  vom  Rio  Napo  in  Peru. 

Nach  einer  von  Georg  Hübner  aufgenommenen  Photographie  im  Besitze  des  Heraus- 
gebers. 

5.  Halberwachsene  Fenerlftnderin,  nngef&hr  13  Jahre  alt. 

Aus  Hyades  et  Beniker:  Mission  scientifique  auCapHorn.  Paris.  1891.  pl.  XIH.  f.  1. 

6.  Halberwachsene  Guyana -Indianerin,  13  Jahre  alt. 

Nach  einer  Photographie  des  Herausgebers. 

7.  Halberwachsene  Chinesin. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

8.  Toda-Mftdchen,  Sad-Indien,  14  Jahre  alt. 

Nach  einer  Photographie  aus  W.  E.  Marshall:   A  phrenologist   amongst  the  Todas. 
London  1873. 

9.  'Halberwachsene  Malayin  ans  Malacca. 

Nach  einer  photographischen  Anfiiahme  im   Besitze  der  Berliner  anthropologischen 
Gesellschaft. 

Tafel  XI. 

Das  Weib  in  den  deutschen  Kolonien  und  deren  Naohbarsohaft. 

1.  Frau  von  Fernando  Po.    West-Afrika. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

2.  Frau  von  Aqua-Bell  in  Kamerun.    West-Afrika. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme   von  Sophus  WüUams  in  Berlin,  im  Besitze 
des  Herausge>ers. 

3.  Fante-Frau  von  der  Goldkflste.    West-Afrika. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

4.  Mädchen  von  den  Admiralitftts-Inseln. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

5.  M&dchen  von  Samoa. 

Nach  einer  von  Carl  Günther  (Berlin)  aufgenommenen  Photographie  im  Besitze  des 
Herausgd>ers. 

6.  Mädchen  von  der  Gazellen-Halbinsel,  Neu-Pommern  (Neu-Britannien). 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

7.  M&dchen  aus  Harrar.    Ost-Afrika. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Professor  Dr.  Wilhelm  Joest  in  Berlin. 

8.  Konde-Frau  vom  Nyassa-See.    Ost-Afrika. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

9.  Berg-Damara-Frau.    Sfld-West-Afrika. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  G^eUschafk. 


630  Anhang  3. 

B.  Die  Text-Abbildungen. 

Erster  Band. 

Fig.  1.    Die  Entwickelung  der  Genitalien.  Seit? 

Die  Figur  stellt  das  untere  EOrperende  eines  mensohlichen  Embryo  aus  ungefähr 
der  sechsten  Woche  der  intrauterinen  Entwickelung  dar.  Man  erkennt  den  Geechlechts- 
höcker  (später  Penis  oder  Clitoris),  femer  die  Geschlechtsfalten  (spätere  Hodensackhälften 
oder  grosse  Schamlippen),  den  Sinus  urogenitalis  und  den  Afber. 

Die  vordere  Bauchwand  ist  entfernt,  um  die  Organe  in  der  Tiefe  erkennen  zu 
lassen.  Man  sieht  die  Wirbelsäule,  die  ZwerchfellswOlbung,  die  TToZ/f^schen  Körper, 
aus  denen  sich  die  Nieren  entwickeln,  mit  ihren  Blinddärmchen  und  dem  Trol/f*schen 
Gange,  die  MüUer'Bchen  Fäden,  aus  denen  die  inneren  Genitalien  entstehen,  und  die 
Harnblase 4 

Aus  Hubert  Luschka:  Die  Anatomie  des  menschlichen  Bauches.  S.  245.  Fig.  30. 
Tübingen  1863. 

Fig.  2.    Deutsches  Weib 5 

Nach  Älbrecht  Dürer:  De  symmetria  partium  in  rectis  formis  humanorum  cor- 
porum.    Nürnberg.    1532. 

Fig.  3.  Nackte  Idealfigur  eines  Mannes,  entworfen  von  l^ieiano  VeeeUi 
für  die  anatomischen  Werke  des  Andreas  VesaKus 6 

Nach  dem  in  dem  Werke  Yon  Lecding:  Anatomische  Erklärung  der  Original- 
Figuren  von  Andreas  Vesälius  etc.,  Ingolstadt  1783,  abgedruckten  Original-Holzsclmitt. 

Fig.  4.  Nackte  Idealfigur  eines  Weibes,  entworfen  von  Tiziano  VeceUi 
fELr  die  anatomischen  Werke  des  Andreas  Vesälius 7 

Gegenstück  zu  Fig.  3  aus  dem  gleichen  Werke. 

Fig.  5.  Eörperform  einer  Zulu-Frau  (Mulattin?)  unbekleidet  mit  schlaff 
herabhängenden  Brüsten.    (Man  vergleiche  Fig.  120) 8 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Carl  Günther  in  Berlin  im  Besitze 
des  Herausgebers, 

Fig.  6.  EOrperform  einer  Javanin,  unbekleidet,  mit  massigen,  schalen- 
förmigen Brüsten 9 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  7.  EOrperform  einer  Anachoreten-Insulanerin  von  der  Wasan- 
Insel  (Melanesien),  25  Jahre  alt,  unbekleidet,  mit  kleinen  conischen  Brüsten  und 
halbkugelig  aufsitzendem  Warzenhofe 9 

Aus  «Süd- See-Typen*.  Anthropologisches  Album  des  Museum  Godeffroy  in  Ham- 
burg.   Hamburg  1881.    Taf.  18.    Fig.  302. 

Fig.  8.  Die  Geschlechtsunterschiede  am  Schädel.  Links  Schädel  eines 
Australiers,  rechts  einer  Australierin,  beide  von  vom  gesehen.  Man  erkennt  das 
eckigere  Verhalten  des  männlichen  und  das  abgerundetere  des  weiblichen  Schädels   .    .        11 

Aus  Alexander  Ecker:  lieber  eine  charakteristische  Eigenthümlichkeit  in  der  Form 
des  weiblichen  Schädels  und  deren  Bedeutung  für  die  vergleichende  Anthropologie.  Archiv 
für  Anthropologie  Band  I.  S.  84.  Fig.  26.    Braunschweig  1886. 

Fig.  9.  Die  Geschlechtsunterschiede  am  Schädel«  Links  ein  männlicher, 
rechts  ein  weiblicher  Schädel  aus  einem  fränkischen  Grabe.  Obgleich  letzterer  zu- 
föllig  den  ersteren  an  GrOsse  übertrifft,  sieht  man  doch,  wieviel  gerader  bei  dem  weib- 
lichen Schädel  die  Stirn  ansteigt  und  wieviel  unvermittelter  sie  in  den  Scheitel  umbiegt       12 

Aus  Alexander  Ecker  wie  Fig.  8.  S.  86.  Figg.  27  u.  28. 

Fig.  10.  Die  Geschlechtsunterschiede  am  Schädel.  Links  Schädel  eines 
Schwarzwälders,  rechts  einer  Schwarzwälderin.  Die  gerade  Stirn,  der  flachere 
Scheitel  und  das  weniger  ausgeprägte  Gesicht  der  letzteren  ist  sehr  in  die  Augen  fallend      12 

Aus  Alexander  Ecker  wie  Fig.  8.  86.  Figg.  29  u.  30. 

Fig.  11.  Die  für  das  weibliche  Geschlecht  charakteristischen  grossen 
medianen  Schneidezähne  des  Oberkiefers  bei  einer  jungen  Oesterreicherin      13 

Nach  einer  von  Carl  Günther  in  Berlin  aufgenommenen  Photographie  im  Besitze 
des  Herausgebers. 

Fig.  12.  Die  für  das  weibliche  Geschlecht  charakteristischen  grossen 
medianen  Schneidezähne  des  Oberkiefers  bei  einer  jungen  Maurin  aus  Algier      14 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgehers, 


B.  Die  Text-Abbildungen.  631 

Fig.  18.   Die  für  das  weibliche  Geschlecht  charakteristischen  grossen  Seite 
medianen  Schneidezähne  des   Oberkiefers   bei  jungen   Abjssinierinnen  ans 
Massaaa 15 

Nach  einer  von  Prof.  Dr.  Oeorg  Scfweinfutih  ans  der  Golonia  eritrea  mitge- 
brachten Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  14.  Die  Geschlechtsnnterschiede  am  knöchernen  Becken,  Links 
ein  weibliches,  rechts  ein  m&nnliches  Becken  in  aufirechter  Stellung  von  vom  gesehen. 
Zu  unterscheiden  ist  das  Kreuzbein,  das  Haftbein  oder  Darmbein,  das  Sitzbein,  das 
Schambein,  das  Hüftgelenk  und  die  Schamfnge.  Man  erkennt  die  beträchtlichere  Breite 
und  Weite  des  weiblichen  Beckens,  namentlich  auch  in  dem  Beckeneingang  und  in  dem 
Beckenausgang 16 

Aus  Carl  Ernst  ühnil  Hoff  mann:  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen.  Zweite 
umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage.    S.  208.    Figg.  161  u.  162.    Erlangen  1877. 

Fig.  15.  Die  Geschlechtsunterschiede  am  knöchernen  Becken.  Links 
ein  m&nnliches,  rechts  ein  weibliches  Becken  von  oben  gesehen,  wobei  die  grössere  Ge- 
räumigkeit des  letzteren  ganz  besonders  deutlich  wird 17 

Aus  Carl  Ernst  Emil  Hoffmann  wie  Fig.  14.  S.  209.    Figg.  168  u.  164. 

Fig.  16.  Liegende  Europäerin  (wahrscheinlich  eine  Oesterreicherin),  die 
runden  Formen  des  Körpers  und  der  Extremitäten  und  die  starke  Entwickelung  der  Ge- 
sässgegend  zeigend 19 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  17.  Die  Rundung  der  weiblichen  Schenkel  und  Kniee  bei  einem 
Kaffer-Mädchen 20 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  18.  Die  Rundungen  der  weiblichen  Gliedmaassen  bei  einer  Euro- 
päerin (wahrscheinlich  einer  Oesterreicherin) 21 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  19.  Die  Geschlechtsunterschiede  an  den  Gehirnen  neugeborener 
Kinder.  Die  Gehirne  sind  von  oben  gesehen  und  haben  oben  im  Bilde  ihren  Stimtheil 
und  unten  ihren  Hinterhauptstheil.  Das  linke  Gehirn  gehört  einem  Knaben,  das  rechte 
einem  Mädchen  an.  Ersteres  zeigt  einen  erheblich  grösseren  Reichthum  an  Windungen 
als  das  letztere 28 

Nach  Büdinger:  Vorläufige  Mittheilungen  über  die  Unterschiede  der  Grosshim- 
windungen  nach  dem  Geschlecht  beim  Fötus  und  Neugeborenen  mit  Berücksichtigung  der 
angeborenen  Brachycephalie  und  Dolichocephalie.  Beiträge  zur  Anthropologie  und  Ur- 
geschichte Bayerns.    Band  L    Tafel  XXV,  Fig.  1  u.  2.  München  1877. 

Fig.  20.  Die  Geschlechtsunterschiede  im  horizontalen  Gehirnumfang. 
Die  Figur  zeigt  das  Verh&ltniss  der  Grösse  des  horizontalen  Umfanges  des  Gehirns  beim 
Manne  (links)  zu  dexjehigen  des  Weibes  (rechts) 24 

Nach  Passet:  Ueber  einige  Unterschiede  des  Grosshims  nach  dem  Geschlecht. 
Archiv  fOr  Anthropologie.    Band  XIY.    Tafel  VI,  Fig.  6.    Braunschweig  1883. 

Fig.  21.  Hindu-Frau  aus  Bombay  mit  einem  knopfförmigen  Schmuck  im 
linken  Nasenflügel,  und  schweren  Ohrgehängen  und  Armbändern 40 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  22.  Brahminen-Mädchen  aus  Bombay  mit  Ringen  im  Ohrläppchen  und 
im  Ohrmuschelrande,  einen  grossen  Ring  im  linken  Nasenflügel,  mit  Halskette  und  Arm- 
bändern und  mit  dem  aufgemalten  Zeichen  der  Kaste  an  der  Stirn 41 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  23.  Wendin  aus  dem  Spree walde  (Gegend  von  Cottbus)  mit  männ- 
lichem Gesichtsausdruck 54 

Nach  einer  photographischen  Aufiiahme  des  Hofphotographen  Albert  Schwartz  in 
Berlin,  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Yig.  24.    Beduinen-Frau  aus  Tunesien  mit  männlichem  Gesichtsausdruck    .      55 

Nach  einer  photographischen  Aufiiahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  25.  Cunivos-Indianerin  vom  Rio  Uouyali  in  Peru  mit  männlichem 
Gesichtsausdruok  und  mit  Bemalung  des  Gesichts 56 

Nach  einer  photographischen  An&iahme  von  Oeorg  Hübner  im  Besitze  des 
Herausgebers, 

Fig.  26.  Cholos-Mädchen,  Mischling  von  einem  Weissen  und  einer 
Indianerin  am  Marafion  in  Peru 61 


632  Anhang  8. 

Nach    einer   phoiographiBcfaen   Aufnahme   von    Gtorg   Hühner   im    Bedtee    des    Seit« 
Herausgebers, 

Fig.  27.    Japanisches  Mädchen 70 

Nach  einer  photographischen  Aninahme  im  Besitee  des  Herausgebers. 

Fig.  28.    Japanische  verheirathete  Fran  mit  gemaltem  Gesicht,   gemalten 
Augenbrauen  und  schwarzgeförbten  Z&hnen 71 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  29.    Junge  vornehme  Chinesin  mit  kflnsÜich  verkleinerten  Füssen.    .    .  73 

Nach  einer  chinesischen  Aquarellmalerei  im  Besitze  der  Frau  OUo  Neuhauss 
in  Berlin. 

Fig.  80.    Junge  Australierin  aus   Nord-Queensland   mit  Schmucknarben 
auf  der  Brust 7o 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Bayliss  (Sydney),  im  Besitze  des 
Herausgebers. 

Fig.  81.    Indianerin  aus  Arizona  mit  bemaltem  Geeicht 77 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Buchmion  u.  Hartwell  (Tuscon, 
Arizona)  im  Besitze  des  Herausgdters. 

Fig.  82.  Holzgeschnitzte  Frauen -Figur  von  der  Loango- Küste, 
West-Afrika 79 

Mitgebracht  von  Dr.  Gussfeld,  Im  Besitze  des  Königlichen  Museums  för 
Völkerkunde  in  Berlin.    Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  88.  Holzgeschnitzte  Frauen-Figur  aus  Kiobo  im  Congo-Gebiete, 
West-Afrika,  mit  Schmucknarben  auf  der  Oberbauchgegend 80 

Im  Besitze  des  königlichen  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin.  Nach 
der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  84.  Moru-Frau  aus  den  oberen  Nil-Gebieten  mit  Schmucknarben  aaf 
der  Stirn,  dem  Bauche  und  dem  Arme 81 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Ridiard  Buchta,  im  Besitze  des 
Herausgebers, 

Flg.  85.  Indische  Steinfigur,  die  Idealgestalt  einesWeibes  darstellend. 
Es  ist  Sita,  das  Weib  des  Ramatsckandra.  Ausgegraben  im  Dorfe  Dschindschi  in  der 
Präsidentschaft  Madras.  Vorderansicht. 

Eingesendet  von  dem  Missionar  Beierlein.  Im  Besitze  des  königlichen  Museums 
für  Völkerkunde  in  Berlin 84 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  86.    Dieselbe  wie  Fig.  85.    Hinteransicht 85 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  87.    Junge  Japanerin  (nach  F.  W.  K,  Müller  eine  chinesische  Hofdame)      92 

Nach  der  Darstellung  in  einem  japanischen  Holzschnittwerke  im  Besitze  des 
Herausgebers, 

Fig.  88.    Junge  Singhalesin 93 

Nach  einer  photographischen  Aufiiahme  im  Besitze  des  Dr.  Paul  Ehrenreich 
in  Berlin. 

Fig.  89.  Papua-Frau  von  der  Insel  Matnpe  (Blanche  Bai,  Bismarck- 
Archipel,  Neu  Britannien),  im  Anfang  der  20er  Jahre,  mit  durchbohrten  und  stark 
ausgedehnten  Ohrläppchen 96 

Nach  einer  photographischen  Aufiiahme  von  Otto  Finseh  im  Besitze  der  Anthro- 
pologischen Gesellsellschaft  in  Berlin. 

Fig.  40.    Verschönerungen  des  Gesichts 97 

No.  1.  Eine  Oraon-Gole-Frau  aus  Chota  Nagpor  in  Bengalen,  Verschöne- 
rungen am  Ohre  zeigend.  Der  äussere  Rand  der  Ohrmuschel  ist  an  mehreren  Stellen 
durchbohrt  und  mit  eingehängten  Ringen  verziert.  Die  Durchbohrung  des  Ohrläppchens 
ist  stark  ausgedehnt  und  in  derselben  wird  ein  zusammengerolltes  Blatt  oder  Rinden- 
stück getragen. 

Nach  einer  Photographie  aus  J,  Forbes  Watson  and  John  William  Kaye:  The 
People  of  India.    Volume  I.  pl.  16.    London  (India  Museum)  1868. 

No.  2.  Eine  junge  Süd-Andamanesin  mit  bemaltem  Gesicht  Aehnliche  Be- 
malungen tragen  die  bis  auf  ein  vor  die  Schamtheile  gelegtes  Blatt  nackt  gehenden  In- 
sulanerinnen auch  auf  dem  Bauche  und  auf  den  Oberschenkeln.  Das  Kopfhaar  ist  voll- 
ständig abrasirt. 


B.  Die  Text-Abbildungen.  633 

Nach    einer  Photographie   im   Besitze   der  Anthropologischen   Gesellschaft   von  Seite 
Berlin. 

No.  8.  Eine  Mittn-Frau  ans  Gentral-Afrika  mit  Yerschönerongen  an  den 
Ohren  nnd  an  den  Lippen:  Die  Ohren  tragen  einen  grossen  Hftngeschmnck  in  dem 
Läppchen  nnd  ausserdem  je  6  Ringe  in  dem  äusseren  Rande  der  Muschel.  In  die 
durchbohrte  Oberlippe  ist  ein  grosser  Elfenbeinknopf  eingelegt ;  in  der  Unterlippe  steckt 
ein  kleinerer. 

Nach  Georg  Schwein furth^:  The  heart  of  Africa.    Vol.  I.  p.  407.    London  1874. 
No.  4.  Ein  Maori-Mftdchen  ans  Nen-Seeland  mit  tättowirten  Lippen. 
Nach  einer  Photographie  des  Riehard  Neuhauss  Albuma  im  Besitz  der  Anthro- 
pologischen Gesellschaft  von  Berlin. 

No.  5.  Eine  Aino-Fran  von  der  Insel  Yesso,  die  an  einen  Schnurrbart 
erinnernde  Tftttowirung  der  Lippen  zeigend. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  dier  Anthropologischen  Gesellschaft  von  Berlin. 
No.  6.    Junge  Australierin  aus  Queensland,  einen  Knochen  in  der  durch- 
bohrten Nasenscheidewand  tragend. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgeben. 

No.  7.  Eine  Frau  von  der  zu  den  Anachoreten-Inseln  gehörigen 
Waisan-InseL  Ihr  durchbohrtes  Ohrl&ppchen  ist  zu  enormer  Länge  ausgedehnt,  so 
das»  es  wie  eine  grosse  Schleife  herabhängt.  Mehrere  Ringe,  den  Fingerringen  ähnlich, 
sind  an  demselben  angebracht.    Das  Kopfhaar  ist  vollständig  abrasirt 

Nach  einer  Photographie  aus:  Süd-See-Typen.  Anthropologisches  Album  des 
Museum  Godeffroy  in  Hamburg.    Taf.  18,  Fig  406b.    Hamburg  1881. 

No.  8.  EineLimboo-Frau  von  den  trans-himalayischen  Ureinwohnern 
aus  Nepal  in  Indien  mit  grossen  Ohrgehängen  und  einem  enormen  Nasenringe  im 
linken  Nasenflügel,  der  durch  seine  Schwere  den  letzteren  weit  herabzieht  und  dadurch 
die  Nasenspitze  zum  Abweichen  nach  rechts  hin  zwingt. 

Nach  einer  Photographie  aus:  The  People  of  India,  wie  No.  I.  Vol.  H.  plate  62. 
Fig.  41.    Mincopie-Weib  von  den  Andamanen  mit  bemaltem  Körper  ...      98 
Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 
Fig.  42.    Hindu-Dienerin  mit  aufgemaltem  Sekten-Zeichen  an  der  Stiin  ...      98 
Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  L.  Steiner,  im  Besitze  des  Herausgebers. 
Fig.  48.    Cashivos-Indianerin  aus  Nay  Pablo,  welche  als  Kind  geraubt  und 
in  den  Sitten  der  Cunivos-Indianer  am  Rio  Pachitea  in  Peru  aufgezogen  wurde. 
Sie  ist  im  Gesicht  bemalt,  trägt  eine  Scheibe  in  die  durchbohrte  Nasenscheidewand  ein- 
gehängt und  einen  Pflock  in  einer  Durchbohrung  der  Unterlippe 99 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Georg  HiÜmer,  im  Besitze  des 
Herausgebers. 

Fig.  44.  Tättowirung  der  Unterextremitäten  einer  Ponapesin.  Man 
sieht  den  breiten,  von  dem  Schambergfelde  ausgehenden  Hüftgürtel  über  die  Hinter- 
backen verlaufend.    Von  der  Kitte  des  Oberschenkels  bis  abwärts  zu  den  Knöcheln  ist 

auch  die  Hinterfläche  der  Beine  tättowirt 100 

Aus  Otto  Finseh:  Ueber  die  Bewohner  von  Ponap^  (östl.  Carolinen).  Nach 
eigenen  Beobachtungen  und  Erkundigungen.  Zeitschrift  für  Ethnologie,  Band  XII. 
S.  812.    Fig.  8. 

Fig.  45.  Tättowirte  Hand  einer  Oshimanerin.  Diese  auf  der  Liu-kiu- 
Insel  Oshima  gebräuchliche  Tättowirung  wird  nur  an  den  Händen  und  nur  bei  dem 
weiblichen   Geschlechte  ausgeführt     Das   Original    der   Zeichnung  wurde  von  einem 

Tättowirer  gefertigt 101 

Nach  L.  Doederlein:  Die  Liu-Kiu- Insel  Amami  Oshima.  MittheUnngen  der 
deutechen  Gesellschaft  für  Natur-  und  Völkerkunde  Ost-Asiens.  Bd.  lU.  1880—1884. 
Heft  22.  S.  115.    Yokohama  s.  a. 

Fig.  46.    Tättowir-Instrumente  von  Neu-Seeland.    ^/s  natürlicher  Grösse    103 
Nach  W.  Joest:  Tättowiren,  Narbenzeichnen  und  Körperbemalen.  Berlin,  1887.  S.67. 
Fig.  47.     Haida-Indianerin  (Britisch  Golumbien)  mit  Tättowirungen  an 

der  Brust,  den  Armen  und  den  Beinen,  welche  die  Totem-Thiere  darstellen 104 

Nach  James  G.  Swan:  Tattoo  Marks  of  the  Haida  Indians  etc.  Fourth  Annual 
Report  of  the  Bureau  of  Ethnology  1882—1888.    Washington  1886.  p.  69.  Fig.  26. 

Fig.  48.  Frau  von  Formosa  mit  tättowirten  Lippen  und  Wangen,  zum  Zeichen 
dass  sie  verheirathet  ist 105 


634  Anhang  8. 

Nach  einer   photographischen  Aufnahme  im  Besitze  der  Anthropologischen  Seite 
Gesellschaft  in  Berlin. 

Fig.  49.  Katholisches  Banernmftdchen  ans  der  Gegend  von  Zenica  in 
Bosnien  mit  t&ttowirten  Kreuzen  auf  dem  oberen,  unbedeckten  Theile  der  Brust,  auf 
den  Handrücken  und  auf  den  Vorderarmen 106 

Aus  Leopold  Glück:  Die  Tftttowirung  der  Haut  bei  den  Katholiken  Bosniens 
und  der  Hercegovina.  Fig.  1.  In  Moritz  ^drn«*«  Wissenschaftliche  Mittheilungen  aus 
Bosnien  und  der  Hercegovina,  herausgegeben  von  dem  Bosnisch-Hercegovi- 
nischen  Landesmuseum  in  Sarajevo.    Band  H.  S.  456.  Wien  1894. 

Fig.  50.  Kaffer- Mädchen  aus  Natal,  dessen  Rücken  mit  drei  Gruppen  von 
knopfförmigen  Schmucknarben  geziert  ist 107 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Professor  Dr.  Wühdm  Joest  in  Berlin. 

Fig.  51.  Australierin  aus  Nord-Queensland,  16— 18  Jahre  alt,  mit  Schmuck- 
narben auf  dem  Oberarme 108 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Carl  GünÜher  (Berlin)  im  Besitze 
des  Herausgebers, 

Fig.  52.  Rückenansicht  einer  Dahome-Frau  mit  Schmucknarben  in  der 
Kreuzbeingegend 109 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Franz  Görke  im  Besitze  des 
Herausgebers. 

Fig.  58.  Niam-Niam  Mädchen  (Central- Afrika)  mit  breiten  Schmucknarben 
auf  der  Brust  und  zierlichen  Schmucknarben  am  Bauche 110 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Bichard  Bttehta  aus:  Die  oberen 
Nil-L&nder.    No.  89.  Berlin.   1881. 

Fig.  54.    Verschönerungen  des  Gesichts 111 

No.  1.  Eine  Mangandja-Frau  aus  Central- Afrika  mit  Tftttowirungen  auf 
den  Wangen  und  der  Stirn  und  mit  dem  grossen,  ringförmigen  Lippenschmuck,  dem 
Pelele,  durch  welchen  die  durchbohrte  Oberlippe  enorm  ausgedehnt  ist,  so  dass  sie  be- 
trächtlich über  die  Nasenspitze  hervorragt. 

Nach  David  and  Charles  Livingstone:  Narrative  of  an  expedition  to  theZambesi 
and  its  tributaries,  and  of  the  lakes  Shirwa  and  Njassa.   p.  115.  London  1865. 

No.  2.  Ein  Eskimo-Mädchen  aus  Alaska  mit  einem  Perlenschmuck  in  der 
Nasenscheidewand ,  der  bis  auf  die  Oberlippe  herabhängt.  In  der  durchbohrten  Unter- 
lippe stecken  zwei  gekrümmte  Ejiochen. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  der  Anthropologischen  Gesellschaft 
von  Berlin. 

No.  8.  Eine  Loobah-Frau  (Lubah)  vom  Volke  der  Mittu  aus  Central- 
Afrika.  Die  Stirn  und  die  Nachbarschaft  der  Augen  sind  tättowirt;  der  äussere  Rand 
der  Ohrmuschel  ist  an  zehn  Stellen  durchbohrt  und  mit  eingesteckten  Halmen  geschmückt: 
ein  kleiner  Ohrring  ziert  du  Ohrläppchen.  In  der  durchbohrten  Oberlippe  steckt  eine 
runde  Knochenscheibe,  während  ein  polirter  conischer  Quarz  von  6,5  cm  Länge  in  der 
Unterlippe  steckt. 

Nach  Schweinfurth  ^  (wie  Fig.  40.  No.  3)  pag.  409. 

No.  4.  Die  Mundverschönerungen  einer  Bongo-Frau  aus  Central- 
Afrika.  Durch  die  Oberlippe  ist  ein  Kupfemagel  und  durch  die  Unterlippe  ein  Holz- 
pflock gesteckt,  welcher  das  Kennzeichen  aller  verheiratheten  Frauen  dieses  Volkes  ist. 
Die  Mundwinkelpartien  der  Oberlippe  sind  in  je  eine  kleine  kupferne  Klammer  (von  der 
Form  breiter  Armringe)  geklemmt. 

Nach  Georg  Schweinfurth^:  Artes  Africanae.  Tabula  UL  Fig.  8.  Leipzig  und 
London  1875. 

No.5.  Eine  Mangandja-Frau  aus  Central-Afrika,  lachend.  Mansiehtdie 
Tättowirung  der  Stirn,  der  Jochbeingegend  und  der  Wangen.  In  dem  weit  geöffiieten 
Munde  erblickt  man  die  spitz  zugefeilten  Zähne,  an  diejenigen  eines  Haifisches  erinnernd. 
Die  durch  den  eingelegten  Lippenring,  das  Pelele,  enorm  vergrösserte  Oberlippe  klappt 
sich  beim  Lachen  derartig  in  die  Höhe,  dass  ihr  vorderer  Rand  bis  zu  der  Gegend  der 
Augenbrauen  hinaufreicht.  Dabei  blickt  die  Nasenspitze  durch  das  runde  Loch  des 
Pelele  wie  durch  ein  Fenster. 

Nach  Richard  Oberländer:  Der  Mensch  vormals  und  heute.  S.  179.  Leipzig  1878. 

No.  6.  Gesichtsverzierung  einer  Bongo-Frau  aus  Central-Afrika. 
In  einem  Loche  an  jedem  Nasenflügel  steckt  ein  Halmstück;  zwei  andere  Halme  stecken 


B.  Die  TexirAbbildungen.  635 

in  Löchern  der  Oberlippe,  während  in  der  Unterlippe  der  fdr  die  verheiratheien  Bongo-  Seite 
Franen  charakteristische  Holzpflock  steckt 

Nach  Georg  Sehweinfurtf^  (wie  Fig.  54.  No.  4).    Tabula  III.  Fig.  8. 

Fig.  55.  Holzgeschnitste  Franenfignr  (Stnhl)  der  Balnba  im  Gebiete 
des  Lualaba,  Afrika.  Die  Frau  hat  die  Haartracht  der  Baluba- Frauen;  ihre  Brüste 
sind  ziegenenterfthnlich;  sie  hat  einen  Nabelbmch  und  trägt  auf  dem  Bauche  und  auf 
dem  Schamberge  grosse  Schmucknarben 112 

Im  Besitze  des  Egl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herauagehers. 

Fig.  56.  Flathead-  (Flachkopf-)  Indianerin,  Nord- Amerika,  mit  einem 
Kinde,  das  in  der  den  Yorderkopf  flachdrückenden  Wiege  liegt 113 

Handzeichnung  von  George  CaÜin^  im  Besitze  des  Egl.  Museums  für  Völker- 
kunde in  Berlin.    Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  57.  Carolinen-Insulanerin  von  der  Insel  Buk  (Mikronesien), 
80  Jahre  alt,  mit  durchbohrten  und  sehr  stark  ausgedehnten  Ohrläppchen,  die  mit 
vielen  Ringen  geschmückt  sind 114 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  aus:  Südsee-Typen.  Anthropologisches 
Album  des  Museums  Godeffroy  in  Hamburg.    Taf.  28.  Fig.  511. 

Fig.  58.  Mädchen  (20  Jahre  alt)  von  der  Insel  Mabiak  (Jervis-Island) 
in  der  Torres-Strasse  mit  ursprünglich  durchbohrtem  und  ungeheuer  erweitertem, 
dann  aber  aufgeschnittenem  Ohrläppchen,  so  dass  dasselbe  als  langer,  schmaler  Lappen 
herabhängt 115 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Otto  Finsehy  im  Besitze  der  Anthro- 
pologischen Gesellschaft  in  Berlin. 

Fig.  59.  Meeree-Frau  von  den  Hügelstämmen  in  Assam  (Indien),  mit 
durchbohrtem  und  stark  ausgedehntem  Ohrläppchen,  in  welches  ein  grosser  Ring  einge- 
passt  ist 116 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  aus  F,  WaUon  und  W,  Kaye:  TePeople 
of  India.    Vol.  I.  Taf.  80.  London.   1868. 

Fig.  60.  Guyana-Indianerin,  19  Jahre  alt,  welche  in  der  durchbohrten  Unter- 
lippe eine  Stecknadel  trägt.    Auf  dem  rechten  Auge  ist  sie  blind 117 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  61.  Papua-Frau  vom  Stamme  der  Gumuloga,  von  der  Insel 
Mabiak  (Jervis  Island)  (Torres-Strasse),  im  Anfang  der  20.  Jahre,  mit  ursprüng- 
lich durchbohrtem  und  stark  ausgedehntem,  später  durchgerissenem  Ohrläppchen,  dessen 
lang  herunter  hängender  Rest  mit  umgelegten  Ringen  verziert  ist.  Am  rechten  Ober- 
arme trägt  sie  einen  tief  einschnürenden  Armring 118 

Nach  einer  photographischen  Aufiiahme  von  Otto  Finsch^  im  Besitze  der  Anthro- 
pologischen Gesellschaft  in  Berlin. 

Fig.  62.  Papua-Mädchen  in  der  Mitte  der  20er  Jahre,  vom  Stamme  der  Motu 
aus  dem  Dorfs  Anuapata,  Port  Moresby  aus  Südost-  (Britisch)  Neu-Guinea 
mit  tief  einschneidendem  Armringe.    (Das  corpulenteste  Mäddien,  das  Finsch  sah.)  .   .     118 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Otto  Finsch  im  Besitze  der  Anthro- 
pologischen Gesellschaft  in  Berlin. 

Fig.  68.    Fettleibige  tunesische  Jüdin  in  der  Sabbathskleidung  .   .   .     119 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Heratisgebers.» 

Fig.  64.  Entzündeter  Ballen.  Die  traurige  Folge  zu  engen  und  zu  spitzen 
Schuhwerks.  Da  die  Zehen  in  dem  letzteren  keinen  Platz  hatten,  beim  Auftreten  sich 
auszubreiten,  so  wurden  sie  allmählich  gezwungen,  sich  über  einander  zu  legen,  um  in 
der  engen  Schuhspitze  untergebracht  zu  werden.  Dabei  musste  sich,  da  die  grosse  Zehe 
mit  ihrer  Spitze  der  kleinen  Zehe  entgegengepresst  wurde,  die  Ballengegend  derselben 
stärker  als  gewöhnlich  hervorwölben  und  auf  diese  Weise  bot  sie  der  Fussbekleidung 
einen  neuen  Druckpunkt  dar.  Die  Folge  des  Druckes  war  eine  entzündliche  Anschwellung 
des  gedrückten  Ballens,  wodurch  natürlicher  Weise  eine  Steigerung  des  Druckes  und 
damit  wieder  eine  fernere  Steigerung  der  Anschwellung  u.  s.  w.  hervorgerufen  wird. 
Da  die  Zehen  sehr  schnell  durch  Versteifung  ihrer  Gelenkverbindungen  in  dieser  ab- 
normen Lage  flxirt  werden,  so  muss  diese  qualvolle  und  schmerzhafte  Folge  menschlicher 
Eitelkeit  gewöhnlich  für  das  ganze  fernere  Leben  ertragen  werden 120 

Aus  Jdlm  E,  Erichsen:  Praktisches  Handbuch  der  Chirurgie,  übersetzt  von  Oscar 
Thamhayn.    Seite  894.    Fig.  181.    Berlin  1864. 


636  Anhang  3. 

Seite 

Fig.  65.  Hin  du- Mädchen  der  Sudra- Kaste  mit  dem  aufgemalten  Sekten- 
Zeichen  an  der  Stirn,  mit  grossen,  schweren  Fussringen  und  mit  Ringen  auf  den  Zehen     121 

Nach  einer  photographischen  Aufixahme  von  L,  Steiner  im  Besitze  des  J7arau#- 
gebers, 

Fig.  66.  Frau  von  Gabun,  Afrika,  mit  Beinringen,  welche  die  Unterschenkel 
▼ollfitändig  bedecken 122 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Saphus  Williams  in  Berlin  im 
Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  67.  .Wadenplastik'',  künstliche  Yergrösserung  der  Waden  bei 
einem  19jährigen  Mädchen  der  Guyana-Indianer,  welches  in  Fig.  60  dar- 
gestellt ist.  Diese  Wadeuplastik  wird  ausgeführt  durch  fest  um  die  Fussgelenke  angelegte, 
manschettenartige  Binden,  welche  nicht  wieder  abgenommen  werden,  und  durch  fest  um 
das  Bein  dicht  unterhalb  des  Kniegelenks  gelegte  Binden 123 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  68.  Wadenplastik  (siehe  Fig.  67)  bei  einer  Guyana-Indianerin 
in  den  Zwanzigern 124 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  69.  Pirus-Indianerin  vom  Rio  Ucuyali  in  Peru  mit  Beinringen  dicht 
oberhalb  der  Knöchel,  welche  tief  einschneiden 125 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Georg  Hubner ,  im  Besitze  des 
Herausgebers. 

Fig.  70.    Vornehme  Chinesinnen  mit  künstlich  verkleinerten  Fassen  ^   .    .    .     126 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  KgL  Museums  für 
Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  71.  Fuss  einer  Chinesin  niederen  Standes.  Nach  einem  in  der 
Sammlung  des  Guy's  Hospital  in  London  befindlichen  Wachsabguss  in  Vs  der  natflr- 
lichen  Grösse  gezeichnet  und  von  der  Seite  und  von  der  Sohlenfläche  aus  gesehen.  Die 
Verbildung  ist  keine  so  vollständige,  wie  bei  denFfissen  der  vornehmen  Chinesinnen     127 

Aus  H.  Wekker:  Die  Füsse  der  Chinesinnen.  Archiv  f&r  Anthropologie. 
Band  V.    Seite  147.    Fig.  8.    Braunschweig  1872. 

Fig.  72.  Normaler  Menschen  fuss  mit  eingezeichneten  Skeletttheilen;  zum 
Vergleiche  mit  Fig.  71  und  in  den  gleichen  Grössen  Verhältnissen 127 

Aus  H.  Welcher:  Ueber  die  künstliche  Verkrüppelung  der  Füsse  der  Chinesinnen. 
Archiv  f&r  Anthropologie.    Band  IV.    Seite  224.    Fig.  27.    Braunschweig  1870. 

Fig.  73.  Fuss  einer  vornehmen  Chinesin  mit  hineingezeichneten  Skelett- 
theilen, in  demselben  Grössenverhältniss  wie  Fig.  72,  nämlich  Vs  der  natürlichen  Grösse. 
Der  Fersentheil  des  Hackenknochens  ist  senkrecht  nach  unten  gebogen,  so  dass  er  eine 
Verlängerung  der  Unterschenkelknochen  darzustellen  scheint;  die  Zehen  sind  in  die  Sohle 
hineingebogen 127 

Aus  H.  Wekker,  wie  Fig.  72. 

Fig.  74.  Linker  Fuss  einer  erwachsenen  Chinesin  im  Zustande  voll- 
kommen gelungener  Verkrüppelung.  Die  Haut  ist  entfernt  und  die  Muskeln  sind  frei- 
gelegt.   Nach  einem  Präparate  im  Museum  des  College  of  surgeons  in  London. 

Der  Längendurchschnitt  ist  bedeutend  verkürzt  und  die  natürliche  Wölbung  des 
Fnsses  durch  Biegung  der  Sohle  vermehrt.  Die  Ferse  und  die  unteren  Enden  der  Mittel- 
fussknochen  sind  ^o  viel  als  möglich  einander  genähert.  Die  Keilbeine  und  das  Würfel- 
bein sind  nach  aufwärts  verschoben  und  bilden  eine  auffallende  Erhabenheit  an  der 
Höhe  der  Wölbung.  Die  äusseren  Zehen  sind  unter  die  Sohle  gebeugt  Die  Stellung  der 
Grosszehe  ist  verhältnissmässig  weniger  verändert,  ihre  Spitze  ist  jedoch  mehr  gegen  den 
medialen  Längendurchmesser  gerichtet,  dessen  Ende  dieselbe  zu  bilden  scheint    ....     128 

Nach  Ferdinand  Junker  von  Langegg:  Eine  Beschreibung  und  Zergliederung  eines 
künstlich  verkrüppelten  Chinesen  f usses.  Archiv  für  Anthropologie.  Band  VI.  Taf.  XIII. 
Fig.  9.    Braunschweig  1873. 

Fig.  75.    Rechter,  künstlich  verkleinerter  Fuss  einer  Chinesin.   ...     129 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Kgl.  Museums  für 
Völkerkunde  in  Berlin 

Fig.  76.  Eine  Chinesin,  halb  entkleidet  in  einer  Schneelandschalt  sitzend  und 
sich  die  künstlich  verkleinerten  Füsse  bandagirend 13^ 

Nach  einer  chinesischen  Zeichnung,  veröffentlicht  von  T.  Choutte:  Lepansage; 
gravure  de  M.  Bapine,  d'apr^s  une  peinture   chinoise   communiqu6  par  le   docteur 


B.  Die  Text-Abbildungen.  637 

Moraehe^  en  Päkin  et  le  Nord  de  la  Chine.    Le  Tour  du   Monde.    Tome  XXXI.  Seite 
Paris  1876.  p.  849. 

Fig.  77.  Rohe  Figur  der  Vulva,  als  Schutzzeichen  in  Fruchtbäume  eingeschnitten. 
Ambon  und  die  Üliase-Inseln 137 

Aus  Joh.  Gerhard  Fried,  Biedel:  De  sluik-  en  kroesharige  Rassen  tuschen  Selebes 
-en  Papua.    s^Gravenhage.    1836. 

Fig.  78.  Stein-Relief  von  der  Oster-Insel  (Rapanui).  Die  Sculpturen 
befinden  sich  in  halberhabener  Arbeit  auf  einem  in  einem  Steinhause  eingemauerten 
Stein  von  0,45  m  Höhe  und  0,64  m  Breite.  Es  ist  eine  Doppeldarstellung  des  Make-Make, 
•des  Gottes  der  Eier,  mit  daneben  gesetzten  weiblichen  Geschlechtstheilen,  um  eine  eheliche 
Oeburt  zu  bezeichnen 138 

Nach  Geiseler:  Die  Oster-Insel.  Eine  Stätte  prähistorischer  Gultur  in  der  Sadsee. 
Berlin  1883.    Taf.  XVm. 

Fig.  79.  Häuptling  von  der  Oster-Insel  mit  dem  tättowirten  Bilde  der 
Vulva  seiner  Frau  oben  auf  der  Brust  zum  Zeichen  seiner  Verheirathung 139 

Nach  Julien  Viaud:  Expedition  der  Fregatte  La  Flore  nach  der  Oster- 
Insel  1872.    Globus.    Band  XXUI.    S.  67. 

Fig.  80.  Lingam  aus  Bengalen.  Symbol  ^wMoMdeoa  oder  (7tva  und  seiner 
-Gemahlin  Bhavänt,  die  Verbindung  des  männlichen  und  weiblichen  Princips  darstellend. 
Marmorähnliches  Gestein  mit  Bergkzjstallzapfen 139 

EOnigl.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin.  Nach  der  photographischen  Auf- 
nahme des  Herausgebers. 

Fig.  81.  Zulu-Mädchen,  Süd-Afrika.  Die  Eine,  rückwärtsgekehrt  sitzend, 
lässt  oberhalb  des  Gesässes,  rechts  und  links  von  der  Wirbelsäule,  das  Grübchen  erkennen, 
welches  für  die  Beckenmeesung  von  Wichtigkeit  ist.  Die  Zweite  sitzt  mit  untergeschlagenem 
Beine,  wodurch  die  kräftige  massige  Entwickelung  des  Oberschenkels  und  des  Knies  be- 
sonders auffällig  wird.  Die  halb  mit  dem  Arme  verdeckte  Brust  ist  bereits  etwas  hängend. 
Die  dritte,  fut  im  Profil  stehend,  ist,  nach  dem  Zustande  der  Brüste  zu  urtheilen, 
noch  sehr  jugendlich;  ihre  Schultern  und  ihre  Beckengegend  sind  ebenfalls  sehr  kräftig 
entwickelt 140 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgehers, 

Fig.  82.  Die  Raute  der  Ereuzbeingegend  bei  einer  Europäerin,  wahrscheinlich 
einer  Magjarin 142 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgehers. 

Fig.  83.  Dahome-Negerin,  ihre  einige  Monate  alte  Tochter  auf  dem  Rücken 
tragend 144 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Carl  Günther  im  Besitze  des 
Herausgeibers. 

Fig.  84.  Alt-Peruanische  Vase  im  Besitze  des  KgL  Museums  für  Völkerkunde 
in  Berlin  mit  der  Darstellung  einer  Frau,  welche  ein  Kind  auf  dem  Rücken  trägt  .   .     145 

Nach  Ä.  Bastian:  »Aus  der  ethnologischen  Sammlung  des  Eönigl.  Mu- 
seums zu  Berlin.    Zeitschrift  für  Ethnologie.   Band  IX.  Berlin  1877.    Taf.  V.  Fig.  2. 

Aus  Bloss:  Das  kleine  Kind  u.  s.  w.    Fig.  27. 

Fig.  85.    Alt-Peruanische  Vase  aus  gleichem  Besitze  mit  gleicher  Darstellung    145 

Nach  A.  Bastian  (wie  Fig.  84).  Taf.  V.  Fig.  1.  Aus  Bloss:  Das  kleine  Kind  u.  s.  w. 
Fig.  28. 

Fig.  86.    Junge  Japanerin,  ein  Kind  auf  dem  Rücken   tragend 146 

Aus  Bloss:  Das  kleine  Kind  u.  s.  w.  Fig.  42. 

Fig.  87.  Weiber  aus  der  Colonia  Eritrea;  die  eine  im  Knieen  Getreide 
mahlend,  eine  andere  ein  Kind  auf  der  Hüfte  tragend 147 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Georg  Schweinfurth  im  Besitze  des 
Herausgehers, 

Fig.  88.  Ama-Xosa-Kafferfrau^  bei  der  Arbeit  ihr  junges  Kind  auf  dem 
Rücken  tragend 148 

Nach  Gustav  Fritsch,    Aus  Blossl^^  Fig.  17.  S.  31. 

Fig.  89.  Japanerinnen  in  den  Reisfeldern  beschäftigt;  die  bei  gebückten 
Stellungen  eintretende  Verbreiterung  der  Gesässgegend  zeigend 149 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgehers. 

Fig.  90.  Morn-Weiber  aus  den  oberen  Nil-Ländern,  ein  ungeheures  Miss- 
verhältniss  zwischen  der  Länge  der  Beine  und  der  Kürze  des  Rumpfes  zeigend  ....     151 


638  Anhang  3. 

Nach  einer  photographischen  Aufiiahme  von  Dr.  Bu^rd  Buchta,  im  Besitze  der  Seite 
Berliner  anthropologischen  Gesellschaft;  vergl.  obere  Nil-L&nder  (wie  Taf. 
L  8.)  No.  101. 

Fig.  91.  Die  Unterschiede  in  dem  Körperbau  (dem  Wuchs)  verschie- 
dener Rassen 152 

No.  1.    Ein  Makraka-Mädchen  aus  den  oberen  Nil-L&ndern. 

Nach  einer  von  Dr.  Bichard  Buchta  aufgenommenen  Photographie,  im  Besitze  des 
Herausgebers,  vergl.  obere  Nil -Lander  (wie  Taf.  I.  8.)  No.  78. 

No.  2.    M&dchen  aus  Nord- Queensland  in  Australien. 

Nach  einer  von  Carl  Crünther  (Berlin)  aufgenommenen  Photographie,  im  Besitze 
des  Herausgebers. 

No.  8.    Ein  Dayak -Mädchen  ans  S  am  bar  an  der  Sfldwestspitze  von  Borneo. 

Nach  einer  vom  Capit&n  L,  F.  M,  Schulze  (Batavia)  aufgenommenen  Photo- 
graphie, im  Besitze  des  Herrn  Geh.  Sanit&tsraths  Dr.  Ludwig  Aschoff  in  Berlin. 

No.  4.    Ein  Madi- Mädchen  aus  den  oberen  Nil- Ländern. 

Nach  einer  photographischen  Aufixahme  von  Dr.  Bichard  Buchta,  im  Besitze  des 
Herausgebers,  vergl.  obere  Nil -Länder  (wie  Taf.  I.  8)  No.  49. 

No.  5.  Venus  KalUpygos,  griechisches  Schönheitsideal  weiblicher  Körper- 
bildung; Marmorfigpr  im  Museo  nazionale  (Borbonico)  in  Neapel. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  nach  dem  Originale,  im  Besitze  des 
Herausgebers, 

No.  6.    Ein  Mondü-Weib  aus  den  oberen  Nil- Ländern. 

Nach  einer  von  Dr.  Bi(hard  Buchta  aufgenommenen  Photographie,  im  Besitze  des 
Herausgebers,  vergl.  obere  Nil -Länder  (wie  Taf.  I.  8)  No.  81. 

No.  7.    Ein  junges  Mädchen  von  Samoa  (Polynesien). 

Nach  einer  von  «71  Kübary  aufgenommenen  Photographie,  aus:  S Cid- See-Typen« 
Anthropologisches  Album  des  Museums  Godeffroy  in  Hamburg.  Taf.  HJ.  298a. 
Hamburg  1881. 

No.  8.    Ein  Mädchen  aus  Wien. 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  92.  Die  Unterschiede  in  dem  Körperbau  (dem  Wuchs)  verschie- 
dener Rassen 153 

1.  Carolinen-Insulanerin  (Mikronesierin)  von  der  Insel  Ponap^. 
Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  Godeffroy-kVaMm  (Taf.  25.  No.  380). 

2.  Europäerin,  wahrscheinlich  eine  Wienerin. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers, 

3.  Junge  Javanin  aus  Batavia. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  der  Berliner  anthropo- 
logischen Gesellschaft. 

4.  und  5.  Junge  Abyssinierinnen  aus  Beni  Amer  in  der  Colonia  Eritrea. 
Nach  einer  photographischen  Aufiiahme  von  Dr.  Georg  Schweinfurth,   im  Besitze 

der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

6.  Konde-Frau  vom  Nyassa-See,  Ost-Afrika. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers, 

7.  Bari-Mädchen  aus  den  oberen  Nil-Ländern. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Dr.  Bi(hard  Buchta,  im  Besitze  des 
Herausgebers,  vergl.  obere  Nil-Länder  (wie  Taf.  I.   8)  No.  39. 

8.  Junge  Europäerin,  wahrscheinlich  eine  Magyarin  aus  Budapest. 
Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

9.  Hottentotten-Frau,  ungefähr  22  Jahre  alt,  wahrscheinlich  schwanger. 
(Dieselbe  wie  Fig.  98.) 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  98.  Die  Unterschiede  in  dem  Körperbau  (dem  Wuchs)  verschie- 
dener Rassen 154 

1.  Melanesierin,  ungefähr  25  Jahre  alt,  von  der  Anachoreten-Insel  Wasan. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  Godeffroy-klhum,   (Taf.  18.  No.  800.) 

2  und  3.    Junge  Javaninnen  aus  Batavia. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  der  Berliner  anthropo- 
logischen Gesellschaft. 


B.  Text-Abbildungen.  639 

4.  Konde-Frau  vom  Nyasaa-See,  Ost-Afrika.  Seite 
Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

5.  Europäerin,  wahrscheinlich  Wienerin. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers, 

6.  Zulu-Weib,  Süd-Afrika. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

7.  Buschmann-Frau,  ungef&hr  29  Jahre  alt. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

8.  Junges  Papua-Mädchen  von  der  Gazellen-Halbinsel  von  Neu-Bri- 
tannien  (Neu-Pommern). 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  94.  Hinteransicht  einer  erwachsenen  jungen  Europäerin  (wahr- 
scheinlich einer  Oesterreicherin)  zum  Vergleiche  mit  Fig.  95  dienend 156 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  95.    Hinter- Ansicht  eines  Aschanti-Mädchens  von  16  Jahren    .   .   .     156 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Carl  CHiMher  in  Berlin,  im  Besitze 
des  Herausgebers. 

Fig.  96.  Beginnende  Steatopygie  bei  einem  ungefähr  8jährigen  Busch- 
mann-Mädchen aus  der  Kalahari-Wüste,  der  Truppe  der  Fartnt'schen  Erd- 
menschen angehörend 157 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Professor  Dr.  Felix  von  Lust^fit  im 
Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  97.  Hochgradige  Steatopygie  bei  einem  Eoranna-Weibe,  Süd- 
Afrika 158 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  der  Berliner  anthropo- 
logischen Gesellschaft. 

Fig.  98.  Steatopygie  bei  einer  Hottentotten-Frau  von  22  Jahren  (dieselbe 
Person  wie  Fig.  92.  No.  9) 159 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  99.  Steatopygie  und  Fettleibigkeit  bei  einer  Bongo-Frau,  Gentral- 
Afrika 159 

Aus  Georg  SchtceinfurÜh  (wie  Fig.  40  No.  8)  Vol.  IL  p.  121. 

Fig.  100.  Mädchen  von  der  Zwergrasse  der  Ewe  (StuMmann's  Pygmäen 
vom  Ituri  in  Ost- Afrika),  mit  Namen  Sh^anayo,  ungefähr  20  Jahre  alt,  mit  Stea- 
topygie, kleinem  Nabelbruch  und  halbkugelig  der  Mamma  aufiBitzendem  Warzenhofe  .     160 

Nach  einer  photographischen  Aufiiahme  des  Geheimen  Medicinalrath ,  Professor 
Dr.  Gustav  Früsch  in  Berlin,  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  101.  Steatopygie  bei  einer  äthiopischen  Araberin  (Fürstin).  Das 
Original  dieser  Darstellung  befindet  sich  auf  einer  altägyptischen  Reliefplatte  aus  den 
Pyramidengräbem  von  Saqara  in  Aegypten 161 

Aus  Johannes  Dümichen:  Resultate  der  auf  Befehl  Sr.  Majestät  des  Königs  TFt2^2iti 
von  Preussen  im  Sommer  1868  nach  Aegypten  entsendeten  archäologisch-photo- 
graphischen Expedition.    Theil  I.    Tafel  57.    Berlin  1869. 

Fig.  102.  Hottentottenschürze.  Die  vergrösserten,  aus  der  Schamspalte 
hervorhängenden  kleinen  Schamlippen  einer  (breitbeinig  sitzenden)  Hottentotten- 
Frau 167 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Ge- 
sellschaft. 

Fig.  108.  Hottentottenschürze.  Die  vergrösserten,  aus  der  Schamspalte  her- 
vorhängenden kleinen  Schamlippen  einer  (in  Rückenlage  befindlichen)  Hottentotten- 
Frau  sind  möglichst  breit  aus  einander  gelegt,  um  den  hohen  Grad  der  Vergrösserung 
zu  zeigen 168 

Nach  Tafel  III.  Fig.  1  der  Veröffentlichung  von  F.  Piron  und  A.  Lesueur: 
Observation  sur  le  tablier  des  femmes  Hottentottes,  und  Baphad  Blanchard: 
Une  ^de  critique  sur  la  Steatopygie  et  le  tablier  des  femmes  Boschimanes. 
Meulan  1883. 

Fig.  104.  Holzgeschnitzte  Figur  der  Enopneusen  im  nördlichen  Transvaal 
(Südost- Afrika).  Diese  geschnitzte  weibliche  Figur  wurde  von  dem  Director  des 
Berliner  Missionshauses  Herrn  D.  Wangemann  von  seiner  letzten  afrikanischen 
Inspectionsreise  nebst  zwei  ähnlichen  männlichen  Figuren  mitgebracht   und   befindet 


640  Anhang  8. 

sich  jetzt  in  dem  Mnaeum  des  Berliner  MissionshaaseB.  Er  hielt  sie  für  eine  Arbeit  Seit« 
der  Bawaenda;  sieiat  aber  von  den  mit  den  letzteren  zusammenlebenden  Enopneasen 
gefertigt.  Sie  stellt  eine  Enopneusen-Fraa  in  vollem  Ck>8tflm  dar;  die  Schamtheüe 
sind  mit  ziemlicher  Sorgfalt  ausgearbeitet  und  lassen  deutlich  die  vergrOsserten  und  aus 
der  Schamspalte  hervorhängenden  kleinen  Schamlippen  erkennen.  Diese  Theile  werden 
gut  sichtbar,  wenn  man  die  Figur  ein  wenig  vornüber  neigt  und  von  hinten  her  be- 
trachtet. So  ist  sie  in  der  gegebenen  Abbildung  dargestellt  worden.  Die  Bedeutung 
dieser  Figuren  ist  nicht  bekannt 171 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  105.  Holzgeschnitzte  Frauen-Figur  aus  Neu-Britannien  mit  klaffen- 
der Vulva  und  daraus  hervorh&ngenden  stark  vergrOsserten  Nymphen 172 

Im  Besitze  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  106.  Holzgeschnitzte  Figur  der  Bongo  (Central -Afrika).  Zur  Er- 
innerung an  eine  verstorbene  Frau  in  der  Hütte  oder  am  Qrabe  aufgestellt,  deutlich 
die  künstlich  verlängerte  Glitoris  zeigend 173 

Nach  Gewrg  Schweinfurtfß  (wie  Fig.  40.  Ne.  4).    Tab.  VIII.  Fig.  5. 

Fig.  107.  Eine  verschnittene  Nubierin.  Statt  des  oberen  Theils  der  Scham- 
spalte sieht  man  bei '  der  in  der  Rückenlage  mit  gespreizten  Beinen  daUegeuden  Frau 
eine  wulstige,  unregelmässige  Narbe,  während  der  untere  Theil  ein  rundliches,  trichter- 
förmiges Loch  darstellt 176 

Nach  Paoh  Paneeri:  Le  operazioni  che  nell*  Africa  Orientale  si  pratioano  sugli 
organi  genitali;  in  Paolo  Mantegaeza:  Archivio  per  TAntropologia  e  la  Etnologia. 
m.  volume.    Tavola  V.  Fig.  2.    Firenze  1874. 

Fig.  108.  Verschnittene  70jährige  Jungfrau  aus  Rnssland,  der  Skop- 
zensecte   angehörend.    Die  Schamspalte  ist  zu  einem  runden,  trichterförmigen  Loc^e  | 

verengt;   von   dessen  oberem  Rande  eine  unregelmässige  Narbe  bis  in  den  Schamberg  | 

hinein  sich  erstreckt.    Von  der  oberen  Hälfte  der  grossen  Labien,  der  Glitoris  und  den  , 

kleinen  Schamlippen  ist  keine  Spur  erhalten 182 

Nach  E,  V,  Pelikan:  Gerichtlich  medidnische  Untersuchungen  über  das  Skopzen-  ' 

thum  in  Russland,    üebersetzt  von  N,  Iwanoff.    Giessen  und  St.  Petersburg  1876.  I 

Tafel  Xin.  1 

Fig.  109.  Eine  vernähte  Nubierin  breitbeinig  und  ganz  hintenüber  gelehnt 
sitzend.    Anstatt  einer  Schamspalte  ist  nur  ein  unregelmässiger  Narbenstreifen  sichtbar    185 

Nach  Paolo  Panoeri  (wie  Fig.  107).    Tavola  V.  Fig.  1. 

Fig.  110.  Eine  wiederaufgeschnittene  .vernäht*  gewesene  Sudanesin. 
Man  erkennt  den  Stumpf  der  abgeschnittenen  Glitoris  und  jederseits  die  durchtrennte 
Vemähungsnarbe 188 

Nach  einer  nach  der  Natur  gefertigten  Zeichnung  vom  Geh.  Medicinalrath,  Professor 
Dr.  Bohert  Hartmann  (Berlin),  welche  letzterer  dem  Herausgeber  freundlichst  zur  Ver- 
öffentlichung überlassen  hatte. 

Fig.  111.  Indische  Daumenringe  mit  Spiegel  (Arsi),  von  den  Frauen  zur 
Entfernung  der  Schamhaare  benutzt  (Kaschmir).   Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin    199 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  112.  Scham-Tättowirung  einer  Ponapesin  (Carolinen-Inseln).  Man 
sieht,  wie  die  Tättowirung  im  Stande  ist,  die  Bekleidung  zu  ersetzen 200 

Aus  Otto  Finsch:  üeber  die  Bewohner  von  Ponapö  (östl.  Gardinen). 
Nach  eigenen  Beobachtungen  und  Erkundigungen.  Zeitschrift  für  Ethnologie.  Bd.  Xu. 
S.  811.    Fig.  7.    Berlin  1880. 

Fig.  118.    Scham-Tättowirung  einer  Pelau-Insulanerin 201 

Nach  J.S.Kübary:  Das  Tättowiren  in  Mikronesien,  speciell  in  den  Garo- 
linen.  In  W.  Joest:  Tättowiren,  Narbenzeichnen  und  Körperbemalen.  Berlin  1887. 
Seite  78. 

Fig.  114.  Muster  der  Scham-Tättowirung  der  Nukuoro-Insulanerinnen, 
welches  als  Zeichen  der  weiblichen  Geschlechtsreife  eintättowirt  wird 202 

Nach  J.  S,  Kubary  (wie  Fig.  118).    S.  86. 

Fig.  116.    Die  inneren  Genitalien  des  Weibes 206 

Nach  Joan  Dryander:  Artzenei-Spiegel.  Blatt  22.  Franckfurt  am  Meyn. 
{Chr.  Egenolph.)    1547. 


B.  Die  Text-Abbildungen.  641 

Fig.  116.  Eisernes  Yotiybild  in  Krötengestali,  die  Gebärmufcter  darstellend.  Seite 
Derartige  Yotivfigoren  werden  in  manchen  katholischen  Kirchen  aufgehängt,  um  die 
Heilung  von  Gebärmutterkrankheiten   zu   erflehen.    Das  Original  befindet  sich  in  dem 
Museum  in  Wiesbaden 210 

Aus  Handdmann :  Der  Erötenaberglaube  und  die  Erötenfibeln.  Verhandlungen  der 
Berliner  anthropologischen  Gesellschaft  Zeitschrift  f^  Ethnologie.  Bd.  XIY. 
8.  (22).    Berlin  1882. 

Fig.  117.  Yotivfigur  aus  gebranntem  Thon.  Diese  im  Museo  archeo- 
logico  in  Florenz  befindliche,  wahrscheinlich  aus  etruskischer  Zeit  stammende 
Terracotta  lässt  deutlich  den  Nabel  und  die  Schamspalte  und  dazwischen  in  einem  fenster- 
artigen Ausschnitte  der  Bauchdecken  die  Gebärmutter  mit  dem  Muttermunde  erkennen. 
Diese  Figuren  hatten  zweifellos  einen  ganz  ähnlichen  Zweck,  wie  die  christlichen  Yotiv- 
bilder  (Fig.  117) 212 

Nach  einer  Skizze  des  Herausgeben. 

Fig.  118.   Die  GrOssen-Typen  der  weiblichen  Brust  bei  Europäerinnen    216 

a.  (Wahrscheinlich)  eine  Wienerin  mit  starken  Brüsten. 

b.  (Wahrscheinlich)  eine  Magyarin  mit  vollen  Brüsten. 
Nach  photographischen  Au&ahmen  im  Besitze  des  Herauegebers. 

Fig.  119.  Die  Grössen-Typen  der  weiblichen  Brust  bei  Europäerinnen    217 
c  (Wahrscheinlich)  eine  Magyarin  mit  massigen  Brüsten, 
d.  (Wahrscheinlich)  eine  Magyarin  mit  schwachen  Brüsten. 

Nach  photographischen  Aufnahmen  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  120.  Zulu- Frau  (Mulattin?)  im  Anzug  mit  hochgeechobenen ,  scheinbar 
Yollen  Brüsten  (dieselbe  wie  Fig.  5) 218 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Carl  Günther  in  Berlin,  im  Besitze 
des  Herausgebers. 

Fig.  121.  Kaffer-Mädchen  aus  Na tal  (Süd- Afrika)  mit  hochgradig  gewölbten 
und  vorspringenden  Warzenhöfen  auf  den  Brüsten 219 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Professor  Dr.  W.  Joest 
in  Berlin. 

Fig.  122.  Die  Grössen-Typen  der  weiblichen  Brust  bei  fremden 
Yölkern 220 

a.  Tinguinanin  von  llicos  Sur  (Philippinen)  mit  starken  Brüsten. 

b.  Javanin  (ungefähr  28  Jahre  alt)  aus  dem  Eampong  Eiyan,  District  Sama- 
rang  (Java),  mit  vollen  Brüsten. 

Nach  photograpldschen  Aufnahmen,  a.  von  Schadenberg  im  Besitze  der  Berliner 
anthropologischen  Gesellschaft;  b.  von  C.  Dietrkh  (Samarang)  im  Besitze  des 
Herausgebers. 

Fig.  123.  Die  Grössen-Typen  der  weiblichen  Brust  bei  fremden 
Völkern 221 

c.  Indianerin  aus  Arizona  mit  massigen  Brüsten. 

d.  Bari-Weib  (Central-Afrika)  mit  schwachen  Brüsten. 

Nach  photographischen  Aufnahmen,  c.  von  BÜhman  und  Hartwell^  d.  von  R.  Buchta. 
(Die  oberen  Nilländer  No.  87)  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  124.  Tänzerin  aus  Algerien  mit  gewölbt  den  Brüsten  aufsitzenden 
Warzenhöfen 222 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Dr.  jur.  Freiherrn  van 
Oppenheim  in  Berlin. 

Fig.  125.  Bari-Weib  aus  Central-Afrika  mit  kleinen,  halbkugelförmigen 
Brüsten  und  prominirenden,  halbkugelförmigen  Warzenhöfen 224 

Nach  einer  von  Dr.  Biehard  Bttchta  aufgenommenen  Photographie  im  Besitze  des 
Herausgebers,  vergl.  Obere  Nil-Länder  (wie  Tafel  I.  8)  No.  86. 

Fig.  126.  Die  drei  Festigkeits-Typen  der  weiblichen  Brust  bei 
Europäerinnen 225 

a.  (Wahrscheinlich)  eine  Wienerin  mit  stehenden  Brüsten. 

b.  (Wahrscheinlich)  eine  Magyarin  mit  sich  senkenden  Brüsten. 

c.  (Wahrscheinlich)  eine  Wienerin  mit  hängenden  Brüsten. 
Nach  photographischen  Aufiiahmen  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  127.  Die  drei  Festigkeits-Typen  der  weiblichen  Brust  bei  frem- 
den Yölkern 226 

PlosB-BartelB,  Das  Weib.    5.  Aufl.    11.  41 


642  Anhang  3. 

a.  Negrita  von  Luzon  (Philippinen)  mit  stehenden  Brüsten.  Seite 

b.  Mincopie-Weib  (Süd-Andamanen)  mit  sich  senkenden  Brüsten. 

c.  Samoanerin  mit  hängenden  Brüsten. 

Nach  photographischen  Aufnahmen  im  Besitze  des  Herauagf^bers  (c.  aufgenommen 
von  C.  Günther,  [Berlin]). 

Fig.  128.  Indianerin  aus  Arizona  mit  gewölbt  den  Brüsten  anfidtzenden 
Warzenhöfen 228 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Dr.  Bidiard  Neuhauss  in  Berlin. 

Fig.  129.  Die  drei  Formen-Typen  der  weiblichen  Brust  bei  Euro- 
päerinnen           229 

a.  (Wahrscheinlich)  eine  Magyarin  mit  schalenförmigen  Brüsten. 

b.  (Wahrscheinlich)  eine  Magyarin  mit  halbkugeligen  Brüsten. 

c.  (Wahrscheinlich)  eine  Magyarin  mit  konischen  Brüsten. 
Nach  photographischen  Au&iahmen  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  130.  Die  drei  Formen-Typen  der  weiblichen  Brust  bei  fremden 
Völkern 230 

a.  Malabaresin  mit  schalenförmigen  Brüsten. 

b.  Australier-Mädchen,  15  Jahre  alt,  aus  Nord-Queensland,  mit  halb- 
kugeligen Brüsten. 

c.  Magungo-Mädchen,  Gentral-Afrika,  mit  konischen  Brüsten. 
Nach  photographischen  Aufnahmen  im  Besitze  des  Herausgebers  [b.  aufgenommen 

von  0.  Günther  (Berlin);  c.  aufgenommen  von  B.  Buchta  (Die  obereren  Nilländer  No.  72)]. 

Fig.  181.  Neger-Mädchen  aus  dem  ägyptischen  Sudan  mit  grossen,  den 
Brüsten  halbkugelig  aufsitzenden  Warzenhöfen 231 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Prof.  Dr.  Georg  Schweinfwrih,  im  Be- 
sitze des  Herausgehers, 

Fig.  132.  Aschanti*Mädchen  (West- Afrika),  16  Jahre  alt,  mit  bereits 
hängenden  Brüsten;  dieselbe  wie  Fig.  95 2S2 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Carl  Günther  in  Berlin,  im  Besitze 
des  Herausgebers. 

Fig.  138.  Die  Ziegeneuter-Form  der  weiblichen  Brust  bei  fremden 
Völkern 233 

a.  Eaffer-Mädchen,  Natal. 

b.  Lepcha-Frau  aus  Sikkhim  im  Himalaya. 

c.  Makraka-Mädchen,  Gentral-Afrika. 

Nach  photographischen  Aufnahmen  a.  im  Besitze  des  Herausgebers^  b.  im  Besitze 
des  Egl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin,  c.  im  Besitze  des  Herausgebers, 
aufgenommen  von  B.  Buchta  (Die  oberen  Nilländer  No.  78). 

Fig.  184.  Zwei  Loango-Negerinnen  (West-Afrika)  mit  hängenden,  asym- 
metrischen Brüsten.    Die  ältere  trägt  die  Brustschnur 234 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Oberstabsarzt  Dr.  Falkenstein  in 
Berlin,  im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  135.  Kaffer-Frau  aus  Natal  (Süd- Afrika)  mit  grossen,  stark  hängenden 
Brüsten  und  grossen,  in  die  Wölbung  der  Brüste  hineingezogenen  Warzenhöfen ....     235 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Prof.  Dr.  W.  Joest  in  Berlin. 

Fig.  186.  Loango  -  Negerin  mit  fingergliedähnlicher  Brustwarze  und  abgeflachten 
Brüsten 236 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  Stabsarzt  Dr.  Falkenstein,  im  Besitze 
der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  137.    Hindu -Frau  mit  sehr  grossen  Brustwarzenhöfen 237 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  L.  Steiner,  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  138.  Junge  Australierin  (19  Jahre  alt,  Mutter)  vom  Stamme  Gudang 
bei  Somerset,  Cap-York-Halbinsel,  Queensland.  Der  Warzenhof  ist  gegen  die 
Mamma  eingeschnürt,  und  sitzt  der  letzteren  halbkugelig  auf 289 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Dr.  OUo  Finsch,  im  Besitze  der 
Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  139.  Eanaken-Frau  aus  Honolulu,  Hawaii-Inseln  mit  sehr  grossen 
Brustwarzenhöfen 240 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Dr.  Bichard  Neuhauss  (Berlin),  im 
Besitze  des  Herausgdfers. 


B.  Die  Text-Abbildnngen.  643 

Fig.  140.    Loango-Negerin  (Südwest-Afrika)  mit  der  Brustschnar.    Letztere  Seite 
ist  dicht  an  der  oberen  Grenze   der   vollen,   halbcitronenförmigen  Brüste   fest   um  den 
Thorax  gebunden 241 

Nach  einer  von  Oberstabsarzt  Dr.  FciOcenstein  (Berlin)  aufgenommenen  Photo- 
graphie, im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  141.  Frau  ausTunis,  die  bereits  geboren  hat,  mit  hochgradig  ausgebildeter 
Ziegeneuter-Form  der  Brust 243 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  142.  Corset  der  Ossetinnen  (Kaukasus).  Dasselbe  wird  den  jungen 
M&dchen  im  7.  oder  8.  oder  im  10.  oder  11.  Jahre  umgelegt  und  bleibt  unverändert 
liegen,  bis  es  der  Br&utigam  in  der  Brautnacht  mit  seinem  Dolche  der  Neuvermählten 
abschneidet 245 

Nach  E,  Ä.  PokrotosJcy:  Physische  Erziehung  der  Kinder  bei  den  verschiedenen 
YOlkem,  vorzugsweise  Russlands  (russisch).    Moskau  1884.    Fig.  191.  S.  292. 

Fig.  143.  Tättowirung  der  Brüste  bei  den  Tanembar-Insulanerinnen. 
Die  Einwohnerinnen  der  Tanembar-Inseln  im  alfurischen  Meere  sind  an  der  Stirn, 
an  dem  linken  Arme,  an  den  Händen  und  auf  der  Brust  mit  besonderen  Zeichen  tättowirt. 
Die  Tättowirung  der  Brdste  besteht  in  einer  kreisfiirmigen  Einschliessung  des  Warzen- 
hofes, von  welcher  stemartig  gerade  oder  gebogene  Strahlen  über  den  Hügel  der  Mamma 
verlaufen.  Zwischen  den  Brüsten  ist  ein  System  von  Punkten  eintättowirt,  welche  eine 
horizontale  Linie  bilden,  von  der  zwei  Rauten  und  zwei  halbe  Rauten  (also  Dreiecke) 
herabhängen.  Die  Tättowirung  oberhalb  der  Brüste  stellt  einen  stylisirten,  sich  um- 
blickenden Yogel  dar .   .     246 

Nach  Joh.  Gerhard  Frxedr,  Riedel^ \  De  sluik  en  kroesharige  Rassen,  tuschen 
Selebes  en  Papua.    Platt  XXX.   Fig.  13  u.  14.    's  Gravenhage  1886. 

Fig.  144.  Zwanzigjährige  russische  Jungfrau,  zur  Skopzen-Secte  ge- 
hörig. Beide  Brüste  sind  abgeschnitten  und  an  ihrer  Stelle  besteht  jederseits  eine 
breite  Narbe 247 

Nach  E.  V,  Pelikan  (wie  Fig.  108)  Tafel  IX. 

Fig.  145.  Martyrium  der  heiligen  Agathe,  Gemälde  von  SebasÜano  del 
Piombo  in  der  Galer ia  Pitti  in  Florenz 248 

Nach  einer  photographischen  Au&ahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  146.  Die  heilige  Agathe,  ihre  abgeschnittenen  BrQste  präsentirend.  Ge- 
mälde von  Lorengo  Lippi  in  der  Galerie  der  IJffizien  in  Florenz 249 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  147.  Drei  Wassergefässe  aus  Thon  von  den  Zuni-Indianern  der 
Pueblos  von  Arizona,  in  Gestalt  von  Weiberbrüsten 251 

Nach  Fr.  H.  Cushing,  A  study  of  Pueblo  Pottery  etc.  Fourth  Annual  Report, 
Bureau  of  Ethnology,  Washington  1886.   p.  512.  513.   Fig.  547—49. 

Fig.  148.  Magungo- Mädchen  (Ost- Afrika)  im  Backfischalter,  im  Stadium  der 
ersten  Entwickelung  der  Primär-Mamma  mit  stark  ausgebildeten  Brustwarzenhöfen  in 
Halbkugelform 267 

Nach  einer  von  Dr.  Bichard  Buchta  aufgenommenen  Photographie,  im  Besitze  der 
Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  149.  Fjeld-Lappen-Mädchen  aus  Kautokeina  am  Altenfjord  (Nor- 
wegen) im  Backiischalter  (15  Jahre  alt),  mit   fertig    entwickelter  Primär-Mamma   und 

scheibenförmigen  Brustwarzenhöfen  mit  prominenten  Brustwarzen 270 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Carl  Günther  (Berlin),  im  Besitze 
des  Herausgebers. 

Fig.  150.  Neger-Mädchen  von  der  Loango  -  Küste  (West-Afrika)  im 
Backfischalter,  im  Stadium  der  stark  ausgebildeten  Halbkugelform  der  Brustwarzenhöfe, 
welche  bereits  vor  Entwickelung   der   Primär-Mamma  eine  Neigung   zum  üeberhängen 

zeigen 271 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Oberstabsarzt  Dr.  FaXkenstein  (Berlin), 
im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft 

Fig.  151.  Frau  aus  der  Gegend  von  Bangalore,  Süd-Indien,  der  dem 
Dravidischen  Stamme  zugehörigen  Burulu  Kodo  Vokaligaru-Secte  an- 
gehörend, welcher  in  der  Bandi  D^vurü-Geremonie  bei  Gelegenheit  der  feierlichen 
Durchbohrung  der  Ohren  und  Nase  ihrer  ältesten  Tochter  die  Nagelglieder  des  Ringfingers 

und  des  kleinen  Fingers  der  rechten  Hand  amputirt  worden  sind 272 

41* 


644  Anhang  8. 

Nach  der  nach  einer  photographischen  An&iahme  gefertigten  Abbildung  bei  Ferd.   Seite 
Fawcett:   On  the  Berala  Eodo,  a  Sab-Sect  of  the  Moras  Yocaligaru  of  the 
Mysore    Province.     The    Journal   of  the    Anthropological    Society    of  Bombay. 
Vol  I.    1889. 

Fig.  152.  Kleines  Mädchen  ans  West-Afrika,  angeblich  aus  Dahome,  in 
der  Periode  der  zweiten  Streckung 274 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Franz  Görke  (Berlin),  im  Besitze 
des  Herausgebers, 

Fig.  158.  Kleines  Mädchen  von  Celebes,  Prinzessin  vonWadjo,  im 
kindlichen  Alter  nach  der  Periode  der  ersten  Streckung 275 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  154.  Kleines  Mädchen  von  der  Insel  Serang  (Ceram)  in  der  Periode 
der  zweiten  Streckung  mit  noch  puerilen  Brustwarzen 276 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  der  Berliner  anthropolo- 
gischen Gesellschaft. 

Fig.  155.  Drei  Ahuse-Mädchen  vom  Yolta-River,  Gold-Kflste  (West- 
Afrika) 277 

1.  Auf  der  Erde  sitzend  ein  Kind  aus  der  Periode  der  zweiten  Streckung  mit  noch 
puerilen  Brustwarzen. 

2.  Stehend  ein  fast  reifes  Mädchen  mit  fertig  entwickelter  Primär-Mamma  und 
halbkugelförmigen  Brustwarzenhöfen. 

3.  Auf  dem  Stuhle  sitzend  ein  älteres  erwachsenes  Mädchen. 
Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  156.  Neger-Mädchen  von  der  Loango-Küste  (West-Afrika)  im 
Backfischalter  in  dem  Stadium  des  Ueberganges  von  der  puerilen  zur  Halbkngelform 
der  Brustwarzenhöfe 278 

Nach  einer  von  Oberstabsarzt  Dr.  Falkenstein  (Berlin)  aufjgenommenen  Photo- 
graphie, im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  157.  Australierin  aus  Nord-Queensland  im  Stadium  der  Halbkugel- 
form der  Brustwarzenhöfe  yor  Entwickelung  der  Primär-Mamma 279 

Nach  einer  von  Bayliss  (Sydney)  aufgenommenen  Bhotographie  im  Besitze  des 
Herausgebers, 

Fig.  158.  Kaffer-Mädchen  aus  Natal  (Süd- Afrika)  im  Backfischalter,  im 
Stadium  der  stark  ausgebildeten  Halbkugelform  der  Brustwarzenhöfe  vor  Entwickelung 
der  Primär-Mamma 280 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Prof.  Dr.  W,  Joest  (Berlin). 

Fig.  159.  Andamanen-Insulanerin  (Mincopie-Mädchen)  im  Backfisch- 
alter,  im  Stadium  der  stark  ausgebildeten  Halbkngelform  der  Brustwarzenhöfe  vor  der 
Entwickelung  der  Primär-Mamma 281 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  160.  Kaffer-Mädchen  aus  Britisch-Kafferland  (Süd-Afrika)  im 
Backfischalter,  im  Stadium  der  beginnenden  Entwickelung  der  Primär-Mamma  mit  halb- 
kugelförmigen Brustwarzenhöfen 282 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Professor  Dr.  Wilhelm 
Joest  (Berlin). 

Fig.  161.  Kaffer-Mädchen  aus  King-Williams-Town,  Britisch-Kaffer- 
land (Süd-Afrika)  im  Backfischalter,  im  Stadium  der  entwickelten  Primär-Mamma  mit 
halbkugelförmigen  Brustwarzenhöfen 288 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Professor  Dr.  TT.  Joest 
(Berlin). 

Fig.  162.  Neger-Mädchen  von  der  Loango-Küste  (West-Afrika)  im  Back- 
fischalter, im  Stadium  der  sehr  stark  ausgebildeten  Halbkugelform  der  Brustwarzenhöfe, 
welche  bereits  vor  der  Entwickelung  der  Primär-Mamma  eine  erhebliche  Neigung  zum 
Ueberhängen  zeigen 284 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Oberstabsarzt  Dr.  Falkenstein 
(Berlin),  im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  168.  Neger-Mädchen  aus  Chinchoxo  an  der  Loango-Küste  (West- 
Afrika)  im  Backfischalter,  im  Stadium  der  fertig  entwickelten  und  bereits  überhängen- 
den Primär-Mamma  mit  scheibenförmigen  Brustwarzenhöfen  und  prominenten  Brust- 
warzen   286 


B.  Die  Text-Abbildungen.  645 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  Ton  Oberstabsarzt  Dr.  FaJkenstein  (Berlin),  8«it« 
im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft 

Fig  164.  Akka-M&dchen  (Ost-Afrika)  im  Backfischalter,  im  Stadium  der 
fertig  entwickelten  Primär-Mamma  mit  scheibenförmigen  BrustwarzenhOfen  und  promi- 
nenten Brustwarzen 287 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Dr.  Riehard  Buchta,  im  Besitze  des 
Herausgebers, 

Fig.  165.  Eaffer-M&dchen,  Süd-Afrika;  vier  Stadien  der  Entwickelung  der 
Brüste  zeigend. 

a.  die  Knieende,  mit  der  Halbkugelform  der  BmstwarzenhOfe  vor  der  Ent- 
wickelung der  primären  Mamma. 

b.  die  hinter  der  vorigen  Stehende,  mit  beginnender  Entwickelung  der  primären 
Mamma,  aber  noch  erhaltener  Halbkugelform  der  Brustwarzcmhöfe. 

c.  die  hinter  der  Sitzenden  Stehende,  mit  fertig  entwickelter  primärer  Mamma 
und  scheibenförmigen  Bmstwarzenhöfen  und  prominenter  Brustwarze. 

d.  die  Sitzende  mit  fertig  ausgebildeten  jungfiräulichen  Brüsten 289 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgdfers. 

Fig.  166.  Deutsches  Mädchen  von  8  Jahren  mit  vorzeitiger  Ausbildung  der 
Brüste  und  abnormer  Fettleibigkeit 802 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  167.     Frühreifes  Mädchen,  4^/4  Jahr  alt,  aus  St.  Louis  (Amerika)  .   .     303 

Nach  Zeitschrift  für  Ethnologie.    Band  VHI.  Tafel  XUI.  Berlin  1876. 

Fig.  168.  Frühreifes  fast  dreijähriges  Mädchen  aus  Dalheim,  Ost- 
preussen,  mit  dichter,  langer  Behaarung  der  Genitalien 305 

Nach  einer  dem  Herausgeber  von  Dr.  Ehlers  (Berlin)  freundlichst  überlassenen 
photographischen  Aufiiahme. 

Fig.  169.  Frühreife  Berlinerin  im  fast  vollendeten  5.  Lebenigahre  mit  dichter 
Schambehaarung,  aber  puerilen  Brüsten 306 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Carl  CHinther  in  Berlin,  im  Besitze 
des  Herausgd>er8. 

Fig.  170.  Kopfputz  einer  reifgewordenen  (zum  ersten  Male  menstruirenden) 
Hoskaruth- Indianerin  in  Vancouver.  Er  ist  aus  Cedembast  gefertigt  und  mit 
Gattun,  Glasperlen  und  den  Schnäbeln  eines  Fisches,  des  Seepapagei,  behängt 823 

Kgl.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin.  Nach  der  photographischen 
Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  171.  Krobo-Mädchen  von  der  Goldküste  (West-Afrika)  in  der  Tracht 
der  beginnenden  Mannbarkeit 325 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgdters, 

Fig.  172.  Rechte  Hälfte  einer  bemalten  Holzwand  der  Nootka-In- 
dianer  in  Britisch-Columbien,  welche  bei  dem  Beifefeste  der  zum  ersten  Male 
menstruirenden  Jungfrau  benutzt  wird,  um  letztere,  während  sie  abgesondert  auf  der 
Plattform  des  Hauses  sitzt,  zu  verbergen.  Die  Figuren  stellen  den  Donnervogel  und 
Wale  dar 332 

Aus  Boas,  Frans:  Second  General  Report  on  the  Indians  of  British  Co- 
lumbia. Sizth  Report  on  the  North  Western  Tribes  of  Canada.  British 
Association  for  the  Advancement  of  Science.    London  1891. 

Fig.  173.  Nordamerikanische  Indianerin,  wahrscheinlich  vom  Stamme  der 
Dacota,  abgesondert  im  Menstruations-Zelte 845 

Nach  Henry  B,  Schoolcraft:  Indian  Tribes  of  the  United  States.  Part  Y. 
Plate  3.    Capt.  8.  Eastman  ü.  S.  Am.  delin.    Philadelphia  1855. 

Fig.  174.  Holzgeschnitzte  weibliche  Figur  aus  Neu-Britannien, 
welcher  ein  Nashornvogel  mit  dem  Schnabel  etwas  aus  den  Geschlechtstheilen  zieht .   .     353 

Im  Besitze  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Au&ahme  des  Herausgebers. 

Fig.  175.  Holzgeschnitzte  weibliche  Figur  auf  einer  langen  Holz- 
planke von  einem  Absonderungshause  für  heranreifende  junge  Mädchen  aus 
dem  Dorfe  Snam  bei  Finschhafen  (Neu- Guinea).  Ein  nur  theilweise  im  Bilde 
wiedergegebenes  Krokodil  beisst  in  den  Kopf  der  Frau,  während  ein  zweites  Krokodil 
mit  dem  Maule  etwas  aus  ihren  Geschlechtstheilen  zieht 354 


546  Anhang  3. 

Im  Besitze  des  Kgl.  Maseums  fflr  Völkerkunde  in  Berlin.  Seite 

Nach  der  photographischen  Anfhahme  des  Herausgebers. 

Fig.  176.  Holzgeschnitate  weibliche  Figur  auf  einer  langen  flolz- 
planke  von  einem  Absonderungshause  für  heranreifende  junge  Mädchen 
aus  dem  Dorfe  Snam  bei  Finschhafen  (Neu-Guinea).  Aus  ihren  Geschlechta- 
theilen  kriecht  eine  Schlange  herror 355 

Im  Besitze  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufiiahme  des  Herausgdfers, 

Fig.  177.  Holzgeschnitzte  weibliche  Figur  von  der  Mitte  einer  langen 
Holzplanke  von  einem  Absonderungshause  für  heranreifende  junge  Mäd- 
chen aus  dem  Dorfe  Suam  bei  Finschhafen  (Neu-Guinea).  Aus  ihren  Ge- 
schlechtsiheilen  tritt  ein  rother  Gegenstand  heraus 356 

Im  Besitze  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufiiahme  des  Herausgebers. 

Fig.  178.  Madchen  der  Nep-Nep  (Botokuden)  vom  Bio  das  Pancas 
(Brasilien)  vollständig  nackt  auf  der  £rde  sitzend  und  mit  den  Beinen  ihre  Scham- 
iheile  verdeckend 361 

Nach  einer  von  Dr.  Faul  Ehrenreick  (Berlin)  aufgenommenen  Photographie,  im 
Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft 

Fig.  179.  Junges  M&dchen  der  Feuerländer,  18^2  Jfthr  alt,  ihre  Scham- 
iheile  mit  der  Hand  verdeckend 362 

Nach  einer  photographischen  Au&ahme  von  Hyades  und  Deniker:  Mission 
scientifique  au  Gap  Hörn.    Paris  1891.    PI.  XII.  Fig.  1. 

Fig.  180.  Feuerländerinnen  im  Sitzen  sich  mit  den  Beinen  die  Schamiheile 
verdeckend. 

Die  Kauernde  rechts  ist  ungefähr  40  Jahre;  ihre  Nachbarin,  mit  dem  5jährigen 
Knaben  auf  dem  Rücken,  ist  ungefähr  25  Jahre;  von  der  folgenden  Frau  ist  das  Alter 
nicht  angegeben  und  die  geradesitzende  Frau  links  ist  ungefähr  30  Jahre  alt 363 

Nach  einer  photographischen  Aufoahme  von  Hyades  und  Deniker^  wie  Fig.  140. 
PL  XVUI. 

Fig.  181.  Verheirathete  Frau  der  Tornehmen  Klasse  in  Tunis  tief 
verschleiert,  im  Strassencostfim,  um  ins  Bad  oder  zu  einem  Besuche  zu  gehen  .     367 

Nach  einer  photographischen  Anfimhme  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  182.  Manrin  aus  Algier,  verschleiert.  Der  ausserordentlich  feine 
Schleier  gestattet  das  ganze  Gesicht  deutlich  zu  erkennen 368 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Dr.  Freiherm  von  Oppen- 
heim  (Berlin). 

Fig.  183.    Darstellung  eines  schamhaften  Weibes 370 

Holzschnitt  vom  Jahre  1531,  aus  Johann  von  Schwartzenberg,  Officia  M,  T,  C. 
Bl.  XXX.  b. 

Fig.  184.  Unverheirathete  Igorrotin  (Philippinen)  vor  der  Sohlaf- 
hütte  der  Mädchen  kauernd 374 

Nach  einer  photographischen  Au&ahme  von  Alexander  Schctdetiberg  (Manila), 
im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  185.  Eine  Frau  mit  dem  Keuschheitsgürtel,  aus  einem  anonymen 
Stich  des  16.  Jahrhunderts 379 

Nach  dem  Facsimile  bei  Georg  Hirth:  Cnlturgeschichtliches  Bilderbuch  aus  drei 
Jahrhunderten.    Band  I.  Fig.  379.    München,  ohne  Jahr  (1885). 

Fig.  186.    »Von  unehrlicher  Vnkeuschheit* 380 

Nach  einem  Holzschnitt  aus  Francisci  Petrarchae  Trostspiegel  in  Glück  und  Un- 
glück u.  8.  w.  Frankfurt  am  Mayn  (Christ.  EgencHfPs  Erben)  1584.  Cap.  CX. 
Bl.  201  b. 

Fig.  187.    Der  Planet  Venus  und  die  Fenu«-Kinder 381 

Nach  Barihohmäus  Zeitblom,  Aus  dem  mittelalterlichen  Hausbuch  des  Fürsten 
Friedrich  von  Waldburg- Wolfegg,  Herausgegeben  von  dem  Germanischen  Museum 
in  Nürnberg.    Leipzig.  1866.  S.  15. 

Fig.  188.    Der  Tanz 382 

Holzschnitt  Tom  Jahre  1584  aus  Petrarchae  Trostspiegel  in  Glück  vnd  Unglück. 
BL21  h.  wie  Fig.  186. 


B.  Die  Text-Abbildungen.  647 

Seite 

Fig.  189.    Badeleben  im  16.  Jahrhundert 883 

Nach  einem  Holzschnitt  ans  GwaUherua  Byff:  Spiegel  nnd  Regiment  der 
Gesnndheit.    Franckfort  1544. 

Fig.  190.  Zanberholz  zur  Erhaltung  der  ehelichen  Treae  der  Zigeanerin 
(Vorderseite) 884 

Nach  V,  WHsheki:  Amulette  und  Zauberapparate  der  ungarischen  Zelt-Zigeuner 
Globus.  Band  59.  No.  17.  Braunschweig  1891. 

Fig.  191.  Zauberholz  zur  Erhaltung  der  ehelichen  Treue  der  Zigeunerin 
(Rückseite) 384 

Nach  V.  Wlit^ocki  wie  Fig.  190. 

Fig.  192.  Venus  obyersa.  Sagittal-Durchschnitt  durch  einen  männlichen  und 
einen  weiblichen  Körper  in  coitu,  ,  Teuerem  obyersam  e  legibus  naturae  hominibus 
solam  convenire  ostendens' 404 

Nach  einer  Handzeichnung  von  Leonardo  da  Vinci,  veröffentlicht  in  Lüneburg  1830. 

Fig.  198.  Lamaistische  Ti-dam-Figur  (Schutzgottheit)  mit  seiner  Yum 
in  der  Tab-yum-Stellung  d.h.  cohabitirend. 

Dieser  Yy-Dam  ist  der  dPal-Khar-lo-tschhen-po  oder  abgekürzt  Khartschen 
(sanskrit:  Qdmahätsehakra,  chinesisch:  Küng'teh'td4ün'füh),  Er  hat  einen  Kopf  mit 
8  Gesichtern,  6  Arme  und  2  Beine.  Mit  zwei  Armen  umf&ngt  er  seine  Yum  und  bildet 
mit  den  Händen  eine  Mudrä;  mit  zwei  ferneren  H&nden  h&lt  er  zwei  Schlangen,  die 
ihre  Köpfe  in  seinen  Mund  g^esteckt  haben;  in  dem  dritten  H&ndepaar  h&lt  er  ein 
Messer  (gri-gug)  und  einen  Donnerkeil  (rdo-rje).  Mit  seinen  Füssen  zertritt  er  zwei 
Nägas,  deren  geschworener  Feind  er  ist. 

Die  Yum  steht  auf  dem  rechten  Beine  und  bat  das  linke  um  die  Weiche  des 
Y i - d a m  geschlungen ;  Chinesische  Bronzegruppe  der  Pan<2er-Sammlung  im  Besitze  des 
KgL  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin 412 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  194.  Lamaistische  Yi-dam-Figur  (Schutzgottheit)  mit  seiner 
Yum  in  der  Yab-ynm-Stellung  d.  h.  cohabitirend. 

Dieser  Yi-dam  ist  der  dPal'Khar-lO'Sdofn'pa  oder  bDe-mescKhog  (sanskrit:  ^am- 
vara,  chinesisch:  Sdidng-yoh^ang-fuk),  Er  wird  immer  stehend  in  der  Umarmung  mit 
seiner  Yum  abgebildet;  er  hat  vier  Gesichter,  zwei  Beine,  aber  zwölf  Arme.  Mit  zwei 
Armen  umfasst  er  die  Yum,  mit  den  anderen  H&nden  hält  er  als  Attribute  eine  Elephanten- 
haut,  eine  Trommel  aus  menschlichen  Schädeldecken,  ein  hammerförmig^es  Beil,  ein  Boil- 
messer,  einen  Zauberstab,  einen  Dreizack,  einen  Schädel,  eine  Wurfschlinge  und  einen 
viergesichtigen  Kopf  Brahmas,  welcher  den  Sieg  des  Buddhismus  über  den  Brahma - 
nismus  andeuten  soll.  Die  die  Yum  umschlingenden  Hände  halten  noch  Glocke  und 
Donnerkeil.    Die  Yum  umschlingt  mit  den  beiden  Schenkeln  seine  Weichen. 

Diese  Gottheit  besitzt  eine  sehr  hohe  Wichtigkeit,  denn  als  ihre  Menschwerdung 
gilt  der  Tsehangtsehc^Chuhäctu,  d.h.  der  Grosslama  von  Peking. 

Chinesische  Bronzegruppe  der  Pand«r-Sammlung  im  Besitze  des  KgL  Museums 
für  Völkerkunde  in  Berlin 413 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  195.  Lamaistische  Yi-dam-Figur  (Schutzgottheit)  mit  seiner  Yum 
in  der  Yab-yum-Stellung  d.  h.  cohabitirend. 

Dieser  Yi-dam  i&t  der  dPal'gSang-ba''duS'pa  oder  Osang-dus  (chinesisch: 
KuÖm'isü'tsdi-pi-mih'f'uh)',  er  gehört  der  milde  aussehenden  Gruppe  mit  menschlichem 
Gesicht  an.  Er  sitzt  breitbeinig 'knieend  auf  der  Erde  und  hat  ebenso  wie  seine  Yum 
drei  Gesichter  und  sechs  Arme.  Als  Attribute  werden  Rad,  Schwert  und  Juvel  gehalten. 
Die  Yum  sitzt  auf  seinem  Schoosse  und  umschlingt  mit  den  beiden  Beinen  seine  Weichen. 

Chinesische  Bronzegruppe  der  Ponder-Sammlung  im  Besitze  des  KgL  Museums 
für  Völkerkunde  in  Berlin 414 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgehers. 

Fig.  196.  Fuchsgeist  in  Frauengestalt.  Der  Schatten  lässt  den  Fuchskopf 
und  die  Fuchspfote  erkennen 424 

Nach  einem  ficurbigen  japanischen  Holzschnitt  im  Besitze  des  Dr.  Paui  Ehren- 
reich  in  Berlin. 

Fig.  197.  Nautsches,  Tempel-Tanzmädchen  und  Prostituirte  aus 
Kaschmir 481 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgehers, 


648  Anhang  3. 

Seite 

Fig.  198.    Betrunkene  Tempel-Tänzerin  in  Bombay 433 

Nach  einer  phoiographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.   199.     Chinesisches    Blnmenschiff,    Hoa    Thing    (schwimmendes 
Bordei) 434 

Nach  einem  chinesischen  Aquarell  im  Besitze  der  Frau  0.  Neuhauss  in  Berlin. 

Fig.  200.    Inneres  eines  chinesischen  Blumenbotes  von  Canton  ....     4B5 

Nach  O,  Schlegel:  A  G  an  ton  Flower-boat.    Internationales  Archiv  fOr  Btlmo- 
graphie.    Band  VIL  Taf.  1.  Leiden  1894. 

Fig.  201.  Gnrtisanen  von  Yeddo  in  einer  Barke,  nach  Toyokuni  I.  Far- 
biger Holzschnitt 436 

Nach  Louis  Gonse,  L'Art  japonais.    Tome  I.  zu  pag.  42.  Paris  1883. 

Fig.  202.   Laterne,  Sonnenschirm  und  «Wappen*  einer  japanischen  Prostitnirten    437 

Aus  einem  japanischen  Yerzeichniss  Prostituirter  im  Besitze  des  Herau9gebers. 

Fig.  208.  M&dchen  aus  der  Sahara  von  dem  Araber-Stamme  der  Uled 
Nail  in  Algerien. 

Die  M&dchen  dieses  Stammes  erwerben  ihre  Aussteuer  durch  Prostitution.    ...     439 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Dr.  Freiherm  von  Oppen- 
heim in  Berlin. 

Fig.  204.  Strasse  der  Uled  Nail  in  Biskra  (Algerien),  in  welcher  die  dem 
Araber-Stamme  der  Uled  Nail  angehörenden  M&dchen  wohnen,  die  durch  Prosti- 
tution und  als  T&nzerinnen,  Wahrsagerinnen  u.  s.  w.  ihre  Aussteuer  erwerben 440 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Dr.  Freiherrn  von  Oppenr 
heim  in  Berlin. 

Fig.  205.    Italienische  Curtisane  aus  der  Zeit  Papst  Fius  V.  (1565).    .    .     441 

Nach  Cesare  Vecellio:  fiabiti  antichi  et  moderni.    Yenezia  1589.  p.  24  b. 

Fig.  206.  Trossweib  des  16.  Jahrhunderts  in  der  Tracht  der  deutschen  Lands- 
knechte  442 

Nach  dem  Stich  eines  gleichzeitigen,  unbekannten  deutschen  Meisters.  Nach 
OeorgHirth:  Kulturgeschichtliches  Bilderbuch  aus  drei  Jahrhunderten,  pag.  282. 
Leipzig  und  München  o.  J. 

Fig.  207.    Postituirte  aus  Bologna  vom  Jahre  1589 443 

Nach  Cesare  Vecellio  wie  Fig.  205.  p.  202. 

Fig.  208.    Prostituirte  von  der  Insel  Rhodos  vom  Jahre  1589 444 

Nach  Cesare  Vecellio  wie  Fig.  205.  p.  405. 

Fig.  209.    Prostituirte  aus  Venedig  vom  Jahre  1589 445 

Nach  Cesare  Vecellio  wie  Fig.  205.  p.  113. 

Fig.  210.  Die  Nonne  b^xu  Hans  Holbein's  To dient auz,  in  der  Gesellschaft  ihres 
Liebhabers  vom  Tode  überrascht ^ 

Nach  Friedrich  lAppmann:  Der  Todtentanz  von  Hans  Hdbein.  No.  35  (Die 
Nonne).    Berlin  1879. 

Fig.  211.  Niederl&ndisches  Frauenhaus  (1500—1555).  Oelgem&lde  «on /a» 
Sanders,  genannt  Jan  van  Hemessen,  in  der  Gem&lde-Galerie  des  Egl.  Museums  in 
Berlin;  bezeichnet:  .Eine  lustige  Gesellschaft' ^^ 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  212.    Hula-Hula-T&nzerinnen  aus  Hawaii 459 

Nach  einer  photographischen  Blitzlicht-Aufiiahme  von,  CaW  Gikn^r  (Berlin),  im 
Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  213.  Liebeszauber.  Nach  einem  anonymen  Gem&Ide  der  flandrischen 
Schule  des  15.  Jahrhunderts,  das  sich  in  dem  Museum  in  Leipzig  befindet ^^ 

Aus  dem  Aufsatz  von  H.  Lücke  (im  Text  und  in  der  Ueberschrift  ist  irr- 
thümlich  Lubke  gedruckt)  in  C.  v,  Lüteow,  Zeitschrift  für  die  bildende  Kunst.  Bd.  17. 
Leipzig  1882. 

Fig.  214.    Rache-Zauber  einer  verlassenen  japanischen  Braut ^^^ 

Holzschnitt  einer  japanischen  Encyklop&die  im  Besitze  des  EgL  Museums  für 
Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  215.  Liebeszauber  von  einem  Wabeno-Musikbrette  der  Ghippeway- 
Indianer,  einen  in  Liebesekstase  die  Zaubertrommel  schlagenden  Wabeno  (Zauberer) 
darstellend -i'^ 


B.  Die  TexirAbbilduogen.  649 

Nach  Henry f  R  Schookraft:  Hisiorical  and  Statistical  Information  respecting  the  S^^ 
history,   condition  and  prospecte  of  the  Indian  Tribes   of  the   United   States. 
(Ethnological  researches  respecting  the  Red  Man  of  Amerika).  Philadelphia  1851-1855. 
Fig.  216.    Liebes-Orakel  in  der  ^ndr^a^nacht    Eine  Jungfrau  tritt  nackt 

in  das  Dunkle,  um  den  zukünftigen  Gatten  zu  erfahren 476 

Vom    Titelkupfer    des    Werkes:    Die    gestriegelte    Bocken-Philosophia  u.  s.  w. 
Chemnitz  1709. 

Fig.  217.    Liebes-Orakel  in  der  ^ndreomacht.    Eine  nackte  Jungfrau  steckt  vorn- 
übergebeugt den  Kopf  in  das  Ofenloch,  um  den  zukünftigen  Gatten  zu  erfahren.   .   .   .     477 
Wie  Fig.  216. 
Fig.  218.    Braut-Schnupftabaksdosen  der  Basutho  (Süd-Afrika).  Es  sind 

kleine  Kalebassen  mit  Perlen  übersponnen 482 

EgL  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  219.   Ausbietung  des  Jus  primae  noctis  bei  einer  reifgewordenen 

Loango-Negerin 516 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  FaJkenatein:   Die  L o  an  go- Küste  in 
72  Original-Photographien  nebst  erläuterndem  Texte.    Bl.  8.  Berlin  1876. 

Fig.  220.    Eine  Frau,  welche  keine  Kinder  erzeugen  wird 547 

Holzschnitt  aus  einer  japanischen  Encyklop&die  der  Wahrsagekunst,  im 
Besitze  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  221.    Eine  Frau,  welche  Kinder  erzeugen  wird 548 

Japanischer  Holzschnitt,  wie  Fig.  220. 

Fig.  222.    Votiy-Kröte  aus  dünnem  weissem  Wachs  gegossen.    Bei  einem 

Wachszieher  in  Salzburg  1890  gekauft 556 

Solche  Krötendarstellungen  werden  von  den  Weibern  in  Bayern,   Salzburg, 
Tyrol   und   Steyermark  als  Votivgabe  bei  bestimmten  Heiligen-  und  Muttergottes- 
bildem  geopfert,  um  Fruchtbarkeit  zu  erlangen  oder  Krankheiten  der  Muetter,   d.  h. 
der  Gebärmutter  zur  Heilung  zu  bringen. 
Im  Besitze  des  Herausgebers, 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 
Fig.  228.    Chinesische  Zauberpriesterin,  welche  im  Lande  umherzieht,  um 

den  Weibern  Kindersegen  zu  verschaffen 558 

Nach  einem  farbigen  chinesischen  Holzschnitt  im  Besitze  des  Dr.  Paul  Ehren- 
reich  (Berlin). 

Fig.  224.  «Debata  idup",  männliche  und  weibliche  nackte  Holzfiguren,  welche 
in  Sumatra  von  unfruchtbaren  Frauen  wie  Kinder  auf  dem  Rücken  getragen  werden, 

um  Kindersegen  zu  erbitten 559 

KgL  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 
Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  225.  Fruchtbarkeits-Zauber.  Eine  Frau,  welche  sich  die  Kleider  um 
die  Beine  zusammengebunden  hat,  mit  erhobenen  Händen  im  Regen  stehend,  während 
im  Vordergrunde  ein  knieender  Mann  aus  den  Händen  Gottes  ein  Kind  erhält    ....     563 

Holzschnitt  vom  Jahre  1584  aus  Petrarehae  Trostspiegel  in  Glück  vnd  Vn- 
glück,  wie  Fig.  186. 

Fig.  226.    Die  indischen  Zwillingsmädchen  Radika  und  Doodika  mit 
unvollständiger  Trennung  des  Mittelkörpers.    8^2  Jahr  alt  aus  Orissa,  Bengalen  .   .     585 
Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgdfers, 
Fig.  227.    Grabstein  der  Siebenlinge  der  Familie  JRdm«r  in  Hameln  .   .     590 
Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 
Fig.  228.    Die  Italienerin  Dorothea,   während  ihrer  neunfachen  oder 

elffachen  Schwangerschaft 591 

Aus  Ambrasius  Pari:  De  Chirurgie  ende  alle  de  opera  ofte  wercken. 
Rotterdam  1615.  p.  790. 

Fig.  229.    Amulet  der  Golden  in  Sibirien,   welches  der  Schamane  bei 

Zwillingsgeburten  herstellen  muss 594 

Im  Besitze  des  Herrn  ümlauff  in  Hamburg. 
Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  280.  Hölzerne  Doppel-Opferschale  der  Golden  in  Sibirien,  bei 
Zwillingsgeburten  benutzt 695 


650  Anhang  8. 

Im  Besitze  des  Herrn  ümlauff  in  Hamburg.  Seltr 

Nach  einer  photographischen  Anfnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  231.    Herzförmiges,  figuralverziertes  Holztftfelchen  der  Wander- 
Zigeuner  der  Donau-Länder  zur  Bestimmung,   ob  eine  Frau  schwang'er  ist    ^.'t 

Aus  von  Wlishcki^,  Seite  92. 

Fig.  232.  Darstellung  einer  liegenden  Schwangeren,  über  die  ein  Rexin- 
thier  hinschreitet 6(l. 

£inkratzung  auf  einer  Rennthierschaufel  aus  den  neolithischen  Funden  von  Lan^iie 
Basse  in  Frankreich.    Nach  Ed.  Piette,    L* Anthropologie  Tome  VI.  Paris  1895. 

Fig.  233.     Thonfigürchen    der    Karayd-Indianer    in    Brasilien,     eine 

Schwangere  darstellend &H 

,  Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Im  Besitze  des  Egl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  234.  Thonfigürchen  der  Earayä-Indianer  in  Brasilien,  eine 
Schwangere  darstellend 604 

Im  Besitze  des  Egl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  235.  Schwangere  Japanerin  im  Bade,  mit  der  Leibbinde  der  Schwangeren 
umgürtet  Etwas  tiefer  eine  sich  rasirende  Nonne.  Daneben  eine  Frau  ihr  Eind  in  das 
Wasser  tragend  und  ein  Eind  auf  den  Stufen  der  Badestube  liegend 60i3 

Nach  einem  japanischen  Holzschnittwerke  v.  Hohusai  im  Besitze  d«  Herausgebers, 

Fig.  236.  Schwangere  deutsche  Patrizierin  des  16.  Jahrhunderts  im 
Gespräche  mit  einer  Hebamme,  Ton  der  sie  Trost  und  Unterweisung  erhält  ...     606 

Aus  Jac.  Rueff:  Hebammen-Buch.    Frankfurt  am  Mayn  1581.    S.  49. 

Fig.  237.  Besuch  der  Maria  bei  der  Elisabeth.  Niederländisches  Grem&lde 
des  16.  Jahrhunderts  in  der  Galerie  des  Louvre  in  Paris 607 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  238.  Besuch  der  Maria  bei  der  Elisabeth.  Gemälde  des  Sienesen 
Giacomo  Pacchiarotto  in  der  Academia  delle  belle  Arti  in  Florenz 60$ 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  239.  Besuch  der  Maria  bei  der  Elisabeth.  Ans  der  Holzschnitt-Folge: 
Das  Leben  der  Maria  von  Albrecht  Dürer 609 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  240.  Diana  entdeckt  den  Fehltritt  der  Callisto.  Gemälde  von  Tiziano 
Vecellio  in  der  Gemälde-Galerie  des  k.  k.  kunsthistorischen  Hofmusenms  in  Wien    BIO 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  241.  Die  Entdeckung  des  Fehltrittes  ^et  Callisto.  Marmorrelief  von 
Monnat  in  dem  Marmorbade  in  Cassel 611 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  242.    Die  Lage  des  £mbryo  in  den  Eihäuten 6'<' 

Aus  Jacob  Rueff:  Hebammen-Buch.    Franckfurt  am  Mayn  1581.    S.  26. 

Fig.  243.  Schematische  Darstellung  einer  schwangeren  Frau,  mit  ge- 
öffnetem Bauche  und  aufgeschnittener  Gebärmutter,  um  das  Stürzen  des 
Eindes  im  Mutterleibe  zu  veranschaulichen 61? 

Nach  einem  Eupferstich  aus  dem  anonymen  Werke  des  S*  J.,  M.  D.:  {Samuel 
Janson,  Medicinae  Doctor.)  Eurtze  jedoch  ausführliche  Abhandlung  von  Erzeugung  der 
Menschen  und  dem  Einder- Gebähren.    Franckfurt  am  Mayn  1766. 

Fig.  244.  Schematische  Darstellung  einer  schwangeren  Frau,  mit  ge- 
öffnetem Bauche  und  aufgeschnittener  Gebärmutter,  um  .die  rechte  und 
natürliche  Stellung  des  Eindes  im  Mutterleibe'  nach  damaliger  Ansicht,  d.h. 
das  Sitzen  des  Eindes  auf  dem  Muttermunde,  zu  veranschaulichen 619 

Nach  einem  Eupferstich  bei  Gottfried  Welsch:  La  Commare  del  Scipione  Mercurio; 
Eindermutter-  oder  Heb-Ammen-Buch.    Wittenberg  1671. 

Fig.  245.    Die  abnormen  Lagen  des  Embryo  in  der  Gebärmutter     ...    621 

Nach  Joan.  Dry ander  ^  Artznei-Spiegel.  Franckfurt  am  Mayn  (Chr.  Egenoiph). 
1547.    Bl.  5. 

Fig.  246.  Japanische  Darstellung  der  Eindeslagen  im  Mutterleibe. 
Bei  der  stehenden  Figur  sieht  man  eine  Eopfendelage,  bei  den  beiden  Frauen  links  sind 
Beckenendelagen  dargestellt.  Bei  der  Frau  auf  der  rechten  Seite  sollte  vielleicht  die 
Ansatzstelle  der  Placenta  dargestellt  werden.  Der  ganze  obere  Theil  des  Bildes  ist  im 
Originale  mit  Schriftzeichen  bedeckt 623 


B.  Die  Text-Abbildungen.  651 

Nach   einem   dem   Herausgeber  von  Professor  Dr.   Wühelm   Joest  (Berlin)   ge-  Seite 
sclienkten  japanischen  Holzschnitt 

Fig.  247.  Reclame-Fftcher  eines  japanischen  Theehauses  in  Tokio,  eine 
Anzahl  Ton  Weibern  mit  geöffnetem  Bauche  darstellend,  in  welchem  man  die  Lage  des 
Smbryo  oder  der  Nachgeburt  sehen  kann.  Diese  Weiber  sind  so  geschickt  angeordnet, 
«Lass  sich  aus  fünf  Oberkörpern  und  ebenso  vielen  Unterkörpern  durch  yerschiedentliche 
Combination  derselben  neun  Frauen  constmiren  lassen.    Ein  Knabe  sitzt  hinter  einem 

Buche  yersteckt 624 

Im  Besitze  des  Herrn  Dr.  Pcud  Ehrenreich  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  248.     Menschlicher  Embryo  von   einem  Wabeno-Musikbrett  der 

Chippeway-Indianer  (Nord-Amerika) 625 

Nach  Henry  B.  Schookraft,  wie  Fig.  215. 

Fig.  249.    Bemalte  Thür  aus  Niederländisch  Neu-Guinea,  die  rohe  Figur 
einer  sitzenden  Frau  darstellend,  in  deren  geöffiietem  Leibe  die  Gebärmutter  und  in  dieser 

das  Kind  zu  sehen  ist 625 

Aus  F.  S,  A.  de  Clercq:  Ethnographische  Beschrijying  van  de  West-  en  Nordkust 
van  Nederlandsch-Nieuw  Guinea.    Leiden  1893.    PI.  XXXIX.  Fig.  8. 

Fig.  250.   Eierstockswassersucht  bei  einer  Siamesin  aus  Bangkok. 
In  Folge  der  cystisch  entarteten  Eierstöcke   ist  der  Bauch   zu   colossaler  Grösse 
ausgedehnt  und  zeigt   erweiterte   Blutadern  der  Haut  und   deutlich,  gewöhnlich   als 

Schwangerschaftsnarben  bezeichnete  Narbenstreifen 627 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  251.  Pasah  Eangkamiak,  Yotivhäuschen  der  Oloh  Ngadju  auf 
Borneo,  welche  erbaut  und  in  denen  HQhner  geopfert  werden,  um  schwangere  Frauen 
vor  den  Eangkamiak,  den  Geistern  von  Frauen,  welche  während  des  Gebarens  ge- 
storben sind,  zu  schützen,  damit  diese  nicht  die  Geburt  erschweren  oder  verhindern.   .     632 

Nach  F.  Grabowsky:  üeber  verschiedene  weniger  bekannte  Opfergebräuche  bei 
den  Oloh  Ngadju  in  Borneo.  Internationales  Archiv  ftlr  Ethnographie.  Bd.  L  S.  132. 
Taf.  X.  Fig.  4.  Leiden  1888. 

Fig.  252.  Muster  auf  einem  Bambusstück,  Tahong,  welches  die 
Schwangeren  bei  den  Orang-Semang  in  Mälacca  als  Talisman  tragen    .   .     635 

Nach  Grünwedel  und  Vaugltan  Stevens,  Zeitschrift  für  Ethnologie.  Band  XXIV, 
1892.    Verhandlungen  S.  466. 

Fig.  253.  Stickmuster  der  Zigeunerinnen  Serbiens  und  Süd-Üngarns, 
die  Dämonen  Tgulo  (oben)  und  Tgaridyi  (unten)  darstellend,  welche  mit 
ihren  Kindern  die  Schwangeren  quälen.    Diese  Muster  werden  zur  Besänftigung 

dieser  Dämonen  in  die  Hemdärmel  gestickt 637 

Aus  Heinrich  von  Wlisloeki:  Aus  dem  inneren  Leben  der  Zigeuner.  Berlin  1892. 
S.  14.    Fig.  8. 

Fig.  254.  Schwangere  Japanerin,  welcher  die  Leibbinde  angelegt  wird    640 
Nach  einem  Holzschnitt  in   einem  japanischen  Buche   im   Besitze   des   Egl. 
Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  255.    Massage  einer  schwangeren  Japanerin,   von  einem  Manne  im 

Knieen  ausgeführt 662 

Nach  einem  Holzschnitt  in  einem  japanischen  Werke,  welches  den  Titel  führt: 
«Wie  man  bei  kranker  Familie  zu  verfahren  hat". 

Im  Besitze  des  Egl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  256.    Massage  einer  schwangeren  Japanerin 663 

Nach  einem  japanischen  Holzschnitt  im  Besitze  des  Egl.  Museums  für 
Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  257.     Abortus   im   dritten  Monate   der   Schwangerschaft   (Abortus 

trimestriB).     Die  Fruchtblase  ist  geöffiiet  worden,  um  den  Embryo  zu  zeigen 682 

Nach  ülyssis  Äldrovandi  Monstrorum  Historia,  cum  Paralipomenis  Historiae  Ani- 
malium  Bartholomaeus  Anibrosinus  studio  volumen  composuit.    Bononiae  1642  p.  65. 

Fig.  258.  Hölzernes  Götterbild  aus  Hawaii,  das  den  Namen  ÜCopo  führt. 
Dasselbe  ist  pfriemenförmig  zugespitzt  und  stark  abgenutzt.    Es  dient  dazu,  künstliche 

Fehlgeburten  hervorzurufen  und  Unfruchtbarkeit  der  Weiber  zu  heilen 701 

Im  Besitze  des  Egl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 
Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 


652  Anhang  3. 

Zweiter  Band«  Sei;» 

Fig.  259.    Aegyptisches  Hieroglyphenzeichen,   die  Geburt  darstellend  IL        8 

Fig.  260.  Reliefbild  des  Gottes  der  Seeyogeleier  Make-Make,  Scalp- 
turen  in  halberhabener  Arbeit  auf  den  Felsen  am  Südwestabhange  des  Rana  Eaö  aaf 
Rapanui  oder  der  Osterinsel.    (Man  vergleiche  Fig.  78.  S.  188.) »  S 

Nach  der  Zeichnung  von  /.  Weisser  in  Oeisder:  Die  Oster-Insel.  Eine  StSdte 
prähistorischer  Cultur  in  der  Südsee.    Berlin  1888.    Taf.  17. 

Fig.  261.  Thon-Idol  von  der  Insel  Nias  (Malayischer  Archipel)  Namans 
Adü  Fangola  oder  Adü  Ona  aläve,  eine  schwangere  Frau  darstellend,  welches  zum 
Schutze  der  Frucht  in  dem  Zimmer  der  Ereissenden  aufgestellt  wird,  welchem  aber 
auch  die  Schwangeren  opfern,  wenn  sie  fürchten,  von  dem  Dämon  B6chu  wuUiänay 
d.  h.  dem  Geiste  einer  während  der  Entbindung  gestorbenen  Frau,   verfolgt  zu  sein    .         2g 

Nach  Elio  Modigliani:  ün  viaggio  a  Nias.    Fig.  187.  p.  641.    Milano  1890. 

Fig.  262.  Eine  Schuli-Negerin  (Central-Afrika)  niederkommend,  mit 
Rückenstüize  und  Vorrichtung  zum  Anstemmen  der  Hände  und  Füsse «         S5 

Nach  Bobert  TT.  Felkin:  üeber  Lage  und  Stellung  der  Frau  bei  der  Geburt 
auf  Grund  eigener  Beobachtungen  bei  den  Neger-Völkern  der  oberen  Nil-Gegenden. 
Fig.  18.    Marburg  1885. 

Fig.  268.  Eine  Bongo-Negerin  (Central-Afrika)  niederkommend,  mit 
horizontaler,  einer  Reckstange  ähnlicher  Handhabe •        36 

Nach  Bobert  W.  FeUcin  (wie  in  Fig.  262)  Fig.  8. 

Fig.  264.  Indische  Gebärhütte.  Nach  einem  Wandgemälde  eines  Tempels 
in  Sikhim ,        44 

Aus  The  Gazetteer  of  Sikhim.  Edited  in  the  Government  Secretariat.  Calcutta 
1894.    Flate  VH. 

Fig.  265.  Gebärhütte  der  Gomanche-Indianer.  Eine  Comanche-In- 
dianerin  kreissend  von  einer  anderen  am  Leibe  gestrichen ,        46 

Nach  G,  J,  Engelmann:  Die  Geburt  bei  den  ürvölkem.  Uebersetzt  von  C.  Hewnig. 
Wien  1884.  Fig.  19,  welche  nach  der  Skizze  des  Armeearztes  Mi^or  W,  JET.  Forwood 
gefertigt  wurde. 

Fig.  266.  Schwangere  Japanerin,  welche  eine  schwere  Entbindung 
haben  wird.  Grosse  Aquarell-Darstellung  in  einem  als  physiognomische  Studien  be- 
zeichneten Sammelbande  von  Handzeichnungen  des  berühmten  japanischen  Malers 
Maruyama  Ohio  aus  dem  18.  Jahrhundert,  im  Besitze  des  EgL  Museums  für 
Völkerkunde  in  Berlin ,       53 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgdters. 

Fig.  267.  Schwangere  Japanerin,  welche  eine  leichte  Entbindung 
haben  wird.  Grosse  Aquarell-Darstellung  in  einem  als  physiogpiomische  Studien  be- 
zeichneten Sammelbaude  von  Handzeichnungen  des  berühmten  japanischen  Malen 
Maruyama  Ohio  aus  dem  18.  Jahrhundert,  im  Besitze  des  Egl.  Museums  für 
Völkerkunde  in  Berlin ,       64 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  268.  Tzaun,  holzgeschnitztes  Idol  der  Golden  (Sibirien), 
welches  im  Geburtszimmer  aufgestellt  wird,  um  die  Schmoren  der 
Geburtswehen  zu  mildern;  in  der  Gestalt  einer  schwangeren  Frau ,      67 

Im  Besitze  des  EgL  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  269.  Hebamme  und  ihre  Gehülfinnen,  eine  Niederkommende 
unterstützend 83 

Nach  einem  Wandgemälde  eines  Tempels  in  Sikhim. 

Aus  The  Gazetteer  of  Sikhim,  wie  Fig.  264. 

Fig.  270.  Italienische  Hebamme  des  17.  Jahrhunderts  vor  einer  Ereis- 
senden, welche  sich  in  deijenigen  Geburtsstellung  befindet,  die  sehr  dicke  Frauen  ein- 
nehmen sollen ,       99 

Aus  Scipione  Mereurio:  La  Commare  oriccoglitrice.  Venetia  1621.  p.  177. 

Fig.  271.  Italienische  Geburtsscene  (16.  Jahrhundert).  Nach  CHulio 
Bomano a     100 

Aus  Ploss^^  S.  19. 

Fig.  272.  Eine  Entbindung  im  Stehen  in  Italien  im  16.  Jahrhundert. 
Malerei  in  einer  Majolica-Sohale  aus  ürbino,   einer  sogenannten  Frauenschale, 


B.  Die  Text-Abbildungen.  653 

«codella  delle  donne,  wie  sie  benutzt  wurde,  um  Wöchnerinnen  Stärkungen  zu        Seite 
iDringen.    (Man  yergleiche  Fig.  887  S.  844  die  Schale  links  vom  Beschauer.)  ....  II.    101 
Im  Besitze  des  Egl.  Kunstgewerbe-Museums  in  Berlin. 
Nach  der  photographischen  Aufhame  des  Heratugebers. 

Fig.  278.    Eine  Entbindung  im  Sitzen  in  Italien  im  16.  Jahrhundert. 
Malerei  in  einer  Majolica-Sohale  aus  Urbino,   einer  sogenannten  Frauenschale, 
scodella  delle  donne,  wie  sie  benutzt  wurde,  um  Wöchnerinnen  Stärkungen  zu 
'bringen.    (Man  vergleiche  Fig.  887  S.  844  die  Schale  rechts  vom  Beschauer.)    .   .   .     ^      102 
Im  Besitze  des  Egl.  Kunstgewerbe-Museums  in  Berlin. 
Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 
Fig.  274.   Unterricht  in  der  Geburtshfilfe.    Initialen-Miniature  aus  dem 
15.  Jahrhundert.    Nach  einer  belgischen  Pergamenthandschrift  des  Galenus  in  der 

königlichen  Bibliothek  in  Dresden ^      105 

Nach  Ludwig  Choulant:  Geschichte  und  Bibliographie  der  anatomischen  Ab- 
bildung nach  ihrer  Beziehung  auf  anatomische  Wissenschaft  und  bildende  Kunst. 
Leipzig  1852.    Farbentafel  Fig.  2. 

Fig.  275.  Deutsche  Hebamme  des  16.  Jahrhunderts  einer  auf  dem 
-Geb&rstuhl   Niederkommenden  beistehend.     Im  Hintergrunde  stellen   zwei 

Männer  das  Horoscop.    Wahrscheinlich  gezeichnet  von  Hans  Burgkmair ,      111 

Aus  Jacob  Bueff:  Hebammen  -  Buch.  Frankfurt  a.  Mayn  (Sigmund  Feyer- 
•abendt)  1581. 

Fig.  276.  Deutsche  Yolks-Hebamme  aus  dem  Anfange  des  18.  Jahr- 
hunderts, bezeichnet  als  «die  unvorsichtige  Kindermutter*.  Sie  steht  vor 
•einem  Tische,  auf  welchem  neugeborene  Kinder  liegen,  welche  sie  bei  der  Geburt  in 
Stücke  gerissen  hat.  In  der  Hand  hält  sie  ein  Stflck,  das  wahrscheinlich  eine  heraus- 
gerissene Gebärmutter  darstellen  soll.    Im  Hintergrunde  sitzt  eine  Kreissende  auf  dem 

Gebärstuhl ,      118 

Titelkupfer  von  «Des  Getreuen  Ee^rtWs  Unvorsichtige  Heb- Amme.  Leipz.  1715. 
Fig.  277.    Eine  Entbindung  im    17.  Jahrhundert   auf   dem    Stuhle 

•durch  den  Ghirurgus ,      118 

Nach  einem  Kupferstich  in  dem  anonymen  Werke  des  jSi.  J,,  M,  D.  {Samuel 
Jansan,  Medieinae  JDoctorJ:  Abhandlung  von  der  Erzeugung  der  Menschen  und  dem 
Kinder-Gebären.  Frankfurt  am  Mayn.  1766.  (üebenetzung  nach  der  vierten  Hol- 
ländischen Ausgabe.)    Taf.  VI. 

Fig.  278.  Eine  Entbindung  im  17.  Jahrhundert  auf  dem  Lit  de  mis^re. 
Die  Hebamme  stützt  den  Damm  bei  soeben  durchschneidendem  Kindskopfe.     Nach 

einem  Stiche  von  Abraham  Bosse ,    .122 

Nach  der  Abbildung  Fig.  280  bei  G.  J.  Witkowski:  Histoire  des  accouchements 
chez  tous  les  peuples.    Paris  s.  a.  (1888).  p.  859. 

Fig.  279.    Besuch  bei  einer  entbundenen  Chinesin.    Die  alte  Hebamme 

hält  das  Kind  in  den  Armen ,      185 

Nach  einem  chinesischen  Aquarell  im  Besitze  des  Dr.  Paul  Ehrenreich 
in  Berlin. 

Fig.  280.  Kreissende  Japanerin  auf  dem  Geburtslager,  das  sich  von 
dem  gewöhnlichen  Nachtlager  wesentlich  unterscheidet.    Eine  Hebamme  und  eine  Ge- 

hülfin  sind  um  sie  beschäftigt.    (Man  vergleiche  Fig.  282.) ,      188 

Nach  einem  Holzschnitt  in  einem  japanischen  Buche  im  Besitze  des  Kgl. 
Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  281.     Die   Lagerung   der   Kreissenden   im   Bett   bei   schweren 

Entbindungen „      149 

Nach  einem  Kupferstich  in  dem  Werke:  La  Gommare  del  Seipione  Mercurio, 
Kinder-Mutter  oder  Heb- Ammen-Buch,  Welches  aus  dem  Italienischen  in  das  Teutsche 
versetzet  Gottfried  Welsch,  der  Artzney  Doctor.    Wittenberg  1671. 

Fig.  282.  Kreissende  Japanerin  auf  dem  Geburtslager,  das  sich  von 
dem  gewöhnlichen  Nachtlager  erheblich  unterscheidet.  (Man  vergleiche  auch  Fig.  200.) 
Nach  einem  Holzschnitte  in   einem  japanischen  Werke,   das   den   Titel  fQhrt: 

„Wie  man  bei  kranker  Familie  zu  verfahren  hat" „     150 

Im  Besitze  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 
Fig.  288.  Afrikanerin  von  der  Goldküste,  im  Hocken  niederkommend. 
Durchpausung  einer  Gravirung  auf  einer  Kalebasse  von  der  Goldküste „     151 


654  Anhang  3. 

Im  Besitze  des  Königlichen  ethnographischen  Museums  in  München.  Sei^« 

Nach  einer  Durchpausung  des  Director  Dr.  Buchner  in  M fluchen. 

Fig.284.  Schnitzerei  aus  Uitscha  am  Niger  (West-Afrika),  vielleicht 
ein  Idol.  Die  eine  der  untersten  Figuren  zeigt  eine  Frau,  welche  in  knieender 
Stellung  niederkommt.  Der  Kopf  der  Frau  dient  mit  zur  Stütze  der  Plattform,  welche 
die  Hauptgruppe  tr&gt.  Ihre  nach  oben  gestreckten  Hftnde  halten  sich  am  Rande 
dieser  Plattform  fest.  Sie  liegt  auf  den  Knieen,  aber  ihr  Rumpf  ist  dabei  gerade  in 
die  Höhe  gerichtet.  Ihre  Beine  sind  leicht  gespreizt  und  aus  ihren  sehr  deutlich  zur 
Darstellun  g  gebrachten  Schamtheilen  tritt  gerade  nach  unten,  das  Gesicht  nach  yom 
gekehrt,  der  Eopf  und  Hals  des  Kindes  hervor II.      152 

DasOriginalbefindetsichimMus^e  d^EthnographieimTrocaderoinParis. 

Nach  der  Abbildung  Fig.  297  bei  G,  J,  Wükowski:  Histoire  des  accouchements 
chez  tous  les  peuples.    Paris  s.  a.  (1888).    p.  414. 

Fig.285.  Darstellung  einer  kreissenden  Congo-Negerin,  welche  auf 
dem  Bauche  liegt.  Der  Kopf  des  Kindes  ist  gerade  im  Durchschneiden  begriffen. 
Eine  knieende  Frau  ist  bereit,  das  Kind  in  Empfang  zu  nehmen.  Diese  Gruppe  bildet 
einen  Theil  einer  Schnitzerei,  mit  welchem  Congo-Neger  einen  ElephantenstoBs- 
zahn  verziert  haben 153 

Das  Original  befindet  sich  im  Mus^e  d'Ethnographie  in  dem  Trocadero 
in  Paris. 

Nach  der  Abbildung  Fig.  296  bei  O.  J,  Witkovoski:  Histoire  des  accouchements 
chez  tous  les  peuples.    Paris  s.  a.  (1888).    p.  413. 

Fig.  286.    Indierin  aus  Sikhim,  im  Stehen  niederkommend »       153 

Nach  einem  indischen  Tempelfresco,  wie  Fig.  264. 

Fig.  287.  Alt-Mexikanische  Thonfigur,  eine  Frau  darstellend, 
welche  im  Hocken  niederkommt.  Hamy  glaubt,  dass  es  die  Geburtsgöttin 
Mixtexgue  sei ,       154 

Das  Original  befindet  sich  im  Besitze  des  Herrn  Damour  in  Paris. 

Nach  der  Abbildung  Fig.  810  bei  6f.  /.  Witkofoski:  Histoire  des  accouchements 
chez  tous  les  peuples.     Paris  s.  a.  (1888).    p.  423. 

Fig.  288.  Eine  Serang-Insulanerin  niederkommend,  schwebend  mit 
den  über  den  Kopf  erhobenen  Armen  an  einen  Baum  gebunden,  halb  hängend,  so 
dass  die  Fussspitzen  eben  noch  den  Fussboden  berühren ,      155 

Nach  Engelmann  (wie  Fig.  265)  Seite  76.    Fig.  11. 

Fig.  289.  Madi-Negerin,  auf  der  Erde  sitzend,  niederkommend,  wo- 
bei sie  von  einer  anderen  Frau  in  der  Weise  unterstützt  wird,  dass  diese  mit  ihr 
Rücken  an  Rücken  sitzt  und  die  Arme  mit  denen  der  Kreissenden  verhakt  hat   .    .     ,      155 

Nach  der  Fig.  4  bei  Eöbert  W.  Felkin:  üeber  Lage  und  Stellung  der  Frau  bei 
der  Geburt.    Marburg  1885. 

Fig.  290.    Deutscher  Geb&rstuhl  des  16.  Jahrhunderts ,      156 

Nach  Jacob  Rueff  (wie  Fig.  242)  Seite  52. 

Fig. 291.  Niederkunft  einer  deutschen  Frau  auf  dem  Geburtsstnhl. 
Anonymer  Holzschnitt  vom  Jahre  1513 157 

Aus  Boeslin:  Der  swangeren  Frauen  und  Hebammen  Rosegarten.  Nach  Hirth 
(wie  Fig.  185).    Band  I.    Fig.  430. 

Fig.  292.  Perserin  in  Knie-Handlage  niederkommend.  Vorder-  und 
Seitenansicht.    Nach  einer  Zeichnung  Folak^s ,     158 

Aus  PZ(w«io  S.  42. 

Fig.  293.   Grosser  Topf,  in  Huelva  in  Spanien  als  Geb&rstuhl  dienend    ,.     159 

Nach  A,  B.  Simpson:  On  a  deliveiy-pan  in  use  at  the  present  time  in  Spain. 
Edinburgh  Medical  Journal  Vol.  XI.    Part  IL    p.  771—773.     1895. 

Fig.  294.  Niederkunft  einer  Chinesin.  Die  junge  Mutter  sitzt  noch  auf 
dem  Gebärstuhle,  das  Neugeborene  wird  eben  gebadet;  eine  Frau  bringt  der  Ent- 
bundenen eine  Erfrischung,  während  zwei  andere  Frauen  sich  mit  einem  Stück  Zeug 
zu  thun  machen,  das  wahrscheinlich  zum  Einwickeln  des  Kindes  bestimmt  ist .   .   .     ,     160 

Nach  einem  chinesischenA  quarell  im  Besitze  d.  Dr.  Paul  Ehrenreick  in  B  e  r  1  i  n. 

Fig.  295.  Alt-peruanisches  Grabgefäss,  eine  Niederkunft  dar- 
stellend. Die  Frau  sitzend,  von  hinten  von  einer  Person  gestüzt;  die  Hebamme  vor 
ihr,  das  Kind  empfangend „     161 

Nach  Engelmann  (wie  Fig.  265).    Titelbild  Fig.  1. 


B.  Die  Text-Abbildungen.  655 

Fig.  296.    Antike  Terracotta-Grnppe,  aus  Gypern,  eine  Niederkunft        Seite 
darstellend.     Wahrscheinlich   aus   der  Zeit  der  phönicischen  Herrschaft.    Die 
Gebärende  sitzt  auf  dem  Schoosse  einer  anderen  Person II.     162 

Das  Original  befindet  sich  im  Mus^e  Gampana  des  Lonvre  in  Paris. 

Nach  einer  Zeichnung  von  Professor  Dr.  Etnü  Schmidt  in  Leipzig. 

Fig.  297.  Hebamme  des  16.  Jahrhunderts  das  Kind,  den  jungen  Cicero, 
herausziehend ,      174 

Nach  Johann  Freiherr  von  SchwarUenberg :  Der  Teutsch  Cicero,  Augspurg 
(durch  Heinrich  Steyner)  1585.    Blatt  U  b. 

Fig.298.  Alt'&gyptische  Entbindungsscene  aus  der  Ptolemäer-Zeit. 
Niederkunft  der  Göttin  Bitho,  der  Gemahlin  des  Gottes  Mandu,  mit  dem  kleinen 
Harphre ,     177 

Basrelief  aus  dem  Mammisi  des  Tempels  von  Esneh  (Hermonthis). 

Nach  der  Fig.  218  bei  G.  J.  Witkotoski:  Histoire  des  accouchements  diez  tous 
las  peuples.     Paris  s.  a.  (1888).    p.  344. 

Fig.  299.  Niederkunft  auf  dem  Gebärstuhl.  Antike  Kalkstein-Gruppe  ans 
griechischer  Zeit  Votivgabe  aus  dem  Aphrodite-Tempel  von  Golgoi  (Agios 
Photios)  auf  Cypern.    Gefunden  von  Luigi  Palma  di  Cesnola ,      179 

Das  Original,  6V2  englische  Zoll  hoch  imd  11 8/4  Zoll  lang,  befindet  sich  im  Metro- 
politan Museum  of  Art  in  New  York. 

Fig.  300.  Die  Geburt  des  Kaisers  Titus,  Deckengemälde,  in  dem  Palaste  des 
TittM  auf  dem  E  squilin  in  Rom ,      181 

Aus  Pto««J0  s.  16. 

Fig.  301.  Bali-Negerin  ,aus  dem  Waldlande"  (Hinterland  von 
Kamerun)  mit  grossem  Nabelbruch  in  Folge  zu  kurzer  Abnabelung ,      193 

Nach  einer  photographischen  Auftiahme  von  Dr.  Eugen  Zintgraff  (wie  S.  153 
Zintgraff:  Nord-Kamerun.     Berlin  1895). 

Fig.  302.  Holzgeschnitzter  Bogenhalter  aus  TJguha,  südwestlich 
vom  Tanganyika-See,  eine  weibliche  Gestalt  darstellend,  mit  grossem  Nabelbruch 
und  Schmucknarben  am  Bauche;  mit  den  Händen  hält  sie  ihre  Brüste ,      195 

Mitgebracht  von  Hermann  Wissmann,  Königliches  Museum  für  Völker- 
kunde in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgehers, 

Fig.  303.  Vier  Bambus-Messer,  wie  sie  die  Kanikar  im  südlichen 
Indien  zum  Durchschneiden  des  Nabelstranges,  und  zwar  einzig  und 
allein  zu  diesem  Zwecke,  benutzen.  Andere  Messer  dürfen  nicht  angewendet 
werden „     219 

Im  Besitze  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  304.  Adlerstcin  oder  A^tites,  Hülfsmittel  bei  schweren  Ent- 
bindungen. Es  ist  Thoneisenstein  mit  lockerem  Kern,  in  einem  Messingstreifen 
gefasst  und  zum  Anhängen  eingerichtet.  Aus  dem  Besitze  eines  Bauemdoctors  in 
St.  Zeno  bei  Reichenhall  in  Bayern ,     245 

Eigenthum  des  Museums  für  deutsche  Volkstrachten  und  Erzeugnisse 
des  Hausgewerbes  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  305.  Kreissende  Russin  aus  dem  Stawropoler  Gouvernement. 
Sie  wird  von  den  helfenden  Frauen  durch  das  Gehöft  geführt  und  muss  zur  Er- 
leichterung der  Entbindung  über  die  Füsse  ihres  am  Boden  liegenden  Ehegatten  und 
über  das  Krummholz  des  Mittelpferdes  hinwegschreiten „     250 

Nach  E.  A,  Pokrowsky  (wie  Fig.  142)  Fig.  6,  S.  44. 

Fig.  306.  Kreissende  Japanerin,  der  eine  Frau  in  ihrer  schweren 
Niederkunft  mit  einer  Zauberformel  Hülfe  bringt ,     254 

Japanischer  Holzschnitt  aus  einer  japanischen  Encyklopädie  der  Wahrsage- 
kunst  (Yedo  1856),  im  Besitze  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  307.  Zusammengefaltetes  Zauberpapier  zur  Beförderung  einer 
schweren  Niederkunft  in  Japan ,      254 

Japanischer  Holzschnitt  aus  einer  japanischen  Encyklopädie  in  der  Wahr- 
sagekunst wie  Fig.  306. 


656  Anhang  3. 

Fig.  808.    Niam-Niam-Frau  niederkommend.    Sie  hat   am    Ufer   eines       S; 
Gewässers  aof  einem  Holzklotze  Platz  genommen,  während  drei  Freondinxieii   snr 
Erleichtnng  ihrer  Entbindung  auf  Trommeln  mnsiciren IL    ' 

Nach  Felkin  (wie  Fig.  262)  Fig.  22. 

Fig.  809.  Rohe  menschliche  Thonfigürchen  ans  Agitome  im  Togo- 
Gebiete,  welche  bei  einer  bevorstehenden  Niederkunft  vor  dem  Dorfe  aufgestellt 
werden ,2 

Mitgebracht  von  Kling.    Kgl.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herauagdters, 

Fig.  310.  Darstellung  einer  Schwangeren  auf  einem  Talisman  aus 
Dahome,  welcher  die  Niederkunft  erleichtern  soll ,    2< 

Nach  DelafoaseK    L'Anthropologie  Tome  V.  p.  571.    Paris  1894. 

Fig.  811.  Hölzernes  Idol  der  Golden  (Sibirien),  welches  man  bei 
schweren  Entbindungen  der  Ereissenden  auf  den  Leib  legt,  um  die  Ge- 
burt zu  befördern.  Es  stellt  eine  weibliche  Figur  dar,  auf  deren  Bauch  sich  die 
erhaben  geschnitzte  Figur  eines  Kindes  befindet;  9^2  Kilo  schwer 21 

Im  Besitze  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  812.  Niederkommende  Kiew  a- In  dianer  in,  Tomübergebeu^t  stehend 
und  sich  an  einem  Zeltseile  haltend.  Während  die  Hebamme  ihr  ein  Brechmittel  in  den 
Mund  bläst,  tritt  das  Kind  zu  Tage  und  wird  von  einer  der  helfenden  Frauen  in  Em- 
pfang genommen ,    ?' 

Zeichnung  eines  Kiowa-Indianers  für  den  Militärarzt  in  Port  Sill,  Capitän 
3f.  Barher. 

Nach  Engelmann  (wie  Fig.  265)  Fig.  7. 

Fig.  818.  „Das  Sitzen  auf  der  Matte'.  Massage  des  Leibes  zur  Beförderung 
der  Entbindung  in  Japan ,    -'' 

Nach  einem  japanischen  Holzschnitte  aus  einem  Werke  im  Besitze  des  E gl. 
Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin.    Wie  Fig.  282. 

Fig.  814.    Niederkunft  einer  mexikanischen   Indianerin.    Auf  einer 
Matte  knieend  hält  sie  sich  an  einem  Lasso  fest,  der  an  einem  Balken  der  Hfltte  be- 
festigt ist.    Vor  ihr  kniet  die  Parte»,  die  eigentlich  die  Dienste  einer  Hebamme  ver-  i 
richtende  Frau,  und  reibt  und  drückt  den  Unterleib  der  Kreissenden  in  der  Gegend           | 
des  Gebärmuttergrundes.    Die  hinter  der  Kreissenden  hockende  Tenedora  stützt  mit 
ihren  Knieen  deren  Kreuz  und  umfasst  von  hinten  her  ihren  Mittelkörper,  die  Hände           | 
vor  der  Herzgrube  faltend,  wodurch  sie  einen  starken  kreisförmig  wirkenden  Druck 
auf  den  Unterleib   der   Gebärenden   ausübt.    (Photographische  Aufnahme   von    San 
Luis  Potosi.) 

Nach  Engdmann  (wie  Fig.  265)  Fig.  60. 

Fig.  815.  Instrument  in  Backstein,  um  bei  schweren  Entbindungen 
den  Leib  zu  massiren.  (Philippinen-Inseln.)  Das  Original  befindet  sich  im 
Mus^e  d'Ethnographie  im  Trocadero  in  Paris ir    ^ 

Nach  der  Abbildung  Fig.  449  bei  G.  J.  WWcotoaJci:  Histoire  des  accouchements 
chez  tous  les  peuples.    Paris  s.  a.  (1888).    p.  645. 

Fig.  816.  Schwere  Niederkunft  einer  Frau  in  Kerrie  am  weissen  Nil. 
Auf  einem  umgekehrten  Topfe  hat  sie  so  vor  der  Hütte  Platz  genommen,  dass  sie  sich 
mit  den  Händen  an  den  das  Dach  tragenden  beiden  Stützpfosten  festhalten  kann, 
während  sie  die  Fusssohlen  gegen  zwei  kurze,  in  die  Erde  getriebene  Holzstöcke 
stemmt.  Ein  hinter  ihr  auf  dem  Rücken  an  der  Erde  liegender  Mann  hat  ein  Tuch 
breit  um  ihren  Unterleib  gelegt  und  zieht  mit  beiden  Händen  gleichmässig  an  dessen 
Enden,  indess  er  seine  FQsse  gegen  die  Hüftbeinkämme  der  Kreissenden  anstemmt  .    i 

Nach  FeOcin  (wie  Fig.  262)  Tafel  I.  Fig.  5. 

Fig.  817.  Schwere  Entbindung  einer  Goyotero-Apachen-Frau.  Sie 
wird  von  einem  unter  ihren  Armen  hindurchgezogenen  Lasso  über  einen  Baumast  so 
weit  in  die  Höhe  gezogen,  dass  sie  sich  in  einer  halbschwebenden  Stellung  befindet. 
Eine  helfende  Frau  umschlingt  von  hinten  her  ihren  Mittelkörper  mit  den  Armen  und 
übt  auf  diese  Weise  einen  starken  Druck  auf  ihren  Unterleib  aus • 

Nach  Engdmann  (wie  Fig.  265)  Fig.  26. 

Fig.  818.  Die  Ausführung  des  Kaiserschnittes  an  der  lebenden 
Kreissenden  in  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  nach  Scultetus * 


B.  Die  Text-Abbildungen.  657 

Nach  der  Copie  bei  G,  J.  WUk&wski  Fig.  125  in  Histoire  des  accoaohementa        Seite 
chez  tou8  les  peuples.    Paris  s.  a.  (1888).    p.  269. 

Fig.  319.  Die  Operationsstellnng  für  den  Kaiserschnitt  bei  mathigen 

Kreissenden II.     297 

Ans  Scipume  Mereurio,  wie  Fig.  281.  p.  196. 

Fig.  820.  Lagerung  für  den  Kaiserschnitt  bei  einer  schwachen 
Kreissenden.  Die  Operation  ist  fast  vollendet  und  das  Kind  wird  eben  heraus- 
befördert   „     298 

Aus  Seipione  Mercurio,  wie  Fig.  281.  p.  197. 

Fig.  321.    Operationsmesser,  wie  es  die  Eingeborenen  in  Kahura  in  Gen- 

tral-Afrika  sur  Ausführung  des  Kaiserschnittes  benutzen «     800 

Nach  Felkin  (wie  Fig.  262)  Tafel  H.  Fig.  19. 

Fig.  822.  Kaiserschnitt  von  Eingeborenen  in  Uganda  (Central- Afrika) 
ausgeführt.  Die  durch  den  Genuas  von  Bananawein  narcotisirte,  ungef&hr  20  Jahre 
alte  Patientin  liegt  in  der  Hütte  auf  einer  erhöhten  Lagerst&tte.  Ein  Assistent  hält 
ihre  Füsse  fest.  An  ihrer  linken  Seite  steht  der  eingeborene  Operateur,  im  Begriffe, 
den  Schnitt  zu  führen,  während  ein   an   der  rechten   Seite  der  Kranken  stehender 

Assistent  bereit  ist,  einen  Vorfall  der  Dftrme  zu  verhindern «     300 

Nach  Felkin  (wie  Fig.  262)  Tafel  U.  Fig.  17. 

Fig.  823.  Vernähte  Bauchwunde  einer  Frau  in  Uganda  (Central- 
Afrika)^  an  welcher  der  Kaiserschnitt  ausgefOihrt  worden  ist.     (Man  vergleiche 

die  beiden  vorhergehenden  Figuren.) „     801 

Nach  Felkin  (wie  Fig.  262)  Tafel  IL  Fig.  18. 

Fig.  324.  Silberne  Kapsel  in  Herzform,  einen  Blutstein  bergend, 
der  als  Talisman  bei  Blutungen  benutzt  wird.    Aus   dem  Besitze  eines  «Bauern- 

doctors*  in  St.  Zeno  bei  Reichenhall ,     304 

Eigenthum  des  Museums  für  die  deutschen  Volkstrachten  und  Er- 
zeugnisse des  Hausgewerbes  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers  fast  in  Originalgrösse 
dargestellt.    Man  vergleiche  Fig.  325. 
^  Fig.  825.    Blutstein   in   silberner  Fassung,  herzförmige  Paste,   die  als 

Talisman  bei  Blutungen   benutzt  wird.    Aus  dem  Besitze  eines  «Bauerndoctors* 

''  in  St.  Zeno  bei  Reichenhall ,     305 

'^^^  Eigenthum  des  Museums   für  die  deutschen  Volkstrachten   und  £r- 

l/  Zeugnisse  des  Hansgewerbes  in  Berlin. 

^  Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers  fast  in  Originalgrösse 

^^'\         dargestellt.    Man  vergleiche  Fig.  324. 

Fig.  326.    Talisman  der  Giljaken  am  unteren  Amur  (Sibirien),  welcher 

zum  Schutze  der  Wöchnerin  in  der  Hütte  aufgehängt  wird ,     310 

Nach  einer  photograph.  Aufnahm^  im  Besitze  des  Prof.  Dr.  W.  Joest  in  Berlin. 

:^'-  Fig.  327.    Wochenlager  einer  Siamesin.    Die  Wöchnerin  liegt  auf  einem 

^'         niederen  Gestell,  gegen  ein  neben  ihr  angezündetes  Feuer  gekehrt.    Letzteres   wird 

von  einer  der  helfenden  Frauen  unterhalten,  während  eine   andere  die  Glieder  des 

i^         Neugeborenen  zurechtlegt ,     814 

Nach  einer  Photographie;  aus  Ploss^^  S.  15. 
;b^  Fig.  328.    Roucouyenne-Indianerin  (Süd-Amerika)  im  Dampf-Bade 

ri«^         gleich  nach  der  Entbindung.   Dasselbe  wird  hergestellt  durch  Aufgiessen  von  Wasser 

^^         auf  einen  rothglühenden  Stein ,     315 

liii':'^  Nach  Jules  Crevaux^  Von  Cayenne  nach  den  Anden.    Globus.    Bd.  XL.    S.  70. 

'^P         Braunschweig  1881. 

Qii^  Fig.  329.     Räucherung  einer  deutschen  Wöchnerin  des   16.  Jahr- 

p#'<         hnnderts „     816 

Aus  Joannes  Dryander:  Artsenei-Spiegel.    1547. 
jo.  .^'  Fig.  330.    Japanische  Hebamme,  das  Neugeborene  badend.    Eine  Ge- 

^^i<H-        hülfin  steht,  zum  Abtrocknen  bereit,  daneben ,     819 

^^  Nach  einem  Holzschnitt  in   einem  japanischen  Buche  im  Besitze  des  Kgl. 

^^^        Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  331.    Wochenstube   einer    vornehmen   Florentinerin   aus   dem 
16.  Jahrhundert.  Die  Geburt  der  Maria,  Frescobild  im  Hofe  des  Servitenklosters 

Santa  Annunziata  in  Florenz,  von  Andrea  del  Sarto ,     824 

Ploss-Bartels,  Das  Weib.    5.  Anfl.    II.  42 


W' 


658  Anhang  3. 

Ans  A.  Wolimann  und  K.  Waermannj  Geschichte  der  Malerei.  Band  II.  Leipsig  Seite 

1882.    S.613.    Fig.  357. 

Fig.  382.  Japanische  Wochenstube,  als  Wochenstube  einer  Füchsin 
dargestellt II.       S25 

Nach  einem  japanischen  Holzschnitt.  Aus  A.  B.  Müford:  Geschichten  auB 
Alt-Japan,  übersetzt  von  J,  G.  Kohl.    Leipzig  1875.    Band  I.    8.  313. 

Fig.  333.    Japanische  Wochenstube 327 

Nach  einem  Holzschnitt  aus  einem  japanischen  Werke  über  die  Hochzeits- 
Ceremonien,  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  334.  Deutsche  Wochenstube  des  17.  Jahrhunderts.  Bildliche 
Darstellung  auf  einem  fliegenden  Blatte  jener  Zeit,  betitelt:  .Des  holdseligen  Frauen- 
zimmers Eindbeth-Gespr&ch" ,       339 

Nach  dem  Facsimile  bei  Georg  Hirth  (wie  Fig.  185). 

Fig.  385.  Wochenstube  einer  vornehmen  Sienesin  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert. Die  Geburt  der  Maria,  Frescobild  in  der  Kirche  San  Bernardino 
in  Siena,  von  Girolamo  del  Pacchia ,      341 

Aus  A.  WoUmann  und  Z.  Woermann  (wie  Fig.  331)  8.  691.  Fig.  390. 

Fig.  336.  Vornehmer  Wochenbesuch  in  Florenz  im  15.  Jahrhundert. 
Gem&lde  von  Masaccio  im  Egl.  Museum  in  Berlin 343 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  337.  Zwei  sogenannte  Frauenschalen,  scodelle  delle  donne, 
Majolica-Schalen  aus  Urbino  aus  dem  16.  Jahrhundert  Sie  dienten  dazu,  um  Wöch- 
nerinnen St&rkungen  zu  überbringen,  und  sie  sind  im  Inneren  mit  Entbindungsscenen 
bemalt.  Die  innere  Bemalung  der  Schale  links  (vom  Beschauer)  zeigt  das  in  Fig.  272 
wiedergegebene  und  diejenige  der  Schale  rechts  das  in  Fig.  273  wiedergegebene  Bild    ,      344 

Im  Besitze  des  Egl.  Kunstgewerbe-Museums  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  338.  Die  Geburt  der  Maria  von  Albrecht  Dürer ,  eine  deutsche 
Wochenstube  des  16.  Jahrhunderts  darstellend ,      345 

Nach  dem  Facsimile  bei  Georg  Hirth  (wie  Fig.  185). 

Fig.  339.  Deutsche  Wochenstube  des  17.  Jahrhunderts,  wahrscheinlich 
von  Jost  Amman ,     346 

Aus  Bueff^s  Hebammenbuch  (wie  Fig.  242)  S.  213. 

Fig.  840.  «Hadjimat*,  Fächer  einer  Wöchnerin  der  Battaker  von 
Tula  Toba  in  Sumatra,  aus  dem  Schulterblatte  eines  getödteten  Feindes  gefertigt    ,     359 

KgL  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin.    (Vergl.  Fig.  341.) 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  341.  Ornament  auf  dem  Hadjimat,  dem  Fächer  der  Wöchnerin  aus 
dem  Schulterblatt  eines  getödteten  Feindes.  Gefertigt  von  den  Battakern  von  Tula 
Toba  in  Sumatra ,     360 

Kgl.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin.    (Vergl.  Fig.  340.) 

Nach  genauer  Abzeichnung  des  Originals. 

Fig.  342.  Kirchgang  einer  Pariser  Wöchnerin  des  14.  Jahrhunderts. 
(Le  cort^e  de  la  jeune  m^re.  Costumes  des  Farisiens  de  la  fin  du  quatorzi^me  siMe.) 
Miniature  aus  einer  lateinischen  reren^er-Handschrift  König  CaW'5  FI.  von  Frank- 
reich, aufbewahrt  in  der  Biblioth^que  de  FArsenal  in  Paris ,     863 

Nach  dem  Facsimile  in  Pa%U  Lacroix:  Moeurs,  usages  et  costumes  au  mojen- 
äge  et  ä  räptM[ue  de  la  renaissance.    Paris  1872.    Tafel  4. 

Fig.343.  Junge  Queensland-Australierin,  welche  bereits  geboren  u.  gesäugt 
hatte,  mit  herabhängenden,  weichen,  von  narbenähnlichen  Streifen  durchsetzten  Brüsten    ,     868 

Nach  einer  von  Carl  Günther  (Berlin)  aufgenommenen  Photographie,  im  Besitze 
des  Herausgebers. 

Fig.  344.  Junge  Papua-Frau  in  den  Zwanzigern  vom  Stamme  Badulega 
auf  der  Insel  Badu  (Mulgrave  Island)  in  der  Torres-Strasse.  Sie  hat  bereits 
geboren  und  gesängt  und  zeigt  an  ihren  welk  herabhängenden  Brüsten  narbenartige 
Streifen  um  den  Warzenhof ,     369 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Dr.  Otto  Finseh,  im  Besitze  der 
Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  345.  Säugende  Araucanerin  aus  Chile  mit  strotzend  gefüllter  Brust, 
auf  der  £rde  sitzend  mit  rechtem  untergeschlagenem  Beine,  auf  dem  der  Säugling  halb- 
liegend sitzt ,     869 


B.  Die  Text-Abbildnngen.  659 

Nach  einer  von  Pierre  Petit  (Paria)  aufgenommenen  Photographie,   aus  dem        Seite 
Nachlasse  des  Verfassers. 

Fig.  346.  Messingenes  Figürchen  der  Neger  der  Sclavenküste  (Hand- 
rftucherschale).  Sie  stellt  eine  Frau  dar,  welche  auf  dem  Kopf  einen  Hühnerkorb  und 
auf  dem  Rücken,  in  ein  Tuch  eingebunden,  ihren  Säugling  trägt.  Sie  hat  ausserordent- 
lich verlängerte,  herabhängende,  ziegeneuterähnliche  Brüste ll.     870 

Die  Figur  ist  von  Lüderitz  mitgebracht.  Sie  befindet  sich  im  Kgl.  Museum 
für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers. 

Fig.  347.  Holzgeschnitztes  Figürchen  der  Aht-Indianer  in  Van- 
couver,  eine  sitzende  Frau  darstellend,  welche  bereits  geboren  und  gesäugt  hat  und 
welche  ihre  lang  herabhängenden  Brüste  mit  den  Enieen  stützt     Kinderspielzeug  .    ,     870 

Die  von  A,  Jaeobsen  mitgebrachte  Fig^  ist  18  cm  hoch;  sie  befindet  sich  in  dem 
KgL  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  848.  Abyssinierin  aus  der  Colonia  Eritrea  mit  welken  Brüsten  ein 
Kind  säugend.   .    .    ^ ,     871 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Professor  Dr.  Georg  Schtoeinfurth, 
im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  849.  Loango-Negerin  mit  ausserordentlich  hochgradig  entwickelter 
Hängebrust 871 

Nach  einer  vom  Oberstabsarzt  Dr.  FaJkenstein  (Berlin)  in  Rincongo,  dicht 
bei  Borna  (Loangoküste)  aufgenommenen  Photographie,  im  Besitze  der  Berliner 
anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  350.  S  am  0  an  er  in  von  Valealili  beim  Trocknen  der  Baumwolle,  deren 
Hängebrüste  bei  ihrer  vomübergebeugten  Haltung  weit  vom  Körper  abhängen.   .   .    ,     872 

Nach  photographischer  Aufnahme  des  Marinezahlmeisters  (S.  M.  S.  Hertha) 
G.  Biemer,  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.851.  Holzgeschnitztes  Figürchender  Quacutl-Indianer (Britisch- 
Columbien).    Kinderspieizeug,  eine  säugende  Frau  darstellend ,     879 

Die  von  A.  Jaeobsen  mitgebrachte  Figur  ist  18  cm  hoch  und  befindet  sich  im 
Kgl.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufiiahme  des  Herausgebers, 

Fig.852.  Holzge8chnitztesFigürchenderQuacutl-Indianer(Briti8ch- 
Columbien).     Kinderspielzeug,  eine  säugende  Frau  darstellend ,     880 

Die  von  A.  Jaeobsen  mitgebrachte  Figur  ist  19  cm  hoch  und  befindet  sich  im 
Kgl.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photographischen  Aufnahme  des  Herausgebers, 

Fig.  858.  Mainoten -Frau  im  Libanon,  ihr  in  der  Wiege  liegendes  Kind 
säugend,  wobei  sich  ihre  linke  Achselhöhle  auf  einen  oben  an  der  Wiege  angebrachten 
Längsstab  stützt 880 

Nach  Lartet,  aus  Ploss^^  Fig.  98.    S.  94. 

Fig.  854.  Hottentotten-Frau,  auf  der  Erde  liegend  und  ihrem  auf 
ihrem  Rücken  hockenden  Kinde  die  Brust  über  die  Schulter  reichend. 
Bei  zwei  anderen  Frauen  sieht  man  die  stark  herabhängenden  Brüste;  eine  dieser 
Frauen  trägt  ein  Kind  auf  dem  Rücken «     881 

Nach  Peter  KcXb:  Caput  Bonae  Spei  Hodiemum.    Nürnberg  1719. 

Fig.  855.    Säugende  Frauen „     882 

No.  1.  Malayin  aus  Preanger  auf  Java,  stehend  ihr  auf  der  Hüfte  reitendes 
Kind  säugend. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  CapitänF.  Schulze  (Batavia),  im 
Besitze  des  Geh.  Sanitätsrath  Dr.  Ludwig  Asehoff  in  Berlin. 

No.  2.  Kai-Vav-Its-Indianerin  (ein  Tribus  der  Pa-Utah-Indianer,  auf 
dem  Kai-bab-Plateau  nahe  dem  Gran  Caüon  von  Colorado  in  Arizona),  mit 
untergeschlagenen  Beinen  auf  der  Erde  sitzend  und  ihr  Kind  säugend.  Ein  grösseres 
Kind  steht  am  Finger  lutschend  hinter  ihr. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  ü.  S.  topographical  and  geological 
sarvey  of  the  Colorado-River  of  the  West  by  W.  Powell  and  A.  H.  Tompson,  im 
Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

42* 


660  Anhang  3. 

No.  8.    Agengeö-Indianerin  aus   Brasilien,  auf  der  Erde  kauernd  und  Seite 

ihren  Säugling  in  der  Wiege  auf  dem  Schoosse  haltend.   Ein  etwas  grösseres  Kind  sitzt 
vor  ihr. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Cesar  BieioU  (Buenos  Ayres), 
im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

No.  4.  Indianerin  aus  der  Provinz  San  Luis  in  Brasilien,  welche  in 
der  Jugend  geraubt  war  und  bei  den  Agengeö  als  Sclavin  lebte,  auf  der  Erde  sitzend 
und  ihr  auf  ihrem  Schoosse  sitzendes  Kind  säugend. 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Cesar  Binoli  (Buenos  ^Ayrea), 
im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

No.  5.    Niam-Niam-Frau,  stehend  und  ihr  auf  ihrer  Hüfte  reitendes  Kind 


Nach  einer  von  Dr.  Bichard  Btuhta  aufgenommenen  Photographie,  im  Besitze 
des  Herausgebers,  vergl.  obere  Nil- Länder  (wie  Tafel  L  8)  No.  94. 

Fig.  356.  Alt-Peruanisches  Grabgefäss  in  Pumacayan  gefunden, 
welches  ein  an  der  Erde  sitzendes  Weib  ihr  auf  ihrem  Knie  sitzendes  Kind  säugend 
darstellt H.      383 

Aus  der  Mocecio-Sammlung  des  Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Nach  der  photogpraphischen  Aufiiahme  des  Herausgebers, 

Fig.  357.    Säugende  Siamesin  nach  E,  Bocourt ,      383 

Nach  der  Illustration  im  Globus.    Bd.  YIIL  8.  360.    Hildburghausen  1865. 

Fig.  358.    Träumende  Japanerin,  im  Liegen  ihr  Kind  säugend.   .   .     ,      384 

Aus  einem  farbigen  japanischen  Bilderbuche  (wie  Fig.  196),  im  Besitze  des 
Dr.  Paul  Ehrenreich  in  Berlin. 

Fig.  359.  Chinesin  säugend.  Kinderstube  in  einem  vornehmen  chinesi- 
schen Hause «      385 

Nach  einem  chinesischen  Aquarell  im  Besitze  des  "Dx.  Paul  Ehrenreich  in  Berlin. 

Fig.  360.    Columbianerin  (aus  San  Pablo)  Zwillinge  säugend.   ....      386 

Nach  Eduard  Andrejs  Reisen  im  nordwestlichen  Süd-Amerika  1875—1876. 
Globus,  Bd.  XXXYH.  S.  245.    Braunschweig  1880. 

Fig.361.  Sioux-Indianerin  imStehen  einen  groBsenKnaben  säugend    ,      387 

Nach  einer  Federzeichnung  von  George  CaÜin,  im  Besitze  des  Kgl.  Museums  für 
Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  362.  Alt-ägyptischer  Knabe,  gemeinsam  mit  einem  Kalbe  an 
dem  Euter  einer  Kuh  saugend „     ^^^ 

Nach  einer  ägyptischen  Darstellung,  wiedergegeben  in  Fig.  328  bei  G,  J. 
WUkoujski:  Histoire  des  accouchements  chez  tous  les  peuples.  Paris  s.  a.  (1888).  pag.  439. 

Fig.  863.  Holzgeschnitzter  Bogenhalter  aus  ügüha  (Waguha),  süd- 
westlich vom  Tanganyika-See,  eine  unbekleidete  Frau  darstellend,  welche  ihre 
strotzenden  Brüste  mit  den  Händen  präsentirt ,      398 

YonWissmann  mitgebracht.    Kgl.  Museum  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Man  vergleiche  Fig.  302. 

Nach  der  photographischen  Aufiiahme  des  Herausgehers. 

Fig.  864.  Japanische  Frau  auf  der  Erde  sitzend  und  einer  vor  ihr 
knieenden  alten  Frau  die  Brust  reichend,  während  ein  Kind  von  hinten  her 
sie  der  Saugenden  entgegendrängt ,     408 

Nach  einem  Holzschnitt  in  einem  japanischen  Bilderbuche  im  Besitze  des 
Kgl.  Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  365.  Japanisches  Netsukä,  elfenbeingeschnitzter  Knopf,  durch 
den  die  Schnüre  der  Tasche  gezogen  werden.  Eine  Frau  säugt  eine  auf  einem 
Stühlchen  sitzende  Alte,  während  ein  Kind  sie  dieser  entgegendrängt ,     409 

Im  Besitze  des  Kgl.  ethnographischen  Museums  in  München. 

Nach  einer  photographischen  Au&ahme  des  Herausgehers, 

Fig.  366.    Aino-Frau,  einen  jungen  Bären  säugend 411 

Nach  einer  japanischen  Zeichnung  von  Fayasi  Sivei,  copirt  bei  Mac  Bitchie: 
The  Ainos.  Supplement  au  Tome  IV  des  Archives  Internationales  d*£thnographie. 
Leiden  1892.    PI.  H.  Fig.  9. 

Fig.  867.    Tanz  der  Samoaner ,     420 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  des  Marine-Zahlmeisters  G.  Biemer 
(S.  M.  S.  Hertha),  im  Besitze  des  Herausgehers, 


B.  Die  Text-Abbildungen.  ggX 

Fig.  368.   Jnnge  Fellacbin  ans  Aegypten,  mit  einem  grossen  Wasser-         Seite 
krug  anf  dem  Kopfe II.    424 

Nach  einer  photograpbischen  Anfhahme  im  Besitze  des  Herausgehers. 

Fig.  369.  Xosa-Eaffer-Weiber  mit  Baumaterialien  zum  Hausbau 
bepackt ,     426 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  870.  Grobo-Mädchen  aus  dem  Hinterlande  der  Goldküste 
(West- Afrika),  17  bis  20  Jahre  alt,  in  einem  grossen  hölzernen  Mörser  mit  langen 
Holzkeulen  Getreide  stampfend  (Fusu  bereitend) ,     427 

Nach  einer  photographischen  Aufiiahme  im  Besitze  des  Herausgehers. 

Fig.  871.  Araberin  aus  Algerien,  auf  einer  steinernen  Handmühle 
Getreide  mahlend ,     429 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgdters. 

Fig.  872.    Malayische  Mftdchen  am  Webestuhl  arbeitend ,     431 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  873.  Banao-Frau  ihr  Kind  auf  dem  Rücken  tragend  und  in 
einem  grossen  Holzmörser  Reis  stampfend.  Aus  der  Rancherie  Bal- 
balassan  auf  Luzon  (Philippinen) ,     482 

Nach  einer  photographischen  Aufiiahme  von  A.  Sehadenberg,  im  Besitze  der 
Berliner  anthropologischen  Gesellschaft 

Fig.  874.    Malayin  von  Java,  Kokos-Nüsse  spaltend ,     488 

Nach  einer  photographischen  Auhiahme  im  Besitze  des  Geheimen  Sanitätsrath 
Dr.  u4wÄo/f  (Berlin). 

Fig.  875.  Pepohoan-Frau  (chinesisch- civilisirte  Eingeborene)  von 
Formosa,  einen  Kleiderstoff  aus  Gras  webend ,     485 

Nadi  einer  photographischen  Aufnahme  von  Dr.  Eennie  (Tamsui),  im  Besitze 
der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  876.    Javanische  Weiber  beim  Reiskochen ,     437 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Capit&n  Fedor  Schuhe  (Batavia), 
im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  877.  Altftgyptische  Frauen,  welche  ihre  Eonder  theils  auf  der  Schulter, 
theUs  auf  der  Hüfte  reitend,  theils  in  einer  am  Kopfe  befestigten  Kiepe  tragen   .   .     ,     481 

Nach  Champollion-Figeac.    Aus  Plass^^  Fig.  9.  S.  25. 

Fig.  878.  Altftgyptische  Klageweiber  beim  Begrftbniss,  welche  ihre  in  ein 
Tuch  gewickelten  Kinder  theils  auf  dem  Rücken,  theils  auf  dem  Bauche  tragen  .   .    „     482 

Nach  WiUcinson.    Aus  PJass^^  Fig.  10.  S.  25. 

Fig.  879.    Beggar-Frau  aus  Bombay,  ihr  Kind  auf  der  Hüfte  tragend    ,     488 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  880.  Christliche  Eskimo-Frau  aus  Labrador,  ihr  Kind  in  der 
Kapuze  tragend 484 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  J,  M.  Jacobsen  in  Hamburg,  im 
Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  881.  Flathead-Indianerin  (Nord-Amerika),  ihr  Kind  in  der 
Wiege  auf  dem  Rücken  tragend ,     485 

Nach  einer  Handzeichnung  von  Gearge  Catlin,  im  Besitze  des  Kgl.  Museums 
für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  882.  Canelos-Indianerin  vom  Rio  Pastaza  in  Peru,  ihr  Kind  in 
einem  Tuche  vor  der  Brust  tragend „     486 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Georg  Hübner,  im  Besitze  der 
Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  888.    Die  Stiefmutter ,     487 

Holzschnitt  vom  Jahre  1584  aus  Petrarchae  Trostspiegel  in  Glück  vnd  Vnglück 
wie  Fig.  186.    Bl.  144. 

Fig.  384.    Amazonen  aus  Monomotapa  (Afrika) ,     509 

Nach  Eduard  Lopez  aus  G.  J.  Lodewyk:  De  aanmerkens-waardige  Voyagien  door 
Francoisen,  Italiaanen,  Deenen,  Hoogduytsen,  en  andere  vreemde  volkeeren  gedaan  na 
Oost-  en  West-Indi8n.    Het  tweede  stuk.    Leiden  o.  J. 

Fig.  885.  Deutsche  Wittwe  aus  dem  16.  Jahrhundert,  dem  Leichenbegftng- 
msB  ihres  Gkktten  zuschauend.    Holzschnitt  von  Hans  Burghmair ,     518 

Nach  Georg  Hirth  (wie  Fig.  185).    Bd.  I.  Fig.  489. 


662  Anhang  8. 

Fig.  386.    Wittwe  der  Cliippeway-Indianer  mit  dem  Modell  ihres  ver-  Seit^ 

fltorbenen  Ehegatten  im  Arme.  Dasselbe  wird  aus  ihrem  besten  Kleide  nnd  ans  dem 
Schmnck  ihres  Mannes  gefertigt  xmd  mnss  stets  von  ihr  getragen  werden,  solange 
die  Tranerzeit  andauert U.     514 

Nach  E.  C.  Yarrofo:  A  fnrther  contribntion  to  the  study  of  the  North  American 
IndiansinJl  W.  Powell:  First  annnal  report  of  the  Burean  of  Ethnology  to  the 
Secretary  of  the  Smithsonian  Institution  1879—1880.    Fig.  82. 

Fig.  887.  Wittwentracht  der  Aarn-Insnlanerinnen.  Die  nähere  Be- 
schreibung ist  im  Texte  gegeben ,       516 

Nach  Biedel  (wie  Fig.  143). 

Fig.  888.  Wittwe  der  Mincopie  (Andamanen),  den  Sch&del  ihres  ver- 
storbenen Gatten  als  Trauerzeichen  an  der  Schulter  tragend ^       517 

Nach  Bichard  Andree^  Ethnographische  Parallelen  und  Vergleiche.    8.  136. 

Fig.  889.    Suttee,  Wittwenverbrennung  in  Indien «       520 

Nach  einer  indischen  Malerei,  veröffentlicht  von  H,  A,  Acworih  in  The  Jour- 
nal of  the  Anthropological  Society  of  Bombay.    Vol.  II.    Bombay  1891. 

Fig.  390.    Suttee,  Wittwenverbrennung  in  Indien ,       521 

Nach  Charles  Coleman:  The  Mythology  of  the  Hindus.    London  1882. 

Fig.  391.  Gharivari  bei  der  Wiederverheirathung  einer  Wittwe  im 
15.  Jahrhundert.    Fauvel,  der  Fuchs  hält  der  Wittwe  eine  Ermahnungsrede     .   .     ,       525 

Nach  einer  Miniature  aus  dem  Roman  de  Fauvel  (15.  Jahrh.)  in  der  Biblio- 
thöque  Imperiale  de  Paris.  Aus  PatU  Lacroix:  Les  Arts  au  Moyen-Age  et  a 
Täpoque  de  la  Renaissance.    Paris  1869.    Fig.  869.  p.  477. 

Fig.  392.  Wittwenbogen,  Pai-lu,  Ehrenportal,  errichtet  zum  Preise 
einer  keuschen  Wittwe.    Peking,  China ,       531 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  393.  Abyssinische  Matrone,  bezeichnet  als  die  Amme  des  Negus. 
(Man  vergleiche  Fig.  397.) ,      585 

Nach  einer  Photographie  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  894.  Maori-Frau  von  Neu -Seeland  im  Matronen-Alter,  die  charakte- 
ristischen Erscheinungen  des  herannahenden  Alters  im  Gesichte  zeigend «      536 

Nach  einer  von  Pultnann  aufgenommenen  Photographie  aus  dem  Bichard  Neu- 
hauss  Album,  im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  395.  Deutsche  Frau  im  Matronenalter  mit  Fettleibigkeit,  durch 
welche  an  ihrem  Körper  Querwülste  und  Grübchen  hervorgerufen  werden „      537 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers. 

Fig.  396.  Aeltere  Frau  von  den  Marianen-lnseln  (Insel  Saipa),  am 
Gesicht  und  Körper  die  Spuren  des  herannahenden  Alters  zeigend 538 

Nach  einer  von  dem  Zahlmeister  S.  M.  S.  Hertha,  G.  Biemer,  aufgenommenen 
Stereoscop-Photographie,  im  Besitze  des  Herausgebers, 

Fig.  897.  Abyssinische  Matrone,  bezeichnet  als  die  Amme  des  Negus. 
(Man  vergleiche  Fig.  393.) ,      539 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  k.  und  k.  Gustos  am 
Naturhistorischen  Hofmuseum  in  Wien,  Josef  Szombathy. 

Fig.  398.    Mincopie-Matrone  von  den  Süd-Andamanen ,      540 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  der  Berliner  anthropo- 
logischen Gesellschaft. 

Fig.  399.    Die  Matrone.     Profilansicht ,     541 

Aus  Albrecht  Dürer:  De  symmetria  partium  in  rectes  formis  humanorum  cor- 
porum.    Nürnberg  1532. 

Fig.  400.    Die  Matrone.    Hinteransicht „     541 

Aus  Albrecht  Dürer  wie  Fig.  899. 

Fig.  401.    Die  Matrone.    Vorderansicht „     542 

Aus  Albrecht  Dürer  wie  Fig.  399. 

Fig.  402.    Der  Jungbrunnen ,     557 

Gemälde  von  Lucas  Cranach  in  dem  Kgl.  Museum  in  Berlin.  Nach  Photogr. 

Fig.  403.    Die  Hexen  und  Unholde ,     559 

Nach  Udalricus  Tengleri    Der  neu  Layenspiegel  u.  s.  w.    Augsburg  1512. 

Fig.  404.    Hexenküche 561 

Gemälde  von  F,  Francken  d.  J.  im  K.  K.  kunsthistorischen  Hofmuseum 
in  Wien.    Nach  Photographie. 


B.  Die  Text-Abbildnngen.  663 

Fig.  405.    HolzgesclinitBte  nackte  Figur  der   Golden   in   Sibirien,        Seite 
Ajami  genannt,  welche  die  Schamanen-Gandidatin  darstellt II.     566 

Mitgebracht  von  Adrian  «Tocobseti.  EglMasenm  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Aus  Max  Bartels:  Die  Medicin  der  Naturvölker.  Leipzig  1893.  S.83.  Fig.80. 

Nach  der  photographiachen  Aufnahme  des  Herausgehers, 

Fig. 406.  Ealinas-Indianerin,  Caraibin  (Surinam),  obgleich  erat 88  Jahre 
alt,  doch  bereits  beginnende  Greisenver&nderungen  zeigend „     572 

Nach  Prince  Holand  Bonaparte:  Les  habitants  de  Surinam.  Paris  1884.  PL  XV. 

Fig.  407.  Zigeunerin  aus  dem  District  von  Zerawschan  in  Turkestan, 
mit  den  charakteristischen  Encheinungen  des  Qreisenaltere  im  Gesicht,  obgleich  sie 
erat  29  Jahre  alt  ist.  .   . „     574 

Nach  einer  von  Kasanski  (Taschkent)  aufgenommenen  Photographie,  im  Besitze 
der  Gesellschaft  für  Erdkunde  in  Berlin. 

Fig.  408.  Eine  120  Jahre  alte  Siouz-Indianerin  (Minnesota),  Ha-za-e- 
yan-ke-ujin,  bekannter  unter  dem  Namen  Old  Bets „     575 

Nach  einer  von  Charles  Ä,  Zimmermann  (Minnesota)  aufgenommenen  Stereo- 
scop-Photographie  im  Besitze  der  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft. 

Fig.  409.    Die  Hinrichtung  einer  Chinesin 579 

Nach  einem  chinesischen  Aquarell  im  Besitze  der  Frau  Otto  Neühauss 
in  Berlin. 

Fig.  410.  Der  Massenselbstmord  der  Gimbern-Frauen  nach  der  Be- 
siegung durch  Marius •     580 

Holzschnitt,  wahrscheinlich  von  Hans  Holbein ,  aus  Johann  StumpfTs  Chronik 
der  Eydgenossenschaft    Züiych.   1548. 

Fig.  411.    Selbstmord  einer  Frau  durch  Erh&ngen ,     581 

Holzschnitt  vom  Jahre  1584  aus  Petrarchae  Trostspiegel  im  Glück  vnd  Vnglück 
wie  Fig.  186. 

Fig.  412.  Japanerin,  welche  sich  die  Kehle  mit  einem  Schwerte 
abschneidet «     583 

Nach  einem  japanischen  Holzschnitt  aus  einem  Roman  im  Besitze  des  Egl. 
Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  418.    Japanerin,  welche  sich  einen  Dolch  in  den  Hals  sticht  •    ,.     584 

Nach  einem  japanischen  Holzschnitt  aus  einem  Roman  im  Besitze  des  £gl. 
Museums  für  Völkerkunde  in  Berlin. 

Fig.  414.  Selbstmörderin,  sich  in  einen  Fluss  stürzend;  wahnchein- 
lich  eine  Chinesin ,     585 

Holzschnitt  aus  einem  japanischen  Werke  im  Besitze  des  Dr.  Paul  Ehrenreich 
in  Berlin. 

Fig.  415.  Thurm  des  Schweigens  Pakhma).  Begrftbnissplatz  der 
Parsi,  der  Feueranbeter,  in  Indien.    Die  Beschreibung  ist  im  Texte  gegeben    .   .    ,      587 

Nach  H  a  Yarrow  (wie  Fig.  386),  Fig.  3. 

Fig.  416.  Bemalter  Terracotta-Sarkophag  mit  der  liegenden  Portraitfigur 
einer  jungen  Etrusker in  als  Deckel,  aus  einem  Grabe  in  Chi  usi  (dem  alten  Clusium). 
Im  Museo  archeologico  in  Florenz „     589 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Paganori  (Florenz),  im  Besitze  des 
Herausgebers. 

Fig.  417.    Weibergrab  der  Ingalik  von  ülukuk  (Nord-Amerika)  .   .    „     ^^0 

Nach  H  a  Tarrow  (wie  Fig.  808),  Fig.  14.  8.  57. 

Fig.  418.  Der  türkische  Begräbnissplatz  in  Sarajevo  (Bosnien).  Die 
mit  einem  turbanartigen  Aufsatze  gekrönten  Grabsteine  sind  diejenigen  der  Mftnner, 
die  unverzierten  diejenigen  der  Weiber „     591 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  von  Ignas  Königsberg  in  Sarajevo, 
im  Besitze  des  Director  Dr.  Voss  in  Berlin. 

Fig.  419.  Thont&felchen  in  Herzform  mit  zwei  eingebackenen  Enochen- 
spittem  (A.  A.)  von  einer  im  Wochenbette  Verstorbenen.  Amulet  der  Magyaren 
zur  Erleichterung  der  Entbindung »     600 

Aus  Heinrieh  von  WliskocJnl. 

Fig.  420.    Mohamedanischer  Begrftbnissplatz  in  Sarajevo,  Bosnien    ,     607 

Nach  einer  photographischen  Aufnahme  im  Besitze  des  Herausgebers, 


Anhang  4. 


Terzeichniss  der  benntzteii  Schriftsteller. 

Abbes,  H.,  ,Globüfl'  1884«    XLYI.    No.  14.    S.  216. 

Aba  Ali  Alhossain  Ebn  Abd^AUa  Ebn  Sinahl.  Vergl.  v.  Siebold,  Yenach  einer 
Gesch.  der  Geburtsh.    I.    8.  276. 

Abnlkasis,  De  chimrgia  arabice  et  latine.    Cora  J.  Channing.    Oxonii  1778.    8.  839. 

Ackermann,  Ueber  die  körperliche  Verschiedenheit  des  Mannes  vom  Weibe  ansser 
den  Geschlechtstheilen.    üebersetst  von  Wenzel.    Mains  nnd  Coblens  1788. 

A  eng  na,  Ghristopher  d*,  Voyages  and  discoveries  in  Sonth  America.    London  1698. 

Acwarth,  H.  A.,  On  the  Marathi  Ballad  written  on  the  Snttee  of  Ramabai,  widow  of 
Madhavrao  Peshwa.  The  Journal  of  the  Anthropological  Society  of  Bombay.  VoL  ü. 
p.  179-192.    Bombay  1891. 

Adams,  Remarks  etc.    1828.    15.  75. 

Agathias  U.    24.    p.  117.    ed.  Bonn. 

Ahlqnist,  Ang.,  Einige  Proben  mordvinischer  Volksdichtung.  Soomalais-Ugrilauen 
Senran  Aikakanskixja.    (Jonmal  de  la  Sod^t^  Finno-Ongrienne.)    Vni.    Helsingissa  1890. 

Alber tis,  de,  s.  Lombroso. 

Albrecht,  Panl,  Coirespondenzblatt  der  deutschen  Ges.  für  Anthrop.,  Ethnol.  und  Ur- 
geschichte.   Jahrg.  15.    No.  10.    S.  99—100.    München  1884. 

Aldrovandi,  ülyssis:  Monstrorum  Historia  cum  paralipomenis  historiae  omnium  ani- 
malium  Bartholomäus  Ambrosinus  studio  volumen  comprosuit.    Bononiae  1642.    p.  65. 

Alezander,  Wilh.,  Geschichte  des  weiblichen  Geschlechts  etc.  Aus  dem  EngL  fid.n. 
Leipzig  1781.    S.  408  iL 

1.  Alezandrow ,  M.,  in  «Sammlung  hist-statist.  Mittheilungen  über  Sibirien*.  I.  Peters- 
burg 1875.    Globus  1879.    S.  302. 

2.  Alezandrow  in  .Sammlung  hist-stat.  Mittheilungen  über  Sibierien*.  L  St.  Peters- 
burg 1875—1876.  —  Vergl.  „Das  Ausland«.    1865.    No.  22.    S.  520. 

Alksnis,  J.,  Materialien  zur  lettischen  Volksmedicin  in  Budolf  Kobert:  Historische 
Studien  aus  dem  pharmakologischen  Institute  der  kaiserlichen  Universit&t  Dorpat.  Band  fV. 
Halle  a.  8.  1894. 

Allan,  J.  McGregor,  On  the  Baal  Differences  in  the  Minds  of  Man  and  Women.  The 
Anthropological  Review.    Vol  m.    London  1869.    p.  CXGV— CGXIX. 

Alpinus,  Prosper,  De  medicina  Aegyptiorum.  Denuo  edit.  J.  B.  Friedreich.  Nord- 
lingen  1829.    IL    S.  105,  Gap.  XVI  und  S.  111,  Gap.  XVU. 

Alt,  0.,  in  Monatsschr.  für  GeburUkunde.    Bd.  VI.    8.  Heft.    1855.    S.  161,  170. 

Altmann,  Julius,  Runen  finnischer  Volkspoesie.    Leipzig.    1856.    8.  18. 

Amelung,  Albert,  Globus  XLU.    1882.    8.  185. 

Amerlan,  Albert,  Globus  XIJI.    1882.    No.  112.    S.  185. 

1.  Ami  eis,  Edm.  de,  Gonstantinople»  aus  dem  Ital.  von  J.  Golom.    Paris  1878. 

2.  Amicis,  Edm.  de,  Spanien.    1880.    8.  871. 

3.  Amicis,  de,  s.  Lombroso. 

1.  Andree,  Richard,  Ethnographische  Parallelen  und  Vergleiche.    Stuttgart  1878. 


YerzeichnisB  der  benutzten  Schriftsteller.  665 

2.  Andree,  Richard,  EnthnographiBche  Parallelen  und  Vergleiche.  Nene  Folge.  Leipzig 
1889.    (Das  Zeichnen  bei  den  NatürrOlkem.) 

8,  Andree,  Richard,  Die  Anthropophagie.  Eine  ethnographische  Studie.  Leipzig 
1887.    p.  46. 

Annales,  nonvelles,  des  voyages.    Janv.  1868.    p.  48. 

Antin ori  und  Piaggia  in  Le  Globe.    1869.    5,  6,  154. 

Apoteck  für  den  gemeinen  Mann.    Ntkmberg  1529.    Blatt  IT. 

Apulejus,  Met.  239. 

1.  Appun,  Das  Ausland.    1871.    S.  125. 

2.  Appun,  Unter  den  Tropen.    1871.    U.    S.  425,  428. 
Aran,  Maladies  de  Tut^rus.    Paris  1858.    p.  277. 
ArantiuB,  C,  De  humano  foetu  Über.    Basileae  1519. 

Ar  CO,  Carlo  d*,  Istoria  della  vita  e  delle  opere  di  Giulio  Pippi  Romano.   Mantova  1888. 

1.  Aristophanes,  Lysistrat.    151. 

2.  Aristo  ph  an  es,  Eccles.    t.  868. 

1.  Aristoteles,  Politika.    Lugd.  Batav.  1621.    8.  VIL  16. 

2.  Aristoteles,  De  natura  animalium  Lib.  I,  cap.  8.  ed.  Imm.  Becker.  Berlin  1881; 
Hist.  anim.  1.  Ul.  c.  1. 

8.  Aristoteles,  De  genide  anim.  Lib.  ü.  c.  4. 
4.  Aristoteles,  Histor.  anim.  Lib.  YIl.  c.  4. 

1.  Armit,  W.  A.,  Das  Ausland.    1884.    No.  18.    S.  255. 

2.  Armit,  im  Joum.  Anthrop.  Instit.  IX.    S.  459. 

1.  Arnold,  Wilh.,  in  P.  Lindau^s  «Gegenwart".    1879.    S.  181. 

2.  Arnold,  Wilh.,  Frftnkische  Zeit.    I.  H&lfte.    Gotha  1881.    S.  820. 
Arnott,  Transact  of  the  Edinbourgh  obstetric.  Soc.  IX.    1884.    p.  28. 
Arvieuz,  d\  Memoires,  par  le  P.  J.  B.  Labat.    Paris  1785.    m. 
Arzruni,  siehe  Poljakow. 

Arzt,  .Der  praktische',  Jahrg.  29.    Nov.  1888.    No.  11.    S.  264. 

1.  AsbjOrnsen,  Norske  Huldre-Eventyr.    8.  A«    S.  18. 

2.  AsbjOrnsen,  P.  Gh.,  Auswahl  norwegischer  Volksmärchen  und  Waldgeister-Sagen. 
Aus  dem  Norwegischen  übersetzt  v.  H.  Denhardt.    Leipzig  1881. 

Asboth  (Aus  dem  Russischen),  Archiv  ftlr  Anthrop.    XIII.    1881.    S.  817. 
Ascherson,  Paul,  in  Zeitschr.  l  EthnoL    Bd.  VIII.    S.  857.    Berlin  1876. 
Atkinson,    RecoUection    of    Tartar    Steppes.      London    1868.     Ausland.     No.    16. 
S.  865.    1868. 

Athen aeus,  Deipnosoph.    Lib.  IX. 

1.  Audebert,  J.,  Globus  1882.    XLH.    N.  21.    S.  829. 

2.  Audebert,  J.,  Globus  1888,    XLIV.    No.  18.    S.  282. 

8.  Audeberg,  J.,  Verhdlg.  der  Gesellsch.  für  Erdkunde  zu  Berlin.    X.    1888.    S.  471. 

Aulnay,  la  comtesse  d\  Relation  du  Yoyage  d*Espagne.  La  Haye  1705.  Raumer: 
Brief  aus  Paris  (16.  u.  17.  Jahrh.).    1881. 

Aunoy,  Mad.  d*,  Memoires  sur  TEspagne.  p.  116  ff.  —  d*  Aunoy,  Letters  of  the  Tra- 
vels into  Spain.      London  1708.    p.  125  ff. 

Aveling.  J.  H.,  The  Lancet    April  1872.    No.  XV.  V.  1.    p.  500. 

Avicenna,  Liber  canonis  16  de  extract.  secund. 

Ay monier,  E.,  Gochinchine,  Excursion  et  reconnaissances.  No.  16.  Globus  1885. 
Bd.  48.    No.  7. 

1.  Azara,  ▼.,  Voyages  dans  TAm^rique  m^ridionale.    Paris  1809.    n.    p.  98. 

2.  Azara,  y.,  Reise  nach  Südamerika.  Deutsch  von  Weyland.  Wien  1811. 
L  166,  207. 

8.  Azara,  t.,  Reise  in  Paraguay;  übersetzt  von  Weyland.   L    S.  207,  224;  IL    S.  26. 

Baader,  Klemens  Alois,  in  seinen  , Reisebriefen '.  Augsburg  1795.  S.  20.  VergL 
A.  Birlinger,  Alemannia  1882.    X.    3.  Heft.    S.  266. 

Bacarisse,  Du  Sacrum  suivant  le  sexe  et  suivant  les  races.    Th^e.    Paris  1878. 

Bachofen,  J.  J.,  Das  Mntterrecht.    Stuttgart  1861. 

Bader,  Glarisse,  beschreibt  in  ihrem  Buche  „La  femme  romaine'  (8  Bde.)  das  Leben 
der  Frauen  in  Rom  1.  Tor  dem  Auftreten  des  Christenthums,  2.  zur  Zeit  der  Republik, 
3.  w&hrend  des  Kaiserreichs. 


666  Anhang  4. 

Baegerty  Jacob,  Nachrichten  von  der  amerikanischen  Halbinsel  Galifomieii.  Mann- 
heim 1773.  Vergl.  Annaal  Report  of  the  Board  of  regents  of  Smithsonian  Instit.  Washing- 
ton 1864.  p.  368. 

Baelzy  E.,  Die  körperlichen  Eigenschaften  der  Japaner.  Mitth.  d.  deutsch.  Ges.  f. 
Nat.-  n.  Yolksk.  Ostasien.    Bd.  XI.    1884—1888.    Yokohama  S.  104. 

1.  Baer,  Der  Alkoholismus,  seine  Verbreitung  und  seine  Wirkung  etc.  Berlin 
1878.    S.  193. 

2.  Baer,  A.,  Der  Verbrecher  in  anthropologischer  Beziehung.    Leipzig  1898. 
Baeren,  Cohen  von,  Verhandl.  d.  Gesellsch.  f.  Geburtsh.  in  Berlin.    IV.    S.  37. 
Bajon,  Nachrichten  zur  Geschichte  TonCajenne  und  dem  französischen  Guyana«    Aus 

d.  FranzÖB.    Erfurt  1781. 

1.  Baker,  S.,  The  Albert  Nyanza  1866.    I.  217. 

2.  Baker,  Cjpem  im  Jahre  1879.    Leipzig  1880. 

Balandin,  Klinische  Vorträge  aus  dem  Gebiete  der  Geburtshülfe  und  Gjn&kologie.  L 
St.  Petersburg  1883. 

Ball,  siehe  Gharcot. 

1.  Bancroft,  Nat.  Races  of  the  Pacific  States.    1874.    Vol.  L  p.  780. 

2.  Bancroft,  siehe  Yarrow. 

8.  Bancroft,  Hubert  Howe,  TheNative  Races  of  the  Pacific  States  of  North  America. 
New  York  1875.    Volume  III.  p.  363. 

Bandelier,  Adolf  F.,  , Das  Ausland'.     1882.    No.  33.     8.646. 

Barnim,  A.  y.,  und  R.  Hartmann,  Zeitschr.  fOr  allgem.  Erdkunde.  N.  F.  XII. 
3.    S.  203. 

Barrere,  Peter,  Neue  Reise  nach  Guyana  etc.    GOttingen  1751.    U.  S.  169. 

Barrow,  Reisen  durch  die  inneren  Gegenden  des  südlichen  Afrika.  Weimar  1801. 
L  S.  152. 

1.  Bartels,  Max,  üeber  Abnorme  Behaarung  beim  Menschen.  Dritter  Aufsatz.  Zeit- 
schrift f.  Ethnol.    Bd.  XIII.    Berlin  1881. 

2.  Bartels,  Max,  Die  geschwänzten  Menschen.  Archiv  f.  Anthropologie.  Band  XV. 
S.  52.    Braunschweig  1883. 

8.  Bartels,  Max,  Die  Sp&t-Laktation  der  Kafferfrauen.  Zeitschrift  für  Ethnologie. 
Bd.  XX.    Berlin  1888.    Verhandl.  d.  Berliner  anthrop.  Ges.  S.  79. 

4.  Bartels,  Max,  Die  Medicin  der  Naturvölker.  Ethnologische  Beitr&ge  zur  Urge- 
schichte der  Medicin.    Leipzig  1893. 

5.  Bartels,  Max,  Siebenlinge.  Verhandlungen  der  Berliner  Gesellschaft  für  Anthro- 
pologie, Ethnologie  und  Urgeschichte.  Zeitschrift  für  Ethnologie.  Jahrgang  XXVI.  1894. 
S.  (452). 

6.  Bartels,  Max,  Die  Koma-  und  Boscha-Gebräuche  der  Bawenda  in  Nord-Transvaal. 
Verhandl.  d.  Berliner  Anthropol.  Gesellschaft.  Zeitschr.  f.  Ethnologie.  Bd.  XXVHI.  S.  84,  35. 
Berlin  1896. 

7.  Bartels,  Max,  Mittheilungen  aus  dem  Frauenleben  der  Orang  BSlendas,  der  Oraag 
Dj&kun  und  der  Orang  Laut;  von  Hrolf  Vaughan  Stevens,  bearbeitet  von  — ;  Zeitschrift  för 
Ethnologie.    Bd.  XXVIIL    S.  165-202.    Berlin  1896. 

8.  Bartels,  Max,  Reife-Unsitten  bei  den  Bawenda  in  Nord-Transvaal.  Verhandl.  d. 
Berliner  anthropologischen  Gesellschaft.  Zeitschr.  f.  Ethnologie.  Bd.  XXVIIT.  S.  363—365. 
Beriin  1896. 

9.  Bartels,  Max,  Lactatio  serotina  in  Java.  Zeitschrift  ftir  Ethnologie.  Bd.  XXVllI. 
1896.    Verhandl.  d.  Berliner  anthropol  Ges.    S.  110—112. 

10.  Bartels,  Max,  Die  Spat-Lactation.    Zeitoohrift  für  Ethnologie.   Bd.  XXVm.    1896. 
Verhandl.  d.  Berliner  anthropol.  Ges.    S.  267—270. 

Bartholini,  Casp.,  Institutiones  Anatomicae  etc.  ab  auctoris  filio  Thoma  Bartholino. 
Lugduni  Batavorum  1645.  p.  149. 

1.  Bartholinus,  Thomas,  De  medicina  Danornm. 

2.  Bartholinus,  Thomas,  Antiquitatum  veteris  puerperii  Synopsis.  Amstelodami  1676. 
Bartsch,  E.,  Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  aus  Mecklenburg.  Wien  1880.  S.  48. 
Bastanzi,   Avv.     Giambattista,   Superstiziosi  religiöse  nelle  Provincie  di  Treviso  e  di 

Belluno.    Archivio  per  TAntropologia  e  la  Etnologia  (pubbl.  dal.  D.  P.  Mantegazza).    Volame 
XVIII.  fasc.  IIL  Firenze  1887.    p.  271—310. 

1.  Bastian,  Adolf,  Matriarchat  und  Patriarchat.  Zeitschrift  für  Ethnologie.  Bd.  XVIH. 
Verhdl.  d.  Berliner  anthrop.  Ges.    <S.  331—341.)    Berlin  1886. 


VerzeichnisB  der  benutzten  Schriftsteller.  667 

2.  Bastian,  Adolf,  das  Ausland.    1865.    S.  1188. 

8.  Bastian,  A.,  Geograph,  u.  ethnolog.  Bilder.    Jena  1878.    S.  184. 

4.  Bastian,  Adolf,  Zar  vergleichenden  Psychologie.  Lazarus'  and  Steinthal*s  Zeit- 
schrift.   V,  S.  153. 

5.  Bastian,  A.,  Inselgruppen  in  Ooeanien.   Berlin  1882.  —  Ausland.  1883.  No.29.  S.  573. 

6.  Bastian,  A.,  Die  Völker  des  östlichen  Asiens,  Studien  and  Reisen.  Dritter  Band: 
Reisen  in  Siam  im  Jahre  1868.    Jena  1867.    S.  220,  279. 

Batchelor,  John,  The  Ainu  of  Japan.     London  1892.    p.  172—174.  s.  Mac.  Ritchie. 

Bat  es,  The  Naturalist  on  the  river  Amazonas.  London  1864.  Das  Ausland.  1864. 
50.  S.  1182. 

Baudouin,  s.  Garcilasso. 

Bauer,  H.,  siehe  Lockhart. 

Baumeister,  A.,  Denkmäler  des  klassischen  Alterthums  zur  Erlftuterung  des  Lebens 
der  Griechen  und  Römer  in  Religion,  Kunst  und  Sitte.  Bd.  1,  S.  4,  Fig.  5.  München, 
Leipzig  1885. 

Baumgarten,  S.  J.,  Allgemeine  Geschichte  der  Länder  und  Völker  von  Amerika. 
I.  Theil.    S.  122.    Leipzig  1752. 

Bavaria,  Bd.  U.  Abth.  L  S.  254,  Bd.  in.  Abth.  U.  S.  954. 

Bayern,  Friedrich,  Untersuchungen  über  die  ältesten  Gräber-  und  Schatzfunde  in 
Kaokasien,  herausgegeben  und  mit  einem  Vorworte  versehen  von  Rudolf  Virchow,  Zeit- 
schrift für  Ethnologie.    Supplement.    Berlin  1885.    S.  45,  49.    (16  Tafeln,  17  Holzschnitte.) 

1.  Be au ,  C.  Le,  Aventures  ou  Toyage  curieux  et  nouveau  etc.  Amsterdam  1788.  IL  p.  199. 

2.  Beau,  le,  in  New  Orleans,  Annales  d*hyg.  publ.  1888.  X.  181.  Gaz.  m^d.  de  Paris. 
1832.  No.  98. 

Beauregard,  0.,  Anthropologie  et  philologie.  Bulletins  de  la  Soci^t^  d* Anthropologie 
de  Paris  tome  IX.    UI.  s^rie,  ann^e  1886.    Paris,    p.  245ff. 

1.  Bechtinger,  Ein  Jahr  auf  den  Sandwichsinseln.    Wien  1869.    S.  100. 

2.  Bechtinger,  Ostafrika.    Wien  1870.    158. 

Beckher,  Daniel,  Kleine  Hausapotheke,  darin  Beschreibung  theils  des  HoUunders, 
theils  des  Wachholders.    Königsberg  1650.    S.  524. 

Beechy,  Hist.  nniv.  des  yoy.    Bd.  XIX.    S.  374. 

Beer,  J.,  Mythologia  obstetricia.    Allgem.  med.  Centralzeit.  1864.  No.  50.  S.  413. 

Belinski,  Das  Lied  von  Igor,  sänmitl.  Werke.    Bd.  IV. 

Belloguet,  Roget  de,  Ethnog^nie  Gauloise.    Paris  1868.    p.  338 ff. 

Benedict,  Synod.  Diaecoesana.  Lib.  XI.  Gap.  VII.  No.  13  ex  oper.    Benedict  XIV. 

Benedicti,  Alex.,  Hum.  corp.  Anatome.  Bas.  1549.  Lib.  3.  cap.  4.  p.  595.  Barthol, 
Vindic.  anatom.    1648.    p.  32. 

Beneke,  F.  W.,  Die  Altersdisposition.  Ein  Beitrag  zur  Physiologie  und  Path.  der 
einzelnen  Altersstufen  des  Menschen.    Marburg  1879.    S.  17  ff. 

Bensenger,  W.  N.,  Archiv  f.  Anthrop.   XIV.    1882.   S.  287. 

Benson,  siehe  Tarrow. 

Beut,  Travels  amongst  the  Armenians.  Gontemporaiy  Review.  Nov.  p.  701. 
(London?)  1896. 

Berchon,  Docum.  sur  le  Senegal.    Bull.  Soc.  Anthrop.  8.  Nov.  1870.   p.  522. 

B^renger-Feraud,  Les  peuplades  de  la  Senegambie.    Paris  1879.  p.  3. 

1.  Berg,  BibL  for  Laeger.  5  R.  Bd.  XX.  S.  307.    1870. 

2.  Berg,  Alexander,  s.  Ovidius. 

1.  Bergel,  Jos.,  Die  Eheverhältnisse  der  alten  Juden  etc.    Leipzig  1881. 

2.  Bergel,  Jos.,  Mythol.  der  alten  Hebräer.    Leipzig  1883.    S.  25. 
Bergh,  s.  Baer. 

Berghaus,  A.,  Europa.    1882.    No.  44.  S.  1784. 

Bergmann,  Fr^d.,  Origine,  Signification  et  Histoire  de  la  Castration,  de  TEunuchisme 
et  de  la  Circoncision.    Palerme  1883. 

Berlinische  Nächte.    Leipzig  und  Züllichau  1803. 

Bernard,  Augustin,  L'Archipel  de  la  Nouvelle  Cal^donie.    Paris  1895.    p.  261. 

Bernays,  Ch.  S.  (St  Louis),  Virchow  in  Zeitschr.  f.  EthnoL  Bd.  VHI.  Verhandl.  87. 
Berlin  1876. 

1.  Bernhard,  in  J.  J.  Sachs,  Medic.  Almanach  f.  d.  Jahr  1845.  S.  683. 

2.  Bernhard,  Deutsche  Klinik.    1854.    No.  8. 
Bernhardy,  Grundriss  der  griechischen  Literatur.    1.  Bd. 


668  Anhang  4. 

Bernoulli,  Schweizer.  Zeitschr.  1864.  III.  1  u.  2.  S.  100. 

Bertherand,  M^decine  et  hygiäne  des  Arabes.    PariB  1855.    p.  190,  544. 

1.  Bertillon,  Des  combinaison  de  seze  dans  les  groflseeses  g^meUaires  (doables  oa 
triples),  de  leur  cause  et  de  lenr  caract^re  ethnique.  Bulletins  de  la  Soci^t^  d* Anthropologie 
de  Paris.    U.  s^e.    tome  IX.    Paris  1874.    267—290. 

2.  Bertillon,.  J.,  Statistiqae  humaine  de  la  France  in  Biblioth^ae  ntile.  Paris  1881. 
—  Derselbe,  Artikel  , France*  in  Dict.  encjclop.  des  sc.  med. 

Bessels,  Emil,  Archiv  f.  Anthropologie.    VIII.    Braunschweig  1875.    8.    113. 

Beste,  Nachrichten  aus  d.  Synode  Britisch-EaflPerland.  Bethel,  Berliner  MisaioDs-Be- 
richte.    1887.    S.  74. 

Bestion,  Etüde  sur  le  Gabon,  im  Arch.  de  möd.  nav.  XXXVL    S.  372. 

Beukemann,  W.,  Ein  Beitrag  zur  Untersuchung  über  Vertheilung  der  Geborten  nadi 
Monaten  und  zur  Methodologie  der  Causal-Üntersuchungen  in  der  Statistik.  Inang.-DiBi. 
Gottingen  1881. 

1.  Beuster,  G.,  Zwillingsgeburten  bei  den  Basuthos.  Zeitschr.  f.  Ethnol.  Bd.  XTIE 
Verhandl.  d.  Berliner  anthrop.  Ges.    S.  (36).    Berlin  1886. 

2.  Beuster  (Ha  Tschewasse,  Nord-Transvaal):  Von  der  Aussenstation  MpafudL  Berliner 
Missionsberichte.    1889.    No.  21.  22.    S.  587. 

Bevern,  Hufeland's  Journal  1802.  XIV.   141. 

Beyfuss,  Gustav,  Acclimatisation  der  Europäer  in  Niederl&ndisch-Indien.  Zeitschr.  £ 
Ethnologie.    Bd.  XVIU.    Verhandl.  S.  (92).    Berlin  1886. 

Bezzenberger,  Adalbert,  Litauische  Forschungen.  Beiträge  zur  Eenntnias  der  Spradie 
und  des  Volksthumes  der  Litauer.    GOttingen  1882. 

Biet,  Voyage  de  la  Terre  ^quinoct.    Lib.  VIII.  eh.  13. 

Bilharz,  A.,  Zeitschrift  f.  wissenschaftl.  Zoologie.    Bd.  X.    S.  281. 

Binder,  siehe  Ludwig. 

Bird,  Isabella,  Der  goldene  Ghersones.    Deutsch  v.  Helms.    Leipzig  1834. 

1.  Birlinger*s  Schwäbisch-Augsborgisches  Wörterbuch.    S.  225. 

2.  Birlinger,  Anton,  Sitten  und  Rechtsbräuche.    2  Bd.    Wiesbaden  1874. 

3.  Birlinger,  A.,  Volksthümliches  aus  Schwaben.    IL  319. 

1.  Bischoff,  Th.  L.  W.  v.,  Beweis  der  von  der  Begattung  unabhängigen  periodischeii 
Reifung  und  Loslösung  der  Eier  der  Säugethiere  und  der  Menschen.    Giessen  1844. 

2.  Bischoff,  V.,  Das  Studium  und  die  Aueübung  der  Medicin  durch  Frauen.  München 
1872.    S.  15. 

8.  Bischoff,  Th.  L.  v.,  Abhandlungen  der  bayr.  Akademie  d.  Wissensch.  n.  Ol.  Bd,  IS. 
Abth.  2.    S.  209. 

4.  Bischoff,  Th.  L.  v.,  Sitz-Berichte  der  mathem.-physik.  Klasse  der  Akademie  der 
Wissensch.  zu  München  1882.    III.    S.  356.    Mit  Abbildung. 

Blackwood,  Magazin  im  »Ausland".    1862.    30.    S.  700. 

Blanc,  H.,  G^.  hebd.  de  mM.  1874.    No.  13. 

Blancard,  Reformirte  Anatomie.  Aus  dem  Holländischen  und  Lateinischen  ins  Hoch- 
deutsche übersetzt  von  Tobias  Pleucer.    Leipzig  1691.    p.  815;  s.  Eble. 

Blanchard,  Raphael,  üne  ^tude  critique  sur  la  st^atopygie  et  le  tablier  des  femmes 
Boschimanes.    Meulan  1883. 

Blondius,  Antonius^  siehe  Vezosius. 

1.  Blumenbach,  Job.  Friedr.,  Medicinische  Bibliothek.    Band  HI. 

2.  Blumenbaoh,  De  generis  humani  varietate  nativa.    Göttingen  1791.    p.  127. 

1.  Blumentritt,  Ferd.,  Der  Ahnencultus  u.  die  religiösen  Anschauungen  der  Malayen 
des  Philippinen-Archipels.  Mittheil,  der  k.  k.  geograph.  Gesellschaft  in  Wien.  Red.  von 
J.  Chavanne.    1882.    No.  2  u.  3.    S.  177. 

2.  Blumentritt  nach  Ragionamenti  di  Francesco  Carletti  und  nach  Morgan-Stanley 
in  .Mittheil,  der  k.  k.  geograph.  Gesellsch.  in  Wien"  1885.    XXVIH.  2. 

3.  Blumentritt,  Peterm.  Mittheil.,  Ergänzungsheft  67.    S.  37. 

Blunt,  J.  J.,  Ursprung  religiöser  Geremonien  und  Gebräuche  der  rOm.-kath.  Kirche. 
Leipzig  und  Darmstadt  1826.    S.  83. 

Blyth,  David,  Notes  on  the  traditions  and  customs  of  the  natives  of  Fiji  in  relation 
to  conception,  pregnancy,  and  parturation.  The  Glasgow  medical  Journal.  VoL  XXVlH' 
p.  176—186.    Glasgow  1887.    (July-December.) 

Boas,  Franz,  Second  General  Report  on  the  Indians  of  British  Columbia.  Sixth  R^ 
port  on  the  North-Westem  Tribes  of  Canada.  British  Association  for  the  Advoncement  o^ 
Science.    London  1891. 


Verzeichniss  der  benutzten  Schriftsteller.  669 

Bock,  Carl,  Im  Reiche  des  weissen  Elephanten.    Leipzig  1885. 

Boddin,  Th.,  in  ,Die  Natur«.    1876.    S.  547. 

Bodenstedt,  Friedrich,  Tausend  und  ein  Tag  im  Orient.    Berlin  1859. 

Bodin,  De  Magomm  Daemonomania.  Vom  Aussgelasnen  Wütigen  Teuffelsheer  Aller- 
liand  Zauberern,  Hexen  vnnd  Hexenmeistern,  Vnholden,  Tenffelsbeschwerem,  Warsagern, 
Sohwartzkünstlem,  Vergifftem,  Augenverblendem  etc. 

Wie  die  yermOg  aller  Biecht  erkant,  eingetrieben,  gehindert,  erkündigt,  erforscht,  Pein- 
lich ersucht  md  geefaraffb  werden  sollen.  Gegen  des  Herrn  Doctor  J.  Wier  Buch  von  der 
Oeister  Verführungen,  durch  den  Edlen  vnd  Hochgelehrten  Herrn  Johann  Bodin,  der  Rechten 
D.  ynd  des  Parlaments  Rhats  inn  Franckreioh  ausgangen. 

Und  nun  erstmals  durch  den  auch  Emvesten  vnd  Hochgelehrten  H.  Johann  Fischart, 
-der  Rechten  D.  X.  auss  Frantzösischer  sprach  trewlich  in  Teutsche  gebracht  vnd  nun  zum 
andemmahl  an  vilen  enden  vermehrt  vnd  erklärt.  Getrnckt  zu  Strassburg,  bei  Bemhart 
Jobin  1591. 

Böcler,  Wolfgang,  siehe  Ereutzwald,  Fr.  H. 

Boer,  J.  L.,  .Sieben  Bücher*  als  Uebersicht  der  in  den  Jahren  1789  bis  1822  im 
Wiener  Oebärhause  gemachten  Beobachtungen. 

BOhtlingk,  Indische  Sprüche.     3  Th.    2.  Aufl.    St.  Petersb.  1870—78. 

Bötticher,  Ad.,  Auf  griechischen  Landstrassen.    Berlin  1883.    S.  65. 

Bon  aparte,  Prince  Roland,  Les  Habitants  de  Surinam.    Paris  1884.    p.  57. 

Bonnar,  The  Transact  of  the  £dinb.  obstetr.  Soc.  Vol.  IX.    1884.    p.  28. 

Bonnem^re,  L.,  üne  ceinture  B^nie.  Bulletins  d.  1.  Soc.  d*Anthrop.  de  Paris.  Tome 
IX.    ni.  s^rie,  annöe  1886.    Paris  1886.    p.  753. 

Bonpland,  siehe  v.  Humboldt. 

Bonwick,  Daily  Life  and  Origine  of  the  Tasmanians.    58. 

Bob  man,  Guillaume,  Yojage  de  Guin^e.    Utrecht  1705. 

Bouchacourt,  Dictionnaire  en  80  Vol.    Tome  XIX.  p.  448.    Paris  1839. 

1.  Bouchut,  Traitäs  des  mal  des  enfants.  Paris.  2.  Aufl.  Daselbst  sind  noch  2  Fälle 
•erwähnt:  von  Dr.  Piazza  von  Piombino  und  von  Dr.  Turner  in  Tennessee. 

2.  Bouchut,  Gaz.  des  höp.  1876.    No.  185.    Nov.  p.  1073. 

Bouä,  Bulletin  de  la  Soc.  de  Geographie.    S.  IV.    Tome  XVII.    1859.    p.  431. 

1.  Bougainville,  Reise  um  die  Welt.    Leipzig  1772.    S.  211. 

2.  Bougainville,  Hist.  univeis.  des  voy.  IV.    p.  220. 
Bourgeois,  siehe  Merian. 

Boussenard,  Revue  scientifique.    1883. 

Bove,  Giacomo,  Globus  1888.    XLm.     10.  S.  158. 

Bowditch,  T.  Edward,  Mission  der  Englisch- Afrikanischen  Compagpiie  von  Cape  Coast 
•Castle  nach  Ashantee,  mit  statistischen,  geog^raphischen  und  anderen  Nachrichten  über  das 
Innere  von  Afrika.  (Museum  der  neuesten  und  interessantesten  Beisebeschreibungen  für  ge- 
bildete Leser.    Vollständig  nach  den  Originalausgaben.    XIV.  Band.)    Wien  1826. 

Brandt,  v.,  Ueber  die  Ainos.  Zeitschrift  für  Ethnologie.  Bd.  IV.  Verhandl.  S.  (27.) 
Berlin  1874. 

Brantöme,  Les  Dames  galantes,  in  Mantegazza,  Anthropologisch -naturhistorische 
Studien  über  die  Geechlechtsverhältnisse  des  Menschen.    Jena  1886. 

Braun,  Julius,  Naturgesch.  der  Sage.     München  1864.    S.  38. 

Braur,  Sagen  und  Geschichten  der  Stadt  Baden.    S.  96. 

1.  Brehm,  A.  E.,  Globus.    1863.    S.  323. 

2.  Brehm,  Reiseskizzen  aus  Nord-Ost-Afrika  etc.    Jena  1855.    1.  Th.    S.  169. 
Breysky,  A.,  siehe  Winkel. 

Brennecke,  Hebammen  oder  Diakonissinnen  für  GeburtshÜlfe?  Leipzig u.  Neuwied  1884. 
Brenner-Schäffer,   Darstellung  der  sanitätlichen  Volkssitten  etc.  in  der  Oberpfalz. 
Amberg  1861.    S.  10. 

Breslau,  Oesterlen's  Zeitschr.  f.  Hygiene.    L    1860.    S.  325. 

1.  Brierre  de  Boismont,  Gazette  mMicale.    Paris  1849.    Juli. 

2.  Brierre  de  Boismont,  Die  Menstruation  etc.,  gekrönte  Preisschr.  A.  d.  Franz. 
übersetzt  v.  E rafft.    Berlin  1842. 

Broca,  Appr^oiation  du  degr6  d'inclination  pelvienne  par  le  goniomätre  d*inclination 
et  Torthogone  de  Broca.    Soci^t^  d*Anthrop.  de  Paris.    S4ance  du  22.  Janvier  1880. 

Browne,  Sir  James  Crichton,  An  oration  on  sex  in  education.  The  Lancet,  May  7. 
1892.    p.  1011—1018. 


670  Anhang  4. 

Bruce,  J.,  Reisen  im  Inneren  von  Afrika,  übersetzt  von  Guhn.  1791.  IL  S.  887 
und  427. 

Bruce  von  Kinnaird,  James,  Reisen  zur  Entdeckung  der  Quellen  des  Nils  in  den 
Jahren  1768—1778.    Uebersetzt  von  J.  J.  Volkmann.    Leipzig  1790—1791.  5  Bände. 

Brücke,  Ernst,  Schönheit  und  Fehler  der  menschlichen  Gestalt.  II.  Aufl.  Wien  n. 
Leipzig  1893. 

Brühl,  Auf  der  Höhe,  internationale  Revue  von  L.  v.  Sacher-Masoch.  II.  Jt^brg. 
VL  Bd.    16.  Heft.    1883.    S.  31  ff. 

Brugger  in  Dr.  Söhn*s  (Frankenhausen)  ,Die  Natur".    1884.    No.  4.    8.  40. 

Brugsch,  Henri,  Notice  raisonn^  d'un  traitä  m^cal  datant  du  XIV.  Si^cle  avant 
notre  äre  et  contenu  dans  un  Papyrus  hi^ratique  du  mus^e  roy.  de  Berlin.  Leipzig  1863. 
p.    17. 

Brunius,   C.  G.,  FOrsOk  tili  FOrklaringar  Ofver  H&lhristningar.     Lund  1868.     Tau  V. 

1.  Buch,  Max,  Religion  und  heidnische  Gebräuche  der  Woi^jftken.  Globus  1881.  XL. 
S.  232. 

2.  Buch,  Max,  Die  Wotj&ken.    Eine  ethnol.  Studie.    Stuttgart  1882.  S.  45. 

3.  Buch,  M.,  Das  Ausland.    1882.    No.  1.    S.  15. 

1.  Buchner,  Reise  durch  den  Stillen  Ocean.    Breslau  1878. 

2.  Buchner,  Max,  Das  Ausland.    1884.    S.  12. 

Buchta,  Richard,  Die  oberen  Nil-Länder.  Volkstypen  und  Landschaften.  Dargestellt 
in  160  Photographien.  Nach  der  Natur  aufgenommen  von  — ;  mit  einer  Einleitung  von  Dr. 
Robert  Hartmann.    Berlin  1881. 

Bück,  M.  R.,  Medic.  Volksglauben  aus  Schwaben.    Ravensburg  1865.    S.  10. 

Bürck,  siehe  Marco  Polo. 

1.  Büttikofer,  J.,  Reisebilder  aus  Liberia.    Leiden  1890.    H.    215.    802  ff. 

2.  Büttikof  er,  J.,  Einiges  über  die  Eingeborenen  von  Liberia.  Internationales  Archiv 
fElr  Ethnographie  Bd.  I.    Leiden  1888.    S.  82. 

1.  Büttner,  0.  F.,  Ausland.    1882.    No.  48.    S.  852. 

2.  Büttner,  Das  Ausland.    1884.    No.  35.    S.  696. 
Buhl,  L.,  siehe  Hecker. 

Bundschuh,  Frank.  Mercur.    1796.    S.  386. 

Bunsen,  G.  v.,  Zeitschr.  f.  Ethnol.    Bd.  XIX.    Verhdl.  S.  376.    Berlin  1887. 
Burchard,  Bischof  von  Worms.    12.  Jahrh.  de  Poenitentia,  Decretorum  I.  19. 
Burckhardt,  in  seiner  „Reise  in  Nubien'.    Weimar  1820.    S.  453. 
Burg,  Van  der.   De  geneesheer  in  Nederlandsch-IndiS.    1.  Th.    Batavia  1882.    VorgL 
Virchow's  Archiv.    1884.    Bd.  85.    S.  365. 

Burmeister,  Reise  nach  Brasilien.    Berlin  1853.    S.  250. 

Burnes,  Travels  in  Bokhara.    II. 

Bursian,   G.,   Fragmentum  medicum  g^raecuuL    Programm  der  Universität  Jena  1873. 

Burton,  Das  Ausland  1864.    35.    S.  822. 

1.  Busch,  Dietr.  Wilh.  Heinr.,   Das  Geschlechtsleben  des  Weibes  in  physiologischer, 
pathologischer  und  therapeutischer  Hinsicht  dargest.    Leipzig  1839. 

2.  Busch,  D.  W.  H.,  Lehrbuch  der  Geburtskunde.    5.  Auflage.    S.  45.  Berlin  1849. 

3.  Busch,   W.  H.,  AtloB  geburtsh.  Abbildungen  etc.    2.  Aufl.    Berlin  1851.   Taf.  VIL 
Figur  36. 

Byr,  Roh.,  Gartenlaube  1872.    No.  12.    S.  189.    Mit  Abbildung  von  Alb.  Kretsohmar. 

Caerden,  van,  Voyage  dans  Tlnde. 

Caesar,  De  hello  gallico.    L    V.    VL 

Caffarel,  Paul,  L*Algerie.    Histoire,  Conqudte  et  Colonisation.    Paris  1883.     595. 

Cailliaud,  Fr.,  Voyage  ä  M6ro6,  au  Fleuve  Blanc  etc.    Paris  1826>-27.    H. 

1.  Campbell,  James,  Edinb.  med.  Journ.    Sept.  1862.    p.  233. 

2.  Campbell,   A.,  Reise  um  die  Welt  in  den  Jahren  1806—1812  etc.     A.   d.   Engl. 
Jena  1817.  S.  111. 

Cameron,  Quer  durch  Afrika. 

Gange,  du,  Glossaire  (au  mot:  Machinamentum). 

Canolle,  Th^  de  Tavortement  criminel  ä  Karikal.    Paris  1881.    p.  30,  34. 

Carletti,  siehe  Blumentritt. 

Carreri,  Gemelli,  siehe  Jagor^. 

1.  Carus,  E.  G.,  in  Dresden,  Allgem.  Zeitung  f.  Chirurgie.     1842.    No.  4. 


Verzeichiius  der  benutzten  Schriftsteller.  671 

2.  Carnsy  Victor,  üehe  Darwin. 

Garver,  Jonathan,  Voy.  dans  les  parties  int^eures  de  TAm^rique  septentrionale  etc. 
Paris  1874.    p.  277. 

Casali,  Das  Aasland.    1862.    S.  398. 

Gastelnau,  Francis  de,  Expedition  dans  les  parties  centrales  de  rAm^rique  du  Sud  etc. 
Histoire  du  vojage,  tome  V.  p.  104,  106.    Paris  1851. 

Castr^n,  Ethnologische  Vorlesungen.    St.  Petersburg  1857.    S.  120. 

Cavalcaselle,  6.  B.,  siehe  Growe. 

Gels  US,  Von  der  Arzneiwissenschaft  in  acht  Büchern.  Aus  dem  Lat.  nach  Bianconi. 
Jena  und  Leipzig  1798.    S.  456. 

Geryantes,  Miguers  de,  Sämmtliche  Romane  und  Novellen.  Aus  dem  Spanischen  von 
Adelbert  Keller  und  Friedrich  Notter.  Bd.  X.  Stuttgart  1841.  ,Die  vorgebliche  TanteS 
S.  243—268. 

Gesarano,  Giuseppe,  11  Morgagni  1877.  No.  10;  Virchow- Hirsches  Jahresbericht  für 
1877.    II.  555. 

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Cap.  5.    Deutsch:  .Gypem*'  etc.,  von  L.  Stern.    Jena  1879. 

2.  Gesnola,  Louis  P.  di,  A  descriptive  Atlas  of  the  Gesnola-Gollection  of  Gjpriote 
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1.  Ghaillu,  Paul  B.  du,  Im  Lande  der  Mittemachtssonne.  Deutsch  von  Helms. 
Leipzig  1882.    S.  206. 

2.  Ghaillu,  Paul  B.  du,  The  land  of  the  midnight  sun.    London  1881.    IL    206  ff. 
Ghalmers,  James,   and  W.  Wyatt  Gill,  Work  and  Adventure  in  New  Guinea  1877 

bis  1885.    Vergl.  Globus  1885.    XVÜI.    No.  8.    S.  45. 

Ghamisso*8  Werke.    Leipzig  1886.    L    217. 

GhampoUion  Figeac,  Gemälde  von  Aegypten.  Mit  Abbildungen.  Frankfurt  a/M. 
1889.     S.  414. 

Gharcot,  J.  M.,  Le9ons  diniques  sur  les  maladies  des  vieillards  et  les  maladies  chro- 
niques.    Recueillies  et  publikes  par  B.  BalL    Paris  1874.    p.  9. 

Ghardin,  Ghevalier  du,  Voyage  en  Perse  et  autres  lienes  de  TOrient.  Edit.  par 
Langl^s.    Paris  1811. 

Gharlevoiz,  AUgem.  Eist.  d.  Reisen  zu  Wasser  und  zu  Land.    Bd.  XVIII. 

Gharpentier,  P.  Lindau's  »Gegenwart*.    1879.    S.  252. 

Ghavanne,  J.,  Die  Sahara.    396,  454. 

Ghervin,  Sitzung  der  Soci^t^  d*Anthropol.  de  Paris.    1.  M&rz  1883. 

Ghesnej,  Gharles  £.  Mc,  siehe  Yarrow.    S.  107. 

Ghristiany,  Ludwig,  Eva  von  Buttler  die  Messaline  und  Muckerin  als  Prototyp  der 
„Seelenbr&ute".    Ein  Beitrag  zur  Eenntniss  der  Mysterien  des  Pietismus.    Stuttgart  1870. 

Ghoulant,  Ludwig,  Geschichte  und  Bibliographie  der  anatomischen  Abbildung  nach  ihrer 
Beziehung  auf  anatomische  Wissenschaft  und  bildende  Kunst.    Leipzig  1852. 

Ghoutz^,  T.,  P^kin  et  le  Nord  de  la  Ghine.  Le  Tour  du  Monde.  Tome  XXXI.  Paris 
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niqn^  par  le  docteur  Morache.) 

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2.  Dali,  Bericht  von  Lincoln  in  Bost.  med.  and  surg.  Joum.  1870. 
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68,  109. 

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Herausgegeben  mit  Unterstützung  aus  den  Sammlungen  der  Berliner  Gesellschaft  fttr  Anthro- 
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Verzeichniss  der  benutzten  Schriftatelier.  573 

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1.  Darwin,  Charlee,  Reise  eines  Natorforsöhers  um  die  Welt.  Gesammelte  Werke. 
Deutsch  von  J.  Victor  Garus.    Bd.  I.    Stuttgart  1875. 

2.  Darwin,  Charles,  Die  Abstammung  des  Menschen  und  die  geschlechtliche  Zuchtwahl. 
I.    218.    Gesammelte  Werke,  übersetzt  von  J.  Victor  Carus.    Bd.  V.    Stuttgart  1875. 

8.  Darwin,  George  H.,  Die  Ehen  zwischen  Geschwisterkindern  u.  ihre  Folgen.  Ueber- 
setzt  von  7.  d.  Velde.    Leipzig  1876. 

Decker,  Ueber  die  Stellung  der  hellenischen  Frauen  bei  Homer.  Progr.  Magdeburg, 
Pädagog.  zum  Kloster  Unserer  Lieben  Frauen. 

Degrandprö,  L.,  Reise  nach  der  westlichen  Eflste  von  Afrika  in  den  Jahren  1786—87. 
Aus  dem  Franz.  von  Sprengel.    Weimar  1801. 

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2.  Delafosse.  Note  sur  une  figure  du  Dahom^  repr^entante  une  femme  enoeinte. 
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1.  Delaunaj,  Walter  Berger,  La  diff§renciation  suivant  les  sexes.  Gaz.  de  höp.  1878. 
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2.  Delaunaj,  G.,  Gleichheit  und  Ungleichheit  beider  Geschlechter.  Revue  scienti- 
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3.  Delaunaj,  Bulletins  de  la  Soc.  d'Anthrop.  de  Paris.    VIII.    1885.    p.  198. 
Demiö,  V.  F.,  Ueber  Volksmedicin  in  Russland.    (Wrac  No.  7.  9ff.  1889.)    Uebersetzt 

von  Dr.  Suchj.    Wiener  klinische  Wochenschrift.    Jahrg.  n.  1889.    No.  47.    S.  902—908. 
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Dernburg,  Friedrich,  Auf  deutscher  Bahn  in  Kleinasien.    Berlin  1892. 
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Des  cur  et,  Nouvean  Journ.  de  mM.  1820.    VIL    100. 
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Dillon,  Narration  of  a  voj.  in  the  South  Seas.    London  1829.    IL    177. 
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Dodge,  Die  heutigen  Indianer  des  fernen  Westens.    Deutsch   von  Müller-Mjlius. 

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Döderlein,  Ludwig,  Horazen*s  Satiren  und  Episteln.    2.  Aufl.    Leipzig  1862. 

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674  Anhang  4. 

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Dryander,  Joan,  Artzenei-Spiegel,  Qemeyner  Inhalt  derselbigen  Wes  bede  eünem  Lei-j 
ynnd  Wundtartzt,  in  der  Theorie,  Practic,  vnnd  Ghimrgei  zusteht  etc.  Zu  Franckfort  azü 
Mayn,  Bei  Christian  Egenolph.    1547. 

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Dümichen,  Johannes,  Resultate  der  auf  Befehl  8r.  Mtgestät  des  Königs  WiUiebn  L 
von  Preussen  im  Sommer  1868  nach  Aegypten  entsendeten  archäologisch-photographimdieii 
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Dürer,  Albrecht,  De  symmetria  partium  in  rectis  formis  hunmnorum  corporum.  Nürn- 
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Düringsfeld,  Ida  von,  Forzino.    Leipzig  1877.    S.  180. 

Dufferin,  Lord,  Briefe  aus  hohen  Breitengraden.    Braunsohweig  1860. 

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Dupny,  Der  praktische  Arzt    Jahrgang  29.    1888.    S.  264. 
Duquesne,  Voyage  dans  Tlnde. 
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Leipzig  1865.    S.  98.  —  Derselbe,  Anthrop.  d.  Naturvölker.    III.  Th.    1862.    S.  lOOffl 

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2.  Ebers,  Georg,  Sinnbildliches.  Die  koptische  Kunst,  ein  neues  Gebiet  der  altchrist- 
lichen Sculptur  und  ihre  Symbole.    Leipzig  1892. 

Eble,  Burkard^  Die  Lehre  von  den  Haaren  in  der  gesammten  organischen  Natur. 
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1.  Eokarth*s,  des  getreuen,  unvorsichtige  Heb- Amme,  in  welcher,  wie  eine  Heb- Amme 
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h:- 


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8.  Emin  Bey,  in  Petermann*s  Monatsheft.  1880.  Bd.  26.  S.  393.  1881.  Bd.  27. 
Heft  1.    S.  7. 

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der  Entwiokelung  der  heutigen  Greburtskunde  aus  dem  natürlichen  und  unbewussten  Gebrauche 
aller  Rassen.  Ans  dem  Englischen  übertragen  nnd  mit  einigen  Zns&tzen  versehen  von  Dr.  G. 
Hennig,  Prof.  in  Leipzig.    Mit  4  Tafeln  u.  56  Abbild,  im  Texte.    Wien  1884.    S.  X.  u.  198. 

8.  Engelmann,  George  J.,  Causes  which  imperil  the  health  of  the  American  girl, 
and  the  necessity  of  female  hygiene.  The  Medical  News.  Yol.  LVH.  No.  28.  Philadelphia 
1890.    p.  600. 

Enthüllungen  der  Pall-Mall  Gazette  über  die  sittlichen  Zust&nde  in  London.  Die 
M&dchenopferung  im  modernen  Babylon.    Hagen  i.  W.  1885. 

1.  Epp,  Schilderungen  aus  Holländisch-Ost-Indien.    Heidelberg  1852.    392. 

2.  Epp,  AUgem.  med.  Centralzeitung.    1858.    No.  6.    S.  37. 

Eram,  P.,  Quelques  consid^tions  pratiqnes  sur  les  accouchements  en  Orient.  Paris 
1860.    p.  45,  69,  862. 

Erckert,  R.  von,  Der  Kaukasus  und  seine  VOlker.    Leipzig  1887. 

Erichsen,  John  E.,  Praktisches  Handbuch  der  Chiruigie,  übersetzt  von  Oskar  Th am - 
hayn.    Berlin  1864. 

Ergebnisse  der  im  Reichsjustizamte  und  im  statist.  Bureau  des  deutschen  Reichs  be- 
arbeiteten Statistik.    2  Hefte.    Berlin  1883  u.  1884. 

1.  Ermann,  A.,  Reise  um  die  Erde.    Ul.    8.  426. 

2.  Ermann,  Gl.,  Zeitschrift  für  Ethnol.    U.  Jahrg.    1870.    Heft  lY.    S.  318. 

8.  Ermann,  Paul,  Zeitschrift  f^r  ägyptische  Sprache  und  Alterthumsknnde  von  Lepsius. 
1888.    m.  Heft.    S.  108. 

Er  m  er  ins  Praefatio  pag.  XLVIU  zu  seiner  Edition  des  Soranus. 

1.  Ernst,  A.  (Caracas),  Zeitschr.  f.  EthnoL  Bd.  XVIH.  Verhandl.  der  Berliner  anthrop. 
Ges.    (45).    Berlin  1886. 

2.  Ernst,  A.  (Caracas),  Proben  venezuelanischer  Volksdichtung.  Globus  XVIII.  Braun- 
Bchweig  1870.    8.  10. 

Eschenbach,  Wolfram  von,  Parzival  und  Titurel.  üebersetzt  und  erläutert  von  E. 
Simrock.    Stuttgart  1861.  1862. 

1.  Espin e,  Marc  d\  Archives  gön^r.  de  m6decine  Sept.  u.  Nov.  1835.  Schmidt's 
Jahrb.  Bd.  X.  S.  158  u.  Bd.  XLUL  S.  67. 

2.  Espine,  Marc  d\  Archives  g^n^r.  de  m^d.    H.    Serie  IX.  p.  5,  305. 
Esohwege,  Joum.  v.  Brasilien.    Weimar  1818.    L    S.  174;  H.  S.  273,  283. 

Eton,  W.,  Schilderungen  des  türkischen  Reiches,  übersetzt  von  Bergk.  Leipzig  1805. 
S.  144. 

Ewald,  Ferdinand  Christian,  Abodah  Sarah,  oder  der  Götzendienst  Ein  Traktat  aus 
dem  Talmud.  Die  Mischna  nnd  die  Gemara,  letztere  zum  ersten  Male  vollständig  übersetzt 
und  mit  Anmerkungen  begleitet  und  herausgegeben  von  — .  Zweite  Auflage.    Nürnberg  1868. 

Eyre,  Discoveries  in  Central  Australia.    H.    320. 

Fabrice,  H.  v.,  Die  Lehre  von  der  Fruchtabtreibung  und  dem  Eindsmord.  Erlangen 
1868.    S.  223. 

48* 


676  Anhang  4. 

1.  Falkenstein,  Zeiischr.  f.  Eihnol.     1877. 

2.  Falkenstein,  J.,  Afrikas  Westküste.  I.  Abth.  Leipzig  u.  Prag  1885.    8.  124,  144. 

3.  Falkenstein,  Die  Loango-Küste  in  72  Original-Photographien  (35  B]«tt)  nebst  er- 
l&aterndem  Text  von  — .    Berlin  1876. 

Fassbind,  Th.,  Gesch.  des  Kantons  Schwyz.    1832.    Bd.  L    258. 

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2.  Fawcett,  Fred.  (Bangalore),  On  the  Berolu  Kodo,  a  Snb-Sect  of  the  Mora«  Vocali- 
garu  of  the  Mysore  Province.  The  Joomal  of  the  Anthropological  Society  of  Bombay.  Vol.  I. 
No.  7.    p.  449—474.    (Mit  Tafel)    Bombay  1889. 

Feldner,  W.  Ch.  G.  v.,  Reisen  durch  mehrere  Provinzen  Brasiliens.  Liegnitz  1828.  IT. 

1.  Felkin,  R.  W.,  Edinb.  med.  Joum.    1884.    April. 

2.  Felkin,  Robert  W.,  Ueber  Lage  und  Stellang  der  Fraa  bei  der  Geburt  auf  Gnmd 
eigener  Beobacht  b.  d.  Neger- Völkern  d.  oberen  Nil-Gegenden.    Marbnig  1885. 

Fenn,  Americ.  Joum.  of  Obstetr.  April  1882. 

Ferrero,  G.,  siehe  Lombroso. 

Ferrini,  G.,  Saggio  sol  clima  e  suUe  precipne  malattie  della  dttä  di  Timisi. 
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Filatoff,  Materialien  zur  Bestimmung  der  Formen  und  mittleren  Maaaae  des  weibL 
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I,  98.    n,  426.    ni,  245. 

2.  Finke,  L.,  Von  den  verschiedenen  Verfahren  der  Völker  bei  Kranken,  Sterbandea 
und  Gestorbenen.    Bingen  1789.    S.  28,  29. 

3.  Finke,  siehe  Mosely. 

Finn,  W.,  Lieutenant  Holm's  Expedition  nach  Grönland.  Globus  1888.  XUV. 
No.  20.    S.  382. 

Finlayson,  siehe  Bastian*. 

1.  Finsch,  Otto,  Ueber  die  Bewohner  ron  Ponap^  (Ostl.  Carolinen).  Zeitednifl  ftr 
Ethnologie  Bd.  Xll.    Berlin  1880. 

2.  Finsch,  0.,  Anthropologische  Ergebnisse  einer  Reise  in  der  Sfidsee  und  dem  malar- 
ischen  Archipel.    Berlin  1884. 

3.  Finsch,  Neu-Gkdnea  und  seine  Bewohner.    Bremen  1865.     S.  121. 

4.  Finsch,  0.,  l^ttowirungen  und  Ziemarben  in  Melanesien,  besonders  im  Osten  Neo- 
Guineas (in  Joest:  T&ttowiren  etc.). 

1.  Fischer,  H.,  Ueber  die  Herkunft  der  sogenannten  Amazonensteine,  sowie  flb«r  das 
fabelhafte  Amazonenrolk  selbst.    Archiv   f&r  Anthropologie.    Bd.  Xu.    Brannschwei^  I3S0. 

2.  Fischer,  Frd.  Chr.  J.,  Ueber  die  Probenftchte  der  deutschen  Baueramftdchen. 
101.  Aufl.    Zflrich.  0.  J. 

Flower  u.  Murie,  Journal  of  anatomy  and  physiol.    No.  IL    May  1867. 
Flfigel,  D.,  Volksmedicin  und  Aberglaube  im  Frankenwalde.    Mfinehen  1863.     S.  45. 
46,  47,  50. 

Folk-LoreJoumal.    1883. 

Fontaine,  E.  de  la,  Luxemburger  Sitten  und  Br&uche.    Luxemb.  1883.    8.  110. 

1.  Forster,  Bemerkungen  auf  einer  Reise  um  die  Welt    BerL  1783.    S.  374. 

2.  Forst  er,  Geoig,  SftmmÜiche  Schriften,  herausgegeben  Ton  dessen  Tochter.  Bd.  I. 
Leipzig  1843. 

Forsyth,  Sir,  Globus.    1878.    No.  7.    S.  98.    Dazu  Abbild. 

Fessel,  Volksmedicin  etc.  in  Steyermark.    Gras  1885.    S.  47,  48. 

Fournier,  siehe  Virey. 

Francisque-Michel,  Le  Pays  Basque.    S.  201.    Paris  1857. 

Frank,  P.,  System  einer  Tollst.  med.  Polizei.    Mannheim  1804.    II,  57.    IQ,  676. 

Frankenberg,  siehe  Colombat 

Frankl,  Aus  Aegypten.    Wien  1860. 

1.  Franklin,  J.,  siehe  Richardson. 

2.  Franklin,  John,  Reise  an  die  Kfiste  des  Polarmeeres  in  den  Jahz«n  1819  flf. 
Weimar  1823.    24.  Abth.    I.    S.  96. 

Franque,  ▼.,  in  ▼.  Scanzoni's  Beitrftgen  zur  Geburtskunde  und  GynftkoL  VL  WfLrz- 
bürg  1869. 


Verzeichniss  der  benutBien  Schriftsteller.  677 

Freudenberg,  Julias  Augustus,  Ueber  Staats-  und  PnTatbordelle,  Kuppelei  und  Con- 
cubinat,  nebst  einem  Anhang  über  die  Organisirung  der  Bordelle  in  alten  und  neuen  Zeiten. 
V.  0.  1796. 

Freybe,  Albert,  Altdeutsches  Leben,  Stoffe  und  Darstellung  deutscher  Volksart. 
Gütersloh  1878. 

Freydier,  Plaidoyer  contre  Tintroduction  des  cadenas  ou  ceintures  de  chastete.  Mont- 
pellier 1750.  Bei  Mantegazza:  Anthrop.-Gulturhistor.  Stadien  über  die  GeschlechtsverhSltnisse 
des  Menschen.    Jena  1886. 

Frie.dl&nder,  Darstellung  der  Sittengeschichte  Roms.    Leipzig  1862.    S.  268  u.  824. 

Friedreich,  J.,  Zur  Bibel.    1848.    I.    S.  180,  144. 

Frisch  hier,  H.,  Hexenspruch  und  Zauberbann.    Berlin  1870.    S.  159. 

1.  Fritsch,  H.,  Mittheilungen  des  Vereins  f.  Erdkunde  zu  Halle.     1878.    S.  18. 

2.  Fritsch,  6.,  Archir  f.  Anat    1867.    S.  767  u.  768. 
8.  Fritsch,  G.,  Archiv  f.  Anatomie.    1868.    S.  744. 

4.  Fritsch,  Die  Eingeb.  Süd-Afrikas.    Breslau  1878.    S.  111,  280. 

Fritzner,  Lappemes  Hedenskab  etc.    Christiania  1876.    S.  69. 

Fronsperger,  Leonhart,  Eriegsbuch,  Erster  Theil.  Von  Kayserlichen  Kriegss  Rechten, 
Malefitz  vnd  Schuldth&ndlen,  Ordnung  vnd  Regiment  u.  s.  w.  Franckfurt  am  Mayn  1578. 
(Siegmundt  Feyerabend.) 

Fuchs,  Aerztl.  InteU.-Blatt.     1876.    No.  41.    S.  428. 

Fürst,  G.,  Enabenüberschuss  nach  Conception  zur  Zeit  der  postmenstrualen  Anämie. 
Arch.  f.  Gynftkologie.    Bd.  27.    S.  14.    Leipzig. 

Fuld,  Ludwig,  Aus  der  Griminalpsychologie  des  weibl.  Geschlechts.  Vom  Fels  zum 
Meer.    1885.    Oct.  I.    S.  159. 

Fulda,  L.,  Ed.  y.  Siebold's  Joum.  f.  Geburtsh.    VI.    1826.    S.  1. 

1.  Funke,  Otto,  Lehrbuch  der  Physiol.    8.  Aufl.    Leipzig  1860.    HL    S.  67. 

2.  Funke,  Edinb.  med.  Joum.    1864.    p.  104,  726. 

GalenuB,  De  uteri  dissectione.    Gap.  3.  edit.  Kühn.    Tom  H.    p.  89. 

Gallard,  T.,  De  TaTortement  au  point  de  tu(9  m6dico46gal.    Paris  1878.    S.  18ff. 

Gallieni,  Bulletin  de  la  Soc.  de  Geographie.    Paris  1883.    4.    p.  573. 

Galliot,  L^on,  Rech,  bist.,  ethnogr.  et  m^d.  legales,  sur  Tavortement  criminel.  Paris 
1884.    p.  68. 

Gamez,  Le  Victorial-Ghronique  de  Don  Pedro  Nino  —  etc.  traduit  par  de  Gircourt 
et  de  Puymaigre.    Paris  1867.    In  Göttingen  gel.  Anz.    1867.    Stück  51t    S.  2026. 

Ganzenmüller,  E.,  Globus.    1880.    Bd.  38.    No.  5.    S.  75. 

Garcilazo  de  la  Vega,  Hist.  des  Tncas  etc.  Trad.  par  Baudouin.  Amsterdam  1704. 
I.   p.  364.    Amsterdam  1787.    No.  8. 

Garmannus,  L.  Ghristianus  Fridericus,  De  Miraculis  Mortuorum.  Lipsiae  et  Ghem- 
nitii  1670. 

Gatschet,  Das  Ausland.    1884.    No.  30.   S.  585. 

1.  Gautier,  Amadäe,  Globus.    1882.    XLH.    No.  13.    S.  207. 

2.  Gautier,  Y.,  Du  Rhumatisme  de  TUterus.    G^näre  1858. 

Gazetteer,  the,  of  Sikhim.    Edited  in  the  GoYemment  Secretariat    Galcutta  1894. 

Gedicke,  Hom's  Archiv.    1825.    S.  139. 

Geiger,  W.,  Ostiranische  Gultnr  im  Alterthum.    1882.    S.  262. 

Geinitz  in  Altenburg,  Würzburger  medic.  Zeitschr.    1862.    HI.    322. 

Geiseler,  Gapit&n-Lieutenant  etc..  Die  Oster-InseL  Eine  St&tte  prähistorischer  Gultur 
in  der  Südsee.    Bericht  des  Gommandanten  der  ,Hyäne'.    Berlin  1883.    S.  24. 

Geisler,  siehe  Otto. 

Geldner,  Earl,  und  Eaegl,  Adolf,  Siebenzig  Lieder  des  Rigveda  übersetzt  von  — . 
Mit  Beitr&gen  von  R.  Roth.    Tübingen  1875. 

Gellius,  Lib.  XVL   Gap.  16. 

Gentil,  Reisen  im  indischen  Meere. 

Georgi,  J.  G.,  Bemerk,  einer  Reise  im  russ.  Reiche.    Petersb.  1775. 

Gerdy,  P.  N.,  Anatomie  der  äusseren  Formen  des  menschlichen  Eörpers  in  ihrer  An- 
wendung auf  Malerei,  Bildhauerkunst  u.  Ghirurgie.    Aus  d.  Französischen.  Weimar  1831.  S.  171. 

1.  Gerland,  Aussterben  der  Naturvölker.    Leipzig  1868.  26,  48. 

2.  Gerland,  G.,  Zeitschr.  der  Geeellsch.  f.  Erdk.  zu  Berlm  1883.  XVIU.   S.  204,  205. 
Gernet,  Mittheilungen  aus  der  älteren  Medicinalgeschichte  Hamburgs.    Hamburg  1869. 


678  Anhang  4. 

Gerschun,  Mark,  üeber  zwei  Drillingsgebarten.  Centaralblatt  fttr  Gynäkologie. 
Jahrgang  XX.    No.  52.  S.  1330.    Leipzig  1896. 

Gerfidorf,  v.,  siehe  v.  Minntoli. 

Gibbs,  George,  Gont.  North  American  Ethnol.    1877.  I. 

Giles,  Herbert  A.,  Chinesische  Skizzen.  Deutsch  von  W.  Schlösser.  Berlin  1878.— 
Europa.   1878.  S.  583. 

Gili,  Phil.  Salv.,  Nachrichten  vom  Lande  Guinea  und  dem  Orinocofluss.   Hamburg  1785. 

1.  Gill,  W.  Wyatt,  siehe  Ghalmers. 

2.  Gill,  W.  Wyatt,  Zoologische  MisceUen  aus  der  Südsee.  Mittheilungen  der  geogra- 
phischen Gesellschaft  (für  Thüringen)  zu  Jena.    Band  VII.  Jena  1888.   S.  20. 

Gitzler,  L.,  Handbuch  des  gemeinen  und  preuss.  Eherechts  der  Katholiken  und  Evan- 
gelischen.   Breslau  1849.    S.  519. 

Glasfurd,  C.,  in  Petermann*s  Mitth.  1864.   VII.  258. 

Glück,  Leopold,  Die  Tätowirung  der  Haut  bei  den  Katholiken  Bosniens  und  der  Her- 
cegovina.  Wissenschaftliche  Mittheilungen  aus  Bosnien  und  der  Hercegovina.  Herausgegeboi 
von  dem  Bosnisch-Hercegovinischen  Landesmuseum  in  Sarajevo.  Bedigirt  von  Dr.  Moritz 
Hoernes.    Wien  1894.  Band  IL  S.  455— 462. 

Gobineau,  A.  de,  Essai  sur  Tin^galitä  des  races  humaines.   Paris  1853 — 55.  H.   p.  113. 

1.  Godeffroy,  Süd-See-Typen.  Anthropologisches  Album  des  Museums  —  in  Ham- 
burg.   Hamburg  1881. 

2.  Godeffroy,  Journal  des  Museums.  —  14.  Heft. 

Göll,  H.,  Gulturbilder  aus  Hellas  und  Rom.    3.  Aufl.  L  Leipzig  1878.  S.  265. 

Goenner,  Alfred,  Fussmessungen  bei  Neugeborenen.  Zeitschrift  für  Geburtshülfe  und 
Gyn&kologie.    Bd.  IX.  Stuttgart  1883.  S.  239—244. 

GOrtz,  Karl,  Diss.    üeber  das  Becken  eines  Buschweibes.    Tübingen  1868. 

Goguel,  Accouchement  chez  les  H^breux  et  les  Arabes.  Gazette  hebdom.  1877. 
No.23.  S.363. 

Goldschmidt,  Volksmedicin  im  nordwestlichen  Deutschland.  Bremen  1854.  S.  40, 
47,  93.  135. 

Goltz,  Bog.,  Charakteristik  und  Katurgesch.  d.  Frauen.    Berlin  1859.  S.  108. 

Goncourt,  E.  et  J.  de,  La  femme  au  dix-huitidme  siecle.  Nouv.  ^dit.  Paris  1877. 
Magazin  der  Literatur  des  Auslandes.    1878.   No.  2.  S.  21. 

Gonse,  Louis,  L'art  japonais.    Tome  U.    p.  84.  Paris  1883. 

Cop6evic,  Spiridion,  Die  Ehe  in  Ober- Albanien  (übersetzt  von  Hecquard).  Globus. 
Bd.  XXXIX.   BrauBschweig  1881.    S.  171. 

Gottfried  von  Strassburg,  Tristan  und  Isolde.  Uebersetzt  von  Karl  S  im  rock.  2.  Aufl. 
Leipzig  1875. 

Gottfried,  Johan  Lodewyk,  De  aanmerkens-waardige  Yoyagien  door  Francoiseot 
Italiaanen,  Deenen,  Hoogduytsen  en  andere  vreemde  volkeeren  gedaan  na  Dost-  enWest-In- 
diSn.  Leiden  o.  J.  Het  tweede  stuk:  Lopez,  Eduard,  Aanmerklijke  en  geheugnis-waardige 
Scheeps-Togt,  gedaan  n*at  vermaarde  Koningrijk  Congo  in  Africa.    Anno  1578.    p.  66. 

Graafland,  N.,  Die  Insel  Rote  (Botti).  Mittheilungen  der  geograph.  Gesellschaft 
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Grabowski,  F.  S.,  Ueber  die  «djawets*  oder  heiligen  Töpfe  der  Oloh  ngac^u  (D%jaken) 
von  Süd-Ost-Bomeo.    Zeitschr.  f.  Ethnologie.  Bd.  XYII.  S.  121.    Berlin  1885. 

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Gray,  John  Henry,  Leopold  Katscher,  Bilder  aus  dem  chinesischen  Leben.  Leipzig 
und  Heidelberg  1881.    S.  58. 

Grellmann,  M.  G.,  Versuch  über  Zigeuner.    Göttingen  1787.    S.  61. 

Griesebach,  Eduajd.  Chinesische  Novellen.  (Das  Juwelenk&stchen)  deutsch  von  — . 
Leipzig  1884.    S.  37. 

Grill,  Julius,  Hundert  Lieder  des  Atharva-Yeda.  Zweite  Auflage.  Stuttgart  188S. 
S.  52,  20. 

Grimaldi,  siehe  Lombroso. 

1.  Grimm,  Wörterbuch,  lYb.  H.  1860.  von  Heyne.    Leipzig  1877.  S.  178. 

2.  Grimm,  Jac,  Deutsche  MythoL    2.  Ausg.   Bd.  II.    Göttingen  1844.    S.  828,  1102. 

3.  Grimm,  Deutsche  Sagen.    I.  No.  49. 


Verzeichniss  der  benutzten  Schrifteteller.  679 

4.  Grimm,  Rechtsalterthfimer.    L  S.  452,  454. 

Grohmann,  J.  Y.,  Aberglauben  and  Gebräuche  aus  Böhmen  und  Mähren.  Prag  und 
Leipzig  1864.    S.  114,  150. 

1.  Grünwedel,  Orang-Panggang  und  Orang  Bgnüa.  Zeitschr.  f«  Ethnologie.  Bd.  XXIV. 
1892.    Yerhandl.  d.  Berliner  Anthropol.  Ges.  S.  466. 

2.  Grünwedel,  Albert,  Materialien  zur  Eenntniss  der  wilden  Stämme  auf  der  Halbinsel 
Maläka  von  HrolfYaughan  Stevens.  YerOffentUchungen  aus  dem  Königlichen  Museum 
für  YOlkerkunde.    Band  lU.    Heft  8/4.  S.  113.    Berlin  1894. 

1.  Grützner,  Zeitschr.  f.  Ethnol.    1877.     Yerhdl.  d.  Berliner  anthrop.  Gesellsch.  (S.  83). 

2.  Grützner,  Bethanien.    Berliner  Missionsberichte.    1891.  S.  114. 
Guarinonius,  Hippolytus,   Die  Grewel  der  Yerwüstung  Menschlichen  Geschlechts. 

Jngolstatt  1610. 

Guggenberg,  0.  v.,  AUg.  Wiener  med.  Zeitung.    No.  2.  1885. 

Guhl  und  Eoner,  Das  Leben  der  Griechen  und  BOmer.    Berlin  1861.  IL  S.  296. 

Gumilla,  J.,  £1  Orinoco  ilustrado  y  defendido,  bist  nat.  etc.  Madrid  1745. 

^UPP7>  ^'  ^1  '^be  Solomon  Islands  and  their  natives.    London  1887. 

Gurrieri,  siehe  Lombroso. 

Gusserow  in  Monatsschr.  f.  Geburtsk.    1864.  Bd.  24.  S.  262. 

Guy,  Medical  times.    Yol.  12. 

Guyon,  Abbä,  Geschichte  derer  Amazonen  (übersetzt  von  Krünitz).  Berlin,  Stettin, 
Leipzig  1763.  S.  191  fip. 

H.  Das  Land  der  Tättowirten  und  das  Land  der  Frauen  bei  den  alten  Chinesen.  Globus 
LXIU.  No.  22.  Braunschweig  1893.  S.  358.  (Schlegel,  Gustave,  Probl^mes  geographiques. 
Les  x>eupleB  ätrangers  chez  les  historiens  chinois.  IL.  Wen-chin-Eouo.  Le  pays  des  Tatou^s. 
III.  Niu  Eouo.  Les  pays  des  femmes.)    Leide  1892.  (E.  J.  Brill.) 

H.,  J.,  Die  bakhtyarischen  Grabdenkmäler  auf  dem  Friedhofe  von  Ilak  im  westlichen 
Persien.   Globus  LXIIL   No.  5.    Braunschweig  1893.  S.  78. 

Haberland,  Carl,  Altjnngfemschicksal  nach  dem  Tode.  Globus.  Bd.  34.  1878.  S.  205. 

Hack,  Aerztliche  Mittheilungen  aus  Baden.  28.  Febr.  No.  4.  1879.  S.  31.  „Geburts- 
hülfe  der  altmexikanischen  Indianer". 

Haeckel,  E.,  Indische  Beisebriefe.    Berlin  1884.    2.  Aufl.  S.  63,  65. 

Häntzsche,  Physikalisch-medicimsche  Skizze  von  Beseht  in  Persien;  in  Yirchow*s 
Archiv.    1862.  5.  u.  6.  Heft.  S.  570. 

1.  Häser,  Lehrb.  der  Gesch.  der  Medicin  etc.    3.  Bearbeitung.  I.  Jena  1875. 

2.  Häser  in  Deutsche  Literaturzeitung.    Jena  1883.    lY.  5.  S.  163. 

1.  Hagen,  B.,  Die  künstlichen  Yerunstaltungen  des  EOrpers  bei  den  Batta.  Zeitschr. 
für  Ethnologie.    Bd.  XYI.  218.   Berlin  1884. 

2.  Hagen,  B.,  Beiträge  zur  Eenntniss  der  Battareligion.  Tijdschrift  voor  Indische 
Taal-Land-  en  Yolkenkunde.    Deel  XXYIII.    Batavia  1883. 

3.  Hagen,  A.,  Les  indig^nes  des  lies  Salomon.  TAnthropologie.  tome  lY.  p.  209. 
Paris  1893. 

1.  Hahn,  Johann  Georg  von,  Albanesische  Studien.  Wien  1853. 

2.  Hahn,  Theophil,  Globus  1867.  1868. 

Halde,  du,  Description  de  Tempire  de  la  Chine  et  de  la  Tartarie  Chinoise.  A  la 
Haye  1736.  HI.   p.  536,  678. 

1.  Hall,  Narrative  of  the  Second  Arctic  Ezped.  Washington  1879.    p.  102. 

2.  Hall,  Capitän,  Life  with  the  Esquimauz.   London  1864.  —  Ausland  1865.  S.  69. 
Haller,   G.  E.  v.,  in   Blumenbach's   med.   Bibliothek.     Gottingen  1784.    I.    588.  — 

Schweizer  Archiv.    Aarau  1816.  S.  39. 

Hamilton,  Gawin,  in  Joum.  of  the  Anthrop.  Inst.  YII.  188. 

Hamy,  Revue  d'Ethnographie  par  — .    Paris  1883.  U.   No.  4.  S.  308. 

Handelmann,  Der  ErOtenaberglauben  und  die  ErOtenfibeln.  Zeitschr.  f.  Ethnol. 
Band  XIY.    Yerh.  d.  Berliner  anthrop.  Ges.    S.  (24).    Berlin  1882. 

Harmand  de  la  Meuse,  Anecdotes  relatives  a  la  Revolution,  in  Pierre  Dufour,  Histoire 
de  la  Prostitution  chez  tous  les  peuples  du  Monde.    Paris  1852.    Tome  IIL  fr.  126. 

Harrebom^e,  G.  J.,  Eene  b^jdrage  over  den  feitelyken  toestand  der  bevolking  in  de 
Lampongsche  Districten  (Lampong).  (Bgdragen  tot  de  Taal-Land-  en  Yolkenkunde  van 
Nederlandsch  Indie.    s*Gravenhage.  1885.  4  volgkrees.  10  deel. 

Harris,  R.  P.  (Philadelphia),  Americ.  Joum.  of  the  med.  sciences  1888.   p.  450. 


680  Anhang  4. 

1.  Hartmann,  Anton  Theodor,  üeber  die  Ideale  weiblicher  Schönheit  beiden  Morgen* 
Iftndem.    Dflsseldorf  1798. 

2.  Hartmann,  E.  y.,  Phänomenologie  dee  sittlichen  Bewnastseins.  Prolegomena  sq 
jeder  künftigen  Ethik.    Berlin  1879. 

3.  Hartmann,  R.,  Natarge8ch.-medic.  Skizze  der  Nillftnder,  U.  Abth.  Berlin  1866. 
S.  229,  239,  278,  404. 

4.  Hartmann,  R.,  Archiv  f.  Anatomie.    1868.    S.  131. 

5.  Hartmann,  R.,  Zeitschr.  f.  Ethnol.    1879.    Bd.  XL    I.    8.  124. 

6.  Hartmann,  R.,  Die  Völker  Afrikas.    Leipzig  1879.    S.  69,  70,  88. 

7.  Hartmann,  R.,  Die  Nigritier.    Taf.  6. 

8.  Hartmann,  R.,  Handbuch  der  Anatomie  des  Menschen.    Strassbnrg  1881. 

9.  Hartmann,  Robert,  Die  menschenähnlichen  Affen  and  ihre  Organisation  im  Ver- 
gleich zur  menschlichen.    Leipzig  1883. 

10.  Hartmann,  R,  Zeitschr.  f.  Ethn.  Verh.  der  Berliner  anthr.  Gesellsch.  1877. 
IX.  S.  201. 

11.  Hartmann,  R.,  Abyssinien  nnd  die  übrigen  Gebiete  der  Ostküste  Afrikas.  Leipzig 
u.  Prag  1883.    S.  159. 

12.  Hartmann,  R.,  siehe  v.  Barnim. 

Hartnng,  J.  A.,  Die  Religion  nnd  Mythologie  der  Griechen.  III.  Leipzig  1866.  S.  112. 

Hasselt,  van,  in  Zeitschr.  f.  Ethnol.    Bd.  YIIL    1876.    S.  184. 

Hasselt,  A.  L.  van,  Volksbeschrvjving  van  Midden- Sumatra.  Aus:  Midden- Sumatra. 
Reizen  en  onderzoekingen  der  Sumatra-Expeditie,  uitgerust  door  het  aardrijkskundig  Genoot- 
schap  1877—1879  beschreven  door  de  leden  der  expeditie,  onter  toezicht  van  Prof.  P.  J.  Veth. 
Derde  Deel:  Volkbeschrvjving  en  Taal.    Eerste  Gedeelte.    Eerste  Afdeeling.    Leiden  1882. 

Hasse,  C,  Ueber  facultative  Sterilit&t,  beleuchtet  vom  prophylaktischen  nnd  hygieni- 
schen Standpunkte  für  Aerzte  und  Geburtshelfer.  4te  Aufl.  Berlin  u.  Neuwied  s.  a.  Dan 
Supplement:  Ueber  fiumltative  Sterilit&t    Berlin  und  Neuwied  1885. 

Hauff,  siehe  v.  Humboldt. 

Haupt,  M.,  und  H.  Hoffmann,  Das  Gedicht:  Pfafienleben  aus  dem  12.  Jahrhundert, 
abgedruckt  in  den  Altdeutschen  Blättern.  Leipzig  1886.  I.  3.  Heft.  S.  217.  Vergleiche  die 
poetischen  Erzählungen  in  von  der  Hagen's  Gesammtabenteuem. 

Hauri,  Joh.,  Der  Islam  in  seinem  Einfluss  auf  das  Leben  seiner  Bekenner.  Leiden 
1882.    S.  120. 

Hausbuch,  mittelalterliches.  Bilderhandschrifb  des  15.  Jahrhunderts  mit  vollstfindigem 
Text  und  facsimilirten  Abbildungen.  Herausgegeben  vom  Germanischen  Museum  (in  Nürn- 
berg).   Leipzig  1866. 

Haushofer,  M.,  Lehr-  u.  Handbuch  d.  Statistik.    Wien  1872. 

Hausner,  Otto,  Vergleichende  Statistik  von  Europa.    Lemberg  1865.    I.  Bd.    S.  135. 

Havard,  H.,  The  French  Half-breeds  of  the  North-west.  Smithsonian  Report.  Veigl. 
Ausland  1885.    No.  2.    S.  37. 

Haven,  von^  Noeografisze  Bemorkninger  om  Grönland.  Ugeskrift  for  Lager.  R.  4. 
Bd.  6.    S.  185.    1882. 

Haxthausen,  Freih.  v.,  Ländl.  Verfassung  Russlands.    1866. 

1.  Hearne,  Sam.,  Voyage  du  Fort  du  Prince  de  Galles  dans  la  Baie  du  Hudson  ä 
rOcean  Nord.    Trad.  de  TAnglais.    Paris.    VIL    Bd.  1. 

2.  Hearne,  Joumey  from  Prince  of  Wales  Forth  to  the  Northern  Ocean.  1767—1772. 
p.  129. 

Hechstetteri,  Philippi,  Rararum  observationum  medicinalium  decades.  Augiutae 
Vindelicorum  1614.    Decas  IH.    p.  234. 

Hecker,  C,  und  L.  Buhl,  Klinik  der  Geburtskunde.  I.  Bd.  Leipzig  1861.  8.  7. 
II.  Bd.     1864.    S.  3. 

Hederich,  Benjamin,  Gründliches  mythologisches  Lexikon  etc.  verbessert  von  Johann 
Joachim  Schwaben.    Leipzig  1770. 

Hehn,  Victor,  Italien.    2.  Aufl.    Berlin  1879. 

Hein,  Alois  Raimund,  Die  bildenden  Künste  bei  den  Dayaks  auf  Bomeo:  Ein  Beitrag 
zur  allgemeinen  Kunstgeschichte.    Wien  1890. 

Heine,  M.,  Fragmente  zur  Geschichte  der  Medicin  in  Russland.    Flensburg  1848. 

Heinricius,  G.,  Gentralblatt  für  Gynäk.    No.  5.    1883. 

Heister,  Laurentius,  Medicinische,  chirurgische  und  anatomische  Wahrnehmungen. 
Rostock  1753. 


Verzeichniss  der  benutzten  Schriftsteller.  ggl 

1.  Helms,  siehe  Bird. 

2.  Helms,  siehe  Dn  Chaillu. 

Hellwald,  Friedrich  yon,  Naturgeschichte  des  Menschen.    Stattgart  (1884).  s.  a. 

Hendrich*s  Bootreisen  auf  dem  Eatingan  in  Süd-Bomeo.  Mittheilnngen  der  geogra- 
phischen Gesellschaft  fftr  Thüringen  m  Jena.    Band  VI.    Jena  1888.    S.  108. 

Hengstmann,  Diss.  de  medicina  Germaniae  indigenis  etc.     1780.    p.  39. 

Henke,  Archir  für  Anat.  nnd  Physiol.,  von  His,  Branne  nnd  Dn  Bois-Beymond.  1883. 
IV.  und  V.  der  physiolog.  AbtheiL  265. 

H  e  n  1  e ,  J. ,  Handbuch  der  systematischen  Anatomie  des  Menschen .  Braunschweig  1 87 1 — 79. 

Henne-Am-Bhyn,  Otto,  Bl&tter  für  literarische  Unterhaltung.    1884.    No.  11.  S.  167. 

1.  Hennig,  üeber  die  Geschwülste  der  Eierstocke  nebst  geschichtl.  Vorbemerk,  etc. 
Reichert's  und  du  Bois-Beymond*s  Archiv.  1875.    S.  713,  716. 

2.  Hennig,  Das  Bassenbecken.    Arch.  f.  Anthrop.    Braunschweig  1884. 

8.  Hennig,  Carl  (und  August  Bau  her),  Ein  neuer  Fall  von  geschwänzten  Menschen. 
Virchow's  Archiv.    Bd.  105.    Berlin  1886.    S.  108. 

4.  Hennig,  Archiv  f.  Gynäk.  XII.  8.  273.  1877.  Vergl.  Mittheil,  der  Gesellschaft 
f.  Geburtsh.  zu  Leipzig  aus  dem  J.  1877.  Leipzig  1878.  S.  XXX.  Bericht  der  naturforsch. 
Gesellsch.  zu  Leipzig.    1881. 

5,  Hennig,  C,  siehe  Engelmann. 

Herf ,  Antonie,  Briefe  einer  jungen  Frau  aus  Indien.    Stuttgart  1885. 

Hering,  0.,  Die  Frauen  Japans  im  Spiegel  der  für  sie  bestimmten  Literatur.  Mit- 
theilungen der  deutschen  Gesellschaft  ftlr  Natur-  und  Völkerkunde  Ostasiens  in  Tokio.  Band  V. 
Heft  41.    S.  10—27.    Yokohama  1889. 

Herlicius,  David,  De  cura  gravidarum,  et  puerperarum,  et  infantum.  Von  den 
Schwängern  und  Eindelbettem  Frawen,  jhren  vielfältigen  Eranckheiten,  auch  von  den  Jungen 
Kindern.    (Stargardt  1628?) 

1.  Hermann,  E.  F.,  Lehrb.  d.  griech.  Antiquitäten.  IV.  3.  Aufl.  von  Blümner.    S.  280. 

2.  Hermann,  L.,  Kurzes  Lehrbuch  der  Physiologie.    7.  Aufl.    Berlin  1882.    S.  440. 

3.  Hermann,  L.,  Lehrbuch  der  Physiologie.    9.  Aufl.    Berlin  1889.    8.  605. 
Herodot  von  Halikamassus,   Die  Musen.    Uebersetzt  von  J.  Chr.  F.  Baehr.    Stutt- 
gart 1866.    IV,  71.     V,  5. 

Herrmann,  Anton,  Ethnol.  MittheiL  aus  Ungarn.  HI.  Band.  5—6.  Heft.  S.  180. 
Budapest  1893. 

Hersbach,  James  Tilt,  Handbuch  der  Gebärmutter-Therapie.    Erlangen  1864.    S.  221. 

Herv^,  Georges,  Quelques  superstitions  du  Morvan.  Bulletins  de  la  Soc.  d*Anthropol. 
de  Paris.    Tome  HI.    (IV.  sörie.)    Paris  1893.    p.  529. 

Hesse-Wartegg,  E.  v.,  Sitten  und  Gebräuche  der  Indianer  von  Britisch-Golumbien. 
Globus.    Bd.  53.    S.  140.    Braunschweig  1888. 

1.  Hessler,  Susrutas  Ayurvedas.  Id  est  medicinae  sistema  a  venerabili  D*hanvantare 
demonstratum  a  Susruta  discipulo  compositum.    Vol.  IH.    Erlangen  1844.    1847. 

2.  Hessler,  Gomment.  et  Annot.    Fase.  2.    S.  91. 
Heusinger,  HenscheVs  „Janus*  1827.    H.    S.  807. 
Hevan,  Archibald,  Edinb.  med.  Joum.     1864.    Sept.    p.  223. 
Hey  den  von  Dhaun,  Johannes,  siehe  Plinius. 
Hickisch,  C,  Die  Tungusen.    St.  Petersburg  1879.    S.  89. 

Hildebrand,  E.,  Dessen  Reise  um  die  Erde.  Herausgeb.  E.  Kossak.  Berlin  1870. 
IL  Bd.  13. 

Hildebrandt,  J.  M.,  in  Zeitschr.  f.  Ethnol.     1878.    S.  394. 

Hill,  Bericht  der  Berliner  anthropoL  Gesellsch.  in  Zeitschr.  f.  Ethnol.   1880.  XU.  S.  88. 

Hille,  Casper's  Wochenschrift.    1843.    S.  87. 

Hiller,  Joh.,  Gymnasial-Prog.    Schässburg  1877.    S.  12. 

1.  Hippokrates,  De  natura  pueri,  edit.  Kühn.    I.  p.  392.    EL    p.  28. 

2.  Hippokrates,  De  superfoetatione,  ed.  FoSs.  Sect.  HL    p.  41. 

3.  Hippokrates,  de  morbis  mulierum.    Lib.  1. 

4.  Hippokrates,  Aphorism.    V.  45,  47  u.  53.    Berlin  1822. 

5.  Hippokrates'  Werke.    Deutsch  von  Grimm.    Glogau  1838.    H.  255. 

Hirth,  Georg,  Kulturgeschichtliches  Bilderbuch  aus  drei  Jahrhunderten.  Leipzig  und 
München  1885. 

His,  Wilh.,  Die  Theorien  der  geschlechtlichen  Zeugung.  Archiv  f.  Anthropol.  IV.  1870. 
S.  107  u.  217.    V.    1871.    S.  69- 


682  Anhang  4. 

Historie,  Allgemeine,  der  Reisen  zu  Wasser  nnd  zu  Lande.    Band  18. 
Hitchcock,  Romyn,   The  Ainos  of  Yezo,  Japan.    Report  for  1890  Smithsonian  Insti- 
tution, National  Mnsenm.    Washington  1892. 

Hochstetter,  y.,  Neu-Seeland.    Stuttgart  1863. 

1.  Hofler,  M.,  Volksmedicin  nnd  Aberglaube  in  Oberbayems  Gegenwart  nnd  Ver- 
gangenheit.   München  1888. 

2.  Höfler,  Wilhelm,  in  Goräe,  Senegambien.  Deutsche  Rundschau  fOr  Geographie 
und  Statistik  von  Umlauft.    1883.    Y.  8.    S.  360. 

Hoeuvell,  van,  Virchow's  Archiv.    1884.    Bd.  25.    S.  367. 

1.  Hoffmann,  Carl  £mst  Emil,  Lehrbuch  der  Anatomie  des  Menschen.  Zweite  Aufl. 
Erlangen  1877.    S.  208. 

2.  Hoffmann  jun.,  G.  Er.,  aus  Frankfurt  a.  M.  Wie  können  Frauenzimmer  &ohe 
Mütter  gesunder  Kinder  werden  und  selbst  dabei  gesund  und  schön  bleiben?  Frankfurt  nnd 
Leipzig  1791.    S.  133. 

3.  Hoffmann,  H.,  siehe  Haupt. 

4.  Hoffmann,  W.  J.,  The  Mide*wiwin  or  «Grand  Medicine  Society"  of  the  Qjibwa. 
Annual  Report  of  the  Bureau  of  Ethnologie.    Washington  1892. 

Hohl,  A.  F.,  Lehrbuch  der  Geburtshülfe.    Leipzig  1862.    S.  114  und  377. 
Holbein,  Hans,  siehe  Lippmann. 

1.  Hollaender,  L.,  Westermann's  illustr.  Mon.-Hefbe  1866.    Mai.    S.  628. 

2.  Hollaender,  L.,  Globus  1868.    Bd.  XIY.    4.    S.  111. 
Holland,  siehe  Ling  Roth. 

Holm,  Mem.  H.  S.  Pennsylv.    HL    126. 

Holmberg,  EthnoL  Skizzen  über  die  Völker  des  russ.  Amerika.  I.  Helsingfors  1855. 
S.  16.  40. 

Holst  (Dorpat),  Beitr.  zur  Gynäkologie.    2.  Bd.    1867.    p.  96. 
Holub,  Emil,  Mittheil,  der  geogr.  Gesellsch.  in  Wien  1879.    2.    S.  94. 
Hommel,  Fr.,  Die  vorsemitischen  Culturen.    Leipzig  1882.    I.    2.    S.  417. 

1.  Homer's  Odyssee.    X.    519. 

2.  Homer*s  Hias.    H.    269. 

Hooker,  Joum.  of  the  Ethnol.  Soc.  of  London«     1869.    p.  69. 

1.  Ho  od,  Append.    256. 

2.  Hood,  Faxten,  siehe  Doolittle. 

Hoorn,  Joh.  v.,  Siphra  und  Pua.     Stockh.  u.  Leipzig  1726.    S.  325.    30.  Anmerk. 

Horaz,  siehe  Döderlein. 

Horst,  Johann  Georg,  Zauberbibliothek  oder  Zauberei,  Theurgie  und  Mantik,  von 
Zauberern,  Hexen  und  Hexenprocessen,  Dämonen,  Gespenstern  nnd  Geistererscheinangen 
Band  V.    S.  16.    Mainz  1825. 

Houghton,  siehe  Roth. 

House,  Samuel  R.,  Archives  de  Medicine.    Juin  1879. 

Hüllmann,  Karl  Ditrich,  Städtewesen  im  Mittelalter.    Theil  IV.    S.  160.    Bonn  1829. 

Huilliet,  Hygiene  des  Europ^ens  ä  Pondichery.    1867.    p.  241. 

1.  Humboldt,  A.  v..  Reise  in  die  Aequinoctialgegenden  des  neuen  Gontinents.  Deutsch 
V.  Hauff.    Stuttgart  1874.    L    S.  35.    ü.    198. 

2.  Humboldt,  Alexander  von,  und  A.  Bonpland,  Reise  in  die  Aequinoctialgegenden 
des  neuen  Gontinents  in  den  Jahren  1799—1804.  Stuttgart  und  Tübingen  1818.  Theil  IL 
Buch  m.    Capitel  VL    S.  40  ff. 

Hure  au  de  Villeneuve,  TAccouch.  dans  la  Race  jaune.    Paris,    p.  20.  26. 

Hurt,  G.  (St.  Louis),  Schmidt*s  Jahrb.    1872.    No.  3. 

Hutchinson,  A.,  Aus  New  York  Med.  Record.    Med.  AUg.  Centralzeitung  1876.     4S. 

Hyades,  F.,  et  Deniker,  J.,  Mission  scientifique  du  Gap  Hom.  1882—1883.  Tome 
VII.    Anthropologie,  Ethnologie.    Paris  1891. 

Hyrtl,  J.,  Handbuch  der  topographischen  Anatomie  und  ihrer  praktisch  medicinisch- 
chirurgischen  Anwendungen.    Wien  1847. 

Ibis,  Paul,  Globus  1877.    Heft  13.    S.  197. 

Ibbertson,  Denzil,  siehe  Lenz^. 

Jacob,  Georg,  Welche  Handelsartikel  .bezogen  die  Araber  des  Mittelalters  aus  den 
nordisch-baltischen  Ländern?  2.  Aufl.  Berlin  1891.  S.  8.  Ibn  Fadlän  (921/2)  ed.  Frähn 
S.  7.    Jäqüt  n.    S.  835. 


Yerzeichniss  der  benutzten  Schriftsteller.  gg3 

Jacobs,  Julius,  Eenigen  tijd  onder  de  BaliSrs.  £ene  ReisbescbriJYing  met  aanteekningen 
betreffende  Hygiene,  Land-  en  Volkenkunde  van  de  Eilanden  Bali  en  Lombok.    Batayia  1888. 

Jacobsen,  siehe  Woldt. 

Jacolliot,  Louis,  La  femme  dans  Tlnde.    Paris  1877.    80.    317  ff. 

Jacques,  Victor,  et  Storms,  £«,  Notes  sur  TEthnographie  de  la  partie  Orientale  de 
TAfrique  äquatoriale.    Avec  12  planches.    Brnzelles  1886. 

1.  Jagor,  Reisen  in  den  Philippinen.    Berlin  1878.    S.  129. 

2.  Jagor,  Verh.  der  Berliner  anthropol.  Gesellsoh.    Zeitschr.  f.  Ethnol.    Bd.  X.  1878. 
8.  Jag or,  Verh.  der  Berliner  anthr.Geeellsch.  Zeitschr.  f.  Ethnol.  Bd.VIIL   1876.  S.199. 

4.  Jagor,  Yerh.  der  Berliner  anthropol.  Gesellschaft.  Zeitschr.  f.  Ethnol.  Bd.  XIY. 
1882.    S.  23,   196,   232  u.  900. 

5.  Jagor,  Zeitschrift  fElr  Ethnologie.  X.  Bd.  1877.  Verh.  der  Berliner  anthrop.  Gesell- 
schaft   S.  51  und  59. 

6.  Jagor,  Verhdl.d.  Berliner  anthr.Gesellsch.  Zeitschr.  f.  Ethnol.  Bd.  XI.    1879.   S.  168. 

7.  Jagor,  yerhdl.d.  Berliner  anthr.Gesellsch.  Zeitschr.  f.  Ethnol.  Bd-YIU.  1876.  S.199. 

8.  Jagor,  Zeitschrift  für  Ethnologie.  Bd.  XI.  1879.  Verhandl.  der  Berliner  anthrop. 
Gesellschaft  u.  s.  w.    S.  237. 

9.  Jagor,  Sexuelle  Abnormit&ten  bei  den  Bisayem,  Philippinen.  Verhandl.  der  Berl. 
anthropol.  Gesellschaft.    Zeitschrift  fOr  Ethnologie.    Bd.  XIL    Berlin  1880.    S.  91. 

Jahn,  Der  Haararzt.    Prag  1828.    Siehe  Eble. 

Jahn,  Ulrich,  Hexenwesen  und  Zauberei  in  Pommern.  Festschrift  der  Gesellschaft  ftlr 
pommersche  Geschichte  und  Alterthumskunde  zur  Begrüssung  des  17.  Congreeses  der  deutschen 
anthropologischen  Gesellschaft  in  Stettin.    Stettin  1886. 

James,  E.,  Account  on  an  Expedition  from  Pittsburgh  to  the  Rocky  Mountains. 

Jamieson,  The  Australian  med.  Joum.  1885.    VII.    2.    p.  51. 

Janke,  Heinrich,  Die  Vorherbestimmung  des  Geschlechts  beim  Rinde.  2.  Auflage. 
Berlin  1881. 

Jeannel,  J.,  Die  Prostitution  etc.    Deutsch  von  F.  W.  Müller.    1869.    S.  1—70. 

Jelling&aus,  Zeitschrift  f.  Ethnologie.    Bd.  IL    1871.    8.365. 

Jenissei,  Physische  und  ökonomische  Zust&nde  der  BerOlkerung  am  unteren  — .  Heber 
die  Expedition  am  Turuchansk  u.  s.  w.;   im  Bericht  der  kais.  russischen  geogr.  Gesellschaft. 

4.  1868.    Abth.  II.    63. 

Jenks,  Edw.  W.  (Chicago),  Transaction  of  the  American  Gynaecological  Society. 
Bd.  VI.  Vergl.  Kleinw&chter,  Die  Gyn&kol.  des  Alterthums.  In  «Deutsches  Archiv  ftlr  Ge- 
schichte der  Medidn  etc."    VI.  Bd.    2.  Heft.    Leipzig  1881.    S.  267. 

Instructions  gön&rales  pour  les  recherchea  anthropologiques.    Paris  1865.    S.  61. 

Joachim,  Ungar.  Zeitschrift.    IV.    20  u.  28. 

1.  Joest,  Wilh.,  Beiträge  zur  Kenntnisse  der  Eingeborenen  der  Insel  Ceram.  Verh. 
der  Berliner  anthropol.  Gesellschaft.    Zeitschr.  f.  Ethnol.    Bd.  XIV.     1882.    S.  75. 

2.  Joest,  Das  Ausland.    1884.    No.  24.    S.  463. 

3.  Joest,  W.,  Reise  in  Afrika  im  Jahre  1883.  Verh.  der  Berliner  anthropol.  Gesellsch. 
Zeitschr.  f.  EthnoL    Bd.  XVII.    1885.    S.  472  ff. 

4.  Joest,  Wilh.,  Tättowiren,  Narbenzeichnen  und  Eörperbemalen.    Berlin  1887. 

5.  Joest,  W.,  AUerlei  Spielzeug.    Internationales  Archiv  ftlr  Ethnographie.    Band  VI. 

5.  166,  167.    Leiden  1893. 

6.  Joest,  Wilh.,  Beiträge  zur  Kenntniss  der  Eingeborenen  der  Insel  Formosa.  Verh. 
d.  Berliner  anthropol.  Gesellsch.    Zeitschr.  f.  Ethnol.    Bd.  XIV.    1882.    S.  59. 

7.  Joest,  W.,  Ethnographisches  und  Verwandtes  aus  Guayana.  Supplement  zu  Bd.  V 
des  Internationalen  Archivs  für  Ethnographie.    Leiden  1893.    S.  38. 

Jelly,  J.,  Deutsche  Rundschau.    1884.    X.    Heft  7.    S.  81. 

1.  Jordan,  Wilhelm,  Pfeiffer's  Germania.    Wien  1868.    S.  257. 

2.  Jordan,  Max,  siehe  Crowe. 

Isidorus  von  Gharax,  Geogr.  Min.  ed.  Hudson.    IL    p.  6. 

1.  Israels,  Tentamen  hist-med.  inaug.  exhibens  Collect,  gynaecol.  ex  Talmude  Babyl. 
Groningen  imd  Leer  1845. 

2.  Israels,  Nederl.  Tiijdschr.  v.  Geneesk.    Amsterdam  1882.    S.  121. 
Jukic,  siehe  Krauss.    S.  600. 

1.  Jung,  Globus.    1877.    24.    S.  383. 

2.  Jung,  Der  Welttheil  Australien.  H.  Abth.  Leipzig  und  Prag  1883.  S.  188. 
UI.  Abth.    49,  247. 


684  Anhang  4. 

Junker  von  Langegg,  Ferdinand,  Eine  Beschreibung  und  Zergliederung  eines  kflnst- 
lieh  yerkrüppelten  Chinesenfusses.  Archiv  für  Anthropologie.  Bd.  VI.  Braunsdiweig  1873. 
Taf.  13.    Fig.  9. 

Iwanoff,  siehe  ▼.  Pelikan. 

Kaden,  Wold.,  Skizzen  und  Gulturbilder  aus  Italien.    Jena  1882. 

Kämmel,  Otto,  Grenzboten.    1884.    No.  47.    S.  864. 

Kaestner,  Abhandl.  d.  k.  Schwedischen  Akademie  der  Wissenschaften.  Bd.  XXIX. 
Jahrg.  1767. 

Eailler  nach  Medow*s  Bericht  in  Edinb.  med.  Joum.    Oct  1865.    p.  386. 

Kahl,   A.,  Die  Ranqueles-Indianer.    Globus  XXV.    280. 

Kalewala,  Das  National-Epos  der  Finnen,  nach  der  zweiten  Ausgabe  ins  Deutsche 
übertragen  von  Anton  Schiefner.    Helsingfors  1852. 

Ealm,  Reise  in  das  nOrdliche  Amerika.    I.    S.  385. 

Kaltenbrunner,  Der  Beobachter;  bearbeitet  von  Kollbrunner.    ZOrich  1882.    S.  623. 

Kammel  v.  Hardegger,  siehe  Paulitschke. 

E  an  e ,  Wanderungen  eines  Eünstlers  unter  d.  Indianern  Nordamerikas.  Leipzig  1862.  S.5. 

Eanitz,  Serbien.    Leipzig  1868. 

Earusio,  Antonio,  Pregiudizi  popolari  Putignanesi  (Bari).  Archivio  per  rAntropo> 
logia  e  la  Etnologia  (pubbL  dal.  D.  P.  Mantegazza).  Volume  XYII.  fasc.  III.  Firenze  1887. 
p.  311—832. 

Eatscher,  Leopold,  Bilder  aus  dem  chinesischen  Leben.  Mit  besonderer  Rücksicht 
auf  Sitten  und  Gebräuche.    Leipzig  und  Heidelbeig  1881. 

Eauzwald,  Bull,  de  TAcad.  de  St  P^tersbourg.    Tome  IL    p.  278. 

Eaye,  John  William,  siehe  Watson. 

Eazenelson,  L.,  Die  normale  und  pathologische  Anatomie  des  Talmud,  üebenetzt 
von  N.  Hirschberg.  InEobert,  R.,  Historische  Studien  aus  dem  Pharmakologischeii  In- 
stitute der  Eaiserlichen  Universität  Dorpat.    Bd.  Y.    S.  277—279.    Halle  a.  S.  1896. 

Eeate,  Account  of  the  Palaus  Islands.    1789.    p.  315. 

Eeating,  Nairat  of  an  ezped.  to  the  source  of  St  Peter^s  River.  London  1825.  159. 
I.    434. 

Eebbel,  Alfred  (Flaztown  in  Yorkshire),  Lancet.    5.  Aug.  1876. 

Eehrer,  F.  A.,  Beiträge  zur  klin.  und  experim.  Geburtsk.  u.  Gynäkol.  2.  Bd.  2.  Heft. 
Giessen  1884.    S.  165  ff. 

Eeitner,  C,  Im  fernen  Osten.    Wien  1881. 

Eeller-Leuzinger,  Am  Amazonas.     1874.    S.  103. 

Eerr,  John,  AUgem.  medic.  Centralztg.    XXIX.    1860.    S.  54. 

Eessel,  0.  v.,  Zeitschr.  f.  allg.  Erdkunde.    N.  F.    lU.    1857.    S.  390. 

Eej,  Axel,  Die  Pubertätsentwickelung  und  das  Verhfiltniss  derselben  zu  den  Krank- 
heitserscheinungen der  Schu^ugend.  Verhandlungen  des  X.  internationalen  medidniBchen 
Congresses.    Bd.  I.    S.  66—130.    Berlin  1891. 

Ehödja  Omer  Halebj,  siehe  de  R^gla. 

Eiehl,  Joum.  Anthrop.  Instit    VI.    359. 

Eindbeth,  Des  holdseligen  Frauenzimmers  Eindbeth-Gespräch.  Spottbild  anf  die 
Plauderhaftigkeit  der  Frauen.  Fliegendes  Blatt  17.  Jahrh.  Georg  Hirth,  Eulturgeschicht- 
lichiBs  Bilderbuch  aus  drei  Jahrhunderten.    Band  V.    No.  2682.    Leipzig  u.  München  o.  J. 

Einder,  Aberglauben  in  Ditmarschen.  Nach  der  Chronik  des  Neocorua»  Am  ürds- 
Brunnen.    Band  5.    Jahrgänge.    1887/88.    No  11.    S.  163. 

1.  Eing,  Cap.  Phil.  P.,   Narrative.    1827. 

2.  Eing,  Americ.  Joum.  of  med.  Sc.    1853.   April.  891. 
Einzier,  Die  biblischen  Alterthümer.    Calw  1844.    6.  Aufl.    S.  358. 

1.  Eirchhoff,  siehe  Peschel. 

2.  Eirchhoff,  Das  Darwin*sche  Princip  in  der  Yölkerentwickelung.  Aus  allen  WeU- 
theUen  1882.    XIV.    No.  1.     S.  2. 

Eirtikar,  E.  R.,  On  the  Ceremonies  observed  among  Hindus  during  Pregnancy  and 
Parturation.  The  Journal  of  the  Anthropological  Society  of  Bombay.  Bombay  1889.  Vol  L 
No.  7.    p.  394—404. 

Eissei,  HenscheVs  Janus.    IIL    1848.    S.  586. 

Eiwisch  Ritter  von  Rotterau,  Franz  A.,  Atlas  zur  Geburtskunde  mit  Eimchloss 
der  Lehre  von  den  übrigen  Fortpflanzungsvorgängen  im  weiblichen  Organismus.   Erlangen  18oL 


Verzeichniss  der  benatzien  Schriftsteller.  gg5 

Klein,  F.  A.,  Zeitschr.  des  dentschen  Palästina -Vereins.    1881.    Bd.  IV.    S.  65. 

1.  Kleinwächter,  Deutsches  Archiv  für  Geschichte  der  Medicin,  Red.  H.  Rohlfs. 
Leipadg  1882.    V.    275. 

2«  Kleinw&chter  nach  Jenks  (Chicago)  im  Dentschen  Archiv  fflr  Geschichte  der 
Medicin.    Leipzig  1888.    VI.    S.  258. 

Klemm,  G.,  Allgemeine  Colturgeschichte.    I.    291.    III.    285. 

Klaber,  Beschreibung  von  Baden.    11.    S.  192. 

(Klug,  Ida),  Heinrich  Pestalozzi.  Vorträge  und  Reden  zur  Frauenfeier  seines 
hundertjährigen  Geburtstages  am  25.  Januar  1846  in  Berlin.    Berlin  1846.    S.  50. 

Klun,  Oesterr.  Blätter  für  Lit.  und  Kunst.    1857.    No.  47  u.  48. 

1.  Klunzinger,  Bilder  aus  Ober-A^ypten.    Stuttgart  1877.    S.  58,  191. 

2.  Klunzinger,  Das  Ausland.     1871.    No.  40,  70. 

Kniphof,  Diss.  de  inoommodo  et  periculo  puerperis  ex  convivio  baptismali  imminente. 
Erfurt  1756. 

Kobelt,  W.,  Globus  1885.    XLVII.    No.  17.    S.  267. 

KOgel,  J.,  Das  Ausland.     1862.    1863. 

Koehlers,  Johann  David,  P.  P.  im  Jahre  1744  wöchentlich  herausgegebener  historischer 
Münz-Belnstigung  sechzehender  Theil.    Nflmberg  1744.    S.  V. 

Köhler,  J.  A.  £.,  Volksbrauch  etc.  im  Vogtlande.    Leipzig  1867.    S.  167,  864,  485. 

Koler,  Monatsber.  der  geogr.  Gesellsch.  zu  Berlin.    8.    S.  44. 

KOlle,  Petermann's  Mittheil.    1855.    S.  826. 

1.  Koppen,  C.  Fr.,  Die  Religion  d.  Buddha.    Berlin  1857.    S.  77,  584. 

2.  Koppen,   Carl  Friedrich,   Die  lamaische  Hierarchie  u.  Kirche.    Berlin  1859.     S.  320. 
Kohl,  J.  G.,  siehe  Mitford. 

Kolb,  P.,  VoUständ.  Beschreibung  des  ainkan.  Vorgeb.  der  guten  Ho&ung.  Nflm- 
berg 1719. 

Kollmann,  Verhandl.  d.  Naturforscher-Ges.  z.  Basel.    VIL  Th.   3.  Hefb.    S.  642. 
Koner,  siehe  Guhl. 

1.  Kopernicki,  J.,  üeber  den  Bau  der  Zigeunerschädel.  Arch.  f.  Anthropol.  Braun- 
schweig 1872.    Bd.  V. 

2.  Kopernicki,  Des  idöes  m^dicales,  des  conceptions  naturelles  etc.  en  Pologne. 
Lemberg. 

Kornmannus,  Henrious,  De  miraculis  mortuorum.    Ohne  Ort.    1610. 

1.  Kotelmann,  L.,  Die  Geburtshülfe  bei  den  alten  Hebräern.    1876.    S.  48. 

2.  Kotelmann,  Virchow's  Archiv.    Bd.  84  u.  89.    Berlin  1882.    S.  377. 
Krabbes,  Theodor,  Die  Frau  im  altfranz.  Carls-Epos.    Marburg  1884. 

1.  Krafft-Ebing,  Freiherr  R.  v.,  üeber  gesunde  und  kranke  Nerven.  2.  Aufl.  Tü- 
bingen.   S.  41. 

2.  Krafft-Ebing,  R.  v.,  Psjchopathia  sexualis.  Eine  klinisch -forensische  Studie. 
Stuttgart  1886. 

Kranz,  M.,  Natur-  und  Culturleben  der  Zulus.    Wiesbaden  1880.    S.  57,  70,  114. 
Kraschneninnikow,  Beschreibung  von  Kamtschatka.    Lemgo  1766.    S.  271. 

1.  Kra  uss,  Friedrich  S.,  Sitte  und  Brauch  der  Sfld-Slaven.  Nach  heimischen  gedruckten 
und  ungedruckten  Quellen.    Wien  1885. 

2.  Kr  au  SS,  Friedrich  S.,  Das  Mundschaftsrecht  des  Mannes  über  die  Ehefrau  bei  den 
Süd-Slaven.  Mittheilungen  der  anthropologischen  GeseUschafb  in  Wien.  Bd.  XV.  1885. 
Wien  1886. 

3.  Krauss,  Friedrich  S.,  Sreca.  Glück  und  Schicksal  im  Volksglauben  der  Süd-Slaven. 
Mittheilungen  der  anthropologischen  Gesellschaft  in  Wien.  Band  XVI.  (der  neuen  Folge  VI.). 
1886.    Wien  1886. 

4.  Krauss,  Friedrich  S.,  Südslavische  Hezensagen.  Mittheilungen  der  anthropologischen 
Gesellsch.  zu  Wien.    Bd.  XIV.    (Neue  Folge  Bd.  IV.)  1884. 

5.  Krauss,  Friedr.  S.,  Volksglaube  u.  religiöser  Brauch  d.  Süd-Slaven.  Münster  i.W.  1890. 

6.  Krauss,  Friedrich  S.,  Vampirglaube  in  Serbien  und  Lithauen.  Mittheil.  d.  anthro- 
pologischen Gesellschaft  in  Wien.    Band  XVII.    1887.    S.  67. 

7.  Krauss,  Friedrich  S.,  Das  Bauopfer  bei  den  Südslaven.  Mittheilungen  der  anthro- 
pologischen GeseUschafb  in  Wien.    Bd.  XVII.    1887.    S.  19. 

1.  Krause,  A.,  Die  Thlinkit-Indianer.    Jena  1885.    S.  161. 

2.  Krause,  Aurel,  Globus  1888.  XLIII.  15.  S.  231.  —  Verhandl.  der  Gesellschaft  f. 
Erdkunde  zu  Berlin.     1882.    IX.    9.    S.  496. 


686  Anhang  4. 

3.  Eranse,  Gebrüder,  Deutsche  geograph.  Bl&tter.    Bremen  1882.    Heft  IIL    S.  187. 

4.  Krause,  £.,  Abergläubische  Kuren  und  sonstiger  Aberglaube  in  Berlin  und  nächster 
Umgebung.    Zeitschr.  f.  Ethnol.    XV.    1883.    S.  84. 

Krebel,  Volksmedicin  und  Yolksmittel  verschiedener  St&mme  Russlands.  St.  Peters- 
burg 1858. 

Krehl,  L.,  üeber  die  Religion  der  vorislamischen  Araber.    Leipzig  1863.    S.  45. 

Kreutzwald,  Fr.  H.,  Der  Ehsten  abergläubische  Gebräuche,  Wesen  und  Gewohn- 
heiten von  Johann  Wolfgang  Boeder.  Mit  auf  die  Gegenwart  bezüglichen  Anmerkungea 
beleuchtet  von  — .     St  Petersburg  1854. 

Kriegk,  G.  L.,  Deutsches  BOrgerthum  im  Mittelalter.    Frankfurt  a./M.  1868. 

Krieger,  £.,  Die  Menstruation.  Eine  gynäkologische  Studie.  Bierlin  1869.  S.  19, 
44,  52,  94. 

Kropf,  A.,  Das  Volk  der  Xosa-Kaffem  im  Ostlichen  Südafrika  nach  seiner  Geeehichte, 
Eigenart,  Verfassung  und  Religion.    Berlin  1889. 

Krösczyk,  A.,  in  ,Aus  allen  Welttheilen«.     1871.    S.  156. 

1.  Krünitz,  siehe  Guyon. 

2.  Krünitz,  Encyclop.  I.  Bd.    Vergl.  P.  Frank,  System  d.  med,  Polizei.    II.  57. 
Krusenstern,  Reise  um  die  Welt.    Petersb.  1810.    I.    S.  175. 

1.  Kubary,  Joum.  d.  Museum  Godeffiroy.    IV.  Heft. 

2.  Kubary,  J.  S.,  Aus  dem  samoanischen  Familienleben.  Globus  Bd.  XLVIl.  1885. 
S.  70,  72,  86. 

3.  Kubary,  J.  S.,  Das  Tättowiren  in  Mikronesien,  speciell  auf  den  Carolinen,  (in  Joest: 
Tättowiren  u.  s.  w.) 

4.  Kubary,  J.  S.,  Ethnographische  Beiträge  zur  Kenntniss  des  Carolinen- ArchipeU. 
1.  Heft.    Leiden  1889. 

Kühn,  Heinrich,  Mein  Aufenthalt  in  Neu-Guinea.  Festschrift  zur  Jubelfeier  des 
25  jährigen  Bestehens  des  Vereins  für  Erdkunde  zu  Dresden.  Dresden  1888.  K.  war  3  Monate 
in  Sekar  an  der  südlichen  Seite  der  Mac-Cluer-Bai. 

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Kuntze,  Um  die  Eirde.    Leipzig  1881.    S.  298. 

Kupfer,  Zeitschr.  d.  Gesellsch.  für  Erdkunde  zu  Berlin.    1870.  V.  S.  244—254. 

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2.  Laät,  Jean  de,  Hist.  du  nouveau  monde.    Leyden  1640.  Lib.  XVII.  c.  11.  15.    C.  4. 

3.  Lagt,  J.  de,  Novus  orbis  seu  descriptio  Indiae.    Lugdun.    Batav.  1633. 
Lafiteau,  in  Baumgarten,  AUg.  Gesch.  d.  Länder  u.  Völker  v.  Amerika.    I.    S.  271. 
Lahn,  siehe  Engelien. 

Lamaire sse,  siehe  Vatsyayana. 
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Reconnaissances.    No.  22.    IX.    Saigon  1885.) 

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Langenbeck,  siehe  West. 


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Last,  J.  T.,  Globus  1888.    XLIV.    S.  258. 

Layard,  A.  H.,  Niniveh  und  Babylon  etc.,  übersetzt  TOn  Zenker.    Leipzig.    8.  220. 

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Lebowicz,  siehe  Prado. 

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1865.    n.   208. 

Legatt,  siehe  Ling  Roth. 

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Lenormant,  Fran9ois,  Die  Magie  und  Wahrsagekunst  der  Chaldfter.  Jena  1878.  859ff. 

Lenz,  Ph.,  Indische  Kinderheirathen.  Globus LIX.  No.  18.  Braunschweig  1891.  S.199ff. 

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2.  Leopold,  Archiv  f.  Gyn&kol.    XXL    2.  Heft 
Leoprechting,  Aus  dem  Lechrain.    S.  45. 

Lepsius,  K,  Denkmäler  aus  Aegypten  und  Nubien.    Berlin  1849.    Abth.  H.  Blatt  143. 

Leroy-Beaulieu,  Anatole,  Das  Reich  der  Zaren  und  die  Russen.  Autorisirte  deutsche 
mit  Schlussbemerkungen  versehene  Ausg.  y.  L.  Pezold.  Band  I.  164  ff.  Berlin  1884. 

Lery,  in  AUgem.  Bist,  der  Reisen  zu  Wasser  und  zu  Lande.  Leipzig  1758.  Bd.  XVI.  S.259. 

Lesser,  Hypertrichosis  uniyersalis  eines  noch  nicht  ganz  6  j&hrigen  M&dchens.  Verhandl. 
d.  Berliner  anthropologischen  Gesellschaft.  Zeitschrift  f.  Ethnologie.  Bd.  XXVm.  S.  (222). 
Berlin  1896. 

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Leveling,  Heinrich  Palmaz,  Anatomische  Erklärung  der  Original-Figuren  von  Andreas 
Vesal,  sammt  einer  Anwendung  der  Winsl  o witschen  Zergliederungslehre  in  sieben  Büchern, 
Ingolstadt  1783.    ad  p.  307. 

LoTret,  L*art  des  accouchements.    Paris  1751.  III.  §  1287. 

Lichtenstftdt,  Platon*s  Lehren  auf  dem  Gebiete  der  Naturforschung  und  Heilkunde. 
Leipzig  1826.    S.  174ff. 

Lichtenstein,  Heinrich,  Reisen  im  südlichen  Afrika  in  den  Jahren  1803 — 1806. 
Berlin  1811. 

Lieber  in  Berlin,  Casper^s  Wochenschr.    1833.  S.  143. 

Liebrecht,  F.,  Zur  Volkskunde.    1879.  S.  318,  322. 

Liharczik,  Franz,  Das  Gesetz  des  Wachsthums  und  der  Bau  des  Menschen.  Die 
Proportionslehre  aller  menschlichen  Körpertheile  fOr  jedes  Alter  und  fOr  beide  Geschlechter. 
Mit  8  Tabellen  und  8  lith.  Tafeln.    Wien  1862. 

L immer,  Entwurf  einer  Geschichte  des  Vogtlandes.    I.  Band.  Gera  1825.  S.  79. 

Lincke,  A.  A.,  Skizze  der  altfigypt  Literatur.    Leipzig  1883.   S.  73. 

Lindenschmit,  Handbuch  der  deutschen  Alterthumskunde.    Braunschweig  1880. 

Linden  Stolpe,  Liber  de  venenis.    S.  660. 

Lindschotten,  G.  H.,  deutsch  ▼.  J.  ▼.  Bry.  Frankfurt  a/M.  1613.  Ander  Theil  des 
Orient  Indien.    S.  48.  Zeitschr.  f  Ethnologie.    1876.    Verh.  d.  Berl.  anthr.  Ges.  S.  27. 

Linnä,  Amoenitates  academicae.    Holm  1749.    I.  49. 

1.  Lippert,  J.,  Die  Geschichte  der  Familie.    Stuttgart  1884. 

2.  Lippert,   Julius,  Ghristenthum,  Volksglaube  und  Volksbrauch.    Berlin  1882.  S.  27. 
Lippmann,  Friedrich,  Der  Todtentanz  von  Hans  Holbein.    Nach  dem  Exemplare  der 

ersten  Ausgabe  im  Egl.  Eupferstichcabinet  zu  Berlin  in  Lichtdruck  nachgebildet.   Berlin  1879. 

Liyingstone,  Dayid  and  Charles,  Narrative  of  an  expedition  to  the  Zambesi  and 
its  tributaries,  and  of  the  disooyery  of  the  lakes  Shirwa  and  Nyassa.    London  1865. 

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Würzburg  1868. 


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Lomönie,  Lonis  de,  La  comtesse  de  Bochefort  et  ses  amis;  ^tndes  snr  les  moenrs  en 
France  an  XVnie  ßiecle.    Paris  1879. 

Lopez,  siehe  Gottfried. 

Lorey,  K..  Stricker  in  Virchow's  Archiv  1882.    Bd.  84.  S.  881. 

Lorsch,  Alfred,  Globus  1888.    Bd.  XLIV.  No.  7.  S.  107. 

Loskiel,  Gesch.  d.  Mission  der  evang.  Brüder  unter  den  Indianern.  Barby  1789.  8.  82. 

1.  Lotze,  H.,  Mikrokosmus,  Ideen  zur  Naturgeschichte  und  Geschichte  der  Menschheit. 
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2.  Lotze,  Rudolf  Hermann,  Medicinische  Psychologie  oder  Physiologie  der  Seele. 
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Loyer,  Voyage  d^Issini  in  Hist.  gän^r.  des  voyages.    Tom  n.  p.  240. 

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2.  Lubbock,  Sir  John,  The  origin  of  civilisation  etc.  (1.  Aufl.  1870.)  3.  Edit  London 
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Lücke,  H.,   Liebeszauber.     Zeitschrift  f.  bildende  Kunst,     (v.  Lützow.)     Band  XYU. 

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2.  Luschka,  Monatsschrift  f.  Geburtsk.    1868.    S.  348. 

3.  Luschka,  Arch.  f.  Anthropol.    Bd.  IIL    S.  307. 
Lux,  Von  Loanda  nach  Kimbundu. 

Lyell,  Ch.,  Zweite  Reise  nach  den  Vereinigten  Staaten.  Deutsch  von  Dieffenbach. 
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Lyon,  Otto,  Minne-  und  Meistersang.    Leipzig  1883. 

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4.  Maltzan,  Heinrich  Freiherr  v.,  Sitten-Schilderungen  aus  Süd-Arabien.  II.  Laheg 
und  das  Land  der  Abadel.    Globus  XXL    1870.    S.  29. 


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1.  Mantegazza,  Paolo,  Indien.    Aus  dem  Italienischen.   Jena  1885.    8.  192,  272,  275. 

2.  Mantegazza,  Paolo,  Studii  sui  Matrimonii  consanguinei.    Milano  1868. 

8.  Mantegazza,  Paolo,  Studii  suU*  etnologia  deir  India.  Archivio  per  TAntropologia 
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4.  Mantegazza,  Archivio  per  TAntropol.    IX.    1879.    p.  280. 

5.  Mantegazza,  Globus.    1880.    No.  21.    S.  334. 

6.  Mantegazza,  Rio  de  la  Plata,  Teneriffa  etc.  3.  Ediz.  Milano  1877.  Vergl.  Globus 
1880.    No.  21.    S.  334.  t 

7.  Mantegazza,  Paul,  Die  Hygiene  der  Liebe.    Jena  o.  J.  (1887). 

8.  Mantegazza,  Paul,  Anthropologisch-culturhistorische  Studien  über  die  Geschlechts- 
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Marcellus,  Leg.  2.  IL  De  mortno  inferendo  et  de  sepnlchro  aedificando.  lib.  XI. 
Tit  8.    Digestor« 

Mar  che,  A.,  Trois  voyages  dans  TAfrique  occident.    Paris  1879.    p.  70. 

Marcoy,  in  Globus  Bd.  IX.    S.  106. 

Marcuse,  Diss.    üeber  den  Eintritt  der  Menstruation.    Berlin  1869. 

Mark,  Lehre  von  den  Giften.    L    S.  220. 

Marquardt,  Römische  PrivatalterthÜmer.    Leipzig  1864.    I.    S.  181. 

Marx,  Reise  nach  Gentral-Amerika.    Hamburg  1868.    I.    S.  275. 

Marshall,  William  E.,  A  phrenologist  amongst  the  Todas,  or  the  study  of  a  pri- 
mitive tribe  in  South  India.    London  1873. 

Marston,  Joum.  of  the  Ethnolog.  Soc.  of  London.    1869.    70. 

Martialis  Lib.  XIL  epigr.  82. 

1.  Martin,  C,  Monatsschrift  für  Geburtskunde.  XXXVIH.  1866.  8.  23.  Derselbe  im 
Corr.-Blatt  der  deutschen  Gesellsch.  f.  Anthropol.    März  1881.    S.  22. 

2.  Martin,  E.,  Expos^  des  principaux  passages  contenus  dans  le  Si-Yuen-Lu. 
Paris  188L 

3.  Martin  (m^edn  de  Tambassade  fran9aise  ä  Päkin),  Consid^ration  sur  la  valeur 
ethique  de  la  mutilation  des  pieds  de  la  femme  chinoise.  Bulletins  de  la  Sod^  d* Anthro- 
pologie de  Paris.    II.  sörie,  tome  VI.    Paris  1872.    309,  310. 

1.  Martins,  v.,  siehe  Spiz. 

2.  Martins,  H.  v.,  Abhandlung  über  die  Gebnrtshfllfe.  A.  d.  Chines.  Freib.  1820. 
S.  51,  61. 

3.  Martins,  v.,  Zur  Ethnogr.  Amerikas  etc.    Leipzig  1867.    S.  105,  431. 

4.  Martins,  v.,  Buchner's  Repertor.    XXIV.    145. 

Mascarel,  üne  femme  marine  peut-elle  avoir  pendant  plnsieurs  annto  du  lait  dans 
les  deux  seins  sans  avoirs  jamais  ^t^  en  ^tat  de  gestation.  Annales  d*Hygiäne  publique  et 
de  m^edne  legale.    IE.  s^rie,  tome  XI.    Paris  1884.    p.  87  ff. 

Matthews,  J.,  Reise  nach  Sierra-Leone  etc.    A.  d.  Engl.    Leipzig  1789. 

Matthiolus,  Kräuterbuch.    Frankf.  1586.    8.  60. 

Maurel,  E.,  Memoire  sur  TAnthropologie  des  divers  peuples  vivants  actuellement  au 
Cambodge.  Mömoires  de  la  Soci^t^  d* Anthropologie  de  Paris.  Ü.  sMe.  tome  IV,  fasdcule  IV. 
Paris  1893.    p.  528. 

1.  Mauriceau,  Fran9oi8,  Des  maladies  des  femmes  grosses  et  accouch^es  etc.  Paris 
1668.    Lib.  n.    eh.  IX. 

2.  Mauriceau,  Fran9ois,  Der  schwängern  und  kreissenden  Weibspersonen  allerbeste 
Hülfs-Leistung  etc.    Nürnberg  1687.     S.  101. 

Mayer,  Ludwig,  in  Berlin,  In  Krieger*a  Werk  über  Menstr.    S.  11. 

Mayr,  G.,   Die  Gesetzmässigkeit  im  Geeellschaftsleben.    München  1877.    S.  246,   333. 

Mazzuchi,  Pio,  Loggende,  pregiudizi  e  superstizioni  del  volgo  nell*  alto  Polesine. 
Archivio  per  TAntropologia  e  la  Etnologia  (pubbl.  dal  D.  P.  Mantegazza)  Volum  XVU,  fasc. 
m.    Firenze  1887.    p.  331—344. 

Meier,  Gebräuche.    No.  392. 

Meinicke,  Die  Inseln  des  stillen  Oceans.    1876.    Bd.  II.    S.  333. 
PlOBS-Bartels,  Das  Weib.    5.  Aufl.    II.  44 


690  Anhang  4. 

1.  Meiners,   Untersuchungen  über  die  Verschiedenheiten   der  Menschennaturen  etc. 
Tübingen  1811—15.    S.  259. 

2.  Meiners,   C,   Geschichte   des   weiblichen   Greschlechts.     Hannover.     Bd.  L     1788. 
S.  249.  299.    Bd.  II.    1799.    S.  58.    Bd.  IE.    1800.    Bd.  IV.    1800. 

1.  Meissner,   E.  A.,   in  Mittheil.,  der  Gesellschaft  für   G«bartshülfe   eu  Leipzig  ans 
dem  Jahre  1882.    Leipzig  1888.    8.  12. 

2.  Meissner,  £.  A.,  Monatsschrift  f.  Gebortskunde.  XVm.    S.  4. 

3.  Meissner,  N.  N.  W.,  siehe  Dennis. 

Mende,  Beob.  u.  Bemerk.    Göttingen  1826.    III.    21. 
Menger,  siehe  Baer. 

1.  Mercnrio  Peruano,  Peru  nach  seinem  gegenwärtigen  Zustande  dargestellt  Th.L 
Weimar  1807.    S.  254. 

2.  Mercurio,   Scipione,   La  commare  oriccoglitrice.     Venetiis  1621.   —   Deutsch  von 
Prof.  Chr.  Welsch,  Kindermutter-  oder  Hebammenbuch.    Leipzig  1652. 

1.  Merensky,  A,  Die  Hottentotten.    Zeitschr.  f.  Ethnol.    Bd.  VIL    Verhandl.  d.BerI. 
anthr.  Ges.    8.  22.    Berlin  1875. 

2«  Merensky,  A.,  Erinnerungen  aus  dem  Missionsleben.    Bielefeld  und  Leipzig  1888. 

3.  Merensky,  A.,  Der  Process  Leist.    Afrika.    No.  11.    8.  170.    Berlin  1894. 
Merian,   Mattheus,    Üebersetzung   des   Hebammenbuches   der  Bourgeois.     Hanau. 

8.  99  ff. 

Merk,  Acht  Vorträge  über  Pendschab.    Bern  1869.    8.  127. 

1.  Mertens,   Becueil   des  actes   de  la  s^ance  publ.  de  TAcad.  de  St  P^tersb.    Dec. 
1829.     129. 

2.  Mertens,  K.  H.,  in  De  Bienzi^s  Oceanien.    II.    8.  288. 

1.  Metzger,  Schneider's  Annalen  der  Staatsarzneik.    VIU.    Heft  1. 

2.  Metzger,  System  der  gerichtl.  Arzneiwissenschafb.    §  414.    No.  4. 

8.  Metzger,  Emil,  Globus  1888.    XLIV.    No.  19.  8.  301.    No.  22.  S.  349. 
Metz  1er,  Jenaisches  Archiv  für  Geburtskunde. 

1.  Meyer,  A.  B.,  Menstruation  bei   in  Indien   geborenen   europäischen  Mädchen;  in 
Mittheil,  der  Anthrop.  Gesellsch.  z.  Wien.    1879.    Bd.  IX.  S.  159. 

2.  Meyer,  H.,  Verh.  der  Berliner  anthrop.  Gesellsch.    1883.    8.  384. 

3.  Meyer,  Hans,  Eine  Weltreise.    Leipzig  u.  Wien  1890. 

1.  Meyer-Ahrens,  Geschichte  des  medicinischen  Unterrichts  in   Zürich.    Denkschrift 
der  med.-chirurg.  Gesellschaft  des  Kantons  Zürich.    Zürich  1860.    8.  36. 

2.  Meyer-Ahrens,  Monatsschr.  f.  Geburtsk.    1862.    20.  Bd.  5.  Heft  8.  329. 

3.  Meyer-Ahrens,  Oesterlen's  Zeitschr.  f.  Hygiene.    1860.    8.  369,  501. 

4.  Meyer-Ahrens,  Virchow's  Arohiv.    1862.    S.  51,  488. 
Meyerson,  H.,  Medic.  Zeitung.    Russland  1860.    8.  174,  189,  190  etc. 

1.  Michel  et,  J.,  Die  Frau.    Aus  dem  Franz.  y.  Spielhagen.    Leipzig. 

2.  Michelet,  Procäs  des  templiers  I.    p.  645.    U.    p.  223.    Paris  1851. 
Middendorf,  von,  Sibirische  Beise.    St.  Petersburg  1875.    No.  1407. 

Miki  Teil  Chi,  Pictoral  descriptions  of  the  famous  places  in  Tokyo  in  Japanese  aod 
Chinese,  by  — ;  accompanied  with  an  English  translation  made  by  G.  Takahashi.  Tokyo  o. J. 

1.  Miklucho-Maclay ,  von,  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1876.    VIIL    Verhandl.  der  Berliner 
anthropol.  Gesellsch.    S.  22  ff. 

2.  Miklucho-Maclay,  v.,  Globus  1878.    No.  3.    8.  41. 

3.  Miklucho-Maclay,  v.,  Zeitschr.  f.  Ethnol.    Bd.  XI.    1879.  Verhandl.  der  Berlinff 
anthropoL  Gesellschaft.    8.  235. 

4.  Miklucho-Maclay,   v.,   Zeitschr.   f.   Ethnol.     Bd.  XH.     Berlin  1880.     Verhandl 
der  Berl.  anthrop.  Gesellsch.    8.  87. 

5.  Miklucho-Maclay,  von,  Globus  1879.    S.  42. 

6.  Miklucho-Maclay,  von,  Zeitschr.  f.  Ethnol.    XIV.  Jahrg.    1882.    Heftl.  S.26ff. 

7.  Miklucho-Maclay,  von,  Zeitschr.  f.  Ethnol.    Bd.  X.    1878.    S.  105. 

8.  Miklucho-Maclay,  von,  Das  Ausland.    1883.    No.  33.    8.  648. 

9.  Miklucho-Maclay,  von,  in  Nachr.  der  kais.  russ.  geogr.  Gesellsch.    1878.   S. 257. 

10.  Miklucho-Maclay,  von,  Archiv  f.  Anthrop.    XH.    S.  336. 
Mimazunza,  siehe  von  Siebold,  Joum.  f.  Geburtshülfe.    Bd.  VI.    No.  8.    1826. 
Minckwitz,  Johannes,   Illustrirtea   Taschenwörterbuch   der   Mythologie   aller  Völker. 

4.  Aufl.    Leipzig  1870. 


YerzeichniBs  der  benutzten  Schriftsteller.  691 

Ministero  di  Agricoltura,  Indnstria  e  Commercio.  Direzione  generale  della  statistica. 
Popolazione.  Movimento  dello  stato  dyile.  Conironti  intemazionali  per  gli  anni  1865 — 83. 
Borna  1884. 

Minutoli,  Wilhelmine  von  Gersdorf,  Reise  d.  Frau  y.,  nach  Aegypten.  2.  Aufl. 
1841.    S.  56. 

Miflsen,  Yoj.  dltalie. 

Mitford,  A.  B.,  Geschichten  aus  Alt-Japan.  Aus  dem  Englischen  ttbersetzt  von  J.  G. 
Kohl.    Bd.  I  (Bas  Etamädchen  und  der  Hatamoto).     S.  253.    Leipzig  1875.    Bd.  n.    S.  296. 

Miyake,  B.,  Ueber  die  japanesische  Geburtshülfe.  Mittheilungen  der  deutschen  Ge- 
sellschaft; fdr  Natur-  und  Völkerkunde  Ostasiens.    8.  Heft.    Sept  1875.    Yokohama. 

Miyase  Sadao,  siehe  Schlegel. 

Mocquet,  Jan,  Itinerarium  Lib.  IV.  p.  267.  in  M.  Schurig.    Muliebria  p.  107. 

Modigliani,  Elio,  ün  viaggio  a  Nias.    Milano  1890. 

Möbius,  Paul  Julius,  Die  Nervosität.    Leipzig  1882.    S.  75. 

Mollendorf,  von,  Joum.  of  the  North-Ghina  Brauch  of  the  Royal  Asiatic  Soc.  New 
series.    No.  18.    Shanghai  1879.     S.  103. 

Moerenhout,  Yoyage  auz  fies  du  Grand  Ocöan.    Paris  1837. 

Molitor  in  Arlon,  Gaz.  des  höp.  1879.  No.  57;  Bulletin  de  TAcad.  roy.  de  M^d.  de 
Belg.  1878.    Xn.    77. 

Mommsen,  A.,  Heortologie.    S.  287 ff. 

Moncelon,  L^on,  Bulletins  de  la  Sociöt^  d' Anthropologie  de  Paris.  Tome  IX.  m  S^rie, 
ann^e  1886.    Paris  1886.    p.  345  ff. 

Mondeville,  siehe  Nicaise. 

1.  Mondi^re,  Sur  la  monographie  de  la  femme  de  Cochinchine.  Bulletins  de  la  So- 
ciety d' Anthropologie  de  Paris.    Tome  UL    S^rie  3.    Paris  1880.    p.  250  ff. 

2.  Mondiere,  A.  T.,  Monogr.  de  la  femme  de  la  Cochinchine  etc.  Eztr.  des  M^m.  de 
la  Soc.  d'anthrop.    Paris  1882.    p.  11,  28,  32,  36. 

3.  Mondiere,  siehe  Hyades. 

Monrad,  H.  C,  Gemälde  der  Küste  von  Guinea.  A.  d.  Dänischen  von  Wolf.  Weimar 
1824.    S.  47. 

Montano,  J.,  Rapport  ä  M.  le  Ministre  de  Tlnstruction  publique  sur  une  mission  auz 
lies  Philippines  et  en  Malaise  (1879—1881).    Paris  1885. 

Montenegro.  (Nach  Charles  Yriate,  G.  Frilley  und  Jovan  Wlahovitj.)  Globus.  Bd. 
XXXIL    Braunschw.  1877.    S.  198. 

Montgomery,  Signs  and  Symptoms  of  pregnancy.    London  1837.    p.  162. 

Moore,  George  Fletcher,  A.  Oldfield,  Transact.  Ethnol.  Soc    New  Series  III.    p.  251. 

1.  Morache,  G.,  Peking  et  ses  habitants.  Annales  d*hygi^ne  publ.  et  de  m^d.  legale 
1869;  auch  in  Separatabdruck  erschienen. 

2.  Morache,  Note  sur  la  d^formation  du  pied  chez  les  femmes  chinoises.  Recueil  de 
M^moires  de  mddecine,  de  Chirurgie  et  de  pharmacie  militaires.  IIL  s^rie.  Tome  XI.  Paris 
1864.    p.  177-189. 

Moreau,  Jacqu.  L.,  Naturgeschichte  des  Weibes.  Aus  dem  Französischen  von  Rink. 
Altenburg  und  Leipzig  1809. 

Morgan,  L.,  System  of  consanguinity  and  affinity  in  the  human  family.  Washing- 
ton 1871. 

Moriyasu,  S.,  Die  erste  Menstruation  bei  Japanerinnen.  Jji-sinbun.  1887.  Nov.- 
Heft.  (Referirt  von  E.  Eatayama.  Centralblatt  f.  d.  medicin.  Wissenschafben.  1888.  No.  7. 
S.  144.) 

Morselli,  Enrico,  Sul  peso  del  cranio  e  della  mandibola  in  rapporto  col  sesso.  Man- 
tegazza,  Archivio  per  TAnthropologia  e  la  Etnologia.    Y.  volume.    Firenze  1876. 

Morton,  Waitz,  Indianer  Nordamerikas.    Eine  Skizze.    Leipzig  1865.    S.  105. 

Moschion,  mgl  rav  ywafMltov  nad'ov,  ed.  Dewez,  p.  18. 

Mos ely,  Allgem.  Literatur-Zeitung.  1789.  August.  Vergleiche  auch  L.  L.  Finke,  Vers, 
einer  allg.  medic-prakt  Geographie.    I.    Leipzig  1792.    S.  458. 

Moses,  Americ.  Joum.  of  med.  Sc.     1855.    Jan. 

Most,  Encyclopädie  der  Yolksmedicin.    Leipzig  1843.    S.  502. 

Mouat,  F.  J.,  The  Andaman-Islanders.    London  1863.    p.  327. 

Mountstuart-Elphinstone,  Gesch.  der  engl.  Gesandtschaft  an  den  Hof  von  Eabul 
im  J.  1808.    A.  d.  Engl.  v.  Rühs.    Weimar  1817. 

Montier,   Contribution  ä  Tötude  de  la  protection  de  Tenfance  ä  Rome.    Paris  1884. 

44* 


692  Anhang  4. 

MrazoYiö,  Milena,  Bosniaclie  Volkskunde.    Yerhandl.  der  Berliner  antbropol.    Gesell- 
schaft   Zeitschrift  fOr  Ethnologie.    Band  XXVIL    Berlin  1896.    S.  (279). 
Mttllenhoff,  Sohleswig-Holst.  Sagen.    S.  183. 

1.  Maller,  Joh.,  Müller's  Archiv  1834.    8.  319—845. 

2.  Müller,  Allgem.  Ethnographie.    Wien  1873.    S.  293,  300. 
8.  Müller,  F.  W.,  siehe  Jeannel. 

4.  Müller,  v.,  Zeitschrift  für  Erdkunde  zu  Berlin.    1883.    8.  428. 

5.  Müller-Mylius,  siehe  Dodge. 

6.  Müller,  Friedrich,  Reise  der  österreichischen  Fregatte  Novara  um  die  EIrde  in 
den  Jahren  1857,  1858,  1859,  unter  den  Befehlen  des  Commodore  B.  von  Wüllersdorf-Urbair. 
Anthropologischer  Theil.  Dritte  Abtheilung:  Ethnographie,  auf  Grund  des  Yon  Dr.  Kari 
von  Scherzer  g^esammelten  Materials  bearbeitet. 

7.  Müller,  F.  W.  E.,  Beschreibung  einer  von  0.  Meissner  zusammengestellten  Batak- 
Sammlung,  mit  sprachlichen  und  sachlichen  Erl&uterungen  versehen.  VerÖffenÜichaiigeii  aas 
dem  Königlichen  Museum  für  Völkerkunde.   Bd.  in.  1.  u.  2.  Heft.   Berlin  1893.    8.  68. 

Muncker,  Thom.,  siehe  Scheffer. 

Mungo  Park,  Reisen  im  Innern  von  Afrika.  Berlin  1799.  8.  238. 

1.  Munzinger,  W.,  Sitten  und  Rechte  der  Bogos.  Winterthur  1859.    S.  6S. 

2.  Munzinger,  Zeitschr.  f.  allg.  Erdkunde.    1860.    IX.    460. 

M uralt,  Denkschrift  der  med.-chirurg.  Gesellschaft  des  Gantons  Zürich.  Zürich 
1860.    8.  9. 

Murie,  siehe  Flower. 

Murion  d^Arcenant,  J.,  Bulletin  de  la  Soc.  de  G^graphie.   Febr.  1877.    p.  125. 

Murr,  Gh.  G.  v..  Nachr.  von  versch.  L&ndem  des  spanischen  Amerika.    Halle  1809. 

Murphy,  Dublin  med.  Joum.  No.  77.     1845. 

Musters,  unter  den  Patagoniem.    S.  85. 

1.  KTachtigal,  Gustav,  Zeitschrift  der  Gesellschaft  für  Erdkunde.   Y.    Berlin  1870. 

2.  Nachtigal,  G.,  Sahara  u.  Sudan.    I.    S.  153. 

Näcke,  Paul,  Verbrechen  und  Wahnsinn  beim  Weibe,  mit  Ausblicken  auf  die  Giiminal- 
Anthropologie  überhaupt  Klinisch-statistische,  anthropologisch-biologiBche  und  cnmiologiscfae 
Untersuchungen.    Wien  und  Leipzig  1894. 

Nagel,  W.,  Üeber  die  Entwickelung  der  Sezualdrüsen  und  der  äusseren  Geschlechts- 
theile  beim  Menschen.  Sitzungsberichte  der  kgl.  Preussischen  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  Berlin.   38.  39.    8.  1027—1033.    BerUa  1888. 

N^is,  Paul,  Sur  le  Laos.  Bulletins  de  la  8oci6t6  d* Anthropologie  de  Paris,  tome  YIII. 
m.  s^rie,  annä  1885.    Paris  1885. 

Neocorus,  siehe  Kinder. 

Neugebauer,  A.,  Denkschriften  der  Warschauer  ärztL  Gesellschaft  (Pam.  Towarz  Lek. 
Warszaw)  1882.    Bd.  LXXVm.    Heft  8  u.  4.    S.  441-498. 

Neuhauss,  Richard,  Zeitschr.  f.  Ethnol.  Bd.  KYII.  1885.  Verh.  der  Berliner  anthzo- 
polog.  Gesellsch.    8.  30. 

Nicaise,  E.,  Ghirurgie  de  Maitre  Henri  de  Mondeville,  Ghirurgien  de  Philippe 
le  Bei,  Roi  de  France,  compos^e  de  1306  ä  1820.  Traduction  fran9aise  avec  des  notes,  une 
introduction  et  une  biographie,  par  — .    Paris  1898. 

Nickolas,  in  Dom.  de  Rienzi,  Oceanien.  Deutsch  von  Mebold.  HI.  Stuttgart  1840. 
S.  143—148. 

Nidda,  Talmud  Tr.,  25.    Becharoth  19,  60. 

1.  Niebuhr,  Garsten,  Beschreibung  von  Arabien.  Aus  eigenen  Beobachtiugen  und  im 
Lande  selbst  gesammelten  Nachrichten.    Kopenhagen  1772.    S.  69. 

2.  Niebuhr,  G.,  Reisebeschreibung  nach  Arabien  und  andern  umliegenden  L&ndem. 
Kopenhagen  1778.    S.  25. 

NigrinOy  Gasp.,  Der  aus  seiner  Asche  sich  wieder  schön  verjüngende  Phönix  oder 
ganz  neue  Albertus  Magnus.    Frankfurt  und  Leipzig  1717.    8.  209. 

Nilson,  Sven,  Die  Ureinwohner  des  skandinavischen  Nordens.   Hamburg  1863.   S.  24. 
No6l,  BuU.  Soc  G6ogr.    Paris.   2.  S6rie.    T.  XX.    p.  294. 

1.  Nordenskjöld,  von,  Die  Umsegelung  Asiens  und  Europas  auf  der  Yega.  Deutsche 
Ausgabe.    Leipzig  1881—82. 

2.  Nordenskjöld,  von,  Grönland.    Leipzig  1886.    S.  74,  467  ff. 


YerzeichnisB  dar  benutzten  Sohriftsteller.  693 

Nork,   S.  F.,   Mythol.  der  YoUcasagen  nnd  Yolksmftrchen   etc.   in  J.  Scheible,  Das 
Kloster.     Stuttgart  1848.    S.  452  ff. 

Nottrott,  Die  Go88ner*8che  Mission  unter  den  Kohls.    Halle  1874.    130. 
N  o  T  a  r  a  -  Reise.    Anthropol.  Theil  m. 

1.  Oberl&nder,  R.,  Globus.    1868.    Bd.  lY.   S.  278. 

2.  Oberl&nder,  Richard,  Zeitschr.  f.  Ethnologie.  Bd.  XIL  1880.  Yerh.  der  Berliner 
anthrop.  Gesellschaft.    S.  87. 

3.  Oberl&nder,  Richard,  Der  Mensch  yormalB  und  heute.    Leipzig  1878. 
Obersteiner,  H,  Nach  Spanien  und  Portugal.    Wien  1888.    S.  118. 
,Oceania  Espafiola",  Sept.  1884.    Globus  1885.   XLYII.    S.  815. 

Oettingen,  ron,  Die  Moralstatistik  in  ihrer  Bedeutung  fGlr  eine  christliche  Sodal- 
etMk.     2.  Aufl.   Erlangen  1874.    S.  509. 

Ol  äffen,  Des  Yice-Laymands  Eggert  Olaffens  und  des  Landphjsici  Biame  Povelsens 
Reise  durch  Island,  veranstaltet  von  der  Königlichen  Sodetftt  der  Wissenschaften  in  Eopen- 
bagfen  und  beschrieben  von  bemeldetem  Eggert  — .  (Aus  dem  D&nischen.)  Th.  II.  Kopen- 
hagen und  Leipzig  1775.    S.  86. 

Olshausen,  Klinische  Beitrage  zur  Gynftk.  und  Geburtsh.   Stuttgart  1884.    S.  122. 

Onymus,  Diss.  de  naturali  foetus  in  utero  mat.  situ.  Lugdun.    Batay.  1743. 

Oppermann,  F.  W.,  üeber  den  Zustand  der  Heilk.  in  der  europ.  u.  asiat.  Türkei. 
Hamburg  1838. 

Oppenheim,  Aus  dem  Bregenzerwald.    1859.    S.  9. 

d'Orbigny,  Strangeway^s  sketch  of  the  Mosquito  shore.    Edinb.  1822. 

Organisjanz,  Gaml,  in  Kawkas  1879.    No.  58. 

Orelli,  Aloysius  von,  £!in  biographischer  Yersuch  von  S.  y.  0.  y.  B.  Zttrich  1797  in 
Scheible:  Das  Kloster. 

Oribasius  yon  Pergamus  war  Leibarzt  des  Kaisers  Julianus  Apostata  (861 — 863  n. 
Chr.)  und  schrieb  eine  .Einleitung  in  die  Anatomie*,  welche  sich  fast  ganz  auf  des  Aristoteles 
Untersuchungen  stützt. 

1.  Ornstein,  Bernhard  (Athen),  Zeitschr.  f.  Ethnologie.  Bd.  XL  YerhandL  d.  Berl. 
anthrop.  Ges.    S.  (805).    Berlin  1879. 

2.  Ornstein,  Bernhard,  Makrobiotisches  aus  Griechenland.  Archiy  f&r  Anthropologie. 
Bd.  XYin.   Heft  8.    S.  193  fF.    Braunschweig  1889. 

Orten,  James,  The  Andes  and  the  Amazon.  London  1870.  Das  Ausland  No.  12 
S.  267.    1870. 

Osiander,  YolksarzneimitteL    Hannoyer.    6.  Aufl.    1865. 

Osman-Bey,  Major,  Die  Frauen  in  der  Türkei.    Berlin,  ohne  Jahr. 

Otto  und  Geis  1er,  Friedemann  in  Zeitschr.  f.  allgem.  Erdk.  1862.  Oct.  und  Noy. 
S.  278. 

Otto,  Nene  seltene  Beobacht.  zur  Anat,  PhysioL  und  Pathol.  Berlin  1824.  S.  185. 
Tafel  II. 

1.  d*Outrepont,  Gemeinsame  Zeitschr.  für  Geburtskunde.   Weimar  1827.    I.    154. 

2.  d*Outrepont,  Mendels  Beob.  u.  Bemerk.    1826.    IIL    1. 
Oyerbeck,  Pompeji.    Leipzig  1866.    IL    S.  68. 

1.  Oyidius,  Naso  Pnblius,  Liebes-Elegien,  übersetzt  yon  Herz  borg.  11,  14.  Stutt- 
gart 1854. 

2.  Oyidius,  Amoren  2,  13. 

3.  Oyidius,  Metamorphosen  IX.    294. 

4.  Oyidius,  Des  Publius  Oyidius  Naso  erotische  Werke.  Im  Yersmaass  der  Ur- 
schrift übersetzt  und  erl&uiert  yon  Dr.  Alezander  Berg.  Band  II.  Hülfsmittel  der  Liebe 
u.  8.  w.    Stuttgart  1880. 

Paasonen,  H.,  Proben  der  mordwinischen  Yolksliteratnr.  Journal  de  la  Sociöt^ 
Finno-Ougrienne.    IX.    Helsingissft  1891.    p.  33. 

Paget,  John,  Ungarn  und  Siebeubürgen,  deutsch  yon  Moriarty.  2.  Bd.  Leipzig 
1842.    S.  152. 

Painter,  A.  W.,  On  the  Hill  Arrians.  The  Journal  of  the  Anthropological  Society 
of  Bombay.  Yol.  II.  Bombay  1890.  p.  148.  (Western  Gahts  in  the  Natiye  State  of  Tra- 
vancore.) 

Pajot,  siehe  Dubois. 


694  Anhang  4. 

Palaephatus,  De  non  credendis  narrationibus. 

1.  Pallas,  P.  S.,  Reise  durch  verach.  Provinzen  des  rassischen  Reichs.    Bd.  III.    S.  70. 

2.  Pallas,  Voyages.    IV.    S.  94—95. 

8.  Pallas,  P.  S.,  Sammlung  historischer  Nachrichten  über  die  mongolischen  Völker- 
schaften.   St.  Petersburg  1776.    1801.    II.    S.  235. 

Pallme,  Beschreib,  von  Kordofahn  etc.   Stuttgart  u.  Tübingen  1843. 

1.  Palmer,  E.  H.,  Der  Schauplatz  der  viendgj&hr.Wflstenwanderung  Israels.    Gotha  1876. 

2.  Palm  er,  Journ.  of  the  Anthrop.  Instit.  XIII.    1884.    p.  280. 

Panceri,  Paolo,  Le  operazioni  che  neir  Africa  Orientale  se  praticano  sagli  organi 
genitali.    Archivio  per  TAntropologia  e  la  Etnologia   (Mantegazza).    Vol.  lü.    Firenze  1874. 

1.  P ander,  Eugen,  Das  lamaisohe  Pantheon.  Zeitschr.  f.  Ethnologie.  Band  XXI.  1889. 
S.  61,  62. 

2.  P  an  der,  Eugen,  Das  Pantheon  des  Tschangtscha  Hntuktu.  Ein  Beitrag'  zur  Icono- 
graphie  des  Lamaismus.  Herausgegeben  von  A.  Grünwedel.  Veröffentlichungen  ans  dem  kgl. 
Museum  für  Völkerkunde.    Bd.  I.   Heft  2/8.    Berlin  1890. 

1.  Panzer,  Beitrag  zur  deutschen  Mythologie.    München  1848.    I.    No.  87.     S.  362. 

2.  Panzer,  Bayrische  Sagen  und  Bräuche.    2.  Band.    München  1855.    S.  195,  431,  478. 
Papendiek,   Ein  frühreifes  ostpreussisches  Kind.    Verhandl.  der  Berliner    anthropol. 

Gesellschaft.    Zeitschr.  f.  Ethnologie.    Bd.  XXVII.    S.  (476).    Berlin  1895. 

Pardo  de  Tavera,  T.  H.,  Journal  de  med.  de  Paris.    4.  Annöe.    T.  VL    No.  22. 

Parent-Duchätelet,  Die  Sitten verderbniss  (la  Prostitution)  des  weiblichen  6e* 
schlechts  in  Paris  u.  s.  w.  (übersetzt  von  G.  W.  Becker).  Leipzig  1837.  Siehe  auch  Baer 
und  Lombroso. 

Parkinson,  R.,  Beiträge  zur  Ethnologie  der  Gilbert-Insulaner.  Internationales  Archiv 
für  Ethnographie.    Band  IL    Leiden  1889.    82—48,  95. 

Parris  in  Plymouth;    Hooker  in  Journ.  of  the  Ethnolog.  Soc.  of  London.    1869.  p.  71. 

Passarge,  L.,  Ausland.     1881.    No.  20.    S.  563. 

Passet,  Ueber  einige  Unterschiede  des  Grosshims  nach  dem  Geschlecht.  Archir  für 
Anthropologie.    Bd.  XIV.    Braunschweig  1883. 

Passow,  A.,  siehe  Lubbock. 

Pauli,  Petermann's  Mittheü.    Bd.  31.    1885.    1.    S.  17. 

Pauli,  Fr.,  Die  in  der  Pfalz  und  den  angrenzenden  Gegenden  üblichen  Volksheilmittel. 
Landau  1842.    S.  94. 

Paulini,  Eristian  Frantz,  Neu- Vermehrte  Heylsame  Dreck- Apotheke  u.  s.  w.  Franck- 
furth  am  Mayn  1713. 

Paulitschke,  Dr.  Philipp,  Dr.  D.  Eammel  von  Hardegger's  Expedition  in  Ost- Afrika. 
Beiträge  zur  Ethnographie  und  Anthropologie  der  Somäl,  Galla  und  Harart.    Leipzig  1886. 

1.  Paulus  V.  Aegina,  Lib.  III.  c.  70,  wo  er  selbst  die  Abschneidnng  der  vridematflrlich 
vergrOsserten  Clitoris  vorzunehmen  räth. 

2.  Paulus,  H.  E.  G.,  Sammlung  der  merkwürdigsten  Reisen  im  Orient.  Jena  1792  bis 
1801.    Bd.  VL    S.  287. 

1.  Pausanias,  Lacon.  lU.  16.  8;  Eliac.  V.  27,  5;  VIL  6.  6. 

2.  Pausanias,  Descriptio  Graeciae  I.  18.  IV.    Ed.  Siebeiis.    Lips.  1822. 
Pauw,  Recherches  philosoph.  sur  les  Am^ricains.    Paris  1781. 
Peacock,  Thomas  B.,  London  med.  Gaz.  1839.    XXV.    p.  548. 

1.  Pechuel-Loesche,  Zeitschr.  für  EthnoL    1878. 

2.  Pechuel-Loesche,  Globus  1885.    XLVH.    No.  23.    S.  365. 

Pelikan,  E.  v.,  Gerichtlich-medicinische  Untersuchungen  über  das  Skopzenthum  in 
Russland.    Uebersetzt  von  N.  Iwan  off.    Giessen  und  St.  Petersburg  1876. 

Penay,  Bulletin  de  la  Soci^t^  de  Geographie.    Paris,    p.  IV.    Tome  XVII. 

P^ron,  F.,  et  A.  Lesueur,  Observations  sur  le  tablier  des  femmes  Hottentottes. 
Meulan  1883. 

Perrin,  Feu  0.,  du  Finistäre.    Paris  1835. 

Perron,  A.  Du,  Reisen  nach  Ostindien  etc.,  übersetzt  von  Purmann.  Frankfurt  a.M. 
1776.    703. 

Pörouse,  La,  Entdeckungsreise.    Berlin.    2.    S.  220. 

Perty,  Grundzüge  der  Ethnographie.    S.  250. 

Peschel,  Oscar,  Völkerkunde.  5.  Aufl.  v.  A.  Eirchhoff.  Leipzig  1881.  S.  175, 
219,  228. 

Peter,  A.,  Volksthümliches  aus  Oesterreichisch-Schlesien.    S.  16. 


YeneichniBS  der  benutzten  Schriftsteller.  g95 

1.  Petermann,  H.,  Reisen  im  Orient.    2.  Ausg.    Leipzig  1861.    S.  106,  152. 

2.  Petermann,  Neuere  Berichte  über  Korea  in  Mittheilungen  1884.    S.  888. 
Petersen,  Eugen,  und  Lusohan,  Felix  von,  Reisen  in  Lykien,  Mylias  und  Eibyratis 

u.  8.   w.    (Reisen  im  südwestlichen  Elein-Asien.    Bd.  IT.)    Wien  1889.    S.  199. 

(Petrarcha):  Trostspiegel  in  Olttok  vnd  Ynglücdc,  des  Weitberumbten  Hochgelehrten 
fartrefflichen  Poeten  ynd  Oratom  Frandsci  Petrarehe  Trostbücher,  von  Rath,  That,  ynd 
Artzeney  in  Glück  vnd  Ynglück,  Nemlich,  wie  sich  ein  jeder  verständiger  Mensch  halten  soll. 
In  seiner  Wohlfarth  nicht  vberheben.  Desgleichen  in  Ynglück,  Widerwärtigkeit,  Angst  vnnd 
Noth  zu  trösten  wissen  u.  s.  w.  Franckfurt  am  Mayn  (in  Yerlegung  Christ.  Egenolffs 
Erben)  1584. 

P^trequin,  Th^se.    Paris  1885. 

Petrowitsch,  Nikola,  Ausland.    1876.    S.  495.  —  ,01obusV    1878.    No.  22.    S.  449. 

Petrus  Martyr,  De  rebus  oceanicis.    Colon.  1574.    p.  294. 

1.  Pezold,  L.,  Das  Reich  der  Zaren  und  die  Russen.    Berlin  1888.    8.  414. 

2.  Pezold,  L.,  siehe  Leroy-Beaulieu. 

Pfaff,  C.  R.,  Zeitschr.  f.  Staatsarzneikunde.    1868.    S.  125. 
Pfannenschmidt,  in  Das  Ausland.     1888.    No.  8.    S.  150. 

1.  Pfeiffer,  Franz,  Zwei  deutsche  Arzneibücher  aus  dem  XU.  und  Xm.  Jahrhundert. 
Wien  1868. 

2.  Pfeiffer,  Ida,  Müller,  Allgem.  Ethnogr.  S.  826.  Waitz,  Anthrop.  Bd.  Y.  Th.  I. 
S.  131.    Ida  Pfeiffer,  Yoy.  autour  du  monde.    1868.    178. 

Phillips  jr.,  Henry,  First  contribution  to  the  study  of  Folk-Lore  of  Philadelphia  and 
its  vicinity.    (Read  before  the  American  Philosophical  Society.    March.  16,  1888.) 

Piaggia,  siehe  Antinori. 

Picart,  Moeurs  et  coutumes  r^ligieusee.    I.    p.  92. 

Piccolomini,  Aeneas  Sylvius,  Historia  Bohemiae. 

Piedrahida,  Bist  de  las  conq.  del  nuevo  reyno  de  Granada.  1688.  II.  5.  Waitz, 
1.  c.  p.  867. 

Piette,  Ed.,  La  Station  de  Brassempouy  et  les  statuettes  humaines  de  la  p^riode 
glyptique.    L' Anthropologie,  Tome  YI.    Paris  1895. 

Pinabel,  P^re,  Bullet,  de  la  Soc.  de  06ogr.  1884.    Paris,    p.  426. 

Pin  off  in  HenscheFs  Janus.    I.    S.  742.    II.  19,  22,  28. 

Pishon,  Der  Einfluss  des  Islam  auf  das  häusliche,  sociale  und  politische  Leben  seiner 
Bekenner.    Leipzig  1881. 

Pitr^,  Giuseppe,  Medicina  popolare  Siciliana.    Torino-Palermo  1896.    p.  285. 

Plath,  Joh.  H.,  üeber  die  häusl.  Yerhältnisse  der  alten  Chinesen.  (Aus  den  Sitz.-Ber. 
der  k.  bair.  Akademie.)    München  1862. 

Platner,  De  arte  obstetr.  veterum.    1785. 

1.  Plato,  De  legibus  libr.  Y.  et  YL 

2.  Plato,  Theaitetos. 

3.  Plato's  Werke  übersetzt  von  Schleiermacher.    Berlin  1805. 

1.  Plinius,  Hist.  natur.  Lib.  XXVIU.  c.  17.  Pariser  Ausg.  Yol.  YIII.  1829.  p.  60. 
Uebersetzung  von  BOttger. 

2.  Plinii,  Ci^i,  Secundi,  des  Weitberumbten  Hochgelehrten  alten  Philosophi  unnd 
Naturkündigers  Bücher  und  Schrifften  von  Natur  Art  und  eygenschafft  aller  Creaturen  oder 
GeschOpffe  Gottes  u.  s.  w.    (Johannes  Heyden  von  Dhaun.)    Franckfort  am  Mayn  1584. 

8.  Plinius,  Nat.  Hist  edit.  Sillig,  Hamburg  und  Gotha  1852.  Lib.  YU.  C.  2.  §24. 
Yol.  2.  S.  9.  lib.  28.  c.  7.  15.    1.  57.    c.  6.    YH.  c.  9. 

4.  Plinius,  siehe  Wittstein. 

1.  Plutarch,  Quaest.  rom.  Ed.  Reiske.    Y.  YIL  p.  188. 

2.  Plutarch,  Hist.  phü.  lY.  18. 

1.  Poestion,  J.  C,  Griech.  Philosophinnen.    Norden  u.  Leipzig  1882.    S.  7. 

2.  Poestion,  J.  C,  Lappländische  Märchen,  Yolkssagen,  Räthsel  und  SprichwOrter. 
Nach  lappländischen,  norwegischen  und  schwedischen  Quellen.    Wien  1896.    S.  272. 

3.  Poestion,  J.  C,  Griechische  Dichterinnen. 
Pogge,  P.,  Im  Reiche  des  Muata  Jamwo.    S.  248. 

Pokrowsky,  E.  A.,  Physische  Erziehung  der  Kinder  bei  den  verschiedenen  Yölkem, 
vorzugsweise  Rnsslands.    (Russisch.)   Moskau  1884. 

1.  Polak,  New  Zealand.    London  1838.    I.    p.  365. 

2.  Polak,  Persien,  das  Land  und  seine  Bewohner.    L    Leipzig  1865. 


696  Anhang  4. 

Poljakow,  J.  S.,  Beifie  nach  der  Insel  Sachalin  in  d.  Jahre  1881—82.  Deutsch  von 
Arzruni.    Berlin  1884.    S.  104. 

Polo^  Marco,  Beisen,  übers,  v.  Ang.  Bflrck.    Leipzig  1845.    S.  896. 

Polybiua.  Elymais  XXXI.  11  n.  XL  27  (IL  p.  670.  17.  ed.  Bekk). 

Pomponins  Mola.    U.  2. 

Porphyrius,  De  abstin.  IV.  16  cf.  de  Bhoer.  p.  853. 

Porter,  Joom.  af  a  Cruise  made  on  the  Pacific  Ocean.  2.  edit.  New  York  1822.  IL  p.58. 

Posado-Avanjoy  Broca's  Bevne  d* Anthropologie. 

Posselt,  Berliner  Missions-Berichte.    1884.    17.  18.  885—886. 

1.  Post,  Die  Qeschlechtsverhältnisse  der  Urzeit  und  die  Entstehung  der  Ehe.  Olden- 
burg 1875. 

2.  Post,  Albert  Hermann,  Studien  zur  Entwickelungsgeschichte  des  FamilienrechU. 
Ein  Beitrag  zu  einer  allgemeinen  vergleichenden  Bechtswissenschafb  auf  ethnologischer  Basü. 
Oldenburg  u.  Leipzig  1890. 

Potherie,  de  la,  Histoire  de  TAm^rique  septentrionale.    1758.    Tome  n.  43. 
Povelsen,  Biame,  siehe  Olaffen. 

1.  Powell,  J.  W.,  siehe  Yarrow. 

2.  Powell,  unter  den  Cannibalen.    Deutsch.    Leipzig  1884.    S.  181  u.  234. 
Powers,  Stephen,  in  Contributions  to  North  American  EthnoL  DL  Tribes  of  California. 

Washington  1877.    Siehe  Globus  1879.    No.  10.    S.  156. 

Poyet,  in  Nouv.  annaL  des  yoyages.    Janv.  1863.     p.  48. 

Pozzi,  S.,  Du  poids  du  cerreau  suivant  les  races  et  suivant  les  individus.  Reyne 
d' Anthropologie.    Tom.  VII. 

Prado,  üeber  die  criminellen  Abtreibungen  in  Eonstantinopel,  daselbst;  übersetzt  duidi 
Dr.  Lebowicz.    Berlin.  Elimsche  Wochenschrift.    1873.    No.  10  u.  11. 

Praetorius,  Gestriegelte  Rocken-Philosophia.    Chemnitz  1707.    L  Hundert.    Cap.  36. 

Praslow,  Der  Staat  Califomien  etc.    Gott.  1857. 

Prevost,  Voyage  de  TAbb^  — .    T.  18.  p.  517. 

Prochownick,  L.,  Gebnrtshülfe  und  Cultur.  Archiv  für  Gyn&kologie.  Bd.  XXIIL 
Berlin  1884. 

Procopius,  De  hello  GU>thico.    2.    14. 

1.  P runer,  Die  Krankheiten  des  Orients.    Erlangen  1847. 

2.  Pruner,  Memoire  sur  les  n^gres.    M^m.  Soc.  Anthrop.    1860—68.    L    p.  318. 
Przewalski,  Petermann's  MittheiL  1883.    X.    8.380. 

Pu^jac,  A.,  ,La  sage-femme%  Gazette  des  höpitaux.    1863.   No.  67.  p.  266. 
Pur  cell,   B.  H.,   Rites  and  customs  of  Australian  Aborigines.    Verhandl.  d.  Berliner 
anthrop.  Ges.    17.  Juni  1893.    Zeitschr.  f.  Ethnologie.    Jahrg.  XXY.    (287.)    Berlin  1893. 
Purmann,  siehe  Du  Perron. 

<|uandt,  Nachricht  von  Surinam  und  von  seinen  Einwohnern.    Görlitz  1807. 
Quatrefages,  A.  de,  Das  Menschengeschlecht.    Leipzig  1878.    L    9.23.    ü.    8.814. 
Quedenfeldt,  M.,  Krankheiten,  Yolksmedicin  und  abergUlubische  Euren  in  Marokko. 
Ausland  1891.    No.  7.    S.  126  ff. 

1.  Quetelet,  A.,  Nouveaux  M^moires  de  TAcad.  de  BruxeUes,  T.  HI  8.  501;  Snr  les 
lois  des  naissances  et  de  la  mortal.  de  Brux.  Yerg.  Correspondance  math^m.  et  phynqae. 
T.  L  et  IL 

2.  Quetelet,  Ad.,  Physique  sociale  ou  essai  sur  le  d^veloppement  des  ÜMultös  de 
rhomme.    BruxeUes,  Paris  et  St  Petersbourg  1869.    Tome  H.    p.  288ff. 

3.  Quetelet,  A.,  Ueber  den  Menschen  und  die  Entwickelung  seiner  Fähigkeiten  etc. 
Deutsche  Ausgabe  von  Y.  A.  Riecke.    Stuttgart  1838.    S.  530  ff. 

JEtabutauz,  De  la  Prostitution  en  Europe  depuis  Tantiquit^  jusqu'ä  la  fin  du  XVI« 
siäcle.    Paris  1851. 

Raciborski,  De  la  pubert^  et  de  Tage  critique.    Paris  1844. 

Radde,  G.,  Die  Chewsuren  und  ihr  Land.    Cassel  1878. 

Radioff,  W.,  Aus  Sibirien.    Bd.  L  315.    Leipzig  1884. 

Raffles,  Thomas  Stamford,  The  history  of  Java.    London  1817. 

Rajacsich,  Leben,  Sitten  und  Gebräuche  der  Südslaven.    Wien  1873.    S.  32. 

RäjendraUla  Mitra,  The  Antiquities  of  Orissa.    Calcutta  1875.   voL  L   p.  65  i 

Ralston,  Song  u.  s.  w.    268—290. 


Verzeichniss  der  benutzten  Schriftsteller.  697 

Ramm,  Karl,  Ein  neuer  Beitrag  zur  Ealewalaliteratur.  Globus.  Bd.  LXIY.  No.  8. 
Braunschweig  189S.    S.  120. 

1.  Ramon  de  la  Sagra,  Annales  de  ciencias.  Havanna  1827,  Sept.  Gerson's  Magazin 
XX.    479. 

2.  Ramon  de  la  Sagra,  Gomptes-rendus  de  TAcad.  des  Sciences  1864.  XLITT.  p.  161; 
Arch.  g^n^r.  de  m^.  May  1864.    p.  627;  Zeitschr.  f.  allgem.  Krdk.    1864.  Dec.    S.  492. 

Rango,  Conradus  Tiberius,  De  Capillament.    cap.  6.    Membr.  8.    pag.  m.  181. 

1.  Ranke,  Johannes,  Beiträge  zur  physischen  Anthropologie  der  Bayern.  München 
1888.    S.  107. 

2.  Ranke,  Johannes,  Der  Mensch.    I.  147.    Allgem.  Naturk.    Leipzig  1886. 

3.  Ranke,  Johannes,  Der  fossile  Mensch  und  die  Menschenrassen.  Bericht  über  die 
XXYII.  allg.  Vers,  der  deutschen  anthropologischen  Gesellschaft  in  Speier.  Gorrespondenzblatt 
der  deutschen  Gesellschaft  für  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte.  Jahrgang  XXYII. 
S.  154,  155.    Braunschweig  1896. 

Rath,  siehe  Fritsch. 

Rathgen,R.,  Ergebnisse  der  amtlichen  Bevölkerungsstatistik  in  Japan.  Mittheilungen 
der  deutschen  Gesellschaft  für  Natur-  und  Yölkerkunde  Ost- Asiens.   Bd.  lY.    S.  822  ff. 

1.  Ratzel,  siehe  Schweinfurth. 

2.  Ratzel,  Aus  Mexiko.    Reiseskizzen.    Breslau  1879. 
Rauber,  A.,  siehe  Hennig. 

Raven,  Bibliothek  for  Laeger,  Januar  1850. 

Rawitzki,  Yirchow's  Archiv.    1880.    Bd.  80.    S.  494  u.   1884.    Bd.  95.    S.  485. 

Reade,  Winwood,  Savage  Afrika,    p.  248. 

Rebenstock,  Henricus  Petrus,  (von  Giessen,  Pfarrherr  zu  Eschirssheim),  De  Lamiis. 
Das  ist:  Yon  Teuffelsgespenst,  Zauberom  vnd  Gifftbereytem,  kurtzer  doch  gründlicher  Bericht, 
was  für  Ynterscheidt  vnter  den  Hexen  vnd  Ynholden,  vnd  den  Gifftbereytem,  im  straffen  zu- 
halten, darmit  beydes  die  Richter  im  Yrtheil  f&llen  vnd  verdammen  nicht  zu  viel  thnn,  jhr 
Gewissen  beschweren,  vnd  das  vnschuldiges  Blut  zuvergiessen ,  verhütet  werde    etc.     durch 

den Herrn  Johannem  Wi  er  um,  Medicinae  D.  Latinisch  geschrieben in  vnsere 

gemeine  Teutsche  Sprach  gebracht.    Franckfort  am  Mayn  1586. 

Redslob,  G.  M.,  Diss.  de  Hebraeis  obstetricantibus.    Lipsiae  1885. 

R^gla,  Paul  de,  El  Ktab  des  Lois  secrätes  de  Tamour  d'apr^  le  Kh64ja  Omer  Haleby, 
Abou  Othmän.    Traduction,  mise  en  ordre  et  commentaires  de  — .    Paris  1898. 

Rehmann,  J.,  Zwei  chinesische  Abhandlungen  über  die  Geburtshülfe.  St.  Petersburg 
1810.    S.  11. 

1.  Reich,  Ed.,  Geschichte,  Natur-  und  Gesundheitslehre  des  ehelichen  Lebens.  Gassei 
1864.    S.  519. 

2.  Reich,  Yirchow's  Archiv.    Peb.  1866.    Bd.  85.    S.  865. 

Reichard,  Paul,  Die  Wanjamuesi.  Zeitschr.  der  Ges.  f.  Erdkunde  zu  Berlin.  Band 
24.    Berlin  1889. 

Rein,W.,  Das  rOm.  Privatrecht  und  der  Civilprocess  bis  in  das  1.  Jahrh.  d.  Eaiserth. 
Leipzig  1836. 

Reinhard,  Christian  Tobias  Ephraim,  Satyrische  Abhandlung  von  den  Krankheiten 
der  Frauenspersonen,  welche  sie  sich  durch  ihren  Putz  und  Anzug  zuziehen.  Glog^u  und 
Leipzig  1757.    ü.  12. 

Reinsberg-Düringsfeld,  0.  Freiherr  v..  Die  Frau  im  Sprüchwort.   Leipzig  1862. 

Remy,  J.,  Nouv.  ann.  d,  voyages.    1865.    Dec.   p.  331. 

Renard,  siehe  Yirey. 

Rengger,  Reise  nach  Paraguay.    Aarau  1885.    S.  106,  330.    Taf.  II.    Fig.  20. 

Renzi,  Salv.  de,  Storia  della  medicina.    Nap.    1845—1848.    5.  Yol. 

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Reuter  (Idstein),  Medic.  Jahrb.  für  das  Herzogth.  Nassau.     1846.    Y.  1. 

Rhazes,  Zehn  Bücher  an  den  König  AI  Mansur,  Lib.  Y,  c.  69.    YL  27. 

Rheinisch,  Leo,  Wiener  Abendpost.    Mftrz  1877. 

Rheinpfalz,  Landes-  und  Yolkdcunde  der  bayerischen  — .  München  1867.    S.  345. 

Rhode,  Richard,  Original-Mittheilungen  aus  der  ethnologischen  Abtheilung  der  k. 
Museen  zu  Berlin.    Berlin  1885.    S.  14,  15. 

Rhyne,  Ten,  Schediasma  de  promontorio  bonae  spei.    1686.    88. 


698  Anhang  4. 

Ribbe,  Carl,  Die  Ara-Inseln.  Festschrift  zur  Jubelfeier  des  25jfthrigez&  Bestehens  a 
Vereins  fiir  Erdkunde  zn  Dresden.    Dresden  1888. 

1.  Riccardi,  Paolo,  Pregiudizi  e  superstizioni  del  popolo  Modenese,  contedbnzione  i 
Dott.  — ,  alla  inchiesta  interne  alle  superstizioni  e  ai  pregiudizi  esistenti  in  Italia.  eei 
Modena  1890. 

2.  Riccardi,  siehe  Lombroso. 

RichardsoninJ.  Franklin,  Reise  an  die  Küste  des  Polarmeers  etc.  Weimar  1823 — 2i 
Abth.  I.    S.  71,  96. 

Richter,  siehe  Wagner. 

1.  Riedel,  Joh.  Gerhard  Fried.,  De  sluik-  en  kroesharige  Rassen  toscliezi  Selebes  es 
Papua.    s'Gravenhage  1886. 

2.  Riedel,  J.  6.  F.,  De  oelalone  ni  jele  aloe.  Eene  Tominische  Tertellingr*  gerol^ 
door  eenige  volksliederen  in  de  oorspronkel^ke  taal  met  Nederlandsche  Vertalizi^  en  aastee- 
keningen.  B^dragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Yolkenkunde  van  Nederlandsch-Indie.  III.  Yolg- 
reeks.    VI.  Deel.    s'Gravenhage  1871.    S.  181. 

8.  Riedel,  J.  G.  F.,  Das  Ausland.    1884.    No.  84,    S.  672. 

4.  Riedel.  J.  G.  F.,  Zeitschr.  f.  Ethnol.    1871.   S.  402,  403. 

5.  Riedel,  J.  G.  F.,  Zeitachr.  f.  Ethnol.    1885.    S.  77. 

6.  Riedel,  J.  G.  F.,  Verhandl.  der  Gesellsch.  ftlr  Erdkunde  zu  Berlin.    1885.    No.  3. 

7.  Riedel,  J.  G.  F.,  Revue  coloniale  internationale.    1885. 

8.  Riedel,  J.  G.  F.,  Bydr.  tot  de  Taal-  etc.  Kunde  van  Nederl.  Indie.      1885.    X.  3, 

9.  Riedel,  Verhandlungen  der  Gesellschaft  fttr  Geburteh.  in  Berlin.  1847.  Jahrg.  II. 
S.  61-123. 

10.  Riedel,  J.  G.  F.,  De  Sulanezen,  hunne  gebruiken  by  huwel\jken,  geborte  en  bij 
het  mutileeren  des  lichaams.  (Ovetgedruckt  uit  het  Bjjdragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Yolken- 
kunde van  Nederlandsch-Indie.    4.  Volg.    X  Dl.  8.  stuk.    S.  10.) 

11.  Riedel,  J.  G.  F.,  De  Topantunuasu  of  oorspronkelijke  volksstammen  van  Central- 
Selebes.  Bydragen  tot  de  Taal-,  Land-  en  Volkenkunde  van  Nederlandsch-lndie.  Yijde  volg- 
krees,  eerste  deel  (deel  XXXV  der  geheele  reeks.)    s^Gravenhage  1886. 

Rieds,  Hugo,  Account  of  the  Indians  of  Los  Angeles  Co.,  California,  wiih  notes  \>y 
W.  J.  Hoffmann.    Bulletin  of  the  Essex  Institute.    Vol.  XVU.    Salem  1885. 

Riehl,  H.  W.,  Die  Naturgeschichte  des  Volkes  etc.  Stuttgart  und  Augsburg  1855. 
m.    S.  27. 

Riemer,  J.  A.,  Missionsreise  nach  Surinam  und  Barbice  zu  einer  am  Surinamfluss  im 
dritten  Grade  der  Linie  wohnenden  Freineger-Nation.    Zittau  und  Leipzig  1801.  278. 

Rienzi,  Dom  de,  Oceanien.    III.    S.  70,  142,  143. 

Rigby,  Med.  Times  and  Gaz.     1857.    Vol.  XV.    p.  345. 

Rigden,  Walter,  Transactions  of  the  obstetr.  Soc.  of  London  1870  und  1871.    XT. 
und  XII.   p.  243. 

Rigler,  Die  Türkei  und  ihre  Bewohner.    II.   Wien  1852. 

Rink,  siehe  Moreau. 

Rink,  Eskimoiske  Eventyrog  Sagn.     1886. 

Rique,  C,  £tudes  sur  la  mödicine  legale  chez  les  Arabes.    Gaz.  m^d.  de  Paris.   1868. 
No.  10.    p.  156  ff.  161. 

Rislej,  siehe  Lenz. 

Ritter,  H.,  Land  u.  Leute  im  russ.  Amerika.    Zeitschr.  f.  allgem.  Erdkunde.    Oct 
Nov.  1862.    S.  265. 

Roberjot,  A.,  Bulletin  de  la  Soc.  de  G^ogr.    Paris  1888.     lo  Trim.  p.  188. 

1.  Roberten,  Edinb.  med.  and  surg.  Joum.    Oct  1882,  July  1842. 

2.  Roberten,  John,  Edinburgh  med.  and  surg.  Joum.  1.  Juli  1843. 

3.  Roberten,  Edinburgh  med.  and  surg.  Joum.  vol.  64. 

4.  Roberten,  John,   Edinb.  med.  and  surg.  Joum.  1848.    p.  69. 

5.  Roberten,   Essay   and  Notes   on   the  physiology   and   diseases   of  women.   Lon- 
don 1851. 

6.  Roberten,  J.  N.,  ZeiUchr.  f.  Geburtsk.    Bd.  18.    S.  76. 
Roberts,  Reise  von  Delhi  nach  Bombay,  MüUer^s  Archiv.   1843.    S.  159. 

1.  Rochas,  V.,  Essai  sur  la  topogr.  m^d.  de  la  Nouvelle-Caledonie.    Paris  1860. 

2.  Rochas,  de,  Quadri  della  natura  umana  etc.    Milane.    Vol.  I,  p.  307. 

3.  Rochas,  Victor  de,  vergL  Ausland.    1862.  S.  1092. 
Rochebrune,   A.   Trömeau  de,  Revue  d' Anthropologie.    1881.    IV.  2. 


Yerzeichniss  der  benutzten  Schriftstoller.  699 

1«  Rochholz,  E.  L.,  Dentscher  Glaube  und  Branch  im  Spiegel  der  heidnischen  Vor- 
zeit.     Berlin  1867. 

2.  Bochholz,  Alemann.  Kinderspiel.    S.  354. 

Bodrignez,  Joao  Barboso,  Ezploracao  e  estudos  do  Yalle  do  Amazonas,  Relatario 
sobre  o  Rio  Yamund&.  Rio  de  Janeiro  1875.  —  Derselbe,  Antiguidades  do  Amazonas. 
Annas  e  instromentos  de  pedras.  Ens^jiosde  sciencia  por  diversos  amadores.  Rio  de 
Janeiro  1876. 

RoSr,  Das  Ausland.    1862.  No.  48.  S.  1021. 

1.  Rohlfs,  Erster  Aufenthalt  in  Marokko.    S.  56,  62. 

2.  Rohlfs,  Abessinien.    S.  105. 

S.  Rohlfs,  G.,  Beiträge  zur  Entdeckung  und  Erforschung  Afrikas.    S.  246. 

4.  Rohlfs,  G.,  Globus.    1875.  No.  18.  S.  185. 

Rose,yalentinu8,  Sorani, GynaeciorumTetustranslationuncprimumedita.  Leipzigl882. 

1.  Rosenbaum,  J.,  Analecta  quaedam  ad  Sectionis  caesareae  antiquitates.  Hai.  1886. 

2.  Rosen  bäum,  J.,  Geschichte  der  Lustseuche  im  Alterthume.  3.  Abdr.  Halle  1882. 
S.  372. 

Rosenberg,  ▼.,  Malayische  Archipel.    S.  212,  339,  455,  462. 

Roser,  siehe  Scherzer. 

Roskiewicz,  Job.,  Studien  über  Bosnien  und  die  Hercegovina.    Leipzig,  Brockhaus. 

Rossbach,  Die  römische  Ehe.    Stuttg.  1853.   S.  417. 

Ross,  Goz,  siehe  Tarrow. 

Roth,  Henry  Ling,  The  Natives  of  Sarawak  and  British  North  Bomeo,  based  chiefij 
on  the  M.  S.  S.  of  the  lato  Hugh  Brooke  Low  Sarawak  Government  Service.  London  1896. 
L  79,  80. 

Rothe,  Fritz,  Untorsuchungen  über  die  Behaarung  der  Frauen.  Inaugural-Dissertation« 
Berlin  1893. 

Ronsselot,  Ethnographie  de  THimalaya  occidentol  par  L.  K.  Maller*s  Natur.  1883. 
No.  23.  p.278. 

Rudolphi,  Karl  Asmund,  Grundriss  der  Physiologie.    Bd.  1.  S.  259.  Berlin  1828. 

1.  Rückert,  Friedrich,  Nal  und  Damajanti.    4.  Aufl.  Frankf.  a/M.  1862. 

2.  Rückert,  Friedrich,  Die  Verwandlungen  des  Abu  Said  von  Semg  oder  die  Makamen 
des  Hariri.    4.  Aufl.  Stuttgart  1864. 

1.  Rüdinger,  Vorläufige  Mittheilungen  über  die  Unterschiede  der  Grosshimwindungen 
nach  dem  Geschlecht  beim  Fötus  und  Neugeborenen  mit  Berücksichtigung  der  angeborenen 
Brachycephalie  und  Dolichocephalie.  Beitr&ge  zur  Anthropologie  und  Urgeschichte  Bayerns. 
Bd.  1.    München  1877. 

2.  Rüdinger,  Ueber  die  willkürlichen  Verunstaltungen  des  menschlichen  Körpers. 
Vortrag.  Mit  15  Holzschnitten.  Berlin  1874.  (Aus  Virchow-Holtzendorf  s  Sammlung  gemein- 
verstfindlicher  Vorträge.    Serie  IX.  Heft  215.) 

Ruef  f ,  Jac,  Ein  schön  lustig  Trostbüchle  von  den  Empfangknussen  und  geburton  der 
Menschen.    Zürich  1554.    4.  Buch.  1.  Gap. 

Rueff ,  Jacob,  Hebammen  Buch,  daraus  man  alle  Heimlichkeit  des  weiblichen  Geschlechts 
erlernen  u.  s.  w.    Frankfurt  a/M.   1581. 

Rüppell,  E.,  Reisen  in  Nubien,  Kordofahn  ete.    Frankfurt  a/M.  1829.  42. 

Rufus  von  Ephesus  edit.  Clinch.    London  1726.  Lib.  L  c.  13  u.  c«81,  87. 

Rühs,  siehe  Mountstuart. 

Rundschau,  Deutsche.    Berlin  1880.  Mai.  Heft  8.  S.  284. 

Runge,  Max,  Das  Weib  in  seiner  Geschlechtsindividualität.    Berlin  1896.    S.  26,  27. 

1.  Rusch,  Benj.,  Med.  inqu.  and  obs.    2.  Ed.    Philad.  1879.  I.  p.  33. 

2.  Rusch,  On  diseases  and  medicine  of  the  American  Indians. 

Ruska,  Julius,  Das  Steinbuch  aus  der  Eosmographie  der  Zakarijä  ihn  Muhammad 
ibn  Mahmud  al-Kazwlni.  Uebersetzt  und  mit  Anmerkungen  versehen  von  — .  Schul- 
programm der  Oberrealschule  in  Heidelberg  1896. 

Russegger,  Reisen  in  Europa,  Asien  und  Afrika  ete.    Stuttgart  1843. 

Russell,  The  natural  history  of  Aleppo.    London  1756. 

Russland,  Statistische  und  andere  wissenschaftliche  Mittheilungen  aus  — .  14.  Jahrg. 
St.  Petersburg  1881.    S.  71. 

Russie,  Description  ethnographiqne  des  peuples  de  la  — .   St  P^tersbourg  1862. 

Ruysch,  Fr.,  Ontleedkundige  Verhandelingen  over  de  viding  van  en  Spier  in  de  grond 
des  Baar-moeders.    t* Amsterdam  1725.    Streitschriften  hierüber  siehe  bei  Siebold. 


700  Anhang  4. 

Rybnikow,  Gesammelte  Volkslieder  (nus.).    Bd.  8. 

Ryder,  £.  Brainerd,  The  little  wiyes  of  India.    Melbourne  1892. 

S^achan,  Eduard,  Reise  in  Syrien  und  Mesopotamien.    Leipzig  1883. 

1.  Sachs'  Medic.  Almanach  t  d.  J.  1845.  S.  683. 

2.  Sachs,  Carl,  Aus  den  Llanos.    Leipsdg  1879. 

Sahagun,  Hist.  universal  de  las  cosas  de  N.  Espana,  in  Eingsborough,  Antiquitiet 
of  Mexico.  London  1881.  IV.  31,  und  Torquemada  in  Th.  Waitz,  Anthropologie  der  Natur- 
völker.   Leipzig  1854.  Th.  IV.   S.  133. 

Sandreczki,   C,  im  Ausland.    1876.  No.  18.  S.  248. 

Sammlung  histor.  Nachr.  über  mongolische  Völkerschaften.  S.  246. 

Sappey,  Ph.  C,  Trait^  d' Anatomie  descriptive.   Paris  1875.  III.  öd.   Tome  I.   p-  382. 

Sarasin,  Paul,  und  Fritz  Sara  sin,  Ergebnisse  naturwissenschaftlicher  FoFBchungen 
auf  Ceylon.  Dritter  Band:  Die  Weddas  von  Ceylon  und  die  sie  umgebenden  Völkerschaften, 
ein  Versuch,  die  in  der  Phylogenie  des  Menschen  ruhenden  R&thsel  der  Lösung  näher  zu 
bringen.    Wiesbaden  1892-<1893.   101. 

Sauer,  Martin,  Billing's  Ezped.     1802.  S.  161. 

Sayce,  A.  H.,  Alte  Denkmäler  im  Lichte  neuer  Forschungen.  Ein  Ueberblick  Gber 
die  durch  die  jüngsten  Entdeckungen  in  Aegypten,  Assyrien,  Babylonien,  Palästina  and  Klein- 
asien erhaltenen  Bestätigungen  biblischer  Thatsachen.  Deutsche  vom  Verfasser  revidirie  Aus- 
gabe.   Leipzig  (ohne  Jahr)  (1887). 

1.  Scanzoni,  F.  W.,  Lehrbuch  der  Geburtskunde    L   186.  Wien  1849. 

2.  Scanzoni,  F.W.  von,  Lehrbuch  der  Krankheiten  der  weiblichen  Sexnalorgana 
4,  Aufl.  Wien  1867.  I.  365. 

Schaa  ff  hausen  in  Joh.  Ranke,  Bericht  über  die  15.  allgemeine  Versammltmg  der 
deutschen  anthropologischen  Gesellschaft  zu  Breslau.  Correspondenzblatt  der  deutschen  Gesell- 
schaft; fOr  Anthropologie,  Ethnologie  und  Urgeschichte.    München  1884.    No.  9. 

Schadenberg,  Alex.,  Zeitschr.  f.  EthnoL    1880.   S.  135. 

Schanz,  Hugo,  Globus.    1885.  XLV.  S.  199. 

Sehe  de  1,  Jos.,  Phallus-Cultus  in  Japan.  Verhandlungen  der  Berliner  anthropologischen 
Gesellschaft.    Zeitschrift  für  Ethnologie.    Bd.  XXVIL  8.  (630).  Fig.  1.    Berlin  1895. 

1.  Scheffer,  Jo.,  et  Tom.  Muncker,  Hygin  fabul.  edit  Hamburg  et  Amstelod.  1674. 
CCLXX.  IV.  p.  201.  Edit.  Schmidt.  Jena  1872.  p.  149. 

2.  Schefferi,  Joannis  von  Strassburg,  Lappland,  das  ist:  Neue  und  wahrhaftige  Be- 
schreibung von  Lappland  und  dessen  Einwohnern,  worin  viel  bishero  nnbekandte  Sachen  von 
der  Lappen  AuskunfiPt,  Aberglauben,  Zauberkünsten,  Nahrung,  EHeidem,  Geschäften,  wie  auch 
von  den  Thieren  und  Metallen,  so  es  in  ihrem  Lande  giebet,  erz&hlet,  und  mit  unterschied- 
lichen Figuren  fOrgestellet  worden.    Frankfurt  am  Mayn  und  Leipzig  1675. 

S oberer,  Bilder  aus  dem  serbischen  Volks-  und  Familienleben.    Neusalz  1882.    S.  72. 

1.  Scherr,  Geschichte  der  deutschen  Frauenwelt.   Leipzig  1865.  S.  97. 

2.  Scherr,  Johannes,  Deutsche  Kultur-  und  Sittengeschichte.  Zweite  Auflage.  Leipzig 
1858.    S.  197. 

8.  Scherr,  Johannes,  Geschichte  der  deutschen  Frauen.    Leipzig  1860.  S.  208. 

1.  Scherzer,  C,  Wiener  med.  Zeitschr.   N.  F.  II.  4.   1860. 

2.  Scherzer  u.  Roser,  Zeitschr.  d.  kais.  kOnigl.  Ges.  derAerzte  zu  Wien.  1858.  No.  9. 

1.  Scheube,  H.,  Die  Frauen  des  18.  Jahrhunderts.     1.  Bd.   Berlin  1876. 

2.  Scheube,  H.,  Das  häusliche  Leben  in  Frankreich.  A.  d.  Engl.  Berlin  1876. 

3.  Scheube,  Mittheil.  d.  Gesellsch.  f.  Geburtsh.  zu  Leipzig.    1883. 

4.  Scheube,  Die  Ainos.  Yokohama  1882.  (Separ.-Abdr.,  in  Commission  bei  Lorenz  in 
Leipzig.)  S.  21. 

1.  Schief  ner,  A.,  Mahftkäig^ana  und  König  Tsanda-Pradjota.  Ein  Cyklus  buddhistiseher 
Erzfthlungen.  M^moires  de  TAcad^mie  imperiale  des  sciences  de  St  P^tersbourg.  VII  säiie, 
tome  XXn,  No.  7.  p.  VI.    St.  Pötersbourg  1875. 

2.  Schiefner,  Anton,  siehe  Ealewala. 
Schillbach,  R.,  Zeitschr.  f.  allgem.  Erdk.   XL    S.  127. 

Schindler,  A.  H.,  Reisen  in  Südwest-Persien  in  Eoner's  Zeitschrift    XIV.  1889. 

1.  Schlagintweit,  E.,  Der  spanisch-marokkanische  Krieg.  Leipzig  1863.   S.56. 

2.  Schlagintweit,  Emil,  Globus  1884.  XLV.  No.  6.  S.  88. 

3.  Schlagintweit,  Emil,  Deutsche  Revue  von  R.  Fleischer.  1884.  Jan.  L  S.  74. 

4.  Schlagintweit,  E.,  Globus  1877.    XVH.  S.  264. 


Yerzeichniss  der  benntzten  Schriftsteller.  701 

5.  ScHlagintweit,  Emil,  Die  Hindu- Wittwe  in  Indien.  Globus.  Bd.  XLIU.  Braun- 
schweig 1883.   S.  246. 

Schlegel,  G.,  A  Canton  Flower-boat.  Internationales  Archiv  f.  Ethnographie.  Bd.YII. 
Tal  1.   Leiden  1894. 

Schleicher,  Yolksthflmliches  ans  Sonneberg.    S.  134. 

Schleiermacher,  üebersetzung  von  Plato's  Werken.    1805. 

Schliemann,  Heinrich,  Ilios,  Stadt  und  Land  der  Trojaner.  Forschungen  und  Ent- 
deckungen in  der  Troas  und  besonders  auf  der  Baustelle  von  Troja.    Leipzig  1881..  S.  259, 365. 

1.  Schliephake,  F.,  Ueber  pathologische  Beckenformen  beim  Fötus.  Diss.  Leipzig 
1882.    S.  21. 

2.  Schliephake,  Hermann,  In  der  arktischen  Zone.  Westermann's  Monatshefte.  Bd. 
^8.    Braunschweig  1885.    S.  118  ff. 

Schloemann,  Berl.  Mis8.-Ber.    1885.   No.  28,  24.    S.  417,  418. 

Schloesser,  siehe  Giles. 

Schmarda,  L.  H.,  Reise  um  die  Erde.    1861.    S.  462. 

1.  Schmidt,  Karl,  Oberlandgerichtsrath  zu  Colmar  i.  E.,  Jus  primae  noctis.  Eine  ge- 
schichtliche Untersuchung.  (XLIIL  397  S.)  Freiburg  i.  Br:  1881.  —  Derselbe,  Der  Streit 
-über  das  Jus  primae  noctis  in  Zeitschr.  f.  Ethnol.    XYI.    1884.    S.  18. 

2.  Sc"hmidt,  B.,  Das  Volksleben  der  Neugriechen  und  des  hellen.  Alterthums.  Leipzig 
1871.    S.  218. 

8.  Schmidt,  H.,  in  Benberg.    Globus  1865.    S.  381. 

4.  Schmidt,  F.,  Sitten  und  Gebr.  in  Thüringen.    S.  78. 

5.  Schmidt,  Aug.,  Aerztl.  bayer.  Intelligenz-Blatt.    1860.    S.  362. 

6.  Schmidt,  J.  B.,  Bavaria.    1886.    lY.    1. 

Schmitt,  W.  J.,  Gesammelte  obstetr.  Schriften.     Wien  1820.    S.  349. 
Schmitz,  0.,  Archiv  f.  Anthrop.    HL    1869.    S.  337. 

Schneegans,  August,  Sicilien.    Bilder  aus  Natur,  Geschichte  u.  Leben.    Leipzig  1887. 
Schönherr,  D.,  Aus  dem  Leben  Christof  Reiferes  von  Altspaur  und  seiner  Gattin  Ur- 
sula Eünigl  V.  £hr«nberg.    Innsbruck  1882. 

1.  Schomburgk,  0.  A.,  Robert  Hermann  Schomburgk's  Reisen  in  Guyana  und  am 
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2.  Schomburgk,  Reisen  in  British-Guyana.  Leipzig  1847.   L  166,168.   IL  S.  315,  316. 
Schoolcraft,  Henry  R.,  Historical  and  Statistical  Information  respecting  the  history, 

condition  and  prospects  of  the  Indian  Tribes  of  the  United  States.  (Ethnological  researches 
respecting  the  Red  Man  of  Amerika.)    Philadelphia.    1851—1855. 

Schopenhauer,  Arthur,  Parerga  und  Paralipomena.  2.  Aufl.  Herausgegeben  von 
Frauenstädt.    H.  Bd.    Berlin  1862.    S.  647. 

Schora-Bekmursin-Nogmow,  Die  Sagen  ui^d  Lieder  des  Tscherkessen-Yolks,  be- 
arbeitet von  Adolf  Berg^.    Leipzig  1866.    S.  17. 

Schrader,  0.,  Sprachvergleichung  und  Uigesohichte.    Jena  1883.    S.  884. 

Schraube,  Monatsbl.  für  medic.  Statistik  und  öffentliche  Gesundheitspflege.  1864. 
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Schreber,  Kallipädie  oder  Erziehung  zur  Schönheit.    Leipzig  1858.    2.  Aufl.    1883. 

Schrenck,  v.,  Studien  über  Schwangerschaft,  Geburt  und  Wochenbett  bei  derEhstin. 
Dorpat  1880. 

1.  Schroeder,  Karl,  Lehrbuch  der  Geburtskunde  mit  Einschluss  der  Pathologie  der 
Schwangerschaft  und  des  Wochenbettes.    Bonn  1886. 

2.  Schroeder,  Karl,  Aus  den  Sitzungsberichten  der  physikal.-medic.  Societät  zu  Er- 
langen V.  13.  Novbr.  1871. 

Schröter,  Paul,  Diss.  Anthr .  Untersuchungen  a.  Becken  lebender  Menschen.  Dorpat  1 884. 
Schroff,  Medic.  Jahrb.  d.  k.  k.  Gesellsch.  der  Aerzte  zu  Wien.    1862.    I. 
Schutt,  Otto,  Die  Natur.    1881.    S.  317. 
Schulenburg,  Wilibald  v..  Wendisches  Yolksthum.    Berlin  1882. 

1.  Schultz,  Alwin,  Deutsches  Leben  im  14.  und  15.  Jahrhundert.  Grosse  Ausgabe. 
Prag,  Wien,  Leipzig  1892.    S.  68,  69. 

2.  Schultz,  Alwin,  Das  höfische  Leben  zur  Zeit  der  Minnes&nger.    Leipzig  1879.  I.   111. 
Schulze,  Capit&n,  Zeitschr.  f.  Ethnol.     Bd.  IX.    1877.    Bericht   der   Berl.    anthropol. 

Xjesellschaft.    S.  121. 

Schulze,  A.,  siehe  Tscheng. 

Schumann,  Die  Sexualproportion  der  Geborenen.    Oldenburg  1883. 


702  Anhang  4. 

1.  Schnrig,  M.,  Parthenologia  historico-medica.    Dresd.  et  Lips.    1792.   p.  22Bff. 

2.  Scburig,  Martin,  Muliebria  bistorica-medica  Hoc  est  partinm  genitalinin  mnliebriiiiri 
consideratio  pbysico-medico-forensis.    Dresd.  et  Lips.  1729. 

Scbartz,  Heinricb,  Grundzflge  einer  Pbilosopbie  der  Tracbt  (mit  besonderer  Berück- 
sicbtigung  der  Negertracbten).    Stuttgart  1890.    (Gitirt  von  H.  v.  d.  Steinen.) 

Scbnver,  Job.  Maria,  Reisen  im  oberen  Nilgebiet,  Petermann's  Mittbeil.,  Ergftngnings- 
heft  No.  72.    1883.    S.  26,  32. 

Scbwab,  Jobann  Joacbim,  siebe  Hede  rieb. 

1.  Scbwarz,  Bembard,yerbandl.d.Ge8eU8cb.  f.  Erdkunde  z.  Berlin.  X.4.   1883.    S.  229. 

2.  Scbwarz,  Monatsscbr.  f.  Geburtsb.    Bd.  8.    S.  112. 

8.  Schwarz,  Monatsscbr.  f.  Geburtsk.    1862.    18.  Bd.    Supplement. 

4.  Scbwarz,  Reise  der  Fregatte  Novara.     1861.    1.  Bd.    S.  267. 

Scbwartz,  W.,  Indogermanischer  Volksglaube.    Berlin  1885.    S.  55. 

Schwartzenberg,  J.  v.,  Officia  M.  T.  C,  Ein  Buch,  So  Marcus  Tullius  Cicero,  der 
Römer,  zu  seynem  Sune  Marco,  Von  den  tugentsamen  ämptem,  vnd  zu  gebOrungen,  ejnea  wol 
vnd  rechtlebenden  Menseben,  in  Latein  geschrieben  u.  s.  w.  Franckfurt  am  Mejn  (Chrisixan 
Egenolpb),  1581.    Bl.  XXXb. 

Schweiger-Lercbenfeld,  Amand  Freiherr  von.  Das  Frauenleben  der  Erde.  Wien^ 
Pest,  Leipzig  1881.    S.  512,  587. 

1.  Schweinfurth,  Georg,  The  beart  of  Afnca.    London  1874. 

2.  Schweinfurth,  Georg,  Artes  Africanae.  Abbildungen  und  Beschreibungen  von 
Erzeugnissen  des  Kunstfleisses  centralafrikaniscber  Völker.    Leipzig  und  London  1875. 

3.  Schweinfurth,  Im  Herzen  von  Afrika.    I.    S.  881. 

4.  Schweinfurth  und  Ratzel,  Emin  Pascha.     1888.    S.  886. 

Scott,  James  George,  Land  und  Leute  auf  Hainan.  Deutsch  v.  W.  Rudow.  Fulda. 
Ilfeld  a.  Harz.    S.  15,  16. 

Searanke,  W.  N.,  Hooker  in  Joum.  of  the  Ethnol.  Soc.    1869.    April,    p.  68. 

Seemann,  £.  A.,  Eunstbistorische  Bilderbogen.  Zweite  Hälfte.  No.  201.  8.  No.  202. 
4.    No.  212.  3.    Leipzig  1877. 

Seitz,  Trost  der  Armen.    NOmberg  1746. 

S  e  1  e  n  k  a ,  Emil  und  Lenore,  Sonnige  Welten.  Ostasiatische  Reiseskizzen.  Wiesbaden  1 896. 

Seier,  Ed.,  Altmezikanische  Studien.  Veröffentlichungen  aus  dem  E!gl.  Museum  f&r 
Völkerkunde.    Band  L    Heft  4.    S.  165. 

Seligmann,  Jahresbericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  der  gesammten  Me- 
dicin  von  Virchow  und  Hirsch  f.  d.  J.  1878.     1.  Bd.    S.  377. 

Sepp,  Altbayerischer  Sagenschatz  zur  Bereicherung  der  indogermanischen  Mythologie. 
München  1876. 

Serena,  Mad.  C,  Aus  allen  Welttheilen.     1884.    XVI.    1.     S.  6. 

Serge,  siebe  Lombroso. 

Sermon,  William,  The  Ladies  Companion,  or  the  English  Midwife.    London  1671. 

1.  Seydlitz,  N.  v.,  in  Tiflis;  Ausland  1882.    No.  37.     S.  711. 

2.  Seydlitz,  Nicolai  v.,  Petermann's  geograph.  Mittheilungen.    1863.  V.    S.  172. 

1.  Shortt,  Edinb.  med.  Journ.     1864.    Dec.    p.  454. 

2.  Shortt,  The  Bayad^re;  or,  Dancing  girls  of  Southern  India.  Memoirs  read  before 
the  Antbropological  Society  of  London.    1867—69.    Vol.  IIL    London  1870. 

3.  Shortt,  J.,  On  criminal  Abortion  in  India.  Transact.  of  the  obstetrical.  Soc.  IX.  6. 
6.    London  1868. 

1.  Siebold,  Ph.  Fr.  v.,  Beantwortung  einiger  Fragen  über  die  japanische  Gebnrtsbülfe 
durch  meinen  Schüler  Mimazunza,  Arzt  zu  Nagasaki.  In  A.  El.  v.  Siebold's  Joum.  für 
Geburtob.    Frankfurt  a/M.  1826.    VI.    Heft  3.    S.  687. 

2.  Siebold,  Ed.  Casp.  Jac.  v..  Versuch  einer  Geschichte  der  Geburtsb.  L    S.  241—802, 

3.  Siebold,  Heinrich  v.,  Ethnologische  Studien  über  die  Aino  auf  der  Insel  Yesso. 
Zeitschr.  f.  Ethnol.    1881.    Supplement  S.  82. 

Siebert,  siehe  Tylor. 

Siegemundin,  Justine,  Die  Chur  -  Brandenburgische  Hoff -Wehe  -  Mutter,  das  ist:  ein 
höchst  nöthiger  Unterricht  von  schweren  und  unrechtstehenden  Geburten  etc.    Goelln  1690. 

Simoneit,  Einige  Rechtsbestimmungen  der  Battas  auf  Sumatra.  Bericht  der  Bh^* 
nischen  Missions-Gesellscbaft.    Jahrgang  87.    Barmen  1880.    S.  238  ff. 

Simpson,  Ueber.das  Geschlecht  des  Kindes  als  Ursache  von  Schwierigkeit  und  Gefahr 
beim  menschlichen  GebBract.    Philosoph.  Transact.    Vol.  76.    II.  349. 


Yerzeichniss  der  benutzten  Schriftsteller,  708 

Simpson,  A.  R.,  On  a  delivery-pan  in  use  at  the  present  time  in  Spain.  Edinburgh 
Medical  Journal.    Vol.  XL.    Part.  IL    p.  771—778.    1895. 

1.  Simrock,  E.,  Handb.  der  deutschen  Mythologie.    Bonn  1858.    S.  878. 

2.  Simrock,  siehe  Gottfried. 

8.  Simrock,   Karl,   Die  Edda,   die  Altere  und  jüngere,  nebst  den  mythischen  Erzäh- 
lungen der  Skalda,  übersetzt  und  mit  Erläuterungen  begleitet  t.  — .    8.  Aufl.    Stuttgart  1864. 
Sintaram,  y.,  Sukthankar,  siehe  Hirtikar. 

Skoda,   Sitzungsbericht  der  Wiener  Ak.  d.  Wiss.    Bd.  44.     II.  Abth.    1861.    S.  596. 
Smellie,  A  Treatise  on  the  theory  and  pract.  of  midwif.    London  1752.    p.  178. 

1.  Smith,  Ch.  Ed.,  Edinb.  med.  Journal.    1868.    März.    p.  858. 

2.  Smith,  G.,  Edinb.  med.  Joum.    1861.    Sept.    No.  LXXV.    p.  810. 

8.  Smith,  J.  F.,  Voyages  dans  les  Etats-unis  de  TAm^rique,  faits  en  1784.  Trad.  de 
TAngl.  par  M.  de  B.    Paris  1791.    Bd.  1.    p.  94. 

Snouck  Hurgronje  (Leiden),  lieber  seine  Reise  nach  Mekka.  YerhandL  d.  Ges.  f. 
Erdkunde  in  Berlin.    1887. 

1.  Sümmering,  S.  Th.,  Körperliche  Verschiedenheit  des  Negers  vom  Europäer. 
Frankfurt  und  Mainz  1785. 

2.  Sömmering,  üeber  die  Schädlichkeit  der  Schnürbrüste.    Leipzig  1788. 

8.  Sömmering,  üeber  die  Wirkung  der  Schnürbrüate.  Mit  einer  Tafel  und  sechs 
Seiten  älterer  Literatur.    Berlin  1798. 

Sograf,  N.  J.,  Archiv  f.  Anthrop.     1882.    XIV.    S.  298. 

So  hm,  R.,  Deutsche  Rundschau.    1878.    Heft  4.    S.  92. 

Solayr^s  de  Renhac,  De  partu  virib.  matemis  absoluto.    Paris  1771.    p«  8. 

Solingen,  Gom.  yan,  Handgriffe  der  Wundartznei  nebst  dem  Ampt  und  Pflicht  der 
Wehemütter.    Frankfurt  a.  d.  Oder  1698. 

Sonnini  in  Moreau's  Naturgesch.  des  Weibes  von  Ringk.     1810.    II.    S.  194,  199. 

Sonntag,  Waldemar,  Die  Todtenbestattung.  Todtencultus  alter  und  neuerer  Zeit  und 
die  Begräbnissfrage.    Halle  1878. 

1.  Sorani  Ephesii  Liber  de  muliebribus  affectionibus  Ed.  F.  C.  Ermerins  1869,  cap.  14. 

2.  Soranus  Ephes.,  IIbqI  (n]TQag  %al  ywatxslov  alSolov;  ein  Fragment.  Edit.  Pinoff. 
p.  10  und  11.    Edit  Ermerins.    p.  11. 

Soravia,  Roberto,  siehe  Bastanzi. 

Sormani,  Giomale  di  Medicina  militare  1870;  La  feconditä  et  la  mortalitä  umana  in 
rapporto  alle  stagioni  et  ai  clima  d*Italia. 

Soyauz,  Hermann,  Aus  West- Afrika.  1878—1876.  Erlebnisse  und  Beobachtungen. 
Leipzig  1879. 

1.  Spangenberg,  Ehespiegel  oder  LXX  Brautpredigten.    Strassb.  1578. 

2.  Spangenberg  im  neuen  Archiv  des  Kan.  Rechts.    Halle  1818.    S.  8,  82, 
Spencer,  St.  John,  Das  Ausland.    1862.    No.  81.    S.  727. 

Sperling,  E.,  Zeitschr.  f.  allgem.  Erdkunde.    1864.    Bd.  16.    S.  28. 
Spiegel,  F.,  Das  Ausland.    1864.    No.  16.     1865.    No.  11.    S.  248. 
Spielhagen,  siehe  Michelet. 

Spinner,   J.,   Volksglaube.    Lilith  und  ihr  Gefolge.    Am  Ur-Quell.    Monatsschrift  für 
Volkskunde.    Bd.  2.    Heft  7.    S.  144  ff:    Lunden  in  Holstein  1891. 
Spitzer,  Joh.,  Teufelsbündler.    Leipzig  1871.    S.  118. 
Spix  und  V.  Martius,  Reise  nach  Brasilien. 
Sprengel,  siehe  Degrandpr^. 
Spring,  Joh.  A,  Globus  1885.    XLVHL    No.  11.    S.  171. 

1.  Sproat,  Malcolm,  Scenes  and  studies  etc.    London  1868. 

2.  Sproat,  siehe  Boas. 

Stammler  etc.  Präsid.  von  Ritgen,  Geschichte  der  Forsch,  über  den  Geburtsmecha- 
nismus.    1.  Bd.    Giessen  1857.    S.  1. 

1.  Starke,  W.,  Verbrechen  und  Verbrecher  in  Preussen  1854—1878.  Eine  culturhisto- 
rische  Studie.    Berlin  1884.    S.  204. 

2.  Starke,  Deutsche  Vierteljahrsschr.  für  öffentliche  Gesundheitspflege.  IV.  1872. 
3.  Heft.    S.  454. 

Staunton,  G.,  IL  p.  586. 

Stedtmann,  J.  G.,  Voy.äSurinam.  etc.  Trad.  de  TAngL  par  P.F.Henry.  Paris.  An  VE. 

1.  Stein,  Lorenz  von,  Die  Frau  auf  dem  Gebiete  der  Nationalökonomie.  4.  Auflage. 
Stuttgart  1876.    S.  2. 

2.  Stein,  G.  W.,  Der  Unterschied  zwischen  Mensch  und  Thier  im  Gebären.    Bonn  1820. 


704  Anhang  4. 

1.  Steinen,  Karl  von  den,  Die  Philosophie  der  Tracht  von  Heinrich  Scharte  and  die 
Entstehung  des  Schamgefühls.    Ausland  1891.    No.  16. 

2.  Steinen,  Karl  von  den,  Unter  den  Naturvölkern  Gentral-Brasiliens.  Beiseschildenm^ 
und  Ergebnisse  der  zweiten  Schingü-Ezpedition  1887—1888.    Berlin  1894. 

1.  Steller,  6.  W.,  Beschreibung  über  Kamtschatka.    Frankfurt  und  Leipzig  1774. 

2.  Stell  er,  in  Allg.  Historie  der  Reisen  zu  Wasser  und  zu  Lande.   XX.    1771.    S.  299. 

3.  Steller,  Georg  Wilhelm,  Beschreibung  von  dem  Lande  Kamtschatka,  desMin  Ein- 
wohnem,  deren  Sitten,  Namen,  Lebensart  und  verschiedenen  Gewohnheiten;  heraosge^bei: 
von  J.  B.  S.    Frankfurt  und  Leipzig  1774. 

Sten zier,  Indische  Hausregeln.    Sanskrit  und  Deutsch.   Leipzig.   2.  Heft    1878.    S.  29. 
Stern,  siehe  Palma  di  Cesnole. 

Sterne,  Garns,  Mythologie  und  Entwickelungslehre.  12.  Die  Amazonensagen.  Sonn- 
tags-Beilage  No.  10  zur  Yossischen  Zeitung  1887. 

Stevens,  siehe  Bartels^  und  Grünwedel^. 

1.  St  ratz  (Batavia),  Die  gynäkologische  Untersuchung  von  1000  javanischen  Franea. 
Nederl.  tijdschrift  v.  Yerlosk.  en  GynftkoL  1890.  UI.  Referat  von  Schmal  im  Centralbl.  t 
Gynäkologie.    No.  39.    1891. 

2.  Stratz,  G.  H.,  Die  Raute  von  Michaelis.    Separat- Abdruck. 

Stimmer,  Tobias  (geb.  1584),  Die  Lebensstnfen  des  Weibes.  (Holzschnitt.)  Georg 
Hirth,  Gultufgeschichtliches  Bilderbuch  aus  drei  Jahrhunderten.  Band  8.  Lieferung  28u 
No.  1869—1378. 

Stimm ing,  siehe  Voss. 

Stocker,  Otto,  in  Luzem,  Ck)rre8p.-Blatt  für  Schweizer  Aerzte.    No.  9.    8.  262. 

Stober,  Elsassische  Sagen.     No.  83. 

Stober  u.  Tourdes,  Topogr.  et  bist,  mödic.  de  Strasbourg.  Paris  et  Strasbourg 
1864.    p.  266. 

1.  Stoll,  0.,  Zur  Ethnographie  der  Republik  Guatemala.    Zürich  1884.    S.  32  ff. 

2.  Stoll,  Otto,  Die  Ethnologie  der  Indianerstämme  von  Guatemala.    Leiden  1889. 
Strabo,  Geogr.  L.  XVIL  c.  II.  §  5  ed.  Siebenkees. 

Strauch,   Anatomische  Untersuchungen   über   das  Brustbein  des  Menschen  unter  be- 
sonderer Berücksichtigung  der  Geschlechtsverschiedenheiten.    Dorpat  1881. 
Strausz,  Bosnien,  Land  und  Leute.    Wien  1882.    I.  Band.    S.  334. 

1.  Stricker,  W.,  Studien  über  d.  Abortus  u.  seine  Bedeutung  f.  d.  BevOlkerungszuniümie. 

2.  Stricker,  W.,  in  Virchow's  Archiv.    62.  Bd.    2.  Heft    1877. 

3.  Stricker,  Wilhelm,  Ethnographische  Untersuchungen  über  die  kriegerischen  Weiber 
(Amazonen)  der  alten  und  neuen  Welt.  Arch.  f.  Anthropologie.  Bd.  Y.  Braunechweig  1872. 
S.  220  ff.    451. 

Struve,  Bernhard  von,  Ausland  1880.    S.  777. 

Stücker,  H.,  Sitten-  und  Gharakterbilder  a.  d.  Türkei  u.  Tscherkessien.    Berlin  1861. 

Stuhlmann,  Franz,  Mit  Emin  Pascha  ins  Herz  von  Afrika.    Berlin  1894. 

Stumpff,  Gemeiner  loblicher  Eydgenossenschafft  Stetten,  Landen,  VOlckeren  Ghronick 

wirdiger   thaaten    beschreybung durch   Johann    Stumpffen   beschrieben*     Zürych 

(Ghristoffel  Froschouer)  1548. 

Suchier,  in  Sebold's  Joum.    XIY.    Heft  2. 

Sullies,  Ueber  die  Zeit  des  Eintritts  der  Menstruation,  Inaugural-Dissertation.  Königs- 
berg 1886.    (Gentralblatt  für  Gynäkologie.    Leipzig  1887.    S.  608.    Dührssen.) 

Sumzow,  R.,  Joum.  des  Minist,  der  Volksaufklärung.  1890.  Nov.  112.  S.  68.  Globas 
1882.    Bd.  XLH.    No.  22.    S.  348. 

Suse  wind,  in  Braunfels,  Gasper's  Wochenschr.  1883.    S.  280. 

Susrutas  Ayurvedas.    Edit.  Hessler  II. 

Swan,  James  G.,  Tattoo  marks  of  the  Haida  Indians  of  Queen  Gharlotte  Islands  B.  C. 
and  the  Prince  of  Wales  Archipelago,  Alaska.  Fourth  Annual  Report  of  the  Bureau  of 
Ethnology  etc.  1882—1888.    Washington  1886.    p.  66  ff. 

Szirmay,  Topogr.  d.  Zempliner  Gomitats.    S.  298. 

Szukits.  F.,  Wien.  Zeitschr.  XIIL    1857.    S.  509. 

1.  Tacitus,  Germania  19. 

2.  Tacitus,  Annalen.    IH.    62. 

Tardieu,Annal.dVgi^n« public.  1864.  I.Heft.  Vergl.  Schmidt's  Jahrb.  Bd.XCffl.  S.95. 
1855.    56. 


Yeczeichmss  der  benutzten  Schriftsteller.  705 

1 .  T  am  0  w  8  ky ,  Rm  Die  krankliaften  Erscheinungen  des  G^chlechtssinnes.  Eine  forensisch- 
psychiatrische Studie.    Berlin  1886. 

2.  Tarnowsky,  Benjamin,  Briefe  über  Prostitution  und  Abolitionismus.  W.  Zülzer's 
Internationales  Centralblatt  für  Physiologie  und  Pathologie  der  Harn-  und  Sexual-Organe. 
Bd.  IL    Hamburg  u.  Leipzig  1890. 

8.  Tarnowsky,  Pauline,  Etudes  anthropom^trique  sur  les  prostitu^es  et  les  voleuses. 
Paris  1889. 

1.  Tavernier,  Voyage  en  Perse.    Liv.  4.    M.  8. 

2.  Tayernier,  Voyages,  Bouen  1713.    Tome  HI.  p.  180.    siehe  Eble. 

Ten  gl  er,  Udalricus,  Der  neu  Layenspiegel.  Von  rechtmässigen  Ordnungen  in  Bürger- 
lichen vnd  peinlichen  Regimenten  (u.  s.  w.)  Yolbracht  ist  also  seligkliche  diser  neur  Layen- 
spiegel mit  seinen  Addition,  In  der  Kaiserlichen  statt  Augspurg  des  lands  Swaben,  von 
maister  Hansen  Otmar  buchtrucker,  Durch  Verordnung  vn  kosten  des  fürsichtigen  herh 
Johan  Ryhmann  von  Otingen,  Teutscher  Nacion  namhafftigsten  Buchfürers,  vnd  vollendet 
in  vigilia  Natiuitatis  Christi  Anno  1512. 

Tereschepsko,  Leben  des  russischen  Volkes.    B.  IL    (Russ.) 

Tertullianus,  De  animal.    25. 

Tertre,  Du,  Bist.  nat.  des  Antilles,  trait^  YIL    eh.  1.    §  4. 

Tezier,  Yoyages  dans  les  ^tats  Musulmans.    1887. 

Thamhayn,  Oskar,  siehe  Erichsen. 

Theodat,  Gabriel  Sagard,  Le  grand  voyage  au  pays  des  Huros  etc.  Paris  1682.  p.  167. 

Theokrit,  XVIL    60. 

Thesaurus  anecdotorum  tom.  IV.  Collectio  antiqua  canonum  poenitentialium.    p.  52. 

Theuriet,  Andr4,  La  po^sie  populaire  et  la  vie  rustique.    Paris  1878. 

Thevet,  Cosmogr.  univers.    Paris  1575.    Tome  H. 
i  Thiem,   Ueber  Verrenkungen  des  Unterkiefers  nach  hinten.    Verhandl.  der  deutschen 

I  Gesellschaft  fiir  Chirurgie.    VH.  Congress.    Berlin  1888.    S.  80. 

I  Thierry  de  Niem,  Nemoris  unionis  tractatus. 

I  Thiers,   Trait^   des   superstitions  etc.    I.  part.,  Liv.  IV.  chap.  I.  et  liv.  V.  chap.  IV. 

edit.  de  1777.    T.  I.    p.  239,  883. 
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2.  Thomson,  J.,  Vierteljahrsschr.  f.  gerichtl.  Med.    1864.    L    2.  Okt.    S.  315. 

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Tiziano,  siehe  Levelin g. 

Tobler,  Titus,  Schweizer.  Zeitschr.  f.  Natur-  u.  Heilkunde.    1889.    Hl  1.    S.  839. 

Toeppen,  M.,  Aberglauben  aus  Masuren  mit  einem  Anhange,  enthaltend  Masurische 
Sagen  und  Märchen.    Danzig  1867. 

1.  Topinard,  Anthrop.  Paris.    S.  378. 

2.  Topinard,  Paul,  Elements  d' Anthropologie  g^n^rale.    Paris  1885. 

8.  Topinard,  Paul,  La  steatopygie  des  Hottentottes  du  jardin  d'Acclimatation.  Revue 
d*Anthropologie,  18  ann^e,  8  s^rie,  tome  IV.    1889. 

Tourdes,  siehe  StÖber. 

Treutier,  Paul,  Fün^Behn  Jahre  in  Südamerika  etc.  Bd.  1.  Leipzig  1882.  S.  19, 
20.    n.  66. 

1.  Trotulae,  Curandorum  aegritudinum  muliebmm  ante,  in  et  post  partum  Liber. 
Venet.  1547. 

FloBs-BartelB,  Das  Wdb.    5.  Aufl.    II.  45 


706  Anhang  4. 

2.  Trotulae^  Erotis  medici  liberti  Jul.  muliebrium  Liber  Cap.  XX,  in  J.  Spachii 
Gynaecia.    Argent.  1597.    p.  50. 

Truhelka,  Giro,  Die  Tättowirang  bei  den  Katholiken  Bosniens  und  der  HercegOTina. 
Wissenschaftliche  Mittheilungen  aus  Bosnien  und  der  Hercegovina.  Herausgee^eben  vom 
Bosnisch -HercegoviniBchen  Landesmuseum  in  Sarajevo.  Bed.  t.  M.  Hoernes.  Band  IV. 
S.  493—508.    Wien  1896. 

Trusen,  Die  Sitten,  Gebräuche  u.  Krankheiten  d.  alten  Hebräer.    S.  16. 

Tscheng  Ki  Tong,   China  u.  d.  Chinesen.    Uebers.  v.  A.  Schulze.    Leipzig   1875. 

T 8 chemisch eff,  N.  N.  (St.  Petersburg),  Ehelicher  Communismus  bei  den  alten  Slaven. 
Zeitschr.  f.  Ethnologie.    Jahrg.  XIX.    Yerhd.  d.  BerL  anthr.  Ges.    S.  375.    Berlin  1887. 

Tschubinski,  Arbeiten  der  ethnogr.-statist.  Expedition  im  südruss.  Gebiete;  sfid- 
westl.  Sect    Bd.  VI.    S.  86  (russ.). 

Tschudi,  J.  J.  T.,  Culturhistorische  und  sprachliche  Beiträge  zur  Kenntniss  des  alten 
Peru.  Denkschriften  der  Kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien.  PhiL  histor.  Clasae. 
Bd.  XXXIX.    Wien  1891.    S.  214. 

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2.  Turner,  S.,  siehe  Yarrow. 

3.  Turner,  Missionar,  Reise  der  Novara.    Anthropol.  Th.  3.  Abth.   Wien  1869.     40. 

1.  Tylor,  E.  B.,  Researches  into  the  early  histoiy  of  mankind.    p.  294.   London  1865. 

2.  Tylor,  Edw.  B.,  Einleitung  in  das  Studium  der  Anthropologie  und  CiTiliaation. 
Deutsch  von  Siebert.    Braunschweig  1883.    S.  64,  153. 

Ucke,  Julius,  Das  Klima  und  die  Krankheiten  der  Stadt  Samara.    Berlin  1863.  S.  252. 

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2.  üjfalvy,  V.,  Globus  1884.     XLV.    No.  18.    S.  274. 

ünzer,  J.  Chr.,  Diss.,  Cur  feminis  europaeis  et  illustribus  prae  aliis  gentibus  rusticis 
partus  sint  laboriosiores?    Göttingen  1771. 

ülpianus,  Dom.,  Fragm.  etc.  edit.    Ed.  Böcking,  Bonnae  1836.    p.  21.  Titel  V.  §  2. 
Urdsbrunnen,  Am,  Frau  Hollenteich  auf  Amrun.    Bd.  6.     1888 — 89.     15. 

1.  d*ürville,  Dumond,  Yoyage  au  Pole  Sud.    Paris  1841.    Zool.  253. 

2.  D*Urville,  Voy.  de  TAstrolabe.    Paris  1830.    p.  31. 

Uslar,  V.,  in  v.  Siebold.    Versuch  einer  Geschichte  der  Geburtskunde,    I.    S.  52. 

1.  Taillant,  Le,  Voyage  dans  Tint^rieur  de  TAfrique.    Tome  II.    p.  7. 

2.  Vaillant,  Le,  Reisen  im  Innern  von  Afrika,  deutsch.  Weimar.  2.  Aufl.  II. 
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1.  Vamb^ry,  Hermann,  Das  Türkenvolk  in  seinen  ethnologischen  und  ethnographischen 
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2.  Vamböry,  Sittenbilder.    S.  21. 

3.  Vamb^ry,  Westerm.  illustr.  Monatsh.  1879.    April.    S.  106. 
Varigny,  De,  Quatorze  ans  aux  lies  Sandwich.    S.  159. 

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Paris  1891. 

Vecellio,  Cesare,  Habiti  antichi  et  modemi  di  tutto  il  Mondo.    In  Venetia  s.  a.(1589). 

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Veigl,  Franz  Xaver,  Gründl.  Nachr.  über  die  Verfassung  der  Landschaft  von  Maynas 
in  Südamerika  b.  z.  J.  1768.    Nürnberg  1798.    S.  67,  71. 

Veit,  Geburtehülfl.  Monatsschr.  1855.    VL  2.    S.  104. 

Vel,  Saint,  Maladies  des  r^g.  trop.    p.  104. 

Velde,  V.  d.,  siehe  Darwin2. 

Vendidad.    Farg.  XV.    Bd.  2.    S.  36.    XXL    831.    Boumouf,  Comment.    S.  293,  375. 

1.  Verneau,  Le  bassin  dans  les  sexes  et  races.    Paris  1875. 

2.  Verneau,  R.,  Les  Races  humaines.    Paris  1891. 

1.  Verrier,  Images  japonnaises.  Bulletins  de  la  Soci^t^  d' Anthropologie  de  Paris. 
Tome  IX.    in*me  görie.    Ann^e  1886.    Paris  1886.    p.  671. 


Yerzeichniss  der  benutzten  Schriftsteller.  707 

2.  Yerrier,  M.,  Lit.  d*abord  une  relation  de  Tarriv^e  des  ambassadenrs  japonnais  ä 
Rome,  en  1586.  —  Recueillie  par  Guido  Guelteri,  de  Yenise,  extrait  d'une  plaquette  fort 
rare  et  du  plus  vif  int^rgt  signal^e  au  doctenr  Yerrier  par  Ph.  Burty.    in-12.    p.  9. 

Yesalius,  Andreas,  siehe  Leveling. 

Yeth,  P.  J.,  siehe  van  Hasselt,  A.  L. 

Yezosii,  Aemelii  —  Medici,  et  Philosoph!  Arretini  Gynaecyeseos  sire  de  mulierum 
conceptu,  geetatione,  ac  partu.  Libri  Tres.  Cum  argumentis  in  sing^los  libros  An  ton  11 
Blondii  Arretini.    Yenetiis  1598. 

1.  Yiehe,  Missionar  G.,  im  Globus  XLY.  24.    S.  375. 

2.  Yiehe,  Einige  Gebräuche  der  Ovaherero  nach  der  Geburt  eines  Kindes.  Berichte 
der  Rheinischen  Missions-Gesellschaft.    Barmen  1879.    S.  872  ff. 

Yillard,  L.,  Etüde  sur  la  litt^rature  Annamite.  (Cochinchina  Fran^aise,  Excursions  et 
Reconnaissances.    No.  12.    Saigon.  1882.  452.) 

Yillerm^,  L.  R.,  De  la  Distribution  par  mois  des  conceptions  et  des  naissances  de 
rhomme  consid^rö  dans  ses  rapports  avec  les  saisons,  avec  les  climats  etc.  Extrait  des  Annales 
d'hygi^ne  publique.    Auszug  in  Froriep's  Notizen.    1882.    No.  719. 

Y  in  Cent,  Louis,  Gontributions  ä  Tethnologie  de  la  cöte  occidentale  d'Afrique.  Les 
Boschimans.    Revue  d* Anthropologie.    Tome  I.    p.  452.    Paris  1872. 

Yinci,  Leonardi  da,  Summi  quondam  pictoris  tabula  anatomica  e  bibliotheca  Augus- 
tissimi  Magnae  Britanniae  Hanno veraeque  Regis  deprompta  venerem  obversam  e  legibus  na- 
turae  hominibus  solam  con venire  ostendens.    Lunaeburg^  1880. 

Yinson,  E.,  Elements  d*une  Topogpraphie  möd.  de  la  Nouvelle  Cal^donie  et  de  File 
de  Pins.    Th^se.    Paris  1858. 

Yirö,  Amand,  La  Eabylie  du  Djurjura.  Bulletins  de  la  Soc.  d'Anthrop.  de  Paris. 
Tome  lY.    (lYe  sörie.)    Paris  1898.    p.  72. 

1.  Yirey,  Journal  universel  des  sciences  möd.    1816. 

2.  Yirey  u.  Fournier,  Das  Weib  im  gesunden  und  kranken  Zustande.  Bearb.  von 
Dr.  Renard  u.  Dr.  Wittmann.    2.  Aufl.   Leipzig  1845.    S.  31,  72. 

1.  Yirchow,  R.,  Ueber  die  Erziehung  des  Weibes  für  seinen  Beruf.    Berlin  1865. 

2.  Yirchow,  Yerhandl.  d.  Berl.  anthrop.  Gesellsch.    1881.    S.  875—390. 

8.  Yirchow,  R.,  Zeitschr.  für  Ethnol.,  Bericht  der  Berliner  anthropolog.  Gesellschaft 
1884.    S.  416. 

4.  Yirchow,  R.,  üeber  Acdimatisation.  Zeitschr.  f.  Ethnol.  Yerhandl.  d.  Berl.  antr. 
Ges.    S.  202—214.  Bd.  XYH.   Berlin  1885. 

5.  Yirchow,  R.,  Ueber  die  Wedda*s  von  Ceylon  und  ihre  Beziehungen  zu  den  Nach- 
barstämmen.   Abh.  d.  £gl.  Ak.  d.  Wissensch.  zu  Berlin  1881. 

6.  Yirchow,  R.,  J.  Rodenberg*6  Deutsche  Rundschau.    HL    1877.    April.    7.    S.  74. 

7.  Yirchow,  R.,  Medicinische  Erinnerungen  von  einer  Reise  nach  Aegypten.  Yirchow*s 
Archiv  für  pathologische  Anatomie.    Bd.  113.    Berlin  1889.    S.  376. 

Yita  Hassan,  Die  Wahrheit  über  Emin  Pascha,  die  ägyptische  Aequatorial-Provinz 
und  den  Sudan,  unter  Mitwirkung  von  Elise  Baruek,  übersetzt  und  mit  Anmerkungen 
versehen  von  Dr.  B.  Moritz.    2  Theile.    Berlin  1893. 

Yogel,  Yom  indischen  Ocean  bis  zum  Goldlande.    Berlin  1877.    S.  292. 

Yogi  er,  in  v.  Siebold,  Yersuch  einer  Gesch.  der  Geburtsh.    11.    8.  608. 

Yoigt,  Blicke  in  das  kunst-  und  ge werbreiche  Leben  der  Stadt  Nürnberg.  Deutsche 
Nationalbibliothek.    Berlin  1862. 

1.  Yogt,  Carl,  La  question  de  la  femme.  Revue  d* Anthropologie  (dirig^e  par  Paul 
Topinard).  17.  Ann6e.  HI.  s^rie.  Tome  lU.  1888.  lY.  fasc.  p.  510—512.  Aus  dem  Temps 
11.  Juni  von  Genf  abgedruckt. 

2.  Yogt,  H.,  Norak  Magazin  for  Laegevidenskab.    2.  R.  XXI.  B. 

Yolkmann,  D.  J.  J.,   Histor.-kritische  Nachrichten  v.  Italien.    Leipzig  1770.    S.  717. 

Yoss,  A.,  Zeitschr.  f.  EthnoL   XIU.  Yerh.  d.  BerL  anthrop.  Ges.    S.  104.    Berlin  1881. 

Yoss,  Albert,  und  Gustav  Stimming,  Yorgeschichtliche  Alterthümer  aus  der  Mark 
Brandenburg.    Brandenburg  a.  d.  H.  und  Berlin  1886.  1887.    S.  27,  28. 

Yrolik,  G.,  Beschouwing  van  het  verschil  des  bekkens  in  ondersohddene  Yolksstammen. 
Amsterdam  1826.  —  In  Froriep*s  geburtshülfl.  Demonstrationen.    Heft  YII. 

Yuller's  Altindische  Geburtohülfe.  HenscheFs  Janus.  Gie8senl846.  S.226, 237,  238,  253. 

1.  Wachs,  0.,  Zeitschr.  f.  GynäkoL    1.  Bd.    1.  Heft  1877.    S.  173. 

2.  Wachs,  0.,  Der  Wittenberger  Kaiserschnitt  von  1610.    Leipzig  1868. 

45* 


708  Anhang  4. 

1.  Wachsmath,  Gurt,  Das  alte  Griechenland  im  neuen.    Bonn  1864.    S.  71. 

2.  Wachsmuth,  C,  Göttinger  gelehrte  Anzeigen.    1872.    Stfick  7.    S.  253. 
Wadzeck,   Friedr.,   Nfitzliches  und   unterhaltendes   Berlinisches  Wochenblatt     fur 

den  gehildeten  Borger  und  denkenden  Landmann.    Vierter  Jahrgang,  160.  Stück,  Seite  1317, 
Berlin  1812. 

Wagner,  Moritz,  Reise  nach  Persien  und  die  Lande  der  Kurden.    Leipzig  1852.    11.   242- 

Wagner,  Zacharias  (Richter,  Paul  Emil),  Festschrift  zur  Juhelfeier  des  25j&hri^en 
Bestehens  des  Vereins  fOr  Erdkunde  zu  Dresden.  1888.  (Ck>lorirtes  handschriftliches  Bilder- 
werk Ton  1634  des  kgl.  Eupferstichkabinets  in  Dresden.)  Betitelt:  .Thier  Buch.  Darinn^i 
viel  unterschiedene  Arten  der  Fische,  vögel  vierfilssigen  Thiere  Gewürm  Erd-  und  Bamn- 
fruchte,  so  hin  und  wieder  in  Brasilischem  bezirk,  und  gebiethe,  der  Westindischen  Compa^^e 
zu  schauwen  undt  anzutreffen,  und  daher  in  den  Teutschen  Landen  fremde  und  nnbekandt. 
Auffs  genaweste  mit  seinen  natürlichen  Farben,  samt  behörlichen  Nahmen,  wie  auch  karser 
untengesetzter  Beschreibung,  Abgebildet  sindt.  Alles  selbst  augenscheinlich  zu  Lust  undt  g^e- 
fallen  Denen  sonst  newbegierigen  Gemüthem  bezeignet.  In  Brasilien  Unter  der  hochlOblichen 
Regierung,  des  hochgebohmen  Herrn  Herrn  Johan  Moritz  Graffen  von  Nassau  etc.  Gnbemator 
Capitain  undt  Admiral  General  von  Zacharias  Wagner  von  Dresden.' 

Wahl,  Deutsche  Ausg.  d.  Koran,  p.  34,  Sure  H:  Die  Kuh. 

Waitz,  Th.,  Anthrop.  d.  Naturvölker.    Leipzig  1859. 

Waizer,  Rudolf,  Kämtnerische  Gebräuche  bei  Geburt  und  Tod.  Zeitschr  d.  deutschen 
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1.  Walbaum,  Ausführl.  u.  merkwürd.  Historie  d.  ostind.  Lisel  Gross-Java.  Leipzig 
und  Jena  1754. 

2.  Walbaum,  Ch.  F.,  Petersburger  medicin.  Zeitschrift  1862.    1.  2. 

1.  Waldeyer,  Die  Hottentottenschürze.  Zeitschr.  f.  Ethnologie  Bd.  XYIL  Verhandl. 
S.  568—578.    Berlin  1885. 

2.  Waldeyer,  W.,  Atlas  der  menschlichen  und  thierischen  Haare,  sowie  der  ähnlichen 
Fasergebilde.    Lahr  1884. 

8.  Waldeyer,  W.,  Ueber  Karyokinese  und  ihre  Beziehimgen  zu  den  Befruchtungs- 
vorgängen.   Bonn  1888. 

4.  Waldeyer,  Ueber  die  somatischen  Unterschiede  der  beiden  Geschlechter.  Gorre- 
spondenzblatt  d.  deutschen  anthropologischen  Gesellschaft.    Jahrg.  XXVL    Braunschweig  1895« 

Walker,  On  intermarriage.    p.  6. 

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Walter,  0. ,  Das  Hebammenwesen  im  Grossherzogthum  Mecklenburg-Schwerin.  Güstrow 
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Museum)  1868. 

Webb,  Allan,  Pathologia  Indica,  or  the  anatomy  of  Indian  diseases.  2.  edit.  London  1848. 

1.  Weber,  M.  J.,  Die  Lehre  von  den  Ur-  und  Rassenformen  der  Sch&del  und  Becken 
des  Menschen.    Düsseid.  1830. 

2.  Weber,  F.,  Allgem.  medicin.  Centralzeitung.    1879.    No.  27.    S.  334. 
8.  Weber,  F.,  St.  Petersb.  medic.  Wochenschrift.    1883.    No.  41.  42.  43. 
4.  Weber,  Ferd.,  Wiener  med.  ZeiUchr.    No.  21.    1862.    S.  323. 
Weigand,  Deutsches  Wörterbuch.    3.  Aufl.    Giessen  1878.    I.    S.  776. 

Weil,  Gustav,  Tausend  und  eine  Nacht.  Arabische  Erzählungen.  Zum  ersten  Male 
aus  dem  Urtexte  vollständig  und  treu  übersetzt.  3.  Aufl.  Stuttgart  1872.  L  96,  134. 
II.  39,  165. 

Weill,  Alexander,  Gesetze  und  Mysterien  der  Liebe.  Deutsch  von  Karl  Weissbrodt. 
Berlin  (1886).    S.  145. 

Weinberg,  Max  (Magdeburg),  Wissenschaftliche  Rettung  einer  Talmudstelle  in: 
Rahmer,  Jüdisches  Literatur -Blatt  S.  149.    No.  38.    Magdeburg  1887. 

1.  Weinhold,  K.,  Die  deutschen  Frauen  im  Mittelalter.    2.  Aufl.    Wien  1882. 

2.  Weinhold,  Altnord.  Leben.    81. 

Weinrichius,  Comm.  de  monstris  p.  139.    Siehe  Co  hausen. 


Verzeichniss  der  benutzten  Schriftsteller.  709 

1.  Weissbach,  A.,  Der  deutsche  Weibersch&deL  Arch.  ftlr  Anthropologie.  Bd.  III. 
Braonschweig  1868. 

2.  Weissbach,  A.,  Eörpermessungen  verschiedener  Menschenrassen.    Berlin  1878. 
Weissbrodt,  Karl,  siehe  Weill. 

Weisser,  in  Zeitschr.  f.  Ethnol.  1885.  XVII.  Verh.  der  Berliner  anthropol.  Gesell- 
scbaft.    S.  277. 

1.  Welcker,  F.  G.,  Kleine  Schriften.    Bonn  1850. 

2.  Welcker,  Zu  d.  Alterthümem  d.  Heilk.  bei  d.  Griechen.    Bonn  1850. 

3.  Welcker,  H.,  Ueber  die  künstliche  Yerkrüppelung  der  Fflsse  der  Chinesinnen. 
Arch.  f.  Anthrop.    IV.    1870.    S.  221—232.    12  Holzschnitte. 

4.  Welcker,  H.,   Die  Füsse   der   Chinesinnen.   Arch.  f.  Anthropologie.    Bd«  Y.    1872. 
Weld,  Isaak,   Yoyage  au  Canada  pendant  les   annöes  1795—97.    Traduit  de  Tangl. 

Paris.    YIII.    Bd.  lU.  p.  60. 

Wellhausen,  Geschichte  Israels.    Berlin  1878.    I.    342  fr. 

Welsch,  Gk)ttfiried,  La  Comare  del  Scipione  Mercurio.  Eindermutter  oder  Hebammen- 
Buch  etc.    Leipzig  1653.    S.  197. 

Welttheilen,  Aus  allen  — .    Febr.  1885.    5.  Heft.    S.  116. 

Wendland,  Das  Hannoverische.    Lüchow  1862. 

Wenzel,  siehe  Ackermann. 

Werne,  Reise  durch  Sennaar  nach  Mandera,  Nasub,  Cheli  im  Lande  zwischen  dem 
blauen  Nil  und  dem  Atbara.    Berlin  1852..   S.  25. 

Werner,  W.,  Das  Kaiserreich  Ost^Indien.    Jena  1884.    S.  304. 

1.  Wernich,  A.,  Beitr&ge  zur  Geburtshülfe  und  Gynäkologie.    Berlin  1872.    L    S.  3. 

2.  Wernich,  A.,  Archiv  f.  Gynäkol.    1876.    Bd.  X. 

3.  Wernich,  Archiv  f.  GjnÄk.    XIL    S.  288. 

Wessely,  J.  £.,  Iconographie  Gottes  und  der  Heiligen.    Leipzig  1874.    S.  54,  55. 
Wessmann,  siehe  Bartels^. 

1.  West,  Lehrb.  d.  Frauenkrankh.    Deutsch  von  Langenbeck.    GOttingen  1863.    S.  31. 

2.  West,  Gerald  Montgomery,  Anthropometrische  Untersuchungen  über  die  Schul- 
kinder in  Worcester,  Mass.,  Amerika.  Archiv  f.  Anthropologie,  Bd.  XXH.  S.  13—48.  Braun- 
schweig 1893. 

Wetzler,  in  Harless,  Neue  Jahrbücher  1825.    IX.    79. 

Weyland,  siehe  v.  Azara. 

White,  John,  Sketches  from  America.    London  1870.    p.  122. 

White,  Ch.,  Treatise  on  the  management  of  pregnant  and  lying-in  women.  London 
1773.    Deutsch.    Leipzig  1775.    S.  80. 

Whitehead,  Edinb.  med.  and.  surg.  Joum.  Oei  1832. 

Wickham,  G.  H.,  Proceed.  of  the  R.  geograph.  Soc.  of  London.    1869.    p.  58. 

Widenmannin,  Barbara,  Kurtze,  jedoch  hinlängliche  und  gründliche  Anweisung 
Christlicher  Hebammen  etc.    Augsburg  1735. 

Wied,  Prinz  Max  zu,  Reise  in  das  Innere  N.-Amerikas.  Frankfurt  1839.  l.  S.  237. 
n.  107. 

Wiegan d,  üeber  die  Ursachen  der  Nachgeburtszögerungen.    Hamburg  1803. 

Wierus,  siehe  Hyrtl.  ^ 

Wijingaarden,  J.  K.,  De  zending  onder  de  Karau-Bataks  (Doli)  Mededeelingen  van 
wege  het  Nederlandsche  Zendelinggenootschap.    38.  Deel.    1.  Stuk.    S.  72.    Rotterdam.    1894. 

Wild,  Irish  populär  superstitions.    Dublin,    p.  49. 

Wilda,  Strafr.  829,  839. 

Wierus,  Johannes,  siehe  Rebenstock. 

Wilhelmi,  Manners  and  customs  of  the  Australian  natives.    Melbourne  1862.    p.  34. 

1.  Wilken,  G.  A.,  De  besnijdenis,  bij  de  volken  van  den  Indischen  Archipel.  B^dragen 
tot  de  Taal-,  Land-  en  Yolkenkunde  van  Nederlandsch-Indie.  4.  Yolgkrees.  10.  DeeL  s'Graven- 
hage  1885.    S.  199. 

2.  Wilken,  Over  de  primitive  vormen  van  hat  huwelijk  en  den  oorsprong  van  het 
gezin  ,De  indische  Gilds**.    Amsterdam  1881. 

3.  Wilken,  G.  A.,  Das  Matriarchat  bei  den  alten  Arabern.    A.  d.  Holl.    Leipzig  1884. 
Wilkes,  Ch.,  Die  Entdeckungs-Ezpedition  der  Yereinigten  Staaten.    1848.    1.    S.  218. 
Willelmi  Malmeburiensis,  De  Gestis  rerum  Anglorum  lib.  Y.  p.  170. 
Williams,  Lancet,  14.  Sept.  1850.    p.  321. 

Willugby,  Percival,  Country  Midwife's  Opusculum. 


710  Anhang  4. 

Wilson,  Med.  Examiner.    Gaz.  des  höp.     1854.     No.  79.     Monatsschr.   f&r  (^barte-k. 
1854.    IV.    231,  i 

Windischmann,    Die  persiBche  Anahita  oder  Analtis  im  8.  Bde.  der  AbhaiKllnxi^eA 
der  philo8oph.-philoL  Classe  der  Kgl.  bayer.  Akad.  d.  Wissenach.    München  1858.     S.    85. 

Win  ekel,   H.,   Kritische  Betrachtungen  der  bisherigen  Berichte  über  die  Niederkunft 
bei  den  Naturvölkern.    Archiv  für  Anthropologie.    Brannschweig  1891. 

Winkel  und  A.  Breisky,  Prager  Yierteljahrsschr.    2.  Bd.     1861.    S.  78. 

Winter,  Fr.  Jnl.,  Wissensch.  Beil.  der  Leipz.  Zeit.     1882.     108. 

Winterbottom,   Sprengel  und   Ehrmann,    Bibl.   der  neuesten  und   wichtigsten 
Reisebeschr.    Band  28.    Weimar  1805.    S.  198,  200. 

Win  trieb,  M.  A.,  Erankh.  der  Respirationsorgane.    In  Yirchow^s  Handbuch  der  spec. 
Path.  und  Ther.    Bd.  5.    Th.  1.    Erlangen  1854.    S.  79. 

Wise,  T.  A.,  Gommentary  on  the  Hindu  System  ofMedicine.    Newissue.   London  1860. 

Wissmann,  Hermann,  Unter  deutscher  Flagge  quer  durch  Afrika  von  West  nach  Ost. 
Von  1880—1888  ausgeführt  von  Paul  Pogge  und  — .    Berlin  1889. 

Wittmann,  siehe  Yirey. 

Witt  stein,  G.  C,  Die  Naturgeschichte  des  Gajus  Plinius  Secundus.  Ins  Deuische 
übersetzt  und  mit  Anmerkungen  versehen.    Leipzig  1881. 

Wladimirow,  Ein  Fall  von  frühzeitiger  physischer  Entvrickelung  eines  6^/2  jähri^^en 
M&dchens.  Medicinskoje  Obosreoje.  1896.  No.  10.  Referirt  von  Dukelsky:  Gentralblatt 
für  Gynäkologie.    Jahrg.  XX.    No.  51.    S.  1820.    Leipzig  1896. 

1.  Wlislocki,  H.  V.,  Die  Stamm-  und  Familienverhältnisse  der  transsilvanischen  Zelt- 
Zigeuner.    Globus.    Bd.  53.    No.  12.    S.  188  ff.    Braunschweig  1888. 

2.  Wlislocki,  H.  v.,  Vom  wandernden  Zigeunervolke.  Bilder  aus  dem  Leben 
der  Siebenbürger  Zigeuner.  Geschichtliches,  Ethnologisches,  Sprache  und  Poesie.   Hamburg  1890. 

8.  Wlislocki,  Heinrich  v.,  Amulette  und  Zauberapparate  der  ungarischen  Zelt-Zigeuner. 
Globus.    Band  59.    No.  17.    Braunschweig  1891. 

4.  Wlislocki,  Heinrich  v.,  Aus  dem  inneren  Leben  der  Zigeuner.  Ethnologische  Mit- 
theilungen.   Berlin  1892. 

5.  Wlislocki,  Heinrich  v.,  Volksglaube  und  Yolksbrauch  der  Siebenbürger  Sachsen. 
Berlin  1893. 

6.  Wlislocki»  Heinrich  v.,  Volksglaube  imd  religiöser  Brauch  der  Zigeuner.  Dar- 
stellungen aus  dem  Gebiete  der  nichtchristl.  Religionsgeschichte.    Bd.  IV.    Münster  i.  W.  1891. 

7.  Wlislocki,  Heinrich  v.,  Volksglaube  und  religiöser  Brauch  der  Magyaren.  Dar- 
stellungen aus  dem  Gebiete  der  nichtchristl.  Religionsgeschichte.   Bd.  VHI.    Münster  i.  W.  1893. 

8.  Wlislocki,  Heinrich  v.,  Aus  dem  Volksleben  der  Magyaren.  Ethnologische  Mii- 
theilungen.    München  1898. 

Woermann,  A.,  siehe  Woltmann. 

Woldt,  A.,  Capit.  Jacobsen's  Reise  an  der  Nord  Westküste  Amerikas.  Leipzig  1884. 
S.  57,  63,  245,  893. 

1.  Wolf,  Reisen  nach  Zeilan.    Berlin  1783. 

2.  Wolf,  J.  W.,  Niederländische  Sagen.    Leipzig  1843. 

3.  Wolf,  siehe  Monrad. 

1.  Wolff,  Reise  von  San  Salvador  zum  Quango.  Verhandl.  der  Ges.  f.  Erdk.  zu  Berlin. 
Bd.  13.    1886.    S.  48,  49,  55,  56. 

2.  Wolff,  Reise  von  San  Salvador  zum  Eiamvo  Eassongo.  Mittheil,  der  Afrik.  Gres. 
in  Deutschi.    Bd.  4.    1883—85.    Heft  6.    S.  364. 

Wolfsteiner,  J.,  in  Bavaria.    H.    1.    S.  337. 

Wolter,  im  Ausland  1884.    No.  46.    S.  916. 

Woltmann,  Alfred,  und  Karl  Woermann,  Geschichte  der  Malerei.  Bd.  2.  S.  618. 
Fig.  357. 

Wossidlo,  in  Murraysburg  (am  Cap),  Deutsche  Med.-Zeitnng.    Dec.  1884.    S.  25. 

Wratschebnija  Wedomosti.    1881. 

Wretholm,  siehe  Raciborski. 

Wucke,  Sagen  von  der  mittleren  Werra.    2.  Bd.    1864.    S.  25,  40. 

Wüllersdorf-Urbair,  Reise  der  österreichischen  Fregatte  Novara.  IH.  Wien  1862. 
S.  111,  129. 

Wunderbar,  Bibl.  talmud.  Medicin,  Israels.    Diss.  bist.  med.  inaug.    S.  186. 

Wuttke,  A.,  Der  deutsche  Volksaberglaube  der  Gegenwart  2.  Auflage.  Berlin  1869. 
S.  40flF.,  78,  346. 


Yerzeichniss  der  benutzten  Schriftsteller.  71X 

ITarrow,  H.  C,  A  furiher  contribntion  to  the  study  of  the  mortnary  customs  of  the 
North-American  Indiana.  In  J.W.  Powell,  First  annnal  Report  of  the  Bureau  of  Ethnologie 
to  the  Secretary  of  the  Smithsonian  Institution  1879—80.    Washington  1881. 

Zaaijer,  Untersuchungen  üb.  die  Form  d.  Beckens  javanischer  Frauen.    Haarlem  1866* 

Zachias,  Quaest.  med.  legal.  T.  IL  Lib.  2.  Q.  8.    No.  16. 

Zaleski,  Bromslas,  La  vie  des  Steppes  kirghizes.    Paris  et  Göttingen  1865.    p.  25. 

Zechmeister,  Allg.  Wiener  med.  Ztg.  1864.    No.  11.    S.  81. 

Zeller  in  Beamsyille,  Ohio,  New  York  med.  record.  3.  Sept.  1881.  Med.  Times 
1.  Oct.  1881. 

Zend  Avesta,  Bd.  2.    S.  267. 

Zenker,  siehe  Layard. 

Zerda,  Liborio,  £1  Dorado.    Bogota  1882. 

Ziegler,  AI.,  Skizze  einer  Reise  durch  Nordamerika  und  Westindien.  Dresden  und 
Leipzig  1848.    L    58  ff. 

Zier  mann,  J.  C.  L.,  Die  naturgemftsse  Geburt  des  Menschen;  oder  Betrachtung  Über 
zu  frühe  Durchschneidung  und  über  Unterbindung  der  Nabelschnur  etc.    Berlin  1817. 

Zimmer,  H.,  Altindisches  Leben.    Berlin  1879.    S.  306. 

1.  Zingerle,  Sitten,  Bräuche  und  Meinungen  des  Tyroler  Volkes.  2.  Aufl.  Innsbruck 
1871.   No.  153. 

2.  Zingerle,  Johannissegen.    36. 

8.  Zingerle,  Oswald  y.,  Segen  und  Heilmittel  aus  einer  Wolfsthumer  Handschrift  des 
XY.  Jahrhunderts.    Zeitschr.  d.  Vereins  für  Volkskunde.    I.     177.    Berlin  1891. 

Zintgraff,  Eugen,  Nord- Kamerun,  Schilderung  der  im  Auftrage  des  auswärtigen  Amtes 
zur  Erschliessung  des  nördlichen  Hinterlandes  von  Kamerun  während  der  Jahre  1886 — 1892 
unternommenen  ReiBon.    Berlin  1895.    S.  152. 

1.  Zöller,  Rund  um  die  Erde.    Köln  1881. 

2.  Zoll  er,  Das  Togoland.    S.  122. 

Zuchelli,  P.  Antonio,  Missions-  und  Reisebeschr.  nach  Gongo.  1715.  S.  196.  — 
Relazioni  del  Viaggio  e  Missione  di  Congo.    Venezia  1712. 

Zündel,  Zeitschr.  d.  GeseUsch.  f.  Erdkunde  z.  Berlin.    1877.    XII.    S.  291. 
Zweter,  Reinmar  ▼.,  siehe  Scherr^.    S.  138. 


Im  gleichen  Verlage  erschien  u.  a.: 

Die 

Medicin  der  Naturvölker. 

Ethnologische  Beiträge 

zur 

TJrsresdilclxto  dLer  D^edLlolzi. 

Von 

Dr.  Max  Bartel89 

Suüt&tsratli  in  Berlin. 

Mit  175  Origindl-Holgschnitten  im  Text. 

XII  und  361  S.    Lex.  S«.    Preis  brooh.  9  Mark,  In  Halbfranzband  II  Hark. 

Inhaltsübersicht:  L  Einleitung.  —  IL  Die  Krankheit  —  III.  Die  Aenste.  —  17.  Die 
Diagnostik  der  Naturvölker.  —  V.  Die  Medicamente  und  ihre  Anwendung.  —  YL  Die 
Arzneiverordnungslehre  der  Naturvölker.  —  VII.  Die  Wasserkur.  —  Vlll.  Massa^kuron.  — 
IX.  Verhaltungsvorschriften  für  den  Kranken.  —  X.  Die  fibematflrliche  Diagnose.  — 
XI.  Die  übematflrliche  Krankenbehandlung.  —  XU.  Einzelne  Gapitel  der  speciellea 
Pathologie  und  Therapie.  —  Xm.  Die  Gesundheitspflege  und  die  Epidemien.  —  XIV.  Die 
kleine  Chirurgie.  —  XV.  Die  grosse  Chirurgie. 

(Diese  15  Capitel  sind  in  127  selbständige  Abschnitte  gegliedert.) 


AuBBÜge  aus  Bespreohungen: 

Das  Werk  verdient  es,  von  allen  Freunden  der  Geschichte,  der  Völkerkunde    und  der 
medicinischen  Wissenschaft  mit  Aufmerksamkeit  gelesen  zu  werden. 

Über  Land  und  Meer, 

Die  Medicin  der  Naturvölker  wird  mit  einer  staunenswerthen  Belesenheit  und  Kenntniss 
der  einzelnen  Thatsaohen  in  grossen  Zügen  geschildert.        Zeitschrift  für  Natunoissenaeh, 

Ist  also  das  Buch  hauptsächlich  f&r  Mediciner  und  Ethnographen  geschrieben,  so  findet 
doch  auch  der  Geograph  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  viel  LesenswerÜies  und  Interessantes 
darin.  Mitiheüungen  der  geogr.  OeeeOeehafl  Wien. 

Es  ist  dem  Buche  die  weiteste  Verbreitung  nicht  bloss  bei  den  Aerzten  und  Ethnologen, 
sondern  bei  allen  Gebildeten  gewiss.  Berliner  klin.  Wodtenechirift, 

Ein  immenses  Material  ist  in  dem  Werk  verarbeitet,  und  je  mehr  man  in  demselben 
liest,  um  so  mehr  begreift  man,  welche  grosse  Ausdauer  und  Mühe  dazu  gehört,  das  Material 
zu  sichten  und  die  Uebersicht  zu  gewinnen,  wie  sie  das  Buch  zeiflt. . Viele  der  ethno- 
graphischen Gegenstände  werden  überhaupt  zum  ersten  Male  in  AobOdungen  vorgef&hrt 

NaturtoissenechafÜiehe  Wochenschrift. 

Das  sehr  reichhaltige  Buch  möge  allen,  die  sich  für  die  Entwickelung  der  medicinischen 
Anschauungen  interessiren,  bestens  empfohlen  sein. 

JZ.  V«  Wyss  im  CorrespondenMatt  für  Schweizer  Äerste, 

Die  stren^^  Objectivit&t  und  die  gewissenhafte  Vermeidung  von  bloss  speculirenden 
Erörterungen  bilden  einen  grossen  Vorzug  des  vorliegenden  Buches. 

Archiv  für  ÄnOuropoJogie. 

Bartels  hat  sieh  schon  in  seinem  früheren  Werke,  der  Neubearbeitung  von  H.  Plosi* 
,Da8  Weib',  als  Meister  im  Sammeln,  kritischen  Sichten  und  klaren  Grupniren  und  Darstellen 
der  Thatsachen  erwiesen;  seine  Medicin  der  Naturvölker  ist  in  gleicher  Weise  eine  übeneicbe 
Fundgrube  für  Jeden,  der  auf  diesem  Gebiete  der  Ethnologie  Belehrung  sucht. 

Peter  manna  Mittheiktngen. 

Dadurch,  dass  der  Mediciner  und  der  Ethnograph  sich  in  der  Person  des  Ver&HerB 
vereini|^n,  wurde  es  möglich,  eine  tüchtige  Arbeit  zu  liefern,  die  als  der  erste  grössere  Ver- 
such dieser  Art  mit  der  Zeit  sich  zu  einem  Standardwerke  erweitem  muss.  GMms, 

Auf  jeder  Seite  finden  wir  interessante  Mittheilungen,  überraschende  Aufschlüsse,  und 
der  Verf.  versteht  es,  durch  eine  anregende  Darstellung  und  Gruppirung  die  Klippe  der  Er- 
müdung, wie  sie  ja  eine  Aneinanderreihung  massenhafter  Einzeiheitoi  so  leicht  bewirkt, 
glücklich  SU  vermeiden.  Deutsche  med.  Wochenschrift. 

Mit  grossem  Fleisse  und  vielem  Geschicke  hat  er  es  verstanden,  des  in  zahlreichen  Einxel- 
ansaben  zerstreuten  Stoffes  Herr  zu  werden  und  denselben  zu  einem  harmonischen  Gesammt- 
bilde  zusammenzufügen  Das  Ausland» 


Druck  von  Th.  Hoftnann  in  Oera. 


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573 
P  72 
T.  2