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Full text of "Das wesen der melodie in der tonkunst"

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WESEN DER MELODIE 



IN DER 



TONKUNST 



VOX 



S. JADASSOHN. 




IFAPZm 

DRUCK UND VERLAG VON HREiTKOPF & IIÄRTEL 




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DAS 

fESEN DER MELODIE 

IN DER 

TONKUNST 

VON 

S. JADASSOHN. 




LEIPZm 
DRÜCK UND VERLAG VON BREITKOPF & HÄRTEL 

1899. 



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Alle Rechte, insbesondere das der Übersetoting, vorbehalten* 



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Vorwort. 



In derselben Weise, wie ich in meinen früher erschie- 
nenen Lehrbüchern den Bau und die Verbindung der Accorde, 
die Kenntnis der strengen kontrapunktischen und freien Kunst- 
formen wie der Instrumentierung behandelt, habe ich mich 
im vorliegenden Buche bemüht, das Wesen des Melodischen 
im Tonsatze durch eine Lehre der Melodie, ihrer Bildung und 
Fortfährung darzulegen. Ich darf hoffen, dass das Buch dem 
Anßlnger in der Komposition in mannigfacher Beziehung nütz- 
lich sein wird. Den schlicht und bündig gefassten Worten 
sind einschlagende erläuternde und belehrende Musikbeispiele 
zugefügt. 

Leipzig, im Dezember 4898. 

Dr. S. Jadassolin. 



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Inhaltsyerzeichms. 



Kapitel 1. 


§ 1. 

§ 2. 




f 8. 


Kapitel II. 


§ ♦. 
§ 5. 
§ 6. 


Kapitel III. 


§ 7. 




§ 8. 
§ 9. 


Kapitel IV. 


§40. 
§H. 


Kapitel V. 


§12. 
§18. 
§14. 
§15. 


Kapitel VI. 


§16. 


Kapitel VII. 


§17, 


Kapitel VIII. 


§20, 


Kapitel IX. 


§22. 



Seite 

Unsichtbare Melodie i 

Die diatonische, und. die chromatische .Tonleiter in 

der Melodie 2 

Accordlich gebildete Melodie 7 

Charakteristik der Intervalle • . . . . 9 

Wirkung der Intervalle in verschiedener Richtung . i i 
Die Folge von zwei oder mehr .gleichen Intervallen 

in derselben Richtung 4 6 

Die Gliederung der Melodie 4 9 

Der Rhythmus im Motive . 4 9 

Der Takt und das Metrum 24 

Die verschiedenartigen Perioden 26 

Vokale Melodie 33 

Gesangmelodie in der Hausmusik, im Chorsatze und 

konzertierend 34 

Instrumentale Melodie; für Streichinstrumente . . . 37 

für Blasinstrumente 89 

für Klavier 46 

für Orgel *..;...... 50 

Die Harmonie in der Melodie 54 

4 8, 4 9. Die Melodie in der Komposition 57 

24. Fantasie und Kunstverstand 80 

Die Bildung der getragenen Melodie Beethoven's . . 94 



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Eapitel L 
Unsiclitbare Melodie. 



§ 4 . Das wesentlichste Erfordernis einer jeden musikalischen 
Komposition ist Melodie; ohne diese ist kein Tonsatz denkbar. 
Selbst in den trockensten Musikstücken, die zunächst nur prak- 
tischen Übungszwecken dienen sollen, wird die Melodie nicht 
gänzlich fehlen, wenn sie dann auch keinen Anspruch auf be- 
sondere Schönheit erheben kann. Immerhin aber finden wir in 
nützlichen Etüden Cramer's, Moscheies', Chopin's, Henselt's und 
anderer Meister viele stimmungsvolle Musikstücke mit schönen, 
charakteristischen, zuweilen auch ersichtlich durch einen be- 
stimmten Übungszweck hervorgerufenen, eigenartig gebildeten 
Melodien. 

Nicht immer ist die Melodie für das Auge erkennbar ge- 
zeichnet; das Ohr empfindet sie jedoch. Wir hören die Melodie 
in den Spitzen der arpeggierten Accorde im ersten Präludium 
des »Wohltemperierten Klaviers«. Würde Bach, wie er gelegen- 
lich thut, die Arpeggien folgendermassen angezeigt haben, so 
würde die Melodie des Satzes sichtbar: 



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1. 



Chopin kennzeichnet in der Etüde op. 85 Nr. \ nicht nur 
die Melodie der Oberstimme, sondern auch die einer begleitenden 
Mittelstimme durch besonders fett gedruckte Notenköpfe. 

Jadassohn, Das Wesen der Melodie in der Tonkunst. 1 



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Kapitel I. 



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Es hätte in diesem Falle wohl kaum eines besonderen Hin- 
weises für das Hervorheben der melodischen Stimmen bedurft; 
jeder verständige Spieler würde hier die begleitende Harmonie 
der Melodie in entsprechender Weise unterzuordnen wissen. 
Selbst in den Figuren solcher Etüden, die scheinbar nur Sequen- 
zen von Fingerübungen darstellen, in den Passagen eines Kon- 
zertstückes oder in den Koloraturen einer Arie ist das melodische 
Element nicht zu verkennen, sofern die Figuren eine rhythmisch 
geordnete, metrisch und periodisch gegliederte Folge von Inter- 
vallen enthalten. 



Die diatonische und die chromatische Tonleiter in der Melodie. 

§ 2. Jede Tonleiter kann einen Teil einer Melodie bilden; 
wir besitzen sogar einzelne Tonstücke, deren Melodien zumeist 
aus Tonleiterfolgen zusammengesetzt sind. So zeigt die dritte 
Etüde aus Moscheies' op. 70 vorwiegend chromatische Skalen; 
die zweite Etüde aus Ghopin's op. 4 besteht fast nur aus solchen. 
Diese recht anziehenden Stücke sind sicherlich melodisch gebildet. 
Der Hauptsatz des Scherzo aus dem £5-dur-Quintett von Rob. 
Schumann enthält in seinen beiden Teilen durchweg diatonische 
Tonleitern, wie das folgende Beispiel zeigt: 



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Unsichtbare Melodie. 

Rob. Schumann ) op. 44, Scherzo. 
Mollo vivace. 



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3. 



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Kapitel I. 




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Aus dem vorstehenden Beispiele ersieht man, dass auch das 
an sich trockene Material der Tonleiter zur Bildung interessanter 
Melodik^dienen kann, sobald die in diatonischen Schritten geord- 
nete Tonreihe durch Verzierung einzelner Töne, durch einen 
besonderen Rhythmus belebt und durch eine entsprechende 
Harmonisierung gehoben wird. 

Ein Beispiel, wie das unter Nr. 3 gezeigte, dürfte vielleicht 
einzig in seiner Art sein; Melodien aber, die vorzugsweise dia- 
tonisch gebildet sind und nur wenig andere Intervallschritte 
aufweisen, sind keineswegs selten. So zeigt das nachstehende 
schöne Thema aus Ghopin's Konzert, op. 4 4, innerhalb eines Auf- 
taktes und acht ganzen y4-Takten nur zwei kleine Terzsprttnge, 
den einen nach 22 diatonischen Schritten inmitten der Periode, 
den zweiten am Schlüsse derselben. 



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Auch der fernere Verlauf dieses Themas ist im Wesentlichen 
tonleitermässig und wird nur wenig von nicht diatonischen 
Schritten unterbrochen. 



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Unsichtbare Malodie. 



Nicht selten zeigen sich tonleitermässig gebildete Glieder 
einer Melodie eines besonderen Ausdruckes fähig, wie aus den 
folgenden Beispielen zu ersehen ist: 



Beethoven, op. 59 No. U 



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5. 



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Beethoven, op. 69 Nr. 3. 



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Mähul, »Joseph«, Nr. 7. 






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Rob. Schumann, op. 68, ä. Satz. ^^ 



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Kapitel I. 



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Rob. Schumann, op. 47, Scherzo. 



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Unsichtbare Melodie. 



Beethoven, op. 97, Scherzo. 
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10. 



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Rob. Schumann, op. 63, 2. Satz. 

Lebhaft, doch nicht zu rasch. (M. M. J «= 68). 



11.^^ 



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u. s. w. 



Accordlioh gebildete Melodie. 

^ 3. Melodien, wdche sich Tornehmlich in Accordfiguren 
bewegen, findet man nicht selten in den beliebtesten Yo&sliedern 
der Alpenvölker, in Tiroler- und Schweizerliedern, die oft auch 
mit einem sogenannten »Jodler« schltessen. So wie dieser in 



;-^ .-.;.' . 



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8 



Kapitel I. 



der Absicht, das Echo der Berge zu wecken, beigefügt ist, so 
dürfte dieselbe Absicht wohl auch bei der Bildung der Melodie 
des Liedes mitgewirkt haben. 

In der Instrumentalmusik findet man häufig Themen, die in 
charakteristischer Weise teilweise accordlich gebildet sind, so 
z. B. das grossartige Thema des ersten Satzes der neunten Sym- 
phonie von Beethoven, das in den ersten sechs Takten accordlich, 
in den folgenden sechs diatonisch gebildet ist: 




Im ersten Satze der vierten Symphonie des Meisters ist das 
Eingangsthema in ähnlicher Weise gebildet: 



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Fast alle Mischungen und Zusammenstellungen von Inter- 
vallen sind zur Melodiebildung geeignet, gleichviel ob sie in 
ihrer Zeichnung Accorde oder diatonische oder chromatische 
Folgen darstellen. Wir wollen jedoch nicht unterlassen darauf 
aufmerksam zu machen, dass das Diatonische am Leichtesten 
sangbar ist und sich deshalb für die eigentliche, durch die 
menschliche Stimme auszuführende Gesangmelodie besser eignet 
als chromatische oder accordliche Tonfolgen. Bei jeder Melodie 
ist jedoch die Aufeinanderfolge zweier oder mehrerer ganz 



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Charakteristik der Intervalle. 9 

gleichartiger Intervalle als unmelodisch fast immer zu ver- 
meiden. Ausgenommen davon ist nur die Folge von 3 — 4 Ganz- 
oder Halb-Tonschritten und das Aufwärtsgehen in zwei reinen 
Quarten. Dagegen sind zwei aneinandergereihte grosse Terzen 
oder zwei reine Quinten in jeder Richtung als unsanglich und 
unmelodisch zu bezeichnen: 



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Kapitel U. 
Charakteristik der Interyalle. 



§ 4. Da jede Melodie eine Folge von verschiedenen Inter- 
vallen enthalten muss, so wollen wir nunmehr untersuchen, in 
wiefern sich die einzelnen Intervalle zur Melodiebildung geeignet 
erweisen, und wodurch sie sich bei derselben als besonders 
charakteristisch zeigen. Als Massstab des für den Gesang Geeig- 
neten dürfen wir das leichtere oder schwierigere Auffinden 
(Treffen) zweier einanderfolgender Töne annehmen. 

Die Prime, der Einklang zweier auf gleicher Höhe stehender 
Töne bildet kein Intervall; wir müssen sie aber dennoch mit in 
den Kreis unserer Betrachtung ziehen, da sie häufig den Anfang 
einer Melodie bildet und der lange ausgehaltene einzelne Ton 
einer getragenen Melodie durch die Vortragsmittel des Anschwel- 
lens und Abnehmens "^^ ZZ^ , durch crescendo oder 

diminuendo allein, durch das Vibrato der Singstimme oder der 
Streichinstrumente, auch durch Verdoppelung des Tones auf zwei 
Saiten derselben, z. B. D auf G- und 2>-Saite, bereits Wirkung zu 
machen im stände ist, wie wir dies beim ersten Tone der 
Ouvertüren zu Weber's »Freischütz«, zu »Egmont« von Beethoven, 
beim Adagio aus dem c^-moU-Konzert von Spohr u. a. m. empfinden. 
Als ein besonders charakteristisches Beispiel der Wirkung eines 
lang ausgehaltenen Tones führen wir die folgende Stelle an, in 
welcher der tiefe Schmerz des in allen seinen Hoffnungen ge- 
täuschten, vollkommen vernichteten und verzweifelnden Mädchens 
durch je einen gehaltenen Ton zum Ausdruck gebracht ist: 



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10 



Klarinette. 



Kapitel II. 
Haievy, »Die Jüdin«, Akt 11, Nr. <0. 



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Nicht minder Interessant ist die Wiederholung ein- und des- 
selben Tones, wenn wir ihn als Bestandteil verschiedener Har- 
monien zu Gehör bekpmmen: 



Hörner. 

16. \ 

Streichinstr, 



Fr. Schubert, Symphonie, Ati^nXe am moto, 

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Charakteristik der lotervalle. 



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Die Wiederholung eines Tones in Terschiedenem Rhythmus 
kann je nachdem einen energischen 



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oder pathetischen 



18. 



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oder tragischen Eindrack machen: 

Syn 
19. 



Beethoven, Symphonie Nr. 8, Adagio asstU^ marda funehre. 




Wirkung der Intervalle in verschiedener Richtung. 

§ S. Im allgemeinen ist jedes Intervall mit Ausnahme der 
van einem tieferen Tone nach oben springenden Dissonanzen der 
übermässigen Sekunde, Terz, Quarte, Quinte und Sexte und der 
grossen Septime leicht sangbar und darum in melodischer Folge 
gut KU verwenden. Wir müssen jedoch den Unterschied wt>hl 
ins Auge fassen, der da entsteht, je nachdem vvix einem Tone 
einen andern in der Richtung nach oben oder nach unten folgen 
lassen. Es werden die charakteristischen Beziehungen der beiden 
töne zu einander meist sehr, oft ganz und gar verändert; so 
werden uns die nachstehenden Intervalle, falls sie aufwärts oder 
abwärts gehen, einen verschiedenen Eindruck machen. 



20. 



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12 



Kapitel II. 



Selbstverständlich wird in diesem Falle zunächst auch die 
verschiedenartige Rhythmisierung eines Intervalls den Eindruck 
desselben beeinflussen, wie das folgende Beispiel zeigt: 



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21. 



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Auch verschiedenartige Harmonisierung der Töne eiines In- 
tervalls kann die Wirkung beeinflussen, da wir jeden der beiden 
Töne eines solchen als Bestandteil eines Accordes in anderm 
Sinne auffassen und empfinden, je nachdem der einzelne Ton 
als Grundton, oder Terz, oder Quinte, oder Septime eines Ac- 
cordes auftritt, oder beide Töne des Intervalls mit demselben 
Accorde oder mit verschiedenen Harmonien begleitet werden: 



32. 



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Weit auffallender aber ist der Unterschied, wenn durch die 
Versetzung des zweiten Tones eines Intervalls in eine andere 
Oktave, dieser zum ersten Tone ein anderes Intervall bildet. 
So werden die oben für die melodische Folge als ungeeignet 
bezeichneten übermässigen Intervalle bei der Versetzung des 
oberen Tones in die untere oder des unteren Tones in die obere 
Oktave sich als melodisch gut geeignet darstellen, weil sie sich 
durch die Versetzung in verminderte Intervalle verwandelt haben ; 



23. 



überm. 2, 



verm. 7, überm. 4, verm. 5, überm. 5, 



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verm. 4, überm. 6, verm. 3. 



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Wird von den Einklangstönen der eine um eine Oktave 
versetzt, so tritt der Unterschied der beiden konsonierenden In- 
tervalle sehr auffallend hervor: 



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Charakteristik der Intervalle. 



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Nicht minder ist der Unterschied zwischen der oberen Sep- 
time und der unteren Sekunde in Betracht zu ziehen. Wie platt 
und trival würde die innige Melodie im Andante cantabile des 
Es-dur-Quartetts, op. 47, von Rob. Schumann erscheinen, wenn 
statt der darin enthaltenen Septimenschritte Sekundschritte ge- 
geben wären: 



25. 



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14 



Kapitel II. 



Würden an Stelle der eine überschwängliche, liebevoll zärt- 
liche Empfindung ausdrückenden Septimenschritte schlichte Se- 
kunden stehen, so wäre diese Melodie nicht nur des Reizes baar, 
sondern geradezu monoton und langweilig und könnte trotz der 
interessanten Harmonisierung selbst bei bestmöglichem Vortrage 
nicht anmuthen. Die im Thema gegebene Sequenz würde läp- 
pisch und albern erscheinen. 



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36. 




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Es braucht hier nicht breiter ausgeflihrt zu werden, wie 
sehr auch die eine Terz oder Sext von einander entfernten Töne 
bei der Versetzung des einen oder anderen Tones in eine andere 
Oktave ihren Charakter verändern. Verhältnismässig weniger, 
aber immer noch hervorragend genug, ist dies bei den voll- 
kommenen Konsonanzen der Quarte und Quinte der Fall. Da- 
gegen wird das wenig bedeutsame Intervall der kleinen Sekunde 
bei der Verwandelung in die grosse Septime, sowohl bei der 
Bewegung nach oben wie nach unten, zu einem aussergewöhn- 
liche Innigkeit, auch wohl LeidenschaftUchkeit ausdrückenden 
Intervalle, wie schon aus Beisp. 25, Takt 3, 9 und 13 zu er- 
sehen ist. Ebenso charakterisiert Mendelssohn im Adagio seiner 
dritten Symphonie, Rubinstein im Andante seines Konzerts op. 70 
den überschwänglichen Gefühlsausdruck durch den Sprung in 
die grosse Septime: 



Mendelssohn. 




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Charakteristik der Intervalle. 



15 



Rubinstein. 
Andante. 



28. l 



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Für den Ausdruck der grössten Erregung, in welcher Lysiart 
in der ersten Scene des zweiten Akts der »Euryanthe« auftritt, 
lässt Weber nach einem vorangehenden c-moll-Accorde das Vor- 
spiel mit dem folgenden Auftakte beginnen: 



29. 



^ 



Der Sprung in die grosse Septime ist hier von höchst charakte- 
ristischer Wirkung ; diese wäre durch die Verwandelung des be- 
regten Intervalls in die kleine Sekunde 



30. 




^ 



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nicht zu erreichen. 

Überschreitet man bei den Intervallen die Entfernung einer 
Oktave, was auch in der Gesangmelodie bei den Nonen und 
Decimen möglich ist, so erhalten diese Oberintervalle eine ausser- 
ordentliche Verschärfung. Der unter Beisp. 31 notierte Decimen- 
sprung ist sicherlich viel bezeichnender für den Charakter und 
die Stimmung des Lysiart, 



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81.^^ 



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Schweigt glüh*n-den Seh - nens wii - de Trie - be, 
als wenn statt des Decimensprungs ein Terzsprung gegeben wäre: 



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16 



Kapitel II. 



Der chromatische Sekundschritt wie die grosse Sekunde 
nehmen als kleine und grosse None andern Charakter an: 



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33. 



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Weitere Entfernungen als die None und Decime sind far 
die Melodie nicht geeignet. 

Die Folge von zwei oder mehr gleichen Intervallen in 
derselben Richtung 

§ 6 ist bei der Melodiebildung in den meisten Fällen zu vermeiden ; 
sie ist nur bei chromatischen und diatonischen Schritten, und 
auch da nur in beschränkter Zahl gutzuheissen. Die alten Theore- 
tiker haben die Folge mehrerer Halbtöne, das chromatische Fort- 
schreiten einer Stimme für unmelodisch erachtet und eine solche 
Stimmführung als eine ^heulende" verl)oten. Je nach dem Tempo, 
dem Rhythmus und einer geeigneten Harmonisierung wird die 
Folge von einigen Halbtönen jedoch recht gut wirken können, 
wie das folgende Beispiel, sechs chromatische Stufen in seiner 
sicherlich edeln und schönen Melodie enthaltend, zur Genüge 
darthut: 

Rieh. Wagner, »Tannhäuser«, Akt III. Scene 2. 



Wolfram. 



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Grössere Ausdehnung von chromatischer Tonfolge wird aber 
selbst bei korrekter Stimmführung \md regelrechtem Satze der 
untergelegten begleitenden Stimmen weder im ruhigen und noch 
weniger im belebten Zeitmasse in der Melodie gute Wirkung 



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Charakteristik der Intervalle. 



17 



machen, und eine Stolle, wie die folgende, könnte nur zu ab- 
sonderlicher Wirkung dienen; sie würde alsdann auch mehr 
durch die untergelegte Harmonie als durch die chromatische 
FOhrung der Oberstimme Eindruck machen: 



35. 






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Es ist nicht ratsam, mehr als etwa die vier Ganztöne, 
welche in der Durtonleiter als vierte, fflnfte, sechste und sie- 
bente Stufe folgen, aneinander zu reihen. Dieselben Töne sind 
in der abwärts gehenden melodischen Molltonleiter als zweite, 
erste, siebente und sechste Stufe enthalten und können darum 
abwärts gehend eineinander folgen. Allenfalls können auch 
die fQnf Ganztöne der aufwärts gehenden melodischen Mollton- 
leiter, die dritte, vierte, fünfte, sechste und siebente Stufe, bei 
geeigneter Harmonisierung aufeinander folgen: 

Dur. 



36. 



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'>'!•, f f / , T^) i if f r j \m 



Jadassohii, Das Wesen der Melodie in der Tonkunst. 



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18 



Kapitel II. 



Moll. 



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■>'t) J J rl ^^ \\ i j i -^tJ >J | >^ ii 



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Die Annahme, dass Intervalle, welche einem Accorde an- 
gehören, leicht zu treffen und bequem sangbar, darum also für 
die Melodiebildung geeignet seien, erweist sich bei der Folge 
von drei kleinen oder zwei grossen Terzen nicht zutreffend: 



37. 



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g =^=£Qii^^ 



a: viiO^. 



a: III'. 



Aber auch wenn die Accordfolge nicht gleichartige Intervalle 
enthält, wie in den folgenden und manchen andern hart disso- 



38. p^T^i II j J 1 ^^ r i Jffg ^ 

C: h C: Iio« IIIV 



nierenden Accorden, so sind die Intervalle weder leicht zu in- 
tonieren, noch melodisch gut zu verwenden. 

Dagegen ist das Aufwärtsschreiten zweier reiner Quarten 
im ruhigen Tempo leicht zu treffen, gut sangbar und darum 
auch melodisch brauchbar: 



39. p 



Rieh. Wagner, »Tannhäuser«, Akt II. 
Adagio, 
Elisabeth. 



»Lohengrin«, Akt IIL 



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Chor 



k: 



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Ich fleh' für ihn, wo euch die Lie-be 

Rubinstein, Konzert op. 70. 






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Die Gliederung der Melodie. 



19 



Die Alten verboten zwei reine Quartsprünge in jeder Richtung 
als unmelodisch; dies trifft jedoch nur bei abwärts springenden 
Quarten zu. Der Chor aus »Lohengrin« wQrde seine grosse Popu- 
larität sicherlich nicht erhalten haben, wenn die darin enthaltenen 
Quartsprünge aufwärts schwer sangbar oder unmelodisch wären. 

Folgen von gleichen Intervallen grösserer Entfernung, wie 
zwei Quinten, Sexten u. s. w., verbieten sich in der gleichen 
Richtung sowohl auf- wie abwärts als unmelodisch. Die Auf- 
einanderfolge verschiedener Intervalle, bald in einer, 
bald in anderer Richtung ist für die Rildung einer 
jeden Melodie notwendig. 



Kapitel m. 
Die Gliedenmg der Melodie. 



Der Rhythmus im Motive. 

§ 7. Sowie mit wenigen Ausnahmen die Folge von Tönen, 
welche die gleiche Intervall-Entfernung haben, für die Melodie- 
bildung unzweckmässig und meist unerträglich ist, so wird auch 
ein durch die ganze Melodie führender, stets gleichbleibender 
Rhythmus möglichst zu vermeiden sein. Dies gilt namentlich für 
in langsamem Zeitmasse gehende Melodien. Aber auch in schneller 
Bewegimg ist ein gleichbleibender Rhythmus nur ausnahmsweise 
gutzuheissen. Bei aller Verehrung für den genialen Rob. Schu- 
mann stehen wir doch nicht an offen zu bekennen, dass das 
Eingangsthema des AUegro ma non troppo in des Meisters zweiter 
Symphonie, C-dur, op. 61, uns durch den innerhalb 17 Takte 
gleichmässig gehenden Rhythmus monoton erscheint: 



^iii-no..JUJTff^^?^^^r^ 



40. 



^ ).. ji i ni jHJj^ r- 1 [ , i--hjim 



2* 



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20 



Kapitel IIL 



Wenn bereits ein an sich interessanter, im bewegten Zeit- 
masse leicht dahinhüpfender Rhythmus trotz der Abwechselung 
in den Intervallen des Themas bei zu bäafiger Wiederkehr un- 
günstig wirkt, so ist dies im langsamen Tempo noch mehr der 
FalL Eine rhythmisch gleichbleibende Melodie kann nur In 
Sätzen mit sehr belebtem Zeitmasse, wie z. B. in den Scherzi der 
dritten und neunten Symphonie von Beethoven, gute Wirkung 
machen; im massigen oder langsamen Tempo wird sie jedoch 
allmählich ermüdend sein, wenn auch die melodische Führung 
der Oberstimme und deren Harmonisierung anfangs eine schöne 
Wirkung machen sollten. 

Als den ursprünglichen Keim der Melodie betrachten wir 
das Motiv; in diesem ist wiederum das Rhythmische zumeist das 
Charakteristische. Die Intervalle eines Motivs können mitunter 
so wenig bedeutsam sein, dass wir aus ihnen kaum die Tonart^ 
auch nicht einmal die Taktart zu erkennen vermögen, in welcher 
die aus dem Motive zu entwickelnde Melodie gehen wird: 

Beethoven, Symph.V. 



*^- prrT-7Tn^Fi=m=¥^ 



Dieses Motiv lässt uns trotz seiner Wiederholung auf einem 
tieferen Tone weder Ton- noch Taktart bestimmt erkennen; es 
könnte verschiedenen Tonarten angehören, und der Hörer weiss 
nicht, ob er «/g oder 2/4 Takt hört. 

Rob. Schumann, Symphonie op. 38. 



42. p'i-, p ^gHW-F-FFH 



Dieses Motiv lässt wohl die Taktart (^4 Takt), nicht aber die 
Tonart (^-dur] mit Sicherheit erkennen. In beiden Motiven sind 
es weniger die Intervalle als der Rhythmus, der charakteristisch 
hervortritt; dieser wird dann für den ganzen Satz von grösster 
Bedeutung. Beethoven giebt im ersten Allegro der il-dur-Sym- 
phonie zuerst nur den Rhythmus des Motivs HH an. Wie hoch 

der Meister den Wert, das Gewicht, die Bedeutung des Motivs 
für die Komposition veranschlägt, erhellt schon aus dem Um- 
stände, dass er es in manchen seiner Werke anfangs allein hin- 
stellt, wie im ersten Satze der fünften Symphonie, der Sonaten 
op. 1 06 und op. 111 und in andern Werken. In den genannten 



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Die Gliederung der Melodie. 



21 



drei Fällen folgt auf das Motiv, bezw. auf die Wiederholung 
desselben eine Fermate, wie auch Bob. Schumann in der oben- 
erwähnten Symphonie thut. Wir möchten annehmen, dass dem 
Hörer durch die Fermate Zeit gegeben werden solle, das Motiv 
zuerst in sich aufzunehmen, es dem Gedächtnisse einzuprägen, 
bevor das aus dem Motive entwickelte Thema dargestellt wird. 
Auch im ersten Satze der neunten Symphonie bringt Beethoven 
zuerst nur das Motiv, 



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er wiederholt und variiert es mehrfach, ehe er das Thema selbst 
im 16. und 17. Takte im ff 




eintreten lässt. Ebenso verfährt der Meister mit dem Motive des 
Scherzo: 



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^ 



Der Takt und das Metrum. 

§ 8. Die Gliederung der Melodie durch den Takt ist dem 
Auge durch die Taktstriche gekennzeichnet. Die Taktart kann 
nur eine zwei- oder dreitheilige sein und wird innerhalb der 
Melodie, meist auch während des ganzen Tonsatzes unverändert 
beibehalten. Ausnahmsweise kommt in einer Gesangsmelodie, 
wohl zumeist aus Bücksicht auf die Deklamation, ausser dem 
zweiteiligen AUa breve-, dem V4"(C^), dem 2/4-, %-, «/4- und "/s" 
Takte und den dreiteiligen Taktarten, dem ^^'y V4- V%' ^d Vh' 
Takte, der Vt-Takt vor. Diese Taktart erklärt sich aus dem Neben- 
einanderstehen je eines ^4- ^^^ eines Y4-Taktes, wie die folgen- 
den Beispiele zeigen: 

Boieldleu, »Weisse Dame«, Nr. 44. 

4 2 3 4 2 



*«' ^^^A-jTr f^i^ r 



u. s. w. 



Schon deckt die Nacht uns 



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22 



Kapitel III. 



>Prinz Eugen«. 



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Prinz Eu - gen, der ed - le Rit - ter, ■wollt' dem 
1 2 S 4 2 



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u. s. w. 



Kai - ser wiedTum krie - gen Stadt und 



Eid grösseres Glied der Melodie ist das Metrum, welches 
meist zwei Takte, zuweilen auch nur einen Takt derselben aus- 
füllt; im letzteren Falle wechseln je zwei auch wohl vier ein- 
taktige Metra mit je einem oder zwei viertaktigen Metren ab. 
Ein Motiv kann je nach seiner Ausdehnung einen Teil eines 
Taktes, oder den ganzen Takt oder darüber hinaus in Anspruch 
nehmen und entweder einen Teil eines Metrums oder ein ganzes 
Metrum bilden. Es kann eine, zuweilen auch zwei verschie- 
dene rhythmische Figuren enthalten. Die Wiederholung des 
Metrums wird, wenn sie nicht wie im Beispiel 45 ganz gleich 
ist, stets etwas Gegensätzliches enthalten. 



45. 



Beethoven, op. i4 Nr. 2, 



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Beethoven, op. 22. 



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Die Gliederung der Melodie. 



23 



Das Gegensätzliche bei der Wiederholung des Metrums auf 
anderer Tonhöhe zeigt Beispiel 46: 



46. } 



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4. Metrum, | | 2. Metrum. 



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2. Metrum. 



4. Metrum. 



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4. Metrum, | i 



2. Metrum. 



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24 



Kapitel III. 



i. Metrum, 



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2. Metram. 



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Yerhältnismässig selten finden sich in klassischen Kompo- 
sitionen einzelne unregelmässig gebildete Takte eingeschoben; 
z. B.: 

Beethoven, dritte Symphonie. Scherzo. 

AWa breve. 



47. l 



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Statt drei Noten des ^4 Taktes sind in diesem Falle zwei des 
Alla breve gesetzt; die Takte sollen eben im gleichen Tempo 
gespielt werden, wie die Metronomisierung J^ = ^= ^^^ ^^"" 
zeigt. Ein Tempowechsel tritt nicht ein. 

Im folgenden Beispiele wird man die eingeschobenen 2/4- 
Takte auch nicht als unregelmässig gebildete empfinden, da auch 
in diesem Falle das Zeitmass insofern dasselbe bleibt, als ein 
2/4-Takt gleich einem %-Takte zu nehmen. 



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Die Gliederung der Melodie. 
Beethoven, Sonate für Piano und Violine, op. 47. 



25 




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22: 



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Während jedoch die Taktart innerhalb einer Melodie eines 
kleineren oder grösseren Abschnittes eines Tonsatzes, meist auch 
den ganzen Satz hindurch die gleiche bleibt, weisen klassische 
Tonsätze stets einzelne ungleichartige Metra auf, so dass wir 
einem in voUkommen gleichen Metren gehenden Tonsatze eigent- 
lich nur in Tanzkompositionen begegnen. Es findet sich aber 
ein unregelmässig gebildetes Metrum innerhalb der regelmässigen 
selten alleinstehend vor; es werden vielmehr dann fast immer 
zwei, vier oder entsprechend mehr unregelmässige Metra neben 
einander stehen und sich solchergeslalt ergänzen. Darum ist die 
Annahme, dass man das Metrum gewissermassen als den Takt 
im Grossen auffassen könne, nur mit Einschränkung zu verstehen, 
denn während die Taktart im Tonsatze jedenfalls während grösse- 
rer Abteilungen desselben die gleiche bleibt, wechseln die Metra 
oft schon in kleineren Abschnitten. 



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26 



Kapitel III. 

Die Periode. 



§ 9. Aus der Zusammenstellung von Metren entsteht die 
Periode; diese ist in Vorder- und Nachsatz geteilt. Beide Teile 
der Periode sind im Baue gleich, im Wesen jedoch gegen- 
sätzlich, z. B.: 

Beethoven, neunte Symphonie. 



Vordersatz. 



49. 



Nachsatz. 



•. •■)-Hrj^ i\ fffum n ^ hfftf 



Dergleichen sechstaktige, aus zweimal drei Takten gebildete 
Perioden sind selten; häufiger werden sie aus dreimal zwei- 
taktigen Metren gebildet erscheinen: 



Beethoven, Konzert, J?«-dur. 



50. 




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Wiederholung derselben. 

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Die Gliederung der Melodie. 



27 



Daran schliesst, in derselben Weise gebildet, die zweite 
Periode von 6 Takten: 



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Im vorstehenden Beispiele sind die sechstaktigen Perioden 
durch die getreue Wiederholung des ersten Metrums von zwei 
Takten gebildet. Hierdurch erhält ausnahmsweise der Vorder- 
satz der Periode vier, der Nachsatz nur zwei Takte. Wir er- 
sehen aus Beisp. 50, dass zwei gleichgebildete Perioden, von 
denen die erste wiederholt wird, zur Bildung des Themas ge- 
geben sind. Fast immer müssen zwei gleichgebildete Perioden 
vorhanden sein, um eine Melodie, ein Thema zu bilden. Nur 
ausnahmsweise finden wir Melodien durch eine einzige acht- 
taktige Periode gebildet; diese muss aber notwendigerweise als- 
dann wiederholt werden und kann selbst nach mehrmaliger 
Wiederholung ein MusikstQck nicht genügend abschliessen. Wir 
geben hier in Beisp. 51 die aus einer Periode von acht Takten 
gebildete Melodie des Chors der Zigeuner „Die Sonn' erwacht mit 
ihrer Pracht" aus „Preziosa", No. 8. Weber hängt an den Chor 
noch den Schluss mit Benützung des ersten Themas von No. 2, 
„ Zigeunermarsch" : 



Vordersatz der Periode, 



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28 



Kapitel III. 



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Nachsatz derselben. 



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5^«a: ' S-i'^ ^ 



•*•• ^ 3 3 3 3 





Meistenteils findet man achttaktige Perioden; da jedoch auch 
solche von sechs, sieben und zehn Takten vorkommen, so wollen 
wir einige Beispiele anführen: 

F. Mendelssohn-Bartholdy, »Es ist bestimmt in Gottes Rat.< 

Nachsatz der Periode. 



52. ^ 



j Vordersatz, | Nachsatz der Period 



i. Metrum. |j _2. Metrum. 



3. Metrum von 



afcrf I f' irrfüm-HH -t ^ 



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2 Takten. 



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4. Metrum. 



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Die Gliederung der Melodie. 



29 



Vordersatz, | Nachsatz der zweiten 



4. Metrum. 



2. Metrum. 



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3. Metrum. 



Periode. 




beigefügtes Metr. 
für den Schluss. 



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4. Metrum. 



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Diese beiden sechstaktigen . Perioden sind durch die treue 
Wiederholung des vierten eintaktigen Metrums (Takt 5) gebildet. 

Häufiger findet man Perioden von sechs Takten aus drei 
zweitaktigen Metren gebildet: 

S. Jadassohn, Serenade Nr. 2, op. 46. 
Andante. 



53. 



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i. Periode. 



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30 



Kapitel III. 



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Wiederholung derselben. 

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2. Periode. 



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Die Gliederung der Melodie. 



31 



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^-i:--pr)Hri)^ 



Louis Spohr beginnt sein „Gesangscene^^ betiteltes Konzert 
mit zwei fünftaktigen Perioden: 



AUegro, 



4. Periode. 



54. 



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2. Periode. 



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h-tlfrrhN-rpin^ 



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feit-miffli^^ i 



Eine siebentaktige Periode erklärt sich aus dem Zusammen- 
fallen des Schlusstaktes vom Vordersätze mit dem Anfangstakte 
des Nachsatzes derselben, wie Beisp. 55 zeigt: 



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32 



Kapitel III. 



S. Jadassohn, dritte Symphonie, op. 50. 

4. Periode. 



Beginn des Vo rdersatzes. 



Andante. 



55. 



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Scbluss. 



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2. Periode. 



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Schlass. 



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Beginn. 



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rTfr- i W^ i '^' 



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Bei sehr kurzen Melodien genügen auch zwei viertaktige 
Perioden, die aber, wie es im Strophenliede der Fall ist, mehr- 
fach wiederholt werden müssen. Tritt eine derartige, sehr kurze 
Melodie in der Instrumentalmusik auf, so erfordert sie anschlies- 
send eine entsprechende Fortfdhrung oder Wiederholungen in 
Form von Variationen. 



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Vokale Melodie. 
Beethoven, Thema der 32 Variationen, c-moll. 



33 



56. 



Nachsatz. 




2. Periode. 
Vordersatz. 




Nachsatz. 






Obschon Beisp. 51 uns ausnahmsweise . eine Melodie zeigt; 
die von einer einzigen Periode von acht Takten gebildet ist, so 
werden wir doch allgemein finden, dass zur Bildung einer Me- 
lodie zwei gleichartige, einander entsprechende Perioden not- 
wendig sind; weiter ausgedehnte Melodien werden derer mehrere 
enthalten. 



Kapitel IV. 
Vokale Melodie* 



§ 1 0. Wir müssen zunächst die eigentliche Gesangmelodie, 
welche fUr die Singstimme geschrieben wird, von einer instru- 
mentalen, die nur von einem Instrumente ausgeführt werden 
kann, unterscheiden. Eine jede Gesangmelodie kann zwar stets 
auch von einem dafür geeigneten Instrumente wiedergegeben 
werden, eine für ein Instrument gesetzte dagegen nur dann von 
einer Singstimme, wenn sie den Umfang derselben nach Höhe 
und Tiefe nicht überschreitet; dieser ist aber in den meisten 
Fällen auf etwa 10 bis 42 diatonische Stufen beschränkt. Nur 
bei besonderer Begabung und sorgfältiger Ausbildung wird ein 

Jadassohn, Das Wesen der Melodie in der Tonkunst. 3 



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34 Kapitel lY. 

Sänger oder eine Sängerin über einen Tonumfang yoo zwei 
Oktaven verfügen können, in Ausnahmefällen vielleicht noch 
über einen oder zwei T8ne mehr. Die Gesangmelodie für eine 
Solostimme oder für Clhorstimmen wird darum nur selten 
den Umfang einer Detime oder allenfalls einer Duodezime über- 
schreiten. 

Die meisten Instrumente verfQgen dagegen über einen grös- 
seren Tonumfang als selbst der einer künstlerisch ausgebildeten 
Singstimme ist. Darum kann die instrumentale Melodie nach Höhe 
und Hefe einign grösseren Umfang erhalten, als die Gesangmelodie. 
Dieser kann insbidsondete in Eammer- undOrohester-Eompositionen 
noch bedeutend vergrftssert werden durch die Beteiligung mehrerer 
Instrumente in der Weise, dass ein höherstehendes Instrument 
einem tieferen den melodischen Faden an geeigneter Stelle ab- 
nimmt und ihn weiterspinnt, z. B. die Klarinette dem Hörn, die 
Violine dem Vieloneell, die Flöte der Klarinette oder auch um- 
gekehrt. 

Als Massstab des sich für den Gesang am Besten Eignenden 
dürfen wir die leichtere oder schwierigere Sangbarkeit, d. i. das 
bequeme, sichere ^Erfassen der aufeinander folgenden Töne, an- 
nehmen. 

Gesangmelodie in der Hausmusik, im Cliorsatze 
und konzertierend. 

§11. Wir können im allgemeinen den Grundsatz aufstellen, 
dass die Komposition für eine oder mehrere Singstimmen dann 
am wohlklingendsten wirket wird, wenn die Melodie sich inner- 
halb der Mittellage einer jeden Stimme bewegt. In dieser ist 
jede Tonschattierung vom zartesten pp bis zum kräftigen ff mög- 
lich. Mozart hält in seinem berühmten Chore „Ave verum corpus^ 
alle vier Singstimmen innerhalb der Mittellage. Der Sopran geht 



von 



^^^^, der Alt von ^ 



=32: 



der Tenor von 



^^^^^^, der Bass von ^ 



zsz 



Durch die Beschränkung auf die am Bequems^ten zu erreichenden 
Töne wird es den Singstimmen möglich, den beregtem Chorsatx 



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Vokale Melodie. 35 

in den Eartesten Tonschattierungen „sotto voce^ (mit gedämpfter 
Stimme) ausBuflihren, so wie es Mosart vorschreibt. 

Eine derartige Einschränkung der Singstimme ist fdr die 
Lied-Eomposition der Hausmusik eu empfehlen. Im Ghorsatce 
kann man den ümfeng der Melodie mehr ausdehnen, denn hier 
ergänzen sich hohe und Mezzo-Soprane, erste AitsUmmen und 
Contr'Alte, erste und zweite Tenöre, Badtone und ti«fe Bässe nach 
H5he und Tiefe und erlauben darum der StfmmfÜhrung eine 
grössere Ausdehnung als in dem von einer «inzelnen Stimme 
gesungenen Liede. 

Wenn man auch bei konzertierender Gesangmusik auf stimm- 
lich aussergewöhnlich begabte Sänger und Sängerinnen rechnen 
kann, so wird man dennoch fiir die Melodi« yorwie|;end nur die 
Mittellage der Stimme verwenden, die lussersten Grenzen der 
Stimme dagegen nur ausnahmsweise zu besonderer Wirkung in 
Anspruch nehmen. 

Auf den Charakter der verschiedenen Stngstinunen wird man 
sowohl im Liede der Hausmusik wie in der Konxert- oder Opern- 
Arie Rücksicht nehmen müssen. In beiden Fällen wird meist 
schon der Text den entschiedenen Hinweis geben, ob die Melodie 
für die eine oder andere Stimmgattung zu komponieren sei. Der 
Komponist wird alsdann, jenachdem er für eine Sopran- oder 
Bass-, Tenor- oder Alt-Stimme fichreibt, nicht nur auf den Um- 
fang, sondern auch auf das Gepräge (timbre) der betreffenden 
Singstimme achten müssen. Man kann wohl in manchen Fällen 
ein imd dasselbe Lied zeitweilif; von einer Sopran- oder Tenor- 
stimme, von Alt- oder Bariton (Bass) singen lassen; es ist jedoch 
keineswegs gloichgültig, ob eine fär eine tiefe Bass-Stimme ge- 
setzte Arie, selbst wonn ontsprediend transponiert, von einer 
Sopran-Stimme gesungen wird, auch wenn die Textworte keinen 
besonderen Hinweis zur Ecanposition för Männer- oder Frauen- 
Stimme geben würden und dies gestatten könnten. 

In der polyphonen Schreibart des Ghorsatzes ist jedoch die 
Melodie derart zu bilden, dass sie mit gleicher Wirksamkeit, 
wenn auch in verschiedener Tonhöhe, von jeder Stimme gesungen 
werden kann. Im fugierten Satzo und besonders «1 dor strengen 
Fuge wird der umfang und die Ausdehnung des Hauptthemas 
beschränkter sein müssen als bei der Komposition für eine Solo- 
stimme. Da das Thema der Fuge bald in den äusseren, bald 
in den mittleren Stimmen aultritt, und es alsdann andere me- 
lodisch geführte Stimmen über oder unter sich haben wird, so 
muss es kurz und prägnant gefasst sein, damit es dem Hörer, 

3* 



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36 



Kapitel IV. 



gleichviel ob in den äusseren oder mittleren Stimmen eingeführt, 
klar erkennbar ist. Nur selten wird es die periodische Gliede- 
rung einer als Oberstimme allein geführten freien Melodie haben, 
oft auch, selbst wenn charakteristisch für den Text, den Zauber 
und Reiz einer „souveränen" Melodie entbehren. Ein Fugen- 
thema wird meistenteils kurz sein; man findet jedoch bei alten 
und neuen Meistern zuweilen auch ausgedehnte Melodien als 
Themen zu Fugen, und wir führen hier einige derartige zu Text- 
worten komponierte an: 



J. S. Bach, Messe. 
Largo, 



67. 



j,^lrf,.^p7^^JIPfl Q ."g jllJ^1 



Ky - ri - e e - le 



-iiJ' ^^u. ^ 



u-r » f 



son, Ky - ri - e e - le 



i - son. 



F. Mendelssohn-Barthoidy. Psalm 95. 
Allegro moderato. 

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58. 'm, (';-j-LC^ 



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Denn sein ist das Meer, und er hat es ge-macht, und 



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- ne Hän-de ha-ben das Trockne be - rei 



tet. 



J. Brahms, Requiem. 
M. M. J = 45. 



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59. 



Sl^zii: 



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Der Ge-rech-ten See-len sind in Gottes Hand und kei-ne 



I r ^r C; , ^ 



Qual ruh - ret sie an. 



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Instrumentale Melodie. 



37 



S. Jadassohn, Psalm 400, op. 65. 
Moderato, ma non troppo, 
dol espress,- 



P r, r r \-r-r\-t-: f "CTe=f 



60. 



Sei - ne Gna - de 



und sei - ne Wahr-heit 



dol. 



wal 



ten ü 



her uns. 



Schliesslich wollen wir nicht unerwähnt lassen, dass die 
Gesangmelodie als eigentliche „Gantiline^^ meistenteils im ruhigen 
Zeitmasse gehen wird. Schnellere Tempi der Gesangmelodie er- 
weisen sich für leidenschaftlich gehaltene Melodien, oft auch für 
humoristischen Ausdruck geeignet. Letzteres ersehen wir z. B. 
aus der Cavatine des Figaro in Rossini's »Barbier von Sevilla« 
und aus anderen Arien komischer Opern. 



e- 



Kapitel V. 
Instramentale Melodie. 



Die Melodie für Streichinstrumente. 

§ 1 S. Durch den grossen Tonumfang, welchen die für die 
Melodiefuhrung gebräuchlichen Streichinstrumente, die Violinen, 
Bratschen und Violoncelle; besitzen, kann die Melodie derselben 
eine grössere Ausdehnung als die der Singstimme erhalten. Ein 
anderer sehr erheblicher Vorzug tritt noch durch den Wechsel 
der Register auf ein und demselben Instrumente hinzu. Hier- 
durch kann eine Melodie verschiedenartige Wirkung machen.' 
Dies bemerken wir, wenn wir ein Thema auf der tibersponnenen 
G-Saite der Violine hören und dasselbe danach auf der E-Saite 
in doppelter Oktav-Entfernung wieder hören. An und ftir sich 
wird schon der Unterschied im Klange durch die verschiedene 
Tonhöhe hervortreten ; ebensosehr wird aber auch der anders- 



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38 



Rapitel Y. 



artige ELlangcharakter der stärkeren mit Draht übersponnenen G- 
Saite und der dünneren Darmsaite ins Gewicht fallen. Die 
wesentlich verschiedene Wirkmig der Register desselben Streich- 
instruments veranlasst den Komponisten häufig die Ausführung 
einer Melodie auf einer bestimmten Saite vorzuschreiben. Wir 
finden oft die Bemerkung y^sul G^ oder 4^ für eine längere Stelle 
vorgeschrieben, wo diese, abwechselnd auf der G- und D-Saite 
gespielt, leichter auszuführen wäre. Der Klangunterschied der 
übersponnenen und nicht übersponnenen Saiten der Streichinstru- 
mente muss auch bei Orchestermelpdien berücksichtigt werden. 
Hier tritt noch der Vorteil des Unisono der vereinigten Violinen 
und Bratschen hinzu. Einen derartigen Einklang, dessen Wirkung 
durch ein all' unisono mitgehendes Hörn gehoben wird, zeigt 
Beisp. 64, in dessen siebenten und achten Takte die Bratschen 
zu den ersten und zweiten Violinen hinzutreten.*) 



Niels W. Gade »Erlkönigs Tochter«, op. SO Nr. 4. 

Andante eon moto. 

Alle Violinen sul G 



61. 



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Louis Spohr giebt das zweite Thema im Larghetto seiner 
Symphonie im c-moU, op. 78, den vereinigten Violinen, Bratschen 
und Violoncellen mit dem Vermerke „tutti all' unisono sopra 
una corda'* (alle im Einklänge auf einer Saite) für die prachtvolle 
durch acht Takte gehende Gantflene: 



*) EinklangsoVerdoppelungen der Violinen mit einer Klarinette werden 
httttfig angewendet, um einer Melodie mehr Voll- und Wohlklang zu ver- 
leihen. Ebenso wird der Klang der Bratschen und der Violoncelle in der 
Melodieführung oft durch Hern oder Fagott verstärkt und gefüllt. Die Ein- 
klangs-Yerbindung von Violinen und Hoboe giebt der Melodie mehr Ein- 
dringlichkeit. 



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Instrumentale Melodie. 



39 



= 56. 



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cresc. 



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dim. 



63. 



UJSi ¥^*^' ^^J ' Wt4ij' 



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Der Eoqtrabass wird kaum zur HelodiefÜhrung im Orchester 
zu yerwenden sein, einesteils weil sein Klang sobwäeber ist als 
der des höherstehenden Yioloncells, andemteils weil dieses im 
4 6 Fusstone stehende InstPument die Begleifmig einer tief liegen« 
den Melodie durch noch tiefer liegende Stimmen nicht zidassen 
würde, in höherer Lage aber der Klang des Violoncells dem des 
Kontrabasses bei Weitem vorzuiiehen ist. 



MeM>e fitr Bltsinitniiit^to. 

§ 13. Wir wollen hier zunächst die Rohrinstrumente ins 
Auge fassen; unter diesen wird die Klarinette, wenn ihr allein 
die Melodie übertragen ist, wegen ihres £;ro8sen, mebr als drei 
Oktaven betragenden Tonttmfang», dtirok die Vfr^ebi^ene Klang- 
farbe der tiefen und höher^t) Register und duroh die Befähigung, 
alle Tonschattierungen vom zartesten pp bis zum mächtig schall- 
kräftigen ff zu geben, dm meisten verwendet. Jede Melodie 
steht diesem Instrumente in gleich hohem Grude zu Gebot 

Für sehr zarte, innige Melodien, welche im ruhigen Tempo 
gehen und insbesondere den Ausdruck tiefen Schmerzes, melan- 
cholischer Träumerei und des ernsten Pathos wiedergeben sollen, 
wird die Hoboe am besten zu verwendeii sein. Die Melodie 
muss sich aber dann auf einen verhältnismässig kleinen Umfang 
beschränken; sie muss dann in der Mittellage, dem besten Re- 
gister der Hoboe, geführt werden und darf allenfalls vom ein- 
gestrichenen d bis zu dem dreigestrichenen eis gehen. Eine 
solche, diesen für das Instrument sehr grossen Umfang beschrei- 
bende, Melodie führen wir hier an: 



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40 



Kapitel V. 

Rob. Schumann, Symphonie Nr. 2, op. 6i. 
Adagio espressivo. 



63.^^ 



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p cantahile 



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Als beste Lage für die Melodieführung der Hoboe können 
den allerdings nur geringen Umfang von £ 



wir 



betrachten. Innerhalb dieser Grenze bewegt sich das folgende 
Beispiel: 

Fr. Schubert, Symphonie, C-dur. 
Andante con moto, 
JP. 



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decresc. 



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Die äusserste Grenze des von uns angegebenen Umfangs 
berührt Schubert in der folgenden Stelle desselben Satzes. 



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e. ^pfrrifT^ ^itmmw^ 



Schelmische Neckerei und liebenswürdige Grazie zeigt Bei- 
spiel 64, dem Scherzo derselben Symphonie entnommen: 



Allegro vivace. 



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Instrumeatale Melodie. 



41 



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Die Flöte ist ein Instrument, dem ein Forte oder Fortissimo 
nicht zur Verfügung steht; darum ist sie nur für sanfte, elegische 
Melodik anzuwenden: 

Weber, »Freischütz«, Finale, Nr. 16. 

andante quasi Allegretto. ^^^^_^ 




rfneif-ff-pffr i 



ih''\rf\-d'-r^\\q^j\i(lrr^\ 




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^^frfi'^tif i W'^«-^^. 




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Cdj l^ UüS l d 



Neuerdings haben sich zwei Instrumente im Orchester ein- 
gebürgert, die vorzüglich für ernste, sehr eindringliche Melodien 
geeignet sind. Diese sind das englische Hom, welches gleichsam 
der Alt der Hoboe ist, und die eine Oktave tiefer als die Klari- 
nette stehende Bassklarinette in B. 

Der Tonumfang des englischen Horns ist an und für sich 
nicht gross; fQr die Melodiefdhrung wird die Skala von 



m 



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43 



Kapitel V. 



etwa dem kleinen f bis zum zweigestrichenen f einzuhalten sein. 
Wir fahren hier ein Beispiel uns »Lohengrin«^ Akt \y Szene S 
an. Das englische Hom geht im Einklänge mit der Singstimme 
und verstärkt dadurch den Eindruck des innigen Gebets der 
Elsa. Zum Verständnisse von Beisp. 68 fügen wir bei, dass die 
Stimme des englischen Horas eine Quinte höher notiert wird, als 
das Instrument sie klingend zu Gehör bringt. 



Engl. Hom (allein). 
^^ — 



68. 



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Elsa. 



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Du tru - gest zu ihm mei - ne Kla • ge, zu 



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^ ^ A^-nr ri ' -p^igjQ 



mir trat er auf dein Ge - bot. 



In der Instrumental-Einleitung zum zweiten Akte der Oper 
bringt Wagner das Verbot Lohengrin'» durch das englische Hom 
in Erinnerung. 



69. 




^'^'JiJ^.3|J^/ | J JJ7.3|J^ 



und weiterhin: 



70. 



Ü 



t^ji i . f J- ^u^njiu- ^ ijj. 



In den vorstehenden drei Beispielen 68 — 70 sehen wir den 

(dem wirklichen Klange nach) be- 



Umfang von 



nutzt. 



E 



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Instrumentale Melodie. 



43 



Der Tonumfang der Bassklarinette ist ausserordentlich gross 
und erstreckt sich über mehr als drei Oktaven von 



i 



Der ernste, in der tiefen Lage feierliche, jederzeit sehr eindring- 
liche Klang des Instruments lässt seine melodische Verwendbar- 
keit meist nur f(ir getragene Melodie in ruhigem Zeitmasse zu. 
Sehr wirkungsvoll gebraucht Rieh. Wagner das Instrument zur 
Verdoppelung des engUschen Horns in der tieferen Oktave (Bei- 
spiel 69) und zuerst allein, dann in tieferer Oktave mit der 
Klarinette im folgenden Beispiele, das einen Ton tiefer erklingt, 
als es geschrieben ist: 



Basski. in B. 



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ii., \ ' r f tT ifefe^ 



•>:/f^^ai^^ i ^^ ^ 



dim. 

Die Einführung der Ventile bei den Hörnern und Trompeten 
gestattet heutzutage diesen Instrumenten mit Leichtigkeit Melodien 
zu übernehmen, welche ihrem Charakter entsprechen und den 
Umfang einer Gesangmelodie nicht überschreiten. Dass jedoch 
auch ältere Meister, denen nur Natur-Instrumente zur Verfügung 
standen,, es sehr wohl verstanden, diesen geeignete Melodien zu 
übertragen, zeigt die folgende, dem ersten Satze des Oktetts 
op. 466 von Fr. Schubert entnommene, einem jP-Home gegebene 
Melodie, welche ausser den Naturtönen nur einige sehr leicht 
zu erhaltende, im Klange von denselben kaum zu unterscheidende 
halbgestopfte Töne enthält. Um dem Leser die Transposition in 
die tiefere Quinte zu ersparen, notieren wir die Stelle in der 
Tonhöhe, in welcher sie klmgf : 



Allegro. 




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44 



Kapitel V. 





Da ein einzelnes Hörn keineswegs über ein so markiges 
Forte verfügen kann, wie es die Trompete und Posaune besitzen, 
so werden die einem Solo-Horne zu gebenden Melodien meisten- 
teils sanfter, elegischer Natur sein. Im Gegensatze dazu werden 
Melodien für die Trompete, der ein eigentliches, zartes Pianissimo 
nicht natürlich ist, und das auch von einem sehr guten Bläser 
nur in den Tönen der eingestrichenen Oktave zu erhalten ist, 
einen prächtigen Charakter tragen. So benutzt Weber eine Solo- 
Trompete in der Oper »Oberen«, No. 14, um den Aufgang der 
Sonnenscheibe tonmalerisch darzustellen: 



Andante maestoso. 



78, 







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Kriegerische Melodien werden sich flir die Trompete jeden- 
falls am besten eignen; wir finden jedoch zuweilen auch anders- 
artige Melodie für eine Solo-Trompete, wie die folgende, dem 



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Instrumeniale Melodie. 



45 



fünften Akte der Oper »Robert der Teufel« entnommene Stelle 
darthut. Das Beispiel wird in A-moU, also eine Terz tiefer als 
es geschrieben ist, klingen: 



Andante cantabüe. Trompete in A, 



74. 



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Wir fügen hier bei, dass eine Melodie für Trompete, gleich- 
viel welcher Stimmung, den Umfang der Töne von etwa dem 
kleinen h oder b bis zum zweigestrichenen f dem Klange nach 
nicht leicht überschreiten wird. 

Der Posaune wird eine feierliche, würdevolle oder kirch- 
liche (Choral-} Melodie angemessen jsein. Als eine Ausnahme 
führen wir hier die Stelle an, in welcher Rieh. Wagner während 
•des Zweikampfes von Lohengrin und Telramund drei Posaunen 
air unisono die nachstehende charaktertstische Melodie überträgt: 



Schnell. 



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75. ^^rj^JU f ' r' I ' ^ tlü W'''''- 



osaunen zu 3 



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4. und 2. allein. 



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46 



Kapitel V. 



DiB MeliKlie fflr Klavier. 

§ \ 4. hat ihre Besonderheit durch die Beschaffenheit des Tones, 
der in Notenwerten von längerer Zeitdauer auf dem Instrumente 
nicht ausgehalten werden kann, da er von dem Augenblicke, in 
welchem er angeschlagen wird, in jeder Oktave, bald langsamer 
in den tieferen, bald schneller in den mittleren, am schnellsten 
in den höchsten Oktaven, verklingt. Darum müssen wir beim 
einzelnen Tone auf die Vortragsmittel des Anschwellens und Ab- 
nehmens — «=::i :::==—, des crescendo -«=^:r, des diminuendo 
3^=*- und des Vibrato Verzicht leisten. Das diminuendo durch 
das Verklingen des angeschlagenen Tones ist vom Spieler nicht 
zu regulieren. In den höheren Oktaven geht es selbst bei auf- 
gehobener Dämpfung, wie bereits erwähnt, sehr schnell vor sich 
und ist auch in der MiCteilage des Instruments su bald eintretend 
und schon darum nicht als Vortragsmittei au benutzen. 

Die Komponisten aller Zeiten haben dem beregten Obel- 
stande zu begegnen gesucht, indem sie durdi mancherl» Ver- 
zierungen, durdi den Verschlag, Merdent, Doppelmordml, Doppel- 
schlag, PralltrÜier und Triller die Verlängerung eines auszafaaltenden 
Tones das Weiterklingen desselben zu ersetzen suehten. So be- 
ginnt Beethoven dea zweiten Satz der Sonate op. 84 No. 4 fol<^ 
gendermassen: 



Adagio grazioso, 
tr 



76. 




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Instrumentale Melodie. 



47 



Der Triller ist hier eine notwendige Yerzierang'*'); er soll 
das Weiterklingen des eigentlichen Helodietones bewirken, der 
ohne den Triller und dessen Nachschlag durch die, anfangs in 
Achtel-, späterhin in Sechsehntel-Noten gehende Begleitung ge- 
deckt, nicht in genügender Klangflille forttSnen würde: 



77. 



Adagio grassioso. 




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Dergleichen Hilfsmittel werden in vielen Fällen zweckdien- 
lich sein; die Yortragsmittel, welche andern Instrumenten für 
den lao^ausgehaltenen Ton x« Oebote stehen, könn^ sie jedoch 
nur in gering^ä Hasse enetz^i. Eine Wirkung, wie Hal6vy sie 
zum Ausdrucke des tiefsten Seelenschmerzes durch zwei ausge- 
haltene T5ne der Klarinette erzielt (vergl. Beisp, 15), kann selbst- 
verständlich in der Klaviermelodie niemals erreicht werden. 
Chopin wählt ftir die Nuancierung des angeschlagenen Melodie- 
tones das Wieder-Anscfalagen desselben (vergl. Beisp. % und 4). Dies 
ist insofern das beste Mittel, als sowohl der Melodieton schattiert 
und gleichzeitig der Bhytfamus belebt werden kann. 

Dagegen besitzt das Klavier vor den Streichinstrumenten in 
weit höherem Grade den Vorzug, dass die Melodie durch Verdoppe- 



*" Anderen Instramenten dienen die Verzierungen meist nur dazu die 
Zeichnung der Melodie anmutiger zu bilden, sie reicher auszustatten und 
ihr dadurch erhöhten Reiz zu verleihen. 



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48 



Kapitel V. 



lung in der Oktave gegeben werden und darum viel eindringlicher 
wirken kann. Die Verdoppelung kann beim vierhändigeu Spiele 
durch die Hände eines der beiden Spieler in der Entfernung von 
zwei Oktaven zu besonderer Wirkung hervorgehoben werden. 
Eine cantable Melodie wird bei der Oktaven-Verdoppelung durch 
eine Hand an Tonfülle, eine energische an kraftvoll mächtigem 
Klange gewinnen, wie die folgenden Beispiele zeigen: 



Beethoven, Sonate, op. 57. 
Allegro assai. 



78. 



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dolce. 



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Instrumentale Melodie. 



Beethoven, op. 47. 
Presto, 



79. 



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Das Elavier besitzt für die Melodieftihrung femer noch den 
Vorteil durch das rechtsseitige Pedal die Dämpfung aufzuheben 
und dadurch der Melodie einen nur diesem Instrumente eigen- 
tümlichen Glanz zu verleihen. Durch das zweite Pedal (Sordino) 
kann augenblicklich die Melodie oder ein beUebiger Teil derselben 
zum dreifachen ppp (Pianissimo) abgedämpft, durch den gleich- 
zeitigen Gebrauch beider Pedale eine zart schimmernde Tonschat- 
tierung verbreitet werden. 

Ein anderer Vorteil des Klaviers für die Melodieführung liegt 
in dem Ausgeglichensein der Register. Wenn auch die Töne der 

JadaiBohn, Das Wesen der Melodie in der Tonkunst. 4 



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50 



Kapitel y. 



höchsten Oktaven nicht die Klangfülle wie did der Mittellage des 
Instruments besitzen, so kann eine Melodie dennoch Ober zwei, 
drei Oktaven und noch darOber in der gldcheti Klangfarbe ge- 
geben werdeDi, wie das folgende Beispiel leigt: 

Rubinstein, Konzert in d-moll, op. 70. 




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u. s. w. 



Def weitattft grässte Vorzug des Klaviers vor den Bla^ und 
Streich-Instrumenten liegt darin, dass die Melodie durch reiche 
harmonische Begleitung jederzeit wesentlich gehoben und dem 
Verständnisse des Hörers näher gebracht werden kann. 



Die Melodie fllr Orgel. 

§ 46. Bei der Bildung der Melodie wird den Eigentümlich- 
keiten Und dem Charakter des Instruments Rechnung getragen 
werden müssen. Da der Orgelton beliebig lang auagehalten 
werden kann^ so werden feierlich ernste^ in ruhigem Zeitmaaae 
gehende Melodien vortreffliche Wirkung machen* Das eigentliche 
Gepräge einer Melodie für Orgel wird wohl am besten ein ehr- 
würdiges, kirchliches sein. Leidenschaftliche Erregung wird schon 
darum fernbleiben, weil weder der einzelne Ton noch die Folge 
mehrerer Töne ein Crescendo oderDiminuendo in d e r Weise gestatten, 
wie dies auf den Streich- und Blasinstrumenten und selbst auf 



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InstrumenUle Melodie. 



51 



dem Klaviere bei einer Toogruppe in5glich ist Die Klang- 
Schattierungen der Melodie durch forte^ piano u. s. w. kann man 
auf der Orgel nur durch den Wechsel der Register erhalten. 
Ein Crescendo oder Diminuendo kann trotz der Züge und Vor- 
richtungen auf manchen grösseren Werken, wie sie heute gebaut 
werden, nicht so allmählich abgestuft werden, wie auf andern 
Instrumenten. Ein häufiger und plötzlicher Wechsel der Register 
ist dem Charakter der Orgelmeiodie auch nicht immer angemessen, 
und noch weniger wäre es ein grelles Übergehen vom brausen- 
den fff, wie es durch das volle Werk hervorgebracht wird, zum 
verhallenden pppj das der Orgel durch die „Echostimmen" mög- 
h'ch ist, innerhalb einer Melodie. Rhythmische Accente 
zur Erhöhung des Ausdrucks, wie :^ fp, sf und sfz, sind auf der 
Orgel beim gebundenen Spiele nicht möglich. Die weltlichen 
Empfindungen der Liebe, des Hasses, des Humors, der ausge- 
lassenen Heiterkeit u. s. w. stehen dem Wesen der Orgelmelodie 
fern ; selbst in solchen Kompositionen, die nicht zum Gebrauche 
beim Gottesdienste, sondern zum Konzertvortrage bestimmt sind, 
wird der Charakter der Melodie stets ein vornehm ernster, wür- 
diger bleiben, wie wir dies in den Werken der alten und neuen 
Meister sehen. 



Kapitel VI. 
Die Hamonie is der Melodie. 



§ 1 6. Eine jede Melodie besitzt eine ihr innewohnende Har- 
monie, welche aus der Reihenfolge der Intervalle zu erkennen 
ist. Accordlich gebildete Melodien zeigen dies am deutlichsten; 



Volkslied. »Tiroler sind lustig«. 



D: I V11O7 V7 



nf^ 



■MLStZZSL 



*: 



Ebenso sind bei Melodien, die nur teilweise accordlich ge- 
bildet, auch diatonische Tonfolgen zeigen, die natürliche, zugrunde- 

4* 



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52 



Kapitel VI, 



liegende Harmonie und die modulatorischen Wendungen, welche 
die Melodie nimmt, nicht zu verkennen: 



Beethoven, op. 61. 

8va 



82. 




9' I 



^ : tj-^TTjpv p-j ^ 



d: 



Auch bei Melodien, welche vorwiegend tonleltermässig ge- 
bildet sind, ist deren natürliche Harmonie unschwer zu entziffern: 



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I IV V 



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I B: V 



Es bedarf aber im musikalischen Kunstwerke jede Melodie 
der sie tragenden und stützenden Harmonie, selbst wenn diese 
in der Melodie unverkennbar ausgesprochen ist. Es muss min- 
destens der Bass als Begleitung der Melodie gegeben werden, 
um ihr als Fundament zu dienen. In dieser Weise beginnt 
Beethoven das Andante con meto der fünften Symphonie: 



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Die Harmonie in der Melodie. 



53 



Viele e Vio- 
loncelli. 

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e=r_ffÄi^ 



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Tritt eine Melodie zuerst ohne jede harmonische Begleitung 
auf, so hat sie für den Hörer meist etwas Geheimnisvolles — wir 
möchten sagen „ Rätselhaftes'^ — an sich, das erst dann gehoben 
wird, wenn sie harmonisiert wiedergehört wird: 



Fr. Schubert, Symphonie in C-dur. 
Andante. 
Corni. 



s.^^^^^ 



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1 



k^ i-i^iU M 



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Wenn wir diese Melodie allein und zum erstenmal hören, 
so wird uns die volle Bedeutsamkeit derselben nicht klar; dies 
wird erst dann der Fall sein, wenn wir sie nach den ersten acht 
Takten von der Harmonie begleitet nochmals hören. 

In den Werken der Tonkunst sind Melodie und Harmonie 
untrennbar zu gemeinsamer Wirkung innig miteinander verbunden. 
Wir hören eine nicht durch die Notenschrift gekennzeichnete 
Melodie aus den Spitzen harmonischer Figuren heraus und em- 



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54 



Kapitel VI. 



pfinden die durch die Zeichnung der Melodie gleichsam in der 
Fläche gegebene Harmonie. 

Wenn wir oben sagen, dass einer jeden Melodie gewisser- 
massen eine ihr natürliche Harmonie innewohnt, so woUen wir 
dies jedoch keineswegs dahin verstanden wissen, als könne eine 
Melodie nur auf eine einzige Art harmonisiert werden. Einer- 
seits können die Bedingungen zu verschiedener Harmoniesierung 
derselben Melodie vorhanden sein, so dass sie in der einen oder 
andern Art nicht unnatürlich begleitet erscheinen dürfte, anderer- 
seits wird hdufig das Oberraschende einer zweiten, neuen Har- 
moniesierung eine besonders gute Wirkung machen, zumal wenn 
wir diese voller und reicher nach einer einfachen und schlich- 
teren zu Gehör bekommen. In der auf solche Weise verän- 
derten Darstellung derselben Melodie liegt ein besonderer Beiz, 
den wir bei durchkomponierten Liedern, in Varationen und 
anderen Kompositionen empfinden. Am Auffälligsten tritt dies 
im Kanon des Einklangs oder der Oktave hervor. Hier folgt 
der einen melodieflihrenden Stimme in thunlich geringer Ent- 
fernung eine zweite mit derselben Melodie, die aber nunmehr, 
in anderer Weise harmonisiert, durch die neue Harmonie — so 
zu sagen — eine andere Bedeutung, eine anders beleuchtete 
Darstellung erhält, und uns in der nachahmenden Stimme etwas 
anderes finden lässt als das, was wir kurz zuvor von der füh- 
renden Stimme gehört haben. 



S. Ja-dassofan, op. 36 Nr.4. 
Langsam und innig. 



Sopran. 



Sopran oder 
Tenor. 



8& 



Piano. 



fcjir r ^Ti^ ^ir^^^ g 



fry | - ^Tffyr7]J' ^ 



Am Himmelist kein Stern, 



den ich dem Freund nicht 



Am Himme ist kein Stern, 



^ R^ 



3ZI 



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Die Harmonie ia ikr Melodie. 



55 



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gönn - te, 



meiii Oerz gttfo ich ihm gern, 



^jJj- (! r f i n» f j p,|j j=g 



den ich dem Freand nicht göna^e, mein Herz gfib' ieh ihm 



ih i ^ j l 'i« il« ; « j 



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rr-T-g^ 



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wenn id^'s her-aus thun kdnn - te. 



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Kapitel VI. 



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Die Melodie in der Komposition. 57 

Kapitel Vn. 
Die Melodie in der Komposition. 



§ n. In jedem musikalischen Kunstwerke ist die Wieder- 
holung^ eines auch nur irgendwie wesentlichen Bestandteils not- 
wendig. Darum verlangt der Bau grösserer Tonsätze die Wieder- 
holung der Melodie oder derjenigen Melodien, welche als seine 
Themen am meisten hervortreten. Da diese den Stoff für den 
ganzen Tonsatz enthalten, der aus ihnen entwickelt und darge- 
stellt wird, so zieht sich das melodische Element durch jedes 
musikalische Kunstwerk. Für das Fortspinnen des melodischen 
Fadens, für die Um- und'HN'eugestaltungen des ursprünglichen 
Stoffes, für die in derselben Tonart oder in anderen Tongeschlech- 
tern mehr oder weniger getreuen Wiederholungen der Haupt- 
gedanken eines grösseren, weiter ausgeführten Musiksatzes giebt 
es in der Tonkunst keine für alle Fälle einschlagenden Regeln. 
Die Ges etze der Logik, wie sie den exakten Wissenschaften zu 
eigen, sind der Musik fremd.. An ihre Stelle tritt die frei wal- 
tende Fantasie, die unbeengt und nicht durch~~starre Regeln ge- 
bunden aus den Hauptgedanken neue Gebilde schafft, sie uns 
in anderer Weise darstellt, zwar nach bestimmten Grundsätzen, 
aber nicht in bestimmten Folgerungen. Oft ist es gerade das 
Unerwartete, das Oberraschende, das die grösste Wirkung im 
Tonwerke hervorbringt. An die Stelle des logischen Entwickeins 
tritt in der Musik das organische Bilden, und in diesem ist die 
Notwendigkeit der Verdoppelungen, deFWiederholungen geboten. 
Diese brauchen deshalb keineswegs schablonenhaft zu sein, wie 
sie beim Strophenliede und bei den kleineren Teilen grösserer 

Kompositionsformen durch die Wiederholungszeichen Hl 'M an- 
gezeigt werden. Es liegt aber klar zutage, und die Werke der 
Meister zeigen dies, dass in einem Tonstücke irgend ein Wesent- 
liches nicht nur einmal erscheinen dürfe; es kann nicht allein- 
stehend bleiben und verlangt in der einen oder andern Weise 
ein Wiedererscheinen im Satze. 

Wir wollen nunmehr untersuchen, in welcher Weise die 
Melodie in verschiedenen Kunstgattungen auftritt, welche Stel- 
lung sie in denselben einnimmt und von welcher besonderen 
Beschaffenheit sie in dem einen oder andern Falle ist. 



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58 Kapitel VII. 

In der Vokalmusik wird die rhythmische und metrische Bil- 
dung der Melodie zunächst durch äie Textworte bedingt, an die 
sie gebunden ist. Ihr erster Zweck ist hier die Deklamation 
richtig hervorzuheben; darum M sit UDfrei und muss sich bald 
mehr, bald weniger durch den Rhythmus und den Sinn der 
Worte beeinflussen lassen, sich ihnen anbequemen, zuweilen voll- 
ständig unterordnen. Das Letztere ist im Seceo^BecitatiTe ganz 
imd gar der Fall; dieses zeigt uns nur eine auf wenige Tilne 
beschränkte rhythmisch meiodisdie Deklamation, die an die Stelle 
des gesprochenen Wortes tritt. So gering der melodische Wert 
des Secco-Recitativs auch ist, so mllssen wir demselben dennoch 
seinen nicht zu imterschätzenden Vorzug vor dem Dialoge zuer- 
kennen. Beim Secco-Bedtative bleiben wir fmmer noch in dee 
musikalisehen Sphäre; wir hören rhythmtsierte und harmonisch 
begleite Töne, welche zwar an sich ein HusikstOck nicht bilden, 
wohl aber die Verbindung zwischen zwei Musikstücken vermit- 
teln. Das gesprochene Wort des Dialogs zieht uns dagegen 
aus der höheren musikalisdien Sphäre in die niedere des allo- 
täglichen Lebens. Sobald nach einem Musikstücke der Dialog 
in trockener Prosa eintritt, fiihien wir uns ernüchtert. 

Im Melodram tritt das melodische Element schon imgleich 
mehr hervor. Der Dichter ruft die Tonkunst zu Hilfe, um den 
gesprochenen Worten eine erhöhte Bedeutung zu verleihen, um 
die Stimmung besser auszudrücken. Häufig genug wird auch 
im Drama und in der Tragödie Musik für diese Zwecke gefor- 
dert; der Dichter verlangt sie, er schreibt vor: „Hier erschallt 
kriegerische Musik hinter der Szene^ u. s. w. Zuweilen genügt 
die poetische Sprache allein dem Dichter nicht. So schön das 
Gedicht „Der Eichwald brauset** auch ist> so schreibt Schiller 
doch vor: „Thekla spielt und singt^. 

Allerdings tritt das Melodische im Melodrama meist nur 
aphoristisch auf; es finden sich jedcch auch Fälle, wo die Me- 
lodie, sich ausbreitend, zu ihrem vollen Rechte gelangt und als«- 
dann mehr und besser wirkt als die zur Musik gesprocbenen 
Worte. So zieht sich in Bob« Schum^nn's Musik zu „jfanfred" 
durch das Melodram beim Erscheinen des Bildes der Astarte im 
Zauberspiegel die nachstehend vermerkte innige, rührende Me- 
lodie während 38 Takte, welche, tiefergreifend, mehr geeignet 
ist, den Schmerz Manfred's auszudrücken als die poesievoUen 
Worte Byrcn's. 



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Die Melodie in der KompositioD. 



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Kapitel VII. 



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lodische Element hervortreten , nicht wie dort zu gesprochenen 
Worten, oft auch in der Form des Arioso-Recitativs. Wir erinnern 



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Die Melodie in der Komposition. 



63 



hier an die Becitative Jesu in der »Matthäus-Passion« von Bach und 
an viele, den Arien daselbst vorangahende Becitative, von denen 
wir hier eines anftlhren: 



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64 



Kapitel VII. 



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Die Melodie in der Komposition. 



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JadasBolin, Das Wesen der Melodie in der Tonkunst. 



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66 



Kapitel VII. 



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In allen lyrisch gehaltenen vokalen Musiksätzen, in Liedern, 
Duetten, Chören u. s. w. ist die Melodie der wichtigste Faktor. 
Die Poesie liefert alsdann nur die Unterlage, den Text, der den 
Komponisten zum Schaffen eines Tonstücks anregt. Obwohl 
selbstverständlich auch in solchen Kompositionen auf eine ver- 
ständige, richtige Deklamation die notwendige Rücksicht genom- 
men werden muss, sa ist der Tondichter doch nicht mehr streng 
an das einzelne Wort, an den einzelnen Vers oder an die ein- 
zelne Textstrophe gebunden; er kann und muss oft ein oder 
einige Worte oder einen Vers zu gunsten der Bildung der Me- 
lodie wiederholen, bezw. eine frühere Strophe des Gedichts nach 
andern, die ihr folgten, wiederbringen, um die Form des Musik- 
stückes abzurunden. 

§ i 8. In der Instrumentalmusik kann die Melodie frei schal- 
ten, sich, durch nichts beengt, vollkommen ungebunden, ent- 
wickeln, beliebig weitergeführt werden, und in mannigfacher 



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Die Melodie in der Komposition. 57 

Weise verändert; wiedererscheinen. Aus den Veränderungen der 
Melodie entstehen die verschiedenen Formen der Varationen. 
Die ursprüngliche Melodie, welche in Variationen verändert wer- 
den soll, nennt man das Thema. Der Ausdruck „Thema'' wird 
jeder selbständig auftretenden, einen Hauptgedanken des Satzes 
bildenden Melodie in einem grösseren Tonsatze beigelegt; er ist 
bezeichnend, denn wie das Thema in einer wissenschaftlichen 
Abhandlung erörtert und erläutert wird, so giebt das Thema im 
Tonsatze den StofiF zur Bildung des Musikstückes. Wir haben 
bislang schon das Wort „Thema'' zuweilen als gleichbedeutend 
mit „Melodie" gebraucht und werden es fernerhin, wenn wir von 
Instrumentalmusik reden, ausschliesslich gebrauchen. 

In den Variationen über ein Thema werden aus demselben 
eine Anzahl anderer, aneinanderhängender Tonsätze geschaffen, 
die, wenn sie auch nicht Wiederholungen des Themas sind, doch 
den Keim des Entstehens aus ihm entnommen haben. Dieselben 
haben meist die gleiche Anzahl von Takten wie das Thema; 
nur die letzte Variation, das „Finale", wird weiter ausgeführt, 
um das Ganze in einem verlängerten Schlüsse ausklingen zu lassen. 

Mehr als irgend ein anderer Meister hat Beethoven eine 
grosse Anzahl von Variationen in den verschiedenen Formen, 
teils als besondere Werke, teils als Sätze in den meisten seiner 
Kompositionen für Haus- und Kammermusik geschrieben. Selbst 
in der Symphonie hat er die Variationenform nicht verschmäht. 
Das Finale der heroischen Symphonie zeigt uns Variationen über 
ein Thema, das zuerst als Bass auftritt. Dieser Bass ist, kaum 
wesentlich verändert, in allen Variationen wiederzufinden. Man 
könnte dieses Finale mit Fug und Recht eine „Passacaglia" 
nennen, eine Art von Variationen über einen „basso ostinato". 

Die Themen der Variationen Beethoven's sind meist kurz, in 
einfacher Liedform gehalten. Die Varationen, welche densett)en 
folgen, sind mitunter so gebildet, dass Ton- und Taktart gleich- 
bleibend sind und dass die Harmonie, welche das Thema be- 
gleitete, in jeder Variation wiederkehrt. Man wird das Thema 
dann leicht wiedererkennen, da die Veränderungen nur durch 
andere Bewegung der Begleitung, oder durch andern Rhythmus 
z. B. durch Synkopen entstehen. So sehen wir dies im zweiten 
Salze der Sonata appassionata. 

Das Thema kann in einzelnen Variationen durch andere 
Harmoniesierung, durch Wechsel der Taktart, durch Übertragung 
von Dur nach Moll oder von Moll nach Dur wesentlich verändert 
erscheinen, ohne deshalb unkenntlich zu werden. Es entstehen 



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68 Kapitel VII. 

daQQ andere Tonbilder mit besonderen Charakteristischen Eigen- 
heiten. So zeigt uns die dritte Variation im ersten Satze der 
Sonate op. 26 von Beethoven eine sehr ernste Trauermusik in 
as-moU; die daraulTolgende vierte Variation bietet dagegen eine 
heitere, neckische Physiognomie. In den „Variations serieuses** 
von Mendelssohn durchlaufen die verschiedenen Variationen eine 
Reihe von Empfindungen, die zwar alle ernster Natur, doch aber 
sehr verschiedener Art sind. Wir finden Variationensätze, in 
denen das Thema bald im Tempo eines Marsches, eines Menuetts, 
eines Scherzo, einer Fughetta, einer ausgeführten Fuge, eines 
Kanons, bald als „Maggiore" bezeichnet in Dur oder als „Minore** 
in Moll erscheint. Wir erkennen dann in je einer Variation ein 
verändertes Bild des ursprünglichen Themas mit anderer Cha- 
rakteristik. Wir hören neue Gebilde entstehen, die, durch die 
Fantasie des Komponisten aus dem Thema hervorgerufen, un- 
leugbar das Gepräge inniger Verwandtschaft sowohl untereinander 
wie mit dem Thema an sich tragen. Nicht selten finden wir 
nach einer längeren Reihe von Variationen gegen den Schluss 
derselben hin das Thema im ersten Zeitmasse fast unverändert 
wieder, wie Fr. Schubert dies im Streichquartett in d-moll, Beethoven 
dies in den Variationen der Sonaten op. 1 4 No. 2, op. 57, op. 4 09, 
im Trio für Pianoforte, Violine und Violoncell op. 97 u. s. w. thut. 

Wenn auch einzelne Variationensätze durch die Anzahl der 
Variationen eine grosse Ausdehnung erhalten, so ist die Form 
dennoch die kleinste unter den instrumentalen Formen, da sie 
als Hauptgedanken nur ein Thema besitzt; sie nimmt in den 
Formen der Instrumentalmusik die Stellung ein, wie das Strophen- 
lied in der Vokalmusik. Ist auch in beiden Fällen die Form 
eine einfache, so zeigen doch viele Werke der Meister, dass auch 
In dem Rahmen dieser kleinen Form Schönes, Grosses und Be- 
deutendes geschaffen worden ist. 

§ 19. In der aus zwei einfachen Liedformen zusammen- 
gesetzten Tanzform reiht sich an den ersten Teil des Satzes, der 
den Hauptgedanken giebt, ein zweiter Teil, welcher das Thema 
weiterführt und anknüpfend es zuweilen, wenn auch mit ver- 
ändertem Schlüsse, wieder hören lässt. Auf diesen aus zwei 
Teilen bestehenden Hauptsatz folgt dann der Abwechslungssatz, 
gemeinhin das „Trio^^ genannt. Dieser wird meist auch wie der 
Hauptsatz zwei Teile enthalten und ein neues, anderes Thema 
geben. Trotz ihrer Zusammengehörigkeit zeigen die beiden Sätze 
eine gewisse Gegensätzlichkeit, teils durch den Wechsel der Ton- 
art, oder durch veränderten Rhythmus, durch beschleunigte oder 



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Die Melodie in der Komposition. 



69 



langsamere Bewegung, zuweilen auch durch anderes Tempo. 
Wir bemerken diese GegensStzlichkeit im Trio von Tänzen, Mär- 
schen, Scherzo oder Impromptu genannten Fantasiestticken und 
in andern derartigen kleineren Tonsätzen. 

In der breiten Form des ersten Sonatensatzes, wie auch in 
dem in grosser zweiteiliger Liedform ausgeführten Adagio, An- 
dante, Larghetto u. s. w. finden wir stets zwei Themen, die Haupt- 
gedanken darstellend. Betrachten wir die Melodik dieser Themen 
in einem ersten Sonatensatze, der fast immer im schnellen Zeit- 
masse gesetzt ist, so finden wir fast ausnahmslos, dass das erste 
Thema eine rasch dahinlaufende, oft stürmische Bewegung hat, 
wogegen das zweite Thema ruhiger gehalten ist. Selbst da, wo 
der Satz durchweg in leidenschaftlicher Stimmung bleibt, wie 
im ersten Satze der Sonate path6tique, der Sonata appassionata 
und in vielen andern Sätzen, sehen wir diese Gegensätzlichkeit 
der beiden Hauptthemen. Trotzdem haben sie eine innere geistige 
Zusammengehörigkeit, die sich Susserlich schon zunächst durch 
das gleiche Tempo und die gleiche Taktart erweist. Auch die 
Verschiedenartigkeit der Tonarten, in denen im ersten Teile des 
Satzes die beiden Themen auftreten, verschwindet bei der Wie- 
derholung im dritten Teile. 

Die innere Zusammengehörigkeit der beiden Hauptthemen 
zeigt sieh suweilen in augenfälliger Weise. Wir sehen, dass 
dasselbe rhythmische Motiv, aus welchem das erste Thema im 
ersten Satze der Sonata appassionata von Beethoven entwickelt 
wird, zum gleichen Zwecke im zweiten Thema dient; trotzdem 
haben die beiden Themen anderen Charakter, wenn auch die 
Stimmung im Ganzen die gleiche bleibt: 



Thema 4. 



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Kapitel YU. 



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Yergleicben wir die beiden Hauptthemen im ersten Satze 
der fünften Symphonie des Meisters, so finden wir, dass das 
erste derselben ganz und gar aus dem rhythmischen Motive 



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herausentwickelt ist. 

Betrachten wir dieses Motiv näher, so hat es etwas Rätsel- 
haftes an sich und behält dies auch bei der Wiederholung auf 
dem tieferen Tone 



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Vielleicht ist es gerade das Geheimnisvolle, wodurch dieses 
Motiv allein, schon bei seinem ersten, abgesonderten Auftreten 
eine tiefe, ja geradezu erschütternde Wirkung auf den Hörer 
ausübt. Erwecken diese wenigen Takte vielleicht in uns die 
Vorahnung der Wunder, die uns der sich anreihende Satz 
bringen wird? 

Nach diesen, das Motiv zuvor zu Gehör bringenden Takten 
führt Beethoven das erste Hauptthema in den folgenden 46 Tak- 
ten ein: 



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Die Melodie in der Komposition. 



71 



Motiv 



Die Fortführung dieses Gedankens ist abermals durch das 



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eingeleitet. 

Nach dem Aufschwünge, den das Thema in den ersten 
4 6 Takten genommen, zeigt sich die Fortführung desselben gegen- 
sätzlich : 



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Abermals wird danach das Motiv in erneutem Aufschwünge 
verwendet. Durch 25 Takte führt dieser leidenschaftlich dahin- 
stürmende melodische Zug auf den Sextaccord der Dominant- 
Harmonie derjenigen Tonart (i^^-dur), in welcher Beethoven das 
zweite Hauptthema bringen will. Bevor dieses eintritt, lässt der 
Meister den Bass des Themas, eingeführt durch das Anfangsmotiv 
des Satzes, von zwei Hörnern im Einklänge intonieren: 



Motiv. Bass des 3. Themas. 



96. 



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An diese einleitenden Takte schliesst sich das zweite Thema 
an, welches zunächst innerhalb 4SI Takte die nachstehenden im 
Beisp. 97 gegebenen vier Takte in dreimaliger Wiederholung 
zeigt. 



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72 



Kapitel VII. 



97. 



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Daran reiht sich die Fortführung des zweiten Themas in 
weiteren \ 9 Takten zu einem Gipfelpunkte auf dem Sextaccorde 
der Dominant-Harmonie, bis zu welchem es Yon dem Motive des 
ersten Themas begleitet wird. In den folgenden 46 Takten wird 
das Thema zu Ende gefilhrt. Nunmehr beginnt der sehr kurze 
aus dem Motive des ersten Themas gebildeter Godal-Gedanke, 
welcher tiber den Accorden der Tonika und der Dominante nur 
eine Scblusskad^nz in Es-dur bildet: 



'j?s: I V 




u. s. w. 



Das, was wir soeben einen „Codal-Gedanken^ nannten, ist 
nicht als ein selbatSndiges Thema zu betrachten. Alle diese, 
einen Hauptteil eines Satzes abschliessenden kleinen Coden be- 
wegen sich über den Accorden der Schlusskadenz und entnehmen 
ihren melodischen Inhalt meistenteils einem Motive des einen 
oder anderen der beiden Hauptthemen. '") 

Dem Hörer wird der den ersten Teil des Satzes durch*- 
laufende melodische Faden nicht entgehen, selbst wenn dieser 



*) In etwas breiterer SoiiateDsa(^orm fiQdet man ahar auch ausser 
den beiden Hauptthemen noch andere selbständige, nicht aus dem ersten 
Thema oder aus einem Motive desselben hervorgegangene Themen, welche 
in einem sogenannten Zwischensatze (Seitensatze) zwischen dem ersten und 
zweiten Haaptthema eingeschaltet sind. Audti Beethoven hat in seinen 
Werken diese Form zuweilen beibehalten, z. B. in den ersten Sätzen der 
Sonaten op. 2 Nr. 3, op. 40 Nr. 3, op. 28, op. 97 u. s. w. 

Aus den angeführten Beispielen ist su ersehen, dass die zwisch^ dem 
ersten und zweiten Thema eingefügten Seitensätze bezw. deren Themen in 
verschiedenen Tonarten aultreten können. So steht der Takt 27 beginnende 
Seitensatz im ersten Teile der C-dur-Sonate von Beethoven, op. 9 Nr. 8, in 
j/-moll und zeigt das folgende selbständige Thema: 



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Die Melodie in der Komposition. 



73 



nicht immer in der höchsten Stimme enthalten ; bald von dem 
einen, bald von einem andern Instrumente fortgeführt wird, und 
höher liegende Stimmen die begleitende Harmonie übernehmen, 
wie aus Beisp. 93 zu ersehen ist, in welchem wir die folgende 
Tonreihe 



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als den melodischen Faden erkennen und empfinden. 



Allegro con brio. 

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Dieser Seitensatz steht auf 
u. s. w. gleicher Tonhöhe mit dem 
Takt 47 in G-dur stehen- 
den zweiten Hauptthema. 



Der im 22. Takte des ersten Satzes der D-dur-Sonate von Beethoven, 
op. 40 Nr. 8, nach dem ersten Thema stehende Seitensatz beginnt inJi-moll 
mit dem folgenden selbständigen Gedanken: 



iHTF^-^^=^.U^ tLf f \ \\i TWrfl 



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74 



Kapitel VII. 



Aber auch im zweiten Teile des Satzes, dem eigentlichen 
Durchführungsteile, in welchem kein neues Thema auftritt, wird 



Das zweite Hauptthema folgt im 53. Takte in der Tonart der Domi- 
nante, A'dnTy in welcher der erste Teil des Satzes schliesst. 

Seitensätze zwischen dem zweiten Hauptthema und der Coda des 
Teils findet man seltener. Diese können wohl in Dur und Moll oder Moll 
und Dur von der Tonart des zweiten Themas verschieden sein, sie werden 
aber immer auf derselben Tonhöhe stehen, in welcher das zweite Thema 
und die nach dem Seitensatze stehende, den Teil beschliessende Coda 
stehen. So folgt in Beethoven's Sonate pathätique dem in e^-moll stehenden 
zweiten Thema 



Allegro molto e con brio. 



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der Seitensatz in i?^-dur: 



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In der Sonata appassionata steht das zweite Thema im ersten Teile 
des ersten Satzes in ^^-dur, der sich anschliessende Seitensatz in a^-moll, 
in welcher Tonart der Teil schliesst: 



^ Allegro assai. ^ * ^ - 



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Die Melodie in der Komposition. 



75 



das melodische Element stets seine souveräne Herrschaft be- 
haupten. Im zweiten Teile eines Satzes in grosser Form, den 
man mit dem technischen Ausdrucke „die Durchführung'^ be- 
zeichnet, sollen aus dem im ersten Teile bündig dargestellten 
Gedankenmateriale, aus den dort gegebenen Ideen, den Themen, 
neue Bildungen und Gestaltungen hervorgehen. Der Komponist 
soll in „thematischer Arbeit" aus den Themen oder Teilen der- 
selben, oft auch des einen oder anderen, zuweilen nur mit einem 
Keime derselben, ja nur mit dem Rhythmus eines in ihnen ent- 
haltenen Motivs in freier ungebundener Fantasie neue Gebilde 
schaffen und mit diesen zu einer Steigerung gelangen, nach 
welcher der dritte Teil eine Wiederholung des ersten bringt. 



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Wir können uns nicht verhehlen, dass Seitensätze nach dem zweiten 
Thema meistenteils auch schon den Charakter einer Coda an sich tragen. 



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76 



Kapitel VII. 



So benutzt Beethoven z. B. im ersten Satze der siebenten Sym* 
phonie den Rhythmus T^jj Schumann im ersten Satze seiner 
Ä-dur- Symphonie den Rhythmus J^| JJ j^ | J J j vorzugs- 
weise als Mittel der Bildung der Durchführung. 

Beethoven ist in der thematischen Arbeit der DurchfUhrungs«- 
teile von keinem andern Meister übertroffen; beziehentlich der 
Breite zeichnen sich seine Durchführungen vor denen aller seiner 
Vorgänger aus. Selten, vielleicht nirgends, werden diese Teile 
in den Kompositionen Hayd^n's oder Mozarts an Länge den ersten 
gleichkommen, fast immer sind sie kürzer gefasst als diese. Bei 
Beethoven sind — die Werke der ersten Schaffensperiode aus- 
genommen — die Durchführungsteile in ihrer Ausdehnung den 
ersten Teilen des Satzes fast immer nahebei gleich lang, und 
so weist auch die Durchführung im ersten Satze der fünften 
Symphonie iS2 Takte gegenüber den 424 Takten des ersten 
Teils auf. 

Auch in der Durchführung ist der ununterbrochene Fort* 
gang der Melodie vorbanden. Wiederum stellt der Meister das 
erste Motiv voran: 



100« 



Ä 



ÖE 






^i 



^ 



H 



Nun folgt innerhalb 13 Takten eine Darstellung des unter 
Beisp. 9i gezeigten ersten Hauptgedankens, hier aber nicht wie 
im ersten Teile in c-moU, sondern in /*-moll: 



101. l 




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Die Melodie in der Komposition. 



77 




-im i^— J5a jOT 



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^ir_it^_J 



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U. 8. W. 



te ^ ij!_ff^'"Trt 



Danach beginnt die eigentliche thematische Arbeit mit dem 
ersten Hauptmotive. Dieses wird in gewaltiger Steigerung zu 
einem Fortissimo geführt, in welchem die im ersten Teile dem 
zweiten Thema vorangestellten, unter Beisp. 96 notierten Takte, 
Takte, hier jedoch in G-dur, eintreten: 



102. 



^^ ff 



mrt^ 



9f 8f 



^^ 



Aus dem im zweiten und dritten Takte enthaltenen Sekund- 
schritte geht jene wunderbare Stelle hervor, bei der die Chöre 
der Bläser und des Streichquartetts den melodischen Faden ein- 
ander abnehmen und ihn abwechselnd weiterführen. Die beregte 
Stelle beginnt folgendermassen: 



Bl. 



Str. 



Bl. 



Str. 



Bl. 



103. 



ff . 1 ..^tL l'l 



S 



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jE 



3: 



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u. s. 



r^ 



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78 



Kapitel VII. 



sie endigt nach 32 Takten im verhallenden Pianissimo. Wiederum 
tritt das unter Beisp. 96 und i 02 notierte Motiv im Fortissimo 
des ganzen Orchesters mit verändertem Schlusstakte ein: 



jLw^h f'-y ?^ — ÜT ]— 


m^> J^ .fl^_- — I — [(&! — si-. 




Daran reiht sich der verminderte Septimenaccord 



auf welchen nach achtmaliger Wiederholung des Motis 



der dritte Teil des Satzes beginnt. Dieser entspricht dem ersten 
Teile; die Fermate im 2i. Takte ist mit einer melodischen Kadenz 
der Hoboe verziert. Das zweite Thema wird in C-dur gegeben, 
in welcher Tonart der dritte Teil schliesst. Eine ausgeführte 
grosse Coda bildet einen vierten Teil; dieser beginnt nach einigen 
überleitenden Accorden mit einer breit dahinströmenden Melodie 
über dem unter Beisp. 104 gezeigten Motive. 



I 



105. ^^^Q 



TvK- 



jr^hJT^-JH: 



n' 



m 



Kurz vor dem Schlüsse des Satzes wird das erste Thema 
nochmals in Erinnerung gebracht. 

Die Analyse dieses inhaltsreichen symphonischen Satzes legt 
uns den melodischen Faden klar, der sich durch die kunstvollen 
Kombinationen verfolgen lässt. Unzweifelhaft ist es das Erfassen 
des Melodischen, von welchem der mit dem Technischen der 
Kunst nicht vertraute Laie den tiefsten und nachhaltigsten Ein- 
druck erhält. Dieser Eindruck ist oft so mächtig, dass Hörer, 
welche niemals musikalische Studien irgend welcher Art getrieben 
haben, die Themen von symphonischen Kompositionen, die Me- 
lodien von Opern und Oratorien nach nur einmaligem Hören der 
betreffenden Werke im Gedächtnisse behalten. Gerade deshalb 
sind die genialsten Schöpfungen der Tonkunst, die Riesenmonu- 
mente der Händeischen Oratorien, der Bachschen Passionen, der 
Opern Mozart's, der Symphonien Beethoven^s Gemeingut aller ge- 
bildeten Nationen geworden, weil sie die prägnantesten Melodien 
enthalten; sie sind für jeden mit Empfindung Begabten vor- 



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Die Melodie in der Komposition. 79 

banden, sie werden ihm hohen ästhetischen Genuss gewähren, 
auch 'wenn er die vollendete Meisterschaft derselben nicht zu 
erkennen vermag. Auf einen solchen Hörer werden gewiss auch 
andere Faktoren eines Musikstückes wirken, wie die begleitende 
Harmonie, das organisch Zusammenhängende der Entwickelung 
des Satzes, die Abrundung der Form, der Klang der Singstimmen 
und das instrumentale Gewand; die Melodie aber tritt aus der 
Vorführung des Ganzen flir ihn als das am Leichtesten zu Er- 
fassende hervor. 

Hierzu tritt noch der Reiz der Abwechselung in der beson- 
deren Art der Melodien der Meister in verschiedenen Ländern 
und in verschiedenen Zeiten. Unser Harmoniesystem ist seit 
langer Zeit ein feststehendes; wir haben keine anderen Accorde 
als diejenigen, welche mit dem Aufgeben der alten Eirchenton- 
arten und der Einführung unsers heutigen Systems der Dur- und 
Moll-Tonarten von allen Komponisten gebraucht worden sind. 
Die kühnsten Accord- Verbindungen, die überraschendsten Modu- 
lationen finden wir schon in den Werken von Bach, Händel, 
Haydn, Mozart und Beethoven. Dagegen weisen gleichzeitig 
lebende, derselben Nation entsprossene Meister wie Bach und 
Händel, Mozart und Gluck, Boieldieu und Auber, Weber und Spohr, 
Mendelssohn und Schumann eine unverkennbare Verschieden- 
artigkeit in der Bildung der Melodie auf. 

Noch auffallender ist dies bei zeitgenössischen Komponisten 
verschiedener Nationalität. Gleichzeitig mit den unter dem son- 
nigen Himmel Italiens entstandenen Melodien Rossini's erklingen 
die Gesänge Schubert's, die Weisen Beethoven's. Wie aber auch 
die Melodie in verschiedenen Ländern anderer Art sein möge, 
welche Wandelungen sie während der jüngsten zwei Jahrhunderte 
in weltlicher und geistlicher Musik erhalten hat, immer war sie 
es, die zuerst und am Eindringlichsten auf den Hörer wirkte 
und die vornehmlich dazu beigetragen hat, die bedeutendsten 
musikalischen Schöpfungen im besten Sinne des Wortes volks- 
tümlich zu machen. 



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80 - Kapitel VIll. 

Kapitel Vm. 
Fantasie und Knnstverstand. 



§ 20. Wir haben nunmehr klargelegt; wie Melodien gebildet 
sind, wie das Melodische ein jedes musikalische Kunstwerk durch- 
dringt und in diesem zunächst am meisten wirksam ist. Wo- 
durch aber die Wirkung einer Melodie hervorgebracht wird, 
worin der Reiz, der Zauber liegt, der auf den Hörer ausgeübt 
wird, das zu erklären halten wir fQr unmöglich; ebensowenig 
sind wir im stände, Regeln oder Grundsätze für die Erfindung 
von Melodien zu geben, welche den Hörer sogleich in Stimmung 
versetzen, auf ihn einen tiefen, nachhaltigen, oft unverwischlichen 
Eindruck machen, deren reine Schönheit, durch die Zeit nicht 
gestört, jederzeit in gleichem Masse entzückt. Als solche nennen 
wir hier beispielsweise die Arie von Händel „Lascia ch'io pianga 
la dura sorte", die Eirchenarie von Stradella, die Melodien der 
Rahmen-Chöre aus der »Matthäus-Passion« von Bach „Kommt, ihr 
Töchter, lasst uns klagen" und „Wir setzen uns mit Thränen 
nieder". Diese Melodien sind sehr einfach gehalten, dem 6e- 
schmacke ihrer Zeit sind keinerlei Zugeständnisse gemacht, den 
zur Zeit ihrer Entstehung üblichen Schmuck an Koloraturen, 
Fiorituren und Verzierungen tragen sie nicht an sich. Dergleichen 
äusserlicher Schmuck ist der jeweiligen Mode unterworfen und 
darum sehr schnell verwelkend ; er setÄt die Virtuosität des Aus- 
führenden ins hellste Licht und dient im Augenblicke als Ohren- 
kitzel für den Hörer. 

Ist nun die Erfindung der Melodie einzig und allein eine 
Äusserung der unbewusst schaffenden Fantasie des Tonschöpfers, 
oder ist auch hierbei schon der musikalische Kunstverstand mit- 
thätig? 

Auch diese Frage vermögen wir nicht zu beantworten, da 
wir überhaupt diese beiden Thätigkeiten nicht in der Weise 
trennen können, dass man sagen könnte: hier hört die eine auf 
und tritt die andere für sie ein. Wir glauben vielmehr, 
dass, wenn auch beim künstlerischen Schaffen meistenteils die 
erste Anregung durch unbewusste Eingebung hervorgerufen wird, 
dennoch die Fantasie und der Kunstverstand, gleichviel ob be- 
wusst oder unbewusst, bald mehr oder weniger, aber doch ver- 
eint thätig sein werden. Dies wird häufig auch schon bei der 
Erfindung der Melodie der Fall sein. 



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Fantasie und Kunstverstand. gl 

Es wird wohl niemand annehmen, dass die Werke der grossen 
Meister nur unbewnssten Eingebungen entsprossen seien, dass 
sie so, wie sie uns hinterlassen worden sind, in einem Zuge und 
Gusse sogleich entstanden sind, dass sie ihre erhabene Schönheit 
nur der unbewusst schaffenden Fantasie zu danken haben. Die 
mannigfachen Änderungen, die Umarbeitungen, welche gerade die 
allerbedeutendsten Tonwerke von ihren Schöpfern erhalten haben, 
z. B. die » Matthäus-Passion c Bach's, Beethoven's >Leonore« und 
die dazu geschriebenen Ouvertüren, geben den Beweis, dass sie 
nicht den Eingebungen glücklicher Stunden allein ihre Entstehung 
verdanken, dass sie nicht in ihrer Vollkommenheit dem Kopfe 
der Schaffenden entsprangen, wie die geharnischte Minerva dem 
Haupte des Zeus. 

Aber sollte sich die Reflexion auch auf die allererste An- 
regung zu einem musikalischen Kunstwerke, auf die Erfindung 
eines Motivs für eine Melodie oder auf eine solche selbst schon 
erstrecken können? 

Für die Beantwortung dieser Frage kommen uns die zahl- 
reichen Skizzenbücher, welche Beethoven hinterlassen hat, zu 
Hilfe. Kein anderer Meister gestattet uns so wie er einen Ein- 
blick in die Werkstatt seines geistigen Schaffens. Vielleicht war 
es die mit den Jahren zunehmende Schwerhörigkeit und später 
gänzliche Taubheit, die ihn nötigten, alles und jedes sofort nieder- 
zuschreiben, es zunächst im Bilde festzuhalten, da er es sich 
durch den lebendigen Klang nicht mehr vergegenwärtigen konnte; 
er kam durch die Niederschrift eines Gedankens dem Gedächt- 
nisse zu Hilfe uüd brachte ihn durch das Auge dem innem Ohre 
wieder in Erinnerung. 

Aus diesen Skizzenbüchern ersehen wir, dass Beethoven ein 
Motiv oft und mannigfach verändert hat; meist schreibt er hinter 
die Änderungen die Bemerkung „meilleur^^, wie der Verfasiser 
diei^r Abhandlung in den Skizzenbüchem Beethoven's zu den 
letzten Streichquartetten gesehen hat.*) Da steht zuerst ein win- 
ziges, kaum irgendwie bemerkenswertes Motiv. Die wenigen 
Noten desselben werden im Rhythmus und in den Intervallen 



^) Diese mit Bleistift geschriebenen Skizzenbücfaer waren im Besitze 
von Ignaz Moscheies, der, da er das Verfahren die Bleistift-Niederschrift 
dauernd zu erhalten mcfat Jcannte, dieselben sorgfältig mit Tinte überzogen 
hatte. Die Buckel hatten ein sehr kleines Quartformat und eine dünne 
Schale; wir dürfen daher annehmen, dass Beethoven sie bei seinen Ausgän- 
gen und Wanderungen stets bei sich getragen hat, um jederzeit Notizen 
machen zu k^Hmen. 

Jadassolin, Das Wesen der Melodie in der Tonkunst. ß 



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82 Kapitel VIII. 

verändert, immer wieder umgestellt niedergeschrieben, bis es 
nach mannigfachen Wandelungen die charakteristische Bildung 
erhält, in der es uns schliesslich überliefert wird. Mitunter 
könnte es beinahe erscheinen, als habe Beethoven mit dem ersten 
besten Motive im geistreichen Spiele so lange spekulierend ex- 
perimentiert, bis dasselbe ihm eine erste Anregung zu einer 
Komposition gegeben hat. 

Über die Art, in welcher Beethoven seine Arbeiten in mehr- 
fachen ausführlichen Skizzen zuerst niederschrieb, giebt ims ein 
von Gustav Nottebohm 4865 veröffentlichtes grösseres Skizzen- 
buch Aufschluss. Dieses, in Querfolio in steifem Umschlage ge- 
bunden, enthält teils 46-, teils 48zeiliges Notenpapier und ist 
jedenfalls in der Zeit vom Oktober 1802 bis April 1804 benutzt 
worden. Daraus, dass Beethoven dergleichen Bücher zuvor für 
den späteren Gebrauch anfertigen liess, glauben wir annehmen 
zu dürfen, dass er sich jederzeit, sicherlich aber vom Beginne 
seines Ohrleidens an, dieses HUfsmittels bediente, um jede Ände- 
rung in einer Komposition sogleich festzuhalten. Die Skizzen 
sind grösstenteils mit Tinte, demnach wohl vermutlich im Hause 
geschrieben; nur selten bedient er sich in diesem Buche des 
Bleistifts. 

Alle Skizzen enthalten im wesentlichen nur die Themen'und 
deren Fortführung ohne Begleitung; ab und zu finden sich einige 
Noten für den Bass, zuweilen einmal die Generalbass-Bezifferung 
einer Bassnote, seltener noch ist der Accord über derselben aus- 
geschrieben und noch seltener ist die Instrumentierung angedeutet. 
Jederzeit aber ist der melodische Fortgang vollständig ausgeführt. 
Da findet sich keine Auslassung, keine Lücke vor. Meist im 
Violinschlüssel notierend, wechselt Beethoven und schreibt den 
Bassschlüssel dann vor, wenn ihm dies für das Niederschreiben 
der Melodie bequemer ist; er hält es für so wichtig, den melo- 
dischen Faden, der sich durch das ganze Gewebe der andern 
symphonischen Stimmen zieht, festzustellen, zu entwickeln, ihn 
fortzufahren und auszuschmücken, dass er die Mühe nicht scheut, 
ihn mehrfach vollständig niederzuschreiben, weil er teils mehr 
oder weniger wesentliche Änderungen vornimmt. So finden sich 
für den Anfang der heroischen Symphonie vier grosse Skizzen 
vor; die vierte derselben ist immer noch der endgültigen Fassung 
unähnlich. Fast alle Einzelheiten des ersten Satzes erscheinen 
in vielfachen Veränderungen. Für den zweiten Teil des ersten 
Satzes finden sich zwei grössere Skizzen vor. Dieser Teil ent- 
hält die „Durchführung^, die in thematischer Arbeit gegebene 



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Fantasie und Kunstverstand. 



83 



Umgestaltung der im ersten Teile gegebenen Hauptgedanken, das 
Herbeiführen neuer spannender Momente. 

Wir haben schon oben bei der Analyse der Durchführung 
des ersten Satzes der flinften Symphonie dargelegt, dass die 
thematische Arbeit im zweiten Teile ebenso vom melodischen 
Elemente durchdrungen ist, wie der erste Teil des Satzes. Die 
Skizzen zur Durchflihrung im ersten Satze der heroischen Sym- 
phonie zeigen uns auch nur den melodischen Zug derselben; 
gelegentlich findet sich eine Andeutung für die Instrumentation, 
auch wohl stellenweise eine solche für die Harmonie. Auch hier 
erschien es dem Meister als das Wichtigste und Notwendigste, 
den wesentlichen melodischen Fortgang der Komposition festzu- 
stellen, und Andeutungen für die Führung anderer begleitender 
Stimmen für deren kontrapunktische Verknüpfung sind in den 
Skizzen nicht enthalten. Nur einmal in der Skizze zum Trauer- 
marsch, dem zweiten Satze der Symphonie, finden wir den Kontra- 
punkt für ein Fugenthema angedeutet. Beethoven hat für das 
Fugato in diesem Satze drei Themen entworfen; wir führen die- 
selben hier an: 



106. 



- ^ilzgl^^ ^ 



^te 



^ 



^ 



U.S.W. 



B. 



^"J-J' I J^IJ: 



U.S.W. 



7 
I 



'^Jtfrwm. 



^ 



^ 



Pf 



Der Meister wählt schliesslich das hier mit B bezeichnete 
Thema, verziert es jedoch mit dem charakteristischen Triller auf 
dem vierten Achtel des zweiten Taktes. Von besonderem In- 
teresse erscheint hier der Umstand, dass Beethoven den Kontra- 
punkt, den er für den ersten Takt der Beantwortung des Themas 
A skizziert, für den zweiten Takt des später gewählten Thema B 
beibehält und ihn im dritten Takte entsprechend weiterführt. 
Für den andern Kontrapunkt zum Thema 



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84 



Kapitel VIII. 



'■"• f^ 



. f i fiV-VtJu£ 



finden wir keine Notiz in den Skizzen. Beide Kontrapunkte 
kehren bei den Eintritten des Themas oder der Beantwortung 
desselben stets wieder; das Fugato ist streng im dreifachen 
Kontrapunkte gearbeitet. Das Thema wie die Kontrapunkte sind 
untereinander rhythmisch gegensätzlich und heben sich dadurch 
in bestimmtester Weise voneinander ab. Auf die Verzierung 
durch den Triller legt Beethoven einen besonderen Wert; der 
auf dem vierten Achtel des zweiten Taktes im Thema gegebene 
Triller wird im zweiten Kontrapunkte (Beisp. i 07) auf demselben 
Achtel des dritten Taktes nachgeahmt. 

Wenn wir den ersten Entwurf für den Anfang des Trauer- 
marsches aufinerksam betrachten, so finden wir in der Skizze 
vier hervorspringende Punkte, welche dem Meister zuerst vor- 
geschwebt haben, und die er endgültig beibehalten hat. Diese 
sind das in den beiden ersten Takten enthaltene Anfangsmotiv: 



108. 



m 



^ 



g r ^ ^v i-' ' ' ^ 



^ 



Dieses Motiv finden wir durch die ganze Skizze in dieser 
Gestalt, d. i. im V4"Takte in Noten von doppeltem Werte. Der 
zweite wesentliche Punkt ist das As im sechsten Takte, welches 
gleichsam hier die Spitze, den Gipfelpunkt der Melodie bildet. 
Hier aber erscheint es erst auf dem zweiten Haupttaktteile; 



109. 



yi; c. I ~^ 



^^ 



sein Gewicht soll durch die in den siebenten Takt hinein ver- 
längerte Bindung vermehrt werden. 

Der 81. Takt bringt den dritten hervortretenden Punkt, das 
Motiv 



110. M (" j"y^ 



I 



in der hier gezeigten Fassung. 



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Fantasie und Kunstverstand. 



85 



In den Takten 29—36 finden wir die Fortführung der Me- 
lodie, welche, in der Partitur i3 Takte vor dem Maggiore ein- 
tretend, folgendermassen gezeigt wird: 



111. 



^m 



^ f f fi f^t 



73 — r 



V HJ I J J J- 



^ 






Für den im Marsche stets auf dem schwachen Taktteile 

eintretenden Rhythmus - J J J I J^ finden wir im elften und 
zwölften Takte der Skizze die nachstehende Notierung auf dem 
ersten (starken) Taktteile: 



Blasinstr. 



112. 



^ 



eBE 



J^ 



i 



m 



sempre 



Wir setzen nunmehr der besseren Veranschaulichung halber 
in Beisp. 443 den ganzen Entwurf hierher, wie ihn Nottobohm 
der sechsten Seite des Beethovenschen Skizzenbuches entnom- 
men hat: 



113. 



i 
i 



w^w 






^ä 



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86 



Kapitel VIII. 



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Blasinstr. 



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2. mal Blasinstr. 



gj^j J^j^i^ i iü i j-j^ I 



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Fantasie und Kunstverstand. 



87 



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T^¥f^ 



t ff J j I < g ryx^x f i 



isi 



m 



Ein späterer Entwurf vom Trauermarsche zeigt uns .andere 
wesentliche Momente. Beethoven notiert im Y4"Takte. Die Zeich- 
nung des Themas ist in den ersten Takten so, wie wir sie in 
der Partitur finden. Entgegen dem ersten Entwürfe zeigt der 
dritte Takt eine andere melodische Erhebung, G statt D und die 
rhythmische Veränderung des dritten und vierten Taktteiles: 



114. 



^jjjjj'^ijj^i^-^ij4^ 



* 



Die das Hauptthema enthaltenden ersten acht Takte schliessen 
in der Tonart der Tonika ab, wogegen die erste Niederschrift 
zehn Takte mit einem Halbschlusse in der Tonart der Domi- 
nante zeigt. 

Eine Wiederholung der ersten acht Takte, wie sie die Par- 
titur enthält, ist in dieser Skizze nicht angedeutet. Die Melodie 
wendet sich sogleich nach £!s-dur und zeigt uns die folgenden 
Takte, aus denen die später angenommene Fassung der Fort- 
führung des Themas ersichtlich ist: 



116. 



?^^<1-J-mjillr'H*-J'U.jJij 



Nunmehr folgen 46 Takte, deren wesentlicher Inhalt in die 
Partitur aufgenommen worden ist; zur Yergleichung mit derselben 
und der besseren Übersichtlichkeit halber setzen wir diese Skizze 
hierher : 



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88 



Kapitel VUI. 




£U:Lrj l j'T^rr'I^^^M*t|g 



tjt i i^jl'j' i Ff^f^yiJFLfl pg:^ 



l|JJ JJ |^ J l\jiji \ i J-ijjJJI'^ i•^ Ir •^^ - 



^^ Nif IJj 



Dieser Entwurf zeigt im grossen Ganzen den Plan für den 
ersten Teil des Trauermarsches, den Zug der Melodie, den Gang 
der Modulation und die später angenommene, durch Wieder- 
holungen kleinerer Teile der Melodie weiter ausgeführte Zeich- 
nung der Form. 

Auf diesem Entwürfe fussend beginnt Beethoven mannigfache 
Änderungen. Staunend müssen wir den Fleiss, die geduldige 
Ausdauer bei der Arbeit, die strenge Kritik, die der erhabene 
Meister an derselben ausübt, bewundern. 

Wir ersehen daraus ferner, wie der reflektierende Kunst- 
verstand und ein ausserordentlicher Feinsinn sich mit der schaf- 
fenden Fantasie vereinigen, sie unterstützen, ihr helfend zur 
Seite stehen, um das Werk zu fördern. Aus allem aber ersehen 
wir die grösstm5gliche Sorgfalt ßir die Bildung der Melodie, für 
deren Entwickelung, ihren natürlichen ungestörten, durch nichts 
unterbrochenen Fortgang, ihre charakteristische Schmückung und 
Verzierung. 

Um den ernsten, strengen Arbeitsprozess klarzulegen, fügen 
wir hier noch einige Entwürfe für den ersten Teil des Trauer- 
marsches bei, wie sie das Skizzenbuch zeigt: 



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Fantasie und Kunstverstand. 



89 



^ 



117. 



^^^^^^^ 



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7j^ii« I ^ J; ijj <=y=g4r ' i ^-3i.i^ 



^ ^ ^ | i i j j^ ijJiDir (^ii j j^ I j-^'. ^ 



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I j;| ' j Jj.^ai.j ' ^T^ I ^-^^i l j J 



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90 



Kapitel VIII. 






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i >^r'f i r c^ i r gg f i r r-^^^ g 




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Fantasie und Kunstverstand. 



91 



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92 



Kapitel VIII. 



-^ H^ * ♦ 



^ 



+ ^ 



f. ' "^''^n-jr rl l | ^l-^cr^f!l1f ^ 



§ 24. Der Gang der Modulation in diesem grossartigen, breit 
ausgeführten Adagio-Satze ist überaus einfach. Beethoven bewegt 
sich in demselben nur im Kreise der den HaBpttonarten C-moU 
und C-dur nächstverwandten Tonarten. Nur vorübergehend tritt 
innerhalb fünf Takten die Tonart Z>e5-dur gegen den Schluss des 
Satzes hin auf: 



118. 



rJ^lb//fe^ r ^J_■^^J^ ^, F3^Ji 



Für den Schluss selbst liegen acht verschiedene Entwürfe 
vor, von denen wir einen hier wiedergeben: 



;J|J77JiJ'f M, j^ 



f 



119. 



* 



Si 



^ 



^ 



^ 



g 



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rtj-^r*' ' J''' ' JJ 'J ' i 



^ 



^ 



^ 



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// 



J^y J^^J^y J-i|JJJJ|JJJJ 



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Fantasie und Kunstverstand. 



93 



^m 



ÖE 



^ 



i 



Nottebohm sagt: »Auf den Gedanken, das Thema metrisch 
Bufzulö^n und so am Schlüsse zu bringen, ist Beethoven zu 
allerletzt gekommen.« 

Wir halten diese Annahme für richtig und können es uns 
nicht versagen, die dahin bezügliche Skizze hier beizufügen: 



120. 



^ "^ J S^ 



^p^ 



Trf^T^J J s ; a 



^■-0- 



^^^-.gfii 



^ 



m 



J- 



oder 



^ 



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^r^CEj^ ' n^'W ' ^^V 



oder 



^m 



r^ 



Ww^ 




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94 Kapitel IX. 

Aus den vorstehenden Skizzen ersehen wir die Unzufrieden- 
heit Beethoven's mit den ersten Entwürfen, seine Zweifel, sein 
rastloses Kämpfen und Bemühen, wodurch er schliesslich seinem 
Geiste die Verwirklichung seiner Idee abringt. In mühsam ernster 
Arbeit entsteht allmählich der Trauermarsch der Symphonie, 
einer der mächtigsten und erhabensten Sätze eines Riesenwerkes 
der Tonkunst. Die Unermüdlichkeit, die liebevolle Sorgfalt fOr 
jede Einzelheit im Tonwerke, flir das Werden, Entfalten und zur 
Darstellung-Bringen des Ganzen in durch innere Notwendigkeit 
fest geschlossener Form zeigen uns den gewaltigen Meister 
Beethoven in der ganzen Grösse seiner Genialität. 

Der Prozess der Arbeit wird wohl bei allen wahrhaft Be- 
deutendes schaffenden Meistern derselbe sein, wenn auch bei 
dem einen vielleicht etwas schneller, bei dem andern etwas 
langsamer vor sich gehen. Wir sehen gerade bei den bedeu- 
tendsten Meistern, dass sie sogar früher bereits vollendete Werke 
nochmals umarbeiteten, wenn diese ihnen späterhin nicht mehr 
genügten. So haben Bach die »Matthäus-Passion«, Gluck seine 
Opern, Beethoven die Oper »Leonore« (Fidelio), Mendelssohn die 
»Walpurgisnacht« lange nach deren erster Fertigstellung imd so 
auch andere Meister ihre hervorragendsten Werke umgebildet. 
Die Selbstgenügsamkeit des kleinen Talents, das schnellfertige 
Schaffen des Kunsthandwerkers ist dem das Höchste anstrebenden 
Genius nicht zu eigen. 



Kapitel IX. 
Die Bildung der getragenen Melodie Beethoven^s. 



§ 22 bietet uns eine Erscheinung dar, welche die Verfbutung 
nahelegen könnte, als sei der Meister dabei einem bestimmenden 
Grundsatze gefolgt. Wir sehen in einer überraschend grossen 
Zahl von Beispielen, dass Beethoven in einer achttaktigen Melodie, 
den höchsten Ton derselben meist erst gegen das Ende bringt 
und dass dieser Gipfelpunkt überhaupt nur einmal berührt 
wird. So wie er das As im Eingangsthema des Trauermarsches 
nur einmal im sechsten Takte erkh'ngen lässt, so. finden wir in 
den ruhig gehenden Themen Beethoven's sehr häufig den höchsten 



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Die Bildung der getragenen Melodie Beethoven' s. 



95 



Ton einer achttaktigen Melodie nur einmal und zwar ebenfalls 
im sechsten Takte berührt. Als Beleg dafür könnten wir zahl- 
reiche Themen nennen, von denen wir hier einige anführen: 



Beethoven, op. 2 No. 4. 



Adagio, 



121. 



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Beethoven, op. i No. 2. 
Largo appassionato. 



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122. 



tenuto sempre 



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Beethoven, op. 40 No. i 
Adagio molto» 

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96 



Kapitel IX. 



BeethoYoe. np. iO No. 2. 
AUegretto. 



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Beethoven, op. iO No. 3. 
Xar^o mesto. 



135. 



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126. 



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Beethoven, op. iS No. 4. 
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Beethoven, op. 48 No. 4. 
AUegretto, 



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Die Bildung der getragenen Melodie Beethoven's. 



97 



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Beethoven, op. 22. 

Adagio con moUl espressione. 



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Beethoven, op. 34 No. 4 
ilda^o graxi090. 
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129. äS 




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Jadassohn, Das Wesen der Melodie in der Tonkunst. 



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98 



Kapitel IX. 



Beethoven, op. 47. 
Andante. 



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Beethoven, op. 58. 
Adagio molto. 



131. 



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Beethoven, op. 97. 

Andante cantabile. 



decresc. . 



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Diese Melodien aus den verschiedenen Scliaffensperioden 
Beethoven's gehören sicherlich zu den schönsten, die jemals er- 
funden wurden; wir könnten ihnen noch manche andere gleicher- 
weise gestaltete Themen des Meisters beifügen, z. B. op. 81 a Satz I, 



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Die Bildung der getragenen Melodie Beethoven's. 99 

op. M\ Satz II, der erste Teil des Themas der Ariette u. s. w 
In andern Themen findet sich die Spitze der Melodie im fünften, 
gelegentlich auch schon im vierten, zuweilen erst im siebenten 
oder achten Takte, stets aber nur einmal innerhalb der ersten 
acht Takte. 

Wir sind nun weit davon entfernt, aus dieser Erscheinung 
bei Beethoven den Grundsatz folgern zu wollen, dass der höchste 
Ton einer getragenen Melodie nur erst im Verlaufe derselben und 
dann nur einmal berührt werden dürfe, zumal sich sowohl bei 
diesem Meister wie bei anderen auch abweichend gebildete Me- 
lodien finden. Es wird wohl niemand sich unterfangen, Normen 
oder Regeln für die Erfindung der Melodie aufstellen zu 
wollen; diese schöpferische Thätigkeit wird stets der Begabung 
des Einzelnen anheimfallen und entsprechen. Wohl aber wird 
der anfangs naiv und unbefangen empfindende Kunstjünger, der 
nur den ersten Eingebungen zu folgen gewöhnt ist, aus der auf- 
merksamen Betrachtung der Melodien der Meister manchen nütz- 
lichen Hinweis für sein eigenes Schaffen entnehmen. Er wird 
lernen, bei der Bildung der Melodie schon an dem ersten, ihm 
unbewusst gekommenen Keime eine strenge Kritik zu üben, wie 
Beethoven es bei der Bilduog der Hauptthemen und bei der 
Erfindung und Anordnung aller Einzelheiten in seinen Werken 
gethan hat. Der junge Komponist wird einsehen lernen, dass Melodie 
immer das wesentlichste Erfordernis des musikalischen Kunst- 
werks ist, dass der Mangel an Melodischem weder durch die 
Wirkung interessanter Harmonieverbindungen noch durch das 
Gewand einer glänzenden Instrumentation gedeckt werden kann. 
Die Analyse klassischer Tonstücke wird immer einen durch das 
Ganze führenden melodischen Faden darthun, und — wir wieder- 
holen es — dass gerade dieser es ist, der auf den- Hörer den 
grössten und nachhaltigsten Eindruck macht. 



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^ Das woen der rociodic in der tonkun 

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